Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten: Untersuchungen zum römischen Recht, den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern sowie der Entstehungsgeschichte von § 935 BGB [1 ed.] 9783428523542, 9783428123544

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die bekannte Regelung in § 935 BGB. Sie dient dem Autor einerseits als thematischer R

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German Pages 290 Year 2007

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Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten: Untersuchungen zum römischen Recht, den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern sowie der Entstehungsgeschichte von § 935 BGB [1 ed.]
 9783428523542, 9783428123544

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 134

Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten Untersuchungen zum römischen Recht, den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern sowie der Entstehungsgeschichte von § 935 BGB

Von

Torsten Göhlert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TORSTEN GÖHLERT

Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten

Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 134

Der Erwerb unterschlagener bzw. gestohlener Sachen vom Nichtberechtigten Untersuchungen zum römischen Recht, den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern sowie der Entstehungsgeschichte von § 935 BGB

Von

Torsten Göhlert

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der TU Dresden hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12354-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Mai 2005 von der Juristischen Fakultät der TU Dresden als Dissertation angenommen und mit deren Promotionspreis des Jahres 2006 ausgezeichnet. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei Herrn Prof. Dr. Dietmar Schanbacher für die hervorragende fachliche Betreuung und die Freiräume, die er mir freundlicherweise im Rahmen meiner Mitarbeit an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches und Römisches Recht an der Juristischen Fakultät der TU Dresden zum Verfassen dieser Arbeit gelassen hat. Ich habe bei ihm sehr gute Forschungsbedingungen vorgefunden. Mein Dank gilt daneben auch Herrn Prof. Dr. Dieter Wyduckel und Herrn Notar Dr. Frank Hartmann für das Erstellen des Zweit- und Drittgutachtens. Schließlich bin ich meinen Eltern und Großeltern für die liebevolle und großzügige finanzielle Unterstützung während der Zeit des Studiums und der Promotion zu tiefem Dank verbunden. Chemnitz, im März 2007

Torsten Göhlert

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

II.

Altrömisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das altrömische System der Mobiliarübertragung und -verfolgung . . . . . . a) Das altrömische Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Übertragung von Mobilien durch mancipatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die altrömische Sachverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der Zug auf den Gewähren und dessen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . d) Folgerungen und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ersitzung im altrömischen Recht – der usus auctoritas Satz der XIITafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übersetzung des XII-Tafelsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Bedeutung der Worte „usus“ und „auctoritas“ . . . . . . . . . . . . bb) Das Verhältnis von „usus“ und „auctoritas“ in dem XII-Tafelsatz (1) Kein Asyndeton – „usus und auctoritas“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Usus auctoritas“ nicht als spezieller einheitlicher Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Übersetzung als „Gewährschaft für den Besitz“ . . . . . . . . . . . . b) Deutung des Satzes und Zusammenhang mit der usucapio . . . . . . . . . . aa) Die Theorie der materiellen Ersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Theorie einer prozessualen Ersitzungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Theorie der bloßen Gewährschaftsbefristung . . . . . . . . . . . . . . dd) Auseinandersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ablehnung der Theorie einer materiellen Ersitzung . . . . . . . . . (2) Zustimmung zur prozessualen Betrachtungsweise . . . . . . . . . . (3) Keine einseitige Betonung der Ersitzungswirkung . . . . . . . . . . (4) Die Ersitzungswirkung als Ausgleich für die Befristung der auctoritas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Die Auswirkungen des Fristablaufs auf die Erwerberstellung im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Nachweis des einjährigen Besitzes allein ausreichend? . . (b) Nachweis von Erwerbsvorgang (mancipatio) sowie Fristablauf erforderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 24 25 26 28 28 30 31 39 40 40 41 41 41 42 43 44 44 44 45 46 46 47 48 48 49 49 49

10

Inhaltsverzeichnis (6) Besitz als Voraussetzung des Fristablaufs? . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Unsichere Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bedeutung der Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Indirekte Bedeutung im Fall der Weiterveräußerung vor Fristablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Entscheidung: Fristablauf unabhängig von Besitz . . . . . . . (7) Beschränkung der Ersitzungswirkung auf res mancipi . . . . . . . c) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Auswirkungen eines furtum auf die altrömische Ersitzung . . . . . . . . . . a) Keine bloße Wiederholung des Ersitzungsverbotes durch die Lex Atinia b) Keine bloße Ergänzung des Ersitzungsverbotes um die „reversio ad dominum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ersitzungsausschluss in den XII-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausschluss des Diebes von der Ersitzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ewige Gewährschaftspflicht des Diebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Wirkung des Satzes für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Neuerung der Lex Atinia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vereinbarkeit der Deutung mit objektbezogenen Ersitzungsverboten in den XII-Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ersitzungsverbot für den Grenzstreifen (confinium) . . . . . . . . . (2) Ersitzungsverbot für res mancipi, die eine Frau ohne Zustimmung ihres agnatischen Tutors veräußert hat . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorschlag einer Formulierung des Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kritik bei Kaser und von Lübtow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vergleich mit dem Satz: „adversus hostem aeterna auctoritas“ (3) Zwischenergebnis: Pflicht zur „aeterna auctoritas“ für Diebe und Fremde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Darlegungs- und Beweispflichten im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ewige Gewährschaftspflicht nicht nur für „notorische Diebe“ (2) Keine vollumfängliche Nachweispflicht des Bestohlenen . . . . (3) Hinreichender Anfangsverdacht bei bloßem Nachweis der Tat f) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhalt und Ausdehnung des altrömischen furtum Begriffes . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Heimlichkeit als Tatbestandsmerkmal des altrömischen furtum . . . . . . aa) Quellenbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sinn und Zweck des Merkmals der Heimlichkeit . . . . . . . . . . . . . . (1) Die offene Wegnahme als regelmäßige Form des Sacherwerbs (2) Die offene Wegnahme als Element des Rechtsschutzes im Rahmen der Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 53 54 54 55 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 65 66 68 68 68 68 71 72 72 72 72 73 74 74 75 75 77 77 80

Inhaltsverzeichnis

11

(3) Heimlichkeit als objektives Kriterium zur Bestimmung der inneren Tatseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 cc) Keine deliktische Verfolgung der offenen Wegnahme . . . . . . . . . . . 81 dd) Keine aeterna auctoritas bei offener Wegnahme . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Gewahrsamsbruch als Voraussetzung des altrömischen furtum . . . . . . . 83 aa) Die etymologische Ableitung von „ferre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Die decemvirale Klage ex causa depositi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 cc) Die actio rationibus distrahendis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 dd) Unterschlagungssituationen bei Miete, Leihe, Werk- oder Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 d) Sonderfall: Fundunterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5. Keine eigenständige aeterna auctoritas Regel in den perfidia-Fällen . . . . 95 6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Klageausschluss und Erwerbswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Befristung des Gewährenzuges – gesetzgeberisches Motiv und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Die Ausnahmebestimmung bei Veräußerung durch den Dieb – Vergleich mit § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die klassische usucapio und ihre Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das klassische Eigentumsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vom usus auctoritas Satz zum klassischen System der usucapio . . . . . aa) Die Entwicklung des Begriffes „usucapio“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fristablauf und usurpatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) iusta causa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Besitzerwerb bona fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Von aeterna auctoritas adversus furem zum Ausschluss der Ersitzung furtiver Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der klassische Tatbestand des furtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die allgemeine Entwicklung des furtum-Begriffes seit den XII-Tafeln aa) Ursprünglich enges Verständnis in den XII-Tafeln . . . . . . . . . . . . . bb) Starke Ausdehnung des Tatbestandes bis Alfenus . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzung und Schärfung des furtum in der Hoch- und Spätklassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Einordnung gewaltsamer Wegnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Ausdehnung des furtum auf die Unterschlagung anvertrauter Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Klassische Quellen und Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unterschlagungsfälle im Rahmen der Verwahrung . . . . . . . . . . (2) Unberechtigte Veräußerungen in Pfandrechtsverhältnissen . . .

104 106 106 108 108 110 111 112 117 119 119 120 120 121 123 125 125 125 126

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Inhaltsverzeichnis (3) Unterschlagungshandlungen bei Leihe und locatio conductio bb) Ablauf und Grund der Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auswirkungen des klassischen Eigentumsbegriffs auf das Deliktsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Öffnung des Tatbestandes durch vergeistigten Besitzbegriff . . (3) Praktisches Bedürfnis für eine Erweiterung des Schutzbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Erweiterung des Ersitzungsverbotes als Motiv für den erweiterten furtum-Begriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Furtum durch bösgläubigen Erwerb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fundunterschlagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot für furtive Sachen . . . . . . . . a) Ersitzungsausschluss beim „furtum in veritate“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Furtum in ehelicher Lebensgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Diebstahlshandlungen von Gewaltunterworfenen . . . . . . . . . . . . . . . b) Ersitzung trotz furtum bei Taten des Eigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Auffassung Schlichtings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kasers Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Deutungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erstreckung des vitium der res furtiva auf deren Früchte? . . . . . . . . . . . aa) Normale Sachfrüchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Kind der Sklavin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Funktion der usucapio unter Geltung des weiten Ausnahmetatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Restbereiche des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten . . . . . . . . . b) Erwerb quiritischen Eigentums bei traditio von res mancipi . . . . . . . . . c) Erwerb von Geisteskranken, Unmündigen oder mit bloßem Putativtitel d) Beweiserleicherung für alle gutgläubigen Erwerber . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Beweislast im römischen Vindikationsprozess . . . . . . . . . . . . . (1) Theorienstreit zur Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Historische Entwicklung der Beweislastverteilung im Vindikationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Probleme beim Nachweis abgeleiteten Sacherwerbs . . . . . . . . . . . . cc) Beweiserleichternde (prozessuale) Wirkung der usucapio . . . . . . . dd) Ausweitung der Beweiserleichterung durch die Actio Publiciana Exkurs: Doppelerwerb „a non domino“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127 127 128 129 130 131 132 135 135 136 136 138 139 141 143 143 144 146 146 147 149 150 150 153 155 155 156 156 158 161 162 165 168 174 175 175

Inhaltsverzeichnis

13

IV. Entwicklungen in der Spät- und Nachklassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Kaiserrecht bis Diokletian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Nachklassik ab Konstantin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teilweise Renaissance der usucapio unter Justinian . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178 178 180 182

V.

184 184 185 187 187 189 190 192 193

Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Theorien zur germanischen Sachverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt: Gewerebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erklärungstheorien zum „Hand wahre Hand“ Prinzip . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Publizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Erwerbstheorie von Zycha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fehlen einer Klage in den Unterschlagungsfällen . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Theorie mangelnder Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweifel an der Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips in den Volksrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Analyse der volksrechtlichen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das westgotische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herkunft und Überlieferung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streit um den zu Grunde liegenden Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ansicht von Levy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ansicht von Schultze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ansicht von d’Ors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Rückabwicklung wissentlich unbefugter Veräußerungen . . . . dd) Direkte Inanspruchnahme des Besitzers mittels Anefangklage . . . ee) Leichte Veränderungen im Liber iudiciorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Deliktscharakter von vorsätzlich unberechtigten Veräußerungen . (1) CE 280 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) L. Vis. VII, 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) L. Vis. VII, 2, 7; VII, 2, 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) L. Vis. VII, 2, 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) L. Vis. VII, 6, 3; VII, 6, 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das fränkische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Beschränkung des Anefangs auf abhanden gekommene Sachen nach L.Rib. 33 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anefang bei vorsätzlich unberechtigter Veräußerung . . . . . . . . . . . (1) L.Rib. 72,1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) L.Rib. 72,5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Anefang bei bewusst unberechtigter Freilassung . . . . . . . . . . . . . . .

193 194 195 195 196 196 196 196 196 200 202 205 207 208 209 209 211 211 212 213 214 217 218 220 222

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Inhaltsverzeichnis dd) Sachverfolgung in dritter Hand ohne Abhandenkommen im salfränkischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zusammenfassung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das bayrische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern aus theoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einheitliche Sach- und Deliktsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inanspruchnahme eines Nichttäters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entwicklung der gerichtlichen Sachverfolgung bei Diebstahl . . . . d) Die Erweiterung der Anefangklage auf Unterschlagungsfälle . . . . . . . . e) Der Einfluss des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zu diversen Einwänden gegen eine Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kenntnis der Unterschlagung im germanischen Recht . . . . . . . . . . bb) Die Aktivlegitimation zur Sachverfolgung bei Diebstahl vom Vertrauensmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sinn und Zweck des Gewährenzuges in den Unterschlagungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nichtauffindbarkeit des Gewähren/Gewährschaftsverweigerung . . 4. Zusammenfassung und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 306 ADHGB von 1861 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die zur Entscheidung vorgebrachten Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Motive für die Entscheidung zugunsten des „Hand wahre Hand“ Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auslegung der Regelung durch das Reichsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die I. Kommission zur Ausarbeitung des BGB und der Teilentwurf des Sachenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Verhandlungen des 15. Dt. Juristentages 1880 in Leipzig . . . . . . . . . . 4. Die Regelungen des Entwurf I (1887) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vom Entwurf I zur heutigen Fassung des § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224 226 227 232 233 233 234 235 237 240 244 244 247 248 249 250 252 252 253 254 259 260 261 263 266 269

VII. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

I. Einleitung Vor rund 50 Jahren kam Ulrich von Lübtow in einer vielbeachteten Abhandlung über die historische Entwicklung des Mobiliarerwerbs vom Nichtberechtigten zu dem Schluss: „Auf jeden Fall muss die legislative Berechtigung einer unterschiedlichen Behandlung von freiwilligem und unfreiwilligem Besitzverlust . . . in Abrede gestellt werden. Das Prinzip beruht auf historischen Zufälligkeiten und ist entwicklungsgeschichtlich überholt.“1

Schon vor ihm hatte neben anderen Autoren2 namentlich Meister die zu seiner Zeit noch jungen Vorschriften des BGB zum gutgläubigen Erwerb mit scharfen Worten angegriffen. Nach einer Untersuchung der geschichtlichen Grundlagen der Regelung kam er zu dem Schluss, dass die Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes in § 935 BGB „nicht römisch-rechtlich, nicht deutsch-rechtlich und nicht vernünftig“ sei3. Demgegenüber meint Söllner in einer neueren Untersuchung, man könne den Vätern des BGB „aus romanistischer Sicht“ bescheinigen, „daß sie mit der Regelung der §§ 932 ff. BGB im großen und ganzen doch wohl das Richtige getroffen haben“. Die ungebrochene Bedeutung der historischen Herkunft des § 935 BGB zeigt sich bereits darin, dass kaum eine moderne Behandlung der Norm darauf verzichtet, einen Bezug zum angeblich urgermanischen Grundsatz „Hand wahre Hand“ herzustellen4. Mit dieser Wendung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine freiwillig weggegebene bewegliche Sache nur vom Empfänger, nicht aber von einem Dritten zurückverlangt werden kann. Anstelle des Satzes wer1 Von Lübtow, Hand wahre Hand, FS der Berliner juristischen Fakultät zum 41. DJT (1955), 225. 2 Die Nachweise zur älteren Literatur finden sich bei Meister, Fahrnisverfolgung und Unterschlagung im deutschen Recht, FS Wach III (1913), 410. 3 Meister, FS Wach III, 407 ff., 484. 4 Vgl. exemplarisch: Mühl, in: Soergel, § 932 Rn. 1; Wiegand, in: Staudinger, § 935 Rn. 2, zurückhaltend: Vorbem. zu § 932 ff., Rn. 21; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 52, Anm. 8; besonders deutlich bei: Ercklentz, Der Erwerb vom Nichtberechtigten. Eine Schöpfung germanischen Rechtes, 1935, 3 ff., 21 ff.: „Die germanischen Völker können stolz darauf sein, daß auf ihrem Rechtsboden ein solches Institut erwachsen ist“; Kritik bei: Meister, FS Wach III, 407 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 119 ff.; Hübner, Der Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht (1955), 16 ff.; Rebe, Zur Ausgleichsfunktion von § 935 BGB zwischen Vertrauensschutz und Eigentümerinteressen beim gutgläubigen Mobiliarerwerb, AcP 173 (1973), 190 f.; Olzen, Zur Geschichte des gutgläubigen Erwerbs, Jura 1990, 505 ff.

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den auch die eingängigen deutschen Rechtssprichworte „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“ und „Trau schau wem“ verwendet5. Gedanken germanischen Rechts sollen hier über Jahrhunderte erhalten geblieben und schließlich im Kampf gegen eindringende römisch rechtliche Ideen siegreich gewesen sein6. Das ungewöhnlich hohe Interesse an den historischen Wurzeln der heutigen Regelung hängt unter anderem damit zusammen, dass in der rechtspolitischen Diskussion anlässlich der Schaffung des BGB die Geschichte eine wichtige Rolle spielte. Beispielhaft findet sich in den Motiven zur Schaffung der Vorschrift des BGB folgende Passage: „Der Regelfall ist, daß dem Inhaber die Inhabung vom Eigenthümer überlassen ist. Für diesen Regelfall rechtfertigt es sich, dem Prinzipe ,Hand muß Hand wahren‘ zu folgen und dem Eigenthümer gegenüber einem gutgläubigen Erwerber die Gefahr einer unrechtmäßigen Verfügung des Inhabers tragen zu lassen. Dagegen überwiegen die Gründe, anders zu entscheiden, wenn dem Eigenthümer oder dessen Vertreter ohne deren Willen die Inhabung der Sache entzogen ist.“7

Das Berufen auf historische Kontinuität sowie germanische Traditionen bzw. Prinzipien gibt zudem ein beliebtes, wenn auch nur ergänzend gebrauchtes Argument zur Rechtfertigung der Vorschrift. Dessen Wert ist jedoch nicht zu überschätzen. Abgesehen davon, dass allein in der Zitierung der Geschichte keine Rechtfertigung der Gegenwart liegt8, ist auch der historische Anknüpfungspunkt zweifelhaft, wie sich im Rahmen dieser Untersuchung noch zeigen wird. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, eine von der Regelungsgeschichte unabhängige, allseits befriedigende Antwort auf die Frage nach dem zu Grunde liegenden rechtfertigenden Prinzip zu geben9. Trotz scharfsinniger Erklärungsversuche in viele Richtungen können die angestellten Theorien10 allesamt nicht voll überzeugen. Von einigen Autoren wird der Gedanke der Gefahrbeherrschung herangezogen. Der Eigentümer schaffe durch die Besitzüberlassung ein Risiko, das er sich zurechnen lassen müsse11. Durch sorgfältige Auswahl des Vertrauensman5 Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp.1929; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 184; Korte, Anwendung und Verbreitung des Rechtssatzes „Hand wahre Hand“ im mittelalterlichen deutschen Privatrecht (1981), 1; Wiegand, in: Staudinger, § 935 Rn. 2; Mühl, in: Soergel, § 935 Rn. 1; Baur/Stürner, Sachenrecht, § 52 Rn. 8. 6 Siehe zu dieser Auffassung die Darstellung bei Hübner (I. Fn. 4), 16 f. m.w. N. 7 Motive, 348, bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band 3, Sachenrecht, 193. 8 Baur/Stürner, Sachenrecht, § 52 Rn. 8. 9 Baur/Stürner, Sachenrecht; § 52 Rn. 8; Wiegand, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 932 ff., Rn. 5; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 225 ff.; Neundörfer, Die Bedeutung des Vertrauens bei den Gutglaubensvorschriften (1998), 343, Anm. 1444. 10 Es handelt sich bei den existierenden Theorien zu den §§ 932 ff. um Erklärungstheorien, die erst nachträglich erdacht wurden und darauf abzielen, die gesetzliche Lösung abzusichern, Wiegand, in: Staudinger, Vorbem. zu §§ 932 ff., Rn. 4 f. 11 Müller-Erzbach, Das Recht des Besitzes, Acp 142, 5; Hübner (I. Fn. 4), 105 ff., 127: „Wo du zurechenbar den Schein erweckt hast, da sollst Du den Nachteil tragen“;

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nes könne er die Gefährdung verhindern. Doch sind in der Praxis die Prüfungsmöglichkeiten des Eigentümers und somit auch seine Möglichkeiten der Gefahrbeherrschung nicht besser, als die des Erwerbers. Für beide ist das Risiko, es mit einem unseriösen Geschäftspartner zu tun zu haben, in gleichem Maße schwer kalkulierbar12. Andere sehen in § 935 BGB eine Korrektur des reinen Rechtsscheinsprinzips durch den sogenannten Veranlassungsgedanken13. Der Eigentumsverlust sei dem Eigentümer nur dann zumutbar, wenn er das rechtscheinsbegründende Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz selbst veranlasst habe14. Doch ist mit dieser rein deskriptiven Aussage15 leider nichts zur Frage nach der Rechtfertigung des Rechtsverlustes gewonnen. Das Anvertrauen von Sachen ist im modernen Verkehrsleben nicht mehr oder weniger gerechtfertigt, als ihr Erwerb16. Die bloße Veranlassung ist kein anerkanntes Zurechnungskriterium17. Wieder andere sehen ein Verschulden des Eigentümers als maßgeblich an18. Doch ist de lege lata kein Ansatzpunkt vorhanden, den Erwerb von einem vorwerfbaren Verhalten des Eigentümers abhängig zu maRebe, AcP 173, 200 f.; Wiegand, in: Staudinger, Vorbem. zu § 932 ff., Rn. 23 m.w. N.; kritisch: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 215 ff.; Neubert, Erwerb vom Nichtberechtigten aufgrund einer Konvaleszenz des Abhandenkommens (1998), 155. 12 Peters, Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb (1991), 55 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 215 ff. 13 Westermann, Die Grundlagen des Gutglaubensschutzes, JuS 1963, 6 f.; Musielak, Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach §§ 932 ff. BGB, JuS 1992, 713 f.; Wiegand, in: Staudinger, Vorbem §§ 932 ff., Rn. 22; Medicus, Besitz, Grundbuch und Erbschein als Rechtsscheinträger, Jura 2001, 296; kritisch: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 221; Rebe, AcP 173, 198 ff.; Ernst, Ist der gutgläubige Mobiliarerwerb eine Rechtsscheinwirkung, FS Gernhuber, 1993, 118. 14 Rechtserheblich sei die Veranlassung allerdings nur, wenn sie auf einem willentlichen Tun oder Unterlassen des Betroffenen bzw. des Besitzmittlers im Falle des § 935 I 2 BGB basiere. So lasse sich erklären, warum die veranlassende Handlung des Verlierers bzw. desjenigen Eigentümers, der seine Sache ungesichert dem Zugriff eines Diebes aussetzt, nicht die Gefahr des Eigentumsverlustes mit sich bringe, Musielak, JuS 1992, 713 f.; Wiegand, in: Staudinger, Vorbem. §§ 932 ff., Rn. 22. 15 Peters (I. Fn. 12), 57: „eine rein deskriptive Aussage, die im übrigen auch noch nicht einmal korrekt ist“. Der Eigentümer veranlasse nicht die Veräußerung, sondern beseitige nur ungewollt eine Schranke, die den Erwerb hindert. 16 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 221: „Es ist wirklichkeitsfremd und geradezu sinnwidrig, durch das Veranlassungsprinzip den Eigentümer zu zwingen, seine Sachen niemals aus der Hand zu geben.“ 17 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 221; Hübner (I. Fn. 4), 125; Zweigert, RabelsZ 23 (1958), 43; Peters (I. Fn. 12), 57 f.; Neubert (I. Fn. 11), 153. 18 Neubert (I. Fn. 11), 153 f. m.w. N. Sein Verweis auf die Motive III, 344, geht jedoch fehl. Dort ist zwar davon die Rede, dass der Eigentümer aufgrund der Besitzüberlassung am Irrtum des Erwerbers über das Eigentum des Veräußerers in höherem Grade „Schuld“ trage als der Erwerber. Doch wird man Schuld hier nicht im technischen Sinne verstehen dürfen, sondern eher im Sinne einer Veranlassung. Zu den Problemen einer Differenzierung nach Verschuldensgesichtspunkten (de lege ferenda): Zweigert, RabelsZ 23, 14; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 224.

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chen19. Die bloße Besitzüberlassung als typisiertes Verschulden gegen sich selbst zu begreifen, führt letztlich zu denselben Problemen wie der Veranlassungsgedanke. Die Weggabe kann dem Eigentümer nicht vorgehalten werden. Ungeachtet der verschiedenen Erklärungsversuche besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass § 935 BGB letztlich das Ergebnis einer gesetzgeberischen Wertung ist. Dem Eigentümer soll der Verlust seines Rechtes dann zugemutet werden, wenn er die Besitzlage, die die Verfügung ermöglicht, freiwillig hingenommen hat20. Umgekehrt formuliert soll er nicht büßen, wenn ihm der Besitz wider seinen Willen entzogen wurde, da er dann nichts zum Schein des Rechts beigetragen hat21. Dass dies der gedankliche Ansatzpunkt der Väter des BGB war, lässt sich deutlich aus den Materialien ersehen. Dort heißt es: „Gegen die Veräußerung der Sache durch einen Nichtberechtigten könne der Eigenthümer, abgesehen von den Fällen der Entziehung der Sache, sich genügend dadurch schützen, daß er die Inhabung nicht aus der Hand gebe und dadurch dritten Personen gegenüber den Schein ausschließe, daß die Sache einem Anderen gehöre.“22

Lange Zeit hat man diese Entscheidung des Gesetzgebers im Hinblick auf das geltende Recht hingenommen. Neuen Schwung in die grundsätzliche Diskussion um die Berechtigung eines gutgläubigen Erwerbes vom Nichtberechtigten brachten dann Untersuchungen unter dem verfassungsrechtlichen Aspekt des Art. 14 GG23. Da eine Grundrechtsverletzung in Betracht kommt, die theoretisch zu einer Nichtanwendbarkeit der betroffenen Normen führen kann24, konnten die sonst hauptsächlich de lege ferenda vorgebrachten Bedenken auch de lege lata herangezogen werden. Peters kommt in seiner ausführlichen Arbeit zu dem Schluss, dass zumindest der entgeltliche gutgläubige Erwerb für noch hinreichend als Schrankenregelung gerechtfertigt angesehen werden dürfe25. Dagegen hält Neundörfer speziell den § 935 I BGB für verfassungswidrig, da diese Vorschrift die mit den §§ 932 ff. bezweckte Sicherung des Rechtsverkehrs wieder zunichte mache. Da der Sache das Abhandenkommen nicht anzusehen sei, werde die Unsicherheit beim Erwerber nicht vollkommen beseitigt. Die bloße Verringerung des Risikos wirke sich regelmäßig nicht positiv auf das Erwerberverhalten aus. Indem § 935 BGB somit die bezweckte Orientierungssicherheit 19

Neubert (I. Fn. 11), 154; Peters (I. Fn. 12), 58. Peters (I. Fn. 12), 144; Wiegand, in Staudinger, Vorbem. zu §§ 932 ff., Rn. 24. 21 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 220. 22 Prot. I 4005, bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Sachenrecht, Band 1, §§ 854–1017, 599; ähnlich: Motive III, 384 bei Mugdan (I. Fn. 7), 193. Zur Entstehungsgeschichte im Einzelnen siehe ausführlich unten VI. 23 Hager, Verkehrsschutz durch redlichen Erwerb, 46 ff.; Peters (I. Fn. 12), 1 ff.; Neundörfer (I. Fn. 9), 343 f. 24 Wenn eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist. 25 Peters (I. Fn. 12), 123. 20

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im Rechtsverkehr unterlaufe, werde der rechtfertigende volkswirtschaftliche Nutzen der §§ 932 ff. BGB ausgehebelt und die Norm sei deshalb verfassungswidrig26. Für eine nähere Auseinandersetzung mit dieser These einer Grundrechtsverletzung ist hier zwar kein Raum. Bereits ihre Existenz zeigt jedoch, dass die Diskussion um § 935 BGB nach wie vor in Bewegung ist und die derzeitige Regelung weder als unproblematisch, noch als selbstverständlich angesehen werden kann. Bestätigt wird dies durch einen kurzen Blick auf die in anderen Privatrechtsordnungen gewählten Lösungsansätze. Die bestehenden Variationen sind äußerst vielfältig. Zwar finden sich dem § 935 BGB vergleichbare Regelungen noch in vielen weiteren Kodifikationen, so beispielsweise im österreichischen und griechischen Zivilrecht27, doch ist der absolute Erwerbsausschluss für unfreiwillig verlorene Sachen keineswegs ein zwingendes, allgemein anzutreffendes Prinzip. In Frankreich, der Schweiz, Japan, Polen und Rumänien greift für abhanden gekommene Sachen eine relativ kurze Verwirkungs- bzw. Ausschlussfrist, nach deren Ablauf das Eigentum nicht mehr geschützt ist28. Verschiedentlich ist der Erwerber solcher Güter nur gegen Erstattung des Kaufpreises zur Herausgabe verpflichtet (Lösungsrecht)29. Das italienische Recht lässt einen gutgläubigen Erwerb generell zu, also auch bei gestohlenen und abhanden gekommenen Sachen30. Unabhängig von der Art des Besitzverlustes gewährt das schwedische Recht dem Alteigentümer ein Rückkaufsrecht31. Auch in den Zivilgesetzbü26

Neundörfer (I. Fn. 9), 343 f., 393 f. Zum österreichischen Recht vgl. Spielbüchler, in: Rummel, Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, § 367 Rn. 9 – geschützt wird regelmäßig nur der entgeltliche gutgläubige Erwerb vom Vertrauensmann, also einer Person, in deren Hand die Sache mit Willen des Eigentümers gelangt ist und von deren Nachfolgern (Vertrauensmannkette). Ausnahmen existieren für den Erwerb in öffentlicher Versteigerung, von einem „befugten Gewerbsmanne“, einem Scheinerben (§ 824 ABGB) sowie für Geld u. ä. (§ 371 ABGB). Im griechischen Recht findet sich die Unterscheidung in Art. 1036, 1038 ZGB, dazu: Zweigert, Rechtsvergleichend-Kritisches zum gutgläubigen Mobiliarerwerb, RabelsZ 23 (1958), 4 ff.; Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten (1996), 153 ff. – vgl. dort auch die Darstellungen zu den vergleichbaren Regelungen im englischen, US-amerikanischen, argentinischen, spanischen, portugiesischen, russischen und ungarischen Recht. 28 Thorn (I. Fn. 27), 153 ff.; Benecke, Abhandenkommen und Eigentumserwerb im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 2002, 362 ff.; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, Band 2, 564 ff.; Tuor, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 616 ff. Die Frist beträgt in Japan 2 Jahre, in Frankreich, Polen und Rumänien 3 Jahre und in der Schweiz 5 Jahre. 29 Benecke, ZVglRWiss 2002, 363. Das Lösungsrecht gibt es etwa in Frankreich (Art. 2280 I code civil), wenn der Erwerber die Sache auf einer Messe, einem Markt oder bei öffentlicher Versteigerung erworben hat, dazu: Ferid/Sonnenberger; Das Französische Zivilrecht, Band 2, 566; Thorn (I. Fn. 27), 245 ff.; in der Schweiz (Art. 934 II ZGB), bei Erwerb durch öffentliche Steigerung, auf dem Markt oder von einem Kaufmann, dazu: Tuor, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 618; in Spanien (Art. 464 I código civil); in Japan (Art. 194 japanisches ZGB) und in der Türkei (Art. 902 II Türkisches ZGB). 27

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ˇ SSR und der DDR32 fehlt eine Differenzierung zwichern der ehemaligen C schen anvertrauten und abhanden gekommenen Sachen33. Von besonderem Interesse sind die neueren Entwicklungen. So hat das neue niederländische Burgerlijk Wetboek, dessen hier einschlägiges 3. Buch am 01.01.1992 in Kraft getreten ist, mit der Regelung in Art. 3:86 III BW vom bis dahin geltenden Veranlassungsprinzip Abstand genommen. Ein sofortiger Eigentumserwerb ist nur noch an gestohlenen Sachen ausgeschlossen34. Dagegen ist an verloren gegangenen und anderswie abhanden gekommenen Sachen ein Erwerb vom Nichtberechtigten neuerdings möglich. Damit kommt es ganz offensichtlich auf die früher betonte Mitwirkung des Eigentümers bei der Schaffung des Rechtsscheins nicht mehr an35. Die bis dahin in Art. 2014 II BW a. F. getroffene Unterscheidung zwischen anvertrauten und abhanden gekommenen Sachen wurde in den Beratungen zum neuen Burgerlijk Wetboek ausdrücklich als überholt kritisiert und schließlich abgeschafft36. Mit der aufrechterhaltenen Sonderregelung für gestohlene Sachen soll vornehmlich der Verbrechensbekämpfung Rechnung getragen werden37. Die Entwicklung in den Niederlanden steht international nicht etwa isoliert da. Aufgegeben wurde die Differenzierung nach der Art des Besitzverlustes auch im neuen Code Civil du Québec, der am 01.01.1994 in Kraft getreten ist38. In Louisiana scheiterte der Versuch weitgehend, diese einzuführen39. So wird aus den aktuellen Entwicklungen bereits teilweise gefolgert, dass die Unterscheidung zwischen anvertrauten und abhanden gekommenen Sachen „langsam im Rückzug begriffen“ sei40. 30 Hupach, Der gutgläubige Erwerb von Sachen, nach deutschem und italienischem Recht (1997), 83 ff.; Thorn (I. Fn. 27), 153 ff. Allerdings kennt das italienische Recht eine Sonderregelung für registrierte Sachen (Bsp. Kraftwagen), für diese greift der gutgläubige Erwerb nicht, Hupach, 85 ff.; dazu kritisch: Siehr, Der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen, ZVglRWiss 80 (1981), 289. 31 § 4 Lagen om godtrosförvärv av lösöre; Thorn (I. Fn. 27), 251 f.; Strömholm, An introduction to Swedish law, 415 f. Das Rückkaufsrecht kann vom Berechtigten innerhalb von 3 Monaten seit Kenntnis von der Person des Besitzers ausgeübt werden. 32 Nach § 28 ZGB der DDR war gutgläubiger Erwerb im Einzelhandel unterschiedslos möglich. Im Kommentar zum ZGB der DDR, herausgegeben vom Ministerium der Justiz, Berlin 1985, § 28 Nr. 0, 1, wird zur Begründung auf die „Sicherheit im Rechtsverkehr“ verwiesen. 33 Thorn (I. Fn. 27), 153 ff., 161 Anm. 65. 34 Der Eigentümer kann innerhalb einer dreijährigen Frist ab dem Zeitpunkt des Diebstahls von jedermann vindizieren, Thorn, Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten: Neue Entwicklungen in rechtsvergleichender Perspektive, ZEuP 1997, 453; Benecke, ZVglRWiss 2002, 363. 35 Thorn, ZEuP 1997, 443 ff., 453; Thorn (I. Fn. 27), 159 f. 36 Thorn, ZEuP 1997, 444 f.; Thorn (I. Fn. 27), 159, Anm. 54, 170 f. m.w. N. 37 Thorn, ZEuP 1997, 454. 38 Dazu ausführlich Thorn, ZEuP 1997, 443 ff., 459 ff., 472 f.; Thorn (I. Fn. 27), 56 ff. 39 Thorn, ZEuP 1997, 464 ff., 473; Thorn (I. Fn. 27), 57 f.

I. Einleitung

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Die neueren Tendenzen sowie das ungebrochene Interesse an der geschichtlichen Entwicklung ermutigen, die dem § 935 BGB zu Grunde liegende Problematik trotz der umfangreichen Literatur nochmals einer historischen Betrachtung zu unterziehen. Während die betreffende rechtsgeschichtliche Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert41, in der Epoche des usus modernus und des Naturrechts42, sowie in der Zeit der mittelalterlichen Stadtrechte und Rechtsspiegel43 bereits Gegenstand umfassender neuerer Arbeiten war, fehlt es für die Zeit des antiken römischen Rechts und der leges barbarorum an einer zusammenhängenden aktuellen Untersuchung. In den fünf Jahrzehnten seit von Lübtows Abhandlung sind in der romanistischen und germanistischen Literatur zu den einschlägigen Quellen sowie Problemkreisen neuere Ansichten und Entwicklungstheorien hervorgetreten, die es jeweils bezüglich ihrer Bedeutung für die Unterscheidung von abhanden gekommenen und anvertrauten Sachen zu berücksichtigen gilt. Zwar hat es im römischen Recht bekanntlich einen sofortigen Erwerb vom Nichtberechtigten nicht gegeben44, weshalb eine dem § 935 BGB entsprechende Sonderregelung für abhanden gekommene Sachen zunächst ausgeschlossen und ein Vergleich wenig fruchtbar erscheint, es besteht jedoch nach zutreffender Ansicht ein enger innerer Zusammenhang zwischen der kurzen römischen Ersitzung (usucapio) und den §§ 932 ff. BGB. Der Eigentumserwerb kraft usucapio ist ein lediglich hinausgeschobener rechtsgeschäftlicher Erwerb, dessen wesentliche Grundlage das Erwerbsgeschäft bildet45. Nach nur einjährigem, dafür aber qualifiziertem Besitz der Sache wird der gutgläubige Erwerber unabhängig von der Berechtigung des Veräußerers Eigentümer. Die diesbezüglich in den Quellen vorzufindenden Ausnahmebestimmungen für deliktisch belastete Sachen (res furtiva) lassen sich also grundsätzlich mit der Regelung in 40

Thorn, ZEuP 1997, 473. Engstfeld, Der Erwerb vom Nichtberechtigten. Die rechtsgeschichtliche Entwicklung, insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert (2002), 1 ff.; Huwiler, Vindikationsprinzip versus Hand wahre Hand, FS Bader (1986), 90 ff. 42 Hinz, Die Entwicklung des gutgläubigen Fahrniserwerbes in der Epoche des usus modernus und des Naturrechts (1991), 1 ff.; Huwiler, FS Bader (1986), 84 ff. 43 Korte (I. Fn. 5), 1 ff. 44 Ulp. D. 50, 17, 54: „Nemo plus iuris ad alium transferre potest, quam ipse haberet“. 45 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 121, 154; Söllner, Der Erwerb vom Nichtberechtigten in romanistischer Sicht, FS Coing, 369 ff.; Honsell, Römisches Recht, § 20 I: „Die Ersitzung nimmt eine Mittelstellung ein zwischen derivativem und originärem Erwerb.“; Engstfeld (I. Fn. 41), 18 ff.; Neubert (I. Fn. 11), 114 ff.; Thielmann, Nochmals: Doppelveräußerung durch Nichtberechtigte, SZ RA 111, 198: „Funktionell wurde die Rolle des gutgläubigen Erwerbs im römischen Recht von der usucapio wahrgenommen“. Anders: Ercklentz (I. Fn. 4), 1, 19 f., der die römische Einstellung mit den Worten „ubi rem meam invenio, ibi vindico“ zusammenfasst und einen abgeleiteten Erwerb bestreitet. 41

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I. Einleitung

§ 935 BGB vergleichen46. Dogmatisch schwieriger ist es, Parallelen zum germanischen Recht herzustellen, da es dort nach herrschender Auffassung an einer auf das Eigentum gestützten Sachverfolgung insgesamt fehlte47. Somit kommt ein Vindikationsausschluss für vom Nichtberechtigten erworbene Sachen und eine darauf bezogene Ausnahme bei unfreiwilligem Verlust von vornherein nicht in Betracht. Die Art des Besitzverlustes kann jedoch auch dadurch Bedeutung gewinnen, dass etwa nur bei Abhandenkommen eine (eigentumsunabhängige) Sachverfolgung möglich ist. Dies soll im germanischen Recht ganz allgemein der Fall gewesen sein und sich im Satz „Hand wahre Hand“ manifestiert haben. Gegenstand der Arbeit ist nicht der Versuch, die Regelung des BGB durch eine geschichtliche Betrachtung zu rechtfertigen oder zu kritisieren48. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt vielmehr bei der historischen Fragestellung, ob bereits das römische Recht und ausgewählte germanische Volksrechte bei den Wirkungen von Erwerbsgeschäften mit Nichtberechtigten nach der Art des Besitzverlustes unterschieden haben oder aber im antiken Recht andere Ansatzpunkte Vorrang hatten. Die heutige Vorschrift gibt primär nur den thematischen Rahmen der Arbeit vor. Sie umreißt die historisch zu betrachtenden Lebenssachverhalte und bietet mit ihrer Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes einen Ansatz, auf dessen Berücksichtigung die antiken Rechte untersucht werden sollen.

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Mayer-Maly, Römisches Privatrecht, 55. Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts II, 562; Schultze, Gerüfte und Marktkauf in Beziehung zur Fahrnisverfolgung, FS Dahn I (1905), 58; Planitz, Fahrnisverfolgung im deutschen Recht, SZ GA 34, 425; Hübner (I. Fn. 4), 18; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 178 m.w. N.; anders: Anners, Hand wahre Hand, (1952), 24, Anm. 29 sowie 146 ff. 48 So der fragwürdige Ansatz von Meister, FS Wach III, 412: „Die geschichtliche Betrachtung muss die Rechtfertigung bringen“. 47

II. Altrömisches Recht Bereits in den Sätzen des XII-Tafelgesetzes von 451/50 v. Chr. (Lex duodecim tabularum), der wichtigsten Quelle altrömischen Privatrechts, soll nach Iul. D. 41, 3, 33 pr.1, I. 2, 6, 22 sowie Gai. II, 45; 49 eine Regelung über den Ausschluss der Ersitzung gestohlener Sachen enthalten gewesen sein. Deutlich kommt dies bei Gaius zum Ausdruck: Gai. II, 45: „Sed aliquando, etiamsi maxime quis bona fide alienam rem possideat, non tamen illi usucapio procedit, velut si qui rem furtivam aut vi possessam possideat; nam furtivam lex XII tabularum usucapi prohibet, vi possessam lex Iulia et Plautia.“ Aber manchmal kommt es für jemanden, der eine fremde Sache besitzt, dennoch zu keiner Ersitzung, auch wenn er sie noch so sehr in gutem Glauben besitzt, z. B. wenn er eine gestohlene oder gewaltsam weggenommene Sache in Besitz hat; denn das XII-Tafelgesetz verbietet die Ersitzung einer gestohlenen, die Lex Iulia und die Lex Plautia die einer gewaltsam in Besitz genommenen Sache.3

1 „. . . nam ex qua causa quis ancillam usucaperet, nisi lex duodecim tabularum vel Atinia obstaret, ex ea causa necesse est partum usucapi, si apud eum conceptus et editus eo tempore fuerit, quo furtivam esse matrem eius ignorabat.“ (Text und alle folgenden Digesten- und Institutionentexte nach Krüger, Mommsen, Corpus iuris civilis I). Übersetzung: Denn aus demselben Grund jemand eine Sklavin ersitzen würde, wenn nicht das XII-Tafelgesetz oder das Atinische Gesetz entgegenstände, muss er notwendigerweise auch das Kind erwerben, wenn es bei ihm zu einer Zeit empfangen und geboren worden ist, wo er noch nicht wusste, dass seine Mutter gestohlen sei. (Bei den Übersetzungen der Digesten- und Institutionentexte wurde hilfreich auf die zweisprachigen Ausgaben von Behrends u. a., Corpus iuris civilis, Text und Übersetzung; auf der Grundlage der von Theodor Mommsen und Paul Krüger besorgten Textausgaben, Band 1–3, sowie die deutsche Ausgabe von Otto, Schilling, Sintenis, Das Corpus iuris civilis, Band 1–4, zurückgegriffen.) 2 „Furtivae quoque res et quae vi possessae sunt, nec si praedicto longo tempore bona fide possessae fuerint, usucapi possunt: nam furtivarum rerum lex duodecim tabularum et lex Atinia inhibet usucapionem, vi possessarum lex Iulia et Plautia.“ Übersetzung: Auch können gestohlene Sachen oder solche, die gewaltsam in Besitz genommen worden sind, nicht ersessen werden, selbst wenn man sie während der vorgenannten Frist gutgläubig besessen hat. Denn die Ersitzung gestohlener Sachen wird durch das XII-Tafelgesetz und durch die Lex Atinia ausgeschlossen, die Ersitzung gewaltsam in Besitz genommener Sachen durch die Lex Iulia und Plautia. 3 Für Text und Übersetzung dieser und der folgenden Stellen aus den Institutionen des Gaius wurde hilfreich auf die Ausgaben von Huchthausen, Römisches Recht (1975) und Manthe, Gaius Institutiones (2004), zurückgegriffen. Sofern die Übersetzungen wörtlich übernommen wurden, sind diese mit (Huchthausen) oder (Manthe) gekennzeichnet.

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II. Altrömisches Recht

Inwieweit die Zuordnung eines solchen Satzes zu den XII-Tafeln tatsächlich wahrscheinlich ist, wird unten4 ausführlich besprochen werden. Für den Einstieg in die Untersuchung kann hier der Hinweis darauf genügen, dass jedenfalls die römischen Klassiker, oder zumindest spätere Bearbeiter, den Ausschluss gestohlener Sachen von der Ersitzung den XII-Tafeln zuschreiben. Im Hinblick auf die einleitend dargestellten Parallelen zwischen der klassischen römischen usucapio und dem modernen Erwerb vom Nichtberechtigten scheint sich dem unbefangenen Betrachter die interessante Möglichkeit zu eröffnen, dass bereits im bedeutendsten römischen Gesetzeswerk der Frühzeit ein „Vorgänger“ des § 935 BGB enthalten war. Ob diese Annahme tatsächlich zutrifft, wird sich erst klären lassen, wenn Stellung, Funktion und Anwendungsbereich des betreffenden Satzes im System des altrömischen Mobiliarerwerbs untersucht worden sind. Dazu wird zunächst näher auf die frühe Form der usucapio einzugehen sein, auf die sich der Ausnahmetatbestand in den XII-Tafeln beziehen müsste. Dies lässt sich wiederum nur befriedigend bewältigen, wenn die grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Besonderheiten der frühen römischen Gesellschaft sowie deren Auswirkungen auf die Sachenrechtsordnung vorangestellt werden.

1. Das altrömische System der Mobiliarübertragung und -verfolgung In archaischer Zeit wird das Dasein des römischen Volkes vornehmlich vom Bauerntum beherrscht. Wesentlicher Lebensinhalt der Gemeindemitglieder waren die Viehzucht und der Landbau5. Die Produktion von Überschüssen erfolgte nur in geringem Maße und deren Umsatz fand auf einem überschaubaren Markt statt6. Erst gegen Ende der als Zeitalter des altrömischen Rechts bezeichneten Periode vollzieht sich in der Mitte des 3. Jahrhunderts. v. Chr., beginnend mit dem Abschluss des ersten punischen Krieges, die prägende Expansion des römischen Machtbereiches, welche im Inneren ein Zurücktreten des landwirtschaftlichen Lebens mit sich bringt und stattdessen den Handelsverkehr in den Mittelpunkt der Lebens- und Rechtsbeziehungen rückt7. Politische, soziale und wirtschaftliche Grundlage des hoch entwickelten klassischen römischen Rechts ist das imperiale Weltreich Rom der späten Republik und des Prinzipats, mit seiner 4

Vgl. unten II. 3. Kaser, Das Römische Privatrecht I, 19, 22 f.; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht, 25 f. m.w. N.; Horak, Kreditvertrag und Kreditprozeß in den Zwölftafeln, SZ RA 93 (1976), 261 f. 6 Kaser/Hackl, RZ, 25 f. Anders: Behrends, Der Zwölftafelprozess (1974), 1 ff., der für das 5. Jh. v. Chr. bereits die „Handels- und Marktstadt Rom“ in den Vordergrund rückt. Einschränkend: Horak, SZ RA 93, 261 f. 7 Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 346 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 31, 38 ff. 5

1. Das System der Mobiliarübertragung und -verfolgung

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Vielzahl an Bürgern und den von ihnen betriebenen Geschäften. Gerade für die Systeme des Erwerbs und der Verfolgung von Mobilien sind der Umfang des Güterverkehrs und die Größe des von der Regelung erfassten Territoriums von entscheidender Bedeutung. Der Bedarf und die Ausgestaltung von festen Regelungen für Übertragung bzw. Zugehörigkeit von Sachen sind abhängig von Stärke und Transparenz des stattfindenden Warenumsatzes. Die diesbezüglich vorhandenen bedeutenden Unterschiede zur späteren Zeit lassen bereits erste Zweifel daran aufkommen, dass die klassische Form der usucapio sowie der überlieferte Ausschluss für res furtiva bereits so voll ausgebildet im XII-Tafelgesetz enthalten waren, wie es die oben genannten Quellen8 nahe legen. Es sind wichtige Besonderheiten der jugendlichen Rechtsordnung zu erwarten, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.

a) Das altrömische Eigentum Eine der wichtigsten Errungenschaften des römischen Rechts überhaupt, das Institut des Eigentums als absolutes dingliches Recht, kann der archaischen Zeit noch nicht zugeschrieben werden. Es gab im altrömischen Recht keinen einheitlichen Eigentumsbegriff. Dies zeigt sich schon darin, dass die altrömische Rechtssprache keinen speziellen Namen für das Eigentum kannte. Die Bezeichnungen dominium und proprietas tauchen erst später auf. So verwenden die Römer in den alten Rechtsformeln9 zur Bezeichnung der Zugehörigkeit die Wendung „meum esse“ und verleihen ihr durch den Zusatz „ex iure Quiritium“ eine gewisse rechtliche Grundlage10. „Meum est“ ist einfach zu übersetzen mit: „es ist mein“. In den primitiven Verhältnissen der frühen Gesellschaft bedarf es keines dogmatisch durchgestalteten Eigentumsbegriffes, um die Zugehörigkeit zu einem Einzelnen hinreichend bezeichnen zu können. Das meum esse ist Teil der Hausgewalt des pater familias und kann Frau und Kind ebenso umfassen wie Habe und Gut. Seine Natur entspricht am ehesten einem unbestimmten Sachenrecht, das auch solche Tatbestände mit umfasst, die später als beschränkte dingliche Rechte vom Eigentum unterschieden werden11. Der gebräuchliche Zusatz „ex iure Quiritium“ wurde zuletzt von Zlinsky in den Vordergrund gerückt. Ius Quiritium sei ein Recht, das von der Gemeinde der Quirites gesichert und damit sowohl staatlich anerkannt als auch verteidigt 8

Gai. II, 45; 49; D. 41, 3, 33 pr.; I. 2, 6, 2. Vgl. die Formel der legis actio sacramento in rem bei Gai. IV, 16 und die der mancipatio in Gai. I, 119. 10 Kaser, RP I, 120; Kaser, Altrömisches Eigentum und „usucapio“, SZ RA 105 (1988), 123; Kaser, Eigentum und Besitz im älteren Römischen Recht (1956), 6; Zlinsky, Gedanken zur legis actio sacramento in rem, SZ RA 106 (1989), 115 ff. 11 Kaser, RP I, 121; Zlinsky, SZ RA 106, 109; Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 78. 9

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II. Altrömisches Recht

und sanktioniert werde. Daher bezeichne „meum esse ex iure Quiritium“ eine staatlich geschützte Machtposition an bestimmten Sachen und Sklaven, ein besonderes Recht zur Sache oder zur Person. Entstehen können habe diese Stellung aufgrund des frühzeitlichen Formalismus zunächst nur durch eine feierliche Erklärung vor den anderen Bürgern und auch nur an bestimmten Sachen, den res mancipi12. Ursprung dieses Aktes der Machtergreifung könne das Ritual der Beuteteilung gewesen sein, wobei der bewaffnete Mann seine Lanze an die ihm zugeteilten Zugtiere oder Sklaven legte und sie für sein Eigen erklärte. Später sei die Symbolik auf das Geschäft zur Übertragung von Sachen (mancipatio) und die sachverfolgende Klage legis actio sacramento in rem (– l.a.s.i.r.) übertragen worden, um diese Institute zur Übertragung bzw. Inanspruchnahme von Quiritareigentum einsetzen zu können13. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob Zlinskys Annahme zutreffend ist, dass sich der staatliche Eigentumsschutz in der römischen Gemeinschaft ausgehend von der Sicherung persönlich zugeteilter Beute entwickelt hat. Für diese Annahme spricht jedenfalls, dass nach der Beuteteilung Streitigkeiten schnell entstehen konnten und Maßnahmen der Selbsthilfe in diesen Situationen für die Gemeinschaft höchst schädlich waren. Anders als etwa beim Diebstahl einer sich schon jahrelang in Familienbesitz befindlichen Sache waren die Eigentumsverhältnisse hier nicht eindeutig. Zur Sicherung des Friedens innerhalb des Staates lag es in der Tat nahe, die Verteilung zu formalisieren und unter staatlichen Schutz zu stellen14. Unabhängig von der Entstehungsgeschichte bleibt festzuhalten, dass bereits in altrömischer Zeit ein durch die Gemeinschaft geschütztes Sachenrecht existierte, das materiellrechtlich jedoch noch ebensowenig durchdrungen wie klar abgegrenzt war.

b) Die Übertragung von Mobilien durch mancipatio Von großer Bedeutung für das Verständnis der altrömischen Ersitzung und ihrer Ausnahmen ist die mancipatio. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Libralakt (negotia per aes et libram)15 zur Übertragung bestimmter bedeu12

Vor allem Zugtiere und Sklaven fielen darunter, vgl. näher unten II. 1. b). Zlinsky, SZ RA 106, 115 ff. 14 Hingewiesen sei noch auf Gai. IV, 16, wo der klassische Jurist über die Vorfahren zu berichten weiß, dass sie alles das für ihren ganz besonders rechtmäßigen Besitz hielten, was sie den Feinden abgenommen hatten. Daraus erklärt sich nach Gaius’ Meinung die Verwendung des Stabes als Symbol für eine Lanze bei der l.a.s.i.r. Es ist gut vorstellbar, dass auch bei der Verteilung der Beute der von Gaius erwähnten Vorstellung des Erkämpfens der Beute vom Gegner durch symbolisches Anlegen der Lanze Rechnung getragen wurde und der Akt nochmals symbolisiert (Stab statt Lanze) von da aus in die l.a.s.i.r. und die mancipatio gelangte. 15 Kaser, RP I, 41 ff. 13

1. Das System der Mobiliarübertragung und -verfolgung

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tender Sachen, den res mancipi. Dazu gehören neben Grundstücken und Sklaven auch die für die bäuerliche Lebensweise unentbehrlichen und für den Krieg wichtigen Rinder, Pferde, Esel und Maultiere16. Diese res mancipi können ausschließlich durch die öffentlichen und förmlichen Akte der mancipatio und iure cessio17 veräußert werden18. Das erstgenannte Verfahren ist uns durch Gai. I, 119 wie folgt überliefert: Der Erwerber (mancipio accipiens) bemächtigt sich vor fünf Zeugen (testes)19 und einem Waagehalter der Sache und spricht die Behauptung: „Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio isque mihi emptus esto hoc aere aeneaque libra“20. Der Veräußerer (mancipio dans) duldet den Vorgang und nimmt das abgewogene Entgelt an. Die mancipatio hat in ihrer ursprünglichen Form die Funktion eines Barkaufes21. Ihre Zielrichtung wird 16 Gai. II, 14a ff.; Kaser, RP I, 123. Seine frühere Auffassung, dass der Kreis der res mancipi ursprünglich größer war – Kaser, EB (II. Fn. 10), 170 ff. – hat Kaser später selbst aufgegeben (RP I, 123, Anm. 18). Zwischen den klassischen römischen Rechtsschulen herrschte Streit, ob die Pferde, Esel und Maultiere von Geburt an oder erst mit Abrichtung res mancipi werden. Letzteres war die prokulianische Lehre, Gai. II, 15; Kaser, RP I, 123, Anm. 18. 17 Gai II, 22. Die in iure cessio ist eine Abtretung vor Gericht. Es handelt sich dabei um ein der legis actio sacramento in rem nachgebildetes Geschäft, mit dem sowohl res mancipi als auch res nec mancipi übertragen werden können, Kaser, RP I, 48 f.; EB (II. Fn. 10), 199 ff.; Kaser/Hackl, RZ, 93. Zum Verfahren siehe Gai. II, 24. Von Bedeutung ist, dass die in iure cessio, auch wenn sie zu Kaufzwecken abgeschlossen wurde, keine Auktoritätshaftung begründet, Kaser, RP I, 49, 134. 18 Die res mancipi sind als Kern des Vermögens wichtige Grundlage der Vermögensschätzung im Zensus. Bei diesem Verfahren zur Ermittlung und Überprüfung der wirtschaftlichen und militärischen Leistungsfähigkeit der römischen Bürger musste unter anderem auch die jeweilige Anzahl an Sklaven und kriegstüchtigen Tieren festgestellt werden. Dabei war der Zensor auf einen einfachen Nachweis des Eigentums angewiesen. Die Anknüpfung am öffentlichen Erwerbsakt der mancipatio bzw. in iure cessio machte dies erst möglich. Inwiefern die mancipatio ihre Einführung dem staatlichen Interesse an der Vermögensfeststellung zu verdanken hat, ist umstritten – vgl. die Nachweise bei Kaser, EB (II. Fn. 10), 174 ff.; RP I, 123, Anm. 19. 19 Zu deren Funktion: Kaser, EB (II. Fn. 10), 120 ff.; Söllner, FS Coing, 372. 20 Gai. I, 119: Übersetzung: Ich behaupte, dass dieser Mensch nach dem Recht der Quiriten mir gehört und er soll mir gekauft sein, mit diesem Kupferstück und dieser kupfernen Waage. 21 Kaser, RP I, 45, meint, dass die mancipatio zwar die Funktion eines Barkaufes erfülle, es sich aber der Form nach nicht um einen solchen handele. Der Erwerber bemächtige sich vielmehr der Sache durch einseitigen Zugriff. Die Wegnahme werde vom Besitzer lediglich geduldet, der damit sein Recht verliert, ohne dass es einer übertragenden Erklärung bedarf. Auch Wolf, Funktion und Struktur der mancipatio, in: Mélanges André Magdelain (1998), 505, geht von der Funktion eines Barkaufes aus, negiert aber gegen die h. M. den Zugriffsakt des Erwerbers. Das Ritual symbolisiere nicht Rechtserwerb sondern lediglich Rechtsbehauptung. Der Erwerber bekunde, dass er das Recht an der betreffenden Sache bereits habe und erfährt keinen Widerspruch. Ähnlich auch: Manthe, Agere und aio: Sprechakttheorie und Legisaktionen, in: FS Mayer-Maly (2002), 437 sowie in: Geschichte des römischen Rechts (2000), 20 ff., der betont, dass der Erwerber die Sache nach seiner Eigentumsbehauptung zugesprochen bekomme, als ob er sie schon immer gehabt habe. Um das Eigentum des Erwerbers erst herbeizuführen hätte statt der Formel „Hunc . . . aio“ ein deklarativer Sprech-

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II. Altrömisches Recht

in der Folgezeit jedoch ebenso variiert22 wie auch das förmliche Verfahren23. Der Erwerber erlangt durch die Manzipation die sogenannte mancipium-Gewalt an den veräußerten res mancipi. Dabei handelt es sich um eine Erscheinungsform des altrömischen Eigentums, die dadurch besonders qualifiziert und gesichert wird, dass der Veräußerer aufgrund der mancipatio für seine Gewährschaft (auctoritas) haftet24. Wird der übertragene Gegenstand von einem Dritten in Anspruch genommen, muss der Veräußerer im Prozess als auctor Beistand leisten25.

c) Die altrömische Sachverfolgung Zur Durchsetzung des meum esse ex iure Quiritium dient das altertümliche Verfahren der legis actio sacramento in rem (l.a.s.i.r.). Dabei wird im Unterschied zur legis actio sacramento in personam nicht auf die Person des Besitzers, sondern die Sache selbst zugegriffen26. aa) Der Ablauf des Verfahrens Es handelt sich dabei um einen Prätendentenstreit, wobei sich Kläger und Beklagter nicht unterscheiden lassen27. Die Einsetzung der Klage ist in den Institutionen des Gaius beschrieben28. Beide Parteien ergreifen nacheinander den akt mit einem perforativen Verb (etwa: capere) Verwendung finden müssen. Vgl. dazu unten II. 4. b) bb) (1). 22 Als coemptio dient eine abgewandelte Manzipationsformel dazu, die Frau in die manus des Ehegatten oder Schwiegervaters eintreten zu lassen, Kaser, RP I, 46; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 151. Die selbständig gefasste mancipatio familiae dient zur Testamentserrichtung, Gai. II, 104; Kaser, RP I, 46. 23 An die Stelle des tatsächlichen Zuwiegens von Entgelt tritt bald ein bloßes symbolisches Schlagen mit einer Münze an die Waagschale. Die Münze wird sodann anstelle des Kaufpreises übergeben. Gai. I, 113; 119, spricht für diese sogenannte mancipatio nummo uno von einem Scheinkauf – „imaginaria venditio“. 24 Kaser, Das altroemische Ius, Studien zur Rechtsvorstellung und Rechtsgeschichte der Römer (1949), 135 ff.; Neue Studien zum altrömischen Eigentum, SZ RA 68 (1951), 160 ff.; Die römische Eviktionshaftung nach Weiterverkauf, FS von Lübtow (1970), 481 ff.; EB (II. Fn. 10), 109 ff., 129 ff.; RP I, 44 f., 132 f.; Mayer-Maly, Studien zur Frühgeschichte der usucapio II, SZ RA 78 (1961), 234 ff. 25 Zu dieser wichtigen Folge vgl. ausführlich unten II. 1. c) bb). 26 Kaser/Hackl, RZ, 85 ff.; Selb, Vom geschichtlichen Wandel der Aufgabe des iudex in der legis actio, GS Kunkel (1984), 391 ff., betont die Gemeinsamkeiten beider Legisaktionen und schreibt die Unterscheidung erst Gaius zu (408 ff.); dazu Hackl, Der Sakramentsprozeß über Herrschaftsrecht und die in iure cessio, SZ RA 106 (1989), 166, Anm. 66; zum Unterschied zur actio in personam treffend: Wolf, FS Wieacker, 31: „die Prätendenten wollen nichts voneinander“; Hackl, SZ RA 106, 164. 27 Kaser, RP I, 127; Kaser/Hackl, RZ, 96; Hackl, SZ RA 106, 156. 28 Gai. IV, 16.

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Streitgegenstand, berühren ihn jeweils mit einem Stab (vindicta/festuca)29 und behaupten feierlich ein „meum esse ex iure Quiritium“ an der Sache. Anschließend zwingt der Prätor beide die Sache loszulassen und somit den Besitz aufzugeben. Nach dieser Verfahrenseinleitung beschuldigen sich nun die Vindikanten gegenseitig eines „iniuria vindicare“ und fordern den jeweils anderen zum Einsatz des Sakramentes30 heraus31. Im Prätendentenstreit gewinnt, wer im Verhältnis zum konkreten Gegner eine bessere Berechtigung nachweisen kann. Über das behauptete meum esse wird im Urteil aus dem dinglichen Sakramentsprozess nur mittelbar entschieden. Direkt erfolgt lediglich die Feststellung, wessen eingesetztes sacramentum iustum ist32. Einer der beiden Einsätze muss immer für rechtmäßig erklärt werden. Aus der zweiseitigen Behauptung des meum esse im Sakramentsprozess lässt sich schließen, dass es im altrömischen Verfahren nur auf die jeweils relativ bessere Berechtigung zum jeweiligen Gegner ankam. Es ist für den Ausgang des Prozesses unbeachtlich, ob ein Dritter eine stärkere Berechtigung aufweisen kann. Selbst wenn beide Parteien Diebe sind, wird eine der beiden siegreich sein33. Der Kläger brauchte im Gegensatz zur klassischen rei vindicatio keine absolute Rechtsstellung nachweisen34. Über das Verhältnis des Siegers zu Dritten sagt die Entscheidung nichts aus. Aus dieser prozessrechtlichen Gestaltung folgt die von Kaser stammende Bezeichnung des 29 Darin ist eine öffentliche symbolische Inbesitznahme zu sehen, Kaser/Hackl, RZ, 97. Zum Symbolwert des Stabes siehe Gai. IV, 16. 30 Ursprünglich ist das sacramentum ein echter Eid, später ein bloßer Wetteinsatz, den der Unterlegene verliert. Entwickelt hat sich dies aus dem von den pontifices festgesetzten Reinigungsopfer, für den von einer der Parteien notwendig geschworenen Falscheid. Der Einsatz wurde vor den XII-Tafeln in Viehstücken, danach bei entsprechender Umrechnung in Geld zum Tempelschatz erbracht, Gai IV, 14; Hackl, SZ RA 106, 153 f.; Kaser/Hackl, RZ, 83 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 51; Söllner, Einführung in die römische Rechtsgeschichte, 65. 31 Gai. IV, 16; Kaser/Hackl, RZ, 95, 97 f. Zunächst fragt der erste Vindikant: „postulo anne dicas qua ex causa vindicaveris“, worauf der zweite erwidert: „ius feci sicut vindictam inposui“. Daraufhin fordert der Erstvindizierende seinen Gegner mit den Worten heraus: „quando tu iniuria vindicavisti, quingentis assibus sacramento te provoco“. Der Angesprochene erwidert mit: „et ego te“. Dazu Kaser, Zur „legis actio sacramento in rem“, SZ RA 104 (1987), 67 ff.; Zlinsky, SZ RA 106, 127 ff. 32 Kaser/Hackl, RZ, 86, 104, 126; vgl. Selb, GS Kunkel, 401 ff., 407, 430 f., der abweichend von der h. M. die Auffassung vertritt, dass die indirekte Feststellung durch Beurteilung der sacramenta nicht über das „meum esse aio“ ging, sondern entschied, welche Partei den Gegenstand zu Unrecht oder zu Recht vindiziert hatte. Gegenstand des durch das sacramentum eingeleiteten Verfahrens sei also ein Handlungsunrecht. Vgl. auch die insgesamt abweichende Ansicht vom Verfahrensablauf bei Zlinsky, SZ RA 106, 119 ff., 135, der bezüglich des Streitgegenstandes des Verfahrensabschnittes apud iudicem der Auffassung von Selb, GS Kunkel, 401 ff., nahe steht. 33 Kaser, EB (II. Fn. 10), 7, 9, 364; Kaser, RP I, 124, Anm. 27. 34 Kaser, RP I, 124; Hackl, SZ RA 106, 161 ff., 170; Kaser, Über „relatives Eigentum“ im altrömischen Recht, SZ RA 102 (1985), 6, Anm. 15: Die Parteien behaupten beide, zum Haben berechtigt zu sein. Die Relativität ergibt sich erst als Effekt der Beidseitigkeit.

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altrömischen Eigentums als „relativ“35, worauf an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen werden muss. bb) Der Zug auf den Gewähren und dessen Haftung Beruft sich eine der Parteien im Prozess auf Erwerb der vindizierten Sache durch mancipatio, nimmt sie das laudare auctorem vor, um den Veräußerer in den Prozess zu ziehen. Bereits in iure wird der auctor dem Gegner benannt, vor Gericht geladen und die Gewährschaftshilfe förmlich eingefordert36. Das Obsiegen im Prozess hängt nun entscheidend vom Gewähren ab. Dieser muss die Sache für den Erwerber verteidigen und dazu seinerseits einen rechtmäßigen Erwerb nachweisen. Hat er sie selbst manzipiert erhalten, muss er den eigenen Vormann laden und dieser wiederum seinen Veräußerer, bis hin zu demjenigen, der originär erworben hat. Gelingt dem auctor der Nachweis seiner Berechtigung nicht oder verweigerte er die Hilfe, haftet er dem mancipio accipiens auf das Doppelte des Kaufpreises mit der actio auctoritatis37. Der Ausgangspunkt dieser Gewährschaftshaftung liegt sehr wahrscheinlich im deliktischen Bereich. Im Wegtragen des zugewogenen Erzes durch den Veräußerer wird ein furtum gesehen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass dieser eine fremde Sache manzipiert hatte38. Dafür spricht insbesondere, dass die Haftung des auctor auf das duplum geht, entsprechend dem duplum der Klage aus einfachem Diebstahl39. Als später das Entgelt nicht mehr tatsächlich zugewogen wird, sondern die Zahlung nur symbolisch erfolgt, indem der Erwerber mit einer Münze an die Waage schlägt und diese dann dem Veräußerer anstatt des Entgeltes übergibt (abstraktes Verfügungsgeschäft), wird die Begründung der auctoritas-Haftung problematisch. Strenggenommen müsste sie sich lediglich noch auf das duplum der symbolisch dargereichten Münze begrenzen. Allerdings ist aner-

35 Kaser, Der römische Eigentumsbegriff, Deutsche Landesreferate zum VI Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung, Hamburg 1962, 22 ff.; EB (II. Fn. 10), 7 ff., 364 f.; SZ RA 68, 186 ff.; RP I, 124 f., Anm. 23 m.w. N., auch zu kritischen Stimmen. Die eigene Auffassung einschränkend bzw. klarstellend: Kaser, SZ RA 105, 122 ff.; SZ RA 102, 1 ff.; SZ RA 104, 74 ff.; Zustimmung bei Hackl, SZ RA 106, 161 ff. 36 Cels. D. 21, 2, 62, 1; Kaser/Hackl, RZ, 98 f., Anm. 63. 37 Kaser, RP I, 44 f., 132 ff. m.w. N., Anm. 2; Kaser/Hackl, RZ, 99 m.w. N., Anm. 67. 38 Kaser, RP I, 46; 132 f.; EB (II. Fn. 10), 115 ff.; SZ RA 68, 179; Wolf, Mélanges André Magdalein (1998), 514 f. Zunächst hatte Kaser in Erwägung gezogen, dass die Haftung des Auktors anfänglich auf einem diebstahlsähnlichen, aber selbständig neben dem furtum stehenden Delikt beruht habe, Kaser, AI (II. Fn. 24), 143. Andere sehen die auctoritas-Haftung in magischen Bindungen des Veräußerers beim Formalakt begründet – vgl. dazu die Fundstellen bei Kaser, EB (II. Fn. 10), 117, Anm. 10. 39 Kaser, EB (II. Fn. 10), 123 m.w. N., 128.

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kannt, dass jedenfalls bei erfolgter Zahlung des Kaufpreises eine Haftung des mancipio dans auf das duplum des Preises begründet wurde40. In der Erlangung der auctoritas des Veräußerers liegt für den Erwerber der wichtigste rechtliche Gewinn durch die mancipatio41. Sie sichert ihn einerseits faktisch bei einem Streit mit Dritten, indem er durch Inaussichtstellen der actio auctoritatis Druck auf den Veräußerer bezüglich der Erfüllung seiner Gewährschaftspflichten ausüben kann42. Andererseits sorgt sie für den Fall, dass die Gewährschaft dennoch fehlschlägt und die Sache an den Dritten herausgegeben werden muss, für einen entschädigenden Haftungsanspruch gegen den mancipio dans auf das duplum. cc) Entstehungsgeschichte und Anwendungsbereich Umstritten sind die Entstehungsgeschichte und der ursprüngliche Anwendungsbereich der Klage. Während Kaser davon ausgeht, dass die Vindikation allmählich aus der deliktischen Diebstahlsverfolgung entstand und ihre Anwendung zunächst auf res mancipi beschränkt war43, meint von den neueren Autoren namentlich Hackl, es seien mittels Sakramentsprozess in rem von vornherein auch res nec mancipi verfolgbar gewesen44. Relativiert werden die unterschiedlichen Auffassungen zwar dadurch, dass auch Kaser annimmt, die Römer hätten das dingliche Prozessverfahren schon sehr bald auf res nec mancipi erweitert. Auf die Dauer sei die bloße deliktische Verfolgung dieser Sachen als nicht ausreichend angesehen worden45. Trotz dieser Einschränkung bleibt nach Kasers Theorie eine nicht genau bestimmbare Übergangszeit, in der nach altrömischen Recht für res nec mancipi eine reine Sachverfolgung nicht möglich war, für die wertvollen res mancipi jedoch bereits bestand. Interesse weckt diese Auffassung im Rahmen dieser Arbeit besonders deshalb, weil sie noch für das decemvirale Recht die Möglichkeit einer Art redlichen Erwerbs von res nec mancipi eröffnet. Der nichtdeliktische Erwerber einer solchen Sache kann nach Kasers Auffassung mangels dinglicher Klage über40

Kaser, EB (II. Fn. 10), 110 ff. Daneben bestehen weitere Wirkungen, wie der Ausschluss des Diebstahlsverdachts und die Nachweisbarkeit des rechtmäßigen Erwerbsvorganges mittels der Manzipationszeugen, Kaser, AI (II. Fn. 24), 136 f.; EB (II. Fn. 10), 109. 42 Kaser, Die natürlichen Eigentumserwerbsarten im altrömischen Recht, SZ RA 65 (1947), 225: „. . . ja die mancipatio wurde geradezu für die Sicherung des Gewährenzuges geschaffen“. 43 Kaser, RP I, 123, 127, 136; SZ RA 68, 149 f.; SZ RA 102, 11 f.; SZ RA 105, 125 f. 44 Kaser/Hackl, RZ, 92 f. 45 Kaser, SZ RA 68, 147 ff.; 102, 11 f.; SZ RA 105, 125; zur Diebstahlsverfolgung: SZ RA 68, 135 ff. 41

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haupt nicht gerichtlich auf Herausgabe in Anspruch genommen werden. Die für den Bestohlenen allein verbleibende, aus dem furtum resultierende Klage in personam blieb nämlich erfolglos46, wenn es dem Besitzer gelang, den Deliktsvorwurf von sich abzuwenden, etwa durch Nachweis redlichen47 Erwerbs vom Dieb oder einem Dritten48. Die Rechtsstellung des Erwerbers in Bezug auf die res nec mancipi kommt nach Kaser der eines Eigentümers gleich, da ihm die Herrschaft über die Sache nicht mehr streitig gemacht werden könne49. Bekannt ist diese Variante eines Erwerbs vom Nichtberechtigten aufgrund eines Klageausschlusses aus dem germanischen Recht50. Allerdings ginge die hier in Erwägung gezogene altrömische Form noch einen Schritt weiter, da sie auch die Verfolgung gestohlener Sachen in dritter Hand ausschließt. Kaser betrachtet die Unangreifbarkeit der Stellung des redlichen Erwerbers für die ältere Zeit sogar als ein „allgemeines Prinzip“, welches vor der Einführung der l.a.s.i.r. auch für res mancipi gegolten habe51. Die Entwicklung kann man sich danach in groben Zügen wie folgt vorstellen: In noch älterer Zeit wurde zunächst jeder Besitzer einer fremden Sache unwiderleglich als Dieb angesehen und haftete daraus dem Bestohlenen auch auf Rückgabe der Sache. Der Besitzer unterlag aufgrund des unterstellten (typisierten) dolus. Sein Wissen und Wollen der Besitzergreifung einer fremden Sache wurden unterstellt52. Die Restitution ist dabei als Nebeneffekt der Diebstahlsverfolgung erreicht worden, indem der Täter mitsamt der streitigen Sache dem siegreichen Verfolger addiziert wurde53. Unbefriedigend für den Bestohlenen wurde dieses System jedoch dann, als man dem Besitzer zu seiner Verteidigung den Nachweis gestattete, die Sache rechtmäßig erworben zu haben. Die dadurch entstehende Lücke in der Sachverfolgung wurde für die bedeutenden res mancipi durch die Einführung des förmlichen Vindikationsverfahrens geschlossen54.

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Kaser, SZ RA 68, 150 f., 155. „Redlich“ bedeutet hier „ohne Kenntnis“ vom Diebstahl. Andernfalls wird man den Erwerber schon frühzeitig einem Dieb gleichgesetzt haben. 48 Dazu wird es etwa genügt haben, den Abschluss der stipulatio habere licere nachzuweisen. Diese bestand zwar nur in einem Versprechen des Verkäufers, eigene Angriffe auf die Sache zu unterlassen. Der Abschluss der Stipulation ist jedoch starkes Indiz für einen vorherigen kaufweisen Erwerb, vgl. Kaser, SZ RA 68, 153. Zur Kundbarkeit der Stipulation, vgl. Kaser, RP I, 168, Anm. 20 m.w. N. 49 Kaser, SZ RA 68, 155; EB (II. Fn. 10), 366. Es handelt sich sogar um ein absolutes und nicht nur relatives Eigentum im Sinne der oben angedeuteten Unterscheidung Kasers. 50 Vgl. unten V. 1. b) cc). 51 Kaser, SZ RA 68, 156. 52 Kaser, RP I, 127, Anm. 4. 53 Kaser, EB (II. Fn. 10), 68 ff., 368; SZ RA 68, 135 ff., 141; SZ RA 102, 11; SZ RA 105, 139; RP I, 127, Anm. 5; Kaser/Hackl, RZ, 91. Zur addictio des Diebes nebst der gestohlenen Sache auch Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 391. 47

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Wie der Übergang zur reinen Sachverfolgung konkret verlief, ist nicht mehr sicher festzustellen. Aufbauend auf Kasers Ausgangsszenario könnte der Vormann zunächst nur formlos als Entlastungszeuge im Diebstahlsprozess gegen den Besitzer hinzugezogen worden sein, seit diesem die Verteidigung gegen den Deliktsvorwurf gestattet war. Bestätigt er den redlichen Erwerb des Besitzers, lag es eigentlich nahe, jetzt auch ihn zur Auskunft über die weitere Vorgeschichte der Sache zu zwingen, da er nunmehr selbst des Diebstahls verdächtig ist. Dazu hätte es jedoch eines neuen deliktischen Prozesses bedurft. Anders als im germanischen Anefangprozess55 gab es im altrömischen Verfahren der legis actio sacramento in personam keine Möglichkeit, die Person des Beklagten einfach auszuwechseln, um damit dem Übergang des Diebstahlsverdachts bei der deliktischen Verfolgung Rechnung zu tragen. Dies hängt eng mit der Ausgestaltung des Verfahrens als Prozesswette zwischen den jeweiligen Parteien und dem persönlichen Einsatz des sacramentum zusammen. Eine Erweiterung des laufenden deliktischen Verfahrens auf den neuen Verdächtigen war durch die strenge Zweiseitigkeit des Prozesses verbaut. Das sacramentum des Klägers hatte sich durch die Entlastung des Gegners als iniustum erwiesen. Er lag mit seinem Diebstahlsvorwurf gegen den Beklagten daneben. Dieser Prozess war damit abgeschlossen. Unter Beibehaltung des altehrwürdigen zweiseitigen Verfahrens konnten die pontifices eine Effektivierung der Sachverfolgung nur durch Veränderung des Prozessthemas erreichen. Der persönliche Tatvorwurf musste aus der Wette eliminiert werden. So entwickelten sie das durch Gaius überlieferte, gerichtliche Streitverfahren um das meum esse, die legis actio sacramento in rem (l.a.s.i.r.). Das Schicksal der Sache konnte und musste dabei auch über den bloßen redlichen Erwerb des Besitzers hinaus verfolgt werden. Das prozessuale Mittel dazu war der Gewährenzug. Zur Absicherung dieser zentralen Institution diente die aus der mancipatio folgende auctoritas-Haftung. Mit dem neuen Verfahren war nun erstmals auch eine gerichtliche Sachverfolgung möglich, ohne dass es eines Deliktsvorwurfs bedurfte. Hackl bestreitet Kasers Auffassung und hält ein gleiches Alter der Verfolgbarkeit aller Sachen für wahrscheinlicher. Schon in der Königszeit könne es ein selbständiges Verfahren zur Prüfung der Herrschaft des pater familias über sämtliche Art von Sachen und Personen gegeben haben. Es finde sich in den Quellen auch kein Hinweis darauf, dass das Legisaktionenverfahren in personam älter sein solle als das in rem. Wenn man wegen des furtum an einer res nec mancipi klagen könne, warum dann nicht auch um die Berechtigung an 54 Zur Darstellung des dazu von Kaser angedachten Weges, vgl. Kaser, SZ RA 68, 135 ff., 140 ff., 147 ff., 186 ff. Er geht davon aus, dass die beiden „Erscheinungsformen der Sachverfolgung“, die „primäre Deliktsverfolgung“ und die „förmliche Vindikation, eine Zeit lang auch nebeneinander existiert haben. 55 Vgl. zu den Möglichkeiten des Wechsels der Passivlegitimation im Prozess der germanischen Sachverfolgung die Ausführungen unten V. 2. a) dd) und V. 3. b).

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dieser Sache56? Kasers Hauptargument für eine ursprüngliche Beschränkung des dinglichen Sakramentsverfahrens auf res mancipi ist die unübersehbare Nähe des frühen Sachverfolgungsprozesses zur mancipatio. Das wichtigste Stück der Formel, die Behauptung „Hunc ego hominem ex iure Quiritium meum esse aio“ ist beiden gemeinsam. Es liegt daher in der Tat nahe, dass sich auch der sachliche Anwendungsbereich beider Rechtsinstitute einmal gedeckt hat57. Die Feierlichkeit und Umständlichkeit des Streitverfahrens wird man zwar nicht als tragendes, wohl aber als ergänzendes Argument gegen seine Anwendung auf res nec mancipi anführen können58. Die bedeutendsten Güter der bäuerlichen Gemeinschaft fallen unter die res mancipi und dies ist gewiss kein Zufall. Freilich dürfen daraus nicht im Umkehrschluss sämtliche res nec mancipi als unbedeutend bzw. gering von Wert eingestuft werden59. Für die Vindikation einer Kleinviehherde60, wird man das förmliche Streitverfahren nicht als übertrieben betrachten dürfen61. Die typischen res nec mancipi sind jedoch Güter des täglichen Bedarfs, die in stärkerem Maße als die res mancipi umgesetzt und verbraucht wurden. Eine genaue Identifikation dieser Güter in fremder Hand dürfte schwergefallen sein. Für die förmliche Vindikation ist das Erkennen der jeweiligen Sache jedoch unabdingbar62. Die typischen res mancipi – Grundstücke, Sklaven und Zugtiere – sind dagegen weit weniger vergänglich, keine Verkehrsgüter und leicht zu unterscheiden. Dass sich die reine Sachverfolgung in Bezug auf diese Rechtsobjekte entwickelt hat, liegt somit nahe. Allem voran ist es jedoch die zentrale Stellung des Gewährenzuges zum Nachweis der jeweiligen Berechtigung, die zugunsten von Kasers Entwicklungsbild eingebracht werden kann. Es stellt sich die Frage, ob den Prätendenten in dem angedachten frühzeitigen Sakramentsprozess um res nec mancipi überhaupt geeignete Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um den formalen Sachstreit zu führen. Ein Erzwingen der Gewährschaft mittels mancipatio kam für Erwerber solcher Sachen ja nicht in Betracht. Zu denken wäre zwar an ein Vorsorgen durch Abgabe der stipulatio duplae beim formlosen Erwerb. Diese Stipulation, die der aus der Manzipation folgenden Auktoritätshaftung nachge56

Kaser/Hackl, RZ, 92. Kaser, SZ RA 68, 147 ff. Von seiner noch in EB (II. Fn. 10), 171 ff., bevorzugten Lösung, die Manzipation in früher Zeit auch auf res nec mancipi zu erstrecken, hat sich Kaser ausdrücklich distanziert, SZ RA 68, 149; SZ RA 105, Anm. 15. 58 Kaser, SZ RA 68, 149; RP I, 123; kritisch: Kaser/Hackl, RZ, 193, Anm. 21. 59 Der von Kaser, SZ RA 68, 149, ad absurdum geführte Fall, dass zwei würdige römische Bürger in feierlicher Geste ihre rituelle Vindikation an einem Huhn vollziehen, wirkt schon weit weniger grotesk, stellt man sich anstatt des Huhns ein Schaf vor, das ja auch zu den res nec mancipi zählt. 60 Gai. IV, 17. 61 Kaser/Hackl, RZ, 93. 62 Zu den bei den Germanen üblichen persönlichen Beweiszeichen vgl. unten V. 2. b) aa). 57

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staltet ist, war nach den Quellen jedoch lediglich für den Fall bestimmt, dass res mancipi ausnahmsweise ohne die erforderliche Form veräußert wurden, insbesondere an Peregrine ohne commercium63. Selbst wenn man eine Anwendung auf res nec mancipi dennoch mit Hinweis auf die Privatautonomie für möglich erachtet, wird man nicht annehmen dürfen, dass die stipulatio duplae bei den hier in Frage stehenden Alltagsgeschäften über res nec mancipi in der Praxis regelmäßig Verwendung fand. Die daneben überlieferte stipulatio habere licere betrifft zwar den Kauf von res nec mancipi, verhindert aber lediglich einen sachverfolgenden Angriff des Veräußerers oder seiner Erben gegen den Erwerber. Für eine Gewährschaft im Prozess mit einem Dritten kann sie nicht weiterhelfen64. Als letzte ersichtliche Möglichkeit eines Druckmittels gegen den Veräußerer bleibt die actio empti als Gewährleistungsklage, die damals jedoch noch nicht existiert hat und somit von vornherein ausscheiden muss65. Dem Erwerber von res nec mancipi stand also anders als einem Manzipatar kein geeignetes Mittel zur Verfügung, seine Berechtigung an der Sache nachzuweisen66. Das Verfahren der l.a.s.i.r. und die mancipatio sind aufeinander abgestimmt. Nur aus dem förmlichen Verfügungsgeschäft an res mancipi erlangt der Erwerber eine verteidigungsfähige Rechtsposition, nur in diesen Fällen haben die Römer das förmliche Sakramentsverfahren um die Berechtigung anfänglich zugelassen67. Bildlich ausgedrückt sorgt erst die mancipatio für die Erlangung der Waffen, die einen geordneten Streit vor Gericht ermöglichen. Dagegen dringen die Argumente für eine von vornherein mögliche Vindikation von res nec mancipi nicht durch. Kurz besprochen werden soll hier Hackls Verweis auf die in iure cessio68. Davon ausgehend, dass diese besondere Form der Sachübertragung bereits damals auch für res nec mancipi angewandt wurde, scheint es in der Tat naheliegend, auch für das zu Grunde liegende, nachgebildete Legisaktionenverfahren69 einen unbeschränkten Anwendungsbereich anzunehmen. Das decemvirale Alter der in iure cessio ist jedoch streitig. Die einzige darauf hinweisende Quelle, Paul frag. Vat. 50 sagt uns: „. . . et mancipationem et in iure cessionem lex XII tabularum confirmat . . .“, wobei das Wort „confirmat“ auch ausdrücken kann, dass man den Zusammenhang zu den XIITafeln erst nachträglich hergestellt hat70. Noch weniger gesichert ist, dass die in 63

Kaser, EB (II. Fn. 10), 207 f.; SZ RA 68, 151, Anm. 53. Kaser, EB (II. Fn. 10), 219; SZ RA 68, 151. 65 Entwicklung nicht vor dem 3. Jh. v. Chr., Kaser, SZ RA 68, 184, Anm. 130. 66 Zum ursprünglichen Anwendungsbereich der usucapio vgl. ausführlich unten II. 2. b). 67 Der Erwerber einer res mancipi muss die Sache förmlich verteidigen, weil er dazu in der Lage ist bzw. sein sollte und auch eine Verfolgung durch den Kläger wegen der vorgeschriebenen Erwerbsmodalitäten (mancipatio) hinreichend fundiert stattfinden kann. Beides ist bei res nec mancipi anfänglich anders. 68 Kaser/Hackl, RZ, 93. 69 Vgl. oben II. 1. c). 64

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iure cessio schon anfänglich auch für res nec mancipi Verwendung fand. Da sie das Schicksal ihres prozessualen Vorbildes zwangsläufig teilen muss, kann eine Erweiterung des Anwendungsbereiches über die res mancipi hinaus auch erst im Zuge jener Entwicklung erfolgt sein, die zur Öffnung der l.a.s.i.r. führte. Zeugnisse über eine decemvirale Erstreckung der in iure cessio auf res nec mancipi existieren nicht. Das Motiv für ihre Entstehung ist umstritten71. Es ist im Ergebnis mit Kaser zu vermuten, dass die l.a.s.i.r. anfänglich auf res mancipi beschränkt war. Wahrscheinlich ist auch eine Entwicklung des Verfahrens ausgehend von der Diebstahlsverfolgung. Ein Zusammenhang ist zumindest insofern zu vermuten, dass sich eine isolierte Sachverfolgung erst dann entwickelt haben wird, als die deliktische als unzureichend empfunden wurde. Solange der Bestohlene die Bestrafung des Diebes und die Restitution in einem einheitlichen Verfahrensgang erreichen konnte, fehlte es für eine gesonderte Klage an einem Regelungsbedürfnis. Andere Fälle des Auseinanderfallens von Berechtigung (meum esse) und Besitz, in denen es an einer persönlichen Klagemöglichkeit fehlte, kamen in der archaischen Gesellschaft noch nicht genügend vor, um ausgehend davon die Entwicklung einer Vindikation anzunehmen. Die Grundzüge von Kasers Szenario lassen sich auch halten, ohne zwingend eine Zeit annehmen zu müssen, in der die Unverfolgbarkeit selbst gestohlener Sachen bei nichtdeliktischen Besitzern ein „allgemeines Prinzip“ gewesen ist. Problematisch ist der fiktive Zeitraum zwischen Eröffnung der Möglichkeit für den Erwerber, den Deliktsverdacht zu widerlegen und der Einführung dinglichen Rechtsschutzes. Für den bestohlenen Sachverfolger scheint sich eine vorübergehende Lücke im Rechtsschutz aufgetan zu haben. Liegen die beiden Neuerungen jedoch zeitlich eng beieinander, sind gestohlene res mancipi auch stets verfolgbar gewesen. Dies ist nicht weniger wahrscheinlich, als eine unbestimmte Übergangszeit. Allein res nec mancipi waren danach im altrömischen Recht eine Zeit lang nicht auf gerichtlichem Wege bei redlichen Dritten verfolgbar, bis schließlich die legis actio sacramento in rem auf sie erstreckt wurde. Doch heißt dies nicht, dass dem eine positive Entscheidung zugunsten des Erwerbers zu Grunde lag. Ein prozessuales Vorgehen war im archaischen Recht nur der sekundäre Weg öffentlicher Sachverfolgung. In erster Linie wurden Dieb und Diebesgut außer-

70 Kaser, EB (II. Fn. 10), 201 m.w. N. Für ein decemvirales Alter, aber jünger als die mancipatio: Kaser, RP I, 48. 71 Kaser, SZ RA 68, 185; EB (II. Fn. 10), 374. Als Motiv für die Schaffung der in iure cessio kommt damit freilich nicht mehr die Schaffung eines öffentlichen Verfahrens zur Übertragung von wertvollen res nec mancipi in Betracht – so noch Kaser, EB (II. Fn. 10), 200, 202; dagegen SZ RA 68, 185; RP I, 49, wo er als Motiv die Schaffung eines öffentlichen Übertragungsverfahrens vor dem Prätor, ohne die unter Umständen schwer zu findenden 5 Zeugen + Waagehalter annimmt („Verbesserung des Publizitätsmittles“).

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gerichtlich verfolgt. Eine solche pragmatische Lösung des Problems durch eigenmächtigen Zugriff hatte vor allem dann Priorität, wenn der Verlust alsbald entdeckt wurde. Die sofortige Verfolgung des Diebes (Spurfolge) hat das römische Recht mit anderen frühen Ordnungen gemein72. Endete die Spur der entwendeten Tiere etc. am Haus eines Verdächtigen, konnte eine feierliche Haussuchung – quaestio lance et licio – stattfinden. Der dabei ertappte Dieb galt noch als fur manifestus73. Ein Prozess war entbehrlich. Es konnte sofort vollstreckt werden. Die Sache wurde dem Besitzer abgenommen. Daneben entwickelte sich eine einfache Form der Haussuchung, die formlos erfolgte und den überführten Täter nicht zum fur manifestus werden ließ. Letztere war vermutlich für Fälle bestimmt, in denen die Spurfolge nicht mehr möglich bzw. erfolglos war, weil der Dieb entweder keine Spuren hinterlassen hatte, oder bereits zu viel Zeit vergangen war74. Wurde der den Besitz leugnende Verdächtige mittels einer solchen Haussuchung vor Zeugen überführt, haftete er mit der decemviralen actio furti concepti auf den dreifachen Wert der Sache. Der Besitzer wurde ohne weiteres als Täter behandelt, weil er den Besitz der Sache wahrheitswidrig abgestritten hatte. Seine Bestrafung liegt mit dem Dreifachen zwischen der für einen fur manifestus und der für einen fur nec manifestus, was dem Grade seiner Überführung durchaus entspricht. Einerseits macht ihn das Leugnen des Sachbesitzes sehr verdächtig, andererseits liegt es wegen der vergangenen Zeit seit der Tat bzw. fehlender direkter Spuren auch nicht völlig fern, dass das Diebesgut lediglich unbemerkt in seinem Herrschaftsbereich abgelegt wurde. Gaius betont, dass die Haftung aus der actio furti concepti auch den Besitzer untergeschobener res furtiva trifft75. Die Klage konnte also nicht nachträglich mittels Nachweis der eigenen Unschuld abgewendet werden. Der Betroffene kann jedoch in gleicher Höhe beim wahren Dieb mittels actio furti oblati Rückgriff nehmen76. Gemeinsam ist den bisher genannten Zugriffsformen, dass der Bestohlene die wiederaufgefundene Sache jeweils ganz selbstverständlich zurücknehmen darf. Eine Anrechnung auf den Bußanspruch findet nicht statt. Dahinter steckt bereits die Vorstellung, dass der Bestohlene nach wie vor zum Haben der Sache berechtigt ist. Nur wenn sich der Besitzer offen verteidigte, er also nur den Diebstahl, nicht aber seinen Besitz bestritt, wird man ihm das Widerlegen des furtum-Verdachtes

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Kaser, RP I, 158, Anm. 32 m.w. N.; EB (II. Fn. 10), 36 f. Gai. III, 192 ff.; Kaser, RP I, 158 f.; EB (II. Fn. 10), 36 ff. 74 Kaser, RP I, 159, Anm. 43 m.w. N., auch zu anderen Deutungen. 75 Gai. III, 186, 187. 76 Kaser, RP I, 160 m.w. N.; Hitzig, Beiträge zur Lehre vom furtum, SZ RA 23 (1902), 330 f., hält die beiden Klagen erst für eine Entwicklung aus der Zeit zwischen den XII-Tafeln und dem prätorischen Edikt. Nach decemviralen Recht soll die erfolgreiche Haussuchung immer die Bestrafung als fur manifestus nach sich gezogen haben. 73

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überhaupt ermöglicht haben. Gelang der Nachweis redlichen Erwerbs, konnte der Bestohlene mit der actio furti nec manifesti nicht mehr durchdringen. Vermutlich wird dies jedoch nicht allzu oft vorgekommen sein. Da dem Besitzer einer res nec mancipi zum Nachweis seines rechtsgeschäftlichen Erwerbs naturgemäß keine Manzipationszeugen zur Verfügung standen und der Dieb selbst regelmäßig nicht zugegen gewesen sein wird, dürfte es ihm sehr schwer gefallen sein, den Diebstahlsverdacht von sich abzuwenden. Solange der Bestohlene mit der deliktischen Klage durchdrang bzw. hinreichend Druck mit ihr ausüben konnte, bestand für eine isolierte Sachverfolgung kein Bedürfnis. Oft wird der Besitzer bereits außergerichtlich eingelenkt und restituiert haben, wenn der Verfolger die betreffende Sache als die gestohlene identifiziert hatte und entsprechende Beweise vorbrachte. Das Risiko einer Verurteilung wegen furtum und deren Konsequenzen war einfach zu groß77. Glückte dem Besitzer einer res nec mancipi ausnahmsweise der Nachweis nichtdeliktischen Erwerbs und weigerte sich dieser, die Sache zu restituieren, weil er etwa am Diebstahl, der Identität der Sache oder dem Recht des Sachverfolgers zweifelte, wird der Streit diesbezüglich in ältester Zeit mit Gewalt ausgetragen worden sein. Ein Vorgehen mittels erlaubter Selbsthilfe dürfte im altrömischen Recht noch in bedeutenderem Umfang zulässig gewesen sein als in vorklassischer und klassischer Zeit78. Dabei gingen beide Parteien jedoch das Risiko ein, im Nachhinein wegen unberechtigter Rechtsverfolgung bzw. ungerechtfertigter Verletzung des anderen aus dem iniuria-Delikt in Anspruch genommen zu werden79. Wer von seiner Berechtigung zum Haben überzeugt war, 77 Neben der Geldbuße trifft den verurteilten Dieb auch Ehrlosigkeit, Gai. IV, 182; Kaser, RP I, 274. 78 Kaser, RP I, 222; Bürge, Vertrag und personale Abhängigkeiten im Rom der späten Republik und der frühen Kaiserzeit, SZ RA 97 (1980), 105 ff., 114, nimmt auch für die Zeit der späten Republik noch an, „daß der privaten Eigenmacht des Gläubigers gegenüber dem Schuldner nur wenig Grenzen gesetzt waren“. Ebenso: Wesener, Offensive Selbsthilfe im klassischen römischen Recht, in: FS Steinwenter (1958), 100 ff.: „Wer es sich zutraut, sein vermeintliches Recht durch Eigenmacht zu verwirklichen, dem steht frei, auf die Legalisierung seines Vorgehens zu verzichten“. Vgl. auch Bürge, Zwischen Eigenmacht und Recht: Zur Praxis der lex Iulia de vi (privata) von Seneca bis Marc Aurel, in: FS Mayer-Maly (2002), 65 ff.; kritisch zur sog. Selbsthilfetheorie als brauchbare Ursprungshypothese des römischen Zivilprozesses: Kaser/ Hackl, RZ, 1 Anm. 2; 28 ff. m.w. N. 79 Kaser, RP I, 157; Wesener, FS Steinwenter (1958), 101. Die unberechtigte Selbsthilfe selbst bildete noch bis in die Zeit der späten Republik kein eigenständiges Delikt. Der eigenmächtig Handelnde hatte aber nach Erlass der lex Iulia de vis (unter Caesar oder Augustus) eine Haftung wegen Gewaltanwendung zu befürchten. Später drohte zudem nach dem decretum divi Marci der Verlust der Durchsetzbarkeit der Forderung, Call. D. 4, 2, 13; D. 48, 7, 7. Bürge, FS Mayer-Maly 2002, 84, ist der Auffassung, dass Marc Aurel die Anforderungen an die vis heruntergesetzt habe. Seit seinem Dekret wurden auch Handlungen des Gläubigers als vis eingeordnet, die die Schwelle zur körperlichen Gewalt zwar nicht überschritten, aber dennoch einen nicht mehr gebilligten Druck auf den Schuldner verursachten. Diskutiert wurde daneben auch ein

1. Das System der Mobiliarübertragung und -verfolgung

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wird das Risiko jedoch nicht gescheut haben. Die Haftungsproblematik könnte neben der ohnehin fortschreitenden Missbilligung der Selbsthilfe zur Sicherung des Rechtsfriedens dazu geführt haben, dass die Parteien der offenen Auseinandersetzung um die Sache eine Entscheidung des Gerichtsherrn vorzogen und entsprechende Anträge nach Vorbild der l.a.s.i.r. an den Gerichtsherrn herantrugen, die dann schließlich auch Gehör fanden. Bis dahin mussten res nec mancipi ebenso formlos verfolgt werden, wie sie übertragen wurden. Die allgemeine Zulassung der gerichtlichen Vindikation wird vermutlich ins 3. Jh. v. Chr. zu setzen sein. Mit dem Abklingen der bäuerlichen Lebensweise und einem verstärkten Güterumsatz80 verblasste der ehemals entscheidende Unterschied zu den res mancipi. Mit der actio empti stand nun auch ein Mittel für die Parteien zur Verfügung, ihre Vormänner aus dem formlosen Erwerb zum Beistand zu zwingen und damit den Nachweis der eigenen Berechtigung vor Gericht führen zu können.

d) Folgerungen und Zwischenergebnis Gemeinsam bieten mancipatio, l.a.s.i.r. und actio auctoritatis dem Erwerber ein funktionierendes System zur rechtlich abgesicherten Machterlangung und Machterhaltung an res mancipi. Probleme ergeben sich allerdings dann, wenn der Veräußerer im Vindikationsfall nicht greifbar ist. Der Erwerber kann dann seinen auctor nicht vorbringen und läuft so Gefahr, den Prozess zu verlieren. Die im Ernstfall theoretisch eingreifende Eviktionshaftung nützt gegen den unauffindbaren auctor praktisch nichts. Das Ausbleiben der Gewährschaft stellt jedoch nicht nur für den Erwerber ein ernstes Problem dar. Auch der Veräußerer kann sich etwa nach einer längeren Abwesenheit plötzlich Eviktionsansprüchen ausgesetzt sehen, ohne tatsächlich Gelegenheit gehabt zu haben, seinen Pflichten nachzukommen. Nur durch stetiges Wahren räumlicher Nähe zum Manzipationspartner, ließ sich diese Gefahr eindämmen. Je mehr der Güterumsatz zunahm und Rom expandierte, desto größer muss die Problematik für beide Parteien geworden sein. Für den Veräußerer war es ebenso ungünstig, auf unbestimmte Zeit gegenüber dem Erwerber für den Beweis der eigenen Berechtigung haften zu müssen, die er unter Umständen ja auch nur von einem oder gar einer Vielzahl von Vormännern ableitete, wie es für den Erwerber wenig zumutbar war, auf das Mitwirken des Veräußerers zur Verteidigung der erworbenen Sache endlos angewiesen zu sein. Das archaische Haftungs- und Beweissystem Eingreifen der actio quod metus causa zu Lasten des eigenmächtig Handelnden, Ulp. D. 4, 2, 12, 2 – dazu Bürge, SZ RA 97, 111. 80 Kaser, SZ RA 68, 184. Es erlangten nun auch andere Güter als die res mancipi eine starke Bedeutung. Die Begrenzung war nicht mehr zeitgemäß. Sie konnte durch die Gerichtsmagistrate auch ohne besondere gesetzliche Ermächtigung durchbrochen werden.

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II. Altrömisches Recht

bedurfte einer Begrenzung. Inwiefern eine Frühform bzw. Vorgängerin der klassischen römischen usucapio diesbezüglich eine Rolle gespielt hat und wie diese konkret wirkte, wird sich nachfolgend zeigen. Vermuten lässt sich bereits, dass der Fristablauf zu einer Begünstigung des Erwerbers im Sakramentsverfahren geführt haben muss, die entscheidend für den Ausgang des Prozesses sein musste und wofür in Bezug auf res furtiva eine Ausnahme bestand.

2. Die Ersitzung im altrömischen Recht – der usus auctoritas Satz der XII-Tafeln Vor allem den Aussagen Ciceros81 und seines Kommentators Boethius82 haben wir Hinweise darüber zu verdanken, dass sich die Geschichte der klassischen römischen usucapio auf einem XII-Tafelsatz über usus und auctoritas zurückführen lässt. Ein deutlicher Verweis auf die XII-Tafeln findet sich auch in den Institutionen des Gaius83. Es fehlt jedoch eine wörtliche Überlieferung des Satzes selbst, in dem die Römer den Ursprung ihrer klassischen Regelung erblickten. In der modernen Literatur zu den Anfängen der usucapio wird der zu Grunde liegende XII-Tafelsatz aus den Zeugnissen bei Cicero und Gaius zumeist folgendermaßen rekonstruiert: „Usus auctoritas fundi biennium, ceterarum rerum annus esto.“84

a) Übersetzung des XII-Tafelsatzes Ausgehend von einem solchen bzw. ähnlichen Wortlaut wird über die Bedeutung der Worte „usus“ und „auctoritas“, sowie deren Verhältnis zueinander gestritten. Unterschiedliche Auffassungen gibt es folglich auch hinsichtlich der Übersetzung des Satzes.

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Pro Caec. 19, 54; top. 4, 23. Ad. Top. 4, 23; Mayer-Maly, SZ RA 78, 225. 83 Gai. II, 42; Gai. II, 54. 84 Kaser, RP I, 135; EB (II. Fn. 10), 86; SZ RA 105, 126; etwas anders von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 126: „Usus auctoritas fundi biennium est . . . ceterarum rerum omnium annus est usus“; Pernice, Labeo, Römisches Privatrecht im ersten Jahrhundert der Kaiserzeit, Teil C, Band 2, Abteilung 1 (Labeo C), 328: „usus auctoritas fundi biennium, ceterarum rerum annus“. Näheres zu den Unterschieden bei Mayer-Maly, SZ RA 78, 228 f. 82

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aa) Die Bedeutung der Worte „usus“ und „auctoritas“ Mit „usus“, so ist man sich heute weitgehend einig, ist der bloße Besitz gemeint85. Unterschiedliche Auffassungen bestehen jedoch über das Wort „auctoritas“. Während die heute wohl herrschende Meinung „auctoritas“ als „Gewährschaftshaftung von Manzipationsverkäufern“ begreift86, sehen andere in ihr den Ausdruck einer Berechtigung bzw. einer eigenen Herrschaftsposition87. Mayer-Maly hat in seinen Studien zur Frühgeschichte der usucapio anhand von Plautus-Texten88 überzeugend nachgewiesen, dass allein das Verständnis als Gewährschaftshaftung eines mancipio dans der damaligen Zeit entspricht. Dabei bezeichnet „auctoritas“ die Eigenschaft auctor zu sein und zeigt sich nach außen am schärfsten in der Pflicht, als Gewährsmann aufzutreten, wenn das eingeräumte Recht in Frage gestellt wird89. Dieser wohl mittlerweile herrschenden Auffassung soll hier gefolgt werden. bb) Das Verhältnis von „usus“ und „auctoritas“ in dem XII-Tafelsatz Gegensätzliche Ansichten gibt es vor allem bezüglich der Deutung des Verhältnisses der Worte „usus“ und „auctoritas“ zueinander. (1) Kein Asyndeton – „usus und auctoritas“ Eine jedenfalls früher herrschende Auffassung90 nimmt ein decemvirales Asyndeton „usus auctoritas“ an. Der Satz wäre dann so zu lesen, dass „usus 85 Kaser, SZ RA 105, 128; EB (II. Fn. 10), 319; Mayer-Maly, SZ RA 78, 252, mit Hinweis auf Plautus Mostellaria 313; a. A. von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 126 ff., der im usus „die rechte Gewere des alten römischen Rechts“ erblickt und Neubert (I. Fn. 11), 59, der im usus „eine die tatsächliche Sachherrschaft beschreibende Begrifflichkeit“ erkennen will, „die das Eigentumsrecht umfaßte“. 86 Karlowa, Römische Rechtsgeschichte, Zweiter Band (1901) (RG II), 406; MayerMaly, SZ RA 78, 235 ff. m.w. N. 87 So noch Kaser, SZ RA 68, 155; RP I, 135; Leifer, Altrömische Studien IV: Mancipium und auctoritas. Mit Beiträgen zum römischen Schuld- und Haftungsproblem. II. Teil, SZ RA 57 (1937), 133; Jörs/Kunkel, Römisches Privatrecht, 134, Anm. 1; weitere Nachweise bei Kaser, SZ RA 105, Anm. 33 und bei Mayer-Maly, SZ RA 78, Anm. 68. 88 Plautus, Poenulus (I1) 145 ff.; Curculio (IV 2) 490 ff. und Trinummus (I 2) 217 ff.; Texte abgedruckt bei: Mayer-Maly, SZ RA 78, 241 ff. 89 Mayer-Maly, SZ RA 78, 240 ff. 90 Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 387; Pernice, Labeo C (II. Fn. 84), 328; noch Kaser, SZ RA 68, 155; von Lübtow, Die Ersitzung gestohlener Sachen nach dem Recht der XII Tafeln und der Lex Atinia, FS Schulz I (1951), 263; vgl. auch die Nachweise bei Mayer-Maly, SZ RA 78, Anm. 151; Flach, Die Gesetze der frühen römischen Re-

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und auctoritas“ bei fundi zwei und ansonsten ein Jahr dauern. Diese Lehre stützt sich vor allem auf das bei Cic. Pro Caec. 19, 54 vorhandene „et“91. Asyndeta sind in der alten Rechtssprache zudem nicht unüblich. Die kopulative Konjunktion wurde oft eingespart92. Diese sprachliche Eigenart könnte jedoch auch dazu geführt haben, dass schon Cicero den XII-Tafelsatz nicht mehr im ursprünglichen Sinne gelesen hat. Seine Deutung im Sinne eines Asyndeton lässt nicht hinreichend sicher auf die decemvirale Zeit schließen. Aus sachlicher Sicht ist entgegenzuhalten, dass der Begriff des usus bei dieser Lesart nicht recht erklärbar ist. Er dürfte dann ausschließlich die Sachgewalt vor dem Eigentumserwerb bezeichnen, denn auch nach Fristablauf ist die Sachherrschaft ja unverändert gegeben. Im altrömischen Sprachgebrauch wird der Begriff jedoch ganz allgemein für den Sachgebrauch verwendet, auch nach dem Eigentumserwerb93. Einer Lesart im Sinne einer Befristung des usus und der auctoritas steht somit entgegen, dass der usus gerade nicht mit Fristablauf endet, die so übersetzte Aussage des Satzes also nicht korrekt wäre. (2) „Usus auctoritas“ nicht als spezieller einheitlicher Rechtsbegriff Nach einer älteren Ansicht von Kaser sollen nicht jeweils usus und auctoritas allein der Frist unterlegen haben, sondern der aus beiden gebildete Komplex94. Es sei der mangelnden Technik der Decemvirn zuzuschreiben, dass diese für den juristisch anspruchsvollen Tatbestand der von der „auctor-Gewährschaft abhängigen Besitzerposition“ keinen deutlicheren Ausdruck gefunden hätten95. Kaser selbst hat diese Ansicht jedoch später aufgegeben. Als rechtliche Machtposition gedeutet, ist die auctoritas ein viel zu abstrakter und undurchsichtiger Begriff96. Dem ist noch hinzuzufügen, dass gegen einen Terminus technicus „usus auctoritas“ zur Bezeichnung der Rechtsposition vor dem Fristablauf auch publik (1994), 147, übersetzt „usus auctoritas“ mit „Ersitzung und Gewähr“. Das Verständnis von usus als Ersitzung steht jedoch im Widerspruch zum sonstigen Gebrauch des Wortes als bloßer Gebrauch, ebenso wird die Bedeutung der auctoritas daneben unklar. 91 „Lex usum et auctoritatem fundi iubet esse biennium; at utimur eodem iure in aedibus, quae in lege non appellantur.“ 92 Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 405; Mayer-Maly, SZ RA 78, Anm. 150; Flach (II. Fn. 90), 147, verweist dazu auf die Wortpaare „emptio venditio“ und „locatio conductio“. 93 Mayer-Maly, SZ RA 78, 252. 94 Kaser, RP I, 135: „Die auf Besitz und Veräußergewähr gestützte Rechtslage dauert bei Grundstücken zwei Jahre, bei allen anderen Gegenständen ein Jahr.“ Deutlich auch Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 27: „. . . usus auctoritas ist eben mehr als die bloße Summe von Besitz und Gewährschaft, und jedes der beiden Worte empfängt durch das danebenstehende andere seine besondere Beziehung.“ 95 Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 27. 96 Kaser, SZ RA 105, 128 f.

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spricht, dass in der uns wohl wortlautgetreu überlieferten Stelle: „adversus hostem aeterna auctoritas“97 das Wort auctoritas gerade ohne usus verwendet wird. Würde der Terminus usus auctoritas in den XII-Tafeln in einem ähnlichen Sinne wie später emptio venditio oder locatio conductio zur Bezeichnung eines speziellen Rechtsinstitutes verwendet, wäre zu erwarten: „adversus hostem aeternus usus auctoritas“. (3) Übersetzung als „Gewährschaft für den Besitz“ Grammatikalisch möglich ist auch eine Genitivkonstruktion. Allerdings kommt eine Übersetzung im Sinne von „Gewährschaft des usus“ nicht in Betracht. Der usus selbst kann nach dem oben angeführten Gewährschaftsbegriff nicht der auctor sein98. Mayer-Maly99 und später dann auch wieder Kaser100 bevorzugen die Übersetzung „Gewährschaft für den usus“. Damit wird usus als die im Genitivus objectivus stehende Apposition zu auctoritas verstanden101. Daran überzeugt vor allem methodisch, dass die Übersetzung aus dem sachgeschichtlichen Zusammenhang heraus gewonnen wurde. Wie Mayer-Maly dargelegt hat, ist die Auktoritätshaftung nicht auf Rechtsverschaffung sondern auf erfolgreichen Beistand im Eviktionsfall gerichtet. Dies entspricht voll und ganz dem oben angeführten Verständnis des Begriffes im System von l.a.s.i.r, mancipatio und actio auctoritatis102. Durch die auctoritas soll der usus geschützt werden. Dies muss der rätselhafte XII-Tafelsatz zur Grundlage gehabt haben. Selbst wenn man die Genitiv-Konstruktion dem alten Sprachgebrauch absprechen will, lässt sich damit die Existenz eines inhaltlich entsprechenden XII-Tafelsatzes nicht widerlegen. Wie oben bereits angedeutet, fehlt eine wörtliche Wiedergabe des Originaltextes. Durch Cicero gesichert ist nur der Gebrauch der Worte „usus“ und „auctoritas“ im Zusammenhang mit einer Zweijahresfrist für fundi103. Insofern ist Mayer-Maly zuzustimmen, wenn er den sachgeschichtlichen Zusammenhang höher bewertet als die vermutete Wortstellung im rekonstruierten Satz104. Der XII-Tafelsatz wird also sinngemäß übersetzt gelautet haben: 97

Cic. de off. 1, 37. Zur Auslegung des Satzes näher unten II. 3. e) dd) (2). Mayer-Maly, SZ RA 78, 254. 99 Mayer-Maly, SZ RA 78, 254 f. 100 Kaser, SZ RA 105, 129; ähnlich schon Kaser, EB (II. Fn. 10), 89: „Der Gewährschaftsschutz zugunsten des Besitzers dauert bei Grundstücken zwei Jahre, bei anderen Gegenständen ein Jahr.“ 101 So auch: Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 89. 102 Vgl. oben II. 2. a) aa). 103 Mayer-Maly, SZ RA 78, 254 f. 104 Leider lässt sich aus den Cicero-Quellen selbst nichts Näheres mehr zur Sache gewinnen. Cicero selbst ging es nur um das Verhältnis fundus-aedes. 98

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II. Altrömisches Recht „Die Gewährschaft für den Besitz dauert bei Grundstücken 2 Jahre, bei anderen Sachen ein Jahr.“

b) Deutung des Satzes und Zusammenhang mit der usucapio Auf den ersten Blick ist eine Verbindung zur klassischen usucapio nicht ersichtlich. Der Satz regelt scheinbar nur die Dauer der auctoritas für den Besitz, von der wir wissen, dass sie dem mancipio dans als Folge der mancipatio obliegt. Von einem Eigentumserwerb ist dagegen nicht die Rede. In der Literatur finden sich verschiedene Deutungen des Satzes. aa) Theorie der materiellen Ersitzung So wird die Annahme vertreten, der Decemviralsatz selbst regele schon das im klassischen römischen Recht bekannte Institut der usucapio105. Gestützt wird eine solche Betrachtung auf die Verweise bei Gaius106, der die usucapio mit den XII-Tafeln unmittelbar in Verbindung bringt. bb) Theorie einer prozessualen Ersitzungswirkung Als erster war es wohl Franz Klein107, der die Funktion der Norm in den prozessualen Bereich einordnete. Die usus auctoritas Regel sei dazu bestimmt, dem Erwerber die sogenannte probatio diabolica108 abzunehmen. Der Fristablauf solle vollen Beweis für das Eigentum bringen, ein Gegenbeweis sei unzulässig109. Der Vorschlag von Klein fand seinerzeit allerdings kaum Beachtung. Pernice verwarf die Idee110. Erst nachdem Kaser111, aufbauend auf Leifer112, den Zweck des usus auctoritas Satzes in der prozessualen Begrenzung des Gewährenzuges gesehen hatte, 105 Pernice, Labeo C (II. Fn. 84), 328: „Die Ersitzung ist in den XII-Tafeln anerkannt durch den Satz „usus auctoritas fundi biennum . . .“ Vgl. auch die Nachweise bei Mayer-Maly, SZ RA 78, Anm. 4. 106 Gai. II, 42; 54. 107 Klein, Sachbesitz und Ersitzung, 233 ff.; Mayer-Maly, SZ RA 78, 222; Pernice, Labeo C (II. Fn. 84), 330, Anm. 2. 108 „Teuflischer Eigentumsbeweis“ – dazu ausführlich: Kiefner, Klassizität der „probatio diabolica“?, SZ RA 81 (1964), 212 ff. 109 Pernice, Labeo C (II. Fn. 84), 330, Anm. 2. 110 Pernice, Labeo C (II. Fn. 84), 330, Anm. 2: „Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die XII Tafeln diesen Umweg einschlugen, um die Ersitzung einzuführen.“ 111 Kaser, EB (II. Fn. 10), 86 f. 112 Leifer, SZ RA 57, 136.

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gelangte diese Sichtweise zu breiterer Anerkennung113. Kaser ordnet die Norm als Verschweigensregel ein. Die Wirkung sei in erster Linie eine negative für den Sachverfolger, dem damit die „Angriffswaffe aus der Hand geschlagen“114 werde, wenn er sein Verfolgensrecht nicht rechtzeitig ausübe. Mit Ablauf der Frist werde dem Erwerber die Verteidigung seines Besitzes erheblich erleichtert. Kaser nimmt an, dass der Vindikationsbeklagte nur dann den Nachweis seines rechtmäßigen Erwerbs vom Vormann bringen müsse, wenn die Frist noch nicht abgelaufen sei. Es sei nämlich nicht anzunehmen, die XII-Tafeln hätten die auctoritas-Haftung des mancipio dans zeitlich beschränkt, ohne im Gegenzug dem mancipio accipiens mit Fristablauf eine unangreifbare Sachherrschaft zu geben. Ansonsten wäre die Position des Erwerbers mit Fristablauf erheblich verschlechtert worden. Dieser verlöre dann nicht nur den Vindikationsprozess, sondern zudem seinen Anspruch auf das duplum gegen den Veräußerer. Insofern müsse mit der Befristung der Auktoritätshaftung von vornherein auch eine Beschränkung der Drittvindikation einhergegangen sein. Einen solchen Zusammenhang hätten die Verfasser der XII-Tafeln nach Kasers Auffassung nicht gesondert zu erwähnen gebraucht, da er sich von selbst verstünde115. Sie konnten sich daher mit der Normierung der Fristen begnügen. Die Ersitzungswirkung ist demzufolge nach Kaser neben der Beschränkung der Auktoritätshaftung stillschweigend mitgeregelt. cc) Theorie der bloßen Gewährschaftsbefristung Mayer-Maly betont dagegen, dass nach seiner ausführlichen Exegese nur ein auf Gewährschaftsbefristung begründetes Verständnis des usus auctoritas Satzes als richtig erscheine. Allein darauf weise der Wortsinn hin116. Es sollte Klarheit darüber geschaffen werden, wie lange der Veräußerer einer Sache mit einer Haftung aus seiner auctoritas rechnen müsse und ab wann er von seiner Pflicht gegenüber dem Erwerber befreit sei. Im Vordergrund habe die Frage der schuldrechtliche Befreiung des Veräußerers von seiner Gewährschaftshaftung gestanden. Die Dauer der Gewährschaftshaftung habe damals wahrscheinlich zu den umstrittensten Fragen gehört und der XII-Tafelsatz gab darauf schließlich eine klare Antwort117.

113

Mayer-Maly, SZ RA 78, 222. Kaser, EB (II. Fn. 10), 87. 115 Kaser, SZ RA 105, 130; SZ RA 68, 156. Kaser erklärt dort die fehlende Erwähnung des Unangreifbarwerdens der Stellung des redlichen Erwerbers damit, dass dies ja dem oben angesprochenen „allgemeinen Prinzip“ entspreche. Nach Ablauf der Frist gelte wieder der altbekannte Schutz des redlichen Erwerbs. 116 Mayer-Maly, SZ RA 78, 223, 255 f. 117 Mayer-Maly, SZ RA 78, 223 f. 114

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dd) Auseinandersetzung Je nach Deutung der Regelung können die Interessen des Veräußerers, des Erwerbers vom Berechtigten oder aber des Erwerbers vom Nichtberechtigten im Vordergrund gestanden haben. Während die ersten beiden Theorien vor allem eine Begünstigung des mancipio accipiens im Streit mit einem Dritten im Auge haben, scheint nach Mayer-Malys Auslegung die Haftungsbeschränkung des mancipio dans zentral zu sein. (1) Ablehnung der Theorie einer materiellen Ersitzung Entgegen der Theorie einer materiellen Ersitzung lassen die Gaius-Texte nicht den kurzen Schluss zu, es habe schon zu Zeiten der XII-Tafeln die klassische Form der usucapio gegeben. Zwischen der Darstellung von Gaius und den XII-Tafeln liegen mindestens 600 Jahre. Seine Texte sind auch nicht das Ergebnis einer rechtshistorischen Analyse. Vielmehr gibt Gaius im Wesentlichen überlieferte Tatsachen wieder und verwendet dazu eigene Worte im Sprachgebrauch der Klassik. Es liegt nahe, dass mit der Sprache der späteren Zeit auch deren gefestigte Vorstellungen in die Darstellungen Einfluss gefunden haben118. Bei der Übertragung von Begrifflichkeiten ins altrömische Recht ist daher Vorsicht geboten. Mit einer anachronistischen Terminologie des Gaius muss gerechnet werden. Die vorangegangenen Ausführungen zum altrömischen Eigentum haben bereits gezeigt, dass für die klassische Regelung der usucapio zu dieser Zeit überhaupt noch kein Raum bestand. Ein materiellrechtlich erfasstes absolutes Eigentum im klassischen Sinne, mit klar definiertem Herrschaftsbereich und abgegrenzten Erwerbstatbeständen hat zur Zeit der XII-Tafeln noch nicht existiert119. Insofern konnten diese auch noch nicht regeln, wie ein solches durch Zeitablauf erworben wird. So gehören die Anhänger der Theorie einer echten Ersitzung hauptsächlich dem älteren Schrifttum an, welches noch durch die Vorstellung eines ausgeprägten absoluten Eigentums zur XII-Tafelzeit belastet war120. Sicher ist nach den klassischen Quellen nur, dass die Fristen der usucapio auf die XII-Tafeln zurückgehen und dort eine Funktion ausübten, die später mit der usucapio in Verbindung gebracht wurde.

118 Selb, GS Kunkel, 396, behandelt die Gaius-Stellen daher eher als Literatur statt als Quelle zum Thema. 119 Kaser, RP I, 120; SZ RA 105, 123; EB (II. Fn. 10), 6; Zlinsky, SZ RA 106, 115 ff.; vgl. oben II. 1. a). 120 Kaser, EB (II. Fn. 10), 86, Anm. 1 m.w. N.

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(2) Zustimmung zur prozessualen Betrachtungsweise Will man in der XII-Tafelzeit die Wirkung einer Ersitzung beschreiben, dann lässt sich dies nur anhand des praktischen Aspektes, wer den Vindikationsprozess gewinnen werde, erreichen121. Nicht das Eigentum bestimmt in alter Zeit, wer im Prozess erfolgreich sein muss, sondern umgekehrt bestimmt der Verlauf des Vindikationsprozesses, wessen meum esse Behauptung zutreffend ist. Die l.a.s.i.r. stellt sich im modernen Sinne als Prozess zur Durchsetzung des meum esse, also des altrömischen Eigentums dar. Es ist jedoch nur eine Frage der Betrachtungsweise, ob man den Gewinn des Prozesses darauf stützt, dass der Sieger Inhaber des altrömischen Eigentums ist, oder aber den Gewinner des l.a.s.i.r. Verfahrens erst deshalb als Eigentümer betrachtet, weil er im Prozess Erfolg hatte. Aus historischer Sicht ist es vorzuziehen, das Verfahren in den Mittelpunkt zu stellen. Je nach dem, welche Voraussetzungen im Prozess zu erfüllen sind, um den Streit zu gewinnen, wird man über die Zuordnung des meum esse und seine Voraussetzungen zu entscheiden haben. Die rechtliche Herrschaft ist noch bloßer Reflex des mittels der Vindikation gewährten Schutzes122. Bei dieser funktionell orientierten Betrachtung setzt Kaser mit seiner Theorie einer Verschweigensregel mit prozessualer Ersitzungswirkung für den Erwerber zu Recht an. Er vergleicht die prozessuale Position eines Erwerbers vom Nichtberechtigten vor und nach Ablauf der usus auctoritas Frist und kommt zu dem Schluss, dass dessen vormals schwächere Position mit dem Fristablauf die stärkere werde. Dies sei bereits eine „wirkliche Ersitzung“ gewesen, wenn sie auch noch nicht als solche anerkannt gewesen ist123. Damit wird ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen dem usus auctoritas Satz und der klassischen römischen usucapio aufgestellt. Wer sich im Vindikationsprozess nach allen Seiten verteidigen kann, der hat eine dem Eigentümer vergleichbare Stellung. Erlangt er diese Position erst durch den Ablauf einer Frist, dann kann man untechnisch von Ersitzung dieser Position sprechen. Nach materieller Durchdringung des absoluten Eigentumsbegriffes bedurfte es nur noch einer Übersetzung der prozessualen Lage des Erwerbers in materielles Recht. Kasers Theorie ist damit gut mit den Gaius-Texten vereinbar. Die dogmatischen Unterschiede brauchte der römische Jurist seinen Schülern nicht darzulegen, wichtig waren allein die Wurzeln und die Fristen, die sich bis auf die altehrwürdigen XII-Tafeln zurückverfolgen lassen.

121 122 123

Mayer-Maly, SZ RA 78, 256. Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 21, 25. Kaser SZ RA 105, 131 f.; Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 25 f.

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(3) Keine einseitige Betonung der Ersitzungswirkung Auf eine Gefahr von Kasers Betrachtungsweise sei jedoch hingewiesen. Eine tatsächliche materiellrechtliche Ersitzungswirkung tritt lediglich in den wenigen Fällen auf, in denen sich der Erwerber erstmals nach Fristablauf durchsetzt, weil sein auctor eigentlich nichtberechtigt bzw. schlechterberechtigt als ein Dritter war und dies nun im Prozess keine Rolle mehr spielt. In den viel häufigeren Fällen des Erwerbs vom Berechtigten führte die Regelung für den Erwerber dagegen zu einer wichtigen Beweiserleichterung, die allzu schnell und zu Unrecht in den Hintergrund gerät, wenn man allein die materielle Ersitzungswirkung betont und damit den Erwerb vom Nichtberechtigten zu stark hervorhebt. Insbesondere bei der Frage nach den Motiven der altrömischen Gesetzgeber für die Einführung der Gewährschaftsbefristung wird darauf zurückzukommen sein. (4) Die Ersitzungswirkung als Ausgleich für die Befristung der auctoritas Kein direkter Bezug zur usucapio scheint sich bei Mayer-Malys Deutung des usus auctoritas Satzes zu ergeben. Dieser sieht nur die Befreiung des Veräußerers von seiner Auktoritätshaftung unmittelbar geregelt. Es fällt damit schwer, die durch Gaius überlieferte Verbindung zur klassischen usucapio herzustellen124. Mayer-Maly schreibt das durchdringende Verständnis des Satzes als Verschweigensregel erst nachdecemviraler Rechtsentwicklung zu125. Allerdings könne die Wirkung des Rechtsverlustes des Voreigentümers schon zur Zeit der XII-Tafeln mit dem Ablauf der Auktoritätsfrist zusammengefallen sein126. Funktionell orientiert betrachtet, seien Gewährschaftsbefristung, Verschweigung und Ersitzung schon in decemviraler Zeit eine Einheit gewesen, wenn auch der Wortsinn nur auf eine Gewährschaftsbefristung schließen lasse. Damit relativieren sich die aus der Theorie zu ziehenden Schlüsse stark. Auch Mayer-Maly nimmt letztlich an, dass mit Ablauf der Gewährspflicht die Berechtigung des Veräußerers nicht mehr angreifbar war und damit eine positive Wirkung für den Erwerber eintrat127. Anders als Kaser sieht er diese jedoch nicht als stillschweigend mitgeregelt an, sondern begreift sie als Ausgleich der ansonsten für den 124 Zur Frage einer weiteren „verschollenen Norm“ über die Ersitzung, vgl. Kaser, SZ RA 105, 129. 125 Mayer-Maly, SZ RA 78, 255; ausdrücklich dagegen: Kaser, RP I, 135: „Freilich kann unser Satz auch nicht einfach bedeuten, daß die Gewährenpflicht des Auktors auf 1–2 Jahre beschränkt wäre.“ 126 Mayer-Maly, SZ RA 78, 256, Anm. 164. 127 Mayer-Maly, SZ RA 78, 256; Römisches Privatrecht, 54. Es ließe sich auch kaum vertreten, dass der mancipio accipiens nach Ablauf der Frist und dem daraus folgenden Wegfall der auctoritas-Haftung plötzlich ungeschützt dastünde.

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mancipio accipiens nach Wegfall der Auktoritätshaftung entstehenden Härte. Welche der beiden Wege mehr für sich hat, kann hier noch dahinstehen. Einig ist man sich innerhalb der Ansichten jedenfalls, dass mit dem Ablauf der auctoritas Frist dem Erwerber eine Position zukommt, die es ihm erlaubt, seine Sache unabhängig vom auctor zu verteidigen. War der Veräußerer nichtberechtigt, kann insofern von einer Ersitzungswirkung gesprochen werden, in den überwiegenden Fällen kommt es dagegen nur zu einer Beweiserleichterung. Aus Sicht des mancipio dans stellt sich der XII-Tafelsatz als zeitliche Haftungsbegrenzung dar. Letzteres betont Mayer-Maly, während für Kaser die Begünstigung des mancipio accipiens im Vordergrund steht. Die unterschiedlichen Auffassungen über den ursprünglichen Schutzzweck des Satzes werden bei der zentralen Problematik des Ausschlusses der usucapio im Fall des Diebstahls noch eine wichtige Rolle spielen. (5) Auswirkungen des Fristablaufs auf die Erwerberstellung im Prozess Es liegt auf der Hand, dass sich die Situation des Erwerbers im Vindikationsprozess durch den Fristablauf nicht verschlechtern darf. Das Ende der Auktoritas-Pflicht darf ihm nicht schaden. (a) Ausgehend von dieser Überlegung führt Kaser in seinem Handbuch des römischen Privatrechts aus, es genüge nach Fristablauf allein die Tatsache, dass der Besitz die gesetzliche Frist bestanden habe, um das Vindikationsverfahren zu gewinnen. Der weitere Nachweis, wie der Besitzer zu der Sache gekommen sei, vom wem er sie erworben habe und ob der Vormann Eigentümer gewesen sei, werde ihm erspart128. Bei diesem weiten Ausschluss der Vindikation wird fraglich, ob überhaupt noch eine hinreichende Beziehung zum Erwerbsgeschäft mit dem auctor besteht. Ist der einjährige Besitzer nicht einmal dazu verpflichtet, nachzuweisen, wie er zu der Sache gekommen ist, lässt sich schwerlich von einer Regelung im Zusammenhang mit einem abgeleiteten Erwerb sprechen. Es scheint dann eher so zu sein, als schaffe der bloße einjährige Besitz selbst die unangreifbare Rechtsstellung129. (b) Bedenken gegen die Annahme einer so weitreichenden Folge des usus auctoritas Satzes hat Söllner angemeldet. Es könne sich keine Rechtsordnung erlauben, eine bloße einjährige Sachherrschaft ohne Rücksicht auf den Erwerbs-

128 Kaser, RP I, 135, 420: „Nach den XII Tafeln brauchte der Besitzer nach Ablauf der gesetzlichen Frist seinen und seiner Vormänner rechtmäßigen Erwerb nicht mehr nachzuweisen. Er verlor die Sache nur noch dann, wenn der Gegner nachwies, dass einer der Sätze über aeterna auctoritas eingriff . . .“ 129 Eine Ersitzung ohne Bezug zum Erwerbsgeschäft auch bei Flach (II. Fn. 90), 147, 150.

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vorgang zum Eigentum erstarken zu lassen130. Söllner nimmt deshalb an, dass dem Erwerber auch nach Ablauf der Frist noch der Nachweis eines gültigen Erwerbsgrundes oblag. Darunter versteht er einen solchen Umstand, der dem Erwerber die Gewährschaftshilfe des Veräußerers sicherte. Im alten Recht wird dies allein die mancipatio gewesen sein131. Nach Ende der Jahresfrist musste der Erwerber zwar seinen auctor nicht mehr bestellen, wozu er wegen des Wegfalls dessen Auktoritätspflicht auch nicht mehr in der Lage war, den Erwerbsvorgang selbst, also das Stattfinden der mancipatio, musste er jedoch weiterhin nachweisen. Damit bestand nach Söllners Auffassung die Funktion des usus auctoritas Satzes darin, dem Besitzer nach Ablauf der Frist den Übergang von der Gewährenstellung zum Zeugenbeweis zu ermöglichen132. Dazu konnte er sich der 5 Zeugen der mancipatio und des Waagehalters bedienen. Diese Personen sind somit nicht nur Solennitätszeugen des feierlichen Übertragungsaktes, sondern auch potentielle Prozesszeugen133. Mit ihrer Hilfe dürfte der Nachweis des Erwerbsvorganges in der Praxis regelmäßig gesichert sein. In der Spruchformel der l.a.s.i.r. fragt der Vindikant seinen Gegner: „. . . qua ex causa vindicaveris“134. Söllner sieht darin die Frage nach dem Rechtsgrund der Vindikation. Es gebe keinen Beleg dafür, dass dies allein mit der Bezugnahme auf den einjährigen Besitz zureichend beantwortet sei. Causa vindicandi sei vielmehr der Erwerb der Sache durch die mancipatio135. Die grundsätzliche Bedeutung der Frage des Vindikanten ist stark umstritten. Sie könnte sich einerseits im Sinne Söllners auf den außerprozessualen Rechtsgrund des Erwerbs bezogen haben136. Anderseits aber könnte damit auch nur die Antwort des Beklagten herausgefordert worden sein, mit der sich dieser dem Verfahren und dessen Folgen unterwarf137. Im Sinne der letzteren Deutung ist es, dass bei Gaius nur der Kläger die Frage an den Beklagten richtet. Unter Zugrundelegung der ersten Ansicht hätte man die Frage wegen des beiderseitigen Vindizierens auch umgekehrt noch erwartet. Zudem beantwortet der Beklagte die Frage nicht konkret. Er beschränkt sich auf das farblose „ius feci“138. Dies legt nahe, 130

Söllner, FS Coing, 371. Söllner, FS Coing, 375. 132 Söllner, FS Coing, 372. 133 Söllner, FS Coing, 372. 134 Übersetzung: Aus welchem Rechtsgrund beanspruchst du die Sache?; Gai IV, 16; Kaser/Hackl, RZ, 97 f. 135 Söllner, FS Coing, 371. 136 So ursprünglich: Kaser, RP I, 129; EB (II. Fn. 10), 58 ff.; diese Deutung wieder in Betracht ziehend: Kaser, SZ RA 105, 132. 137 Kaser, SZ RA 104, 68 f.; Kaser/Hackl, RZ, 97 f., Anm. 56, 57, 60 m.w. N.; Wolf, Zur legisactio sacramento in rem, in: Römisches Recht in der europäischen Tradition, Symposion aus Anlaß des 75. Geburtstages von Franz Wieacker (1985) (FS Wieacker), 21 ff.; Hackl, SZ RA 106, Anm. 45; unentschieden Kaser, SZ RA 105, 132 f. 131

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dass die Frage im Sinne der neueren Auslegung ausschließlich darauf bezogen war, ob der Gegner iure oder iniuria vindiziert habe. Die bestehenden Zweifel hinsichtlich der Zielrichtung der überlieferten prozessualen Frage des Vindikanten nach der causa vindicandi betreffen jedoch nur den Hergang des Verfahrens. Auch wenn der Kläger nicht konkret nach dem materiellen Rechtsgrund des Erwerbes gefragt haben sollte, ist die Entscheidung darüber dennoch das wichtigste Thema des Vindikationsprozesses. Kaser hat Söllner zuletzt darin zugestimmt, dass die causa für den Erwerb der Rechtsposition des Ersitzenden nicht im Fristablauf sondern in der mancipatio gelegen habe139. Jeder der beiden Vindikanten ist für den Beweis seines behaupteten Erwerbs verantwortlich. Wer sich auf einen Erwerb durch mancipatio als causa vindicandi beruft, muss diesen auch nachweisen. Dazu steht ihm vor Ablauf der Frist vor allem das laudare auctorem zu140. Mit Wegfall der Gewährspflicht des Veräußerers und damit der Möglichkeit, den auctor vor Gericht zu zwingen, kann dem Erwerber die mangelnde Berechtigung des mancipio dans nicht mehr entgegengehalten werden. Darin erschöpft sich jedoch die Begünstigung des Erwerbers. Den Nachweis der förmlich stattgefundenen mancipatio muss er weiterhin führen. Ansonsten ginge der erforderliche Bezug zum rechtsgeschäftlichen Erwerb (causa vindicandi) verloren. Nur für denjenigen Besitzer, der sich vor Ablauf der Frist noch eines auctor bedienen konnte, lässt es sich vertreten, aus dem Wegfall der Gewährspflicht einen verstärkten Schutz im Vindikationsprozess abzuleiten. Wer dagegen nie einen auctor hatte, den betrifft der usus auctoritas Satz überhaupt nicht. Daher muss man auch verlangen können, dass derjenige, der sich auf den Fristablauf beruft, vormals die Stellung eines durch auctoritas geschützten Besitzers innehatte. Es kann also auch nach Fristablauf nicht gleichgültig sein, wie der Besitz erlangte wurde. Wer den Erwerbsvorgang selbst nicht mehr für nachprüfbar hält, schießt damit über den notwendigen Schutz des mancipio accipiens nach Fristablauf hinaus. Nichts anderes ergibt sich, wenn man mit Mayer-Maly die Befreiung des Veräußerers von seiner Auktoritätshaftung als vordergründig betrachtet. Die Wirkung des Satzes für die Stellung des Erwerbers ist darauf zu beschränken, die nachteiligen Folgen des Wegfalls der Auktoritätspflicht zu kompensieren. Der mancipio accipiens muss im Prozess nur insoweit vom Beweis seines behaupteten meum esse freigestellt werden, wie er nicht mehr in der Lage ist, diesen zu erzwingen. Da der mancipio dans nicht mehr in den Prozess gezogen werden kann, wird dessen Berechtigung zum Schutze des mancipio accipiens 138 Die von Kaser, SZ RA 105, 132 f., in Betracht gezogene Möglichkeit, dass die Antwort ursprünglich einmal die mancipatio nannte und erst nach Erweiterung des Verfahrens auf res nec mancipi durch das pauschale „ius feci“ ersetzt wurde, ist auch gegeben, lässt sich aber nicht mehr hinreichend sicher nachweisen. 139 Kaser, SZ RA 105, 132, Anm. 46. 140 Kaser/Hackl, RZ, 98 f.

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auch nicht mehr überprüft. Mit anderen Worten: Niemand kann mehr anzweifeln, dass der auctor auch Berechtigter war. Hingegen muss sich der Erwerber noch immer vorhalten lassen können, er habe nicht durch einen einwandfreien Erwerbsvorgang erworben. Mit Ausnahme der Berechtigung des mancipio dans war das Geschäft im Vindikationsprozess auch nach Fristablauf angreifbar. Damit ist die förmlich korrekte mancipatio eine zwingende Voraussetzung des Eintritts der Ersitzungswirkung. Diese Sicht verträgt sich auch besser mit der klassischen Rechtslage, als das Abstellen auf den reinen einjährigen Besitz. Die klassische usucapio kam unzweifelhaft nur demjenigen Besitzer zugute, der einen Erwerbsgrund (iusta causa) nachweisen konnte141. Wenn nun Cicero und Gaius die usucapio auf den alten usus auctoritas Satz zurückführen142, dann spricht dies dafür, dass bereits zur XII-Tafelzeit ein wirksames Erwerbsgeschäft Voraussetzung der Ersitzungswirkung war. Die Jahresfrist allein erscheint für einen rechtsgrundlosen Erwerb durch die bloße rechtsbildende Kraft des Faktischen viel zu kurz. Der Zusammenhang mit dem Erwerb muss sich im Prozess bemerkbar gemacht haben. Nimmt man ein decemvirales Alter der Notwendigkeit eines gültigen Erwerbsgrundes an, vermeidet man auch eine Erklärungsnot bezüglich der Gründe für die spätere Einführung143 dieses Erfordernisses144. Stattdessen stellt sich das klassische Erfordernis der iusta causa lediglich als mittlerweile materiell durchdrungene Erwerbsvoraussetzung dar, die in ihren Grundzügen schon in der XIITafelzeit existiert hat. Kam ursprünglich nur der förmliche Erwerb durch mancipatio in Betracht, wurde der Kreis später auf jene Tatbestände erweitert, die auch bei der traditio den Eigentumserwerb tragen. Festzuhalten ist also, dass dem Erwerber nach Fristablauf lediglich der Nachweis der Berechtigung des Veräußerers, nicht aber der Nachweis eines gültigen Erwerbsgrundes abgenommen wurde. Seine Erleichterung im Vindikationsprozess ging nur so weit, wie dies zur Kompensation des Wegfalls der Auktoritätspflichten des Veräußerers notwendig war. Damit kam die verbesserte Rechtsstellung nach Fristablauf nur demjenigen zugute, der sich auf einen Erwerbsvorgang berufen konnte. Es handelt sich dabei nicht um einen rein originären Erwerb145, vielmehr wird die Berechtigung vom Vormann insofern abgeleitet, 141

Kaser, RP I, 420; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 216. Pro Caec. 19, 54; top. 4, 23; Gai. II, 42; 54. 143 Kaser, EB (II. Fn. 10), 294 f.; RP I, 420 m.w. N. Kritisch zur Berechtigung der Frage nach der Einführung des Erfordernisses: Mayer-Maly, Studien zur Frühgeschichte der usucapio III, SZ RA 79, 97 ff., der stattdessen nach der gedanklichen Durchdringung fragt. 144 Söllner, FS Coing, 374 ff., geht noch weiter und setzt auch die Entstehung der bona fides als Ersitzungsvoraussetzung in diese Zeit – vgl. dazu unten III. 1. b) dd). 145 Auf eine nähere Diskussion zur Unterscheidung von originärem und derivativem Erwerb soll hier verzichtet werden. Die Diskussion bringt in der Sache nicht weiter und ist sicher nicht römischen Ursprungs. Wichtig war jedoch, hier zu verdeutlichen, 142

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als die causa vindicandi in der mancipatio und nicht im bloßen faktischen einjährigen Besitz zu finden ist. (6) Besitz als Voraussetzung des Fristablaufs? In der Literatur wird vielfach davon ausgegangen, dass die Frist auch nach altrömischem Recht nur dann ablaufe, wenn der usus des Erwerbers nicht unterbrochen werde146. Diese Auffassung ist stark von der Vorstellung einer echten Ersitzung geprägt. Tatsächlich ist der ununterbrochene Besitz des Erwerbers für den klassischen Rechtserwerb durch usucapio unentbehrlich. Dagegen dürfte die Dauer des usus keine Rolle spielen, wenn man mit Mayer-Maly die Befristung der Gewährschaftshaftung als vordergründig betrachtet. Konsequenterweise müssten dann Anfang und Ende der Frist aus Sicht des Veräußerers zu bestimmen sein. Es liegt insofern ein vom Besitz des Erwerbers unabhängiger Fristablauf nahe. Kaum ließe sich erklären, weshalb die Befreiung des Veräußerers von seinen auctoritas-Pflichten davon abhängen solle, ob der Erwerber seinen Besitz behalte oder nicht. Darauf kann der Veräußerer überhaupt keinen Einfluss nehmen. Der Besitz des Erwerbers liegt außerhalb seiner Sphäre. (a) Einziger Anhaltspunkt in den XII-Tafeln ist der usus auctoritas Satz selbst. Aus dessen Rekonstruktion lässt sich lediglich schließen, dass die auf den usus bezogene auctoritas zeitlich beschränkt ist. Der usus des Sacherwerbers soll ein Jahr lang durch die auctoritas geschützt sein. Ein Erfordernis ununterbrochenen usus für den Lauf der Frist ist dem Satz dagegen nicht zu entnehmen. Schauen wir auf die Quellen aus klassischer Zeit, so stellen wir fest, dass dort eine Anrechnung der Besitzzeiten von Einzelrechtsnachfolgern nicht stattfindet147. Dies hängt jedoch eng mit dem klassischen Verständnis der usucapio als echte, materiellrechtliche Ersitzung zusammen, welches für die XIITafelzeit gerade fraglich ist. Ab der späteren Klassik geschieht dann vereinzelt eine Anrechnung (accessio possessionis)148. Dies wird mit der Annäherung der Ersitzung an die Verjährung in Verbindung gebracht149. dass nicht der bloße Fristablauf sondern das Erwerbsgeschäft in Verbindung mit der kurzen Frist der Grund für den Erwerb der Rechtsstellung ist. Erst dadurch wird die Vorschrift als Regelung eines Erwerbs vom Nichtberechtigten interessant. 146 Kaser, RP I, 135; EB (II. Fn. 10), 89; Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 26; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 126; Flach (II. Fn. 90), 147. 147 Kaser, RP I, 423; Mayer-Maly, in: RE usucapio, Sp. 1112. Dagegen werden dem Erben die Besitzzeiten des Erblassers angerechnet (successio in possessionem). Er setzt die Ersitzung des Erblassers fort; Ner./Iav. D. 41, 3, 40; Iul. D. 41, 4, 7 pr.; Pomp. D. 41, 4, 6, 2; Paul. D. 41, 4, 2, 19; vgl. dazu: von Lübtow, Betrachtungen zur hereditas iacens, Studi in onore di Giuseppe Grosso II, 595 ff. 148 I. 2, 6, 13; D. 41, 3, 14, 1. In den Quellen wird die Anrechnung auf Reskripte von Septimus Severus und Caracalla zurückgeführt. Der Einzelrechtsnachfolger setzte nicht wie der Universalsukzessor die Ersitzung seines Vormannes fort, sondern bekam

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(b) Man kann davon ausgehen, dass die Decemvirn als Ausgangsfall für die XII-Tafelregelung den mancipio accipiens als Beklagten vor Augen hatten. Regelmäßig geht die größte Gefahr von einer Inanspruchnahme des besitzenden Erwerbers durch Dritte aus. Die auctoritas soll sicherstellen, dass dem Erwerber die Sache nicht von einem besser Berechtigten entzogen werden kann. Das Berechnungsproblem tritt in diesen häufigsten Fällen gar nicht auf. Der umgekehrte Fall eines aktiven Vorgehens des nicht mehr besitzenden Erwerbers ist viel seltener. Im Prozess gegen völlig unberechtigte Dritte dürfte auch vor Fristablauf der bloße Nachweis der mancipatio ausreichen, um sich durchzusetzen150. Ein Gewährenzug ist dazu nicht erforderlich. Das oben aufgezeigte Fristberechnungsproblem wird also direkt nur in dem theoretischen Fall auftreten, dass der Besitz vom mancipio accipiens vor Fristablauf zufällig an einen Dritten gelangt, der selbst eine Berechtigung nachweisen kann151. (c) Indirekt kann die Fristberechnung jedoch auch dann problematisch werden, wenn der mancipio dans von seinem Erwerber deshalb in Anspruch genommen wird, weil dieser vor Fristablauf die Sache an einen Dritten manzipiert hat und jener nunmehr von ihm Beistand in einem Herausgabeprozess fordert. Dann fragt sich, ob die Frist trotz Besitzübergang einfach weiterläuft, oder für immer unterbrochen ist. Einen solchen Fall behandelt Kaser152. A hat eine Sache an B manzipiert. B manzipiert die Sache nach 9 Monaten weiter an C, dieser wird nach weiteren 9 Monaten von X in Anspruch genommen. Kaser kommt zu dem Schluss, dass B schutzlos dastünde, ließe man die Frist durch den Besitzverlust nicht unterbrechen. Dies schließt er daraus, dass B der Auktoritätshaftung gegenüber C noch ausgesetzt sei, sich selbst jedoch nicht mehr an A halten könne. Ein solches System sei geradezu sinnwidrig und es könne daraus geschlossen werden, dass allein dessen Besitzzeit gutgeschrieben; Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1113; Kaser, RP I, 423, Anm. 59 m.w. N. 149 Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 90. 150 Kann der Vindikationsgegner selbst überhaupt keinen Erwerb nachweisen, wäre es überflüssig, die Berechtigung des auctor noch zu prüfen. Der Nachweis der mancipatio durch die Zeugen dürfte dann bereits ausgereicht haben. Vgl. auch die Darstellungen zur Bedeutung der usucapio in klassischer Zeit unten III. 4. d). 151 Verlangt der Erwerber dann die Sache vom Dritten heraus, kann es vorkommen, dass die Frist zum Zeitpunkt des Besitzverlustes noch nicht abgelaufen war, zum Zeitpunkt der l.a.s.i.r. jedoch vorbei ist. Der mancipio dans wird sich auf das Ende der Gewährschaftsfrist berufen wollen. Seit der mancipatio ist ja bereits mehr als ein Jahr vergangen. Ebenso wird der mancipio accipiens gern von der aufgezeigten Beweiserleichterung nach Wegfall der Gewährschaftspflicht profitieren wollen. Dagegen hat der Beklagte natürlich ein Interesse daran, die Berechtigung das Veräußerers angreifen zu können. Dies wird insbesondere dann schützenswert, wenn der mancipio accipiens mit dem Prozess extra noch bis Fristablauf gewartet hat und der mancipio dans nichtberechtigt war. 152 Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 27.

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erst einjähriger Besitz des B oder des C den A von seiner Auktoritätspflicht befreien konnte. B steht jedoch nicht in dem Maße schutzlos da, wie dies nach Kasers Darstellung auf den ersten Blick erscheint. Zwar kann er in dem gebildeten Fall tatsächlich nicht mehr bei A Regress nehmen, da dessen Auktoritätshaftung nach den vergangenen 18 Monaten abgelaufen ist, doch hat es B selbst in der Hand, eine erfolgreiche Eviktion durch X zu verhindern. Da seit der mancipatio von A bereits mehr als ein Jahr vergangen ist, kann sich B im Fall einer Ladung als auctor seinerseits auf den Fristablauf berufen und damit auf einfache Weise auctoritas leisten. Er kann und muss den A nicht mehr als weiteren Gewährsmann bringen, da eben die auctoritas-Pflicht im Hinblick auf die erste mancipatio abgelaufen ist. Betrachtet man die Situation aus Sicht des Berechtigten (X), geht also davon aus, dass A als Nichtberechtigter veräußert hat, ist festzustellen, dass sich die Position des Berechtigten (X) mit dem Ablauf der Gewährschaftsfrist aus der ersten mancipatio entscheidend verschlechtert hat. Umgekehrt wird deutlich, wie der Dritterwerber (C) auch vom Ablauf der ersten Frist profitiert. Während sich vor dem Fristende noch der Berechtigte (X) durchgesetzt hätte, weil der Rückgriff des Zwischenverfügenden (B) auf seinen auctor (A) fehlgeschlagen wäre, gewinnt nun der Dritterwerber (C) den Prozess. Es findet damit zwar keine direkte Anrechnung der Fristen statt, vollendet ist lediglich die Gewährschaftsfrist aus der ersten mancipatio, die Wirkung ist jedoch ähnlich begünstigend. (d) Entfällt damit Kasers Argument der Schutzlosigkeit des Zwischenerwerbers, ist kein zwingender Grund erkennbar, den ununterbrochenen Besitz des Erwerbers schon in decemviraler Zeit als Voraussetzung der Ersitzungswirkung anerkennen zu müssen. Vielmehr ist es auch denkbar, dass die auctoritas Frist einmal unabhängig vom weiteren Schicksal der Sache ablief. Für eine solche strikte Fristenregelung spricht das Bedürfnis nach Klarheit. Würde jeder Besitzverlust die Frist unterbrechen, dann wäre die Haftung des mancipio dans trotz der Fristenfestlegung nicht kalkulierbar. Auch wäre dem mancipio accipiens von einer Weiterveräußerung vor Fristablauf eher abzuraten, da er im Eviktionsfall von seinem auctor auch dann noch abhängig wäre, wenn insgesamt schon mehr als ein Jahr vergangen ist. Entscheidend ist jedoch letztlich die Vereinbarkeit der Fristenregelung mit dem Sinn des usus auctoritas Satzes. Geht es darum, die Auktoritätspflicht aus der mancipatio zeitlich zu begrenzen, dann kann die Frist auch nur an der jeweiligen mancipatio anknüpfen und muss unabhängig von weiteren Faktoren laufen. Die oben favorisierte Deutung des XIITafelsatzes legt diese Auffassung nahe. (7) Beschränkung der Ersitzungswirkung auf res mancipi Ursprünglich betraf die beschriebene Ersitzungswirkung nur den Erwerb von res mancipi durch mancipatio. Allein in diesen Fällen entstand überhaupt eine

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II. Altrömisches Recht

auctoritas-Pflicht des Veräußerers, die der usus auctoritas Satz zeitlich beschränken konnte153. Nun sind die erfassten res mancipi allesamt Rechtsobjekte, die nicht dem täglichen Rechtsverkehr unterliegen, sondern eher dem beständigen Vermögen zuzurechnen sind154. Dies scheint der modernen Vorstellung zu widersprechen, dass sich der Erwerb vom Nichtberechtigten gerade zum Schutz des Güterumsatzes entwickelt habe und umso stärker zur Ausprägung kommen müsse, je öfter die Berechtigung an der betroffenen Sache wechselt. Danach müsste man eher eine Entwicklung ausgehend von den täglichen Geschäften über res nec mancipi erwarten, wie sie schon in alter Zeit auf den Märkten stattfanden. Allerdings darf die Wirkung des usus auctoritas Satzes nicht isoliert betrachtet werden. Ihm voran gingen die Zulassung der reinen Sachverfolgung mittels l.a.s.i.r. und die Schaffung der mancipatio als formalen Übertragungsakt. Die Beschränkung dieser Institutionen auf res mancipi war vor der Entstehung des XII-Tafelsatzes bereits vorhanden und hatte eigene Gründe155. Dass die Entwicklung der römischen usucapio bei den res mancipi ihren Anfang nahm, erklärt sich einfach daraus, dass anfänglich nur für sie ein Vindikationsverfahren bestand, in dessen Rahmen eine Befristung der Gewährschaft zur Geltung kommen konnte. Res nec mancipi wurden zwar in stärkerem Maße umgesetzt, konnten aber zunächst nicht auf gerichtlichem Wege dinglich verfolgt werden156. So konnte sich auch die altrömische Ersitzungswirkung nicht für diese Güter entwickeln.

c) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Eine Ersitzung im klassischen Sinne hat es im altrömischen Recht noch nicht gegeben. Funktionell betrachtet lässt sich jedoch aus dem usus auctoritas Satz eine Wirkung herleiten, die einer usucapio nahe kommt. Der Manzipationserwerber erlangt nach dem Fristablauf eine stärkere Stellung im Vindikationsprozess, die sich im Fall des Erwerbs vom Berechtigten in einer bloßen Beweiserleichterung erschöpft, bei Erwerb vom Nichtberechtigten dagegen eine Erwerbswirkung entfaltet. Strittig ist die Schutzrichtung der Regelung. Als Ausgangspunkt ist eine zeitliche Begrenzung der Auktoritätspflicht des mancipio dans am wahrscheinlichsten. Die scharfe Haftung aus der mancipatio, die daneben unter Umständen sogar noch mit einem Ansehensverlust verbunden war157, konnte nicht unbegrenzt bestehen. Sie würde zu einem unabsehbaren Risiko für den Veräußerer führen, das auch den Geschäftsverkehr lähmen 153

Vgl. oben II. 1. b) sowie c) bb) und cc). Vgl. oben II. 1. c) cc). 155 Vgl. oben II. 1. c) cc). 156 Vgl. oben II. 1. c) cc). 157 Der Manzipant galt als Dieb. Vgl. oben II. 1. c) bb) zum deliktischen Ursprung der Haftung. 154

3. Die Auswirkungen eines furtum

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könnte. Das prozessuale System des Gewährenzuges ist auch nur bei zeitlicher Nähe des Manzipationsvorganges sinnvoll. Liegt der Erwerb schon länger zurück, kann schon die Ladung des jeweiligen Manzipanten bzw. seiner Vorgänger in der Praxis so schwierig werden, dass aus einem Nichterscheinen nicht mehr hinreichend sicher auf eine Nichtberechtigung geschlossen werden kann. Unbillig wäre dann sowohl der Prozessverlust durch den Erwerber als auch die Haftung des Veräußerers, der seiner Pflicht zur Gewährschaft nach mehreren Jahren etwa wegen vorübergehender Abwesenheit nicht mehr nachkommen konnte. Innerhalb der kurzen Frist kann man dem Veräußerer dagegen zumuten, dass er sich zur Verteidigung der Sache einfindet und auch seine Vorgänger im Auge behält, soweit die Jahresfrist seit seinem Erwerb noch nicht vorbei ist. Dagegen ist der Vorteil für den Erwerber nicht so bedeutend, wie es bei Betonung der Ersitzung den Anschein macht. Zwar wird die Ladung des auctor erspart und der Beweis des meum esse dadurch vereinfacht, ein anderes Prozessergebnis ergibt sich jedoch für den Regelfall – Erwerb vom Berechtigten – nicht. Auch darf man nicht übersehen, dass der mancipio accipiens durch den Fristablauf die Möglichkeit der Inanspruchnahme des mancipio dans auf das duplum verliert. Rein wirtschaftlich betrachtet, steht er damit sogar schlechter da, als vor dem Ende der auctoritas-Frist. Ausgehend von dieser Darstellung des altrömischen Vorgängers der usucapio, kann nachfolgend der mögliche Inhalt der darauf bezogenen Sonderbestimmung für gestohlene Sachen diskutiert werden.

3. Die Auswirkungen eines furtum auf die altrömische Ersitzung Der Bericht des Gaius in seinen Institutionen II, 45; 49, wonach schon in den XII-Tafeln der Eigentumserwerb durch Ersitzung an gestohlenen Sachen ausgeschlossen gewesen sein soll158, ist zunächst infolge der obigen Ausführungen nicht auf die klassische usucapio, sondern auf die Wirkungen des usus auctoritas Satzes zu beziehen. So verstanden führt Gaius aus, dass für gestohlene Sachen die Befristung der Gewährschaft nicht gegolten hat und dies bereits die XII-Tafeln bestimmten. Schwierigkeiten erwachsen daraus, dass Gellius von einer aus dem Ende des dritten oder der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. stammenden Lex Atinia159 wie folgt berichtet: 158

Text und Übersetzung oben II. (Einleitung). Entstehung zwischen 240 und 149 v. Chr. Der frühest mögliche Zeitpunkt ist das Auftreten des plebejischen Geschlechts der Atinier an bedeutenden Positionen der römischen Politik, der Endtermin die Lebenszeit des von Gellius zitierten Juristen Manilius. Die konkrete Datierung ist strittig: Kaser, SZ RA 105, 138: „vor 149 v. Chr.“; Mayer-Maly, Studien zur Elementarliteratur über die usucapio, Studi in onore di Emilio Betti, Band III, 487 f.: „Wende vom 3. zum 2. Jh. v. Chr.“; Mayer-Maly, SZ RA 159

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II. Altrömisches Recht Gellius XVII, 7, 1: „Legis veteris Atiniae verba sunt: quod subruptum erit, eius rei aeterna auctoritas esto.“

Danach soll erst dieses Gesetz die ewige Gewährschaft für heimlich weggenommene Sachen160 angeordnet haben. Der Bericht des Gellius wird durch eine Paulus-Stelle bestätigt, in welcher von der Bestimmung eines Ersitzungsverbotes für res furtiva durch die Lex Atinia die Rede ist: Paul. D. 41, 3, 4, 6: „Quod autem dicit lex Atinia, ut res furtiva non usucapiatur . . .“161

Überdies wird in D. 41, 3, 33 pr. und I. 2, 6, 2162 die Lex Atinia alternativ zu den XII-Tafeln als Ausgangspunkt des Ersitzungsausschlusses für res furtiva genannt. Das Verhältnis der beiden Gesetze ist eines der umstrittensten Probleme der Quellengeschichte. Die jahrzehntelange Diskussion hat eine Vielzahl an Meinungen hervorgebracht, die schon deshalb stark variieren, weil sie von unterschiedlichen Auffassungen über die altrömische Form der usucapio ausgehen. Bedingt ist die Unsicherheit auch dadurch, dass eine wörtliche Überlieferung des XII-Tafelsatzes, der für gestohlene Sachen angeblich eine Ausnahme machen soll, leider fehlt.

a) Keine bloße Wiederholung des Ersitzungsverbotes durch die Lex Atinia Zunächst wird die naheliegende Möglichkeit in Betracht gezogen, dass die Lex Atinia einen gleichlautenden XII-Tafelsatz lediglich wiederholt163. Dies könnte dem Zweck der Einschärfung bzw. der Erneuerung gedient haben. Allerdings ist durch Gellius XVII, 7 eine Diskussion zwischen P. Mucius Scaevola, Brutus und Manilius überliefert, die sich mit der Frage beschäftigt, ob die Lex 79, 100 f.; Jörs/Kunkel, Römisches Privatrecht, 134 f., Anm. 3: „in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.“; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 143: „zweite Hälfte des 3. Jh. v. Chr.“ 160 Niederländer, Die Entwicklung des furtum und seine etymologischen Ableitungen, SZ RA 67 (1950), 190; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 133; FS Schulz I, 267; Kaser, EB (II. Fn. 10), 95, Anm. 42; „subrumpere“ ist gleichbedeutend mit „subripere“ und bezeichnet das heimliche Wegnehmen bzw. „durch heimliche List entziehen“. 161 Vgl. dazu: Mayer-Maly, SZ RA 78, 265, Anm. 198; von Lübtow, FS Schulz I, 264, Anm. 3. 162 Text und Übersetzung siehe oben II. (Einleitung). Verdächtig ist der Singular „inhibet“ im Institutionentext: „nam furtivarum rerum lex duodecim tabularum et lex Atinia inhibet usucapionem“. Ursprünglich wird nur von einem der beiden Gesetze die Rede gewesen sein. Von Lübtow, FS Schulz I, 269, bevorzugt die Lex Atinia in der Ausgangsfassung, während Mayer-Maly, SZ RA 78, 267, Anm. 205, einen Hinweis auf die XII-Tafeln im Urtext für wahrscheinlicher hält. 163 Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 407; Jörs/Kunkel, Römisches Privatrecht, 135; Neubert (I. Fn. 11), 115.

3. Die Auswirkungen eines furtum

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Atinia auf vor ihrer Erlassung verübte Diebstähle zurückwirke. Diese Diskussion wäre freilich sinnlos gewesen, wenn die Lex Atinia lediglich schon existentes XII-Tafelrecht wiedergegeben hätte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Lex Atinia eine in irgendeiner Weise andere Lösung als die XII-Tafeln normiert hat164. Nur dann kommt es auf die Frage der Rückwirkung an165. Die Theorie einer bloßen Wiederholung ist nicht mehr als eine Verlegenheitslösung, der nicht gefolgt werden kann.

b) Keine bloße Ergänzung des Ersitzungsverbotes um die „reversio ad dominum“ Andere gehen davon aus, die Unersitzbarkeit furtiver Sachen sei zwar bereits in den XII-Tafeln geregelt gewesen, die Lex Atinia habe diese Regelung jedoch darum ergänzt, dass der Makel der Furtivität bei Rückkehr der Sache zum Bestohlenen wieder beseitigt werde166. Auf den Anwendungszeitpunkt dieser Neuerung beziehe sich auch die Kontroverse der veteres. Dagegen wird zu Recht eingewandt, dass eine derartige Heilung völlig selbstverständlich ist und auch schon in der XII-Tafelzeit gegolten haben muss167. Ansonsten müsste man in der Konsequenz annehmen, dass es dem Kläger im altrömischen Vindikationsprozess gestattet gewesen sei, den Ausschluss der Ersitzungswirkung auf einen vor Jahren einmal geschehenen und mittlerweile aufgeklärten Diebstahl bei einem seiner Rechtsvorgänger zu stützen. Dies erscheint absurd und ist abzulehnen. Darüber hinaus hat Mayer-Maly schon darauf hingewiesen, dass sich die Rückwirkungsdiskussion auf die von Gellius zitierte Partie des Gesetzes (hisce verbis) bezieht, von der reversio ad dominum im Gellius Bericht aber gerade keine Rede ist168. Es muss demnach etwas anderes in der Lex Atinia erstmals 164 Davon geht grundsätzlich auch Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 407 f., aus. Er hält jedoch für möglich, dass sich der überlieferte Satz der Lex Atinia lediglich auf den Ausschluss der Befreiung des Manzipanten von der auctoritas-Haftung bezogen habe. In der Zeit der XII-Tafeln soll dagegen zwar schon ein Ersitzungsausschluss existiert haben, die Haftung des auctor nach Fristablauf aber dennoch weggefallen sein. Dieser Trennung von Ersitzung und Befristung der Gewährschaft kann nach der neueren Deutung des usus auctoritas Satzes nicht gefolgt werden. Der Erwerber stünde vor Erlass der Lex Atinia schutzlos da, wenn er die Sache mangels Ersitzung an den Bestohlenen herausgeben muss und dennoch keinen Rückgriff beim auctor nehmen kann. 165 Mayer-Maly, SZ RA 78, 265; SZ RA 79, 102; Studi Betti III, 483; Römisches Privatrecht, 54; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 133; FS Schulz I, 267. 166 Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 400 f.; weitere Nachweise bei Mayer-Maly, Studi Betti III, 485, Anm. 117 und von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 135. Vgl. zur „reversio in potestatem domini“: Paul. D. 41, 3, 4, 6; 47, 2, 86; D. 50, 16, 215; Lab. D. 41, 3, 4, 7; Tryph. D. 47, 2, 88; I. 2, 6, 8; I. 4, 1, 12; zum Streit, ob die Sache an den Eigentümer oder den Bestohlenen zurückkehren musste: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 138, Anm. 105. 167 Kaser, EB (II. Fn. 10), 96; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 135; Mayer-Maly, Studi Betti III, 485; SZ RA 78, 268; SZ RA 79, 102.

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geregelt sein als die bloße Wiederherstellung der Ersitzungsfähigkeit bei Rückkehr der Sache zum Herrn.

c) Ersitzungsausschluss in den XII-Tafeln Einige Autoren zweifeln ganz an der Echtheit von Gaius’ Überlieferung eines decemviralen Ersitzungsausschlusses für res furtiva. Von Lübtow versucht, den widersprechenden Quellen mit der These gerecht zu werden, der Ersitzungsausschluss für furtive Sachen gehe allein auf die Lex Atinia zurück, sei also erst durch dieses Gesetz eingeführt worden. Die einzige in dieser Hinsicht unverfälscht überlieferte Stelle klassischen Rechts sei Paul. D. 41, 3, 4, 6, wo die Lex Atinia als alleinige Quelle des Ersitzungsverbots angeführt ist. In den §§ 45, 49 des Gaius-Textes hätte ein „archaistischen Tendenzen huldigender Glossator“ die Lex Atinia durch die XII-Tafeln ersetzt169. Auch De Visscher hält die bei Gaius und Julian anzutreffende Berufung auf die XII-Tafeln für nicht glaubhaft. Anders als von Lübtow hält er diese jedoch nicht für das Werk eines späteren Glossators, sondern für den Versuch der Klassiker, dem Ersitzungsverbot nachträglich eine Legalbasis zu verschaffen170. Gut können diese Auffassungen den Gegenstand der Rückwirkungsdiskussion unter den vorklassischen Juristen erklären. Mit der angeblichen Neueinführung des Ersitzungsausschlusses musste bestimmt werden, ab welchem Zeitpunkt ein Diebstahl die usucapio verhinderte. Zu Bedenken gibt jedoch, dass die Verleugnung einer decemviralen Sonderregelung für die Ersitzung nach erfolgtem furtum auf erhebliche Textkritik angewiesen ist. Einem historischen Irrtum wird Gaius als Kenner der XII-Tafeln wohl nicht zum Opfer gefallen sein171. Ebensowenig wird er das ehrwürdige Gesetzeswerk bewusst um eine Regelung ergänzt haben, die darin noch keinerlei Spuren hinterlassen hatte. Kaum wahrscheinlich ist auch eine Änderung des Gaius-Textes durch einen späteren Bearbeiter. Was sollte es dazu für einen Grund gegeben haben? Die Lex Atinia allein entfaltet schon hinreichend Bindungswirkung zur Rechtfertigung des Ersitzungsverbotes. Ein materieller Zwang kann also ausgeschlossen werden. Der betreffende Glossator könnte höchstens in der Überzeugung gehandelt haben, dass Gaius – immerhin der Verfasser eines bekannten XII-Tafelkommentars – die decemvirale Regelung übersehen hatte. Dieses Szenario ist wenig wahr168

Mayer-Maly, Studi Betti III, 485. Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 137; FS Schulz I, 268; zurückhaltend: Mayer-Maly, SZ RA 78, 269; Söllner, FS Coing, 373. 170 Mayer-Maly, SZ RA 78, 266 m.w. N.; De Visscher geht davon aus, das XII-Tafelgesetz habe nur den Erwerb von res mancipi nach traditio geregelt, die Funktion der usucapio als Gutglaubenserwerb sei dagegen jünger. Die Lex Atinia gehöre noch der alten Ordnung an. 171 So auch von Lübtow, FS Schulz I, 267. 169

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scheinlich. Man muss sich fragen, weshalb der angebliche Glossator gemeint haben soll, es besser als Gaius zu wissen. Die durch von Lübtow vermuteten „archaistischen Tendenzen“ müssten bezogen auf die konkrete Frage nach den Folgen eines furtum für die Ersitzung eine bestimmte Ursache gehabt haben. Ohne einen greifbaren Ansatzpunkt im alten Recht wird kein Bearbeiter die Regelung auf die Decemvirn zurückgeführt haben. Die Textkritik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit schon die XII-Tafeln irgendeine explizite Sonderregelung enthielten, die im Diebstahlsfall die altrömische Ersitzungswirkung beeinträchtigte. Ob diese nun Gaius oder einen späteren Bearbeiter dazu veranlassten, das objektive Ersitzungsverbot der klassischen Zeit den Decemvirn zuzuschreiben, kann letztlich dahingestellt bleiben. Noch nichts gesagt ist damit freilich zu der Frage, wie die ursprüngliche Regelung konkret ausgestaltet war und ob sie tatsächlich schon der klassischen entsprach.

d) Ausschluss des Diebes von der Ersitzung? Kaser meinte früher im Anschluss an Mommsen und Daube, der ominöse XII-Tafelsatz habe die usus auctoritas Regel vermutlich nur gegen die Person des Diebes ausgeschlossen, so dass sich dieser nicht selbst auf den Fristablauf berufen konnte und einer unbefristeten Vindikation unterlag172. Dies habe damals genügt, da jeder Besitzer einer Sache, die der Kläger unfreiwillig aus dem Besitz verloren hatte, dem Diebstahlsverdacht ausgesetzt war. Als es sich dann durchsetzte, dem Besitzer durch Nachweis eines rechtsgeschäftlichen Erwerbes zu gestatten, den Diebstahlsverdacht zu widerlegen, habe der Ausschluss der Ersitzung einer Erweiterung auf alle gestohlenen Sachen bedurft173. Letzteres sei die Neuerung der Lex Atinia. Dieser Auffassung wird zu Recht entgegengehalten, dass ein positiv geregelter Ausschluss des Diebes selbst von der usus auctoritas Regel überhaupt nicht nötig war, da sich dieser mangels rechtsgeschäftlichen Erwerbs von vornherein nicht auf den Fristablauf berufen konnte174. Zum Gewährenzug kommt es nur dann, wenn die Sache auch durch mancipatio erworben wurde175. Somit betrifft auch dessen zeitliche Begrenzung nur den Manzipatar, nicht aber den Dieb. 172 Kaser, EB (II. Fn. 10), 369; SZ RA 68, 168 ff.; RP I, 137; anders zuvor: EB (II. Fn. 10), 96 f. – dort hatte er noch mit Leifer angenommen, dass gestohlene Sachen sämtlich ausgenommen waren, dies jedoch nur dann eine Rolle spielte, wenn der Diebstahl öffentlich kundgemacht wurde (endoplorare). 173 Kaser, RP I, 137 m.w. N.; vgl. dazu auch Völkl, Der Verkauf der fremden Sache im Westgotenreich. Ein Beitrag zum Verhältnis von Vulgarismus und germanischem Recht, SZ RA 110 (1993), 444, Anm. 70; Mayer-Maly, SZ RA 79, 104. 174 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 136; FS Schulz I, 265. 175 Siehe dazu oben II. 1. b) sowie c) bb) und cc).

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Vollständig lässt sich Kasers frühere Auffassung damit jedoch noch nicht widerlegen. Nicht umsonst führte dieser ergänzend aus, dass der Diebstahlsverdacht jeden treffe, der die abhanden gekommene Sache in Besitz habe. Dies kann durchaus auch ein rechtsgeschäftlicher Erwerber sein, der sich aufgrund eines typisierten dolus jedoch als Dieb behandeln lassen muss und mit seiner Behauptung rechtmäßigen Erwerbs nicht gehört wird. Im Ergebnis läuft Kasers Argumentation darauf hinaus, schon die Decemvirn hätten mit ihrer Regelung gestohlene Sachen ganz von der Ersitzung ausnehmen wollen, was jedoch durch die später eingeführte Möglichkeit der Widerlegung des Diebstahlsverdachtes aufgeweicht worden sei. Es fällt jedoch schwer zu glauben, dass sich der Besitzer noch in decemviraler Zeit vom Diebstahlsvorwurf nicht befreien durfte176. Der förmliche Manzipationserwerber konnte den rechtsgeschäftlichen Erwerb durch die Manzipationszeugen, den Waagehalter und seinen auctor relativ leicht und sicher nachweisen. Als Täter der Wegnahme kam er damit nicht mehr in Betracht. Doch auch seine Kenntnis vom furtum ist unwahrscheinlich. Die öffentliche Manzipation unter Hinzuziehung ehrenhafter römischer Bürger ist alles andere als ein typisches Hehlergeschäft. Für unredliche Parteien war die mancipatio denkbar ungeeignet. Damit war eine hohe Entdeckungsgefahr verbunden. Nicht nur der Dieb müsste seinen Besitz aufdecken, sondern auch der Erwerb durch den Hehler würde öffentlich. Was sollte zwei dunkle Gestalten dazu bringen, ihre Straftaten öffentlich zu begehen? Regelmäßig werden sich echte Hehlergeschäfte im Verborgenen abgespielt haben, in jener Heimlichkeit, die in primitiven Rechten als starkes Indiz für eine vorsätzliche Tat gilt177. Umgekehrt musste im öffentlichen Erwerb ein Indiz dafür gesehen werden, dass zumindest eine der Parteien nicht dolos handelte. Regelmäßig wird der Manzipationserwerber redlich gewesen sein. Ihm den Nachweis dieser Möglichkeit zu verwehren, zieht die Grenzen des furtum Verdachts zu weit und kann nicht als wahrscheinlich angesehen werden178. Kaser selbst hat seine Ansicht zuletzt aufgegeben179.

e) Ewige Gewährschaftspflicht des Diebes Die bisher behandelten Theorien gehen vom klassischen Bild der usucapio als Erwerbstatbestand aus und beziehen sich folglich auf einen XII-Tafelsatz, der primär die Ersitzungswirkung für den Diebstahlsfall beschränkt. Im Vorder176 Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Diebstahlsvorwurf neben einer Haftung auf das duplum auch eine Herabsetzung des gesellschaftlichen Ansehens des betroffenen Römers mit sich brachte, Gai. IV, 182. Ein zwingendes Verteidigungsbedürfnis liegt damit auf der Hand. 177 Vgl. dazu näher unten II. 4. b). 178 Siehe dazu oben II. 1. c) cc). 179 Kaser, SZ RA 105, 138 f.

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grund der Betrachtung stehen der mögliche Rechtsverlust des Berechtigten und umgekehrt der Rechtsgewinn des Usukapienten. Unweigerlich wird eine Norm erwartet, die entweder bestimmt, wer als Erwerber nicht ersitzen kann (Dieb), oder aber eine objektive Ausnahme für res furtiva an sich festsetzt. Ein Blick zurück auf die Deutung des usus auctoritas Satzes als Norm zur zeitlichen Beschränkung der auctoritas illustriert jedoch, dass eine Betrachtung näher liegt, welche vom jeweiligen Veräußerer als zentraler Person ausgeht. Wir hatten gesehen, dass der grundlegende XII-Tafelsatz primär eine Befristung der Gewährschaftspflichten des Manzipanten bestimmt180. Es liegt aus dieser Sicht nahe, für einen Dieb als Veräußerer eine Ausnahme zu machen und ihm erschwerend aeterna auctoritas aufzuerlegen, damit er nicht von seiner Pflicht und Haftung frei wird. Der ominöse XII-Tafelsatz wird dann ausgedrückt haben, dass der Erwerber vom Dieb die unbegrenzte Möglichkeit hatte, von diesem die Erbringung der geschuldeten auctoritas zu verlangen. Mit anderen Worten war der Dieb zur ewigen Gewährschaft verpflichtet. Für ihn galt das begünstigende Freiwerden nach Jahresfrist nicht181. aa) Die Wirkung des Satzes für die Beteiligten Mayer-Maly zieht eine solche Deutung in Betracht, gibt aber zu bedenken, dass es sich dabei für den Erwerber um ein „privilegium odiosum“ gehandelt haben müsse, da ja der Ablauf der Auktoritätsfrist die Position des Erwerbers eher stärkte als schwächte182. Doch darf man das Fortbestehen der Gewährspflicht aus Sicht des Erwerbers nicht als nur negativ betrachten. Zwar kann sich dieser im Vindikationsprozess nicht auf die Ersitzungswirkung berufen, ihm bleibt aber die auctoritas-Haftung des Diebes auf das Doppelte. Wirtschaftlich betrachtet steht der mancipio accipiens durch das Bestehenbleiben der auctoritas-Pflicht demnach sogar besser da, als sonst nach Fristablauf. Hinzu kommen gesellschaftliche Aspekte. Im überschaubaren Personenkreis der damaligen Rechtsgemeinschaft wird auch dem Erwerber daran gelegen sein, die Sache dem nachweislich Bestohlenen zu restituieren, sofern er sich am Dieb schadlos halten kann. Den latenten Verdacht eines kollusiven Zusammenwirkens mit dem Dieb kann er durch derart kooperatives Handeln zerstreuen. Könnte der Erwerber dagegen nicht mehr auf die auctoritas des Diebes zurückgreifen, dürfte er 180

Vgl. oben II. 2. b). Mayer-Maly, Römisches Privatrecht, 54 f.; SZ RA 79, 104; Kaser, SZ RA 105, 139; Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 89; Mayer-Maly, SZ RA 78, 270, stellt einen Satz zur Diskussion, der ausdrückte: „Wer von einem Dieb erworben hatte, konnte und sollte sich immer an seinen Vormann halten.“ 182 Mayer-Maly, SZ RA 78, 270. Er schließt mit einem „non liquet“ zwischen einem decemviralen Usukapionsverbot und der Gewährschaftsverlängerung für den Dieb. 181

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zwar die Sache behalten, müsste sich jedoch vom Geschädigten zeitlebens vorhalten lassen, eine gestohlene Sache nicht herausgegeben zu haben. Sein Ansehen in der Gemeinschaft bliebe möglicherweise geschädigt183. Verpflichtet man dagegen den Dieb zu aeterna auctoritas, wird die Güterordnung gewahrt und gänzlich auf seinem Rücken abgerechnet. Er haftet dann unbegrenzt sowohl dem Bestohlenen als auch dem betrogenen Erwerber. Damit sind die Interessen der beiden schützenswerten Parteien in diesem Dreierverhältnis gewahrt184. Hingewiesen sei noch auf eine praktisch wichtige Bedeutung, die ein Ausschluss der Gewährschaftsbegrenzung für den Sachverfolger mit sich brachte. Sie erhielt ihm auch nach Jahresfrist neben der Vindikationsmöglichkeit noch die Chance, durch das dingliche Sakramentsverfahren die Person des Diebes bzw. eines neuen Verdächtigen zu ermitteln. Müsste der Erwerber seinen Vormann nicht mehr benennen und laden, wäre dieser Vorteil entfallen. Damit dient die aeterna auctoritas des Diebes nebenbei auch der Aufklärung des Deliktes und bereitet die persönliche Inanspruchnahme des Täters mittels actio furti nec manifesti vor. bb) Die Neuerung der Lex Atinia Veräußerte der gutgläubige Erwerber vom Dieb die Sache weiter, dann musste er dem Dritterwerber nur ein Jahr auctoritas leisten. Er selbst war ja kein Dieb185, für ihn galt folglich die aeterna auctoritas nicht186. Aus dem Blickwinkel der Ersitzung bedeutete dies, dass der Zweiterwerber anders als der Ersterwerber ersitzen konnte. Für dessen Ansehen war das Behalten der Sache auch weniger kritisch als für den Erwerber vom Dieb. Er hatte ja von einem redlichen Veräußerer erworben. Mit der Zunahme des Warenverkehrs dürften sich die Fälle gehäuft haben, in denen der Bestohlene seine Sache erst beim übernächsten Erwerber wiedergefunden hatte und erfolglos zurückforderte. Hinzu kommt, dass die Ersitzungswirkung des usus auctoritas Satzes zu dieser 183 Welch hohes Gut das Ansehen bzw. die Würde des Einzelnen zur XII-Tafelzeit war, zeigt sich deutlich in der Verhängung der Todesstrafe für Schmähgedichte und Spottlieder – Cicero de re publica 4, 12. Vgl. zur Ehrlosigkeit des Diebes auch Gai. IV, 182. 184 Zu Fragen der Beweislast und dem Insolvenzrisiko siehe unten II. 3. 3) ee) und II. 5. 185 Hat der Erwerber dagegen Kenntnis vom Diebstahl, ist er selbst Dieb – Kaser, SZ RA 105, 139. 186 Die Lex Atinia erweiterte also erstmals die Unersitzbarkeit auf den Dritterwerber. Damit muss es auch nicht verwundern, dass Julian in D. 41, 3, 33 das XII-Tafelgesetz neben der Lex Atinia nennt. Für den Fall, dass die gestohlene Sklavin beim Erwerber vom Dieb ist, greifen schon die XII-Tafeln, für den Fall dass schon mehrmals verfügt wurde, eben die Lex Atinia. Eine Differenzierung konnte er sich damit bei der Sachverhaltsdarstellung ersparen.

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Zeit schon in den Vordergrund der Betrachtung gerückt war. Dabei missfiel insbesondere, dass gestohlene Sachen zwar nicht vom Dieb und dessen Erwerber, wohl aber von weiteren Erwerbern ersessen werden konnten und der Bestohlene unter Umständen mit seiner Vindikation keinen Erfolg hatte. Abhilfe schaffte sodann die Lex Atinia, welche die aeterna auctoritas nicht mehr wie das alte Recht an der Person des Diebes festmachte, sondern an der Furtivität der Sache selbst. Damit war ein umfassender Diebstahlsschutz gewährleistet. Der Makel der Furtivität blieb an der Sache haften und begründete für den jeweiligen Veräußerer aeterna auctoritas. Klar wird bei einem solchen XII-Tafelsatz auch der Sinn der überlieferten Rückwirkungsdiskussion zwischen den veteres. Wurde eine vor Erlass der Lex Atinia gestohlene Sache erst nach dem Inkrafttreten der Änderung beim Dritterwerber aufgefunden, war es zur Beantwortung der Frage, ob sich dieser auf die Ersitzungswirkung berufen konnte oder nicht, entscheidend, ab wann die Neuregelung Anwendung fand. cc) Vereinbarkeit der Deutung mit objektbezogenen Ersitzungsverboten in den XII-Tafeln Das XII-Tafelgesetz enthält neben dem umstrittenen Satz über die auctoritas im Diebstahlsfalle noch weitere Regelungen, die als Ersitzungsverbote überliefert sind. Einige der Ausnahmebestimmungen sind eindeutig objektsbezogen und stehen in keinem Zusammenhang mit der Pflicht eines Veräußerers zur auctoritas. (1) Ersitzungsverbot für den Grenzstreifen (confinium) So berichtet Cicero, dass eine Ersitzung des Grenzstreifens (confinium) innerhalb von 5 Fuß nicht erfolgen konnte187. Auch für den Vorhof von Begräbnisstätten (forum) und den Verbrennungsplatz (bustum)188 soll dies nach den XIITafeln gegolten haben189. Man könnte meinen, dieser Ersitzungsausschluss für bestimmte Rechtsobjekte gebe ein Argument dafür, auch den XII-Tafelsatz zum furtum nicht im oben genannten Sinne einer ewigen Gewährschaft des Diebes, sondern im Sinne eines generellen Ersitzungsverbotes für die betroffenen Objekte, nämlich die res furtiva zu verstehen. Doch betreffen diese Sätze einen ganz anders liegenden Fall. Da ein rechtsgeschäftlicher Erwerb von confinium, 187

Cic. de leg. I, 21, 55. Mayer-Maly, SZ RA 78, 257, zur Bedeutung von forum und bustum bei Festus (ed Lindsay, 29, 74); Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1102; Kaser, RP I, 138; Karlowa RG II (II. Fn. 86), 403. 189 Cic. de leg. II, 24, 61. 188

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forum und bustum als unwahrscheinlich gelten kann190, wird sich die Regelung auf die bloße Aneignung bzw. Besetzung derselben bezogen haben. Mangels Erwerbsgeschäft besteht kein innerer Zusammenhang zur Regelung des usus auctoritas Satzes und seinen Ausnahmen. Diesen besonderen Ersitzungsverboten liegt vielmehr eine archaische, erwerbsunabhängige Form der Ersitzung zu Grunde, die an der bloßen rechtsbildenden Kraft des Faktischen anknüpft191. Auch die Fristen des usus auctoritas Satzes können für diese Fälle nicht herangezogen werden192. (2) Ersitzungsverbot für res mancipi, die eine Frau ohne Zustimmung ihres agnatischen Tutors veräußert hat Besonderes gilt für den bei Gai. II, 47193 überlieferten Fall des Ersitzungsverbotes für res mancipi, die eine Frau ohne Zustimmung ihres agnatischen Tutors veräußert hatte. Hier liegt anders als in den eben bearbeiteten Fällen ein rechtsgeschäftlicher Erwerb tatsächlich vor, so dass es sich um einen Ersitzungsausschluss im Zusammenhang mit der usus auctoritas Regel gehandelt haben kann. 190 Mayer-Maly, SZ RA 78, 257 f.; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 403, betont zwar, dass forum und bustum in Privateigentum standen und nicht schon als res religiosa extra commercium einzustufen sind. Doch ist eine Veräußerung dieser Stätten mittels mancipatio kaum vorstellbar. 191 Mayer-Maly, SZ RA 78, 258. 192 Vermutlich gab es für den Eintritt der frühen erwerbsunabhängigen Ersitzungswirkung überhaupt keine festen Fristen. Die Aneignung bzw. Besitzergreifung könnte in eine mit fortlaufender Besitzdauer stetig stärker werdende Berechtigung zum Haben erwachsen sein. Wurde der Besitzer verdrängt bzw. seine Berechtigung in Frage gestellt, konnte er den bisherigen status quo durch den Einwand längeren Besitzes verteidigen. Zwischen den beiden Prätendenten entschied die jeweilig absolvierte Besitzdauer über das Recht zum weiteren Besitz, ohne dass es konkreter Fristen bedurfte. Es ging bei der frühen Sachverfolgung ja sowieso nur um die relativ bessere Position. Dies brachte den bloßen Besitzer in die Lage, sein Haben gegen Dritte verteidigen zu können, die selbst keinen originären Erwerb bzw. eine darauf zurückgehende Veräußererkette vorweisen konnten. Je länger er den usus innehatte, desto besser wurde seine Berechtigung. Möglich sind freilich auch Höchstfristen, die den Übergang zu einer absolut geschützten Stellung markierten. Diese dürften jedoch weit länger gewesen sein, als die für die Erwerbsfälle konzipierten usus auctoritas Fristen. Die XIITafeln bestimmten dazu einschränkend, dass die Dauer des Besitzes beim Streit um forum, bustum und confinium ausnahmsweise überhaupt keine Rolle spielte. Besitzer bzw. Besetzer dieser Anlagen konnten gegenüber niemanden eine Berechtigung daran erlangen. So war es den Nachfahren der Bestatteten immer möglich, forum und bustum betreten zu können. Ebenso konnte der geschützte Grenzrain nicht persönlich vereinnahmt werden. Der besondere Zweck dieser Stätten sollte gewahrt werden. 193 Gai. II, 47: (Manthe): „Res mulieris quae in agnatorum tutela erat [res mancipi] usucapi non poterant praeterquam si ab ipsa tutore traditae essent; et ita lege XII tabularum cautum est“. Übersetzung (Manthe): Sachen einer unter Vormundschaft der Agnaten stehenden Frau konnten nicht ersessen werden, außer wenn ihr Besitz von ihr selbst mit des Vormunds übertragen worden war; und so ist es im XII-Tafelgesetz bestimmt worden.

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Der Wortlaut des Textes ist allerdings sprachlich unhaltbar und unvollständig194. Es muss mit nachklassischer Bearbeitung sowie anachronistischer Terminologie des Gaius gerechnet werden. Als relativ sicher gelten kann nur, dass der klassische römische Jurist den Ausschluss der usucapio bei nicht autorisierter Veräußerung von Sachen einer Frau unter Agnatentutel auf die XII-Tafeln zurückführte195. Auch nach Jahresfrist konnte die Sache durch den Tutor noch zurückgefordert werden. Dies muss sich jedoch nicht zwingend in einem Satz über aeterna auctoritas für die betroffenen Sachen ausgedrückt haben. Befindet sich die Sache noch beim Manzipationspartner der Frau, ist dessen Erwerb schon dadurch gehindert, dass in Rom die Wirksamkeit der mancipatio an die Zustimmung des Tutors geknüpft war. Dies liegt im Hinblick auf das Wesen der Vormundschaft, wie sie bei Gai. I, 192 beschrieben ist, auch für die alte Zeit nahe196. Wirksame Veräußerungen konnte das Mündel nur im Einvernehmen mit dem Vormund vornehmen. Mangels gültigen Erwerbsgeschäfts konnte der Tutor die Sache jederzeit zurückfordern. Eine Ersitzungswirkung nach dem usus auctoritas Satz konnte automatisch nicht eintreten, da er wegen der von vornherein nicht entstandenen Gewährschaftspflicht überhaupt nicht einschlägig war197. Findet der Tutor die Sache allerdings bei einem Dritten, der sie zwischenzeitlich seinerseits durch mancipatio erworben hat, könnte der usus auctoritas Satz grundsätzlich eine erfolgreiche Vindikation verhindern, wenn seit der Manzipation durch den Kontrahenten der Frau bereits mehr als ein Jahr vergangen ist. Unter Umständen hat es in den XII-Tafeln für diese zweite Konstellation eine Bestimmung gegeben, die dem Manzipationspartner einer ohne Ermächtigung des Tutors veräußernden Frau hinsichtlich des von ihr erlangten Gutes aeterna auctoritas auferlegte198. Veräußerte er also weiter, stand dann sein Nachmann ebenso, wie der Erwerber von einem Dieb199. Eine Ersitzungswirkung trat bei ihm nicht ein. Die verlängerte auctoritas-Haftung des Kontrahenden der Frau ist auch nicht unbillig, da er die Erlaubnis des Tutors vor dem Geschäft hätte einholen können. Vielleicht bezieht sich das Zeugnis des Gaius aber auch nur auf die erstgenannte Fallgruppe, also den Ausschluss der Ersitzungswirkung beim Manzipationspartner der Frau selbst. Dieser Konstellation wird in der Praxis die größte Bedeutung zugekommen sein. 194 David/Nelson, Studia Gaiana III, 261 ff. Dagegen mit eigener Textkritik: MayerMaly, SZ RA 78, 263 f. 195 Mayer-Maly, SZ RA 78, 263. 196 In diesem Sinne: Kaser, EB (II. Fn. 10), 99; abweichend: RP I, 138; SZ RA 68, 148; Mayer-Maly, SZ RA 78, 262 ff. 197 Vgl. oben II. 2. b) – keine Ersitzungswirkung ohne mancipatio. Relevant wird dies besonders dann, wenn der Erwerber die Sache nach Fristablauf bei einem anderen vindizieren will. Er kann sein meum esse nicht auf den Fristablauf stützen, da es an der dazu erforderlichen wirksamen mancipatio fehlt. 198 Dies zieht auch Mayer-Maly, SZ RA 78, 264, in Betracht. 199 Zu dessen Stellung zusammenfassend unten II. 3. f).

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(3) Zwischenergebnis Aus den weiteren decemviralen Ersitzungsverboten lässt sich demnach nichts Zwingendes gegen ein nur auf den Dieb – also personenbezogenes – Verständnis der ewigen Gewährschaftspflicht herleiten. Im Gegenteil haben wir gesehen, dass sich der Bericht in Gai. II, 47 über das Ersitzungsverbot für nicht autorisiert veräußerte Sachen von Frauen unter Vormundschaft auch im Sinne einer ewigen Gewährspflicht des Kontrahenten der Frau verstehen lässt, der insofern also dem Dieb gleich steht. dd) Vorschlag einer Formulierung des Satzes Fraglich bleibt, wie der die ewige Gewährspflicht des Diebes ausdrückende XII-Tafelsatz konkret formuliert war. Interessant ist der nachfolgend zitierte Vorschlag von Daube200, auf den etwas näher eingegangen werden soll: „adversus furem aeterna auctoritas (esto)“

(1) Kritik bei Kaser und von Lübtow Kaser entnimmt diesem Satz, dass die Ersitzung bzw. die Verschweigenswirkung gegen den Dieb selbst ausgeschlossen sei. Als fur habe nach altem Recht allerdings jeder gegolten, der eine gestohlene Sache in Besitz hatte, auch der Manzipationserwerber201. Dagegen versteht von Lübtow den Vorschlag Daubes bereits in dem hier vertretenen Sinne, dass den veräußernden Dieb eine ewige Gewährschaftspflicht trifft und die Ersitzungswirkung somit bei dessen Manzipationspartner, nicht aber bei nachfolgenden Erwerbern ausscheide. Die Schlechterstellung des Ersterwerbers sieht von Lübtow als nicht gerechtfertigt an und verwirft daher den Satz202. (2) Vergleich mit dem Satz: „adversus hostem aeterna auctoritas“ An der vorgeschlagenen Formulierung fällt sofort auf, dass sie einem durch Cicero recht sicher überlieferten Satz der XII-Tafeln über aeterna auctoritas in Bezug auf hostes nachgebildet ist. Anstelle des Fremden ist der Dieb in den Satz aufgenommen worden. Das Original lautet: „adversus hostem aeterna auctoritas (esto)“203 200 Daube, Furtum proprium and furtum improprium, Cambridge law journal, 1937, 217 ff., 231. 201 Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 28, Anm. 37; anders: SZ RA 68, 168; zum typisierten dolus siehe oben II. 1. c) cc). 202 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 127, Anm. 37; FS Schulz, 265.

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Oftmals wird dieser Satz so verstanden, dass sich der Ausländer nicht auf die usus auctoritas Regel berufen könne. In diese Notwendigkeit könne er zum einen kommen, wenn er selbst Beklagter sei, zum anderen dann, wenn bei der Klage gegen einen Inländer der Gewährenzug auf einen Ausländer zurückführe. Der Ausländer kann also nach dieser Auffassung nicht ersitzen. Er müsse die Rechtmäßigkeit seines Erwerbs stets mittels seines auctor nachweisen204. Es solle damit verhindert werden, dass römisches Gut durch die usus auctoritas Regel entfremdet werde205. Problematisch ist an dieser Auslegung jedoch, dass in der Konsequenz römische Manzipanten ausländischen Erwerbern206 länger für die auctoritas auf das Doppelte haften, als Ihresgleichen. Insofern begünstigt die Klausel die hostes sogar. Werden sie nach Fristablauf in Anspruch genommen, müssen sie die Sache zwar bei Nichtgelingen der Gewährschaft herausgeben, können aber vom römischen mancipio dans das duplum verlangen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Decemvirn die Dauer der auctoritas-Haftung zugunsten der Ausländer verlängert haben, auch wenn damit als Reflex ein Ersitzungsausschluss erzielt worden wäre. Unerfindlich bleibt auch, wie dies der überlieferte Satz sprachlich ausdrücken soll207. Das Wort „adversus“ – gerichtet auf den Ausländer – passt einfach nicht, sieht man in dem Satz die Normierung einer ewigen Gewährschaftspflicht dessen Vormanns. Schnell verwerfen lässt sich die Auffassung, der Satz statuiere eine unbegrenzte Gewährschaftshaftung jenes Römers, der die Sachen eines Peregrinen manzipiert hatte208. Eine derartige Begünstigung der hostes kann nicht als wahrscheinlich angesehen werden209. Ebenso wenig ist anzunehmen, dass der Satz ausdrücken solle, in Kriegszeiten sei die Ersitzung wegen der allgemeinen Rechtsunsicherheit generell ausgeschlossen210. Die Übersetzung von „hostes“ 203 Cicero, De off., 1, 12, 37. Cicero zieht den Satz nur heran, um zu zeigen, dass in früher Zeit alle Peregrinen hostes genannt wurden und damit nicht nur Feinde gemeint seien. Zur Einordnung des Satzes in die XII-Tafeln vgl. Mayer-Maly, SZ RA 78, 271 ff. 204 Kaser, RP I, 136; EB (II. Fn. 10), 92 ff.; SZ RA 68, 173 f.; Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 27 f., Anm. 36; „Ius honorarium“ und „ius civile“, SZ RA 101 (1984), 15; SZ RA 105, 140 ff.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht (2003), 155; Jörs/Kunkel, Römisches Privatrecht, 135, Anm. 6. Kritik klingt an bei Mayer-Maly, Römisches Privatrecht, 55. 205 Kaser, RP I, 136; EB (II. Fn. 10), 92 ff.; SZ RA 68, 173 ff.; SZ RA 105, 140 ff. 206 Die Möglichkeit des Rechtsverkehrs römischer Bürger mit Ausländern ergibt sich bereits aus dem genannten Zitat Ciceros, De off., 1, 12, 37; Mayer-Maly, SZ RA 78, 271, Anm. 223 m.w. N. Sofern den hostes das commercium übertragen worden ist, können sie auch an einer Manzipation beteiligt sein, Kaser, RP I, 35 f., Anm. 33 m.w. N. 207 Mayer-Maly, Römisches Privatrecht, 55. 208 Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 406; Nachweise bei Mayer-Maly, SZ RA 78, 274 f. 209 So auch Kaser, RP I, 137. 210 Vgl. die Nachweise bei Kaser, RP I, 13, Anm. 26.

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als „Kriegsfeinde“211 widerspricht gerade dem Anliegen Ciceros, mit dem Zitat aus den XII-Tafeln auf die frühere Bedeutung des Wortes im Sinne von „Ausländer“ statt „Feinde“ hinzuweisen. Näher liegt schon Mayer-Malys Verständnis des Satzes. Er sieht dessen Geltungsbereich auf das besondere internationale Verfahren der XII-Tafelzeit mit Fremden212 beschränkt213. Benötigte ein Römer dabei die Gewährschaftshilfe seines Vormannes, dann sollte sich dieser auch nach Fristablauf noch zur Verfügung stellen müssen. Keinen Unterschied machte es, ob der Römer Kläger oder Beklagter war. Begünstigend habe sich die Gewährschaftshilfe in diesem Verfahren immer ausgewirkt, da eine an sich eingetretene Ersitzung wegen der Internationalität des Schiedsverfahrens nicht gezählt habe214. Eine Begrenzung des Satzes auf den Peregrinenprozess ist zwar denkbar215 aber nicht zwingend. Zwar erwähnt Cicero dieses Verfahren an selbiger Stelle216, doch ist daraus nicht gesagt, dass die Begriffe auch in seiner decemviralen Quelle beieinander standen. Wir wissen über den Ablauf das Schiedsverfahrens, insbesondere die dort angewandten prozessualen Formalien bzw. Beweismöglichkeiten zu wenig, um die Bedeutung des XII-Tafel Satzes sicher darauf beschränken zu können. Hier soll der weiteren Möglichkeit gefolgt werden, dass der XII-Tafelsatz dem Ausländer eine generelle Pflicht zur ewigen Gewährschaft auferlegt hat. Es ist zu übersetzen: „Gegen den Fremden besteht ewiger Anspruch auf Gewährschaft.“

Mit dem Wortlaut des Satzes ist diese Deutung gut zu vereinbaren. Das Wort „adversus“ bezeichnet die Zielrichtung des Anspruches auf Gewährschaftsleistung. Er ist gegen den Ausländer gerichtet. Dieser wird durch das Auferlegen der aeterna auctoritas aus seiner Manzipation dauerhaft in Pflicht und Haftung genommen. Zu seinen Ungunsten wirkt sich die Beschränkung der usus auctori211 Dagegen auch Kaser, SZ RA 105, 140; Mayer-Maly, SZ RA 78, 271, Anm. 221 m.w. N. 212 Tab. II, 2 – Düll, Das Zwölftafelgesetz, 32 – handelt von der Vertagung des Gerichtstermins mit Fremden (status dies cum hoste). Dazu näher Kaser, SZ RA 101, 15 ff., Anm. 58 m.w. N. 213 Mayer-Maly, SZ RA 78, 276: Er übersetzt: „Wenn es gegen einen Ausländer geht, gibt es keine Befristung der Gewährschaft“. 214 Mayer-Maly, SZ RA 78, 276, unter Berufung auf Noailles, Fas et jus (1948), 279 f. 215 Kaser, RP I, 136, Anm. 23, wendet dagegen ein, es bedürfe eines Satzes mit solcher Bedeutung schon deshalb nicht, weil der Erwerber durch den Ablauf der Usukapionsfrist mit keinem Verlust bedroht sei. Dies geht auf seine Ansicht zurück, die Gewährschaftshaftung – und damit das Zwangsmittel gegen den Veräußerer – sei nicht befristet, RP I, 135, Anm. 12. Dies lässt sich jedoch nicht halten. Insbesondere führt eine Weiterveräußerung vor Fristablauf nicht zu „unhaltbaren Folgerungen“ – vgl. oben II. 2. b) dd) (6). 216 Cic. De off. 1, 12, 37.

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tas Regel primär aus. „Aeterna auctoritas“ bezeichnet gleichermaßen die ewige Pflicht des ausländischen Veräußerers zur Gewährschaft wie ein ewiges Recht des Erwerbers, diese einfordern zu können und den Fremden haftbar zu machen. Sachlich begründen lässt sich eine solches Verständnis des XII-Tafelsatzes mit dem archaischen Misstrauen gegen die hostes217. Zwar lässt man diese schon früh am innerrömischen Rechtsverkehr durch Verleihung des commercium teilnehmen, doch bleiben einige Vergünstigungen römischen Bürgern vorbehalten. Anders als beim Erwerb von einem Römer sah man bei einem fremden Veräußerer wohl eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass er nicht der tatsächlich Berechtigte an der Sache ist. Er muss seine Befugnis im Streitfall folglich stets durch die Benennung seiner Vormänner konkret nachweisen. Die Ladung als auctor und die Eviktionshaftung kann der hostis nach decemviralen Recht anders als der römische Veräußerer nicht mit dem Hinweis auf den Fristablauf verweigern. Es kam somit nicht zur Ersitzungswirkung. Die hostes erschienen wohl nicht vertrauenswürdig genug, weshalb ihren Geschäftspartnern nur eine tatsächlich geleistete Gewährschaft, nicht aber der bloße Zeitablauf zum Prozessgewinn verhalf. Der Rechtsverkehr mit hostes war demzufolge etwas risikoreicher als mit Römern. Im Eviktionsfall konnte sich der Erwerber jedoch mit der Gewährschaftsklage gegen den Fremden schadlos halten. Gänzlich unersitzbar macht die Veräußerung durch einen Ausländer die Sache freilich nicht. Manzipiert sie der römische Erwerber weiter, dann läuft im Verhältnis zu seinem mancipio accipiens die usus auctoritas Frist neu an. Letzterer erwirbt ja nicht von einem Fremden. (3) Zwischenergebnis: Pflicht zur „aeterna auctoritas“ für Diebe und Fremde Nach der hier vertretenen Auffassung haben der durch Cicero überlieferte Satz über die auctoritas der hostes sowie der von Daube rekonstruierte Satz über die auctoritas der Diebe gemeinsam, dass für die jeweiligen Personengruppen eine Ausnahme von der Befristung der Gewährschaftspflicht bestimmt wird. Fällt der Gewährenzug auf einen Dieb oder Fremden, ist dieser tatsächlich zu erbringen, unabhängig vom Fristablauf. Misslingt die auctoritas, verliert der Erwerber zwar den Vindikationsprozess, kann sich aber am fur oder hostis unbefristet schadlos halten. Dieser Befund verträgt sich auch gut mit dem Anliegen des usus auctoritas Satzes, durch Festsetzen der Manzipationswirkung Rechtssicherheit zu schaffen. Der Fristablauf soll nur dann eine endgültige, unter Umständen neue Rechtslage schaffen, wenn der Veräußerer auch objektiv hinreichend zuverlässig ist. Bei Dieben und Ausländern war dies nach frührömischer Anschauung nicht der Fall. 217

Kaser, SZ RA 68, 174.

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ee) Darlegungs- und Beweispflichten im Prozess Zu klären bleibt noch, was der Sachverfolger im Prozess konkret darlegen und beweisen musste, um im Falle eines Diebstahles mit seiner Vindikation auch nach Jahresfrist noch durchzudringen. Anders als die Einordnung als hostis ist eine solche als fur problematisch. Der Bestohlene wird oftmals zwar relativ einfach nachweisen können, dass ihm die Sache gestohlen wurde. Eher selten wird es ihm jedoch gelingen, die Person des Diebes benennen und beweisen zu können. (1) Ewige Gewährschaftspflicht nicht nur für „notorische Diebe“ Möglich wäre zunächst, dass die ewige Gewährschaftspflicht für solche Personen konzipiert wurde, die bereits durch einschlägige Delikte in Erscheinung getreten sind. Beruft sich der Besitzer im Vindikationsverfahren auf einen solchen, von vornherein verdächtigen auctor, dann muss dieser auch nach Fristablauf noch geladen werden und Gewährschaft leisten. Ein solches Verständnis der Regelung würde einen Ersttäter jedoch unbegründet bevorzugen. Das Wort „fur“ wird auch nicht nur für Wiederholungstäter, sondern ganz allgemein gebraucht. Überzeugen kann eine Beschränkung auf notorische Diebe daher nicht. (2) Keine vollumfängliche Nachweispflicht des Bestohlenen Theoretisch denkbar erscheint, dass die Täterschaft des Auktors im Vindikationsprozess bereits verbindlich feststehen musste, um eine Ladung noch nach Fristablauf zu erzwingen. Allerdings wäre dann der aeterna auctoritas Satz praktisch kaum von Bedeutung. Der Sachverfolger wäre nämlich gezwungen, schon im Vorfeld der l.a.s.i.r. oder während des Prozesses den Verdächtigen mittels actio furti nec manifesti in Anspruch nehmen, um diesen als Dieb und damit ewig haftenden Gewähren zu qualifizieren. Dies birgt für ihn ein hohes Prozessrisiko und läuft dem oben angenommenen Motiv für die Einführung der Vindikation218 zuwider. (3) Hinreichender Anfangsverdacht bei bloßem Nachweis der Tat Vermutlich hat man den Nachweis der Tat an sich genügen lassen, um einen ausreichenden Verdacht gegen den Vormann des Besitzers zu begründen. Es ergibt sich dann ein abgerundetes Bild. Regelmäßig wird der Bestohlene den Diebstahl nach dessen Entdeckung kundbar gemacht und eventuelle Spuren auch unter Beiziehung der Nachbarn gesichert haben219. Die Tat an sich sollte 218

Vgl. oben II. 1. c) cc).

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er damit beweisen können. Der unmittelbare Diebstahlsverdacht trifft dann zunächst denjenigen, bei dem er die Sache wiederfindet. Beruft sich dieser zum Nachweis seiner Berechtigung auf eine stattgefundene Manzipation und kann er diese durch die Zeugen des Libralaktes beweisen, hat sich der ursprüngliche Verdacht zwar als falsch erwiesen, trifft jedoch sogleich den Manzipanten, welcher von nun ab als fur angesehen wird. Der Verdacht allein genügt für dessen Ladung. Für eine erfolgreiche Beistandsleistung reicht dem Manzipanten nach Fristablauf allerdings schon aus, den Diebstahlsverdacht seinerseits abzuwenden, etwa durch Beweis eigenen rechtsgeschäftlichen Erwerbs mittels Zeugen. Steht damit fest, dass der Vormann des Besitzers kein Dieb ist, greift der usus auctoritas Satz ein und die Sachverfolgung scheitert. Seine Berechtigung muss nicht mehr geprüft werden. Kann er jedoch selbst keinen irgendwie gearteten Erwerbsvorgang nachweisen, gilt er als Dieb und der Bestohlene gewinnt den Vindikationsprozess gegen den Besitzer auch noch nach Fristablauf, da der dann weiterhin erforderliche Gewährenzug nicht gelingen kann.

f) Zusammenfassung und Zwischenergebnis In decemviraler Zeit lässt sich mangels Existenz eines durchgebildeten materiellen Ersitzungstatbestandes zwangsläufig auch noch keine unmittelbare Ausnahme für furtive Sachen erkennen, wohl aber existiert bereits eine Sonderregelung betreffend die ewige Gewährschaftspflicht für Diebe. Als Reflex dieser Bestimmung tritt die einer Ersitzung nahekommende, günstigere Stellung im Vindikationsprozess für den Erwerber vom Dieb nicht ein. Der Bestohlene hat damit gegen diesen auch nach Fristablauf noch die Möglichkeit, die Sache erfolgreich mit der l.a.s.i.r. herauszuverlangen. Die Lex Atinia erweiterte dann den Schutz des Geschädigten, indem sie die ewige Gewährschaft nicht mehr an die Person des Veräußerers, sondern die Sache selbst knüpft. Dies war notwenig geworden, weil der erhöhte Warenverkehr dazu führte, dass die Sache oftmals nicht mehr beim Dieb selbst oder dessen Erwerber, sondern bei einem Dritten wiedergefunden wurde. Während der Ausnahmetatbestand ursprünglich darauf gerichtet war, den Dieb von der vorteilhaften Haftungsfreistellung der übrigen Manzipanten nach Fristablauf auszunehmen und eine Rückabwicklung auf seine Kosten zu ermöglichen, stand zu Zeiten der Lex Atinia bereits der Schutz des Bestohlenen bzw. der Ausschluss der Ersitzungswirkung im Vordergrund. Dies zeigt sich deutlich daran, dass nun auch der nichtdeliktische Veräußerer ewige Gewährschaft leisten muss und für die Eviktion haftet, sofern er nur eine res furtiva veräußert hat.

219 Zum Kundbarmachen des Diebstahls im frühen römischen Recht entsprechend dem germanischen Gerüft: Gai. D. 9, 2, 4, 1; Kaser, EB (II. Fn. 10) 38 ff.; RP I, 157.

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4. Inhalt und Ausdehnung des altrömischen furtum Begriffes Die Reichweite des Deliktes furtum ist für das altrömische Recht problematisch. In dieser Arbeit wurde bisher unreflektiert von Diebstahl gesprochen, weil nur dessen Erfassung als typisches furtum auch für die Frühzeit als gesichert gelten kann. Im Folgenden soll nun näher untersucht werden, ob nach altrömischem Recht auch Fälle der Unterschlagung, der Veruntreuung und des Raubes als furtum behandelt wurden.

a) Meinungsstand Es zeigt sich in der Literatur ein breites Spektrum an Theorien zu dieser Frage. Nach überwiegender Auffassung ist unter dem furtum der XII-Tafelzeit allgemein das Wegtragen fremder Sachen bzw. das Wegführen von Tieren oder gewaltunterworfenen Personen zu verstehen. Zwingend notwendig ist danach ursprünglich ein Gewahrsamsbruch. Heimliches Vorgehen sei dagegen nicht erforderlich. So verstanden umfasst das archaische Delikt sowohl Diebstahl als auch Raub, nicht aber Unterschlagung bzw. Veruntreuung220. Demgegenüber sind andere der Meinung, ursprünglich sei ausschließlich die heimliche Wegnahme als furtum gewertet worden. Der gewalttätige, offene Gewahrsamsbruch (Raub) ist danach nicht vom Tatbestand erfasst221. Eine dritte Gruppe von Autoren nimmt bereits für die XII-Tafelzeit einen sehr weiten furtum Begriff an. Bereits damals sei auch die Unterschlagung mit umfasst gewesen222.

220 Pernice, Parerga VI, VII, SZ RA 17 (1896), 216; Hitzig, SZ RA 23, 318 f.; Taubenschlag, Zur Geschichte des Hinterlegungsvertrages im römischen Recht, GrünhutsZ 34 (1907), 686; Schepses, Über Heimlichkeit als Tatbestandsmerkmal des furtum, SD 4, 100; von Lübtow, Beiträge zur Lehre von der Condictio nach römischem und geltendem Recht (1952), 91 f.; Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 131 ff.; Kaser, EB (II. Fn. 10), 97, Anm. 47; Neubert (I. Fn. 11), 115; etwas zweifelnd: Kaser, RP I, 157, Anm. 23. 221 Niederländer, SZ RA 67, 186 ff.; Rezension zu: Albanese, La nozione del furtum fino a Nerazio (1953), Iura 5 (1954), 344 ff.; zustimmend Kaser, SZ RA 68, 139; Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1107; Kübler, Geschichte des römischen Rechts (1929), 53; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 785: „Soweit die Ansichten römischer Juristen bekannt sind, haben sie immer auch den Raub unter den Begriff des furtum subsumiert, also die Heimlichkeit der Tat nicht als Begriffsmoment des furtum gesehen. Daß das Recht zur Zeit der XII Tafeln schon derselben Auffassung gefolgt sei, bezweifle ich: es deuten vielmehr verschiedene Anzeichen darauf hin, daß Klandestinität damals ein Begriffsmerkmal des furtum war.“ 222 Kübler, Geschichte des römischen Rechts, 52; Niemeyer, Fiducia cum amico und depositum, SZ RA 12 (1892), 320; Disse, Die Privilegierung der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) gegenüber Diebstahl (§ 242 StGB) und Unterschlagung (§ 246 StGB) (1982), 268.

4. Inhalt und Ausdehnung des furtum Begriffes

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b) Heimlichkeit als Tatbestandsmerkmal des altrömischen furtum Der Bruch fremden Gewahrsams lässt sich vereinfacht betrachtet in zweierlei Weise begehen. Entweder tritt der Täter heimlich in Erscheinung, versucht eine Konfrontation zu umgehen und hofft unerkannt zu entkommen, oder er stellt sich dem Inhaber offen entgegen, wobei eventueller Widerstand notfalls mit Drohung bzw. Gewalt gebrochen wird. Gemeinsam ist beiden Tatmodalitäten der Erfolg (Gewahrsamsbruch), unterschiedlich die Begehungsweise und regelmäßig auch der Täterkreis. Fragt man nach der Heimlichkeit als Tatbestandsmerkmal des furtum, so geht es letztlich darum, ob neben dem einfachen Diebstahl223 auch Raub bzw. räuberische Erpressung224 unter diesen Begriff fielen. Wurden die beiden denkbaren Fälle des Gewahrsamsbruchs in den XII-Tafeln als einheitliches Delikt behandelt? aa) Quellenbetrachtung Gegen eine altrömische Beschränkung des furtum Begriffes auf heimlich weggenommene Sachen spricht zunächst der Wortlaut von Gai. II, 49. Dort wird sowohl das Ersitzungsverbot für furtive als auch gewaltsam erlangte Sachen auf das XII-Tafelgesetz zurückgeführt. Daraus wird mitunter kurz gefolgert, die res vi possessae seien ursprünglich in den res furtivae mit inbegriffen gewesen225. Allerdings findet sich bei Gaius in unmittelbarer Nähe (Gai. II, 45) die konkret unterscheidende Formulierung: „nam furtivam lex XII tabularum usucapi prohibet, vi possessam lex Iulia et Plautia“226. Die herrschende Lehre löst den offenen Widerspruch zugunsten der letzteren Stelle. Der Passus „et vi possessarum“ in Gai. II, 49 wird entweder als Glosse betrachtet227, oder als 223

Der einfache Diebstahl im modernen Sinne, § 242 StGB, ist allerdings keine heimliche Tat. 224 Die juristisch feine Unterscheidung zwischen Raub (§ 249 StGB) und räuberischer Erpressung (§§ 253, 255 StGB) kann dem archaischen Recht noch nicht zugeordnet werden und daher außen vor bleiben. Ein offenes Vorgehen unter Anwendung von Gewalt bzw. Drohung mit Gewalt liegt in beiden Tatbeständen vor. Ob der Täter nun selbst wegnimmt oder ein Geben erzwingt, ändert am Erscheinungsbild als offene Tat nichts. 225 Pernice, SZ RA 17, 217. 226 Text und Übersetzung oben II. (Einleitung); vgl. auch I. 2, 6, 2. 227 Kaser, EB (II. Fn. 10), 97, Anm. 47; von Lübtow, FS Schulz I, 268, Anm. 1; Niederländer, Iura 5, 346, Anm. 8; Mayer-Maly, SZ RA 78, 266. Starkes Indiz ist der falsche Singular „huic“ im nächsten Teilsatz. Wäre dort der vi possessor neben dem fur mit erwähnt gewesen, hätte der Pural „his“ verwendet werden müssen. Vgl. auch die bei von Lübtow, FS Schulz I, 268, Anm. 1 Genannten; anders: David/Nelson, Studia Gaiana III 2, 266 f., mit sowohl sprachlichen als auch sachlichen Bedenken; dagegen wiederum Mayer-Maly, Zur Textgestalt in Gai. II, 41–46, Iura 11 (1960), 206 f.

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bloße gaianische Darstellung einer irrigen Volksmeinung eingestuft228. Dem Versuch Albaneses, die Stelle gegen die allgemeine Meinung zu retten, ist Niederländer in seiner Rezension mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten229. Mit absoluter Sicherheit klären lässt sich die Echtheit von Gai. II, 49 und das Verhältnis der Aussage über die res vi possessae zu der in Gai. II, 45 zwar nicht. Unzulässig ist es jedenfalls, die Heranziehung der XII-Tafeln für die Unersitzbarkeit gewaltsam erlangter Sachen allein auf den Wortlaut in Gai. II, 49 zu stützen. Dazu sind die in den Quellen überlieferten Hinweise auf die Lex Iulia et Plautia230 in unserem Zusammenhang zu deutlich. Außer in Gai. II, 45 wird derselbe Bezug auch in I. 2, 6, 2 sowie D. 41, 3, 33, 2 hergestellt231. Nicht auszuschließen bleibt freilich die theoretische Möglichkeit, dass der furtum Begriff der XII-Tafeln ursprünglich zwar auch die gewaltsame Wegnahme erfasste, später dann jedoch vorübergehend eingeengt wurde und daher die Leges Iulia und Plautia als Korrektur nötig wurde232. Unter Zugrundelegung einer solchen Entwicklung ließen sich zwar beide Gaius Fragmente halten, fraglich wird jedoch, welche sachlichen Gründe zu dieser Schwankung im Verständnis der offenen gewaltsamen Wegnahme geführt haben sollen233. Unklar ist schon der Zeitpunkt der angeblich einengenden Interpretation. Bei Entstehung der Lex Atinia müsste der Vorgang jedenfalls schon abgeschlossen gewesen sein. Von ihr wissen wir, dass in der bereits zitierten Stelle über das Ersitzungsverbot234 nicht unmittelbar von einem furtum die Rede ist, sondern das Wort subrumpere gebraucht wird. Dieses bezeichnet technisch ein Wegnehmen in heimlicher Weise235. Geht man davon aus, es habe im Zwölftafelrecht ursprünglich ein Gebot über aeterna auctoritas jeglicher Gewahrsamsbrecher gegeben, dann mutet es sonderbar an, dass die Lex Atinia entgegen ihrer sonstigen erweiternden Tendenz236 die Geltung auf eine heimliche Weg228 Kaser, RP I, 137, Anm. 27. Dafür spricht vor allem Gaius’ Einleitung: „Quod ergo vulgo dicitur . . .“; anders: Mayer-Maly, Iura 11, 206 f., der anknüpfend an Solazzi die Meinung vertritt, dass Gaius diese Formulierung nur zur Bezeichnung geringfügiger Präzisionsmängel, nicht aber für handfeste Irrtümer genutzt hat. Näher dazu: Mayer-Maly, „Vulgo“ und Vulgarismus, Labeo 6, 7 ff. 229 Niederländer, Iura 5, 346, Anm. 8. 230 Lex Plautia zw. 78 u. 63 v. Chr., Lex Iulia in Zeiten Caesars oder Augustus’; Gai. II, 45; D. 41, 3, 33, 2; Kaser, RP I, 420; Niederländer, SZ RA 67, 192 f. 231 In Venul. D. 47, 8, 6 sowie I. 2, 6, 3 ist lediglich von einem Verbot „per legem“ die Rede, ohne das betreffende Gesetz näher zu bezeichnen. Allerdings liegt für I. 2, 6, 3 die Anknüpfung an I. 2, 6, 2 sehr nahe. Es zeigt die Verlegenheit der Institutionenverfasser gegenüber dem historischen Irrtum ihrer Vorlage, Mayer-Maly, Iura 11, 207. 232 David/Nelson, Studia Gaiana III 2, 267. 233 David/Nelson, Studia Gaiana III 2, 266 f., geben darauf keine Antwort. 234 Vgl. oben II. 3. 235 Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 785; Niederländer, SZ RA 67, 190; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 133; FS Schulz I, 267; Kaser, EB (II. Fn. 10), 95, Anm. 42.

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nahme beschränkt haben soll, indem sie der vermuteten einengenden Interpretation gesetzlichen Rang verschaffte. Mit Recht hat Niederländer zu bedenken gegeben, dass damals bereits die unruhigen Zeiten des zweiten Jahrhunderts vor Christus angebrochen waren, wo Räubereien stark zugenommen hatten. Eine Beschränkung des Schutzes vor gewaltsamen Wegnahmen darf in dieser Periode nicht erwartet werden237. Wahrscheinlicher ist da schon, dass sich das atinische Gesetz einfach des decemviralen Tatbestandes des Deliktes unreflektiert bediente. Es ging eben allein um die oben aufgezeigte Erweiterung des Schutzes vor einer Ersitzung. Die Gleichstellung der gewaltsam weggenommenen mit den gestohlenen Sachen erfolgte dann erst später durch die Lex Plautia de vi und die Lex Iulia de vi, als die Räubereien ein solch hohes Maß angenommen hatten, dass die Interessen der geschädigten Eigentümer durch drohende Ersitzungen gefährdet waren. Es ist danach eher unwahrscheinlich, dass diese beiden Gesetze ein decemvirales Ersitzungsverbot für res vi possessae lediglich wiederholt haben. bb) Sinn und Zweck des Merkmals der Heimlichkeit Da sich die Ausdehnung des furtum Begriffes aus den wenigen sicher der Frühzeit zuzuordnenden Quellenzeugnissen leider nicht mehr zweifelsfrei erschließen lässt238, kommt der Frage nach dem Sinn und Zweck einer möglichen Begrenzung des Tatbestandes auf die heimliche Wegnahme die entscheidende Bedeutung zu. Dabei sind die Besonderheiten der frühen römischen Gesellschaft zu berücksichtigen. Es ist insbesondere zu klären, ob eine deliktische Erfassung der offenen Wegnahme im archaischen Rom mit anderen wichtigen Grundsätzen des damaligen Warenverkehrs bzw. des Rechtssystems überhaupt vereinbar wäre. (1) Die offene Wegnahme als regelmäßige Form des Sacherwerbs Ulrich von Lübtow hat anhand der Lehren der ethnologischen Volkswirtschaftslehre nachgewiesen, dass sich der Wirtschaftsverkehr zwischen den ein236

Vgl. dazu zusammenfassend oben II. 3. f). Niederländer, Iura 5, 345. 238 Die Darstellung des Raubes und der Klage daraus bei Gai. III, 209; I. 4, 2 und D. 47, 8 gibt für die altrömische Zeit direkt nichts her. Höchstens mittelbare Rückschlüsse aus der klassischen Rechtslage sind möglich. So scheint die eigenständige Entwicklung der actio vi bonorum raptorum aus dem Edikt des Lukull sinnlos, sofern man annimmt, der Raub sei schon immer auch als furtum betrachtet worden, Niederländer SZ RA 68, 231. Freilich sind solche Schlüsse unsicher. Ebenso kann die unterschiedliche Buße, die im Gegensatz zum Diebstahl bei Raub im ersten Jahr in Höhe des Vierfachen des Sachwertes, danach in Höhe des einfachen Wertes zu leisten war, Ulp. D. 47, 8, 2, ein Grund für die andere Herleitung gewesen sein. 237

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zelnen Sippen bzw. Familien in der Frühzeit ursprünglich auf feindlichem Wege, also durch Aneignung von Sachgütern vollzogen hat. Drastisch ausgedrückt, ist danach die Wurzel des Güterverkehrs der Raub239. Rechtsverkehr und Rechtsschutz obliegen zunächst allein dem einzelnen Verband (familia bzw. gens240). Wird eine Sache weggenommen, ohne eine ausreichende Gegenleistung dafür zu erbringen, reagiert die betroffene Gemeinschaft mit Vergeltung (Fehde). Der Gedanke an gewaltsames Nehmen der fremden Rechtsgüter bleibt auch in späterer Zeit noch erhalten, als sich bereits eine friedliche Gemeinschaft gebildet hatte241. So finden sich nach h. M. auch im römischen mancipium Spuren eines Wegnahmeaktes. Kaser bemerkt dazu: „Der Erwerber tritt in auffallend schroffer, brüsker, um nicht zu sagen, feindseliger Weise auf; er entfaltet allein die ganze Aktivität und drängt den Veräußerer in die Rolle des stummen Zuschauers und Geldempfängers zurück.“242. Es handelt sich bei der mancipatio nicht um einen Akt der Rechtsübertragung, sondern nach h. M. um einen einseitigen Zugriff, den der Veräußerer lediglich untätig über sich ergehen lässt243. Erst im Laufe der Zeit verschiebt sich der Akzent vom Nehmen des Empfän239 Von Lübtow, Das altrömische nexum als Geiselschaft, SZ RA 56 (1936), 243; Beiträge (II. Fn. 220), 92; Kaser, EB (II. Fn. 10), 136 ff. Zum Raub als wichtigen und legitimen Erwerbsgrund im griechischen Recht, vgl. Bruck, Totenteil und Seelgerät im griechischen Recht (1926), 45 ff., 49 ff.: „Der Raub ist nicht widerrechtlich, ja er wird nicht einmal als unmoralisch empfunden, er ist erlaubt und – neben der Eigenproduktion – der wichtigste Fall des legitimen Eigentumserwerbs.“ m.w. N.; einschränkend für den Raub an eigenen Volksgenossen und Verbündeten, 53 f. 240 Kaser/Hackl, RZ, 26; Kaser, RP I, 53 f. 241 Kaser, Stellvertretung und „notwendige Entgeltlichkeit“, SZ RA 91 (1974), 155; EB (II. Fn. 10), 138; RP I, 45. 242 Kaser, EB (II. Fn. 10), 137. 243 Der Erwerber begründet das Recht bei sich neu durch förmlichen Zugriff auf den Gegenstand, also einen Akt ritualisierter Eigenmacht, vgl. statt vieler Kaser, RP I, 45 m.w. N. Dagegen: Wolf, Mélanges André Magdelain, 505 ff., der einen Zugriff abstreitet, vgl. schon oben II. 1. b). Der Erwerber bekunde mit dem förmlichen Ritual vielmehr, dass er die Rechtsherrschaft über die Sache bereits habe. Die Handanlegung sei von der Spruchformel nicht zu trennen und habe keine eigene Bedeutung. Der Erwerber veranschauliche damit lediglich seine Rechtsbehauptung. Es werde in der mancipatio so getan, als gehöre die betreffende res mancipi schon immer dem Erwerber (so auch: Manthe, FS Mayer-Maly 2002, 437 f.; Geschichte des römischen Rechts, 20 ff.). Auf diese Weise sei ein für Haustiere, Sklaven und Arbeitstiere bestehendes Veräußerungsverbot überlistet worden. Die mancipatio habe so der „Veräußerung des Unveräußerlichen“ gedient. Sie sei eigens dazu von den pontifices als Instrument einer aggressiven Rechtsfortbildung geschaffen worden. Bei diesem Verständnis fragt sich allerdings, weshalb das Ritual – wenn dessen offizielles Thema gerade nicht Rechtserwerb sondern bloße Rechtsbehauptung ist – dennoch das Verb capere in seinem Namen führt. Wenn der Erwerb der Rechtsstellung nicht Gegenstand der mancipatio ist, kann sich das capere nur auf den tatsächlichen Zugriffsakt mit der Hand beziehen, der dann aber doch mehr zu sein scheint, als bloße Veranschaulichung des Gesprochenen (vgl. zur Etymologie näher unten Fußn. 293). Er ist offene Wegnahme, wenn auch mit der Behauptung, Rechtsinhaber zu sein.

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gers hin zum dare des Verlierers244. Der Wandel prägt auch das Verständnis des Wortes mancipare. Dieses ist gebildet aus manu capere und bezeichnete ursprünglich wohl das Ergreifen des Objektes mit der Hand durch den Erwerber245. Mancipare im Sinne von veräußern wird erst eine jüngere Lesart sein. Es hat sich ein Bedeutungswandel vollzogen246. Bei Entstehung des XII-Tafelgesetzes ist dieser Prozess freilich schon weit fortgeschritten. Der Güterverkehr funktioniert größtenteils auf friedlichem Wege. Im Ritual der decemviralen mancipatio sind jedoch noch immer Zeugnisse des gewaltsamen Zugriffes vorhanden. Nach wie vor greift der Erwerber einseitig auf die Sache zu und lässt den Geldbetrag zuwiegen bzw. schlägt mit der Münze an die Waage, die dann anstatt des Preises übergeben wird (mancipatio nummo uno)247. Der Veräußerer bleibt beim Ritual rein passiv. Andererseits zeigt die Entstehung der mancipatio nummo uno hinreichend deutlich, dass der Übertragungsakt bereits zu einer bloßen Formsache geworden ist, der den tatsächlichen Vorstellungen des Warenverkehrs nicht mehr entspricht. Die Parteien sind sich bereits außerhalb des Rituals über einen Preis einig geworden und bedienen sich der mancipatio nur der formellen Verfügung wegen. Ebenso wie sich in der mancipatio alte Vorstellungen einer gewaltsamen Bemächtigung fremder Sachen in decemvirale Zeit fortschleppen, ist es auch für das Delikt des furtum wahrscheinlich, dass dieses seine Prägung weit vor den XII-Tafeln erhalten hat und diese an ihm haften bleibt, solange nicht relevante Veränderungen der Lebensumstände eine Anpassung erfordern. Auch in Rom wird, wie für primitive Rechtsordnungen typisch, zunächst der wahrnehmbare Erfolg maßgebend für die deliktische Erfassung gewesen sein. Beim furtum ist dies die Wegnahme, der sinnfällige Bruch des Gewahrsams. Vollzieht sich jedoch auch der regelmäßige Warenverkehr in Form eines einseitigen Zugriffs auf die Sache, ist dieser notwendigerweise vom Delikt furtum abzugrenzen. Aus moderner Sicht bietet sich dazu die Schädigungsabsicht des Täters beziehungsweise das Einverständnis des Verlierers an. Man könnte meinen, der geduldete Zugriff im Rahmen des Warenverkehrs sei leicht vom räuberischen Zugriff zu unterscheiden. Doch sind jugendlichen Rechte bei der Beachtung des inneren 244 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 93: „. . . während dare ursprünglich ,freigeben, damit der andere sich aneignen kann‘ bedeutete, gewann es jetzt den Sinn von übergeben = übereignen; es verengte also seinen Bedeutungswert.“; Kaser, SZ RA 91, 155: „Auch das Geben ist nur eine Duldung des Nehmens.“ 245 Gai. I, 121 „,mancipatio‘ dicitur, quia ,manu‘ res ,capitur‘“. Wolf hält diese Erklärung für eher unwahrscheinlich. Zwar sei es richtig, dass das Wort aus manus und capere gebildet sei. Doch bezeichne manus nicht nur die Hand, sondern auch die Hausgewalt. Nehme man an, dass die Stammform manu- den Akkusativ vertrete (wie etwa au- in auceps) , dann sei ein Verständnis von mancipium als Akt, durch den die Hausgewalt erworben wird, zu vermuten. Weitere Deutungsmöglichkeiten bei Kaser, AI (II. Fn. 24), 136 ff. m.w. N. 246 Kübler, Geschichte des römischen Rechts, 39; Kaser, RP I, 44. 247 Vgl. oben II. 1. b); Gai. I, 119; Kaser, RP I, 43 ff. m.w. N.

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Tatbestandes regelmäßig sehr zurückhaltend. Der Wille der Parteien liegt nicht auf der Hand. Er wird nur dann in die Wertung der Tat einbezogen, wenn er in hinreichender Weise nach außen in Erscheinung tritt. Als greifbares Unterscheidungsmerkmal bietet sich dem frühen Rechtsdenken die Heimlichkeit der Tat an. Wer unbemerkt die Sachen eines anderen wegnimmt, will dafür keine Gegenleistung erbringen und geht davon aus, dass der Gegner nicht einverstanden ist. Das deliktische Handeln in Bereicherungsabsicht zeigt sich explizit im heimlichen Vorgehen. (2) Die offene Wegnahme als Element des Rechtsschutzes im Rahmen der Selbsthilfe Ganz offensichtlich will der verdeckt vorgehende Gewahrsamsbrecher auch nicht ein eigenes Recht in erlaubter Selbsthilfe durchsetzen. Wer glaubt eine ihm gehörende Sache, etwa ein entlaufenes Haustier, aus dem Gewahrsam des Gegners zurückzuholen, der kommt offen daher und nicht heimlich. Er hat ja nichts zu verbergen. Die damit angesprochene Abgrenzung erlaubter Selbsthilfe vom furtum dürfte schon deshalb eine besondere praktische Relevanz genossen haben, weil die private Rechtsdurchsetzung in früher Zeit den staatlichen Rechtsschutz teilweise ersetzte248. Für res nec mancipi hat es noch in decemviraler Zeit keine sachverfolgende Klage gegeben, da die l.a.s.i.r. anfänglich auf res mancipi beschränkt war249. Das eigenmächtige Zurückholen abhanden gekommener Sachen war daher ein wichtiges Mittel für den Berechtigten. Freilich konnte er bei der Selbsthilfe auch leicht einem Irrtum unterliegen, etwa die Identität seiner Sache verkennen oder die eigene Berechtigung bzw. die des Gegners falsch einschätzen. Zum Dieb darf er deshalb nicht gleich werden. Es bestand ein nachvollziehbares Bedürfnis, den offen vorgehenden Sachverfolger nicht der Gefahr eines furtum auszusetzen250. Ansonsten hätten die scharfen Strafen, insbesondere das Tötungsrecht betreffend den fur manifestus, zu einer nicht hinnehmbaren Lähmung der Selbsthilfe geführt. (3) Heimlichkeit als objektives Kriterium zur Bestimmung der inneren Tatseite Die Heimlichkeit ist im altrömischen Recht ein objektiv greifbares Kriterium, um die bewusst rechtswidrige Wegnahme vom offenen Zugriff im regelmäßigen 248 Niederländer, SZ RA 67, 213; Iura 5, 348; Kaser, RP I, 222; Bürge, SZ RA 97, 105 ff; FS Mayer-Maly, 65 ff.; Wesener, FS Steinwenter, 111 ff. 249 Siehe oben II. 1. c) cc). 250 Die Problematik des „Raubes“ der eigenen Sache klingt noch in I. 4, 2, 1 an. Dort wird die Raub bzw. Diebstahlsklage in solchen Fällen mangels Vorsatz abgelehnt. Vgl. auch Wesener, FS Steinwenter, 101.

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Warenverkehr und im Rahmen der Selbsthilfe abzugrenzen. Man kann sie mit Niederländer gut als grob gefasste Wertung der inneren Tatseite umschreiben251. Der subjektive Tatbestand des Delikts wird nicht im Einzelfall erforscht, sondern durch einen typisierten Rückschluss aus dem heimlichen Vorgehen heraus unwiderleglich gefolgert. Ein Gegenbeweis wird erst im klassischen Recht zugelassen252. Dazu bedarf es ja gerade einer Auseinandersetzung mit der inneren Tatseite. cc) Keine deliktische Verfolgung der offenen Wegnahme Gegen die Nichterfassung der offenen Wegnahme im Rahmen des furtum könnte noch zu Bedenken gegeben werden, dass dann eine deliktische Ahndung des Raubes in decemviraler Zeit nicht möglich gewesen ist. Diese Eventualität erscheint zunächst als undenkbar. Allerdings relativiert sich die ablehnende Haltung bereits dann, wenn man sich nochmals vor Augen führt, dass neben dem typischen Räuber auch der im regelmäßigen Geschäftsgang Erwerbende und der in Selbsthilfe Handelnde einen offenen Gewahrsamsbruch begehen. Letztere haben eine Schädigung des Besitzers ebenso wenig im Sinn, wie die eigene Bereicherung. Vertreten ließe sich eine Gefährdung dieser rechtlich gebilligten Verhaltensweisen durch eine unsichere Abgrenzung vom deliktischen Bereich (furtum) nur dann, wenn der eigentliche Raub in der altrömischen Gemeinschaft eine erwähnenswerte Rolle gespielt hätte, es also ein zwingendes Bedürfnis für dessen deliktische Erfassung gab. Dies muss jedoch bestritten werden: Außen vor bleiben können von vornherein Räubereien durch Nichtrömer. Angehörige einer fremden Rechtsgemeinschaft fallen nicht in die Sphäre des ordentlichen Zivil- und Strafrechts der Römer253. Für sie erfolgt eine Ahndung im Rahmen der magistratischen Koerzition254. Unbeachtlich sind gleichermaßen auch die häufigen gewaltsamen Wegnahmen bzw. Beutezüge im Krieg. Dort konnte das Recht schon naturgemäß nicht eingreifen. Echte Räubereien der Rechtsgenossen untereinander werden in decemviraler Zeit dagegen kaum vorgekommen sein255. Anders als beim heimlichen Diebstahl ist der Täter einer 251 Niederländer, Iura 5, 348; SZ RA 67, 214. Dieses Verständnis der Heimlichkeit führt zu Abgrenzungsfragen. Wann ist eine Tat als heimlich anzusehen? Reichen muss es hier schon, wenn das objektive Täterverhalten darauf gerichtet ist, die eigene Identität zu verbergen. Auch ein maskierter Räuber wird demnach noch als fur einzuordnen sein. Sein Auftreten gibt genügend Anlass, unlautere Absichten zu unterstellen. 252 Niederländer, SZ RA 67, 214. Eine Beschränkung des alten furtum-Begriffes auf heimliche Wegnahmen findet sich bereits bei Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 785 f. Dieser beruft sich unter anderem darauf, dass die unausgebildete Rechtsordnung die heimliche Entwendung für verächtlicher als die rohe Gewalttat angesehen habe. 253 Kaser, RP I, 32 ff., 214 ff. 254 Niederländer, Iura 5, 348; SZ RA 67, 231. 255 Niederländer, SZ RA 67, 231; Iura 5, 348.

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gewaltsamen Wegnahme bekannt256. Er wird an der geraubten Sache nicht lange Freude haben. In der überschaubaren bäuerlichen Rechtsgemeinschaft257 kann ihm die Sache schnell wieder entrissen werden. Der Beraubte holt sich die Sache entweder mit Hilfe der zur Verstärkung herbeigeholten Nachbarn bzw. anderer Rechtsgenossen in erlaubter Selbsthilfe sofort zurück, oder er bedient sich dazu des Vindikationsverfahrens. Strafrechtlich konnte das Verhalten des Täters mit der coercitio geahndet werden, sofern der Magistrat ein Einschreiten für notwendig hielt258. Daneben könnte auch eine privatdeliktische Verfolgung aufgrund der durch die Gewalteinwirkung verursachten iniuria möglich gewesen sein259. Dies wird man insbesondere in den Fällen annehmen dürfen, wo das Opfer durch körperliche Auseinandersetzung mit dem Angreifer verletzt wurde260. Außer Streit, Ärger und Ansehensverlust bringt dem römischen Bürger die Beraubung eines Rechtsgenossen in früher Zeit nichts ein. Die Tat lohnt sich einfach nicht. Ändern wird sich dies erst zum Ausgang der Republik mit der territorialen und personellen Expansion des Reiches, verbunden mit einer steigenden Anonymität und der daraus folgenden Möglichkeit, sich der unmittelbaren Verfolgung zu entziehen. Folglich ergehen dann auch zwangsläufig die Lex Plautia de vi, die Lex Iulia de vi und ein Edikt des Lukull, welches Gewalttaten von räuberischen Banden unter Strafe stellte261. dd) Keine aeterna auctoritas bei offener Wegnahme Dauerhaften wirtschaftlichen Nutzen kann sich unter den damaligen Verhältnisses nur der unerkannt gebliebene Gewahrsamsbrecher versprechen. Er hat die Möglichkeit, die Tat zu leugnen und die Sache heimlich für eigene Zwecke zu benutzen. Dazu gehört auch deren Weiterveräußerung. Oben ist gezeigt worden, 256

Zum maskierten Räuber vgl. oben II. Fn. 251. Er wird als fur einzustufen sein. Vgl oben II. 1. Der Kreis der Betroffenen war ursprünglich auf die römische Bürgergemeinde beschränkt. Erst nach dem Bundesgenossenkrieg (90–88 v. Chr.) erhielt ganz Italien das römische Bürgerrecht. Massenverteilungen des Bürgerrechts an Einzelne bzw. ganze Gruppen fanden erst unter Caesar und Augustus statt, Kaser, RP I, 215 ff., 32 ff. 258 Das außerordentliche Strafrecht durch coercitio wurde ursprünglich hauptsächlich für Nichtbürger, Sklaven und Frauen eingesetzt. Eine Anwendung für römische Bürger im Fall des Raubes wird jedoch für möglich gehalten, Niederländer, SZ RA 67, 232; Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 399. In Rom war es Aufgabe des Praefectus vigilum, in der Provinz die des Stadthalters, Diebe und Räuber aufzuspüren und dingfest zu machen, Paul. D. 1, 15, 3; Ulp. D. 1, 18, 13 pr. 259 Zur Frage der Verfolgung des Raubes als „iniuria“: Niederländer, SZ RA 67, 232 ff. m.w. N.; Kaser, RP I, 157. 260 XII T. 8, 2; 8, 3; 8, 4; Kaser, RP I, 156 f. 261 Cic. pro Tull. 7.9.41.42; Pernice, SZ RA 17, 217; Niederländer, SZ RA 67, 230; Kaser, RP I, 627. Aus einer Klausel des Edikts des Prätors Lucullus (76 v. Chr.) bildete sich in der Folgezeit die actio vi bonorum raptorum. 257

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dass der fur ewige Gewährschaft für manzipiertes Diebesgut übernehmen musste. Es wurde dargelegt, wie diese Regelung der XII-Tafeln zu einer unbefristeten Rückabwicklung auf dem Rücken des Täters führte. Praktisch bedeutsam war dies unter anderem deshalb, weil heimliche Wegnahmen oftmals nicht innerhalb der kurzen Frist aufgeklärt werden konnten. Dies sollte dem Dieb nicht zugute kommen und dem Geschädigten nicht schaden. Bei offener Tat stellte sich das Problem dagegen nicht262. Auf das entwendete Objekt konnte sofort zugegriffen werden. Der Täter war bekannt. Ausgehend von seiner Person ließ sich der Verbleib der Sache schnell ermitteln. Eine Gleichstellung mit der heimlichen Wegnahme war somit auch unter diesem Aspekt nicht erforderlich.

c) Gewahrsamsbruch als Voraussetzung des altrömischen furtum Bisher wurde unreflektiert davon ausgegangen, dass der altrömische Begriff des furtum eine Wegnahme, also den Bruch fremden Gewahrsams, zwingend voraussetzt. Infolgedessen wurde der Adressat des XII-Tafelsatzes über die aeterna auctoritas auch einfach als „Dieb“ bezeichnet. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob bereits in decemviraler Zeit auch der Täter einer Unterschlagung als fur angesehen und gleich einem solchen behandelt wurde, insbesondere im Hinblick auf die daraus folgende Pflicht zur aeterna auctoritas. Betroffen sind insbesondere jene Konstellationen, in denen der Eigentümer seine Sache einem Verwahrer, Mieter, Handwerker oder sonstigem Vertrauensmann freiwillig anvertraut, dieser sich jedoch als unzuverlässig erweist und unberechtigt veräußert. aa) Die etymologische Ableitung von „ferre“ Ein erstes Argument für das Erfordernis eines Gewahrsamsbruches ergibt sich aus der etymologischen Ableitung des Begriffes „furtum“ von „ferre“263. „Fur“ bezeichnet die Person des „Wegträgers“. Es liegt nahe, dass die Bezeichnung des Deliktes ursprünglich einmal mit dessen Anwendungsbereich vollumfänglich übereingestimmt hat. Maßgebend für die Namensgebung wird die erfasste deliktische Handlung gewesen sein. Nun liegt die Missetat in den Unterschlagungsfällen anders als beim klassischen Diebstahl nicht im Wegtra262

Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1101. Paul. D. 47, 2, 1pr. – Paulus zitiert zunächst die abweichende Labeonische (von furvus) und Sabinianische (von fraus) Ableitung und führt sodann seine eigene (von ferre) an. Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 384, m.w. N. zur älteren Literatur; SZ RA 23, 316; Kaser, EB (II. Fn. 10), 36; RP I, 157 m.w. N.; Niederländer SZ RA 67, 185 ff., 253 ff.; Pika, Ex causa furtiva condicere im klassischen römischen Recht (1988), 15. 263

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gen der Sache – das geschieht mit Willen des Eigentümers – sondern in der Nichtrückgabe bzw. der unberechtigten Veräußerung. Vom Wortlaut des Deliktes furtum sind diese Tathandlungen nicht mehr erfasst. Es fehlt an der gegenständlichen Ortsveränderung. bb) Die decemvirale Klage ex causa depositi Ungeachtet der Etymologie umfasst nach einer auf Jhering zurückgehenden Ansicht, bereits das furtum der altrömischen Zeit auch die Unterschlagung mit264. Probleme bereitet dieser Auffassung allerdings die Existenz einer decemviralen actio depositi die durch eine Paulus-Stelle nahegelegt wird: Paul. coll. 10, 7, 11265: „ex causa depositi lege duodecim tabularum in duplum actio datur, edicto praetoris in simplum“

Die weit überwiegende Meinung nimmt diesen Bericht des Klassikers ernst266. Aus dem Vorhandensein der alten actio depositi auf das duplum wird geschlossen, dass die Unterschlagung nicht schon vom furtum umfasst gewesen sein könne. Ansonsten wäre die besondere Klage nämlich überflüssig gewesen. Die Vertreter der Gegenansicht sehen in der von Paulus beschriebenen decemvirale Klage lediglich die allgemeine actio furti nec manifesti. Die Klage sei gegeben worden, weil eine Unterschlagung des Depositums in Rede stehe und dieser Fall eben auch als furtum gewertet wurde267. Zwar sind beide Argumentationslinien auf ihrer Weise schlüssig, doch legt bereits der Wortlaut der Quelle eher eine eigenständige decemvirale actio depositi im Sinne der herrschenden Auffassung nahe. Die frührömische Klage soll gerade „ex causa depositi“ gegeben sein. Ein unmittelbarer Hinweis auf die actio furti nec manifesti findet sich dagegen nicht268. Paulus möchte in dem Fragment offenbar den Widerspruch in den Rechtsfolgen zwischen der alten Klage aus dem Depositum und der prätorischen darstellen. Die Entgegenstellung von in duplum und in simplum nimmt der Leser sofort wahr269. Unterstellt 264 Kübler, Geschichte des römischen Rechts, 52; Niemeyer, SZ RA 12, 320; d’Ors, Creditum und Contractus, SZ RA 74 (1957), 79, Anm. 22 und die bei von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 90 f., Anm. 187, 196 genannten Autoren. 265 = Paul. Sent. 2, 12, 11. 266 Niemeyer, SZ RA 12, 319 f.; Taubenschlag, GrünhutsZ 34, 686; Wlassak, Rechtshistorische Abhandlungen, Prozessrechtliche Studien zu Gai 4, 60, 100 ff., 110 f.; von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 91; zur Echtheit des Textes überzeugend, Wlassak, 101 ff. 267 Kübler, Geschichte des römischen Rechts, 52; d’Ors, SZ RA 74, 79, Anm. 22. In diese Richtung tendiert auch, ohne sich aber festzulegen: Kaufmann, Die altrömische Miete – ihre Zusammenhänge mit Gesellschaft, Wirtschaft und staatlicher Vermögensverwaltung (1964), 288. 268 Das duplum als Buße ist zwar für die actio furti typisch, doch ebenso auch im Bereich der actio depositi präsent, D. 16, 3, 1, 1.

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man mit der Mindermeinung, es habe sich bei der decemviralen Klage um die allgemeine actio furti gehandelt, wäre dem Vergleich die Basis entzogen. Sinnvoll lässt sich ein solcher nur zwischen zweierlei actiones ex depositi anstellen, die zumindest den zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt und vielleicht auch den Namen gemeinsam haben. Den Sonderfall einer Unterschlagung durch den Depositar wird Paulus nicht vor Augen gehabt haben, als er die Stelle verfasste. Thema wird vielmehr das einfache Verlangen aus der Verwahrung auf Rückgabe der Sache270 gewesen sein. Es geht um die Inanspruchnahme des Verwahrers aufgrund des Depositums für den Fall, dass dieser seiner primären Restitutionspflicht vorsätzlich271 nicht nachkam. Davon zu unterscheiden, ist in klassischer Zeit die Unterschlagung durch den Verwahrer. Diese setzt neben dem dolosen Behalten zumindest noch die manifestierte Absicht des Depositars voraus, die Sache als sein Eigen zu besitzen. Selbst das Ableugnen der Niederlegung reicht dazu noch nicht aus272. Liegt aber ein solcher Fall der Unterschlagung vor, etwa beim unberechtigten Weiterverkauf der Sache, haftet der Täter auch zu Paulus Zeiten als fur auf das duplum273. Hätte der Jurist diese besondere Fallgruppe ansprechen wollen, dann hätte er konsequenterweise die betreffende Klage aus den XII-Tafeln nicht mit der klassischen actio depositi, sondern eben der actio furti vergleichen müssen. Es muss die einfache treuwidrige Nichtrückgabe des hinterlegten Gutes gewesen sein, die in alter Zeit anders als in der Klassik zur Haftung auf das duplum führte. Um diesen Gegensatz geht es Paulus. Hat demnach aller Wahrscheinlichkeit nach schon das alte Recht eine gesonderte Klage aus dem Depositum auf das duplum gekannt, wird diese freilich auch in den schwerer wiegenden Unterschlagungssituationen gegriffen haben, also dann, wenn der Verwahrer die Sache mit Aneignungsvorsatz zurückbehielt274. Die actio furti nec manifesti 269

Wlassak (II. Fn. 266), 111. Klageformeln bei Gai. IV, 47; vgl. auch D. 16, 3, 1, 1. Die Klage ging in klassischer Zeit regelmäßig auf das simplum, auf das duplum nur für den Fall, der Nothinterlegung wegen tumultus, incendium, ruina und naufragium. Gegen den Erben auch bei depositum miserabile nur im Fall des eigenen dolus auf das duplum, sonst simplum. 271 Dolus des Verwahrers war grundsätzlich Haftungsvoraussetzung, Gai. IV, 47; III, 207; D. 16, 3, 1, 20–22. Vertragliche Haftungserweiterung war ausnahmsweise möglich, D. 16, 3, 1, 6; D. 16, 3, 1, 35; vgl. dazu Kaser, RP I, 535, Anm. 10. 272 D. 47, 2, 1, 2. Zum klassischen Streit zwischen Sabinianern und Proculianern, ob die faktische Lage der Sache durch den Depositar verändert werden müsse, oder das Ableugnen an sich für ein furtum ausreiche, vgl. von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 91. Nach beiden Schulen genügte die bloße Nichtherausgabe jedenfalls nicht. 273 Wlassak (II. Fn. 266), 118, Anm. 249. 274 Da es für die Haftung nicht auf die Zueignung der Sache sondern den Treubruch ankam, vgl. sogleich unten II. 4. c) cc), wird man die Unterschlagungsfälle überhaupt noch nicht von der bloßen Rückgabeverweigerung unterschieden haben. In beiden Fällen kann perfidia vorliegen. Mittelbares Ziel der Klage ist es, die Treue des 270

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musste nicht über ihren sinnbildlichen Anwendungsbereich hinaus auf Fälle erstreckt werden, in denen eine tatsächliche Wegnahme nicht vorlag. Eine speziell normierte Klage für das Depositum mag auf den ersten Blick für ein Recht auf solch früher Stufe, wie es in den XII-Tafeln enthalten ist, etwas ungewöhnlich erscheinen. Allerdings zeigen auch andere antike Rechte einen Hang dazu, gerade der Hinterlegung eine breite gesetzliche Grundlage zu verschaffen. Die alten Gesetzgeber müssen dieses Institut als etwas besonders Regelungsbedürftiges angesehen haben275. Es darf vermutet werden, dass dies mit einem den Menschen innewohnenden Misstrauen gegenüber der Weggabe zusammenhängt, welches noch aus Zeiten herrührt, in denen die tatsächliche Sachherrschaft der einzige Garant für die Zuordnung der Sache war. Die Übertragung des Gewahrsams an den Verwahrer bedurfte eindeutiger Regelungen, um in der Praxis akzeptiert zu werden. So unterschied bereits die Kompilation des Königs von Babylon, der Codex Hamurapi, zwischen formloser und formeller Hingabe zur Verwahrung, setzte für das wahrheitswidrige Ableugnen verschiedene Strafen fest und differenzierte laut Koschakers Forschungen in den Folgen sogar zwischen Schadensersatz und Strafleistung276. Interessant ist neben der recht detaillierten Regelung der Verwahrung auch die Vielfalt der angeführten Lebenssachverhalte, in denen die Hinterlegung angewandt wurde. Berichtet wird nicht nur von verwahrtem Gold, Silber und beliebigen Sachen (§ 122 KH), sondern darüber hinaus auch vom Anvertrauen von Sklaven, Sklavinnen, Rindern, Schafen und Eseln (§ 7 KH). Besondere Bedeutung in der bäuerlichen Gesellschaft scheint zudem das Einlagern von Korn in fremden Kornspeichern erlangt haben (§ 120 KH), das von deren Besitzern auch gewerbsmäßig übernommen wurde277. Bei dieser Vielzahl an Anwendungsbereichen muss es nicht verwundern, dass für die Verwahrung eigene Regelungen aufgestellt wurden. Ergänzend sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch der Codex Euricianus die Verwahrung eigenständig regelt, vgl. CE 278 ff. Zwar ist dieses westgotische Gesetzeswerk zeitlich nicht mit den XIITafeln vergleichbar, doch steht es auf einer ebenso primitiven rechtlichen Stufe, wenn auch gewisse Einflüsse des nachklassischen römischen Rechts spürbar sind278.

Verwahrers, insbesondere die Rückgabe des deponierten Gutes, durch Inaussichtstellen der Buße erzwingen zu können. 275 Wlassak (II. Fn. 266), 110. 276 Koschaker, Rechtsvergleichende Studien zur Gesetzgebung Hammurapis, Koenigs von Babylon (1917), 7 ff.; 53 ff.; 58 ff. 277 Koschaker (II. Fn. 276), 67 f. In § 121 KH ist ein Tarif für die Lagergebühren aufgestellt. 278 Vgl. dazu unten V. 2. a) aa) sowie V. 3. e).

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cc) Die actio rationibus distrahendis Neben der decemviralen actio depositi ist eine weitere Klage aus den XIITafeln bekannt, die einen Fall, der heute als Unterschlagung eingeordnet würde, unabhängig vom furtum regelt. Tryphonin berichtet davon wie folgt: D. 26, 7, 55, 1 (Tryph. lib. XIV disp.) „Sed si ipsi tutores rem pupilli furati sunt, videamus, an ea actione, quae proponitur ex lege duodecim tabularum adversus tutorem in duplum, singuli in solidum teneantur . . . sed tutores propter admissam administrationem non tam invito domino contrectare eam videntur quam perfide agere . . .“ Haben die Vormünder an dem Vermögen des Mündels einen Diebstahl begangen, da wollen wir sehen, ob aus der Klage des XII-Tafelgesetzes, welche gegen den Vormund auf das Doppelte gegeben wird, die einzelnen auf das Ganze haften . . . Die Vormünder aber scheinen die ihnen zugewiesene Vormundschaft nicht so gegen den Willen des Eigentümers an sich zu nehmen, als treulos zu handeln.

Hat sich der Tutor eine Sache des Mündels angeeignet, kann er mit einer besonderen Klage auf doppelten Wertersatz in Anspruch genommen werden. Dass bereits die XII-Tafeln eine spezielle Möglichkeit des Vorgehens gegen den verdächtigen Tutor enthielten, wird durch Ulpian in D. 26, 10, 1, 2 bestätigt279. Besonders wichtig ist das Zeugnis des Tryphonin für die Einordnung des begangenen Deliktes, da dieser in seinen disputationes den Haftungsgrund unmittelbar anklingen lässt. Zu sehen ist dieser nicht etwa im Erhalt der Sache gegen den Willen des Eigentümers, sondern vielmehr in der Treulosigkeit (perfidia) des Tutors. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Einschätzung auch für die decemvirale Zeit Geltung beanspruchen kann. Die actio rationibus distrahendis hat ihren altertümlichen Charakter bis in die Klassik bewahrt280. Aus dem rechtswidrigen Behalten des Mündelguts zog man schon im frühen Recht einen unwiderlegbaren Rückschluss auf den Vertrauensbruch durch den Tutor und seine verbrecherischen Absichten. Das Abstellen auf die perfidia zeigt, dass es der Untreuetatbestand und nicht das Aneignungselement der Unterschlagung ist, der die Haftung auf das duplum rechtfertigt. Nicht etwa eine Verletzung des Mündeleigentums durch rechtswidrige Zueignung wird verfolgt, sondern der dadurch begangene Treubruch. Das Vertrauen des Mündels auf den Tutor genießt deliktischen Schutz. Eine ähnliche Wertung lag aller Wahrscheinlichkeit nach auch der actio depositi zu Grunde. Der Verwahrer hat die Sache ebenso wie der Tutor nicht invito domino erhalten. Es ist wiederum allein die Verletzung des Treueverhältnisses, die missbilligt wird und eine Haftung auf das duplum begründet281. Wäh279 Ulp. D. 26, 10, 1, 2: „Sciendum est suspecti crimen e lege duodecim tabularum descendere“. Die Einordnung erfolgt gewöhnlich in tab. VIII, 20 – Düll, Das Zwölftafelgesetz, 52. 280 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 92.

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rend man zwischen Unterschlagung und Diebstahl im Hinblick auf die jeweils begangene Verletzung der Eigentümerrechte noch eine Verwandtschaft bejahen kann, die unter Umständen schon in einem frühen Recht zu einem einheitlichen Delikt (furtum) geführt haben könnte, muss diese Möglichkeit jedenfalls abgelehnt werden, nachdem festgestellt wurde, dass die aus den XII-Tafeln bekannten Unterschlagungsfälle lediglich aufgrund der enthaltenen Untreuehandlung deliktisch verfolgt worden sind. Treulosigkeit und Wegnahme fremder Sachen haben außer der jeweiligen rechtlichen Missbilligung nichts gemeinsam, das eine Einordnung unter denselben Tatbestand rechtfertigen könnte. Es ist überaus unwahrscheinlich, dass das primitive Recht den sinnfälligen positiven Diebstahl mit der bloßen Nichtrückgabe als treuloses Unterlassen auf eine Stufe gestellt hat282. Die betroffenen Lebenssachverhalte sind ebenso wie das begangene Unrecht höchstverschiedener Natur. dd) Unterschlagungssituationen bei Miete, Leihe, Werk- oder Dienstleistungen Abgesehen von den besprochenen actiones depositi und rationibus distrahendis sind aus den XII-Tafeln keine weiteren Klagen überliefert, die auf eine deliktische Verfolgung der Unterschlagung schließen lassen könnten283. Es fehlen insbesondere eindeutige Regelungen, mit denen die Rückgabe verliehener, vermieteter oder im Rahmen einer Werk- oder Dienstleistung überlassener Gegenstände erzwungen werden kann. Zu weit führt es, zur Füllung dieser Lücke eine allgemeine decemvirale Klage wegen Treubruchs zu konstruieren284. Es wäre dann nicht zu erklären, weshalb die XII-Tafeln für das Depositum und die Veruntreuung von Mündelgut besondere Klagen enthielten. Ebenso wenig können diese Fälle vom archaischen Begriff des furtum erfasst gewesen sein. Oben 281 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 89, 92; Koschaker (II. Fn. 276), 57, Anm. 5: „Nicht das Eigentum des Hinterlegers, sondern der Treubruch wird geltend gemacht“. 282 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 92. 283 Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 403, zieht ein decemvirales Alter der durch Alfen. D. 19, 2, 31 überlieferten actio oneris aversi gegen den Schiffer in Betracht, der übernommene Ladung veruntreut. Sicher stammt die Klage aus einer Zeit vor der Einführung der actio locati, da sie mit dieser überflüssig wurde. Ein direkter Hinweis auf die XII-Tafeln findet sich jedoch nicht. Man wird sie als geregelter Sonderfall der decemviralen actio depositi begreifen müssen, die vielleicht dann Anwendung fand, wenn die anvertraute Sache in das Eigentum des Veruntreuenden übergegangen war. Haftungsgrund war die perfidia des Schiffers. Dazu: Kaser, RP I, 572, Anm. 93; Hitzig, SZ RA 23, 319, Anm. 2. 284 Gegen eine solche actio in duplum de perfidia: Taubenschlag, GrünhutsZ 34, 687; Pernice, Labeo A, 424; von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 89 m.w. N. Die Theorie einer in der Epoche der Legisaktion existenten allgemeinen Klage aus dem Treubruch geht auf Ubbelohde zurück, der darauf in einer 1870 erschienenen Arbeit „Zur Geschichte der benannten Realkontrakte“ zu sprechen kam, vgl. Taubenschlag, GrünhutsZ 34, 687.

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wurde bereits festgestellt, dass bloßes passives Zurückhalten einer mit Willen des Eigentümers erlangten Sache der aktiven Wegnahme beim furtum nicht gleichgestellt war. Das Unrecht der Nichtrückgabe wurde in den überlieferten Fällen ausschließlich unter dem Aspekt der perfidia, nicht aber der Unterschlagung gesehen285. Fraglich ist, ob sich die fehlende Regelung mit mangelnder Bedeutung dieser Sachverhalte in der altrömischen Praxis erklären lässt. Herkömmlich wird das frühe Rom der XII-Tafelzeit als überwiegend bäuerlich geprägtes Gemeinwesen verstanden, in dem Produktion und Warenaustausch hauptsächlich auf hauswirtschaftliche Formen beschränkt waren286. Da die Existenz von Sachverhalten der Miete wie auch die Überlassung von Gütern zu Werkzwecken an Handwerker denknotwendig die Überwindung der Stufe geschlossener Hauswirtschaft hin zur Stufe der Verkehrswirtschaft voraussetzt, könnte man das Fehlen betreffender Klagen einfach damit erklären wollen, es habe einschlägige Konstellationen damals überhaupt noch nicht gegeben. Zu Recht ist eine zu stark pauschalierende Betrachtung der Entwicklung in Wirtschaftsstufen jedoch kritisiert worden287. Tatsächlich werden die sozialökonomischen Übergänge nicht stufenweise, sondern fließend stattgefunden haben. Das wirtschaftliche Leben wird zunehmend von den typischen Elementen der nächsten Stufe durchdrungen worden sein, bis diese überwogen und sich die theoretische Zuordnung veränderte. Trotz überwiegender Hauswirtschaft kann es demnach schon vereinzelt zur Überlassung von Gütern gekommen sein. Neben der Typisierung ist auch die grundlegend bäuerliche Prägung des decemviralen Roms angezweifelt worden. Zuzugeben ist dem, dass die bäuerliche Lebensweise der Väter von den römischen Geschichtsschreibern der späten Republik bisweilen ideologisch verklärt wurde, um dem aufkommenden Sittenverfall das Ideal einer einfachen Bauernrepublik entgegenzusetzen288. Die Meinungen über die tatsächlichen Verhältnisse gehen weit auseinander. Behrends stellt die „Handels- und Marktstadt“ Rom schon für das 5. Jahrhundert in den Vordergrund und bezeichnet die XIITafeln als „Gesetzgebung einer mediterranen Polis lateinischer Sprache“289. Dagegen hält die wohl herrschende Auffassung grundsätzlich am bäuerlichen Gesamtcharakter fest, schränkt das überlieferte Bild jedoch insofern ein, dass die wirtschaftlichen und sozialen Zustände nicht mehr als archaisch bezeichnet werden können290. Die landwirtschaftliche Produktion auf hauswirtschaftlicher Basis war zwar noch vorherrschend, wurde an verschiedenen Stellen jedoch be285

Vgl. oben II. 4. c) cc). Vgl. oben II. 1; Kaser, RP I, 20, 22 m.w. N. 287 Kaufmann (II. Fn. 267), 20; Mayer-Maly, Rezension zu Kaufmann, Die altrömische Miete, SZ RA 82, 408. 288 Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 237, Anm. 2; Kaufmann (II. Fn. 267), 21. 289 Behrends (II. Fn. 6), 1; dagegen einschränkend: Horak, SZ RA 93, 261 f. 286

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reits durch Produktion von Überschüssen, Kleinhandel und spezialisierte Gewerbe durchbrochen291. Es können im Rahmen dieser Arbeit keine näheren (fachfremden) Untersuchungen hinsichtlich der sozialökonomischem Strukturen der damaligen Zeit durchgeführt werden. Ausgehend von den herrschenden Ansichten wird man annehmen dürfen, dass die altrömischen Verhältnisse die hier interessierenden Sachverhalte der Überlassung von Gütern zum Zwecke der Reparatur bzw. Umarbeitung292 bereits ebenso zuließen, wie verschiedene Leihbzw. Mietsachverhalte. Nur fanden diese Konstellationen in einem im Vergleich zu später viel engeren Bürgerkreis statt und waren weniger häufig. Für einen ganz speziellen Sonderfall der Miete wird diese Einschätzung durch Gaius bestätigt. Dieser berichtet von einem XII-Tafelsatz, nach dem der Vermieter eines Zugtieres mittels pignoris capio auf den Mieter zugreifen kann, wenn dieser das Mietentgelt nicht zahlt und der Vermieter durch das Geschäft an Geld für ein Opferfest gelangen wollte293. Offensichtlich war es für arme Bauern gängige Praxis im alten Rom, durch Vermietung ihrer Zugtiere an die zur Beschwichtigung der Gottheiten erforderlichen Gaben zu kommen. Der ursprüngliche Sachverhalt kann mit Kaufmann so rekonstruiert werden, dass nicht nur die Vollstreckung direkt auf die sich in Form von Naturalien beim Mieter befindlichen Opfergaben (daps) ging, sondern diese auch von vornherein als Mietentgelt verabredet waren294. Sinn des schnellen Zugriffs mittels Pfand290 Kaser, RP I, 22; Kaser/Hackl, RZ, 25; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 236 ff., 346 f.; Horak SZ RA 93, 261 f. 291 Horak, SZ RA 93, 261 f.; Wieacker, Römische Rechtsgeschichte I, 237 f.; Kaufmann (II. Fn. 267), 27 ff., 35 ff., 57 ff., 107 ff. Von bescheidenem Handwerk zeugen die taberna (ursprünglich Fleischerbuden, Liv. 3, 48, 5) auf dem forum Romanum und das archäologisch erfasste forum boarium am Tiber (Viehhandel). Es existierten Wochenmärkte (nundinae) und drei Jahrmärkte (mercatus). Fernhandel in größerem Umfang fand jedoch schon aufgrund mangelnder Tauschgüter nicht in erwähnenswerter Weise statt. 292 Kaufmann (II. Fn. 267), 67 ff., hat wahrscheinlich gemacht, dass beim Schmiedehandwerk die Hingabe des zu bearbeitenden Metalls, insbesondere von Gold und Silber, durch den Besteller die Regel gewesen sein dürfte. Gleiches ist für die Weiterverarbeitung der landwirtschaftlich erzeugten Tierfelle bzw. Wolle durch Schuster, Sattler oder Färber anzunehmen. Hier sind Unterschlagungssituationen denkbar, wenn die Geschäfte nicht durch Ankauf/Verkauf des Handwerkers geführt worden sind. 293 Gai. IV, 28: „Lege autem introducta est pignoris capio velut lege XII tabularum adversus eum, qui hostiam emisset nec pretium redderet; item adversus eum, qui mercedem non redderet pro eo iumento, quod quis ideo locasset, ut inde pecuniam acceptam in dapem, id est in sacrificium, inpenderet;“. Übersetzung (Huchthausen): Gesetzlich eingeführt wurde die Pfandnahme z. B. durch das XII-Tafelgesetz gegen den, der ein Opfertier gekauft hatte und den Preis nicht erlegte, ebenso gegen den, der den Mietpreis für ein Zugtier nicht bezahlte, das jemand ihm vermietet hatte, um das dafür erzielte Geld für ein Opferfest zu verwenden. 294 Kaufmann (II. Fn. 267), 35 ff.; zustimmend: Mayer-Maly, SZ RA 82, 409. Es ist mit anachronistischer Terminologie des Gaius zu rechnen. Ein ausgeprägtes Münzwesen ist für die alte Zeit unwahrscheinlich, so dass das Mietentgelt ursprünglich gut in Naturalien bestanden haben kann.

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nahme war es, dem Vermieter die zeitgenaue Einhaltung der sacrificia zu ermöglichen. Verpasste er nämlich die pünktliche Verehrung der Gottheit, drohte im schweres Ungemach295. Ein solches Motiv passt gut in die noch sehr sakral geprägt Ordnung der XII-Tafeln. Ob der von Gaius beschriebene Fall letztlich das einzig überlieferte Relikt einer bereits umfassend ausgebildeten altrömischen Miete darstellt, oder aber einen Einzelfall gebildet hat, kann nicht sicher gefolgert werden. Fest steht allein, dass den Römern schon damals die Überlassung von Zugtieren gegen Entgelt bekannt war. Es liegt dann freilich nahe, diese Praxis nicht nur zur Erlangung von Opfergaben sondern auch in anderen Situationen zu betreiben, sei es zur Überbrückung vorübergehender wirtschaftlicher Notlagen oder auch mit gewerblichen Absichten. Andererseits kann mit dem Hinweis auf den besonderen Ernst der Lage des Kleinbauern, der sein lebensnotwendiges Zugvieh weggeben muss, um die erforderliche daps zu erlangen, auch ebenso gut vertreten werden, es handle sich um eine ganz spezielle Situation sakralen Rechts296 ohne privates Vorbild. Gut vorstellbar ist es, dass sich befreundete Familienverbände untereinander in Notzeiten mit vorübergehenden Leihgaben aushalfen. Die Überlassung wird regelmäßig frei widerrufbar gewesen sein. Der Entleiher war dann einem Prekaristen297 vergleichbar. Besondere Verträge waren für diese Konstellationen noch nicht ausgebildet. Durch die faktische Hingabe von Geräten, Getreide oder Futter wurde automatisch eine Pflicht zur Rückgabe bzw. Entschädigung begründet298. Das Gegenseitigkeitsverhältnis war schon im archaischen Rechtsempfinden tief verwurzelt299. Klagbar waren diese Ansprüche zunächst300 nicht, sie

295 Kaufmann (II. Fn. 267), 38, m.w. N. Nichts sagt die Überlieferung zu den Folgen einer möglichen Unterschlagung des vermieteten Viehs. Aus dem Schweigen auf ein mangelndes Vorhandensein dieser Problematik zu schließen, verbietet sich jedoch aufgrund der insgesamt dünnen Quellenlage. 296 Kaser, RP I, 564, Anm. 10. 297 Als precario habens wurde im klassischen Recht derjenige bezeichnet, der eine bewegliche oder unbewegliche Sache frei widerrufbar zum Gebrauch oder zur Nutzung erhalten hatte. Kaser, EB (II. Fn. 10), 256, 281, hält eine Entwicklung ausgehend von der Überlassung privaten Bodens durch den Patron an die Klienten für wahrscheinlich. Die spätere Anwendung auf bewegliche Sachen ist zumindest durch die klassischen Quellen bezeugt, Ulp. D. 43, 26, 1, 3; D. 43, 26, 4. 298 Hinsichtlich vertretbarer zum Verbrauch bestimmter Sachen (Getreide) bezog sich die Rückgabepflicht auf Sachen gleicher Art, Güte und Menge. Die Verbrauchsleihe (mutuum) wird anfangs nicht von der Leihe im herkömmlichen Sinne unterschieden worden sein, von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 94 ff. Auch heute noch werden die Begriffe „Leihe“ und „Darlehen“ in der nichtjuristischen Sprache verwechselt („Geld leihen“). Diese mangelnde Differenzierung könnte es zusätzlich erschwert haben, in der Nichtrückgabe ein dem furtum gleichzustellendes Delikt zu sehen. 299 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 89. Instruktiv ist in diesem Zusammenhang auch die Darstellung von Bürge, SZ RA 97, 139 ff., über die Gewährung unentgeltlicher Leistungen und die damit verbundenen, oft sogar bewusst geschaffenen Abhängigkeitsverhältnisse in der römischen Gesellschaft.

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standen außerhalb des ius301. Der Verleiher konnte sich seine Sachen jedoch im Rahmen der Selbsthilfe zurückholen302. Gleiches wird man für den Vermieter annehmen dürfen, sofern man die Existenz privater Mietsachverhalte bejaht. Behauptete der Besitzer ein eigenes meum esse, stand für res mancipi die l.a.s.i.r. offen, später auch für res nec mancipi. Die alltäglichen Aushilfsverhältnisse im kleinen Kreis werden vermutlich nur selten zu Konflikten unter den Rechtsgenossen geführt haben, die dann ursprünglich ohne gerichtliche Hilfe gelöst wurden. Wer sich unzuverlässig zeigte, musste damit rechnen, zukünftig von seinen Freunden und Nachbarn keine Unterstützung mehr zu bekommen303. Dies war gerade in schweren Zeiten Ansporn genug, seine Gläubiger nicht zu vergrämen. Einer Strafbewehrung bedurfte es daneben nicht. Noch die Quellen über die klassische actio commodati lassen erkennen, dass diese anders als die actio depositi304 keinerlei deliktischen Einschlag hat. Sie ist eher kondiktionenartig305. 300 Mit Einführung der legis actio per condictionem durch eine Lex Silia für Ansprüche auf certa pecunia und eine Lex Calpurnia auf aliae certa res im 3. Jh v. Chr. konnten die Ansprüche dann auch gerichtlich durchgesetzt werden, vgl. Gai. IV, 18, 19. Dazu Näheres bei Kaser/Hackl, RZ, 111 f. m.w. N. Die Anfänge der condictio liegen vermutlich bei der Haftung aus Vorenthaltung dargeliehenen Geldes, Kaser, RP I, 593; Pika (II. Fn. 263), 22. 301 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 93; Kaser, RP I, 170; Kaser/Hackl, RZ, 112. Wollte man eine rechtliche Bindung, stand für die wertvollen res mancipi die fiducia cum amico contracta zur Verfügung, Kaser, RP I, 533. Denkbar ist auch die Sicherung des Geschäftes mittels Verbürgung durch einen praes, gegen den dann im Wege der manus iniectio der gesicherte Rückgabeanspruch vollstreckt werden konnte, oder durch entsprechende Stipulationen, dazu Kaufmann (II. Fn. 267), 327 ff. 302 Vgl. oben II. 1. c) cc). Gegen den bittweisen Entleiher dürfte die zulässige Selbsthilfe sehr weitreichend gewesen sein. Dies kann daraus geschlossen werden, dass noch nach den klassischen Besitzschutzregeln, insbesondere dem interdictum utrubi, der Prekarist vom Besitzschutz gegen den Geber ausgeschlossen ist (exceptio vitiosae possessionis „nec vi nec clam nec precario“). Das Gewaltverbot gilt also nicht. Daneben steht dem gewesenen Besitzer mit dem interdictum de precario sogar ein restitutorisches Interdikt zur Verfügung. Seine Besonderheit liegt darin, dass vom Bittleiher auch Ersatz für das arglistig Weggeschaffte geleistet werden muss, Ulp. D. 43, 26, 2 pr. Wenn die Selbsthilfe sogar in klassischer Zeit noch erlaubt ist, wird sie in der Frühzeit erst recht gewährt worden sein. Vgl. auch: Bürge, SZ RA 97, 105 ff., 144 ff.; FS Mayer-Maly 2002, 65 ff.; Wesener, FS Steinwenter (1958), 111, führt im Hinblick auf die bloße Dentorenstellung der Entleiher; Mieter etc. noch für die klassische Zeit aus: „Wenn ein Gläubiger, der zugleich Eigentümer und juristischer Besitzer des Schuldobjektes ist, dieses nach Ablauf der Vertragsdauer seinem Schuldner, also etwa einem Entleiher, Verwahrer, Mieter oder Pächter, eigenmächtig entzieht, so ist sein Handeln rechtmäßig.“ 303 Diese außerhalb des Rechts stehende Folge ist nicht zu unterschätzen. Bürge, SZ RA 97, 130 ff. hat für den speziellen Fall des privaten Kreditsystems (mutuum) nachgewiesen, dass eine fehlende Unterstützung von Freunden und Bekannten noch in klassischer Zeit nicht nur die Stellung innerhalb der Gesellschaft herabsetzte, sondern wegen der allgemein geringen Liquidität auch leicht zum wirtschaftlichen Ruin führen konnte, weil der Betroffene dann auf die wenig geachteten gewerblichen Kreditgeber (fenerator oder argentarius) angewiesen war. Ein großer Teil des Wirtschaftslebens wurde mit Hilfe von amicitia und fides bewältigt. Werte wie honor, gratia und amicitia waren demzufolge von hoher Bedeutung, Bürge, SZ RA 97, 133, 137.

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Auch für die actiones locati und conducti ist ein deliktischer Hintergrund nicht ersichtlich306. Letztlich ist noch zu bedenken, dass im alten Recht nicht deutlich zwischen Ge- und Verbrauchsleihe unterschieden wurde307. Dem Weggebenden war es oftmals gleich, ob er dieselbe Sache oder ein aliud zurückerhält. Ohne eine solche Trennung kann in der Veräußerung aber von vornherein weder ein Delikt gegen die Sachherrschaft, noch ein Treuverstoß gesehen werden.

d) Sonderfall: Fundunterschlagung Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob der unehrliche Finder nach altrömischem Recht ein furtum beging. Legt man die moderne Anschauung des in Rede stehenden Deliktes einer Fundunterschlagung zu Grunde, scheint sich zu den bereits besprochenen übrigen Unterschlagungsfällen kein Unterschied zu ergeben. Es fehlt offensichtlich mangels Gewahrsams des Eigentümers an einer diebstahlsbegründenden Wegnahme. Aus Sicht des Opfers lässt sich der praktische Lebenssachverhalt jedoch vom typischen furtum nicht unterscheiden. Er findet seine Sache nicht mehr wieder und entdeckt sie später in der Hand eines Dritten, ohne sie freiwillig weggegeben zu haben. Der Verdacht bestohlen worden zu sein, liegt sehr nahe. Infolgedessen kamen die altbekannten Mittel der Diebstahlsverfolgung zur Anwendung. Dies gilt insbesondere für den typischen Fall des Viehdiebstahls308. Ob das abhanden gekommene Tier von jemand fortgeführt wurde, oder nur entlaufen ist, kann man regelmäßig nicht erkennen. In beiden Fällen erfolgte zunächst unter Mithilfe der Nachbarn eine Spurfolge. Traf man dabei das Tier im Rahmen förmlicher Haussuchung – quaestio lance et licio309 – beim Finder an, obwohl dieser den Besitz zuvor wahrheitswidrig verleugnet hatte, wird man ihn nicht anders als einen Dieb behandelt haben310. Blieb die Spurfolge erfolglos, wird der Eigentümer sich der actio furti nec manifesti oder zunächst der l.a.s.i.r. bedient haben, sobald er das vermisste Tier in fremdem Besitz ent304 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 95, vermutet einen wertungsmäßigen Unterschied zum depositum. Der Verwahrer mache sich eines besonderen Vertrauensbruchs schuldig, weil die Hinterlegung oft nur in höchster Not geschehe und er anders als der Entleiher selbst nicht auf die Sache angewiesen sei. Dies könne ein Motiv für die unterschiedliche deliktische Behandlung sein. 305 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 95. 306 Zu deren dunkler Vorgeschichte: Kaser, RP I, 564. 307 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 94; Kaser, AI (II. Fn. 24), 312 f. m.w. N. 308 In primitiver Bauernwirtschaft ist das nächstliegende und häufigste Diebstahlsobjekt das Vieh, Niederländer, SZ RA 67, 216. 309 Vgl. dazu oben II. 1. c) cc). 310 Als fur manifestes sofern die förmliche Haussuchung im Rahmen der Spurfolge erfolgte, Kaser, RP I, 158. Nach erfolgreicher formloser Haussuchung haftete er mit der actio furti concepti auf das Dreifache. Vgl. oben I. 1. c) cc).

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deckt hatte. Berief sich der Besitzer im Vindikationsprozess auf manzipationsweisen Erwerb, konnte der Verfolger das im Raum stehende furtum einwenden und damit auch nach Fristablauf noch eine Ladung des verdächtigen Vormannes erreichen311. Ebenso wie bei der direkten actio furti nec manifesti gegen den Finder kam es nun entscheidend darauf an, ob dieser gegen den Diebstahlsvorwurf erfolgreich einwenden konnte, er habe die Sache bzw. das Tier gefunden und nicht gestohlen. Dies ist vermutlich zu verneinen. Die diskrete Aneignung des aufgefundenen Gutes wird man schon im altrömischen Recht als nicht weniger schändlich angesehen haben, als die heimliche Wegnahme. Hätte man den Einwand fehlenden Gewahrsamsbruches zugelassen, wäre jeder Dieb versucht gewesen, sich auf diese Position zurückzuziehen. Sehr anschaulich illustriert dies das germanische Sprichwort: „Denn der Dieb findet gern, so wie der Küster den Kelch findet“312. Hinzu kommt, dass der Verdächtige den Fund regelmäßig nicht beweisen konnte. Zeugen hätten sich der Mitwisserschaft verdächtig gemacht und werden deshalb kaum zu einer Aussage bereit gewesen sein. Auf das bloße Gerede des Verdächtigen wird man sich nicht verlassen haben. Vermutlich hat die alte Anschauung das furtum-typische Wegtragen invito domino in diesen Fällen schon darin gesehen, dass der Finder die Sache bzw. das Tier vom Fundort entfernte und in sein Haus schaffte. Die Frage, ob der Eigentümer Gewahrsam hatte, stellte sich dann gar nicht. Heimlich ist das Handeln des Täters allemal. Ehrliche Finder waren also gut beraten, den Fund öffentlich kundzutun. Bestätigt wird die Einordnung des diebischen Behaltens als Diebstahl in jugendlichen Rechtsordnungen durch einen vergleichenden Blick auf das germanische Recht. Auch dort wurde der unterschlagende Finder grundsätzlich als Dieb angesehen und wie ein solcher verfolgt313. Daran ändert sich noch im Mittelalter grundlegend nichts314. Eine Unterscheidung der Fundunterschlagung vom allgemeinen Fall des Diebstahls wurde auch nach gemeinem deutschem Recht nicht vorgenommen315. Noch in § 73 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten (ALR) wurde der auf Befragen des Richters leugnende Finder dem Dieb gleichgestellt316. Erst im Bayrischen Strafgesetzbuch von 1813 er311

Vgl. oben II. 3. e) ee) (3). Disse (II. Fn. 222), 275. 313 L. Rib. 75 – vgl. näher unten V. 3. f) aa); Brunner/Schwerin, Deutsche Rechtsgeschichte II, 840 f.; Disse (II. Fn. 222), 275; Aristotelis, Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda (1985), 21. 314 Goldschmidt, Ueber den Erwerb dinglicher Rechte von dem Nichteigenthümer und die Beschränkung der dinglichen Rechtsverfolgung, insbesondere nach handelsrechtlichen Grundsätzen, ZHR 8 (1865), 247; Disse (II. Fn. 222), 278; anders: Bittner, Der Gewahrsamsbegriff und seine Bedeutung für die Systematik der Vermögensdelikte (1972), 50. 315 Aristotelis (II. Fn. 313), 21 f. 316 Aristotelis (II. Fn. 313), 22. 312

5. Keine eigenständige aeterna auctoritas Regel

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folgte eine klare Trennung des Diebstahls von der Unterschlagung317. Aus der Bestrafung desjenigen, „qui alienum quid iacens lucri faciendi causa sustulit“, wegen Diebstahls im klassischen römischen Recht318, lassen sich aufgrund der zwischenzeitlichen Erweiterung des furtum Begriffes319 zwar keine positiven Rückschlüsse auf den altrömischen Tatbestand ziehen, doch sprechen die einschlägigen Quellen auch nicht gegen eine frühe Einbeziehung der Fundunterschlagung.

e) Zwischenergebnis Der furtum-Begriff des altrömischen Rechts umfasste nur die heimliche Wegnahme und die Fundunterschlagung, nicht auch Fälle des Unterschlagens anvertrauter Sachen und des Raubes. Damit galt die ewige Gewährschaft im Sinne des aus den Überlieferungen heraus vermuteten XII-Tafelsatzes auch nur für Diebe im engeren Sinne und in den besonderen Fällen der Fundunterschlagung.

5. Keine eigenständige aeterna auctoritas Regel in den perfidia-Fällen Nachdem festgestellt wurde, dass sich die decemvirale Ausnahmebestimmung für res furtivae ursprünglich nicht auch auf veruntreute Sachen erstreckt hat, stellt sich die Frage, ob für diese einmal eigenständige, vom furtum unabhängige XII-Tafelsätze über aeterna auctoritas bestanden haben. Es kann nicht schon aus dem Schweigen der bekannten altrömischen Quellen geschlossen werden, entsprechende Normen hätten nie existiert. Dazu ist die Überlieferung viel zu bruchstückhaft320. Andererseits lässt sich aus dem bloßen Vorhandensein der poenalen actiones depositi und rationibus distrahendis auf das duplum nicht schon ableiten, dass der Täter des Treubruchs auch hinsichtlich der Pflicht zur aeterna auctoritas wie ein Dieb gehaftet haben muss. Es müssten überzeugende Gründe für eine Gleichbehandlung beider Konstellationen zu finden sein, sonst wird man das Vorhandensein weiterer verschollener XII-Tafelsätze nicht unterstellen dürfen. Oben wurde als Hauptgrund für die Einführung der aeterna auctoritas für Diebe angenommen, dass eine Rückabwicklung der von ihnen vorgenommenen Manzipationen auch nach Ablauf der Jahresfrist noch vollumfänglich zur ihren Lasten geschehen kann. Dem unwis317

Aristotelis (II. Fn. 313), 22. Ulp. D. 47, 2, 43, 4 ff. 319 Dazu unten III. 2. 320 Treffend: Huchthausen, Römisches Recht, XIII: „. . . wir haben immer noch weit mehr Lücken als Text!“. 318

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II. Altrömisches Recht

senden Erwerber sollte die Rückgabe der Sache ermöglicht werden, ohne dass er die auctoritas-Haftung des Veräußerers einbüßt. Allem voran wird durch die ewige Gewährschaft der Bestohlene geschützt. Er kann die Sache auch dann zurückverlangen, wenn er sie erst nach Jahren wiederfindet. Positiver Nebeneffekt des unbeschränkten Gewährenzuges ist die Benennung und Ladung des potentiellen Diebes, gegen den im Anschluss noch die poenale actio furti nec manifesti angestrengt werden kann. In den Unterschlagungsfällen stellt sich die Sachlage in den entscheidenden Punkten anders dar. Bezweifelt werden muss bereits, dass jene Konstellationen in der alten Zeit die erforderliche Relevanz besessen haben, um eine eigene Regelung zu erfahren. Einen wirtschaftlichen Vorteil konnte dem Täter die Veräußerung des anvertrauten Gutes nur dann bringen, wenn die Missetat nicht erkannt wurde. Sieht man von der Möglichkeit einer Flucht aus der Gemeinschaft ab, konnte sich die Unterschlagung lediglich lohnen, wenn das betreffende Gut heimlich abgezweigt werden kann, weil etwa Menge oder Identität der deponierten Sachen vom Hinterleger nicht mehr überblickt werden. Letzteres ist zwar in den Fällen des sogenannten Notdepositums321 vorstellbar, wobei der Betroffene seine Sachen aufgrund von Aufruhr, Feuer, Einsturz oder Schiffbruch322 in fremde Hände legen musste und dabei in den Wirren der Katastrophe die Übersicht verloren hat. Insgesamt dürften derartige Konstellationen jedoch höchst selten gewesen sein. Die hohe Haftungs- und Entdeckungsgefahr für den Täter hat die Häufigkeit solcher Delikte stark begrenzt. Kam es doch einmal zu einer veruntreuenden Veräußerung, wird die Jahresfrist dem Eigentümer regelmäßig ausgereicht haben, um sich die Sache vom Erwerber zurückzuholen. Sofortiges Handeln war ihm möglich, da der Unterschlagungstäter, ähnlich dem Räuber, anders als der Dieb persönlich bekannt gewesen ist. Der Verbleib der Sache ließ sich leichter ermitteln. Sollte die usus auctoritas Frist doch ausnahmsweise einmal ungenutzt verstrichen und damit die Ersitzungswirkung eingetreten sein, blieb dem (ehemaligen) Eigentümer immer noch die Inanspruchnahme des greifbaren treulosen Veräußerers323. Das Risiko eines wirtschaftlichen Totalverlustes durch den Fristablauf war für den Geschädigten damit viel geringer, als beim Diebstahl. Der Täter stand fest und musste nicht erst durch Rückverfolgung des Weges der Sache ermittelt werden. Dieses positiven praktischen Nebeneffektes des Gewährenzuges bedurfte es anders als beim Diebstahl nicht. In der Regel wird der Eigentümer direkt mittels persönlicher Klage gegen den unberechtigt ver321

Unrömisch: „depositum miserabile“. Ulp. D. 16, 3, 1, 1; Nerat. D. 16, 3, 18. 323 Diese geht im Falle des Depositums bzw. bei der Veräußerung von Mündelgut auf das duplum aus der jeweiligen Strafklage. In den Fällen der Leihe bzw. Miete bleibt anfänglich die Wegnahme eines aliud in erlaubter Selbsthilfe, später ermöglichte die legis actio per condictionem auch gerichtliche Verfolgung, vgl. oben II. 4. c) dd). 322

6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

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äußernden Verwahrer vorgegangen sein. Aufgrund der weitreichenden Zwangsvollstreckung mittels legis actio per manus iniectionem324 konnte sich auch bei Verarmung des Veräußerers kaum ein Insolvenzausfall für den Hinterleger ergeben. In der Praxis wird der als untreu überführte Verwahrer/Tutor von selbst versucht haben, die Sache zurückzuerwerben, wenn seine Unterschlagung einmal aufgedeckt war. So konnte er gegebenenfalls die Haftung auf das duplum vermeiden325. Ein eventuelles besonderes Interesse des Hinterlegers an der Sache konnte so gewahrt werden. Weniger ausgeprägt als in den furtum-Konstellationen war auch das Interesse des Erwerbers, die Sache dem Eigentümer zurückgeben zu können. Der Makel eines Deliktes haftete den unberechtigt veräußerten Sachen im Gegensatz zu den res furtiva nicht an. Mit der allein in Frage kommenden perfidia des Verwahrers/Tutors hatte der Erwerber nichts zu tun. Er selbst konnte mangels Beziehung zum Eigentümer nicht Täter des Treubruchs sein und geriet folglich auch nie unmittelbar in Verdacht. Ein Vorwurf gegen ihn, der seine Ehre betreffen könnte und den er mittels Gewährenzug bzw. Restitution ausräumen möchte, stand bei der Vindikation somit nicht im Raum. Nach alldem bietet die Sach- und Interessenlage in den Unterschlagungsfällen keinen Ansatzpunkt, einen oder mehrere verschollene XII-Tafelsätze über die aeterna auctoritas der Vertrauensmänner annehmen zu dürfen. Im Gegenteil hat sich gezeigt, dass sich die Situation in decemviraler Zeit in den entscheidenden Punkten anders darstellte, als beim einfachen Diebstahl. Man wird von der archaischen römischen Rechtsordnung sagen dürfen, dass die in ihr enthaltenen Regelungen stets aus einer praktischen Notwendigkeit heraus aufgestellt wurden. Ein nach allen Seiten geschlossenes System kann nicht erwartet werden, zumal dies selbst in klassischer Zeit niemals existiert hat. Es muss daher nicht verwundern, dass für einige nur theoretisch vorkommende Fallgruppen keine Lösungen aufzufinden sind. Die frühe Rechtsordnung ist mehr als die spätere nur ein Spiegelbild der tatsächlichen Lebensvorgänge.

6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB Einleitend wurde aufgrund des Gaius Zeugnisses die Möglichkeit in Betracht gezogen, die XII-Tafeln hätten bereits eine Art „Vorgänger“ der Regelung in § 935 BGB enthalten. Das Ergebnis der Betrachtung fällt differenziert aus. 324

Kaser/Hackl, RZ, 131 ff. Eine solche Situation behandelt Ulp. D. 16, 3, 1, 25. Dort ist die Sache mit Rücksicht auf die Hinterlegung wiedergekauft worden. Allerdings haftet der Verwahrer dennoch, weil die Sache später untergegangen ist und der erforderliche dolus bereits im veruntreuenden Verkauf zum Ausdruck kam. Hätte der Verwahrer die Sache dagegen zurückgeben können, wäre für eine actio depositi kein Raum gewesen und er hätte auch nicht gehaftet. 325

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II. Altrömisches Recht

a) Klageausschluss und Erwerbswirkung Bereits im jungen Rom hatte sich noch vor dem XII-Tafelgesetz eine reine Sachverfolgung für res mancipi entwickelt. Diese konnten unabhängig von einem Deliktsvorwurf auch in dritter Hand mittels l.a.s.i.r. verfolgt werden. Für res nec mancipi blieb es noch in der frühen Republik bei der wohl einst allgemein geltenden Eigenart, dass auf gerichtlichem Wege nur ein Deliktsvorwurf ausgetragen werden kann. In der Hand eines nichtdeliktischen Dritten war die Sache auf dem Rechtswege unverfolgbar. Dabei spielte es keine Rolle, ob der Eigentümer sie durch Diebstahl verloren oder freiwillig weggeben hatte. Bei isolierter Betrachtung der prozessualen Möglichkeiten findet sich somit im frühen römischen Recht eine sehr extreme Form des Erwerbs vom Nichtberechtigten, die weder durch Delikte an der Sache, noch durch das Erfordernis der Gutgläubigkeit eingeschränkt war. Doch darf man das Fehlen einer Klagemöglichkeit gegen nichtdeliktische Besitzer nicht vorschnell als bindende Entscheidung gegen den Alteigentümer bzw. für den Erwerber begreifen. Die anfängliche Nichtexistenz dinglicher Klagen ist lediglich die Folge eines nur in Ansätzen entwickelten staatlichen Privatrechtsschutzes326, nicht das Ergebnis einer gesetzgeberischen Wertung hinsichtlich der endgültigen Zuordnung der Sache. Ein außergerichtliches Vorgehen gegen den Besitzer in erlaubter Selbsthilfe ist dadurch nicht ausgeschlossen. Res nec mancipi wurden zunächst genauso formlos verfolgt, wie sie übertragen wurden. Hinter der fehlenden Klagemöglichkeit stand weder ein rechtliches Prinzip, noch war sie Ergebnis einer Interessenbewertung. Erklären lässt sie sich mit einem Mangel an praktischem Bedürfnis327. Die relativ seltenen und unbedeutenden reinen Sachstreitigkeiten über res nec mancipi überließ man anfänglich auch nach Einführung der l.a.s.i.r. noch der privaten Klärung. Der staatliche Eigentumsschutz in geordneten gerichtlichen Verfahren wurde auf sie erst ausgedehnt, als sich die Nachweismöglichkeiten gebessert hatten und die Unterschiede zu den res mancipi nicht mehr zeitgemäß waren328. Die zuvor bestandene Lücke im prozessualen Schutz wurde damit geschlossen.

326 Die anfängliche Beschränkung der l.a.s.i.r. auf res mancipi illustriert, dass die Vermittlung dinglichen Rechtsschutzes weniger das Ergebnis einer theoretisch-dogmatischen Erkenntnis, als vielmehr Ausfluss praktischer Bedürfnisse gewesen ist. Ein deliktsunabhängiger Streit wurde zunächst nur in den Fällen vor dem Gerichtsherrn ausgetragen, wo er am schwerwiegendsten war, nämlich hinsichtlich der res mancipi. 327 Vgl. oben I. 1. c) cc). 328 Vgl. oben I. 1. c) cc).

6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

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b) Die Befristung des Gewährenzuges – gesetzgeberisches Motiv und Wirkungen Zentrales Institut zum Nachweis der eigenen Berechtigung im Rahmen der l.a.s.i.r. war der Zug auf den auctor. Die Vormänner der Prätendenten wurden zum Nachweis der jeweiligen Berechtigung herangezogen und mussten diese notfalls unter Zuhilfenahme ihrer Gewähren bestätigen. Schon in vordecemviraler Zeit hatte sich gezeigt, dass der Gewährenzug einer Einschränkung bedurfte. Zwar war er theoretisch ein sicherer Weg, den Lauf der Sache zu verfolgen und den wahren Berechtigten zu ermitteln, in der Praxis war es für den Veräußerer jedoch unzumutbar, ewig für den Erwerber einstehen zu müssen. Seine Gewährschaftspflicht aus der mancipatio wurde daher im usus auctoritas Satz der XIITafeln für Mobilien auf 1 Jahr beschränkt. Nach Ablauf der Frist musste er nicht mehr im Prozess als Gewähre auftreten und bei Nichtgelingen auf das duplum haften. Als stillschweigend mitgeregelte Begleiterscheinung dieser Befristung konnte der mancipio accipiens sein meum esse durch bloßen Beweis des Manzipationsvorganges erbringen. Dies hatte regelmäßig die Wirkung einer bloßen Beweiserleichterung. War der mancipio dans allerdings nichtberechtigt, trat eine Ersitzungswirkung ein. Man muss sich frei machen von dem Gedanken, die Entscheidung für jene Frühform eines Erwerbs vom Nichtberechtigten könne das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen des Erwerbers einerseits und denen des Eigentümers andererseits gewesen sein. Voraussetzen würde eine Betrachtung in diesem Zweierverhältnis, dass der Veräußerer bereits als Nichtberechtigter erkannt ist. Nur dann gibt es überhaupt einen Dritten als Eigentümer und der Erwerber kann als Erwerber vom Nichtberechtigten bezeichnet werden329. Der usus auctoritas Satz setzt als prozessuale Regelung jedoch in einem Stadium an, wo die Berechtigung gerade noch fraglich ist. Er betrifft sowohl den Erwerb vom Berechtigten als auch den vom Nichtberechtigten. Für beide Fälle wird der Gewährenzug abgeschnitten, wenn auch die Wirkung aus materiellrechtlicher Sicht unterschiedlich stark ist330. Die erforderliche Interessenabwägung ist somit um einiges komplexer. Es hängt die Entscheidung für oder gegen eine Beschränkung des Gewährenzuges nicht lediglich von der theoretischen Frage ab, ob den Interessen eines Eigentümers oder denen eines Erwerbers vom Nichtberechtig329 An dieser Stelle setzt die materiellrechtliche Regelung des gutgläubigen Erwerbes vom Nichtberechtigten in § 932 BGB an. Entschieden wird der Eigentumserwerb für den Fall, dass sich der Veräußerer als nichtberechtigt erwiesen hat. 330 Die Beweiserleichterung ist nicht zu unterschätzen. Kann der Erwerber seinen auctor nicht mehr vorweisen, weil dieser etwa ortabwesend oder aus anderen Gründen nicht greifbar ist, steht er im Prozess genauso da, wie ein Erwerber vom Nichtberechtigten. Der Fristablauf befreit ihn von diesem Risiko. Er kann sein meum esse nun unabhängig von seinem auctor verteidigen.

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II. Altrömisches Recht

ten der Vorzug zu geben ist. Zugunsten der Gewährschaftsbefristung in die Bewertung einfließen müssen auch die schützenswerten Interessen des Erwerbers und des Veräußerers im weitaus häufiger vorkommenden Fall des Erwerbs vom Berechtigten. Für diese Situation ist die Wirkung des usus auctoritas Satzes rein positiv. Er verhindert eventuelle Beweisprobleme durch praktische Schwierigkeiten der Gewährenstellung und eine darauf basierende unberechtigte Eviktion durch einen eigentlich schwächer berechtigten Dritten, mit allen ihren nachteiligen Folgen für die Parteien der Manzipation. Bei ihrer Entscheidung für eine Beschränkung der Gewährschaft wollten die Decemvirn nicht primär einen aufschiebend bedingten Erwerb vom Nichtberechtigten einführen. Das wichtigste Anliegen der Regelung wird vielmehr gewesen sein, der berechtigen Veräußerung stärkeren prozessualen Schutz zukommen zu lassen. Die mit der Gewährschaftsbefristung gleichermaßen verbundene Begünstigung des unberechtigt Verfügenden und die daraus folgende Ersitzungswirkung des Manzipationspartners musste zwangsläufig in Kauf genommen werden. Sie wurde lediglich gebilligt. Gesetzgeberischer Ausgangspunkt war dieser unvermeidbare Begleiteffekt gewiss nicht, eher ein notwendiges Übel. Der in der modernen Dogmatik anzutreffende Gedanke, die Person des Erwerbers vom Nichtberechtigten werde auf Grund seines guten Glaubens geschützt, trat im altrömischen Recht noch nicht hervor. Dies zeigt sich schon daran, dass die Ersitzungswirkung anfänglich unabhängig von der Redlichkeit des Erwerbers eintrat. Der Erwerbseffekt war bloße Begleiterscheinung einer Beschränkung prozessualer Beistandspflichten. Die Berechtigung des auctor bzw. der Erfolg des Gewährenzuges wurden unwiderleglich vermutet, wenn die Gewährschaftsfrist abgelaufen war. Durch die Gewährschaftsbefristung erfährt der Manzipationserwerb eine bedeutende Veränderung. Der mancipio accipiens erlangte nun nicht mehr nur einen Schutz vor Zugriffen des mancipio dans und für den Fall des Drittzugriffes dessen Beistand, sondern er war nach Fristablauf erstmals in der Lage, die Sache unabhängig von seinem Manzipationspartner und dessen Vormännern zu verteidigen. Der Erwerb war nach Ablauf der Jahresfrist gegen rechtliche oder tatsächliche Mängel in der Gewährenkette gesichert. Die Berechtigung begann neu zu laufen, sämtliche zurückliegende Vorgänge konnten für die Sachverfolgung außer Acht bleiben. Das meum esse wurde bildlich betrachtet auf Null zurückgesetzt. Die rechtliche Bewertung hatte damit einen neuen und eindeutigen Ansatzpunkt. Der Berechtigte ließ sich mit höherer Sicherheit feststellen. Insofern diente der usus auctoritas Satz der Rechtssicherheit. Ebenso wurde der Güterumsatz nicht mehr in dem vorherigen Maße von Zweifeln über die Berechtigung der Vormänner belastet. Potentielle Erwerber werden in ihren Nachforschungen über die Geschichte der Sache entlastet, wenn auch nicht wie im modernen Recht überwiegend befreit331. Der Veräußerer konnte die Sache guten Gewissens weiterveräußern, was im Hinblick auf die strenge Eviktionshaftung

6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

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besonders wichtig gewesen sein dürfte. Seine Gewährschaftspflichten konnte er dank des usus auctoritas Satzes ein Jahr nach dem eigenen Erwerb ohne Mithilfe seiner Vormänner erfüllen. Insofern hat die decemvirale Regelung bereits eine verkehrsschützende und sichernde Wirkung.

c) Die Ausnahmebestimmung bei Veräußerung durch den Dieb – Vergleich mit § 935 BGB Dem veräußernden Dieb sollte die Befristung nicht zugute kommen. Er musste seinem Vertragspartner weiterhin ewige Gewähr für den Besitz leisten, wurde durch den Fristablauf also nicht entlastet. Vindizierte der Bestohlene vom Erwerber des Diebesgutes, konnte auch nach Jahresfrist noch voll zu Lasten des Diebes rückabgewickelt werden. Der Täter haftete sowohl dem Bestohlenen als auch dem Erwerber weiterhin auf das duplum. Die Sache ging an den Eigentümer zurück. Durch diese Ausnahmebestimmung vom usus auctoritas Satz wurde dessen Wirkungen im wichtigsten und offensichtlichsten Fall des Erwerbs vom Nichtberechtigten, dem Geschäft mit einem Dieb, entgegengewirkt. Der Dieb war der Prototyp eines nichtberechtigten Veräußerers. Seine Gewährschaft konnte von vornherein keinen Erfolg haben. Für eine positive Vermutung seiner Berechtigung bestand kein Raum. Ebensowenig war er schutzwürdig. Das Vorliegen einer nichtberechtigten Verfügung lag allerdings nur für den Dieb im engeren Sinne und den diebischen Finder, nicht aber für den Räuber und den Vertrauensmann auf der Hand. Es bedurfte keiner näheren Prüfung, um festzustellen, dass der Täter einer heimlichen Wegnahme nicht zur Veräußerung der Sache befugt gewesen ist. Wer dagegen die Sache offen an sich genommen hatte, konnte nicht ohne weiteres von einem Erwerber oder einem in erlaubter Selbsthilfe bzw. mit Zustimmung des Besitzers Handelnden unterschieden werden332. Noch mehr gilt dies für denjenigen, der die Sache vom Besitzer übergeben erhalten hatte. Die Berechtigung jener Veräußerer hängt von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab und lässt sich nicht ohne eine aufwendige Prüfung ihres Verhältnisses zum angeblich Berechtigten feststellen. Eine derartige Kontrolle der Verfügungsmacht des Gewähren sollte aber durch den usus auctoritas Satz nach einem Jahr grundsätzlich abgeschnitten sein. Nach Ablauf der Frist griff in diesen Fällen die unwiderlegliche Vermutung, dass dem Veräu331 Der theoretische Blickwinkel unterscheidet sich. Während der Erwerber nach BGB notfalls auch gutgläubig erwirbt, das tatsächliche Eigentum des Veräußerers nach dem Gesetz also überhaupt keine Rolle spielt, kommt es beim altrömischen Erwerber für die Ersitzungszeit darauf an, ob der Veräußerer berechtigt ist. Letzteres kann durch die Gewährschaftsbefristung leichter ermittelt werden. Diebstahlsfälle sind jeweils ausgenommen. 332 Vgl. oben II. 4. b) bb).

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II. Altrömisches Recht

ßerer der Nachweis seiner Berechtigung gelingen würde. Daneben fehlte es in diesen Situationen auch an einem praktischen Bedürfnis für eine Ausnahmeregelung. Der Geschädigte konnte die Sache innerhalb der überschaubaren Gemeinschaft sofort verfolgen und sich notfalls an dem ja bekannten Täter schadlos halten333. Beim Vergleich des altrömischen Ausnahmetatbestandes mit § 935 BGB zeigen sich einige Gemeinsamkeiten aber auch wichtige Unterschiede im Detail. Gestohlene Sachen können in beiden Rechten durch den Erwerber vom Dieb nicht erworben werden. Ähnlich verhält es sich mit verlorenen Sachen, wobei das BGB die Erwerbsbeschränkung unmittelbar aus dem Verlust herleitet334, das altrömische Recht in der aneignenden Ansichnahme durch den Finder ein furtum erblickt. Eine unberechtigte Veräußerung von anvertrauten Sachen wirkt sich jeweils nicht erwerbsbeschränkend aus, selbst wenn der Vertrauensmann vorsätzlich handelt. Nach dem modernem Recht fehlt es in diesen Situationen an einem unfreiwilligen Besitzverlust, nach altrömischen Recht liegt in der Veräußerung lediglich eine Untreuehandlung (perfidia), nicht aber ein hinderndes furtum. Anders als nach dem BGB kann nach decemviralem Recht die Erwerbswirkung auch bei einer Veräußerung durch den Räuber eintreten. Grundsätzlich kann der römische Eigentümer den Verlust seiner Rechtsstellung in allen Fällen binnen Jahresfrist verhindern. Der zentrale Anknüpfungspunkt des modernen bürgerlichen Rechts, dass dem Eigentümer der Eigentumsverlust nur dann zuzumuten sei, wenn er das Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz selbst veranlasst und damit die Grundlage eines Rechtsscheins gesetzt habe335, ist im altrömischen Recht nicht auszumachen. Es wird dort nicht zwischen freiwilliger Besitzaufgabe und Abhandenkommen unterschieden, sondern danach, ob der Veräußerer sich eines furtum an der Sache schuldig gemacht hat, oder nicht. Während die Regelung in § 935 BGB am Vorgang des Besitzverlustes ohne Willen des Eigentümers ansetzt, stellt das altrömische Recht auf die Art und Weise der Besitzerlangung durch den späteren Veräußerer ab. Diese muss in der typischen Art eines furtum geschehen, nämlich durch heimliche Wegnahme. Anders als nach dem BGB hängt die Möglichkeit eines Erwerbs vom Nichtberechtigten nicht entscheidend vom Verhalten des Eigentümers ab, sondern von dem des deliktischen Veräußerers. In dieses Bild ordnet sich auch die oben vertretene Auffassung schlüssig ein, dass in Rom ursprünglich nur der Erwerber vom Dieb vom Ausschluss der Ersitzungswirkung betroffen war, nicht aber dessen Nachfolger im Fall einer Weiterveräußerung. Nur der Erstveräußerer hatte ein furtum begangen, das seine 333

Vgl. oben II. 4. b) dd). In § 935 BGB sind verlorengegangene Sachen direkt benannt, neben den gestohlenen. Zur Geschichte der Formulierung ausführlich unten VI. 335 Vgl. oben I. sowie unten VI. 334

6. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

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Pflicht zur aeterna auctoritas begründete. Erst mit der Lex Atinia wurden res furtiva gänzlich unersitzbar und der Bestohlene vor dem Rechtsverlust über die erste Verfügung hinaus geschützt. Der Makel des furtum haftete von nun ab nicht mehr nur an der Person des Veräußerers, sondern an der Sache selbst. Nach wie vor wurde diese jedoch nicht dadurch ersitzungsunfähig, dass sie dem Eigentümer abhanden gekommen war, sondern allein deshalb, weil an ihr ein furtum begangen wurde. An der römischen Ausgangshaltung, nicht die Art des Besitzverlustes, sondern das deliktische Erlangen als entscheidend zu bewerten, hatte sich durch die Lex Atinia nichts geändert. Das Erwerbsverbot gründete sich auf das an der Sache begangene Delikt. Dies zeigt sich bereits darin, dass sie unter der Bezeichnung „res furtiva“336 bzw. „quod subruptum erit“337 von der Ersitzung ausgeschlossen wurden. Basiert die Ausnahme für res furtivae im altrömischen Recht nicht auf dem Gedanken, dass das Erhaltungsinteresse des Eigentümers bei Abhandenkommen ausnahmsweise größer einzuschätzen sei als das Erwerbsinteresse des Erwerbers, dann kann auch die Erwägung des heutigen Rechts noch keine Rolle gespielt haben, dass der Eigentumsverlust dem Berechtigten dann zuzumuten sei, wenn er das Auseinanderfallen von Eigentum und Besitz selbst veranlasst und damit die Grundlage des Rechtsscheins gesetzt hat.

336 337

Paul. D. 41, 3, 4, 6. Gellius XVII, 7, 1.

III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht Beginnend in den letzten beiden Jahrhunderten der republikanischen Zeit und fortwährend bis tief ins 3. Jh. n. Chr. erlebte das römische Recht jene Blüte, der es seine weltgeschichtliche Bedeutung verdankt. Angetrieben wurde die Entwicklung durch den enormen kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Aufschwung, den das römische Reich gegen Ende der Republik erfuhr. Die äußere Machtausbreitung machte eine Anpassung des Rechtsverkehrs ebenso erforderlich, wie der allmähliche Wechsel vom Bauerntum zu Handel und Geldverkehr. In vielen Punkten bedurfte das Privatrecht einer Neugestaltung. Die vorhandenen Geschäftstypen mussten einerseits juristisch genau durchgebildet, andererseits aber auch von allzu hinderlichem Formalismus befreit werden. Für die Grundgeschäfte des angewachsenen Güterverkehrs bildet die prätorische Praxis jener Zeit verbindliche Rechtsverhältnisse heraus, die sich allein auf die Treue der Beteiligten (bona fides) stützen. Zu diesen Konsensualkontrakten gehören z. B. der Kauf (emptio venditio) und die locatio conductio. Letztere umfasst aus heutiger Sicht Sachverhalte der Miete und Pacht, sowie Dienst- und Werkvertrag1. Auch die Übereignung von Mobilien vollzieht sich immer seltener im Rahmen der altzivilen Formen, worauf sogleich noch näher eingegangen wird2. Allem voran unterlag der Zivilprozess wichtigen Veränderungen. Schon in der mittleren Republik tritt neben das alte Legisaktionenverfahren das sogenannte Formularverfahren. Es wird vom Prätor im Rahmen seiner Jurisdiktionsgewalt für Prozesse eingerichtet worden sein, denen das alte Verfahren mit den schwerfälligen und unbeweglichen Spruchformeln nicht zugänglich war3. Anders als die Legisaktionen war das neue Verfahren auch Nichtbürgern zugänglich und auf Ansprüche anwendbar, die wie die formlosen Konsensualkontrakte keine gesetzliche Grundlage hatten. An den Grundsätzen der Verfahrensteilung, der Anerkennung des Streitprogramms durch die Parteien in der litis contestatio und der Einsetzung eines unparteiischen Gerichts hielt das Formularverfahren fest4. Der Prozess läuft jedoch viel variabler ab und ermöglichte so das Einflie1 Nach Cicero, de off. 3, 17, 70, gehören zu den mit bonae fidei iudicia ausgestatteten Obligationen noch weiterhin mandatum, societas, fiducia, tutela und negotium gestum. In frühklassischer Zeit tritt noch das depositum hinzu. Gaius, IV, 62 nennt auch die rei uxoriae. Kaser, RP I, 486 m.w. N. 2 Unten III. 1. a). 3 Kaser/Hackl, RZ, 153. 4 Kaser/Hackl, RZ, 151.

III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

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ßen von Ermessensentscheidungen der Gerichtsmagistrate sowie die Berücksichtigung schöpferischer Leistungen der Juristen. Seit Augustus ist der Formularprozess offiziell das allgemeine Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Privatstreitsachen. Dieser kurze Überblick deutet an, dass das römische Recht auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Expansion, insbesondere die gesteigerte Bedeutung des Handelsverkehrs, mit erhöhter Flexibilität sowie Nichtbeachtung der umständlichen altzivilen Formen und Bindungen reagierte. Das ist nachvollziehbar und scheint sogar zwingend geboten, fördert es doch die Möglichkeit des Güterumsatzes und erleichtert das Austragen von Streitigkeiten. Auch für die Regelungen zum Erwerb vom Nichtberechtigten wäre, geht man von der modernen Vorstellung einer Notwendigkeit derartiger Vorschriften für einen funktionierenden Handelsverkehr aus, zu erwarten, dass diese im aufblühenden Rom eine Ausweitung erfahren haben, zumindest jedenfalls nicht weiter eingeschränkt wurden. Gaius berichtet seinen Schülern über den Anwendungsbereich der klassischen usucapio allerdings Folgendes: Gai. II, 50 „Unde in rebus mobilibus non facile procedit, ut bonae fidei possessori usucapio competat, quia qui alienam rem vendidit et tradidit, furtum committit; idemque accidit etiam, si ex alia causa tradatur.“ Daher kommt es bei beweglichen Sachen nicht leicht vor, dass jemandem, der nur in gutem Glauben besitzt, die Ersitzung zusteht, weil ja derjenige, der eine fremde Sache verkauft und übergibt, einen Diebstahl begeht; und dasselbe ereignet sich, wenn sie aus einem anderen Grunde übergeben wird.

Der klassische Jurist führt aus, dass es zu seiner Zeit kaum noch relevante Fälle einer Ersitzung durch den gutgläubigen Erwerber vom Nichtberechtigten gegeben habe. Regelmäßig sei der Eintritt der usucapio nämlich durch das Ersitzungsverbot für res furtiva verhindert worden. Dieses habe nicht nur weggenommene Sachen erfasst, sondern auch solche, die in Kenntnis der Nichtberechtigung verkauft oder anderswie veräußert und tradiert wurden. Im Anschluss an diese fast resignierend wirkende Darstellung des praktischen Wirkungsbereiches der usucapio erläutert Gaius dann zwei Fälle, in denen die Ersitzung doch noch durchdringt5. Dabei handelt es sich jedoch um sehr spezielle Situationen, die am negativen Gesamteindruck bezüglich der Möglichkeiten eines Erwerbs vom Nichtberechtigten nichts mehr ändern können. Es drängt sich die Frage auf, welchen Sinn und Zweck die usucapio im klassischen Mobiliarverkehr überhaupt noch erfüllt hat, wenn ihr Durchgreifen durch die so weit gehende Ausnahme für res furtiva in der absoluten Mehrzahl der Erwerbssituationen verhindert wurde. Sollte sie wirklich nur in den von 5

Dazu und weiteren in Betracht kommenden Konstellationen näher unten III. 4. a).

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Gaius bezeichneten Sonderfällen eine praktische Rolle gespielt haben? Weiterhin fragt sich, worin die Ursachen der von Gaius angesprochenen Erweiterung des furtum Begriffes liegen. Wurde der Deliktstatbestand bewusst gerade im Hinblick auf die Folge der Unersitzbarkeit erweitert oder war dies nur eine in Kauf genommene Folge anderweitig begründeter Entwicklungen? War mit der Einordnung als res furtiva immer auch das Ersitzungsverbot verbunden oder gab es Ausnahmen? Bevor auf diese Fragestellungen eingegangen werden kann, ist zunächst die Entwicklung zu betrachten, welche die usucapio ausgehend von der altrömischen Ersitzungswirkung des usus auctoritas Satzes im vorklassischen und klassischen Recht genommen hat.

1. Die klassische usucapio und ihre Entstehung Im vorklassischen und klassischen römischen Recht ist die usucapio ein eigenständiger materiellrechtlicher Eigentumserwerbstatbestand, durch ein oder zwei Jahre dauernden qualifizierten Besitz6.

a) Das klassische Eigentumsverständnis Ausgehend von der unscharfen Gestalt, die es noch im altrömischen Recht geprägt hatte7, entwickelte sich das Eigentum in der jüngeren Republik zu einem festumrissenen Recht, das sich vom Besitz und den beschränkten Sachenrechten deutlich abhebt. Es lässt sich bereits als umfassende Sachherrschaft definieren und wird seit der späten Republik mit den Worten „dominium“ und „proprietas“ bezeichnet8. Innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung und der Privatautonomie ist dem Eigentümer jede Verfügung über die Sache gestattet9. Das Eigentum war so zu einem klar handhabbaren Begriff des materiellen Rechts geworden. Es konnte auf verschiedene Weise erworben werden und verloren gehen. Die sich zu dieser Zeit ausbildenden Erwerbstatbestände können bereits in solche des abgeleiteten und solche des natürlichen Erwerbs unterschieden werden. Zwar entsteht nach römischer Anschauung das Eigentum bei jedem Erwerber 6

Kaser, RP I, 418 f. Vgl. dazu oben II. 1. a). 8 Kaser, RP I, 400 f.; EB (II. Fn. 10), 306 ff. Der Begriff „dominium“ stellt die Machtstellung des Herrn in den Vordergrund, „proprietas“ die Zugehörigkeit. Eine konkrete Definition des Eigentums findet sich in den Quellen nicht, Kaser, RP I, 400. 9 Kaser, RP I, 400. Die Schranken des Eigentums ergeben sich einerseits aus, Recht, Sakralrecht und Sitte, andererseits aus der Möglichkeit des Eigentümers, die eigene Vollherrschaft durch Einräumen dinglicher oder obligatorischer Rechte selbst zu beschränken. 7

1. Die klassische usucapio und ihre Entstehung

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neu und wird nicht übertragen10, doch ist die Entstehung bei derivativem Erwerb von der Rechtsposition des Veräußerers abhängig. Der mancipio accipiens erhält nur sofort Eigentum, wenn der mancipio dans auch Berechtigter war11. Zum abgeleiteten Eigentumserwerb steht neben den abstrakten altzivilen Formen der mancipatio und in iure cessio auch die formfreie traditio zur Verfügung. Letztere verschafft allerdings nur Eigentum, wenn sie auf einem gültigen Rechtsgrund beruht, der zum Erwerb des Eigentums geeignet ist (iusta causa traditionis)12. Dies ist der Fall bei traditio aufgrund Kauf (causa emptionis), Schenkung (causa donandi), Darlehen (causa credendi) etc.13, nicht aber wenn die Sache nur zur Leihe oder Miete übergeben wird. Wie schon bisher ist die traditio das regelmäßige Geschäft zur Verschaffung von Eigentum an res nec mancipi und im Verkehr mit Peregrinen. Wird sie vom Berechtigten auf res mancipi angewandt, verschafft sie daran zwar kein ziviles, jedoch sogenanntes bonitarisches Eigentum, welches vom Prätor umfassend geschützt wird14. An natürlichen Erwerbsformen existieren die Aneignung herrenloser Sachen (occupatio)15 sowie Verbindung (accessio), Vermischung (confusio), Vermengung (commixto)16, Trennung von Früchten (separatio)17 und Verarbeitung (specificatio)18. Die usucapio lässt sich weder den derivativen, noch den natürlichen Erwerbstatbeständen zuordnen. Im Gegensatz zu den Erstgenannten entsteht das Eigentum gerade unabhängig von der Berechtigung des Veräußerers, anders als die Letztgenannten gilt die usucapio als Erwerbsart des ius civile nur für römische Bürger und der Erwerb setzt einen Rechtsgrund (iusta causa) voraus.

10 Bereits einige Klassiker hatten allerdings das praktische Bild eines Überganges vor Augen, wenn sie den Erwerb mit dominium transferre umschreiben – Lab. D. 18, 1, 80, 3; Ulp. D. 39, 3, 6, 4; D. 50, 17, 54. Vgl. zum Streitstand: Kaser, RP I, 413, Anm. 2. 11 Ulp. D. 41, 1, 20 pr.; D. 50, 17, 54. 12 Kaser, RP I, 416; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 213. 13 Das Kausalgeschäft muss jeweils wirksam sein. Eine Sonderstellung nimmt hier nur der Titel pro soluto ein. Die Übereignung zur Erfüllung einer Schuld (causa solvendi) ist auch wirksam, wenn die Schuld nicht bestanden hat. Dies ist mit der Entwicklung der solutio aus einer einem Vergleich ähnelnden Abstandszahlung zur Haftungslösung zu erklären. Kaser, RP I, 417; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 214. 14 Vgl. dazu näher unten III. 4. b). 15 Wer sogenannte „res nullis“ in Erwerbsabsicht an sich nimmt, erwirbt daran regelmäßig Eigentum. Dies können wilde Tiere, Schätze und aufgegebene Sachen sein. Gai. II, 66–69; Kaser, RP I, 425 f.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 219. 16 Kaser, RP I, 428 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 222 ff. 17 Kaser, RP I, 427 f.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 221 f. 18 Kaser, RP I, 431; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 224.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

b) Vom usus auctoritas Satz zum klassischen System der usucapio Mit dem Durchdringen des absoluten Eigentumsbegriffes veränderte sich auch der Blick auf die Wirkungen des usus auctoritas Satzes. Sie bedurften einer Übersetzung ins materielle Recht. Da der Erwerber nach Ablauf der Gewährschaftsfrist seine Sachherrschaft in alle Richtungen behaupten konnte, entsprach seine prozessuale Stellung der eines Eigentümers. Aus materiellrechtlicher Sicht musste das Eigentum auf eine bestimmte Art und Weise zu ihm gelangt sein. War der Veräußerer selbst Eigentümer, dann war der Erwerb unproblematisch. Bereits die mancipatio bzw. traditio ex iusta causa hatte bei ihm Eigentum entstehen lassen. Besonderer Erklärungsbedarf bestand nur für die Eventualität, dass der Veräußerer Nichteigentümer war. Dann wird das Eigentum erst mit Fristablauf vom Nichtberechtigten erworben. Diese Erwerbsmöglichkeit musste sich in einem gesonderten materiellrechtlichen Erwerbstatbestand ausdrücken, der nun in den Vordergrund rückte. Jene Voraussetzungen, die bisher für den Fall des Erwerbs vom Nichtberechtigten zum Obsiegen im Vindikationsprozess erfüllt sein mussten, wurden zu Tatbestandsvoraussetzungen der usucapio umgedeutet19 und weitergebildet. aa) Die Entwicklung des Begriffes „usucapio“ Der Begriff „usucapio“ drückt in klassischer Zeit einen Eigentumserwerb nach ein- bzw. zweijähriger Besitzdauer aus. Mit den Wortbestandteilen „usus“ und „capio“ werden allerdings lediglich die tatsächliche Sachherrschaft und ein Akt des Ergreifens bezeichnet. Entscheidend für die Deutung der Zusammensetzung ist die Relation zwischen „usus“ und „capio“. Diese ist stark umstritten20. Bei unbefangener Betrachtung wird die Verbindung aus den beiden Worten am ehesten als Ergreifen der Sachgewalt bzw. Gebrauchsmöglichkeit zu verstehen sein. Es handelt sich dann um eine einfache aktivische Genitivkonstruktion – „capio des usus“21. Will man die aus der klassischen Funktion der usucapio naheliegende Deutung als „Rechtserwerb nach Sachherrschaft“ erreichen, müsste die Verbindung mit „capio durch usus“ zu übersetzen sein. Dahin gelangt man entweder durch Annahme einer parathetischen Zusammensetzung mit Ablativ22, oder die Deutung von usus als passivischen Genitiv, wonach usuca19 Kaser, RP I, 418 f.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 132: „der prozeßrechtliche Satz wurde durch die interpretatio prudentium in einen materiellrechtlichen umgewandelt“. 20 Mayer-Maly, Studien zur Frühgeschichte der usucapio I, SZ RA 77 (1961), 22 ff.; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 405 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 132, jeweils m.w. N. 21 Mayer-Maly, SZ RA 77, 22, 29.

1. Die klassische usucapio und ihre Entstehung

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pio nicht die capio des usus, sondern die durch den usus bewirkte capio darstellt23. Berechtigte Bedenken gegen die Ursprünglichkeit letztgenannter Deutungen bestehen deshalb, weil „capio“ dann nicht das tatsächliche Ergreifen der Sachgewalt24, sondern den nachfolgenden Rechtserwerb meinen müsste und eine solche unanschauliche Gedankenführung der typischen Sinnfälligkeit früher Rechtssprache widerspricht25. Die Quellen zeigen kein deutliches Bild. Der Ausdruck „usucapio“ findet sich in der ganz überwiegenden Mehrzahl der vorklassischen und klassischen Quellen wieder26. Cicero und Gellius verwenden allerdings gerade im Zusammenhang mit frührömischen Rechtsinstituten den Ausdruck „ususcapio“27, der wohl eher auf die erstgenannte Genitivkonstruktion hindeutet28. Dies lässt wahrscheinlich werden, dass sich neben dem Verständnis des usus auctoritas Satzes auch der Bedeutungsgehalt des Ausdruckes „usucapio“ gewandelt hat. Ursprünglich wird dieser noch nicht mehr bezeichnet haben, als das bloße tatsächliche Ergreifen der Sache durch den Erwerber, also einen den usus-Besitz begründenden Zugriff29. Geschah die capio des usus im Rahmen der mancipatio (manu capere), führte dies nach Ablauf der auctoritas-Frist zum Erwerb einer gesicherten Rechtsposition30. Das Ergreifen der Sache war tatsächlicher Ausgangspunkt und Voraussetzung der archaischen Ersitzungswirkung des usus auctoritas Satzes. An diesem sinnbildlichen Akt der Herrschaftsbegründung setzte die Bezeichnung ursprünglich an. Erst im 2. Jh. 22

Vgl. die Nachweise bei Mayer-Maly, SZ RA 77, 22. Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 388; dagegen: Mayer-Maly, SZ RA 77, 22 f., Anm. 28. 24 Manu capere bedeutet z. B. bei der mancipatio das tatsächliche Ergreifen der Sache, Gai. I, 121. Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 132, sieht den Begriff der usucapio als Zusammenschiebung eines Asyndetons „usus et capio“, womit zunächst nur das tatsächliche Nehmen der Sache und die Nutzung als eigene beschrieben worden sei. 25 Mayer-Maly, SZ RA 77, 22. 26 Mayer-Maly, SZ RA 77, 23 f. Auch bei Cicero überwiegt „usucapio“, MayerMaly, SZ RA 77, 24, Anm. 35. 27 Gellius VI, 10 (zur pignoris capio); Cic. de leg. 1, 55 (zum Ersitzungsverbot bezüglich des confinium). Vgl. zudem Cic. top. 27, Gai. II, 60; Ulp. D. 41, 9, 1, 2. und die bei Mayer-Maly, SZ RA 77, 26, zitierte Inschrift einer 1952 gefundenen Bronzetafel. 28 Mayer-Maly, SZ RA 77, 24. Allerdings können diese Stellen nicht gegen die von Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 388, angenommene Lesart als passivischer Genitiv angeführt werden. 29 Mayer-Maly, SZ RA 77, 29. 30 Vgl. oben II. 2. Auch das sonstige Ergreifen von Gegenständen, etwa das öffentliche Ansichnehmen einer aufgefundenen Sache, oder auch die Inbesitznahme eines Grundstückes, führten zum Entstehen eines mit der Besitzzeit stärker werdenden (relativen) Herrschaftsanspruches. Dieser gründet sich auf die rechtsbildende Kraft der mit dem Zugriff geschaffenen Fakten i.V. m. dem Ablauf von Zeit – vgl. dazu oben II. 3. e) cc). Mit dem usus auctoritas Satz hat dieses Institut aber direkt nichts zu tun. 23

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

v. Chr. rückte die rechtsverschaffende Wirkung der Herrschaftsdauer in den Mittelpunkt31 und der Begriff wurde entsprechend anders verstanden bzw. umgedeutet. bb) Fristablauf und usurpatio Aus den XII-Tafeln übernommen wurde die Dauer der Ersitzungsfristen. Sie beträgt wie im usus auctoritas Satz bei Grundstücken zwei Jahre, bei allen anderen Gegenständen ein Jahr. Während im usus auctoritas Satz direkt nur die Dauer der Gewährschaftsverpflichtung bestimmt war und lediglich als Reflex dieser Befristung eine Ersitzungswirkung eintrat, sind die klassischen Fristen bereits echte Ersitzungsfristen. Sie beginnen mit dem Erlangen des Besitzes an der Sache und werden durch den Besitzverlust unterbrochen (usurpatio)32. Ersitzung tritt nur ein, wenn der Besitz über den gesamten Ersitzungszeitraum fortdauert. Auch darin zeigt sich, dass mittlerweile die Erwerbswirkung in den Vordergrund gerückt ist. Das Eigentum entsteht beim Erwerber nur dann, wenn er selbst durch einjährigen qualifizierten Eigenbesitz nahe genug an die Sache herangerückt ist. Die ursprünglich einmal zentrale Befreiung des Veräußerers von seiner Gewährspflicht und Haftung tritt nur noch als Nebenwirkung ein33. Seit die usucapio als eigener materiellrechtlicher Erwerbstatbestand begriffen wird, erscheint der Veräußerer nicht mehr als schutzwürdig, weil er bei dieser Sichtweise zwingend unberechtigt Verfügender ist. Ersitzungserwerb tritt ja nur ein, wenn man sich einen Dritten als wahren Eigentümer vorstellt. Damit bleiben die ursprünglich durch den usus auctoritas geschützten Veräußerungen durch Berechtigte, denen nach einem Jahr die Last der prozessualen Beistandspflicht und Haftung abgenommen werden sollte, gedanklich außen vor. Der 31 Mayer-Maly, SZ RA 77, 28, Anm. 56 – mit Verweis auf Cic. de leg. II, 48 (erbrechtliches Pontifikaldekret des P. Mucius Scaevola von etwa 130–115 v. Chr.: „. . . Tertio loco, si nemo sit heres, is qui de bonis, quae eius fuerint, quom moritur, usu ceperit plurimum possidendo.“; Varro, rerum rust. II 10, 4: „. . . aut si usu ce- pit . . .“; sowie den klassischen Stellen: Paul. D. 41, 1, 48, 1; Ulp. D. 50, 16, 71 pr. wo deutlich zum Ausdruck kommt, dass capio von den Hochklassikern als Wirkung des usus verstanden wurde. 32 Paul. D. 41, 3, 2; Gai. D. 41, 3, 5; Kaser, RP I, 136, 423; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 399 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 216; Mayer-Maly, in: RE, usurpatio, Sp. 1133 f. Auch der Begriff „usurpatio“ (zusammengesetzt aus „usus“ und „rapere“ oder „ru(m)pere“) wird zunächst die tatsächliche Unterbrechung des usus bezeichnet haben und erst später als spezieller juristischer Terminus für die Unterbrechung des Rechtserwerbs durch Ersitzung verwendet worden sein. 33 Gai. D. 21, 2, 54 pr.: „Qui alienam rem vendidit, post longi temporis praescriptionem vel usucapionem desinit emptori teneri de evictione.“ Übersetzung: Wer eine fremde Sache verkauft hat, hört nach der Verjährung der langen Zeit oder der Ersitzung auf, dem Käufer wegen der Eviktion gehalten zu sein. Zur Textkritik: Wacke, Paulus Dig. 3, 5, 18, 3: Zur bona fides bei Ersitzung, Geschäftsführung und Eviktionsregreß, FS von Lübtow 1980, Anm. 31.

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Fristablauf war folglich nicht mehr vom Blickwinkel der Veräußerer her zu bestimmen, also unabhängig vom usus des Manzipationspartners fortlaufend ab dessen Zugriff (usus capio), sondern aus dem der Erwerber vom Nichtberechtigten. Es wird nunmehr ununterbrochener Besitz gefordert. Nur dann soll sich der Usukapient gegen die gedanklich existenten bisherigen Eigentümer durchsetzen. Klageerhebung gegen den Besitzer schadet dem Fristablauf nicht34. Die vom Erblasser begonnene Ersitzung wird vom Erben fortgesetzt (successio in possessionem)35. Eine Anrechnung der Besitzzeit des Vorgängers im Erwerbsfall findet wohl erst ab Severus und Caracalla statt36. cc) iusta causa Der Eigentumserwerb durch usucapio setzt einen anerkannten Erwerbstitel (iusta causa) voraus. Als iustus titulus gelten z. B. die Erwerbstitel pro emptore (Kauf), pro donato (Schenkung), pro dote (Dosbestellung) und pro soluto (Leistung aus stipulatio)37. Oben wurde bereits darauf eingegangen, dass sich die verbreitete Ansicht nicht halten lässt, wonach das Erfordernis eines gültigen Erwerbsgrundes im altrömischen Recht noch nicht gegolten habe, also eine Neuerung der vorklassischen Zeit sei38. Auch die Ersitzungswirkung des usus auctoritas Satzes war schon abhängig von einem wirksamen Erwerbsgeschäft, nämlich der mancipatio. Ohne sie wurde überhaupt keine auctoritas-Pflicht begründet, so dass auch deren Befristung auf ein Jahr keine Bedeutung erlangen konnte. Im Rahmen der Umdeutung der altrömischen Ersitzungswirkung zu ei34 Paul. D. 41, 4, 2, 21; Wacke, FS von Lübtow 1980, 289. Doch kann die Ersitzung gegen den siegreichen Kläger nicht mit Erfolg beendet werden, Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 216. 35 Iav. D. 41, 3, 20; Iul. D. 41, 4, 7 pr.; Pomp. D. 41, 3, 24, 1; D. 41, 4, 6, 2; Kaser, RP I, 423; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 216; von Lübtow, Studi in onore di G. Grosso II, 595 f., 603, spricht demgegenüber von „successio in usucapionem“, um auszudrücken, dass es die Usukapionsstellung des Erblassers ist, in die der Erbe einrückt. Auf den eigenen Besitz des Erben selbst kommt es nicht an. Auch die Zeit des ungestörten Verbleibens der Sache im ruhenden Nachlass (hereditas iacens) wurde trotz fehlenden Besitzes berücksichtigt, von Lübtow, Studi in onore di G. Grosso II, 592 f. m.w. N. 36 I. 2, 6, 13; Kaser, RP I, 423. 37 D. 41, 4–10; Kaser, RP I, 421; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 216. Daneben alle weiteren Titel, die auch bei der traditio den Erwerb tragen, sowie weiterhin pro derelicto, pro herede und pro suo. Einige Juristen ließen den bloßen Glauben an eine gültige causa, also einen Putativtitel genügen. Ganz verzichtet hat man auf die causa allerdings nie. Vgl. zum Putativtitelproblem ausführlich: Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio, 1962; dazu die Rezension von Wubbe, SZ RA 81 (1964), 416 ff.; sowie die Nachweise bei Kaser, RP I, 421, Anm. 20; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 154 ff.; Hausmaninger, Die Bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht (1964), 13 ff., 42 ff. 38 So aber Kaser, EB (II. Fn. 10), 295; RP I, 420; Jörs/Kunkel, Römisches Privatrecht, 135; dagegen mit Söllner, FS Coing, 371 ff., vgl. oben II. 2. b) dd) (5).

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nem Eigentumserwerbstatbestand wurde die Notwendigkeit eines zureichenden Erwerbsgrundes als selbständiges Merkmal der usucapio erfasst39 und sogleich durch Verallgemeinerung ausgedehnt. Neben dem ursprünglichen Kauf ließ die spätrepublikanische Rechtswissenschaft auch eine Vielzahl weiterer Titel zu, was dadurch möglich wurde, dass der ursprüngliche Ansatzpunkt an der Gewährschaftspflicht aufgegeben wurde. Nun konnten auch solche Erwerbsgründe zur Ersitzung führen, die nicht zu einer Gewährschaftshilfe (auctoritas) führen und damit vom Regelungsbereich des archaischen usus auctoritas Satz noch nicht betroffen waren. dd) Besitzerwerb bona fides Neben der iusta causa wird noch ein weiteres Tatbestandsmerkmal der klassischen usucapio als Errungenschaft der frühklassischen Rechtswissenschaft angesehen, das Erfordernis von bona fides auf Seiten des Erwerbers40. Dieser muss in sittlich einwandfreier Weise gehandelt und auf die Rechtmäßigkeit seines Erwerbs vertraut haben41. Trotz Erwerbstitel und einjährigem Besitz kam ihm der Fristablauf nur dann zugute, wenn er bestimmte, den Erwerb hindernde Umstände, zum Zeitpunkt des Erwerbsvorganges nicht gekannt hat. Wichtigster Fall von bona fides ist der Glaube daran, dass der Veräußerer Eigentümer ist42. Doch auch wenn der Erwerber das Nichteigentum des Vormannes kennt, wohl aber an dessen Verfügungsbefugnis glaubt, wird ihm die zur usucapio erforderliche bona fides attestiert43. Daneben überbrückt die bona fides nach klassi-

39 Mayer-Maly, SZ RA 79, 97 ff., betont zu Recht, dass die die Frage der Einführung der iusta causa als Ersitzungsvoraussetzung durch die nach ihrer Durchdringung, Verselbständigung und terminologischen Erfassung ersetzt werden müsse. 40 Kaser, RP I, 423; Hausmaninger (III. Fn. 37), 7 ff.; Wubbe, Der gutgläubige Besitzer, Mensch oder Begriff?, SZ RA 80 (1963), 175 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 153 ff. 41 Kaser, RP I, 422 – mit Hinweis auf den Gegensatz zu mala fides. 42 I. 2, 6 pr.; I. 2, 1, 35; Paul. D. 18, 1, 27; Iul. D. 41, 3, 33, 1; Gai. II, 43: „. . . si modo eas bona fide acceperimus, cum crederemus eum, qui traderet, dominum esse.“ Übersetzung: wenn wir sie nur bona fide angenommen haben, da wir glaubten, dass derjenige, der sie uns übergab, der Eigentümer sei. – dazu Hausmaninger (III. Fn. 37), 7 f., der die Beschränkung der gaianischen Darstellung auf den Glaube an das Eigentum des Vormannes mit Recht als „Ergebnis elementarer Vereinfachung“ sieht. 43 Mod. D. 50, 16, 109: „,Bonae fidei emptor‘ esse videtur, qui ignoravit eam rem alienam esse, aut putavit eum qui vendidit ius vendendi habere, puta procuratorem aut tutorem esse.“ Übersetzung: Ein „gutgläubiger Besitzer“ scheint derjenige zu sein, welcher entweder nicht gewusst hat, dass diese Sache nicht dem Veräußerer gehöre, oder geglaubt hat, dass derjenige, welcher verkauft hat, das Recht zum Verkaufen habe, z. B. dass er Prokurator oder Vormund sei.; Pomp. D. 41, 7, 5 pr.; Scaev. D. 41, 4, 14; Hausmaninger (III. Fn. 37), 10 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 153. So auch § 366 I HGB, anders die bürgerlich-rechtliche Regelung in § 932 II BGB, wonach nur der Glaube an das Eigentum des Vormannes geschützt wird.

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schem Recht auch bestimmte weitere Erwerbsmängel, nach Auffassung einiger römischer Juristen auch das völlige Fehlen einer iusta causa (Putativtitel)44. Zweifellos gehört jenes juristisch durchdrungene und terminologisch gesonderte Tatbestandsmerkmal der bona fides, wie es aus den Quellen überliefert ist, noch nicht der altrömischen Ordnung an. Mit Söllner kann jedoch angenommen werden, dass bereits früh Tendenzen existierten, dem dolos handelnden Erwerber die Wirkungen des usus auctoritas Satzes zu versagen45. Zunächst fordert Söllner, man müsse sich von der Vorstellung radikal freimachen, dass bona fides in den Quellen unmittelbar „guter Glaube“ bezüglich der Eigentümerstellung oder der Verfügungsbefugnis des Veräußerers bedeute. Vielmehr habe man sich an der allgemeinen Definition Ciceros, „fit, quod dicitur“46 zu orientieren. Bona fides sei demnach die korrekte Einhaltung eines wirksam begründeten Leistungsversprechens47. Es läge dann folgende Überlegung nahe: Wusste der Käufer, dass er sich die Sache von einem Nichtberechtigten manzipieren ließ, dann wusste er auch, dass der Veräußerer ihm keine wirksame auctoritas leisten konnte. Er bewirkt mit dem Geschäft nur, dass ihm der Veräußerer auf das duplum haftet. Ein solches Erschleichen einer Haftung sahen die Römer als Arglist an. Das Verhalten des Käufers entsprach dann zweifellos nicht der bona fides. Dass Arglist und bona fides miteinander nicht in Einklang zu bringen sind, teilt schon Cicero48 mit. Söllner schließt daraus, dass ein solches Geschäft nicht als rechtmäßiger Erwerbsvorgang angesehen worden sei, da eine Gewährschaftspflicht nicht wirksam begründet wurde. Ohne diese konnte der usus auctoritas Satz keine Wirkung erzielen. Der gute Glaube an das Eigentum sei damit ein Kennzeichen bzw. eine Voraussetzung der bona fides gewesen, nicht aber diese selbst49. Für Söllners Theorie spricht, dass im römischen Recht nur das tatsächliche Wissen, nicht aber ein etwa grob fahrlässiges Nichtwissen den Erwerb vom Nichtberechtigten hinderte. Außerdem lässt sich damit erklären, warum nachträgliche Kenntnis den Erwerb nicht hindern kann50. Im Hinblick auf die später üblichen freien Verträge, also solche Geschäfte, die wie der Kaufvertrag (emptio venditio) auf bloßer Willensübereinstimmung basieren, ist Söllners Erklärung schlüssig. Die bona fides ist dort die rechtliche Grundlage des Geschäftes, die Verträge stehen und fallen mit ihr51. Trotz der in klassischer Zeit diffe44

Strittig, vgl. dazu oben III. 1. b) cc) und unten III. 4. c). Söllner, FS Coing, 363 ff.; RG (II. Fn. 30), 53 f.; vgl. auch oben II. 2. b) dd) (5). 46 Cic., De officiis, 1, 7, 23: „. . . tamen audeamus imitari Stoicos, qui studiose exquirunt, unde verba sint ducta, credamusque, quia fiat, quod dictum est, appellatam fidem.“ De re publica, 4, 7: „Fides enim nomen ipsum mihi videtur habere, cum fit quod dicitur“. 47 Söllner, FS Coing, 375. 48 Cic., De officiis, 3, 61 ff.; Söllner, FS Coing, 376. 49 Söllner, FS Coing, 376 f. 50 Söllner, FS Coing, 377. 45

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renzierenden Verwendung des Begriffes bona fides in schuldrechtlicher Hinsicht und im Rahmen der usucapio, liegt eine gemeinsame Grundlage in der Tat nahe52. Eher unwahrscheinlich ist es jedoch, dass ursprünglich auch einmal die mancipatio als unwirksam angesehen wurde, wenn nur die Kenntnis des Erwerbers an den Tag kam53. Hatte sich jedoch ausgehend von den formfreien Käufen einmal die Anschauung durchgesetzt, der um die Nichtberechtigung wissende Erwerber könne nicht ersitzen, wird man diese Wertung auf die Fälle des Manzipationserwerbs rückprojiziert und auch vom mancipio accipiens bona fides gefordert haben. Trifft dieses Entwicklungsbild zu, dann diente auch das Erfordernis der bona fides ursprünglich einmal dem Schutz des Veräußerers vor Inanspruchnahme auf das duplum. Der Ersitzungsausschluss bei Kenntnis der Nichtberechtigung trat dabei anfänglich nur als Nebenwirkung ein. Mit der Umgestaltung der usucapio zu einem Erwerbstatbestand wurden diese Fälle sachlich zutreffend als Ersitzungshindernis erfasst und kamen im positiven Tatbestandsmerkmal der bona fides zum Ausdruck. Nur zum Zeitpunkt des Erwerbes forderten die Römer bona fides, nicht auch während des gesamten Ersitzungszeitraumes54. Trotz nachträglicher Bösgläubigkeit konnte der bei Übergabe bzw. Vertragsschluss gutgläubige Erwerber erfolgreich ersitzen55. Im Hinblick auf die Deutung der klassischen usucapio als Eigentumserwerbstatbestand durch qualifizierten Besitz muss die Beschränkung 51 Damit wirkte die fehlende bona fides anfänglich nur indirekt über den Wegfall des Erwerbsgrundes, also eines Umstandes, der die Gewährschaftshilfe sichert. Der Veräußerer war dem unredlichen Erwerber nicht zum Beistand (auctoritas) verpflichtet, wodurch der usus auctoritas Satz nicht eingriff. 52 Söllner, FS Coing, 375: „Es wäre seltsam, wenn der juristisch-technische Begriff der bona fides zwei völlig verschiedene Begriffsinhalte gehabt haben sollte.“; vgl. auch Söllner, zu: Wubbe, Le possesseur de bonne foi vu par les juristes romains et modernes, AcP 165 (1965), 176 f., mit Hinweisen auf die in diese Richtung tendierenden älteren Untersuchungen der bona fides von Carl Georg Bruns (1872) und Richard Heinze (1929). 53 Das Abstellen auf innere Sachverhalte ist archaischen Rechten regelmäßig fremd. Zudem ist die mancipatio ursprünglich einseitiger Zugriff. Wer die Sache trotz Kenntnis der Nichtberechtigung seines Gegenübers nimmt, muss damit nicht in erster Linie dessen Haftung provoziert haben, die auctoritas-Pflicht folgte ja automatisch. Der Vorwurf unredlichen Handelns tritt erst zutage, als es üblich wurde, die Auktoritätshaftung für den formlosen Kauf durch stipulatio duplae explizit nachzubilden. Wer sich das duplum trotz Kenntnis der Eviktionsmöglichkeit versprechen ließ, handelte arglistig. Der Veräußerer wurde dadurch nicht wirksam verpflichtet. 54 Paul. D. 41, 1, 48, 1; D. 41, 3, 15, 2; Kaser, RP I, 423; Söllner, FS Coing, 377; Wacke, FS von Lübtow 1980, 269 ff.; Hausmaninger (III. Fn. 37), 81 ff. Die Maxime mala fides superveniens non nocet selbst, ist erst von den Glossatoren und Konsilatoren im Gegensatz zum kanonischen Recht geprägt worden. 55 Paulus verlangt bona fides beim Kauf sowohl bei Übergabe als auch bei Vertragsschluss, Paul. D. 41, 3, 48; D. 41, 4, 2 pr. Dagegen stellen Sabinus, Cassius, Ulpian und Julian (str.) nur auf die Übergabe ab, Ulp. D. 41, 3, 10 pr.; Iul. D. 41, 4, 7, 4; vgl. auch Ulp. D. 6, 2, 7, 17; Hausmaninger (III. Fn. 37), 81 ff.; Kaser, RP I, 423.

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der bona fides auf den Erwerbszeitpunkt Bedenken auslösen. Es fragt sich, weshalb der gute Glaube an den erfolgreichen Eigentumserwerb nicht ebenso die gesamte Ersitzungsfrist über andauern muss, wie der Besitz selbst auch56. Schlimmstenfalls konnte ein bösgläubig gewordener Erwerber vom Nichtberechtigten die Sache einem ihm bekannten Eigentümer sehenden Auges wegersitzen, auch wenn der Eigentümer selbst davon nichts wusste, oder aufgrund Abwesenheit etc. nichts unternehmen konnte. Dem die ganze Zeit über gutgläubigen Besitzer ließe sich viel leichter bescheinigen, so nah an die Sache herangerückt zu sein, dass sich ein Eigentumserwerb rechtfertigt, als einem Erwerber, der unter Umständen schon kurz nach dem Erwerb Kenntnis von seiner Nichtberechtigung erlangt hat. Dennoch ließen die Römer die bona fides als Qualifikation des Besitzerwerbes ausreichen, forderten sie nicht auch für die gesamte Dauer des Besitzes. Wer lediglich beim Erwerbsvorgang gutgläubig war, gilt auch bei nachträglicher Kenntnis weiterhin als possessor bonae fidei57. Dies könnte zunächst damit zusammenhängen, dass sich die ersitzungsrechtliche bona fides nach der hier vertretenen Auffassung aus einer Sanktion unredlichen Verhaltens beim Erwerb entwickelt hat58. Nur der Erwerbszeitpunkt konnte danach entscheidend sein. Darüber hinaus könnte sich die Unbeachtlichkeit späterer Kenntnis von der Nichtberechtigung daraus erklären lassen, dass diese im Unterschied zur anfänglichen nicht automatisch einen Verstoß gegen die bona fides59 mit sich brachte. Es fragt sich, ob dem Erwerber in diesem Fall ein relevanter Vorwurf gemacht werden kann. Da die Besitzergreifung redlich erfolgt ist, müsste dieser an der Nichtrückgabe der Sache bzw. dem stillschweigenden Ersitzen anknüpfen. Tatsächlich gerät der Erwerber in eine Kollisionslage, wenn er von der Nichtberechtigung seines Vormannes nachträglich erfährt. Einerseits scheint es dann angebracht, dem geschädigten Eigentümer die Sache herauszugeben, da sie ja in seine Hände gehört, anderseits ist der Erwerber aber auch dem Veräußerer aus dem Erwerbsgeschäft schuldrechtlich zu bona fides verpflichtet. Die letztgenannte Pflicht nahmen die Römer sehr ernst. Den klassischen Quellen lässt sich entnehmen, dass eine zwanglose Restitution als Verlet56 Vgl. zum Besitz im altrömischen Recht oben II. 2. b) dd) (6). Im Ersitzungsrecht des BGB schadet auch nachträgliche Bösgläubigkeit, § 937 II BGB. Unbeachtlich ist sie dagegen beim gutgläubigen Erwerb, §§ 932 ff. Dort kommt es nach § 932 I 1 auf den Zeitpunkt des Eigentumserwerbs an, der regelmäßig mit dem Besitzerwerb zusammenfällt. Nachträgliche Bösgläubigkeit begründet keine Rückübereignungspflicht. 57 Auch wenn die Quellen von bona fide possidere sprechen, stellen sie allein auf den gutgläubigen Erwerb des Besitzes ab – Hausmaninger (III. Fn. 37), 93, mit dem Hinweis darauf, dass auch andere Besitzqualifikationen am Erwerbsakt anknüpfen (vi, clam, precario possidere). Vgl. auch: Wacke, Zur Aktiv- und Passivlegitimation des gutgläubigen Sklavenbesitzers, Grenzen prozessualistischer Betrachtungsweise der römischen Rechtsquellen, FS Seidl (1975), 189 f., 217 f. 58 Vgl. oben II. 2. b) dd) (5). 59 Im oben genannten Sinne als sittliches Erfordernis der Redlichkeit verstanden, Kaser RP I, 422; Söllner, FS Coing, 346 f.

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zung der schuldrechtlichen bona fides aus dem Kauf angesehen wurde. Vereitelt der Erwerber die usucapio, verliert er seinen Eviktionsanspruch gegen den Veräußerer. Der Erwerber ist zur Ersitzung nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Er muss alles notwendige Tun, um sich die Sache zu erhalten, auch bei Kenntnis der eigenen Nichtberechtigung60. In dieser Rechtsauffassung zeigt sich sehr deutlich, dass der Schutz des Vormannes vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme auf das duplum auch in klassischer Zeit noch ein wichtiges Anliegen war61, wenn es auch durch die Umgestaltung des usus auctoritas Satzes zum Eigentumserwerbstatbestand der usucapio etwas in den Hintergrund gedrängt wurde. Dem Erwerber kann als Folge der Ersitzungspflicht die Nichtherausgabe an den Eigentümer bzw. das Fortführen der Ersitzung nicht vorgeworfen werden. Darin liegt wegen der kollidierenden Pflichten aus dem Erwerbsgeschäft keine mala fides. Das Tatbestandsmerkmal der bona fides setzt das Vorliegen unredlichen Handelns zwingend voraus62 und ist daher bei nachträglicher Kenntnis einfach nicht gegeben.

60 Paul. D. 21, 2, 56, 3: „Si, cum possit usucapere emptor, non cepit, culpa sua hoc fecisse videtur: unde si evictus est servus, non tenetur venditor.“ Übersetzung: Wenn der Käufer, der die Sache ersitzen konnte, sie nicht ersessen hat, so scheint er das durch sein Verschulden getan zu haben: daher ist der Verkäufer nicht gehalten, wenn der Sklave evinziert worden ist. Dazu: Wacke, FS Seidl, 218, Anm. 166; FS von Lübtow (1980), 284. In diesem Sinne auch der Sonderfall bei Paul. D. 3, 5, 18, 3, wo der Geschäftsführer „tu“ sich selbst eine Sache kauft, ohne zu wissen, dass diese seinem Geschäftsherrn gehört, später davon jedoch Kenntnis erlangt. Hier darf und muss der Geschäftsführer seine eigene Ersitzung ausnahmsweise unterbrechen (durch Bestellung eines Unterbevollmächtigten, der gegen ihn Klage erhebt), da ihm dies die bona fides aus dem Geschäftsführungsverhältnis gebietet – ausführlich: Wacke, FS von Lübtow 1980, 269 ff. 61 Voraussetzung der Eviktionshaftung war regelmäßig die erfolgreiche Eviktion des Eigentümers bzw. ein erfolgloses Vindizieren durch den Erwerber im ordentlichen Verfahren, Pomp. D. 21, 2, 16, 1; Ulp./Iul D. 21, 2, 21, 1. Nicht ausreichend war das bloße Unterliegen vor einem freiwilligen Schiedsgericht, da der Erwerber dorthin nicht gezwungen werden konnte, Paul. D. 21, 2, 56, 1. Schon gar nicht durfte der Erwerber den Anspruch der Gegenseite anerkennen oder eine Frist versäumen, Ulp. D. 21, 2, 55 pr.; Mod. D. 21, 2, 63, 2. Indirekt kommt die Pflicht zum ordentlichen Prozessieren auch dadurch zum Ausdruck, dass ein wider besseres Wissen geführter Vindikationsoder Freiheitsprozess nicht als schikanös bzw. als Iniurie angesehen wurde, Gai. D. 40, 12, 26; D. 47, 10, 12. Die Pflicht zum förmlichen Austragen des zwischen den Parteien nicht vorhandenen Streites diente allein dem Schutz des Veräußerers vor missbräuchlicher Inanspruchnahme aus der Eviktionshaftung, Wacke, FS von Lübtow 1980, 285 f. Bei Kenntnis des Veräußerers von der Nichtberechtigung musste die Eviktion dagegen nicht abgewartet werden, Afr./Iul. D. 19, 1, 30, 1. Begründet wird diese Ausnahme damit, dass der Veräußerer für Arglist unabhängig von einer tatsächlichen Eviktion einzustehen habe. Er war dann ausnahmsweise nicht schutzwürdig. 62 Kaser, RP I, 422; Söllner, FS Coing, 377.

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c) Von aeterna auctoritas adversus furem zum Ausschluss der Ersitzung furtiver Sachen Ebenso wie der usus auctoritas Satz bedurften auch die altrömischen Ausnahmesätze über aeterna auctoritas einer Übersetzung ins materielle Recht. Sie wurden als Ausschluss der Ersitzung verstanden63. Paulus erwähnt in D. 41, 3, 4, 6, dass das klassische Ersitzungsverbot für furtive Sachen auf die Lex Atinia zurückgehe64. Von dieser wissen wir aber aus Gellius XVII, 7, 1, dass sie an der betreffenden Stelle lediglich bestimmt hat: „quod subruptum erit, eius rei aeterna auctoritas esto“. Der Gesetzeswortlaut ist noch in der altrömischen Terminologie verfasst, wird aber vom klassischen Juristen Paulus unbefangen als Ersitzungsverbot dargestellt, ohne dass er dies für besonders erklärungsbedürftig hält. In der gleichen Selbstverständlichkeit wird das Atinische Gesetz in D. 41, 3, 33 pr. und I. 2, 6, 2 als Quelle des Ersitzungsverbotes für res furtiva genannt65. Die Überlieferung des betreffenden Satzes der Lex Atinia durch Gellius ist für das Verständnis der Entwicklung der Regelung ein Glücksfall. Bringt man die Formulierung des Gesetzes und seine Einordnung durch die Juristen späterer Zeit miteinander in Verbindung, kommen die in der fehlenden Gewährschaftsbefristung liegenden Wurzeln des klassischen Ersitzungsverbotes deutlich zum Vorschein. Praktisch bewirkte die Lex Atinia bereits eine echte Ausnahme von der Ersitzungswirkung des usus auctoritas Satzes, indem sie für furtive Sachen generell eine ewige Pflicht zur Gewährschaft (aeterna auctoritas) bestimmte. Bei Furtivität der streitigen Sache erlangte der Erwerber somit ungeachtet des Fristablaufs keine prozessual geschützte Position, konnte also nicht „ersitzen“. Trotz Verwendung der altrömischen Ausdrücke gehört die Vorschrift der Lex Atinia nicht mehr der archaischen Ordnung an. Sie steht dem klassischen Ersitzungsverbot bereits näher als dem alten XII-Tafelsatz über die aeterna auctoritas des Diebes. Im Mittelpunkt des Regelungsinteresses stand bereits der Ausschluss der Erwerbswirkung, nicht mehr der Gedanke, dass dem veräußernden Dieb die Beschränkung der Gewährschaftsfrist nicht zugute kommen dürfe. Die ewige Gewährspflicht und Haftung 63

Kaser, RP I, 419; SZ RA 105, 137; SZ RA 68, 172 f.; Mayer-Maly, SZ RA 78,

265. 64 „Quod autem dicit lex Atinia, ut res furtiva non usucapiatur, nisi in potestatem eius, cui subrepta est, revertatur, sic acceptum est, ut in domini potestatem debeat reverti, non in eius utique, cui subreptum est. igitur creditori subrepta et ei, cui commodata est, in potestatem domini redire debet.“ Übersetzung: Die Vorschrift des Atinischen Gesetzes, dass eine gestohlene Sache nicht ersessen werde, wenn sie nicht in die Gewalt dessen zurückgekehrt sei, dem sie entwendet worden ist, wurde so verstanden, dass sie in des Eigentümers Gewalt zurückkehren müsse, nicht aber schlechthin in dessen, dem sie entwendet worden ist. Ist also eine solche dem Gläubiger entwendet worden, oder dem, dem sie geliehen war, so muss sie in des Eigentümers Gewalt zurückkehren. Vgl. dazu auch: Mayer-Maly, SZ RA 78, 265. 65 Texte und Übersetzung oben II. (Einleitung).

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konnte seit der Lex Atinia nämlich auch nichtdeliktische Veräußerer treffen. Erhalten blieb zwar die Abhängigkeit der aeterna auctoritas vom furtum Delikt. Aufgegeben wurde jedoch das Erfordernis der Begehung der Tat durch den Veräußerer. Anstelle dessen rückte die Vorstellung in den Vordergrund, die furtive Sache selbst sei mit einem Makel behaftet und könne daher nicht ersessen werden66. Zwangsläufig gewann damit auch die Frage an Bedeutung, unter welchen Umständen die Sache den Makel der Furtivität wieder loswerden konnte, damit einem späteren Erwerber die usucapio wieder offen stand. Die Lex Atinia bestimmte dazu, dass das Diebesgut in die Gewalt des Bestohlenen – potestas eius, cui subrepta est67 – zurückkehren müsse. Erst die klassischen Juristen deuteten diese Bestimmung dahingehend um, dass die Sache im Regelfall an den Eigentümer (dominus) zurückkehren müsse. Werde sie etwa von einem Entleiher oder einem Faustpfandgläubiger gestohlen, reiche es nicht aus, wenn sie an diesen zurückkehre. Erforderlich sei vielmehr, dass sie in potestatem domini gelange68. Von Lübtow erklärt die Regelung der Lex Atinia damit, dass zu deren Zeit noch kein durchgebildeter Eigentumsbegriff existiert habe. Das vitium rei wurde nach seiner Auffassung damit beseitigt, dass die Sache in die Gewalt des Bestohlenen zurückkehrte, weil schon diesem gegenüber dem Dieb ein stärkeres Recht (meum esse) zustand und dieses Recht mit der reversio befriedigt war69. Ebenso gut lässt sich die abweichende Formulierung der Lex Atinia dahingehend deuten, dass ursprünglich einmal das faktische Rückgängigmachen der erwerbshindernden Tathandlung im Vordergrund stand. Mit der Rückkehr zum ehemaligen Besitzer hob sich die Wirkung der heimlichen Wegnahme auf. Die Situation war wieder wie vor dem furtum und der Makel damit geheilt. Möglich ist freilich auch, dass erst die klassischen Juristen ein hinreichendes Problembewusstsein für die Fallgruppen entwickelten, in denen der Bestohlene und der Eigentümer nicht identisch waren. Ihre Auslegung der Lex Atinia forderte jedenfalls zwingend eine Rückkehr zum dinglich Berechtigten, also jener Person, zu der sie auch mittels Gewährenzug gelangen würde70. Nahe legt dies, dass auch er es war und nicht der bestohlene Besitzer, den man von nun an als die durch den Ersitzungsausschluss geschützte Person angesehen hat. Es ist bei ei66

Vgl. dazu oben II. 3. e), f). Paul. D. 41, 3, 4, 6. 68 Paul. D. 41, 3, 4, 6; Paul/Sab./Cass. D. 50, 16, 215; Tryph. D. 47, 2, 88; Paul. D. 47, 2, 86; D. 47, 2, 20, 1; I. 2, 6, 8; I, 4, 1, 12; Kaser, RP I, 419; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 138; Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1105 ff.; Schlichting, Die Verfügungsbeschränkung des Verpfänders im klassischen römischen Recht (1973), 61 ff. 69 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), Anm. 105. 70 Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1105. Zum Meinungsstreit beim sog. furtum possessionis, ob die Sache ausnahmsweise an den bestohlenen Besitzer zurückgehen muss, wenn der Eigentümer selbst der Dieb ist, näher unten III. 3. b). 67

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ner solchen Betrachtung verständlich, eine reversio in seine potestas zu fordern. Die usucapio bedrohte das Eigentum, nicht den Besitz71. Erst die wiedererlangte rechtmäßige Herrschaft durch den dominus führt zur Tilgung des deliktischen Makels bzw. zum Wiederaufleben der Ersitzbarkeit72. Die wichtigste Änderung des oben vermuteten ursprünglichen XII-Tafelsatzes über die aeterna auctoritas des Diebes hin zu einem allgemeinen Ausschlusstatbestand für res furtiva hatte sich bereits durch die Lex Atinia vollzogen. Es bedurfte lediglich noch der Umdeutung der prozessualen Wirkung in ein materiellrechtliches Ersitzungsverbot, die dann auch erfolgte73. Später wurde die Furtivität dann allgemein als Faktor verstanden, der die betroffenen Sachen neben den res publicae, res divini iuris, freien Menschen etc. von vornherein der Ersitzung entzog74.

2. Der klassische Tatbestand des furtum Die praktische Relevanz des klassischen Ersitzungsverbotes für res furtiva ist unmittelbar abhängig von der Weite des jeweils geltenden furtum-Begriffes. Je mehr Delikte von ihm erfasst werden, desto größer ist der Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestandes.

a) Die allgemeine Entwicklung des furtum-Begriffes seit den XII-Tafeln Aus der einleitend zitierten Gaius Stelle75, lässt sich bereits entnehmen, dass das furtum nicht in seinen altrömischen Grenzen stecken geblieben ist, sondern eine wichtige Ausweitung erfahren hat. Nachfolgend wird die Entwicklung des furtum von den XII-Tafeln bis hin zum klassischen Verständnis in groben Zügen dargestellt76. 71 Dies betont auch Schlichting (III. Fn. 68), 62. Dessen Einlassung, dass das furtum zu Zeiten der Lex Atinia noch allein den Diebstahl aus der Hand des Eigentümers meinte, ist allerdings nicht zu folgen. 72 Die potestas galt als erlangt wenn die Sache dem Eigentümer nicht mehr rechtmäßig, etwa durch Besitzinterdikte, entrissen werden konnte, Paul. D. 41, 3, 4, 12. Es genügte auch der Verkauf der furtiven Sache durch den Eigentümer an den Dieb (Paul. D. 41, 3, 32 pr.; D. 47, 2, 86), der Erhalt des Schätzwertes nach Inanspruchnahme der Sache mittels rei vindicatio (Paul. D. 41, 3, 4, 13; D. 47, 2, 86), oder die Genehmigung der Übergabe an einen Dritten durch den Eigentümer, Paul. D. 41, 3, 4, 14. Es war genaue Kenntnis des Eigentümers von der Rückerlangung einer ihm gestohlenen Sache notwendig, Tryph. D. 47, 2, 88; Paul. D. 41, 3, 4, 12. Vgl. MayerMaly, in: RE, usucapio, Sp. 1106 m.w. N. 73 Paul. D. 41, 3, 4, 6; Iul. D. 41, 3, 33 pr.; I. 2, 6, 2. 74 Pomp. D. 41, 3, 24, 1; Ulp. D. 6, 2, 9, 5; Paul. D. 41, 3, 4 pr. 75 Gai. II, 50.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

aa) Ursprünglich enges Verständnis in den XII-Tafeln Im altrömischen Recht betrifft das furtum zunächst nur die Fälle der heimlichen Wegnahme einer fremden beweglichen Sache77. Der Tatbestand ist relativ eng und abgegrenzt. Dies wird jedoch weniger als Indiz für eine frühe juristische Differenzierung und Durchdringung verschiedener Vermögensdelikte gewertet werden dürfen, als vielmehr mit der Abstammung des furtum vom typischen Fall des einfachen Diebstahls zusammenhängen. Ursprünglich erfuhr nur dieser sinnbildliche und häufig vorkommende Tatbestand eine gesetzliche Regelung. Da dessen Voraussetzungen in den XII-Tafeln nicht genau beschrieben waren, blieb es der Auslegung überlassen, ob der jeweilig zu entscheidende Lebenssachverhalt als furtum eingeordnet wurde, oder nicht78. In Grenzfällen oder bei bisher unbekannten Missetaten wird nicht selten das Unrechtsbewusstsein der Gerichtsherrn bzw. der beratenden Juristen eine tragende Rolle gespielt haben. Der Tatbestand war mangels Normierung seiner einzelnen begrifflichen Elemente offen für Ausdehnungen in alle Richtungen, wenngleich anfangs die sprachliche Verbindung mit „ferre“ noch gewisse Grenzen gesetzt haben mag, die allerdings zusammen mit dem Wissen um die Etymologie verloren gingen79. bb) Starke Ausdehnung des Tatbestandes bis Alfenus Noch in republikanischer Zeit wurde der Bereich des furtum immer weiter ausgedehnt und erfasste schließlich als eine Art Generaltatbestand der Vermögensdelikte sehr verschiedene, als strafwürdig angesehene Lebenssachverhalte80. Gemeinsam war diesen nicht viel mehr als die bewusste Schädigung fremden Vermögens in Eigen- oder Drittinteresse. Eingeschlossen sind auch Tatbestände des Betruges, der Unterschlagung und der bloßen Sachbeschädigung81. Jede 76 Zu den Einzelheiten der Entwicklung: Niederländer, SZ RA 67, 185 ff.; Albanese, La nozione del furtum fino a Neratio, in: Annali del Seminario giuridico di Palermo, 23, 1953; dazu die Rezension von Niederländer, Iura 5, 344 ff.; Albanese, La nozione del furtum da Nerazio a Marciano, in: Annali del Seminario giuridico di Palermo, 25, 1957; dazu Kaden, Studi sulla nozione del „furtum“, Labeo IV, 345 ff. 77 Vgl. ausführlich oben II. 4. 78 Vgl. allgemein zu Auslegungsbedürftigkeit der decemviralen Deliktstatbestände: Kaser, RP I, 155. 79 Vgl. Paul D. 47, 2, 1 pr. Zu den dort erwogenen Ableitungen von „furvus“, „fraus“ und „ferre“ vgl. ausführlich Niederländer, SZ RA 68, 185 ff.; Kaser, RP I, 157 m.w. N. 80 Niederländer Iura 5, 344; Kaden, Labeo IV, 346 zu den Forschungen von Albanese (III. Fn. 76); ähnlich schon Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 782 f.; Liebs, Römisches Recht, 193. 81 Sichere Quellen zu dieser Periode sind: Gell. 11, 18, 14: „Atque id etiam, quod magis inopinabile est, Sabinus dicit furem esse hominis iudicatum, qui, cum fugitivus praeter oculos forte domini iret, obtentu togae tamquam se amiciens, ne videretur a domino, obstitisset.“ (vgl. Niederländer, SZ RA 67, 242) und Paul. D. 47, 2, 67, 2.

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„heimliche und listige Machenschaft, die einen anderen im Vermögen schädigt“82, wurde als furtum angesehen. Beispielhaft sei eine Paulus Stelle angeführt: Paul. D.47, 2, 67, 2: „Eum, qui mulionem dolo malo in ius vocasset, si interea mulae perissent, furti teneri veteres responderunt.“ Wer einen Mauleseltreiber arglistigerweise vor Gericht gefordert hat, der haftet, wenn inzwischen seine Maultiere zu Grunde gegangen sind, nach Auffassung der veteres wegen Diebstahls.

Nach diesem Bericht ließen es die veteres für ein furtum bereits ausreichen, dass der Täter arglistig ein in ius vocatio vornimmt und die zur Prozessführung zwangsweise alleingelassenen Maultiere des Beklagten verenden. Selbst die mittelbare Verursachung des Sachunterganges genügte danach also für ein furtum83. Es kam zu dieser Zeit weder auf einen Gewahrsamsbruch noch auf eine Vorteilserlangung durch den Täter an. Das furtum hatte sich geradezu uferlos ausgedehnt. Erst bei den spätrepublikanischen Juristen finden sich wieder einschränkende Tendenzen. So stellen bereits Alfenus und Trebatius auf einen körperlichen Kontakt zwischen dem Täter und dem Tatobjekt ab und verlangen einen Vorteil für den Täter84. cc) Abgrenzung und Schärfung des furtum in der Hoch- und Spätklassik Die hochklassischen Juristen arbeiteten die einzelnen Kriterien des furtumTatbestandes schärfer heraus und grenzten ihn von anderen Delikten ab. Letzteres war unter anderem deshalb nötig geworden, weil die Lehre vom vertraglichen Unrecht einen Ausbau erfahren hatte und neue Rechtsmittel für die Haftung wegen Arglist (actio doli) und aus der Lex Aquilia (actio in factum und Daneben berufen sich Albanese, furtum I (III. Fn. 76), 43 ff. und Kaser RP I, 614, auf: Pomp. D. 47, 2, 37 (Verjagen eines zahmen Pfaus, wenn daran ein Dritter Besitz ergreift); Ulp./Lab. D. 4, 3, 7, 7 (Freilassen eines Sklaven, wenn dies nicht aus Mitleid geschieht); Ulp./Mela D. 47, 2, 52, 22 (Betrug durch Einsatz falscher Gewichte beim Kauf; ein furtum begeht auch derjenige, der vorsätzlich falsche Gewichte verleiht – vgl. dagegen Paul./Treb. D. 4, 3, 18, 3); Ulp. D. 47, 2, 52, 21; Paul. D. 47, 2, 67, 4 (Betrug durch Unterschieben eines dürftigen Mannes, anstatt eines ehrenhaften, beim Darlehen); kritisch zur Datierung dieser Fragmente: Niederländer, Iura 5, 348 f. 82 Niederländer, SZ RA 67, 241. 83 Kaser, RP I, 614, Anm. 3; Niederländer, SZ RA 67, 193, betont, dass die Hinterlist bei der in ius vocatio einem heimlichen bzw. verdeckten Vorgehen gleichkommt. Insofern könnte dieses archaische Merkmal auch von den veteres noch gefordert worden sein. Zweifellos hat die Ausweitungstendenz aber später auch dieses erfasst, Niederländer, Iura 5, 347. 84 Alf. D. 47, 2, 58; Ulp./Ofil./Treb. D. 47, 2, 21 pr.; Albanese, furtum (III. Fn. 76), 76 ff.; Niederländer, Iura 5, 350; Kaden, Labeo IV, 346; Kaser, RP I, 614, Anm. 4. Kritisch zum lucrum bei Trebatius: Niederländer, Iura 5, 350.

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actio utilis) zur Verfügung standen85. Deren Verhältnis zur Haftung aus dem furtum galt es zu klären86. Die Betroffenen und die Gerichtsmagistrate brauchten möglichst klare Richtlinien, zur Bestimmung der jeweils einschlägigen Klage. Eine besondere Rolle bei der Durchdringung des furtum spielte Sabinus. Er bestimmte die contrectatio zum wesentlichen Merkmal des Tatbestandes87. Ein körperliches Berühren des Tatobjektes zwecks unrechtmäßiger Aneignung war seitdem zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines furtum88. Die klassische Jurisprudenz übernahm diese Abgrenzung, wie sich aus zahlreichen Quellen entnehmen lässt89. Durch die Anerkennung der contrectatio wurde der furtum Begriff ganz wesentlich präzisiert, ohne ihn allerdings auf spezifische Lebenssachverhalte zu beschränken. Nicht mehr in den Bereich des furtum zählten danach bloße Schädigungshandlungen ohne Sachbezug. Erfasst bleiben über die klassischen Wegnahmehandlungen hinaus auch weiterhin das unterschlagende Vorenthalten von Sachen, die der Täter bereits im Gewahrsam hat90, sowie Tatbestände des Betrugs91, der Begünstigung und Hehlerei92. Genauer bestimmen ließ sich nun der Beginn des Deliktes, wodurch bloße Vorbereitungshandlungen von der Tat selbst besser unterscheidbar wurden93. Besonders in 85 Albanese, furtum II (III. Fn. 76), 197 ff.; Niederländer, Iura 5, 350; Kaden, Labeo IV, 346; Kaser, RP I, 614 f.; Pika (II. Fn. 263), 18 f. 86 Daneben war eine Abgrenzung zu den Delikten rapina (gewaltsame Entziehung von Vermögensgütern – vgl. näher unten III. 2. b) – und iniuria (absichtlicher Angriff auf die Person eines anderen) notwendig geworden, Pika (II. Fn. 263), 18 f. m.w. N. 87 Zunächst verwendete Sabinus das Wort adtrectare, was jedoch die gleiche technische Bedeutung wie contrectare hat (so: Niederländer, SZ RA 67, 240 f.), vgl.: Gell. 11, 18, 20: „Verba sunt Sabini ex libro iuris civilis secundo: ,Qui alienam rem adtrectavit, cum id se invito domino facere iudicare deberet, furti tenetur‘“. 88 Niederländer, SZ RA 67, 241 betont das „Anfassen“; Kaser, RP I, 615, stellt auf das „Ergreifen zwecks unrechtmäßiger Aneignung“ ab, so auch Pika (II. Fn. 263), 16 m.w. N.; bei Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, wird „contrectare“ als „sich vergreifen“ übersetzt. 89 Vgl. z. B.: Ulp. D. 47, 2, 52, 19: „. . . hoc enim iure utimur, ut furtum sine contrectatione non fiat. quare et opem ferre vel consilium dare tunc nocet, cum secuta contrectatio est.“ Übersetzung: . . . denn es ist bei uns rechtens, dass ein furtum nicht ohne Aneignung (contrectatio) erfolgen kann. Deshalb schadet es auch nur dann Hilfe zu leisten oder Rat zu geben, wenn eine Aneignung erfolgt ist.; Ulp. D. 41, 2, 3, 18: „. . . quia furtum sine contrectatione fieri non potest . . .“; Paul. D. 47, 2, 1, 3; D. 47, 2, 6; Pomp. D. 47, 2, 76; Gai. III, 195. Albanese (III. Fn. 76) ist der Auffassung, dass erst mit Pomponius und Gaius die contrectatio zum zwingenden Tatbestandsmerkmal wurde; dagegen Kaden, Labeo IV, 346; Niederländer, SZ RA 67, 241; Iura 5, 351. Vgl. dort auch zu dem Einwand Albaneses, Sabinus habe nach dem Bericht des Gellius auch an Grundstücken ein furtum zugelassen, wo von einem diebischen Anfassen jedoch nicht gesprochen werden könne. 90 Kaser, RP I, 615. Dazu sogleich ausführlich unten III. 2. c). 91 So: Ulp. D. 47, 2, 21, 1; Scaev. D. 13, 1, 18; Ulp. D. 47, 2, 43 pr. Allerdings existieren auch abweichende Entscheidungen: Ulp. D. 47, 2, 43, 3; D. 47, 2, 52, 15 – vgl. die Literatur bei Kaser, RP I, 615, Anm. 15. 92 Ulp. D. 47, 2, 48, 1; Diocl. C. 6, 2, 14; Kaser, RP I, 615.

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den unten noch näher zu untersuchenden Unterschlagungsfällen war dies von praktischer Bedeutung94. In subjektiver Hinsicht war ein bewusstes Handeln des Täters invito domino oder auch mit animus lucri faciendi notwendig95.

b) Die Einordnung gewaltsamer Wegnahmen Ein heimliches Handeln wird auch in hochklassischer Zeit noch die Regel gewesen sein96, war jedoch nicht mehr zwingend notwendig. An verschiedenen Stellen ist nämlich überliefert, dass römische Juristen auch den Raub als Unterfall des furtum ansahen97. Mit der actio vi bonorum raptorum stand zwar bereits eine eigenständige Bußklage zur Verfügung, welche speziell für die Fälle der gewaltsamen Entziehung von Vermögensgütern konzipiert war98. Die offene Wegnahme erfüllte aber auch alle für das furtum entwickelten Tatbestandsvoraussetzungen und so war es nur konsequent, daneben die actio furti zuzulassen. Die Begründungen der Klassiker lassen durchklingen, dass der Räuber als quali93 Vgl. Ulp. D. 47, 2, 21, 7 – trotz Eindringen in ein Zimmer mit Diebstahlsabsicht liegt vor dem Zugriff durch den Täter noch kein furtum vor, Niederländer, Iura 5, 353. 94 Vgl. Paul. D. 47, 2, 1, 2; Cels. D. 47, 2, 68 pr. – bloßes Ableugnen eines depositum ist noch kein furtum. Es muss das „intercipiendi causa occultare“ bzw. „apiscere possessionem intervertendi causa“ als nach außen tretender Akt, der einem contrectare gleichkommt, hinzutreten. Klingenberg, „Constitutum est“ in D. 47, 2, 14, 4, RIDA 46 (1999), 245; Kaser, RP I, 615, Anm. 13. Vgl. näher unten III. 2. c). 95 Ulp./Pedius D. 47, 2, 50, 2: „. . . nemo furtum facit sine dolo malo . . .“; Ulp. D. 47, 2, 52, 20: „. . . furti ita demum teneri, si furandi animo id fecisset . . .“; Gai. III, 197: „ita furtum committere, si intellegant, id se invito domino facere“; Gai. II, 50: „furtum enim sine affectu furandi non committitur.“; Gai. III, 208: „quia furtum ex adfectu consistit“; Niederländer, SZ RA 67, 247 ff.; Kaden, Labeo IV, 349; Thomas, Animus furandi, Iura 19 (1968), 1 ff.; Kaser, RP I, 615. Ob das Vorliegen von Bereicherungsabsicht zwingend notwendig war, ist strittig. Bereicherungsabsicht fordern Kaser, RP I, 615; Albanese, furtum II (III. Fn. 76), 204; Kaden, Labeo IV, 349; dagegen Niederländer, SZ RA 67, 248 f. Niederländer lässt einen Schädigungswillen des Täters ausreichen. Er beruft sich dazu auf Pomp. D. 12, 4, 15 und Ulp. 47, 2, 48, 4. In diesen Fällen liegt jedoch zumindest eine Drittbereicherung vor. Es gab für die Klassiker auch keinen vernünftigen Grund, diese Fälle anders zu behandeln, als diejenigen, in denen der besitzende fur die Sache erst unterschlägt, also in sein Vermögen einverleibt (contrectatio) und erst danach weitergibt. 96 Kaser, RP I, 615. 97 Pap. D. 47, 2, 81, 3; Ulp./Iul. D. 4, 2, 14, 12; D. 47, 8, 2, 10; Paul. D. 47, 8, 1; I. 4, 2 pr. 98 D. 47, 8; I. 4, 2. Die Klage geht im ersten Jahr auf das Vierfache des Sachwertes, danach auf das Einfache, Ulp. D. 47, 8, 2. Ihre Geschichte ist dunkel und umstritten. Vermutlich ging sie aus einem Edikt des Lukull (76 v. Chr.) hervor, das Gewalttaten von Banden unter Strafe stellte, Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 1337 ff.; Kaser, RP I, 626; Niederländer SZ RA 67, 230 ff.; Ebert, Die Geschichte des Edikts de hominibus armatis coactisve (1968), 91 ff.; dazu die Rezension von: Seiler, SZ RA 86, 526 ff. Labeo kannte sie bereits, D. 47, 8, 2, 20.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

fizierter, besonders schlimmer Dieb angesehen wurde99. Allerdings schloss ein Vorgehen mittels Raubklage ein weiteres Prozessieren wegen des tateinheitlich begangenen furtum aus100. Man wird die Zuordnung der Fälle einer offenen und gewaltsamen Wegnahme zum furtum erst in die Zeit nach der Abgrenzung und Schärfung des Tatbestandes durch die römische Jurisprudenz einzuordnen haben101. Das archaische Element der heimlichen Machenschaft fand keine Berücksichtigung mehr, weil seine Funktion als grob gefasste Wertung der inneren Tatseite102 nicht mehr zeitgemäß war. Der Vorsatz des Täters hatte sich längst zu einem eigenständigen Merkmal entwickelt103. Man könnte auf den Gedanken kommen, die Einordnung des Raubes als furtum in der Hochklassik sei gerade deshalb vorgenommen worden, um das Ersitzungsverbot für res furtiva auch auf die geraubten Sachen zu erstrecken. Von der Lex Atinia wissen wir ja, dass diese einen Ersitzungsausschluss für gewaltsam entwendete Sachen nicht bewirkte104. Insofern scheint auf den ersten Blick eine Regelungslücke bestanden haben. Allerdings berichtet Gaius in seinen Institutionen: „nam furtivam lex XII tabularum usucapi prohibit, vi possessam lex Iulia et Plautia“105. Diese ernstzunehmende Aussage über die spezielle Regelung eines Ersitzungsverbots für geraubte Sachen wird in I. 2, 6, 2 sowie in Jul. D. 41, 3, 33, 2 bestätigt. Bei der Lex Julia et Plautia handelt es sich eigentlich um zwei Gesetze, wobei der Ersitzungsausschluss für res vi possessae in der Lex Plautia (78–63 v. Chr.) enthalten war106. Ebenso wie die Regelung der Lex Atinia über die aeterna auctoritas an res furtiva wird die vergleichbare Regelung der Lex Plautia in der Klassik allgemein als Ersitzungsverbot verstanden. Es bestand demnach im Hinblick auf die Unersitzbarkeit der res vi possessae kein Handlungsbedarf, der Anlass bzw. Ursache einer Erweiterung des furtum auf die Raubfälle gewesen sein könnte.

99 Ulp./Iul. D. 47, 8, 2, 10: „. . . nam Iulianus scribit eum qui vi rapit furem esse improbiorem . . .“; D. 4, 2, 14, 12: „. . . qui rapuit, fur improbior esse videatur . . .“ 100 Paul. D. 47, 8, 1. 101 Für die Zeit Julians ist die Annäherung der beiden Delikte gesichert, Ulp./Iul. D. 4, 2, 14, 12; D. 47, 8, 2, 10; Niederländer, SZ RA 67, 230. 102 Vgl. dazu oben II. 4. b) bb) (3). 103 Vgl. dazu oben III. 2. a) cc). 104 Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes „subrumpere“ zur Bezeichnung der Tathandlung, welches nur einen heimlichen Sachentzug betrifft. Vgl. oben II. 3. und II. 4. b) aa; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 785; Niederländer, SZ RA 67, 190; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 133; FS Schulz I, 267; Kaser, EB (II. Fn. 10), 95, Anm. 42. 105 Gai. II, 45; I. 2, 6, 2 – Text und Übersetzung oben II. (Einleitung). 106 Kaser, RP I, 420; Niederländer, SZ RA 67, 192 m.w. N. zum Verhältnis der Lex Iulia (Caesar oder Augustus) zur Lex Plautia.

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c) Die Ausdehnung des furtum auf die Unterschlagung anvertrauter Sachen Im Rahmen dieser Arbeit interessiert speziell die Erweiterung des furtum Begriffes auf die Unterschlagungsfälle, also jene Konstellationen, in denen der Täter mit einer ihm überlassenen Sache gegen den Willen des Eigentümers verfährt, diese etwa unberechtigt gebraucht107, sich aneignet108 oder veräußert109. Besonders die letztgenannte Fallgruppe der Veräußerung fremder Sachen ist im Zusammenhang mit dem Ersitzungsverbot für res furtiva von praktischer Bedeutung und soll daher im Vordergrund der nachfolgenden Betrachtung stehen. aa) Klassische Quellen und Fallgruppen Es bestehen heute keine ernsthaften Zweifel mehr daran, dass zu klassischer Zeit jeder, der wissentlich eine fremde Sache unbefugt veräußert, als fur galt110. Neben dem einleitend zitierten Zeugnis von Gaius111 existieren weitere Quellen zu ganz verschiedenen Sachverhalten, die dies bestätigen. Einige sollen nachfolgend überblicksweise dargestellt werden: (1) Unterschlagungsfälle im Rahmen der Verwahrung Recht häufig überliefert sind Unterschlagungsfälle im Rahmen der Verwahrung. Die Klassiker beschäftigten sich eingehend mit der Frage, wann der untreue Depositar die Grenze zum furtum überschreitet. Paulus betont unter Berufung auf Sabinus und Cassius, dass ein furtum dann noch nicht verwirklicht sei, wenn der Verwahrer das anvertraute Gut nicht von der Stelle bewegt habe, da der bloße Vorsatz, dem Empfang zu leugnen, für den Tatbestand nicht ausreiche112. Auch sei das wahrheitswidrige Leugnen der Hinterlegung nicht schon genug, wenn es nicht gerade dazu getan werde, die Sache zum Zwecke der Aneignung zu verbergen113. Es gibt auch Spuren eines Schulstreites zwischen 107 Sogenanntes furtum usus – Gai. III, 196/197; D. 47, 2, 56 pr.; Pomp. D. 13, 1, 16; D. 47, 2, 77 pr.; Paul. D. 47, 2, 83 pr.; C. 4, 34, 3. Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 387 f. 108 Paul. D. 16, 3, 29 pr.; D. 17, 1, 22, 7. 109 Gai. II, 50; C. 6, 2, 16. 110 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 139. Zum früheren Streit darüber, ob auch der bösgläubige Besitzer ein furtum begehe, wenn er die betreffende Sache weiterveräußert vgl. Landsberg, Das furtum des bösgläubigen Besitzers (1888) sowie die Rezensionen von Pfersche, GrünhutsZ 17 (1890), 384 ff.; Stampe, SZ RA 9 (1888), 432 ff. und Mitteis, KritV 31 (1888), 43 ff. 111 Gai II, 50. 112 Paul. D. 41, 2, 3, 18. 113 Paul. D. 47, 2, 1, 2; Cels. D. 47, 2, 68 pr.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Sabinianern und Proculianern, wonach wohl nur die Erstgenannten die Absicht vertreten haben, dass die faktische Lage der Sache unbedingt verändert werden müsse, die Proculianer dagegen schon das Ableugnen des Empfanges haben ausreichen lassen114. Der Streit war von praktischer Bedeutung. Abweichend vom decemviralen Recht gibt der Prätor die alte Klage aus der Verwahrung auf das duplum gegen den Verwahrer in klassischer Zeit nämlich nur noch dann, wenn die betreffende Sache aufgrund eines Notfalles deponiert werden musste115. Ansonsten ging die Verwahrungsklage nur noch auf den einfachen Sachwert116. Mit viel Mühe haben die klassischen Juristen die Schwelle zwischen der actio depositi in simplum und der actio furti gegen den Verwahrer herausgearbeitet117. Ein untreues Verhalten des Depositars unter der neu gefassten Grenze wurde generell nicht mehr als schwerwiegend genug angesehen, um die Buße des duplum nach sich zu ziehen. Es mussten dafür weitere verschärfende Faktoren hinzukommen, sei es die besonders perfide Ausnutzung einer Notsituation des Verwahrers bei der Besitzerlangung118 oder eben eine als furtum eingeordnete Tathandlung. Nach beiden Rechtsschulen war der furtum Tatbestand jedenfalls dann erfüllt, wenn der Verwahrer die deponierte Sache verkauft und dem Erwerber übergeben hat. Die traditio bildet die erforderliche Kontrektationshandlung119. (2) Unberechtigte Veräußerungen in Pfandrechtsverhältnissen Auch im Rahmen von Pfandrechtsverhältnissen konnte eine unberechtigte Veräußerung der Pfandsache zur Furtivität derselben führen. Zwei Situationen sind hier nach den Quellen zu unterscheiden. Zum einen liegt ein furtum dann 114 Von Lübtow, Beiträge (II. Fn. 220), 91 m.w. N.; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 783. Die Bemühungen der Juristen um eine Abgrenzung des furtum Deliktes von der dolus Haftung aus der Verwahrung hängen damit zusammen, dass der Depositar in klassischer Zeit aus der Verwahrung selbst nur auf das simplum in Anspruch genommen werden konnte. Der Prätor hatte die decemvirale duplum Haftung auf die Fälle des Notdepositums beschränkt. 115 Vier verschiedene Katastrophen werden als Anlass für eine solche privilegierte Verwahrung explizit genannt – Aufruhr (tumultus), Brand (incendium), Einsturz (ruina) und Schiffbruch (naufragium) – Ulp. D. 16, 3, 1, 1 – vgl. auch deren Aufzählung bei Ner. D. 16, 3, 18; I. 4, 6, 17; coll. 10, 2, 7. 116 Es haben in der Klassik zwei Verwahrungsklagen nebeneinander existiert, die beide auf das simplum gerichtet waren. Eine davon war in factum, die andere in ius konzipiert, Gai. IV, 47; Taubenschlag, Zur Geschichte des Hinterlegungsvertrages im römischen Recht, GrünhutsZ 35, 150. 117 Vgl. dazu oben III. Fn. 112 ff. 118 Die verschärfte Haftung beim Notdepositum (depositum miserabile) erklärt Ulpian damit, dass sich das Verbrechen des Treubruchs (perfidia) vergrößere, wenn eine Sache nicht zurückgegeben werde, die zwangsweise deponiert werden musste, Ulp. D. 16, 3, 1, 4 „. . . crescit perfidiae crimen . . .“ 119 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 142.

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vor, wenn der Faustpfandgläubiger die Sache ohne Verkaufsabrede bzw. nach Tilgung der Schuld unbefugt veräußert120. Zum anderen kann es bei der besitzlosen Verpfändung vorkommen, dass der Eigentümer die Sache unter Verletzung des Pfandrechts seines Gläubigers veräußert. Auch diese Tat wird von den Klassikern als furtum angesehen121. Insbesondere steht nicht entgegen, dass es der Eigentümer selbst ist, der die contrectatio begeht. Für die Verwirklichung des objektiven Deliktstatbestandes lassen es die Klassiker genügen, dass der dominus gegenüber dem Pfandrechtsinhaber nicht zur Veräußerung berechtigt war. Verwandt ist diese Konstellation mit den Fällen, in denen der nichtbesitzende Eigentümer dem Faustpfandgläubiger die Sache wegnimmt (Pfandkehr). Auch dann liegt nach klassischem Recht ein furtum vor122. Gleichermaßen wird ein solches furtum possessionis123 bejaht, wenn der Eigentümer seine Sache einem sonstigen Besitzer entwendet, sofern dieser ein eigenes Interesse bzw. Zurückbehaltungsrecht an der Sache hat, etwa einem Nießbraucher oder Ersitzungsbesitzer124. Aus der Verletzung des Erhaltungsinteresses folgt die Berechtigung zur actio furti. Ob die betroffenen Sachen trotz des furtum ersessen werden konnten, wird noch zu klären sein125. (3) Unterschlagungshandlungen bei Leihe und locatio conductio Weiterhin finden sich in den Quellen Berichte über Unterschlagungshandlungen des Besitzers in Leihverhältnissen sowie im Rahmen der locatio conductio. Jeweils wird der Täter als fur eingestuft, sofern er mit entsprechendem Vorsatz handelt126. bb) Ablauf und Grund der Erweiterung Von besonderem Interesse sind Hergang und Ursachen der Erfassung jener Unterschlagungsfälle als furtum im vorklassischen und klassischen Recht. Besonders verlockend ist auch hier der Gedanke, die Ausweitung könne gerade 120 Iav. D. 47, 2, 74; Ulp. D. 13, 7, 4; D. 47, 2, 52, 7; vgl. aber Gai. II, 64 – zur regelmäßigen Berechtigung des Gläubigers zum Pfandverkauf vor Tilgung der Schuld. 121 Ulp./Iul. D. 47, 2, 19, 6; Paul./Iul. D. 47, 2, 67 pr.; Paul. D. 47, 2, 15, 2; vgl. auch die undatierte Konstitution des Kaisers Philippus Arabs in C. 7, 26, 6 (pignus obligare bedeutet zumeist die Bestellung eines besitzlosen Pfandes, Schlichting (III. Fn. 68), 66); Kaser, „Furtum pignoris“ und „furtum fiduciae“, SZ RA 99 (1982), 275. 122 Gai. III, 200; Paul./Cass. D. 41, 3, 4, 21; Paul. D. 47, 2, 20 pr.; D. 47, 2, 88; Labeo/Paul. D. 41, 3, 49; Ulp. D. 47, 2, 19, 5; Kaser, RP I, 615. 123 Zu dieser Terminologie: Kaser, RP I, 615, Anm. 17; Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 388; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 785. 124 Gai. III, 200; Paul. D. 47, 2, 15, 1/2; D. 47, 2, 20, 1; Iul. D. 47, 2, 60. 125 Unten III. 3. b). 126 Jav. D. 47, 2, 72 pr.; Pomp. D. 47, 2, 77 pr.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

deshalb erfolgt sein, um die betroffenen Objekte unersitzbar zu machen und damit dem geschädigten Eigentümer sein Recht daran auch nach Fristablauf zu sichern127. Träfe dies zu, läge darin eine bewusste Entscheidung der Römer gegen die usucapio zugunsten des dominus und zu Lasten des Erwerbers. Der furtum Begriff hätte sich dann ausgehend von seiner ersitzungsausschließenden Wirkung auf die Unterschlagungsfälle erweitert. (1) Auswirkungen des klassischen Eigentumsbegriffs auf das Deliktsverständnis Meister kommt in seiner Untersuchung der Fahrnisverfolgung und Unterschlagung im deutschen Recht zu dem allgemeinen Schluss, dass dieses Delikt von vornherein nur einer Rechtsordnung angehören könne, die den Schutz dinglicher Rechte, insbesondere den des Eigentums bereits kennt128. Im Gegensatz zum Diebstahl sei die Unterschlagung nicht Angriff auf die Besitzordnung, sondern allein auf die Eigentumsordnung. Da dem deutschen Recht die Verletzbarkeit des dinglichen Rechts fremd gewesen sei, konnte es die Unterschlagung auch nicht kennen129. Ausgehend von diesem Ansatz könnte man meinen, die Erfassung der Unterschlagungsfälle im römischen Recht als furtum könne eng mit dem neuen klassischen Verständnis des Eigentums als absolutes dingliches Recht und dessen Verfolgbarkeit mittels rei vindicatio zusammenhängen. Oben ist gezeigt worden, dass es in altrömischer Zeit noch kein echtes Eigentum gegeben hat. Daher scheint die Annahme berechtigt, im frühen römischen Recht habe auch die Unterschlagung als Delikt nicht existieren können, weil es an einem verletzten Eigentümer fehlte. Die Rechtsordnung habe deshalb anfänglich nur den Eingriff in den Besitz durch die Wegnahme geahndet. Im Gegensatz zum germanischen Recht kannte das altrömische Recht jedoch mit der l.a.s.i.r. bereits eine sachverfolgende Klage, die sich nicht auf den Besitzverlust, sondern auf ein stärkeres dingliches Recht an der Sache, nämlich das „meum esse“ stützte130. Daher lassen sich Meisters Aussagen zur Nichtexistenz der Unterschlagung im deutschen Recht, das überhaupt keine dingliche Klage kannte, nicht einfach auf die altrömischen Verhältnisse übertragen. Anders als die Germanen ließen die Römer zumindest an res mancipi schon früh einen rein dinglichen Anspruch zu. Rein theoretisch hätten schon nach damaligem Verständnis die Rechte des oder der jeweiligen Berechtigten an der Sache durch die Unterschlagung als verletzt angesehen werden können. Dass man diesen 127

Für die res vi possessae musste dieser Gedanke oben III. 2. b) abgelehnt wer-

den. 128

Meister, FS Wach III, 407 ff., 454 ff., 457. Meister, FS Wach III, 457; Stutz, Rezension zu: Meister, Fahrnisverfolgung und Unterschlagung im deutschen Recht, SZ GA 34 (1913), 726 ff. 130 Vgl. dazu ausführlich oben II. 1. c). 129

2. Der klassische Tatbestand des furtum

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Schritt in altrömischer Zeit noch nicht gegangen ist, muss andere als die von Meister für das deutsche Recht angeführten formal dogmatischen Gründe haben. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist allerdings die Möglichkeit, dass mit dem Durchdringen des Eigentumsbegriffes auch eine Sensibilisierung bezüglich der Berechtigung der jeweiligen Sachbesitzer gegenüber dem Eigentümer einhergegangen ist, die mit dazu geführt haben kann, dass das bewusste Überschreiten der vom Eigentümer eingeräumten bzw. geduldeten Befugnisse deliktisch erfasst wurde. (2) Öffnung des Tatbestandes durch vergeistigten Besitzbegriff Ulrich von Lübtow hat einen Weg aufgezeigt, wie sich die Erweiterung des furtum auf die Fälle der Unterschlagung vollzogen haben könnte. Er sieht einen direkten Zusammenhang mit der Vergeistigung des Besitzbegriffes, die sich in etwa derselben Zeit feststellen lässt131. Mit dem altrömischen usus-Besitz war noch zwingend die unmittelbare Herrschaft über die Sache verbunden. Gab der Eigentümer diese auf, indem er die Sache etwa hinterlegte oder verlieh, verlor er auch den usus-Besitz132. Ein furtum im herkömmlichen Sinne133 konnte damit gegen ihn nicht mehr begangen werden. Nun ist aus dem klassischen Recht bekannt, dass Verwahrer und Entleiher trotz ihrer Sachherrschaft nicht als Besitzer, sondern als bloße Detentoren (Inhaber) angesehen wurden. Die Stellung als Besitzer ließen die römischen Juristen in diesen Fällen dem Hinterleger bzw. Verleiher zukommen. Sie benutzen für ihn den Terminus „possessor“. Hinter der Einordnung steckt vermutlich der Gedanke, dass sich die anvertrauten Sachen aufgrund der abhängigen Stellung der Detentoren, die sich dem fremden Herrschaftsrecht ja unterwerfen mussten, noch immer im Machtbereich des überlassenden Eigentümers befanden134. Nur dieser hatte die Rechte und Pflichten eines Besitzers135 und übte diese durch die Mittelsperson aus136. Einen 131 Wann genau die Erweiterung des furtum Begriffes und die Vergeistigung des Besitzbegriffes stattfanden ist ungewiss. Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 143, hält die erste Hälfte des dritten Jh. v. Chr. für möglich. Nahe liegt es m. E. dass zumindest zur Zeit der Lex Atinia – zu deren Datierung oben II. Fn. 159 – das Delikt bereits die Unterschlagungsfälle mit umfasste. Die Verwendung des Wortes „subrumpere“ für die Deliktshandlung, was soviel wie „mit heimlicher List entziehen“ bedeutet (Niederländer, SZ RA 67, 190; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 133; FS Schulz I, 267; Kaser, EB (II. Fn. 10), 95, Anm. 42; vgl. auch oben II. 3. und II. 4. b) aa)) und keinen Gewahrsamsbruch voraussetzt, legt dies nahe. Gegen Huvelin, der unter res subreptae gerade die durch Gewahrsamsbruch erlangten Sachen verstehen will: Niederländer, SZ RA 67, 190, Anm. 22. 132 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 139; Kaser, EB (II. Fn. 10), 319. 133 Zum altrömischen furtum-Begriff vgl. oben II. 4. 134 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 139 f. 135 Insbesondere steht der Interdiktenschutz nicht dem Detentor sondern dem überlassenden Hintermann zu, Kaser, RP I, 389; EB (II. Fn. 10), 24, 334.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Doppelbesitz, wie ihn das moderne deutsche Zivilrecht mit der Unterscheidung von mittelbarem und unmittelbarem Besitz kennt, wollten die Römer nicht zulassen137. Wenn der Detentor die Sache nun verkauft und übergibt, entzieht er dem Eigentümer den Besitz. Durch die Aufgabe der tatsächlichen Gewalt an der Sache, wird dessen civilis possessio vernichtet138. Diese Art des Besitzentzuges durch den Detentor behandelten die römischen Juristen konsequenterweise nicht anders, als eine Wegnahme im herkömmlichen Sinne. Nachdem die bewusste Veräußerung fremder Sachen auf diesem Wege in den furtum Tatbestand Einzug gehalten hatte, war es nur folgerichtig, das Delikt auch dann zu bejahen, wenn ein malae fidei possessor oder auch ein Pfandgläubiger die Unterschlagung beging. Er konnte nicht anders behandelt werden als ein Detentor139. Der voranstehend beschriebene Entwicklungsgang darf trotz seiner inneren Schlüssigkeit nicht isoliert von der allgemeinen Entwicklung des furtum Deliktes gesehen werden. Die Vergeistigung des Besitzbegriffes mag die Erfassung der Unterschlagungsfälle erleichtert haben, indem sie mithalf, das alte Erfordernis der Wegnahme auf juristischem Wege zu überwinden, ihre alleinige Ursache war sie aber nicht. Dies zeigen schon die oben angesprochenen Entscheidungen der veteres, nach denen zwischenzeitlich ein furtum selbst bei bloßer bewusster Schädigung eines anderen bejaht wurde140. Der Deliktstatbestand war eine Zeit lang nach vielen Seiten offen und bot damit erst den notwendigen Raum für eine Erweiterung auf ähnlich schützenswerte Lebenssachverhalte. Welche Handlungen man letztlich als furtum sanktionierte, wird sicherlich keine rein formal juristische Entscheidung gewesen sein, sondern vielmehr die konkreten Bedürfnisse der damaligen Gesellschaft widerspiegeln. (3) Praktisches Bedürfnis für eine Erweiterung des Schutzbereiches Hinsichtlich der altrömischen Zeit wurde oben gezeigt, dass die für die Unterschlagungsfälle relevanten Situationen des Anvertrauens von Sachen nur eine geringe Bedeutung hatten141. Dies hat sich spätestens in den letzten beiden 136

Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 140; Kaser RP I, 390. Ulp./Cels. D. 13, 6, 5, 15; Paul. D. 41, 2, 3, 5; Grundsatz: „duorum quidem in solidum dominium vel possessionem esse non posse“. Dazu: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 141 m.w. N. in Anm. 112. Ein gemeinsamer Besitz konnte nur auf genossenschaftlicher Basis bestehen, etwa bei gleichberechtigten Miteigentümern. 138 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 142. 139 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 139; Landsberg bei Pfersche, GrünhutsZ 17, 387. 140 Vgl. oben III. 2. a) bb); Kaser, RP I, 614, Anm. 3; Niederländer, SZ RA 67, 193; Iura 5, 347. 137

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Jahrhunderten der Republik verändert. Der wirtschaftliche Aufschwung Roms, insbesondere das stärkere Hervortreten von Handel und Geldverkehr142, lässt das Weggeben von Sachen z. B. im Rahmen von Leihe, Miete, Werkvertrag oder als Pfand immer häufiger vorkommen. Nicht selten wird es bei solchen Sachverhalten zu Unterschlagungshandlungen gekommen sein143. Begünstigt wird die Begehung derartiger Delikte durch die steigende Anonymität innerhalb der Bevölkerung, bedingt durch die wachsende Zahl der römischen Bürger bzw. in römischem Gebiet lebender Menschen144. Anders als in altrömischer Zeit bestanden nun auch für den offen vorgehenden Unterschlagungstäter gute praktische Chancen, aus seiner Tat einen Vorteil zu ziehen. Rechtspolitisch war es nunmehr geboten, diese Handlungen umfassend zu sanktionieren, um die Betroffenen zu schützen und präventiv entgegenzuwirken. Bisher waren nur untreue Verwahrer und Tutoren mit den oben besprochenen speziellen altrömischen Klagen wegen des begangenen Treubruchs deliktisch verfolgbar145. Das furtum bot sich zum Füllen der in den Miet-, Leih-, Pfand- und Werkvertragsfällen auftretenden Lücken geradezu an und wurde letztlich auf alle Unterschlagungstatbestände ausgeweitet. Zentraler deliktischer Anknüpfungspunkt war dabei nicht mehr die Untreuehandlung sondern die bezüglich der Sache begangene unrechtmäßige Aneignung. (4) Erweiterung des Ersitzungsverbotes als Motiv für den erweiterten furtum-Begriff? Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Erweiterung des furtum Tatbestandes gerade deshalb erfolgt ist, um die unterschlagenen Sachen unter das Ersitzungsverbot der Lex Atinia fallen zu lassen, sie also unersitzbar zu machen. Zwar ist diese spezielle Rechtsfolge aus Sicht des Eigentümers von einiger Tragweite, da sie ihm die Verfolgbarkeit der furtiven Sache auch in dritter Hand dauerhaft sichert, doch dürfen die daneben bestehenden Auswirkungen der Tat nicht unberücksichtigt bleiben. So wird in der Praxis die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Täters auf die duplum Buße mittels actio furti die stärkste Bedeutung gehabt haben, brachte sie dem Anspruchsberechtigten doch einen zusätzlichen Vermögensvorteil ein und belastete den Anspruchsgegner über den Sachwert hinaus. Ebenso gewichtig waren die gesellschaftlichen Fol141

Vgl. oben II. 4. c). Kaser, RP I, 178. 143 Vgl. nur die oben III. 2. c) aa) zitierten Quellen. Auf die neuen Möglichkeiten der Veruntreuung weist auch Liebs, Römisches Recht, 193, hin. 144 Nach dem Bundesgenossenkrieg (90–88 v. Chr.) erhielt ganz Italien das römische Bürgerrecht. Unter Caesar und Augustus fanden Massenverteilungen des Bürgerrechts an Einzelne bzw. ganze Gruppen statt, vgl. Kaser, RP I, 215 ff., 32 ff. 145 Vgl. oben II. 4. c) bb), cc). 142

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

gen der Einordnung als furtum. Die Unterschlagungstäter galten von nun an als ehrlos, da das furtum Infamie bewirkte146. Wäre es den Römern allein um die Erweiterung des Ersitzungsverbotes gegangen, hätte dies ohne derartige Begleiterscheinungen mittels einer lex erreicht werden können, so wie es hinsichtlich der geraubten Sachen geschehen ist147. Diesen Weg ist man jedoch nicht gegangen. Vielmehr hat man diese Fälle in allen Punkten denen eines traditionellen furtum gleichgestellt. Auch wenn das Bemühen um ein Ersitzungsverbot für unterschlagene Sachen nicht die treibende Kraft für die Erweiterung des furtum Begriffes gewesen sein wird, so ist es dennoch mehr als eine bloße Nebenwirkung. Man hat diese spezielle Rechtsfolge nicht nur in Kauf genommen sondern zumindest auch gebilligt. Ansonsten müssten in den Quellen noch Spuren etwaiger Widersprüche zu finden sein, was jedoch nicht der Fall ist. Die klassischen Juristen haben die unterschlagenen Sachen grundsätzlich als ebenso makelhaft empfunden wie die gestohlenen und daher den Ersitzungsausschluss für angemessen betrachtet. Der Eigentümer ist durch die Unterschlagung nicht weniger in seinen Rechten an der Sache verletzt als durch den Diebstahl und auch nicht weniger schützenswert. Die Missetat soll jeweils nicht Ausgangspunkt einer neuen Berechtigung sein.

d) Furtum durch bösgläubigen Erwerb? Bisher ist nur die Tathandlung des wissentlich unberechtigt Veräußernden untersucht worden. Es stellt sich jedoch die weitere Frage, ob nicht auch der Erwerber, soweit er bösgläubig ist, den Tatbestand des furtum verwirklicht. Aus moderner Sicht wäre der wissentliche Ankauf vom Nichtberechtigten entweder als Hehlerei einzuordnen, sofern der Veräußerer die Sache durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat und der Erwerber davon wusste148, oder zumindest als Unterschlagung, wenn es an einem vorangegangenen Delikt fehlt149. Legt man das oben dargestellte klassisch römische Verständnis des furtum150 zu Grunde, scheint der Deliktstatbestand verwirklicht zu sein. Mit dem Ergreifen der Sache begeht der bösgläubige Erwerber eine geeignete Kontrektationshand146

Gai. IV, 182; Kaser, RP I, 274 m.w. N. Vgl. dazu III. 2. b). 148 § 259 StGB, die im Gesetz explizit genannte Tatvariante des Ankaufens ist dabei ein spezieller Fall des Sichverschaffens. Erforderlich ist das tatsächliche Erlangen der Sache, Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 259 Rn. 12/13; Mitsch, Strafrecht BT 2, 625 ff. 149 § 246 StGB – der Erwerber führt die wissentlich fremde Sache seinem Vermögen zu und begeht damit eine rechtswidrige Zueignung. Nach h. M. wird § 246 StGB von § 259 StGB verdrängt, wenn der Hehler sich im Einverständnis mit dem Veräußerer die Sache zueignet, Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 246, Rn. 24. 150 Vgl. oben III. 2. a). 147

2. Der klassische Tatbestand des furtum

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lung und hat auch den entsprechenden Vorsatz. Er gliedert die Sache in sein Vermögen ein, obwohl er genau weiß, dass sie ihm nicht zusteht. Derartige Sachverhalte dürften nicht selten vorgekommen sein. Der possessor malae fidei wird in den Quellen häufig erwähnt und regelmäßig ist damit gerade derjenige gemeint, der zum Zeitpunkt des Besitzerwerbs positive Kenntnis von der Nichtberechtigung des Veräußerers hatte151. Um ihn von der usucapio auszuschließen, ist die besondere Ersitzungsvoraussetzung der bona fides entwickelt worden. Schon aus deren Existenz lässt sich ableiten, dass die Römer im bösgläubigen Erwerb offensichtlich kein furtum gesehen haben. Ansonsten wäre die usucapio ja schon durch die Furtivität der Sache als objektives Erwerbshindernis ausgeschlossen gewesen. Möglich ist freilich, dass die bona fides sich bereits als eigenständiges Tatbestandsmerkmal entwickelt hatte, als das furtum noch in engeren Grenzen verlief. Dann fragt sich aber zumindest, warum das Erfordernis der Gutgläubigkeit in der Klassik noch aufrechterhalten wurde. In den Digesten und dem Codex ist zwar dem Delikt der Begünstigung und Hehlerei (crimen receptorum) je ein eigener Titel gewidmet152, der wissentliche Ankauf „heißer Ware“ wird dort allerdings nicht direkt angesprochen. Ansonsten behandeln die Römer das crimen receptorum bei den verschiedenen Haupttaten und bestrafen den Täter regelmäßig nach Maßgabe des Vortäters153. Offensichtlich ist eine eigenständige Entwicklung dieses Deliktes noch nicht abgeschlossen154. Man wird der herrschenden Lehre darin zustimmen dürfen, dass der klassische Begriff des furtum auch Handlungen des Hehlers mit umfasst hat155. Dies legen die Quellen nahe, nach denen derjenige, der den Dieb bzw. seine Ware verbirgt, gleich einem solchen zu bestrafen ist156. So heißt es in I. 4, 1, 4: „. . . manifestissimum est, quod omnes, qui scientes rem furtivam susceperint et celaverint, furti nec manifesti obnoxii sunt.“157 151

Vgl. dazu oben III. 1. b) dd). D. 47, 16: „De receptatoribus“; C. 9, 39: „De his, qui latrones vel aliis criminibus reos occultaverint.“ 153 Ulp. D. 47, 9, 3, 3; Marc. D. 47, 16, 1. Ein geringeres Strafmaß war bei Vorliegen milderer Umstände wegen Verwandtschaft mit dem Täter möglich, Paul. D. 47, 16, 2. Für Hehlerei bei Viehdiebstahl soll Divus Trajanus 10 Jahre Verbannung aus Italien angeordnet haben, Call. D. 47, 14, 3, 3. 154 Zur Frage ob das crimen receptorum selbständiges Delikt oder Teilnahme am Vordelikt war vgl.: Wolff, Begünstigung, Strafvereitelung und Hehlerei; geschichtliche Entwicklung und Abgrenzung zur Beihilfe (2002), 19; Gretener, Begünstigung und Hehlerei in historisch dogmatischer Darstellung (1879), 12, m.w. N. zur älteren Literatur; Mommsen, Römisches Strafrecht (1899), 747, nimmt unter Hinweis auf das decemvirale furtum conceptum ursprünglich ein eigenständiges Delikt an, welches erst später als Hilfeleistung zum furtum bestraft wurde. 155 Kaser, RP I, 615; Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 156; Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 361. 156 Ulp. D. 47, 2, 48, 1; D. 11, 4, 1 pr.; Diocl. C. 9, 20, 12; Carac. C. 2, 11, 8. 152

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Unter die Tathandlung suscipere et celare lässt sich auch der Erwerb und die Einverleibung des Diebesgutes in das eigene Vermögen subsumieren, so dass der um den Diebstahl wissende malae fidei possessor ein eigenes furtum begangen haben dürfte158. Da die Sache bereits furtiv ist, hat dies auf die Ersitzung keinen praktischen Einfluss. Nicht erfasst werden davon die übrigen, lediglich um die Nichtberechtigung des Veräußerers wissenden und deshalb bösgläubigen Erwerber. Da diesen jedoch klar ist, dass sie eine fremde Sache an sich nehmen, kommt auch für sie theoretisch die Verwirklichung des furtum Tatbestandes in Betracht. Soweit ersichtlich ist, schweigen die Quellen zu dieser Problematik. Vermutlich haben die Römer im bloßen wissentlichen Erwerb vom Nichtberechtigten kein furtum gesehen. Andernfalls müsste die Möglichkeit einer Inanspruchnahme solcher Erwerber mittels actio furti Spuren hinterlassen haben. Das unsichere Argument aus der fehlenden Überlieferung wird bestätigt durch die oben bereits angedeutete Folge, dass das Ersitzungserfordernis der bona fides ansonsten bei Erwerb der Sache praktisch überflüssig geworden wäre159. Zudem begründet Ulpian in D. 47, 2, 12, 1 den Ausschluss des malae fidei possessor von der Aktivlegitimation zur actio furti damit, dass niemand aus seiner eigenen Unredlichkeit eine Klage erhalten dürfe160. Wäre der bösgläubige Erwerber gleichzeitig auch fur, hätte es dieser Erklärung nicht bedurft, denn schon Quintus Mucius hat den Dieb ausdrücklich von der Berechtigung zur actio furti ausgenommen, wie Pomponius in D. 47, 2, 77, 1 zustimmend berichtet. Es muss auch nicht verwundern, dass der furtum Tatbestand aus heutiger Sicht nicht lückenlos eingegriffen hat. Sah man eine Handlung nicht als strafwürdig an, blieb sie außen vor. Ein in sich geschlossenes Deliktssystem hat auch im klassischen Recht nicht existiert. Ob die Entscheidung vorliegend darauf basierte, dass der Erwerber eine Gegenleistung erbrachte und seine Handlung rein äußerlich im Rahmen des normalen Güterverkehrs stattfand, oder ganz andere Motive eine Rolle gespielt haben, lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit sagen. Der Eigen157 Übersetzung: . . . es ist völlig klar, dass alle, die wissentlich eine gestohlene Sache angenommen und verborgen haben, der Klage wegen furti nec manifesti ausgesetzt sind. 158 Ob das auch für die Fälle gilt, in denen der Veräußerer erst durch die Veräußerung das furtum begeht, also Vortat und Hehlerei teilweise zusammenfallen ist fraglich. Nach heutigem Recht ist umstritten, ob die Vortat vollendet sein muss oder der Versuch ausreicht, vgl. dazu Mitsch, Strafrecht BT 2, 613 f. 159 Begeht der bösgläubige Erwerber kein furtum, dann hat das Erfordernis der bona fides in den Fällen eine praktische Bedeutung, in denen der Veräußerer anders als der Erwerber um seine Nichtberechtigung nicht weiß und deshalb mit der Veräußerung auch kein ersitzungshemmendes furtum begeht. 160 Es geht um den Fall, dass der malae fidei possessor bestohlen wird. Die Stelle lässt sich nicht auf den nachträglich bösgläubigen Besitzer beziehen, weil für diesen der Vorwurf, eine Unredlichkeit (inprobitas) begangen zu haben, gerade nicht greift, vgl. dazu oben III. 1. b) dd).

3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot

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tümer der Sache war jedenfalls bereits durch das Erfordernis der bona fides vor einem Rechtsverlust durch usucapio hinreichend geschützt. Eine Einordnung als furtum hätte zwar einen dauerhaften Ersitzungsausschluss bewirkt, doch ergibt sich auch so faktisch nichts anderes. Versucht der malae fidei possessor die Sache nämlich an einen Dritten zu veräußern, wird darin ein furtum gesehen161. Eine sich anschließende usucapio ist damit gänzlich ausgeschlossen.

e) Fundunterschlagung Wie schon im altrömischen Recht umfasst der furtum Begriff auch in der klassischen Periode das Ansichnehmen eines fremden gefundenen Gegenstandes in gewinnsüchtiger Absicht162. Ulpian betont, dass der Finder nur aus dem furtum haftet, wenn er die Sache dem Eigentümer vorenthalten will. Anders als im frühen Recht findet zwar kein zwingender Schluss vom heimlichen Ergreifen auf den Diebstahlsvorsatz statt, doch wird das Nichtveröffentlichen des Fundes zumindest starkes Indiz für das Vorliegen entsprechender Absicht gewesen sein. Daher hat es sich eingebürgert, dass der Finder in einem öffentlichen Anschlag zur Kenntnis gibt, etwas gefunden zu haben und es an den Verlierer zurückgeben zu wollen. So konnte der Beweis mangelnden Deliktsvorsatzes durch den ehrlichen Finder leicht geführt werden163. Wird die Fundsache ohne Zustimmung des Eigentümers veräußert, liegt darin ein furtum164, so dass eine Ersitzung des Dritten ausgeschlossen ist.

3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot für furtive Sachen Das Ersitzungsverbot und die actio furti wurden zwar regelmäßig, nicht aber immer parallel behandelt. Es kam einerseits vor, dass die actio furti versperrt war, die Sache aber dennoch unersitzbar wurde. Hier fragt sich, weshalb der Täter geschützt wurde und die Sache trotzdem ihre Verkehrsfähigkeit verlor. Andererseits existierten auch Fälle, in denen zwar aus dem furtum vorgegangen werden konnte, ein Ersitzungsverbot jedoch nicht eingriff. Sollte auf diesem Wege etwa der zu starken Ausweitung des Ausnahmetatbestandes entgegengewirkt werden?

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Vgl. dazu oben III. 2. c) aa). Ulp. D. 47, 2, 43, 4 ff.; Paul D. 41, 1, 31, 1 – vgl. dort auch zur Abgrenzung der normalen Fundsache vom Schatz, der Eigentümer des Finders wird. 163 Ulp. D. 47, 2, 43, 8. 164 Ausnahme: Der Finder glaubt, er habe eine im gehörige Sache (wieder-) gefunden. Dann fehlt es am Vorsatz. 162

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

a) Ersitzungsausschluss beim „furtum in veritate“ Zur erstgenannten Kategorie zählen die Fälle eines Diebstahles im Hausverband und unter Ehegatten. aa) Furtum in ehelicher Lebensgemeinschaft Aus der ehelichen Lebensgemeinschaft folgert man, dass die actio furti ausgeschlossen sei. Nach dem Bericht des Paulus in D. 25, 2, 1 halten Nerva und Cassius das furtum schon für begrifflich ausgeschlossen, mit der Begründung: „quia societas vitae quodammodo dominam eam faceret“. Diese auf eine eigentümerähnliche Stellung der Ehefrau abstellende Begründung ist aber nicht allgemein vertreten worden. Sabinus, Proculus und Julian sind der Auffassung, dass die Ehefrau zwar ein furtum begehe, die Klagen daraus jedoch ausgeschlossen seien165. Paulus schließt sich ihnen an166. Der Prätor gewährte in diesen Fällen die sogenannte actio rerum amotarum167. Es stellt sich die Frage, ob die betroffenen Sachen dennoch unersitzbar geworden sind. Eine klare Stellungnahme gibt Tryphonin in D. 25, 2, 29 mit den Worten: „. . . nam veritate furtum fit, etsi lenius coercetur mulier. quare nec a bonae fidei possessore ita res amotae usucapiuntur . . .“ ab. Nach seiner Auffassung gilt das Ersitzungsverbot auch für die unter Ehegatten entwendeten Sachen, weil die Tathandlung in Wahrheit eben ein furtum sei. Er gibt sich damit als weiterer Anhänger der neueren168 Ansicht zu erkennen, die den Tatbestand bejaht und lediglich die Klage aus dem Delikt negiert. Hier zeigt sich die praktische Bedeutung des angesprochenen Streites. Verneint man mit Nerva und Cassius schon den Deliktstatbestand, entfällt damit von vornherein auch die Möglichkeit, die betroffene Sache als res furtiva unersitzbar werden zu lassen. Weiterhin können auch Teilnehmer der Tat nicht wegen des furtum bestraft werden. Dies missfiel offenbar den meisten klassischen Juristen und wird mit ausschlaggebend für ihre Entscheidung zugunsten der Lehre des Sabinus gewesen sein169.

165 Es wird bezweifelt, dass der Streit richtig überliefert ist, da es sonderbar erscheint, dass Cassius als Nachfolger des Sabinus dessen Lehre abgelehnt haben und gerade Nerva, dem Oberhaupt der gegnerischen Rechtsschule, zugestimmt haben soll, während Proculus als Schüler des letzteren wiederum Sabinus folgte. Die Überkreuzung der Lehrmeinungen kann auf einer Namensverwechslung beruhen, was jedoch nicht zu beweisen ist, zumal Privatmeinungen unter den Schuljuristen durchaus vorkommen, vgl. Wacke, Actio rerum amotarum (1963), 90 f. 166 Paul. D. 25, 2, 1: „rectissime“. 167 D. 25, 2; C. 5, 21. Es handelt sich dabei um eine sachverfolgende Klage, die an Stelle der condictio furtiva trat, Kaser, RP I, 618; ausführlich: Wacke (III. Fn. 165), 1 ff. 168 Wacke (III. Fn. 165), 88. 169 Wacke (III. Fn. 165), 89.

3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot

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Weshalb man die Diebstahlsklage gegen die Ehefrau nicht zuließ ist fraglich. Paulus berichtet an oben genannter Stelle, dies beruhe auf einer gefestigten Rechtsmeinung (iuris constitutio)170. Diese scheint nach Gai. D. 25, 2, 2 und C. 5, 21, 2 daraus zu resultieren, dass man in der Ehe Strafklagen mit infamierender Wirkung missbilligte. Man nimmt heute jedoch an, dass dieses Verbot nicht schon dem klassischen Recht angehörte und die beiden Stellen interpoliert sind. Dafür werden überzeugende Argumente genannt171. Auf der Suche nach den ursprünglichen Gründen für den Ausschluss der Diebstahlsverfolgung ist bei der von Nerva und Cassius vorgebrachten Begründung für die ältere Auffassung anzusetzen, wonach ein furtum nicht in Betracht kommt, da die Frau quodammodo domina der Sachen des Ehemannes sei. Die lässt vermuten, dass man das furtum zunächst negiert haben wird, weil die Frau zu den Gütern des Gatten anders stand als eine Fremde. Ansatzpunkt könnte die fehlende Fremdheit der betroffenen Sache gewesen sein. Allerdings hat eine echte rechtliche Gütergemeinschaft zwischen Mann und Frau in Rom nicht existiert. Sie blieb ein bloßes sittliches Idealbild172. Wacke weist darauf hin, dass das Vermögen der Ehegatten aber dennoch in einer „faktischen Gebrauchs- und Nutzungsgemeinschaft“ stand173. Die Ehefrau hatte grundsätzlich freien Zugriff auf die Sachen des Mannes und konnte die Geschäfte des häuslichen Bereiches in eigener Verantwortung wahrnehmen. Auch der Schlüssel zu den Vorräten war ihr dazu anvertraut174. Aufgrund dieser Umstände wird man es als nicht gerechtfertigt angesehen haben175, die Frau als fur haften zu lassen, wenn sie ihre rechtlichen Befugnisse überschritt. Letztlich war dies jedoch eine rein sittliche Entscheidung176, die dem Schutz der Ehefrau diente. Spätestens seit Sabinus darin gefolgt wurde, dass ein furtum sogar innerhalb der echten societas, also durch einen Miteigentümer an der gemeinsamen Sache, begangen werden konnte177, war für die Verneinung des furtum Tatbestandes beim Ehegattendiebstahl dog170 Dies bezieht sich nur auf die gewaltfreie Ehe. Bei der manus-Ehe folgt der Ausschluss schon natura rei. Wacke (III. Fn. 165), 91. 171 Wacke (III. Fn. 165), 78 ff. Es konnten insbesondere andere infamierende Klagen auch während der Ehe erworben werden, Iul. D. 24, 1, 37; Ulp. D. 9, 2, 27, 30 (actio legis Aquiliae); Ulp. D. 23, 3, 38 (actio mandati). Einige Juristen gaben die actio furti dann, wenn die Ehefrau eine durch den Ehemann nur geliehene Sache entwendete, C. 6, 2, 22, 4 oder wenn die Frau die Sachen eines Erblassers des Ehegatten genommen hatte, Paul. D. 25, 2, 3, 2. Auch scheint streitig gewesen zu sein, ob die Klage unter getrennt lebenden Ehegatten anwendbar war, Wacke (III. Fn. 165), 100; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 1180. Ein generelles Verbot infamierender Klagen hat in klassischer Zeit demnach nicht bestanden. 172 Kaser, RP I, 310 f.; Wacke (III. Fn. 165), 95 m.w. N. 173 Wacke (III. Fn. 165), 96. 174 Wacke (III. Fn. 165), 97 m.w. N. 175 Paul. D. 25, 2, 1: „. . . quia non placuit cum ea furti agere posse . . .“ 176 Wacke (III. Fn. 165), 91. 177 Ulp./Sab. D. 17, 2, 45; 51 pr.; D. 47, 2, 45; Wacke (III. Fn. 165), 87 m.w. N.

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matisch kein Raum mehr. Sämtliche Tatbestandsmerkmale des Deliktes waren erfüllt, insbesondere ist die Sache des Mannes für die Frau eine res aliena. Der allgemeinen Rechtsauffassung, dass die in faktischer Ehegemeinschaft lebende Frau grundsätzlich vor der actio furti geschützt werden müsse, wurde schließlich durch die Annahme eines delictum sine actione178 Rechnung getragen. Ungeachtet der Verwirklichung des Tatbestands wurde die Klage ausgeschlossen. Der Schutzzweck bot allerdings keinen Anlass, auch die ersitzungsausschließende Wirkung des furtum zu negieren. Ganz im Gegenteil ist es dem ehelichen Verhältnis und dem Ehevermögen eher zuträglich, wenn die entwendete Sache von einem Dritten auch nach Jahresfrist noch herausverlangt und damit die Schädigungshandlung quasi rückgängig gemacht werden kann. Stehen somit keine Einwendungen aus dem Sonderverhältnis zwischen Täter und Opfer entgegen, gibt es keinen Grund, den Geschädigten hier weniger zu schützen als einen normalen Eigentümer. Mit der herrschend gewordenen Auffassung des Sabinus konnte diese Differenzierung verwirklicht werden. bb) Diebstahlshandlungen von Gewaltunterworfenen Ähnliches gilt auch für Diebstahlshandlungen, die von Gewaltunterworfenen (Sklaven, Hauskindern) an Sachen des Gewalthabers, von Freigelassenen an Sachen des Patrons sowie von Tagelöhnern an Sachen ihres Arbeitgebers begangen werden. Ein Vorgehen aus dem furtum wird in diesen Fällen verneint. Ulpian begründet dies in D. 47, 2, 17 pr. mit einem Mangel an Rechtsschutzbedürfnis. Wer ein Züchtigungsrecht habe, brauche nicht den Klageweg in Anspruch zu nehmen. Zudem haben Gewaltunterworfene regelmäßig sowieso kein eigenes Vermögen, auf das eine Klage hätte zielen können179. Für den Haussohn mit Sondervermögen gilt demzufolge eine Ausnahme180. Mangels Eigenvermögen kann auch der Gewalthaber seine Kinder nicht bestehlen. Greift der Vater jedoch auf etwa bestehendes Sondervermögen des Haussohnes zu, haftet er diesem wegen furtum181. Der grundsätzliche Klageausschluss beim sogenannten furtum domesticum wirkt sich jedoch nicht auch auf die ersitzungsrechtlichen Folgen aus. Die innerhalb des Gewaltverhältnisses entzogenen Sachen werden ebenso unersitzbar wie normales Diebesgut182. Sie sind durch die Missetat gleichermaßen makelhaft und dem Güterverkehr entzogen.

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Begriff bei Wacke (III. Fn. 165), 88. Paul. D. 47, 2, 16; Ulp. D. 47, 2, 52, 5; I. 4, 1, 12; Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 404. 180 Ulp. D. 47, 2, 52, 4/5. 181 Ulp. D. 47, 2, 52, 6. 182 I. 4, 1, 12; Hitzig, in: RE, furtum, Sp. 404. 179

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b) Ersitzung trotz furtum bei Taten des Eigentümers Modestin berichtet in D. 41, 4, 5 von einem Meinungsstreit über das Eingreifen der usucapio in dem speziellen Fall, dass der Eigentümer eine Pfandsache dem Gläubiger entwendet und diese sodann an einen Dritten veräußert. Die Stelle lautet: „Si rem, quam tibi pigneravi, subripuero eamque distraxero, de usucapione dubitatum est: et verius est utiliter cedere tempora usucapionis.“183

Für richtiger hält Modestin diejenige Lehre, die trotz des furtum des Eigentümers eine Ersitzung zulässt. Eine Begründung ist dem Fragment nicht zu entnehmen. Der Jurist ging offenbar davon aus, dass die Problematik seinen Lesern geläufig ist und beschränkt sich daher auf die Mitteilung seines Standpunktes. Näher informiert Paulus in D. 41, 3, 4, 21 über die Klassikerkontroverse: „Si rem pignori datam debitor subripuerit et vendiderit, usucapi eam posse Cassius scribit, quia in potestatem domini videtur pervenisse, qui pignori dederit, quamvis cum eo furti agi potest: quod puto rectius dici.“184

Dieser Text steht am Ende eines Kommentars des Paulus zur Lex Atinia185. Er stimmt darin einem Satz des Cassius zu, der der Auffassung ist, das gesetzliche Ersitzungsverbot für res furtiva sei bei Entwendung und Verkauf einer verpfändeten Sache durch den Eigentümer nicht anzuwenden, weil die Sache als in die Gewalt des dominus zurückgekehrt anzusehen sei186. Der verwendete Komparativ rectius deutet an, dass ein Meinungsstreit besteht und sich der Spätklassiker in seiner Einschätzung nicht sicher ist. Tatsächlich entschied er sich in einer früheren Arbeit, überliefert in D. 41, 3, 49 (Lab. 5 pith. a Paulo epit.), gerade anders herum: „Si quid est subreptum, id usucapi non potest, antequam in domini potestatem pervenerit. Paulus: immo forsitam et contra: nam si id, quod mihi pignori dederis, subripueris, erit ea res furtiva facta: sed simul atque in meam potestatem venerit, usucapi poterit.“187

183 Übersetzung: Wenn ich die Sache, welche ich der verpfändet, gestohlen und sie verkauft habe, so ist Zweifel in Ansehung der Ersitzung erhoben worden; richtiger ist es, dass die Zeiten der Ersitzung mit Erfolg laufen. 184 Übersetzung: Wenn der Schuldner eine verpfändete Sache entwendet und verkauft hat, so, schreibt Cassius, könne sie ersessen werden, weil angenommen wird, dass sie in des Eigentümers Gewalt gekommen sei, der sie zum Pfand bestellt hat, obwohl gegen ihn Diebstahlsklage erhoben werden kann; und das halte ich für richtig. 185 Schlichting (III. Fn. 68), 61. 186 Allgemein zur Heilungsvorschrift der Lex Atinia bereits oben II. 3. b). 187 Übersetzung: Was gestohlen worden ist, kann nicht eher ersessen werden, bevor es in des Eigentümers Gewalt zurückgelangt ist. Paulus: im Gegenteil, vielleicht auch andersherum. Denn wenn du das, was du mir zum Pfand gegeben, gestohlen hast, so wird der Gegenstand gestohlenes Gut sein, sobald er aber in meine Gewalt gekommen ist, wird er ersessen werden können.

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Entgegen der im Grundsatz anerkannten Regel, wonach die Unersitzbarkeit der furtiven Sache mit Rückkehr an den Eigentümer endet, soll die vom Eigentümer entwendete Pfandsache nicht eher ersessen werden können, bevor sie zum bestohlenen Pfandgläubiger zurückgelangt ist. Zwar scheint auch in dieser Stelle Paulus’ schwankende Haltung durch, da er seinen Widerspruch gegen Labeo mit den Worten „forsitam et“ dämpft und seine Argumente im Futur vorträgt, was vermuten lässt, dass er nur einen möglichen Standpunkt darstellt188. Doch legt die Fassung des Textes, insbesondere die Einleitung durch „immo“ nahe, dass Paulus in seiner Jugendzeit189 eher dahin tendierte, eine Heilung der Furtivität nur bei Rückkehr zum Gläubiger zu bejahen. Er wird seine Ansicht also zwischen der Bearbeitung der Labeo Texte und der Abfassung des Ediktkommentars geändert haben190. In die gleiche Richtung wie der junge Paulus geht eine nicht genau datierte Konstitution des Kaisers Philippus Arabs (Regierungszeit zwischen 244 und 249 n. Chr.), die in C. 7, 26, 6 überliefert ist: Cum sit probatum rem pignori fuisse obligatam et postea a debitore distractam, palam est non potuisse eam quasi furtivam usucapi.191

Der Kaiser stellt klar, dass eine Ersitzung nicht stattfindet, wenn der Veräußerer die Sache verpfändet und gegenüber dem Pfandgläubiger ein furtum begangen hat. Unmittelbar bezieht sich die Konstitution wohl auf einen Fall der besitzlosen Verpfändung. Darauf deutet die Verwendung des Ausdruckes pignus obligare hin192. Oben ist gezeigt worden, dass die Klassiker die unberechtigte Veräußerung durch den besitzenden Schuldner gleichermaßen als furtum behandelten, wie die echte Pfandkehr193. Für eine differenzierende Beurteilung war nach der Erweiterung des furtum Begriffes auf die Unterschlagung kein Raum mehr. Man wird die Entscheidung des Kaisers daher auf beide Fallgruppen beziehen dürfen194. Die zuletzt von Paulus vertretene Ansicht hatte sich also bei den Kaiser Philippus Arabs beratenden Juristen durchgesetzt. 188 Schlichting (III. Fn. 68), 65 m.w. N. zur älteren Literatur und dem Futur in dieser speziellen Bedeutung. 189 Der Kommentar zu Labeo, dem die zitierte Stelle entstammt, verfasste Paulus in jungen Jahren. Gerichtet war er wohl an jugendliche Schüler. Kennzeichnend ist die heftige, teils auch in Wortklauberei ausartende Kritik an Labeos Standpunkten, Liebs, HLL 4 (1997), § 423.5, m.w. N. 190 Schlichting (III. Fn. 68), 61. Zur wenig überzeugenden Textkritik vgl. Schlichting (III. Fn. 68), 62, 69 ff. – gegen Thomas und Albanese. 191 Übersetzung: Da erwiesen ist, dass die Sache verpfändet, und nachher vom Schuldner verkauft worden sei, so ist es publik, dass sie als gestohlene nicht habe ersessen werden können. 192 Schlichting (III. Fn. 68), 66, Anm. 2. 193 Vgl. oben III. 2. c) aa) (2). 194 Schlichting (III. Fn. 68), 68, mit Hinweis auf die Formulierung palam. Zu den Vertretern der älteren Literatur, die die Entscheidung des Kaisers damit erklären wollen, dass bei der besitzlosen Verpfändung die Sache niemals die Hand des Eigen-

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Im Zusammenhang mit dieser Quellenlage stellen sich zwei grundlegende Probleme. Zum einen bedarf es der Klärung, weshalb die Ersitzung überhaupt notwendig bzw. relevant ist. Es geht ja nach dem Wortlaut der Quellen jeweils um einen Erwerb vom tatsächlichen Eigentümer, nicht um einen Erwerb vom Nichtberechtigten195. Zum anderen fragt sich, welche Überlegungen den beiden klassischen Ansichten zur Anwendbarkeit des Ersitzungsverbotes zu Grunde lagen. aa) Die Auffassung Schlichtings Schlichting ist im Rahmen seiner Arbeit über die Verfügungsbeschränkung des Verpfänders im klassischen römischen Recht zu dem Ergebnis gelangt, die usucapio sei für den Erwerber deshalb von Bedeutung, weil der Verpfänder nicht habe wirksam verfügen können. Bis Diokletian sei es nämlich feststehende Vertragspraxis gewesen, dass der Verpfänder dem Gläubiger das Verkaufsrecht einräumt und ihm selbst die Veräußerung verboten ist. Verstößt der Verpfänder gegen das Veräußerungsverbot, habe dies zur Unwirksamkeit der Veräußerung geführt196. Der Erwerber habe die Sache daher ersitzen müssen197. Nun führte die usucapio zwar auch nach Schlichtings Auffassung nicht etwa zur Aufhebung des Pfandrechtes, so dass stets auch nach Fristablauf gegen den Erwerber die actio Serviana mit Erfolg angestellt werden konnte198, dem Gläubitümers verlassen habe und damit schwerlich von einer reverti in potestatem domini gesprochen werden könne, vgl. Schlichting (III. Fn. 68), 68, Anm. 1. Eine unterschiedliche Behandlung der Fälle einer echten Pfandkehr bei Faustpfand und der einer furtiven Veräußerung beim besitzlosen Pfand ist jedoch nicht belegt und auch in der Sache nicht gerechtfertigt. 195 Die in der älteren Literatur anzutreffenden Versuche, den genannten Quellen jeweils Fälle zu Grunde zu legen, in denen der veräußernde Verpfänder Nichteigentümer ist, sind als willkürlich abzulehnen, so auch Schlichting (III. Fn. 68), 69 mit Nachweisen in Anm. 1. Genauso wenig belegt ist die Ansicht, Lab./Paul. D. 41, 3, 49 habe ursprünglich einmal von der fiducia gehandelt und der Pfandgläubiger, zu dem die Sache zurückgelangen muss, sei der Eigentümer, vgl. dazu Schlichting (III. Fn. 68), 69. Beide Vorschläge lassen gerade den Gegensatz in den Ansichten entfallen, den Paulus herausarbeitet und der sich in der Einleitung durch immo so deutlich zeigt. 196 Schlichting (III. Fn. 68), 4 ff., 61 ff.; dagegen: Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 35 ff.; Wacke, Ein Verfügungsverbot des römischen Verpfänders, Iura 24, 184 ff.; Max Kasers Lehren zum Ursprung und Wesen des römischen Pfandrechts, SZ RA 115 (1998), 190 ff.; Wagner, Rezension zu: Schlichting, Die Verfügungsbeschränkung des Verpfänders im klassischen römischen Recht, SZ RA 94 (1977), 431 ff. 197 Schlichting (III. Fn. 68), 27 ff., 61 ff.; bezüglich der Notwendigkeit der usucapio wegen Erfolglosigkeit des derivativen Erwerbs zustimmend Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 272 ff.; anders: Wacke, Iura 24, 188. 198 Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb durch Ersitzung fand nicht statt, Pap. D. 20, 1, 1, 2; D. 41, 3, 44, 5; Schlichting (III. Fn. 68), 30 f.; Wacke, SZ RA 115, 191, 200. Das Pfandrecht war also stärker geschützt als das Eigentum. Der Pfandgläubiger drang auch gegen die Rechtsnachfolger des Verpfänders mit der Klage auf Herausgabe

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ger soll durch den Eigentumswechsel aber seine Verkaufsbefugnis entgangen sein, da diese nur schuldrechtlich im Verhältnis zum Verpfänder gewirkt, nicht aber den neuen Eigentümer gebunden habe. Damit es gar nicht erst zum Eigentumswechsel kommt, habe sich zum Schutz des Pfandgläubigers die Auffassung durchgesetzt, dass der Makel der Furtivität ausnahmsweise erst mit Rückkehr an den bestohlenen Gläubiger geheilt werde199. Diese Auffassung ist in der Literatur zwar auf reges Interesse gestoßen, wird von den Rezensenten aber letztlich aus mehreren beachtlichen Gründen abgelehnt. Auf starken Widerstand stößt schon der Ausgangspunkt Schlichtings, dem Verpfänder sei die Verfügung aufgrund der üblichen Abrede200 mit dem Gläubiger unmöglich geworden. Der dazu angeführte Schlusssatz im zentralen Zeugnis des Marcellus in D. 20, 5, 7, 2 wird von der herrschenden Lehre als interpoliert betrachtet201. Will man die darin wiedergegebene Folge „. . . nullam esse venditionem . . .“ dennoch für klassisch halten, so müsste die Nichtigkeit des Verkaufes auch die usucapio verhindert haben202. Völlig unabhängig von der überlieferten Diskussion um die Anwendung des Ersitzungsverbotes der Lex Atinia wäre die usucapio dann schon am fehlenden Titel gescheitet. Das würde der Kontroverse jegliche praktische Bedeutung nehmen, was schlecht vorstellbar ist. Abgelehnt wird auch das Bestehen eines Bedürfnisses, den Pfandgläubiger vor Verlust seiner Verkaufsbefugnis im Fall des Eigentumserwerbs eines Dritten zu schützen. Diese Gefahr besteht nach h. M. überhaupt nicht, da auch der vereinbarten Verwertungsbefugnis dingliche Wirkung zugekommen sei. Verfügungen des Schuldners konnten dann das einmal bestehende Pfandrecht nicht mehr beeinträchtigen203. Bedenkt man, dass der Gläubiger die Klage auf Herausgabe des Pfandes (actio Serviana) gegen jeden Rechtsnachfolger mit Erfolg anstellen konnte und dem Erwerber selbst ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb mittels usucapio nicht möglich war204, so ist auch die Theorie einer Gefährdung der des Pfandes durch. Diese actio Serviana hatte nur zur Voraussetzung, dass das Pfandrecht durch jemanden bestellt worden war, der die Sache in bonis hatte, zwischenzeitlich die Forderung nicht erloschen war, keine anderweitige satisfactio gewährt wurde und der Gläubiger nicht in Annahmeverzug geraten war, Kaser, RP I, 473. 199 Schlichting (III. Fn. 68), 72 ff. 200 Gegen die Selbstverständlichkeit der Abrede: Wacke, Iura 24, 188. Ebenso gut könne von der Nichterwähnung auf die Nichtexistenz dieser Vertragsklausel geschlossen werden. 201 Wacke, Iura 24, 185 ff.; SZ RA 115, 194 m.w. N.; Wagner, SZ RA 94, 431 ff. Der Satz lautet: „et certum est nullam esse venditionem, ut pactioni stetur“. Die klare Beantwortung steht im Widerspruch zu der vorangehend aufgestellten Streitfrage. 202 Wacke, Iura 24, 188; SZ RA 115, 195, Anm. 111. 203 Wagner, SZ RA 94, 442; Wacke, Iura 24, 192; SZ RA 115, 197 ff. – mit Hinweis auf Diokletian C. 8, 13, 15, wo klargestellt wird, dass der Schuldner die Rechte des Pfandgläubigers weder durch Verkauf noch durch Schenkung beeinträchtigen könne. 204 Siehe dazu oben III. Fn. 198.

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Verwertungsbefugnis durch die Ersitzung der h. M. folgend abzulehnen. Die actio Serviana gegen den Erwerber hätte keinen Sinn, wenn der Gläubiger die erlangte Sache nicht zu seiner Befriedigung verwerten darf205. bb) Kasers Ansicht Kaser will anders als Schlichting die Notwendigkeit der usucapio nicht aus dem vereinbarten Veräußerungsverbot herleiten, von dem jegliche Spur fehle206, sondern sieht das Hindernis für den sofortigen Erwerb unmittelbar in der Furtivität der Sache207. Aus dem Ersitzungsverbot der Lex Atinia für res furtiva könne a fortiori geschlossen werden, dass demjenigen, der vom diebischen Eigentümer erworben habe, der sofortige Eigentumserwerb erst recht versagt gewesen sei. Dies soll eine feste Regel des ius civile gewesen sein208. Abgesehen davon, dass uns dieser Rechtssatz nicht ausdrücklich überliefert ist, was auch Kaser selbst eingestehen muss209, ist kaum zu erklären, weshalb der Erwerber dann trotz des furtum nach der von Cassius vertretenen Ansicht hat ersitzen können. Das argumentum a fortiori aus dem Ersitzungsverbot der Lex Atinia kommt ja nur in Betracht, wenn dessen Eingreifen feststeht, was jedoch gerade strittig war. Die Klassikerkontroverse hätte sich dann im Kern um das Verbot des sofortigen Erwerbs drehen müssen, was wohl deutliche Spuren hinterlassen hätte. cc) Weitere Deutungsmöglichkeit Eine weitere theoretische Möglichkeit, den Sinn der usucapio in diesen Fällen zu erklären, liegt in der Annahme, es habe sich bei den betroffenen Sachen jeweils um res mancipi gehandelt und der Verpfänder habe diese formlos mittels traditio veräußert. Dann hätte der Erwerber die usucapio zum Erlangen quiritischen Eigentums benötigt. Doch gibt es für das Vorliegen dieser Sondersituationen in den einschlägigen Quellen keine Anhaltspunkte. Wäre es nur um diese Konstellationen gegangen, hätten die Juristen darauf hingewiesen. Cassius spricht jedoch allgemein von res, obwohl es ein leichtes gewesen wäre, stattdessen servus oder equus einzusetzen210. Auch bezeichnen Modestin und Philippus Arabs die Veräußerungshandlung allgemein mit distrahere, was darauf schließen 205

Wagner, SZ RA 94, 439, 442. Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 272. 207 Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 273; so auch: Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 244; Apathy/Klingenberg/Stiegler, Einführung in das römische Recht, 106; dagegen: Wacke, SZ RA 115, Anm. 111. 208 Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 273. 209 Kaser, Studien zum römischen Pfandrecht, 273. 210 D. 41, 3, 4, 21; Schlichting (III. Fn. 68), 74. 206

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lässt, das auch sie nicht allein die formlose Veräußerung einer res mancipi vor Augen hatten211. dd) Eigene Auffassung Die Frage nach der Ersitzungsmöglichkeit könnte die Juristen jedoch deshalb beschäftigt haben, weil die usucapio dem Erwerber im Vindikationsstreit mit Dritten prozessuale Vorteile verschaffen konnte. Auf diese grundlegende Bedeutung der usucapio hat zu Recht Wubbe aufmerksam gemacht. Die usucapio ist für den Erwerber in erster Linie ein Mittel, seinen Eigentumserwerb nachzuweisen212. Er wird dieses stets einsetzen, wenn sein Erwerb bestritten wird, völlig unabhängig davon, ob ihm daneben auch der Nachweis derivativen Erwerbs von seinem Rechtsvorgänger gelingen kann. Erspart bleibt ihm dadurch, die Eigentümerstellung seines Vormannes und dessen eventueller Vormänner zu beweisen. Es reicht aus, wenn er zeigen kann, dass er die Sache in gutem Glauben mit iusta causa erworben und 1 Jahr besessen hat213. Gelingt ihm dies, kann sein Prozessgegner dagegen nur einwenden, eine Ersitzung sei nicht möglich gewesen, weil die Sache furtiv sei. Das Eingreifen des objektiven Ausschlussgrundes der Lex Atinia war somit auch dann von Bedeutung, wenn ein sofortiger derivativer Erwerb in Betracht kam. Letzterer musste nämlich im Prozess um die Sache lediglich dann untersucht werden, wenn der erheblich leichter festzustellenden und zu beweisenden Ersitzung etwas im Wege stand. Die Frage nach der objektiven Ersitzungsfähigkeit stellte sich demzufolge stets, wenn in der Praxis um das Eigentum oder die publizianische Berechtigung an einer Sache gestritten wurde214. Sie musste folglich von der Jurisprudenz für alle denkbaren Konstellationen entschieden werden. Zwanglos erklärt sich so auch, warum die Juristen in den angeführten Quellen wenig Wert auf die Darstellung des der Problematik zu Grunde liegenden 211

D. 41, 4, 5; C.7, 26, 6; Schlichting (III. Fn. 68), 74. Wubbe, SZ RA 80, 192 f. Dazu näher unten III. 4. d). 213 Vor Ablauf der Ersitzungsfrist steht ihm die actio Publiciana als petitorische Klage zur Verfügung. 214 Ausgangspunkt der Kontroverse könnte etwa folgender Fall gewesen sein: Dem Erwerber kommt die vom Verpfänder gekaufte Sache abhanden. Er findet sie wieder in der Hand eines Dritten und verlangt sie mit der rei vindicatio oder vor Jahresfrist mit der actio Publiciana heraus. Dazu muss er einen Eigentumserwerbstatbestand bzw. seine publizianische Berechtigung an der Sache darlegen. Ihm gelingt problemlos der Nachweis eines Erwerbs iusta causa und bona fides. Der Besitzer wendet dagegen ein, die Sache sei vom Vormann des Klägers verpfändet worden und dieser habe sie dem Gläubiger wieder entwendet, daher liege ein furtum vor und die usucapio scheide von vornherein aus. Das Delikt kann von ihm auch tatsächlich bewiesen werden (vgl. C. 7, 26, 6). Frage an den Juristen: Reicht dies aus um eine Ersitzung zu negieren, mit der Folge, dem Erwerber den Beweis derivativen Eigentumserwerbs aufzubürden? 212

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Sachverhaltes gelegt haben und zu unserer zentralen, einer materiellrechtlichen Betrachtung entspringenden Frage, warum die Ersitzung den überhaupt nötig sei, keine eigene Stellungnahme abgeben. Es ist nämlich kaum möglich, die prozesspraktische Frage, ob der Erwerber vom Verpfänder im Vindikationsprozess schon allein durch Verweis auf die Ersitzung sein Eigentum nachweisen konnte, in einen konstruierten Fall unterzubringen215. Die Kasuistik stößt hier an ihre Grenzen. So verzichteten die Juristen auf detaillierte Informationen zu den Eigentumsverhältnissen und beantworteten die Frage nach der Anwendbarkeit der usucapio, ohne deren materiellrechtliche Notwendigkeit zu diskutieren. Lediglich in D. 41, 3, 4, 21 muss Cassius die Bezeichnung „dominus“ für den Verpfänder wählen, weil dies für die Begründung seiner Auffassung, dass die usucapio wegen der Rückkehr in die potestas des Eigentümers mit Erfolg laufe, zwingend notwendig ist. Daraus darf aber nicht der vorschnelle Schluss gezogen werden, dass in den Fällen, in denen die Entscheidung des Juristen ihre praktische Bedeutung findet, die Eigentümerstellung des Verpfänders bereits geklärt ist216. Cassius stellt nur die materielle Regel auf, dass für den Fall, dass der Verpfänder Eigentümer ist, die Sache trotz dessen furtum nicht als res furtiva anzusehen und damit die Ersitzung möglich ist. Im Vindikationsprozess ändert sich dadurch die Beweislast für das Eigentum des Verpfänders. Da die Sache nur dann als res furtiva im Sinne der Lex Atinia gilt, wenn der Verpfänder Nichteigentümer ist217, obliegt nun dem Prozessgegner des Erwerbers der diesbezügliche Nachweis. Der Erwerber kann nach der Ansicht des Cassius den Streit um die Sache gewinnen, ohne für das Eigentum des Vormannes/Verpfänders Beweis erbringen zu müssen. Damit kann zwar der praktische Zweck des Streits um die usucapio in dieser Fallgruppe erklärt werden, fraglich ist aber nach wie vor, was Paulus und die den Kaiser Philippus Arabs beratenden Juristen dazu bewegt haben könnte, deren Anwendbarkeit zu verneinen. Dem Gläubigerschutz kann dies nicht gedient haben, denn dessen Position war nicht gefährdet. Er konnte die Pfandsache mit der actio Serviana auch vom Erwerber herausverlangen und verwerten218. Vermutlich haben die Vertreter dieser Ansicht die Heilungsregel der Lex Atinia so ausgelegt, dass die Sache an den Inhaber des durch das furtum verletzten Rechtes zurückkehren müsse. Beim furtum in der speziellen Tatvariante der Pfandkehr ist dies das Pfandrecht, nicht das Eigentum219. Davon ausgehend ist in diesen besonderen Fällen tatsächlich vom allgemeinen Grundsatz der Rückkehr 215 Fasst man den Sachverhalt so, dass der Verpfänder/Veräußerer Nichteigentümer ist, dann greift die Begründung nicht, dass die Furtivität durch die Rückkehr in die Hand des dominus geheilt wird. Außerdem würde damit von der prozessualen Bedeutung in den Fällen wo der Verpfänder Eigentümer ist, nur abgelenkt. 216 Anders: Schlichting (III. Fn. 68), 74, Anm. 2. 217 Dann ist sie nicht in die potestas des dominus zurückgekehrt. 218 Siehe dazu oben III. 3. b) aa).

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

an den Eigentümer abzuweichen und eine Rückkehr zum Pfandgläubiger zu fordern. Dass dieser kein eigenes Interesse an der Unersitzbarkeit hatte, hinderte die Vertreter dieser Ansicht nicht daran, die gesetzliche Regelung ihrer Auslegung entsprechend konsequent anzuwenden. Eine praktische Wirkung erzielte der Ersitzungsausschluss ja dennoch, wie eben gezeigt wurde, insofern besaß die Entscheidung unabhängig vom Schutzbedürfnis des Pfandgläubigers eine gewisse Relevanz. ee) Zwischenergebnis Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vertreter der Ansicht des Cassius die Ersitzung trotz des furtum des Eigentümers gerade deshalb zuließen, um die Verkehrsfähigkeit der Sache zu erhöhen bzw. den Erwerber zu schützen. Vielmehr ging es bei der Klassikerkontroverse allein um die richtige Auslegung der Heilungsvorschrift in der Lex Atinia. Dabei orientierten sich die einen auch in den Fällen der Pfandkehr an der gefestigten Grundregel, die stets eine Rückkehr an den dominus forderte, und wendeten diese konsequent an, während andere Paulus folgend die Rückkehr zum Inhaber des verletzten Rechtes forderten. Festzuhalten bleibt darüber hinaus, dass sich in diesen Fällen eine besondere Funktion der usucapio als prozessuales Mittel des Erwerbers im Streit um die Berechtigung an der Sache gezeigt hat. Darauf wird bei der Bearbeitung der Frage nach dem praktischen Nutzen des Rechtsinstitutes noch zurückzukommen sein220.

c) Erstreckung des vitium der res furtiva auf deren Früchte? Zuvor ist noch die Problematik des Erwerbs von Früchten furtiver Sachen anzusprechen. Bei unbefangenem Herangehen fragt man sich, ob der Makel der Muttersache auch deren Früchte erfasst und somit deren Ersitzung verhindert. Nahe liegt dies speziell dann, wenn die Frucht bereits angelegt ist, etwa die verkaufte Pflanze Blüten trägt oder das verkaufte Tier trächtig ist. Dann wäre auch die Einordnung der Frucht als res furtiva denkbar.

219 Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen die Sache einem Entleiher, Mieter oder anderem Besitzer, der nicht Eigentümer ist, entwendet wird. Zwar liegt die Aktivlegitimation für die actio furti in diesen Konstellationen regelmäßig bei diesen, weil sie dem Eigentümer haften und daher den Schaden tragen, doch richtet sich das Zueignungsdelikt des Täters dennoch gegen das Eigentum. Daher forderten die Klassiker in diesen Fällen eine Rückkehr an den dominus, nicht an den Bestohlenen, vgl. oben II. 3. b); III. 1. c). 220 Unten III. 4.

3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot

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aa) Normale Sachfrüchte Für die normalen Sachfrüchte galt im klassischen Recht jedoch, dass sie durch den bonae fidei possessor sofort mit der Trennung von der Muttersache erworben werden. Es war keine Ersitzung notwendig221. Im Hinblick auf seine Stellung als Ersitzungsbesitzer wäre es eigentlich konsequent gewesen, ihm nur bonitarisches Eigentum und die Ersitzungsmöglichkeit einzuräumen222. Diesen Weg sind die Römer jedoch gerade nicht gegangen. Darüber hinaus erfolgt der sofortige Eigentumserwerb an den Früchten völlig unabhängig davon, ob die Muttersache eine res furtiva ist. Keine Rolle spielt auch, ob die Früchte zum Zeitpunkt des Diebstahls der Muttersache bereits angelegt waren. Paulus berichtet über die Rechtslage zu seiner Zeit in D. 41, 3, 4, 19 wie folgt: „Lana ovium furtivarum si quidem apud furem detonsa est, usucapi non potest, si vero apud bonae fidei emptorem, contra: quoniam in fructu est, nec usucapi debet, sed statim emptoris fit . . .“223

Trennt der Dieb selbst die Wolle vom gestohlenen Schaf, so wird diese furtiv, kann also nicht ersessen werden, wenn sie der Dieb an einen Gutgläubigen weiterveräußert224. Die Kontrektationshandlung liegt entweder im Ansichnehmen durch den Dieb oder in der späteren Veräußerung der fremden Wolle. Wird die Wolle dagegen erst beim gutgläubigen Erwerber des Schafes abgeschoren, so bleibt sie ersitzungsfähig. Paulus bemerkt nach dieser Feststellung sogleich im Anschluss, dass es darauf letztlich für den Eigentumserwerb nicht ankäme, da der bonae fidei possessor ja sofort mit der Trennung Eigentum erwerbe. Thielmann möchte aus dem ursprünglichen Ansatz des römischen Juristen bei der usucapio und dem darauffolgenden plötzlichen Umkippen in den anderen Erwerbsmodus folgern, dass auch dieser gefühlsmäßig eher an der Ersitzung anknüpfen wolle, aber keine rechte Verbindung herzustellen vermag225. In der Tat scheint die Darstellung des Paulus über den Umweg der Ersitzung wenig Sinn zu machen, wenn es auf diese letztlich nicht ankommt. Doch ist die Feststel221 Paul. D. 41, 1, 48 pr.; D. 41, 3, 4, 19; Kaser, Partus ancillae, SZ RA 75 (1958), 167 f.; SZ RA 65, 248 ff.; RP I, 427; Thielmann, Produktion als Grundlage des Fruchterwerbs, SZ RA 94 (1977), 87. 222 Thielman, SZ RA 94, 87 unter Hinweis auf Savigny. 223 Übersetzung: Die Wolle von gestohlenen Schafen kann, wenn sie beim Dieb abgeschoren wurde, nicht ersessen werden; wenn aber beim Käufer in gutem Glauben, allerdings, weil sie zu den Nutzungen gehört und nicht ersessen werden braucht, sondern sofort dem Käufer zu eigen wird. 224 Thielmann, SZ RA 94, 87 f., versteht die Stelle so, dass Paulus die Ersitzung durch den Dieb selbst gemeint habe. Doch kann dieser schon mangels Titels und mangels Gutgläubigkeit nicht ersitzen, so dass m. E. die Annahme nahe liegt, der Jurist habe bei der allgemeinen Formulierung „usucapi non potest“ den gutgläubigen Erwerber der Wolle vor Augen gehabt. 225 Thielmann, SZ RA 94, 88; Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 421, vermutet dagegen eine Interpolation.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

lung, dass die Wolle bei Trennung durch den gutgläubigen Besitzer trotz Abstammung von einer furtiven Muttersache ersitzungsfähig ist, nicht ohne praktische Bedeutung. Veräußert der Erwerber die abgetrennte Sache nämlich weiter, kann sich sein Erwerber auf die usucapio berufen. In einem Prozess um die Wolle setzt dieser sich mittels actio Publiciana bzw. nach Ablauf der Ersitzungsfrist auch mittels rei vindicatio durch, ohne die Eigentümerstellung seines Vormannes beweisen zu müssen226. Der Nachweis eigenen gutgläubigen Erwerbs reicht aus. Prozessentscheidend wird dies, wenn ernsthafte Zweifel an der Gutgläubigkeit des Veräußerers zum Zeitpunkt der Trennung227 bestehen. Dann trägt nicht der Erwerber das Beweisrisiko dafür, dass sein Vormann als bonae fidei possessor die Wolle durch das Abscheren tatsächlich erwerben konnte228, sondern sein Gegner muss nachweisen, dass böser Glaube vorlag und damit die Sache furtiv wurde. Der alleinige Nachweis des Diebstahls am Schaf reicht nicht aus. Gelingt ihm das nicht, obsiegt der Erwerber mit seiner Behauptung eines Eigentumserwerbs durch usucapio. Es macht also guten Sinn, dass Paulus die grundsätzliche Ersitzungsfähigkeit der einem gestohlenen Schaf entnommenen Wolle anspricht. Welches Prinzip dem sofortigen Fruchterwerb zu Grunde lag, ist in der Literatur umstritten. Eine Ansicht hält unter Berufung auf jene klassischen Quellen, die den bonae fidei possessor in Bezug auf den Fruchterwerb als dem Eigentümer gleichstehend (loco domini) bezeichnen229, das Substantialprinzip für einschlägig230. Der Besitzer in guten Glauben ist danach fruchtberechtigt, weil er eine eigentümerähnliche Stellung hat. Die Gegenmeinung räumt auch in klassischer Zeit dem alten Produktionsprinzip noch Vorrang ein, wonach die Früchte grundsätzlich demjenigen zustehen, der die Sache bewirtschaftet231 („wer säht der mäht“232). Beide Ansichten sind problematisch. Gegen das Substantialprin226 Vgl. zu den Beweispflichten und der beweiserleichternden Funktion der usucapio näher unten III. 4. d). 227 Julian fordert die bona fides nur im Augenblick des Besitzerwerbes, D. 22, 1, 25, 1; Kaser, SZ RA 65, 249. Spätere Juristen verlangen die Gutgläubigkeit noch bei der Trennung, Ulp. D. 41, 1, 23, 1; Paul. D. 41, 1, 48, 1; Kaser, SZ RA 65, 250. 228 Der Erwerbstatbestand des Vorgängers müsste bei Abstellen auf den derivativem Erwerb voll nachgewiesen werden. Dazu gehört eben auch die bona fides zum Zeitpunkt der Trennung. 229 Paul. D. 41, 1, 48 pr.: „. . . loco domini paene est . . .“; vgl. auch Iul. D. 22, 1, 25, 1. 230 Kaser, SZ RA 65, 248 ff.; RP I, 427, für die altrömische Zeit nimmt Kaser dagegen die Geltung des Produktionsprinzips an. Im Anschluss an Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 423, will Kaser den sofortigen Erwerb auch nur für den titulierten Besitzer gelten lassen. Hat der gutgläubige Besitzer keinen Titel, müsse er die Frucht ersitzen. 231 Thielmann, SZ RA 94, 76 ff. 232 Altes deutsches Sprichwort, in diesem Zusammenhang von Kaser, RP I, 427 und SZ RA 65, 456, gebraucht.

3. Ausnahmen vom generellen Ersitzungsverbot

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zip spricht einerseits, dass der fruchtberechtigte bonae fidei possessor nicht zwangsläufig eine eigentümerähnliche Position an der Muttersache hat. Ist diese nämlich furtiv, hat der Besitzer keine Berechtigung an ihr und kann dennoch die Früchte erwerben. Andererseits kann der nachträglich Kenntnis erlangende Besitzer die Früchte zumindest nach Meinung der Spätklassiker nicht erwerben233, obwohl er Ersitzungsbesitzer ist. Zu Recht meint daher Thielmann, der Fruchterwerb sei eine Erscheinung, die man von der Ersitzungsposition trennen müsse234. Das Produktionsprinzip stößt da an seine Grenzen, wo der Besitzer zur Entstehung der Früchte nichts beitragen muss, etwa wenn das trächtige Mutterschaf nach kurzer Zeit bei ihm wirft. Die Produktionsleistung ist dann nicht mehr als eine Fiktion. Unabhängig von einer Entscheidung für die eine oder andere Auffassung kann festgehalten werden, dass der Fruchterwerb nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Erwerbsgeschäft steht. Die Furtivität der Muttersache hatte keinen direkten Einfluss auf das Schicksal der Früchte. bb) Das Kind der Sklavin Eine Sonderbehandlung erfährt im römischen Recht das Kind der Sklavin (partus ancillae). Im Gegensatz zu den Tierjungen werden die Sklavenkinder nicht zu den Früchten gezählt. Der gutgläubige Besitzer kann sie nicht sofort durch Trennung erwerben235. Sofern an der Mutter kein Diebstahl begangen worden ist, wird das Kind zusammen mit ihr ersessen. Ist die Mutter dagegen furtiv, betrachtet man auch den partus ancillae als res furtiva, wenn er nicht erst beim gutgläubigen Besitzer empfangen wurde. Man sah das Sklavenkind bereits seit seiner Erzeugung als vorhanden an, so dass ein Diebstahl an der Mutter auch das Kind in ihr erfasste236. Ersitzen konnte der gutgläubige Besitzer das Kind der furtiven Sklavin lediglich dann, wenn es bei ihm empfangen sowie geboren wurde und er noch im Zeitpunkt der Geburt gutgläubig war237. Ohne an dieser Stelle näher auf die vielfältigen Erklärungsversuche für die Sonderbehandlung des partus ancillae eingehen zu müssen238, bleibt festzuhalten, 233

Vgl. die Nachweise oben III. Fn. 221. Thielmann, SZ RA 94, 88. 235 Kaser, SZ RA 75, 165 ff.; Thielmann, SZ RA 94, 98 ff. 236 Ulp. 47, 2, 48, 5. Auch das Kind der flüchtigen Sklavin wird furtiv, wenn es die Mutter ergreift, Afr. D. 47, 2, 61. Streitig war die Furtivität des beim gutgläubigen Erben des Diebes geborenen Kindes, dagegen Scaevola bei Ulp. D. 41, 3, 10, 2; anders: Paul. D. 41, 3, 4, 15; Ulp. D. 6, 2, 11, 2. Die herrschende Meinung unter den Klassikern hielt das Kind für furtiv, Kaser SZ RA 75, 171 f.; Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1104. 237 Iul. D. 41, 3, 33 pr.; 41, 4, 9; Pomp. D. 41, 10, 4. 238 Gaius begründet die Sonderregelungen in D. 22, 1, 28, 1 damit, dass ein Sklavenkind nicht wie andere Früchte zum dienenden Objekt des Menschen herabgewürdigt werden dürfe. Dagegen Thielmann, SZ RA 94, 98, der diese Begründung im Hin234

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

dass die Regelung der Lex Atinia zur Verhinderung seines Erwerbs herangezogen wurde und einen Rechtsverlust des Eigentümers der Sklavenmutter verhinderte. Nur wenn das Kind beim bonae fidei possessor konzipiert und geboren wurde, gilt es nicht als furtiv, weil es dann weder als Nasciturus mit der Mutter gestohlen noch durch eine Kontrektationshandlung nach der Geburt makelhaft wurde.

4. Die Funktion der usucapio unter Geltung des weiten Ausnahmetatbestandes Nachdem sich die Ausführungen des Gaius239 zur Erweiterung des furtum Begriffes und deren erhebliche Auswirkungen auf den Kreis der ersitzbaren Sachen bestätigt haben, kann auf die wichtige Frage eingegangen werden, welchen praktischen Nutzen dieses Rechtsinstitut trotz des extensiven Ersitzungsverbotes für res furtiva im klassischen Recht noch hatte.

a) Restbereiche des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten Gaius selbst nennt drei spezielle Situationen, in denen es vorkommen kann, dass die Sache trotz Verfügung durch einen Nichtberechtigten nicht furtiv ist240. Im ersten Fall hat der Erbe des Besitzers die Sache in dem falschen Glauben veräußert, sie gehöre zum Nachlass, obwohl sie der Erblasser tatsächlich nur entliehen, verwahrt oder gemietet hatte. Es fehlt dann aufgrund des Irrtums des Veräußerers über die Fremdheit der Sache am Unterschlagungsvorsatz, so dass ein furtum ausscheidet. Gleiches gilt, wenn jemand der glaubt, Erbe zu sein, eine Sache aus dem vermeintlichen Nachlass veräußert. Auch dann fehlt es am erforderlichen Vorsatz241. In der dritten Konstellation hat ein Nießbraucher das Kind einer Nießbrauchssklavin mit der irrigen Vorstellung veräußert, er habe blick auf die sonstige rechtliche Behandlung der Sklaven als „scheinheilig“ verwirft. Er selbst sieht die Sonderbehandlung des Sklavenkindes als Folge des Produktionsprinzips an. Anders als bei Sach- und Tierfrüchten habe der Besitzer selbst wenig zur Entstehung des Sklavenkindes an Arbeitsleistung aufwenden müssen. Kaser, SZ RA 75, 199, sieht als rechtspolitischen Hintergrund ein Bestreben, das Kind bei der Mutter bleiben zu lassen. Deshalb sollte eine unterschiedliche Eigentümerstellung möglichst vermieden werden. Dies habe nicht humanitäre sondern vor allem wirtschaftliche Gründe gehabt. Die Mutter sei in den ersten Jahren eben am besten in der Lage, das Kind aufzuziehen und dessen Wert zu erhalten bzw. zu steigern. 239 Gai. II, 50. 240 Gai. II, 50; Gai. D. 41, 3, 36, 1. 241 Gai. D. 41, 3, 36, 1. Dieser Fall fehlt im Veronenser Gaius und in Iustinians Institutionen, steht aber in den res cottidianae, Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1118.

4. Die Funktion der usucapio

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daran mit der Trennung Eigentum erworben. Gaius hält einen solchen Rechtsirrtum offenbar für entschuldbar und verneint auch hier den Deliktsvorsatz, so dass eine Ersitzung stattfinden kann242. Fraglich ist, ob daraus allgemein geschlossen werden darf, dass jeglicher Rechtsirrtum den erforderlichen dolus auf Seiten des Veräußerers wegfallen lässt. Dies würde mit dem bekannten römischen Grundsatz „error iuris nocet“243 kollidieren, wonach das Berufen auf mangelnde Rechtskenntnis regelmäßig keinen Erfolg versprechen soll. Es ist jedoch verfehlt, für das klassische Recht eine allzu starre Haltung bei der Frage nach der Beachtlichkeit von Rechtsirrtümern anzunehmen244. Vielmehr wurden verschiedentlich Ausnahmen gemacht. In der von Gaius angesprochenen besonderen Fallgruppe hängt die Nachsicht vermutlich damit zusammen, dass die falsche Vorstellung, man könne als Nießbraucher ein Sklavenkind genauso wie ein Tierjunges durch Trennung erwerben245, unter Laien stark verbreitet war246. Man kann daraus nicht schließen, dass jeder noch so fernliegende Irrtum des Veräußerers über die Rechtslage dazu führte, ihn vom Diebstahlsvorwurf freizusprechen. Die ausnahmsweise Entschuldbarkeit wird Sache des Einzelfalles gewesen sein, wobei sowohl die Komplexität der Rechtsfrage als auch die Person des Täters247 eine Rolle gespielt haben werden. Gaius spricht noch die Existenz weiterer Möglichkeiten einer durch Irrtum veranlassten und daher nicht furtiven Veräußerung an, ohne diese jedoch zu 242 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 142 f., 164 f., hält dieses Beispiel des Gaius für irreführend, da eine usucapio hier trotz des Nichtvorliegens eines furtum ausgeschlossen sei. Der Erwerber unterliege nämlich einem Rechtsirrtum, wenn er glaubt, vom Nießbraucher das Kind der Sklavin wirksam erwerben zu können. Deshalb sei die Ersitzung ausgeschlossen – so auch Karlowa, RG II (II. Fn. 86), 396. Doch verbleibt auch dann noch ein Anwendungsbereich für das Beispiel des Gaius. Der Erwerber muss ja nicht wissen, dass der Veräußerer lediglich Nießbraucher der Sklavin ist. Hält er ihn für den Eigentümer, unterliegt er nur einem Tatsachenirrtum, der die Ersitzung nicht verhindert, vgl. zur Unterscheidung D. 22, 6 ff. 243 Paul. D. 22, 6, 9 pr.; Pernice, Labeo C, 493 ff.; Mayer-Maly, Error iuris, FS Verdross 1980, 147 ff.; Kaser, RP I, 242. 244 Mayer-Maly, FS Verdross 1980, 168 f. Erst die spätere Dominatszeit (Ende 4. Jh./Anfang 5. Jh.) erzielte eine einheitliche Haltung. 245 Der Vergleich mit dem Tierjungen findet sich unmittelbar in diesem Zusammenhang bei Gai. D. 41, 3, 36, 1. 246 Kaser, SZ RA 75, 160. Heute nimmt man beim normativen Tatbestandsmerkmal „fremd“ eine Parallelwertung in der Laiensphäre vor, Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 16 Rn. 11a. Pernice, Labeo C, 497, erklärt die Entscheidung des Gaius damit, dass durch die stärkere Beachtung subjektiver Momente im furtum-Tatbestand das Verbot der Unersitzbarkeit der res furtiva in seiner Bedeutung geschwächt werden sollte. Das ist jedoch der Stelle nicht zu entnehmen. Zu Bedenken ist zudem, dass der Eigentümer durch die Entscheidung auch die actio furti auf das duplum verliert und der Veräußerer nicht als fur infam wird. Diese wichtigen Aspekte dürfen neben dem Ersitzungsausschluss nicht vernachlässigt werden. 247 Vgl. Mayer-Maly, FS Verdross 1980, 166, zur Bereitschaft, bestimmten Personengruppen (mulieres, rustici, milites und minores) ein Verkennen der Rechtslage eher nachzusehen als anderen.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

konkretisieren. Zwei Beispiele aus den Schriften anderer Juristen seien noch genannt: Neraz berichtet in D. 47, 2, 85 pr., dass kein furtum vorliegt, wenn jemand als Erbe Sachen einer irrtümlich für tot gehaltenen Person in Besitz nimmt. Wäre es in dieser Konstellation vor Aufklärung des Irrtums zu einer Weiterveräußerung der vermeintlichen Erbschaftssachen gekommen, hätten diese ersessen werden können. Ohne furtum läuft auch die Veräußerung in Pap. D. 17, 1, 57 ab. Dort hatte jemand den Verkauf von Sklaven in Auftrag gegeben, der Auftragnehmer war jedoch bald darauf verstorben und der Auftrag erloschen. Dessen Erben gingen jedoch irrtümlich davon aus, sie seien verpflichtet, das vom Erblasser Übernommene zu Ende zu führen und veräußerten die Sklaven. Mangels Vorsatz der Erben wird die Sache nicht furtiv248. Neben diesen Irrtumsfällen werden in den Quellen noch Situationen erwähnt, in denen ein furtum schon objektiv deshalb nicht in Betracht kommt, weil die betreffende Sache nicht im Eigentum eines anderen steht. Des betrifft vor allem herrenlose Gegenstände, res derelictae und solche Sachen, die zu einer ruhenden Erbschaft (hereditas iacens) gehören249. Nach alter römischer Anschauung hob der Todesfall die Vermögensrechte des Verstorbenen auf und die Erbschaftssachen wurden bis zum Erwerb der Erbschaft herrenlos250. Noch in klassischer Zeit wirkte sich dies darin fort, dass an den betreffenden Sachen die Verwirklichung eines furtum nicht möglich war251. Veräußerte der Erbschaftsbesitzer die an sich genommenen Erbschaftssachen an einen gutgläubigen Dritten, konnte somit die Ausnahmeregelung für res furtiva dessen Ersitzung nicht verhindern252. Anders war es nur dann, wenn der Erblasser die ergriffenen Sachen

248 Sonst wäre die anschließende Diskussion um die Ersitzung bzw. die actio Publiciana zwecklos, Kaser, SZ RA 102, 40. 249 Mommsen, Römisches Strafrecht, 739; Kaser, RP I, 615. 250 Gai. II, 9; II, 52 ff.; Mommsen, Römisches Strafrecht, 777 ff.; Manigk, in: RE, Hereditarium ius, Sp. 644; Kaser, RP I, 720 ff.; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 431; von Lübtow, Studi in onore di G. Grosso II, 597 f. 251 Marcell./Iul. D. 47, 2, 69 (68); Ulp./Scaev. D. 47, 4, 1 ,15; Ulp. D. 47, 19, 2; Paul. D. 47, 19, 6; D. 25, 2, 6, 6; Iul. D. 41, 3, 35; D. 9, 4, 40; Mommsen, Römisches Strafrecht, 777 ff.; Manigk, in: RE, Hereditarium ius, Sp. 644: „furtum logisch unmöglich“; Kaser, RP I, 720; 615, Anm. 9; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 431; Thomas, Rei hereditariae furtum non fit, TR 36 (1968), 489 ff.; Mac Cormack, Usucapio pro herede, res hereditariae and furtum, rida 25 (1978), 293 ff. Die Strafverfolgung der wissentlich unberechtigten Aneigung von Erbschaftsgütern erfolgte seit Marc Aurel aus crimen expilatae hereditatis, Marci. D. 47, 19, 1; Mommsen, Römisches Strafrecht, 779; Kaser, RP I, 722; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 432. 252 Daneben konnte der Erbschaftsbesitzer die in Besitz genommenen Erbschaftssachen selbst mittels usucapio pro herede ersitzen und zwar selbst dann, wenn er bösgläubig war, Gai. II, 52 ff. Allerdings wurde dies im letztgenannten Fall als unbillig betrachtet und ein von Hadrian veranlasstes SC gewährte dem Erben in diesem Fall die hereditas petitio, Gai. II, 57; Mommsen, Römisches Strafrecht, 778 f.; Beseler, SZ RA 45 (1925), Miscellanea, Usucapio pro herede, 229 f.; Kaser, RP I, 721; Kaser/ Knütel, Römisches Privatrecht, 432.

4. Die Funktion der usucapio

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einem Dritten verpfändet, geliehen oder zum Nießbrauch gegeben hatte. Dann griff der Tatbestand des furtum und die Ersitzung wurde verhindert253. Die verbleibenden Beispiele können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der materiellrechtliche Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten durch usucapio in klassischer Zeit fast keine Bedeutung mehr gehabt hat. Steckt man auch noch so viel Mühe und Phantasie in die Konstruktion theoretischer Sachverhalte, in denen die Mobilie ohne furtum in den Umlauf gelangt, wird dem Ergebnis doch immer etwas Exotisches anhaften. Gaius führt diese Situationen folglich als Ausnahmetatbestände an254 und nicht mehr als das werden sie in der Praxis auch gewesen sein.

b) Erwerb quiritischen Eigentums bei traditio von res mancipi Eine ganz eigenständige Funktion der usucapio besteht im klassischen Recht darin, dem formlosen Erwerber einer res mancipi quiritisches Eigentum zu verschaffen255. Der ausgeweitete furtum-Tatbestand kommt hier nicht zum Zuge, da es um den Erwerb vom dominus selbst geht. Nach Ablauf eines Jahres seit der traditio ersitzt der Erwerber das zivile Eigentum, ohne dass es einer mancipatio bedarf. Eine nach allen Seiten geschützte Rechtsposition hat er jedoch schon vorher. Gegen eine Inanspruchnahme des quiritischen Eigentümers (Veräußerers) steht ihm die exceptio rei venditae et traditae zur Verfügung256. Mit der actio Publiciana kann er die Sache aktiv verfolgen. Die römischen Juristen sagen von solchen Erwerbern, sie hätten die Sache in bonis. Gaius spricht in diesen Zusammenhang von dominium und heute wird die Rechtsposition gemeinhin als bonitarisches Eigentum bezeichnet257. Nach Ablauf der Ersitzungsfrist ändern sich für den Erwerber nur die Rechtsmittel zur Durchsetzung seiner dinglichen Position. Er kann sich von da ab auch der rei vindicatio bedienen und sich mit der exceptio dominii verteidigen. Einen praktisch spürbaren Rechtsgewinn bringt ihm die Vollendung der Ersitzung aber nicht. Eine Mindermeinung ist dennoch der Auffassung, die Fälle der traditio einer res mancipi seien der historische Ausgangspunkt der Entwicklung der usucapio gewesen. Darauf habe sich auch der XII-Tafelsatz bezogen. Erst später habe 253 Marcell./Iul. D. 47, 2, 69 i.V. m. D. 47, 2, 71; Scaev. D. 47, 2, 70.; Iul. D. 41,3,35; Mommsen, Römisches Strafrecht, 739, Anm. 4; Thomas, TR 36, 490 f.; Mac Cormack, rida 25, 302 ff. 254 Gai. II, 50. 255 Kaser, RP I, 419. 256 Sofern er gegen den quiritischen Eigentümer mittel actio Publiciana vorgeht, steht ihm gegen dessen exceptio dominii die replicatio rei venditae et traditae zu. 257 Gai. I, 54; II, 40; Kaser, RP I, 403 m.w. N.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

diese den Erwerb a non domino mit erfasst. Speziell zum Schutz des bonitarischen Eigentümers soll auch die actio Publiciana geschaffen worden sein258. Näher liegt allerdings eine gerade umgekehrte Entwicklung. Da die Pflicht zur auctoritas ursprünglich zwingend eine mancipatio voraussetzte259, kann der Erwerb einer res mancipi durch bloße traditio nicht der geregelte Ausgangsfall gewesen sein. In der Praxis zeigte sich jedoch bald, dass das Rechtsinstitut neben seinem ursprünglichen Wirkungsbereich auch dazu geeignet ist, das alte Manzipationserfordernis zu umgehen260. Da die römische Jurisprudenz zunehmend keinen Wert mehr auf die förmliche Veräußerung legte, gab es keinen Anlass, der Umgehung in irgendeiner Weise entgegenzuwirken. Vielmehr wurde die usucapio auch auf diese Fälle konsequent angewandt und erzielte allseits gebilligte Rechtsfolgen. Inwiefern der Schutz des bonitarischen Eigentümers daneben auch Motiv für die Schaffung der actio Publiciana gewesen ist, darüber können nur Vermutungen angestellt werden. Jedenfalls kann das Umgehen der mancipatio nicht der alleinige Grund für die prätorische Klage gewesen sein, denn dann wäre die Klage weit über das gewollte Ziel hinausgeschossen, schützt sie doch nicht nur den bonitarischen Eigentümer, sondern jeden Ersitzungsbesitzer261. Die Fälle des Erwerbs einer res mancipi durch traditio sind lediglich ein spezieller Anwendungsfall der usucapio. Sie sind weder deren historischer Ausgangspunkt noch kann mit ihnen das rege Interesse der römischen Juristen an dem Rechtsinstitut erklärt werden262. Es existieren zahlreiche Stellen, in denen diese Fallgruppe ausgeschlossen werden kann und dennoch die Ersitzung eingreift. Hätte sich die praktische Bedeutung der usucapio in klassischen Recht – abgesehen von den oben263 angesprochenen Sonderkonstellationen – auf den bloßen Zuerwerb quiritischen Eigentums bei traditio einer res mancipi beschränkt, hätten die Kompilatoren diesem Rechtsinstitut kaum Beachtung schenken dürfen. Da die Unterscheidung von res mancipi und res nec mancipi im justinianischen Recht bekanntlich aufgegeben wurde264, war dieser Anwendungsbereich automatisch entfallen.

258 Diese Ansicht wird im Anschluss an Lenel, Nachträge zum Edictum Perpetuum, SZ RA 20 (1899), 11 ff., vertreten von Sturm und De Visscher, vgl. dazu die Nachweise bei Apathy, Die Publizianische Klage: das relative dingliche Recht des rechtmäßigen Besitzers (1981), 13 ff.; Mayer-Maly, SZ RA 77, 18 f. 259 Vgl. oben II. 1. b); II. 2. b) dd) (5). 260 Voraussetzung war zunächst noch eine gesicherte Pflicht des formlos Veräußernden zur auctoritas, etwa durch stipulatio duplae. Bei wertvollen Sachen konnte deren Abschluss auch im Nachhinein noch erzwungen werden, vgl. Kaser, RP I, 556. 261 Wubbe, SZ RA 80, 187, Anm. 19; Apathy (III. Fn. 258), 13 ff. 262 Wubbe, SZ RA 80, 192. 263 Vgl. oben III. 4. a). 264 Kaser, RP II, 274.

4. Die Funktion der usucapio

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c) Erwerb von Geisteskranken, Unmündigen oder mit bloßem Putativtitel In einigen Fällen hilft die usucapio nicht über fehlendes Eigentum, sondern über einen Mangel in der causa hinweg. So soll der Käufer auch ersitzen können, wenn er einen geisteskranken oder unmündigen Veräußerer für geschäftsfähig hält265. Auch lassen einige Juristen die Ersitzung aufgrund eines bloßen Putativtitels in weiteren Fällen einer iusta causa erroris zu266. In diesen Fallgruppen stellt das weite furtum keine Hürde für das Eingreifen der usucapio dar, da der Veräußerer ja Eigentümer ist und nicht deliktisch handelt. Liegt allerdings ein solcher Spezialfall vor, weisen die Juristen in der Quelle explizit darauf hin, schon deshalb, weil die Zulässigkeit einer Putativtitelersitzung unter den Klassikern stark umstritten war. Die generelle Bedeutung der usucapio beim klassischen Mobiliarerwerb kann mit diesen Fallgruppen nicht erklärt werden.

d) Beweiserleichterung für alle gutgläubigen Erwerber Vor allem Wubbe hat wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der usucapio im klassischen Vindikationsprozess eine wichtige Funktion zukommt. Das Rechtsinstitut biete nämlich jedem gutgläubigen Erwerber die Möglichkeit, die Sache ohne den Nachweis des Eigentums seiner Vormänner verfolgen zu können267. Nur die allerwenigsten jener Sachprätendenten, denen die usucapio auf diese Weise zugute kam, seien auch tatsächlich zum materiellen Eigentumserwerb auf sie angewiesen gewesen. Die Mehrzahl werde das dominium schon derivativ vom Berechtigten erlangt haben, erspare sich durch das Abstellen auf die usucapio aber den diesbezüglichen Nachweis. Es könnte sich hierbei um jenen breiten Anwendungsbereich der usucapio handeln, der dafür sorgte, dass sie trotz der geringen materiellrechtlichen Durchschlagskraft, die der weite Aus-

265 Ulp./Marcell. D. 6, 2, 7, 2: „. . . eum, qui a furioso ignorans eum furere emit, posse usucapere: ergo et Publicianam habebit.“; dazu Wubbe, Ungewissheit und Unbehagen in Eigentumsfragen, GS Jäggi 1977, 105 ff.; Ergo et Publicianam habebit. Fragen zur Aktivlegitimation, FS Ankum 1995, 654; Ulp. D. 6, 2, 7, 4 (pupillus); Paul. D. 41, 3, 13, 1; Paul. D. 41, 4, 2, 15 f.; Gai. D. 6, 2, 13, 2; Kaser, RP I, 421; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 217; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 166 ff.; Hausmaninger (III. Fn. 37), 13 ff., 42; Wubbe, SZ RA 81, 416 ff. 266 Kaser, RP I, 421; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 217; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 154 ff.; Wubbe, SZ RA 81, 416 ff. 267 Wubbe SZ RA 80, 175 ff., 192; FS Ankum 1995, 647 ff.; GS Jäggi 1977, 95 ff., 106 f. Vgl. auch die Mitteilungen über Wubbes Vortrag und die anschließende Diskussion zum 14. Deutschen Rechtshistorikertag in Mainz, 1962, zum Thema: „Der gutgläubige Besitzer bei den römischen und modernen Juristen“, bei: Hofstetter, Labeo 8, 440 ff.; Wagner, Iura 14, 205 ff.; Sturm, SZ 80, 533 f.

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nahmetatbestand für res furtiva mit sich brachte, in der klassisch-römischen Rechtspraxis von ungebrochener Bedeutung war. aa) Die Beweislast im römischen Vindikationsprozess Eine Auseinandersetzung mit dieser These erfordert ein näheres Eingehen auf die Regeln zur Verteilung der Beweislast im klassischen römischen Zivilprozess, insbesondere im Vindikationsprozess. Für den Kläger müsste ein gewisser Bedarf an Beweiserleichterung bestanden haben. (1) Theorienstreit zur Beweislastverteilung Levy ist der Auffassung, es habe im klassischen Formularprozess überhaupt keine festen Regeln zur Bestimmung der beweisbelasteten Partei gegeben. Die Klassiker hätten vielmehr nur eine primäre oder vorläufige Last gekannt, die im Prozessverlauf nach richterlichem Ermessen zu verteilen war und auch auf die Gegenseite hinüberwechseln konnte268. Ausgehend von Paul. D. 22, 3, 2269 will Levy zwar als einzige „oft sehr brauchbare Richtlinie“ anerkennen, dass denjenigen die „primäre Beweislast“ treffe, der eine positive Behauptung aufstelle. Auch dies sei jedoch nur einer von vielen denkbaren Gesichtspunkten für den Richter gewesen, die Beweislast zu verteilen270. Kaser stimmte Levy in den wesentlichen Punkten zu271. Während diese beiden Autoren nur das Bestehen starrer Regelungen der Beweisverteilung negieren, daneben aber von der unbewussten Verfolgung bestimmter Grundsätze in der Praxis ausgehen272, haben Longo und Sturm das völlige Fehlen von Beweislastregeln behauptet273. In neuerer Zeit ist diese Auffassung von einem freien Ermessen des iudex bei der Verteilung der Beweislast auf berechtigte Kritik gestoßen274. Schon durch die formula 268 Levy, Beweislast im klassischen Recht, Iura 3, 155 ff., 178; dagegen: Wacke, Zur Beweislast im klassischen Zivilprozeß. Giovanni Pugliese versus Ernst Levy, SZ RA 109 (1992), 411 ff. 269 Ei incumbit probatio qui dicit, non qui negat. Die Stelle besagt jedoch nicht, dass nur positive Tatsachen bewiesen werden müssen, weil der von negativen nicht möglich ist (Negativen-Theorie). Vielmehr wird zu übersetzen sein: „Dem obliegt der Beweis, der behauptet, nicht dem, der bestreitet.“ – Wacke, SZ RA 109, 434; Kaser/ Hackl, RZ, 364, Anm. 19. 270 Levy, Iura 3, 168 ff. 271 Kaser, Beweislast und Vermutung im römischen Formularprozeß, SZ RA 71 (1954), 221 ff.; In bonis esse, SZ RA 78 (1961), 175 ff. 272 Kaser, SZ RA 71, 223; SZ RA 78, 175; Levy, Iura 3, 155 f. 273 Sturm, Zur ursprünglichen Funktion der actio Publiciana, RIDA 9 (1962), 371 ff.; zu Longo vgl. die Nachweise bei Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozeß (1969) 136, Anm. 6 und Wacke, SZ RA 109, 412, Anm. 4. 274 Simon (III. Fn. 273), 136 ff.; Wacke, SZ RA 109, 411 ff.; Pugliese bei Wacke, SZ RA 109, 411, Anm. 3.

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ist der Richter nämlich gebunden. Darin wird ihm vom Prätor ein zwingendes „Konditionalprogramm“275 vorgegeben, welches die Bedingungen, unter denen die Klage Erfolg haben soll, feststehend vorschreibt. Falls entscheidungserhebliche Faktoren aus der intentio nicht erwiesen werden können, gibt die Kondemnationsklausel „si non paret, absolve“ die Folge klar vor. Der Beklagte ist freizusprechen. Damit trägt der Kläger für die Klagegrundlage die Beweislast (Feststellungslast)276. Im Falle eines non liquet verliert er den Prozess277. Seine Behauptung hat sich dann eben nicht erwiesen. Umgekehrt trägt der Beklagte die Last für die Beweisbarkeit der exceptio278. Auch dies ergibt sich wiederum aus der Fassung der formula, wonach der Richter nur verurteilen soll, wenn nicht der Exzeptionstatbestand gegeben ist279. Eine gewisse Flexibilität hat allein bei der Zulassung angebotener Beweise bestanden. Der Richter konnte einen vorsorglich offerierten Gegenbeweis des Beklagten auch dann schon zulassen, wenn der Hauptbeweis des Klägers noch nicht erbracht war280. An der Verteilung des Beweisrisikos (Feststellungslast) ändert dies jedoch nichts. Grundsätzlich frei ist der Richter nur in der Beweiswürdigung281. Er kann selbst entscheiden, welche Bedeutung er den vorgelegten Beweismitteln beimisst und ob er ihnen Glauben schenkt. Die einzelnen starren Beweisregeln des alten Rechts hatten ihre Geltung verloren282. Dennoch ist anzunehmen, dass sich in der Praxis mit der Zeit bestimmte Erfahrungssätze ausgebildet haben, 275

Wacke, SZ RA 109, 440 m.w. N. Marci. D. 22, 3, 21; Cels. D. 22, 3, 12; Ulp. D. 22, 3, 18; Wacke, SZ RA 109, 436; so schon Pugliese, bei Wacke, SZ RA 109, 418 ff.; Kaser/Hackl, RZ, 363; Simon (III. Fn. 273), 143 – wenn auch die intentio nicht durchweg mit dem Beweisthema identisch ist. Neben der Feststellungslast (Risiko der Beweislosigkeit) trifft den Kläger auch die Behauptungslast, also die Pflicht, die zum Obsiegen erforderlichen Umstände anzuführen. Trug er dem Prätor nämlich nicht genügend Tatsachen vor, denegierte dieser die begehrte actio schon wegen Unschlüssigkeit. Der Kläger scheiterte dann schon in iure, Wacke, SZ RA 109, 435 f.; Kiefner, SZ RA 81, 224 ff. 277 Es war dann Amtspflicht (officium) des iudex, den Beklagten freizusprechen, Wacke, SZ RA 109, 420, 437, Anm. 73. Simon (III. Fn. 273), 140, weist daneben auf die Möglichkeit für den iudex hin, sich mit dem Eid sibi non liquere aus dem Verfahren auszuscheiden; dazu kritisch: Wacke, SZ RA 109, 437, Anm. 73. 278 Cels. D. 22, 3, 9 pr.; Ulp. D. 22, 3, 19 pr.; Wacke, SZ RA 109, 428 ff. – vgl. dort auch zu den Ausnahmen für affirmative Exzeptionen; Kaser/Hackl, RZ, 363; Simon (III. Fn. 273), 143, sieht in der Beweispflicht des Beklagten für die exceptio einen Anwendungsfall des Satzes actor probare debet (Cels. D. 22, 3, 12). Für den Tatbestand der exceptio sei der Beklagte als Kläger angesehen worden. 279 Kaser/Hackl, RZ, 320. 280 Simon (III. Fn. 273), 139; Wacke, SZ RA 109, 435. 281 Kaser/Hackl, RZ, 117, 363; Simon (III. Fn. 273), 104 f.; Wacke, SZ RA 109, 445; Kiefner, SZ RA 81, 228. 282 Vgl. die Ausführungen zur archaischen Schuldvermutung betreffend den fur manifestus und den durch Haussuchung ermittelten Besitzer der gestohlenen Sache sowie zum typisierten dolus, oben II. 1. c) cc); Kaser/Hackl, RZ, 117 f., m.w. N. zu anderen Fällen fester Beweisbindung. 276

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wie einzelne Beweismittel zu handhaben sind. Insbesondere wird die soziale Stellung der Zeugen für den Wert ihrer Aussage eine Rolle gespielt haben283. Eine Mindestzahl ist nicht erforderlich284. Die Last des Beweises und ihre Verteilung werden vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung aber nicht berührt. Wendet man die Grundsätze der neueren Auffassung auf die formula petitoria der rei vindicatio an, dann hat der Kläger die in der intentio vorkommende Behauptung, quiritischer Eigentümer der Sache zu sein285, zu beweisen286. Schafft er es nicht, den iudex von seiner Eigentümerstellung zu überzeugen, verliert er den Vindikationsprozess. Nur wenn der Richter den Eigentumsnachweis als erbracht ansieht, erlässt er einen Zwischenbescheid (pronuntiatio) und fordert den Beklagten zur Restitution auf287. (2) Historische Entwicklung der Beweislastverteilung im Vindikationsverfahren Anders war es bekanntlich noch im altrömischen Legisaktionsprozess. Dort behaupteten beide Prätendenten eine Berechtigung an der Sache und waren gleichermaßen beweispflichtig288. Im klassischen Formularverfahren trägt dagegen allein der Kläger vor, quiritischer Eigentümer der Sache zu sein289. Wie sich diese Entwicklung von der l.a.s.i.r. hin zum Vindikationsverfahren per formu283

Kaser/Hackl, RZ, 363, Anm. 12 m.w. N. Der Grundsatz: unus testis nullus testis (C. 4, 20, 9) hat im klassischen Recht nicht gegolten. Ulp. D. 22, 5, 12 bezieht sich vermutlich nur auf die Haussuchung bei furtum-Verdacht, Wacke, Ein Zeuge ist kein Zeuge, JA 1982, 346 ff.; Schott, Ein Zeuge, kein Zeuge, FS Elsener 1977, 222 ff.; Kaser/Hackl, RZ 368, Anm. 57. 285 Gai. IV, 92 „Petitoria autem formula haec est, qua actor intendit rem suam esse“. 286 Kaser/Hackl, RZ, 364; Simon (III. Fn. 273), 137 ff.; Kiefner, SZ RA 81, 213 ff.; Kaser, RP I, 432 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 227 ff.; Wacke, SZ RA 109, 441, 444 mit Hinweis auf Ulp. D. 7, 6, 5 pr.; Caracalla C. 4, 19, 2; Diokletian C. 3, 32, 28. 287 Erzwungen werden kann die Herausgabe zwar nicht, weigert sich jedoch der Besitzer, oder ist ihm die Rückgabe unmöglich, wird er auf den Schätzwert der Sache in Geld verurteilt. Regelmäßig wird der Beklagte bei positivem Zwischenbescheid freiwillig restituiert haben. Eine dolose Verweigerung führt nämlich dazu, dass der Kläger den Wert der Sache mittels Schätzungseid selbst festlegen konnte. Dabei wird dieser regelmäßig großzügig zu eigenen Gunsten geschätzt haben, wodurch das arglistige Zurückhalten der Sache für den Besitzer höchst unwirtschaftlich war. 288 Vgl. oben II. 1. c). 289 Die Klageformel lautet: „Si paret rem, qua de agitur, ex iure Quiritium Auli Agerii esse, neque ea res restituetur, quanti ea res erit, tantam pecuniam iudex Numerium Negidium Aulo Agerio condemnato, si non paret, absolvito.“ „Wenn es sich erweist, dass die Sache, um die prozessiert wird, quiritisches Eigentum des Klägers ist, und die Sache nicht restituiert wird, so soll der Richter den Beklagten zur Zahlung des Geldbetrages verurteilen, den die Sache wert sein wird. Wenn es sich nicht erweist, so soll er ihn freisprechen.“ 284

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lam petitoriam vollzogen hat und worin sie begründet liegt, ist für das Verständnis der klassischen Beweislastverteilung von Interesse. In den Quellen ist noch von einer weiteren, zwischenzeitlich praktizierten Form des Eigentumsstreites die Rede, dem agere per sponsionem. Von der h. M. wird dies als eine Übergangsstufe zwischen der l.a.s.i.r. und der klassischen rei vindicatio angesehen290. Der Kläger fordert den Beklagten dabei mit einer sponsio praeiudicialis heraus, die nur dazu abgeschlossen wird, den Richter über die Frage des Eigentums entscheiden zu lassen. Sie lautet beispielsweise: „si homo, quo de agitur, ex iure Quiritium meus est, sestertios XXV nummos dare spondes“291. Der lediglich symbolisch versprochene Geldbetrag292 wird im Anschluss daran eingeklagt, wobei über die Eigentumsfrage mitentschieden werden muss. Das Eigentum wird bei diesem Verfahren also indirekt festgestellt. Um für den Fall des Obsiegens des Klägers die Herausgabe durch den Beklagten zu sichern, muss dieser in einer cautio pro praede litis et vindiciarum mit Bürgenstellung die Restitution versprechen293. Gaius berichtet, dass noch im klassischen Recht eine Wahlmöglichkeit zwischen dem Verfahren per sponsionem und dem per formulam petitoriam bestand294. Beide Varianten haben demnach zu seiner Zeit nebeneinander existiert. Älter dürfte allerdings das Sponsionsverfahren sein, da es auch schon durchführbar war, als noch das Legisaktionenverfahren die übliche Prozessform darstellte. Aus der sponsio konnte nämlich mit der altrömischen legis actio per iudicis postulationem geklagt werden, noch bevor sich der Formularprozess durchsetzte295. Den beiden neuen Vindikationsformen ist bereits gemeinsam, dass im Gegensatz zur l.a.s.i.r. nur eine einseitige Behauptung des Eigentums durch den Sachverfolger stattfindet. Der Besitzer musste nicht kontravindizieren bzw. fand eine Gegensponsion nicht statt. Damit einhergehend verschob sich die beiderseitige Beweislast des alten Verfahrens zuungunsten des Klägers. Ihn allein trifft nun das onus probandi. Dies ist eine zwingende Konsequenz aus dem Wegfall der Eigentumsbehauptung des Beklagten296. Mit den neuen Verfahren hat der für das

290 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 227; Söllner, RG (II. Fn. 30), 66 f.; Kaser, EB (II. Fn. 10), 284 hält das Sponsionsverfahren für das „entwicklungsgeschichtliche Bindeglied zwischen Sakraments- und Formularverfahren“. 291 Gai. IV, 93; Kaser, RP I, 435; Kaser/Hackl, RZ, 105 f., 346. Durch ein solches Verfahren per sponsionem konnten neben dem Eigentum auch andere Rechtsfragen, wie das Erbrecht und die Freiheit entschieden werden, Kaser/Hackl, RZ, 106, 346. 292 Die Sponsionssumme wird nicht eingetrieben, sie dient nur der Prozesseinleitung, ist nicht poenal. Gai. IV, 94; Kaser/Hackl, 106, 346. 293 Gai. IV, 91, 94; Kaser, RP I, 435; Kaser/Hackl, RZ, 106, Anm. 108. 294 Gai. IV, 91. 295 Kiefner, SZ RA 81, 227 f.; Kaser/Hackl, RZ, 106 ff. 296 Kaser/Hackl, RZ, 106; Kaser, EB (II. Fn. 10), 285 ff.; SZ RA 104, 78; Kiefner, SZ RA 81, 227.

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altrömische Recht typische Schutz des Besserberechtigten sein Ende gefunden. Nunmehr ist der Besitzer prozessual im Vorteil. Es muss einen wichtigen Grund für die Neuerung gegeben haben. Aus eigenem Antrieb wird der Sachverfolger das Sponsionsverfahren nicht eingeschlagen haben, da es ihm wegen der einseitigen Beweislast eher nachteilig war. Die mittlerweile wohl herrschende Auffassung erklärt die Verfahrensreform mit der schärfer gewordenen materiellrechtlichen Trennung von Eigentum und Besitz. Der neue absolute Eigentumsbegriff habe die Änderungen in der Gestalt des Vindikationsverfahrens notwendig gemacht297. Dies scheint mit der für das altrömische Recht vertretenen Anschauung zu kollidieren, der geltende Eigentumsbegriff sei bloßer Reflex des Vindikationsschutzes298. Es besteht hier die Gefahr einer petitio principii. Richtet sich der materiellrechtliche Eigentumsbegriff nach der jeweiligen Gestaltung des Vindikationsprozesses, kann eine Veränderung des Eigentumsbegriffes nicht Anlass einer Reform des Prozesses sein. Für die Zeit der späten Republik wird man allerdings im Gegensatz zu den Anfängen des römischen Rechts bereits eine fruchtbare innere Auseinandersetzung mit den zu Grunde liegenden materiellrechtlichen Begrifflichkeiten erwarten können, die schließlich nach „Entdeckung“ des absoluten Eigentums auch zu einer Veränderung des Vindikationsverfahrens geführt haben könnte. Überzeugender ist es jedoch, die Verfahrensreform in Zusammenhang mit den Besitzinterdikten zu sehen299. Deren ursprünglicher Sinn ist die Sicherung des Besitzes gegen unerlaubte Eigenmacht, insbesondere gegen gewaltsame (vi) oder heimliche (clam) Besitzerlangung300. Das Vorgehen auf diesem Wege bot dem Eigentümer als ehemaligem Besitzer einen schnellen und unkomplizierten Weg, seine Sache wiederzubekommen301. Scheiterte er jedoch, weil sich die eigenmächtige Besitzerlangung des jetzigen Besitzers nicht bestätigte, musste sich dies auch auf die anschließende Vindikation auswirken. Es war nun Aufgabe 297

Kaser, RP I, 401; Kaser/Hackl, RZ, 106; Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 30 f., Anm. 51. Zu den älteren Hypothesen über die Einführung des Sponsionsverfahrens vgl. Kaser, EB (II. Fn. 10), 282 ff. m.w. N. Söllner, RG (II. Fn. 30), 66, zieht in Betracht, dass der Sachverfolger das neue Verfahren genutzt haben könnte, um eine persönliche Haftung des Beklagten zu erreichen. Als Motiv der Einführung kann jedenfalls nicht die Vermeidung des sacramentum angeführt werden, da auch aus der sponsio nur sacramento geklagt werden konnte, Gai. IV, 95; Kaser/Hackl, 106, Anm. 109. 298 Vgl. oben II. 2. b) dd) (2); Kaser, Eigentumsbegriff (II. Fn. 35), 22. 299 Kaser EB (II. Fn. 10), 282 ff.; Kiefner, SZ RA 81, 228. 300 Gleichermaßen angreifbar ist der nur durch Bittleihe (precario) erlangte Besitz, vgl. auch oben II. 4. c) dd). Zu den verschiedenen Interdikten im Einzelnen: Kaser, RP I, 396; Kaser/Hackl, RZ, 408 ff.; Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 194 ff. 301 Vergleichbar sind die Interdikte mit einstweiligen Verfügungen, die in einem beschleunigten Verfahren nach summarischer Prüfung des Prätors erlassen werden, Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, 195; Kaser, RP I, 396.

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des Sachverfolgers, seine Berechtigung an der Sache nachzuweisen, wenn er den streitigen Gegenstand dennoch zurückhaben wollte. Die Vermutung der Rechtmäßigkeit sprach in diesen Fällen für den Besitzer. Im alten Verfahren der l.a.s.i.r. spielte der Besitz jedoch noch keinerlei Rolle302. Abhilfe schaffte die Einführung des Sponsionsverfahrens. Dieses ist primär für die Fälle gestaltet worden, in denen der Interdiktsprozess tatsächlich erfolglos vorangegangen war303. Schon im spätrepublikanischen Recht haben die Interdikte die wichtige Aufgabe übernommen, die Beklagtenrolle im Vindikationsprozess zu klären304. Es wurde bald allgemein üblich, zunächst den Weg über den Besitzschutz einzuschlagen, so dass das Sponsionsverfahren im Anschluss immer angewandt werden musste und die l.a.s.i.r. bald ganz verdrängte. Wer im Interdiktsprozess verloren bzw. diesen gar nicht erst angestrengt hatte, wurde gezwungen seine Berechtigung positiv nachweisen, trug also die Feststellungslast. Diese ganz bewusst geschaffene Beweislastverteilung hielt auch das modernere klassische Verfahren per formulam petitoriam bei. Es ist weniger kompliziert als das agere per sponsionem und verbindet mit der Feststellung des Eigentums auch gleich die Restitution der Sache bzw. die Verurteilung auf den Schätzwert. Die für den Eigentumsbegriff und die Beweislast wichtigen Veränderungen haben sich allerdings schon auf früherer Stufe, beim Wechsel von der l.a.s.i.r. zum Sponsionsverfahren abgespielt. Ausgehend von dieser Entwicklung der sachverfolgenden Klagen, ist die stärkere Position des Besitzers für den Fall eines non liquet kein Zufall, sondern honoriert bewusst dessen nicht durch Interdikt angreifbaren Besitz. bb) Probleme beim Nachweis abgeleiteten Sacherwerbs Behauptet der Kläger derivativen Erwerb der Sache, kommt es entscheidend auf den Nachweis der Eigentümerstellung des Veräußerers an. Hat auch dieser nicht originär erworben, ist dessen Vorgänger zu überprüfen und so weiter. Dieser Rückgriff auf die jeweiligen Rechtsvorgänger (auctores) ist für den vollen Beweis eines abgeleiteten Eigentumserwerbs grundsätzlich unerlässlich. Schon

302 Beide Parteien halten das vor Gericht befindliche Streitobjekt beim Einleitungsritual zunächst mit der Hand und berühren es mit dem Stab. Anschließend wird es von beiden losgelassen, so dass der Besitz nicht zugunsten eines Prätendenten wirken kann. Erst danach weist der Prätor den Zwischenbesitz vorläufig einem der Streitenden zu, der dafür Gestellungsbürgen (praes) stellen muss, Gai. IV, 16; Kaser/Hackl, RZ, 97 f. Die Zuweisung der Streitsache für die Dauer des Verfahrens greift weder der Entscheidung vor, noch bringt sie Vergünstigungen für den Nachweis der Berechtigung. 303 Kaser, EB (II. Fn. 10), 287. 304 Kaser, RP I, 397 m.w. N.; Kiefner, SZ RA 81, 228; vgl. zur Bedeutung und Ausbreitung des Vorverfahrens auch die Nachweise bei Simon (III. Fn. 273), 142, Anm. 42.

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im alten Recht wurde er praktiziert305. Zu Recht spricht Kiefner in diesem Zusammenhang von einer „rechtslogischen Notwendigkeit“306. Auf andere Weise kann der derivative Eigentumserwerb nicht sicher nachgewiesen werden. Das Schicksal der Sache muss stets bis zu einem Punkt originären Erwerbs zurückverfolgt werden, will man sich über die Eigentümerstellung des Erwerbers ein sicheres Urteil erlauben. Davon zu trennen ist die Frage, ob dies für den Kläger einen praktisch kaum erbringbaren Beweis, eine probatio diabolica bedeutet hat. Kiefner ist der Auffassung, die Tücken des Rückgriffes auf die Vormänner seien dadurch erheblich entschärft worden, dass der Richter die Last des Beweises nicht allein dem Kläger auferlegt habe307. In diesem Punkt ist Kiefner freilich von Levys Theorie einer Freiheit des Richters bei der Beweislastverteilung beeinflusst, die aus oben308 genannten Gründen abgelehnt werden muss. Es obliegt nach der hier vertretenen Ansicht im klassischen Vindikationsprozess allein dem Kläger, den iudex davon zu überzeugen, dass er der quiritische Eigentümer ist, seine prozesseinleitende These also der Wahrheit entspricht. Der Besitzer konnte sich regelmäßig darauf beschränken, die Berechtigung des Sachverfolgers zu bestreiten309. Wer kein eigenes dingliches Recht an der Sache behauptet, hat auch keinen Grund, an der Aufklärung der Berechtigung mitzuwirken. Erst wenn sich der iudex nach Würdigung der vorgelegten Beweise vom Eigentum des Klägers überzeugt zeigt, war es für den Beklagten an der Zeit, einen etwaigen Gegenbeweis anzustrengen. Dies konnte beispielsweise dann notwendig werden, wenn der Veräußerer aussagt310, die streitgegenständliche Sache originär erworben zu haben, dies aber nicht der Wahrheit entspricht und der Beklagte Kenntnis davon hat. cc) Beweiserleichternde (prozessuale) Wirkung der usucapio Auch ohne eine flexible Handhabung der Beweislast wird man jedoch annehmen dürfen, dass der Nachweis derivativen Erwerbs in der Klassik regelmäßig keine probatio diabolica gewesen ist. Einen großen Anteil daran hatte die usu305

Vgl. zum Gewährenzug und der auctoritas im altrömischen Recht oben II. 1.

b), c). 306

Kiefner, SZ RA 81, 214. Kiefner, SZ RA 81, 226. 308 Vgl. oben III. 4. d) aa) (1). 309 Gegenbeweise standen dem Beklagten offen, er war aber nicht gezwungen sie zu bringen, Wacke SZ RA 109, 435. 310 Sämtliche Vormänner haben ein Interesse daran, dass der Kläger den Vindikationsprozess gewinnt, da ansonsten eine Eviktionshaftung droht. Konnten sie selbst ihren auctor nicht benennen oder laden, konnten sie leicht in Versuchung kommen, falsche Aussagen zu treffen. 307

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capio und zwar auch dann, wenn der Erwerber selbst noch nicht ersessen hat oder sich aus irgendeinem Grunde nicht darauf beruft311. Ihre Existenz wirkt sich nämlich auf sämtlichen Ebenen der Beweiskette rechtssichernd aus. Hat etwa der Veräußerer seit seinem Erwerb bereits ein Jahr besessen, kann er sich auf Ersitzung berufen und muss folglich seinen Vormann nicht mehr in den Prozess bringen. Gleiches gilt für den Vormann des Veräußerers und so weiter. Der Kläger hat so in einem Großteil der Fälle realistische Chancen, mit seinem Beweis derivativen Erwerbs durchzudringen312. Anders sieht es dagegen aus, wenn man sich die usucapio ganz hinwegdenkt. Dann müsste das Schicksal der Sache tatsächlich stets bis zu ihrem Erzeuger zurückverfolgt werden, auch wenn der Erwerb des Vormannes bereits mehrere Jahre zurückliegt. Dieses Szenario hat es jedoch tatsächlich nicht gegeben. Hat der Kläger selbst die erworbene Sache über 1 Jahr besessen, ist er nicht mehr auf den Beistand seiner Vormänner angewiesen. Er ist dann in der komfortablen Position, den iudex allein durch Nachweis des Vorliegens der Ersitzungsvoraussetzungen von seinem Eigentumserwerb überzeugen zu können. „Selbst wenn der Veräußerer Nichteigentümer gewesen sein sollte“, so wird er vortragen, „habe ich das Eigentum mittlerweile zumindest durch usucapio erworben“. Es kommt auf eine Prüfung der Berechtigung also gar nicht mehr an. Wie schon der alte usus auctoritas Satz der zwölf Tafeln macht auch die usucapio die auctoritas bzw. den Beistand des Veräußerers nach einem Jahr überflüssig. Die materiellrechtliche Fassung des klassischen Rechtsinstitutes verschleiert zwar diesen Effekt, beeinträchtigt ihn aber keineswegs. Kaum vorstellbar ist es, dass ein Sachverfolger von diesem Vorteil freiwillig keinen Gebrauch gemacht hat. Selbst wenn der Kläger nicht ernsthaft am Eigentum seines Vormannes zweifelte, war es weitaus prozessökonomischer und sicherer, den Ersitzungstatbestand heranzuziehen. So musste der Vormann nicht bestellt werden und brauchte nicht vor dem iudex auszusagen. Es muss sogar bezweifelt werden, ob der Richter ein zusätzlich angebotenes Zeugnis des Veräußerers überhaupt angenommen hätte, weil es darauf für die Entscheidung der ihm vorgelegten Angelegenheit eben nicht mehr ankam, wenn der Kläger das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen bereits bewiesen hatte.

311 Zum empfehlenswerten Vorgehen mittels actio Publiciana in diesen Fällen, um die verbleibenden Beweisschwierigkeiten von vornherein auszuschließen vgl. unten III. 4. d) dd). 312 Keine unmittelbare Hilfe ist die usucapio, wenn die Streitsache schnell und oft den Herrn gewechselt hat, was jedoch nur auf die Minderzahl der Vindikationsgüter zugetroffen haben dürfte, Kaser, SZ RA 78, 177; anders Kiefner, SZ RA 81, 226, Anm. 66. Beweisschwierigkeiten kann der Erwerber in diesen Fällen jedoch von vornherein umgehen, wenn er statt der rei vindicatio die actio Publiciana anstellt, vgl. unten III. 4. d) dd).

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Das extensive Ersitzungsverbot für res furtiva, welches die materiellrechtliche Bedeutung der usucapio so stark reduziert313, steht deren prozessualer Funktion nicht im Wege. Der Kläger selbst wird auf die Möglichkeit eines furtum in keiner Weise eingegangen sein. Da der Veräußerer nicht vernommen werden brauchte, konnte die Tat auch kaum bei Gelegenheit des Prozesses zufällig entdeckt werden. Der Einwand musste vom Beklagten kommen und dieser war dafür auch beweispflichtig314. Man könnte dagegen argumentieren, die Einordnung der Sache als res habilis sei ein Teil des Ersitzungstatbestandes, der ja grundsätzlich vom Kläger zu beweisen ist, weil davon sein Eigentumserwerb abhängt. Doch ist die mangelnde Ersitzungsfähigkeit furtiver Sachen von jeher als Ausnahmetatbestand zur usucapio konzipiert. Ebenso wie der Beklagte grundsätzlich das Vorliegen der Voraussetzungen einer eingewandten exceptio zu beweisen hatte315, wird ihm auch der Beweis für das Eingreifen einer gesetzlichen Ausnahmeregelung oblegen haben, wenn er sich damit verteidigen wollte. In Bezug auf die Diebstahlsthese nimmt er die Rolle des actor ein316. In diese Richtung weist Ulp. D. 22, 3, 19, 2. Dort wird um die rechtmäßige Bestellung eines Vertreters gestritten. Der Kläger hatte die Erteilung der Vertretungsmacht bereits dargelegt und bewiesen. Demgegenüber beruft sich der Beklagte nun auf einen der im prätorischen Edikt vorgesehenen Ausnahmetatbestände, nach denen die Bestellung eines Geschäftsbesorgers unzulässig ist317. Ulpian weist dem Beklagten für diesen Einwand die Beweislast zu. Die darin zum Ausdruck kommende Rechtsanschauung ist gut nachvollziehbar. Es würde einen erheblichen Aufwand bedeuten, als Kläger stets das Nichtvorliegen sämtlicher in Frage kommender Ausnahmetatbestände beweisen zu müssen. Schon allein der Nachweis einer Nicht-Furtivität wäre für den Kläger kaum zu erbringen. Es müsste dazu der gesamte Weg der Sache bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden318. Dass dies ohne konkrete Anhaltspunkte geschehen sein soll, ist sehr unwahrscheinlich. Es kann daher nur dem Beklagten oblegen haben, das positive Vorliegen eines furtum zu beweisen, wenn er ein solches gegen die Ersitzung einwendet319. Gelingt es ihm nicht, den iudex von der Furtivität der Sache zu überzeugen, bleibt es beim Grundsatz der Ersitzungsfähigkeit320. 313

Vgl. oben III. 4. a). Zur Frage, ob jeder beklagte Besitzer die Furtivität der Sache einwenden kann oder dies dem Eigentümer vorbehalten ist, vgl. Wubbe, FS Ankum 1995, 651, Anm. 11 m.w. N. Wubbe hält es nunmehr mit den Kritikern seiner Dissertation, Res aliena pignori data, Leiden 1960 – dazu: Kaser, SZ 78, 173 ff. – für möglich, dass jeder Besitzer den Einwand bringen kann. 315 Vgl. oben III. 4. d) aa) (1). 316 Vgl. zur Zuweisung des Beweisthemas an den actor in diesem Sinne: Simon (III. Fn. 273), 142 f. 317 Ehrlose durften keinen Procurator bestellen und Soldaten nicht als solche auftreten – Wacke, SZ RA 109, 430, Anm. 44. 318 Zur bisweilen durchblickenden Abneigung der Römer gegen den Beweis negativer Tatsachen vgl. Wacke SZ RA 109, 434 mit Hinweis auf Marci. D. 22, 3, 21. 314

4. Die Funktion der usucapio

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dd) Ausweitung der Beweiserleichterung durch die Actio Publiciana Ist die Ersitzungsfrist noch nicht abgelaufen, steht dem Erwerber zur einfachen Sachverfolgung die besondere actio Publiciana zur Verfügung. Entstehungsgeschichte und Zielrichtung dieser Klage sind umstritten321. Nach dem Bericht des Gaius steht sie jedem zu, qui ex iusta causa traditam sibi rem nondum usu cepit eamque amissa possessione petit322. Wer eine Sache rechtmäßig erworben und die Ersitzungsfrist noch nicht absolviert hatte, konnte mit Hilfe dieser Klage die Sache von einem Nichtberechtigten erfolgreich herausverlangen. Ist der Besitzer Eigentümer, kann er erfolgreich die exceptio dominii entgegensetzen. Andere publizianisch Berechtigte konnten ebenfalls ihre Position einwenden323. Typischer Kläger war jedoch nicht etwa der Erwerber vom Nichtberechtigten, wie man aufgrund des Hinweises auf die noch nicht vollendete Ersitzung vermuten könnte. Zu Recht weist Wubbe darauf hin, dass von vornherein nur solche Erwerber a non domino in Frage kämen, die von ihrem Irrtum zwischenzeitlich erfahren haben, also mittlerweile mala fides sind324. Ist der Erwerber noch immer gutgläubig, dann weiß er ja nicht, dass er vom Nichtberechtigten erworben hat, dürfte sich also von einer ausschließlich für den Erwerber a non domino konzipierten actio Publiciana gar nicht angesprochen fühlen. Klagen für Irrende – so Wubbe – kann es nicht geben325. Es blieben als mögliche Kläger 319 Von einer Beweispflicht des Beklagten für das Vorliegen des furtum geht auch Kaser, SZ 78, 193 f. aus. Gleichzeitig vermutet er, dass der Beklagte diesen Einwand regelmäßig nicht erhoben haben wird, weil er sonst damit rechnen musste, wegen wissentlichen Ergreifens einer res furtiva selbst aus dem furtum in Anspruch genommen zu werden. Freilich trifft dies nur zu, wenn die Kenntnis bereits bei Besitzerlangung vorhanden war. Erfährt der Beklagte erst anlässlich des Prozesses von der Furtivität, kann er den Einwand ohne Bedenken bringen, um nach der Regel melior causa possidentis zu obsiegen. 320 Es wird in der Praxis nicht selten passiert sein, dass unerkannte Erwerber einer res furtiva durch Berufen auf die usucapio im Vindikationsprozess durchgedrungen sind. Solche „Fehlurteile“ (aus Sicht eines allwissenden Betrachters) lassen sich nicht vermeiden. Es sind eine Vielzahl von Situationen vorstellbar, in denen der Eigentümer seine Sache nach dem Diebstahl oder der Unterschlagung aus dem Auge verliert. So konnte etwa der Plan des Täters aufgehen und dieser sich rechtzeitig absetzen, oder der Erwerber der gestohlenen Sache ist nicht mehr aufzufinden. Möglichkeiten gibt es diesbezüglich viele. Je mehr der Handelsverkehr und die Bevölkerung in Rom wuchs, desto häufiger werden diese Fälle vorgekommen sein. 321 Apathy (III. Fn. 258), 13 ff. m.w. N.; vgl. auch oben III. 4. b) sowie Kaser, SZ RA 78, 185 f. 322 Gai. IV, 36; Ulp. D. 6, 2, 1 pr.; I. 4, 6, 4. 323 Vgl. zur Kollision zweier publizianischer Berechtigungen den Exkurs nach: III. 4. d) dd). 324 Wubbe, SZ RA 80, 182 ff. 325 Wubbe, FS Ankum 1995, 654; SZ RA 80, 203; GS Jäggi 1977, 106.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

lediglich die nachträglich bösgläubig gewordenen Erwerber vom Nichtberechtigten. Für sie hätte der Rechtsbehelf aber auch wenig Sinn, denn sie müssten die Sache ihrerseits an den wahren Eigentümer weitergeben, sobald sie von diesem in Anspruch genommen werden. Ein zukünftiger Rechtserwerb durch Ersitzung kommt für diese Gruppe von Klägern nicht in Betracht, auch wenn der Beklagte die Sache restituieren sollte, da sie bei Erwerb des neuen Besitzes nicht mehr in gutem Glauben sind326. Auch können sie die Sache nicht weiterveräußern, ohne ein furtum zu begehen. Es ist darüber hinaus eine absurde Vorstellung, der publizianische Kläger habe sich gegenüber dem Prätor darauf berufen und im Verfahren eventuell sogar den Nachweis dafür erbringen müssen, dass sein Vormann Nichteigentümer gewesen ist. Wer so etwas als Sachverfolger behauptet, setzt sich zwangsläufig dem Verdacht aus, diese Kenntnis schon zum Zeitpunkt des Erwerbs gehabt zu haben und damit nicht guten Glaubens gewesen zu sein. In vielen Fällen weiß der Erwerber gar nicht genau, ob ihm die Sache nun vom Berechtigten oder Nichtberechtigten veräußert wurde. Hat er gewisse Zweifel an der Eigentümerstellung des Vormannes, würde die Wahl der richtigen Klage äußerst schwer fallen327. Das Erfordernis eines Erwerb a non domino kann aufgrund der aufgezeigten Bedenken keine Voraussetzung der Aktivlegitimation zur actio Publiciana gewesen sein. Der in D. 6, 2, 1 pr. überlieferte Wortlaut ist nicht authentisch und beruht sehr wahrscheinlich auf späterer Bearbeitung328. Es war vielmehr für alle gutgläubigen Erwerber möglich und sinnvoll, vor Ablauf der Ersitzungsfrist die publizianische Klage anstatt der rei vindicatio anzustellen, unabhängig davon, ob sie letztlich Wahres oder Unwahres glauben, der Veräußerer also tatsächlich Eigentümer ist oder nicht329. Auch wenn bei Klageerhebung keinerlei Verdacht gegen den Vormann vorliegt, war die honorarrechtliche Klage regelmäßig praktischer und sicherer als die rei vindicatio. Der Kläger erspart sich durch sie den risikobehafteten Beweis des Eigentums seiner Vorgänger330. Jedem der behauptet, dass er eine Sache ex iusta causa 326

Paul. D. 41, 3, 15, 2; Iul. D. 41, 4, 7, 4. Wubbe, SZ RA 80, 185, weist darauf hin, dass der nachträglich bösgläubige Erwerber in der Konsequenz sogar besser stünde, als der immer noch gutgläubige, weil der erstgenannte dann die actio Publiciana anstellen kann und durchdringt, während der letztere mit der rei vindicatio abgewiesen wird. Kaser, SZ RA 78, 194 f., stimmt Wubbe darin zu, dass zumindest der sich seines Eigentums nicht sichere Erwerber gut beraten war, vor Ablauf der Ersitzungsfrist mit der actio Publiciana statt der rei vindicatio vorzugehen. 328 Wubbe, SZ RA 80, 188. 329 Wubbe, GS Jäggi 1977, 110. Auch wer tatsächlich Wahres glaubt, handelt mit bona fides, vgl. Ulp. D. 6, 2, 7, 11 „. . . sufficit me bonae fidei emptorem fuisse, quamvis non a domino emerim . . .“; Paul. D. 41, 1, 48 pr.: „Bonae fidei emptor non dubie percipiendo fructus etiam ex aliena re suos facit . . .“ 330 Geht der Erwerber vor Fristablauf mit der rei vindicatio vor, obwohl ihn der Veräußerer im Hinblick auf die Beweisproblematik darauf hingewiesen hatte, doch 327

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tradiert erhalten hat und nach Vollendung der Ersitzungsfrist Eigentum durch usucapio erworben hätte, gewährt der Prätor Rechtsschutz mittels actio Publiciana. Gelingt dem Kläger der Beweis dieser These, dringt er gegen den bloßen Besitz des Prozessgegners durch, ohne dass es einer Prüfung der Eigentümerstellung bedarf331. Die oben dargestellten Beweiserleichterungen durch das zivile Rechtsinstitut der usucapio werden mit Hilfe der actio Publiciana auf den Zeitraum vor Ablauf der Jahresfrist ausgeweitet und sorgen in dieser Phase für einen effektiven Schutz des Erwerbers gegen nichtberechtigte Besitzer332. In der Klageformel wird unmittelbar auf die Ersitzung Bezug genommen. Entbehrlich ist lediglich der Fristablauf333, alle sonstigen Ersitzungsvoraussetzungen müssen vorliegen. Insbesondere darf die Sache nicht furtiv sein334. Die reiche Ersitzungsdogmatik des ius civile floss so direkt in die honorarrechtliche Klage ein – ein einfacher und genialer Schachzug des damaligen Prätors. Das extensive Ersitzungsverbot für res furtiva steht dem Zusammenspiel von actio Publiciana und usucapio nicht entgegen. Wendet der Besitzer das Vorliegen eines furtum ein, um den ehemaligen Ersitzungsbesitz des Klägers zu negieren, obliegt ihm für diese Behauptung die Beweislast335. Regelmäßig wird es an einem Delikt fehlen, weil der publizianische Kläger vom Berechtigten erworben hat.

besser die actio Publiciana anzustellen, verliert er u. U. sogar seinen Eviktionsanspruch, vgl. Pap. D. 41, 2, 66 pr.; Wubbe, FS Ankum 1995, 655 f. Insofern bestand ein indirekter Zwang, dieses günstigere Rechtsmittel zu wählen. 331 Das mit der actio Publiciana geltend gemachte Recht ist das des Eigentümers. Der Kläger geht nicht als Nichteigentümer vor, sondern als präsumtiver Eigentümer, Wubbe, SZ RA 80, 203. Versuche, ein eigenes dingliches Recht des publizianischen Klägers zu konstruieren, sind deshalb zum Scheitern verurteilt. Die Klage hat keine Entsprechung im materiellen Recht, Wubbe, SZ RA 80, 203. Einschränkend zu Wubbes prozessualer Betrachtungsweise, insbesondere gegen deren Ausdehnung auf andere Klagen des Besitzers: Wacke, FS Seidl, 179 ff., 200. Auch Wacke hält jedoch ein Vorgehen des sich in Beweisnöten befindlichen Eigentümers mittels actio Publiciana für möglich. 332 Es werden mit der Klage größtenteils jene beweisrechtlichen Schwierigkeiten behoben, die sich für den Erwerber durch den Übergang von der l.a.s.i.r. (Schutz des relativ besseren Rechts) zur klassischen rei vindicatio (Schutz des absoluten Eigentums) ergeben haben, Kaser, EB (II. Fn. 10), 277 ff.; RP I, 438. Im Unterschied zur l.a.s.i.r. dringt er allerdings nicht mehr bei jedem Nachweis eines irgendwie besseren Rechts durch, sondern nur bei Nachweis ehemaligen Ersitzungsbesitzes, Apathy (III. Fn. 258), 17 f. 333 Es wird nicht fingiert, der Kläger habe die Sache ersessen (Gai. IV, 36 – fingitur usucepisse), sondern er habe ein Jahr besessen, so: Wubbe, FS Ankum 1995, 653. 334 Ulp. D. 6, 2, 9, 5; Apathy (III. Fn. 258), 17. 335 Vgl. dazu oben III. 4. d) cc).

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Exkurs: Doppelerwerb „a non domino“ Starke Beachtung haben in der romanistischen Literatur jene Fälle gefunden, in denen zwei verschiedene Personen dieselbe Sache in gutem Glauben erworben haben und sodann um den Besitz streiten336. Die Quellen behandeln zwei Varianten. Einmal haben beide nacheinander von demselben Veräußerer gekauft. Andermal erfolgte der Erwerb von verschiedenen Vormännern. Von besonderem Interesse sind diese Fälle vorliegend deshalb, weil sich die dargestellten Sachverhalte ohne ein furtum kaum denken lassen337, der daraus folgende Ersitzungsausschluss bei den Entscheidungen der römischen Juristen aber offensichtlich keine Rolle spielte. D. 19, 1, 31, 2 (Nerat. 3 membr.) „Uterque nostrum eandem rem emit a non domino, cum emptio venditio que sine dolo malo fieret, traditaque est: sive ab eodem emimus sive ab alio atque alio, is ex nobis tuendus est, qui prior ius eius adprehendit, hoc est, cui primum tradita est. si alter ex nobis a domino emisset, is omnimodo tuendus est.“ Wir haben beide dieselbe Sache vom Nichteigentümer gekauft und sie ist, während der Kauf ohne Arglist erfolgte, übergeben worden; wir mögen sie nun beide von denselben, oder jeder von einem Andern gekauft haben, es ist derjenige von uns zu schützen, der zuerst das Recht daran ergriffen hat, d.h. wem sie zuerst übergeben worden ist; hat sie aber der eine von uns vom Eigentümer gekauft, so ist dieser jeden Falls zu schützen.

Neraz lässt stets den ersten Erwerber durchdringen, wobei das Datum der Übergabe entscheidend ist, nicht der Kauftermin. Den Veräußerer bezeichnet er explizit als Nichteigentümer. Auf die Möglichkeit eines ersitzungsausschließenden furtum geht er nicht ein. D. 6, 2, 9, 4 (Ulp. 16 ed.) „Si duobus quis separatim vendiderit bona fide ementibus, videamus, quis magis Publiciana uti possit, utrum is cui priori res tradita est an is qui tantum emit. et Iulianus libro septimo digestorum scripsit, ut, si quidem ab eodem non domino emerint, potior sit cui priori res tradita est, quod si a diversis non dominis, melior causa sit possidentis quam petentis. quae sententia vera est.“ Wenn jemand eine Sache unabhängig voneinander an zwei gutgläubige Käufer verkauft hat, ist zu prüfen, wer eher zur publizianischen Klage berechtigt ist: derjenige, dem sie zuerst übergeben wurde, oder derjenige, der sie zunächst nur gekauft hat. Und Julian schreibt im 7. Buch seiner Digesten, wenn beide von demselben Nichteigentümer gekauft haben, sei derjenige besser berechtigt, dem die Sache zu-

336 Nerat. D. 19, 1, 31, 2; Ulp./Iul. D. 6, 2, 9, 4; dazu: Apathy, Die actio Publiciana beim Doppelkauf vom Nichteigentümer, SZ RA 99 (1982), 158 ff.; Thielmann, SZ RA 111, 197 ff.; Wubbe, Pomp. D. 50, 17, 33 und so weiter, FS Mayer-Maly 2002, 911 ff.; Kaser, SZ 78, 187 ff.; Schanbacher, Rezension zu: Jan Maifeld, Die aequitas bei L. Neratius Priscus, Gnomon 1997, 137 ff. 337 So auch: Wubbe, FS Mayer-Maly 2002, 913 f.

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erst übergeben wurde. Hätten sie aber von verschiedenen Nichteigentümern gekauft, sei die Lage des Besitzers besser als die des Klägers. Diese Ansicht ist richtig.

Ulpian spricht zunächst die Frage an, ob eher derjenige zur actio Publiciana berechtigt sei, dem die Sache zuerst übergeben wurde, oder derjenige, der sie zuerst gekauft hat338. Eine direkte Antwort darauf fehlt339. Es folgt ein Verweis auf die Ansicht des Julian, wonach bei Erwerb vom selben Vormann demjenigen das bessere Recht zukomme, der sie zuerst tradiert erhalten habe. Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Ansicht des Neraz. Bei verschiedenen Veräußerern soll nach Julian, dem Ulpian ausdrücklich zustimmt, jedoch nicht der erste Erwerber zu bevorzugen sein, sondern derjenige von den beiden, der die Sache gerade in Besitz habe. Vor Augen hat Julian dabei die Konstellation, dass die Käufer untereinander um die Sache streiten. Wie Neraz erwähnt auch er explizit, dass der Veräußerer Nichteigentümer gewesen sei. Dagegen wird dieser im einleitenden Satz von Ulpian lediglich unbestimmt als „jemand“ bezeichnet340. Nimmt man Neraz und Julian beim Wort und stellt sich den Veräußerer zwingend als Nichteigentümer vor, gibt der Sachverhalt Rätsel auf. Die Stellungnahmen der Juristen müssten sich auf Fälle beziehen, in denen die Sache zweimal unberechtigt veräußert worden ist, ohne furtiv geworden zu sein. Sobald nämlich ein furtum vorliegt, ergibt sich eine eindeutige und unproblematische Lösung. Es muss dann gar keine Entscheidung zwischen zwei publizianisch Berechtigten erfolgen. Tritt die Furtivität bereits durch den ersten Verkauf oder auch schon vorher bei Inbesitznahme durch den Veräußerer etc. ein, erlangt keiner der beiden Käufer die Aktivlegitimation zur actio Publiciana. Der Besitzer setzt sich in diesem Falle durch – melior causa possidentis. Macht erst die zweite Veräußerung die Sache zur res furtiva, dann kann sie der Erstkäufer erfolgreich herausverlangen, da es an einer vergleichbaren publizianischen Berechtigung des Zweiterwerbers fehlt. Die in den Quellen behandelte Rangproblematik entsteht erst gar nicht. Eine zweimalige Veräußerung der Sache durch einen oder mehrere Nichtberechtigte ohne furtum ist allerdings kaum vorstellbar. Oben ist gezeigt worden, dass es schon bei einmaligem Verkauf durch den Nichtberechtigten nur sehr wenige Sonderfälle gibt, in denen die Sache ersitzbar bleibt341. Angenommen 338 Auch dem letztgenannten Erwerber muss die Sache aber irgendwann (nach dem Erstgenannten) übergeben worden sein, da ansonsten für ihn die actio Publiciana mangels Ersitzungsbesitz von vornherein nicht in Betracht kommt, Apathy, SZ RA 99, 165. 339 Apathy, SZ RA 99, 162 ff., hält Textverkürzungen für wahrscheinlich. 340 Wubbe, FS Mayer-Maly 2002, 915. Die bona fides der Käufer ist kein Anzeichen dafür, dass Ulpian als Veräußerer zwingend einen Nichtberechtigten vor Augen hatte. Auch wer tatsächlich Wahres glaubt ist gutgläubig, vgl. oben III. 4. d) dd). Anders: Apathy, SZ RA 99, 166.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

Neraz und Julian legen trotz fehlender Anhaltspunkte im Sachverhalt für das erste Geschäft eine solche Konstellation zu Grunde – der erste Veräußerer hat also etwa als Erbe gutgläubig eine nicht zum Nachlass gehörige Sache verkauft und übergeben342 – bleibt weiter fraglich, wie die betreffende Sache danach ein zweites Mal ohne furtum veräußert werden konnte. Dazu müsste sie irgendwie auf nicht furtivem Wege zum Zweitveräußerer gelangt sein343 und dieser beim Weiterverkauf in Unkenntnis seiner Nichtberechtigung gehandelt haben. Ist der Veräußerer dieselbe Person wie beim ersten Geschäft, dann weiß er zwangsläufig um die Berechtigung des Erstkäufers und begeht ihm gegenüber ein furtum, wenn er die zurückerlangte Sache nochmals verkauft und tradiert. Doch auch ein anderer Zweitveräußerer wird sich durch Verkauf und Übergabe der Sache regelmäßig eines furtum schuldig machen. Ist die Sache nämlich zufällig an ihn gelangt, etwa durch Fund oder durch Zulauf (Vieh), weiß er ebenso von seiner Nichtberechtigung, wie in verbleibenden Fällen der Leihe oder Miete vom Erstkäufer bzw. Verwahrung für diesen344. Steht im Prozess um die Sache also tatsächlich fest, dass die Veräußerer Nichteigentümer gewesen sind, ist es in nahezu allen denkbaren Fallkonstellationen das furtum, welches die Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Prätendenten bringt. Ist die Sache schon beim ersten Geschäft eine res furtiva, könnte sich der besitzende Zweiterwerber darauf berufen, ist die Furtivität erst nach dem ersten Erwerb eingetreten, wird der Erstkäufer dies einwenden, um den Ersitzungsbesitz seines Gegners zu negieren. Auf die in den Quellen eigentlich erörterte Problematik des Rangverhältnisses zwischen zwei publizianisch Berechtigten kommt es dann jeweils nicht an. In der prozessualen Praxis war die Frage nach dem besseren Recht des ersten oder des zweiten Erwerbers immer dann entscheidungserheblich, wenn die Parteien außer ihrem rechtsgeschäftlichen Erwerb in gutem Glauben keine weiteren Fakten vorzuweisen hatten. Ein mögliches Beispiel könnte wie folgt gelautet haben: K1 und K2 streiten um eine Sache, die sie jeweils vor weniger als einem Jahr bona fides und ex iusta causa erworben haben. Jeder kann den eigenen Erwerbsvorgang beweisen, mehr aber nicht. Der oder die Veräußerer sind nicht mehr auffindbar und es kann auch nicht hinreichend sicher geklärt werden, wie die Sache nach dem Ersterwerb zum Zweitveräußerer gekommen ist. K2 weigert sich, die in seinem Besitz befindliche Sache an K1 herauszugeben, woraufhin ihn dieser mit der actio Publiciana in Anspruch nimmt345. K2 wendet zur Verteidigung neben dem Besitz seine eigene publizianische Position ein346. 341

Vgl. oben III. 4. a). Gai. II, 50. 343 Zu denken ist hier insbesondere an das Zu- und Zurücklaufen von Vieh in den ehemals heimischen Stall; Wubbe, FS Mayer-Maly 2002, 913 f., bringt den Fall eines Hundes, der dem Käufer nach dem Kauf entwicht und zu seinem früheren Herrn (Veräußerer) zurückkehrt. 344 Vgl. Wubbe, FS Mayer-Maly 2002, 914. 342

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In dieser Situation kann das furtum nicht weiterhelfen, da es wegen der undurchsichtigen Verhältnisse von keinem der beiden Prätendenten bewiesen werden kann. Auch etwaiger derivativer Eigentumserwerb eines der beiden kann mangels Nachweisbarkeit keine direkte Rolle spielen347. Es kommt für die Entscheidung somit allein auf das Rangverhältnis der behaupteten und bewiesenen publizianischen Berechtigungen an. Die Stellungnahmen von Neraz und Julian/ Ulpian ermöglichen es, in dieser Situation ein Urteil zu finden. Der Zeitpunkt des Erwerbs wird regelmäßig einfach zu ermitteln sein. Auch die für Julians Differenzierung wichtige Frage, ob von demselben Veräußerer oder unterschiedlichen Personen erworben wurde, dürfte sich unschwer klären lassen. Auf den Vorrang des einen oder anderen publizianisch Berechtigten kommt es in der Praxis immer dann an, wenn das Eigentum der jeweiligen Vormänner nicht mehr festgestellt werden kann bzw. soll und ein furtum nicht behauptet wird oder bewiesen werden kann. Die Prätendenten sind im Prozess der actio Publiciana stets als Erwerber a non domino zu behandeln, weil sie sich weder auf das Eigentum berufen noch dafür Beweis erbringen. Ob sie auch tatsächlich von einem Nichtberechtigten erworben haben, ist damit jedoch nicht gesagt. Möglicherweise sind sie Erwerber vom Berechtigten, die sich lediglich den diesbezüglichen Nachweis ersparen wollen oder diesen etwa bei Unauffindbarkeit des Veräußerers gar nicht führen können. Neraz und Julian sprechen bei der Darstellung des Sachverhaltes lediglich deshalb explizit von einem Erwerb „a non domino“, weil sich nur so die zu erörternde Problematik aus der materiellrechtlichen Sicht des Fallkonstrukteurs überhaupt aufwerfen lässt. Erwürbe einer der beiden Streitenden im dargestellten Fall vom Eigentümer, dann würde ihm ja zweifellos der Vorzug gebühren. Das eigentliche Problem wäre abgeschnitten. Diese Überlegung lässt Neraz in seinem scheinbar lapidaren Schlusssatz: „si alter ex nobis a domino emisset, is omnimodo tuendus est.“ durchblicken. Steht der derivative Eigentumserwerb eines der beiden fest, kann er ihn also vor Gericht nachweisen, obsiegt er natürlich. Will man den zur Darstellung des Rangverhältnisses zweier publizianisch Berechtigter konstruierten Sachverhalt von Beweisfragen frei halten, bleibt nur

345 Von der rei vindicatio hat K1 Abstand genommen, nachdem ihm klar wurde, dass er den Eigentumsbeweis ohne seinen Vormann und ohne die Sache ersessen zu haben nicht wird erbringen können. 346 Möglich ist dies in iure durch Begehren einer exceptio. Thielmann, SZ RA 111, 208, 235 f., denkt dabei an die exceptio doli oder eine Version der exceptio rei venditae et traditae (utilis). Vielleicht hat es aber auch analog der exceptio dominii eine spezielle Einrede der publizianischen Berechtigung gegeben, die der Prätor je nachdem, ob er den Begehrenden für besser berechtigt ansah oder nicht, erteilte oder denegierte. 347 Damit ist nicht gesagt, dass bei der Abwägung zwischen den beiden publizianischen Berechtigungen der Grad der Wahrscheinlichkeit eines derivativen Erwerbs des einen oder anderen außen vor blieb. Dazu sogleich unten.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

die von den Klassikern wahrgenommene Möglichkeit, beide Veräußerer Nichteigentümer sein zu lassen. Das gefundene Ergebnis gilt freilich gleichermaßen für die praktisch bedeutsamen Fälle, in denen die Berechtigung der Vormänner nicht behauptet bzw. bewiesen ist und daher keine Rolle spielen kann. Fraglich ist, ob die nicht ausgeschlossene und sogar naheliegende Möglichkeit, dass der Erwerb eines der beiden Parteien in Wirklichkeit a domino erfolgte, bei der Entscheidung der römischen Juristen eine Rolle gespielt hat. Die Klassiker stimmen bei Erwerb vom selben Veräußerer darin überein, dass der Erstkäufer zu schützen sei. Diese Lösung will Neraz auch bei verschiedenen Veräußerern anwenden. Leiten lässt er sich dabei offensichtlich vom Prioritätsprinzip348. Wer zuerst publizianischen Schutz erlangt hat, der soll sich gegen eine gleichartige aber später erlangte Position durchsetzen, prior tempore, potior iure. Die Sache scheint danach gewissermaßen durch die früher entstandene publizianische Berechtigung „belastet“. Ein neu begründetes Recht an der Sache – als solches sah Neraz die Befähigung zur actio Publiciana349 – soll stets nur nachrangig Geltung erlangen können350. Die abweichende Lösung von Julian/Ulpian bei Erwerb a diversis non dominis lässt vermuten, dass diese Juristen eine andere Überlegung als Neraz für entscheidend erachtet haben. Das einfache Prioritätsprinzip lässt für die angestellte Differenzierung nach der Person des Vormannes nämlich keinen Raum351. Auf den bloßen Besitz kann es erst dann ankommen, wenn zuvor gedanklich die sich gegenüberstehenden Rechtspositionen als gleichwertig erkannt worden sind und deshalb eine Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Berechtigung unmöglich ist. Die publizianischen Positionen heben sich quasi gegenseitig auf und lassen keinen Raum für ein erfolgreiches petitorisches Vorgehen eines der beiden Streitenden352. So setzt sich letztlich der Besitzer durch, allein wegen seines Besitzes, unabhängig davon, ob er der Erst- oder Zweiterwerber ist. Doch warum sind die von den Prätendenten geltend gemachten Rechtspositionen nach Julian/Ulpian

348

Apathy, SZ RA 99, 186 f.; Schanbacher, Gnomon 1997, 137 ff. Darauf lässt die Formulierung „. . . qui prior ius eius adprehendit . . .“ in D. 19, 1, 31, 2 schließen. 350 Vielleicht steckt auch der Gedanke dahinter, dass der Ersterwerber gegen den Vormann des Zweitveräußerers die actio Publiciana hätte erfolgreich anstellen können und dies folglich auch gegen dessen Rechtsnachfolger funktionieren müsse, so: Apathy, SZ RA 99, 186 f. 351 Anders das von Schanbacher, Gnomon 1997, 138, ins Spiel gebrachte, besonders ausgeprägte Prioritätsprinzip, das nur bei determiniertem zeitlichem Vorsprung in der Begründung des Rechts eingreift, also nur dann, wenn die zeitliche Reihenfolge gerade bestimmungsgemäß, nicht nur zufällig so gesetzt wurde. Priorität führt danach nur zum Vorzug, wenn ein und dieselbe Person die beiden konkurrierenden Rechte begründet hat. 352 Paul. D. 50, 17, 128 pr.: „In pari causa possessor potior haberi debet . . .“; dazu: Apathy, SZ RA 99, 182. 349

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im Falle des Erwerbs von verschiedenen Vormännern gleichrangig, während bei Erwerb vom selben Vormann der Erstkäufer die bessere Stellung haben soll? Besinnt man sich auf die oben vertretene Auffassung, wonach die Mehrzahl der publizianischen Kläger nicht als Erwerber vom Nichtberechtigten sondern als präsumtive Eigentümer vorgehen, die sich dadurch den Beweis des derivativen Erwerbs ersparen, dann liegt es nahe, den Streit zwischen zwei publizianisch Berechtigten danach zu entscheiden, für wen die Vermutung des tatsächlichen Eigentumserwerbs mehr spricht. Bei zwei verschiedenen Veräußerern ist eine Festlegung nicht möglich. Jeder von ihnen kann mit derselben Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Veräußerung berechtigt oder nichtberechtigt gewesen sein. Anders sieht es dagegen bei Erwerb vom selben Vormann aus. Dieser hat seine etwaige Berechtigung mit der Veräußerung an den Erstkäufer auf jeden Fall verloren. Die Wahrscheinlichkeit, dass er zum Zeitpunkt des zweiten Geschäfts noch Eigentümer war, ist weitaus geringer als beim ersten. Ist die Erstveräußerung nachgewiesen, rückt die Möglichkeit einer Berechtigung zum zweiten Geschäft in weite Ferne. Es bleibt lediglich die rein hypothetische Variante eines Eigentumserwerbs im Zeitraum zwischen den beiden Verfügungen. Dem Zweitkäufer bleibt unbenommen, in diese Richtung etwas vorzutragen. Regelmäßig geht die Vermutung bei Erwerb vom selben Vormann jedoch dahin, dass bereits der Erstkäufer ein etwaig vorhandenes Eigentum des Veräußerers derivativ (weg)erworben hat und damit das zweite Geschäft ins Leere ging. Es ist naheliegend, dass eine solche Überlegung Julian und UIpian dazu veranlasste, die oben angeführte Differenzierung zu treffen. Im Hinblick darauf, dass sich in der Praxis regelmäßig auch Erwerber a domino vor Fristablauf der actio Publiciana bedienten353, scheint der gedankliche Rückgriff auf den möglicherweise erfolgten derivativen Erwerb auch angebracht, um über den Vorrang der einen oder anderen publizianischen Position zu entscheiden354. Schon Apathy und ihm zustimmend Thielmann sind nach eingehender Analyse der betreffenden Quellen355 zu dem Ergebnis gekommen, das Ergebnis der römischen Juristen für den Fall des Erwerbs von demselben Nichteigentümer basiere auf einem Vergleich zum derivativen Erwerb. Der Ersterwerber könne die aus dem Geschäft mit dem Veräußerer resultierenden Einreden (exceptio rei venditae et traditae bzw. exceptio doli) auch gegen die Rechtsnachfolger des Veräußerers geltend machen. Der Zweiterwerber sei dadurch gebunden und erlange nur eine durch die erste Veräußerung belastete bzw. geminderte Rechts353

Vgl. dazu oben III. 4. d) dd). Gegenüber nichtberechtigten Dritten können beide Erwerber ihre Position erfolgreich geltend machen. Auf die „Stärke“ der publizianischen Berechtigung kommt es nur untereinander an. 355 Vgl. neben den genannten Zeugnissen auch Ulp. D. 6, 1, 72; Pomp. D. 21, 3, 2 und Ulp. D. 44, 4, 4, 32 – in denen es jedoch nicht um eine bewegliche Sache, sondern um ein Grundstück geht. 354

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

position356. Während Apathy jedoch einen möglicherweise tatsächlich stattgefundenen derivativen Erwerb bei der Betrachtung außen vor lässt und das Zurückgreifen auf die dafür geltenden Regeln damit erklärt, dass die Prätendenten derivativ erwerben wollten357, ist nach dem Gesagten zu vermuten, dass die Juristen eine Parallele deshalb für angebracht hielten, weil eine Vielzahl der publizianischen Kläger in der Praxis tatsächlich a domino erworben haben. Die Juristen wussten natürlich von diesem Umstand und werden ihn bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt haben. ee) Zwischenergebnis Das Rechtsinstitut der usucapio hat auch in klassischer Zeit noch eine wichtige beweiserleichternde Wirkung für den Erwerber. Nach Ablauf der einjährigen Frist musste bei Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen die Berechtigung der Vormänner zum Nachweis des Eigentumserwerbs nicht mehr geprüft werden. Vergleichbares bestimmte schon der altrömische usus auctoritas Satz. Diese Wirkung wird durch die actio Publiciana sogar auf die Zeit vor Ablauf der Ersitzungsfrist ausgeweitet. Das extensive Ersitzungsverbot für res furtiva beeinflusst den prozessualen Effekt nicht, da das furtum nur dann zum Hemmnis wird, wenn es der Gegner behauptet und beweist. Unterlässt er einen entsprechenden Einwand oder gelingt ihm der Nachweis nicht, dass die Sache als res furtiva anzusehen ist, entscheidet der Richter zugunsten des Erwerbers. Aus dem Anstellen der actio Publiciana bzw. dem Berufen auf die usucapio konnte nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass der Kläger als Erwerber vom Nichtberechtigten vorging oder auch nur diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zog. Infolgedessen war auch kein Raum für eine allgemeine Vermutung, dass ein furtum im Spiel sein müsse. Unabhängig davon, ob der Erwerber aus materiellrechtlicher Sicht tatsächlich auf den Erwerb durch usucapio angewiesen war, bestand stets ein praktisches Bedürfnis, den möglichen Lauf der Ersitzung festzustellen, da nur dann die Beweiserleichterung eingriff. So erklärt sich, weshalb die Ersitzungsfähigkeit von Sachen auch dann diskutiert wurde, wenn gar kein Hinweis auf einen Erwerb a non domino existierte358. Die Frage war immer von Interesse. 356

Apathy, SZ RA 99, 177 ff.; Thielmann, SZ RA 111, 239. Apathy, SZ RA 99, 178; Thielmann, SZ RA 111, 240. Apathy nimmt Neraz und Julian beim Wort und geht davon aus, der Streit unter den publizianische Berechtigten komme erst zum Tragen, wenn bereits feststeht, dass jeweils ein derivativer Erwerb gescheitert ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, vielmehr erlangt die Problematik in der Praxis gerade dann Bedeutung, wenn über die Berechtigung des Veräußerers/der Veräußerer Unklarheit herrscht. Ansonsten gibt das die actio Publiciana ausschließende furtum das Ergebnis vor. 357

5. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

175

e) Ergebnis Nach der Ausdehnung des furtum Begriffes verblieben tatsächlich nur sehr wenige Konstellationen, in denen der Erwerber erst durch die usucapio das Eigentum an der Sache erlangt. Der praktische Nutzen des Rechtsinstitutes lag für den Mobiliarerwerber in der stets bedeutsamen Beweiserleichterung im Sachverfolgungsprozess. Die usucapio ermöglichte ein effektives dingliches Verfahren und trug erheblich dazu bei, dass der Erwerber im klassischen Recht nicht den Gefahren einer probatio diabolica ausgesetzt war.

5. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB Im klassischen Recht entwickelte sich der altrömische usus auctoritas Satz zum materiellrechtlich als Eigentumserwerbstatbestand ausgestalteten Rechtsinstitut der usucapio. Konsequenterweise wurde die ursprüngliche Regelung über die aeterna auctoritas bei Veräußerung durch den Dieb, die bereits durch die Lex Atinia zum Ausnahmetatbestand für den Erwerb furtiver Sachen umgestaltet worden war, als objektives Ersitzungshindernis für res furtiva verstanden, welches im Regelfall nur durch Rückkehr an den Eigentümer geheilt werden konnte. Für geraubte Sachen (res vi possessae) bestand daneben ein gesondertes Usukapionsverbot. Durch die starke Erweiterung des furtum Begriffes, der in klassischer Zeit eine Wegnahme nicht mehr voraussetzte und insbesondere auch dann eingriff, wenn eine Sache in Kenntnis der eigenen Nichtberechtigung etwa vom Entleiher oder Verwahrer ohne Zustimmung des Eigentümers veräußert wurde, gewann der Ausnahmetatbestand in so hohem Maße an Bedeutung, dass in nahezu sämtlichen Fällen eines Erwerbs vom Nichtberechtigten das furtum einem Eigentumserwerb durch usucapio im Wege stand. Gelang es dem Eigentümer, seine Sache nach einem Diebstahl oder einer Unterschlagung wieder aufzufinden und das Delikt nachzuweisen, konnte er gegen den gutgläubigen Erwerber auch nach Ablauf der Ersitzungsfrist noch erfolgreich vorgehen. Der Eigentümer wird so dauerhaft gegen deliktische Eingriffe in die ihm zustehende Berechtigung geschützt, völlig unabhängig davon, ob ihm die Sache abhanden gekommen ist, oder er sie freiwillig einem anderen überlassen hat. Unersitzbar wird die Sache aufgrund des Delikts. Die im heutigen § 935 BGB zu findende Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes ist dem klassischen römischen Recht völlig fremd. Differenziert wurde stattdessen allein da358 Vgl. die oben III. 3. b) und III. 3. c) aa) angesprochenen Konstellationen: Paul. D. 41, 3, 4, 21; D. 41, 3, 49 sowie D. 41, 3, 4, 19.

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III. Vorklassisches und klassisches römisches Recht

nach, ob die Sache durch ein ersitzungsausschließendes Delikt belastet ist oder nicht. Da sich auch ein Abhandenkommen der Sache nicht unmittelbar auf deren Ersitzbarkeit auswirkte, konnte es in Rom auch vorkommen, dass eine verlorene Sache ersitzungsfähig blieb, wenn sie der Finder nämlich irrtümlich als seine eigene an sich genommen und weiterveräußert hatte. Es fehlt dann am Deliktsvorsatz. Nach § 935 BGB wäre die Sache dagegen schon aufgrund des Abhandenkommens von einem gutgläubigen Erwerb ausgenommen. Deutlich zeigen sich hier die grundverschiedenen Regelungsansätze. Die zur Erklärung des § 935 BGB mitunter herangezogenen Gedanken der Gefahrbeherrschung, des Verschuldens und der Veranlassung durch den Eigentümer359 können aufgrund der abweichenden Konstruktion im klassischen römischen Recht allesamt keine Rolle gespielt haben. Bestimmt wurde die objektive Ersitzungstauglichkeit der Sache nicht nach dem Verhalten des Eigentümers sondern nach dem des nichtberechtigt mit der Sache verfahrenden Delikttäters. Motiv der römischen Regelung wird wohl gewesen sein, den Eigentümer vor Nachteilen durch vorsätzliche Eingriffe in seine Rechte zu schützen. Verbrechen sollten sich nicht lohnen. Sie sollten nicht die tatsächliche Grundlage einer Änderung der Berechtigung sein360. Offensichtlich hat die geringe Aussicht auf eine erfolgreiche Ersitzung, die der weite Ausnahmetatbestand mit sich brachte, den Güterverkehr in Rom auch zu seiner Blütezeit nicht spürbar beeinflusst. Zu beachten ist dabei, dass schon das römische Ersitzungssystem selbst, anders als die heutige Regelung eines sofortigen gutgläubigen Erwerbs, theoretisch für eine gewisse Unsicherheit beim Erwerber sorgt. Dieser war stets gut beraten, die Person des Veräußerers zu überprüfen, da der tatsächliche Eigentümer vor Ablauf der Jahresfrist ja immer gegen ihn durchdringen konnte, unabhängig von einem Ersitzungsausschluss wegen furtum. Oft wird sich ein mangelndes Eigentum des Vormannes schon sehr bald nach dem Kauf gezeigt haben, da die Chance einer Aufklärung in der Zeit unmittelbar nach dem Delikt auch damals schon am höchsten gewesen sein dürfte. Eher selten werden Sachen noch nach Jahren wiedergefunden und herausverlangt worden sein. Das zusätzliche Risiko für den Erwerber, dass der weite Ausnahmetatbestand für res furtiva in der Theorie mit sich brachte, fiel praktisch entsprechend gering aus. Sofern der Veräußerer noch greifbar war, bestand zudem die Möglichkeit, sich an diesem schadlos zu halten. Ausfälle durch Zahlungsunfähigkeit dürften wegen der damaligen Vollstreckungspraxis361 weit weniger relevant als heute gewesen sein.

359

Vgl. dazu oben I. Erst mit der reversio in die potestas des Eigentümers sind die Folgen des Delikts geheilt, so dass die Sache wieder ersitzungsfähig wird. 361 Kaser/Hackl, RZ, 383 ff., 387 – insbesondere zu den Möglichkeiten der Personalexekution. Der Schuldner konnte in Privathaft genommen werden und hatte die 360

5. Zusammenfassung und Vergleich mit § 935 BGB

177

Entscheidend zur Sicherheit und Belebung des Güterverkehrs trug die klassische usucapio trotz der weitgehenden Ausnahmetatbestände bei. Im Zusammenspiel mit der actio Publiciana sorgte ihre Existenz dafür, dass die römischen Sacherwerber vom Zeitpunkt des Erwerbs an in der Lage waren, die Sache unter bloßem Nachweis des Erwerbs ex iusta causa und bona fides gerichtlich zu verfolgen. Auch ohne Mithilfe des Vormannes konnten sie die Sache so erfolgreich von einem Nichtberechtigten herausverlangen. Der Einwand und Beweis eines eigenen besseren Rechts oblag dann dem Prozessgegner. Auch ein eventuelles Eingreifen der genannten Ausnahmeregelungen zur usucapio und damit das Vorliegen eines ersitzungsausschließenden Deliktes musste der beklagte Besitzer beweisen. In dieser prozessualen Begünstigung des Erwerbers lag nach der hier vertretenen Ansicht die bedeutendste praktische Wirkung der usucapio in klassischer Zeit.

Schuld abzuarbeiten. Vor allem diente die Personalvollstreckung als Druckmittel gegen den Schuldner, seine Angehörigen und Freunde.

IV. Entwicklungen in der Spät- und Nachklassik Bevor sich die Untersuchung den leges barbarorum zuwendet, soll noch ein kurzer Überblick über die weitere Entwicklung des Ersitzungsverbotes für res furtiva im spät- und nachklassischen römischen Recht gegeben werden.

1. Das Kaiserrecht bis Diokletian Anhand von Reskripten aus der Severerzeit und aus der Kanzlei Diokletians hat Klingenberg nachgewiesen, dass die vorsätzlich unberechtigte Veräußerung einer fremden Sache auch zu dieser Zeit noch ein furtum begründete und dadurch die Ersitzung ausgeschlossen war1. Stellvertretend für eine Vielzahl an Quellen, aus denen sich diese Rechtslage direkt2 oder zumindest mittelbar3 ergibt, sei hier ein Reskript des Kaisers Antoninus Caracalla aus dem Jahre 213 aufgeführt:

1

Klingenberg, Gai. Inst. 2, 50 im Lichte des Kaiserrechts, FS Sutter 1983, 261 ff. C. 7, 27, 2 (Impp. Diocletianus et Maximianus AA et CC. Capitoni) – Verschenken einer fremden Sklavin ist ersitzungsausschließendes furtum; C. 7, 26, 7 (Impp. Diocletianus et Maximianus AA et CC Pecudi) – Verkauf eines fremden Sklaven als ersitzungsausschließendes furtum, dazu: Klingenberg, FS Sutter 1983, 267 f.; C. 6, 2, 8 (Imp. Alexander A. Valenti) – usukapionshinderndes furtum bei unberechtigter Veräußerung durch einen Steuereintreiber, dazu: Klingenberg, FS Sutter 1983, 266; C. 6, 2, 10 (Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Et CC Valerio), dazu: Klingenberg, FS Sutter 1983, 267 (das plagium umfasste auch den Verkauf fremder Sklaven); C. 7, 26, 6 (Imp. Philippus A. cum consilio collocutus dixit), vgl. dazu Klingenberg, FS Sutter 1983, 268. 3 C. 7, 26, 4 (Imp. Alexander A. Achilleo) – der dort angesprochene Ersitzungsausschluss bei Erwerb vom bösgläubigen Veräußerer wird auf der Überlegung beruhen, dass dieser ein furtum begeht, Klingenberg, FS Sutter 1983, 265 f.; C. 7, 26, 2 (Imp. Alexander A. Marcellino), zwar wird auch dort das furtum nicht direkt angesprochen, doch stellt die Veräußerung der tutores gegen den Willen des Erblassers ein solches dar, so dass die Sklaven von den Käufern nicht ersessen werden konnten, vgl. Klingenberg, FS Sutter 1983, 266; C. 6, 2, 16 (Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Et.CC. Artemidoro et aliis) – Verkauf eines zur Verpflegung übernommenen Sklaven ist furtum; C. 6, 2, 6 (Impp. Alexander A. Pythodoro) – wer wissentlich einen fremden Sklaven veräußert, kann dadurch dem Eigentümer nichts entziehen (domino nihil deminuere potest), der Sklave kann nicht ersessen werden, vgl. auch. C. 4, 51, 6 (Impp. Diocletianus et Maximianus AA. Et CC. Aurelio Rufo) – ein unberechtigter Veräußerer kann die Stellung des Eigentümers nicht beeinträchtigen, Klingenberg, FS Sutter 1983, 269. 2

1. Das Kaiserrecht bis Diokletian

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C. 7, 26, 1 (Imp. Antoninus A. Flaviano) „Mancipia tua si ab eis distracta sunt, qui ius vendendi non habuerunt, vindicare ea potes. Nec enim usucapi ab emptoribus potuerunt, cum illicita venditione furtum contractum sit.“ Wenn deine Sklaven von denen verkauft worden sind, die kein Recht zum Verkauf gehabt haben, so kannst du sie mit der Eigentumsklage zurückfordern. Denn sie haben von den Käufern nicht ersessen werden können, indem durch den unerlaubten Verkauf ein furtum geschehen ist.

Sklaven des Flavianus waren von Dritten unbefugt veräußert worden. Mehr erfahren wir über den Sachverhalt nicht. Der Kaiser geht bei der Beantwortung der Anfrage davon aus bzw. hält es für möglich, dass die einjährige Ersitzungsfrist bereits abgelaufen ist und nimmt daher zu einem möglichen Eigentumserwerb der Käufer durch usucapio Stellung. Er negiert diesen explizit mit der Begründung, dass durch die unberechtigten Verkäufe (illicita venditione) die Sklaven furtiv geworden seien und somit nicht ersessen werden können. Der entscheidungsrelevante Ersitzungsausschluss wird nach Auffassung des Kaisers also bereits durch die bewusst unberechtigte Veräußerung der Sklaven bewirkt. Ein vorangegangener Diebstahl war nicht notwendig. Eine Überprüfung des Sachverhaltes dahingehend konnte sich der Kaiser daher ebenso sparen, wie Ausführungen zur Gutgläubigkeit der Käufer. Drei kaiserrechtliche Quellen hat Klingenberg ausgemacht, die Zweifel an der ausnahmslosen Geltung des Ersitzungsausschlusses für vorsätzlich unbefugt veräußerte Mobilien aufkommen lassen könnten. Zwei davon – überliefert in C. 8, 30, 2 und C. 4, 51, 1 – sind Reskripte des Kaisers Alexander Severus aus den Jahren 222 und 224 n. Chr. Beide Male geht es um die unberechtigte Veräußerung von Sklaven. Der Kaiser zieht hier trotz des unbefugten Verkaufes einen Erwerb der Käufer durch Ersitzung in Betracht. Er rät dem ehemaligen Eigentümer für diesen Fall, sich an den Veräußerer zu halten. Klingenberg erklärt die Nichtbeachtung des Ersitzungsausschlusses für res furtiva damit, dass der Veräußerer ja nicht zwangsläufig bösgläubig gewesen sein muss. Irrte er über seine Berechtigung, liegt kein furtum vor. In der Tat sagen die Sachverhalte darüber nichts aus4, so dass der Kaiser diese Möglichkeit bei seiner Antwort einkalkulieren musste. Hätte Alexander Severus von seiner sonstigen Praxis abweichen wollen, die in mehreren früheren und späteren Quellen seiner Regierungszeit belegt ist5, hätte er dies sicher deutlicher zum Ausdruck gebracht. Mehr Probleme bereitet ein Reskript des Kaisers Gordian in C. 4, 51, 2. Im dort beschriebenen Sachverhalt hatte der Ehemann der Grattia Aelia ohne deren Willen eine 4 Der Pfandgläubiger in C. 4, 51, 1 weiß zwar um sein Nichteigentum, möglich ist aber, dass er an ein Veräußerungsrecht denkt und deshalb einem entschuldbaren error iuris unterlag, Klingenberg, FS Sutter 1983, 270 f.; vgl. zum Vorsatzausschluss im Irrtumsfall nach klassischem Recht oben III. 4. a). 5 C. 7, 26, 4; C. 7, 26, 2 (a.224); C. 6, 2, 8 (a.231); C. 6, 2, 6 (a.223).

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IV. Entwicklungen in der Spät- und Nachklassik

ihr gehörige Sache veräußert. Da sich der Gatte das Siegel seiner Frau auf der Urkunde des Kaufvertrages durch einen betrügerischen Schwindel erschlichen hatte, ist in diesem Falle davon auszugehen, dass er vorsätzlich als Nichtberechtigter handelte. Der Kaiser beruhigt die Grattia Aelia indem er klarstellt, dass die List dem Käufer keine sichere Rechtsposition verschafft habe, stellt diese Einschätzung jedoch unter den Vorbehalt, dass noch keine Ersitzung eingetreten sei. Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die kaiserliche Kanzlei unter Gordian auch bei Vorliegen einer bewusst unberechtigten Veräußerung die Ersitzung zugelassen hat. Wahrscheinlicher als ein Sonderweg des jugendlichen Kaisers6 ist jedoch eine andere Erklärung. Ohne Widerspruch zum klassischen Recht und den Reskripten anderer Kaiser bliebe das Reskript dann, wenn es sich bei der in der Quelle genannten „res“ nicht um eine bewegliche Sache, sondern ein Grundstück gehandelt hat. Der Begriff wird bisweilen auch für Immobilien verwendet, an denen ein furtum ja nicht möglich ist7. Denkbar ist insbesondere, dass dem Ersteller des Reskripts die Natur der streitgegenständlichen Sache nicht genau bekannt war und er den Vorbehalt der Ersitzung für den Fall einer Immobilie einschob. Auch eine gedankenlose Übernahme der für Grundstücke üblichen Floskel ist möglich8. Festhalten lässt sich, dass die römischen Kaiser bis einschließlich Diokletian am Ersitzungsverbot für vorsätzlich unerlaubt veräußerte Sachen festgehalten haben. Für diese Zeit kann das zum klassischen Recht Gesagte analog herangezogen werden.

2. Die Nachklassik ab Konstantin Schon das absolute Kaisertum unter Diokletian gewährte der Jurisprudenz nicht mehr den Spielraum, der sie in vergangener klassischer Zeit zur Blüte brachte. Die in der Rechtspraxis tätigen unselbständigen Beamten orientierten sich zwar noch am klassischen Recht, konnten es jedoch nicht mehr fortbilden und vermitteln. Mit der Abdankung Diokletians beginnt unter Konstantin ein Zeitalter, in dem immer mehr der klassischen Kenntnisse verloren gehen. Der neue Kaiser fühlt sich der klassischen Tradition nicht mehr verbunden. Seine Politik lässt der Vulgarisierung des Rechts freien Lauf. Denkweise, Fachwissen und Stil der Klassiker werden allmählich durch unreflektierte Anschauung juristischer Laien ersetzt9. 6 Gordian war Kaiser vom 238 bis 244 n. Chr. und trat seine Pflichten bereits im Alter von dreizehn Jahren an. 7 Klingenberg, FS Sutter 1983, 275, gibt dagegen zu Bedenken, dass die gordianische Kanzlei für Grundstücke oft die Worte „fundus“ oder „possessio“ verwendet. 8 So: Klingenberg, FS Sutter 1983, 275. 9 Kaser, RP II, 3 ff., 17 ff., mit zahlreichen Nachweisen; Levy, Weströmisches Vulgarrecht – das Obligationenrecht (1956) (VR), 1 ff.

2. Die Nachklassik ab Konstantin

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Das Ersitzungsrecht ist in besonderem Maße von nachklassischen Veränderungen betroffen. Für die Periode zwischen Diokletian und Justinian lassen sich keine Quellen finden, die von der usucapio berichten10. Der Begriff ist ebenso wie das Verständnis für dieses Rechtsinstitut recht schnell verlorengegangen. Eng zusammen hängt dies mit der Aufgabe des klassischen Eigentumsbegriffes. Im Vulgarrecht werden die Grenzen zwischen Eigentum und Besitz so weit verwischt11, dass auch die Unterschiede zwischen usucapio und Verjährung nicht mehr verstanden wurden. Eine Differenzierung von materiellrechtlichem Eigentumserwerbstatbestand und prozessualer Einrede hatte sich erübrigt. Ersitzung und Verjährung fließen ineinander. Langen Besitz der Streitsache konnte der Inhaber der Sachgewalt dem Verfolger nun mit der sogenannten praescriptio entgegenhalten, worunter das Prozessrecht jener Zeit jedes Mittel der Verteidigung verstand12. Mit der Ersitzung im klassischen Sinne hatte dieser Einwand nichts mehr zu tun. Bereits Konstantin hatte die Frist für unangreifbaren Besitz bei actiones in rem auf 40 Jahre erhöht. Eine iusta causa war ebenso wenig Voraussetzung dieses Rechtsmittels, wie bona fides des Besitzers. Im allgemeinen Verjährungsgesetz von Theodosius II wird an Stelle der 40-jährigen Frist eine 30-jährige festgelegt. Nach wie vor ist jedoch weder bona fides noch eine iusta causa Voraussetzung des Erwerberschutzes13. Nach Fristablauf erwirbt der Besitzer Eigentum im vulgarrrechtlichen Sinne einer unangreifbaren Vollherrschaft14. Trotz der erheblich verlängerten Ersitzungsfristen tendierte die nachklassische Gesetzgebung dazu, die Ersitzungsverbote noch über die klassischen Fälle hinaus zu vermehren. So waren auch die bona materna und die Sachen des Kaisers dem Erwerb durch langen Besitz entzogen15. Das extensive Ersitzungsverbot für furtive Sachen wurde übernommen. Der Tatbestand des furtum leidet im Vulgarrecht allerdings an Auflösungserscheinungen. Die klassischen Abgrenzungen gehen allmählich verloren, insbesondere vermischen sich die Tatbestände des Diebstahls und des Raubes. Bedingt ist dies unter anderen dadurch, dass ab dem 5 Jh. für alle Arten der Sachentziehung ein einheitlicher Bußsatz in Höhe des Vierfachen (quadruplum) eingreift. Dies ließ eine Entscheidung für das ein oder andere Delikt überflüssig werden16. Unterschlagungshandlungen dürften auch in nachklassischer Zeit weiterhin regelmäßig als Sachentziehung gewertet und geahndet worden sein17. Auf eine Wegnahme der Sache kam es nicht an. 10 Levy, West Roman Vulgar Law, The Law of Property (1951) (VL), 179; MayerMaly, in: RE, usucapio, Sp. 1126; Kaser RP I, 285, Anm. 1. 11 Vgl. dazu näher Kaser, RP II, 246 ff.; Levy, VL (IV. Fn. 10), 19 ff. 12 Kaser, RP II, 285. 13 Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1126; Kaser, RP II, 71 f. 14 Kaser, RP II, 286. 15 Kaser, RP II, 287. 16 Levy, VR (IV. Fn. 9), 320 ff.; Kaser, RP II, 433.

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IV. Entwicklungen in der Spät- und Nachklassik

Zeugnisse dafür, dass sich der furtum Begriff im Vulgarrecht wieder in die archaischen Grenzen zurückentwickelt haben könnte, sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die 30-jährige Frist dürfte das extensive Ersitzungsverbot für res furtiva in der Praxis allerdings kaum noch eine Rolle gespielt haben. Es lässt sich auch nicht mehr mit der Ausnahmeregelung in § 935 BGB vergleichen, da der gemeinsame Ansatz der klassischen usucapio und der §§ 932 ff. BGB beim gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb längst verlorengegangen war, wie der Wegfall der Tatbestandsvoraussetzungen „iusta causa“ und „bona fides“ zeigt.

3. Teilweise Renaissance der usucapio durch Justinian Unter Justinian werden die klassischen Ersitzungsvoraussetzungen wiederbelebt. Ausgehend von der Arbeit oströmischer Rechtsschulen nimmt der Kaiser aber auch grundlegende Veränderungen vor. So schafft er einen einheitlichen Tatbestand, der zwar usucapio heißt, jedoch sowohl die klassische Ersitzung als auch die longi temporis praescriptio des klassischen Rechts18 umfasst19. Für Mobilien beträgt die Ersitzungsfrist nun 3 Jahre statt 1 Jahr, wobei jedoch die Ersitzungszeit des Vorgängers im Besitz angerechnet wird (accessio possessionis)20. Die Sache muss wieder bona fide und aus einer iusta causa erlangt worden sein. Auch die klassischen Ersitzungsverbote für gestohlene und geraubte Sachen werden angewandt21. Justinian reaktiviert zudem die klassische Abgrenzung zwischen furtum und rapina und sichert viele Kontroversen der Klassiker über die Reichweite des Tatbestandes22. Zweifellos sah auch er die vorsätzlich unberechtigte Veräußerung einer res aliena als furtum, sonst wären die betreffenden klassischen Stellen nicht in die Digesten übernommen worden.

17 Abweichende Bußsätze gab es nach einem Reskript des Kaisers Konstantin aus dem Jahre 317 (C. 6, 1, 4 pr.) für denjenigen, der einen flüchtigen Sklaven verhehlte. 18 Dieser Rechtsbehelf entwickelte sich im 2. Jh. n. Chr. ursprünglich für Provinzialgrundstücke, die ja einer usucapio nicht zugänglich waren und wurde später auch an Mobilien, insbesondere zugunsten von Peregrinen angewandt. Die longi temporis praescriptio ist eine Verschweigenseinrede, setzt Erwerb iusta causa und wohl auch bona fide voraus und kann nach 10 bzw. 20 jähriger Frist erhoben werden. Vgl. dazu näher: Kaser, RP I, 424 f.; Hamza, Zum Verhältnis zwischen usucapio und longi temporis praescriptio im klassischen römischen Recht, Mélanges Fritz Sturm (1999), 189 ff. 19 Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1126; Levy, VL (IV. Fn. 10), 179 f.; Kaser, RP II, 286. 20 C. 7, 31, 1, 3; C. 7, 33, 11; Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1126; Kaser, RP II, 286. 21 Kaser, RP II, 287. 22 Kaser, RP II, 435.

3. Teilweise Renaissance der usucapio durch Justinian

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Ausgehend von den nachklassischen Verjährungsgesetzen schafft Justinian neben der usucapio eine außerordentliche Ersitzung, die später als „longissimi temporis praescriptio“ bezeichnet wird und regelmäßig nach 30 Jahren eintritt23. Erforderlich ist bona fides des Besitzers. Dagegen wird weder eine iusta causa verlangt noch greifen die Ersitzungsverbote ein. Auch furtive Sachen konnten danach außerordentlich nach 30 Jahren Besitz ersessen werden24. Wie die Verjährungsregeln des Vulgarrechts kann aber auch die longissimi temporis praescriptio nicht mit § 935 BGB verglichen werden, da es an der Verbindung zum Erwerbsgeschäft fehlt25.

23 Mayer-Maly, in: RE, usucapio, Sp. 1126; Kaser, RP II, 287 – in bestimmten Fällen auch 40 Jahre (dazu: Kaser, RP II, 72). 24 Kaser, RP II, 287. 25 Ein Vergleich mit den §§ 937 ff. ist dagegen möglich und es zeigen sich Gemeinsamkeiten. So erfordert auch § 937 II BGB guten Glauben des Erwerbers und eine Erwerbsverbot für gestohlene Sachen besteht ebenfalls nicht.

V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum) Gegenstand des letzten Abschnittes der Untersuchung sind die in lateinischer Sprache überlieferten Gesetze verschiedener germanischer Stämme, insbesondere der Westgoten, Franken und Bayern. Der Begriff „Volksrechte“ wird hier nicht im Sinne einer romantischen Vorstellung vom Volk als Quelle der Rechtskultur1, sondern ohne Wertung, als bloßes Synonym für die „leges barbarorum“ bzw. „Stammesrechte“ verwendet. Unter diese Quellengruppe fallen Rechtsaufzeichnungen und Gesetze germanischer Könige vom Beginn barbarischer Siedlung auf römischem Gebiet, durch die Auswirkungen der Völkerwanderung des 4. Jahrhunderts, bis hin zum Ausgang des Frühmittelalters. Die ins römische Reich einfallenden germanischen Stämme waren zunächst Zusammenschlüsse verschiedener Völkerschaften unter der Führung eines auf Zeit gewählten Heerkönigs. Mit Ausnahme der Franken waren die Eroberer gegenüber den römischen Ansässigen zunächst in der Minderzahl. Die Germanenkönige waren bemüht, ihre Herrschaft auf eine feste rechtliche Grundlage zu stellen. Dabei war auch das Verhältnis der Neuansiedler zur einheimischen römischen Bevölkerung mit zu regeln. Die geschaffenen Gesetzeskodifikationen sollten Rechtssicherheit und Stabilität innerhalb der Gesamtbevölkerung aus Germanen und Einheimischen herstellen2. Interessant sind die leges barbarorum in besonderem Maße, weil sie das Recht einer Zeit wiedergeben, die den Historikern allgemein als Übergang von der Antike ins frühe Mittelalter bekannt ist. Zwei unterschiedliche Ordnungen, die urgermanische der siegreichen Stämme einerseits und die bereits im Verfall befindliche römische andererseits, trafen in Westeuropa aufeinander und machten eine Neuordnung in vielen Lebensbereichen erforderlich.

1. Die Theorien zur germanischen Sachverfolgung Anders als die Römer sollen die Germanen nach überwiegender Auffassung seit jeher streng zwischen anvertrauten und abhanden gekommenen Sachen unterschieden haben. Eine Verfolgung von Mobilien in Dritter Hand sei stets nur bei gestohlenen, geraubten oder verlorenen Sachen, nicht aber nach willentlicher Weggabe möglich gewesen3. Für diesen angeblich festen Grundsatz des 1 2

Vgl. dazu Kaufmann, in: HRG V, Volksrechte, Sp. 1004 ff. Laubenberger, in: HRG V, Völkerwanderung, Sp. 969 ff.

1. Die Theorien zur germanischen Sachverfolgung

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germanischen Rechts stehen stellvertretend die bereits angesprochenen, leicht eingänglichen Rechtssprichworte: „Hand-wahre-Hand“, „Trau schau wem“ und „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“.

a) Ausgangspunkt: Gewerebegriff Die von den Germanisten des 19. und 20. Jahrhunderts mit großem Einsatz geführte Diskussion über den Ablauf der germanischen Sachverfolgung ging zumeist vom Begriff der „Gewere“ aus. Je nach dem, welche Bedeutung und Wirkungen man der Gewere zukommen ließ, entwickelten sich unterschiedliche Theorien. Schon daran zeigt sich, dass es vor allem die hochmittelalterlichen Quellen waren, welche die Forschung leiteten. In den lateinisch verfassten Volksrechten findet sich der Begriff der Gewere nämlich noch nicht als selbständiger und entwickelter Rechtsbegriff. Erst in der Zeit der Rechtsbücher war dies der Fall4. Als problematisch an der zentralen Stellung der Gewere in der Diskussion um die germanische Sachverfolgung erwies sich, dass der Gewerebegriff selbst in hohem Maße von den Ergebnissen abhängt, welche die Erforschung der Sachverfolgung erzielen. Die Gefahr eines Zirkelschlusses liegt auf der Hand. So entwickelte Albrecht zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Konstruktion der sogenannten „juristischen Gewere“, um das „Hand wahre Hand“ Prinzip der germanischen Sachverfolgung zu erklären. Im Fall des Diebstahls sei dem vormaligen Sachbesitzer trotz Verlust der leiblichen Herrschaft noch ein Recht zum Besitz (juristische Gewere) geblieben, welches das Fundament seiner Klage bildete. Habe er den Besitz dagegen freiwillig aufgegeben, sei auch die „juristische Gewere“ verloren gegangen und die Sachverfolgung unmöglich geworden. Bei diesem Ansatz ergibt sich der Umfang der Gewere erst aus der speziellen Art der Sachverfolgung. Im Gegenzug soll aber der so ermittelte Gewerebegriff auch deren Eigenarten erklären. Schon früh wurde diese Konstruktion abgelehnt5.

3 So ein Großteil der Literatur, siehe nur: Stobbe, DPrR II, 561; Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (1932), 407 f., 777 m.w. N.; Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, 432 m.w. N.; Meister, FS Wach III, 428 f.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 177 m.w. N. in Anm. 289; sowie die bei Völkl, SZ RA 110, Anm. 56 Genannten. Dagegen Zweifel an der allgemeinen Geltung bei: Anners (I. Fn. 47), 13 ff.; Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1931 f.; Scherner, Salmannschaft, Servusgeschäft und venditio iusta (1971), 145 ff., 157 ff.; Olzen, Jura 1990, 507; Völkl, SZ RA 110, 427 ff., 439 ff.; Köbler, in: DRL II, Hand wahre Hand, 377. 4 Ogris, in: HRG I, Gewere, Sp. 1659; vgl. dort auch zur sprachlichen Entwicklung des Begriffes. 5 Stobbe, DPrR II, 560, Anm. 3; Meister, FS Wach III, 413; Ercklentz (I. Fn. 4), 40.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Die Erfassung des Gewerebegriffes bereitet auch heute noch Schwierigkeiten6. Bedingt ist dies zum einen durch die scheinbare Zwitterstellung zwischen Besitz und Eigentum, zum anderen auch durch den nicht einheitlichen Gebrauch des Wortes in den Quellen. Hinzu kommt noch eine unterschiedliche Entwicklung der Gewere an Fahrnis und Liegenschaften. Letztere Problematik kann hier jedoch außen vor bleiben. Im Folgenden beschränkt sich die Darstellung auf die Fahrnisgewere. Die dazu noch immer herrschende Auffassung von Huber und Gierke geht davon aus, dass sich die Gewere allmählich über den bloßen Tatbestand der körperlichen Sachherrschaft hinaus, zu einem selbständigen Rechtsbegriff entwickelt habe. Dieser sei immer dann gegeben gewesen, wenn „eine äußerlich wahrnehmbare Herrschaftsbeziehung zu einer Sache als formelle Sachherrschaft anerkannt und gewährleistet“ wurde7. Dazu bedurfte es zwar ursprünglich neben der tatsächlichen Sachherrschaft noch einer dinglichen Berechtigung, auf deren Grundlage die Sachherrschaft ausgeübt wurde. Allerdings war gerade der Nachweis dieser Berechtigung problematisch und die Rechtsordnung akzeptierte schon den Besitz als Vermutung für das Recht. Damit wird die Gewere als eine Form der Erscheinung des dinglichen Rechts erfasst. Es war schon derjenige in der Gewere, der eine Sachherrschaft ausübte, die Ausdruck einer dinglichen Berechtigung war. Ob tatsächlich das Recht, oder nur sein Schein existierte, spielte keine Rolle mehr. Nur wo offenkundig trotz Besitz keine Berechtigung vorhanden war, lag keine Gewere vor. Zwei Folgerungen aus dieser Deutung sind nachfolgend für die Theorien zur Fahrnisverfolgung wichtig und sollen daher hervorgehoben werden: 1. Gewere an Fahrnis hatte nur, wer auch die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ausübte. Erst die körperliche Innehabung begründete die Gewere, gleichfalls ging diese mit Verlust der leiblichen Herrschaft auch wieder verloren. 2. Als sogenanntes „Kleid des Sachenrechts“8 sorgte die Gewere für Publizität. Der Träger der Gewere schien zur Rechtsübertragung legitimiert zu sein. Modern ausgedrückt bildete sie einen Rechtsschein für das materielle Sachenrecht. Weitgehend einig ist man sich, dass das germanische Recht eine auf das Eigentum9 gestützte Klage nicht kannte. Es habe auf einer frühen Entwicklungsstufe gestanden, auf welcher der Begriff eines abstrakten dinglichen Rechts noch nicht bekannt gewesen sei10. Da es im Fahrnisrecht keine ideellen Gewere 6 Vgl. nur: Ogris, in: HRG I, Gewere, rechtliche Forschung“. 7 Gierke bei Ogris, in: HRG I, Gewere, 8 Gierke bei Ogris, in: HRG I, Gewere, 9 Im Folgenden wird „Eigentum“ bzw. wendet.

Sp. 1658: „Zentralproblem für die deutschSp. 1659. Sp. 1666. „Eigentümer“ im untechnischen Sinne ver-

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gegeben habe und dadurch mit Verlust der körperlichen Sachherrschaft auch immer ein Verlust der Gewere eingetreten sei, habe sich eine sachverfolgende Klage gegen den neuen Besitzer auch aus der Gewere nicht legitimieren können. Dies war freilich völlig unabhängig davon, ob der Besitz durch freiwillige Weggabe oder Abhandenkommen verloren gegangen war. Für den Fall des Diebstahls oder des Raubes habe dem Geschädigten jedoch die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, mit Hilfe der sogenannten Anefangklage gegen den Entwerer, aber auch gegen jeden dritten Besitzer der Sache, also auch den gutgläubigen Erwerber vom Dieb etc., vorzugehen. Eine solche Klage komme bei freiwilliger Besitzaufgabe dagegen nicht in Betracht. Dem Eigentümer sei dann nur ein Prozess gegen den untreuen Vertrauensmann geblieben, nicht aber gegen den Besitzer, egal ob dieser gut- oder bösgläubig erworben habe11.

b) Erklärungstheorien zum „Hand wahre Hand“ Prinzip Trotz der weitgehenden Einigkeit der älteren Literatur über die grundsätzliche Geltung der Unterscheidung abhanden gekommener und freiwillig weggegebener Sachen bei der Sachverfolgung, entstanden vielfältige Theorien zu deren Begründung. Nur die wichtigsten sollen hier kurz dargestellt werden: aa) Die Publizitätstheorie Unmittelbar am oben beschriebenen Gewerebegriff setzt die sogenannte Publizitätstheorie12 an. Wer die Sache vom Vertrauensmann des Eigentümers erwerbe, sei deshalb gegen eine Inanspruchnahme durch den Eigentümer geschützt, weil der Veräußerer durch das Innehaben der Gewere den Schein erwecke, berechtigt zu sein. Der Eigentümer nehme seinem Recht die Publizitätsform, wenn er es einem anderen anvertraue. Die Legitimationskraft der Gewere gehe damit auf den Vertrauensmann über, sie komme immer dem jeweiligen Gewereinhaber zu13. Ändern könne darin auch der vertragliche Rückgabeanspruch des Anvertrauenden nichts, sei dieser doch nicht nach außen erkennbar. 10 Stobbe, DPrR II, 562; Schultze, FS Dahn I, 58; Planitz, SZ GA 34, 425; Hübner (I. Fn. 4), 18; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 178 m.w. N.; einschränkend Anners (I. Fn. 47), 24, Anm. 29 sowie 146 ff., mit Hinweis auf die Verfolgbarkeit von Gut, welches Handwerkern anvertraut worden ist. 11 Schultze, FS Dahn I, 4 f.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 177 m.w. N.; Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1932; Meister, FS Wach III, 462, 464, 480. 12 Entwickelt von Eugen Huber, weitergebildet durch Otto Gierke und auf die Spitze getrieben von Meyer – vgl. Schultze, FS Dahn I, 1; dagegen treffend: Meister, FS Wach III, 416 ff.: „Sie ist in Wahrheit nicht historisch“. 13 Schultze, FS Dahn I, 1 ff.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Probleme bereitet der Publizitätstheorie besonders die Tatsache, dass an gestohlenen Sachen eine Sachverfolgung möglich war, obwohl auch in diesen Fällen die Legitimationskraft der Gewere für den jeweiligen Veräußerer sprechen musste. Den Diebstahl sah man der Sache ja nicht an. Die Gewere legitimierte den Dieb genauso wie denjenigen, dem die Sache vom Eigentümer überlassen wurde14. Damit scheint die Legitimationswirkung der Gewere keinen geeigneten Ansatzpunkt für eine Unterscheidung bringen zu können. Von den Vertretern der Publizitätstheorie wird auf verschiedene Weise versucht, den Widerspruch zu lösen. Der entschiedenste Verfechter der Publizitätstheorie, H. Meyer, versucht im Anschluss an Huber auch die Diebstahlsfälle mit dem Publizitätsgedanken zu lösen. Gehe die Sache wider Recht und Willen dem Eigentümer verloren, werde diese mit einem offenkundigen vitium behaftet und jeder Dritterwerber habe das dingliche Recht des Betroffenen noch gegen sich gelten lassen müssen. Die Offenkundigkeit des Verlustes sei daraus zu folgern, dass in den engen genossenschaftlichen Verhältnissen des Mittelalters ein Diebstahl oder Raub ohne weiteres jedem bekannt gewesen sein dürfte. Schon das Gerüfte habe dafür hinreichend Sorge getragen. Die Fälle des unbemerkten Diebstahls seien so selten gewesen, dass sie keinen Einfluss fanden15. Als sich später Handel und Verkehr entwickelt hatten, habe man an der Publizität des Verlustes festgehalten, obwohl diese objektiv nicht mehr gegeben gewesen sei. Jeder Verlust durch Raub oder Diebstahl sei als offenkundig präsumiert worden16. Dem hält Schultze entgegen, dass jene Offenkundigkeit schon im frühen Mittelalter17 tatsächlich nicht mehr vorhanden war. Der enge Kreis an Genossen war schon zur Zeit der Rechtsbücher, aus der die deutlichsten Zeugnisse für das „Hand wahre Hand“ Prinzip stammen18, nicht mehr maßgebend. Zudem sei die sachverfolgende Klage auch ohne die Erhebung des Gerüfts möglich gewesen und das Gerüft habe überhaupt nicht den Zweck gehabt eine Wirkung gegenüber eventuellen Dritterwerbern zu erzielen. Es sei dabei allein um die Verfolgung des Diebes im Handhaftverfahren gegangen, an dessen Ende die Wegnahme der Sache stand, wenn es erfolgreich verlaufen war19. Auch bei Nichtgebrauch des Gerüfts, weil etwa keine Spurfolge möglich war, konnte der 14 Meister, FS Wach III, 422: „Wenn aber nur der vom Berechtigten anvertraute Besitz oder, in Zurückführung auf die germanischen Grundgedanken, nur die vom Berechtigten anvertraute Gewere legitimieren soll, so heißt das nichts anderes, als: die Gewere legitimiert nicht.“; Olzen, Jura 1990, 507. 15 Schultze, FS Dahn I, 17. 16 Meyer, bei Schultze, FS Dahn I, 18 f. 17 Schultze, FS Dahn I, 18 „Jene Offenkundigkeit des Verlustes wider Recht und Willen ist schon seit langen Zeiten in Wahrheit nicht mehr vorhanden“; 21 – „. . . mindestens seit der späten merowingischen oder der karolingischen Zeit mit ihren Märkten und Messen“, m.w. N. 18 Dazu näher unten VI. 1. b).

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Eigentümer seine abhanden gekommene Sache beim Dritten verfolgen. Die Publizität des Verlustes sei daher auch zu frühen Zeiten nicht mehr als ein Fiktion gewesen und daher abzulehnen20. In Wahrheit habe sich die unbeschränkte Verfolgbarkeit abhanden gekommener Sachen nicht aus dem Publizitätsgedanken, sondern gerade umgekehrt, „im Kampf mit ihm“21 entwickelt. Sie bedurfte damit einer besonderen Rechtfertigung, die Schultze in seiner Friedensbruchstheorie22 zu finden glaubt. Der Gewerebruch sei danach als Bruch des Rechtsfriedens mit besonderem Schutz ausgestattet worden. Nicht nur die Verfolgung des kriminellen Friedensbrechers selbst habe den Germanen ausgereicht, sondern auch privatrechtlich habe der Bruch des Rechtsfriedens durch Rückgabe der Sache geheilt werden müssen23. Bei verlorenen Sachen liege der Bruch des Rechtsfriedens im Verschweigen des Fundes, welches einem Diebstahl gleich behandelt wurde24. bb) Die Erwerbstheorie von Zycha Einen gegensätzlichen Ansatz wählt Zycha25. Anders als die herrschende Auffassung sieht er nicht in der Nichtverfolgbarkeit der veräußerten anvertrauten Sache die zu rechtfertigende Ausnahme, sondern umgekehrt in der Verfolgbarkeit der vom Dieb erworbenen Sache. Er geht zunächst von der Prämisse aus, dass im frühen Recht sämtliche Klagen strafrechtlichen Charakter hatten26. Eine Sachverfolgung ohne deliktischen Hintergrund sei schon deshalb nicht möglich gewesen, weil die bisherige dingliche Berechtigung27 untergehe, sobald 19 Schultze, FS Dahn I, 23, 24: „Hiernach hatte das Gerüfte bei handhafter Diebestat die Ergreifung und dann die Überführung und sofortige Aburteilung des Diebes im Auge. Es war gegen den Dieb gerichtet“. 20 Schultze, FS Dahn I, 22, 28; Schultze, Die Bedeutung des Zuges auf den Gewähren im Anefangsverfahren (1911), 787 ff.; ablehnend auch Planitz, SZ GA 34, 425; Hübner (I. Fn. 4), 19 f., der diesbezüglich von einer „Überschätzung der Publizitätsfunktion“ spricht. 21 Schultze, FS Dahn I, 20. 22 Zustimmend Hübner (I. Fn. 4), 18, 20 – Versuch einer „Friedensordnung“; dagegen: Planitz, SZ GA 34, 426; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 179; Ercklentz (I. Fn. 4), 49, der jedoch selbst als Begründung für die uneingeschränkte Verfolgbarkeit abhanden gekommener Sachen nur einen „allgemeinen Grundsatz der Menschheit“ anführen kann. 23 Schultze, FS Dahn I, 58; (V. Fn. 20), 792: „In dem Streben nach Auslöschen der Deliktsfolgen findet die zivilistische Herausgabepflicht jedes dritten Inhabers der gestohlenen Fahrhabe ihre ausreichende Rechtfertigung.“ 24 Schultze, FS Dahn I, 60; vgl. dazu auch L. Rib. 75 sowie unten V. 3. f) aa). 25 Zycha, Eigentumsverfolgung und Verkehrsschutz bei Fahrnis nach dem schweizerischen Civilgesetz-Entwurfe, ZSR 44 (1903), 74 ff., (112 ff.). 26 Zycha, ZSR 44, 113. 27 Zycha bezeichnet diese als „historisch germanisches Eigentum“ und stellt dieses dem „römischen Eigentum“ gegenüber; anders als das letztere entfalte das „germani-

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ein Dritter die Sache straflos erwerbe28. Ausgehend davon bedürfe es einer Erklärung, weshalb Fahrnis auch in Händen von Dritten verfolgt werden dürfe, welche ohne eigenes furtum vom Dieb erworben haben. Die Antwort ergebe sich aus dem Verfahren selbst. Der Kläger verlange vom Besitzer nichts weiter als „missio in tertium manum“, die Aushändigung der Sache an den Gewähren29. Durch den Zwang zur schrittweisen Rückstellung der Sache gegen Rückzahlung des Kaufpreises, werde auf natürlichem Wege eine Situation wiederhergestellt, die dem Kläger die Diebstahlsverfolgung beim eigentlichen Dieb ermöglicht30. Die Verfolgung der Sache in Dritter Hand im Falle des unfreiwilligen Verlustes, sei daher nicht als „Wirkung des Eigentums“, sondern als bloße Folge der Diebstahlsabwicklung zu erfassen. cc) Fehlen einer Klage in den Unterschlagungsfällen Insbesondere die Gegner der Publizitätstheorie versuchen den Ausschluss der Sachverfolgung bei mangelndem Gewerebruch mit Besonderheiten des germanischen Prozessrechts zu erklären. Es habe einfach an einer Klage gefehlt, welche in diesen Fällen dem Sachverfolger zur Verfügung stand. Der Eigentümer habe keine prozessuale Handhabe gegen den Dritterwerber gehabt, weder aus Delikt, noch aus Vertrag, noch aus seinem dinglichen Recht31. Es sei also nicht so gewesen, dass der Erwerber vom Vertrauensmann vor einer Klage des Eigentümers geschützt gewesen sei, weil er auf den von der Gewere erzeugten Rechtsschein vertrauen durfte (Publizitätstheorie), vielmehr sei eine solche Klage von vornherein mangels Grundlage nicht in Betracht gekommen32. Die Begründung wird von verschiedenen Blickwinkeln her in Angriff genommen.

sche Eigentum“ seinen Charakter als absolutes Recht nur gegenüber demjenigen, dessen Angriff als strafwürdig erscheine, ZSR 44, 113. 28 Zycha, ZSR 44, 113 f., Anm. 79; Schultze, FS Dahn I, 10 ff., macht aus dem straflosen Erwerb einfach einen „redlichen Erwerb“ und drückt damit der Theorie Zychas einen Stempel auf, den diese auch in späterer Kritik nicht wieder loswurde. So meinte Ercklentz (I. Fn. 4), 40, dass Zycha im guten Glauben des Erwerbers den Grund für das „Hand wahre Hand“ Prinzip gesehen habe. Zychas Aufsatz ist jedoch nicht zu entnehmen, dass er die bona fides des Erwerbers als tragenden Grund für den Ausschluss der Sachverfolgung ansieht, wie ihm dies von Schultze und vor allem Ercklentz unterstellt wird. 29 Zycha, ZSR 44, 116: „Herausgabe an den Kläger zu begehren ist ausgeschlossen, denn sein Recht wirkt nicht gegen den rechtmäßigen Erwerber; er kann nur beanspruchen, dass dieser jene Vorbedingungen herstelle, die ihm sein Recht gegen den Dieb durchzusetzen gestatten.“ 30 Zycha, ZSR 44, 116. Die Sache fällt durch den Gewährenzug auf den Dieb zurück und ermöglicht dem Kläger, sie dort vorzufinden und die Diebstahlsfolgen auszulösen. 31 Meister, FS Wach III, 435 f.; Planitz, SZ GA 34, 425 ff.; Olzen, Jura 1990, 507. 32 Planitz, SZ GA 34, 425.

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Meister33 rollt die Problematik von der Frage nach dem Grund für den Ausschluss der Klage gegen den Erwerber her auf und sieht in zwei zusammenwirkenden Gesichtspunkten die maßgebenden Erwägungen: Zum einen habe das deutsche Recht zwar dingliche Rechte, nicht aber auch dingliche Ansprüche bzw. Klagen gekannt34. Das dingliche Recht selbst sei nie als verletzt angesehen worden. Die Einsicht seiner Verletzbarkeit und des damit verbundenen Bedürfnisses an Schutz, sei dem deutschen Rechtsbewusstsein anders als dem römischen fremd gewesen35, so dass daraus auch keine Klage resultieren konnte. Zum anderen sei der Erwerber vom Vertrauensmann nach deutschem Recht nicht als unrechtmäßiger Besitzer angesehen worden. Der Sache habe in diesen Fällen nicht der Makel einer Missetat angehaftet, da die Unterschlagung nicht als Delikt betrachtet worden sei36. So sei nur der Bruch der Gewere, nicht auch die Verletzung des dinglichen Rechts durch Unterschlagung als Delikt betrachtet worden. Nur im ersteren Fall sei daher auch die Anefangklage zulässig gewesen. Planitz37 geht es umgekehrt gerade darum, weshalb wider Willen und unberechtigt entzogene Fahrnis in der Hand jedes Dritten verfolgbar ist. Er sieht im Anefang die Fortgestaltung des Spurfolgeverfahrens. Ausgangspunkt sei der Fall gewesen, dass der Bestohlene auf der Verfolgung des Diebes die Sache erst nach einer gewissen Frist findet38. Dann konnte es gut sein, dass der Besitzer nicht tatsächlich der Dieb war sondern bereits ein Zwischenerwerb stattgefunden hatte. Daher habe man zur Verteidigung den Gewährenzug zugelassen39. Die Entwicklung sei dabei jedoch nicht stehengeblieben. Auch wenn eine Spurfolge nicht stattgefunden hatte, etwa weil keine Spuren vorhanden waren oder 33

Meister, FS Wach III, 407 ff., dazu kritisch Stutz, SZ GA 34, 727 ff. Meister, FS Wach III, 436 ff., 442: „Die Existenz dinglicher Rechte im Rechtssystem schließt keineswegs in sich die Existenz dinglicher Ansprüche und Klagen.“; 448 f.: „Damit ist festgestellt, daß alle Klagen um Fahrnis, mag es sich um unfreiwillig verlorene, freiwillig aus der Hand gegebene oder vertragsmäßig angeschaffte Mobilien handeln, nicht dingliche Klagen sind, vielmehr persönliche oder Klagen aus dem Besitz.“; 476: „Der Satz „Hand wahre Hand“ ist nicht auf Gewerewirkungen zurückzuführen, bedeutet nicht Anspruchsverlust trotz Verletzung des dinglichen Rechts, sondern Fehlen jedes dinglichen Anspruchs wegen Unverletzlichkeit des dinglichen Rechts.“ 35 Meister, FS Wach III, 453 f.; 468; zustimmend van Apeldoorn, Mobilia non habent sequelam, TR 11, 170. 36 Meister, FS Wach III, 454 ff., 464 f., 470; zustimmend Hübner (I. Fn. 4), 19; van Apeldoorn, TR 11, 170: „Nicht das Publicitätsprinzip, oder das Prinzip der Verkehrssicherheit erklärt den Ursprung des Grundsatzes „mobilia non habent sequelam“. Die Erklärung liegt in der Tatsache, dass das Recht ursprünglich keine anderen Klagen kennt als nur Klagen aus Delikt und keine anderen Vermögensdelikte als Diebstahl und Raub.“ 37 Planitz, SZ GA 34, 425 ff. 38 Planitz, SZ GA 34, 428. 39 Planitz, SZ GA 34, 428, mit Hinweis auf L. Sal. 37. 34

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der Verlust zu spät entdeckt wurde, gab man dem Bestohlenen bei Auffinden des Diebesgutes die Möglichkeit, Hand an die Sache zu legen und den Inhaber aufzufordern zu erklären, wie er an die Sache gekommen war. Dieser Aufforderung habe der Besitzer durch Benennung seines Gewähren ebenso nachkommen müssen, wie in dem Fall, dass die Sache nach einiger Zeit durch Spurfolge bei ihm gefunden wurde. Nicht materielle Erwägungen sondern bloße prozessrechtliche Entwicklungen seien daher für die Verfolgbarkeit gestohlener Sachen verantwortlich40. Für den Fall der Unterschlagung habe sich ein ähnliches Verfahren nicht entwickeln können. Der Eigentümer nehme in diesen Fällen regelmäßig nicht rechtzeitig Notiz, um eine Spurfolge einzuleiten. Bei Diebstahl vom Vertrauensmann wird dieser und nicht der Eigentümer die Spurfolge vorgenommen haben und stand damit im Prozess.41 dd) Die Theorie mangelnder Notwendigkeit Eine weitere, in neuerer Zeit wieder aufgegriffene Auffassung42, geht davon aus, dass für ein Klagerecht bei freiwilliger Gewereaufgabe keine Notwendigkeit bestanden habe, da derartige Sachverhalte sehr selten gewesen seien. Außerhalb der Sippe sei es nur in wenigen Fällen zu Gebrauchsüberlassungen gekommen. Innerhalb der Gemeinschaft sollen die Überlassungen entweder nicht zum Streit geführt haben oder schon durch die schweren Strafen bei Vertragsbruch reguliert worden sein43. Erst mit stärker werdender Öffnung der Sippe nach außen und mit steigendem Warenverkehr sei der Konflikt offen hervorgetreten. Bei der dann erforderlichen Regelung der Situation habe die bisherige Nichtexistenz einer entsprechenden Klage eine gewisse Rolle gespielt44. 40

Planitz, SZ GA 34, 429; zustimmend van Apeldoorn, TR 11, 168. Vgl. zur Aktivlegitimation des Vertrauensmannes V. 3. f) bb). 42 Anners (I. Fn. 47), 25 ff., 362 ff. Schon Heusler, Die Beschränkung der Eigenthumsverfolgung bei Fahrhabe und ihr Motiv im deutschen Rechte, Basel 1871, 6 ff., hatte aus der Einfachheit der Verhältnisse auf einen Mangel an einem praktischen Bedürfnis für die unbeschränkte Mobiliarverfolgung geschlossen. Zustimmend: Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1932 f.; Hübner (I. Fn. 4), 21; Huwiler, FS Bader (1986), 77 f. Dagegen: Meister, FS Wach III, 426 ff.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 183. 43 Anners (I. Fn. 47), 25 ff., 362 ff.: „Wenn nämlich Eigentümer und Vertrauensmann derselben Sippe angehörten, konnte der Eigentümer nicht das Thing – d.h. andere Sippen – um Beistand gegen den eigenen Sippengenossen anrufen. Was zwischen ihm und seinem Vertrauensmann vorgefallen war, ging die eigene Sippe an. . . . Gehörten dagegen der Vertrauensmann und der Erwerber einer und derselben Sippe an, so bestand ein Anspruch seitens des Eigentümers und seiner Sippe auf Wiedererlangung des Gutes, ein Anspruch der die ganze Sippe des Vertrauensmannes involvierte – also auch den Erwerber.“; Huwiler, FS Bader (1986), 77 f.; Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1932 f.; Olzen, Jura 1990, 507. Dagegen: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 183. 44 Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1932 f. 41

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ee) Stellungnahme Die hier in ihren Grundzügen aufgezeigten verschiedenen Theorien zur „Hand wahre Hand“ Regel setzen mit Ausnahme der letztgenannten45 deren Geltung als „urgermanisches Prinzip“ voraus46. Problematisch erscheint dies deshalb, weil sichere Belege für die Unverfolgbarkeit anvertrauter Sachen erst aus der Zeit der Rechtsbücher überliefert sind47. Zu diesem Zeitpunkt waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch ganz andere als zu der Zeit, auf die man die „Hand wahre Hand“ Regelung schließlich zurückführt. Soll ein Prinzip aus einer von der Entwicklung der mittelalterlichen Stadt, sowie Märkten und Messen geprägten Zeit, wirklich auf das von Sippen- und Bauerntum geprägte germanische Gewohnheits- bzw. Stammesrecht zurückgehen? Dieser Schluss liegt eigentlich nicht sehr nahe. Dennoch hat man ihn unter Einfluss des Gedankens vielfach gezogen, dass eine Regelung des germanischen Rechts umso deutlicher hervortreten müsse, je weiter man in der Zeit zurückgehe48. In dieser Denkweise offenbart sich ein weiteres Problem. Unweigerlich ist man versucht, gerade das Recht der leges barbarorum in die Kategorie „römisch“ oder aber „germanisch“ einzuordnen. Widerspricht eine Regelung dem römischen Denken, kann sie nur altgermanischen Ursprungs sein, und umgekehrt. Eine solche Betrachtungsweise kann leicht dazu führen, einen Blick für den Volksrechten eigene Neugestaltungen zu verlieren.

c) Zweifel an der Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips in den Volksrechten In neuerer Zeit wurden verschiedenerseits deutliche Zweifel an einer generellen Beschränkung der Sachverfolgung auf abhanden gekommene Sachen in den leges barbarorum geäußert. So kam bereits Scherner in seiner Arbeit über Salmannschaft, Servusgeschäft und venditio iusta aus dem Jahre 1971 zu dem Schluss, dass die einzig positive Stütze des „Hand wahre Hand“ Prinzips, die Ausschließlichkeit des Anefangs, bei eingehender Betrachtung der fränkischen und bayrischen Quellen wegfalle49. Nach Untersuchung der westgotischen 45 Anners unterstellt kein „Hand wahre Hand“ Prinzip für die ältere Zeit, sondern geht von einer Lücke aus. 46 Stobbe, DPrR II, 561; Schultze, FS Dahn I, 4 f.; Schröder (V. Fn. 3), 407 f., 777 m.w. N.; Conrad (V. Fn. 3), 432 m.w. N.; Meister, FS Wach III, 428 f.; van Apeldoorn, TR 11, 142, 150; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 177 m.w. N. in Anm. 289; sowie die bei Völkl, SZ RA 110, Anm. 56 Genannten. 47 Ssp. LR II, 60, 1; siehe dazu unten VI. 1. b). Die Regel selbst findet sich unmittelbar ausgesprochen nur vereinzelt und auch erst viel später in norddeutschen Rechtsquellen wieder, so im Rev. Lüb. Recht von 1586, III, 2, 1 – Näheres bei: Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1929 f. 48 Kritisch dazu: Völkl, SZ RA 110, 440.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Quellen folgerte Völkl in einem 1993 veröffentlichten Aufsatz, dass die Lehre, nach der die Fahrnisverfolgung ganz verschiedene Wege ging, je nachdem, ob der Besitz freiwillig oder unfreiwillig verloren worden war, zumindest für die älteste Zeit verworfen werden könne. Es existiere in den Volksrechten kein Beweis für eine solche Beschränkung, sehr wohl sei aber das Gegenteil bezeugt50. Vor diesen Autoren hatte bereits Anners in einer dem nordgermanischen Recht gewidmeten Arbeit zum „Hand wahre Hand“ Prinzip Zweifel an dessen germanischer Ursprünglichkeit geäußert. Schon der Satz des norwegischen Gulatingrechtes, der in das Landrecht Magnus Lagaböters aufgenommen wurde, wonach der Eigentümer einer verkauften verliehenen Sache wählen kann, ob er sich an den Verleiher oder den Käufer halten will, spreche gegen eine einheitliche urgermanische Doktrin51. Anners sieht in der Beschränkung der Sachverfolgung eine Schöpfung des Mittelalters, bedingt durch die Interessen der herrschenden Schicht von Bürgern und Feudalherren. Für die hier zu untersuchende Zeit nimmt er das Vorliegen einer Lücke an, die aus mangelndem Regelungsbedarf resultiere52. Weit vor ihm musste schon Stobbe erkennen, dass „die ältesten Quellen“ das „Hand wahre Hand“ Prinzip nicht ausdrücklich zum Ausdruck bringen. Dennoch glaubte er, entsprechend der herrschenden Auffassung seiner Zeit, den Ausschluss der Verfolgbarkeit anvertrauten Gutes in dritter Hand auch ohne ausdrückliche Belege annehmen zu dürfen53. Sicher schien sich Stobbe jedoch nicht zu sein, erkannte er doch selbst in verschiedenen Volksrechten Stellen, die der Regel widersprechen. So seien sowohl in CE 289, L. Rib. 72, 1 sowie L. Bai. XVI, 4 Regelungen enthalten, nach denen der Verkauf anvertrauter Sachen dem Diebstahl gleich zu stehen und eine Verfolgung in dritter Hand damit möglich scheint54. Hier setzt die nachfolgende Untersuchung an.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen Im Folgenden werden die einschlägigen Stellen des westgotischen, fränkischen und bayrischen Rechts erörtert. Soweit es sinnvoll erscheint, bleiben 49

Scherner (V. Fn. 3), 174. Völkl, SZ RA 110, 440 f. 51 Anners (I. Fn. 47), 15. 52 Anners (I. Fn. 47), 28 ff. 53 Stobbe, DPrR II, 561; ähnlich: Schultze, FS Dahn I, 4 f. 54 Stobbe, DPrR II, 561, Anm. 5 – der Bearbeiter der 3. Auflage, Lehmann, „korrigierte“ Stobbes Bedenken, indem er ausführt, die drei genannten Stellen würden die Auffassung von der Verfolgbarkeit veruntreuter Sachen nicht stützen – dazu Völkl, SZ RA 110, Anm. 58; Brunner, RG II, 670, räumt dem westgotischen Recht eine „Sonderstellung“ ein; van Apeldoorn, TR 11, 141, bezeichnet die Ausnahmestellung des westgotischen Rechts sogar als „herrschende Auffassung“, spricht ihr wegen des römischen Einflusses jedoch jegliche Bedeutung für das germanische Recht ab; zu L. Rib. 72, 1 schweigen die beiden letztgenannten Autoren. 50

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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theoretische Betrachtungen zur Auseinandersetzung mit den oben dargestellten Theorien zunächst außen vor. Dies wird im Anschluss an die Quellenanalyse nachgeholt.

a) Das westgotische Recht CE 28955 „Quoties de vindita re contentio (comm)ovetur, si alienam fuisse constite(rit n)ullum domino praeiudicium conpare(tur. E)t domino qui vendere aliena praesu(mserit d)uplum cogatur exsolvere, nihilomi(nus e)mptori quod accepit praetium redditurus; et quidquid ad (con)parate rei prof(ectum) studio sua utilitatis emptor adiec(erit), a locorum iudicibus estimetur, et ei, (qui la)borasse cognoscitur, a venditore iu(ris alie)ni satisfactio iusta reddatur.“56 So oft sich über eine verkaufte Sache ein Streit erhebt, von der feststeht, daß sie einem Dritten gehört, soll diesem Eigentümer kein Schaden erwachsen. Dem Eigentümer soll, wer sich unterfangen hat, fremdes Gut zu verkaufen, das Doppelte zu leisten gezwungen werden und nichtsdestoweniger soll er dem Käufer den empfangenen Kaufpreis zurückgeben; und was der Käufer zum Nutzen der verkauften Sache um seines Vorteils willen hinzugefügt hat, das werde von den Ortsrichtern geschätzt und dem, der die Arbeit geleistet hat, werde vom Verkäufer der fremden Sache gerechter Ersatz geleistet.57

aa) Herkunft und Überlieferung des Textes Die Quelle ist durch die sogenannten Pariser Fragmente in einem Palimpsest erhalten. Sie ist Teil des Bruchstücks einer Kodifikation westgotischen Ursprungs, die schon wegen des Alters der Handschrift nicht vor Rekkared I (586–601) anzusiedeln ist58. Nach der Einordnung von Zeumer in die Regierungszeit Königs Eurich (466–484) wird die Kodifikation als Codex Euricianus (CE) bezeichnet59. Unser Text befindet sich unter dem Titel „de venditionibus“, der die cap. 286–304 umfasst60.

55 Zur Entstehung und der umstrittenen Datierung vgl. die Ausführungen bei Völkl, SZ RA 110, 428 ff., sowie bei Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1966 ff. 56 Dieser und die folgenden nicht besonders gekennzeichneten westgotischen Texte sind der Ausgabe von Wohlhaupter, Germanenrechte Band 11, Gesetze der Westgoten (1936), entnommen. 57 Bei der Übersetzung dieses und der folgenden westgotischen Texte wurde die zweisprachige Ausgabe von Wohlhaupter (V. Fn. 56) herangezogen. 58 Daher auch die Bezeichnung bei Stobbe, DPrR II, als Ant. Reccar. 289. 59 Wohlhaupter (V. Fn. 56), X ff.; Völkl, SZ RA 110, 428. 60 Völkl, SZ RA 110, 433.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

bb) Streit um den zu Grunde liegenden Sachverhalt Schon um die konkrete Ausgestaltung des Falles, zu dem in der Quelle Stellung genommen wird, herrscht Uneinigkeit. (1) Ansicht von Levy Levy61 stellt sich Folgendes vor: Der dominus hat den Besitz an der Sache unfreiwillig verloren und diese dann beim emptor wiedergefunden, den er sogleich mit der Anefangklage in Anspruch nimmt. Zur Verteidigung stellt der Käufer erfolgreich seinen Gewähren und kann den Prozess auf diesen abwälzen. Dem Verkäufer gelingt dies jedoch nicht. Nicht einmal den Diebstahlsverdacht kann er von sich wenden. Er muss daher die Sache an den dominus herausgeben und den emptor durch Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz der Verwendungen entschädigen. (2) Ansicht von Schultze Schultze ist der Auffassung, die Quelle beziehe sich ausschließlich auf Liegenschaften62, und nimmt ihr damit jegliche Aussagekraft für unsere Problematik. (3) Ansicht von d’Ors Anders als die Vorgenannten betrachtet d’Ors63 den Text nicht aus germanischer sondern römischer Sicht und stellt sich eine im Text nicht erwähnte Vindikation des Eigentümers gegen den Besitzer vor. Aufgrund der Vindikation erfolge eine Herausgabe der Sache, was einen Gewährleistungsanspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf Rückgabe des Kaufpreises und Aufwendungsersatz mit sich bringe. Zudem müsse der Verkäufer dem Eigentümer das duplum ersetzen, weil er entweder einen Diebstahl oder eine Unterschlagung begangen habe. Dazu bedürfe es noch einer actio furti des Eigentümers. (4) Stellungnahme Gegen Levy ist einzuwenden, dass von einem Abhandenkommen der Sache in der Quelle gerade keine Rede ist64. Offensichtlich geht Levy unkritisch von der 61

Levy bei Völkl, SZ RA 110, 433, Anm. 45. Schultze, FS Dahn I, 5 ff.; dagegen Brunner/Schwerin, RG II, 670; Völkl, SZ RA 110, 434, Anm. 33. 63 D’Ors bei Völkl, SZ RA 110, 434, Anm. 3, 34. 64 Völkl, SZ RA 110, 437, 459 ff. 62

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seinerzeit absolut herrschenden Auffassung aus, nur der bestohlene Eigentümer könne seine Sache beim Dritten verfolgen – „Hand wahre Hand“. Anders lässt sich das unbegründete Hereinlesen des unfreiwilligen Besitzverlustes nicht erklären. Es wird in der Quelle ja nicht einmal angedeutet, auf welche Weise der dominus seine Sache verloren hat. Will man aus der Bezeichnung der Sache als „res aliena“ ein Anzeichen für die Art des Besitzverlustes herleiten, so führt die Gegenüberstellung mit der in den Diebstahlfällen gebräuchlichen Bezeichnung „res furtiva“ sogar zu einem Gegenargument65. In CE 289 ist nur von einer fremden und nicht von einer furtiven Sache die Rede. Die Ergänzung des Sachverhaltes um ein unfreiwilliges Abhandenkommen ist zur Beantwortung unserer Ausgangsfrage schon deshalb problematisch, da man sich den Vorwurf einer petitio prinzipii gefallen lassen müsste, wollte man die generelle Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips in den Volksrechten darauf stützen, ein Abhandenkommen in die widersprechenden Stellen ohne eigenständige Begründung66 hineinzulesen. Levys Interpretation ist daher abzulehnen. Ähnliches gilt für die von Schultze vorgeschlagene Beschränkung des Anwendungsbereiches auf das Liegenschaftsrecht. Dahinter steht offen der Gedanke, die Quelle könne sich nicht auf bewegliche Sachen beziehen, da diesbezüglich das „Hand wahre Hand“ Prinzip gegolten habe. Die Bezeichnung des Streitgegenstandes als „res aliena“ meint Schultze mit der Bemerkung beiseite schieben zu können, dass der Ausdruck „res“ sehr häufig auch für Liegenschaften verwandt wurde67. Selbst wenn dies zutrifft, kann daraus jedoch nicht auch auf die Unanwendbarkeit für bewegliche Sachen geschlossen werden. Dass die Bezeichnung „res“ für letztere gerade typisch ist, kann wohl nicht bestritten werden. Ebenso geben die Formulierungen der Quelle hinsichtlich des Aufwendungsersatzes68 nichts für eine Einschränkung des Anwendungsbereiches her. Auch einer beweglichen Sache kann etwas Nützliches durch Arbeit hinzugefügt werden, das es im Restitutionsfall zu ersetzen gilt. Wahrscheinlich ist eher, dass CE 289 nicht zwischen Mobilien und Immobilien unterschied, sondern auf beide anwendbar war69. Auch die Auffassung d’Ors hat Schwächen. Er versucht das Fragment vollumfänglich aus römischem Recht zu erklären und erkennt den germanischen 65

Völkl, SZ RA 110, 459 f. Oder eben nur mit der Berufung auf das „Hand wahre Hand“ Prinzip bzw. dessen gedanklicher Grundlage in der Beschränkung der Sachverfolgung auf abhanden gekommene Sachen. 67 Schultze, FS Dahn I, 5, Anm. 10. 68 Schultze, FS Dahn I, 5, Anm. 10, meint, aus den Formulierungen „adiecerit“; „laborasse cognoscitur“ auf die Beschränkung auf Grundstücke schließen zu können. 69 So auch Wieacker, Vulgarismus und Klassizismus im Recht der Spätantike (1955), 37. Völkl, SZ RA 110, 434, Anm. 32 f. schränkt den Anwendungsbereich nur für Sklaven ein. 66

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Rechtsvorstellungen im CE fast jede Bedeutung ab. Dies hat Nehlsen dazu veranlasst, d’Ors vorzuwerfen, er ersetze die von ihm bekämpften germanischen Vorurteile durch entsprechende romanistische70. Völkl wendet gegen d’Ors ein, es gebe auf die vorausgesetzte Vindikation des Eigentümers gegen den Besitzer keinen Hinweis in dem Fragment. Ein solcher könne insbesondere nicht in der Formulierung „nullum domino praeiudicium fiat“ gesehen werden. Dies bedeutet nämlich tatsächlich lediglich, dass dem Eigentümer kein Schaden entstehen soll, nicht aber, dass der Eigentümer sein Recht nicht verliert71. Die leicht geänderte Fassung des Textes in der L. Vis. V, 4, 8 „nullum emptori praeiudicium fiat“72 beweist dies mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. Für den Käufer wäre ein Verständnis dahingehend, dass er keinen Rechtsverlust erleide, offensichtlich sinnlos. Problematisch ist bei Heranziehung des römischen Rechts vor allem, weshalb der Käufer als Gewährleistung nach der erfolgreichen Vindikation vom Verkäufer nur den Kaufpreis zurückerhält, nicht aber ein duplum. Im nachklassischen Recht haftete der Verkäufer im Westen des römischen Reiches immer auf die Erstattung des doppelten Kaufpreises, ohne Unterschied, ob die Haftung durch eine entsprechende Stipulation ausdrücklich übernommen worden war, oder nicht73. Die in CE 289 beschriebene einfache Rückerstattung des Kaufpreises entspricht nicht römischem Recht. Dagegen ist diese Praxis ein wichtiger Bestandteil des germanischen Gewährenzuges. Gelingt dem Besitzer der Zug auf den Gewähren, muss er diesem zwar die Sache herausgeben, erhält dafür aber den einfachen Kaufpreis zurück, wenn der Gewähre die Sache dem Kläger herausgeben muss74. Anders als im römischen Recht geht es dabei nicht um eine Haftung des Verkäufers für die Entwehrung, sondern um bloße einfache Rückabwicklung, die in CE 289 treffend mit den Worten „praetium redditurus“ beschrieben wird. Die Quelle selbst sagt über den zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht mehr aus, als dass ein Verkauf stattgefunden hat, die Sache sich nachher als fremde erwies und ein Streit über die Sache entbrannt ist. Der Veräußerer muss dem 70

Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1975. Völkl, SZ RA 110, 435 m.w. N.; in diesem Sinne auch die Übersetzung bei Wohlhaupter (V. Fn. 56), 15. 72 Vgl. dazu unten V. 2. a) ee). 73 Kaser, RP II, 390, mit dem Hinweis auf die Interpretationen zu den Paulussentenzen 2, 17, I; Völkl, SZ RA 110, 435 m.w. N. 74 Ausführlich zur Herkunft des simplum: Völkl, SZ RA 110, 473 ff. Ein duplum zugunsten des Käufers findet sich in CE 290 für den Fall, dass ein als Sklave verkaufter Freier seine Freiheit beweisen kann. Völkl, SZ RA 110, 487, will den Widerspruch zu CE 289 mit einer Sonderregelung für Sklaven lösen. Möglich erscheint mir auch, dass die Übernahme des römischen duplum in CE 290 darin begründet liegt, dass im dortigen Fall gerade kein Gewährenzug stattfand – der Sklave war ja nicht fremd sondern als Freier dem Verkehr entzogen – damit kollidierte das römische duplum auch nicht mit der den Germanen vertrauten Rückerstattung des einfachen Kaufpreises und konnte leichter übernommen werden. 71

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Eigentümer in diesem Fall das duplum zahlen, sowie dem Käufer den Kaufpreis und dessen Aufwendungen auf die Sache nach Schätzung durch die Ortsrichter erstatten. Zweierlei fällt sofort ins Auge. Zum einem erfolgt offensichtlich eine Rückabwicklung des Kaufes75, zum anderen findet diese Rückabwicklung zu Lasten des Veräußerers statt, der zusätzlich noch das duplum zu leisten hat. Damit müssen schon jene Fallgruppen ausscheiden, in denen der Verkäufer gutgläubig ist, weil er die res aliena etwa selbst ohne Kenntnis der Nichtberechtigung von einem anderen erworben hatte. Wüsste der Veräußerer nichts von der Fremdheit der Sache, dann wäre die ihm auferlegte duplum Haftung gegenüber dem Eigentümer nicht zu rechtfertigen. Selbst nach dem sehr weiten furtum Begriff des klassischen römischen Rechts war vorsätzliches Handeln erforderlich. Es ist nicht anzunehmen, dass die Westgoten auch dem gutgläubigen Veräußerer die Diebstahlsbuße auferlegten76. Die Wendung „qui vendere aliena praesumserit“ in CE 289 sowie die Überschrift der Nachfolgenorm in L. Vis. V, 4, 8 „De his qui aliena vendere vel donare presumserint“ lassen deutlich erkennen, worin die dem venditor vorgeworfene Missetat liegt. Es ist der Verkauf der „res aliena“, der ihm zur Last gelegt wird. Allein daraus rechtfertigt sich seine Haftung auf das duplum. Damit liegt das haftungsbegründende Delikt im wissentlichen Verkauf der fremden Sache und nicht in einem unerwähnt gebliebenen Diebstahl77, wie es Levys Auffassung entspräche. Völkl führt überzeugend aus, dass der Verkäufer nicht auch Dieb sein kann, weil dann das Delikt nicht im Verkauf sondern schon im Diebstahl gesehen worden wäre. Die anschließende Veräußerung wäre – modern ausgedrückt – bloße unbestrafte Nachtat. Ebenso kann der Verkäufer nicht Hehler sein, weil dann der An- und nicht der Verkauf das entscheidende Delikt gewesen wäre. Gleiches gilt für die Fälle des Fundes einer fremden Sache. Die Missetat besteht dann schon im heimlichen Ansichnehmen und Behalten der Sache, ohne öffentlich Anzeige zu erstatten78. Als gedankliche Grundlage der Verfasser des CE 289 bleibt danach nur die Konstellation übrig, dass der Eigentümer die Sache dem späteren Veräußerer anvertraut hat, dieser sich jedoch als 75

Siehe dazu näher unten V. 2. a) cc). Nach der Antiqua in L. Vis. VII, 2, 9 steht einem Dieb nur gleich, wer wissentlich Diebesgut erworben hat: „. . . quia apparet illum furi esse similem, qui rem furtivam sciens conparasse cognoscitur.“ Allgemein zum duplum als Diebstahlsbuße des CE, Völkl, SZ RA 110, 462 m.w. N. Das vom Dieb zu entrichtende duplum passt gut zur Pflicht des Eigentümers, den Anzeiger des Diebstahls mit dem Sachwert zu entschädigen, L. Vis. VII, 1, 4. Müsste der Dieb nur die Sache zurückgeben, bliebe der Eigentümer auf der Entschädigung des Anzeigers sitzen. Damit könnte die Buße zur Refinanzierung der Fremdanzeige gedient haben. War der Dieb vermögenslos und musste hingerichtet werden, bekommt der Anzeiger nur 1/3 des Sachwertes. Die Pflicht zur vollen Entschädigung des Anzeigers war durch tatsächlichen Erhalt der Buße bedingt. 77 Völkl, SZ RA 110, 461. 78 Für das fränkische Recht ist dies ausdrücklich belegt, vgl. L. Rib. 75. 76

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untreu erwies und die Sache verkaufte79. Derlei Situationen dürften zur Zeit des CE auch durchaus eine gewisse praktische Relevanz gehabt haben. Unmittelbar vor dem Titel „de venditionibus“, in dem unser Fragment 289 enthalten ist, behandelt der Codex den Titel „De commendatis vel commodatis“. Das Verleihen und Anvertrauen von Sachen – wie z. B. Pferden (CE 278, 279); Gold, Silber, Schmuck oder Früchten (CE 280) – war den Westgoten ein bekanntes Geschäft, das sie in ihrem wohl ältesten Gesetzbuch80 unter einem eigenen Titel regelten. Schon eine kurze Durchsicht dieses Titels ergibt, dass er zwar Regelungen über den Untergang der anvertrauten Sache enthält81, nicht aber deren unberechtigten Verkauf regelt. Es liegt nahe, diese Problematik im unmittelbar angrenzenden Titel über die Verkäufe folgen zu lassen. Im Vordergrund der Regelung stand dabei die Rückabwicklung im Dreierverhältnis. Betroffen sind anders als im vorhergehenden Titel nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen Anvertrauendem und Vertrauensmann sondern zudem auch Interessen des Käufers. Dies macht eine Einordnung unter „De venditionibus“ ebenso verständlich wie sinnvoll. cc) Die Rückabwicklung wissentlich unbefugter Veräußerungen Nach dem Wortlaut der Quelle muss der Veräußerer dem Eigentümer lediglich das duplum ersetzen. Ein direkter Hinweis auf eine Restitution der Sache findet sich nicht. Dennoch wird man annehmen dürfen, dass zumindest die den Verfassern des CE vorschwebende Idealabwicklung von einer tatsächlichen Rückgabe der Sache an den Eigentümer ausgegangen ist82. Dafür lässt sich zunächst anführen, dass dem Käufer sowohl der empfangene Kaufpreis als auch seine Verwendungen auf die Sache83 vom Veräußerer zu ersetzen sind. Die Pflicht zum Aufwendungsersatz ist allein dann sinnvoll, wenn der Käufer die Sache dem Veräußerer herausgibt. Da die Sache nicht mehr in seinem Besitz bleibt, kann er neben der Rückerstattung des Kaufpreises auch für seine Aufwendungen Ersatz verlangen. Das Geschäft wird zwischen emptor und venditor 79 Völkl, SZ RA 110, 437 ff., 459 ff., 498 f.; Stobbe, DPrR II, 561, Anm. 5. Theoretisch möglich wäre noch, dass der Veräußerer erst zur Zeit des Verkaufes nicht schon beim Ankauf Kenntnis vom Diebstahl hatte. Es wäre dann zumindest ein Hinweis im Text zu erwarten. Ein Hineinlesen verbietet sich. 80 Bekannt ist zwar die Existenz älterer Rechtsquellen der Goten (belagines), von denen auch im CE berichtet wird, dabei scheint es sich jedoch lediglich um Einzelgesetze gehandelt haben, Wohlhaupter (V. Fn. 56), XI. 81 CE 278, 279 – das anvertraute Tier verendet; CE 280, 282 – die verliehene Habe geht durch Brand, Hauseinsturz oder Schiffbruch verloren. In diese Reihe passt auch der Diebstahl der Sache beim Vertrauensmann, sofern die Sache nicht wiedergefunden wird (CE 280); zur Regelung in CE 280 letzter Satz vgl. unten V. 2. a) ff) (1). 82 Völkl, SZ RA 110, 467. 83 CE 289: „quidquid ad conparate rei profectum studio sua utilitatis emptor adiecerit“.

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rückabgewickelt. Praktisch denkbar wäre zwar auch an eine direkte Restitution des Käufers an den Eigentümer. Dann wird jedoch in besonderem Maße fraglich, weshalb der Aufwendungsersatz nicht von dem getragen werden muss, der durch den Mehrwert der Sache begünstigt wird, nämlich dem Eigentümer. Freilich stellt sich dieselbe Frage auch dann, wenn die Rückabwicklung über den Veräußerer, also über Eck erfolgt. Auch hier kommt der Mehrwert schließlich dem Eigentümer zugute, obwohl der Veräußerer dafür aufkommt. Die Aufwendungsersatzpflicht des Veräußerers gegenüber dem Käufer lässt sich im letzteren Fall jedoch damit erklären, dass die Sache zunächst an diesen zurückgegeben wird, bevor sie an den Eigentümer weitergeleitet wird. Dass der Käufer von seinem Vertragspartner Ersatz verlangen kann, leuchtet ein. Im Verhältnis des Veräußerers zum Eigentümer wird die Frage des Aufwendungsersatzes dann vom deliktischen Handeln des Veräußerers überlagert. Der Deliktstäter haftet auf das duplum. Gegenansprüche wegen Werterhöhung sind ausgeschlossen. Dies entspricht ganz nachklassischem römischem Recht, wonach zwar der malae fidei possessor nicht aber der Täter eines furtum den Ersatz nützlicher Verwendungen (impensae) fordern konnte84. Für die Frage der Restitution der Sache lässt sich aus der Ersatzpflicht des Veräußerers gegenüber dem Käufer mit hinreichender Sicherheit schließen, dass die Sache zunächst an den Veräußerer zurückgegangen ist. Dies konnte freilich nur den Sinn haben, eine Restitution im Verhältnis zwischen Veräußerer und Eigentümer zu ermöglichen. Fraglich bleibt, ob der Erstgenannte die Sache zusätzlich zum duplum herauszugeben hatte, oder der Sachwert schon in der Buße enthalten war. Wäre letzteres der Fall, könnte darin die Erklärung liegen, weshalb in CE 289 die Restitution der Sache nicht extra erwähnt wurde. Während Levy davon ausgeht, dass der Veräußerer insgesamt das Dreifache zu zahlen habe85, ist das duplum nach der Gegenansicht86 die furtive Sache selbst und eine andere gleichwertige bzw. deren Wert. Aus der Quelle selbst lässt sich nur das unsichere Argument herleiten, dass eine zusätzliche Restitutionspflicht wohl neben der duplum Haftung erwähnt worden wäre. Aufschlussreich ist jedoch ein Blick auf die nur leicht veränderten Fassungen des CE 289, die sowohl als Antiqua in L. Vis. V, 4, 8 als auch in L. Bai. XVI, 4 überliefert sind. Anders als im CE ist in der Fassung der L. Vis. nicht einfach nur vom „duplum“ die Rede, sondern die Pflicht des Veräußerers bezieht sich auf das duplum der Sache selbst87. Dies könnte im Sinne der letztgenannten Ansicht bedeuten, dass die Rückgabe der Sache nur um eine weitere gleichwertige Sache ergänzt wurde88. Deutlicher für ein Enthalten des Sachwertes im duplum spricht die Regelung in L. Bai. XVI, 4. Diese 84

Kaser, RP II, 295 m.w. N. Levy, VR (IV. Fn. 9), 221, Anm. 320. 86 Völkl, SZ RA 110, 436, Anm. 46, 47; Scherner (V. Fn. 3), 147 f. 87 „Sed ille, qui alienam rem vendere vel donare presumsit, duplam rei domino cogatur exolvere; . . .“ 85

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eng am Wortlaut des CE 289 orientierte Stelle, steht in engem Zusammenhang zur vorangehenden Regelung in L. Bai. XVI, 1. Dort heißt es: „Si quis vendiderit res alienas sine voluntate domini sui, aut servum aut ancillam aut qualemcumque rem, ipsam per legem reddat et consimilem alium addat; et si ipsum non potest invenire, II consimiles reddat.“ Wenn jemand eines anderen Gut ohne Willen des Eigentümers verkauft, entweder einen Knecht oder eine Magd oder irgendeine Sache, gebe er diese von Gesetzeswegen zurück und füge eine andere Gleichwertige hinzu; und wenn er sie selbst nicht finden kann, gebe er 2 gleichwertige.89

Das duplum in L. Bai. XVI, 4 stellt damit nur eine Wiederholung der zwei consimiles in L. Bai. XVI, 1 dar90. Ansonsten würden sich die beiden Regelungen widersprechen, was aufgrund der räumlichen Nähe zueinander höchst unwahrscheinlich ist. Zumindest für das bayrische Recht lässt sich mit einiger Sicherheit feststellen, dass das duplum die Sache enthielt. Ein Rückschluss auf eine gleichermaßen lautende Auslegung des CE 289 ist freilich nicht zwingend. Die Verfasser der L. Bai. konnten den CE durchaus anders verstanden haben als der damalige Gesetzgeber. Immerhin liegt zwischen den beiden Gesetzen eine beachtliche territoriale wie auch zeitliche Differenz91. Festhalten lässt sich immerhin, dass sowohl ein Vergleich mit den Derivaten der Regelung in späteren Volksrechten als auch die Quelle selbst nicht gegen eine Lesart spricht, wonach die Sache bereits im duplum enthalten ist. Unser vorläufiges Bild der „Idealabwicklung“ nach CE 289 sieht danach so aus, dass der Veräußerer dem Eigentümer die Sache nebst dem einfachen Sachwert als Buße herauszugeben hat. Der Käufer ist für die Rückgabe der Sache durch Rückzahlung des Kaufpreises nebst Ersatz seiner Impensen zu befriedigen. dd) Direkte Inanspruchnahme des Besitzers mittels Anefangklage Dieses Verfahren könnte dann problematisch werden, wenn der besitzende Käufer sich weigert, die Sache an den Verkäufer herauszugeben, weil er etwa ein besonderes Affektionsinteresse etc. daran hat. Es besteht daher Klärungsbe88 So Völkl, SZ RA 110, 436. Zwingend ist das Argument aus L. Vis. V, 4, 8 freilich nicht. So kann „duplam rei domino cogatur exolvere; . . .“ auch nur bedeuten, dass das duplum dem Sacheigentümer „rei domino“ zu leisten ist – so die Übersetzung bei Wohlhaupter (V. Fn. 56), 123. 89 Dieser und die folgenden Texte aus den bayrischen Quellen entstammen der Ausgabe von Eckhardt, Germanenrechte, Band 2, Die Gesetze des Karolingerreiches 714– 911, Halbband 2, Alemannen und Bayern (1934). Auch bei der Übersetzung wurde das Werk verwendet. 90 Scherner (V. Fn. 3), 147; Völkl, SZ RA 110, 436, Anm. 46. 91 Vgl. dazu näher die Darstellung zum bayrischen Recht, unten V. 2. c).

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darf, ob die Herausgabe eine Pflicht des Käufers war, oder in dessen Ermessen stand. Aus dem Wortlaut der Quelle lässt sich ein Rückgabezwang des Käufers direkt nicht entnehmen. Festgelegt ist lediglich das Pflichtenprogramm des Veräußerers. Nach dem oben Gesagten wird in CE 289 jedoch ganz offensichtlich von einer Rückabwicklung des Kaufvertrages ausgegangen, ohne dies überhaupt zu problematisieren. Es ist fraglich, was den Käufer regelmäßig dazu bewegte, die Sache an den Veräußerer herauszugeben. In Betracht kommt zunächst ein bloß moralischer, außerhalb des durchsetzbaren Rechts liegender Zwang. Unser Fragment behandelt den Verkauf einer Sache, von der feststeht, dass sie einem Dritten gehört („alienam fuisse constiterit“). Durch die Rückgabe der Sache konnte sich der Besitzer vom Verdacht der Mitwisserschaft am Verkauf fremden Guts befreien92 und damit seinen Ruf wahren. Da er den Kaufpreis und seine Aufwendungen zurückerhielt, war die Restitution auch regelmäßig nicht wirtschaftlich nachteilig. Die Fälle in denen eine Sache erheblich unter Wert verkauft wurde, sind im Hinblick auf ein Wissen um die Fremdheit des Guts sowieso problematisch. Auch jene Käufer werden dann lieber rückabgewickelt haben, als sich einem entsprechenden Verdacht auszusetzen. Freilich muss auf derartige Motive zur Erklärung der Herausgabe nur dann zurückgegriffen werden, wenn ein rechtlich zwingendes Vorgehen gegen den Besitzer nicht möglich ist. Es ist daher nachfolgend die Möglichkeit zu untersuchen, ob CE 289 nicht die Rechtsfolge einer Klage darstellt, die sich zunächst gegen den Besitzer der Sache richtet und diesen zumindest mittelbar zur Herausgabe der Sache an den Veräußerer zwingt. Der herrschenden Lehre ist die Inanspruchnahme des Besitzers und das darauffolgende Abwälzen des Prozesses auf den Gewähren bestens aus der germanischen Anefangklage93 bekannt. Der in Anspruch genommene Besitzer übergibt die Sache zur Verteidigung seinem Veräußerer als Gewähren und scheidet aus dem Prozess aus. Die Verteidigung der Sache obliegt dann allein dem Gewähren. Kann dieser keinen Erwerb nachweisen und auch nicht den Deliktsverdacht abwenden, passen die in CE 289 beschriebenen Folgen gut. Der überführte Täter muss die Sache herausgeben und schuldet zudem noch die Deliktsbuße. Die Klage setzt wie die römische rei vindicatio an dem Fall an, dass der Berechtigte seine Sache in der Hand eines anderen findet. Anders als bei der römischen Eigentumsklage ist mit der Anefangklage jedoch zusätzlich der Vorwurf eines Delikts verbunden94. Oben wurde bereits darauf hingewiesen, 92

Völkl, SZ RA 110, 468. Grundlegende Kritik an der h. M. zur Anefangklage bei Völkl, SZ RA 110, 437. Die Anefangklage sei nur das Produkt einer herrschenden Lehre, die Aussagen aus verschiedenen Zeiten zu einem Gesamtbild kombiniert, dabei jedoch Gemeinsamkeiten betont und Unterschiede vernachlässigt. Nachfolgend werden die Begriffe „Anefang“ und „Anefangklage“ für die Form germanischer Sachverfolgung genutzt, die an einer deliktischen Handlung (furtum) gegen den dominus anknüpft. 93

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dass die Anefangklage nach der älteren Lehre seit jeher auf solche Sachen beschränkt gewesen sein soll, die dem Kläger unfreiwillig aus dem Besitz gekommen waren95. Danach kommt als ein die Klage tragendes Delikt nur ein Diebstahl bzw. das diebische Behalten einer gefundenen Sache96 in Betracht. Diese Denkweise war es, die Levy dazu veranlasst hat, einen Diebstahl in den Sachverhalt hineinzulesen. Dem konnte oben nicht gefolgt werden97. Richtig lag Levy allerdings, indem er CE 289 als Regelung der Rechtsfolgen des westgotischen Anefangs begriff. Nur kommt der Sachverhalt auch ohne einen zusätzlichen Diebstahl aus. Der vorsätzlich unberechtigte Verkauf durch den Vertrauensmann bzw. die dadurch begangene Unterschlagung bzw. Untreue gegenüber dem Eigentümer reicht als deliktische Grundlage der Sachverfolgung aus. Eine Beschränkung der Sachverfolgung auf gestohlene oder verlorene Sachen hat es danach zu dieser Zeit nicht gegeben98. Legt man diese Möglichkeit zu Grunde, dann geht CE 289 von einer Klage des dominus gegen den besitzenden emptor aus. Letzterer wälzt den Prozess auf seinen Gewähren, den venditor ab, übergibt ihm die Verteidigung der Sache. Der Veräußerer kann den Vorwurf des unberechtigten Verkaufes nicht widerlegen. Mit Völkl wird man davon ausgehen können, dass er sich regelmäßig auf eine Schenkung bzw. einen Kauf vom dominus berufen haben wird99. Dringt der venditor damit nicht durch, stand die Fremdheit der Sache fest. An dieser Stelle100 setzt CE 289 an und beschreibt die Rechtsfolgen. Der Veräußerer, welcher sich als Gewähre mittlerweile in Besitz der Sache befindet, übergibt diese dem dominus nebst dem einfachen Sachwert als Buße. Den emptor muss er durch Rückzahlung des Kaufpreises sowie Impensenersatz entschädigen. So wird ebenso klar, weshalb der venditor in der Lage ist, die Sache zu restituie-

94 Laband, Die vermögensrechtlichen Klagen (1869), 94; Rauch, Spurfolge und Dritthandverfahren in der fränkischen Rechtsentwicklung, SZ GA 68, 72; Völkl, SZ RA 110, 438. 95 Die Begründungen dazu gehen weit auseinander. Neben den oben genannten Theorien zur germanischen Sachverfolgung sei insbesondere auf Planitz, SZ GA, 34, verwiesen, der den Anefang unter Berufung auf L. Sal. 37 als Fortgestaltung des Spurfolgeverfahrens erklären möchte. Dagegen sieht Rauch, SZ GA 68, 1 ff., in L. Sal. 37 eine historisch isolierte Ausnahme und begreift die Anefangklage als eine Neubildung, veranlasst durch die Unzulänglichkeit der bis dahin allein gegebenen beiden Verfahrensarten (Handhaft- und Diebstahlsklage). 96 L. Rib. 75. 97 Vgl. oben V. 2. a) bb). 98 So ausdrücklich Völkl, SZ RA 110, 439 f.: „In den Volksrechten existiert allerdings kein Beleg dafür, daß der Eigentümer die vom Vertrauensmann untreu weitergegebene Sache beim Dritten nicht mehr verfolgen hätte können; ja es ist sogar eindeutig das Gegenteil bezeugt.“; Scherner (V. Fn. 3), 174; früher schon Brunner/ Schwerin, RG II, 670. 99 Völkl, SZ RA 110, 461. 100 CE 289: „si alienam fuisse constiterit“.

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ren, wie auch, weshalb die Quelle nicht explizit eine Herausgabepflicht des emptors enthält. Auch trifft die Einschätzung des Gesetzgebers zu, dass dem domino durch den unberechtigten Verkauf kein Schaden entstehen solle – „. . . nullum domino praeiudicium conparetur . . .“. ee) Leichte Veränderungen im Liber iudiciorum Freilich bedarf die Anwendung des Anefangs über den unfreiwilligen Besitzverlust hinaus weiterer Quellenbelege. Bevor weitere Gesetze diesbezüglich untersucht werden, soll zunächst auf die Veränderungen eingegangen werden, welche die Regelung aus CE 289 im Liber iudiciorum101 erfahren hat. Dort heißt es: V, 4, 8 „Antiqua. De his qui aliena vendere vel donare presumserint. Quotiens de vendita vel donata re contentio commovetur, id est si alienam fortasse rem vendere vel donare quemcumque constiterit, nullum emtori preiudicium fieri poterit. Sed ille, qui alienam rem vendere vel donare presumsit, duplam rei domino cogatur exolvere; emtori tamen quod accepit pretium redditurus. Et quidquid in profectum conparate rei emtor vel qui donatum accepit studio sue utilitatis adiecerat, a locorum iudicibus extimetur, adque ei, qui laborasse cognoscitur, a venditore vel a donatore iuris alieni satisfactio iusta reddatur. Similis scilicet et de mancipiis vel omnibus rebus adque brutis animalibus ordo servetur.“ Von jenen, die fremdes Gut zu verkaufen oder zu verschenken wagen. So oft sich über eine verkaufte oder verschenkte Sache ein Streit erhebt, d.h. wenn feststeht, dass jemand eine fremde Sache verkauft oder verschenkt hat, so kann dem Käufer kein Rechtsnachteil erwachsen. Aber jener, der die fremde Sache zu verkaufen oder zu verschenken gewagt hat, muss das Doppelte dem Sacheigentümer leisten; dem Käufer jedoch muss er den empfangenen Preis zurückgeben. Und was zum Nutzen der erworbenen Sache der Käufer oder Beschenkte um seines Vorteils willen hinzugefügt hat, soll von den Ortsrichtern geschätzt werden und dem, der die Arbeit geleistet hat, werde vom Verkäufer oder Schenker der fremden Sache gerechter Ersatz geleistet. Eine entsprechende Vorschrift soll auch bei Sklaven und allen Sachen und unvernünftigen Tieren beachtet werden.102

Durch den letzten Satz verliert die Ansicht Schultzes für die Zeit des Liber iudiciorum jegliche Substanz, wonach die Anwendung der Regel auf Liegen101 Dabei handelt es sich um eine Kodifikation, die vom westgotischen König Chindasvinth (642–653) begonnen und von seinem Nachfolger Rekkesvinth (653–672) beendet wurde. Die Titel enthalten jeweils eine inscriptio, die einen der Könige Rekkared (586–60), Sisebut (612–621), Chindasvinth oder Rekkesvinth als Urheber nennt bzw. die Stelle als Antiqua ausweist. Letztere werden seit Zeumer als Bestimmungen der nicht mehr überlieferten Sammlung von König Leovigild (569/572) gehalten. Vgl. näher zur westgotischen Gesetzgebung Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1969 ff.; Wohlhaupter (V. Fn. 56), X ff.; Völkl, SZ RA 110, 428 ff. 102 Die Hervorhebungen stammen vom Bearbeiter und sollen die Unterschiede zu CE 289 verdeutlichen.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

schaften begrenzt gewesen sei103. Der Satz muss auch nicht heißen, dass jene Beschränkung im älteren Recht enthalten war. Denkbar ist sowohl, dass über die Reichweite der Regelung im CE Streit entstanden war und deshalb eine Klarstellung im Liber Iudiciorum erfolgte, als auch, dass eine etwaige Anwendungsbeschränkung für Sklaven aufgehoben werden sollte104. Augenscheinlich ist die Veränderung von CE 289: „. . . nullum domino praeiudicium conparetur . . .“ zu L. Vis. V, 4, 8: „. . . nullum emtori preiudicium fieri poterit . . .“. Während der CE noch betont, dass dem Eigentümer kein Nachteil entstehen solle, ist der entsprechende Satz im Liber iudiciorum in Bezug auf den Käufer ausgesprochen. Dies könnte auf eine Verschiebung des Schutzes vom Eigentümer hin zum Käufer hinweisen, die ganz dem „Hand wahre Hand“ Prinzip entspricht. Völkl zieht in Erwägung, dass die Änderung dann eine praktische Bedeutung gehabt haben könnte, wenn der Veräußerer aufgrund mangelnder Zahlungsfähigkeit die Forderungen von Käufer und Eigentümer nur alternativ erfüllen konnte. Dann sei womöglich nach dem CE dem Eigentümer, nach dem Liber iudiciorum dem Käufer der Vorrang zuzuordnen105. Dafür gibt die Quelle jedoch keinen Hinweis. Durch die bis zur Schuldknechtschaft reichenden Vollstreckungsmöglichkeiten dürfte die Insolvenz des Veräußerers nicht vordergründig problematisch gewesen sein. Wahrscheinlicher ist, dass die Gesetzesverfasser mit der Formulierung lediglich darauf hinweisen wollten, dass nur dem Käufer, nicht aber dem Beschenkten kein Nachteil entsteht106. Anders als CE 289 war die Neuregelung nämlich auch für den Schenkungsfall konzipiert, wie schon die Titelüberschrift klarstellt. Im Gegensatz zum Käufer war die Rückabwicklung für den Beschenkten nachteilig, da dieser mangels Gegenleistung nichts zurückbekam. Eine sachliche Änderung scheint die Abweichung jedenfalls nicht bewirkt zu haben. Weder der Käufer noch der Eigentümer erleiden sowohl nach der in CE 289 als auch nach der in L. Vis. V, 4, 8 dargestellten Abwicklung einen Nachteil. Die Ausweitung der Regelung auf die Schenkung selbst ist konsequent. Auch ist Völkl zuzustimmen, wenn er die Anwendung der Quelle auch auf die unmittelbar nachfolgend behandelte (L. Vis. V, 4, 9107) verbotene Veräußerung der 103 Schultze, FS Dahn I, 6, versucht seine Ansicht wenig überzeugend damit zu verteidigen, dass er den Schlusssatz von L. Vis. V, 4, 8 nur auf die Verpflichtungen des unlauteren Verkäufers zum Doppelersatz, nicht aber die implizit geregelte Herausgabepflicht bezieht; dagegen Brunner/Schwerin, RG II, 670, Anm. 118. 104 Völkl, SZ RA 110, 489. 105 Völkl, SZ RA 110, 490. 106 So auch Völkl, SZ RA 110, Anm. 119. 107 V, 4, 9 Antiqua. „Quod rem in contentione positam non liceat vindere vel donare. Rem in contentione positam, id est, quam alter aut repetere cepit aut recipere rationabiliter poterat, non liceat nec donare nec vindere nec aliquo loco transfere“. Übersetzung: Dass man eine im Streit befangene Sache nicht verkaufen oder verschenken soll. Eine im Streit befangene Sache, d.h. eine, die ein anderer entweder einzukla-

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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streitverfangenen Sache erstrecken will108. Dagegen scheinen mir seine daraus folgenden Zweifel an der Anwendbarkeit der Regelung auf die Ausgangsfälle der Veruntreuung anvertrauter Sachen109 unbegründet zu sein. Wäre eine Beschränkung auf die in V, 4, 9 genannten Sachen gewollt gewesen, dann hätten die Verfasser die angebliche Grundnorm (V, 4, 9) leicht der Regelung in V, 4, 8 voranstellen können. Es scheint mir aufgrund der vorgefundenen Systematik näher zu liegen, die Regelung über streitverfangene bzw. berechtigt eingeforderte Sachen110 als speziellen Anwendungsfall der allgemeinen Rechtsfolge aus V, 4, 8 anzusehen, als umgekehrt. Auch in diesen Fällen sah man die aus CE 289 bekannte Rückabwicklung als sinnvoll an und dehnte den Anwendungsbereich insoweit aus. Damit wurde die Sachverfolgung in dritter Hand nicht beschränkt sondern erweitert. Aktivlegitimiert war nun nicht mehr nur der geschädigte Eigentümer sondern schon derjenige, der eine Berechtigung an der Sache geltend gemacht hatte. Diesem sollte durch eine danach erfolgte Veräußerung kein Nachteil entstehen. Schon die Streitverfangenheit reichte für eine Rückforderung aus, die Fremdheit der Sache musste dazu nicht ermittelt werden. Dem Veräußerer wurde wegen des Verstoßes gegen das Veräußerungsverbot das duplum als Buße auferlegt. Er haftete damit deliktisch für den Verkauf, unabhängig davon, ob der geltend gemachte Herausgabeanspruch begründet war, oder nicht. ff) Deliktscharakter von vorsätzlich unberechtigten Veräußerungen Die hier vertretene Auffassung zu CE 289 und L. Vis. V, 4, 8 setzt zwingend voraus, dass der unberechtigte Verkauf der Sache von den Westgoten als Delikt angesehen wurde, das ähnlich einem Diebstahl zu behandeln ist. Nur dann ist gen begonnen hatte oder die er zu Recht zurücknehmen konnte, darf man weder verschenken, noch verkaufen, noch an einen anderen Ort verbringen. 108 Völkl, SZ RA 110, 491. Die Platzierung des Veräußerungsverbotes für streitverfangene Sachen direkt hinter L. Vis. V, 4, 8, sowie die Ausweitung auf die in L. Vis. V, 4, 9 angeführten Schenkungen legt dies in der Tat nahe. 109 Völkl, SZ RA 110, 491 f., 499: „Ein völlig neues Verständnis wird der Regelung von CE 289 dann bei ihrer Aufnahme in den Liber iudiciorum beigelegt. Sie erfaßt nun in erster Linie den Verkauf und die Schenkung der streitverfangenen Sache. Über die Gründe dieser Änderung und damit auch zur Frage, ob die neue Bestimmung weiterhin die Veruntreuung erfaßte, wagen wir keine Auskunft.“ 110 Die Formulierung „aut recipere rationabiliter poterat“ bezeichnet m. E. nur solche Sachen, die vom Veräußerer zurückverlangt werden können, ohne dass sie diesem anvertraut wurden. Das Verbot richtet sich also z. B. an den Erwerber einer zu Unrecht veräußerten bzw. gestohlenen Sache. Freilich wird man diesem das duplum aus L. Vis. V, 4, 8 nur dann auferlegt haben, wenn er von der Rückforderung wusste, was immer erst dann der Fall war, wenn die Sache tatsächlich zurückverlangt wurde (anders als beim Vertrauensmann kann man hier aus der Feststellung der Fremdheit der Sache nicht auf die Kenntnis schließen!). Diese Fallgruppe wurde den streitbefangenen Sachen im engeren Sinne gleichgestellt.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

ein Vorgehen mittels Anefang denkbar. Diesbezüglich sollen die westgotischen Quellen nachfolgend untersucht werden. (1) CE 280 Aus dem CE ist das Fragment 280 überliefert, welches sich mit verschiedenen Fällen des Diebstahls einer verwahrten Sache beschäftigt. Interessant für die Erfassung der Unterschlagung als Delikt ist darin der letzte Satz: CE 280 Satz 7: „Et si postmodum dominus rerum apud eum, cui commendaverat, quae fuerint supressa repperierit, cum haec ille si prius dixerit perdedisse vel furto fuisse sublata, sicut fur ea, quae caelavit, ut legum statuta praecipiunt, conpositione inplere cogatur.“ Wenn aber später der Sacheigentümer bei dem Verwahrer unterschlagene Sachen entdeckt, während dieser erklärt hatte, er habe sie verloren oder sie seien ihm durch Diebstahl entwendet worden, so muss er wie ein Dieb für das, was er verhehlt hat, nach den Vorschriften der Gesetze Buße leisten.

Das Gesetz handelt hier von einem Verwahrer, der einen Diebstahl oder sonstigen Verlust der anvertrauten Sache lediglich vorgetäuscht hat, um sich die überlassenen Sachen anzueignen. Er wird einem Dieb gleichgesetzt („sicut fur ea“). Aus heutiger Sicht liegt im Handeln des Verwahrers eine Unterschlagung. Seine Zueignungsabsicht hat sich durch das Verleugnen des Innehabens der Sache nach außen manifestiert. Gleichzeitig liegt darin auch ein Verstoß gegen die Treupflicht zum Hinterleger. Fraglich ist, ob aus der bloßen Gleichsetzung mit einem Dieb der Umkehrschluss gezogen werden darf, der unterschlagende Verwahrer sei eben selbst nicht Dieb111. Sinn könnte die Beantwortung dieser Frage nur haben, wenn an die Differenzierung Rechtsfolgen geknüpft wären. Das Fragment sagt jedoch gerade aus, dass für den untreuen Verwahrer die gleiche Buße wie für einen Dieb anfällt. Man wird sich die Formulierung „sicut fur“ am besten daraus erklären können, dass der Diebstahl bereits einen gewissen sinnfälligen Grundtatbestand der Wegnahme ohne Willen des Besitzers enthielt, dessen Rechtsfolgen in davon abweichenden, aber ebenso als bußwürdig angesehenen Fällen, analog herangezogen wurden. Die Gleichsetzung bezieht sich in C 280 Satz 7 direkt nur auf die Verpflichtung zur Bußleistung. Über die Verfolgbarkeit der Sache in dritter Hand sagt die Stelle unmittelbar nichts aus112. Man kann ihr jedoch zweifelsfrei entnehmen, dass die Verfasser des CE nicht nur die Wegnahme sondern auch die Unterschlagung einer Sache als ein Delikt angesehen haben, vor dem der Eigentümer geschützt werden musste. Es

111

Offen gelassen von Völkl, SZ RA 110, 466. Dafür lässt der Sachverhalt auch keinen Raum. Die Sache befindet sich ja noch im Besitz des Vertrauensmanns. 112

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frage der Verfolgbarkeit in dritter Hand nicht parallel entschieden wurde. (2) L. Vis. VII, 2 Ein scheinbar sehr weiter furtum Begriff ergibt sich aus einer oberflächlichen Betrachtung des Titels VII, 2 der L. Vis., welcher mit „De furibus et furtis“ überschrieben ist. Zunächst fällt auf, dass neben dem Diebstahl im engeren Sinne auch Fälle bloßer unerlaubter Handlung, etwa durch Zufügung eines Schadens unter diesem Titel geregelt sind. So wird schon in VII, 2, 3 neben dem Entwenden einer Sache auch die Zufügung eines sonstigen Schadens angesprochen und der gleichen Rechtsfolge unterworfen113. Die darauf folgende Antiqua VII, 2, 4 ist überschrieben mit: „Si dominus cum servo alieno faciat furtum“. Unter dieser Überschrift findet man folgende Beschreibung der erfassten Tatbestände: „Si quis ingenuus cum servo alieno in aliquo crimine inventus fuerit, ut furtum forsitam faciant vel aliquid rapiant aut inlicita quecumque conmittant, . . .“114. Die erfassten Delikte gehen deutlich über das in der Überschrift sowie der Titelüberschrift benannte furtum hinaus115. Daraus wird man jedoch nicht schon den Schluss ziehen dürfen, das furtum sei nicht hinreichend tatbestandlich abgegrenzt gewesen. Näher liegt es, die Abweichung von den Überschriften damit zu erklären, dass diese nur den Hauptanwendungsfall (furtum) bezeichneten, der Text dann aber gleich noch auf weitere unerlaubte Handlungen hinweist, in denen dieselbe Rechtsfolge anzuwenden ist. Eine Ausdehnung des furtum Begriffes auf sämtliches verbotenes Tun kann man daraus nicht herleiten. (3) L. Vis. VII, 2, 7; VII, 2, 9 Aufschlussreicher ist da schon L. Vis. VII, 2, 7116, wo von den Mitwissern der Diebe gehandelt wird („De his, qui cum furibus conscii fuerint“). Danach reicht das Wissen vom Diebstahl aus, um selbst zu den Dieben zu zählen. Die 113 L. Vis. VII, 2, 3: „Si servus, dum ad alium dominum transit, aliquid de rebus prioris domini involaverit aut abstulerit seu quodcumque damnosum alicui intulerit, dum pro crimine cupiditatis cupit addici, discutiatur a iudice. . . .“ Übersetzung: Hat ein Knecht beim Übergang zu einem anderen Herrn etwas vom Gut seines früheren Herrn entwendet oder weggenommen oder jemandem einen Schaden zugefügt in dem Wunsche (seinem früheren Herrn) wegen dieser Taten wieder zugesprochen zu werden, so soll über ihn vom Richter verhandelt werden. 114 Übersetzung: Ist ein Freier zusammen mit dem Knecht eines anderen bei einer Missetat ertappt worden, bei einem Diebstahl oder Raub oder sonst verbotenem Tun. 115 So auch noch in L. Vis. VII, 2, 6 gegenüber der Titelüberschrift. 116 „Non solum ille, qui furtum fecerit, sed etiam et quicumque conscius fuerit vel furti ablata sciens susceperit, in numero furantium habeatur et simili vindicta subia-

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Formulierung „in numero furantium habeatur“ ist sogar noch etwas deutlicher als das oben in CE 280 angeführte „sicut fur ea“. Den wissentlichen Kauf vom Dieb behandelt dann L. Vis. VII, 2, 9: „Antiqua. Si de fure quis cognitus conparaverit. Si quis rem furtivam sciens a fure conparaverit, ille, qui emit, suum representet autorem et postea tamquam fur conponere non moretur. Si vero furem non invenerit, duplam conpositionem, que a furibus debetur, exolvat; quia apparet illum furi essent similem, qui rem furtivam sciens conparasse cognoscitur.“ Wenn jemand wissentlich vom Dieb erworben hat. Hat jemand eine gestohlene Sache wissentlich vom Dieb erworben, so muss der Käufer seinen Gewähren stellen und muss hernach sogleich Buße leisten wie ein Dieb. Hat er den Dieb nicht gefunden, so soll er doppelte Diebesbuße leisten; denn offenbar steht dem Diebe gleich, wer wissentlich Diebesgut erworben hat.

Die Stelle ist für uns aus verschiedenen Blickwinkeln von Bedeutung. Zunächst bestätigt sie die Gleichstellung des wissentlichen Käufers vom Dieb mit dem Dieb, indem ihm die gleiche Buße auferlegt wird, wie dem Dieb selbst, sofern er diesen findet und stellt. Daran ändert auch die Formulierung „duplam conpositionem, que a furibus debetur“ nichts, die für den Fall eingreifen soll, dass der Dieb nicht gestellt wird. Der Käufer muss dann die Buße des Diebes zusätzlich zu seiner Buße noch mit entrichten117. Diese pragmatische Regelung soll verhindern, dass der Hehler den Dieb im Prozess verschweigt. Einer dahingehenden Verständigung zwischen Dieb und wissentlichem Käufer des Diebesgutes soll die Basis entzogen werden118. Aus der Quelle wird zudem deutlich, weshalb es für den Eigentümer auch in den Fällen des unberechtigten Verkaufs von Vorteil war, zunächst gegen den Besitzer der Sache vorgehen zu können und nicht gleich den Vertrauensmann in Anspruch nehmen zu müssen. Stellt sich im Prozess nämlich heraus, dass der Käufer Kenntnis von der Nichtberechtigung hatte, also bösgläubig war, dann musste dieser vermutlich zusätzlich zum Veräußerer eine Diebstahlsbuße entrichten. Man wird ihn nicht anders behandelt haben, als den Erwerber vom Dieb. Auch der Inhalt des in der Anefangklage enthaltenen Deliktsvorwurfes gegen den Käufer tritt hervor. Bereits Laband119 hat festgestellt, dass sich die Beschuldigung gegen den Beklagten nicht unbedingt auf einen Diebstahl beziehen muss. Es reicht der Vorwurf aus, der Besitz sei nicht auf ordnungsgemäße und rechtschaffende Weise erworben worden, etwa durch deliktisches Handeln beim Ankauf. Dies lässt die Anefangklage ceat.“ Übersetzung: Nicht nur der Dieb selbst, sondern auch jeder Mitwisser und jeder Hehler der Diebsbeute sollen als Diebe gelten und gleicher Strafe unterliegen. 117 Eine andere Übersetzung im Sinne von „das Doppelte, das der Dieb als Buße zu zahlen hätte“ ist mit Völkl und d’Ors abzulehnen – Völkl, SZ RA 110, 462, Anm. 108. 118 Völkl, SZ RA 110, 462, Anm. 108. 119 Laband (V. Fn. 94), 94.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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auch gegen den Erwerber einer veruntreuten Sache ins Blickfeld rücken. Zwar weiß der Eigentümer, dass jener kein Dieb im engeren Sinne ist, doch kann es gut sein, dass der Besitzer mit dem untreuen Vertrauensmann zu seinem Lasten zusammengewirkt hat.

(4) L. Vis. VII, 2, 17 Für die Gleichstellung der Unterschlagung mit dem Diebstahl lässt sich aus der L. Vis. weiterhin die Antiqua VII, 2, 17 anführen. Dort heißt es: „Si quis res aut vestimenta aliena male tractaverit aut in itinere constitutum in aliquid contigerit vel furtim ei quodcumque tulerit, non pro omni sarcina solutionem inplere cogatur, sed de hoc, quod furtim abstulit vel male tractavit, secundum leges conponere non moretur.“ Hat jemand auf fremde Sachen oder Kleider schlecht geachtet oder ist ihm auf einer Reise etwas zugestoßen oder hat man ihm etwas dieblich entwendet, so braucht er nicht für alles Gepäck Ersatz zu leisten, sondern nur für das, was er dieblich entwendet hat oder worauf er schlecht geachtet hat, leiste er nach den Gesetzen Buße.

Es geht in der Quelle um die Ersatzpflicht eines Verwahrers, Entleihers etc. für das Abhandenkommen bzw. den Untergang der ihm überlassenen Sachen. Neben dem Diebstahl durch Dritte wird auch ein furtives Entwenden durch den Vertrauensmann selbst mit erwähnt und unter Buße gestellt. Die Formulierung „quod furtim abstulit“ weist sehr deutlich darauf hin, dass auch im „dieblichen Beiseitelegen“ durch den Vertrauensmann ein Delikt gesehen wurde. Trotz freiwilliger Weggabe durch den Eigentümer war demnach ein bußrechtlich relevantes furtum an der Sache möglich. Heute ordnen wir das Delikt der Unterschlagung zu. Ein Gewahrsamsbruch liegt nicht vor.

(5) L. Vis. VII, 6, 3; VII, 6, 4 Ähnliches lässt sich aus dem 6. Titel des VII. Buches der L. Vis., „De falsariis metallorum“, ableiten. Dort wird der wohl praktisch recht relevante Fall behandelt, dass Goldschmiede und andere Metallhandwerker etwas von den ihnen überlassenen Metallen abzweigen und für sich behalten: VII, 6, 3 „Antiqua. De his qi acceptum aurum alterius metalli permixtione corruperint. Qui aurum ad facienda ornamenta susceperit et adulteraverit, sive heris vel cuiscumque vilioris metalli permixtione corruperit, pro fure teneatur.“ VII, 6, 4 „Antiqua. Si quorumcumque metallorum fabri de rebus creditis repperiantur aliquid subtraxisse. Aurificies aut argentarii vel quicumque artifices, si de rebus sivi conmissis aut traditis aliquid subtraxerint, pro fure teneantur.“

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Von jenen, die empfangenes Gold durch Beimischung anderen Metalls verschlechtern. Wer Gold zur Anfertigung von Schmucksachen erhalten und (dann) verschlechtert und durch Beimischung von Kupfer oder sonst einem minderwertigen Metall verderbt hat, gelte als Dieb. Wenn Metallhandwerker etwas von den ihnen anvertrauten Dingen abgezweigt haben. Gold oder Silberschmiede oder sonstige Handwerker, die von den ihnen anvertrauten oder übergebenen Dingen etwas unterschlagen haben, sollen als Diebe gelten.

Die beiden Stellen bringen mit der Formulierung „pro fure teneantur“ klar zum Ausdruck, dass die untreuen Handwerker als Diebe zu betrachten sind. Während sich das letztangeführte Fragment auf das unberechtigte Abzweigen von den überlassenen Metallen bezieht und damit einen klaren Fall der Unterschlagung betrifft, ist die Bedeutung des ersteren nicht ganz so deutlich. Denkbar wäre einerseits, dass bereits das Verderben des Metalls als schadensbegründende unerlaubte Handlung den Goldschmied zum Dieb macht. Es erscheint jedoch anderseits genauso möglich, dass die entdeckte Beimischung minderwertiger Metalle einen unwiderleglichen Verdacht begründet, der Handwerker habe sich etwas vom Gold abgezweigt und diesen Anteil durch die Beimischung ersetzt. Dann knüpft auch L. Vis. VII, 6, 3 an der Unterschlagung an. Angesichts der eindeutigen Regelung in L. Vis. VII, 6, 4 bedarf diese Problematik hier keiner Entscheidung. Es kann schon daraus festgehalten werden, dass das heimliche Abzweigen anvertrauter Metalle als Diebstahl, der jeweilige Täter als Dieb angesehen wurde120. Das Anvertrauen hindert die deliktische Erfassung ganz offensichtlich nicht. gg) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die Übersicht hat gezeigt, dass es im westgotischen Recht neben den Normen über unberechtigten Verkauf fremder Sachen in CE 289 und L. Vis. V, 4, 8 weitere Regelungen gibt, die eine Verfolgbarkeit veruntreuter bzw. unterschlagener Sachen in dritter Hand wahrscheinlich machen. Wenn sich verschiedene Quellen unabhängig voneinander über den untreuen Vertrauensmann mit Formulierungen wie „sicut fur ea“ und „pro fure teneatur“ äußern, dann legt dies doch nahe, dass die Rechtsfolgen für den Eigentümer nicht anders lauten als bei einem klassischen Diebstahl. Dazu gehört neben der Diebstahlsbuße auch die Anefangbarkeit der Sache, sollte sich diese mittlerweile im Besitz eines

120 Eine Verallgemeinerung auf sämtliche Vertrauensmänner ist problematisch, weil aus mittelalterlicher Zeit verschiedene Quellen bekannt sind, welche die Weggabe anvertrauter Sachen durch Handwerker gerade als Ausnahme vom „Hand wahre Hand“ Prinzip behandeln, Völkl, SZ RA 110, 492 f., Anm. 195 m.w. N.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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Dritten befinden. Der deliktische Anknüpfungspunkt für diese Klage ist gegeben. Damit hat sich die oben favorisierte Auslegung des CE 289 bestätigt. Im westgotischen Recht hat die Regel „Hand wahre Hand“ nicht gegolten, die Verfolgbarkeit beweglicher Sachen hing nicht pauschal davon ab, ob die Sache freiwillig oder unfreiwillig aus dem Besitz gekommen war121. Der Grund dafür scheint in einem extensiven Diebstahlsbegriff zu liegen, der nicht nur bei Wegnahme der Sache eingreift, sondern, zumindest entsprechend angewandt, auch für die Veruntreuung bzw. Unterschlagung anvertrauter Sachen gilt.

b) Das fränkische Recht Neben dem westgotischen ist das fränkische Recht für unsere Ausgangsfrage von besonderer Bedeutung, da das herrschende Bild der germanischen Anefangklage in hohem Maße von den Verfahren geprägt ist, welche in der Lex Salica122 (cap. 49) und der Lex Ribuaria123 (cap. 33) überliefert sind124. Zudem enthalten die beiden Gesetze ausführliche Regelungen über das sogenannte Spurfolgeverfahren im Falle des Diebstahls (L. Sal. 39; L. Rib. 47), welches von einigen Autoren mit der Anefangklage in enge Verbindung gebracht wird125. Interessant sind die fränkischen Volksrechte aus germanistischer Sicht vor allem deshalb, weil sie als weit weniger römisch beeinflusst gelten als das westgotische Recht126.

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So auch: Völkl, SZ RA 110, 441; Olzen, Jura 1990, 507. Das salfränkische Volksrecht der „Pactus legis Salicae“ stammt höchstwahrscheinlich aus den letzten Regierungsjahren des Reichsgründers Chlodwig (507/511). Dies kann aus der in cap. 47 beschriebenen Reichsausdehnung recht sicher geschlossen werden. Unabhängig davon können einzelne Vorschriften durchaus auch noch älter sein. Karl der Hammer hat das durch christliche Einschübe und handschriftliche Weiterentwicklungen ergänzte Recht einer Neuredaktion unterworfen, welche später unter Karl dem Großen nochmals eine sprachliche Überarbeitung erfuhr. Diese Neufassung der Lex Salica (L. Sal.) dürfte in den letzten Jahren von Karl der Hammer, zwischen 714 und 717 entstanden sein. Vgl. näher zur Geschichte der L. Sal.: Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1949 ff.; Eckhardt (V. Fn. 89), VI ff. 123 Es handelt sich bei der Lex Ribuaria (L. Rib.) nicht um Stammesrecht im engeren Sinne, sondern um ein merowingisches Gesetzbuch, welches für die Franken im Land Ribuarien (weitgehend identisch mit der ehemals römischen civitas Köln) bestimmt war. Einig ist man sich über die Entstehung im 7. Jh. Eine Aufzeichnung unter Dagobert I (623–639) gilt als wahrscheinlich. Einzelne Bestimmungen werden jedoch weiter zurückreichen. Vgl. näher zur Geschichte der L. Rib.: Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Ribuaria, Sp. 1923 ff.; Eckhardt (V. Fn. 89), VII f. 124 Dazu kritisch: Völkl, SZ RA 110, 437 ff. 125 Vgl oben V. 1. b) cc); Planitz, SZ GA 34, 429; zustimmend van Apeldoorn, TR 11, 168. 126 Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1950: „Der Inhalt der Lex verrät vielmehr auf Schritt und Tritt fränkische Sicht.“; vgl. dort auch Sp. 1955. 122

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

aa) Keine Beschränkung des Anefangs auf abhanden gekommene Sachen nach L. Rib. 33 L. Rib. 33. „De intertiare 1. Si quis rem suam cognoverit, mittat manum super eam. Et sic illi, super quem interciatur, tercia manu querat, tunc in praesente ambo coniurare debent cum dexteras armatas, et cum sinixtras ipsam rem teneant. Unus iurit, quod in propriam rem manum mittat; et alius iuret, quod ad eam manum trahat, qui ei ipsam rem dedit.“127 Vom Beschlagnahmen 1. Wenn jemand seine Sache erkennt, lege er die Hand auf sie. Und so verlange jener, bei dem beschlagnahmt wird, seinen Gewähren128. Dann sollen alsbald beide mit den bewaffneten rechten Händen schwören und sollen mit den linken Händen die Sache halten. Der eine schwöre, dass er an seine eigene Sache die Hand lege; und der andere schwöre, dass er zu der Hand ziehen werde, die ihm diese Sache gab.

Der Kläger findet eine ihm gehörige bewegliche Sache beim Besitzer und legt Hand an diese. In der symbolischen Besitzergreifung (mittere manum super rem) liegt gleichzeitig die Einleitung des Anefangverfahrens. Darauf folgten Waffeneide des Klägers und des Beklagten, wozu beide die streitige Sache berührten129. Der Beklagte beruft sich zur Verteidigung auf seinen Vormann, den er verspricht vor Gericht zu bringen. Zum Gerichtstermin sind dann neben dem Kläger auch der Beklagte mit der Sache und seinem Gewähren anwesend. Ist letzterer zur Gewährschaft bereit, schiebt der Beklagte den Streitgegenstand dem Gewähren zur Verteidigung zu und scheidet selbst aus dem Prozess aus. Die herrschende Auffassung von der Anefangklage wendet dieses Verfahren nur auf gestohlene und geraubte, für spätere Zeit auch auf verlorene Sachen an. 127 Dieser und die folgenden fränkischen Texte sind nach der Ausgabe von Eckhardt, Germanenrechte, Band 2, Die Gesetze des Karolingerreiches, Halbband 1, Salische und ribuarische Franken, zitiert. Auch bei den Übersetzungen hat das Werk Verwendung gefunden. 128 Eckhardt (V. Fn. 127), 155, übersetzt stattdessen „Treuhänder“. Dies entspricht der sog. Sequestrationstheorie, nach der die beschlagnahmte Sache für die Zwischenzeit einem Treuhänder in Besitz gegeben wird. Vgl. dazu Goldmann, Tertia manus und Intertiation im Spurfolge- und Anefangverfahren des fränkischen Rechts, SZ GA 39, 145 ff.; SZ GA 40, 199 ff. Dagegen: Rauch, SZ GA 68, 27 ff., 33: „Es leuchtet ein, dass die zunächst erwähnte tertia manus offenbar die Hand ist, auf die sich der Besitzer später im Waffeneid bezieht.“ – die tertia manus ist danach der Gewähre; Brunner/Schwerin, RG II, 652 ff., Anm. 33, 35; vgl. auch die Kritik zu beiden Lesarten bei Beyerle, Lex Ribuaria (1954), 147 f., 174. 129 Für den Kläger war der Eid ein reiner Gefährdeeid „quod in propriam rem manum mittat“. Zusätzlich musste die beschlagnahmte Sache auch noch das signum des Klägers tragen. Vgl. L. Rib. 72, 9: „Vestimentum autem seu his similia absque probabile signum interciare prohibem us.“ Tiere waren regelmäßig mit Marken im Ohr gekennzeichnet. Zu dieser alten germanischen Sitte Näheres bei: Grass, in: HRG V, Viehzeichen, Sp. 913 ff.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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Betrachtet man den Wortlaut der ribuarischen Quelle, so gibt dieser für eine solche Beschränkung nicht viel her. Das Handanlegen soll nach dem einleitenden Satz allgemein für „res sua“, nicht nur für gestohlene Sachen (res furtiva) erfolgen können. Damit spricht die Bezeichnung der streitigen Sache eher gegen eine Beschränkung auf abhanden gekommene Sachen. Als wichtigste Stütze für einen vorangegangenen unfreiwilligen Besitzverlust dient den Vertretern der herrschenden Auffassung der Umstand, dass die Buße im nachfolgenden Paragraph mit „texaga“ bezeichnet ist130, was regelmäßig als „Diebstahlsbuße“ übersetzt wird131. So schreibt Beyerle in seinem Sachkommentar zu Lex Ribuaria zu oben genannter Stelle nur kurz: „Unfreiwilliger Verlust ist unterstellt, da in § 2 texaga“132. Steht eine Buße zur Disposition, die allein für den Fall des Diebstahls vorgesehen war, könnte man tatsächlich ein Abhandenkommen in die Quelle hineinlesen. Es erscheint jedoch fraglich, ob der Begriff „texaga“133 von den Franken in konkreter Abgrenzung zu anderen Delikten wirklich nur für den Fall des Diebstahls verwendet wurde. Als gesichert kann zunächst gelten, dass der Ausdruck in den fränkischen Rechtsquellen sowohl ein Delikt, als auch die dafür zu entrichtenden Buße bezeichnet134. Nicht bestreiten lässt sich auch, dass die gesühnte Missetat in aller Regel ein Diebstahl war und die Übersetzung als Diebstahlsbuße demzufolge nicht neben der Sache liegt. Zweifel an der Zulässigkeit eines Schlusses von der Verwendung des Wortes „texaga“ auf das Erfordernis eines Abhandenkommens zur Aktivlegitimation der sachverfolgenden Klage sind jedoch dann angebracht, wenn die Bezeichnung in den Quellen neben den Diebstahlsfällen auch Fälle der Unterschlagung erfasst. Untersucht man die fränkischen Rechtsquellen diesbezüglich genauer, stößt man auf zwei Malbergische Glossen135 aus der Fassung C der Lex Salica136 und einer 130 L. Rib. 33, 2: „. . ., et ille, qui interciavit, texaga et dilatura ad eum requirat, qui solvere coepit.“ 131 Als Diebstahlsbuße übersetzt bei: Eckhardt (V. Fn. 127), 155; Brunner/Schwerin, RG II, 665, Anm. 93, 806; Schröder (V. Fn. 3), 76, Anm. 8; Schmidt-Wiegand, in: HRG V, Texaca, Sp. 165 ff. 132 Beyerle (V. Fn. 128), 147. 133 Synonyme: „texaca“, „taxaca“, „taxaga“, „texecha“; zum Streit um die etymologische Erklärung vgl. Brunner/Schwerin, RG II, 665, Anm. 93 m.w. N. 134 Brunner/Schwerin, RG II, 665, Anm. 93, 806; Schröder (V. Fn. 3), 76, Anm. 8; Schmidt-Wiegand, in: HRG V, texaca, Sp. 165 f. Weitere Bsp. für derlei Identität sind die Bezeichnungen „charoena“ für Raub und Raubbuße sowie „seolandefa“ für Lebensgefährdung und deren Buße. 135 Es handelt sich dabei nicht um Glossen im üblichen Sinn, sondern Reste der germanischen Verhandlungssprache vor Gericht (Mallobergus), die in den lateinischen Text erklärend übernommen wurden – vgl. dazu Schmidt-Wiegand, in: HRG III, Malbergische Glossen, Mallobergus, Sp. 211 ff. 136 Die L. Sal. ist in 8 verschiedenen Fassungen überliefert. „C“ bezeichnet einen durch Zusatzbestimmungen erweiterten 65 Titel Text, der nach Eckhardt für das Teilreich des König Guntchramns (561–593) bestimmt gewesen sein soll – vgl. zur Überlieferung näher Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1951 ff.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Handschrift des salischen Gesetzes, die von Johannes Herold im Jahre 1557 gedruckt wurde137, welche in letztgenannte Richtung weisen: Fassung C: 10, § 6. „Si quis ancillam furaverit aut vendiderit valentem solidos XV aut XXV si porcario, si fabrum, si venatorem, molinario, carpentario vel quecumque artificem (valente solidos XXV) mallobergo theocho texaca, smala texaca chrochro, ambahtonia texaca, hec sunt de ministeria, sunt denarii MMDCCC qui faciunt solidos LXV culpabilis iudicetur (excepto capitale).“ Wenn einer eine Magd stiehlt oder verkauft, 15 oder 25 Schillinge wert, wenn einen Sauhirt, einen Schmied, einen Jäger, einen Mühlknecht, einen Stellmacher oder irgendeinen Werkmeister (25 Schillinge wert) – gerichtlich „Unfreien-Diebstahl“ „Hörigenmädchen-Diebstahl“, „Dienerin-Diebstahl“, d.h. von den Ämtern genannt – werde er 2800 Pfennige, die machen 65 Schillinge (außer Wert) zu schulden verurteilt. Fassung Herold: 10, § 6. „Si quis maiorem, infe(r)torem, scan(c)ionem, mariscalcum, stratorem, fabrum ferrarium, aurificem sive carpentarium, vinitorem vel porcarium vel ministerialem furaverit aut occiderit vel vendiderit valentem solidos XXV, mallobergo theuca texara, MCCCC denarios qui faciunt solidos (XXXV) culpabilis iudicetur excepto capitale et delatura . . .“ Wenn einer einen Altknecht, Aufwärter, Schenk, Marschalk, Stallknecht, Grobschmied, Goldschmied bzw. Stellmacher, Weingärtner oder Sauhirt oder Dienstmann stiehlt oder tötet oder verkauft, 25 Schillinge wert – gerichtlich „Unfreien-Diebstahl“ –, werde er 1400 Pfennige, die machen 35 Schillinge außer Wert und Weigerungsrecht zu schulden verurteilt.138

In diesen Texten wird das Delikt in der Gerichtssprache („mallobergo“) ausdrücklich als „texaca“ bzw. „texara“ bezeichnet, obwohl die zu Grunde liegende Missetat nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht nur in einer Wegnahme, sondern auch in einer Tötung oder eben einem unberechtigtem Verkauf („furaverit aut occiderit vel vendiderit“) liegen kann. Derjenige, dessen Knecht etc. unerlaubter Weise veräußert oder getötet worden war, konnte genauso wie ein Bestohlener mit der Behauptung eines „texaca“ vor Gericht gehen139. Der Bußtitel trifft also nicht nur den Dieb im engeren Sinne, sondern auch Täter, denen

137 Es handelt sich um einen 80 Titel Text. Eckhardt hat daraus auf eine verlorene Fassung „B“ geschlossen, die auf Theuderich I (511–533) zurückgehen soll – vgl. Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1951 f. 138 Text und Übersetzung nach Eckhardt, Germanenrechte N.F., Pactus legis Salicae. Die Unterstreichungen stammen vom Bearbeiter und heben die hier relevanten Textpassagen hervor. 139 Vgl. zudem auch § 3 der Heroldschen Fassung: „Si quis servum alienum furaverit aut occiderit aut vendiderit aut ingenuum dimiserit et ei fuerit adprobatum, mallobergo theotexaca sunt denarii MCCCC qui faciunt solidos XXXV culpabilis iudicetur.“ (Unterstreichungen durch Bearbeiter). Übersetzung: Wenn einer einen fremden Knecht stiehlt oder tötet oder verkauft oder frei läßt und es ihm nachgewiesen wird – gerichtlich Knechtsdiebstahl genannt –, werde er 1400 Pfennige, die machen 35 Schillinge zu schulden verurteilt.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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wir aus heutiger Sicht eine Unterschlagung/Veruntreuung (unberechtigter Verkauf) oder eine „Sachbeschädigung“ (Tötung des Sklaven140) vorwerfen würden. Dies spricht klar gegen die Möglichkeit, aus der Verwendung des Begriffes „texaga“ in L. Rib. 33, 2 auf einen unfreiwilligen Besitzverlust schließen zu können. Das Wort ist tatsächlich in seiner Verwendung nicht auf Fälle der Wegnahme beschränkt. Dies bestätigt noch einmal L. Rib. 42, 2, wonach derjenige, der einen gefesselten (Jagd)hirsch tötet, ebenso mit der „texaga“ bestraft wird, wie derjenige, der diesen stiehlt. Sicher erscheint nach L. Rib. 33 nur, dass das fränkische Volksrecht bei der Sachverfolgung ein Delikt an der Sache voraussetzt. Beim Gewährenzug geht es darum, die Beschuldigung auf den wahren Täter abwälzen zu können141. Für den Fall, dass der Gewährenzug nicht gelang, lag es am Beklagten, den Deliktsverdacht von sich abzuwenden142. Dies beweist jedoch nur, dass das Verfahren neben der reinen Sachverfolgung auch der Verfolgung von Unrecht und entsprechender Bußleistung diente. Für die Frage, ob das verfolgte Delikt nur in einer Wegnahme oder aber auch in einer Veruntreuung bzw. Unterschlagung, also in einem unberechtigten Verkauf der Sache durch den Vertrauensmann des Eigentümers gelegen haben kann, gibt die Bußpflicht nichts her. bb) Anefang bei vorsätzlich unberechtigter Veräußerung Außerhalb des 33. Titels der Lex Ribuaria finden sich diverse Vorschriften, die den Tatbestand des der fränkischen Anefangklage zu Grunde liegenden Delikts erhellen.

140 Da sich die Höhe der Buße im Falle der Tötung nicht von der bei Diebstahl/ Verkauf unterscheidet, steht hier wohl die Entziehung des Wertes und nicht der Tod eines Menschen im Vordergrund der deliktischen Betrachtung – daher eher die Wertung als Sachbeschädigung, als die als Tötungsdelikt, wenn dies auch aus moderner Sicht befremdet. 141 Rauch, SZ GA 68, 4 f. – der jedoch ganz im Sinne der h. M. nicht von einem feststehenden Delikt, sondern gleich von einem feststehenden Diebstahl und nicht vom „Täter“, sondern „Dieb“ spricht. 142 L. Rib. 33, 2–4. Drei Fälle sind zu unterscheiden: (1) Weigerte sich der bereits benannte Gewähre, den Zug aufzunehmen, musste der Beklagte sowohl Weigerungsbuße „dilatura“ als auch Deliktsbuße „texaga“ zahlen (L. Rib. 33, 3). (2) Kennt der Beklagte den Aufenthalt seines Gewähren nicht, kann er die Buße durch entsprechenden Eid abwenden (L. Rib. 33, 4). (3) Erscheint der geladene Gewähre nicht vor Gericht, musste die Ladung selbsiebt geschworen werden, von der Deliktsbuße wurde der Beklagte jedoch erst frei, wenn er durch Zeugen nachweisen konnte, den Kaufpreis vom Gewähren zurückerhalten zu haben, letzterer haftete dann dem Kläger auf die Buße (L. Rib. 33, 2).

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

(1) L. Rib. 72, 1 Von einem speziellen Vorkommnis ist in L. Rib. 72, 1 die Rede: „De homine intertatio vel pecus mortuo Si quis hominem interciaverit, et infra placitum mortuos fuerit, in quadruvio cum retorta in pede sepeliatur, et ibidem ad diem placitus cum testibus accidat, et cum ipsis VI, qui eum sepelire viderunt, in haraho coniuret, quod ibidem ipsi interciatus absque interfectionem hominum, pecodum vel alterius rei, nisi communem mortem consumptus, sepultus iaciat, et ipsam retortam in pedem habeat, et sic per ipsa retorta super ipso sepulchro semper de manu in manu ambulare debit, usque dum ad ea manu venit, qui eum inlicito ordine vindedit vel furaverit. Quod si ita non fecerit, capitale et dilatura cum legis beneficio seu con furtu culpabilis iudicetur.“ Wenn jemand einen Menschen beschlagnahmt und dieser vor dem Termin stirbt, werde er am Kreuzweg mit einer Fessel am Fuß begraben, und dorthin gehe er am Tage des Termins mit den Zeugen, und mit diesen 6, die ihn begraben sahen, schwöre er auf der Gerichtsstätte, dass der Beschlagnahmte ohne Tötung durch Menschen, Vieh oder eine andere Sache, durch den gemeinen Tod dahingerafft sei, dort begraben liege, und diese Fessel am Fuße habe, und so soll er durch diese Fessel auf diesem Grab immer von Hand zu Hand gehen, bis dass er zu der Hand gelangt, die ihn in unrechtmäßiger Weise verkauft oder gestohlen hat. Wenn jener aber nicht so handelt, werde er zu Wertersatz und Weigerungsbuße mit der Gesetzesbuße oder Diebstahlsbuße verurteilt.143

Die Stelle beschreibt den Ablauf des Gewährenzuges hinsichtlich eines Sklaven, der nach erfolgter Handgreifung im Anefangverfahren verstorben ist. Die Leiche muss zunächst vor 6 Zeugen an einem Kreuzweg begraben werden. Dabei ist am Fuß des toten Sklaven ein Strick anzubringen, der bis zur Erdoberfläche reicht. Vor Gericht muss mit den Zeugen dann beschworen werden, dass der in Anspruch Genommene eines natürlichen Todes gestorben ist. Der Gewährenzug lauft dann ersatzweise so ab, dass jeder Gewähre den Strick zu ergreifen und weiterzugeben hat, bis man zu der Hand gelangt, die den Sklaven in unrechtmäßiger Weise verkauft oder gestohlen hat. Von Bedeutung ist hier weniger die bildhafte Modifikation des Gewährenzuges, als vielmehr die Tatsache, dass mit der Formulierung „inlicito ordine vindedit vel furaverit“ alternativ144 neben dem Diebstahl der Sache auch ausdrücklich ein unberechtigter Ver143

Unterstreichungen durch den Bearbeiter zur Verdeutlichung der relevanten Stel-

len. 144 Scherner (V. Fn. 3), 165 ff., weist auf die Möglichkeit hin, das „vel“ in der betreffenden Formulierung im Sinne von „und“ zu übersetzen. Zu Recht wendet er dagegen jedoch ein, dass im nachfolgenden § 5 L. Rib. 72 das „vel“ in der Formulierung „homo commendatus vel fugitivus“ eindeutig als „oder“ verwendet wird. Auch besteht wohl kein Grund, den unberechtigten Verkauf zu erwähnen, wenn der Gewähre sich zusätzlich eines Diebstahls schuldig gemacht hat. Ersteres wäre nichts anderes als eine bloße unbestrafte Nachtat. Beyerle (V. Fn. 128), 173, übersetzt mit „oder“, ohne auf die Bedeutung aufmerksam zu machen. Ausdrücklich für eine Lesart als „oder“ hat sich ebenfalls Völkl, SZ RA 110, 441, Anm. 60, ausgesprochen.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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kauf als Delikt des Gewähren aufgeführt ist. Zweifellos ist die Stelle im Anschluss an das in L. Rib. 33 geregelte Verfahren zu lesen145. Sowohl die intertatio als auch der Gewährenzug weisen sehr deutlich darauf hin. Es handelt sich, was auch die Titelüberschrift zum Ausdruck bringt, lediglich hinsichtlich des zwischenzeitlichen Versterbens des Sklaven um einen Sonderfall. Ansonsten sind die Voraussetzungen und Ziele des Verfahrens mit dem oben beschriebenen identisch146. Damit dürfte die Formulierung „inlicito ordine vindedit vel furavit“ auch für die Beschreibung des Delikts zutreffend sein, dass dem Grundfall des ribuarischen Anefangs in L. Rib. 33 zu Grunde liegt und die Bußpflicht bewirkt. Nicht nur Diebstahl sondern auch Unterschlagung durch unberechtigten Verkauf der Sache eröffnete demnach die Sachverfolgung nach der Lex Ribuaria147. Doch wer ist regelmäßig Täter eines unrechtmäßigen Verkaufs? Der Dieb selbst scheidet von vornherein aus. Es verbietet sich anzunehmen, dass der unberechtigte Verkauf hier als Nachtat des Diebes noch einmal alternativ zum Diebstahl als Anknüpfungspunkt für den Deliktsvorwurf dienen sollte. In Konsequenz dieser Auffassung wäre die Erwähnung der inlicita venditio völlig überflüssig. Zu denken ist noch an einen Veräußerer, der den flüchtigen Knecht außerhalb des Besitzes des Herrn aufgegriffen und verkauft hat. Auch diese Einschränkung ist jedoch problematisch. Zunächst müsste die Flucht des Knechtes in den Sachverhalt hineingelesen werden. Schwerer wiegt noch, dass der Fall des Aufgreifens eines Unfreien in L. Rib. 75148 ausdrücklich geregelt ist. Danach wird derjenige, der das Aufgreifen des fremden Knechts nicht nach einem besonderen Verfahren anzeigt als Dieb behandelt – „fur iudicandus est“. 145

Brunner/Schwerin, RG II, 661; Scherner (V. Fn. 3), 164; Völkl, SZ RA 110,

440 f. 146 Zumindest bei der Einleitung des Verfahrens, auf die es für unsere Frage nach der Aktivlegitimation ja ankommt, wollte der Kläger Restitution und Buße. Nachdem der Sklave verstorben ist, wird dann freilich die Erlangung der Deliktsbuße zum einzigen Ziel. Durch diese Quelle bestätigt sich im Übrigen auch die gemischte Natur des Anefangverfahrens. Ginge es nur um Sachverfolgung, müsste man mit dem Tod des Sklaven eine Beendigung erwarten. 147 So schon Stobbe, DPR II, 561, Anm. 5. Nach ihm wurde L. Rib. 72, 1 nicht mehr in diesem Zusammenhang gesehen, vgl. etwa Brunner/Schwerin, RG II, 670, wo nur die westgotischen und bayrischen Vorschriften erwähnt sind; dann erst wieder die neuere Literatur: Scherner (V. Fn. 3), 164 ff.; Völkl, SZ RA 110, 440 f.; nicht gesehen von Korte (I. Fn. 5), 26 f. 148 L. Rib. 75: „De res proprisas vel sequentes eam. Si quis caballum, hominem, vel qualibet rem in via propriserit, aut eum secutus fuerit, per III marcas ipsum ostendat, et sic postea ad reges stafflum. Sin autem aliter agerit, fur iudicandus est. Quod si quis latronum aliquid tullerit, similiter faciat.“ Übersetzung: Von gefundenen Sachen oder ihren Verfolgern. Wenn jemand ein Pferd, einen Unfreien oder irgendeine Sache auf dem Wege findet oder sie verfolgt, zeige er diese in 3 Gemarkungen vor, und danach bei des Königs Gerichtshügel. Wenn er aber anders handelt, ist er als Dieb zu verurteilen. Wenn aber jemand einem Räuber etwas abnimmt, handele er in gleicher Weise.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Auch in diesem Fall ist es somit überflüssig, die „inlicita venditio“ gesondert zu erwähnen. Der unberechtigte Veräußerer kann danach nur jemand sein, der die Sache ohne deliktisches Handeln an sich gebracht hat. Ins Blickfeld rücken damit jene Konstellationen, in denen der Knecht dem Veräußerer vom Herrn anvertraut, insbesondere zur Verrichtung von Arbeiten verliehen wurde. Jenen Tätern kann zwar kein Diebstahl im engeren Sinne, sehr wohl aber eine veruntreuende Unterschlagung vorgeworfen werden149. (2) L. Rib. 72, 5 Scherner meint, die Verfolgbarkeit eines anvertrauten Sklaven (homo commendatus) mittels Anefang zusätzlich darauf stützen zu können, dass in L. Rib. 72, 5 eine derartige Situation direkt beschrieben sei150. Die betreffende Stelle lautet: „Si homo commendatus vel fugitivus defunctus fuerit, similiter in quadruvio cum retorta sepeliatur. Quod si ita non fecerit, ipsi, qui eum post se retenuit, precium rei um legis beneficio culpabilis iudicetur.“ Wenn ein anvertrauter oder flüchtiger Unfreier stirbt, werde er gleichermaßen am Kreuzweg mit der Fessel begraben. Wenn aber der, der ihn bei sich hält, nicht so handelt, werde er zum Preise der Sache samt der Gesetzesbuße verurteilt.

Leider lässt sich aus der sehr kurzen Einlassung Scherners nicht sicher entnehmen, welchen Sachverhalt er der Quelle zu Grunde legt. Zum Ausdruck kommt jedoch seine Annahme, die Quelle biete einen Beweis dafür, dass der homo commendatus dem Anefang unterliege, also nicht nur beim Vertrauensmann sondern auch in der Hand eines Dritten verfolgt werden könne. Dies ist aber nur dann richtig, wenn die Stelle ebenso wie die vorangehenden Paragraphen eine Beschlagnahme des anvertrauten Sklaven vor seinem Tode voraussetzt151. Nur dann kann der redliche Erwerber überhaupt wissen, dass es sich eventuell um einen „homo commendatus“ handelt und das gesetzliche Begräbnisritual zu befolgen ist. Für eine vorangegangene Beschlagnahme spricht sicherlich die Einordnung unter dem Titel 72. „De homine intertatio vel pecus mortuo“. Zweifel müssen jedoch bei der Betrachtung der Rechtsfolgen eines 149 Deutlich Völkl, SZ RA 110, 441: „Daß man in der Formulierung inlicito ordine vindere in erster Linie die Veruntreuung zu erblicken hat, wird wohl nicht zu bestreiten sein.“ 150 Scherner (V. Fn. 3), 165, Anm. 6. 151 Beyerle (V. Fn. 128), 174, sieht im „homo commendatus“ denjenigen Knecht, der nach erfolgtem Anefang zwischenzeitlich an den Treuhänder gelangt ist. Die Sequestertheorie erfahre hier ihre volle Bestätigung. Überzeugen kann dies jedoch nicht. Es ergäbe sich dann nämlich überhaupt kein sachlicher Unterschied zur Konstellation in L. Rib. 72, 1 – auch dort wäre der Knecht dann bei einem Sequester verstorben, welchen auch die Bestattungspflichten träfen. § 5 wäre diesbezüglich eine bloße Wiederholung mit unerklärlich modifizierten Rechtsfolgen (keine Diebstahlsbuße).

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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Verstoßes aufkommen. Anders als in den vorangehenden Paragraphen 1–3 wird eine Verurteilung des Besitzers zur Deliktsbuße nicht in Betracht gezogen. Es bleibt vielmehr beim Preisersatz und der Buße für das versäumte Vergraben. Auch über die Folgen des nun nicht mehr möglichen Gewährenzuges schweigt das Gesetz in auffälliger Weise. Dies lässt darauf schließen, dass in dem hier geregelten Fall mangels Beschlagnahme überhaupt kein Gewährenzug erfolgen musste. Aus demselben Grunde stand auch eine Deliktsbuße nicht zur Debatte. L. Rib. 72, 5 regelt vermutlich den einfacher liegenden Fall, dass der anvertraute Knecht ohne vorangegangene Beschlagnahme stirbt und zwar noch in der Hand des Vertrauensmannes bzw. Finders, also einer Person, die um ihre Nichtberechtigung weiß. Diese Fremdbesitzer müssen auch nach dem Tode des Sklaven Rücksicht darauf nehmen, dass dieser nicht ihnen gehört. Typischer Adressat der Regelung sind also Entleiher, Verwahrer und diejenigen, die in redlicher Absicht einen entlaufenen Sklaven aufgegriffen haben. Diese Besitzer müssen den Knecht nach dessen Ableben in der beschriebenen Weise begraben, damit sie sich bei späterer Rückforderung durch den Eigentümer erfolgreich auf das natürliche Versterben berufen können. Missachten sie das Gebot, werden sie zum Preis (Marktwert) des Sklaven verurteilt, nebst der Buße für den Gesetzesverstoß. Es soll so vermutlich verhindert werden, dass sich untreue Besitzer zu ihrer Verteidigung einfach auf ein Versterben des fremden Sklaven berufen. Das förmliche Begraben diente hier vor allem zur Beweissicherung. Zudem sollte dem Eigentümer ein etwaiger Anefang ermöglicht werden. Wer sich nicht daran hielt und damit die förmliche Restitution an den dominus vereitelte, machte sich verdächtig und bußpflichtig152. Der sachliche Zusammenhang zum 72. Titel besteht im Ritual des Vergrabens am Kreuzweg153. Insofern ist auch die Einordnung trotz des Fehlens der intertatio nachvollziehbar. Es begegnet uns in den Volksrechten an vielen Orten, dass Regelungen unter fremden Titeln zu finden sind, wenn nur ein gewisser sachlicher Zusammenhang zum Regelungsgehalt besteht154.

152 Die Verurteilung in das simplum nebst Gesetzesbuße ist ein durchaus sinnvoller Kompromiss. Einerseits wird damit der Besitzer abgeschreckt, einen Tod des Knechts nur vorzutäuschen. Andererseits erhält der Eigentümer wenigstens den einfachen Wert des Sklaven, steht also so wie bei tatsächlicher Restitution, obwohl ja die Möglichkeit besteht, dass der Sklave tatsächlich tot ist. 153 Für eine Eigenständigkeit der Regelung in § 5 lässt sich weiterhin anführen, dass die Regelung anders als die vorhergehenden §§ nicht mit „Si autem“ beginnt und damit auch nicht an die in § 1 beschriebene Situation, „Si quis hominem interciaverit, et infra placitum mortuos fuerit“, anknüpft, sondern eben eine eigenständige Regelung für den „homo commendatus vel fugitivus“ enthält. Bestätigt wird dies dadurch, dass der nachfolgende § 6 das betreffende Tier extra noch einmal mit „animal intertiatus“ bestimmt. Freilich sind dies nur Indizien. 154 Vgl. die Ausführungen zu L. Vis. VII, 2 – oben V. 2. a) ff) (2).

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Somit kann L. Rib. 72, 5 nicht als direkt geregelter Fall der Verfolgung anvertrauter Gegenstände in dritter Hand herangezogen werden. Die Quelle legt aber wenigstens nahe, dass das Anvertrauen von Knechten auch im fränkischen Recht regelmäßig praktiziert wurde. Damit dürften die Fälle unberechtigten Verkaufs in der Praxis eine gewisse Bedeutung erlangt haben, was einen Regelungsbedarf nahe legt. cc) Anefang bei bewusst unberechtigter Freilassung Es finden sich in der Lex Ribuaria noch andere Quellen, die gegen eine Beschränkung des ribuarischen Anefangs auf gestohlene bzw. beraubte Sachen sprechen. So werden das Handanlegen und der darauffolgende Gewährenzug in L. Rib. 58, 8 auch für den Fall beschrieben, dass ein fremder Sklave unberechtigt zu einem Kirchenhörigen (tabularius) gemacht wurde: „Quod si quis tabularium ex servo alieno facere praesumpserit, tunc illi, cuius servus est, super eum manum mittere debit. Et si tabularius est, vel regius seu romanus homo, qui hoc facit, super VII noctis, si Francus, super XIV de manu in manu ambulare debet, quamvis multas vindicionis ex illo factas fuissent, usque dum ad ea manu venit, qui eum ingenuum demisit. Et tunc ex eo iudicius superius conprehensus adimpleatur.“ Wenn aber jemand sich unterfängt, aus eines anderen Knecht einen Kirchenhörigen zu machen, dann soll jener, dessen Knecht es ist, die Hand auf ihn legen. Und wenn es ein Kirchenhöriger ist oder ein Königsunfreier oder ein römischer Mann, der dies tut, soll jener nach 7 Nächten, wenn es ein Franke ist, nach 14, von Hand zu Hand gehen, wieviele Verkäufe auch über ihn getätigt sind, bis er an die Hand kommt, die ihn freiließ. Und dann werde von diesem das oben erwähnte Urteil erfüllt.

Die Weitergabe von Hand zu Hand hat hier nicht den Sinn, einen Dieb oder Räuber zu finden, sondern denjenigen, der unberechtigt die Freilassung gewagt hatte. Damit steht die Stelle in offenem Widerspruch zur Beschränkung des Anefangs auf Diebstahl und Raub155. Auch die bloße unberechtigte Freilassung konnte auf diesem Wege verfolgt werden156. Der offensichtlich zur Vereinbarkeit der Stelle mit der herrschenden Auffassung von Brunner vorgeschlagenen Einschub, „ea quae eum inlicito ordine vendidit vel furavit“, zur näheren Bezeichnung des Freilassenden157, ist genauso abzulehnen158, wie der nicht stich155

Scherner (V. Fn. 3), 167 ff. Beyerle (V. Fn. 128), 162. 157 Brunner, Abhandlungen zur Rechtsgeschichte, Band 2 (1931), 578, ist der Auffassung, die genannte Passage sei nach „ea manu“ versehentlich ausgelassen worden. 158 Scherner (V. Fn. 3), 167 f., hat gezeigt, dass das grammatikalisch falsche „qui“ statt „quae“, welches Brunner zum Anlass nahm, ebenso in 72, 1 und 33, 1 an entsprechender Stelle vorkommt – es ist wohl der auctor als Person hinter der manus gemeint; gegen Brunner auch Beyerle (V. Fn. 128), 162. 156

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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haltig begründete Verdacht der Unechtheit von Beyerle159. Beide Auffassungen resultieren letztendlich aus der hier in Frage gestellten Vorstellung, der Anefang könne stets nur aufgrund eines Diebstahls erfolgen. Dass dem nach ribuarischem Recht nicht so ist, bestätigt noch einmal L. Rib. 57, 2. Dort findet sich der Fall geregelt, dass ein vor dem König durch Schatzwurf Freigelassener160 von jemanden in Knechtschaft genommen wird, der behauptet, sein rechtmäßiger Herr zu sein. Aus der Quelle lässt sich entnehmen, dass der Kläger dem Freilasser dazu vorwirft, den Knecht unrechtmäßig als Freien entlassen zu haben161. Da das Verfahren die Möglichkeit eines Gewährenzuges enthält, liegt es nahe, ähnlich wie in L. Rib. 58, 8 von einem vorangegangenen Anefang auszugehen. Anders als dort, ist hier das Handanlegen aber nicht explizit angeordnet. In der Praxis wird es dennoch regelmäßig dazu gekommen sein. Stößt der Herr zufällig auf die ihm als Knecht bekannte Person, wird er auf den Anefang nicht verzichtet haben. Erst wenn dieser die Königsurkunde vorlegt, wandelt sich das Verfahren zwangsläufig ab162. Statt direkt nach demjenigen zu suchen, der den Knecht gestohlen oder unberechtigt verkauft hat, gilt es festzustellen, ob die Freilassung berechtigt oder unberechtigt erfolgte, die Urkunde also wirksam oder unwirksam ist. Der auctor wird zur Verteidigung der Freilassung versuchen, seine Berechtigung nachzuweisen. Dabei kann ihm der Zug auf eigene Vormänner nicht verwehrt gewesen sein. Anders als beim Gewährenzug der normalen Anefangklage, ging es jedoch nicht um die Abwälzung eines Deliktsverdachtes. Der Freilassende war ja bekannt. Nur ihm, nicht seinen Vormännern, konnte der Vorwurf eines „inlicito ordine dimittere“ gemacht werden. Gelingt dem Freilasser die Verteidigung nicht, dann muss er neben der hohen Buße an den König auch dem Herrn für die „inlicito ordine“ erfolgte Freilassung Buße entrichten. Von einem vorangegangenen Diebstahl ist hier nicht die Rede. Es ist auch nicht angebracht, einen solchen der Quelle stillschweigend zu Grunde zu legen. Ob die Freilassung durch einen Dieb oder einen Vertrauensmann des Eigentümers erfolgte, macht für das zu Grunde liegende Unrecht und die Wirksamkeit der Freilassung keinen Unterschied. Entscheidend ist allein die Berechtigung zu diesem Akt. Liegt diese nicht vor, 159

Beyerle (V. Fn. 128), 162. Dagegen: Scherner (V. Fn. 3), 168 f. Vgl. zu diesem Verfahren: Beyerle (V. Fn. 128), 159. 161 L. Rib. 57, 2: „Sed si quis in postmodum contrarius exteterit et dixerit, quod eum quis inlicitum ordine ingenuum dimisisset, et ipse cum gladio suo hoc studiat defensare.“ Übersetzung: Wenn aber später jemand als Gegner ersteht und sagt, dass ihn jener unrechtmäßigerweise als Freien entlassen habe, befleißige er sich, sich selbst mit seinem Schwert zu verteidigen. 162 Der Freigelassene stand dann durch die Urkunde auf gleicher Stufe mit dem Kläger. Schon mangels eines Besitzers konnte das Verfahren nicht in der üblichen Form durchgeführt werden. Die Gleichrangigkeit der beiden Personen zeigt sich auch darin, dass der Freigelassene sich selbst mittels Zweikampf verteidigen kann, wenn er keinen auctor benennt. Vgl. Beyerle (V. Fn. 128), 159. 160

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

haftet der Freilasser dem Herrn und zusätzlich dem König, wegen der zugemuteten Rechtsverletzung. Festhalten lässt sich, dass in L. Rib. 57, 2 und L. Rib. 58, 8 Fälle der Sachverfolgung geregelt sind, die unabhängig von einem Abhandenkommen des Knechtes stattfinden. Die zu Grunde liegende Missetat wird als „inlicito ordine dimittere“ beschrieben und bildet neben dem „inlicito ordine vendere“ einen eigenen Ansatzpunkt für den Anefang. dd) Sachverfolgung in dritter Hand ohne Abhandenkommen im salfränkischen Recht Die Lex Salica behandelt die Anefangklage unter dem Titel 49, der überschrieben ist mit: „De filltortis, hoc est, qualiter homo furatas res intertiare debet.“ Es soll hier nicht näher auf das Verfahren selbst eingegangen werden163. Seine ursprüngliche Ausrichtung auf gestohlene Sachen ergibt sich schon aus der Titelüberschrift164. Allerdings finden sich auch im salischen Recht Regelungen, die auf eine fortschreitende Ausweitung deliktischer Verantwortlichkeit über den bloßen Diebstahl hinaus hinweisen. So ist unter dem Titel „De servis vel mancipiis furatis“, auf den bereits oben bei der Frage nach der Bedeutung des Wortes „texaga“ aufmerksam gemacht wurde, dem Diebstahl des Knechts dessen Tötung, der unberechtigte Verkauf und die Freilassung bußrechtlich gleichgestellt. Es erfolgt in jedem dieser vier Fälle eine Verurteilung zu 35 Schillingen nebst Wertersatz und Weigerungsbuße. Die Aufzählung und Unterscheidung der jeweiligen Missetaten macht es völlig unwahrscheinlich, dass dem occidere, vendere und dimittere des servus alienus noch zusätzlich ein Diebstahl vorangegangen sein muss165. Vielmehr wurden die einzelnen Delikte getrennt voneinander erfasst und mit Buße belegt. Unklar ist noch, ob mit der bußrechtlichen Verantwortlichkeit auch die Verfolgbarkeit des Knechtes, insbesondere im Fall des unberechtigten Verkaufes, einherging. Dazu sagt der salische Bußtitel selbst nichts aus. Weiterhelfen kann hier jedoch ein dazugehöriges Kapitular aus dem Jahre 819, auf das bereits Scherner in diesem Zusammenhang hingewiesen hat166. Dort heißt es unter 2.: 163 Siehe dazu: Brunner/Schwerin, RG II, 645 ff.; Rauch, SZ GA 68, 2 ff.; Werkmüller, in: HRG I, Anefang, Sp. 159 ff., Sp. 162. 164 Zudem sei auf die Ansicht von Planitz verwiesen, der den salischen Anefang als Fortbildung des Spurfolgeverfahrens sieht, vgl. oben V. 1. b) cc). Letzteres ist nur bei gestohlenen Sachen (vor allem Tieren) möglich. Schließt man sich Planitz an, wird auch die ursprüngliche Beschränkung des Anefang auf gestohlene Sachen verständlich; gegen Planitz: Rauch, SZ GA 68, 67 ff. 165 So auch Scherner (V. Fn. 3), 163. 166 Scherner (V. Fn. 3), 170.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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„De XI.capitulo legis Salicae. Si quis servum alienum occiserit vel vendiderit vel ingenuum dimiserit, MCCCC denarios qui faciunt solidos XXXV culpabilis iudicetur excepto capitale et dilatura. De hoc capitulo iudicatum est ab omnibus, ut, si ille servus qui iniuste venditus vel ingenuus dimissus apparet, non alter pro eo in locum illius restituatur. Quia dixerunt aliqui, quod idem servus, qui ingenuus dimissus fuerat denuo ad servitium redire non debeat: sed pristino domino et servitio restitutus fiat, iudicaverunt.“ Über das 11 Kapitel des salfränkischen Gesetzes. Wenn einer einen fremden Knecht tötet oder verkauft oder frei läßt, werde er 1400 Pfennige, die machen 35 Schillinge außer Wert und Weigerungsgeld zu schulden verurteilt. Über dieses Kapitel wurde von allen geurteilt, daß, wenn jener Knecht als unrechtmäßig verkauft oder freigelassen erscheint, nicht ein anderer für ihn an seiner Stelle erstattet werde. Es sagten nämlich einige, daß, dieser Knecht der freigelassen worden ist, nicht erneut zur Knechtschaft zurückkehren müsse; doch sie urteilten, er werde dem früheren Herrn und der Knechtschaft zurückerstattet.167

Es geht in der Quelle direkt nur um die Frage, ob anstelle des verkauften bzw. freigelassenen Knechts vom Täter auch ein Ersatzmann gegeben werden kann. Die Mehrheit verneint dies und fordert Rückkehr des betroffenen Knechts zum Herrn. Bedeutend für unsere Problematik ist dabei die Tatsache, dass das Kapitular neben der bekannten Bußpflicht auch die Möglichkeit der Sachverfolgung durch den Herrn als selbstverständlich voraussetzt168. Der unberechtigte Verkäufer ist verpflichtet, den Knecht zurückzugeben. Ebenso wie im oben erörterten CE 289 scheint der Restitution durch den Veräußerer auch nicht im Weg zu stehen, dass der Knecht durch die Veräußerung in den Besitz eines Dritten gelangt ist. Die Möglichkeit, dass der Erwerber die Herausgabe vollständig verweigert, wird nicht einmal in Betracht gezogen. Dies lässt den Schluss zu, dass eine solche Situation praktisch nicht eintreten konnte, der Erwerber also in der Pflicht stand. Bestens passt dies wiederum zur Ausgangslage beim Anefang. Findet der Herr seinen unberechtigt verkauften Knecht beim Erwerber vor, legt er Hand an ihn und das Verfahren richtet sich nach L. Sal. 49 zunächst gegen den Besitzer. Zur Verteidigung gibt dieser die Sache an seinen Gewähren, den Veräußerer, dem seinerseits die Abwendung des Vorwurfs einer iniuste vendita nicht gelingt. Damit musste neben der fälligen Buße auch der Knecht an den Herrn herausgegeben werden. Allerdings konnte der Veräußerer ein Interesse daran haben, nicht den veräußerten servus, sondern einen gleichwertigen Ersatzmann zu restituieren, etwa weil er den Erwerber von Nachteilen verschonen wollte169. Hier setzt das Kapitular an und schneidet dem Veräußerer 167 Text und Übersetzung nach: Eckhardt, Germanenrechte n. F., Pactus legis Salicae II, 2, 450 f. 168 Scherner (V. Fn. 3), 170; der ergänzend auf ein weiteres Kapitular – pro lege habendum Wormatiense, 829 c.4 – hinweist, das ebenfalls von einer Rückgabepflicht ausgeht. 169 Zur moralischen Verpflichtung des Veräußerers, die Sache dem Käufer zu erhalten, vgl. in Bezug auf das römische Recht Völkl, SZ RA 110, 45. Dem Erwerber

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

die Stellung eines Ersatzes ab. Ist diese Einordnung richtig, dann liefert diese Quelle einen weiteren Beweis dafür, dass zumindest nach späterem fränkischem Recht auch bezüglich unberechtigt veräußerter Knechte eine Sachverfolgung möglich war. Verfahrenstechnisch knüpfte man dazu an das aus den Diebstahlsfällen bekannte Verfahren an und erweiterte den deliktischen Ansatzpunkt um unberechtigten Verkauf und Freilassung. Damit spiegelt sich die bußrechtliche Gleichstellung nun auch in der Sachverfolgung wieder. ee) Zusammenfassung und Zwischenergebnis Die durchgesehenen Quellen aus dem fränkischen Recht lassen zumindest für die karolingische Zeit die von der älteren Lehre angenommene Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips nicht als gerechtfertigt erscheinen. Zwar regelt die Lex Salica den Anefang ursprünglich nur für gestohlene Sachen, das Verfahren wurde dann jedoch auf den unberechtigten Verkauf erweitert. Dies zeigt sich sowohl in der neueren Lex Ribuaria als auch in den besprochenen Bußtiteln und Kapitularien der Lex Salica. Auffallend ist, dass die einschlägigen Quellen auf die Fälle der Veräußerung von Sklaven beschränkt sind. Lässt sich daraus ableiten, dass für andere Fahrnis eine Sachverfolgung weiterhin nur nach klassischem Diebstahl möglich war? Dies würde heißen, die Entwicklung der Verfolgung von Sklaven und anderen Mobilien hätte nach fränkischem Recht eine unterschiedliche Entwicklung genommen. Dafür ist ein sachlicher Grund jedoch nicht ersichtlich. Näher liegt es, die Quellenlage damit zu erklären, dass die Problematik des unberechtigten Verkaufs hinsichtlich der Knechte und Mägde am häufigsten vorkam und deshalb gerade dort eine Regelung fand170. Die Entwicklung nahm ihren Anfang in der Erfassung der „inlicita venditio“ als Delikt, welches wie ein Diebstahl zu büßen ist. Selbst die Höhe der Buße war gleich171, was darauf schließen lässt, dass ein Opfer dieser Missetaten nicht schlechter stehen sollte, als der Bestohlene. Von dieser Überlegung ist es bis zur Anwendung des Anefangs auf unberechtigt verkaufte Sachen kein großer Schritt

brauchte dann auch nicht der Preis zurückgegeben werden, der ja durchaus günstig für den Veräußerer gewesen sein konnte. Die Möglichkeit einen Ersatzmann zu stellen, war damit immer „aktuell“ – entgegen Scherner (V. Fn. 3), 171, der die Aktualität des Problems hauptsächlich dann sieht, wenn der Knecht nicht lebend gefunden wird. Im Übrigen war die Frage nach der Rückkehr in die Knechtschaft aus Sicht des freigelassenen servus natürlich stets von Belang. 170 Das Anvertrauen von Sklaven ist im fränkischen Recht belegt, L. Rib. 72, 5 „homo commendatus“, vgl. oben V. 2. b) bb) (2). Zudem dürfte der unberechtigte Verkauf eines Unfreien auch häufiger gewesen sein, als dessen Diebstahl. Die Ausdehnung der Sachverfolgung hatte also gerade für diese Fallgruppe Bedeutung. 171 L. Sal. 11, 3; 5 – vgl. auch oben V. 2. b) aa), cc) – sowohl bei Diebstahl als auch bei unberechtigtem Verkauf, Freilassung betrug die Buße 35 Schillinge; für wertvollerer Knechte 70 Schillinge.

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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mehr. Der Geschädigte sollte die deliktisch entzogene Sache ebenso zurückerhalten, wie im Falle des Diebstahls.

c) Das bayrische Recht Bevor auf die möglichen Gründe dieser Entwicklung eingegangen wird, soll noch das bayrische Recht untersucht werden. Oben wurde bereits angedeutet, dass in der Lex Baiuvariorum ein Derivat von CE 289 zu finden ist. Dieses befindet sich als § 4 unter dem XVI Titel „De venditionibus“ und lautet: „Quotiens de vendita re contentio commovetur, si alienam fuisse constiterit, nullus sine domino praeiudicio conparetur172 et domino is qui alienam vendere praesumpsit, duplum cogatur exsolvere; nihilominus emptori qui accepit pretium redditurus. Et quicquid ad conparata rei perfectum studio sui utilitatis emptorum adiecit, a locorum iudicibus aestimetur et ei qui laborasse cognoscitur, a venditore iuris alieni satisfactio iusta (reddatur).“ So oft über eine verkaufte Sache Streit entsteht, wenn es feststeht, dass sie eine fremde ist, erwerbe sie keiner ohne Einwilligung des Eigentümers, und der werde gezwungen, dem Eigentümer das Doppelte zu zahlen, der eine fremde zu verkaufen sich unterfängt; nichtsdestoweniger gebe der, der den Kaufpreis erhielt, ihn dem Käufer zurück. Und was für Aufwand auch immer einer der Käufer um seines Vorteils willen auf die verkaufte Sache vertat, werde von den Richtern des Ortes geschätzt, und dem, der daran gearbeitet zu haben erkannt wird, werde vom Verkäufer eines fremden Eigens gerechte Genugtuung gegeben.

Auch wenn es noch immer umstritten ist, wie die alte westgotische Vorschrift ihren Eingang in die Bayernlex gefunden hat, besteht an der Verwandtschaft der Normen an sich kein Zweifel173. Der Wortlaut ist nahezu identisch. Zur Auslegung und Einordnung kann auf das oben zu CE 289 Gesagte verwiesen werden. Offensichtlich diente die Stelle den Bayern zur Ergänzung der Regelung in L. Bai. XVI, 1.: „Si quis vendiderit res alienas sine voluntate domini sui, aut servum aut ancillam aut qualemcumque rem, ipsam per legem reddat et consimilem alium addat; et si ipsum non potest invenire, II consimiles reddat.“

172 An diesem Punkt weicht die L. Bai. von CE 289 ab – dort steht „nullum domino praeiudicium conparetur“. Zustimmend zur nachfolgenden Übersetzung Eckhardts: Scherner (V. Fn. 3), 146 f., Anm. 20; Völkl, SZ RA 110, 493 f., Anm. 198. Es sei nur daran erinnert, dass schon die L. Vis. an betreffender Stelle vom Vorbild des CE abgewichen ist, vgl. oben V. 2. a) ee). Die Autoren der L. Bai. verstehen den Einschub in noch anderer Weise, was nahe legt, dass sie sich mit dem Text auseinandergesetzt haben und nicht ein bloßes Abschreiben vorliegt. 173 Siems, in: HRG II, Lex Baiuvariorum, Sp. 1892 ff.; Völkl, SZ RA 110, 493. Vgl. allgemein zu den Anleihen der Redakteure der L. Bai. im westgotischen Recht: Mayer-Maly, Pactum, Tausch und laesio enormis in den sog. leges Barbarorum, SZ RA 108 (1991), 217 ff.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Wenn jemand eines anderen Gut ohne Willen des Eigentümers verkauft, entweder einen Knecht oder eine Magd oder irgendeine Sache, gebe er diese von gesetzeswegen zurück und füge eine andere Gleichwertige hinzu; und wenn er sie selbst nicht finden kann, gebe er 2 gleichwertige.

Gemeinsames Anliegen beider Stellen ist die Regelung der Rechtsfolgen einer unberechtigten Verfügung über fremdes Gut. Während XVI, 1 nur das Verhältnis zwischen Eigentümer und Verfügenden regelt, geht XVI, 4 darüber hinaus und übernimmt für den Verkäufer die Pflicht, dem Käufer neben dem Kaufpreis auch seine Aufwendungen zu ersetzen. Dies war wahrscheinlich der Grund dafür, die Regelung des CE in die L. Bai. aufzunehmen. Die Zusammenschau beider Regelungen ermöglicht einen recht sichereren Blick auf die bayrischen Rechtsfolgen bei unberechtigtem Verkauf einer fremden Sache. Wie im westgotischen Recht, musste der Veräußerer auch hier die Sache dem Eigentümer herausgeben und eine gleichwertige hinzufügen. Die Verpflichtung auf das duplum in L. Bai. XVI, 4 ist lediglich die Wiederholung der beiden consimiles aus L. Bai. XVI, 1. Daraus ergibt sich, dass die Sache selbst bereits im duplum enthalten ist174. Kann der Verkäufer die Sache nicht finden, muss er ersatzweise zwei gleichwertige (consimiles) herausgeben175. Dies könnte für unsere Auslegung des CE 289 und damit auch für ein gleichlautendes Verständnis von L. Bai. XVI, 4 Bedenken hervorrufen, da der Anefang zwangsläufig Kenntnis vom Verbleib der Sache voraussetzt. Regelt L. Bai. XVI, 1 die Folgen für den Fall, dass die Sache nicht mehr auffindbar ist, kann es bei dem dabei zu Grunde liegenden Verfahren nicht um Sachverfolgung im engeren Sinne gehen. Ursprünglicher Adressat der Klage kann dann auch nicht der Besitzer sein, wie dies für CE 289 angenommen wurde176. Vielmehr ist das bloße Verfolgen der beiden consimiles eine reine Schadensersatz- bzw. Deliktsklage gegen den Veräußerer. Ein Drittbezug fehlt in diesem Fall. Sieht man für die der Regelung in L. Bai. XVI, 4 zu Grunde liegende Klage jedoch umgekehrt nur den Veräußerer als passivlegitimiert, lässt sich nicht erklären, wie er diese vom Besitzer zurückerlangen kann, wenn dieser die Restitution verweigert. Dazu bedarf es gerade dessen ursprüngliche Inanspruchnahme. Nur bei Nichtauffindbarkeit der Sache, nicht auch bei Nichtherausgabe durch den Besitzer, bestimmt L. Bai. XVI, 1 ersatzweise die Leistung der beiden consimiles. Ist der Inhaber der Sache bekannt, erfolgt wie in CE 289 eine tatsächliche Restitution.

174

Scherner (V. Fn. 3), 147; Völkl, SZ RA 110, 436; dazu schon oben V. 2. a) cc). L. Bai. XVI, 1: „. . . et si ipsum non potest invenire, II consimiles reddat.“ 176 Außer man konstruiert den zu Grunde liegenden Sachverhalt so, dass der Veräußerer die Sache erst nach dem Anefang weggegeben hat und sie nicht mehr auffinden kann. Für eine solche Einschränkung fehlt es jedoch an Anhaltspunkten in der Quelle. 175

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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Erklären lässt sich die Problematik damit, dass L. Bai. XVI, 1 sowohl die Rechtsfolgen einer Verfolgung bei Kenntnis, als auch bei Unkenntnis des Eigentümers von der Person des Besitzers regelt, wobei jeweils verschiedene Verfahren zu Grunde liegen. Im ersten Fall kommt es zum Vorgehen gegen den Besitzer, der die Sache dann im Rahmen des Gewährenzuges an den Veräußerer zur Verteidigung geben muss. Macht die mangelnde Auffindbarkeit der Sache dieses Verfahren unmöglich, bleibt zwangsläufig nur die direkte Inanspruchnahme des Vertrauensmannes, um wenigstens ersatzweise die beiden consimiles zu bekommen. Dieser Ausnahmefall wird der Grundregelung gleich ergänzenderweise nachgeschaltet. Denkbar ist freilich, dass der „Umweg“ über den Besitzer nach bayrischem Recht nicht mehr stets gegangen wurde, sondern nur in den Fällen, in denen der Käufer die Herausgabe verweigerte und es der Kläger gerade auf Restitution anlegte. Einigten sich die Parteien über die Rückabwicklung, bedurfte es keines Anefangs. Bestand über die Fremdheit der Sache Streit, oder hatte etwa der Veräußerer dem Erwerber eine firmatio versprochen177, führte jedoch kein Weg am Verfahren vorbei. Ausdrücklich sind Mobilien vom Tatbestand erfasst. L. Bai. XVI, 1 nennt beispielhaft den Verkauf eines fremden Knechtes und den einer fremden Magd. Schultzes Theorie einer Beschränkung auf Immobilien, die oben bereits für das westgotische Recht abgelehnt wurde, findet hier überhaupt keinen geeigneten Ansatzpunkt. Auch Schultze selbst vertritt sie daher für das bayrische Recht nicht178. Zur Rettung der „Hand wahre Hand“ Theorie will er die Regelung jedoch nur auf die Fälle des dieblichen Verlustes, also für den Verkauf durch Finder etc. anwenden. Überzeugen kann dies jedoch nicht. Das Stattfinden des Gewährenzuges weist zwar auf den Anefang hin, wie Schultze durchaus richtig bemerkt179, dieser kann nach dem Gesagten jedoch auch nach unberechtigtem Verkauf „inlicita venditio“ stattfinden. Ginge es tatsächlich nur um den Verkauf verlorener Sachen bzw. entlaufener Sklaven etc., wäre das ausdrückliche Abstellen auf die fehlenden Zustimmung des Eigentümers – „sine voluntate domini“, L. Bai. XVI, 1 – nicht verständlich. Bei abhanden gekommenen Sachen wird der Eigentümer selbstverständlich gegen einen Verkauf sein. Die Einschränkung macht jedoch für die Fälle guten Sinn, in denen die Sache dem Vertrauensmann freiwillig überlassen wurde, aber eben nicht zur Veräußerung. Weiterhin kann das im letzten Satz von L. Bai. XVI, 1 anklingende direkte Vorgehen gegen den Veräußerer180 praktisch nur dann relevant sein, wenn zwar der venditor, nicht aber der emptor bekannt ist. In den Fällen die sich Schultze vorstellt, führt der Weg zum Veräußerer jedoch regelmäßig über den Erwerber, bei 177 178 179 180

Dazu sogleich näher unten zu L. Bai. XVI, 11 und 12. Schultze, FS Dahn I, 6 f. Schultze, FS Dahn I, 7. „. . . et si ipsum non potest invenire, II consimiles reddat.“

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

dem die Sache wiedergefunden wird. Unkenntnis vom Verbleib der Sache bei gleichzeitiger Kenntnis des Veräußerers ist eher bei Anvertrauen der Sache als bei unfreiwilligem Verlust denkbar. Eine Besonderheit des bayrischen Rechts ist in L. Bai. XVI, 11 und 12 beschrieben: L. Bay. XVI, 11: „Et si mancipium alioquin si dicit: „Istum mancipium ego prehendi extra terminum, ubi dux exercitum duxit“ et alibi: „Dux illum per debita et iusta culpa tulit et mihi licenter tradidit“, reliqua ornamenta: „Quod mancipii mei ex propria mea materia laboraverunt et fecerunt“ aut „fabri“, huiusmodi si fuerint. „propterea tradidi et firmabo“, si haec defuerint in supradictis rebus, nullatenus potest firmare; si autem firmaverit, non potest ab eo cui firmavit, nisi ipse voluerint, retrahere, si campio quaesitoris vicerit.“ Und wenn er sonst bei einem Unfreien sagt: „Jenen Unfreien habe ich außerhalb des Gebietes ergriffen, als dort der Herzog das Heer führte“, und andernfalls: „Der Herzog nahm jenen wegen einer geschuldeten und gerechten Schuld weg und übergab ihn mir rechtmäßig“, bei sonstigen Wertstücken: „Dies arbeiteten und machten meine Knechte aus mir eigenem Stoff“, oder „Schmiede“, wenn es solche waren, „Deswegen übergebe ich und werde ich stätigen“, wenn dies bei den genannten Sachen fehlt, kann er keineswegs stätigen; wenn er aber stätigt, kann man sie dem, dem er stätigte, außer wenn er selbst will, auch dann nicht entreißen, wenn der Kämpfer des Klägers siegt. L. Bay. XVI, 12: Si se firmare promiserit emptori, id est suiron, et non potuerit per haec verba veraciter ut supra diximus, et constitutum ruperit, tunc pretium reddat et talem terram aut speciem qualem se firmare pollicebat, restituat sine mora, eo quod valde reprehensibilis est res alterius dare, quia aliquotiens exinde scandala nascantur. Wenn er dem Käufer zu stätigen verspricht, d.h. durch Schwören, und er es nicht mit diesen Worten, wie wir oben sagten, wahrheitsgemäß kann und das Festgesetzte bricht, dann gebe er den Kaufpreis zurück und erstatte ein solches Grundstück oder Stück, wie er es zu stätigen versprach, ohne Aufschub deswegen, weil es sehr tadelswert ist, das Gut eines anderen zu geben, da hieraus oft Zänkereien entstehen.

Ansatzpunkt der beiden Quellen ist der Gewährenzug im Eviktionsfall. Der Besitzer der Sache ist mittels Anefang in Anspruch genommen worden und zieht seinen Vormann als Gewähren heran. Speziell verlangt der Besitzer vom Veräußerer hier die sogenannte „firmatio“181. Die Einzelheiten dieses Rechtsinstitutes sind umstritten. Als relativ gesichert kann jedoch gelten, dass es sich dabei um eine besonders förmliche Art der Gewährschaftsleistung handelt, deren Ziel es ist, dem Besitzer durch ein besonders bekräftigtes Einstehen für den Erwerb der Sache, die Sachherrschaft zu erhalten182. Sie war nicht der Regelfall, sondern musste beim Erwerb besonders versprochen werden (firmare pro181

Zum Begriff: Brunner/Schwerin, RG II, 670, Anm. 121 m.w. N. Völkl, SZ RA 110, 495 m.w. N. Gegenstand der firmatio waren nur die genannten originären Erwerbsgründe. Der derivative Erwerb der Sache konnte nicht firmiert 182

2. Analyse der volksrechtlichen Quellen

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mittere). Festzuhalten ist, dass auch die beiden Quellen zum firmare bestätigen, dass bei Vorliegen einer inlicita venditio auch auf den Dritterwerber zugegriffen werden kann, ohne dass es zusätzlich eines Diebstahls bedarf183. Der Schlusssatz von L. Bai. XVI, 12 – „. . . valde reprehensibilis est, res alterius dare . . .“ – weist deutlich darauf hin, dass dem hiesigen Anefang ein unberechtigter Verkauf vorangegangen ist und dieser allgemein missbilligt wurde184. Uneinigkeit herrscht über die Folgen der firmatio, welche im letzten Satz von L. Bai. XVI, 11 beschrieben sind. Während die einen annehmen, dass trotz des Stätigens eine Rückgabepflicht bestand, wenn der Kämpfer des Klägers im Zweikampf siegte (Gottesurteil)185, sind die anderen der Auffassung, dass die firmatio immer eine Herausgabe verhindere, auch wenn sie sich durch das Gottesurteil als unwahr herausstellen sollte. Der Kampf habe dann lediglich den Sinn, über eine Schadensersatzpflicht des Veräußerers zu entscheiden186. Näher am Text187 ist die letztgenannte Auffassung. Die entgegengesetzte Übersetzung Eckhardts „wenn er aber stätigt, kann man sie dem, dem er stätigte, außer wenn er selbst will, nur entreißen, wenn der Kämpfer des Klägers siegt.“188, wird der Formulierung „non potest . . . retrahere . . .“ nicht gerecht und ist daher abzulehnen189. Das Firmationsversprechen des Veräußerers brachte den Käufer in eine komfortable Position. Weigerte sich der Vormann im Eviktionsfall nämlich zu stätigen, machte er sich dem Käufer gegenüber nicht nur der Rückzahlung des Kaufpreises, sondern darüber hinaus noch der Erstattung einer gleichwertigen Sache schuldig190. Dies könnte den Veräußerer oftmals veranlasst haben, die den Erwerber schützende firmatio trotz eventueller Zweifel oder gar wider besseres Wissen zu vollziehen und damit dem Besitzer die Sache zu erhalten. Insofern wurde die Sachverfolgung also eingeschränkt. Betroffen von der Gefahr einer unwahren firmatio waren gleichermaßen gestohlene wie auch unterschlawerden. Letzteres erklärt sich daraus, dass für diesen Fall eben der Gewährenzug griff und nur an dessen Ende die firmatio einen Platz im Verfahren hatte. 183 Brunner/Schwerin, 670; Scherner (V. Fn. 3), 148 f.; Völkl, SZ RA 110, 496; Olzen, Jura 1990, 507. 184 Völkl, SZ RA 110, 496. 185 Eckhardt (V. Fn. 89), 159; vgl. daneben die bei Völkl, SZ RA 110, Anm. 206, genannten Autoren. 186 Brunner/Schwerin, RG II, 670 f., Völkl, SZ RA 110, 445, 497; Korte (I. Fn. 5), 25 f. 187 Vgl. zur Überlieferung auch den Hinweis auf die abweichenden Fassungen in zwei verschiedenen Handschriften bei Völkl, SZ RA 110, Anm. 206. Die überwiegende Überlieferung enthält jedoch die hier dargestellte Fassung. 188 Eckhardt (V. Fn. 89), 159. 189 Weitere Gründe gegen Eckhardt bei Völkl, SZ RA 110, Anm. 206, 208 – mit Hinweis auf L. Bai. XVII, 2. 190 L. Bai. XVI, 12; Brunner/Schwerin, RG II, 671.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

gene Sachen191. Auch der Dieb als Verkäufer ist praktisch in der Lage, für seinen Käufer (unwahr) zu stätigen. Ebenso wie man das Anefangverfahren nicht auf gestohlene Sachen begrenzen darf, gibt es auch keinen zwingenden Grund dafür, die firmatio nur für anvertraute Mobilien gelten zu lassen. Entscheidend ist im XVI. Titel der L. Bai. für die Sachverfolgung allein die Fremdheit der Sache und ein darüber stattgefundener Verkauf sine voluntate domini192, die Art des Besitzverlustes spielt dagegen keinerlei Rolle. Eine unterschiedliche Entwicklung der Sachverfolgung iSd. „Hand wahre Hand“ Prinzips kann somit vom Institut der firmatio nicht ausgegangen sein.

d) Zusammenfassung Die Untersuchung der Quellen aus dem westgotischen, fränkischen und bayrischen Recht hat die Zweifel an der Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips in den Volksrechten bestätigt. Alle behandelten Rechte lassen auch die Verfolgung unberechtigt verkaufter Sachen zu. Das dazu genutzte Verfahren ist dasselbe wie bei der Inanspruchnahme einer gestohlenen Sache – der germanische Anefang. Diese ursprünglich wohl nur auf die Verfolgung abhanden gekommener Mobilien konzipierte Klage, wurde entsprechend auch auf die Fälle des inlicito ordine vendere und des inlicito ordine dimittere angewandt. Besonders gut lässt sich diese Entwicklung im fränkischen Recht nachzeichnen. Ansatzpunkt war die Erfassung des unberechtigten Verkaufes und der Freilassung von Knechten ohne Willen des Herrn als Delikt, welches bußrechtlich gesühnt wurde. Auch im westgotischen Recht haben sich mehrere Belege dafür gefunden, dass trotz freiwilliger Weggabe der Sache ein furtum-gleiches Delikt gegen den Eigentümer begangen werden konnte. Von der bußrechtlichen Gleichstellung der Diebe mit unberechtigten Veräußerern bzw. Freilassern bis hin zu einer gleichlaufenden Verfolgbarkeit gestohlener und unterschlagener Sachen war es nur ein kleiner Schritt, den die behandelten Volksrechte nachweislich gegangen sind. Es ist daher nicht nur so, dass in den Volksrechten kein positiver Beleg für die Geltung des „Hand wahre Hand“ Prinzips zu finden ist193, vielmehr existieren deutliche Zeugnisse des Gegenteils194.

191 Anders: Brunner/Schwerin, RG II, 670: „Der Verkäufer einer fremden Sache, die dem Eigentümer nicht wider Willen abhanden gekommen war, stand sonach vor der Wahl, entweder sofort den Bruch der Gewährschaft zu wagen oder die Verurteilung wegen inlicita venditio zu erwarten.“ 192 L. Bai. XVI, 1. 193 Dies gesteht auch die h. M. zu: Stobbe, DPR II, 561; Schultze, FS Dahn I, 5. 194 So im Ergebnis auch: Scherner (V. Fn. 3), 172 ff.; Völkl, SZ RA 110, 440.

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern aus theoretischer Sicht Das Ergebnis der Quellenanalyse wirft verschiedene Probleme auf, zu denen nachfolgend Stellung zu nehmen ist. Einer genaueren Darstellung bedarf insbesondere der Ablauf der Erweiterung des Anefangs auf die Fälle unberechtigter Veräußerung. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung des germanischen Sachverfolgungsverfahrens und dessen Zielstellung anzusprechen. Zu untersuchen ist auch, worin die Gründe für die Ausdehnung liegen und was der Auslöser dieser Entwicklung gewesen sein könnte. Schließlich ist noch auf die Vorbehalte einzugehen, die von Teilen der germanistischen Literatur gegen die Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen in dritter Hand geäußert werden.

a) Einheitliche Sach- und Deliktsverfolgung Anders als die Römer kannten die Germanen keine reinen Klagen aus dem Eigentum als dingliches Recht. Voraussetzung der Sachverfolgung war vielmehr immer ein Delikt195. Gleiches konnte bereits für das frühe altrömische Recht beobachtet werden196. Die oben aus den Quellen abgeleitete germanische Anefangklage ist nicht dinglicher Natur. Es ist keine Klage aus dem Eigentum. Für einen sachenrechtlichen Charakter könnte zwar das Wort alienus sprechen, mit dem die unberechtigt verkaufte Sache bezeichnet wird197. Doch ist dessen Verwendung schon deshalb notwendig, um das geschehene Unrecht zu beschreiben. Wäre die Sache nicht fremd, dann wäre auch der Verkauf nicht zu beanstanden. Zur schwierigen Frage des Eigentumsbegriffes der Volksrechte muss hier nicht Stellung bezogen werden. Die Deliktsbezogenheit der sachverfolgenden Klage zeigt sich schon daran, dass immer auch die Zahlung einer Buße Gegenstand des Verfahrens war. Gestritten wird nicht um ein Recht an der Sache, sondern um den klägerischen Vorwurf eines Delikts und die diesbezügliche Täterschaft. Das Anefangverfahren geht gleichzeitig auf Restitution und Buße, hatte also zivile und strafrechtliche Züge. Die Rückgabe des betroffenen Guts ist der wichtigste Teil der Wiedergutmachung des geschehenen Unrechts. Verfolgt wird nicht abstrakt das Eigentum, sondern die Rückabwicklung eines deliktischen Verhaltens. Mit dem Delikt erwächst auch der Anspruch auf Herausgabe der Sache198. Infolgedessen unterscheidet sich auch der germanische Gewährenzug in der Zielrichtung deutlich von seinem römischen Pendant. Während der 195 So die ganz herrschende Auffassung: Stobbe, DPrR II, 562; Schultze, FS Dahn I, 58; Meister, FS Wach III, 435 f.; Planitz, SZ GA 34, 425; Hübner (I. Fn. 4), 18; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 178 m.w. N. 196 Vgl. oben II. 1. c) cc). 197 CE 289; L. Bai. XVI, 4; XVI, 1; cap. von 819 § 2 zu L. Sal. 11; vgl. auch das „rem suam“ in L. Rib. 33.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

römische Beklagte im Fall der Vindikation versucht, mit Hilfe seines auctor die eigene Berechtigung an der Sache nachzuweisen199, geht es dem Germanen vorrangig um das Abwälzen des Deliktsverdachts. Zwar ließ das germanische Recht in späterer Zeit die Berufung auf eigenen originären Erwerb zu, doch diente dies nicht unmittelbar dem Nachweis eigener dinglicher Berechtigung. Vielmehr stand mit der eigenen Herstellung etc. fest, dass die klägerische Behauptung des Vorliegens eines Delikts falsch war. Deshalb war die Klage abzuweisen.

b) Inanspruchnahme eines Nichttäters Das Vorgehen gegen eine als unmittelbarer Täter nicht in Frage kommende Person, etwa einen gutgläubigen Erwerber, scheint mit einer deliktischen Klage von vornherein aussichtslos zu sein. Dem ist freilich nicht so, was bereits die uneingeschränkte Existenz des Anefangverfahrens in den Diebstahls- bzw. Raubfällen zeigt. Auch wenn der Eigentümer den Dieb oder Räuber erkannt hat, der Besitzer aber ein anderer ist, kann er die Sache dennoch bei letzterem beschlagnahmen und damit das Verfahren einleiten. Dass der Besitzer als unmittelbarer Täter der Wegnahme nicht in Betracht kommt, spielt keine Rolle. Auch gegen einen Nichttäter kann der Prozess eingeleitet werden. Zwingende Voraussetzung einer solchen auf Delikt beruhenden Klage gegen den jeweiligen Besitzer ist die Möglichkeit eines Wechsels der Passivlegitimation innerhalb des Prozesses. Ansonsten müsste die Sachverfolgung nämlich stets scheitern, wenn der Gegner sich als unschuldig erweist. Das Problem stellte sich in vergleichbarer Weise bereits im frühen altrömischen Recht, seit man dort dem Besitzer einer furtiven Sache gestattete, den Deliktsvorwurf zu widerlegen. Da in Rom die Möglichkeit eines Personentauschs auf der Beklagtenseite durch die Ausgestaltung des alten Sakramentsprozesses als Prozesswette zwischen den Streitenden verbaut war, änderten die pontifices das Prozessthema. Sie eliminierten den persönlichen Deliktsvorwurf und schufen so eine Klage dinglicher Natur200. Die Ausgestaltung des Anefangverfahrens zeigt, dass die Germanen im Gegensatz zu den Römern kein Problem mit einem Wechsel der Beklagtenrolle hatten. Zur Abwehr des Tatvorwurfs gestatten sie dem Besitzer, seinen Vormann als Gewähren beizubringen. Dieser tritt daraufhin in den laufenden Prozess ein und erhält die Sache zur Verteidigung übertragen. Zum Wechsel in der Passivlegitimation kommt so noch der Übergang des 198 Meister, FS Wach III, 469, 477 f., der jedoch für die damalige Zeit die Unterschlagung nicht als Delikt betrachtet. 199 Im altrömischen Recht, um ein eigenes „meum esse“ zu beweisen; im klassischen römischen Recht, um der Eigentumsbehauptung des Klägers entgegenzutreten. 200 Vgl. oben II. 1. c) cc).

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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Sachbesitzes201. Damit ist der auctor vollständig in der Lage, die Klageforderung zu erfüllen202. Erfolg stellt sich für den Kläger auch dann ein, wenn nicht der ursprüngliche Beklagte, sondern sein auctor bzw. dessen Vormann eine Missetat begangen hat. Auf diese Weise konnte die Sache auch ohne die theoretische Kenntnis eines dinglichen Anspruchs mittels Vorgehen gegen den jeweils aktuellen Besitzer wiedererlangt werden. Rückabgewickelt wurde das begangene Unrecht. Die Sache ging dazu gegenläufig von Hand zu Hand. Der oder die dabei ertappten Täter mussten jeweils Buße entrichten. Der Verfolger bekam daneben sein deliktisch entzogenes Gut zurück. Ein solches System steht der Rücknahme nicht abhanden gekommener Sachen aus Dritter Hand nur dann entgegen, wenn die Unterschlagung bzw. die Veruntreuung durch inlicita venditio nicht deliktisch erfasst ist.

c) Die Entwicklung der gerichtlichen Sachverfolgung bei Diebstahl Sinnfälligste Missetat gegen den Herrn ist freilich der Diebstahl der Sache. Dieser kommt in jeder Gesellschaft vor und jedes Rechtssystem entwickelt frühzeitig Abwehrmechanismen. Eine Verfolgung der Sache bei Diebstahl ist geradezu selbstverständlich. Frühe Rechte dürften zunächst die Art und Weise bestimmt haben, wie der Dieb bzw. die Sache zu verfolgen ist, um eine gewisse Ordnung bzw. Rechtsfrieden zu schaffen. Es sind dazu Regeln notwendig, die sowohl die Interessen des Opfers als auch die des Tatverdächtigen und eventuell beteiligter Dritter berücksichtigen, wobei sich eine Differenzierung nach der Beweisbarkeit des Deliktes anbietet. Je evidenter Tat und die Täterschaft sind, desto schärfere Maßnahmen sind vertretbar. Den Umständen der Ergreifung des Täters bzw. der Sache dürfte dabei die größte Bedeutung zugekommen sein203. Im fränkischen Recht ist die Entwicklung der Diebstahlsverfolgung recht anschaulich überliefert. Der Bestohlene hatte ursprünglich das Recht, dem Dieb die entwendete Sache wieder abzunehmen. Dazu diente das sogenannte Handhaftverfahren. Freilich konnte diese geregelte Form der Selbsthilfe nur eingreifen, wenn der Dieb auf frischer Tat ertappt wurde. War dies nicht der Fall, hinterließ der Täter aber verfolgbare Spuren, war das besondere Verfahren der Spurfolge anzuwenden204. Der bei der Suche entdeckte Besitzer der Sache kann 201

Brunner/Schwerin, RG II, 659. Vgl. dazu ausführlich oben V. 2. a) cc). 203 Vgl. etwa die typische Abgrenzung zwischen einfachem furtum und furtum manifestum im altrömischen Recht. 204 L. Sal. 39; L. Rib. 47; dazu: Rauch, SZ GA 68, 1 ff., 63 ff.; Goldmann, SZ GA 39, 145 ff. 202

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

gegen die Inanspruchnahme einwenden, das streitige Stück durch Kauf oder Tausch redlich erworben zu haben, wie sich aus L. Sal. 39 ergibt. Ob dies tatsächlich zutrifft, wird in einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren geklärt. Die Spurfolge mündet dazu in einen Gewährenzug. Auffallend ist die Fristenregelung in L. Sal. 39. Nur wenn das Diebesgut innerhalb von 3 Nächten ereilt wird, kann es der Bestohlene nach Eidesleistung vorübergehend – bis zur gerichtlichen Klärung der Angelegenheit – wieder ansichnehmen. Wird die Frist verpasst, steht der Besitz bei entsprechender Eidesleistung bis zur gerichtlichen Entscheidung dem bisherigen Besitzer zu. Für das grundsätzliche Stattfinden des Gewährenzuges ist der Ablauf der Auffindungsfrist jedoch irrelevant. Auch wenn die Sache erst nach mehreren Wochen aufgefunden wird, kann der Verfolger den Besitzer vor Gericht zwingen. Letzterer darf die Sache lediglich zwischenzeitlich behalten. Nun wird es sicher auch Diebstahlsfälle gegeben haben, die eine förmliche Spurfolge überhaupt nicht ermöglichten, weil es etwa an Spuren mangelte oder die Tat zu spät entdeckt wurde. Wird die Sache dennoch durch Zufall gefunden, liegt es nahe, den Konflikt nicht anders zu lösen, als bei einer nach Fristablauf erfolgreichen Spurfolge205. Der Bestohlene darf in einem solchen Fall die Sache nicht gleich mitnehmen, sondern er darf zunächst nur symbolisch Besitz ergreifen (Anefang), wenn der Besitzer den Eid leistet. Das Verfahren ist damit eröffnet. Es ist also der oben aufgezeigten Auffassung von Planitz zuzustimmen, wonach sich das Anefangverfahren als Fortgestaltung des Spurfolgeverfahrens entwickelt hat206. Die enge Verbindung zur Spurfolge macht deutlich, weshalb die gerichtliche Sachverfolgung anfänglich lediglich bei Diebstahl eingegriffen hat. Nur in diesen Fällen war eine Spurfolge überhaupt praktisch möglich. Gleichzeitig erklärt sich auch der ebenso pönale wie sachverfolgende Charakter des Verfahrens. Ziel war die umfassende Rückgängig- und Wiedergutmachung der Tat, was neben der Restitution auch eine Buße erforderte. Begreift man die Entstehung des Anefang auf diese Weise, dann bedarf die Inanspruchnahme der Sache beim Drittbesitzer keiner gesonderten Rechtfertigung. Ob dieser am Diebstahl beteiligt war oder nicht, stellt sich in der Praxis erst nach der Beschlagnahme heraus. Als Besitzer der Sache war er zunächst einmal verdächtig, konnte sich jedoch verteidigen. Dazu fand – zu seinen Gunsten – eine gerichtliche Überprüfung statt. Dies ermöglichte ihm, den Diebstahlsverdacht auf seinen Vormann abzuwälzen, war also Verteidigungshandlung. Die von einigen Autoren aufgebrachte Frage nach den Gründen für die Möglichkeit der klageweisen Inanspruchnahme des Drittbesitzers207 stellt die 205 Es fehlt lediglich am Gerüft. Wenn aber keine Spuren vorliegen oder etwa wegen später Entdeckung der Tat ein Auffinden des Diebes aussichtslos ist, wäre es bloße Förmelei, ein Gerüft zu fordern. Planitz, SZ GA 34, 428 f. 206 Vgl. oben V. 1. b) cc), zustimmend Stutz, SZ GA 34, 731; Brunner/Schwerin, RG II, 659, Anm. 117; ablehnend Rauch, SZ GA 68, 67 ff.

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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Problematik in Wahrheit entwicklungsgeschichtlich auf den Kopf und ist abzulehnen208. Ursprünglich konnte der Bestohlene seine Sache einfach zurücknehmen, wenn er sie bei einem Dritten aufgefunden und identifiziert hatte. An die Stelle dieses primitiven Selbsthilferechts rückte später das ausgeklügelte Anefangverfahren209, welches dem Besitzer die Verteidigung in Form des Gewährenzuges ermöglichte. Es enthielt Regelungen für den Fall des Ausbleibens des Gewähren bereit210 und sorgte auch für einen Ausgleich im Verhältnis des Dritten zum Dieb. Als Rudiment der ursprünglichen Rücknahmehandlung blieb das einleitende Anfassen der streitigen Sache (Anefang) erhalten. Da der Besitzer sich regelmäßig verteidigt haben wird und damit die Rücknahme verhinderte, verkümmerte dieser Akt zu einer bloßen verfahrenseinleitenden Formalie. Zentral blieb zunächst noch die Behauptung des Diebstahls, welche früher die Rücknahme rechtfertigte und später die Aktivlegitimation zum Anefangverfahren begründete. Je mehr jedoch der historische Ausgangspunkt verschwamm und die Möglichkeit einer gerichtlichen Inanspruchnahme der wiedergefundenen eigenen Sache211 in den Vordergrund drängte, desto offener dürfte das Verfahren für die Berücksichtigung anderer Delikte als Diebstahl geworden sein.

d) Die Erweiterung der Anefangklage auf Unterschlagungsfälle Ursprünglich mag es in der Rechtspraxis ausgereicht haben, dieses Verfahren nur bei Diebstahl anzuwenden bzw. zu regeln. Insbesondere Anners zieht in Betracht, das archaische Fehlen einer Möglichkeit der Inanspruchnahme anvertrauter Sachen könne darin seinen Grund gehabt haben, dass Konflikte zwischen Eigentümern und Erwerbern veruntreuten Gutes nur in sehr geringer Zahl vorkamen. Eine feste Regel habe sich daher nicht entwickeln können212. Erst mit 207 Vgl. die oben – V. 1. b) aa) – angesprochene Diskussion der beiden Vertreter der Publizitätstheorie Schultze und Meyer bei Schultze, FS Dahn I, 18 ff. 208 So im Ergebnis auch: Brunner/Schwerin, RG II, 669, Anm. 117: „Es empfiehlt sich ebensowenig, die Frage nach dem Grunde der Verfolgbarkeit der gestohlenen Sache in den Vordergrund zu stellen. Ein Problem ist nur die Nichtverfolgbarkeit der anvertrauten Sache.“ 209 Planitz, SZ GA 34, 426 ff.: „Das Handhaftverfahren wird angewendet, wenngleich alle Voraussetzungen der handhaften Tat fehlen. Es fehlt das Gerüfte, es fehlt die Spur der Tat in der Hand des Verbrechers.“ 210 L. Rib. 33, 3 f.; L. Vis. VII, 2, 8; L. Bai. IX, 8. Vgl. dazu näher unten V. 3. f) dd). 211 L. Rib. 33 „Si quis rem suam cognoverit, mittat manum super eam . . .“ 212 Anners (I. Fn. 47), 25 ff., wobei er dies noch für die frühmittelalterliche Zeit, also die hier behandelte Zeit der Volksrechte annimmt; dies gründet sich wohl darauf, dass er die hier behandelte Quellen teilweise nicht näher untersucht hat und teilweise deren Bedeutung für das germanische Recht wegen des römischen Einflusses negiert, 26, Anm. 32.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Änderung der sozialen Verhältnisse und Gewohnheiten seien diese Fälle regelungsrelevant geworden. Mit Hilfe dieses Ansatzes kann die ursprüngliche Beschränkung der Klage auf gestohlene Sachen erklärt werden, ohne dem archaischen Recht dafür ein festes theoretisches Prinzip unterstellen zu müssen, wie es die Vertreter der Publizitätstheorie tun. Für die alte Zeit wird nicht eine feste Regel „Hand wahre Hand“ angenommen, sondern vielmehr eine Lücke. Das frühe Recht hatte danach für diese Fälle keine einheitliche Lösung parat, weil sie praxisfremd waren und in dem kasuistisch geprägten germanischen Gewohnheitsrecht nicht zur Ausprägung gelangten. Waren Streitigkeiten allzu selten, konnte sich eine fest überlieferte Rechtslage zwangsläufig nicht entwickeln. Die Theorie einer ursprünglichen Lücke deckt sich mit der wohl herrschenden Auffassung von einem Mangel im Prozessrecht nur teilweise. Letztere will die beschränkte Sachverfolgung allein damit erklären, dass es an einer entsprechenden Klage gefehlt habe. Dagegen geht die Erstgenannte darüber hinaus und erklärt das Fehlen der Klagemöglichkeit mit einem ursprünglichen Mangel an praktischem Bedürfnis. Ein tatsächlicher Regelungsbedarf entstand erst mit verstärktem Aufkommen der Sachleihe bzw. Verwahrung und dem beginnenden Verfall des Sippenwesens213. Dem soll hier gefolgt werden. Leider muss im Rahmen dieser Arbeit auf eine sicher förderliche tiefergehende Auseinandersetzung mit den sozialen Besonderheiten des germanischen Sippenverbandes und seine Auswirkungen auf die Notwendigkeit des Anvertrauens von Sachen sowie deren Verfolgung verzichtet werden. Es sei dazu auf die Arbeit von Anners verwiesen214. Für dessen Ansicht spricht, dass – wäre die Problematik im frühen germanischen Recht bereits aktuell gewesen, hätte es also häufig Streitigkeiten wegen unberechtigt veräußerter Sachen gegeben – sich nicht erklären ließe, weshalb die mangelnde Rückforderungsmöglichkeit bzw. das angebliche Prinzip „Hand wahre Hand“ in den frühen Quellen nicht explizit zum Ausdruck kommt. Erst die deutschrechtlichen Quellen des Mittelalters warnen ausdrücklich vor einer Weggabe215. 213 Speziell zum Zusammenhang zwischen Sippenwesen und mangelndem Regelungsbedarf für veruntreute anvertraute Sachen: Anners (I. Fn. 47), 28 ff., 363 ff. Er nimmt zunächst an, dass ein Ausleihen von Sachen in andere Sippen höchst selten war; die Sippe selbst war ausreichend versorgt. Innerhalb der Sippe bedurfte es keiner Regelung. Wurde dennoch in eine andere Sippe verliehen und die Sache innerhalb dieser verkauft, ändert sich an den konflikttragenden Sippen nichts. Die Sippenmitglieder hafteten untereinander. Nur wenn an eine dritte Sippe verkauft wurde, konnte die Konfliktsituation auftreten, dann stand dem Verleiher aber immer noch die ganze Sippe des Entleihers zur Haftung offen (Anners (I. Fn. 47), 29, Anm. 39). Ein Insolvenzrisiko, was zum Schutz des Verleihers eine Regelung des seltenen Verkaufs in eine dritte Sippe dringlich gemacht hätte, bestand nicht. Dazu i. E. zustimmend Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1932 f.; eher kritisch Rehfeld, Rezension zu Anners, Hand wahre Hand, SZ GA 70 (1953), 395. 214 Anners (I. Fn. 47), 28 ff., 363 ff. 215 Anners (I. Fn. 47), 26, Anm. 33; Bsp. Rev. Lübisches Recht III, 2, 2: „Ein jeglicher sehe wol zu, weme er das seine ausleihe und vertraue. Dann würde es sich

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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Die Betrachtung der Quellen hat ergeben, dass die Verfolgung unberechtigt verkaufter Sachen in den Volksrechten nicht zu einem einheitlichen Zeitpunkt auftaucht. Vorreiter scheint das westgotische Recht mit der Regelung in CE 289 zu sein, das fränkische Recht zog erst später nach216. Aus dem Codex Euricianus lässt sich die gestiegene Bedeutung des Anvertrauens von Sachen zu seiner Zeit deutlich entnehmen. Ein ganzer Titel – „De commendatis vel commodatis“ – ist der Problematik gewidmet. Die Regelung ist unmittelbar vor dem Titel über die Verkäufe angeordnet, welcher auch das oben behandelte Fragment 289 enthält. Bereits aus der recht ausführlichen Behandlung der Leihe und des Anvertrauens von Sachen lässt sich schließen, dass die Zeit eines mangelnden Regelungsbedarfes für die Fälle der unberechtigten Veräußerung ihr Ende gefunden hatte. Dass es nunmehr einschlägige Konflikte durch diese Rechtsgeschäfte gab, legen die Fragmente CE 278 ff., insbesondere CE 280217, nahe. Es ist ganz natürlich, dass damit auch die Frage nach den Rechtsfolgen einer unberechtigten Verfügung durch den Vertrauensmann auftrat. Rechtsordnungen die das Anvertrauen von Sachen regeln, müssen geradezu zwangsläufig auch Lösungen für Unterschlagungshandlungen bereithalten. Derartige Konstellationen entstehen automatisch. Im Interesse des Anvertrauenden sollte ihnen möglichst durch rechtliche Regelungen vorgebeugt werden. Dazu bietet sich das Inaussichtstellen von Nachteilen, etwa durch eine deliktische Bußpflicht an. Diesen Weg sind die Volksrechte zunächst gegangen, wobei sich regelmäßig an den Bußen für klassischen Diebstahl orientiert wurde218. Waren die Fälle einer inlicita venditio einmal deliktisch erfasst, sprach nichts mehr dagegen, auch das Anefangverfahren diesbezüglich anzuwenden219. Wer gleich einem fur haftete, sollte auch auf gleichem Wege in Anspruch genommen werden können. Der unbefugte Verkauf machte die Sache ebenso verfolgbar, wie ein Diebstahl. Dass sich diese Ent-

zutragen, daß derjenige, dem es gelehnet oder vertrauet, dasselbe verkaufte, versetzte, oder sonsten alienierte, will dann der Ausleiher das Gut wieder haben von dem, welchem das ausgelehnet Gut per contractum gebracht, so muß er es selbst lösen, sonsten bleibet der es gekauft oder an sich gebracht, näher dabei dann derjenige, welcher das Gut ausgelehnet. Denn do jemand seinen Glauben gelassen, da muß er ihn wiederum suchen.“ zitiert nach von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 191; vgl. dazu auch Olzen, Jura 1990, 510, Anm. 79 m.w. N. 216 Vgl. dazu oben V. 2. b). 217 Das Fragment 280 behandelt verschiedene Fälle der Zerstörung, des Abhandenkommens und der Unterschlagung anvertrauter Sachen; vgl. oben V. 2. a) ff) (1). 218 CE 289; L. Vis. V, 4, 8 – duplum; L. Bai. XVI, 1/4 – duplum, wobei im bayrischen Recht allerdings das Neunfache die regelmäßige Diebstahlsbuße war, vgl. Völkl, SZ RA 110, 494 f.; L. Sal. 11; L. Rib. 33; cap. 819 zu L. Sal. 11 – Diebstahlbuße. 219 So im Grundsatz auch Meister, FS Wach III, 469: „Wäre sie (die Unterschlagung) ein Delikt gewesen, so ist nicht einzusehen, warum in der Zeit, die noch keine reinen Zivilklagen, sondern nur Klagen deliktischer Natur kannte, das Recht nicht aufgrund der Unterschlagung ebenso gut wie auf Grund des Diebstahls eine Klage gegen jeden Besitzer der Sache und nicht bloß gegen den Täter gegeben hätte.“

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

wicklung in den verschiedenen Volksrechten nachweisen lässt, wurde oben bereits dargelegt220. Als konkreter Auslöser einer Erweiterung der Sachverfolgung auf Unterschlagungsfälle sowie der Schaffung von konkreten Bußen für die jeweiligen Täter kommt das schriftliche Erfassen des Rechts in kodifizierter Form in Betracht. Im Sinne einer möglichst vollkommenen Regelung liegt das Bedürfnis nahe, in den jeweiligen leges auch zu Fragen Stellung zu nehmen, die bis dato ungeklärt bzw. kaum relevant waren.

e) Der Einfluss des römischen Rechts Zu denken ist aber auch an eine Beeinflussung durch römisches Recht. In vielen Lebensbereichen wirkten zur Zeit der Volksrechte römische Anschauungen auf die ankommenden Germanen ein. Es ist nicht zu leugnen, dass auch die Gesetzgebung in verschiedenem Maße römische Positionen rezipierte221. Schon die damaligen politischen Verhältnisse lassen ein Zurückgreifen der germanischen Könige auf das in den eroberten Gebieten vorgefundene Recht sehr wahrscheinlich werden. Galt es doch nicht nur, in kurzer Zeit eine funktionierende Ordnung aufzubauen, sondern dabei auch die oft zahlenmäßig überlegene einheimische Bevölkerung zu berücksichtigen. Auch wenn sich oftmals konkrete römische Vorlagen für einzelne germanische Gesetze nicht finden lassen, ist an eine Einwirkung durch die provinzialrömische Rechtspraxis zu denken222. Inwieweit Anleihen aus dem römischen Rechtskreis genommen wurden, muss für die verschiedenen Stammesrechte unterschiedlich beantwortet werden. So gilt das fränkische Recht als nahezu unberührt, während die westgotischen Kodifikationen stark römisch rechtlich geprägt sein sollen223. Grundsätzlich ist Vorsicht dabei geboten, sämtliche Normen, die sich mit unserem Bild des germanischen Rechts nicht decken, pauschal als römischen Ursprungs anzusehen und ihnen eine Aussagekraft für das germanische Recht abzusprechen. Vor allem die Verfechter eines urgermanischen „Hand wahre

220 CE 289; L. Vis. V, 4, 8; L. Bai. XVI, 4; L. Rib. 33; cap. 819 zu L. Sal. 11 – oben V. 2. 221 Vgl. die Verweise bei Laubenberger, in: HRG V, Völkerwanderung, Sp. 970 f. 222 Laubenberger, in: HRG V, Völkerwanderung, Sp. 971. 223 Lex Salica: „kaum Spuren antiken Rechts“, „Der Inhalt der Lex verrät vielmehr auf Schritt und Tritt fränkische Sicht“ – Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1950; Codex Euricianus (CE): Str., die deutsche und ältere spanische Literatur hebt die Bedeutung des germanischen Anteils hervor; a. A. d’Ors – überwiegend römisch beeinflusst; Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum: „In zahlreichen Fällen kann der Cod. Eur. als Zeugnis genuin westgot. bzw. – mit den gebotenen Vorbehalten hinsichtlich des Begriffs germanisch – durchaus auch germ. Rechtsvorstellungen betrachtet werden.“ m.w. N.

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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Hand“ Prinzips neigen dazu, die Abweichungen der oben besprochenen Volksrechte auf diese Weise abzutun224. Gegen eine solche Verfahrensweise spricht schon der Umstand, dass die leges barbarorum vielfach von starken germanischen Herrschern erlassen wurden225, welche einzelne römische Regelungen leicht hätten abschaffen bzw. anpassen können, wenn diese ihrem Rechtsverständnis grundlegend widersprochen hätten. Zudem sind selbst die Lex Romana Visigothorum226 und die Lex Romana Burgundionum227, als spezielle Gesetzbücher für den römischen Anteil der Bevölkerung228 im westgotischen Spanien bzw. im burgundisch gewordenen Gallien, nicht nur schlichte Kopien der römischen Vorlage, sondern Neuschöpfungen, deren Selbständigkeit sich vor allem an der bewussten Auswahl der römischen Vorschriften zeigt. So bestand die selbstgestellte Aufgabe der Lex Romana Visigothorum nach der ihr vorangestellten Auctoritas Alarici Regis darin, in dem bestehenden römischen Recht Ungerechtes zu verbessern sowie dunkle und zweideutige Stellen zu erhellen und zu erklären. Brauchbares sollte herausgezogen und mit einer Erklärung versehen in einem Buch wiedergegeben werden. Auf die Anwendung von Rechtssätzen, die darin nicht enthalten waren, standen Todesstrafe oder Vermögensverlust229. Von einer bloßen unreflektierten Übernahme römischen Rechts kann also selbst in den Gesetzen für die römische Bevölkerung nicht gesprochen werden. Die Einräumung einer eigenen Rechtsordnung für die Romanen ist zudem ein Anzeichen dafür, dass es gegenüber den für den germanischen Bevölkerungsteil geltenden Stammesrechten wichtige Abweichungen gegeben haben muss, die von römischem Einfluss stärker verschont blieben. Andererseits wird die Beschäftigung mit dem fremden Recht der Römer zwangsläufig auch dazu

224 So etwa: van Apeldoorn, TR 11, 141; Korte (I. Fn. 5), 23 ff., die jedoch die westgotische Regelung (L. Vis. V, 4, 8) fälschlicherweise der Lex Romana Visigothorum zuordnet und folglich den römischen Einfluss übertrieben darstellt; Olzen, Jura 1990, 507, zweifelt vorsichtig an der „Beweiskraft“ der Normen. 225 So z. B. die „Lex Salica“ (L. Sal.) vom fränkischen Reichsgründer Chlodwig – Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1949 ff.; die Lex Visigothorum (L. Vis.) von König Reccesvinth – Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1969. 226 Auch Breviarium Alarici genannt; geht auf den westgotischen König Alarich II (484–507) zurück; wird als die bedeutendste Rechtsquelle aus dem Westen des römischen Reiches in der Übergangszeit von Antike zum Mittelalter angesehen. Zahlreiche Gesetze der römischen Kaiserzeit sowie Schrifttum der Spätantike sind erst durch die L.R.Vis. überliefert – vgl. Siems, in: HRG II, Lex Romana Visigothorum, Sp. 1940 ff.; Wohlhaupter (V. Fn. 56), XII. 227 Entstanden am Ende der Regierungszeit Gundobads (gest. 516) oder am Anfang der Regierung von Sigismund (516–523), vgl. den Streit bei Nehlsen, in: HRG II, Lex Romana Burgundionum, Sp. 1928 ff. 228 Die Frage des persönlichen Anwendungsbereiches ist umstritten. Nach einer Mindermeinung von d’Ors hat sich im Westgotenreich bereits im 5. bis 6. Jahrhundert das Territorialprinzip durchgesetzt und die L.R.Vis. habe für Goten und Romanen gegolten – vgl. Siems, in: HRG II, Lex Romana Visigothorum, Sp. 1941. 229 Siems, in: HRG II, Lex Romana Visigothorum, Sp. 1940 f.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

geführt haben, eigene überlieferte Rechtsanschauungen zu überdenken und eventuell zu ändern. Für das Westgotenreich endete die Geltung des Sonderrechts der L.R.Vis. mit dem Gesetzbuch des König Reccesvinths von 654, welches eine einheitliche Geltung beanspruchte und die Anwendung aller anderen Gesetze verbot230. Das Interesse der jeweiligen Herrscher an einer eigenständigen Rechtsordnung zeigt sich auch in der Anordnung der L. Vis. II, 1, 13, Rechtssachen, die im Gesetzbuch nicht enthalten sind, zur Entscheidung vor den König zu bringen. Mit dem römischen Recht sollte sich im Streitfall niemand mehr auseinandersetzen müssen. Diese Bestimmung wird weniger auf einer grundsätzlichen Ablehnung des römischen Rechts basieren, als vielmehr in einem Streben nach Rechtssicherheit und Vereinfachung begründet sein. Die Vielzahl an römischen Rechtsquellen sowie deren komplizierte Differenzierungen standen einem einheitlichen und in der damaligen Zeit praktikablen Reichsrecht offensichtlich entgegen. Speziell für die in CE 289 zum Ausdruck kommende westgotische Regelung der Verfolgung unberechtigt verkaufter Sachen ist zuletzt Völkl für eine Ableitung aus dem römischen Recht eingetreten. Er hat einen Weg aufgezeigt, durch eine Verschmelzung der römischen rei vindicatio mit der actio furti zu einer Klage zu gelangen, welche die in CE 289 beschriebenen Rechtsfolgen nach sich zieht und heute als germanischer Anefang begriffen wird231. Kurz skizziert führt Völkl aus: Auch im römischen Vindikationsverfahren oblag die Verteidigung der Sache funktionell dem Gewähren. Seine Stellung entsprach der eines Vertreters in eigenen Angelegenheiten, denn ihn trafen die wirtschaftlichen Nachteile eines Prozessverlustes und er dürfte regelmäßig auch das Urteil erfüllt haben232. Von dieser zentralen Bedeutung des Gewähren ist es bis zur Übertragung einer eigenen Beklagtenstellung nur ein kleiner Schritt, der bald überwunden wurde. Ist der auctor einmal Partei des Verfahrens, liegt es nicht fern, auch gleich die Bußpflicht in den Rechtsfolgen des Verfahrens zu berücksichtigen. Das Vulgarrecht neigte ohnehin dazu, sachverfolgende und pönale Klagen zu vermischen233. Inwiefern Völkls Theorie richtig ist, muss hier nicht untersucht werden, möglich erscheint sie jedenfalls234. Für eine Verwandtschaft 230 L. Vis. II, 1, 11; Siems, in: HRG II, Lex Romana Visigothorum, Sp. 1946; Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1974. Wer es wagte, auf eine ältere Gesetzessammlung zurückzugreifen, verwirkte an den Fiskus eine Buße von 30 Pfund Gold. 231 Völkl, SZ RA 110, 447 ff. 232 Um seine regelmäßig auf das duplum gehende Eviktionshaftung abzuwenden, blieb ihm bei negativem Ausgang die Zahlung der Schätzsumme, was zumeist günstiger als die Eviktionshaftung gewesen sein dürfte. Bei Zahlung der Schätzsumme verfällt die stipulatio duplae nicht, D. 21, 2, 21, 2. Auch wenn die Schätzung übertrieben hoch angesetzt wurde, dürfte sie den doppelten Wert regelmäßig nicht überschritten haben. 233 Völkl, SZ RA 110, 448, unter Berufung auf Levy, VR (IV. Fn. 9), 304 ff., 312 ff.

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mit dem römischen Recht sprechen zweifellos die Regelung des Aufwendungsersatzes und auch das duplum als Diebstahlsbuße. Hier reicht es festzuhalten, dass die Regelung in CE 289 zwar sehr wahrscheinlich unter Einfluss römischen Vulgarrechts entstanden ist, jedoch keine bloße Übernahme römischer Gedanken darstellt. Vermutlich haben germanische und vulgar-römische Vorstellungen zusammengewirkt. Einem besonders starken Verdacht romanischen Ursprungs ausgesetzt sind naturgemäß alle diejenigen westgotischen Regelungen, welche die Rechtsfolgen des Diebstahls auf andere Fälle als die der Wegname fremder Sachen ausdehnen235. Hier lässt sich nämlich recht einfach vertreten, es handele sich um Normen, die noch vom weiten römischen furtum-Begriff beeinflusst seien. Glücklicherweise finden sich derartige Regelungen auch im fränkischen Recht236, für das eine römische Urheberschaft nicht naheliegt237. Es wäre voreilig, aus dem möglichen Einfluss römischen Rechts schließen zu wollen, die betroffenen Volksrechte seien nicht aussagekräftig für die frühmittelalterliche Verfolgung anvertrauter Sachen. Selbst für die urgermanische Einstellung zum Thema „Hand wahre Hand“ können auch die verdächtigten leges barbarorum wichtige Informationen liefern. Wäre der Ausschluss der Verfolgung anvertrauter Sachen tatsächlich ein so grundsätzliches Prinzip der germanischen Völker gewesen, wie es mitunter dargestellt wird, ließe sich die „kampflose“ Übernahme der gegenteiligen römischen Praxis durch die militärisch siegreichen Germanen nicht erklären. Für einen offenen Streit der angeblich kollidierenden Positionen gibt es keine Belege in den Quellen. Noch weniger ist ersichtlich, was die Verfasser der L. Bai. Jahrhunderte später dazu bewogen haben sollte, eine Regelung aus dem entfernten westgotischen Recht zu übernehmen, obwohl diese ihren überlieferten Vorstellungen eigentlich widersprochen haben müsste238. Viel näher liegt es doch anzunehmen, dass die Volksrechte nur solche Regelungen enthalten, die dem Rechtsverständnis ihrer

234 Bedenken sind anzumelden, sofern Völkl den germanischen Anefang insgesamt – also auch die fränkischen Regelungen – als germanisches Institut in Frage stellt und eine Entwicklung aus römischem Vulgarrecht in Betracht zieht (vgl. Völkl, SZ RA 110, 459). Fraglich ist auch, was aus der Eviktionshaftung auf das duplum gegenüber dem Käufer geworden ist – dazu Völkl, SZ RA 110, 473 ff. Auch das Handanlegen (Anefang) war der römischen Vindikation nicht eigen, vgl. aber den ähnlichen Akt des Stabanlegens im altrömischen Prozess der l.a.s.i.r. 235 Vgl. die oben – V. 2. a) ff) – behandelte Stellen: CE 280 (Satz 7); L. Vis. VII, 2, 7; VII, 2, 9; VII, 2, 17; VII, 6, 3; VII, 6, 4. 236 Siehe oben – V. 2. b) dd) zu L. Sal.: Titel „De servis vel mancipiis furatis“ sowie zugehöriges Kapitular aus dem Jahre 819. 237 Schmidt-Wiegand, in: HRG II, Lex Salica, Sp. 1950. 238 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass L. Bai. XVI, 4 offensichtlich zur Ergänzung von L. Bai. XVI, 1 aufgenommen wurde. Letztere Stelle ist nicht westgotischen Ursprungs.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

Bearbeiter und dem der erlassenden Könige entsprachen. Damit spiegeln diese unabhängig eines römischen Einflusses das Empfinden ihrer Zeit wider und lassen für das bis dahin überlieferte Recht zumindest vermuten, dass keine grundsätzlichen Widersprüche bestanden haben. Überhaupt ist den Volksrechten eine gewisse Eigenständigkeit zuzusprechen. Einen oft unterschätzten Komplex bildet die eigene rechtsschöpferische Tätigkeit der germanischen Könige, für welche die Zuordnung zu den Alternativen römisch oder urgermanisch zwangsläufig versagt239. Die Zeiten waren günstig für Neuerungen. Anders als die römischen Herrscher sahen sich die Germanenkönige an das Recht der Römer nicht gebunden. Die eigenen Stammesrechte waren lediglich mündlich überliefert und dürften zudem in der Praxis durch die Kollision mit dem Recht der römischen Bevölkerung aufgeweicht worden sein. Es bot sich an, die durch die veränderten Verhältnisse entstandenen bzw. vergrößerten Lücken in der Sachverfolgung durch das Zueigenmachen und Abwandeln römischer Rechtsgedanken zu füllen. Sicherlich hätte es das fremde Recht weitaus schwerer gehabt, wenn es stattdessen gegolten hätte, ein tief im Rechtsempfinden verankertes, urgermanisches „Hand wahre Hand“ Prinzip zu kippen. So aber trafen die neuen Lösungsansätze auf fruchtbaren Boden. Großartige Veränderungen überlieferten germanischen Rechtes waren nicht notwendig. Beibehalten werden konnte auch das alte Verfahren der Sachverfolgung240. Dieses bedurfte nur der geringen Modifizierung, dass der Kläger nicht Diebstahl, sondern eben inlicita venditio behaupten musste. Der Gewährenzug führte dann nicht zum Dieb, sondern zum Täter des unberechtigten Verkaufs.

f) Zu diversen Einwänden gegen eine Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen Im Folgenden wird noch zu verschiedenen theoretischen Einwänden Stellung genommen, die gegen eine Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen in dritter Hand im Recht der leges barbarorum angeführt werden. aa) Kenntnis der Unterschlagung im germanischen Recht Nach der Auffassung von Meister sei die Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen im germanischen Recht bereits daran gescheitert, dass die Unterschlagung 239 Betont für die westgotischen Könige von Nehlsen, in: HRG II, Lex Visigothorum, Sp. 1976. Gegen die einfache Alternative „Römisch-Germanisch“ auch ausdrücklich: Mayer-Maly, SZ 108, 232 f. Diese wird den Quellen nicht gerecht und täuscht allzu leicht über das ausgeprägte eigene Problembewusstsein der Redaktoren der leges Barbarorum hinweg. 240 Zu den praktisch nur geringen Unterschieden zur vulgarrechtlichen Vindikation und einer Möglichkeit deren Überwindung vgl. Völkl, SZ RA 110, 447 ff.

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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nicht als Delikt erfasst gewesen sei. Weil das damalige Recht keine dinglichen Klagen gekannt habe, also auch keine dinglichen Ansprüche, sei das dingliche Recht selbst nie als verletzt angesehen worden. Die Unterschlagung knüpfe aber unmittelbar an der Verletzung des dinglichen Rechts an. Sie könne daher denknotwendig nur in solchen Rechtsordnungen als Delikt betrachtet werden, die dingliche Ansprüche kennen241. Im Gegensatz dazu richte sich der Diebstahl auch gegen den Besitz und sei deshalb auch dem germanischen Recht geläufig gewesen. Meister ist darin zuzustimmen, dass das Delikt der Unterschlagung aus Sicht der heutigen Dogmatik an der Verletzung des dinglichen Rechts ansetzt. Seine daraus gezogenen Schlüsse sind aber historisch nicht geboten. Er bemerkt selbst, dass einige Fälle heutiger Unterschlagung im germanischen Recht unbestreitbar deliktisch erfasst waren. Dies betrifft insbesondere die Fundunterschlagung. Wer eines anderen Pferd, Knecht oder Sache findet war nach L. Rib. 75 verpflichtet, den Fund öffentlich zu machen. Verheimlicht er den Fund, war er als Dieb zu verurteilen242. Meister konstruiert in diesen Fällen einen Diebstahl, indem er den Besitz des Herrn trotz des Verlusts der tatsächlichen Sachherrschaft solange Fortdauern lässt, bis ein Finder die Sache in Aneignungsansicht an sich nimmt. Damit gelangt er auch in diesen Fällen zu einer Wegnahme243. Als Beweis für seine Ansicht führt er die Anwendbarkeit der Anefangklage in diesen Fällen an. Letzteres kann freilich nach dem oben Gesagten nicht überzeugen. Die Möglichkeit der Sachverfolgung beweist ja nur, dass überhaupt ein Delikt vorliegt. Bei unbefangener Betrachtung liegt der Unrechtsgehalt bei L. Rib. 75 in der Verheimlichung des Fundes und dem rechtswidrigen Aneignen der Sache. Die bereits für das altrömische Recht vermutete sehr frühe Erfassung der Fundunterschlagung als Delikt und deren Gleichstellung mit einem die Sachverfolgung ermöglichenden Diebstahl wird damit zusammenhängen, dass sich die beiden Situation für den Eigentümer regelmäßig nicht unterscheiden lassen. Dieser findet seine Sache nicht mehr an gewohnter Stelle vor und muss davon ausgehen, bestohlen worden zu sein. Infolgedessen leitet er eine Spurfolge ein und legt Hand an die Sache (Anefang), wenn er sie wiederfindet. Der Besitzer ist automatisch des Diebstahls verdächtig244. Auf das germanische Sprichwort: „Denn der Dieb findet gern, so wie der Küster den Kelch findet“, wurde oben bereits hingewiesen245. Schon früh werden sich deshalb Verhaltensvorschriften für redliche Finder entwickelt haben, insbesondere über die Form

241 242 243

Meister, FS Wach III, 453, 457. L. Rib. 75. Meister, FS Wach III, 463 f.; dagegen Brunner/Schwerin, RG II, 840 f., Anm.

114. 244 245

Meister, FS Wach III, 463. Disse (II. Fn. 222), 275.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

der Veröffentlichung des Fundes246. Wer diese nicht einhielt, galt als anrüchig und wurde als Dieb verurteilt. Vermutlich entwickelte sich die Fundunterschlagung ausgehend davon zu einem eigenständigen Delikt. In den Vordergrund drängte dabei das heimliche Aneignen der fremden Sache, das den Anforderungen an das Gebaren eines aufrechten Finders widersprach. Der von Meister bemühten Konstruktion eines Gewerebruchs durch Fortdauern des Besitzes über die tatsächliche Sachherrschaft hinaus bedurfte es nicht. Zu den oben behandelten Fällen der Unterschlagung anvertrauter Sachen im westgotischen und bayrischen Recht glaubt Meister gar nicht erst Stellung nehmen zu müssen, da diese römisch rechtlich seien247. Auch auf die einschlägigen Stellen aus dem fränkischen Recht wird nicht eingegangen. Wenig überzeugend ist es zudem, dass der unberechtigte Verkauf anvertrauter Sachen oder deren Einverleibung in das eigene Vermögen ohne theoretische Kenntnis von einem dinglichen Anspruch nicht als Delikt fassbar gewesen sein sollen. Der Vertrauensmann war dem Herrn auch noch germanischer Anschauung zur Herausgabe verpflichtet. Die betreffenden Sachen waren für ihn fremdes Gut248. Er durfte sie nur im Rahmen der ihm übertragenen Herrschaftsmacht benutzen. Macht der Vertrauensmann die Rückgabe etwa durch inlicita venditio unmöglich, so liegt in dieser Handlung jedenfalls eine Veruntreuung. Ob man das Delikt nun in einem Aufschwingen in die Eigentümerposition durch Manifestation eines Zueignungswillens (Unterschlagung) sieht, oder bei der Überschreitung eingeräumter Befugnisse hinsichtlich der Sache (Untreue) ansetzt, ist lediglich eine theoretische Frage. Eine strafwürdige Missetat lag in beiden Varianten vor249. Zumindest die Veruntreuung war auch nach dem Vorstellungsbild der Germanen deliktisch greifbar250. Es trifft demnach nicht zu, dass allein die Störung der Besitzordnung als Delikt gegen den Herrn gesehen wurde. Angemerkt sei noch, dass auch das Zerstören fremden Guts bzw. die Tötung fremder Knechte bekannte Missetaten waren, obwohl diese sich nicht unmittelbar gegen den Besitz richteten251. Ansatzpunkt war stattdessen die Überschreitung der eigenen Befugnisse, der unberechtigte Eingriff in die Angelegenheiten des Herrn. 246

Vgl. dazu L. Rib. 75. Meister, FS Wach III, 459. 248 Vgl. nur CE 282, 289; Scherner (V. Fn. 3), 173: „Das Recht des alten dominus bleibt bei der Sache und schlägt sich in der Sprache der Volksrechte in dem Terminus alienus wieder.“ 249 Scherner (V. Fn. 3), 173. 250 Vgl. zur Strafbarkeit von Fallgruppen der perfidia im altrömischen Recht oben II. 4. c) bb), cc). 251 Hinzuweisen ist daneben auch noch auf L. Rib. 76 sowie L. Rib. 42, wonach sowohl die Aneignung von Holz aus dem Wald sowie unberechtigte Jagd und Fischerei als Delikt erfasst und bußpflichtig sind, obwohl die Quellen jeweils ausdrücklich aussprechen, dass es sich bei dem betroffenen Gut nicht um in Besitz befindliche Sachen handelt. 247

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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bb) Die Aktivlegitimation zur Sachverfolgung bei Diebstahl vom Vertrauensmann Wenn die Sache nicht dem Eigentümer selbst sondern seinem Vertrauensmann gestohlen wird, ist nach den Volksrechten nur der unmittelbar Bestohlene zum Anefang berechtigt. Ihm gebührt auch die Buße des Täters. Stellvertretend sei hier die Regelung des Codex Euricianus zitiert: CE 280 „. . . Si vero quae commendata fuerant furto probantur ablata, ei, qui commendata susceperat, spatium tribuatur, donec furem suam investigatione perquirat. Et si eum invenerit, commendatori res proprias tantummodo reformare procuret; conposito vero furti ad eum, qui habuit commendata, pertineat . . .“ Wenn nun anvertraute Sachen nachweislich durch Diebstahl anhanden gekommen sind, so werde jenem, der sie anvertraut erhalten hatte, eine Frist gewährt, um seinen Dieb durch Nachforschung zu ermitteln. Und hat er ihn gefunden, so trage er Sorge, dem Hinterleger sein Eigentum – aber nur dieses – wieder zu verschaffen; die Diebstahlsbuße aber gebühre dem Verwahrer.

Diese Eigenart des germanischen Rechts dient den Verfechtern der „Hand wahre Hand“ Theorien als wichtiger Einwand gegen die Verfolgbarkeit anvertrauter Sachen. Sie sehen darin eine Bestätigung dafür, dass nur der unfreiwillige Verlust der tatsächlichen Sachherrschaft bzw. der Bruch der Gewere zur Sachverfolgung legitimiert252. Wer sein Gut freiwillig weggebe, könne es in der Konsequenz auch dann nicht verfolgen, wenn es seinem Vertrauensmann gestohlen werde. Dies obliege vielmehr der Person, der die Sache abhanden gekommen ist, nämlich dem Besitzer. Aus der Aktivlegitimation des ehemals besitzenden Vertrauensmannes zum Anefang lässt sich jedoch nicht schließen, dass stets zwingend ein unfreiwilliger Besitzverlust Voraussetzung des Verfahrens war. Zur Verfolgung berechtigt war dieser hier vor allem deshalb, weil ihn auch der Diebstahlsschaden trifft. Kann er die gestohlene Sache dem Herrn nicht mehr herausgeben, kommt eine Ersatzpflicht in Betracht. Zumindest ist er Rechenschaft schuldig und kann das anvertraute Gut selbst nicht mehr nutzen. Dies rechtfertigt es, ihm ein Vorgehen gegen den Dieb zu gestatten und ihm auch die Diebstahlsbuße zuzusprechen. Diese Überlegung kennen wir bereits aus dem römischen Recht253. Außerdem sei daran erinnert, dass das Anefangverfahren eng mit der Spurfolge zusammen252

Brunner/Schwerin, RG II, 668. Auch im römischen Recht wurde dem Besitzer die Geltendmachung der Diebstahlsbuße mittels actio furti zugestanden, wenn er ein eigenes Interesse an der Erhaltung der Sache hatte, etwa dem Eigentümer gegenüber ersatzpflichtig war (Werkunternehmer, Mieter; nicht aber: Verwahrer, da dieser regelmäßig nicht für custodia haftet). Gai. III, 203 ff.; Kaser, Grenzfragen der Aktivlegitimation zur actio furti, Festgabe für Ulrich von Lübtow 1980, 291 ff.; Kaser, Die actio furti des Verkäufers, SZ RA 96, 89 ff.; Thomas, TR 36, 503 ff. 253

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

hängt und sich aus dieser entwickelt hat. Praktikabel ist die Verfolgung des Täters auf frischer Tat nur dann, wenn sie durch den Bestohlenen selbst sofort erfolgen kann254. So hat sich vermutlich schon frühzeitig eingebürgert, dass dem Besitzer die Verfolgung obliegt, auch wenn dieser die Sache nur für den Eigentümer besitzt. Diese Fälle sagen nichts darüber aus, ob der Eigentümer in den völlig anders liegenden Konstellationen der Unterschlagung durch den Vertrauensmann die Sache und das Delikt verfolgen konnte. Anders als hier ist der Geschädigte dort stets der anvertrauende Eigentümer. Er ist es folglich auch, dem die Anefangklage sowie die Deliktsbuße zustehen und nur er wird die Klage überhaupt anstrengen wollen. cc) Sinn und Zweck des Gewährenzuges in den Unterschlagungsfällen Folgt man den Vertretern des „Hand wahre Hand“ Prinzips, hat das Anefangverfahren und insbesondere der dabei stattfindende Gewährenzug nur Sinn, wenn die Sache dem Eigentümer abhanden gekommen ist. Lediglich dann gelte es, den Täter durch den Schub auf den Vormann zu finden. Dagegen sei der Rechtsbrecher im Falle einer Unterschlagung anvertrauter Sachen regelmäßig bekannt. Es habe zu dessen Feststellung eines Gewährenzuges gar nicht bedurft. Ein Verfahren, welches wie der Anefang durch Verfolgung der Sache den Täter zu finden bezweckte, sei deshalb nicht geboten gewesen255. Richtig ist daran, dass der Eigentümer von der Person des Vertrauensmannes regelmäßig Kenntnis gehabt haben wird. Bekannt konnte allerdings auch der Diebstahls- bzw. Raubtäter sein, ohne dass dies die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des jeweiligen Besitzers beeinträchtigt hätte. Das Vorgehen gegen den Inhaber der Sachgewalt machte auch in diesen Konstellationen guten Sinn. Einerseits geriet der Besitzer auf diese Weise in den Zwang, dem Sachverfolger beim Auffinden des Täters behilflich zu sein. Er muss dessen Aufenthaltsort preisgeben, da er ihn als Gewähren benötigt. Andererseits konnte durch das Verfahren eine etwaige Beteiligung des Besitzers an der Unterschlagung aufgedeckt werden. Es besteht ja stets die Möglichkeit, dass der Besitzer mit dem Täter kollusiv zusammengewirkt hat und somit einem fur gleichzustellen ist. Die Inanspruchnahme des Besitzers hat dann den Vorteil, dass auch der bösgläubige Ankauf mit gesühnt werden kann, der Eigentümer also doppelte Buße erlangt256. Als fur bestraft wurde ja auch, wer wissentlich vom Dieb erworben 254 Vgl. auch im modernen Recht die §§ 859, 860 BGB. Danach stehen die possessorischen Selbsthilferechte (Besitzwehr und Besitzkehr) demjenigen zu, der die tatsächliche Gewalt ausübt, insbesondere auch dem Besitzdiener. 255 Brunner/Schwerin, RG II, 669.

3. Die Sachverfolgung der Westgoten, Franken und Bayern

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hat. Nicht anders wird es bei Erwerb vom Unterschlagungstäter gewesen sein257. War der Käufer bei Entgegennahme der fremden Sache also bösgläubig, dann muss auch er Buße entrichten. Darüber hinaus besteht durch den Gewährenzug die Möglichkeit, weitere unredliche Beteiligte zu ermitteln und auch diese zu bestrafen. Sinnlos war der Gewährenzug also auch in den Unterschlagungsfällen nicht. Vielmehr diente er auch dort zur Aufdeckung der gesamten Tat. Unabhängig davon bot es sich an, das bereits aus der Diebstahlsverfolgung bekannte Verfahren heranzuziehen, als es für die Germanen galt, die als Delikt erkannten Fälle des unberechtigten Verkaufs anvertrauter Sachen in den Griff zu bekommen. Ohne dass es großartiger Veränderungen bedurfte, konnte die Anefangklage in diesen Konstellationen zu einer befriedigenden Lösung führen. Die Inanspruchnahme des Besitzers sicherte dem Geschädigten die Restitution. dd) Nichtauffindbarkeit des Gewähren/Gewährschaftsverweigerung Bisher ist die Rückabwicklung des Deliktes nur für den Fall behandelt worden, dass der tatsächliche Täter überführt wird und auch greifbar ist. In der Praxis wird es jedoch nicht selten vorgekommen sein, dass der Veräußerer unauffindbar bleibt oder die Gewährschaft verweigert. Fraglich ist, wie es sich in diesen Fällen mit der Buß- und Herausgabepflicht verhielt. Dem Erwerber vom Nichtberechtigten musste auf irgendeine Weise gestattet gewesen sein, zumindest den Deliktsverdacht abzuwenden, den das Auffinden der fremden Sache und die Behauptungen des Klägers bei ihm ausgelöst hatten. Das Problem stellt sich schon für den gutgläubigen Erwerber vom Dieb, ganz besonders aber dann, wenn der Sachverfolger aufgrund einer inlicita venditio vorgeht. Ein Vergehen des Besitzers liegt in diesen Fällen nicht ohne weiteres auf der Hand, so dass eine wirksame Verteidigungsmöglichkeit auch ohne Gewährenzug bestanden haben muss. Zwei Situationen sind nach fränkischem Recht zu unterscheiden. Hat der Besitzer den Gewähren benannt und vor Gericht bestellt, verweigert dieser jedoch die Übernahme oder erscheint nicht zum Termin, dann galt der Besitzer für sachfällig258. Es blieb ihm ein Vorgehen gegen den Vormann, den er durch Zeu256 Vgl. oben V. 2. a) ff); L. Vis. VII, 2, 9: „Si quis rem furtivam sciens a fure conparaverit, ille, qui emit, suum representet autorem et postea tamquam fur conponere non moretur . . .“. 257 Vgl. oben V. 2. a) ff); CE 280 Satz 7: „. . . sicut fur ea . . .“; L. Vis. VII, 2, 7: „. . . in numero furantium habeatur . . .“ – danach reicht das Wissen vom Diebstahl aus, um selbst zu den Dieben zu zählen.; L. Vis. VII, 2, 17; L. Vis. VII, 6, 3; VII, 6, 4: „. . . pro fure teneantur . . .“ – in Bezug auf Handwerker, die anvertrautes Gold unterschlagen. 258 L. Rib. 33, 3; Brunner/Schwerin, RG II, 661 f.

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V. Die germanischen Volksrechte (leges barbarorum)

gen des Bruchs der Gewährschaft überführen konnte. Der Streit des Käufers mit dem Gewähren wurde nach einem Kapitular zur L. Rib aus dem Jahre 803 im Anefangverfahren inzident geprüft. Beweismittel waren Zweikampf und Kreuzprobe259. Konnte der abstreitende Gewähre überführt werden, büßte er als Dieb. Daneben haftete er dem Käufer wegen des Gewährschaftsbruchs260. Erklärt der in Anspruch genommene Besitzer von vornherein, dass er seinen Gewähren nicht auffinden könne, weil dieser unbekannten Aufenthalts sei, kann er die Bußpflicht mittels Eid selbsiebent und Herausgabe der Sache abwenden261. Dieser Ausweg blieb auch dem Erwerber in den Unterschlagungsfällen, wenn sich der Veräußerer aus dem Staub gemacht hatte. Eine Verurteilung wegen des in Rede stehenden Deliktes konnte damit abgewendet werden. Noch etwas erwerberfreundlicher zeigt sich das westgotische und bayrische Recht. Findet der Besitzer seinen Gewähren nicht, ist es ihm gestattet, den Deliktsverdacht durch Zeugen und Eid abzuwenden. Im Zentrum wird dabei der Nachweis redlichen Erwerbs gestanden haben. Gelingt der Nachweis, entfällt nicht nur die Bußpflicht, sondern die Sache muss zunächst auch nur gegen Ersatz des halben Kaufpreises restituiert werden262. Dem Besitzer obliegt es allerdings weiterhin, den Gewähren aufzutreiben. Schafft er dies endgültig nicht, muss er die Sache ohne Gegenleistung herausgeben263. Diese Verfahrensweisen berücksichtigen das Restitutionsinteresse des geschädigten Eigentümers, ohne dem Käufer die Chance zu nehmen, sich vom Deliktsvorwurf zu befreien. Insbesondere die Möglichkeit des Besitzers, den persönlichen Tatverdacht unabhängig vom Gewährenzug zu widerlegen, machte es in der Praxis zumutbar, auch den Erwerber in den Unterschlagungsfällen mit einem Deliktsvorwurf zu konfrontieren.

4. Zusammenfassung und Folgerungen Die Verfolgung anvertrauter und vom Vertrauensmann weiterveräußerten Sachen ist dem Recht der Westgoten, Franken und Bayern keineswegs völlig fremd gewesen. Weder die untersuchten Quellen noch theoretisch dogmatische Erwägungen rechtfertigen es, den Satz „Hand wahre Hand“ als unumstößliches germanisches Prinzip dieser Zeit anzusehen. Abhängig war die in den untersuchten Volksrechten geregelte Sachverfolgung nicht von einem Abhandenkommen der Sache, also von der Art des Besitzverlustes, sondern vom Vorliegen 259

Brunner/Schwerin, RG II, 661; Rauch, SZ GA 68, 4. Brunner/Schwerin, RG II, 662. 261 L. Rib. 33, 4. Brunner/Schwerin, RG II, 662. 262 L. Vis. VII, 2, 8; L. Bai. IX, 8; Stobbe, DPR II, 560, Anm. 4; Brunner/ Schwerin, RG II, 662. 263 Schultze, FS Dahn I, 50, Anm. 142; Brunner/Schwerin, RG II, 662, Anm. 85. 260

4. Zusammenfassung und Folgerungen

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eines Delikts gegen den Kläger. Der Diebstahl war lediglich der geläufigste Grundfall, nicht aber die einzige eine Verfolgbarkeit der Sache bewirkende Missetat. Nachdem sich ein praktisches Bedürfnis für die Regelung von Unterschlagungsfällen entwickelt hatte, folgte auch aus einer inlicita venditio die Möglichkeit einer Beschlagnahme der Sache in dritter Hand. Das ursprünglich für die Verfolgung gestohlener Sachen entwickelte Verfahren wurde dazu analog herangezogen. Durch die Gestattung eines Personenwechsels in der Passivlegitimation war es auch geeignet, gegen weniger verdächtige Besitzer vorzugehen. Von der deliktischen Verantwortlichkeit konnte sich der in Anspruch Genommene auch unabhängig von seinem Gewähren freizeichnen. Nach dem Wissen des Käufers wurde im Hinblick auf die Herausgabepflicht nicht unterschieden. Gleich ob dieser gut- oder bösgläubig war, hatte er die deliktsbelastete Sache zu restituieren bzw. an seinen Gewähren weiterzugeben. Nur in Bezug auf die eigene Bußpflicht war die Kenntnis vom Delikt von Bedeutung. Überhaupt ist in den Volksrechten zu beobachten, dass die Sicht des Besitzers bzw. Erwerbers keine entscheidende Rolle spielt. Die Sachlage wird vorrangig aus dem Blickwinkel des deliktisch Geschädigten beurteilt. Ihm gibt das Recht eine Handhabe gegen den Besitzer, mit der er das Unrecht verfolgen und die Sache zurückholen kann. Der in Anspruch Genommene ist einem Deliktsverdacht ausgesetzt, den er zwar widerlegen kann, behalten darf er die Sache des Klägers jedoch auch dann nicht, wenn er gutgläubig war. Eine irgendwie geartete Interessenabwägung zwischen Eigentümer und Erwerber fand nicht statt. Dies ist unabhängig davon festzuhalten, ob der hier vertretenen Auffassung einer Verfolgbarkeit unterschlagener Sachen in den Volksrechten gefolgt wird oder nicht. Auch nach der Theorie eines urgermanischen „Hand wahre Hand“ Prinzips durfte der Erwerber einer unbefugt veräußerten anvertrauten Sache diese nicht etwa behalten, weil er schutzwürdiger als der Eigentümer ist, sondern nur weil es in diesen Fällen an einer Klagemöglichkeit gefehlt haben soll264. Keine Rolle spielte es, ob der Eigentümer durch die freiwillige Weggabe den unberechtigten Verkauf erst ermöglicht hat (Veranlassungstheorie) oder nicht. Die Möglichkeit einer Sachverfolgung in dritter Hand richtet sich nicht nach dem Verhalten des Eigentümers, sondern nach dem des nichtberechtigt Verfügenden.

264 So die Prozesstheorie, vgl. oben V. 1. b) cc). Allein die abzulehnende Publizitätstheorie, vgl oben V. 1. b) aa), stellt auf einen Rechtsschein ab, den der Eigentümer durch die Weggabe erwecke und der die Unverfolgbarkeit rechtfertige. Eine Unterscheidung nach dem tatsächlichen Vorstellungsbild des Erwerbers wollen aber auch deren Vertreter nicht annehmen. Unverfolgbar blieb die Sache danach auch in der Hand des bösgläubigen Erwerbers.

VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB Einleitend wurde bereits angedeutet, dass bei der Entstehung der heutigen Regelung in § 935 BGB die Rechtsgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt hat1. Fraglich ist, ob dabei auch die vorliegend für das römische sowie das westgotische, fränkische und bayrische Recht vertretenen Grundsätze Berücksichtigung fanden, oder aber andere Überlegungen vorrangig waren.

1. § 306 ADHGB von 1861 Ein Blick in die Materialien zur Entstehungsgeschichte der §§ 932 ff. BGB zeigt, dass bei der Entscheidung für einen gutgläubigen Erwerb und die Ausnahmen bei unfreiwilligem Besitzverlust ein überaus wichtiger Faktor die Konformität mit den damals bereits existierenden Regelungen im Handelsgesetzbuch gewesen ist. Mehrfach wurde in den Beratungen geäußert, dass auf eine Übereinstimmung der größte Wert zu legen sei2. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB nahm somit bereits bei der Entscheidung für § 306 ADHGB ihren Lauf3. Dieser lautet: „Wenn Waaren oder andere bewegliche Sachen von einem Kaufmann in dessen Handelsbetriebe veräussert und übergeben worden sind, so erlangt der redliche Erwerber das Eigenthum auch wenn der Veräußerer nicht Eigenthümer war. Das früher begründete Eigenthum erlischt . . . Dieser Artikel findet keine Anwendung, wenn die Gegenstände gestohlen oder verloren waren.“

1

Vgl. oben I. Prot. I 4006 bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 599; Bericht von Heller zur Beratung der XII. Kommission, 21.04.1896, Reichstag, bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 619; Motive, 344, bei Mugdan (I. Fn. 7), 191. 3 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Voraussage von Goldschmidt, ZHR 8 (1865), 227, der später auch in der Vorkommission von 1874 bei der Entstehung des BGB mitwirkte: „Und da von dem Handelsverkehr ein Rückschritt nach der Römischen Eigenthumstheorie schwerlich zu erwarten steht, so dürfte in voraussichtlich nicht allzulanger Zeit, zumal in einem gemeinsamen Deutschen Gesetzbuch, auch der bürgerliche Mobiliarverkehr nach den gleichen Grundsätzen geregelt werden.“, sowie dessen Äußerung in ZHR 9, 68: „Unzweifelhaft wird diese, wenn auch vielfach verklausulierte Anerkennung der einheimischen Rechtssätze vom Gebiet des Handelsrechts auf das bürgerliche Recht hinüberwirken . . .“ 2

1. § 306 ADHGB von 1861

253

a) Die zur Entscheidung vorgebrachten Anträge Bereits der Württembergische Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland von 1839 sah einen Schutz des redlichen Besitzes vor Entwehrung vor, von dem Sachen ausgenommen sein sollten, die dem Eigentümer verlorengegangen oder gestohlen worden waren4. Die Motive dazu vermerken, dass veruntreute Sachen den gestohlenen nicht gleich zu stellen seien5. Unanwendbar sollte die Ausnahme für gestohlene und verlorene Sachen auf Geld und Inhaberpapiere sein. Bei Erwerb auf Messe oder Markt und in einigen weiteren Konstellationen war ein Lösungsrecht vorgesehen6. In der Folgezeit enthielten allerdings weder der Frankfurter (1849), noch der Preußische (1856), noch die beiden ersten Nürnberger Entwürfe vergleichbare Vorschriften über den Erwerb und die Verfolgung von Eigentum im Handelsverkehr7. Eine Vindikation beim redlichen Besitzer sollte lediglich für die sehr speziellen Fälle einer unberechtigten Verfügung des Kommissionärs über Kommissionsgüter ausgeschlossen sein8. Erst in dritter Lesung schlug die preußische Regierung eine allgemeine Regelung des redlichen Erwerbs vor, die wiederum eine Ausnahme für gestohlene und verlorene Sachen enthielt. Die Herausgabe sollte in diesen Fällen allerdings auch nur gegen Ersatz des dafür Geleisteten verlangt werden können (Lösungsrecht). Wenn die Landesgesetze noch günstigere Vorschriften für den Besitzer enthalten, sollten sie vorgehen9. Hamburg stellte dagegen den Antrag, im Inte4 Art. 327 des Württembergischen Entwurf: „Der redliche Besitz einer beweglichen Sache schützt gegen Entwährung, ausgenommen, wenn die Sache dem Eigenthümer verloren ging oder gestohlen wurde.“, vgl. Goldschmidt, ZHR 9, 1. 5 Goldschmidt, ZHR 9, 1. 6 Vgl. die weiteren Fälle bei Goldschmidt, ZHR 9, 2. 7 Goldschmidt, ZHR 9, 2; Lux, Die Entwicklung des Gutglaubensschutzes im 19. und 20. Jahrhundert; mit besonderer Berücksichtigung des Wechselrechts (1939), 30; Schmidt, Abhandenkommen bei Weggabe durch angestellte Besitzdiener?, FS Seiler (1999), 592. Zwar wurde in der 50. Sitzung, Nürnberg, 21.04.1857, bei der Behandlung der Inhaberpapiere die grundsätzliche Frage nach der Vindikation beweglicher Sachen angesprochen und betont, diese „widerstrebe den Bedürfnissen des Handelsstandes“ doch wurde die Problematik damals noch nicht angegangen, vgl. Schubert, Protokolle der Commission zur Berathung eines allgemeinen deutschen HandelsgesetzBuches, Band 2, 440 f. Auch ein in der 97. Sitzung, Nürnberg, 30.06.1857, eingebrachter Antrag, nach dem ein Eigentumserwerb durch Handelsgeschäfte unabhängig von der Berechtigung des Veräußerers stattfinden solle, sofern der Erwerber gutgläubig ist, kam nicht mehr zur Beratung. Eine Einschränkung für abhanden gekommene Sachen enthielt dieser Antrag nicht, vgl. Schubert, Protokolle II, 872 f., 874. 8 Art. 339 des Entwurfs zweiter Lesung lautete: „Handelt der Kommissionär nicht gemäß dem übernommenen Auftrage, so ist der dem Kommittenten zum Ersatz des Schadens verpflichtet; der Kommittent ist nicht gehalten, das Geschäft für seine Rechnung gelten zu lassen, er kann aber die Ware von dem dritten redlichen Besitzer nicht zurückfordern.“ Schubert, Protokolle II, 688 ff.; Lux (VI. Fn. 7), 30; Goldschmidt, ZHR 9, 2 ff.; Schmidt, FS Seiler (1999), 592.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

resse des Handelsverkehrs auch gestohlene und verlorene Sachen dem gutgläubigen Erwerb auszusetzen10. Demgegenüber sollten nach einem Antrag B gestohlene und gefundene Gegenstände von einem redlichen Erwerb prinzipiell ausgeschlossen sein und zwar ohne die Pflicht zur Zahlung eines Lösegeldes11. Österreich schloss sich mit seinem Antrag C der Auffassung Hamburgs an, hielt eine Ausnahmeregelung für gestohlene und verlorene Sachen also nicht für angebracht12.

b) Motive für die Entscheidung zugunsten des „Hand wahre Hand“ Prinzips Bei der Beratung trat die rechtsgeschichtliche und wirtschaftliche Problematik hervor und wurde ausgiebig diskutiert. Hinsichtlich der Grundsatzfrage nach der Einführung eines redlichen Erwerbs standen sich zwei Lager gegenüber. Die Vertreter des römisch rechtlichen Vindikationsprinzips mahnten, die Lehre vom Eigentum werde durch die angedachte Regelung „in ihren Grundlagen erschüttert und letzteres nahezu aufgehoben“13. Es bestehe auch kein anerkennenswertes Bedürfnis für die Einführung eines Erwerbs vom Nichtberechtigten. Vindikationsprozesse seien nämlich außerordentlich selten und kämen im Handelsverkehr fast gar nicht vor. Dem widersprachen die Verfechter der Gegenansicht mit der Bemerkung, dass sich der Bedarf für eine derartige Regelung schon darin zeige, dass „überall wo der Handel sich in größeren Verhältnissen entwickelt habe, das römische Recht mit seinem Vindikationssysteme nicht durchgedrungen sei, sondern die entsprechenden Rechtssätze des germanischen Rechts Geltung behalten hätten“14. Damit wurde auf die Regelungen in verschiedenen Stadtrechten, insbesondere dem Hamburger Stadtrecht15 und dem Lübischen 9 Antrag Nr. 375 zu Art. 339 ADHGB Entwurf II, vgl. dazu den Wortlaut bei: Goldschmidt, ZHR 9, 3; Lux (VI. Fn. 7), 30; Schmidt, FS Seiler (1999), Anm. 57. 10 Schubert, Protokolle IX, 4614 f. 11 Schubert, Protokolle IX, 4616. 12 Schubert, Protokolle IX, 4616 ff. Der Antrag Österreichs wurde später zurückgenommen, Goldschmidt, ZHR 9, 6. 13 Schubert, Protokolle IX, 4607. 14 Schubert, Protokolle IX, 4608; Goldschmidt, ZHR, 9, 5; Lux (VI. Fn. 7), 31; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 200. 15 Hamburger Stadtrecht (1603) II, 2 Art. 7: „Welcher Mann dem andern leihet seyn Pferdt, Kleid oder was es für Gut sey, und auf wasserley weise er das aus seinen Wehren lesset, mit seinem Willen, und verkauft es derjenige, der es in seinen Wehren hat, oder versetzt er dasselbige, oder wird es ihm abgeraubet oder abgestolen: So mag derjenige, der es erstlich verliehen oder versetzt hat, darauf wider den Einhaber desselben, wo fern der jenige solches mit gutem Titul an sich gebracht, keine Forderung haben, sondern muss sich deswegen an denselben, welchem er es geliehen oder versetzt hat, oder so derselbige verstorben, an dessen Erben halten.“ Danach findet eine Vindikation anvertrauter Sachen nicht statt, wenn diese vom Dritterwerber „mit

1. § 306 ADHGB von 1861

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Recht16 angespielt. Der Umstand, dass auch unter Geltung des gemeinen Rechts Vindikationsprozesse nur recht selten erhoben werden, sei allein darauf zurückzuführen, dass diese Möglichkeit bisher nicht in das Verkehrsleben eingedrungen sei. Nur so lasse sich auch erklären, weshalb einige Länder gegen die grundsätzliche Anerkennung des „Hand wahre Hand“ Prinzips seien17. Die Argumentation der Befürworter gipfelte in der Aussage, dass kein Kaufmann würde mehr ruhig sein können, wenn das „römische System“ eine größere praktische Bedeutung erlange18. Der Gegensatz zum römischen Recht sei auch nicht so groß, wie ihn die Gegenseite darstelle. Gänzlich fremd sei die Idee eines

gutem Titul“ erlangt sind. Das Erfordernis von bona fides und Titel (vgl. auch II, 4, Art. 2) ist aus dem römischen Recht entnommen, von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 190. Schon nach altem Hamburger Recht (1270) waren Güter, die erweislich durch Kauf in die Stadt über See gelangt waren, oder von auswärts seit Jahr und Tag unangefochten in der Stadt waren, oder im Krieg erbeutet worden sind, trotz Abhandenkommen von der Vindikation ausgeschlossen – Hamburger Stat. 1270. VII.9. 1292 H. 7, 1497 E. 11, bei Goldschmidt, ZHR 8, 262, Anm. 8; ebenso im alten lübischen Recht Cod. III 334. Nach Goldschmidt ist dies ursprünglich nur eine Fortbildung des altgermanistischen Prinzips, dass der Vindikant dem sich entziehenden Beklagten, nicht über See zu folgen brauche (vgl. Sachsenspiegel II 36 § 5). Unverkennbar ist jedoch auch die darin liegende Verkehrsbegünstigung, die gerade in den norddeutschen Handelsstätten von praktischer Bedeutung war. Das neuere Hamburger Recht (1603) verlangt für den Fall über See eingeführten gestohlenen Guts noch den Nachweis der Redlichkeit des Einführenden. 16 Revidiertes Lübisches Recht (1586) III, 2, 1: „so hat der Commodans oder Ausleiher keine Ansprache wider diejenigen, welchen es verkauft, vergeben oder versetzt worden, sondern muß bey seinem Manne dem Commodatario, dem er es gelehnet, oder bey seinem Erben, auff dem Todesfall bleiben; dann Hand muß Hand wahren.“ III, 2, 2: „Ein jeglicher sehe wol zu, weme er das seine ausleihe und vertraue. Dann würde es sich zutragen, daß derjenige, dem es gelehnet oder vertrauet, dasselbe verkaufte, versetzte, oder sonsten alienierte, will dann der Ausleiher das Gut wieder haben von dem, welchem das ausgelehnet Gut per contractum gebracht, so muß er es selbst lösen, sonsten bleibet der es gekauft oder an sich gebracht, näher dabei dann derjenige, welcher das Gut ausgelehnet. Denn do jemand seinen Glauben gelassen, da muß er ihn wiederum suchen.“ Vgl. dazu: Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1929; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 191; Huwiler, FS Bader (1986), 79 ff. Allerdings soll nach Mevius eine Vindikation gegenüber dem redlichen Erwerber gegen Lösung möglich sein, Goldschmidt, ZHR 8, 264, 265, Anm. 15; Kommentar von Mevius zum ius Lubecense (1642) bei von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 191. Da der Eigentümer dennoch den wirtschaftlichen Schaden trug, wird ihm warnend empfohlen, genau zuzusehen, wem er ein Gut anvertraut und wem nicht. Nach IV, 1, Art. 3 des rev. Lübischen Rechts ist die Vindikation ausnahmsweise auch im Falle des unfreiwilligen Besitzverlustes durch Raub oder Diebstahl ausgeschlossen, wenn der Erwerber die Sache „aufrichtig über die Dritte Hand“ erhalten hatte. Dazu musste die eigene bona fides und die der beiden Vormänner nachgewiesen werden, Goldschmidt, ZHR 8, 262; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 191, Hübner (I. Fn. 4), 22. 17 Schubert, Protokolle IX, 4608; Goldschmidt, ZHR 9, 5. 18 Schubert, Protokolle IX, 4608; Goldschmidt, ZHR 8, 226; ZHR 9, 5; Lux (VI. Fn. 7), 31; kritisch: von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 201: „übertriebene Behauptung“.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

redlichen Erwerbs dem römischen Recht nämlich nicht, da dieses mit der usucapio bereits eine gleichartige Erwerbsform gekannt habe. Nur die willkürlichen justinianischen Fristen wolle man abschaffen19. Eine Mehrheit von 9 gegen 5 Stimmen sprach sich schließlich für die Aufnahme einer Bestimmung über die Beschränkung der Vindikation aus. Für die Feststellung, dass damit nicht nur die Klage des Eigentümers ausgeschlossen sei, sondern der redliche Erwerber Eigentum erwerbe, bedurfte es der entscheidendenden Stimme des Präsidenten20. Hinsichtlich der gestohlenen und verlorenen Sachen wurde mit 8 gegen 6 Stimmen letztlich dem Antrag B gefolgt, der eine generelle Ausnahme ohne Lösungsrecht vorsah. Die Befürworter der Beschränkung hatten sich in der vorangegangenen Diskussion auf die „eigenthümlichen Verhältnisse“ der wenig zuverlässigen Kleinhändler und Trödler berufen21. Man dachte offensichtlich daran, dass von diesem Personenkreis Hehlerhandlungen besonders zu befürchten seien und wollte dem Verkauf gestohlener Sachen nicht Vorschub leisten. Doch wird nicht weniger selten auch unterschlagenes Gut auf diesem Weg in den Verkehr gelangt sein. Eine geeignete Erklärung für die Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes konnte der Ansatz bei den suspekten Verhältnissen bestimmter Veräußerer nicht bringen. Zudem hatten die Verfechter des Hamburger Antrags bereits in den dazu abgegebenen Motiven argumentiert, dass in krassen Fällen, in denen ein Kaufmann seine Niederlassung zu einer „notorischen Diebeshöhle“ mache, der zuständige Richter den Erwerber kaum als redlich ansehen werde und es einer objektiven Beschränkung des Redlichkeitserwerbs daneben nicht bedürfe22. Goldschmidt führt aus, für die Mehrheit der Mitglieder sei letztlich die konservative Neigung entscheidend gewesen, sich nicht allzusehr vom Recht der Gebiete zu entfernen, in welchen die seit einiger Zeit bekannte Beschränkung zu keinen Unträglichkeiten geführt habe23. Dies wird durch einen Blick in die Protokolle bestätigt24. Gemeint sind die Ausprägungen des „Hand wahre Hand“ Prinzips, die sich seit dem Sachsenspiegel in verschiedenen mittelalterlichen Land- und Stadtrechten finden lassen. Im Gegensatz zu den Regelungen im römischen Recht und in den germanischen Volksrechten ist danach für die Unverfolgbarkeit in dritter Hand nicht mehr ein

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Schubert, Protokolle IX, 4610. Schubert, Protokolle IX, 4611. 21 Goldschmidt, ZHR 9, 11; Schubert, Protokolle IX, 4610. 22 Schubert, Protokolle IX, 4615. 23 Goldschmidt, ZHR 9, 11 f. 24 Schubert, Protokolle IX, 4610 f.: „Dafür, daß Ausnahmen der in Rede stehenden Art in der Praxis zu keinen Unzuträglichkeiten Anlaß böten, liefere die Erfahrung jener großen Gebiete, in denen sie seit langen Jahren Geltung hätten, den besten Beweis.“ 20

1. § 306 ADHGB von 1861

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Delikt an der Sache erforderlich, sondern es wird an der Art und Weise des Besitzverlustes angeknüpft. So heißt es im Sachsenspiegel, II 60 § 1 (um 1230): „Welch man deme anderen liet adir (=oder) setzt (=verpfändet) ein phert adir ein kleit adir ienerhande (=irgendwelche) varende habe, zu welcher wiz her (=auf welche Weise er auch) de zu sinen geweren lesit mit sime willen, verkoft se der, der se in geweren hat, adir versetzt her se adir verspilt her se, adir wirt se im verstoln adir abe geroubit, ienir (=jener) der se verlegen (=verliehen) adir versatzt hat, de en mag keine vorderunge nach haben, ane (=außer) uf den, deme her se leig adir vorsatzte.“25

Deutlich kommt hierin zum Ausdruck, dass sich der Eigentümer nur an den Vertrauensmann halten konnte. Ein Vorgehen gegen den Erwerber ist ihm versagt. Die Stelle gilt als das deutlichste und vielleicht auch älteste26 Zeugnis des „Hand wahre Hand“ Prinzips. Sie nahm wörtlich Einfluss auf das hamburgische Recht und aus diesem auch auf andere Stadtrechte (Riga, Stade, lübisches Recht)27. Das Abstellen auf die Art und Weise des Besitzverlustes ist vermutlich das Ergebnis einer generalisierenden Betrachtung der zu dieser Zeit hauptsächlich zur Sachverfolgung führenden Deliktstatbestände28. Indem am unfreiwilligen Besitzverlust angeknüpft wurde, der dem Diebstahl und dem dieblichen Behalten (Fundunterschlagung) als wichtigsten Fällen des damaligen Anefangs immanent ist29, gelangte man zu einer generellen Gestattung der Sachverfolgung in allen Fällen des Abhandenkommens. Auf den Vorsatz des Wegnehmenden oder Finders kam es nun nicht mehr an. Die Gutgläubigkeit des Erwerbers und das Vorliegen eines wirksamen Erwerbstitels spielten noch keine Rolle. Diese Voraussetzungen wurden erst später aus dem römischen Recht rezipiert30. Die fortan aufkommenden Rechtssprichworte „Hand wahre Hand“, „Trau schau wem“ und „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen“ sind einerseits Warnungen an den Eigentümer vor der unbedachten Weggabe seiner Sache, andererseits aber auch erste Erklärungstheorien für den im Sachsenspiegel II, 60 dokumentierten Grundsatz. Sie bieten den Anknüpfungspunkt für einen Vorwurf, der dem Eigentümer noch heute entgegengehalten wird, wenn er sich wegen der Nichtverfolgbarkeit anvertrauter Sachen in

25 Zitiert nach von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 177 f., dieser zitiert aus der Reclam Ausgabe von Frhr. von Schwerin. Vgl. sprachlich etwas andere Ausgaben bei Goldschmidt, ZHR 8, 249; Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, Sp. 1930. 26 Das Prinzip findet sich daneben auch im alten Recht von Wales (Leges Wallicae ed. Wotton p. 215. 216 lib. III. cap. III § 38. 39) dessen Alter jedoch streitig ist (zwischen vor 1200 und vor 1300), vgl. Goldschmidt, ZHR 8, 248 Rn. 7. 27 Ogris, in: HRG I, Hand wahre Hand, 1930; vgl. oben VI. Fn. 15 f. 28 Goldschmidt, ZHR 8, 248. 29 Die in den Volksrechten geregelten Fälle der inlicita venditio waren im Mittelalter offensichtlich wieder in Vergessenheit geraten. 30 Von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 190, zu Hamburger Stadtrecht (1603) II, 2 Art. 7; II, 4, Art. 2 und allgemein 193 f.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

dritter Hand benachteiligt fühlt31. In den Handelshochburgen des Mittelalters fiel dieser Gedanke, insbesondere weil man sich positive Auswirkungen auf den Güterverkehr erhoffte, auf fruchtbaren Boden und er drang schließlich auch bei der Kodifikation des ADHGB durch. So heißt es in den Motiven des erfolgreichen Antrages B32: „Durch vorstehendes Amendement wird der Grundsatz zur Anwendung gebracht, daß bei einem Mißbrauche des Vertrauens derjenige, welcher sein bewegliches Eigenthum einem Anderen anvertraut hat, dem redlichen Erwerber nachsteht.“

Erklärtes Ziel der Regelung in § 306 ADHGB war der Schutz des Warenverkehrs vor eventuellen Vindikationsprozessen. Dazu hätte es sich eigentlich angeboten, auch abhanden gekommene Sachen dem gutgläubigen Erwerb zu unterwerfen, wie es Hamburg beantragt und in den Antragsmotiven auch folgerichtig mit einem möglichst effizienten Verkehrsschutz begründet hatte. Dort heißt es33: „Wenn man sich einmal von der Nothwendigkeit überzeugt hat, daß im Handelsverkehr vor Allem der redliche Erwerb zu schützen sei, so erscheint es nicht zweckmäßig, den Grundsatz zu durchlöchern und dem kaufmännischen Publikum das Gefühl der vollen Sicherheit, also gerade die bezweckte und heilsame Folge des Rechtssatzes wieder zu nehmen“.

Letztlich sah man im Hinblick auf die historische Entwicklung und bereits existierende landesrechtliche Ausprägungen des „Hand wahre Hand“ Prinzips von einer solchen radikalen Lösung ab. Die Entscheidung für den Mittelweg fiel gegen das römische Vindikationsprinzip auf der einen und gegen einen unbeschränkten gutgläubigen Erwerb auf der anderen Seite. Nicht berücksichtigt wurde in der Diskussion die den antiken Rechten eigene Variante, den Erwerb vom Nichtberechtigten generell im Falle eines Deliktes auszuschließen bzw. einzuschränken. Zwar hatte Österreich in den Motiven des Antrages C ausgeführt, dass es nicht einzusehen sei, weshalb gestohlene Sachen anders zu behandeln seien als unterschlagene34, doch diente dies nur der Argumentation gegen das „Hand wahre Hand“ Prinzip, nicht aber zugunsten einer Ausnahme für alle deliktisch belasteten Sachen. Diese Möglichkeit blieb wohl von vornherein außen vor, weil sie als zu extensiv empfunden wurde.

31 Vgl. Mevius in seinem Kommentar zum ius Lubecense (1642) bei von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 192 f., der betont, dass der Eigentümer keinen Grund habe sich zu beschweren, da er sich hätte einen besseren Vertrauensmann auswählen können. Gegen die Stichhaltigkeit dieses Vorwurfes in heutiger Zeit vgl. oben I. 32 Schubert, Protokolle IX, 4616. 33 Schubert, Protokolle IX, 4615; vgl. auch die Stellungnahme Österreichs in den Motiven zu Antrag C, Schubert, Protokolle IX, 4618. 34 Schubert, Protokolle IX, 4618.

1. § 306 ADHGB von 1861

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c) Auslegung der Regelung durch das Reichsgericht Allerdings bot der Wortlaut der Ausnahmeregelung in § 306 ADHGB „gestohlen oder verloren“ einen Ansatzpunkt, neben dem Diebstahl im engeren Sinne auch Unterschlagungshandlungen zu erfassen. Der Diebstahlsbegriff war nämlich noch nicht im gesamten Geltungsgebiet vereinheitlicht. Goldschmidt wies bereits 1866 darauf hin, dass die Begriffe „gestohlen“ oder „verloren“ nicht in dem verschiedenen Sinne verstanden werden dürften, welche die Landesrechte ihnen beilegen, sondern in einheitlicher Weise. Es sei genauso unzulässig, unterschlagenes Gut als gestohlen aufzufassen – wie dies in einigen Landesgesetzen noch praktiziert würde – wie es unstatthaft sei, die Erwerbswirkung bei geraubten Sachen eintreten zu lassen, auch wenn Raub und Diebstahl überall unterschieden würden35. Die Begriffe „verlorenes und gestohlenes“ Gut müssten daher nur als wichtigste Beispiele des unfreiwillig dem Besitz entzogenen Gutes verstanden werden. Die Regel lautete nach Goldschmidt: „Sachen, deren Gewahrsam freiwillig aufgegeben ist, gleichviel aus welchen Motiven, unterliegen den Regeln des Art 306, mögen sie auch nach Römischem Recht als furtiv oder nach den Landesgesetzen als gestohlene zu erachten sein – Sachen, deren Gewahrsam der Inhaber wider oder ohne seinen Willen verloren hat, sind dem Art 306 entzogen.“36

Das Reichsgericht hat diese weite Auslegung mit Urteil vom 09.04.1880 bestätigt37. In Anlehnung an das Verständnis der Ausdrücke „volé“ (gestohlen) und „perdu“ (verloren) in Art. 2279 Code civil, habe auch die Vorschrift des § 306 ADHGB ganz allgemein danach unterscheiden wollen, ob der Besitz freiwillig aufgegeben oder wider den Willen des Besitzers verloren war38. Zwar sei der Sinn der Worte nicht eingehend erörtert worden, doch habe das die Einschränkung einbringende Mitglied der Kommission hinreichend deutlich gemacht, es werde damit dem Grundsatz Rechnung getragen, dass derjenige, der sein Gut einem anderen anvertraut habe, dem redlichen Erwerber nachstehe39. Widersprüche seien dem nicht entgegengebracht worden, so dass angenommen werden dürfe, die Empfehlung des Kommissionsmitgliedes entspreche dem Willen des Gesetzgebers40. Die Ausnahmevorschrift habe alle diejenigen Fälle umfassen sollen, in denen jemand wider seinen Willen und ohne sein Zutun den Gewahrsam einer Sache verloren hat. Allein die Ausdrucksweise des Gesetzes sei eine „nicht ganz korrekte“. Man könne jedoch „verloren“ entweder im wei35

Goldschmidt, ZHR 9, 13 m.w. N. Goldschmidt, ZHR 9, 13. 37 RGE I, 255 ff. 38 Der französische Begriff „pert“ dürfte weiter zu verstehen sein, als das deutsche „verloren gegangen“, Thorn (I. Fn. 27), 164. 39 RGE I, 256. 40 RGE I, 256. 36

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

ten Sinne verstehen als jeden unfreiwilligen Verlust, oder davon ausgehen, das Gesetz habe nur die beiden wichtigsten Fälle regeln wollen41.

2. Die I. Kommission zur Ausarbeitung des BGB und der Teilentwurf des Sachenrechts Nachdem durch Reichsgesetz vom 20.12.1873 (Lex Lasker) die Zuständigkeit des Bundes für das gesamtdeutsche Recht geschaffen worden war, setzte der Bundesrat am 02.07.1874 eine aus 11 Juristen bestehende Kommission mit dem Auftrag der Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich ein42. Die Ausarbeitung des sachenrechtlichen Entwurfs hatte die 1. Kommission dem Obertribunalsrat Johow (1823–1904) übertragen43. Sie nahm 6 Jahre in Anspruch. Johows Teilentwurf von 1880 sah einen gutgläubigen Eigentumserwerb bis auf wenige Ausnahmen44 nicht vor. Der redliche Erwerber brauchte die erlangte Sache dem Eigentümer jedoch nur gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgeben45. Die Redakteure des Teilentwurfes orientierten sich bei ihrer Entscheidung daran, dass im römischen Recht und den meisten Landesgesetzen46 ein sofortiger Gutglaubenserwerb nicht möglich war und auch die neuesten Gesetzesentwürfe dem römischen Recht gefolgt waren47. Dagegen bildeten die handelsrechtlichen Vorschriften im ADHGB und die in den norddeutschen Stadtrechten48 verankerten Regelungen im Sinne des Satzes 41

RGE I, 257. Zusammengesetzt war die Kommission aus 6 Richtern, 3 Ministerialbeamten, 2 Professoren (darunter auch der Romanist Windscheid – bis 1883); Schubert, Die Entstehung der Vorschriften des BGB über Besitz und Eigentumsübertragung (1966), 18; Jakobs/Schubert, Materialien zur Entstehungsgeschichte des BGB, 27 ff.; SchulteNölke, Die schwere Geburt des Bürgerlichen Gesetzbuchs, NJW 1996, 1705 ff. 43 Ihm standen der spätere Reichsgerichtsrat Achilles, der mecklenburgische Kanzleirat Martini (bis 1877) und der spätere Reichsgerichtsrat von Liebe (ab 1877) als Hilfsarbeiter zur Seite, Schubert (VI. Fn. 42), 25. 44 § 135 II TE – Erwerb vom Nichtberechtigten möglich an Geld, Inhaberpapieren, öffentlich versteigerten Sachen und Erzeugnissen einer Sache, die der redliche Besitzer der Muttersache vor Rechtshängigkeit veräußert. 45 § 186 TE; Schubert (VI. Fn. 42), 149 f. 46 Mot. TE, 745; Schubert (VI. Fn. 42), 150. 47 Vgl. §§ 252, 295 SächsBGB, das „Hand wahre Hand“ Prinzip wurde in Sachsen schon seit dem 16. Jh. aufgegeben, von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 201; Goldschmidt, ZHR 8, 260, Anm. 5. Der redliche, titulierte Besitzer kann in 3 Jahren ersitzen. Dies gilt auch für gestohlene Sachen. Ohne Titel wird in 30 Jahren ersessen, Goldschmidt, ZHR 8, 290 f. Vgl. auch III Art. 93 bayE sowie III Art. 53, 54 Hess.E., Schubert (VI. Fn. 42), 150. Hingewiesen sei daneben noch auf das Zürcherische Gesetzbuch, §§ 651–656, das eine unbeschränkte Vindikation abhanden gekommener Sachen zulässt, aber auch für anvertraute Sachen gegen Ersatz des Preises (Lösungsrecht) eine Herausgabepflicht normiert, Goldschmidt, ZHR 8, 292 f. 48 Vgl. dazu oben VI. 1. b). 42

3. Die Verhandlungen des 15. Dt. Juristentages

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„Hand wahre Hand“ nach Auffassung Johows kein allgemeines Prinzip, nicht einmal innerhalb des Handelsrechts49. Der sachenrechtliche Entwurf von 1880 gab dem Eigentumserhaltungsinteresse vor den Interessen des Erwerbers noch grundsätzlich Vorrang, wobei allerdings der wirtschaftliche Schaden durch das Lösungsrecht beim Eigentümer verbleiben sollte. Eine Unterscheidung zwischen gestohlenen und unterschlagenen bzw. abhanden gekommenen und freiwillig weggegebenen Sachen wurde nicht vorgenommen.

3. Die Verhandlungen des 15. Dt. Juristentages 1880 in Leipzig Anlässlich des 15. Deutschen Juristentages 1880 in Leipzig wurde die Frage, was im künftigen BGB über die Vindikation beweglicher Sachen im Verhältnisse zum redlichen Erwerb zu bestimmen sei, innerhalb der Fachwelt beraten50. Der Greifswalder Professor Alex Franken erstattete einleitend ein umfangreiches Gutachten zu dieser Frage. Er sieht in dem Merkmal der „Furtivität“, mit dem er das breite „gestohlen, wider Willen entkommen u.s.w.“ abkürzen will51, ein objektives Kennzeichen der Unredlichkeit des Besitzers52 und fordert dessen Nichtberücksichtigung, weil es lediglich das Ergebnis einer „unmodernen Beweiswürdigungsmethode“ sei53. Franken erkennt, dass der Schutz des Eigentümers vor Delikten gegen die Sache durch die Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes nicht konsequent realisiert werden kann, da der von einer Unterschlagung Betroffene ebenso geschädigt ist und ihm dennoch eine Vindikation versagt wird54. Auf die Möglichkeit einer Ausnahmeregelung für sämtliche deliktisch belasteten Sachen, wie sie uns im römischen Recht wegen des 49

Mot. TE 748 f.; Schubert (VI. Fn. 42), 150. Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 13 ff., 131 ff.; II. Band, 62 ff. 51 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 32. Diese „Abkürzung“ ist nicht zutreffend gewählt, weil bei der Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes ein furtum gerade nicht zwingend erforderlich ist. Auch ohne Vorsatz des Finders oder des Wegnehmenden ist die Sache dem Rechtsverkehr entzogen. An dieser Stelle zeigt sich der Mangel an Bewusstsein dafür, dass die antiken Rechte mit der Ausnahme für res furtiva einen gänzlich anderen Ansatzpunkt wählten, als das „Hand wahre Hand“ Prinzip. 52 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 32 f. 53 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 51. 54 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 32 f.: „Oft klingt aus den Darstellungen heraus, als sollte der unglückliche Gekränkte nach Kräften geschont werden . . . Ganz nichtig: denn der durch Unterschlagung um die Sache gebrachte ist ebenso gekränkt und ihm ist man heute in allen Ländern des Beschränkungssystems ziemlich einig, die Vindikation zu versagen.“ 50

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

weiten furtum-Begriffes begegnet ist, geht er allerdings nicht ein. Das Delikt könne nach seiner Ansicht nicht entscheidend sein, da der dritte Besitzer es nicht begangen habe55. In der Beratung ergriff zunächst der Leipziger Rechtsanwalt Reuling das Wort und sprach sich grundsätzlich für eine Übernahme der Regelung in § 306 ADHGB aus56. Allerdings solle als Modifikation in Betracht gezogen werden, dass für gestohlene und verlorene Sachen eine Ausnahme nicht gemacht werde. Der Erwerb vom Nichtberechtigten sei damit zu rechtfertigen, dass der Besitzer der Sache nach außen hin als Eigentümer erscheine, nicht anders als beim Immobiliarerwerb derjenige, der im Grundbuch eingetragen sei. Der Rechtschein entstehe aber gerade unabhängig davon, ob der Besitz dem Veräußerer freiwillig übertragen wurde oder nicht57. Gleich im Anschluss an Reulings Vortrag stellte der Gutachter Franken klar, dass auch er eine Ausnahme für gestohlene und verlorene Sachen nicht gutheiße58. Entschiedenen Widerspruch erfuhr diese Auffassung durch den darauffolgenden Beitrag Brunners. Dieser führte die Diskussion wieder auf drei zur Disposition stehende Grundmodelle zurück – „System des Landrechts“ (Lösungsrecht), „System der unbeschränkten Vindikation des römischen Rechts“ und „System des Handelsrechts“ – und schloss sich selbst dem letztgenannten an. Die Möglichkeit der Vindikation gestohlener oder verlorener Sachen sei historisch hergebrachtes Recht, das es unbedingt zu berücksichtigen gelte. Für diese Konstruktion spreche ein „gewisser wohlberechtigter Conservatismus“59. Brunner führt aus, dass das germanische Recht im Gegensatz zum römischen den Begriff des furtum nur auf abhanden gekommene Sachen angewandt habe. Damit hänge es zusammen, dass die deutschrechtliche Vindikation auf unfreiwillig verlorene Sachen beschränkt gewesen sei60. Speziell ist Brunner der Auffassung, es liege in Bezug auf gestohlene und verlorene Sachen der wohlbegründete Verdacht nahe, dass der Besitzer diese unredlich erlangt habe. Da die Entscheidung über die Redlichkeit des Erwerbers nicht gänzlich in der Verantwortung des Richters verbleiben dürfe, täte man gut daran, eine ganze Kategorie von Fällen, in welchen häufig unredlicher Besitz vorliegt, vom Ermessen des Richters auszuschließen61. Bemerkenswerterweise war somit das tragende Argument Brunners 55

Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, I. Band, 33, Anm. 1. Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 69 f., 70 f. 57 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 72. 58 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 73. 59 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 80 (Brunner): „. . . und es ist unsere Aufgabe nicht, in erster Linie wenigstens nicht, etwas vollständig Neues zu machen, sondern wir sollen uns möglichst dem überlieferten Recht anschließen.“ 60 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 80. 61 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 81. 56

4. Die Regelungen des Entwurf I (1887)

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für die Unterscheidung nach dem Besitzverlust nicht eine Veranlassung bzw. ein Verschulden des Eigentümers bei freiwilliger Weggabe, sondern eine hinsichtlich der Restitutionspflicht unwiderlegliche Unredlichkeitsvermutung betreffend den Besitzer bei Abhandenkommen der Sache. Indem er nicht auf die Person des Eigentümers sondern die des Erwerbers abstellt, steht der Germanist Brunner in seiner Argumentation den antiken Rechten näher als die neueren Erklärungsversuche. Der von Brunner in den Mittelpunkt gerückte quasi typisierte dolus62 des Besitzers einer abhanden gekommenen Sache findet sich als Voraussetzung der Sachverfolgung allerdings nur in sehr jugendlichen Rechtsordnungen, so etwa im frühen altrömischen Recht und in den Anfängen des germanischen Rechts63. Dort ist die Verfolgung des Wegnahmetäters jeweils der Ansatzpunkt für die Einleitung des Verfahrens, wobei auf den Besitzer automatisch der entsprechende Deliktsverdacht fällt. Im römischen Recht wurde schon früh eine deliktsunabhängige Sachverfolgung ermöglicht und in verschiedenen germanischen Volksrechten konnte der Eigentümer die Sache bald auch in Fällen der Unterschlagung nach freiwilliger Weggabe verfolgen64. Die unbeschränkte Restitutionspflicht an furtiven Sachen folgte schon in den entwickelten antiken Rechten nicht mehr aus unwiderleglich vermuteter Schuld des Besitzers, sondern aus einem erwiesenen65 Delikt, das entweder der Besitzer oder einer seiner Vormänner begangen haben musste. Die Teilnehmer der Sitzung folgten dem Rat Brunners und beschlossen, dass es angemessen sei, im deutschen Zivilgesetzbuche die Statthaftigkeit der Vindikation beweglicher Sachen ganz nach den Grundsätzen des Handelsgesetzbuches zu regeln66.

4. Die Regelungen des Entwurf I (1887) Mit 5 gegen 5 Stimmen vermöge der entscheidenden Stimme des Vorsitzenden Pape nahm die 1. Kommission in den Hauptberatungen (1881–1889)67 von den Regelungen des Teilentwurfs Johows Abstand und legte sich darauf fest, den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten allgemein zuzulassen68. Für abhanden gekommene Sachen wurde eine Ausnahme bestimmt. Der redliche 62 Dieser von Kaser in Bezug auf das altrömische Recht geprägte Begriff scheint hier gut zu passen. Gemeint ist eine unwiderlegliche Vermutung der Unredlichkeit. 63 Vgl. dazu oben II. 1. c) cc) und V. 2. b) dd), ee). In beiden Ordnungen war die Sach- und Deliktsverfolgung anfangs noch nicht getrennt. 64 Vgl. oben V. 2. 65 Wobei freilich für die germanische Zeit die teilweise irrrationalen Beweismittel (Gottesbeweis) einschränkend zu berücksichtigen sind. 66 Verhandlungen des fünfzehnten deutschen Juristentages, II. Band, 81, 83 f. 67 Zu deren Ablauf Schubert (VI. Fn. 42), 30 ff. 68 Schubert (VI. Fn. 42), 150 f.; Prot. I, 4004 bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 598.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

Erwerber sollte daran zwar nicht das Eigentum erlangen69, zur Herausgabe aber auch nur verpflichtet sein, wenn er im Gegenzug vom Sachverfolger das dem Veräußerer Geleistete ersetzt bekommt70. Die den Entwurf tragenden Kommissionsmitglieder waren der Auffassung, mit ihrem Beschluss einer Tendenz zu folgen, die in den neueren Gesetzgebungen überwiegend zu verzeichnen sei. Insbesondere auf die Regelung in § 306 ADHGB wurde verwiesen71. Einer genauen Nachprüfung hält diese Ansicht jedoch nicht stand72. Die Landesgesetze bzw. Entwürfe enthielten etwa in Bayern, Sachsen und Hessen einen gutgläubigen Erwerb nur in dem sehr beschränkten Umfang des Teilentwurfes73. Es liegt die Vermutung nahe, dass neben der Handelsgesetzgebung die aktuelle Empfehlung des 15. Deutschen Juristentages sehr wesentlich zur Entscheidung im Sinne des Entwurfs I beigetragen hat74. In der Sache wird die Ermöglichung eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten in den Motiven zum Entwurf I zunächst damit gerechtfertigt, dass es für den Verkehr mit beweglichen Sachen von größter Bedeutung sei, dem redlichen Erwerber in der Regel die Sicherheit seines Erwerbs zu gewährleisten75. Der Vergleich mit dem Immobilienrecht ergebe, dass im Mobiliarsachenrecht an Stelle des Grundbuches die Inhabung und der Besitz des Veräußerers die Grundlage des zu schützenden Glaubens bilden76. Der Eigentümer könne sich vor Nachteilen dieser Regelung hinreichend schützen, indem er die Sache 69 § 879 E I bestimmte die Ausnahmevorschrift zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten, der in den §§ 877, 878 E I geregelt war. Nicht von der Ausnahmeregelung erfasst waren Geld, Inhaberpapiere und Sachen, die bei öffentlichen Versteigerungen erworben werden. Vgl. den Wortlaut bei Mugdan (I. Fn. 7), XXI, XXII. 70 § 939 E I. 71 Prot. I 4004, bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 599; Schubert (VI. Fn. 42), 151. 72 So auch: Schubert (VI. Fn. 42), 151. 73 Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für das Königreich Sachsen (1863) ist die Vindikation allgemein zulässig. Nur gegen Ersatz des Kaufpreises kann die Sache lediglich vom redlichen Erwerber im Messe- oder Marktverkehr herausverlangt werden, § 315 SächsBGB. Der redliche Besitzer mit Erwerbstitel kann nach justinianischen Vorbild in 3 Jahren ersitzen, der nur redliche in 30 Jahren. Dies gilt allerdings auch für gestohlene Sachen, §§ 260, 261, 268, Goldschmidt, ZHR 8, 290 f. Auch der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Königreich Bayern (1864) entschied sich für das „römische System“. Wer in gutem Glauben vom Vertrauensmann des Eigentümers erworben hat, erhält danach jedoch einen Gegenanspruch auf Ersatz der durch den Erwerb verursachten Auslagen, Art. 171, vgl. Goldschmidt, ZHR 8, 292. Die Entscheidung der Kommission steht allerdings durchaus in der Tradition der etwas älteren Regelungen im französischen Code Civil (1804), §§ 2279, 2280 sowie dem alten holländischen Zivilgesetzbuch und dem Österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuch, § 367 ABGB, vgl. dazu näher Goldschmidt, ZHR 8, 283 ff. 74 Vgl. den ausdrücklichen Verweis auf den Beschluss des 15. Juristentages, in: Prot. I, 4005 bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 599. 75 Motive, 344, bei Mugdan (I. Fn. 7), 191. 76 Motive, 344, bei Mugdan (I. Fn. 7), 191.

4. Die Regelungen des Entwurf I (1887)

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nicht aus der Hand gebe. Dagegen sei der Erwerber nicht in der Lage, sich über die Berechtigung des Veräußerers zu informieren. Insofern trage der Eigentümer regelmäßig an dem Irrtum des Erwerbers in höherem Maße „Schuld“ als der Erwerber77. Anders sei es nur, wenn dem Eigentümer oder seinem Vertreter ohne deren Willen die Inhabung der Sache entzogen wurde78. Dann sollen die Gründe überwiegen, dem Eigentümer sein Recht zu belassen. Eine Versöhnung der widerstreitenden Interessen sollte über den Lösungsanspruch des § 939 erreicht werden. Die Sicherheit des Verkehrs erfordere es auch in diesen Fällen, den Erwerber von materiellem Schaden freizuhalten79. Indem der redliche Erwerber einer abhanden gekommenen Sache einen Lösungsanspruch erhält, schießt der Entwurf I noch über den in § 306 ADHGB normierten Erwerberschutz hinaus80. Im Hinblick auf die Zielstellung eines wirksamen Verkehrsschutzes, ist diese Entscheidung dennoch gut vertretbar, wenn es auch etwas inkonsequent erscheint, dem Erwerber zwar nicht das Eigentum, wohl aber einen Ersatzanspruch zuzusprechen. Tendenzen, auch den redlichen Erwerb abhanden gekommener Sachen zu schützen, hatten sich zuvor schon sowohl bei den Beratungen des ADHGB als auch in der Diskussion zum 15. Deutschen Juristentag gezeigt81. Die Pflicht zur Zahlung der Ablöse für abhanden gekommene Sachen weicht allerdings die Argumentation der Kommission auf, dass der Eigentümer die Folgen der Veräußerung des Nichtberechtigten regelmäßig deshalb zu tragen habe, weil er durch die Weggabe der Sache „Schuld“ an der Veräußerung habe. Auch im Diebstahlsfall trägt der Eigentümer nach dem Entwurf I den materiellen Schaden, obwohl diese Situation nach den Motiven ja eigentlich so grundlegend anders zu beurteilen sein soll82. In der Praxis hätte die Lösungspflicht vermutlich in einer Vielzahl von Fällen dazu geführt, dass der Eigentümer auf eine Vindikation verzichtet. Sinnvoll 77 Motive, 344 f., 348, bei Mugdan (I. Fn. 7), 191 f., 193; Prot. I, 4005, bei Jakobs/ Schubert (I. Fn. 22), 599. 78 Zur Klarstellung wurden den „gestohlenen und verlorenen“ Sachen in der Ausnahmevorschrift des § 879 E I noch diejenigen zur Seite gestellt, die „in anderer Weise ohne den Willen des Eigenthümers oder desjenigen, welcher sie für denselben inne hatte, aus deren Inhabung gekommen“ sind. Die sich wegen ihrer Verständlichkeit und Gemeingebräuchlichkeit empfehlende Ausdrucksweise des § 306 ADHGB wurde im Anschluss an die Rechtsprechung des RG (vgl. oben VI, 1, c)) mit dem treffenderen Wortlaut verbunden. Motive, 348, bei Mugdan (I. Fn. 7), 193; Prot. I, 4020, bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 606. 79 Motive, 348, bei Mugdan (I. Fn. 7), 193; Prot. I, 4021, bei Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 607. 80 Die Regelung in E I entspricht dem preußischen Antrag bei den Beratungen zum ADHGB, vgl. oben VI. 1. a), der damals jedoch abgelehnt wurde. 81 Vgl. die Anträge Hamburgs und Österreichs bei den Beratungen zum ADHGB, oben VI. 1. a), b) und die Stellungnahmen von Franken und Reuling zum 15. DJT, oben VI. 3. 82 Motive, 348, bei Mugdan (I. Fn. 7), 193.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

wäre die Durchsetzung des Herausgabeanspruches für ihn nur dann, wenn der Veräußerer wesentlich unter Marktwert verkauft hätte oder wenn ausnahmsweise besondere Affektionsinteressen im Spiel sind. Ansonsten wird der Eigentümer nur scheinbar geschützt. Er behält das Eigentum, muss sich die elementare Vindikationsbefugnis jedoch quasi zurückkaufen. Die Veräußerung des Nichtberechtigten belastet ihn über die Hintertür der Lösungspflicht. Der Widerspruch in den Motiven offenbart, dass das Argument der größeren „Schuld“ des anvertrauenden Eigentümers von den Kommissionsmitgliedern nicht wirklich für maßgeblich erachtet wurde. Der pauschale Vorwurf an den Weggebenden diente lediglich dazu, das grundsätzliche Prinzip des gutgläubigen Erwerbs in den Unterschlagungsfällen moralisch zu rechtfertigen83, wurde dann jedoch wieder relativiert, als es für die Fälle des Abhandenkommens galt, den Schutz des Güterverkehrs, der den eigentlichen Grund der Regelung darstellte, auch zu Lasten des „schuldlosen“ Eigentümers über das Lösungsrecht zu gewährleisten. Es steht zu vermuten, dass ein klares Abstellen auf die vorrangigen Interessen des Güterverkehrs und die konsequente Zulassung eines gutgläubigen Erwerbs auch abhanden gekommener Sachen nicht konsensfähig gewesen wäre. Das hatten die Beratungen zum ADHGB und die Beschlussfassung anlässlich des 15. Deutschen Juristentages bereits deutlich gezeigt. Die Entscheidung der Kommission fiel ja auch so denkbar knapp aus84. Die Befürworter des Erwerbs vom Nichtberechtigten konnten jedes Argument brauchen, insbesondere auch das formale Anknüpfen am deutschrechtlichen „Hand wahre Hand“ Prinzip und dessen Begründung.

5. Vom Entwurf I zur heutigen Fassung des § 935 BGB Nachdem der erste Entwurf vor allem wegen seiner sprachlichen Fassung und der lehrbuchhaften, doktrinären Methode, nach der er abgefasst wurde85, viele Kritiker gefunden hatte, beschloss der Bundesrat am 4.12.1890, eine zweite Kommission mit einer Überarbeitung des Entwurfs zu beauftragen86. Sie be83 Diese Funktion hatten schon die erklärenden Sprichworte „Trau schau wem“ und „Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen.“ 84 5 gegen 5 mit der entscheidenden Stimme des Vorsitzenden Pape, vgl. oben VI. 4. 85 Näher zu den allgemeinen Kritiken, Schubert (VI. Fn. 42), 35 ff. Die Mehrzahl der Kritiker billigte den Entwurf in seinen Grundzügen. Demgegenüber lehnten ihn vor allem Gierke und Menger grundsätzlich ab, der eine aus deutschrechtlichen und konservativ-patriacharlischen Gesichtspunkten, der andere aus marxistischer Sicht wegen mangelnder Berücksichtigung der ärmeren Bevölkerungsschichten, dazu: Schubert (VI. Fn. 42), 37 ff., 41 ff. 86 Die Vorkommission hatte schon 1874 eine zweite Lesung vorgesehen, Schubert (VI. Fn. 42), 45.

5. Vom Entwurf I zur heutigen Fassung des § 935 BGB

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stand aus 11 ständigen und 13 nichtständigen Mitgliedern87. Ihre Aufgabe bestand in einer Revision des Entwurfs I, wobei die einzelnen Kritiken geprüft und gegebenenfalls bei der Neufassung berücksichtigt werden sollten88. Der den §§ 877–880 E I zu Grunde liegende Gedanke des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten wurde aus der Mitte der 2. Kommission nicht in Frage gestellt. Dabei wurde als ausschlaggebend die Übereinstimmung mit dem Handelsrecht erachtet89. Diskutiert wurden lediglich Detailfragen, etwa wer den guten Glauben des Erwerbers zu beweisen hätte. Mit Rücksicht auf die Interessen des Mobiliarverkehrs sprach sich die knappe Mehrheit von 9 gegen 8 Stimmen dafür aus, dem Eigentümer den Beweis der Bösgläubigkeit des Erwerbers aufzubürden90. Wieder einmal hatte sich der Verkehrsschutzgedanke gegen den des Eigentümerschutzes durchgesetzt. Dagegen scheiterte ein Antrag, auch den Erwerber von Sachen zu schützen, die einem Erben deshalb abhanden gekommen sind, weil ein Erbprätendent die Erbschaft unberechtigt in Besitz genommen hatte. Der Erwerber könne sich dagegen durch Vorlage eines Erbscheines hinreichend schützen, so dass für eine Ausnahme von § 879 E I keine Veranlassung bestehe91. An dieser Entscheidung der 2. Kommission zeigt sich, dass die Interessen des Eigentümers nicht ganz aus dem Blickfeld geraten waren. Zugunsten des Eigentümers schaffte die 2. Kommission den im E I vorgesehenen Lösungsanspruch des Erwerbers einer abhanden gekommenen Sache ab. Maßgeblich sollen vor allem praktische Gründe gewesen sein. Man sah einerseits die Gefahr der Begünstigung von Hehlergeschäften und andererseits eine Ungleichbehandlung des unbemittelten Eigentümers gegenüber einem Bemittelten. Erstgenannter könnte aus finanziellen Gründen an einer Vindikation gehindert werden. Überhaupt sei die Regelung eine Halbheit. Wenn man den redlichen Erwerber auch abhanden gekommener Sachen schon schützen wolle, dann wäre es konsequent gewesen, ihm gleich das Eigentum zukommen zu lassen und den § 879 E I zu streichen. Der Lösungsanspruch sei auch nicht altes deutsches Recht. In den neueren Gesetzen komme er entweder nur in sehr beschränktem Umfang oder dort vor, wo man wie im ALR den Grundsatz „Hand wahre Hand“ nicht eingeführt habe92. Abgelehnt wurde auch ein Antrag, den 87 Schubert (VI. Fn. 42), 46. In den Händen der Ministerialbürokratie lagen 7 von 11 ständigen Sitzen, daneben gehörten der 2. Kommission auch Vertreter nichtjuristischer Berufe an, die von politischen Parteien gestellt wurden. 88 Schubert (VI. Fn. 42), 49. 89 Protokolle, 3701, bei Mugdan (I. Fn. 7), 631; Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 613. 90 Protokolle, 3702 f., bei Mugdan (I. Fn. 7), 631; Schubert (VI. Fn. 42), 165; Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 613 f. 91 Protokolle, 7857, bei Mugdan (I. Fn. 7), 636; Schubert (VI. Fn. 42), 167; Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 618. Vgl. hierzu auch die Ausführungen oben III, 4. a) zum römischen Recht. Dort liegt in der unberechtigten Aneignung der ruhenden Erbschaft gerade kein furtum, so dass deshalb die Ersitzung nicht ausgeschlossen ist. An dieser Stelle ist das römische Recht also „verkehrsfreundlicher“ als das BGB.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

Erwerber wenigstens im Falle des Erwerbs von einem Gewerbetreibenden in dessen Gewerbebetrieb umfassend zu schützen. Es gehe nicht an, den Verkehrsschutz in einem weiteren Maße abzusichern, als dies in § 306 HGB der Fall ist93. Durch die Aufgabe des Lösungsanspruches gab die 2. Kommission dem Eigentümerschutz im Falle des Abhandenkommens vollumfänglich Vorrang vor dem Verkehrsschutz. Sie sorgte damit zwar für jenes stets verbleibende Erwerbsrisiko, aus dem neuerdings eine Auffassung sogar die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 935 BGB herleiten will94. Die Grundsatzentscheidung für einen Erwerb vom Nichtberechtigten lässt sich jedoch wieder besser rechtfertigen als nach dem Entwurf I. Der Eigentümer kann nun tatsächlich einen materiellen Schaden durch die Gutglaubenserwerbsregelungen dadurch verhindern, dass er die Sache nicht aus der Hand gibt. So kann ihm das Anvertrauen zumindest theoretisch wieder vorgehalten werden, was noch heute verschiedenen Auffassungen tun. Wesentliche inhaltliche Änderungen des Entwurfs hat es in der Folgezeit nicht mehr gegeben. Als § 848 ging die dem modernen § 935 BGB schon sehr ähnliche Vorschrift in den Entwurf II mit folgendem Wortlaut ein: „Der Erwerb des Eigenthumes auf Grund der §§ 846, 847 tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigenthümer gestohlen, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war. Das Gleiche gilt, falls der Eigenthümer nur mittelbarer Besitzer ist, dann, wenn die Sache dem Besitzer abhanden gekommen war. Diese Vorschriften finden keine Anwendung auf Geld oder Inhaberpapiere sowie auf Sachen, die im Wege öffentlicher Versteigerung veräußert werden.“

Den Bundesrat durchlief die Regelung problemlos95. Im Reichstag war beantragt worden, den abhanden gekommenen Sachen solche gleichzustellen, die unentgeltlich veräußert worden waren. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt, nachdem der Kommissar v. Jacubezky darauf verwiesen hatte, dass die im Entwurf II vorgesehene Vorschrift mit dem Handelsgesetzbuch und anderen Gesetzgebungen im Einklang stehe und der Verkehr ansonsten in nicht erträglicher Weise gefährdet würde96.

92 Protokolle, 4027 ff., bei Mugdan (I. Fn. 7), 692 ff.; Schubert (VI. Fn. 42), 167. Nach dem französischen Code Civil muss der Erwerber einer abhanden gekommenen Sache vor Ablauf der 3-jährigen Ausschlussfrist für die Vindikation die Sache nur gegen Lösung herausgeben, wenn er diese auf einer Messe, einem Markt, von einem gewöhnlich damit handelnden Kaufmann oder in öffentlicher Versteigerung erworben hat, § 2280 I; Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, Band 2, 566; Thorn (I. Fn. 27), 245 ff.; vgl. auch oben I. 93 Protokolle, 8552, bei Mugdan (I. Fn. 7), 637; Schubert (VI. Fn. 42), 167. 94 Neundörfer (I. Fn. 9), vgl. oben I. 95 Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 618 f. 96 Jakobs/Schubert (I. Fn. 22), 619.

6. Zusammenfassung und Stellungnahme

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6. Zusammenfassung und Stellungnahme Erklärtes Ziel der Regelungen zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten im BGB war der Schutz des Güterverkehrs. Es ist kein Zufall, dass entsprechende Vorschriften zuerst für den Bereich des Handelsrechts kodifiziert wurden. Der Verkehr sollte von einer Belastung durch Nachforschungen des Käufers freigehalten werden, woran vor allem die Kaufleute sowie ausgesprochene Handelsgebiete Interesse hatten. Realisiert wurde der Verkehrsschutzgedanke letztlich, indem man den redlichen Erwerber unabhängig vom Recht des Veräußerers Eigentum erwerben ließ97. Die gegenläufige, also verkehrsfeindliche Tendenz der Ausnahmevorschrift für abhanden gekommene Sachen in § 935 BGB wurde in den Beratungen zwar erkannt, Anträge und Entwürfe zu deren Aufgabe oder Beschränkung setzten sich jedoch nicht durch. Zusammen hängt dies damit, dass die Vorschrift zwei noch heute gern gebrauchte Argumente zur Rechtfertigung des Grundprinzips liefert, die vermeintliche „historische Kontinuität“, also die Übereinstimmung mit uraltem deutsch-germanischem Gedankengut und die „Schuld“ des freiwillig weggebenden Eigentümers am Erwerbsvorgang. Schaut man auf die denkbar knappen Ergebnisse bei den Abstimmungen zum Gutglaubenserwerb, kann mit einiger Sicherheit vermutet werden, dass eine Regelung des Erwerbs vom Nichtberechtigten ohne Ausnahme für abhanden gekommene Sachen trotz ihrer inneren Konsequenz keine Mehrheit gefunden hätte98. Die in den untersuchten antiken Rechten vorgefundene Tendenz, die unbeschränkte Verfolgbarkeit von Mobilien an das Vorliegen eines Delikts zu knüpfen, kam bei den Beratungen des BGB nicht zum Zuge. Eine Übernahme des klassisch-römischen Systems mit seinem weiten, erwerbshindernden furtum wäre zwar im Hinblick auf die Dogmatik der Eigentumsdelikte naheliegend gewesen99, hätte abgesehen von der Jahresfrist aber bedeutet, dass die Ausnahmevorschrift den größten Teil aller Erwerbsvorgänge zum Scheitern gebracht hätte. Der Verkehr wäre dann nicht in dem Maße geschützt worden, wie es die Mehrheit wollte100. Theoretisch hätte auch diskutiert werden können, nur den redlichen Erwerb gestohlener Sachen auszuschließen, wie es nach modernem nieder97 Andere Möglichkeiten des Erwerberschutzes – wie etwa bloße Vindikationsbeschränkungen, Lösungsrechte etc. – wurden diskutiert, vgl. etwa das Gutachten von Franken nebst Diskussion zum 15. DJT, in: Verhandlungen des Fünfzehnten deutschen Juristentages, Band I, 13 ff., 131 ff.; Band II, 62 ff., setzten sich aber nicht durch. 98 Vgl. die Abstimmungen bei den Beratungen zum ADHGB, zum 15 DJT und der 1. Kommission, oben VI. 1., 3. und 4. 99 Den Zusammenhang zwischen usucapio bzw. dem Ersitzungsausschluss für res furtiva und den §§ 932 ff. hat man durchaus gesehen, vgl. Motive 342, bei Mugdan (I. Fn. 7), 190. 100 Die rein prozessual begünstigende Wirkung hätte dem Erwerber nicht geholfen, wenn der Eigentümer das Delikt (Unterschlagung, Diebstahl) nachweisen kann.

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VI. Die Entstehungsgeschichte des § 935 BGB

ländischem Recht der Fall ist101. Ein solcher Vorschlag hätte zwar mit seinem deliktischen Ansatz dem antiken Recht nahegestanden und hätte auch Raum für eine materielle Wirkung der Grundvorschrift gelassen, wäre aber vermutlich dennoch auf Ablehnung gestoßen, weil danach einerseits unterschlagene und gestohlene Sachen ungleich behandelt werden, obwohl beide deliktisch belastet sind und andererseits durch die Nichtberücksichtigung verlorener Sachen dem immer wieder zitierten „Hand wahre Hand“ Prinzip nicht Rechnung getragen worden wäre.

101

Art. 3:86 III Burgerlijk Wetboek; vgl. dazu oben I.

VII. Schlussbetrachtung Die Unterscheidung zwischen abhanden gekommenen und anvertrauten Sachen, wie sie in § 935 BGB zu finden ist, hat eine Entsprechung weder im römischen Recht noch in den Volksrechten der Westgoten, Franken und Bayern. In den untersuchten antiken Rechten richtet sich die Zulässigkeit bzw. Beschränkung der Sachverfolgung durchgehend nicht nach der Art des Besitzverlustes, sondern nach dem Vorliegen eines Delikts. Je umfassender der deliktische Schutz ausgestaltet ist, desto extensiver ist auch die Möglichkeit der Sachverfolgung bzw. desto restriktiver die Möglichkeit eines Erwerbs vom Nichtberechtigten. Der theoretische Ansatzpunkt ist grundverschieden, wenn sich auch die betroffenen Fallgruppen stellenweise decken. Über den Umweg des Deliktstatbestandes spielte die Art des Besitzverlustes anfangs in den alten Rechten eine Rolle und umgekehrt wird in § 935 BGB der Diebstahl als besonderer Fall des Abhandenkommens berücksichtigt. Absolut fremd war den behandelten antiken Rechten der heute noch anzutreffende Gedanke, der Eigentümer könne die Sache deshalb nicht zurückverlangen, weil er durch die freiwillige Weggabe einen Rechtsschein gesetzt habe und deshalb nicht schutzwürdig sei (Veranlassungstheorie). Der Gegensatz zwischen unfreiwilligem Besitzverlust und freiwilliger Besitzaufgabe entstammt erst dem Mittelalter und findet sich wohl zum ersten Mal formuliert im Sachsenspiegel II, 60. Er ist das Ergebnis einer generalisierenden Betrachtung der zu dieser Zeit regelmäßig zur Sachverfolgung führenden Deliktstatbestände1. Ulrich von Lübtow2 und Meister3 ist zuzustimmen, wenn sie dem aus historischer Sicht kritisch gegenüberstehen. Die Unterscheidung nach der Art des Besitzverlustes in § 935 BGB steht weder in römischer Tradition, noch folgt sie aus den behandelten germanischen Volksrechten. Ob sie auch „nicht vernünftig“ ist, wie Meister ergänzt, war hier nicht die Frage. Entgegen Söllners Auffassung kann man den Vätern des BGB auch nicht aus romanistischer Sicht bescheinigen, mit der Regelung in den §§ 932 ff. BGB „im großen und ganzen doch wohl das Richtige getroffen“ zu haben4. Durch den weiten furtum-Begriff der Klassik, von dem neben den gestohlenen auch solche Sachen erfasst sind, die in Kenntnis der Nichtberechtigung unberechtigt veräußert, also unterschlagen worden 1 2 3 4

Goldschmidt, ZHR 8, 248; vgl. näher dazu oben VI. 1. b). Vgl. oben I.; von Lübtow, Hand wahre Hand (I. Fn. 1), 225. Vgl. oben I.; Meister, FS Wach III, 407 ff., 484. Söllner, FS Coing, 381.

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VII. Schlussbetrachtung

sind, entwickelt sich die Ausnahmevorschrift für res furtiva in Rom quasi zur Regel. Nahezu immer scheitert ein Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten durch usucapio an der Furtivität der Sache. Seine eigentliche Bedeutung erlangt das Rechtsinstitut daher im römischen Vindikationsprozess. Jeder Mobiliarerwerber, gerade auch der Erwerber vom Berechtigten, kann sich zur Erleichterung des Eigentumserwerbsnachweises auf die usucapio berufen bzw. gleich mit der actio Publiciana vorgehen. Da eine etwaige erwerbshindernde Furtivität vom Gegner einzuwenden und zu beweisen ist, wirkt die usucapio auf diese Weise erwerbsschützend, ohne jedoch dem Eigentümer die Chance auf Restitution gänzlich zu nehmen. Die eingangs angesprochenen Tendenzen in einigen Ländern, nicht mehr die Art und Weise des Besitzverlustes als entscheidend zu erachten, sondern den Erwerbsausschluss an einem Delikt festzumachen5, können sich auf eine ausgeprägte rechtshistorische Basis in den untersuchten antiken Rechten stützen. Das Prinzip der dauerhaften Verfolgbarkeit deliktsbelasteter Sachen tritt dort mindestens ebenso deutlich hervor, wie später das konkurrierende „Hand wahre Hand“ Prinzip in einigen mittelalterlichen Rechten. Die weitergehende Frage, welche konkreten Deliktstatbestände die Sache so makelhaft machen, dass sie nicht vom Nichtberechtigten erworben werden kann, haben die antiken Ordnungen unterschiedlich beantwortet, wobei mit fortschreitender Entwicklung eine Aufgabe der archaischen Differenzierung zwischen weggenommenen und unterschlagenen Sachen beobachtet werden kann. Der Unrechtsgehalt unberechtigter Verkäufe etc. wurde sowohl im römischen Recht als auch in den untersuchten Volksrechten zuletzt nicht geringer eingeschätzt, als der von Diebstählen. Unabhängig davon, wie weit die einschlägigen Tatbestände reichten, stand hinter dem Erwerbsausschluss stets der nachvollziehbare Gedanke, dass das Delikt dem Eigentümer nicht schaden dürfe und daher eine Restitution unbeschränkt möglich bleiben müsse.

5 Vgl. oben I. zu den Regelungen in Art. 3:86 III BW und dem Code Civil du Québec von 1994.

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Sachregister 15. Deutscher Juristentag 261, 266 Abhandenkommen 18, 83, 102, 125, 187, 207, 224, 250, 259, 263 accessio possessionis 53, 182 actio auctoritatis 30, 39, 43 actio commodati 92 actio depositi 84, 92, 95, 125, 170, 238 actio empti 35, 39 actio furti 37, 93, 123, 131, 135, 146, 196, 242, 247 actio furti concepti 37, 93 actio furti oblati 37 actio in duplum de perfidia 88 actio Publiciana 144, 148, 153, 165, 177 actio quod metus causa 39 actio rationibus distrahendis 87, 95 actio rerum amotarum 136 actio Serviana 141, 142, 145 actio vi bonorum raptorum 77, 82, 123 ADHGB (§ 306) 252, 262, 264 adversus furem aeterna auctoritas 68 adversus hostem aeterna auctoritas 43, 68 aeterna auctoritas 58, 62, 72, 82, 95, 117, 175 agere per sponsionem 159 ALR Siehe preußisches Landrecht altrömisches Recht 23, 128, 148, 159, 233 Anefangklage 187, 196, 202, 213, 233, 237 animus lucri faciendi 123 Anonymität 82, 131 Anrechnung (Ersitzungsfrist) 53, 111, 182 auctoritas Siehe Gewährenzug auctoritas – Übersetzung 41 Ausschlussfrist 19, 268

bayrisches Recht 227 Bayrisches Strafgesetzbuch (1813) 94 Begünstigung 122, 133 Bereicherungsabsicht 123 Beschlagnahme Siehe intertatio Besitzergreifung (symbolisch) 28, 66, 214 Besitzschutz 92, 161 Besitzverlust (unfreiwilliger) Siehe Abhandenkommen Betrug 121 Beuteteilung 26 Beweiserleichterung 48, 56, 99, 155, 162, 175 Beweislast 72, 145, 156, 158, 167 Beweiswürdigung 157 BGB (§ 935) 15, 97, 175, 182, 252 Bittleihe Siehe Prekarium bona fides 52, 104, 112, 134, 148, 166, 181, 183, 255 bonae fidei iudicia 104 bonae fidei possessor 105 bonitarisches Eigentum 107, 147, 153 Bösgläubigkeit 112, 165 Burgerlijk Wetboek (Art. 3/86 III) 20 bustum 65 causa vindicandi 51 charoena 215 Code civil Art. (2279) 259 Code Civil du Québec 20, 272 Codex Euricianus 86, 195, 239 Codex Hamurapi 86 coercitio 82 confinium 65, 109 contrectatio 122, 126, 127, 133, 147 crimen receptorum 133 ˇ SSR 20 C

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Sachregister

daps 90 DDR 20 Deliktsklage 38, 234 depositum 84, 125, 170, 238 depositum miserabile 85, 96, 126 Detentor 129 Diebstahl 74, 119, 181, 207, 235, 259 – Siehe furtum Diebstahlsverdacht 31, 32, 37, 61, 73, 236 Dienstleistung 88 dilatura 217, 224 dolus (typisierter) 32, 62, 157, 263 dominium 25, 106, 153 Doppelerwerb a non domino 168 duplum 30, 84, 99, 198, 202 Edikt des Lukull 77, 82, 123 Ehrlosigkeit 132, 137, 151 Eid 29, 157, 214, 217, 236, 250 Eigenmacht 78, 160 emptio venditio 104, 113 Erbschaftssachen 53, 111, 152 Erbschein 17, 267 Erklärungstheorie 16, 187, 257 Ersitzung (BGB) 115, 183 Ersitzung (römisches Recht) Siehe usucapio Erwerbstitel Siehe iusta causa Eviktionshaftung 39, 71, 100, 116, 242, 243 – Siehe actio auctoritatis Ewige Gewährschaft 58, 62, 72, 82, 95, 117, 175 exceptio doli 171, 173 exceptio dominii 153, 165, 171 exceptio rei venditae et traditae 153, 171, 173 fiducia cum amico contracta 92 firmatio 229 Firmationsversprechen Siehe firmatio fit, quod dicitur 113

Formularverfahren 104, 158 forum 65 fränkisches Recht 213 französisches Recht 19 Freilassung (unberechtigte) 222, 232 Fundunterschlagung 93, 135, 189, 245, 257 fur manifestus 37, 80, 157 fur nec manifestus 37 furtum – Auswirkungen (Erwerb) Siehe usucapio – des Eigentümers 139 – Erstreckung auf Früchte 146 – Etymologie 83, 215 – Fundunterschlagung Siehe Fundunterschlagung – Gewahrsamsbruch 83, 121, 125, 211 – Heimlichkeit 62, 75, 96 – in der Ehe 136 – offene Wegnahme 76, 81, 123 – Tatbestand 74, 119, 181, 207 – Unterschlagung Siehe Unterschlagung – von Gewaltunterworfenen 138 furtum domesticum 138 furtum in veritate 136 furtum possessionis 118, 127 Gefahrbeherrschung 16, 176 germanisches Recht 16, 22, 184, 254 Gewährenzug 30, 33, 57, 71, 99, 118, 191, 198, 217, 218, 223, 230, 233, 244, 248 Gewahrsamsbruch Siehe furtum Gewährschaft Siehe Gewährenzug 28 Gewährschaftshaftung Siehe Eviktionshaftung Gewährschaftsverweigerung 249 Gewere 41, 185, 247 – Bruch 189 – Erwerbstheorie 189 – juristische 185 – Legitimationswirkung 188 – Publizitätstheorie 187, 251

Sachregister Gottesurteil 231 griechisches Recht 19, 78 Grundgesetz (Art 14) 18 Grundrechtsverletzung 18 Gulatingrecht Siehe norwegisches Gulatingrecht Hamburger Stadtrecht 254 Hand wahre Hand 16, 185, 193, 229, 238, 255, 257 Handelsrecht (deutsches) 252, 261, 267 Hausgewalt 25, 79 Haussuchung 37, 93, 157 Hehlerei 122, 132 hereditas iacens 111, 152 Hinterlegung Siehe depositum historische Kontinuität 16, 269 hostis 43, 68 in iure cessio 27, 35, 107 Infamie 132, 137, 151 iniuria 38, 82, 122 iniuria vindicare 29, 51 inlicito ordine dimittere 223, 232 inlicito ordine vendere 218, 232 interdictum de precario 92 interdictum utrubi 92 Interdikte 92, 160, 161 intertatio 214, 218 italienisches Recht 20 iusta causa 52, 107, 111, 144, 165, 181, 182 iusta causa traditionis 107 iustus titulus 111 japanisches Recht 19 justinianisches Recht 182 Kaiserrecht 178 klassisches römisches Recht 104 Kleid des Sachenrechts 186 Kommissionsgut 253 Kreuzprobe 250

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laudare auctorem 30, 51 – Siehe Gewährenzug leges barbarorum 21, 184, 193, 241 legis actio per condictionem 92, 96 legis actio per iudicis postulationem 159 legis actio per manus iniectionem 97 legis actio sacramento in personam 28, 33 legis actio sacramento in rem 26, 28, 50, 128, 158 Leihe 88, 107, 118, 129, 170, 194, 200, 238 Lex Atinia 57, 73, 117, 131, 139, 150 Lex Baiuvariorum 227 Lex Iulia 23, 75, 82, 124 Lex Plautia 23, 75, 82, 124 Lex Ribuaria 213 Lex Romana Burgundionum 241 Lex Romana Visigothorum 241 Lex Salica 213, 224, 240 Lex Visigothorum 198, 241, 242 Liber iudiciorum 205, 206, 207 litis contestatio 104 locatio conductio 104, 127 longi temporis praescriptio 110, 182 longissimi temporis praescriptio 183 Lösungsrecht 19, 253, 262 Louisiana 20 lübisches Recht 238, 255 mala fides 116, 165 – Siehe bona fides Malbergische Glossen 215 Mallobergus 216 mancipatio 26, 30, 50, 78, 109, 114 mancipatio nummo uno 28, 79 mancipium-Gewalt 28 manu capere 79, 109 Manzipationszeugen 31, 38, 50, 62 melior causa possidentis 165, 169 meum esse 25, 47 Miete 88, 96, 104, 107, 170 missio in tertium manum 190

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Sachregister

mittere manum super rem 214 Motive (BGB) 16, 264 nachklassisches Recht 180 Naturrecht 21 niederländisches Recht 20, 270 norwegisches Gulatingrecht 194 Notdepositum 126 Opfergaben Siehe daps österreichisches Recht 19 Pactus legis Salicae 213 partus ancillae 149 pater familias 25, 33 Peregrinenprozess 70 perfidia 85, 87, 95, 126 Pfandkehr 127 polnisches Recht 19 pontifices 29, 33, 78, 234 possessor bonae fidei 115, 147 – Siehe bona fides possessor malae fidei 133 – Siehe mala fides praescriptio 181 Prätendentenstreit 28 Prekarium 91, 160 preußisches Landrecht 94, 262, 267 Prioritätsprinzip 172 probatio diabolica 44, 162 proprietas 25, 106 Prozesstheorie 251 Prozesswette 33, 234 publizianische Berechtigung 144, 172 – Siehe actio Publiciana Publizitätstheorie Siehe Gewere Putativtitel 111, 113, 155 quadruplum 181 quaestio lance et licio 37, 93

rapina 122, 182 – Siehe Raub Raub 74, 81, 123, 181, 187, 259 räuberische Erpressung 75 Rechtsschein 17, 186, 190, 271 Rechtssicherheit 71, 100, 184 Regelungslücke 36, 88, 194, 238 rei vindicatio 28, 158, 242 replicatio rei venditae et traditae 153 res derelictae 152 res furtiva Siehe furtum res habilis 164 res mancipi Siehe mancipatio res mancipi (Ersitzungswirkung) 55 res mancipi (traditio) 153 res nec mancipi Siehe mancipatio res nec mancipi (Verfolgbarkeit) 31, 80, 98 res nullis 107 res vi possessae 75, 124, 175 reversio ad dominum 59, 118, 176 Rezeption 240 Ritual 26, 78, 161, 220 Rückkaufsrecht 19, 20 rumänisches Recht 19 Sachsen – BGB 1863 264 Sachsenspiegel 256, 271 sacramentum 29, 33, 160 Schatzwurf 223 schwedisches Recht 19 schweizerisches Recht 19 Selbsthilfe 26, 38, 80, 92, 98, 235 seolandefa 215 Solennitätszeugen 50 Spurfolge 37, 93, 191, 235, 245 Stadtrechte 21, 254 Stammesrechte Siehe leges barbarorum stipulatio duplae 34, 114, 154, 242 stipulatio habere licere 32, 35 subrumpere 58, 76, 124 successio in possessionem 53, 111

Sachregister taxaca Siehe texaga taxaga Siehe texaga texaca Siehe texaga texaga 215 texecha Siehe texaga Tötungsrecht 80 traditio 107, 126, 153 traditio von res mancipi 153 Trau schau wem 16, 185, 257, 266 Treubruch 87, 95, 131 Treubruch Siehe perfidia Tutor 66, 87 Unterschlagung 74, 83, 96, 120, 125, 181, 190, 207, 237, 244, 248, 259 Untreue 74, 207, 220, 246 – Siehe perfidia, Treubruch usucapio – altrömisches Recht 40 – Ausschluss 23, 57, 65, 102, 105, 117, 135, 178 – Begriff 44, 108 – Entwicklung 44, 108, 178 – Ersitzungsbesitzer 127, 147, 154 – Ersitzungswirkung 44, 55, 98 – Funktion 150 – Klassik 106 – Spät- und Nachklassik 178 – Unterbrechung Siehe usurpatio usurpatio 53, 110, 182 usus auctoritas Satz 40, 56, 99, 108, 163, 174 usus modernus 21

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usus-Besitz 109, 129 ususcapio 109 Veranlassungstheorie 17, 176, 251, 263, 271 Verbrechensbekämpfung 20, 176 Verjährung 53, 181 Verkauf (unberechtigter) 85, 105, 125, 168, 195, 207, 217 Verkehrsschutz 18, 191, 258, 265 Verschulden des Eigentümers 17, 176, 263 Verwahrung Siehe depositum Verwirkungsfrist 19 Viehdiebstahl 93 Vindikation Siehe rei vindicatio; legis actio sacramento in rem Vindikationsprinzip 254 Volksrechte Siehe leges barbarorum Vormundschaft 66, 67, 87 Vulgarisierung 180 Vulgarrecht 180, 181, 242, 243 Wegnahme Siehe furtum Weigerungsbuße Siehe dilatura Werkleistung 88, 211 westgotisches Recht 195 Wo du deinen Glauben gelassen hast, da sollst du ihn suchen 16, 185, 257, 266 Zeugenbeweis 50 Zweikampf 223, 231, 250 XII-Tafelgesetz 23, 40, 60, 65, 89, 120