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German Pages 354 Year 1995
THOMAS KADNER
Der Ersatz ökologischer Schäden
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e I K I o e p f e r, Berlin
Band 56
Der Ersatz ökologischer Schäden Ansprüche von Umweltverbänden
Von
Dr. Thomas Kadner LL.M. (Harvard)
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kadner, Thomas: Der Ersatz ökologischer Schäden : Ansprüche von Umweltverbänden I von Thomas Kadner. Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 56) Zug!.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08233-8 NE:GT
D30 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08233-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§
Für Josephine und Alessandro
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung wurde im Juni 1993 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universitat Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Vor Drucklegung wurde das Manuskript nochmals überarbeitet und aktualisiert. Das Vorhaben, den Ersatz ökologischer Schaden über einen Anspruch von Umweltverbanden zu gestalten, das die Arbeit in ihrem zweiten und dritten Teil in Angriff nimmt, wirft eine Vielzahl klarungsbedürftiger Fragen auf. Zu vielen hätte man mehr sagen, zu manchen auch eigenstandige Arbeiten schreiben können. (Die konkreten Haftungsmaßstabe des Ersatzanspruchs oder die Bemessung irreparabler ökologischer Schaden in Geld könnten zum Beispiel ohne weiteres den Gegenstand eigener größerer Untersuchungen bilden.) Der Verfasser hatte sich hier zu beschranken und den Versuch zu unternehmen, für alle wesentlichen Probleme, die sich bei einer Verbandsklage auf Ersatz ökologischer Schaden ergeben, die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten zumindest aufzuzeigen und sich - der Gesetzgebungsvorschlag, der am Ende der Arbeit steht, verlangte es - jeweils für eine der denkbaren Lösungen zu entscheiden. Mein Dank gilt vielen. Allen voran meinem Doktorvater und großen Lehrer Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Leo Weyers, der nicht nur diese Arbeit, sondern meine ganze juristische Ausbildung mit zahlreichen wertvollen Anregungen und Ratschlagen begleitete und in vielerlei Hinsicht förderte und pragte. Weiter danke ich Prof. Dr. Eckard Rehbinder für die bereitwillige Übernahme des Zweitgutachtenstrotz vieler Verpflichtungen im In- und Ausland. Auch meinen Freunden sei gedankt: Dipl.Ing. Andreas Mengel vor allem auch dafür, daß er mich an seinem immensen Erfahrungsschatz im praktischen Naturschutz teilhaben ließ und er mir immer ein geduldiger und anregender Gesprachspartner war, sowie Dr. Rudolf Sumera, Dr. Stefan Reinhart und Dr. Detlef Koch für die konstruktive Kritik, die meine Entwürfe durch sie erfahren haben. Großen Dank schulde ich auch meinen Stipendiengebern: Der Goethe-Universität Frankfurt und dem Lande Hessen, die mir durch ein Stipendium zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erlaubten, diese Arbeit zu er-
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Vorwort
stellen, sowie dem DAAD und der Mueller-Weitzel-Weisner Stiftung in Frankfurt am Main, die mir durch ein Stipendium zum Studium an der Harvard Law School die Möglichkeit gewährten, das Recht der U.S.A., von dem der Gesetzgebungsvorschlag zahlreiche Inspirationen bezieht, vor Ort zu studieren und die Untersuchung in wesentlichen Teilen zu vertiefen. Weite Bereiche des ersten Teils der Untersuchung lagen bereits dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung als Gutachten zur Haftung für ökologische Schäden in ausländischen Rechtsordnungen vor. Prof. van den Daele vom WZB danke ich für die Betrauung mit dieser Aufgabe, aus der letztlich die vorliegende Arbeit resultierte. Meinen Eltern gilt mein herzlicher Dank für die Korrektur des Manuskripts und die vielen Tips zum Umgang mit Computer und -programmen. Last not least danke ich meiner lieben Frau Josephine für die zahlreichen anregenden Diskussionen und die vielfältige anderweitige Unterstützung, die die Arbeit durch sie erfahren hat. Die Widmung kann meiner Dankbarkeit nur unvollkommen Ausdruck verleihen.
St. Genis, im Sommer 1994
Thomas Kadner
Inhaltsverzeichnis EinfO.hrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
Teill
Ausgangslage A. Begriff des "ökologischen Schadens" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I.
Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
II. Ausländische Rechtsordnungen, Haftungskonvention des Europarates und Entwurf der EG zur Haftung ftlr gewerbliche Abililie . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Definition des ökologischen Schadens ftlr den weiteren Gang der Untersuchung ...... .. ..... . ............... . ............. . ... 33 B. Haftung für ökologische Schiden de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
I.
Öffentliches Recht ................... . . .. . ..... .. . .... . .. . 37
II. Strafrechtliche "Haftungstatbestllnde" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 111. Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 l. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2. Allgemeine HaftungsgrUnde sowie UmweltHG und GenTG . . .... . . 49 3. Inhalt und Umfang der Haftung nach den allgemeinen Haftungsgrtlnden sowie nach UmweltHG und GenTG .. . . ... . .. . .. . .. . . ... 55 4. Spezielle Haftungsgrundlagen -Grund und Umfang der Haftung . .. . . 61 5. Zivilrechtliche ErsatzansprUche der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . 64 IV. Defizite der geltenden Haftung ftlr ökologische Schäden . . . . . . . . . . . . . 67 l. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
2. Strafrecht . .. . . ... . ... .. .. ... .... . .. . ... . .. . ......... 69 3. Zivilrecht ... ..... . ...... . . .. . . .. . .. . ... . .... . .. .. . .. 71
Inhaltsverzeichnis
10
C. Bisherige Vorschllge zur Ausdehnung der Haftung ftlr 3kologlsche Schiden im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.
Möglichkeiten de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
2. Stellungnahme ..... . . . . .......... . .. . ......... .. .... .. 81 II. VorschlAge de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I.Verfassungsrechdiche AnsAtze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Eigenrechte der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Lehre im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Beurteilung der Lehre fllr das deutsche Recht .......... . .. . . 90 3. StArkuns der Rechte des Einzelnen .... . .. . ............ . . . .. 91 a) Der Ansatz im Professorenentwurf ftlr ein Umweltgesetzbuch . . . . 91 b) Stellungnahmen der Literatur zu individualrechtliehen Möglichkeiten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. ErsatzansprUche der Offentliehen Hand . . . . .. . ........... . . . . . 95 a) Gesetzesantrag des Landes Hessen ... .. . .............. . . . 95 b) Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen .......... . .. 97 c) Beschlußantrag der Fraktion der SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
d) Gesetzesentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN ........ . .. . .... 99 e) Professorenentwurf ftlr ein Umweltgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . 102 f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
g) Stellungnahmen der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 h) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Grenzen der EffektivitAt von Ersatzansprllchen der Offentliehen Hand . . . 107 I. Das sogenannte Vollzugsdefizit im Offentliehen Umweltrecht . . . . . . 107
2. AuslAndische Modelle und Erfahrungen mit der Geltendmachuns ökologischer SchAden durch die Offentliehe Hand . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Das italienische Modell: Art.18 des Umweltgesetzes von 1986 .. 115 b) Erfahrungen in den U.S.A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Haftungsmodelle der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Gesetzliche ErsatzansprUche der Offendieben Hand . . . . . . . . 122
Inhaltsverzeichnis
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cc) Umsetzung des Umweltrechts durch die öffentliche Hand in den U.SA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 dd) "Citizen-suits" als ergänzende Mechanismen . . . . . . . . . . . . 125 c) Resurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Tei/2
Ersatz ökologischer Schäden im Wege einer zivilrechtliehen Verbandsklage?
A. Stand der Diskussion im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 B. Möglichkeiten und Grenzen einer Verbandsklage auf Ersatz ökologischer Schiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I.
Möglichkeiten des Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Vorteile gegenüber der Offentlieh-rechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . 136
2. Vorteile gegenOber der bestehenden zivilrechtliehen Haftung . . . . . . 140 II. Grenzen des Ansatzes
143
III. Mögliche Kritikpunkte
145
1. Spezielle Argumente gegen eine zivilrechtliche Verbandsklage auf Ersatz ökologischer Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
2. Grundsatzliehe Argumente gegen eine Umweltverbandsklage vor dem Hintergrund der Offentlieh-rechtlichen Diskussion . . . . . . . . . . . 146 IV. Stellungnahme zu den Kritikpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
2. Zu den speziellen Argumenten gegen die Verbandsklage auf Ersatz ökologischer SchAden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Zu den grundsAtzliehen Argumenten gegen die Umweltverbandsklage 150 V. Beurteilung der bestehenden Verbandsklagen vor dem Hintergrund der praktischen Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
C. Tendenzen im öffentlichen Recht Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Inhaltsverzeichnis
12
D. Verbandsklagen im ausllndischen Umweltrecht I.
168
Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
II. Verbandsklagen im Grenzbereich zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht: Die Rechtslage in den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Zivilrechtliche ErsatzansprUche wegen ökologischer Schäden oder anderweitiger Beeinträchtigungen satzungsgemäßer Belange von Umweltverbänden: Die Rechtslage in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. ErsatzansprUche wegen ökologischer Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
2. ErsatzansprUche von Umweltverbänden wegen anderweitiger Beeinträchtigungen ihrer satzungsgemäßen Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Resurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Weitreichende Klagemöglichkeiten "betroffener" Verbände: Die Rechtslage in den U.S.A. . ...... . .. . ....... . .. .. ... . ......... . . 182 1. Verbandsklagen gegen die öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
2. Verbandsklagen gegen private Schädiger . .............. . .. . . 188 3. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Aktuelle Entwicklungen: Der Fall Lujan v. Defenders of Wildlife
192
5. Bedeutung des Falles Lujan v. Defenders of Wildlife fllr die Umweltverbandsklage in den U.S.A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
6. Ersatz ökologischer Schäden über Vergleiche im Rahmen der citizen-suits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 7. Resurne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 E. Internationale Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Teil3
Überlegungen zur konkreten Gestaltung einer zivilrechtliehen Verbandsklage auf Ersatz fikologischer Schiden A. Tatbestand ........... . .. . ............. . ... . ........ . .... 207 I.
HaftungsbegrUndendes Ereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
Inhaltsverzeichnis II.
"Erheblichkeit" und "Nachhaltigkeit" der Beeinträchtigung
l3
208
111. Rechtswidrigkeit, Verschulden und Beweislast - Eigenständige Haftungsmaßstäbe oder Bezugnahme auf die Maßstäbe des geltenden Umwelthaftungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 IV. Kreis der Anspruchsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 8. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
I.
Anspruch gegen den Schädiger auf Wiederherstellung oder auf Erstattung der hierfllr erforderlichen Kosten? . .......... . ...... . ... . . .. . 228
II.
Inhalt des Anspruchs auf Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
111. Aufhebung der Dispositionsfreiheit bei Ersatzansprtlchen in Geld . . . . . 232 IV. Grenzen des Anspruchs auf Wiederherstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 V. Anspruch auf Ersatz der Kosten filr die Schadensermittlung . . . . . . . . . 235 VI. Vorschuß auf die Kosten der erforderlichen Maßnahmen . . . . . . . . . . . 235 VII. Anspruch auf Ersatz der Kosten filr die Abwendung des Schadenseintritts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 VIII. Ersatzfllhigkeit von Arbeitsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 C. Schadensersatz in Geld bei irreparablen und nicht ausgleichbaren ökologischen Schiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
241
I.
Das Problem
II.
Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I. U.S.A. . . ......... .. . ... . ... . . ........... . . ... . .. . . 245
a) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 aa) CERCLA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 bb) Oil Pollution Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2. Frankreich . . ... . ....... . .. .. . .... .. ... . . . ... . ...... 261 3. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Ansätze zur "Monetarisierung" ökologischer Schäden im deutschen Recht: Die Bemessung der Ausgleichsabgabe bei Eingriffen in Natur und Landschaft nach dem HessNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 IV. Resurne . . .. . .......... . ......... . . . .. .. ... ... ... . . .. 266 1. Prämissen filr das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Inhaltsverzeichnis
14
2. Bewertung der vorhandenen Tendenzen zur Bemessung bleibender ökologischer SchAden und Regelungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 268 D. Spezielle Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I.
Gleichzeitige Schadensersatzbegehren mehrerer VerbAnde ........... 272 l. Materiell-rechtliche Gestaltung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . 274
2. Prozessuale Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Situation nach den allgemeinen Regeln des geltenden Rechts . . . 277 b) Spezielle Regelung fllr die Verbandsklage de lege ferenda . . ... 279 3. Resume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Der Vergleich im Haftungsprozen wegen ökologischer SchAden ..... .. 283 III. Ansplilebe wegen SchAden auf privatem Grundeigentum . . . . . . . . . . . . 288 l. Möglichkeiten des Eigentumcrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 2. Ersatzansprllche der VerbAnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 3. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. "SubsidiaritAt" der Verbandsklagerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 5. Rechtswirkungen von Vergleichen zwischen Eigentümer und SchAdiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
IV. Spezielle Regelungen ftlr Ansplilebe gegen den Eigentümer selbst . . . . . 300 V. Kontrolle der Verwendung der ErsatzbetrAge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Kontrollinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 2. Zeitpunkt der Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VI. Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 VII.Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 VIII.VeljAhrung ........... . ............. . ............ . .. . . 309 E.
R~sum~
und Alternativen
310
Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Gesetzesentwurf ............ . ........... . .. . ............ . .... 318 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Einrührung Nach der Schaffung des Umwelthaftungsgesetzes im Jahre 1990 bleiben im Umwelthaftungsrecht der Bundesrepublik Deutschland drei große Problembereiche noch weitgehend ungelöst: Al. Der erste Bereich betrifft die Haftung für multikausale Distanzschäden. Gemeint sind Schäden, die fern der Schadensquelle und oft erst nach längerer Zeit eintreten. Konkrete Kausalbeziehungen zwischen dem Schaden und einem bestimmten Schädiger lassen sich in dieser Fallgruppe entweder gar nicht ermitteln, oder die Zahl der Verursscher ist unübersehbar groß und die einzelnen Ursachenbeiträge sind gering und wirken erst in ihrer Gesamtheit schädlich 1• Zu den multikausalen Distanzschäden zählen insbesondere die emittentenfernen Waldschäden, für deren Ersatz der BGH bereits im Jahre 1987 eine spezielle gesetzliche Grundlage gefordert hae. Darüberhinaus sind für diese Fallgruppe aus dem Bereich der Umweltschäden etwa weiträumige Wasserverschmutzungen oder Gesundheits-, Natur- und Gebäudeschäden infolge weiträumiger Luftverschmutzung zu nennen. Wegen der Unübersichtlichkeit der Verursachungsverhältnisse und der Vielzahl potentieller Schädiger scheiden zivilrechtliche Ersatzansprüche gegen einzelne Schädiger für diese Fallgruppe zumeist aus. Stattdessen wird hier zunehmend die Einführung eines kollektiven Schadensersatzsystems in Form eines verursacherfinanzierten Fondsmodells3 oder die Schaffung einer genossen-
1 Vgl. zu dieser Problematik stellvertr. Fenyves/Weyers (Hrsg. ), Multikausale Schaden, 1988; Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht, 1990; 1 BGHZ 102,3SO = NJW 1988, 478; fllr eine Haftung der öffentl. Hand bereits de lege lata Laube, Haftung der Bundesrepublik Deutschland, 1991; s. zur Problematik des Waldsterbens in tatslchl. bzw. rechtl. Hinsicht stellvertr. den Waldschadensbericht der Bundesregierung v. 7.12.1993, BTDrs.l2/6374, I ff.; Plachter, Naturschutz, 1991, S.49 ff.; Breuer/Kioepftr!Marburger/SchrtJder (Hrsg.), Waldschiden als Rechtsproblem, 1987; Ewers u.a., Zur monetlren Bewertung von Umweltschaden, Methodische Untersuchung am Beispiel der Waldschlden, 1986; Leisner, Waldsterben, 1983; 3 S. die Fondsmodelle im Gesetzesentwurf des Landes Hessen v. 20.3.1987 Ober die Haftung fllr den Betrieb umweltgeOOtrdender Anlagen, BR-Drs.100/87, Anlage S.S, 24 f., sowie im Gesetzes-
16
Einfilhrung
schaftliehen Lösung diskutiert4• Zur Abgrenzung derjenigen Umweltschäden, die mit dem herkömmlichen Haftungsrecht noch erfaßbar sind~, von denjenigen, bei denen dies nicht mehr der Fall ist, heißt es in der Literatur6 : "Eine Analyse der maßgeblichen Rechtsprechung ergibt nur ungefähr, wo derzeit die Grenzen des Haftungsrechts nach, dem BGB liegen. ... Bezogen auf die Entfernung (Distanzschäden) sind keine FAlle bekanntgeworden, in denen ein durch die Luft transportierter Schadstoff weiter als 20 km zur Quelle zulilckverfolgt worden wllre. Die Einleitung in ein fließendes Gewisser ist immerhin noch 500 km weit festzustellen. Bezüglich der Summationseffekte beginnt die Grauzone, sobald mehr als sechs Beteiligte auseinandergehalten werden müssen."
li. Die zweite Fallgruppe umfaßt die sogenannten ''Altlasten". Unter dem Begriff der Altlast werden Bodenverunreinigungen verstanden, die durch Abfalldeponien, Ablagerungen, Autbaldungen oder Verfüllungen mit umweltgefährdenden Produktionsrückständen, durch industrielle, gewerbliche oder militärische Standorte oder durch Korrosionen von Leitungssystemen, defekte Abwasserkanäle etc. verursacht wurden. Den Altlasten ist gemeinsam, daß von ihnen Gefahren für Mensch und Umwelt, insbesondere für das Grundwasser, ausge-
entwurfder Fraktion der GRÜNEN v. 21.3.1989 filr ein Umweltschadensfondsgesetz, BT-Drs.ll/4247, S.7 ff., 26 ff.; in der Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum UmweltHG, BT-Drs.tlni04, S.29, heißt es: "Der Gesetzesentwurf umfaßt nicht diejenigen Umweltbeeintrichtigungen, die keinem bestimmten Verursacher zugeordnet werden können. Die sogenannten Summations- und DistanzschAden... lassen sich mit den Mitteln des individuellen Haftungsrechts nicht regeln. Sie stellen jedoch einen wichtigen Teilaspekt der UmweltschAden dar und bedürfen ebenfalls eines Ausgleichs. Daher sind Regulierungsmodelle auch filr die Distanz- und SummationsschAden zu entwickeln"; s. aus der Lit. Ganten/Lemke, UPR 1989, I (9 ff.); Geisendc'Jrfer, VersR 1989, 433 (435); Kinkel, ZRP 1989,293 (296 ff.); Rehbinder, NuR 1989, 149 (161); Salje, ZRP 1988, 153 (157); v.Hippel, ZRP 1986, 233 ff.; Rest, Luftverschmutzung und Haftung in Europa, 1986, S.l32; Lummert!I'hiem, Rechte des Bürgers, 1980, S.l95 ff.; s. auch Marburger, in: Verb. des 56.DIT. (1986), C 124 f.; krit. ders., AcP 192, 1 (33 f.); krit. zu den Realisierungschancen einer Fondslösung Kloepfer, JbUTR 11 ( 1990), 35 (67); s. zu bereits bestehenden Fonds in Deutschland Sander, JbUTR 5 (1988), 281 ff. ; zu ausl. Erfahrungen mit Umweltschadensfonds s. z.B. Kinfrei, ZRP 1989, 293 (297); Roller, Studie, 1989, S.65 ff.; 4 S. hierzu v.a. Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht, 1990; Kinlcel, ZRP 1989, 293 (295 f.); ~ Im Falle summierter Immissionen im Nahbereich, bei denen sich nicht klAren lAßt, welche der in Betracht kommenden (gleichartigen) Quellen den Schaden verursacht haben, kommen Ersatzansplilche gegen die potentiellen SchAdiger dann in Betracht, wenn die BeitrAge der einzelnen Emittenten geeignet waren, den Gesamtschadens zu verursachen (§ 830 I BGB), oder wenn die Beiträge jedenfalls zur Vertiefung des Gesamtschadens beigetragen haben und ihr Umfang geschAtzt werden kann(§ 287 ZPO, BGHZ 66,70 (74 ff.); 70,101 (108 ff.) ), vgl. zum ganzen Wagner, NuR 1992, 201 (206 f.); Assmann, in: Fenyves!Weyers (Hrsg.), Multikausale SchAden, 1988, S.99 ff.; Hager, NJW 1986, 1961 (1966 ff.); Kc'Jndgen, UPR 1983, 345 (353 ff.); 6 Kinkel, ZRP 1989, 293 (294) m.Nachw. der Rspr.;
Einßlhrung
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hen7• Hier stellt sich die Frage, wer für die Sanierung der Flächen bzw. die Übernahme der Sanierungskosten verantwortlich ist. Während man das Problem der Haftung für multikausale Distanzschäden gegenwärtig noch als gänzlich ungelöst bezeichnen muß, gelingt es bei den Altlasten, zumindest einen Teilbereich mit Hilfe der Abfall- und Altlastengesetze des Bundes und der Länder8 , wasserrechtlicher Vorschriften sowie dem traditionellen Polizeirecht zu erfassen9. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, denjenigen zu bestimmen, der nach geltendem Recht im Einzelfall für die Bodenverunreinigung tatsächlich einzustehen hat 10, gibt es hier insbesondere ein Bedürfnis nach Finanzierungsmodellen für den Fall, daß einzelne Verantwortliche nicht greifbar sind 11 • III. Der dritte, wie der erste noch gänzlich ungelöste Problembereich der Haftung für Umweltschäden betrifft die sogenannten "ökologischen Schäden"12• Der
7 S. zum Begriff der Altlast und fllr Angaben bezOgt. des tatslchl. Umfangs des Problems Kretz, UPR 1993, 41 ff.; Leinemann, Haftung fllr Altlasten, 1991, S.86, 89; Herrmann, Fllchensanierung, 1989, S.I5 ff., 200; Rehbinder, JuS 1989, 885; Breuer, NVwZ 1987,751 (752 f.); Kloepfer, NuR 1987, 7; 8 S. etwa das Hessische Abfallwirtschafts- und Altlastengesetz i.d.F. v. 10.7.1989, in dem fllr das deutsche Recht erstmals eine ausdrOckl. spezialgesetzt Verantwortlichkeit filr Altlasten geschaffen wurde(§§ 16 ff. HessAbfAG); 9 S. hierzu etwa Kloepfer, NuR 1987, 7 ff.; 10 S. zu den vielflltigen rechtl. und tatslchl. Problemen der Altlastensanierung etwa Kretz, UPR 1993,41 ff.; Herrm011n, Fllchensanierung, 1989; Breuer, NVwZ 1987, 751 (753 ff. m.w.Nachw.in Fußn.22 f.,36); Breuer/Kloepfer!Marburger/SchrtJder (Hrsg.), Altlasten und Umweltrecht, 1986; Papier, Altlasten und polizeiliche Störerhaftung, 1985; w .Nachw. bei Marburger, in: Verb. des 56.DIT (1986), C 11 Fußn.I6; s. zur Haftung filr Altlastende legeferenda den Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz des Bodens v. 16.12.1992, wiedergegeben bei Dombert, PHI 1993, 92 (94 ff.); 11 Zu rechtspoL Lösungskonzepten Breuer, NVwZ 1987, 75 I (756 ff. ); fllr erste VorschlAge zur Schaffung von Sanierungsfonds s. EntschließungsantrAge der SPD-Fraktion v. 5.7.1984 und 21.5.1986 ("Sondervermögen Arbeit und Umwelt", "Konzepte zur Sanierung von Altlasten") und in deren Rahmen den Vorschlag zur Schaffung eines gesonderten Fonds zur Altlastensanierung, BTDrs.I0/1722 und 10/5527; s. auch die EntwOrfe der GRÜNEN, BT-Drs.I0/5529-5531; rechtspoL Vorbild der Fondsmodelle ist der U.S.-amerikanische "Superfond"; er beruht auf dem Comprehensive Environmental Response, Compensation and Liability Act v. 1980 (CERCLA) sowie einem Erglnzungs- und Verllngerungsgesetz v. 1986 (SARA); s. hierzu etwa Leinemann, Haftung filr Altlasten, 1991;Anderson, Land Use & Env.L.Rev. 1990,391 ff.; Gaskins, Envtl. Accidents, 1989, 8.230 ff.; Gaus/Shingleton, RIW 1988, 846 ff.; Lyons, Land Use & Env.L.Rev.I989, 351 ff. ; Glass, 12 Harv. Envti.L.Rev.385 (1988); Frost, in: Sive/Friedman, A Practical Guide to Envtl. Law, 1987, 8.109 ff.; Note, 99 Harv.L.Rev.l458(1986); Strand, 35 8tan.L.Rev.(l982-1983), 575 (596 ff.); s. zur Finanzierung der ökologischen Altlasten in den neuen Bundeslindern Radtke!Eisenbarth, UPR 1993, 86 ff.;
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Begriff des ökologischen Schadens hat bislang noch keine abschließende Definition erfahren. Nach einer (hier zunächst nur vorläufigen) Definition 13 läßt sich der ökologische Schaden als jede nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushaltes oder seiner Bestandteile verstehen. Beeinträchtigungen der Natur werden von dem geltenden Haftungsrecht nur unvollkommen, ausschnittsweise und oft eher zufällig erfaßt, wenn mit der Umwelt oder "ober den Umweltpfad" gleichzeitig traditionell anerkannte PrivatrechtsgUter (Leben, Gesundheit und vor allem Eigentum) geschädigt wurden 14 . Zu diesen Begrenzungen im haftungsbegründenden Bereich kommen gegenwärtig schadensrechtliche Probleme des Ersatzes ökologischer Schaden sowie eine Reihe praktischer Schwierigkeiten hinzu. B. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit diesem dritten der angesprochenen Problembereiche. Anders als bei den multikausalen Distanzschäden sollen hier diejenigen Fälle betrachtet werden, bei denen wenigstens im Grundsatz Obersichtliche Kausalbeziehungen zwischen dem Schaden und seiner Quelle bestehen. Die Situationen, in denen individuelle Schädiger zumindest mit Hilfe von Beweiserleichterungen greifbar sind, sind angesichts schwerster multikausaler Distanzschäden von zum Teil globalen Ausmaßen (Waldsterben, Ozonloch und Klimakatastrophe) zwar etwas in den Hintergrund getreten. Schädigungen der Natur z.B. durch Emissionen oder Verseuchungen des Bodens und des Wassers, die von individualisierbaren Verursachern ausgehen, sind aber nach wie vor durchaus gängige Vorkommnisse". Mit der Fallgruppe der Altlasten bestehen Überschneidungen. Die Altlasten sollen hier jedoch ausgeblendet bleiben, da sie mit ihrer spezifischen Problems-
12 Vgl. Feldmann, UPR 1991, 4S (49): "Der Ausgleich allgemeiner Ökoschiden mit einem eigenständigen Lösungsansatz erfordert eingehende Erörterungen, die in die nllchste Legislaturperiode weisen"; nach Damm, JZ 1989, S61 (S6S), handelt es sich bei der Thematik um "das abgr11ndige und bislang ungelöste Problem der haftungsrechtlichen Behandlung von "ökologischen Schäden" ... Schon die Begriffsbestimmung ist außerordentlich schwierig", sowie: "Es fllhrt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß die insofern aufgeworfenen Fragen angesichts der ökologischen Krise essentiell aber ungelöst sind"; lhnl. Kinkel, ZRP 1989, 293; vgl. zum Stand der Diskussion auf diesem Gebiet in zivilrechtl. Hinsicht die Aussage von Schulte, Ausgleich ökologischer SchAden, 1990, S.33: "Die Erörterung zivilrechtlicher Ersatzmöglichkeiten hinsichtlich ökologischer Schiden findet sich bislang in der Rechtsprechung nicht, in der Literatur erst seit kurzem, und zwar zumeist in Zusammenhang mit einer Reform des Umwelthaftungsrechts. Ausfllhrungen Ober ökologische Schiden nehmen auch dabei meist nur eine Nebenrolle ein"; 13 Ausf u., Teil 1, Kap.A.; 14 Ausf. zur Haftung de lege lata u., Teil l, Kap.B.; 15
Fallbeispiele u., Teil 1, Kap.A.lll.;
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tik überwiegend speziellen öffentlich-rechtlichen Haftungsregelungen unterliegen. C. Eine über die derzeitige Rechtslage hinausgehende haftungsrechtliche Erfassung "ökologischer Schäden" erscheint auf verschiedene Weise möglich. So wurde z.B. vorgeschlagen, "Eigenrechte der Natur" zu schaffen, deren Verletzung Ausgleichsansprüche auslösen soll 16. Neben den konkreten Voraussetzungen entsprechender Haftungsnormen müßte bei diesem Ansatz unter anderem geklärt werden, wem eine Befugnis eingeräumt werden soll, die Ausgleichsansprüche geltendzumachen. Vor dem Hintergrund erster Erfahrungen im Ausland kommen für den Ersatz ökologischer Schäden desweiteren vor allem zwei Lösungen in Betracht: die Schaffung von umfassenden Ansprüchen der öffentlichen Hand auf Ersatz von Aufwendungen für die Wiederherstellung beeinträchtigter Umweltgüter17, eventuell auch auf Ersatz bleibender Verluste an ökologisch wertvollen Gütern; die Schaffung einer Befugnis für private Umweltschutzverbände zur Geltendmachung ökologischer Schäden. I. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich in ihrem ersten Teil zunächst mit der Klärung des Begriffs des ökologischen Schadens für den weiteren Gang der Arbeit. Im Anschluß folgt eine Analyse der Haftung für ökologische Schäden nach geltendem Recht, ein Überblick über die bisherigen Vorschläge zum Ausbau der Haftung für ökologische Schäden sowie eine Stellungnahme zu diesen Vorschlägen.
Im zweiten Teil der Arbeit wird untersucht, ob der umfassende Ersatz ökologischer Schäden und somit ein gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage erheblich weitergehender haftungsrechtlicher Schutz von Umweltgütern durch eine zivilrechtliche Klagebefugnis privater Umweltverbände erreicht werden könnte. Die Arbeit setzt sich mit den Vor- und Nachteilen einer solchen Lösung vor allem gegenüber der Schaffung einer Anspruchsberechtigung allein der öffentlichen Hand auseinander; sie zeigt die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer zivilrechtliehen Verbandsklage auf Ersatz ökologischer Schäden auf und nimmt Stellung zu den möglichen Einwänden gegen diesen Ansatz; schließlich erfolgt eine Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Verbandsklage auf Ersatz
16 S. v.a. Stone, 45 S.Cai.L.Rev.450 (1972); Leimbacher, Die Rechte der Natur, 1988; mehr hierzu u., Teil I, Kap.C.II.2.; 17 U., Teil 1, Kap.C.II.4.;
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ökologischer Schäden vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit bereits vorhandenen Verbandsklagerechten. Im dritten Teil der Arbeit wird versucht, in Auseinandersetzung mit den vielfältigen dogmatischen Problemen, die ein Anspruch privater Umweltverbände auf Ersatz ökologischer Schäden aufwirft, für das deutsche Recht einen konkreten Regelungsvorschlag für ein solches Recht zu entwickeln. II. Für den Ausbau der Haftung für ökologische Schäden läßt sich eine ganze Reihe von Argumenten anführen. Sie sollen hier nicht nochmals ausführlich dargelegt, sondern nur im Überblick genannt werden. Im Anschluß wird das rechtspolitische Bedürfnis für eine Haftungsausweitung unterstellt 18• I. Ein erstes Argument für eine umfassende Haftung für Umweltschäden einschließlich der ökologischen Schaden ergibt sich im Hinblick auf bestehende internationale Verträge und Deklarationen. Im internationalen Umweltrecht ist heute der Grundsatz anerkannt, daß die Folgen umweltschädigenden Verhaltens möglichst weitgehend von dem Verursacher getragen werden sollen ("polluterpays principle" oder Verursacherprinzip). Dies gilt nicht allein dann, wenn durch das schädigende Verhalten Privatrechtsgüter betroffen sind, sondern insbesondere auch dann, wenn Umweltgüter geschädigt werden, an deren Erhalt "nur" ein Allgemeininteresse besteht. Das "polluter-pays principle" geht auf die Recommendation ofthe Council on Guiding Principles Conceming Environmental Policies der OECD vom Mai 1972 zulilck1'. Es fmdet sich heute etwa in Art.l6 der Rio Declaration on Environment and Development, Art.l30 R Abs.2 des EG-Vertrages, der Prlambel der Konvention des Europarates zur zivilrechtliehen Haftung filr umwehgeflhrdende AktivitAten20 sowie im "Green Paper on Remedying Environmental Damage" der EG-Kommission.
Durch das Verursacherprinzip, das es auch im nationalen Umweltrecht möglichst umfassend umzusetzen gilt21 , soll eine sparsame Verwendung natürlicher
18 S. zum rechtspol. BedOrfuis nach einer umfassenden Haftung filr Umwehschäden z.B. auch das Granbuch der EG Kommission "On Remedying Environmental Damage" v. 14.5.1993, und dort v.a. S.4 f.; 19 C(72)128; s. des weiteren etwa die "Recommendations ofthe Council of 14th Nov.l974 on the lmplementation ofthe Polluter-Pays Principle", C(74)223, sowie die "Council Recommendation on the Application ofthe Polluter-Pays Principle to Aceidental Pollution", 1989, mit Appendix "Guiding Principles Relating to Aceidental Pollution"; 20
S. hierzu näher u. Teil 2, E.l.; S. etwa Art.l6 der Rio-Deklaration: "states shall develop nationallaw regarding liability and compensation for the victims ofpollution and other environmental damage"; s. zu Forderungen nach Umsetzung des Verursacherprinzips im deutschen Umwehrecht etwa Kloepfer!Rehbinder!Schmidt21
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Ressourcen erreicht und die Bildung volkswirtschaftlich richtiger Preise für Dienstleistungen oder Produkte, deren Herstellung oder Konsum mit Umweltbelastungen verbunden ist, gewahrleistet werden. (Die von dem Prinzip umfaßten Umweltbelastungen schließen Schaden durch Unfalle ein.) Neben Abgaben oder Umweltsteuern für umweltbelastendes Verhalten sowie einer öffentlich-rechtlichen Haftung kann in Fallen, in denen Kausalverlaufe konkret nachvollziehbar sind, auch eine künftige umfassende zivilrechtliche Haftung ein wichtiges Mittel zur Umsetzung des Verursacherprinzips sein. Eine effektive Durchsetzung dieses Prinzips kann heute nicht auf einem einzigen Weg oder von einer einzigen Disziplin bewältigt werden. Stattdessen wird es darauf ankommen, das Potential, das nationale Rechtsordnungen zu seiner Umsetzung bereithalten, vollständig auszunutzen. Dem Zivilrecht mit seinen deregulierten, selbstregelnden und beweglichen Ansätzen kann hierbei eine wichtige Funktion zukommen, die in vollem Umfang ausgeschöpft werden sollte 22• 2. In engem Zusammenhang mit der Forderung nach Umsetzung des Verursacherprinzips steht die Forderung nach Internalisierung der (meist langfristigen) Kosten, die der Allgemeinheit durch Umweltbelastungen und Naturverbrauch verursacht werden. Solange Umweltgüter frei erhältlich und ihr Verbrauch nicht mit direkten Kosten verbunden ist (sei es durch Umweltabgaben, Steuern oder zivilrechtliche Haftung), gehen Umweltbelastungen nicht in die wirtschaftliche Kostenrechnung des Verursachers und die Bildung der Preise von Gütern oder Dienstleistungen ein. Angebot und Nachfrage formieren sich so ungeachtet der durch Umweltbelastungen bedingten sozialen Kosten (der sog. negativen externen Effekte). Die Einbeziehung eben dieser negativen externen Effekte in die Kostenkalkulation stellt jedoch eine der Grundbedingungen für ein optimales Funktionieren des Marktes, für eine angemessene Preisgestaltung unter Berücksichtigung aller Kosten eines Produkts oder einer Dienstleistung und für eine optimale Verteilung und Verwendung von Ressourcen dar. Diese Grundbedingung ist hinsichtlich vieler Umweltgüter heute nicht erfüllt, so daß der Markt vielfach nicht in der Lage ist, angemessene Anreize für sozial und gesamtwirtschaftlich erwünschte Verhaltensweisen zu schaffen. Man spricht in bezug auf Umweltschäden daher von einem Fall des Marktversagens23 • Dieses Problem
Aßmann/Kunig, UGB-AT, 1991, 8.425; Diederichsen, FS Lukes, 1989, S.41 (55); Rehbinder, NuR 1989, 160 (163); Tt'Jpfer, in: Gilckelhorn!Steger (Hrsg.), Umwelt-Umtemehmen-Haftung, 1988, S.49 (60); Lummert!Thiem, Rechte des BOrgers, 1980, S.192; 22 So auch das Grünbuch der EG-Kommission v. 14.5.1993, etwa S.18, 23 f.; 23 Vgl. Tietenberg, Envti.Law & Po1icy, 1994, S.36 ff., 108, 215 ff.; Meneli/Stewart/Krier, Envti.Law & Po1icy, ll-34 ff.; Kt'Jck, NuR 1992, 412 ff.; Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht,
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ergibt sich weniger bei solchen Umweltgütern, die dem Einzelnen privatrechtlieh zugeordnet sind, und bei denen - jedenfalls im Idealfall - private Anspruchsberechtigung zu einer Internalisierung der Umweltkosten führt, als vielmehr bei solchen Gütern, an deren Erhalt "nur" ein Allgemeininteresse besteht24 - d.h. bei einem zentralen Bereich ökologischer Schäden. Wird das Marktversagen nicht korrigiert, unterliegen kollektive Umweltgüter einer ständigen Überbeanspruchung, die letzlieh zu ihrer Zerstörung führt (sog. "Tragedy of the Commons") 25. Die Forderung nach "Internalisierung negativer externer Effekte" stellt heute daher eines der zentralen wirtschaftswissenschaftlichen Anliegen im Umweltbereich dar26• (Sie ist darüberhinaus ein zentrales Anliegen der internationalen Umweltpolitik und findet sich z.B. in der "Rio Declaration on Environment and Development" und im "Green Paper on Remedying Environmental Damage" der EG-Kommission vom Mai 1993 27.) Als Mittel zur Internalisierung von Umweltkosten kommen wiederum v.a. Umweltabgaben, Steuern und - bei klaren Verursachungsverhältnissen - eine möglichst umfassende zivilrechtliche Haftung für ökologische Schäden in Betrache8. Auch insoweit gilt, daß bei der Bewältigung dieser Aufgabe auf keines der Potentiale der Rechtsordnung verzichtet werden sollte. 3. Ferner spricht das Prinzip der Prävention von Umweltschäden für eine möglichst umfassende zivilrechtliche Haftung für ökologische Schäden: Zivilrechtliche Haftung könnte durch ihre Präventiv- und Lenkungsfunktion maßgebliche Anreize zu umweltschonendem Verhalten und zur Vermeidung von
1990, S.47 ff. m.zahlr.w.Nachw., 165 f.; Cansier, Ökonomische Grundprobleme der Umweltpolitik, 1975, S.l ff.; 24 Sog. kollektive oder öffentl. Gßter, s. hierzu etwa Tietenberg, Envti.Law & Policy, 1994, S.38 ff.; 2s S. hierzu Hardin, 162 Science 1243 ff.(l968); 26 S. etwa Pearce!l'urner, Economics of Natural Resources, 1989, S.61 ff.; Menell/Stell•artl Krier, Envti.Law & Policy, 11-34 ff.; s. auch insoweit die Recommendation on Guidelines Concerning Environmental Policies der OECD, C(72)128, und insbes. deren Annex A (a); 27 Rio Declaration on Environment and Development, Art.l6; Grilnbuch der EG-Kommission, COM (93)47, S.5, 7; s. ferner etwa die offizielle Eröffnungsposition der EG zu Fragen von Welthandels und Umweltschutz in den GATI Post-Uruguay Verhandlungen bei Majocchi, Relations between Trade and Environment, S.2;
28 S. zu weiteren Instrumenten, so etwa "tradeable permits", bubbles", "netting", "offsets" und "banking",Menell/Stewart!Krier, Envti.Law & Policyy, II-47 ff., IV-163 ff.; s. auch Pearce/Turner, Economics ofNatural Resources, 1989, S.70 ff.; s. zu ökonomischen Instrumenten zur "Internalisierung" ferner etwa Centre for European Policy Studies (Hrsg.), Economic Instruments in EC Envt. Policy, 1993;
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Umweltschäden geben und so zur Bewahrung knapper natürlicher Ressourcen beitragen29• 4. Zur Begründung des rechtspolitischen Bedürfnisses für einen Ausbau der Haftung für ökologische Schäden als Mittel zur Bewahrung knapper Ressourcen lassen sich ferner Argumente der Fairness gegenüber heutigen und künftigen Generationen30 und schließlich auch gegenüber unserer Umwelt selbst anführen. 5. Letztendlich kann die weitere rechtspolitische Diskussion über den Ersatz ökologischer Schäden im nationalen Recht (de lege ferenda) aber wohl erst dann fruchtbar geführt werden, wenn konkrete Vorschläge für eine künftige Ausgestaltung der Haftung für ökologische Schäden vorgelegt sind. Die vorliegende Arbeit versucht, durch einen konkreten Regelungsvorschlag einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten.
III. In die Erwägungen werden ausländische Überlegungen zum Ersatz "ökologischer Schäden" einbezogen. In zahlreichen Rechtsordnungen wird gegenwärtig nach Gestaltungsmöglichkeiten einer künftigen Haftung für ökologische Schäden gesucht. Es handelt sich um eine völlig neuartige Problematik, bei der etwa von rechtssystematischen oder rechtshistorischen Studien weniger Impulse zu erwarten sind als dies sonst üblich ist. Eine umso größere Bedeutung kommt daher der Rechtsvergleichung zu, die den Zugang auf ausländische Überlegungen, Ansätze und erste Erfahrungen mit der Haftung für ökologische Schäden eröffnet und eine internationale Diskussion sowie einen internationalen Gedankenaustausch zu dieser aktuellen Thematik ermöglicht. Neue Ideen und Ansätze
29 S. hierzu Kloepfer!Rehbinder!Schmidt-Aßmann!Kunig, UGB-AT, 1991, S.425; Rehbinder, NuR 1989, 160 (163); ders., NuR 1988, 105; Lummert/fhiem, Rechte des BOrgers, 1980, S.192; sowie ausf. das GrOnbuch der EG-Kommisson v. 14.5.1993, COM(93)47; vgl. zur gegenwilrtigen Situation krit. Ladeur, NJW 1987, 1236 (1241), anlAßlieh des Falles Sandoz: "Daß eine dringende Notwendigkeit zur BerOcksichtigung ökologischer SchAden im Haftungsrecht besteht, beweist auch die Kalkulation der Sandoz AG, die- von einer schweizerischen Versicherung auf das bestehende Risiko bei Brandgefahr aufmerksam gemacht- es vorzog, das Risiko bei einer deutschen Versicherung versichern zu lassen, und auf den Bau von ROckhaltebecken und selbst von Sprinkleranlagen verzichtete."; auch der Chemieunfall bei der Firma Höchst im Februar 1993 wllre durch den Einbau weiterer Sicherungsvorkehrungen nach Aussage der Unternehmensvertreter ohne weiteres zu verhindem gewesen; s. zur Prllventivfunktion der U.S.-amerikanischen "Superfund"-Haftung eindringlich Roberts, EPA J. 1991, 38 f.;
30 S. zum Grundsatz der Fairness gegenOber kOnftigen Generationen etwa die Präambel der Declaration ofthe United Nations Conference on the Human Environment, Stockholm, 1972, Ziff.6; s. zu diesem Prinzip grundl. Brown Weiss, In Fairness to Future Generations, 1988, Ch.II lf.; fllr eine Internalisierung von Umweltkosten anstelle einer Belastung kOnftiger Generationen mit diesen Kosten auch Friedensnobelpreistriger Arias, Vorwort zu Panayotou, Green Markets, I993, X;
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Einführung
finden auf diesem Gebiet mit einer ungewöhnlichen Schnelligkeit auch jenseits der nationalen Grenzen Beachtung. In der französischen Literatur heißt es hierzu pragnant: "La reparation du prejudice ecologique, atteinte a une valeur envisagee pour elle-meme, appelant une reflexion autonome, n' est intervenue que depuis les annees soixante-dix, lorsque les problemes de pollution ont pris Ia dimension d'un phenomeme de societe.... (L)a reflexion se mene ici largement ä l'echelon international. Les idees circulent vite; resolutions internationales, innovations legislatives et decisions de justice etrangeres sont rapidement traduites et commentees, nourrisant un fonds commun de culture qui influence plus ou moins directement Je droit positif'n.
Aufgrund vergleichbarer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ausgangssituationen werden in den Vergleich in erster Linie die Rechtsordnungen der Schweiz, Frankreichs, Italiens, Englands und der U.S.A. einbezogen. Wo dies besonders interessant erscheint, erfolgen darüberhinaus Hinweise auf Regelungen in weiteren Rechtsordnungen.
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Remond-Gouilloud, JCI.Civ., Art.I382-1386, Fasc.ll2, No.9;
Tei/1
Ausgangslage A. Begriff des "ökologischen Schadens" Bevor der Umfang der Haftung für ökologische Schäden nach geltendem Recht ermittelt werden kann, ist zunächst Klarheit darüber herzustellen, welche Umweltschäden unter diesen Begriff fallen sollen. Durch diese begriffliche Klärung soll zum einen der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung von vornherein konkret bezeichnet werden. Zum anderen ist eine "Legaldefinition" des Begriffes auch für die im dritten Teil der Arbeit zu entwickelnde konkrete Haftungsregelung erforderlich.
I. Deutsches Recht
Für das deutsche Recht existiert gegenwärtig noch keine verbindliche Definition des "ökologischen Schadens" 1• Im Umwelthaftungsgesetz von 1990 oder in anderen Gesetzen findet dieser Begriffnicht Verwendung2, und auch in der Literatur wurde eine allgemeingültige Definition des ökologischen Schadens noch
Soweit ersichtl., wurde der Begriff in der deutschen Diskussion erstmals Mitte der 70er Jahre von Rehbinder, RabelsZ 40 (1976), 363 (38S), benutzt; in der französischen Diskussion fand er schon frOher Verwendung, s.u., II.; in der franz. schadensrechtl. Respr. findet sich der Begriff "incidence ecologique" (ökologischer Zwischenfall) erstmals bereits in einem Urt. V. 8.12.1976, Trib. gr.inst.Bastia, D.S.l977, Jur.427; 2 Schulte, Ausgleich ökologischer Schäden, 1990, S.21 Fußn.22, weist auf§ I Nr.S HbgNatSchG als einzige Ausnahme hin; die Norm lautet: "Wirtschaftliche oder ökologische Schiden durch nicht dem Jagdrecht unterliegende wildlebende Tiere sollen nach Möglichkeit durch erprobte und unbedenkliche ökologische Maßnahmen verhindert werden"; 1
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Teil 1: Ausgangslage
nicht entwickele. Für die Bemühungen um die Definition des ökologischen Schadens sind gegenwärtig zwei Tendenzen kennzeichnend: Die eine versucht - gleichsam auf der Tatbestandsebene, den Begriff des ökologischen Schadens über die betroffenen Umweltgüter zu definieren. Ökologischer Schaden ist danach eine vom Menschen verursachte, nachhaltige Beeinträchtigung des Naturhaushaltes4 oder konkreter: der Naturgüter Wasser, Boden, Luft, Klima, Pflanzen- oder Tierwelt sowie deren Wechselwirkungen5. Über diese Definition herrscht jedenfalls insofern weitgehende Einigkeit, als sie Ausgangspunkt für weitere Definitionsversuche ist. Die andere Tendenz geht dahin, Einschränkungen dieser ersten Definition zu erreichen und den ökologischen Schaden über die Lücken im geltenden Umwelthaftungsrecht zu bestimmen. Als ökologischer Schaden ist danach nur eine solche Beeinträchtigung des Naturhaushaltes zu verstehen, die nach dem geltenden Individualhaftungsrecht ohne Ersatzpflicht bleibt6 • Was ökologischer Schaden ist, ob es solche Schäden überhaupt und in welchem Umfang es sie gibt, ist danach also abhängig von der jeweils geltenden Haftungsordnung. Der Umstand, daß eine Beeinträchtigung der Umwelt ohne Ersatzpflicht bleibt, kann vielfältige Ursachen haben. Die Ursache kann etwa darin liegen, daß das geschädigte Umweltgut entweder überhaupt nicht eigentumsfähig ist (dies gilt zum Beispiel für freilebende, keinem Jagd- und Aneignungsrecht unterliegende Tiere) oder daß es im konkreten Fall nicht Gegenstand von Eigentums- oder Aneignungsrechten war. Ansprüche sind nach den herkömmlichen Regeln dann bereits
3 "Ein allgemein anerkanntes Begriffsverstandnis gibt es nicht", Entwurfdes BMU, 1988, S.38; vgl. die Feststellungen von Erichsen, Der ökoi.Schaden im int.UmweltHR, 1993, S.S; Friehe, NuR 1992, 453 (454); Fees-Dörr!PrtJtorius/Steger, Umwelthaftungsrecht, 1990, S.27; Kloepfor, .JbUTR II (1990), 35 (64, Fußn.84); Damm, JZ 1989, 565; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, 1989, S.287; Roller, in: Anhörung, S.41; ders., Studie, 1989, S.SO; Schulte, JZ 1988, 284 f.; 4 Gassner, UPR 1987, 370; Schulte, Ausgleich ökologischer Schiden, 1990, S.28; 5 Gassner, UPR 1987,370 f.; Knebel, .JbUTR 5 (1988), 261 (274); Roller, Studie, 1989, S.SO; ders., in: Anhörung, S.281; in diesem Sinne auch die Entwürfe Hessens und Nordrhein-Westfalens zur Ausdehnung der Haftung fllr Umweltschäden, BR-Drs.I00/87 (Hessen) und BR-Drs.217/87 (NRW), hierzu ausf. u., Kap.C.II.4.a.lb.; 6 So z.B. Schmidt-Salzer, Komm. Umwelthaftungsrecht, UmwehHG, 1992, § 16 Rdnr.7; FeesDörr!Prtitorius!Steger, Umwelthaftungsrecht, 1990, S.28, 40; Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht, 1990, S.ISO; Brllggemeier, KJ 1989,209 (224 f.); Entwurfdes BMU, S.38 f.; T6pfer, in: Gflkkelhorn!Steger (Hrsg.), Umwelt-Unternehmen-Haftung, 1988, S.49 (51); Hager, NJW 1986, 1961 ("der allgemeine ökologische Schaden entzieht sich mangels privatrechtlicher Zuordnung dem Schadensrecht"); Ahnt. Taupitz, Jura 1992, 113 (115, "rein ökologischer Schaden"); krit. zu dieser Einschränkung Schulte, Ausgleich ökologischer Schäden, 1990, S.25 ff; ders., JZ 1988, 278 (285);
Kapitel A: Begriff des "ökologischen Schadens"
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tatbestandlieh ausgeschlossen'. Die Ursache kann aber auch in Beschränkungen des geltenden Schadensersatzrechts (und damit im haftungsausfollenden Be-
reich) Iiegen8. Für die Tendenz, nach geltendem Recht ersatzfähige Umweltschäden vom Begriff des ökologischen Schadens auszunehmen, spricht der Wunsch, den Begriff des ökologischen Schadens gegenüber der weiteren Definition konkreter zu fassen und ihm schärfere Konturen zu verleihen. Diese Konkretisierung wird allerdings nur mit Hilfe einer Negativdefinition erreicht: Ökologischer Schaden ist, was nach herkömmlichem Verständnis nicht ersetzt wird. Negativdefinitionen verstoßenjedoch gegen die Grundsätze der klassischen Definitionenlehre, wonach eine Definition angeben soll, was eine Sache ist, und nicht, was sie nicht ist, und wonach Definiendum und Definiens vertauschbar sein müssen9. Zudem ist das, was "ökologischer Schaden" ist, bei einem solchen Verständnis des Begriffes abhängig von den jeweils geltenden Haftungstatbeständen und der aktuellen Auslegung der Vorschriften des geltenden Schadensrechts. Auslegungsprobleme und Streitpunkte im Bereich des Schadensrechts (so etwa die Frage, ob geschädigte Kleinlebewesen im Wasserlauf "ersatzfähig" sind oder nicht, was durchaus offen ise') werden damit in die Definition des "ökologischen Schadens" übernommen. Angesichts der Offenheit vieler Fragen des geltenden Schadensrechts kann dies kaum als wünschenswert erscheinen. Auch dürfte der Bereich ökologischer Schäden nach der besagten Negativdefinition für die verschiedenen Haftungsgrundlagen künftig nicht mehr einheitlich bestimmbar sein: Gemäߧ 16 UmweltHG sollen im Falle der "Beschädigung einer Sache", die "auch eine Beeinträchtigung der Natur oder der Landschaft" darstellt, nach dem UmweltHG auch die Aufwendungen für die Wiederherstellung der Natur umfassend ersetzt werden. "Auch zerstörte Biotope sind danach grundsätzlich wieder anzulegen, verdrängte Tiere oder Pflanzen wieder anzusiedeln, sofern der Eigentümer dies verlangt und solche Maßnahmen praktisch möglich sind" 11 . Diese Schäden, die bislang unstreitig zum Bereich der ökologischen Schäden zählten 12, würden • da von individuellen Ersatzansprüchen
Ausf. u., Kap.B.III.2., IV.3.;
7
8
Dazu u., Kap.B.III.3., IV.3.;
9
Simon!Herberger, Wissenschaftstheorie, 1980, S.314;
10
S. u., Kap.B.III.2.-4.;
11
So die Begründung zu § 17 des Entwurfes zum UmweltHG, BT-Drs. 11/7104, S.21 ; Vgl. stellvertr. Marburger, AcP 192 (1992), 1 (19); Paschke, JbUTR 12 (1990), 281 (283,
12
298 f.);
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Teil 1: Ausgangslage
umfaßt - bei konsequenter Anwendung der Negativdefinition künftig zumindest im Rahmen des UmweltHG nicht mehr als ökologische Schäden gelten. Im allgemeinen Haftungsrecht, für das - wie gesagt - sehr strittig ist, wie weit die Pflicht zur Naturalrestitution und zum Geldersatz reicht, gehörten sie dagegen unter Umständen weiter zu den ökologischen Schäden. Darüberhinaus würde ein Ersatz ökologischer Schäden bei konsequenter Durchführung der Negativbeschreibung schon per definitionem ausscheiden. Die Frage nach der Ersatzfähigkeit ökologischer Schäden würde sich nach dieser Definition verbieten, da der Schaden mit seiner Ersatzfähigkeit seine Eigenschaft als ökologischer Schaden verlieren würde. Dies aber dürfte die Diskussion zumindest terminologisch erheblich erschweren, statt sie durch die Verwendung des Begriffes des ökologischen Schadens zu erleichternll. Verschiedentlich wird versucht, den ökologischen Schaden von anderen Schadenskategorien dadurch abzugrenzen, daß als ökologische Schäden nur Beeinträchtigungen immaterieller Natur gelten sollen 14• Auch diese Abgrenzung erweist sich als problematisch. So ist etwa zu fragen, ob die Beeinträchtigung der Kleinlebewesen auf einem geschädigten Grundstück (ein gegenwärtig unbestritten "ökologischer Schaden") dann seine Eigenschaft als ökologischer Schaden verliert, wenn es gelingt, den erforderlichen Wiederherstellungsaufwand in Geld zu bemessen und der Schaden so doch wieder zu einem materiellen wird. Die fortschreitenden Bemühungen, Kriterien für die ökonomische Bewertbarkeit ökologischer Schäden zu entwickeln 1\ hätten so wiederum Einfluß auf den Umfang dessen, was von der Definition des ökologischen Schadens umfaßt ist: Mit zunehmender "Monetarisierung" würden sich das Bild des ökologischen Schadens verändern und die Reichweite der Definition abnehmen16. Der Begriff des ökologischen Schadens würde auch hierdurch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Zum Teil wird erwogen, die materiellen von den immateriellen Beeinträchtigungen der Umwelt über § 251 BGB abzugrenzen. Es sollen diejenigen Beein-
13
Ähnl. Schulte, Ausgleich ökologischer SchAden, 1990, S.28;
So Wagner, Kollektives Umwehhaftungsrecht, 1990, S.l50; BrQggemeier, KJ 1989, 209 (225); Rehbinder, NuR 1988, 105 f.; Gassner, UPR 1987, 370 (371 f.); krit. hierzu Erichsen, Der Okol. Schaden im int. UmwehHR, 1993, S.22 ff.; Schulte, Ausgleich ökologischer SchAden, 1990, S.23 f., 27 f.; ders., JZ 1988, 278 (285); 15 Das einschlägige Stichwort lautet "Monetarisierung ökologischer Schäden", vgl. Rehbinder, NuR 1988, 105 (109) und u., Teil 3, Kap.C.; 16 Darauf weist auch Schulte hin, Ausgleich ökologischer SchAden, 1990, S.27; 14
Kapitel A: Begriff des "ökologischen Schadens"
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trächtigungen der Umwelt als immateriell und als die eigentlichen ökologischen Schäden gelten, die zwar unter Umständen nach § 249 S.2 BGB, nicht aber nach § 251 BGB vermögensmäßig bewertbar sind17• Auch bei einer solchen Sicht werden Unsicherheiten der schadensrechtlichen Dogmatik in die Defmition des ökologischen Schadens hineingetragen: Einer derartigen Unterscheidung zwischen materiellem und immateriellem Schaden liegt die herrschende Auffassung zugrunde, nach der Geldersatz gemäß § 249 S.2 BGB und Geldentschädigung gemäß § 251 BGB grundsätzlich unterschiedlich zu bemessen sind. Bei § 249 S.2 BGB handele es sich um einen Fall der Restitution, während § 251 BGB auf Kompensation gerichtet sei, weshalb sich der Ersatz im ersten Fall nach den erforderlichen Restitutionskosten, im zweiten Fall dagegen nach dem verletzten Wertinteresse des Geschädigten richte 18• In der schadensrechtlichen Literatur wird bezweifelt, ob eine solche Unterscheidung vom Gesetzgeber gewollt und sie überhaupt sinnvoll ist 19• Die Unterscheidung zwischen Kompensation und Restitution hat im Schadensrecht jedenfalls zu Unsicherheiten geführt, die nicht in die Definition des ökologischen Schadens übernommen werden sollten (als symptomatisch für diese Unsicherheiten erscheint die Aussage: "Die Grenzen zwischen Restitution und Kompensation haben sich allerdings in mancher Hinsicht verwischt" 2