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German Pages 221 Year 1991
Wirtschaftpsychologische Schriften Herausgegeben von Prof. Dr. Arthur Mayer, Prof. Dr. Hermann Brandstätter, Prof. Dr. Oswald Neuberger, Prof. Dr. Lutz v. Rosenstiel
Band 12
Der Einfluß von Werten auf die Gestaltung von Organisationen Von Sabine Klein
Duncker & Humblot · Berlin
SABINE KLEIN Der Einfluß von Werten auf die Gestaltung von Organisationen
Wirtschaftspsychologische Schriften Herausgegeben von Prof. Dr. Arthur Mayer, Prof. Dr. Hermann Brandstätter, Prof. Dr. Oswald Neuberger, Prof. Dr. Lutz v. Rosenstiel
Band 12
Der Einfluß von Werten auf die Gestaltung von Organisationen
Von Sabine Klein
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Klein, Sabine: Der Einfluß von Werten auf die Gestaltung von Organisationen / von Sabine Klein. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Wirtschaftspsychologische Schriften; Bd. 12) Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 1990 ISBN 3-428-07047-X NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0721-0213 ISBN 3-428-07047-X
Vorwort Es gibt Menschen, die kennen den Preis von allem und den Wert von nichts. Oscar Wilde
Dankesworte zu finden, fallt um so schwerer, je ehrlicher sie gemeint sind. Die Banalität der Worte schreckt, denkt man an die Menschen, denen sie gelten. Eine Arbeit wie die vorliegende kann man nicht schreiben ohne Unterstützung, fachliche, vor allem aber menschliche Unterstützung. Ohne durch die Reihenfolge werten zu können oder zu wollen, möchte ich vor allem Prof. Dr. Lutz von Rosenstiel, Prof. Dr. Diether Gebert und meinem Mann für die vielen fachlichen Anregungen und kritischen Fragen danken, die mich immer wieder gezwungen haben, Gedanken klarer zu fassen und bisher unberücksichtigte Aspekte einzubeziehen. M i r wurde zudem das heute seltene Glück zuteil, zu erleben, was der Begriff „Doktorvater" im Ursprung gemeint hat. Danken möchte ich auch den Unternehmern, deren Vertrauensvorsprung, den sie mir gewährten, diese Arbeit erst möglich gemacht hat. Nicht nur, daß sie mir viele Stunden ihrer knapp bemessenen Zeit widmeten, sondern vor allem, daß sie uneigennützig und letztlich ohne die Zielsetzung zu kennen, offen Auskunft gaben, verpflichtet mich zu Dank. Bedanken möchte ich mich nicht zuletzt bei meinen Eltern, die durch ihre großzügige Unterstützung diese Arbeit ermöglichten. Den sicherlich mühsamsten Teil der Arbeit erledigten Frau Hilgemann und Frau Beyer, deren Geduld beim Schreiben der Protokolle manches Mal auf eine harte Probe gestellt wurde und Frau Arnolds, ohne deren unermüdliche Kleinarbeit und den nicht enden wollenden Kleinkrieg mit Computer und Drucker die Arbeit unvollendet geblieben wäre. Eine solche Arbeit zu schreiben kostet Zeit und Kraft, die der Familie in dieser Zeit entzogen werden. Die Geduld und die Nachsicht meines Mannes waren die, oftmals vielstrapazierte, Basis, auf der die Arbeit entstanden ist. Ich hoffe sehr, daß die vorliegende Arbeit Anregungen für Wissenschaftler und Praktiker enthält, die es wert sind, diskutiert und vielleicht sogar umgesetzt zu werden. Meerbusch, im Mai 1990
Sabine Klein
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
13
1. Relevanz der Fragestellung
13
2. Wissenschaftstheoretische Überlegungen
14
3. Aufbau der Arbeit
16
Erster Teil
Theoretische Grundlagen
20
Kapitel I Konzept Wert
20
1. Definition und Abgrenzung des Begriffs „Wert" 1.1 Definition des Begriffs „Wert"
20 20
1.1.1 Wertdefinition — Übersicht
20
1.1.2 Arbeitsdefinition
24
1.1.3 Verwandte Begriffe: Werthaltung, Wertung, Wertsystem, Werthierarchie 1.2 Definition des Begriffs „Einstellung"
26 27
1.2.1 Einstellung und Wert — Erste Abgrenzung
27
1.2.2 Einstellungsdefinitionen — Übersicht
29
1.2.3 Arbeitsdefinition
32
1.3 Zur Abgrenzung und Interaktion von Werten und Einstellungen
35
1.3.1 Abgrenzung von Werten und Einstellungen
36
1.3.2 Die Sinnfrage und ihr Einfluß aufwerte und Einstellungen
38
1.3.3 Interaktionsmodell von Werten und Einstellungen
44
1.4 Zusammenfassende Darstellung von Kapitel I
46
8
Inhaltsverzeichnis
2. Erfassung des Wertkonzepts
48
2.1 Möglichkeiten der Erfassung von Werten
49
2.1.1 Erfassung über inhaltliche Kriterien
50
2.1.2 Erfassung über formale Kriterien
52
2.1.3 Erfassung über funktionale Kriterien
53
2.2 Methoden der Erfassung
54
2.2.1 Verhaltensbeobachtung
54
2.2.2 Befragung
55
2.2.2.1 Medien der Befragung
55
2.2.2.2 Standardisierung der Befragung
56
2.2.2.3 Direktheit der Befragung
57
2.2.3 Inhaltsanalyse 2.3 Das dieser Arbeit zugrundeliegende Konzept der Werterfassung
Kapitel II Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 1. Abgrenzung und Definition des Begriffs „Organisation"
60 62
63 63
1.1 Überlegungen zur Merkmalsauswahl
63
1.2 Organisationsdefinitionen — Überblick
65
1.3 Arbeitsdefinition
66
2. Zur Vergleichbarkeit verschiedener Organisationen
69
2.1 Kriteriengenerierung „Umweltoffenheit"
70
2.2 Kriteriengenerierung „Organisation als soziales Gebilde"
74
2.3 Kriteriengenerierung „Zeitliche Dauer"
82
2.4 Kriteriengenerierung „Zielgerichtetheit"
82
2.5 Kriteriengenerierung „Strukturiertheit"
86
2.5.1 Strukturelle Differenzierung
90
2.5.2 Zentralisierung vs. Dezentralisierung
95
2.5.3 Standardisierung
98
Inhaltsverzeichnis
3. Erfassung der Organisation
100
3.1 Zur Meßbarkeit von Organisationen
100
3.2 Operationalisierung relevanter Kriterien
102
3.2.1 Operationalisierung: UmweltofFenheit 102 3.2.1.1 Operationalisierung: Theorien der Organisation über ihre Umwelt 102 3.2.1.2 Operationalisierung: Freiwillig an die Umwelt abgegebene Information 104 3.2.2 Operationalisierung: Soziales Gebilde 3.2.2.1 Operationalisierung: Auswahlverfahren 3.2.2.2 Operationalisierung: Beurteilungskriterien 3.2.2.3 Operationalisierung: Ziele der Weiterbildung 3.2.2.4 Operationalisierung: Kommunikation 3.2.2.5 Operationalisierung: Konfliktverhalten 3.2.2.6 Operationalisierung: Soll-Führungsstil
104 105 105 106 107 110 111
3.2.3 Operationalisierung: Zielgerichtetheit
111
3.2.4 Operationalisierung: Strukturiertheit 3.2.4.1 Operationalisierung: Koordination und Koordinationsmechanismen 3.2.4.2 Operationalisierung: Zentralisierung von Entscheidungen 3.2.4.3 Operationalisierung: Programmierung von Entscheidungen . . . 3.2.4.4 Operationalisierung: Formalisierung von Entscheidungen
112 113 114 115 116
Zweiter Teil
Empirische Untersuchung
117
Kapitel I Erhebung der Werthaltungen und der Organisationsstrukturen
117
1. Auswahl der Stichprobe
118
2. Konstruktion der Fragebogen
120
2.1 Leitfaden zum unstrukturierten Interview
120
2.2 Fragebogen mit geschlossenen, vorstrukturierten Fragen zur Werterfassung 124 2.3 Fragebogen zur Organisationserhebung 3. Ablauf der Untersuchung
128 135
3.1 Anschreiben an ausgewählte Firmen
135
Inhaltsverzeichnis
10
3.2 Pretest
138
3.2.1 Anmerkungen zum Ablauf
138
3.2.2 Erfahrungen mit den Erhebungseinheiten
140
3.3 Hauptuntersuchung
141 Kapitel II Auswertung
1. Auswertung der Leitfadeninterviews
142 143
1.1 Inhaltsanalyse der Leitfadeninterviews
143
1.2 Auswertung der Leitfadeninterviews nach formalen Kriterien
150
1.2.1 Erhebung der formalen Kriterien 1.2.1.1 Abstraktionsgrad 1.2.1.2 Bewußtheitsgrad 1.2.1.3 Differenzierungsgrad 1.2.1.4 Integrationsgrad 1.2.1.5 Intensität 1.2.1.6 Klarheit 1.2.1.7 Stabilität 1.2.1.8 Überzeugtheit 1.2.1.9 Universalisierungsgrad
150 151 152 152 153 153 154 154 154 154
1.2.2 Ergebnisse der Auswertung anhand formaler Kriterien
155
1.2.3 Interviews in Einzeldarstellungen 1.2.3.1 Das Leitfadeninterview mit Proband Alpha 1.2.3.2 Das Leitfadeninterview mit Proband Beta
157 157 161
1.3 Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen der inhaltlichen und der formalen Auswertung 166 2. Auswertung der Werterfassungsfragebogen
168
3. Auswertung der Organisationserhebung
170
3.1 Die Umweltoffenheit der Organisationen
170
3.2 Die Organisation als soziales Gebilde
173
3.3 Die Zielgerichtetheit der Organisationen
181
3.4 Die Strukturiertheit der Organisationen
183
4. Zusammenhänge zwischen den Werthaltungen der zentralen Persönlichkeit und den Organisationseigenheiten 189
Inhaltsverzeichnis
11
Dritter Teil
Ausblick
192
Kapitel I Implikationen für Theorie und Praxis
192
1. Implikationen für die Theorie
192
1.1 Interdisziplinarität der Forschung
193
1.2 Qualitative und qantitative Erfassung von komplexen Konstrukten am Beispiel der Werterfassung 193 1.3 Wertewandel im Lichte der Untersuchungsergebnisse
194
1.3.1 Verfall der bürgerlichen Tugenden
194
1.3.2 Wertverschiebung
195
1.3.3 Das 2-Faktoren-Modell
196
1.3.4 Schlußfolgerung
198
1.4 Anmerkungen zur Handlungsrelevanz von Werten
199
1.5 Interviewbereitschaft und Fragebogenakzeptanz
201
1.6 Weitere Forschungsprojekte
202
2. Implikationen für die Praxis
203
2.1 Ethik
203
2.2 Mittelständische Unternehmen im Vergleich mit Großunternehmen unter besonderer Berücksichtigung der Werte 204 2.3 Generationswechsel in personenorientierten Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen 205 2.4 Unternehmensführung in personenorientierten Unternehmen
208
2.4.1 Strategische Planung, Innovation, Diversifikation und Marketing
208
2.4.2 Personalpolitik
209
2.4.3 Führung
209 Kapitel II Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
210 212
Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1 Wert-Einstellungs-Verhalten-Schema nach Stengel
37
Abbildung 2 Das Wert-Einstellungs-Interaktionsmodell
44
Abbildung 3 Formelle vs. informelle Organisationsstruktur
89
Abbildung 4 Entscheidungskategorien und ihre Merkmalsausprägungen
96
Abbildung 5 Struktur der Stichprobe
120
Abbildung 6 Der Leitfaden zum Werterfassungsinterview
122
Abbildung 7 Fragebogen mit geschlossenen Fragen zur Werterfassung
124
Abbildung 8 Ergebnisse der inhaltlichen Auswertung des Leitfadeninterviews
.. 151
Abbildung 9 Profil des Werthaltungssystems anhand formaler Kriterien
155
Abbildung 10 Durchschnittliches Werthaltungsprofil der 10 Probanden der Hauptuntersuchung anhand formaler Kriterien 156 Abbildung 11 Werthaltungsprofil von Proband Alpha
161
Abbildung 12 Werthaltungsprofil des Probanden Beta
165
Abbildung 13 Erhebung zur Umweltoffenheit der Organisationen
171
Abbildung 14 Erhebung zur Organisation als soziales Gebilde
174
Abbildung 15 Erhebung zur Strukturiertheit von Organisationen
183
Abbildung 16 Operative, administrative und strategische Entscheidungselemente 185 Abbildung 17 Zusammenhänge zwischen den Werthaltungen der zentralen Persönlichkeit und den Organisationseigenheiten 186 Abbildung 18 Motiv-Pyramide nach Mas low
195
Abbildung 19 Werttypen nach Klages
197
Abbildung 20 Probanden der vorliegenden Untersuchung im Werttypenschema nach Klages Abbildung 21 Das Black-Box-Problem der Werthaltungstransmission Abbildung 22 Nachfolgemöglichkeiten im personenorientierten Unternehmen
197 200 .. 206
Einleitung Die Diskussion des Einflusses sogenannter „soft-facts" auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen ist seit dem Erscheinen des Bestsellers „ I n Search of Excellence" von Peters I Waterman (1983) nicht mehr verstummt. Offensichtlich ist hier ein Thema angesprochen worden, daß seit längerem „ i n der Luft" lag. Zahlreiche Veröffentlichungen belegen das Interesse der Wissenschaft einerseits und der Praxis andererseits an der Thematik. Nicht zuletzt die fast ausschließliche Hinwendung der Wirtschaftswissenschaften zu direkt in Zahlen ausdrückbaren Phänomenen hat den Nachholbedarf so groß werden lassen. 1. Relevanz der Fragestellung Das Gebiet der sogenannnten „soft-facts", der nicht direkt meßbaren Einflußfaktoren, die auf das wirtschaftliche Geschehen einwirken, ist außerordentlich komplex. Ein Teilgebiet stellt die Wertewandeldiskussion dar. Ausgehend von dem 1977 erschienen Buch von Inglehart „The silent revolution" wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, den Wandel von Werthaltungen und ihren Einfluß, ζ. B. auf die Karrieremotivation von Nachwuchskräften, die Identifikation von Führungskräften mit ihrem Unternehmen oder das zukünftige Kaufverhalten zu erforschen (vgl. u.a. v. Rosenstiel/ Stengel 1987, sowie v. Rosenstiel ! Einsiedler I Streich 1987). Ein anderes Teilgebiet kann unter dem Stichwort „Unternehmenskultur" zusammengefaßt werden. Obwohl eine einheitliche Definition des Begriffes noch aussteht, ist unbestritten, daß eines der die Unternehmens- oder Organisationskultur konstituierenden Merkmale die in der Organisation verankerten Werte sind. Ziel dieser Arbeit nun ist es, den Einfluß von Werten auf die Organisation zu untersuchen. Auch wenn dieser Einfluß nicht direkt quantifizierbar sein wird, so kann eine Untersuchung desselben doch als die Grundlage weiterer Überlegungen dienen. So ist zum Beispiel die Frage nach der beliebigen Steuerbarkeit und somit der Gestaltbarkeit der Unternehmenskultur nur aufgrund der Kenntnis des Einflusses von Werten auf die Organisation zu beantworten. Andererseits bildet die Kenntnis der im Unternehmen verankerten Werte, falls diese einen Einfluß auf die Organisation haben, eine notwendige Voraussetzung bei der Einführung neuer Instrumentarien oder auch neuer Strategien. Kollidieren ζ. B. Strategie und die im Unternehmen verankerten Werte, so ist die Durchsetzung der Strategie gefährdet. Die wechselseitige Abhängigkeit von im Unternehmen verankerten Werten einerseits und der organisatorischen Gestaltung des Unternehmens andererseits
14
Einleitung
ist allein schon deshalb ein brisantes Thema, da bei Nichtbeachtung dieses Zusammenhanges auch die wirtschaftlichen Konsequenzen erheblich sein können. 2. Wissenschaftstheoretische Überlegungen Fast ebenso alt wie die modernen Wirtschaftswissenschaften ist der Streit um die Wertfreiheit. Darf oder soll die wirtschaftswissenschaftliche Forschung normativ Stellung nehmen und Ratschläge erteilen? Darf oder soll sie werten? Kann sie überhaupt „nicht werten"? In dem 1872 von Nationalökonomen gegründeten „Verein für Socialpolitik" kam es 1909 im Zuge eines Generationswechsels zu einer Auseinandersetzung, die unter der Bezeichnung „Werturteilsstreit" bekannt wurde (Scholl-Schaaf, 1975, S. 4f). Schneider (1981, S. 132) sieht in diesem Werturteilsstreit die Ursache für das Abspalten der Soziologie und der Betriebswirtschaftslehre von der Nationalökonomie. Auch wenn diese monokausale Erklärung zu einfach erscheint, kann doch nicht geleugnet werden, daß die Diskussion um die Ziele der Wirtschaftswissenschaften und somit auch um ihren deskriptiven oder normativen Charakter die wirtschaftswissenschaftliche Forschung und auch die Art, wie die Ergebnisse dieser Forschung umgesetzt wurden, entscheidend mitgeprägt hat. Ohne auf die wissenschaftliche Diskussion der Frage näher einzugehen, muß doch an dieser Stelle die Frage gestellt werden, inwieweit eine Arbeit, die sich mit Werten befaßt, selber wertfrei sein kann. Anders gefragt: Ist es für den Forscher möglich, dem Teufelskreis zu entrinnen, der darin besteht, daß er das in der Arbeit in Frage gestellte implizit seiner Arbeit zugrundelegt? Bei näherer Betrachtung drängt sich die Frage auf, ob Wertfreiheit der Forschung, ja Wertfreiheit menschlichen Handelns überhaupt denkbar ist. Hierbei wird unter Wertfreiheit zumeist zweierlei subsumiert: Zum einen die Wertfreiheit im Sinne Webers, nämlich die Werturteilsfreiheit, und zum anderen die Wertfreiheit im Sinne der Unabhängigkeit von einem bestimmten optimalen, der Forschung zugrundeliegenden Weltbild. Werte als Element wissenschaftlicher Arbeit treten in verschiedenen Zusammenhängen auf. In Anlehnung an Riklin (1986) sollen hier drei Kategorien unterschieden werden: — Werte als Voraussetzung sozialwissenschaftlicher Forschung — Werte als Inhalt sozialwissenschaftlicher Forschung — Werte als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung Die unter der Kategorie „Werte als Voraussetzung sozialwissenschaftlicher Forschung" subsummierten Werturteile des Forschers bezeichnet Riklin (1986) als „unvermeidbare Werturteile". Schon in der Wahl der Thematik, in der Hinwendung zu einem Objekt und der Vernachlässigung anderer liege ein
Einleitung
unvermeidbares Werturteil; unvermeidbar insofern, als daß auch das NichtEntscheiden, Nicht-Handeln, Nicht-Forschen ein Werturteil darstelle. Werte, die als Voraussetzung in die Forschung eingehen, sind nicht auszuschalten, sie sind im Idealfall dem Forscher bewußt und relativieren somit das Ergebnis. Es ist das Wesen von Werten, wie sie in Kapitel 1.1. definiert werden, daß sie im- oder explizit das Verhalten des Einzelnen beeinflussen, indem sie u. a. auf seine Wahrnehmung selektierenden Einfluß ausüben, die Bewertung des Wahrgenommenen beeinflussen und v.a.m.. Ein weiteres Merkmal von Werten ist, daß sie gesellschaftlich vermittelt sind. Da kaum ein Mensch, auch nicht ein um Objektivität bemühter Forscher, wie Robinson auf der Insel groß wurde, kann es eine Wertfreiheit der Forschung im Sinne des Nicht-Einbringens eigener Wertmaßstäbe und Zielwerte des Forschers nur begrenzt geben. M i t der Kategorie „Werte als Inhalt sozialwissenschaftlicher Forschung" sind jene Werturteile gemeint, die nicht als Voraussetzung in die Forschung eingehen, also Input sind, sondern als Empfehlung ein Ergebnis dieser Forschung sind, also ihr Output. Einem derart gestalteten Werturteil habe sich, so Weber, ein Forscher zu enthalten. Er könne Zusammenhänge aufzeigen im Sinne von Wenn-DannBeziehungen, keinesfalls jedoch dürfe er in den Fehler verfallen, Gestaltungsempfehlungen zu geben. Daß Weber selber dieser Forderung nicht immer gerecht wurde, erhärtet die These Aldrup's. Aldrup drückt dies in seiner Abhandlung zum Werturteilsstreit folgendermassen aus: „.. .die Einhaltung von Webers Forderung (hat) bis auf den Tag noch jeden Forscher und Lehrer intellektuell und sittlich hoffnungslos überfordert..." {Aldrup, 1980). Das völlige Ausschalten eigener Wertorientierungen bei gleichzeitigem inneren Engagement für das Thema darf als unrealistisch gelten. Vielmehr kann hier nur eine Annäherung an eine zu erzielende Wertfreiheit derart erreicht werden, daß zugrundegelegte Werte sogleich in Frage gestellt und dadurch dem Forscher wie auch dem Leser zu Bewußtsein gebracht werden. Werturteile, die im Sinne von Gestaltungsempfehlungen des Forschers ausgesprochen werden, sind als persönliche Wertung des Forscher kenntlich zu machen und nicht als Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit darzustellen. Dieses Vorgehen erhöht nur in Grenzen die Objektivität; es verdeutlicht vielmehr die Subjektivität und verhindert so u. U. die irreführende Meinung, es handele sich um wertfreie Forschung. Die letzte Kategorie „Werte als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung" ist in Bezug auf die Werturteilsfrage unproblematisch. Werte sind hier nicht In- oder Output, sondern Gegenstand der Forschung. Allerdings hat die Diskussion um die Werturteilsfreiheit die Beschäftigung der Wissenschaft mit Werten als Gegenstand der Forschung lange Zeit zumindest
Einleitung
16
gebremst. Erst in den letzten Jahren werden vermehrt Stimmen laut, die vor allem die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Konzept „Wert" fordern, zum einen begründet durch die zentrale Bedeutung der Werte als unvermeidbare Voraussetzung jeglicher Forschung, zum anderen angeregt durch den interdisziplinären Charakter des Konzeptes. Dieser interdisziplinäre Charakter macht das Wertkonzept nach Meinung der Verfechter dieses Standpunktes zu einem idealen Integrationskonzept für Ansätze verschiedener Disziplinen. 3. Aufbau der Arbeit U m den Einfluß von Werten auf Organisationen und somit auch ihre Bedeutung von Werten für die Wirtschaftswissenschaften und für die Wirtschaftspraxis diskutieren zu können, muß man sich zunächst einmal darüber klar werden, was mit Werten eigentlich gemeint ist. Der Begriff „Wert" ist ein in der Umgangssprache häufig benutzter Begriff, was seine Anwendung im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit zunächst erschwert. Mit dem Begriff „Wert" assoziiert fast jede Person etwas, allerdings variiert die Assoziation von Person zu Person. Zudem kommt der Begriff in den verschiedensten Kombinationen und Zusammenhängen in unserer Sprache vor, wobei die Bedeutung jeweils vom Kontext relativiert wird. Man braucht hier nur an Ausdrücke wie wertvoll, Neu- und Gebrauchtwert, preiswert, Bewertung, Wertvorstellung u. ä. zu denken. Begriffe, die derart vielfaltig sind, unterliegen der Gefahr, Sammelbegriffe für die unterschiedlichsten Sachverhalte zu werden. Scholl-Schaaf (1975, S. 4f.) weist daraufhin, daß erschwerend der unpräzise Gebrauch solcher Begriffe durch Werbung und Politik hinzukommt, die diese Unschärfe ζ. T. bewußt ausnutzen, um große Gruppen mit verschiedenen Weltbildern mit Hilfe ein und desselben Begriffs anzusprechen. Die mangelnde Präzisierung verleitet die Angesprochenen dazu, den Begriff entsprechend ihrem eigenen Weltbild zu interpretieren. Aber nicht nur in der Umgangssprache wird der Begriff „Wert" auf sehr vielfaltige Weise verwendet, auch in der Wissenschaft ist er keineswegs eindeutig definiert. Da es sich bei dem Begriff „Wert" nicht um einen Begriff handelt, der einer einzigen Wissenschaftsdisziplin zuordenbar ist, sondern der vielmehr von seinem Charakter her interdisziplinär ist, haben verschiedene Wissenschaftsdisziplinen mit dem Begriff gearbeitet und ihn zu diesem Zweck (mehr oder weniger präzise) definiert 1 . 1
Scholl-Schaaf vermittelt einen Überblick über die Entwicklung und Applikation des Wertkonzepts in den Disziplinen Philosophie, Ökonomie, Soziologie und Psychologie
(,Scholl-Schaaf
1975).
Einleitung
In Kapitel 1 dieser Arbeit soll zunächst der Begriff „Wert" definiert und von verwandten Konzepten wie dem des Ziels und der Einstellung abgegrenzt werden. Hierbei soll versucht werden, eine Definition zu finden, die interdisziplinär anwendbar ist und somit dem Charakter des Wertbegriffs gerecht wird und die es ermöglicht, Forschungsergebnisse aus Nachbardisziplinen der Wirtschaftswissenschaften, wie etwa der Soziologie und der Psychologie, heranzuziehen. Die Bedeutung von Werten für die Wirtschaftswissenschaften und die Wirtschaftspraxis hängt zu einem entscheidenden Teil von der unmittelbaren und mittelbaren Handlungsrelevanz des Konzepts ab. Wenn Werte handlungsrelevant sind, so nehmen sie auch Einfluß auf gestalterische Handlungen, mittels derer Organisationen entstehen und sich weiterentwickeln. Die Wirtschaftswissenschaft versucht, die wirtschaftliche Realität mit Hilfe von Real- und Modelltheorie zu beschreiben, zu analysieren, zu prognostizieren und ζ. T. auch zu gestalten2. Diese wirtschaftliche Realität wird, wie überall, wo Menschen miteinander umgehen, durch die Handlungen der Beteiligten entscheidend geprägt. Falls Werte handlungsrelevant sind, ist ihre Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaften nicht zu leugnen3. Die Handlungsrelevanz von Werten determiniert ihre Bedeutung innerhalb eines wirtschaftspolitischen Systems. Es erscheint jedoch zudem plausibel, daß Werte grundlegend die Gestaltung gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und kultureller Systeme beeinflussen. Menschen gestalten diese Systeme. Sie bringen ihre Werthaltungen in den Gestaltungsprozess ein. Sie versuchen, Systeme ihren Werthaltungen anzupassen. Da komplexe Systeme, wie die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlicher und kulturellen Systeme unserer Zeit, sich nicht in kurzen Zeiträumen ändern lassen, wirken einmal im System verankerte Werte über einen relativ langen Zeitraum. In diesen Systemen kommen also Werte, die im System verankert wurden, wenn auch oft nur implizit, zum Tragen. Diese Systeme wurden geschaffen von Menschen, die bestimmte Werte hatten, und die versucht haben, Rahmenbedingungen zu schaffen, die mit ihrem Wertsystem in Übereinstimmung standen. Dies war sicherlich oft ein unbewußter Vorgang, der zudem von großer Komplexität aufgrund der hohen Vernetztheit der Systeme und Akteure 2
Inwieweit die Wirtschaftswissenschaft gestaltend eingreifen soll bzw. darf, ist ein Streitpunkt im Rahmen des Werturteilsstreits (siehe hierzu: „Werte als Inhalt sozialwissenschaftlicher Forschung"). Er soll an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden. 3 Hier wird der o.g. Teufelskreis sichtbar. Wenn Werte handlungsrelevant sind, und dies soll in der vorliegenden Arbeit überprüft werden, so sind sie auch relevant für das Handeln des Forschers. Die Wertfreiheit der Forschung würde bei einer Bestätigung der Hypothese also in Zweifel zu ziehen sein. 2 Klein
18
Einleitung
untereinander gekennzeichnet war, und der zudem noch ein dynamischer Vorgang ist, trotzdem läßt sich hier der Einfluß von Werten kaum leugnen. Der Nachweis dieses Einflusses allerdings ist aufgrund der oben angesprochenen Komplexität schwer. U m nachzuweisen, daß die Werte von Menschen die Art und Weise, wie diese Menschen Systeme gestalten, beeinflussen, ist nur möglich, wenn man Systeme als Untersuchungseinheiten heranzieht, die von einer einzigen Person stark geprägt wurden. Hier bieten sich Unternehmen an, die während einer längeren Zeitspanne von einer Persönlichkeit an der Spitze des Unternehmens geführt wurden, da bei einem Team die Zurechenbarkeit der Gestaltungselemente kaum möglich zu sein scheint. Erfaßt man nun einerseits die Werthaltung von der das Unternehmen leitenden zentralen Persönlichkeit und erhebt andererseits Daten im Unternehmen über Sachverhalte, von denen angenommen werden kann, daß sie von den im Unternehmen verankerten Werten geprägt sind, ergibt sich die Möglichkeit, eine Beziehung zwischen den beiden Konstrukten herzustellen. Wird dies in mehreren Unternehmen gemacht, so kann man den Einfluß unterschiedlicher Werthaltungen zentrale Persönlichkeiten auf die Gestaltung von Systemen erfassen. U m die Grundlage für eine derartige Untersuchung zu schaffen, müssen zunächst Indikatoren herausgefiltert werden, mit deren Hilfe verschiedene Organisationen vergleichbar gemacht werden können. Diese müssen dann wiederum auf ihre Wertgeladenheit, also ihre Beeinflußbarkeit von im Unternehmen verankerten Werten, untersucht werden. Die Indikatoren, die herausgefiltert worden sind, werden im Anschluß operationalisiert. Dies soll in Kapitel I I der Arbeit geschehen. Auf der Grundlage der in Kapitel I und I I erarbeiteten theoretischen Grundlagen soll dann im zweiten Teil der Arbeit im Rahmen einer empirischen Studie die Hypothese, nämlich daß Werte Einfluß auf Organisationen nehmen, überprüft werden. Hierzu werden zunächst die Werthaltungen zentraler Persönlichkeiten, die seit mehr als zehn Jahren ein Unternehmen alleinverantwortlich leiten, erfaßt. Die Erfassung von Werten und Werthaltungen und die damit verbundenen Fragestellungen wurden bereits in Teil 1 der Arbeit theoretisch aufgearbeitet. I m zweiten Teil der Arbeit werden daher die Erhebungsinstrumente dargestellt, ohne nochmals auf die theoretische Fundierung einzugehen. Da die Erfassung von Werten ein ausgesprochen problematisches Unterfangen darstellt, wird dies in zwei Schritten getan, und zwar im Rahmen eines Leitfadeninterviews und eines standardisierten Fragebogens. Beide Instrumente werden in Kapitel I dargestellt. U m den Einfluß der Werthaltungen auf die Organisationen nachweisen zu können, müssen neben den Werthaltungen auch die Organisationen erfaßt werden. Nachdem die Kriterien, mit deren Hilfe die Organisationen erfaßt
Einleitung
werden sollen, in Teil 1 dieser Arbeit theoriegeleitet entwickelt worden sind, wird in Teil 2 das Erhebungsinstrumentarium vorgestellt. Eine so komplexe Untersuchung ist aus Zeit- und Kostengründen nur bei einer begrenzten Anzahl von Unternehmen durchführbar. Da die Arbeit explorativen Charakter hat und in erster Linie der Hypothesengenerierung dient, wird aus diesen, aber auch aus wissenschaftstheoretischen und themengebundenen Gründen für eine qualitative Arbeit plädiert. Dadurch kommt der Auswahl der Stichprobe eine besonders große Bedeutung zu. A u f diese Problematik wird in Kapitel 1.1. eingegangen. Nachdem Stichprobe, Instrumentarium und Ablauf der Untersuchung dargestellt wurden, wird in Kapitel I I auf die Auswertung der Daten eingegangen. Zunächst werden die Daten dargestellt, um dann in den der Arbeit zugrundeliegenden Zusammenhang eingeordnet zu werden. Über diesen Zusammenhang hinaus ergeben sich aus den Untersuchungsergebnissen jedoch weitere Anregungen für die theoretische und praktische Arbeit. Diese sollen in einem abschließenden dritten Teil kurz dargestellt werden.
Erster Teil
Theoretische Grundlagen Kapitel I
Konzept Wert 1. Definition und Abgrenzung des Begriffs „Wert" 1.1 Definition des Begriffs „Wert" Aufgrund der schon in der Einleitung angedeuteten Problematik sind die Definitionen des Begriffs „Wert" ebenso umfang- wie facettenreich. U m zu einer Arbeitsdefinition, die hier zugrundegelegt werden kann, zu gelangen, erscheint es sinnvoll, sich zunächst einen Überblick zu verschaffen über die im Rahmen früherer Arbeiten verwendeten Wertdefinitionen. Im Anschluß an diesen Überblick und die Arbeitsdefinition soll der Wertbegriff gegen einige ihm verwandte, in der Umgangssprache häufiger vorkommende Begriffe wie denen der Wertung und der Werthaltung abgegrenzt werden. 1.1.1 Wertdefinitionen
— Übersicht
Da es sich bei dem Wertbegriff um einen nicht eindeutig einer Disziplin zuordnenbaren Begriff handelt, haben sich Autoren aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen und aus verschiedenen Blickwinkeln dem Wertbegriff genähert. Faßt man die wichtigsten Definitionen zusammen und untersucht sie auf Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede, ergibt sich folgendes Bild; man kann die Definitionen des Wertbegriffs in drei grobe, nicht in allen Fällen überschneidungsfreie Kategorien einteilen (*Scholl-Schaaf, 1975, S. 49). — Der Wert als Gut — Der Wert als Maßstab — Der Wert als Ziel Der Wert als Gut meint hier, daß einem Objekt direkt ein Wert anhaftet, so daß Objekt und Gut identisch werden. Sätze wie, „Das ist mir die Sache wert." oder „Die Sache hat einen großen Wert." verdeutlichen, was hier gemeint ist. Der Wert eines Objekts wird im täglichen Leben oft gleichgesetzt mit dem Preis des Objektes. Worte wie „preiswert", „sein Geld wert sein" u. ä. sprechen eine beredte Sprache. Preis und Wert sind jedoch keinenfalls redundante
Kap. I: Konzept Wert
21
Begriffe. Wilde sagte hierzu: „ M a n kann den Preis von allem, aber den Wert von nichts kennen." Die Kategorie „Der Wert als Gut" impliziert zudem, daß es, zumindest theoretisch, ebenso viel Werte wie Objekte geben kann, da der Wert einem Objekt anhaftet. Hier wird deutlich, daß es sich bei dieser Kategorie um objektzentrierte und nicht um subjektzentrierte Wertbegriffe handelt. SchollSchaaf{1975) sieht hierin den Grund, warum die fachwissenschaftliche Nutzung dieses Wertbegriffes im Rahmen der Nationalökonomie, die von einem Gut und mehreren Gütern spricht, scheitern mußte. Aber auch in anderen Fachdisziplinen wurde der Versuch unternommen, sich den Wert als Gut nutzbar zu machen. So versucht der Psychologe Köhler (1959) über sogenannte „Tertiärqualitäten", die er Objekten zuschreibt und die Wertcharakter haben, der Erfahrung Rechnung zu tragen, daß man im täglichen Leben bestimmten Objekten und Personen Werte zuschreibt. Hier ist jedoch der Charakter des Wertes nicht ausschließlich objektspezifisch, sondern er geht vom Subjekt, dem Wertenden aus, und unterliegt somit einer Dynamik. In der Soziologie wurde der Versuch unternommen, Werte vollkommen unabhängig vom Subjekt zu definieren. Sie sind damit für den einzelnen sinnlich nicht mehr erfaßbar, was ihrem fordernden Charakter noch zusätzlich Gewicht verleiht. Rein subjekt- bzw. rein objektzentrierte Wertbegriffe erweisen sich in dem Moment als problematisch, in dem man versucht, mit ihnen die Entstehung und den Wandel von gesellschaftlichen und kulturellen Werten zu beschreiben. Dies kann nur geschehen auf der Ebene des Einzelnen, muß aber dann aggregiert werden, um überhaupt die Ebene eines kulturellen Wertes 4 zu erreichen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich der objektivistische Standpunkt, der hinter Wertdefinitionen dieser Kategorie steckt, nicht halten läßt. Die Kategorie „Der Wert als Maßstab" stellt die subjektivistische Gegenposition zu der oben dargestellten objektivistischen dar. Hier ist gemeint, was Kmieciak in seiner Definition darlegt. Demnach ist ein Wert „ein kulturell und sozial determiniertes (und geltendes) dynamisches, ich-zentrales, selbstkonstitutives Ordnungskonzept als Orientierungsleitlinie, die den System-Input einer Person (Wahrnehmung) selektiv organisiert und akzentuiert, sowie ihren Output (Verhalten) reguliert, mithin eine ich-dirigierende, aktive Planung und Ausrichtung des Verhaltens über verschiedene Situationen hinweg ermöglicht." CKmieciak, 1976) Diese Definition enthält verschiedene Elemente, die helfen, sich dem Begriff Wert zu nähern. 4
Wie in Kapitel 1.1.2 dieser Arbeit zu zeigen sein wird, muß man unterscheiden zwischen Werten, die Konstrukte auf gesellschaftlichem Niveau beschreiben, und Werthaltungen, die die internalisierte Form von Werten darstellen.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
— Ein Wert ist kulturell und sozial determiniert, d.h. ein Wert wird nicht angeboren, sondern im Laufe der Sozialisation erworben. — Ein Wert hat Orientierungscharakter. — Ein Wert selektiert die Wahrnehmung und beeinflußt Verhalten, d. h. auch wenn man Werte als hypothetische Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau definiert, so haben sie doch Einfluß auf die menschliche Wahrnehmung und das menschliche Verhalten. A u f die Schwierigkeit bei der Erfassung von Werten wird in Kapitel II.2.1. noch eingegangen werden. Es sei jedoch an dieser Stelle schon darauf hingewiesen, daß es sich bei Werten um Variable mit indirektem empirischen Bezug handelt. Ihre Operationalisierung erfolgt vielfach über die in der Definition von Kmieciak erwähnten Indikatoren Wahrnehmung und Verhalten 5 . Der letzten Kategorie „Der Wert als Ziel" kommt eine Zwischenstellung zwischen den ersten beiden Kategorien zu (Vaasen, 1984). Die Problematik dieser Kategorie läßt sich mit Hilfe der kognitiven Motivationstheorie von Vroom (1964) aufzeigen. Vroom will mit Hilfe dieser Theorie Entscheidungen für die Wahl von Handlungsalternativen vorhersagen. Er unterscheidet hierbei vier Komponenten des Motivationsgeschehens, wovon eine zweierlei Bedeutung hat. (1) Valenz 1: Bevorzugung bestimmter Objekte oder Handlungen, die als geeignet angesehen werden, präferierte Endzustände = Ziele (Valenz 2) herbeizuführen. (2) Valenz 2: Bevorzugung bestimmter Endziele. (3) Instrumentalität: als wahrgenommene Kontingenz zwischen einem mit einer Handlung erreichten Handlungsausgang und einem bestimmten Endziel im Sinne der Valenz 2. die subjektive Wahrscheinlichkeit, einen konkreten (4) Erwartung: Handlungsausgang herbeiführen zu können, (5) Kraft: das Anstrengungsniveau, das gewählt wird, um einen Handlungsausgang herbeizuführen (v. Rosenstiel, 1980, S. 283). Die Auseinandersetzung, die sich mit Hilfe von Vroom illustrieren läßt, geht darum, ob ein Wert, den man als Ziel versteht, nur ein Endziel im Sinne der Valenz 2 ist, oder ob auch die Bevorzugung bestimmter Objekte oder Handlungen im Sinne der Valenz 1 als Wert zu verstehen sind. Für eine Einbeziehung der Valenz 1 plädiert Rokeach (1973), indem er unterscheidet zwischen Terminalwerten (terminal values) und Instrumentalwerten (instrumental values). Unter Terminalwerten subsumiert Rokeach verschie5
Dies hat zu dem Vorwurf der Tautologie geführt. „Verhaltensänderungen werden durch Wertwandel erklärt, und wenn man nach Beweisen fur den Wertwandel fragt, wird auf Verhaltensänderungen verwiesen." (.Bolte, 1986, S. 15).
Kap. I: Konzept Wert
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dene erstebenswerte Endzustände wie ζ. B. Gleichheit, Freiheit, reife Liebe, eine Welt in Frieden, wahre Freundschaft, ein Leben in Wohlstand, ein aufregendes Leben oder Weisheit. Den Terminalwerten sind die Instrumentalwerte untergeordnet. Sie sind, ganz im Sinne der Vroom'schen Valenz 1, Zwischenziele, Mittel, um den angestrebten Endzustand zu erreichen. Unter der Kategorie der Instrumentalwerte finden sich Eigenschaften wie ehrgeizig, kompetent, mutig, gradlinig, kreativ, verantwortungsbewußt, diszipliniert u.v.a.m. 6 Die Instrumentalwerte beschreiben also die Randbedingungen. Hat ein Mensch bestimmte Instrumentalwerte, so sagt dies etwas darüber aus, wie er ein Ziel erreichen will. Allerdings sagt es nichts darüber aus, welches Ziel das ist. Instrumentalwerte beschreiben bei Rokeach also das Wie, Terminalwerte das Was. Allport hat in diesem Zusammenhang schon 1937 auf die hier auftretende funktionelle Autonomie hingewiesen {Allport, 1937). Unter funktioneller Autonomie versteht Allport den Mechanismus, daß ein ursprünglich nur zur Verwirklichung eines anderen Zieles angestrebtes Zwischenziel sich verselbständigt und somit von der ursprünglichen Funktion unabhängig wird. Hier wäre ζ. B. denkbar, daß für einen Menschen, der Geld verdienen will, um sich ein Haus kaufen zu können, zu dem Zeitpunkt, wo er das Haus kaufen kann und tatsächlich auch kauft, das Geldverdienen, das einst nur Mittel zum Zweck war, längst zum eigenständigen Motiv geworden ist. Geldverdienen hat also in diesem Beispiel funktionelle Autonomie erlangt. Diese Überlegung ist insofern wichtig, als daß sie auf eine Problematik bei Trennung von Instrumental- und Terminalwerten, bzw. von Ziel- und Maßstabswerten im Sinne der Über- und Unterordnung hinweist. Nicht nur bei verschiedenen Personen kann die Zuordnung differieren, sondern auch bei einer Person kann sie sich im Zeitablauf verschieben. Was zunächst für eine Person Maßstabscharakter hatte, also Randbedingung war, kann sich verselbständigen und Zielcharakter annehmen. Es wird im Rahmen dieser Arbeit deshalb dafür plädiert, unter Beibehaltung der Trennung in Maßstabs- und Zielwerte auf eine hierarchische Ordnung dieser beiden Wertkategorien zu verzichten. Auch die klassische Definition von Kluckhohn (1962, S. 395) „Wert ist eine explizite oder implizite Konzeption vom Wünschenswerten, welche die Auswahl unter verfügbaren Handlungs-Arten, -Mitteln und -Zielen beeinflußt." bezieht das Wie mit in die Wertdefinition ein. Die Konzeption vom Wünschenswerten kann hier ebenso den Endzustand wie auch den Weg dorthin betreffen.
6 A u f den Ansatz von Rokeach wird im Zusammenhang mit der Messung von Werten noch zurückzukommen sein.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Gegen eine Einbeziehung der Instumentalwerte im Sinne der Valenz 1 in den Wertbegriff wendet sich Bolte (1986). Er unterscheidet verschiedene Stufen, Basiswerte und darauf aufbauend Einstellungen und Verhalten, wobei er darauf hinweist, daß auch innerhalb der Gruppen eine Hierarchie besteht. Für ihn zählen jedoch nur die allem übergeordneten Basiswerte zu der Kategorie der Werte. Dieser kurze Überblick über die Wertdefinitionen soll an dieser Stelle genügen. Es scheint im ersten Moment, daß wir es hier mit „Wortklauberei" zu tun haben. Da jedoch die Begriffsdefinition für den Fortgang der Untersuchung von grundlegender Bedeutung ist, ist es unausweichlich, hier einen Konsens im Sinne einer praktikablen Arbeitsdefinition herbeizuführen. 1.1.2 Arbeitsdefinition Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Werte zum einen Zielcharakter, zum anderen Maßstabscharakter annehmen können. Problematisch hierbei ist, daß ein Wert, der für eine Person Zielcharakter hat, für eine andere Maßstabscharakter haben kann. Im folgenden soll von Zielwerten einerseits und von Maßstabswerten andererseits gesprochen werden. Bezieht sich die Terminologie auf eine bestimmte Person, so ist die Grundlage der Entscheidung, ob es sich um einen Zieloder einen Maßstabswert handelt, das subjektive Empfinden der Person selbst. Hier wird die Schwierigkeit deutlich, die Erfassung von Werten in Bezug auf die Ebenen deutlich zu trennen. Es handelt sich hier um das Problem der Trennung von Werten und Werthaltungen. Während Werte gesellschaftlich vermittelte Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau sind, sprechen wir von Werthaltungen dann, wenn es sich um die Haltung einer bestimmten Person zu einem in einer Gesellschaft verankerten Wert handelt. Daraus folgt, daß sich gesellschaftliche Systeme u. a. beschreiben lassen durch die in ihnen verankerten Werte; Individuen, die Mitglied einer Gesellschaft sind, mittels der von ihnen vertretenen Haltungen bezüglich dieser Werte, also ihrer Werthaltungen. Für die hier vorliegende Arbeit ist diese Unterscheidung von entscheidender Bedeutung, wobei schon an dieser Stelle auf die Probleme bei der Operationalisierung hingewiesen werden muß. Die gegenseitige Beeinflussung von Werten und Werthaltungen ist eines der zentralen Themen dieser Arbeit. Der Einzelne bildet Werthaltungen gegenüber den Werten aus, die das System, in dem er aufwächst, prägen. Aufgrund dieser Werthaltungen nimmt er Einfluß auf Subsysteme, in denen er seine Werthaltungen versucht zu verankern. Tritt in dieses von einer Person geprägtes Subsystem mit seinen charakteristischen Werten nun ein aufgrund seiner anderen Sozialisation anders geprägtes Individuum ein, kann es zum Bruch von im System verankerten Werten und den Werthaltungen des Neuankömmlings kommen.
Kap. I: Konzept Wert
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Dies wird in Bezug auf die Werthaltungen von zentralen Persönlichkeiten und deren Verankerung im Subsystem Unternehmen in Form von Werten, die u. a. die Corporate Culture definieren, hinterfragt werden. A n dieser Stelle sei vorerst festgehalten: Werte sind Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau, die in einer Gesellschaft verankert sind und den Mitgliedern derselben vermittelt werden. Unter Werthaltungen wollen wir im folgenden die Haltung des Individuums zu den gesellschaftlich vermittelten Werten subsumieren. Hat der Schwerpunkt bisher auf der Frage gelegen: „Was ist ein Wert?", so wollen wir im folgenden fragen: „Welche Kriterien muß etwas erfüllen, um als Wert gelten zu können?" Eine Negativabgrenzung mit Hilfe eines Kriterienkatalogs hat den Vorteil, daß sie bei Wahrung größtmöglicher Präzision über ein sehr viel größeres Maß an Flexibilität verfügt als eine Definition auf Basis von positiver Eingrenzung des Begriffs. Diese Flexibilität ermöglicht es, daß Fragestellungen aus verschiedenen Fachrichtungen von Personen mit den unterschiedlichsten Hintergründen auf „einen Nenner" gebracht werden können, ohne daß man dazu die Begriffsdefinition so weit fassen muß, daß sie unpräzise wird. Im folgenden soll mit einer Definition gearbeitet werden, die 9 Kriterien für einen Wert festlegt. Diese 9 Kriterien haben sich ergeben aus einem Prozeß, dessen Ziel es war, verschiedene Kriterien so abstrakt zu fassen, daß sie einen möglichst kleinen Kriterienkatalog ergaben, ohne dabei wichtige inhaltliche Differenzierungen aufzugeben 7. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)
Werte sind Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau. Werte liegen an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Werte sind gesellschaftlich vermittelt. Werte haben Orientierungscharakter. Werte haben Einfluß auf menschliche Wahrnehmung und menschliches Verhalten. Werte sind objektunspezifisch. Werte sind situationsübergreifend. Werte sind zeitlich relativ stabil. Werte implizieren aufgrund ihrer Generalität und Zentralität innerhalb des mentalen Systems eine hohe emotionale Beteiligung, (vgl. v. Rosenstiel, 1984; Kmieciak, 1976; Rosenkind, 1981, S. 32; Stengel , 1986, S. 24; Vaasen, 1984, S. 99)
Diese 9 Kriterien erlauben es, Begriffe dahingehend zu prüfen, ob sie als Wert gelten können. Zudem erlauben sie eine Abgrenzung zu verwandten Begriffen. Auf die Abgrenzung zwischen Wert und Einstellung wird weiter unten noch eingegangen. 7 Evtl. lassen sich noch weitere Kriterien finden, bzw. hier genannte Kriterien weiter ausdifferenzieren. Andererseits lassen sich einige Kriterien u.U. auch zusammenfassen. Auf eine weitere Diskussion dieser Thematik soll jedoch an dieser Stelle verzichtet werden.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
ad 1) Mittels des Abstraktionsniveaus ist eine Abgrenzung von Werten zu Einstellungen möglich. Einstellungen sind Konstrukte mittleren Abstraktionsniveaus, so daß hier ein Unterscheidungskriterium gegeben ist. ad 2) Werte liegen im Gegensatz z.B. von Normen an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Zwar sind Werte ebenso wie Normen Orientierungsleitlinien für den Einzelnen. Während der Einzelne jedoch zu gesellschaftlich vermittelten Werten individuelle Werthaltungen ausprägt und sie somit internalisiert, handelt es sich bei Normen um extrinsische Orientierungsleitlinien. ad 3) Werte sind gesellschaftlich vermittelt. Sie sind also im Gegensatz zu Trieben z.B. nicht angeboren, sondern werden im Laufe der Sozialisation erworben. ad 4) Werte haben Orientierungscharakter für den Einzelnen. Dies unterscheidet sie von Interessen, die zwar Handeln beeinflussen, aber keinen übergeordneten Orientierungscharakter für eine Person oder eine Gesellschaft haben. ad 5) Werte haben im Gegensatz zu Normen, die extern sind, Einfluß auf die Wahrnehmung und das Verhalten. ad 6) Während sich eine Einstellung auf ein bestimmtes Objekt bezieht, ist ein Wert objektunspeziflsch. ad 7) Werte sind situationsübergreifend, und ad 8) Werte sind zeitlich relativ stabil, d.h. Werte passen sich nicht wie Interessen oder Einstellungen an die jeweilige Situation an. ad 9) Die hohe emotionale Beteiligung unterscheidet Werte von Normen u. ä. Erfüllt ein Begriff alle 9 Kriterien, bezeichnen wir ihn im folgenden als Wert. Durch die Kombination der Kriterien werden jene Begriffe vom Begriff Wert abgegrenzt, die sich in vielen Fällen ebenfalls hinter ihm verbergen. 1.1.3 Verwandte
Begriffe:
Werthaltung,
Wertung,
Wertsystem,
Werthierarchie
Die Umgangssprache kennt eine verwirrende Vielfalt von Begriffen, die synonym oder auch nur in ähnlichem Zusammenhang wie der Begriff Wert verwandt werden. Hier sollen nur die wichtigsten vom Begriff Wert abgegrenzt werden. Zunächst wäre der Unterschied zwischen dem Begriff „Wert" und dem Begriff „Werthaltung" zu klären. Der entscheidende Unterschied ist darin zu sehen, daß es sich bei einer Werthaltung um die Haltung einer Person in Beziehung zu einem bestimmten, dieser Person im- oder explizit bekannten Wert handelt, während ein Wert (siehe Kriterium 2) auf der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft liegt 8 . 8
vgl. auch Kapitel 1.1.1.2 dieser Arbeit.
Kap. I: Konzept Wert
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Scholl-Schaaf (1975, S. 65) betont den subjektiven und dynamischen Charakter von Werthaltungen im Gegensatz zu Werten. Werthaltungen lassen sich also als eine dem Wert und der Einstellung 9 zwischengelagerte, erworbene, individuelle Disposition verstehen. Im Gegensatz zu dem Begriff Werthaltung handelt es sich bei dem Begriff der Wertung um einen Begriff, der eine Handlung impliziert. Wertung beschreibt den Vorgang, bei dem eine Person aufgrund ihrer Werthaltung, ihrer Haltung zu bestimmten Werten, aktiv Stellung bezieht. Wertsystem und Werthierarchie sind aufeinander aufbauende Begriffe. Wertsystem beschreibt die Ordnung von Werten innerhalb einer Gesellschaft, eines Subsystems oder einer Person. Werthierarchie fügt der Ordnung die Dimension „oben" und „unten" explizit hinzu. Eine Werthierarchie impliziert also eine Rangordnung von Werten untereinander 10 . Es ließen sich noch eine Reihe weiterer verwandter Begriffe finden. Diese vier sollen an dieser Stelle genügen. Falls weitere Abgrenzungen notwendig werden, sollen sie im Rahmen der jeweils relevanten Fragestellungen an späterer Stelle vorgenommen werden. Im folgenden Kapitel soll der Begriff der Einstellung definiert und von dem des Wertes abgegrenzt werden.
1.2 Definition des Begriffs „EinsteUung" Werte und Einstellungen sind zwei Konstrukte, die, obwohl sie verschiedene Sachverhalte beschreiben, oftmals synonym verwendet werden. Will man Werte von Einstellungen klar abgrenzen, muß zunächst einmal der Begriff des Wertes, so wie er in Kapitel 1.1. definiert ist, von einem im folgenden noch zu definierenden Begriff der Einstellung abgegrenzt werden. „Während der Alltag des Empirikers häufig die Grenzen zwischen Wert(haltung) und Einstellung verwischt, erscheint es nützlich — trotz der Gemeinsamkeiten beider Konstrukte — diese deflatorisch auseinanderzuhalten." {Stengel, 1986, S. 23) Auf der Grundlage dieser Definitionen soll dann der Frage der unterschiedlichen Verhaltensrelevanz von Werten und Einstellungen nachgegangen werden. 1.2.1 Einstellung und Wert — Erste Abgrenzung Der Begriff der Einstellung ist im Rahmen der verschiedenen Forschungsansätze im Gegensatz zu dem der Werte ein häufig definierter und angewendeter 9
Vgl. hierzu Kapitel 1.2 dieser Arbeit. Die oben erwähnte Ordnung von Werten, die Rokeach vornimmt, wenn er von Terminal- und Instrumentalwerten spricht, wäre eine solche Werthierarchie. 10
1. Teil: Theoretische Grundlagen
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Begriff . Trotzdem — oder gerade deshalb — ist bis heute keine allgemein akzeptierte und verwendete Definition in der Literatur zu finden {Graumann, 1965, S. 295). Eine klassische — wenn auch in der empirischen Praxis wenig verwendete Form (iGraumann, 1965, S. 295) — ist die Definition von Krech et al. Demnach ist eine Einstellung „eine überdauernde Organisation von motivationalen, emotionalen, perzeptiven und kognitiven Prozessen in Hinblick auf einen Aspekt der Welt des Individuums". (Krech et al, 1962, S. 137ff.) M i t Hilfe dieser Definition lassen sich entscheidende Unterschiede zwischen Werten und Einstellungen herausarbeiten. — Eine Einstellung ist eine überdauernde Organisation von Prozessen im Hinblick auf einen Aspekt, d. h. eine Einstellung ist objektbezogen. In Bezug auf diesen einen Aspekt ist sie überdauernd. Während die Objektbezogenheit der Einstellung im Gegensatz zur ObjektUnspezifität des Wertes allgemein anerkannt und in der Literatur als eines der Hauptunterscheidungskriterien herausgearbeitet wird (Rokeach, 1968, S. 60; Schanz, 1985, S. 560), ist das Merkmal der zeitlichen Stabilität, die die Einstellung dann mit dem Wert gemein hätte, umstritten (Stengel, 1984). Dies gilt selbst dann, wenn, wie in der Definition von Krech et al, die zeitliche Stabilität eng an die Objektbezogenheit gekoppelt wird. — Eine Einstellung ist eine Organisation von Prozessen im Hinblick auf einen Aspekt der Welt des Individuums, d. h. eine Einstellung ist ebenso wie eine Werthaltung ein „Ich-zentrales Konzept" (Kmieciak, 1976). Eine Einstellung ist somit personenbezogen und nicht generalisierbar. Dies ist einer der Aspekte des Werte- wie auch des Einstellungskonzepts, der eine Operationalisierung und somit eine Messung erschwert. Als eine Möglichkeit, diesem Problem auszuweichen, könnte sich die Introspektion erweisen. Hierbei darf man nicht verkennen, daß gerade die Introspektion unter allen der empirischen Forschung zur Verfügung stehenden Methoden eine der umstrittensten ist (König, 1973, S. 40). — Eine Einstellung ist eine überdauernde Organisation von Prozessen, d. h. eine Einstellung ist im Sinne der Definition von Krech et al, ein dynamisches Konstrukt. Sie ist zeitlich nicht stabil, sie ist vielmehr einem permanenten Wandel unterworfen. Die Definition von Krech et al. versteht Einstellung als eine überdauernde Organisation von Prozessen und nicht als eine konkrete Haltung gegenüber einem Objekt. Vielmehr resultiert diese Haltung aus der Konstellation, die Krech et al Einstellung nennen. Diese erste Abgrenzung anhand der Definition von 11
Der Begriff „Einstellung" gehört zweifellos zu denjenigen sozialwissenschaftlichen Konzepten, die innerhalb der vergangenen fünfzig jähre das stärkste Forschungsinteresse auf sich gezogen haben." (Meinefeld, 1977, S. 11; vgl. hierzu auch Graumann, 1965, S. 273).
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Kap. I: Konzept Wert
Krech et al macht deutlich, daß es sich bei „Einstellung" und „Wert" um verwandte, aber in zentralen Punkten verschiedene Konzepte handelt. I m folgenden sollen deshalb zur Klärung des Begriffes Einstellung verschiedene Definitionen dargestellt und erläutert werden. Im Anschluß daran wird eine Einstellungsdefinition analog der Wertdefinition erarbeitet, um so die Abgrenzung transparent zu machen. 1.2.2 Einstellungsdefinitionen
— Übersicht
Einstellungsdefmitionen lassen sich u. a. auch danach unterscheiden, ob sie eine Einstellung als Haltung ( = attitude) oder als Konstellation ( = set) beschreiben. De Fleur und Westie schlagen als Klassifikationskriterien für Einstellungsbegriffe bzw. -konzepte die beiden Kategorien — Abstellen auf latente psychische Sachverhalte oder auf beobachtbares Verhalten und — die Anzahl der vermuteten Einstellungsdimensionen vor. {De Fleur , 1963, S. 17—31) Ob man Einstellung als Haltung oder als Konstellation begreift, hat vor allem direkte Auswirkungen auf die auf die Definition aufbauende Operationalisierung des Einstellungskonzeptes. Wie auch beim Wert handelt es sich bei der Einstellung um eine Variable mit indirektem empirischem Bezug, deren Meßbarkeit nur mittels Indikatorenbildung ermöglicht werden kann. Von der Validität und Réhabilitât der Indikatoren hängt zu einem nicht unerheblichen Teil die Qualität der Messung und somit der gesamten Untersuchung ab. „Ob ein bestimmter beobachtbarer Sachverhalt überhaupt als Indikator für ein nicht unmittelbar wahrnehmbares Phänomen benutzt werden kann — ob er tatsächlich sein Vorliegen anzeigt, d. h. gültig ist —, wird durch theoretische Annahmen bestimmt, deren Richtigkeit schwierig zu prüfen ist." (.Mayntz, 1978, S. 20) Die Operationalisierung der als Haltung verstandenen Einstellung erfolgt zumeist über den Indikator „beobachtbares Verhalten". Es wird von dem konkreten Verhalten der Person in Bezug auf ein bestimmtes Objekt auf die Einstellung der Person zu diesem Objekt geschlossen. Deutlich wird dies z. B. bei Campbell, der Einstellung als „Konsistenz der Verhaltensweisen gegenüber sozialen Objekten" definiert. (Campbell, 1950, S. 31) Obwohl die Réhabilitât der Messungen bei dieser Form der zugrundeliegenden Definition relativ groß ist, bleiben doch Zweifel bezüglich der Validität dieses Ansatzes. So beeinflussen Einstellungen unbestritten das Verhalten von Personen, aber ob alle Einstellungen sich im Verhalten ausdrücken, welche weiteren Variablen intervenierend in die Beziehung Einstellung — Verhalten hineinspielen, bleibt unberücksichtigt.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Wird Einstellung als Konstellation definiert, als eine latente Struktur oder Bereitschaft, sich gegenüber einem bestimmten Objekt in bestimmter Weise zu verhalten, so erfolgt die Messung zumeist mittels verbaler Äußerungen. Es wird also aufgrund von Meinungen auf die Handlungsbereitschaft geschlossen. Auch diese Form der Einstellungsmessung ist umstritten. So weisen Mayntz et al (Mayntz, 1978, S. 20) daraufhin, daß Äußerungen bei Einstellungsbefragungen nicht unbedingt aufgrund von Überzeugungen gemacht werden, sondern daß Angst und Konformismus die Meinungen beeinflussen und somit das Ergebnis verfalschen können. — Einstellungen haben eine motivationale, emotionale, perzeptive und kognitive Komponente, d.h. unter Einstellungen verstehen Krech et al (1962, S. 137ff.) ein mehrdimensionales Konzept. Die Unterscheidung in ein- und mehrdimensionale Einstellungskonzepte ist in der Literatur vielfach zu finden. Erwähnt seien in diesem Rahmen nur beispielhaft die wichtigsten Vertreter beider Konzepte. Das eindimensionale Einstellungskonzept definiert die Einstellung in erster Linie als individuelle Zuneigung bzw. Ablehnung in Bezug auf bestimmte Objekte. Thür stone (1931) definiert sie als „affect for or against a psychological object". Als wichtigste Vertreter dieses Konzepts seien hier nur Thür stone (1931), Fishbein (1966) und Mc Guire (1969) genannt. Einstellungskonzepte, die auf der Eindimensionalität aufbauen, lassen sich relativ einfach operationalisieren und messen. Dies erklärt in einem nicht unerheblichen Maße ihre Bedeutung in der empirischen Forschung. Ebenso offensichtlich ist die Kritik, die diese Konzepte herausfordern. Die Einstellung einer Person zu einem Objekt, einer Handlung oder einer anderen Person auf eine Dimension zu beschränken, scheint der persönlichen Erfahrung zu widersprechen. Die Komplexität des Subjekts wie auch des Objekts sowie die Veraetztheit der Beziehungen legen die Vermutung nahe, daß sich hinter einer derart eindimensional dargestellten Einstellung mehrere Komponenten verbergen. Das eindimensionale Einstellungskonzept überläßt es der Empirie, diese Komponenten zu finden (oder auch nicht zu finden). Im Rahmen der mehrdimensionalen Einstellungskonzepte seien hier das Drei-Komponenten-Modell von Triandis (1975), die duale Theorie der Einstellung von Kerlinger (1967) sowie das bereits erwähnte Konzept von Rokeach (1973) kurz erläutert. Das Drei-Komponenten-Modell basiert auf der Dreiteilung in — die kognitive — die affektive — und die handlungsbezogene Komponente der Einstellung.
Kap. I: Konzept Wert
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Hierbei bezieht sich die kognitive Komponente auf die Überzeugung einer Person in Bezug auf das Einstellungsobjekt. Die affektive Komponente bezieht sich auf das Gefühl, daß eine Person dem Einstellungsgegenstand entgegenbringt. Die handlungsbezogene Komponente soll die Handlungsbereitschaft der Person zum Ausdruck bringen. Allerdings ist die an die Einstellung gekoppelte Handlungstendenz einer Person nicht unumstritten. „Es gibt Einstellungen mit und ohne Verhaltenstendenzen; bzw. Handeln gegenüber einem Einstellungsobjekt steht noch unter anderen Einstelhmgs-Determinanten."(Grawm0«A2, 1965, S. 295) Die Handlungsrelevanz von Einstellungen wird in Kapitel I I noch zu diskutieren sein. Kerlingers dualen Theorie der Einstellung liegt der Gedanke der nachweislich gemischten Elemente (z.B. konservative und progressive Komponenten) zugrunde (.Kerlinger, 1967). Hierbei ist es vom Zentralbezug, den sogenannten „criterial referents" abhängig, ob eine Person zu einem Objekt eine Einstellung hat. So führt Kerlinger (1967, S. 112) als Beispiel den Zentralbezug „Liberalismus" an, der dazu führen könnte, daß die betreffende Person zur Religion eine indifferente Einstellung hat. Religion ist für sie vielmehr uninteressant. Markard (1984, S. 127) merkt hierzu an: „Kerlingers Überlegungen „fallen" insofern „aus dem Rahmen", als er — jenseits situativer Besonderheiten und Spezifika — darauf aufmerksam macht, daß die mangelnde Einstellungs-Verhaltens-Konsistenz der Verfehlung von Gesichtspunkten in der Einstellungsmessung geschuldet sein kann, die sich im Verhalten als relevant durchsetzen." Hier deutet sich der im Rahmen der vorliegenden Arbeit behauptete Zusammenhang zwischen Werten und Einstellungen (vgl. Teil I, Kap. 1.3.3.) bereits an. Rokeach (1973) unterscheidet zwischen — der Einstellung zu einem Objekt oder einer Person und — der Einstellung in der relevanten Situation, die gemeinsam die Gesamteinstellung ergeben. Hier findet die in der Forschung zu beobachtende zunehmende Beachtung der Situation explizit Eingang in das Einstellungskonzept. Die in der Definition betonte dynamische Komponente der Einstellung wird hier nochmals herausgearbeitet. Die Objektbezogenheit von Einstellungen legt zunächst einmal die Vermutung nahe, daß es eine unüberschaubare Menge Einstellungen einer Person gibt. Andererseits wird die Zahl der Einstellungen durch die Zahl der Objekte, Personen und Handlungen, auf die sich die Einstellungen beziehen, begrenzt. Geht man jedoch davon aus, daß Einstellungen eine Situationskomponente enthalten (vgl. Rokeach, 1973), so ergibt sich qua deflnitionem eine weitaus größere Zahl von Einstellungen als es Objekte gibt.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Diese Überlegung wirft die Frage nach der Genese von Einstellungen auf. Einstellungen werden zum einen geprägt und beeinflußt durch Werte. 12 Einstellungen werden also hier verstanden als die Konkretisierung von Werthaltungen eines Individuums in Bezug auf eine bestimmte Situation und ein bestimmtes Objekt. Dies impliziert eine Kongruenz von Werthaltung und Einstellung einer Person, die aufgrund intervenierender Variablen nicht unproblematisch ist. Auf dieses Problem wird in Kapitel 1.3.3. näher eingegangen werden. Zum anderen von einem, wenn auch nicht quantifizierbaren, so doch nicht unerheblichen Teil werden Einstellungen durch Erfahrungen geprägt. Diese Erfahrungen, die eine Person im Laufe ihrer Sozialisation mit bestimmten Einstellungsobjekten, d.h. mit Objekten, Personen und Handlungsmöglichkeiten, sowie der Instrumentalität und der benötigten Kraft, macht, prägen sowohl Werte als auch Einstellungen der Person. Wir haben es also sowohl beim Wert- wie auch beim Einstellungskonzept mit dynamischen Konzepten zu tun. Dies erschwert die Messung zusätzlich. Obwohl dieser kurze Aufriß der Problematik bei weitem nicht vollständig ist, vermittelt er doch einige der Probleme, die bei Abgrenzung einerseits und bei der Operationalisierung und Messung von Einstellungen andererseits auftreten. Der Einfluß der theoretischen Fundierung auf die empirische Arbeit wird hierbei deutlich. I m nächsten Kapitel soll die Arbeitsdefinition des Begriffs Einstellung, die dieser Arbeit zugrundeliegt, vorgestellt werden.
i.2.3 Arbeitsdefinition Im folgenden soll mit einem 2-Komponenten-Einstellungskonzept gearbeitet werden, das unterscheidet zwischen — Einstellungen, die im Sinne einer Konstellation als latente Struktur in einer Person vorhanden sind und die unter bestimmten Randbedingungen handlungsrelevant werden. Dies werden wir im folgenden Einstellung 1 nennen, und — Einstellungen, die im Sinne einer Haltung gegenüber einem Objekt konkrete Handlungsrelevanz aufweisen. Dies soll im folgenden als Einstellung 2 bezeichnet werden. Die beiden Einstellungsbegriffe sind nicht überschneidungsfrei, die Übergänge von Einstellung 1 zu Einstellung 2 (und verce visa) sind fließend. Trotzdem eröffnet die vorgeschlagene Differenzierung für den weiteren Fortgang der Untersuchung zusätzliche Perspektiven. 12
Vgl. zur Interaktion von Werten und Einstellungen Kapitel 1.3. dieser Arbeit.
Kap. I: Konzept Wert
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U m die Vergleichbarkeit und Abgrenzung von Werten und Einstellungen im Rahmen dieser Arbeit zu gewährleisten, soll im folgenden analog der Definition von Werten mittels Merkmalen ein Kriterienkatalog für Einstellungen zugrundegelegt werden. (1) Einstellungen sind Konstrukte auf mittlerem Abstraktionsniveau. (2) Einstellungen sind ich-zentral, sie sind personenbezogen und somit nicht generalisierbar. (3) Einstellungen sind gesellschaftlich und sozial vermittelt. (4) Einstellungen haben direkten Handlungsbezug, wobei eine Vielzahl intervenierender Variablen ebenfalls auf die Handlung bzw Nicht-Handlung einwirken. (5) Einstellungen sind objektspezifisch. (6) Einstellungen sind situationsspezifisch. (7) Einstellungen sind zeitlich instabil. (8) Einstellungen haben eine kognitive, eine emotionale und eine handlungsbezogene Komponente. Anhand dieses Kriterienkatalogs soll nun der Unterschied von Einstellung 1 und Einstellung 2 kurz dargestellt werden. Beispielhaft seien hier die Einstellungen von Person A und Person Β in Bezug auf den Themenkomplex Kinder / Mutterschaft herausgegriffen. Person A sei weiblichen, Person Β männlichen Geschlechts, beide sind unverheiratet und kinderlos. Folgendes Gespräch entwickelt sich: A: „Ich wünsche mir mindestens vier Kinder; sechs, wenn es finanziell verkraftbar wäre, wäre meine Wunschzahl." B: „Kinder in der heutigen Zeit in die Welt zu setzen, halte ich für gedanken- und verantwortungslos." A: „So ein Nonsens! Im 100-jährigen Krieg haben die Frauen auch Kinder bekommen, sonst säßen Sie und ich heute wahrscheinlich nicht hier." B: „Damals gab es aber auch noch keine Empfängnisverhütung." A: „Ich lehne künstliche Empfängnisverhütung grundsätzlich ab. Diese läßt sich nicht mit meinem Glauben vereinbaren."
Obwohl dieses Gespräch und die geäußerten Meinungen nicht generalisierbar sind (2), gibt es die Möglichkeit zur Illustration der Unterschiede zwischen Einstellung 1 und Einstellung 2. Die hier geäußerten Meinungen lassen auf Konstrukte mittleren Abstraktionsniveaus schließen (1). Auch die Annahme, daß die im- und explizit geäußerten Einstellungen gesellschaftlich vermittelt und nicht angeboren sind (3), erscheint plausibel. In Bezug auf die ersten drei Kriterien unterscheiden sich Einstellung 1 und 2 also nicht. Kriterium 4 jedoch wird je nach Art der Einstellung akzentuiert. Solange Person A noch keinen Lebensgefährten gefunden hat, der zudem, wie sie selbst erwähnt, über gewisse finanzielle Mittel verfügt, bleibt ihr Wunsch 3 Klein
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
nach sechs Kindern eine Einstellung im Sinne einer Konstellation, also eine Einstellung 1. Auch die ablehnende Haltung von Person Β gegenüber Kindern ist eine Einstellung 1. Beider Einstellung ist objektspezifisch (5) und situationsspezifisch (6). Nehmen wir einmal an, Person A und Β heiraten. Dies verändert die Situation entscheidend. Für Person A ist die Einstellung gegenüber Kindern und Mutterschaft nicht mehr bloße Konstellation ( = Einstellung 1), sondern konkrete Haltung ( = Einstellung 2). Aufgrund ihres übergeordneten Wertes Glauben lehnt sie Kontrazeptiva ab. Das einzige, das ihrem Wunsch nach Kindern (evtl.) entgegensteht, ist die abwehrende Haltung ihres Mannes. Für diesen hat sich in Bezug auf sein tatsächliches Verhalten nicht viel geändert. Seine Handlungsmöglichkeiten zur (Nicht-)Realisation sind kaum gewachsen, und es ist nicht anzunehmen, daß seine Möglichkeiten zum Verhindern einer Schwangerschaft seiner Partnerin nun das erste Mal zur Anwendung kommen, seine Einstellung hat nun ebenfalls den Charakter einer konkreten Haltung. Er muß aktiv werden, um seine Haltung zu realisieren. A n diesem Punkt läßt sich die Situationsgebundenheit von Einstellungen illustrieren. Nehmen wir an, Β liebt und respektiert A sehr, so wird er ihrem Wunsch nach einem Kind evtl. nachgeben. Ihre Einstellung wurde durch die Eheschließung von Einstellung 1 zu Einstellung 2. Seine Einstellung 1 ist zwar noch latent vorhanden, jedoch durch den höherstehenden Wert „Liebe" und „Respekt" vorübergehend außer Kraft gesetzt. Nehmen wir weiterhin an, daß Person Β nach einem Jahr ganz vernarrt in seinen Sohn / seine Tochter ist, so ist denkbar, daß sich seine Einstellung bezüglich Kindern grundlegend gewandelt hat. Er wünscht sich viele Kinder, am liebsten hätte er acht. Seine Einstellung ist nun eine Haltung, eine Einstellung 2, die konkrete Handlungsrelevanz aufweist. Nach der Geburt des dritten Kindes legt der behandelnde Arzt dem Paar nahe, mit Rücksicht auf die Gesundheit von A auf weitere Kinder zu verzichten. Die Einstellung von A und Β bezüglich Kindern bleibt zwar bestehen, aber nur im Sinne der Einstellung 1, als latente Struktur. Hier wandelt sich nun auch die Einstellung von Person A gegenüber Empfängnisverhütung, da innerhalb ihrer Werte-/Einstellungshierarchie der Wert „Gesundheit" den des „Glaubens" dominiert. Kriterium 8 wird hier deutlich: Diese revidierte Einstellung von Person A gegenüber Empfängnisverhütung beinhaltet eine kognitive Komponente, das Wissen, daß weitere Kinder evtl. sogar zum vorzeitigen Tod führen können, und das Wissen um die Haltung der Kirche zur Empfängnisverhütung, eine emotionale Komponente, die Sorge um die Familie einerseits und das Gefühl der Schuld gegenüber der Kirche andererseits, und eine handlungsbezogene
Kap. I: Konzept Wert
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Komponente, nämlich die Einnahme der Pille, also den Verzicht auf weitere Kinder. Hier kann man argumentieren, daß Einstellung 1 und 2 nebeneinander existieren. Einstellung 2 diktiert von den Randbedingungen und Einstellung 1 als latente Bereitschaft unverändert parallel dazu. Dies ist aufgrund der Unterscheidung in Einstellung 1 und 2 relativ unproblematisch. Der scheinbare Widerspruch zwischen Einstellung 1 und Einstellung 2 wird durch das unterschiedliche Abstraktionsniveau und die unterschiedliche Handlungsrelevanz aufgelöst. Einstellung 1 und Einstellung 2 sollen im weiteren Verlauf der Arbeit vor allem dann unterschieden werden, wenn dies zu einer Abgrenzung vom Begriff der Werthaltung und des Wertes beiträgt. Solange von einer Einstellung die Rede ist, ist hiermit ein Begriff gemeint, der die oben genannten Kriterien erfüllt und somit im Rahmen der Arbeitsdefinition als solche gelten kann, unabhängig von seinem evtl. Konstellations- bzw. Haltungscharakter. Nachdem nun die Kriterien für eine Abgrenzung des Begriffs der Einstellung vorliegen, sollen im folgenden Kapitel mit Hilfe der beiden Kriterienkataloge zunächst Unterschiede zwischen Werten und Einstellungen herausgearbeitet werden. 1.3 Zur Abgrenzung und Interaktion von Werten und Einstellungen Werthaltungen werden zum einen vermittelt durch die Sozialisation. Hier spielt das Elternhaus, aber auch das gesellschaftliche, kulturelle, soziale, politische und historische Umfeld eine Rolle. Aber auch im Verlauf des späteren Lebens eines Menschens können durch einschneidende Erlebnisse Werthaltungen neu geprägt oder verändert werden. Die Chance, daß dies bei gleich stark wirkenden Erlebnissen der Fall ist, ist bei Jüngeren jedoch vergleichsweise größer. Will man die Verhaltensrelevanz von Werten und Einstellungen beschreiben, so bedarf es zunächst einer klaren Abgrenzung beider Begriffe, um sie dann in ein Modell integrieren zu können. Nur die Abgrenzung voneinander und die Beschreibung der Interaktion beider Konstrukte machen es möglich, sie zu operationalisieren und zu messen. Auch wenn die Übergänge fließend sind und die Interaktionsmodelle sich vielfach jeder empirischen Stützung entziehen, helfen sie doch, sich dem Phänomen der Werte und Einstellungen und ihrem Einfluß auf soziales Handeln zu nähern. Worin unterscheiden sich nun Werte von Einstellungen?
3*
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
1.3.i Abgrenzung von Werten und Einstellungen „Keine Übereinstimmung ist bisher darin zu erreichen, wie die Begriffe im einzelnen voneinander abzuheben sind; hierbei spielen theoretische Voreinstellungen eine zu große Rolle." (Graumann, 1965, S. 276) Graumann verweist nachdrücklich auf die Rolle, die theoretische Voreinstellungen im Rahmen der Abgrenzung spielen. Diesen theoretischen Voreinstellungen kann man nicht ausweichen. Im folgenden soll die Abgrenzung explizit auf der Basis der getroffenen theoretischen Voreinstellungen erfolgen. Dies verringert ihren Einfluß zwar nicht, macht ihn aber zumindest berechenbarer. Die folgenden Aussagen beziehen sich, falls nicht ausdrücklich davon Abstand genommen wird, auf den gesamten Wertbegriff einerseits, also auf Maßstabswerte ebenso wie auf Zielwerte, und auf den gesamten Einstellungsbegriff, Einstellung 1 und Einstellung 2, andererseits. Während es sich bei Werten um Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau handelt, sind Einstellungen Konstrukte auf mittlerem Abstraktionsniveau. Als ein Abgrenzungskriterium bietet sich also das jeweilige Abstraktionsniveau an. Werte liegen an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Einstellungen hingegen sind ich-zentral, personenbezogen. Während Werte von Gruppen erfaßt werden können, können Einstellungen nur für Einzelpersonen erfaßt werden. Sowohl Werte wie auch Einstellungen sind nicht angeboren, sondern erlernt. Werte aber sind zeitlich relativ stabil, sie ändern sich nicht wie Einstellungen in Abhängigkeit von Objekt, Situation oder auch Laune. Dies legt nahe, daß Werte nur langsam Eingang in das menschliche Bewußtsein erlangen, dann aber dort mit relativ großer Wahrscheinlichkeit bleiben. Einstellungen sind spontanerer Natur, sie sind schneller lernbar und schneller änderbar. Während Einstellungen Handlungsrelevanz aufweisen, haben Werte lediglich Orientierungscharakter. Zugleich impliziert diese Unterscheidung jedoch auch, daß Werte im Person-System in zentralen Bereichen angesiedelt sind, während Einstellungen sich in periphären Bereichen finden. Dies hat Stengel (1986, S. 24) in Anlehnung an Von Rosenstiel in folgender Abbildung zusammengefaßt. Es gibt nach Stengel nur eine begrenzte Zahl von Werten, die von einer prinzipiell unbegrenzten Zahl von Einstellungen umlagert werden. Stengel definiert Einstellungen also als intervenierende Variable. Werte beeinflussen hier nicht Einstellungen und Verhalten, sondern sie beeinflussen über Einstellungen Verhalten. Dieses Modell der Abgrenzung, aber auch der Interaktion, hat verschiedene Implikationen: (Stengel, 1986, S. 25)
Kap. I: Konzept Wert
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Abbildung 1
Wert-Einstellungs-Verhalten-Schema nach Stengel
— Verhalten müßte enger mit Einstellungen als mit Werten kovariieren, — Einstellungen müßten sich im Sinne der Schichtentheorie von Kohn bei Schichtwechsel flexibler verhalten und — Einstellungen müßten sich im Sinne der Dissonanztheorie von Festinger situationsangepaßt ändern. Faßt man die Abgrenzungskriterien zusammen, ergibt sich folgendes Bild: (1) Abstraktionsniveau: Je höher das Abstraktionsniveau eines Begriffs ist, desto eher haben wir es mit einem Wert als mit einer Einstellung zu tun. (2) Generalisierbarkeit: Haben wir es mit einem personenbezogenen, nicht generalisierbaren Konstrukt zu tun, handelt es sich eher um eine Einstellung als um einen Wert. (3) Objektspezifität: Ist ein Konstrukt objektspezifisch, handelt es sich um eine Einstellung. (4) Situationsabhängigkeit: Ein situationsabhängiges Konstrukt ist eher eine Einstellung.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
(5) Zeitliche Stabilität: Je größer die zeitliche Stabilität eines Konstruktes, desto eher kann man davon ausgehen, daß es sich um einen Wert handelt. (6) Generalität und Zentralität innerhalb des mentalen Systems: Je zentraler und generaler ein Konstrukt innerhalb des mentalen Systems angesiedelt ist, desto eher handelt es sich um einen Wert. (7) Ausgeglichenheit von kognitiver, emotionaler und handlungsbezogener Komponente: Je ausgeglichener das Verhältnis von kognitiver, emotionaler und handlungsbezogener Komponente ist, desto eher handelt es sich um eine Einstellung. Einen Wert kennzeichnet 13 eine ausgeprägte emotionale Beteiligung. (8) Anzahl: Die Anzahl von Werten ist begrenzt, die Anzahl von Einstellungen ist prinzipiell unbegrenzt. Anhand des hier vorgeschlagenen Kriterienkatalogs zur Abgrenzung von Werten und Einstellungen soll im folgenden versucht werden, verschiedene Konzepte kritisch zu prüfen. Die Übergänge von Werten zu Einstellungen sind fließend. Im Zweifelsfall muß anhand konkreter Beispiele entschieden werden. Da hier sowohl ein mehrdimensionales Einstellungskonzept als auch ein mehrdimensionales Wertund Zielkonzept verwandt wird, kann es der Fall sein, daß ein Konstrukt Wert-, Ziel- und Einstellungskomponenten beinhaltet. Trotz dieser Probleme in Zweifelsfallen lassen sich mit dem vorgeschlagenen Konzept doch viele Eigenheiten sozialen Zusammenlebens systematisch beschreiben und erklären. In Einzelfallen können aufgrund einer solchen Analyse sogar Prognosen erhoben und Gestaltungsempfehlungen gemacht werden. Damit umfassen die sich aus dem vorgestellten Konzept ergebenden Implikationen alle vier Bereiche empirischer Forschung. Als Grundlage für empirische Untersuchungen im sozialen Feld müssen jedoch die Wechselwirkungen der Modellvariablen noch näher erläutert werden. Dies wird in Kapitel 1.1.3.3. erfolgen. Während es sich bei „Einstellung" um ein dem „Wert" verwandtes Konstrukt auf geringerem Abstraktionsniveau handelt, ist „Sinn" ein ebenfalls dem „Wert" verwandtes, aber auf höherem Abstraktionsniveau angesiedeltes Konstrukt. 1.3.2 Die Sinnfrage und ihr Einfluß auf Werte und Einstellungen Richert (1921, S. 142) weist schon 1921 auf den engen Zusammenhang von Sinn und Werten hin: „Sinnprobleme führen richtig verstanden immer auf Wertprobleme, denn den Sinn des Lebens deuten, heisst: die Werte zum Bewußtsein bringen, die ihm Sinn verleihen." Folgt man Richert, so münden Überlegungen bezüglich der im Unternehmen verankerten und gelebten Werte in die Frage nach dem Sinn wirtschaftlichen 13
Vgl. S. 25 dieser Arbeit, Wertkriterium 9.
Kap. I: Konzept Wert
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Handelns. Die Diskussion der Wertfrage unter Nichtberücksichtigung der Frage nach dem Sinn des Lebens und des wirtschaftlichen Handelns als einem Teilgebiet muß somit in jeder Weise rudimentär bleiben. Bei der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens stößt man unweigerlich auf einen Punkt, an dem man sich fragen muß: Hat das Leben Sinn oder muß man ihm selbst Sinn verleihen? Ist die Frage nach dem Sinn des Lebens also letztlich eine Frage der Sinnfindung oder der Sinngebung? Hier stößt man an die Grenze dessen, was mit wissenschaftlichen Mitteln zu hinterfragen und darzustellen ist. Vielmehr handelt es sich bei der obigen Frage, nämlich „Sinnfindung oder Sinngebung" um eine Glaubensfrage, die jeder mit sich selbst klären muß. Ebenso widersprüchlich wie die Antworten auf obige Frage sind die verschiedenen Definitionen von Sinn, zumal es sich bei dem Konzept „Sinn" um ein interdisziplinäres handelt. Zihlmann (1980, S. 58 ff.) unterscheidet drei Begriffsinhalte von „Sinn": — Sinn als Bedeutung von Worten — Sinn als Zweckmäßigkeit — Sinn als Wert-Sinn (Wertgehalt) Im Rahmen dieser Arbeit soll auf eine weitere Diskussion der Definitionen von Sinn verzichtet werden und vielmehr auf die Problematik im Zusammenhang mit der dieser Arbeit zugrundeliegenden Fragestellung hingewiesen werden. 14 Es gilt für den Sinn am Ende, was Wittgenstein über den Versuch, Wert zu definieren, gesagt hat: „Der Versuch, einen Wert („Sinn") zu definieren, kommt dem Versuch gleich, mit einem heißen Eisen aus Eis oder Schnee eine Figur zu schnitzen; das, was man dabei herstellen will, schmilzt einem unter den Händen zu nichts zusammen." (nach Holleis, 1987, S. 51) Der hier angesprochene Sinn ist der unter der dritten Kategorie angesprochene Wert-Sinn. Zihlmann (1980, S. 89) konkretisiert: „Dieser Sinn leitet sich von den Werten ab, die dem Ziel, dem Zweck oder dem Gut eigen sind. Die Werte des „Wozu" und nicht die Gesetzmäßigkeiten des „Wie" sind primär für diesen Wert-Sinn bestimmend". Zugleich warnt er vor einer subjektivistischen Beliebigkeit, die sich aus der mangelnden Absolutheit aufgrund der oben angesprochenen Objektgebundenheit von Sinn ergeben könnte, indem er sagt: „Wenn Sinn auch nie absolut, d.h. losgelöst von einem Objekt, besteht, so wird doch deutlich, dass diese Relativität gleichwohl in keiner Weise als subjektivistische 14
Weitere Definitionen finden sich u. a. bei: Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Köln, Bern 1964; ders.: Soziologie, Weltgeschichtliche Analysen, Politik, 1956; Schütz, Α.: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Frankfurt, 1974; Maed, G. H.: Geist, Identität und Gesellschaft, 1986; Berger, P. L., Luckmann, T.: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, 1969; Habermas, J., Luhmann, N.: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt 1971; Bühl, W. L. (Hrsg.): Verstehende Soziologie, 1972; Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, 1973.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Beliebigkeit zu verstehen ist. Sinn ist relativ, aber eher relational, mit dem Objekt verbunden, und nicht relativistisch." (1980, S. 58) Der Wert-Sinn, wie Zihlmann es nennt, ist demnach als die Antwort auf die Frage nach dem Wozu zu verstehen. Wertfragen münden also letztlich in der Frage nach dem Sinn, arbeiten auf diese Frage hin und sind ihr zugleich untergeordnet. Intensive Auseinandersetzungen des Einzelnen, aber auch einer Gesellschaft mit Wertfragen führen unweigerlich zur Sinnfrage. „Bei der Sinnfrage geht es um die Gesamtheit der Werte, welche dem Subjekt aus seinem Tun erwachsen." (Zihlmann, 1980, S. 82) Diese Sinnfrage hat in der heutigen Zeit eine große Aktualität erlangt. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Ohne den Anspruch der Vollständigkeit zu erheben, sollen hier einige wichtige Faktoren exemplarisch herausgegriffen werden. Zum einen läßt sich die vermehrte Beschäftigung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens auf den Lebensstandard in den hochentwickelten Ländern zurückführen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt sich heute in hochentwickelten Ländern einem großen Prozentsatz von Menschen. Muß te noch vor 100 Jahren jeder arbeiten, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Angehörigen sicherzustellen, ist die Notwendigkeit heute für viele nicht mehr einsichtig. Frankl (1978, S. 33) weist daraufhin, daß 15 % der amerikanischen Arbeiter in der Lage wären, für die Bedürfnisse der ganzen Nation aufzukommen. Selbst, wenn dieser Prozentsatz tief gegriffen ist, so machen doch viele Menschen die Erfahrung der Beliebigkeit: Es macht kaum einen Unterschied, ob sie an ihrem Arbeitsplatz erscheinen oder nicht. Die Firma findet innerhalb kurzer Zeit Ersatz und der eigene Lebensstandard wird oft nur geringfügig beeinträchtigt (besonders in der Bundesrepublik), da das soziale Netz relativ engmaschig konzipiert ist. Argumentiert man mit Maslow (1954), so läßt sich feststellen, daß die Befriedigung der hierarchisch niederen Bedürfnisse ein derart hohes Niveau erreicht hat, daß der Einzelne sich vermehrt dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und somit der Frage nach dem Sinn zuwendet. Dies wiederum läßt die Argumentation plausibel erscheinen, die besagt, daß der Mensch früherer Jahrhunderte nicht zufriedener war, weil er die Frage nach dem Sinn seines Lebens beantwortet hatte, sondern vielmehr, weil er kaum Zeit hatte, sie zu stellen. (,Schülein, 1982, S. 660) Durch die Überwindung der Natur als weitgehend unbeeinflußbarem Faktor, mit dem man sich abfinden und arrangieren muß, erwächst aus ihr und der Auseinandersetzung mit ihr kein unmittelbarer Sinn für den Einzelnen mehr. Er muß diesen Sinn vielmehr durch Reflexion erarbeiten. Hinzukommt, daß der Legitimationsdruck in der modernen Gesellschaft immer mehr zunimmt. {Habermas, 1973) Während ein Bauer im vorindustriellen Zeitalter kaum jemals mit der Legitimationsfrage konfrontiert wurde, müssen
Kap. I: Konzept Wert
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sich wirtschaftliche Unternehmen heute, aber auch der Einzelne, immer mehr die Frage nach dem Warum und Wofür ihres Tuns gefallen lassen. Die hierbei entstehenden theoretischen Konstruktionen, die eine Einordnung des Einzelnen bzw. der Unternehmung in das Gesamtsystem leisten sollen, werden zunehmend komplexer und somit für den Einzelnen oft nicht mehr erfaßbar und dadurch unglaubwürdig. Resultat ist das Gefühl von Sinnlosigkeit des Tuns, das sowohl von Wissenschaft als auch von der Praxis zunehmend beklagt wird, dem beide Bereiche aber zugleich oftmals hilflos gegenüberstehen. Folgt man nun andererseits Postman (1985), der die Abnahme der Fähigkeit zur Reflexion und fundierten Urteilsbildung im Zuge der Verbreitung der Massenmedien, und hier insbesondere des Fernsehens, beklagt, so wird die Schere deutlich, vor der der Einzelne in der heutigen Zeit steht. Die Überwindung der Natur, die zunehmende Komplexität der Umwelt und die immer größer werdende Geschwindigkeit des Wandels verlangt eine Persönlichkeit, die in hohem Maße zu Reflexion und Urteilsbildung in der Lage ist, sowie eine Persönlichkeit, die ihre Grenzen in der Lage ist zu erforschen, zu definieren und zu leben. A u f der anderen Seite führt unser soziales Leben wie auch die Massenmedien und die Informationsflut zu einer immer größer werdenden Oberflächlichkeit der Informationsverarbeitung und Auseinandersetzung. Das Gefühl der Sinnlosigkeit, daß aus dieser Schere resultiert, wird dem Einzelnen oftmals gar nicht konkret bewußt. Darauf angesprochen, verleugnet er es sogar. Es äußert sich vielmehr in einer veränderten Haltung zu grundlegenden Fragen des Lebens, die einen Wert- und Sinnverlust erkennen lassen. Aber auch die veränderte Umwelt selbst trägt zu der „Sinnkrise" bei. Erwähnt sei hier nur exemplarisch das wirtschaftliche System selbst, das mit der Überspezialisierung dem Einzelnen oft keinerlei Möglichkeit mehr läßt, den Sinn seines Tuns zu begreifen. „Das einseitige Ausrichten des Handels auf wirtschaftliche Güter, respektive das Optimieren enger ökonomischer Ziele, führt in der Arbeitssituation zu einer Einbuße an persönlichen, sozialen und anderen Werten, und damit zu einer Beeinträchtigung des Sinnerlebnisses des Arbeitenden." (Zihlmann, 1980, S. 39) und weiter: „Je zweckrationaler die Organisationen funktionieren, desto weniger Freiheit bleibt den Einzelnen zu eigenem Entscheiden und Handeln und damit zu einer Verwirklichung ihrer persönlichen Selbstwerte; je ausgeprägter die Arbeitsteilung darin ist, desto geringer sind die Möglichkeiten der Mitwirkenden zu einer Selbstdarstellung und zu einer Selbstfindung in ihren eigenen Leistungen." {Zihlmann, 1980, S. 239) Neben der zunehmenden Mechanisierung und der daraus resultierenden zunehmenden Entfremdung des Einzelnen von seiner Arbeit haben auch der Verlust eines „Korsetts von Tradition", die abnehmende Bedeutung des Glaubens sowie die Wissenschaft selbst zu der Aktualität der Sinnfrage beigetragen. Hierzu meint Zihlmann (1980, S. 26 f.): „Die Überlegungen führen aber auch zur Formulierung einer These, die für das Sinnproblem von großer
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Bedeutung ist: Das Gefühl der Sinnlosigkeit, unter dem die Menschen der industriellen Gesellschaft leiden, wird mit durch die positivistische Sicht der Wissenschaften verursacht. Durch eine Auffassung von Wissenschaftlichkeit, die durch einen nominalistisch bestimmten Positivismus geprägt ist, werden Gegenstandsbereiche von einer wissenschaftlichen Erfassung ausgeklammert, die für eine Sinnfindung zentral sind. ... Bei dieser Denkweise wird auch vom Wesen und vom Wert eines Objektes abstrahiert, die Eigengesetzlichkeiten der Subjekte und ihres Handelns werden außer acht gelassen, Ziele gelten als (inter-)subjektive Setzungen, die rational nicht beurteilbar sind, das Numinose und Geheimnisvolle wird als Unklarheit mißdeutet usw. Diese Bereiche der Wirklichkeit werden als unwissenschaftlich verdrängt und erfahren so auch eine Entwertung ins Subjektivistische." und „ I m positivistischen Sinne erhöhte Rationalität bedeutet keine größere Realitätsadäquatheit der wissenschaftlichen Aussagen." Das mechanistische Weltbild der Wissenschaft (Capra , 1983) hat, so die These, zu einem nicht unerheblichen Teil zu dem heute beklagten Wert- und Sinnverlust geführt. Eine Gesellschaft, in der nur das Zählbare zählt, ist kaum in der Lage, auf grundlegende philosophische und psychologische Fragestellungen wie die Frage nach dem Sinn und die der Sinnfindung, bzw. Sinngebung eine adäquate Antwort zu geben. Hinzukommt noch eine zunehmende funktionale Autonomie in vielen Bereichen. Simmel (1968, S. 232) sieht hierin zwar einerseits die einzige Möglichkeit, die „Unabsehbarkeit der Zweck- und Mittelreihen" und ihre „Ausgedehntheit und Verwickeltheit" durchzustehen, andererseits führt die funktionale Autonomie zu einer Verschiebung der Bewertung einzelner Objekte bzw. auch Handlungen, die dem angestrebten Endziel nicht mehr gerecht zu werden vermögen. (Zihlmann, 1980, S. 83) Inwieweit die oben angeführten Gründe für die verstärkte Beschäftigung mit der Sinnfrage letztlich ein nicht zu umgehender Preis der hochzivilisierten Welt, in der wir leben, sind, kann in diesem Zusammenhang nicht diskutiert werden. In der nicht hinterfragten Hinnahme dieser Ursachen ist sicher einer der Gründe für die Abwendung vieler Menschen von dem derzeitigen System zu sehen. Zugleich ist eine fundierte Auseinandersetzung erst in Ansätzen zu beobachten. Horckheimer (1954, S. 85) merkt hierzu schon 1954 kritisch an: „Steckt nicht in solchem Fatalismus zuweilen ein Stück Bequemlichkeit, die sich lieber von kritischer Anstrengung dispensieren möchte, und ist der Grund für das Unvermögen, so wahr er auch sein mag, nicht zuweilen ein Vorwand? Die Last des Lebens und die Mechanisierung seines Betriebs in der Gegenwart kann selber zur Ideologie werden für die, welche es eigentlich gar nicht anders möchten, und ihr Gewissen damit beruhigen, dass es nicht anders geht." Die Mechanisierung des Lebens und seines Betriebes, die Horkheimer beklagt, hat u. a. dazu geführt, daß der einzelne Mensch oft nur als Mittel gesehen wird. Dies drückt sich in dem inzwischen immer stärker verbreiteten Schlagwort vom „Human Ressource Management" sehr treffend aus. Hierbei wird der „allem
Kap. I: Konzept Wert
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Handeln und Sprechen inhärente, die Person enthüllende Faktor einfach übersehen.. .nämlich die Tatsache, daß Menschen, auch wenn sie nur ihre Interessen verfolgen und bestimmte weltliche Ziele im Auge haben, gar nicht anders können, als sich selbst in personaler Einmaligkeit zum Vorschein und mit ins Spiel zu bringen." {Arendt, 1960, S. 173 ff.) Die Beschäftigung mit Werten, sofern sie nicht aus Optimierungsgesichtspunkten heraus geschieht, versucht im Ausgleich und in der Weiterentwicklung geltender Managementlehren dem Umstand gerecht zu werden, den Lorenz (1984, S. 30) folgendermassen zusammenfaßt: „Die Selbstbewertung des normalen Menschen fordert mit vollem Recht die Behauptung seiner Individualität. Der Mensch ist nicht, wie eine Ameise oder eine Termite, von seiner Phylogenese so konstruiert, daß er es verträgt, ein anonymes und durchaus austauschbares Element unter Millionen völlig gleichartiger zu sein." Der Mensch ist zugleich ein in sich geschlossenens Ganzes und ein Teil eines größeren Ganzen. Als Teil dieses größeren Ganzen sucht er dessen Gestalt und Struktur zu verstehen, fragt nach den Grenzen und Möglichkeiten dieses Ganzen. Nur wenn er dieses größere Ganze als sinnvoll erlebt, kann er auch seine eigene Existenz darin als sinnvoll erleben. Hierzu muß er dann zudem seinen Platz in der Struktur des Ganzen finden. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Lebens, also dem Sinn der Existenz als ein in sich geschlossenes System, ist zugleich die Frage nach dem adäquaten Platz in einem größeren System. Werthaltungen leisten im Rahmen dieser Sinnsuche zweierlei. Zum einen definieren sie zu einem nicht unerheblichen Teil die Individualität des Menschen als ein in sich geschlossenes Ganzes und zum anderen helfen sie bei der Einordnung des Menschen in ein größeres Ganzes. Werthaltungen sind somit zugleich differenzierender und verbindender Natur für den Einzelnen. In ihrer Gesamtheit definieren diese Werthaltungen und die dahinterstehenden Werte u.a. den Sinn wirtschaftlichen Handelns und sind ihm zugleich untergeordnet. Dies gilt auf den verschiedenen Ebenen gleichermaßen, also sowohl für den einzelnen wirtschaftlich tätigen Menschen als auch für eine Organisation und ihre Subsysteme als auch für ganze Volkswirtschaften. Die oben aufgezeigte Aktualität und Brisanz der Sinnfrage verleiht somit der Frage nach den Werthaltungen zentraler Persönlichkeiten und ihrer Auswirkungen auf die Gestaltung von Organisationen zusätzliche Bedeutung. Die Auseinandersetzung mit Werten und Werthaltungen einzelner Personen streift in bestimmten Punkten auch immer die Sinnfrage. Da sich die Sinnfrage bei der vorhegenden Fragestellung nicht vollkommen ausklammern läßt, ohne daß die zugrundeliegende Hypothese eines sinnvollen Kontextes beraubt wird, soll im folgenden Kapitel versucht werden, den Zusammenhang zwischen Sinnfrage, Werten, Einstellungen und Verhalten herzustellen.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen 1.3.3 Interaktionsmodell
von Werten und Einstellungen
Die Interaktionen zwischen Werten, Zielen, Einstellungen und Verhalten soll anhand des folgenden Modells erläutert werden:
Abbildung
2
Das Wert-Einstellungs-Interaktionsmodell
^
Sinnfrage
Werte (Zielwerte) "Was" A *
Werte (Maßstabswerte) "Wie" À À
Einstellung 1
Einstellung 2 10
8 10 Verhalten
Situation 7 Erfahrungen
Kap. I: Konzept Wert
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Die Sinnfrage beeinflußt sowohl Zielwerte wie auch Maßstabswerte eines Menschen. Die im Rahmen der Sinnfrage auftauchenden Antworten bedürfen der Konkretisierung. Hat ein Mensch im abstrakten Raum seinen Standpunkt abgesteckt, muß er diesen notwendigerweise „herunterbrechen" auf faßbare Objekte und Handlungen. Die Konkretisierung des oder der Endzustände oder der angestrebten dynamischen Entwicklung, die er realisieren will, ergibt seine Zielwerte (2). Diese sind in sich strukturiert. Es gibt hier also Ober- und Unterziele. Diese Zielstruktur muß von der betreffenden Person als in sich widerspruchsfrei erlebt werden. Andernfalls wird er diese Widerspruchsfreiheit versuchen herbeizuführen, entweder durch Zuhilfenahme weiterer intervenierender Zielwerte oder durch Umformulierung oder Weglassen bereits in seiner Struktur enthaltener Ziele. Nun muß sich ein Mensch aber nicht nur über das „Was" klar werden, sondern auch das „Wie" bedarf der Konkretisierung. Das „Wie" wird mittels der Maßstabswertstruktur ausgedrückt. Hier wird der Standpunkt im abstrakten Raum des Sinns also ausgedrückt durch Eigenschaften, die als Leitlinie für die Art der Lebensführung fungieren (1). Hier finden sich Konstrukte wie Fleiß, Ehrgeiz, Toleranz, Fairness u.v.a.m.. Werte und Ziele, die sich jeweils auf die Sinnfragen zurückführen lassen, sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Sie beeinflussen sich gegenseitig und müssen auf dem relativ hohen Abstraktionsniveau, das sie beide haben, untereinander logisch und widerspruchsfrei sein. Es kommt in der Realität also zu einem permanenten Abgleich zwischen Maßstabswerten und Zielwerten im Lichte gemachter Erfahrungen (8,9). Hierbei darf man nicht übersehen, daß Werte und Ziele aufgrund ihres relativ hohen Abstraktionsniveaus und ihrer Zentralität innerhalb des mentalen Systems zeitlich relativ stabil sind. Gleichwohl können sie sich in Stadien des Sozialisierungsprozesses und durch einschneidende Erlebnisse (wie ζ. B. Kriegserlebnisse, Tod eines Partners u. ä.) verändern oder in ihrer Wertigkeit verschieben. Leichter veränderbar sind die den Werten nachgeordneten Einstellungen. Sie stellen (vgl. auch Kapitel 1.2. dieser Arbeit) eine weitere Konkretisierung der Maßstabs- und Zielwerte dar. Hierbei konkretisiert eine Einstellung oftmals sowohl bestimmte Maßstabswerte wie auch ein oder mehrere Zielwerte (4,5). Einstellungen beziehen sich auf ein bestimmtes Objekt. Solange das Objekt der Einstellung noch nicht greifbar ist, es also noch nicht vor einer Person steht, handelt es sich um eine Einstellung im Sinne einer Konstellation (Einstellung 1). Der Betreffende hat zwar zu einem Objekt eine Meinung, die sich aus seinen Zielen und Werten ergibt, seine Einstellung führt aber aufgrund der „Abwesenheit" des Einstellungsobjektes nicht zu Verhalten.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Tritt nun die Situation ein, in der die Person mit dem Einstellungsobjekt konfrontiert wird, konkretisiert er die Einstellung 1 in Abhängigkeit von den Situationsfaktoren, wie ζ. B. Laune, Wetter u.v.a.m. nochmals. Die jetzt entstandene Einstellung 2 ist handlungsrelevant. Sie beeinflußt nachhaltig das Verhalten der Person in dieser speziellen Situation (6). Sind Einstellung und/oder Verhalten nicht in Einklang zu bringen mit den Werten der Person, kommt es zu einem Unwohlsein, einer kognitiven Dissonanz, die im Sinne Festingers dazu führt, daß alles versucht wird, diese Dissonanz abzubauen. Impliziert eine Einstellung 2 Verhalten, das im Extremfall sogar im direkten Widerspruch zu einem zentralen Wert steht, kann dies sogar zur Handlungsunfähigkeit führen. Die Erfahrungen, die eine Person in einer Situation aufgrund eines bestimmten Verhaltens macht, werden wiederum mit Einstellungen, Werten und Zielen rückgekoppelt und abgeglichen. Es handelt sich bei dem hier vorgestellten Interaktionsmodell also um ein dynamisches Modell. Jede Person versucht, die angesprochenen Elemente in einen Ausgleich zu bringen, wobei dies durch die sich permanent ändernde Situation nur selten und oftmals nur vorübergehend gelingt. 1.4 Zusammenfassende Darstellung von Kapitel I
In Kapitel 1.1. sollte ein interdisziplinär anwendbarer Wertbegriff erarbeitet werden, der es im folgenden ermöglicht, Forschungsergebnisse aus verschiedenen Disziplinen zu integrieren. In Abgrenzung zu diesem Wertbegriff sollte zudem der Begriff Einstellung derart definiert werden, daß eine Abgrenzung beider Konstrukte möglich ist.
Kap. I: Konzept Wert
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Es wurden folgende Definitionen erarbeitet:
1) Werte sind Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau. 2) Werte liegen an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. 3) Werte sind gesellschaftlich vermittelt. 4) Werte haben Orientierungscharakter. 5) Werte haben Einfluß auf menschliche Wahrnehmung und menschliches Verhalten. 6) Werte sind objektunspezifisch. 7) Werte sind situationsübergreifend. 8) Werte sind zeitlich relativ stabil. 9) Werte implizieren aufgrund ihrer Generalität und Zentralität innerhalb des mentalen Systems eine hohe emotionale Beteiligung.
Analog zu dieser Wertdefinition wird folgende Einstellungsdefinition zugrundegelegt: 1) Einstellungen sind Konstrukte auf mittlerem Abstraktionsniveau. 2) Einstellungen sind ich-zentral, sie sind personenbezogen und somit nicht generalisierbar. 3) Einstellungen sind gesellschaftlich und sozial vermittelt. 4) Einstellungen haben keinen direkten Handlungsbezug, wobei eine Vielzahl intervenierender Variable ebenfalls auf die Handlung bzw. NichtHandlung einwirken. 5) Einstellungen sind objektspezifisch. 6) Einstellungen sind situationsspezifisch. 7) Einstellungen sind zeitlich weniger stabil als Werte. 8) Einstellungen haben eine kognitive, eine emotionale und eine handlungsbezogene Komponente.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Aus diesen Definitionen ergeben sich folgende Abgrenzungskriterien:
1) Abstraktionsniveau: Je höher das Abstraktionsniveau eines Begriffes ist, desto eher haben wir es mit einem Wert als mit einer Einstellung zu tun. 2) Generalisierbarkeit: Haben wir es mit einem personenbezogenen, nicht generalisierbaren Konstrukt zu tun, handelt es sich um eine Einstellung. 3) Obiektspezifität: Ist ein Konstrukt objektspezifisch, handelt es sich eher um eine Einstellung als um einen Wert. 4) Situationsabhänaicikeit: Ein situationsabhängiges Konstrukt ist eine Einstellung. 5) Zeitliche Stabilität: Je größer die zeitliche Stabilität eines Konstruktes, desto eher kann man davon ausgehen, daß es sich um einen Wert handelt. 6) Generalität und Zentralität innerhalb des mentalen Systems: Je zentraler und generaler ein Konstrukt innerhalb des mentalen Systems angesiedelt ist, desto eher handelt es sich um einen Wert. 7) Ausaealichenheit von kognitiver, emotionaler und handlunasbezooener Komponente: Je ausgeglichener das Verhältnis von kognitiver, emotionaler und handlungsbezogener Komponente ist, desto eher handelt es sich um eine Einstellung. Einen Wert kennzeichnet eine ausgeprägte emotionale Beteiligung. 8) Anzahl: Die Anzahl von Werten ist begrenzt, die Anzahl von Einstellungen ist prinzipiell unbegrenzt. \
M
Nachdem in Kapitel 1.1. die grundlegenden Begriffe sowie ihre Vernetzung untereinander geklärt worden sind, soll in Kapitel 1.2. zunächst das Wertkonzept operationalisiert werden. 2. Erfassung des Wertkonzepts Werte und Werthaltungen können nach verschiedenen Kriterien und mit Hilfe verschiedener Methoden erfaßt werden. Es soll unterschieden werden zwischen Möglichkeiten der Werterfassung in Bezug auf verschiedenen Kriterien, nämlich inhaltliche, formale und funktionale Kriterien der Werterfassung. Nach der Darstellung der drei Kriterien und der wichtigsten Vertreter der jeweiligen Kategorie soll das dieser Arbeit zugrundeliegende Konzept dargestellt und begründet werden.
Kap. I: Konzept Wert
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Im zweiten Abschnitt sollen die Methoden, die die empirische Sozialforschung für die Werterfassung zur Verfügung stellt, aufgezeigt und in Bezug auf Anwendbarkeit im Rahmen der Werterfassung kritisch gewürdigt werden. Im Anschluß daran soll die im Rahmen dieser Untersuchung verwendete Methode beschrieben werden. 2.1 Möglichkeiten der Erfassung von Werten
Die Problematik der Erfassung von Werten, die definiert sind als Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau, liegt analog ähnlich gelagerter Konstrukte in eben diesem hohen Abstraktionsniveau. Hintergrundhypothesen, die inhaltliche Konkretisierungen vornehmen, sind insofern als problematisch anzusehen, da sie das Definitionskriterium „Abstraktionsniveau" ad absurdum führen. Es besteht hier in Bezug aufwerte konkret die Gefahr, daß Einstellungen und nicht Werte erfaßt werden. Andererseits kann die Erfassung auf dem für das Wertkonstrukt adäquaten Abstraktionsniviau im Allgemeinen „hängenbleiben". Ein Versuch, dieses Dilemma aufzulösen, besteht in dem Versuch der Quantifizierung auf relativ hohem Abstraktionsniveau. Die Quantifizierung qualitativer Konstrukte wirft einige wissenschaftstheoretische Fragestellungen auf. Zunächst ist hierzu die Frage zu stellen, ob alles meßbar ist, wir aber (noch nicht) über ein adäquates Meßinstrumentarium verfügen, oder ob es Dinge gibt, die sich grundsätzlich der Messung entziehen. Hier stößt man auf jene wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung, die dem kartesianischen, dem mechanistischen das holistische Weltbild entgegenhält. Die Diskussion um diese beiden grundsätzlichen wissenschaftstheoretischen Standpunkte kann im Rahmen dieser Arbeit nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden. Gänzlich auf eine Darstellung zu verzichten, erscheint jedoch nicht opportun, da die Interdependenz vorherrschender wissenschaftstheoretischer Standpunkte und den jeweils in der Gesellschaft verankerten Werten eine spezielle Relevanz in Bezug auf die Thematik der Arbeit nahelegt. Zudem bringt der dieser Arbeit zugrundeliegende wissenschaftstheoretische Standpunkt implizit die Werte, die sich hinter diesem Standpunkt verbergen, in die Arbeit ein; sie sind Voraussetzung sozialwissenschaftlicher Arbeit, wie auf S. 4 dieser Arbeit dargestellt. Die beiden wissenschaftstheoretischen Standpunkte sollen im folgenden kurz beschrieben werden. Es handelt sich hier einmal um die kartesianische Denkweise und zum anderen um die holistische Denkweise. Die kartesianische Denkweise geht zurück auf Descartes, der Wissenschaft definierte als sicheres, evidentes Wissen. Wissenschaftsgeschichtlich wurde mit Descartes jener Punkt erreicht, an dem Wissenschaft vom Verstehen der Natur zum Wissen um und 4 Klein
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zum Beherrschen der Natur wurde. 15 Analytisches Denken wurde somit zur Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens. Bekannte Vertreter dieser Denkrichtung sind in allen wissenschaftlichen Disziplinen zu finden. Da die Welt als Maschine verstanden wird, wird sie in Teile zerlegt und diese werden untersucht. Der holistische Standpunkt setzt genau hier an. „Obwohl wir in jedem System Einzelteile unterscheiden können, ist das Ganze doch immer etwas anderes als die bloße Summe seiner Teile." {Capra, 1983, S. 295) Wenn aber das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, so entbehrt der Gedanke der Meßbarkeit aller Konstrukte mit Hilfe der Addition von Teilmessungen an Plausibilität. Es können dann zwar einzelne Systemelemente meßbar gemacht werden, die Gesamtheit jedoch entzieht sich ab einem gewissen Komplexitätsniveau der Messung. M i t der zahlenmäßigen Erfassung würde der Forscher dann komplexen Konstrukten und Systemen nicht mehr gerecht. Vielmehr würde durch eine quantitative Darstellung die irrige Annahme naheliegen, daß hier ein komplexes Konstrukt in seiner Gesamtheit faßbar gemacht wurde. Die Sinnhaftigkeit zahlenmäßiger Abbildung wird abhängig gemacht von dem Komplexitätsniveau des abzubildenden Konstruktes. Zahlenmäßige Abbildung kann bei komplexen Konstrukten immer nur Rahmen abstecken oder Teile erfassen. Die Versuche, Werte zu erfassen, lassen sich auf zwei verschiedene Arten klassifizieren, einmal über das zugrundeliegende Kriterium und zum anderen über die der Erfassung zugrundeliegende Methode. Als mögliche Kriterien lassen sich Inhalt, Form und Funktion unterscheiden (vgl. hierzu auch Sc ho IISchaaf.; 1975, S. 81 ff.). Einige Werterfassungsverfahren versuchen Werte ihrem Inhalt nach abzubilden und z. T. auch zu messen. Andere versuchen aufgrund formaler Kriterien wie z. B. Stabilität, Intensität u. ä. Werte bzw. Werthaltungen zu klassifizieren. Eine dritte Kategorie von Werterfassungsmethoden erkennt man daran, daß sie die Funktion von Werten als kategoriale Bestimmung heranziehen, wie z. B. die Orientierungsfunktion u.ä.. 2.1.1 Erfassung über inhaltliche Kriterien Die Erfassung von Werten über inhaltliche Kriterien ist am weitesten verbreitet. Qualitativ wie auch quantitativ sollen Werte bzw. Werthaltungen von Gesellschaften oder Einzelnen erhoben werden. Verschiedene Arbeiten, die unter diese Kategorie fallen, weisen ganz unterschiedliche Absolutheitsansprüche auf. Spranger (1925) hält seine Gliederung für theoretisch erschöpfend, während z. B. Rokeach (1973) die Möglichkeit einer 15 Vgl. zur Darstellung der kartesianischen Denkweise in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen: Capra , 1983.
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Ergänzung offenläßt. Gemeinsam ist allen Ansätzen der Versuch, Werte bzw. Werthaltungen ihrem Inhalt nach zu erfassen und Gesellschaften bzw. Personen aufgrund der verschiedenartigen Inhalte ihrer Werte zu klassifizieren. Hierzu werden Werte entweder inhaltlich präzisiert den Versuchspersonen vorgelegt oder es wird über andere Verfahren versucht, den Inhalt der Werthaltungen der Versuchspersonen festzustellen. Die inhaltliche Präzisierung durch den Forscher kann über verschiedene Methoden erfolgen. So geht ζ. B. Rosenkind (1981) in 5 Phasen vor: Phase 1: Analyse relevanter Literatur Phase 2: Erstellung einer Wertkonzept-Urliste Phase 3: Erste Reduzierung des Begriffsinventars im Team des Forschungsprojektes Phase 4: Schriftliche Expertenbefragung Phase 5: Zweite Reduzierung des Begriffsinventars und Erstellung einer Liste relevanter Wertbegriffe (Finalversion) für das EAW (Eindrucksdifferential zur Analyse von Wertsystemen). Unabhängig von der Methode, mit deren Hilfe der Forscher zu der Wertliste gelangt, wird hier zumeist eine inhaltliche Präzisierung von Seiten des Forschers vorgenommen. Inwieweit hier einengende Entscheidungen des Forschers auf die Validität der Forschungsergebnisse einwirken, soll im Zusammenhang mit dem standardisierten Interview in Kapitel 2.2. besprochen werden. Auch die der Indikatorenbewegung zurechenbaren Werterfassungsarten sind der Kategorie inhaltlicher Bestimmung zuzuordnen. Zu der Erfassung von Werten mittels Indikatoren ist anzumerken, daß die Qualität der Erfassung von der der Hintergrundhypothese abhängt. Hier gilt, was Vaasen (1984, S. 100) sagt: „Erfolgt (somit) eine Operationalisierung des Wertkonzepts über Indikatoren, muß beachtet werden, daß der gesamte Wertraum, der zuvor als Forschungsgegenstand bestimmt wurde, abgedeckt ist." Scholl-Schaaf (1975, S. 104) verweist auf die Vielfalt der inhaltlichen Klassifikationssysteme. Diese Vielfalt weise „auf die Schwierigkeit der Bestimmung gültiger inhaltlicher Taxonomien von Werthaltungen unabhängig von dem anvisierten Problembereich und den untersuchten Personen hin." Die Vermutung liegt nahe, daß der Mensch aufgrund seiner Komplexität in Bezug auf seine Werthaltungen nicht in ein inhaltliches Schema zu pressen ist, sondern hier vielmehr der Forscher gefordert ist, jeden Einzelnen in seiner Einmaligkeit zu begreifen und zu beschreiben. (Oerter, 1970, S. 173) D.h. nicht, daß auf inhaltliche Präzisierung verzichtet werden muß, sondern nur, daß diese Präzisierung für jede Versuchsperson erneut zu erfolgen hat. Damit gewinnen allerdings zwangsläufig formale und funktionale Kategorisierungen für die Differenzierung verschiedener Werthaltungen erheblich an Gewicht.
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2.1.2 Erfassung über formale Kriterien Eine zweite Möglichkeit der Werterfassung besteht über die Erfassung formaler Kriterien. Unabhängig davon, ob sich das formale Kriterium auf einzelne Werte bzw. Werthaltungen oder auf ein ganzes System von Werten bezieht, muß jeder Wert und somit auch jedes System von Werten in Bezug auf das jeweilige formale Kriterium einordnenbar sein. Es sind verschiedene formale Kriterien denkbar. In Anlehnung an SchollSchaaf (1975) sollen hier folgende Kriterien unterschieden werden: — Bewußtheitsgrad Der Einzelne kann sich seiner Werthaltungen bewußt sein, sie können ihm aber auch vollkommen unbewußt sein. Vor allem Maßstabswerte, die in der Kultur verankert sind, und somit zu den Selbstverständlichkeiten gehören, müssen dem Betreffenden nicht unbedingt bewußt sein. Unbewußte Werthaltungen sind nur auf indirektem Wege erhebbar, während bewußte Werthaltungen direkter Befragung zugänglich sind. • — Überzeugtheit Das Kontinuum bezüglich des Kriteriums Überzeugtheit reicht von „ganz überzeugt" bis zu „wenig überzeugt". In Bezug auf eine einzelne Werthaltung läßt sich die Ausprägung „wenig überzeugt" kaum vertreten; die Versuchsperson hat die entsprechende Werthaltung offensichtlich nicht internalisiert. In Bezug auf Wertsysteme allerdings ist der Grad der Überzeugtheit sehr wohl aussagefahig. „Wenig überzeugt" würde hier in Richtung der von Klages und Herbert (1983, S. 113) dargestellten Wertwandlungsalternative des Wertverlustes hinweisen. — Stabilität Die Stabilität einer Werthaltung oder eines Wertsystems kann von „vollkommen stabil" bis zu „wenig stabil" reichen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, daß Werte per definitionem eine gewisse Stabilität aufweisen. Es können hier also nur graduelle Unterschiede der Stabilität herangezogen werden, da ein ständiger Wechsel im Werthaltungssytem darauf hinweist, daß es sich wahrscheinlich bei dem erfaßten Konstrukt vielmehr um Einstellungen als um Werthaltungen handelt. Dennoch scheint plausibel, daß vor allem über die verschiedenen Altersstufen die Stabilität von Werthaltungssystemen variiert. — Wichtigkeit Analog der Kategorie Stabilität muß auch für die Kategorie Wichtigkeit ein gewisser Punkt auf der Skala überschritten werden, damit man überhaupt von einer Werthaltung sprechen kann. Wie wichtig einer Versuchsperson eine Werthaltung ist, ist absolut aufgrund verschiedenen Sprachverständnisses kaum nachvollziehbar. Insofern bietet sich hier die Untersuchung von ganzen Werthaltungssystemen an, so daß die intraindividuelle Rangfolge als Indikator für die Wichtigkeit herangezogen werden kann".
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— Universalisierungsgrad Der Universalisierungsgrad bezieht sich ausschließlich aufwerte, nicht auf Werthaltungen. Das Kontinuum erfaßt hier den Verbreitungsgrad eines Wertes in einer Gesellschaft. Diese Kategorie eignet sich somit besonders für Untersuchungen auf der soziokulturellen Ebene, wobei eine Anwendung innerhalb definierter Subsysteme durchaus denkbar ist. — Differenzierungsgrad Der Differenzierungsgrad eines Wertsystems ist abhängig von der Zahl der darin geordneten Werte bzw. Werthaltungen. Er nimmt mit fortschreitender Anzahl der Werthaltungen zu, wobei auch bei gleicher Zahl von Werthaltungen unterschiedliche Differenzierungsgrade denkbar sind. — Integrationsgrad Das Kontinuum, auf dem der Integrationsgrad abgetragen werden kann, variiert von „nicht integriert, inkonsistent" bis zu „integriert, konsistent". Hierbei ist die Zahl der Werthaltungen als Einflußfaktor nicht zu übersehen, wobei Zahl der Werthaltungen und Integrationsgrad zumindest theoretisch voneinander unabhängig sind. Die Frage, die hier zugrundeliegt, ist also nicht die nach dem Was, sondern vielmehr die nach dem Wie. Wie bewußt sind dem Probanden oder einer Gesellschaft ihre Werthaltungen bzw. Werte, wie stark sind sie differenziert, wie stabil sind sie etc. Die Problematik, die sich ergibt, ist die, daß nur schwer nach der Intensität oder Stabilität eines inhaltlich nicht präzisierten Konstruktes auf relativ hohem Abstraktionsniveau gefragt werden kann. Für eine Analyse von Werthaltungen oder Werten anhand formaler Kriterien ist eine inhaltliche Präzisierung notwendige Voraussetzung. 2.Î. 3 Erfassung über funktionale
Kriterien
Die dritte Möglichkeit der Werterfassung ist die der Erfassung über funktionale Kriterien. Gefragt wird hierbei nach der Funktion, die Werte für eine Gesellschaft bzw. Werthaltungen für den Einzelnen haben. Scholl-Schaaf (1975) unterscheidet hier die Orientierungs-, die Integrations- und die Adaptionsfunktion. Hierbei ergeben sich zwei Problemkreise. Zum einen gilt analog der Erfassung anhand formaler Kriterien, daß sich Konstrukte, die inhaltlich nicht präzisiert sind, nur schwer in Bezug auf ihre Funktion untersuchen lassen. Zum anderen, und dies erscheint in diesem Zusammenhang der gravierendere Problemkreis, liegt ein Zirkelschluß nahe. Werte, die definiert sind als Konstrukte auf relativ hohem Abstraktionsniveau mit Orientierungsfunktion für den Einzelnen, können nicht anhand dieser Orientierungsfunktion kategorisiert werden. Die von Scholl-Schaaf genannten Funktionen sind zugleich Definitionsmerkmale
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von Werten. Sie sind somit allen Werten per definitionem gemein und erlauben nur graduelle Differenzierungen. Zusammenfassend läßt sich konstatieren, daß ohne die inhaltliche Präzisierung von Werthaltungen die Erfassung aufgrund der beiden anderen Kriterien kaum sinnvoll erscheint. Die inhaltliche Erfassung von Werthaltungen bzw. Werten ist also für jedwede Untersuchung von Werten notwendige Voraussetzung. Die formale Klassifizierung bietet dann aufbauend auf der inhaltlichen Präzisierung eine interessante Möglichkeit, Werte und Werthaltungen zu klassifizieren, ohne die Einmaligkeit von Wertsystemen einzelner Personen zu negieren. Die Klassifizierung nach funktionalen Kriterien aufbauend auf der dieser Arbeit zugrundeliegenden Definition von Wert würde einem Zirkelschluß gleich kommen. Auf sie soll deshalb verzichtet werden. 2.2 Methoden der Erfassung
Werte und Werthaltungen können mit Hilfe verschiedener Methoden, die die empirische Sozialforschung zur Verfügung stellt, erfaßt werden. Diese Methoden sollen im folgenden dargestellt und in Bezug auf ihre Anwendbarkeit zur Werterfassung kritisch gewürdigt werden. Hierbei sollen drei grundlegende Strategien unterschieden werden: die Verhaltensbeobachtung, die Befragung und die Dokumentenanalyse. 2.2.1 Verhaltensbeobachtung Die Beobachtung des Verhaltens als eine der klassischen Formen empirischer Sozialforschung läßt sich auf verschiedenen Dimensionen differenzieren. Man unterscheidet zunächst die Situation, in der die Beobachtung stattfindet, nämlich in der natürlichen Situation oder im Labor. Des weiteren kann man unterscheiden zwischen teilnehmender und nicht teilnehmender Beobachtung in Abhängigkeit von der Rolle des Forschers. Nicht immer deckungsgleich mit der Rolle des Forschers ist das Wissen der Versuchspersonen um eben diese Rolle. Als weitere Unterscheidungsdimension bietet sich hier demnach die Offenheit bzw. Verdecktheit der Beobachtung an. Als letzte Dimension der Beobachtung muß noch der Grad der Systematisierung der Beobachtung erwähnt werden. Inwieweit sich die Verhaltensbeobachtung im Rahmen der Werterfassung eignet, und falls ja, welche Dimensionsausprägungen anzustreben sind, darüber besteht in der Literatur keine Einigkeit. Allerdings steht der alleinigen Erhebung von Werten bzw. Werthaltungen mittels Verhaltensbeobachtung neben dem Vorwurf der Zirkelschlusses vor allem die geringe Wirtschaftlichkeit der Methode im Wege. Zwei der gravierensten Einwände gegen die alleinige Verwendung der Verhaltensbeobachtung zur Werterfassung sollen kurz angesprochen werden.
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Dies ist zum einen der bereits erwähnte Zirkelschluß: „Wenn Werte durch Verhaltensbeobachtung gemessen werden und aufbauend auf diesen Messungen anschließend Verhalten erklärt wird, liegt ein Zirkelschluß vor." (Catton, 1959, S.311) Den weiteren grundlegenden Einwand formuliert Vaasen (1984, S. 100): „Das grundsätzliche Problem einer Operationalisierung von Werten auf Verhaltensebene ist in der Mehrfach-Determiniertheit des Verhaltens zu sehen." Im Rahmen dieser Arbeit soll deshalb auf die Verhaltensbeobachtung als Instrument zur Werterfassung gänzlich verzichtet werden. 2.2.2 Befragung Die Befragung ist die in der Wertforschung verbreitetste Erhebungsmethode. Die Befragung kann zum einen mittels verschiedener Medien, nämlich mündlich, fernmündlich oder schriftlich durchgeführt werden, und zum anderen unabhängig von dem verwandten Medium frei, standardisiert, direkt oder indirekt aufgebaut werden. Im folgenden sollen zunächst die zur Verfügung stehenden Medien dargestellt und in Bezug auf die Werterfassung kritisch diskutiert werden. Im Anschluß daran sollen die Standardisierung und Direktheit als Kriterien des Befragungsaufbaus ebenfalls in Bezug auf die Werterfassung diskutiert werden, nachdem sie in ihren Grundzügen kurz dargestellt worden sind. 2.2.2.1 Medien der Befragung Befragungen können mündlich, fernmündlich oder schriftlich durchgeführt werden. Schriftlich durchgeführte Befragungen bergen zum einen die Gefahr, daß der Befragte den Bogen nicht allein ausfüllt. (Mayntz/ Holm / Hübner, 1978, S. 104) Zudem sind zusätzliche Erklärungen durch den Interviewer bei dieser Form der Befragung von vornherein ausgeschaltet, so daß bei einem komplexen Thema Verzerrungen aufgrund verschiedener Interpretationen der Fragen auftauchen können. Die schriftliche Befragung hat den Vorteil, daß sie sehr preiswert durchzuführen ist. Sie kommt somit vor allem im Rahmen großzahliger, klar strukturierbarer Befragungen in Frage. Für die Erfassung von Werten, die ein sehr komplexes Konstrukt sind, erscheint die schriftliche Befragung wenig geeignet. Die fernmündliche und die mündliche Befragung sind dadurch gekennzeichnet, daß der Interviewer den Probanden direkt befragt und die Fragen auf dem Antwortbogen notiert. Hierbei können sogenannte Interviewerfehler auftreten, d. h. es kommt zu einer Verzerrung der Antworten aufgrund der Art und Weise, wie der Interviewer fragt bzw. erklärt oder auch durch die non-verbalen Signale, die er, im mündlichen Interview, aussendet.
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Die Fehlerquote durch Interviewerfehler ist jedoch zum einen mit gezieltem Training zu senken. Bei kleinzahligen Untersuchungen besteht zudem die Möglichkeit, nur einen einzigen Interviewer einzusetzen, wodurch zwar Tendenzen z.B. zur Strenge oder Milde nicht ausgeschaltet werden, jedoch die Relationen der Antworten verschiedener Probanden zueinander kaum beeinflußt werden. Telefonisch durchgeführte Befragungen eignen sich nur für relativ kurze Fragebögen, da die Bereitschaft, sich einem solchen Interview zu stellen mit zunehmender Länge des Interviews abnimmt. Zudem muß bedacht ^Werden, daß zwischen dem Interviewer und dem Interviewten keine vertrauensvolle Atmosphäre aufgebaut werden kann, wie dies bei der Behandlung komplexer Themen mit hoher persön-licher Betroffenheit notwendig sein kann. Da die Erfassung von Werten relativ viel Zeit benötigt und zudem eine ehrliche Beantwortung der Fragen durch die Probanden nur dann gewährleistet werden kann, wenn diese bereit sind, auch persönlich sich dem Thema zu öffnen, erscheint das telefonische Interview für dieses komplexen Thema wenig geeignet. Im Rahmen dieser Arbeit wird die mündliche Befragung gegenüber der schriftlichen und der fernmündlichen aus den oben genannten Gründen präferiert. Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung ist eine umfassende Interviewerschulung, die der eigentlichen Untersuchung vorangestellt werden muß. Da zudem nur wenige Probanden in die Untersuchung einbezogen werden sollen, besteht die Möglichkeit, alle Interviews von einem einzigen Interviewer durchführen zu lassen. Dies minimiert die Gefahr der unterschiedlichen Beeinflußung verschiedener Probanden aufgrund von Unterschieden in der Art der Befragung verschiedener Interviewer. M i t der Festlegung des Mediums der Befragung ist jedoch noch nichts über die Befragung selbst gesagt werden. Im folgenden Abschnitt sollen Standardisierung und Direktheit der Befragung dargestellt, diskutiert und für die vorliegende Untersuchung festgelegt werden. 2.2.2.2 Standardisierung der Befragung Der Grad der Standardisierung einer Befragung ist als Punkt auf einem Kontinuum definierbar, das von standardisierter Befragung bis zum ungelenkten Interview reicht. Das ungelenkte Interview bietet den Vorteil, daß hierbei durch die Fragen eine geringstmögliche Vorstrukturierung der Antworten vorgenommen wird. Damit wird auch die Gefahr der Antwort im Sinne der sozialen Erwünschtheit reduziert.
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Auf der anderen Seite ist die Vergleichbarkeit aufgrund ungelenkter Interviews kaum oder nur in Teilgebieten gegeben. Da die Probanden sich frei äußern können, bleibt als Auswertungsmöglichkeit zumeist kaum die der Skalierung, sondern vielmehr die der qualitativ beschreibenden Auswertung. Zudem sind ungelenkte Interviews sehr zeit- und somit auch sehr kostenaufwendig. Des weiteren stellen ungelenkte Interviews eine hohe Anforderung an die Interviewer selbst. Ungelenkte Interviews empfehlen sich daher hauptsächlich für kleine Stichproben und Untersuchungen, bei denen der explorative Charakter im Vordergrund steht. Die standardisierte Befragung hat den Vorteil, daß hierbei die Vergleichbarkeit der Ergebnisse hoch ist. Allerdings wird durch die Vorstrukturierung des Themas eine Einengung vorgenommen, so daß es im Nachhinein schwierig ist, über die Réhabilitât, besonders in Bezug auf komplexe Themen, eine Aussage zu machen. Ein weiterer Vorzug des standardisierten Interviews ist in dem geringeren notwendigen Zeitaufwand zu sehen. Das standardisierte Interview ist somit preiswerter durchzuführen als das ungelenkte Interview, zudem sind die Anforderungen an die Interviewer weniger hoch als beim ungelenkten Interview. Eine standardisierte Befragung zur Erfassung von Werten eignet sich besonders dann, wenn ihr eine explorative Phase vorangegangen ist, so daß durch die Standardisierung nur wenige Verzerrungen auftreten. Dann allerdings erscheint eine Standardisierung empfehlenswert, da die Vergleichbarkeit der Antworten verschiedener Probanden hierdurch gewährleistet wird. 2.2.2.3 Direktheit der Befragung Eine weitere Dimension, auf der sich Befragungen zur Werterfassung differenzieren lassen, ist die Direktheit, mit der die Fragen gestellt werden. Scholl-Schaaf unterscheidet hier zwischen direkten Fragen zur Werthaltung, Fragen die ein Werturteil verlangen und Präferenzalternativen im Bereich der direkten Befragungen und projektiven Verfahren, Inhaltsanalysen und faktorieller Haltungsmessung im Bereich indirekter Befragungen, (,Scholl-Schaaf \ 1975, S. 120ff.) Windhorst (1985, S. 70) nimmt eine andere Einteilung vor. Er faßt unter direkten Befragungen diejenigen zusammen, die Scholl-Schaaf als „Fragen zur Werthaltung" bezeichnet und unter indirekten Befragungen diejenigen, die Scholl-Schaaf unter „Fragen, die ein Werturteil verlangen" subsumiert. Ohne auf die Unterschiede in den verbalen Bezeichnungen eingehen zu wollen, muß festgestellt werden, daß die Einteilung, die Scholl-Schaaf vornimmt, detaillierter ist als diejenige von Windhorst. Es sollen deshalb im folgenden die Befragungsmethoden, die Scholl-Schaaf unterscheidet, kurz dargestellt und diskutiert werden.
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Die direkte Befragung ist dadurch gekennzeichnet, daß in der Frage der Wert selbst explizit genannt und normativ abgefragt wird. Ein typischer Vertreter dieser Methode ist Rokeach (1973, S. 422), der den Probanden Werte vorgibt, die sie nach der Wichtigkeit ordnen müssen. Vorteile der direkten Befragung liegen vor allem in einer hohen face-validity {Scholl-Schaaf 1975, S. 120), da die abgefragten Werte direkt genannt werden. Die Problematik sozialer Erwünschtheit ist besonders in Bezug auf die Erfassung von Werten nicht überzubewerten, da es sich bei Werten um Konstrukte mit Orientierungscharakter für den Einzelnen handelt. D.h., daß die soziale Erwünschtheit nicht die Werthaltung verfälscht, sondern daß vielmehr die Werthaltung in ihr zum Ausdruck kommt. Die Unabhängigkeit von Interviewer und Auswerter ist in der Regel bei der direkten Befragung größer als bei der indirekten (Windhorst, 1985, S. 71), da weder bei der Fragebogenkonstruktion noch bei der Auswertung Interpretationen oder Umrechnungen notwendig sind. Zu beachten bei der direkten Befragung ist allerdings, daß die Fragen sorgfaltig formuliert werden und vor allem, daß der Interviewer im Vorspann das Wertkonstrukt hinreichend genau erklärt. Sonst besteht die Gefahr, daß es zu Verzerrung aufgrund grundlegend unterschiedlicher Interpretationen der erfragten Werte durch die verschiedenen Probanden kommt. Dadurch würde das Ergebnis einer solchen Befragung stark verfälscht. Ein weiteres Problem direkter Fragen zu Werthaltungen ergibt sich aus dem notwendigerweise sehr hohen Abstraktionsniveau der Fragen. Die Gefahr, klischeehafte Antworten zu erhalten, darf nicht unterschätzt werden. Auf einen weiteren Kritikpunkt direkter Fragen zu Werthaltungen, die eine Einstufung nach der Wichtigkeit verlangen, weist Scholl-Schaaf (1975, S. 125) hin. Negative Ausprägungen von Haltungen zu Werten, die dazu führen, daß die Nicht-Erreichung einen Wert darstellt, können über diese Art der Befragung nicht erfaßt werden. Hier würde eine absolute Skala, die von Zustimmung bis Abneigung abgestuft ist, Abhilfe schaffen. Allerdings wird durch eine solche Skala wiederum die Beziehung der Werte zueinander weniger prägnant, da mehrere Werte gleichrangig bewertet werden können. A n diesem Punkt erscheint es sinnvoll, Maßstabswerte und Zielwerte zu differenzieren. Während Maßstabswerte gleichrangig nebeneinanderstehen können im Sinne einer „sowohl-als-auch-Anforderung", konkurrieren Zielwerte aufgrund begrenzter Ressourcen, die zu ihrer Verwirklichung zur Verfügung stehen, miteinander. Da aber, wie in Kapitel 1.1.1.2. dieser Arbeit festgestellt wurde, die Definition, was einen Ziel- und was einen Maßstabswert darstellt, immer nur vom Einzelnen vorgenommen werden kann, ist diese Differenzierung mit Hilfe standardisierter Fragen nicht zu erfassen. Die zweite, von Scholl-Schaaf genannte Methode sind Fragen, die ein Werturteil verlangen. Hierbei wird die Orientierungsfunktion aktiviert, die
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Werten eigen ist. Probanden werden mehrere Entscheidungssituationen vorgelegt, die einen bestimmten Wert repräsentieren sollen. Von den Antworten wird dann auf den Wert zurückgeschlossen. Diese Methode ist insofern schon als indirekt zu bezeichnen, da der Wert nicht explizit genannt wird. Es gilt hier mithin die bereits angesprochene Problematik, daß die Güte eines solchen Verfahrens abhängig ist von der Konstruktion der Entscheidungssituationen und der Adäquatheit in Bezug auf den zu hinterfragenden Wert. Sind die Fragen so konstruiert, daß sie den Wert repräsentieren, hat dieses Verfahren den Vorteil, daß es zu einem Wert mehrere Fragen vorlegt. Somit wird der Proband mehrfach nach demselben Wert befragt. Damit sind Antworttendenzen und Unstimmigkeiten leichter aufzudecken als bei direkten Fragen zu Werthaltungen. Eine für diese Methodik typische Werterfassung ist der Wortorientierungstest von Hiesel (1976). Den Probanden werden hierbei 30 verschiedene Situationen vorgegeben, wozu sie eine Rangordnung bilden sollen. Allerdings scheint dieses Verfahren zur Werterfassung zentraler Persönlichkeiten einer Organisation zu wenig spezifisch und soll deshalb hier nicht weiter dargestellt werden. Zusammenfassend ist zu der Methodik, Werte mittels Fragen zu erheben, die ein Werturteil verlangen, zu sagen, daß die Güte in hohem Maße von der Fragenkonstruktion und der Interpretation der Antworten abhängt. Die dritte Methode, die Scholl-Schaaf zur Werterfassung nennt, ist die der Präferenzalternativen. Hier werden dem Probanden eine Reihe von Items vorgegeben, mit deren Hilfe Präferenzen festgestellt werden sollen. Im Gegensatz zu der vorgenannten Methode wird hierbei der persönliche Charakter gegenüber dem normativen betont. Bekannte Verfahren dieser Art sind ζ. B. die von Allport, Vernon und Lindzey (1951), Shorr (1953) und Roth (1972). Da nicht festzustellen ist, ob der Proband aufgrund bereits gemachter Erfahrungen, normativer Vorstellungen über die Idealreaktion oder tatsächlicher Präferenzen entscheidet, folgert Scholl-Schaaf (1975, S. 142): „Solche items sind damit weder ein valider Indikator für die verbal-symbolische Ebene noch für die Verhaltensebene." Die drei weiteren Verfahren übertitelt Scholl-Schaaf als „Indirekte verbalsymbolische Methoden". Sie sollen den Vorteil bieten, durch geringere Strukturiertheit spontane und individuelle Reaktionsweisen zu ermöglichen, weniger durchschaubar zu sein und tendentiell vermehrt die Person in ihrer Gesamtheit zu erfassen. (,Scholl-Schaaf 1975, S. 144) Zunächst sind hier zu nennen sogenannte projektive Verfahren. Hierunter werden jene Verfahren subsumiert, die dem Probanden eine angefangene Geschichte vorlegen, die dieser beenden soll. Die Fortsetzung durch den Probanden wird sodann analysiert. Hierzu sind mehrere Punkte kritisch
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anzumerken. Zunächst gibt es keinerlei Indikator dafür, inwieweit sich der Proband mit dem Helden der Geschichte identifiziert. Es ist denkbar, daß ihm eine Bekannter, Freund oder Verwandter einfallt, den er sich in der Situation vorstellt. Oder aber der Proband läßt einfach seiner Phantasie freien Lauf. Ein weiterer Kritikpunkt ist analog der beiden vorherigen Verfahren auch hier anzubringen: Die Qualität der Testkonstruktion und -auswertung bestimmt in entscheidendem Maße über die Qualität der durchgeführten Untersuchung, wobei der Interviewer- und Auswertereinfluß als sehr hoch einzuschätzen ist. Für die dieser Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung erscheinen projektive Verfahren wenig geeignet, da sie nur schwer nachvollziehbare und kaum quantifizierbare Umwege machen und zudem die persönliche Betroffenheit des Probanden nicht gewährleistet ist. Als eine weitere indirekte verbal-symbolische Methode nennt Scholl-Schaaf die Inhaltsanalyse. Hierunter werden Verfahren verstanden, die von den Probanden frei erstellte Schriftstücke analysieren. Sie sollen der dieser Arbeit zugrundeliegenden Gliederung zufolge unter einem gesonderten Abschnitt Inhaltsanalyse besprochen werden. Die sechste von Scholl-Schaaf genannte Methode ist die der faktoriellen Haltungsmessung. Sie bezieht sich auf das von Oer ter 1970 entwickelte „Verfahren der faktoriellen Haltungsmessung". {Oer ter, 1970) Im Rahmen dieser Arbeit soll auf eine Darstellung und Diskussion dieser Methode verzichtet werden, da die Methode selbst von der Fragestellung dieser Arbeit relativ weit entfernt ist und zudem nicht unumstritten ist. 2.2.3 Inhaltsanalyse Als letzte Form der Werterfassung soll im Rahmen dieser Arbeit die Inhaltsanalyse dargestellt und diskutiert werden. Aufgabe und Sinn der Inhaltsanalyse kennzeichnen Mayntz, Holm und Hübner (1978), indem sie sagen: „ I n dem, was Menschen sprechen und schreiben, drücken sich ihre Absichten, Einstellungen, Situationsdeutungen, ihr Wissen und ihre stillschweigenden Annahmen über die Umwelt aus. Diese Absichten, Einstellungen usw. sind dabei mitbestimmt durch das sozio-kulturelle System, dem die Sprecher und Schreiber angehören und spiegeln deshalb nicht nur Persönlichkeitsmerkmale der Autoren, sondern auch Merkmale der sie umgebenden Gesellschaft wider — institutionalisierte Werte, Normen, sozial vermittelte Situationsdefinitionen usw. Die Analyse von sprachlichem Material erlaubt aus diesem Grunde Rückschlüsse auf die betreffenden individuellen und gesellschaftlichen, nichtsprachlichen Phänomene zu ziehen. Damit ist die Ausgangsposition und die Aufgabe der Inhaltsanalyse allgemein gekennzeichnet." und weiter: „Dieser intuitive Vorgang des Sprachverstehens muß jedoch zum Zweck einer wissenschaftlichen Analyse explizit gemacht, systematisiert und objektiviert werden. Man kann die Inhaltsanalyse daher als eine Forschungstechnik definieren, die
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sprachliche Eigenschaften eines Textes objektiv und systematisch identifiziert und beschreibt, um daraus Schlußfolgerungen auf nicht-sprachliche Eigenschaften von Personen und gesellschaftlichen Aggregaten zu ziehen." Die Inhaltsanalyse erlaubt demnach Rückschlüsse von sprachlichen Äußerungen von Personen auf ihnen eigene nicht-sprachlichen Elemente, wie z.B. auch ihre Werthaltungen. Damit eignet sich die Inhaltsanalyse zunächst einmal grundsätzlich zur Werterfassung. Allerdings treten hier zum einen spezifische Probleme im Rahmen der Methodik der Inhaltsanalyse auf, zum anderen wird der Forscher erneut mit den grundsätzlich den indirekten Methoden innewohnenden Problemen der Werterfassung konfrontiert. Zu den allgemeinen Problemen ist zu bemerken, daß auch bei der Inhaltsanalyse die Qualität der Erhebung und Auswertung von der Qualität der Hintergrundhypothesen und der Interpretation abhängt. Allerdings erlaubt die Inhaltsanalyse, wenn sie in der von Mayntz, Holm und Hübner geforderten Systematik durchgeführt wird, zumindest eine relative Objektivität in der Auswertung. Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz der Inhaltsanalyse ist ein gemeinsames Sprachverständnis von Sender, Empfanger und Textanalyst. Berelson (1967) nennt dieses gemeinsame Verständnis „common meeting ground". Ist dieser „common meeting ground" vorhanden, kann der Forscher also davon ausgehen, daß es nicht zu einer Verzerrung der Ergebnisse aufgrund verschiedenen Sprachverständnisses kommt, so bleibt die Frage, welche Texte sich zur Analyse von Werten und Werthaltungen eignen. Hierbei soll Inhaltsanalyse nicht ausschließlich auf geschriebene Texte, sondern auch auf von den Probanden erzählte Geschichten oder Antworten in freien Interviews bzw. in Leitfadeninterviews bezogen werden. Die Auswahl der Texte ist insofern für das Forschungsergebnis relevant, als daß nur Texte, die auf vergleichbare Weise entstanden sind, auch verglichen werden können. Konkret heißt das, daß sehr wohl die Texte, die Probanden auf Fragen im Leitfadeninterview geantwortet haben, verglichen werden können, nicht aber Texte, die sie unter verschiedenen Voraussetzungen geschrieben haben. Für die Werterfassung scheint sich die Textanalyse von Interviewantworten aus freien oder nur wenig strukturierten Interviews besonders zu eignen. Zum einen gibt man dem Einzelnen die Chance, den gesamten, für ihn relevanten Wertraum auszudrücken, zum anderen gibt es einen nachvollziehbaren und vergleichbaren Auswertungsmodus, der die wahrscheinlich sehr unterschiedlichen Antworten der verschiedenen Probanden systematisch analysiert, so daß die Willkür des Forschers weniger zum Tragen kommen und die Ergebnisse verfalschen kann. Bleibt die Frage nach dem Kategorienschema, auf das sich die Erfassung und Auswertung stützt, zu beantworten. Hierzu bemerken Mayntz, Holm und
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Hübner (1978): „Damit wird die Vielfalt sprachlicher Artikulationen eines bestimmten Inhalts auf Klassen semantischer Ähnlichkeit reduziert. U m eine zuverlässige Einordnung der sprachlichen Einheiten in diese Klassen zu gewährleisten, müssen sie operationeil definiert sein." Im Rahmen dieser Arbeit bieten sich hier die 9 Kriterien an, anhand derer ein Wert zu identifizieren ist. Die Interviewtexte werden also auf die in Kapitel 1.1.1.2. generierten Kriterien hin untersucht und klassifiziert. 2.3 Das dieser Arbeit zugrundeliegende Konzept der Werterfassung
Im Rahmen dieser Arbeit soll ein zweistufiges Konzept zur Werterfassung zur Anwendung kommen. Zunächst wird mit den Probanden ein Leitfadeninterview geführt, wobei die Antworten aufgenommen und geschrieben werden. Der hierbei entstandene Text wird dann nach den Regeln der Inhaltsanalyse in bezug auf inhaltliche und formale Kriterien untersucht. Das zur Anwendung kommende Kategorienschema für die inhaltliche Auswertung orientiert sich, wie bereits oben dargestellt, an der in Kapitel 1.1.1.2. dieser Arbeit erarbeiteten Wertdefinition. Die Auswertung in bezug auf die formalen Kriterien wird aufbauend auf der inhaltlichen Auswertung für das individuelle Werthaltungsprofil einer jeden zentralen Persönlichkeit gesondert durchgeführt. Hierbei wird für die einzelnen formalen Kriterien eine 5-stufige Skala gebildet, um zu einem Profil der formalen Ausprägung des Werthaltungssystems zu gelangen. Ziel des Vorgehens ist es, eine Aussage über den Inhalt und die formale Ausprägung des individuellen Werthaltungssystems einer zentralen Persönlichkeit machen zu können. Im Anschluß an dieses Interview und die Inhaltsanalyse soll den Probanden in einem zweiten Schritt ein standardisierter Fragebogen zur Werterfassung vorgelegt werden. Hierbei soll ein Fragebogen verwandt werden, der bereits mehrfach Anwendung gefunden hat, um so ein Kriterium der Außenvalidierung zu erhalten. Dieses zweistufige Vorgehen ist mehrfach begründet. Durch das vorgeschaltete, relativ unstrukturierte Interview wird sichergestellt, daß der gesamte relevante Wertraum abgedeckt wird, wobei durch die Auswertung mittels Inhaltsanalyse eine gewisse Objektivierung erreicht werden soll. Die enge Anlehnung an die Definition, die der Arbeit zugrundeliegt, ermöglicht eine zunächst inhaltlich nicht determinierte Kategorisierung der Antworten. Hierdurch verfälscht das Vorverständnis des Forschers nicht das Ergebnis der Auswertung. Die nachgeschaltete Erhebung mit Hilfe eines bereits erprobten Fragebogens zur Werterfassung hat dreierlei Vorteile. Zum einen ergibt sich hierdurch eine Kontrollerfassung, die zeitlich nicht stabile, wertähnliche Konstrukte aufzudecken hilft.
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 63
Zum zweiten besteht hierdurch die Möglichkeit, eine quantifizierbare Erhebung durchzuführen, ohne den Probanden die Möglichkeit zu nehmen, den für sie relevanten Wertraum dargestellt zu haben. Die Probanden werden also nicht in ein vom Forscher vorstrukturiertes Schema gezwungen, sondern sie bestimmen vielmehr durch die Antworten im vorgeschalteten Interview, welcher Werterfassungsfragebogen zur Anwendung kommt, nämlich der, der den Wertraum aller Probanden am vollständigsten abbildet. Zum dritten ergibt sich durch die bereits vorhandenen Daten vor allem zu Validität und Réhabilitât des Fragebogens die Möglichkeit der Außenvalidierung. Kapitel I I Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen Die Hypothese, die dieser Arbeit zugrundeliegt, besagt, daß die Werthaltungen zentraler Persönlichkeiten von Organisationen diese Organisationen prägen. U m diesen Einfluß nachweisen zu können, muß zunächst das Konzept Organisation theoretisch aufgearbeitet werden, um im Anschluß daran operationalisiert zu werden. 1. Abgrenzung und Definition des Begriffs „Organisation" Organisation ist ein häufig verwandter, aber dennoch nicht eindeutig definierter Begriff. Ebenso wie bei dem Begriff Wert bereitet zum einen die umgangssprachliche Verwendung, zum anderen der interdisziplinäre Charakter des Begriffes Schwierigkeiten. Je nachdem, ob man Organisation aus wirtschaftswissenschaftlicher, psychologischer oder soziologischer Perspektive betrachtet, lassen sich in der Literatur unterschiedlichste Definitionen finden. All diese Definitionen bauen auf verschiedenen Merkmalsdimensionen auf. Im folgenden sollen deshalb einige Überlegungen zur Merkmalsauswahl dargestellt werden. Im Anschluß daran wird ein kurzer Überblick über verschiedene Organisationsdefinitionen gegeben, um dann die dieser Arbeit zugrundeliegende Definition darzustellen und genauer zu erläutern. 1.1 Überlegungen zur Merkmalsauswahl
Gebert (1978, S. 30) verweist auf die Probleme der Auswahl von Merkmalsdimensionen des Begriffs „Organisation". „Organisationen lassen sich ... in beliebig vielen n-dimensionalen Räumen festlegen; die inhaltliche Festlegung ist ein Akt der Willkür Es sind verschiedene Möglichkeiten gegeben, den n-dimensionalen Raum und die relevanten Merkmalsausprägungen zu definieren.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, den gesamten n-dimensionalen Raum zu untersuchen. Die Komplexität eines solchen Vorgehens birgt die Gefahr in sich, nicht zu einer klaren Aussage zu kommen. Theorie, gleich ob Real- oder Modelltheorie, kann und soll Realität vereinfachen und dadurch das Beschreiben und Analysieren ermöglichen. Dies impliziert zugleich eine Reduktion der Realität und somit einen Informationsverlust. Entscheidend für die Qualität der Forschung ist es, daß relevante Information erhalten bleibt und irrelevante vernachlässigt wird und nicht umgekehrt. Es muß also eine Auswahl von Merkmalsdimensionen erfolgen, die die Realität soweit wie möglich vereinfacht, ohne daß relevante Information verloren geht. Zum einen besteht die Möglichkeit, sich an der Auswahl zu orientieren, die Organisationsforscher bisheriger Forschung schwerpunktmäßig zugrundegelegt haben. Dies hat den Vorteil, daß es bereits Vergleichsmaterial gibt, das im Sinne der Außenvalidierung hinzugezogen werden kann. Andererseits läuft der Forscher bei dieser Art der Auswahl Gefahr, relevante Merkmalsdimensionen auszuklammern und andere über die Gebühr zu beachten. Des weiteren besteht die Gefahr, sollte das der bisherigen Forschung zugrundeliegende Konzept ein irreführendes Bild der Realität widerspiegeln, dieses zu stabilisieren. Gebert (1978, S. 49) plädiert in diesem Zusammenhang eher für eine Labilisierung des bisherigen Organisationskonzeptes als für eine Stabilisierung von Halbwahrheiten. Zu fragen ist also, anhand welcher Kriterien relevante von irrelevanter Information unterschieden werden soll. Kubicek (1980, Sp. 1792) bemerkt hierzu: „Generell fallt die äußerst geringe Beschäftigung mit einer theoretischen Klärung des Begriffs „Organisationsstruktur" auf. Dementsprechend werden die Auswahl des Bezugssystems und der untersuchten Merkmale sowie die Wahl der Erhebungs- und Aufbereitungsverfahren selten aus einem offengelegten theoretischen Vorverständnis abgeleitet. Wie häufig in der empirischen Sozialforschung scheinen die meisten Autoren der Devise zu folgen: Organisationsstruktur ist das, was die Erhebungsinstrumente messen." Die Relevanz von Information kann immer nur in Bezug auf eine bestimmte Fragestellung definiert werden. Dies legt eine theoriegeleitete Auswahl der Merkmalsdimensionen nahe. Hiermit wird die Qualität der Auswahl zugleich abhängig von der Theorie, die ihr zugrundeliegt. Allerdings ist bei einem theoriegeleiteten Vorgehen gewährleistet, daß die Untersuchung in sich logisch aufgebaut ist. Bevor jedoch mit Hilfe der theoriegeleiteten Auswahl der Merkmalsdimensionen eine Definition und Abgrenzung für die vorliegende Untersuchung erarbeitet wird, sollen zunächst einige wichtige Definitionen des Begriffs Organisation dargestellt und diskutiert werden.
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 65 1.2 Organisationsdefinitionen — Überblick
Das Wort „Organisation" ist abgeleitet aus organon, was zunächst Werkzeug, später Teil eines Ganzen, Körperteil bedeutete. Heute bezeichnet „Organisation" zum einen den Vorgang des Organisierens, also das Verknüpfen von Elementen zu Systemen, und andererseits das Ergebnis, die Einheit selbst, (vgl. Hoffmann, F; 1980, Sp. 1425) Organisationstheoretische Ansätze sind aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bekannt. Freese (1988) unterscheidet fünf organisationstheoretische Ansätze: 1. Betriebswirtschaftliche Ansätze 2. Volkswirtschaftliche Ansätze 3. Mathematisch-entscheidungsorientierte Ansätze 4. Sozialwissenschaftliche Ansätze 5. Systemtheoretisch-kybernetische Ansätze Betrachtet man die Konzepte, die unter den genannten fünf Punkten zusammengefaßt sind, genauer, so lassen sich vier Kategorien von Organisationsbegriffen herausfiltern, die unabhängig von der Disziplin, aus der sie hergeleitet sind, über bestimmte Merkmale verfügen. Dies sind: 1. Der universale Organisationsbegriff Der universale Organisationsbegriff bezieht sich auf jede Einheit aus geordnet miteinander verbundenen Teilen. Es werden hierbei genauso biologische wie soziologische u.a. Einheiten eingeschlossen. (Bogdanov, 1926) 2. Der strukturale und der funktionale Organisationsbegriff Der strukturale Organisationsbegriff, der auf die Struktur eines sozialen Gebildes abzielt, ist eng verwandt mit dem funktionalen Organisationsbegriff, der die Organisation als Instrument der Zielerreichung begreift, (vgl. ζ. B. Bleicher, 1971) Schmidt (1988, S. 11) legt dies wie folgt dar: „Organisation ist die dauerhaft gültige Ordnung von zielorientierten, sozio-technischen Systemen." Zugleich wird Organisation im Rahmen des strukturalen und funktionalen Organisationsbegriffes als Subsystembildung verstanden. (Hill et al, 1974) 3. Der institutionale Organisationsbegriff Der institutionale Organisationsbegriff definiert Organisationen als Institutionen aller Art, wie z. B. Unternehmungen, Behörden, Schulen, Verbände, Kirchen, Krankenhäuser, Militär usw. Nach der Minimaidefinition von Kieser / Kubicek (1977) ist Organisation demnach ein zielgerichtetes soziales System. 4. Systemtheoretischer Organisationsbegriff Der systemtheoretische Organisationsbegriff, wie er z.B. von Ulrich (1989) dargelegt wird, ist ein relativ junger Organisationsbegriff. Seine Merkmale sind Vernetztheit, Komplexität, Offenheit gegenüber der Umwelt, Ordnung 5 Klein
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
und Selbstorganisation. Hintergrund ist „ . . . die These, daß Unternehmungen als eigendynamische, offene, komplexe und geordnete gesellschaftliche Systeme mit der Fähigkeit der Selbstlenkung und Selbstorganisation zu erfassen und zu gestalten sind." (Ulrich, 1989, S. 24) Für die weiteren Überlegungen soll der institutionale Organisationsbegriff herangezogen werden. Er ist im Gegensatz zum strukturalen und funktionalen Organisationsbegriff weit genug gefaßt, um nicht schon im Vorfeld zu einer unerwünschten Reduktion der Komplexität zu führen. Andererseits ist er im Gegensatz zum universalen Organisationsbegriff konkret genug, um nicht zu langen, dem Thema nicht dienlichen Abgrenzungen Anlaß zu geben. Der systemtheoretische Organisationsbegriff, wie er unter 4. dargestellt ist, kann als eine Konkretisierung des institutionalen Organisationsbegriffes verstanden werden. Im Rahmen dieser Arbeit wird bewüßt der weiter gefaßte Begriff ausgewählt, um die Konkretisierung im Anschluß theoriegeleitet vornehmen zu können. Im folgenden wird auf der Grundlage des institutionalen Organisationsbegriffes eine Arbeitsdefinition dargestellt und konkretisiert werden. 1.3 Arbeitsdeflnition
Schaut man sich die Definitionen des Begriffes Organisation an, die sich auf sehr unterschiedliche soziale Gebilde beziehen, so lassen sich einige Gemeinsamkeiten herausfiltern. Eine Organisation weist, gleich ob es sich um kirchliche, wirtschaftliche oder andere Organisationen handelt, bestimmte Merkmale auf. Eine Organisation ist demnach — ein gegenüber der Umwelt offenes, — soziales Gebilde, — das zeitlich überdauernd existiert, — bestimmte Ziele verfolgt — und eine Struktur aufweist, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf die jeweiligen Ziele ausgerichtet werden. Diese Definition gilt sowohl für wirtschaftliche, sportliche, kirchliche u. a. Organisationen. U m den Einfluß der zentralen Persönlichkeit und deren Werthaltungen auf die Gestaltung von Organisationen nachweisen zu können, muß die Organisation für die Persönlichkeit eine zentrale Aufgabe darstellen und zum anderen muß die Organisation gestaltbar sein. Nur wenn die Organisation eine zentrale Aufgabe für die Persönlichkeit darstellt, kann man davon ausgehen, daß Einfluß in vollem Umfang geltend gemacht wird. Auswirkungen dieser gestaltenden Tätigkeit wiederum sind nur in veränderbaren Organisationen sichtbar. Deshalb soll im folgenden die Untersuchung auf wirtschaftliche Organisationen eingegrenzt werden. Diese stellen für den Unternehmer oder Geschäftsführer/Vorstand eine zentrale Aufgabe dar und
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 67
sind zugleich relativ frei gestaltbar und nicht, wie z.B. kirchliche Organisationen, durch feststehende Regeln eingeengt. Die Organisation als gegenüber ihrer Umwelt offenes Gebilde impliziert, daß sich Organisation und Umwelt unterscheiden, zugleich aber Subsysteme eines übergreifenden Systems sind, das beide umfaßt. Die Trennung von Organisation und Umwelt erfolgt demnach mittels der Analyseebene. Aus makroskopischer Sicht betrachtet, sind sie Teile eines Ganzen; aus mikroskopischer Sicht stehen sie sich als von einander trennbare Einheiten gegenüber. Daß die Trennung im konkreten Fall häufig schwer zu vollziehen und zu begründen ist, soll hier erwähnt, aber aufgrund der geringen Relevanz für die Fragestellung nicht ausführlich diskutiert werden, (vgl. hierzu Gebert, 1978) Die Organisation wird definiert als ein soziales Gebilde. Betrachtet man diesen Punkt näher, führt er zu der Fragestellung, die sich in dem Satz: „Ist die Summe aller Teile das Ganze oder ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile?" zusammenfassen läßt. Hat die Organisation eine Persönlichkeit, die über die Summe der Persönlichkeiten ihrer Mitglieder hinausgeht, wenn sie sich auch durch diese definiert? M i t der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, diese Frage zu klären. Auch das zeitliche Überdauern als Merkmal einer Organisation ist zu problematisieren, so plausibel es auf den ersten Blick erscheint. Was heißt „zeitlich überdauern"? Welchen Zeitraum setzt man an, um von zeitlichem Überdauern sprechen zu können? Und was heißt „überdauern"? Bedeutet es, in der ursprünglichen Form zu bestehen oder nur zu bestehen, wenn auch in veränderter Form? Und wenn dem so ist, inwieweit kann oder darf sich die Form verändern, um noch vom Bestehen der Organisation sprechen zu können? Ohne diese Fragen eindeutig oder gar endgültig zu beantworten, soll hier von zeitlichem Überdauern dann gesprochen werden, wenn eine Organisation als ein zielgerichtetes, soziales Gebilde über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren besteht. Dies hat operationale, von der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Hypothese abgeleitete Gründe. Werte haben eine relativ lange Diffusionsdauer, da sie im Rahmen der Sozialisation vermittelt werden. Will man also den Einfluß von Werten und aus ihnen resultierenden Werthaltungen auf Organisationen untersuchen, muß man in Zeiträumen von Generationen, und zwar genauer, von Führungsgenerationen denken. Die Zielgerichtetheit von Organisationen ist weniger als zentrales Charakteristikum umstritten als dem Inhalt nach. Was soll unter Zielgerichtetheit verstanden werden? Kieser/Kubicek (1983, S. 7) definieren Organisationsziele als eine „aus mehreren, teilweise miteinander konfligierenden Zielelementen bestehende Vorstellung über den für die Zukunft anzustrebenden Zustand der Organisation, die eine Gruppe von Organisationsmitgliedern durchgesetzt hat. ... Auf einer sehr allgemeinen Ebene können diese Ziele inhaltlich als Leistungs- und 5*
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Herrschaftssicherung bezeichnet werden." Hierzu ist allerdings anzumerken, daß es neben Leistungs- und Herrschaftssicherung noch verschiedene andere Ziele gibt, die im Rahmen der organisationalen Zielsetzung verfolgt werden, wie z.B. die Bedürfnisbefriedigung der Organisationsmitglieder innerhalb der Organisation. Diese Definition legt den Schluß nahe, daß zunächst Ziele ausgehandelt werden und darauf dann die Handlungen, die zur Erreichung dieser Ziele geeignet scheinen, initiiert werden. Diese Zieldefmition betont also den kognitiven Charakter der Ziele. March (1976, S. 72) greift diese Betonung des kognitiven Charakters von Zielen an, indem er sagt: „Es scheint völlig klar, daß eine Interpretation der Basis des Postulats, „erst kommen die Ziele, danach die Handlung", in vielen Fällen radikal falsch ist. Menschliches Entscheidungsverhalten ist zumindest ebensosehr ein Prozeß der Zielfindung wie zielorientiertes Handeln." Ziele haben also ebenso kognitive wie emotionale Funktionen. 0Scott, 1986, S. 348) Die hieraus resultierenden Probleme können an dieser Stelle nur angesprochen, nicht aber ausführlich diskutiert werden. Fragen, die sich aus der Dualität der Funktion von Zielen ergeben, sind u. a. die nach dem optimalen Grad an Operationalität von Zielen. Während Hill, Fehlbaum und Ulrich (1974, S. 144), basierend auf ihrer die kognitive Funktion von Zielen betonenden Definition, die Notwendigkeit von Konsistenz und Operationalität von Zielen hervorheben, gibt Scott (1986, S. 348) zu bedenken, daß gerade diffuse Ziele sich in bestimmten Situationen besonders eignen, die emotionalen Funktionen wie Motivation und Identifikation bei einer möglichst großen Zahl von Organisationsmitgliedern zu gewährleisten. Einerseits ist also die Funktion der Ziele zu hinterfragen und andererseits der Ursprung der Ziele im Sinne der Urheberschaft. Auch die Frage, ob die formellen oder tatsächlichen Ziele untersucht werden sollen, bleibt zu klären. Davon abhängig ist die Operationalisierung des Zielkonzeptes. Als letztes Kriterium für Organisationen wird die Strukturierung der Gruppe zum Zweck der Zielerreichung genannt. Struktur wird verstanden als das Verhältnis der Teile zum Ganzen, sowie der Teile untereinander. Struktur ist gemäß dieser Definition etwas Relatives. Erst die Relationen einzelner Elemente eines Ganzen zueinander ergeben die Struktur. D.h. innerhalb eines Gefüges hat jedes Element Beziehungen zu anderen Elementen. Verliert ein Element seine Beziehungen innerhalb des Gefüges, hört es auf, Element des Gefüges zu sein. Die Vernetztheit, die aus dieser Definition folgt, stellt ein Problem für die Operationalisierung und Messung der Einflüsse auf Strukturdimensionen dar. Eine isolierte Betrachtung einzelner Strukturelemente bzw. -dimensionen beinhaltet per defmitionem eine Vernachlässigung der Zusammenhänge. Sollte das Ganze nicht ausschließlich die Summe seiner Teile sein, würden auf dem Wege der Fokussierung Informationen verloren gehen.
Kap.
: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 69
Die Organisationsstruktur stellt den Forscher vor weitere Probleme, wie ζ. B. die Dauerhaftigkeit, die Meßbarkeit und die Möglichkeit der Wahrnehmung und Darstellung von Organisationsstrukturen. Gibt es formale und informale Organisationsstrukturen oder ist die Unterscheidung in Soll- und Ist-Zustand der Organisationsstruktur sinnvoller? Über welchen Zeitraum soll der Forscher eine Organisation betrachten und auf welcher Abstraktionsebene soll er sich bewegen? Ist die reale Organisationsstruktur die an Handlungen meßbare oder die von den Beteiligten wahrgenommene? Diese und andere Fragen sollen zunächst zurückgestellt werden, um im Rahmen der oben geforderten theoriegeleiteten Auswahl von Merkmalsdimensionen und der Diskussion ihrer möglichen Operationalisierung darauf einzugehen. Zusammenfassend läßt sich der Begriff Organisation wie folgt definieren:
Eine Organisation ist - ein gegenüber der Umwelt offenes, - soziales Gebilde, - das zeitlich überdauernd existiert, - bestimmte Ziele verfolgt, - und eine Struktur aufweist, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf die jeweiligen Ziele ausgerichtet werden.
U m verschiedene Organisationen vergleichen zu können, müssen diese mit Hilfe operationalisierter Merkmale zunächst meßbar gemacht werden. Die Auswahl relevanter Merkmalsdimensionen soll theoriegeleitet erfolgen. 2. Zur Vergleichbarkeit verschiedener Organisationen Will man den Einfluß von Werten auf Organisationen untersuchen, muß man zum einen Werte erfassen. Zum anderen muß man die Organisationen in ihren für die Fragestellung relevanten Dimensionen erfassen. Diese Erfassung muß derart gestaltet sein, daß sie einen Vergleich verschiedener Organisationen erlaubt. Hierzu ist es notwendig, die Merkmale zu präzisieren, um die für die zugrundeliegende Theorie relevanten Informationen in verschiedenen Organisationen herausfiltern und vergleichbar machen zu können. Anhand der Merkmale von Organisationen, wie sie in Kapitel II. 1.3 dargestellt wurden, sollen nun Kriterien generiert werden, mit deren Hilfe
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Organisationen erfaßt und verglichen werden können. Hierbei sollen häufig in der Literatur erwähnte Konzepte ebenso Berücksichtigung finden wie weniger bekannte. Obwohl auch hier mit einem relativ hohen Veraetztheitsgrad der einzelnen Kriterien zu rechnen ist, soll doch der Versuch unternommen werden, sie zunächst isoliert voneinander darzustellen. Die zu stellende Frage lautet also: Anhand welcher Kriterien können verschiedene Organisationen erfaßt und miteinander verglichen werden? 2.1 Kriteriengenerierung „Umweltoffenheit"
Als eine Gemeinsamkeit von Organisationen wurde in Kapitel II. 1.3 die Offenheit des Systems gegenüber seiner Umwelt genannt. Inwieweit kann nun die Umwelt einer Organisation und die Interaktion dieser beiden Teilsysteme zur Unterscheidung verschiedener Organisationen herangezogen werden? Gebert (1978, S. 20) verweist darauf, „...daß jede Organisation ihre eigene Umwelt hat und Versuche in der Literatur, wichtige Elemente der betrieblichen Umwelt generell, also für die verschiedenen Organisationen zugleich zu formulieren, notwendig abstrakt und blaß bleiben müssen." Konkret bedeutet dies, daß die Versuche, allgemeingültige Regeln für Organisationen im Umgang mit ihrer jeweiligen Umwelt zu formulieren, an der Einzigartigkeit und somit Verschiedenheit der Umwelten verschiedener Organisationen scheitern. Somit ergibt sich als erste Möglichkeit, zwei oder mehr Organisationen zu unterscheiden, der Vergleich ihrer Umwelten. Dies ist komplizierter als es zunächst scheint. Als erste Frage wäre zu beantworten, was eigentlich die Umwelt einer Organisation ist? Ist alles, was nicht Organisation selbst ist, Umwelt? Oder ist nur der für die Organisation relevante Teil zu ihrer Umwelt zu rechnen? Und falls dies so ist, an welchen Kriterien wird Relevanz gemessen? Wer beurteilt die Relevanz? Osborn u.a. (1974) differenzieren Welt und Umwelt, wobei Umwelt sich aus allen für die Organisation entscheidungsrelevanten Daten konstituiert, der verbleibende Rest stellt die Welt dar. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit interessiert vor allem der vom Unternehmen als Umwelt, d. h. als entscheidungsrelevant, wahrgenommene Teil der Welt. Hierbei kann man unterscheiden zwischen Umweltdynamik und Umweltkomplexität. (Gebert, 1978) Darüberhinaus nennen Kieser/Kubicek (1983, S. 321) noch den Faktor,Abhängigkeit der Organisation von Partnern in der Umwelt, die Ressourcen zur Verfügung stellen'. Ähnlich analog komplexer Begriffe kann man Umwelt auf verschiedene Arten zu erfassen versuchen. Man kann bestimmte objektive Daten definieren, wie z.B. Marktverhältnisse im Sinne von Gesamtmarktvolumen, Anzahl der
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 71
Konkurrenten, Anzahl der Rohstofflieferanten, Marktentwicklung u.ä., und diese erheben. Hierbei läuft man Gefahr, für die Organisation entscheidungsrelevante Daten nicht zu erheben und irrelevanten Gewicht beizumessen. Für eine Organisation können immer nur die Daten entscheidungsrelevant sein, die diese Organisation auch wahrnimmt. Eine weitere Möglichkeit, die Umwelt einer Organisation zu erfassen, wäre demnach, die Organisationsmitglieder selbst diese Umwelt definieren zu lassen. Hierbei ergeben sich zwei Möglichkeiten: Zum einen kann der Forscher im Rahmen von Befragungen, z.B. von Schlüsselpersonen, erfassen, wie Organisationsmitglieder Umwelt definieren. Zum zweiten kann der Forscher die Definition von Umwelt mittels Beobachtung und Dokumentenanalyse erfassen, indem er ζ. B. das Informationsbeschaffungsverhalten im Vorfeld strategisch wichtiger Entscheidungen untersucht. Wie oben bereits diskutiert, ist für eine Organisation nicht die objektive Umwelt, sondern nur der für Entscheidungen zugrundegelegte Ausschnitt in der von der Organisation wahrgenommenen Form relevant. Implizit wird hier also behauptet, daß Organisationen ihre Umwelt selektiv wahrnehmen. Dahinter steht die Hypothese, daß diese Selektion auf Theorien, die die Organisation über ihre Umwelt aufgebaut hat, basiert. Hieraus ergibt sich eine weitere Möglichkeit, Organisationen zu unterscheiden. Die Wahrnehmung der Umwelt, die dabei vorgenommene Selektion und die dahinterstehenden Theorien unterscheiden verschiedene Organisationen voneinander. Aber nicht nur die Wahrnehmung und Abgrenzung der Organisation zu ihrer Umwelt, sondern auch die Austauschbeziehungen zwischen Organisation und Umwelt differieren von Organisation zu Organisation und bieten somit die Möglichkeit, verschiedene Organisationen voneinander zu unterscheiden. Der Austausch von Ressourcen wird, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, im Zusammenhang mit der Abhängigkeit von Partnern, die diese Ressourcen zur Verfügung stellen, bereits angesprochen. Hier soll nun ein weiterer Aspekt angesprochen werden, nämlich die Offenheit, mit der die Organisation in Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt tritt. Jede Organisation ist auf den Austausch mit ihrer Umwelt angewiesen. Sie bezieht Waren, Dienstleistungen und Informationen aus der Umwelt. Und ebenso gibt sie Waren, Dienstleistungen und Informationen an ihre Umwelt ab. Die Offenheit dieses Austausches läßt sich besonders am Beispiel von Informationen, konkret an der Abgabe von Informationen an die Umwelt, nachvollziehen. Bestimmte Informationen muß die Organisation aufgrund von gesetzlichen Bestimmungen an die Umwelt abgeben, andere werden von Kunden, von der Öffentlichkeit, von Kreditgebern und Kapitaleignern nachgefragt. Darüberhinaus hat die Organisation die Möglichkeit, freiwillig zusätzliche Informationen abzugeben.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Diese freiwillige Abgabe von Information beruht zu einem erheblichen Teil auf der selektiven Wahrnehmung der Umwelt und der dahinterstehenden Theorie der Organisation. Zusammenfassend lassen sich in Bezug auf die Umweltoffenheit folgende Kriterien zur Unterscheidung verschiedener Organisationen festhalten: - Die Umwelt der Organisation, wie sie sich in den Handlungen von Organisationsmitgliedern niederschlägt. - Die Umwelt der Organisation, wie sie von den Organisationsmitgliedern wahrgenommen wird und zwar in Bezug auf Komplexität, Dynamik und Abhängigkeit. - Die Theorien der Organisation in Bezug auf ihre Umwelt. - Die Quantität und Qualität der freiwillig an die Umwelt abgegebenen Information durch die Organisation. \
—k
Aus den hier erarbeiteten Kriterien zur Unterscheidung verschiedener Organisationen sollen nun im folgenden die für die Fragestellung relevanten herausgefiltert werden. Relevant soll heißen, es muß ein direkter Einfluß von Werthaltungen bzw. Werten auf die jeweilige Organisationsform plausibel erscheinen. Je direkter der hierbei vermutete Zusammenhang zwischen der jeweiligen Organisationsdimension und dem Wertsystem ist, je weniger intervenierende Variable also die Untersuchung des Zusammenhangs stören können, desto relevanter ist die jeweilige Dimension für die Untersuchung. Die Umwelt, wie sie sich in den Handlungen der Organisationsmitglieder widerspiegelt, läßt keinen direkten, spezifischen Zusammenhang mit dem in der Organisation verankerten Wertsystem erkennen. Zwar scheint plausibel, daß sich Werte und Werthaltungen in den Handlungen von Personen niederschlagen, jedoch scheint ein spezieller Zusammenhang in Bezug auf die auf die Umwelt gerichteten Handlungen nur über den Umweg von Theorien, die in der Organisation über die Umwelt bestehen, herzustellen zu sein. Diese Theorien und ihr Zusammenhang mit Werten werden im folgenden zu besprechen sein. Der Einfluß von Werten und Werthaltungen auf die Handlungen der Organisationsmitglieder allgemein wird im Kapitel „Organisation als soziales Gebilde" besprochen. Sehr viel direkter schon erscheint der Zusammenhang zwischen Werten und dem zweiten Kriterium, der Umwelt, wie sie von den Organisationsmitgliedern wahrgenommen wird. Werte haben Selektionsfunktion in Bezug auf die Wahrnehmung und sind insofern direkt mit der Wahrnehmung verknüpft. Die
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 73
Art der Selektion, und zwar sowohl in Bezug auf die Methode wie auch auf den zu selektierenden Mitarbeiter, läßt demnach Rückschlüsse auf die im Unternehmen verankerten Werte zu. Schwer allerdings ist die Zuordnung. Wird die Umwelt derart wahrgenommen, weil ein korrespondierender Wert in der Organisation Gewicht hat oder agiert die Organisation in einer bestimmten Umwelt, weil sie aufgrund ihres Wertsystems dort die größten Chancen sieht? Ist der Wert Flexibilität in der Organisation hoch eingeordnet, weil der Markt, auf dem sie agieren, als hochdynamisch wahrgenommen wird, oder wird die Dynamik des Marktes aufgrund der eigenen Flexibilität überbewertet, um eben diese Flexibilität auch weiterhin als Wert zu rechtfertigen? Diese Fragen münden letztlich in der Frage nach den Theorien der Organisation über ihre Umwelt. Diese Theorien sind direkter Ausfluß der in der Organisation verankerten Werte. In der Theorie der Organisation über ihre Umwelt spiegelt sich zum einen das wirtschaftliche, aber auch das politische und soziale Verständnis und das Selbstverständnis der Organisation wider. Dies wird plausibel, wenn man gegensätzliche Werte in Relation zur Organisation und deren Theorien setzt. Nehmen wir als Beispiel die Werte Wettbewerb und Leistung einerseits und Zusammenhalt und Zufriedenheit andererseits. Die Theorien einer Organisation sind z.B. geprägt vom ersten Wertpaar. Dies kann sich niederschlagen in einer Betonung der freien im Gegensatz zur sozialen Marktwirtschaft, und in Bezug auf die konkrete Unternehmensumwelt in einer Theorie der zuneh-menden Aufweichung der Marktwirtschaft. Theorien der Organisation über ihre Umwelt lassen demnach Rückschlüsse auf die in der Organisation verankerten Werte zu. Diese Theorien und die ihnen zugrundeliegenden Werte äußern sich in Zusammenhang mit dem vierten Kriterium, der Frage nach der Quantität und der Qualität der an die Umwelt freiwillig abgegebenen Information. Die Interpretation der Umwelt und die ihr zugrundeliegenden Werte, wie z.B. Vertrauen, Ehrlichkeit, Offenheit u. ä., schlagen sich direkt in der Menge und der Qualität der freiwillig an die Umwelt abgegebenen Information nieder. Eine Organisation, in deren Wertsystem der Wert Offenheit einen zentralen Platz einnimmt, wird zum einen mehr Information an die Umwelt abgeben und zum anderen diese Information nach bestem Wissen und Gewissen abgeben, sie also nicht in Bezug auf die Wirkung schönen oder verschlechtern. Im Gegensatz dazu wird eine Organisation, die Offenheit und Vertrauen, wenn nicht für Selbstmord, so doch für Dummheit hält, versuchen, so wenig wie möglich Informationen an die Umwelt abzugeben. Sie wird im Extremfall sogar versuchen, Konstruktionen zu finden, die die gesetzlich vorgeschriebenen Informationen auf ein Minimum reduziert, indem sie ζ. B. eine entsprechende Rechtsform wählt, kleine Einheiten selbständig arbeiten läßt u. ä.
1. Teil: Theoretische Grundlagen
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Zusammenfassend läßt sich sagen, daß vor allem die naiven Theorien einer Organisation über ihre Umwelt und die freiwillig an die Umwelt abgegeben Informationen einen direkten Zusammenhang mit den in der Organisation verankerten Werten erkennen lassen.
In der Organisation verankerte Werte beeinflussen
\
*
die Theorien der Organisationen über ihre Umwelt
*
die freiwillig an die Umwelt abgegebene Information \
2.2 Kriteriengenerierung „Organisation als soziales Gebilde44
I n Kapitel II.1.3 wird eine Organisation als ein soziales Gebilde definiert. Unter einem sozialen Gebilde ist hier eine Gruppe von Personen, die in Interaktion zueinander stehen, zu verstehen. 16 Die Struktur des sozialen Gebildes wird in Kapitel II.2.5 besprochen. Hier soll es zunächst um die Faktoren gehen, die ein soziales Gebilde als solches überhaupt erst konstituieren, nämlich die Organisationsmitglieder. Die Organisationsmitglieder gestalten die Organisation, werden andererseits im Rahmen eines Sozialisationsprozesses wiederum von der Organisation geprägt. Es erscheint plausibel, daß verschiedene Organisationen sich aus unterschiedlichen Mitgliedern zusammensetzen. Will man also verschiedene Organisationen vergleichen, so bietet sich ein Vergleich der Mitglieder selbst ebenso wie ein Vergleich der mitarbeiterbezogenen Instrumente einer Organisation an. Will man die Mitglieder verschiedener Organisationen miteinander vergleichen, so kann man dies zum einen auf der Ebene der Gruppe und zum anderen auf der Ebene des Einzelnen tun. A u f der Ebene der Gruppe können einerseits direkt meßbare Daten erfaßt werden, wie sie aus der Personalstatistik der Organisation hervorgehen, z.B. Altersstruktur der Mitarbeiter, Ausbildungsstruktur, Gehaltsstruktur, Familienstand u. ä. 16
Ein soziales Gebilde wird hier verwandt im Sinne einer „Gruppe", wobei die Größe des sozialen Gebildes nicht in allen Fällen eine direkte Interaktion zuläßt. Zur Definition des Begriffes „Gruppe" vgl. v. Rosenstiel, 1980, S. 143.
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Andererseits können auf der Ebene der Gruppe Daten zum Betriebsklima, zur Arbeitszufriedenheit u.ä. erfaßt werden. Während sich erstere Daten über verschiedene Organisationen hinweg vergleichen lassen, da der Maßstab festgelegt und über die Untersuchungseinheiten durchgängig anwendbar ist, ist die Vergleichbarkeit im Falle der Daten zu Arbeitszufriedenheit und Betriebsklima sehr viel problematischer. Es stellt sich ζ. B. die Frage, ob die gemessene Arbeitszufriedenheit der Mitglieder einer Organisation qualitativ der einer anderen gleicht. Die Frage ist also nicht nur derart zu stellen: Wie zufrieden sind die Organisationsmitglieder?, sondern auch: Welcher Art ist ihre Zufriedenheit? (vgl. hierzu Bruggemann / Groskurth / Ulich, 1975) Artefakte durch die Erhebung selbst sind im Rahmen von Zufriedenheitsbefragungen und Betriebsklimauntersuchungen nicht auszuschließen, (vgl. hierzu Neuberger, 1974 und v. Rosenstiel, 1975) Zum zweiten kann der Forscher versuchen, Daten über den einzelnen Mitarbeiter einer Organisation zu erheben, um so Mitarbeiter verschiedener Organisationen miteinander vergleichen zu können. Dieses Vorgehen erweist sich als nicht unproblematisch. Welche Mitarbeiter soll der Forscher in die Erhebungseinheit einbeziehen? Kann er Schlüsselpersonen befragen und beobachten, und wenn ja, was sind im Sinne der zugrundeliegenden Theorie Schlüsselpersonen? Wie groß muß die Erhebungseinheit sein, um sich ein adäquates Bild der Organisation zu verschaffen? Und vor allem: Welche Daten soll der Forscher erheben? Soll er ausschließlich Daten über den beruflichen Alltag und die Einstellung der Mitarbeiter dazu erheben oder sind auch außerberufliche Aktivitäten und Einstellungen relevant? Gerade hier wird wiederum das Gewicht der theoriegeleiteten Auswahl von Merkmalsdimensionen und deren Operationalisierung deutlich. Neben den Mitarbeitern selbst differieren auch die mitarbeiterbezogenen Aktivitäten zwischen verschiedenen Organisationen zum Teil ganz erheblich. Welche Mitarbeiter sucht ein Unternehmen? Welche Kriterien, welche Maßstäbe werden bei der Auswahl von Mitarbeitern angelegt? A u f welche Art werden diese Kriterien erfragt oder getestet? Wer legt diese Kriterien fest und wer überprüft sie? Wer entscheidet über die Einstellung neuer Mitarbeiter? Und nicht zuletzt, welche Theorie liegt der organisationsspezifischen Einstellungspolitik zugrunde? Nachdem ein Mitarbeiter eingestellt wurde, wird sein weiterer Weg in der Organisation von verschiedenen mitarbeiterbezogenen Instrumenten und Aktivitäten begleitet. Auch diese unterscheiden sich in verschiedenen Organisationen. Der Mitarbeiter wird beurteilt. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang: Wer beurteilt ihn? Nach welchen Kriterien wird beurteilt? Wie wird gewertet? Was geschieht im Falle einer schlechten Beurteilung? Gibt es in der Organisation
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
standardisierte Instrumente zur Beurteilung? Und wieder die Frage: Welche Theorie steht hinter der Beurteilung? In einigen Organisationen wird dem Mitarbeiter die Möglichkeit gegeben, seinen Vorgesetzten zu beurteilen. Warum wird diese Möglichkeit eingeräumt? Wie ehrlich wird diese Beurteilung vorgenommen? Zu den mitarbeiterbezogenen institutionalisierten Aktivitäten einer Organisation ist die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern zu rechnen. Hier ist zu fragen, welcher Personenkreis ausgebildet wird, welcher Art die Weiterbildungsaktivitäten sind, ζ. B. ob sie sich ausschließlich auf die tägliche Arbeit beziehen oder darüberhinausgehen, welche Relevanz der Aus- und Weiterbildung innerhalb der Organisation zukommt, und wieder, warum diesbezügliche Aktivitäten stattfinden oder auch nicht stattfinden. Eine Organisation steht nun nicht nur im externen Austauschprozeß, sondern auch in einem internen. Der interne Austausch von Information, also die Kommunikation, ist zu einem Teil an die Struktur der Organisation gebunden und festgeschrieben. Im Rahmen der Zentralisation bzw. Dezentralisation von Entscheidungsbefugnissen wird ζ. B. ein Teil der Kommunikationswege festgelegt. Dies soll in Zusammenhang mit der Strukturierung einer Organisation besprochen werden. Neben der aufgrund der Struktur festgeschriebenen Kommunikation gibt es in einer Organisation einen großen Teil sogenannter informeller Kommunikation. U m verschiedene Organisationen miteinander vergleichen zu können, kann hier zum einen das Verhältnis zwischen formeller und informeller Kommunikation herangezogen werden. Des weiteren ergibt sich eine Vergleichsmöglichkeit aus der Art der Kommunikation. Wird in einer Organisation hauptsächlich schriftlich, fernmündlich oder persönlich kommuniziert? Aus welchem Grund werden die jeweiligen Kommunikationsarten bevorzugt? Welche Inhalte werden kommuniziert? Wird ausschließlich oder annähernd ausschließlich über aufgabenbezogene Themen gesprochen oder werden auch persönliche Kontakte während der Arbeitszeit gepflegt? Und falls dies so ist, wie wird es bewertet? Ist es erlaubt, geduldet oder verboten? Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Offenheit, mit der die Unternehmensleitung Ziele kommuniziert. Muß sich der Mitarbeiter aus den öffentlichen Medien über die eigene Organisation informieren oder werden die Mitarbeiter schneller und umfassender als die Medien informiert? Dies lenkt den Blick auf ein weiteres Merkmal von Organisationen in ihrer Eigenheit als soziale Gebilde, anhand dessen sich verschiedene Organisationen unterscheiden lassen, nämlich das Konfliktverhalten. Wie geht eine Organisation mit Konflikten um? Wie werden Konflikte bewertet? Sind sie grundsätzlich dysfunktionale, weil den reibungslosen Ablauf des Unternehmens störende Ereignisse oder werden sie als Chancen zur Veränderung wahrgenommen? Wie
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 77
werden interne Konflikte gehandhabt? Besteht eine Tendenz zur Konfliktverschiebung? Werden Konflikte zwischen bestimmten Gruppen der Organisation vielleicht sogar bewußt herbeigeführt? Und wieder: Welches Konfliktverständnis, welche implizite oder auch explizite Theorie steht hinter dem Umgang der Organisation und ihrer Mitglieder mit Konflikten? Hieraus ergibt sich eine weitere mitarbeiterbezogenen Dimension einer Organisation: die Führung. Ohne hier den ganzen Bereich abdecken zu können, sollen doch einige besonders wichtig erscheinende Fragen gestellt werden. Auch im Rahmen dieser Fragestellung ergeben sich Vernetzungen mit der Strukturierung der Organisation. Gewisse Führungsgrundsätze ziehen Strukturen nach sich und andererseits begünstigen gewisse Strukturen ganz bestimmtes Führungsverhalten. Zunächst jedoch sollen hier die Fragen gestellt werden unabhängig von der jeweiligen Struktur. Zu fragen ist zum einen nach dem kommunizierten Idealführungsstil und zum anderen nach dem tatsächlich praktizierten. Dies wirft einige Probleme auf. Da Führungsstil an eine Person gebunden ist, da er von einer Person praktiziert wird, ergibt sich die Schwierigkeit der Erfassung „des" Führungsstils der Organisation. Soll der Forscher den Führungsstil innerhalb aller Abteilungen untersuchen? Kann er von einer Abteilung auf die andere schließen? Inwieweit kann er überhaupt den Führungsstil erfassen? Soll er den vom Vorgesetzten nach dessen Meinung praktizierten oder den vom Geführten subjektiv wahrgenommenen oder den von ihm selbst beobachteten Führungsstil erheben? Zusammenfassend ergeben sich verschiedene Ansatzpunkte, um verschiedene Organisationen unter dem Blickwinkel des sozialen Gebildes zu beschreiben und somit zu differenzieren. Hier muß unterschieden werden zwischen dem Ansatzpunkt Organisationsmitglied und dem Ansatzpunkt Organisation. Es lassen sich in Bezug auf das Definitionsmerkmal ,soziales Gebilde' folgende Kriterien zur Unterscheidung verschiedener Organisationen festhalten. Im folgenden sollen die oben generierten Kriterien auf ihre Relevanz für die vorliegende Fragestellung überprüft werden. Die Erfassung und der Vergleich der Struktur der Gruppe anhand objektiv bestimmbarer Daten aus der Personalstatistik läßt isoliert keine direkten Rückschlüsse auf die in der Organisation verankerten Werte zu. Die intervenierenden Variablen sind in diesem Fall so vielfaltig, daß ein Zusammenhang kaum behauptet werden kann. Liegen ζ. B. die zu vergleichenden Organisationen in strukturell unterschiedlichen Einzugsbereichen (ländlich, städtisch) und sind sie zudem noch in verschiedenen Branchen tätig, können sich allein aus diesen beiden Faktoren schon vollkommen verschiedene Personalstrukturen ergeben. In Kombination mit der Auswahl von Mitarbeitern und den hinter den Auswahlkriterien sich verbergenden Werten jedoch scheint ein Zusammenhang
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
1. Ansatzpunkt Organisationsmitglieder: a. Ebene Gruppe - Erfassung und Vergleich der Struktur der Gruppe anhand objektiv bestimmbarer Daten aus der Personalstatistik - Erfassung und Vergleich von Arbeitszufriedenheit und Betriebsklima b. Ebene Einzelner - Erfassung von Einstellungen einzelner Organisationsmitglieder zu beruflichen Fragen - Interessendiagramm - Aktivitätendiagramm
2. Ansatzpunkt Organisation: V
Auswahl von Mitarbeitern Beurteilung von Mitarbeitern Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern Kommunikation Konfliktverhalten Führung \
plausibel. Es ergibt sich also die Möglichkeit, mittels des Auswahlverfahrens einerseits und der objektiven Daten der ausgewählten Personen andererseits den Einfluß von Werten auf die Auswahl von Organisationsmitgliedern zu erheben. Ein Einfluß von Werten auf die Auswahl erscheint insofern plausibel, als das jede Organisation versucht, „gute" Mitarbeiter zu gewinnen. „ G u t " gibt aber letztlich nur eine Relation an, nämlich die Einstufung eines Mitarbeiters auf einer Bewertungsskala. Daß diese Bewertungsskala zum einen direkt von Werten geprägt, daß also Werte Bestandteil der Bewertungsskala sind, erscheint ebenso plausibel wie der indirekte Einfluß von Werten auf die „objektiven" Daten, die in die Bewertung eingehen. So kann ζ. B. eine Stelle ebenso von einem Praktiker mit Erfahrung auf einem Spezialgebiet wie von einem Akademiker besetzt werden. Die Auswahl des einen oder des anderen ist vielfach nicht so logisch wie sie scheint. Hinter der Bevorzugung des einen oder des anderen, vorausgesetzt, sie bringen ansonsten gleiche Voraussetzungen mit, steht oftmals eine naive Theorie und/oder ein spezieller Wert, wie z.B. der Wert Realismus und gekoppelt damit die Theorie, daß Akademiker sich aufgrund der langjährigen Beschäftigung mit theoretischem Gedankengut zu weit vom täglichen Geschäft entfernt hätten, als daß sie noch realistisch sein könnten. Diese Kombination von in der Organisation verankertem Wert und naiver Theorie
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 79
über Akademiker würde zu einer bevorzugten Einstellung von Nicht-Akademikern führen. Allerdings müssen Daten, die einen Schwerpunkt der Ausbildung in Hinblick auf praktische Ausbildung zeigen, kritisch gesehen werden. Eine Vielzahl intervenierender Variablen kann das Ergebnis verfalschen. So ist ζ. B. möglich, daß zu der Zeit, als die Organisation stark wuchs, wenig Akademiker mit entsprechender Ausbildung am Arbeitsmarkt zu bekommen waren. Andererseits können auch andere wertbeladene Faktoren hier hineinspielen. So ist denkbar, daß ein in der Organisation verankerter Wert Sparsamkeit ist, der dazu führt, daß hochdotierte Akademiker nur dann eingestellt werden, wenn es sich gar nicht vermeiden läßt. Demnach erscheint ein direkter Einfluß von Werten auf die Einstellungspolitik einer Organisation einerseits und somit auf die Personalstruktur andererseits logisch, wobei der Nachweis des Einflusses auf die Personalstruktur aufgrund intervenierender Variablen zumindest sehr schwierig scheint. Die zweite Möglichkeit zum Vergleich verschiedener Organisationen, nämlich die Erfassung und der Vergleich von Arbeitszufriedenheit und Betriebsklima, soll wiederum mit einem anderen Kriterium kombiniert betrachtet werden, und zwar der Erfassung der Einstellungen einzelner Organisationsmitglieder zu beruflichen Fragen. Ist ein direkter Einfluß von in der Organisation verankerten Werten auf die Einstellungen des Einzelnen zu beruflichen Fragen und zu Arbeitszufriedenheit und Betriebsklima denkbar? Arbeitszufriedenheit als „emotional-rational erlebter Zustand des Bewußtseins, der mit der Erfüllung von Erwartungen bzw. der Hoffnung auf deren Erfüllung zusammenhängt" (Neuberger 1980, Sp. 162) ist nicht nur abhängig von der Erfüllung oder der Hoffnung auf Erfüllung, sondern auch von den Erwartungen selbst. Diese Erwartungen sind geprägt von der Einstellung des Einzelnen zu seinem Beruf und seinem beruflichen Leben. So kann dieselbe Situation sich auf die Arbeitszufriedenheit zweier unterschiedlicher Personen vollkommen verschieden auswirken. Da sich Werte in Einstellungen niederschlagen, ist hier ein Zusammenhang zwischen Einstellungen, Arbeitszufriedenheit und Werten gegeben. Allerdings sind hierbei starke, intervenierende Variablen zu berücksichtigen. So wirken nicht nur die Werthaltungen des Einzelnen, die durch die Organisation geprägt sind, sondern auch die, die durch das private Leben geprägt sind, sich auf dessen Einstellungen aus. Zudem machen die Wechselwirkungen zwischen privatem, beruflichen und zwischenmenschlichen Erfahrungswelten des Einzelnen eine isolierte Erfassung des Einflusses von im Unternehmen verankerten Werten in Bezug auf Einstellungen, Arbeitszufriedenheit und Betriebsklima schwer. Unter Berücksichtigung des Kriteriums des möglichst direkten Einflusses von Werten auf die Organisation erscheint daher dieses Kriterium weniger geeignet, zum Vergleich verschiedener Organisationen herangezogen zu werden.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Im Gegensatz hierzu erscheint der Nachweis eines direkten Zusammenhanges zwischen Beurteilung von Mitarbeitern und im Unternehmen verankerten Werten andererseits nicht problematisch. In Kapitel I haben wir unterschieden zwischen Maßstabswerten und Zielwerten. Maßstabswerte sind demnach Werte, die Randbedingungen definieren, während Zielwerte Werte sind, die angestrebte Zustände beschreiben. Beurteilen nun bedeutet letztlich das Messen an einem definierten Maßstab in Bezug auf ein bestimmtes Ziel. Dieser Maßstab ist von Werten ebenso geprägt wie der angestrebte Zielzustand, so daß die Beurteilung von Mitarbeitern zu einer wertbeladenen Aktivität wird. Inwieweit ist die Aus- und Weiterbildung von Werten beeinflußt? In dem Betreiben bzw. in dem Nicht-Betreiben von Aus- und/oder Weiterbildung spiegeln sich Werte wider. So kann z.B. Fortschritt als zentraler Wert in Kombination mit dem Wert Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu regen Weiterbildungsaktivitäten eines Unternehmens führen. Aber nicht nur, ob solche Aktivitäten gefördert werden, sondern auch inwiefern, also mit welchen Schwerpunkten sie gefördert werden, ist von Werten beeinflußt. Wie wird Weiterbildung betrieben? Warum wird Weiterbildung betrieben? Wird Lernen als Veränderung des Status Quo verstanden? Soll damit Veränderung herbeigeführt werden? Was soll verändert werden? Warum soll es verändert werden? In welchem Tempo, mit welcher Dynamik, soll verändert werden? Wer bestimmt die Richtung der Veränderung? Diese und ähnliche Fragen decken den Einfluß von Werten auf die Organisation über Aus- und Weiterbildung auf. Aus- und Weiterbildung ist ein Instrument, um Werte im Unternehmen zu implementieren. Bleibt zu fragen, inwiefern Werte im Rahmen der Kommunikation, des Konfliktverhaltens und der Führung auf die Organisation auswirken. In Bezug auf die Kommunikation spielt der Wert Vertrauen eine zentrale Rolle. Wie ist das Verhältnis von formeller zu informeller Kommunikation gestaltet? Auf welche Art wird kommuniziert? Wird alles schriftlich abgesichert, da sonst später jemand behaupten könnte, es wäre anders gewesen und die Organisationsmitglieder Beweismaterial haben wollen? Oder vertrauen die Organisationsmitglieder einander, so daß die Kommunikation hauptsächlich mündlich oder fernmündlich abläuft? Wieviel wird nach innen kommuniziert, quantitativ und qualitativ? Werden die Organisationsmitglieder von der Geschäftsleitung über wichtige Vorgänge aufgeklärt oder werden sie nur dann aufgeklärt, wenn es sich nicht mehr vermeiden läßt, weil ζ. B. die Presse informiert ist? Während der Wert Vertrauen Einfluß darauf nimmt, ob kommuniziert wird, wirkt der Wert Ehrlichkeit z.B. darauf ein, was kommuniziert wird. Kommunikation wird also direkt von den in der Organisation verankerten Werten beeinflußt. Ähnlich direkt stellt sich der Einfluß von Werten auf das Konfliktverhalten in der Organisation dar. Der organisationsspezifische Umgang mit Konflikten ist
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 81
in starkem Maße von Werten beeinflußt. So scheint plausibel, daß die Ausprägungen von Wettbewerb- vs. Kooperationsorientierung, Egoismus vs. Altruismus ebenso die Bewertung von Konflikten beeinflussen. Analog beeinflußt z.B. die Ausprägung der Werte Kompromißbereitschaft, Leidenschaft oder Nüchternheit den Umgang mit den Konflikten selbst. Wird Sachlichkeit betont? Wird Konsens um jeden Preis gesucht? Wird aggressiv auf Sieg gekämpft? Das letzte Kriterium, das in Kapitel II.2.2 generiert wurde, anhand dessen man in Bezug auf die soziale Komponente der Organisation, verschiedene Organisationen unterscheiden kann, ist der Führungsstil. Führungsgrundsätze sind zu einem entscheidenden Ausmaß von den impliziten Theorien derjenigen geprägt, die diese Führungsgrundsätze niederlegen und versuchen, sie zu implementieren. Werte beeinflussen zum einen die offiziellen Führungsleitlinien. Sie finden ihren Niederschlag in der kommunizierten Idealform, dem Soll-Führungsstil. Werte wie freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit, Mitbestimmung und Partizipation führen logisch zu einem anderen Führungsstil als Werte wie Autorität, Disziplin, Gehorsam und Zielstrebigkeit. Der tatsächlich praktizierte Führungsstil, der nicht deckungsgleich sein muß mit dem kommunizierten Idealführungsstil, ist beeinflußt von den Werthaltungen, die die einzelnen Führungskräfte zu den in der Organisation verankerten Werten ausprägen. Hier findet eine Mischung von Werten, die die Organisation vermittelt, und Werten, die die einzelne Führungskraft im Laufe ihrer Sozialisation vermittelt bekommen hat, statt. Insofern erscheint es schwer, hier den Einfluß der in der Organisation verankerten Werte nachzuweisen. Es erscheint daher sinnvoll, in Bezug auf den Führungsstil den angestrebten Soll-Zustand zu untersuchen, da der Einfluß intervenierender Variablen geringer ist und somit der Zusammenhang zwischen Führungsstil und Werten direkter.
Zusammenfassend erscheint der direkte Einfluß von Werten auf folgende Kriterien plausibel: - das Auswahlverfahren und die dadurch ausgewählten Mitarbeiter - die Beurteilungskriterien - die Ziele der Weiterbildung und die Art, wie sie betrieben wird - die Kommunikation, und zwar * die Art der Kommunikation * Umfang und Qualität der Kommunikation - das Konfliktverhalten - den kommunizierten Soll-Führungsstil
6 Klein
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1. Teil: Theoretische Grundlagen 2.3 Kriteriengenerierang „Zeitliche Dauer"
Ein Definitionsmerkmal einer Organisation ist das Bestehen des Gebildes über einen gewissen Zeitraum. Daß dieses Bestehen nicht eindeutig zu definieren ist, wurde bereits in Kapitel II.1.3. dieser Arbeit kurz dargestellt. Inwieweit ergeben sich nun aus dem zeitlich überdauernden Bestehen einer Organisation Unterscheidungsmerkmale, mit Hilfe derer unterschiedliche Organisationen differenziert werden können? Zum einen kann die Zeit des Bestehens einer Organisation an sich erfaßt werden, wobei diese differenziert werden kann zwischen dem Bestehen in der jetzigen Form und dem Bestehen überhaupt. Hierbei darf nicht übersehen werden, daß die Festlegung der Kriterien, nach denen die Form der Organisation beurteilt wird, entscheidenden Einfluß auf das Ergebnis der Untersuchung hat. Wird Bestehen anhand des Namens der Organisation operationalisiert oder mittels verfolgter Ziele des Unternehmens; wird die Größe hinzugezogen oder die Produktpalette; diese und ähnliche Fragen sind zu beantworten, bevor eine Untersuchung über das zeitliche Bestehen einer Organisation möglich ist. Die Differenzierung zwischen zwei oder mehr Organisationen anhand eines der oben genannten Kriterien scheint demnach schwierig. Vielmehr kann der zeitlich überdauernde Bestand einer Organisation als eine Mindestanforderung an ein soziales Gebilde gewertet werden, damit man von einer Organisation überhaupt sprechen kann. 2.4 Kriteriengenerierung „Zielgerichtetheit"
Ein wesentliches Kriterium einer Organisation ist ihre Zielgerichtetheit. Unter Organisationszielen soll hier, wie bereits in Kapitel II.1.3. definiert, die Vorstellung über den für die Zukunft anzustrebenden Zustand der Organisation verstanden werden. Welche Kriterien, die zur Unterscheidung verschiedener Organisationen geeignet erscheinen, lassen sich nun aus der Zielgerichtetheit von Organisationen ableiten? Hier bietet sich zum einen eine Analyse der Ziele selbst und zum anderen eine Analyse des organisationsspezifischen Umgangs mit den Zielen an. Zu fragen ist nach der Abweichung von formellen und informellen Zielen. Stimmen die formellen Ziele mit den tatsächlich verfolgten Zielen überein? Und falls es hier Abweichungen gibt, warum gibt es sie? Sind diese Abweichungen allgemein bekannt? Wie werden sie wahrgenommen? In Bezug auf welche Themen sind die Abweichungen besonders groß? Auch hier entsteht wieder das Problem der Erhebung. Ist für die Erhebung die subjektive Wahrnehmung der Organisationsmitglieder relevant oder die in Handlungen sich niederschlagende Zielverfolgung?
Kap.
: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 83
Des weiteren erscheint plausibel, daß unterschiedliche Organisationen ihre Ziele auf verschiedenen Abstraktionsniveaus formulieren. Welche Theorien stehen hinter den jeweils gewählten Abstraktionsniveaus? Auch in Bezug auf Inhalt und Qualität des Inhalts ergeben sich Möglichkeiten der Differenzierung, wobei auch hier wiederum auf die Probleme bei der Erfassung und der Festlegung der Relevanz der zugrundegelegten Kriterien, an denen Inhalt und Qualität gemessen werden sollen, hingewiesen werden muß. Kieser/Kubicek (1983, S. 7) weisen in ihrer Definition von Organisationszielen daraufhin, daß es sich hierbei um das Ergebnis eines Prozesses handelt, bei dem dann letztlich eine Gruppe von Organisationsmitgliedern ihre Vorstellung durchsetzt. Welche Gruppe in einer Organisation ihre Vorstellung durchsetzt, sei es das Management, die Kapitaleigner, die Mitarbeiter, die Kreditgeber oder sogar von außerhalb der Organisation Kunden bzw. Lieferanten, charakterisiert die organisationsspezifischen Ziele. U m allerdings feststellen zu können, welche der Gruppen ihre Ziele durchgesetzt hat, muß der Forscher Kenntnis von den Zielen der einzelnen Gruppen haben. Dies kann in Einzelfallen Probleme bei der Messung nach sich ziehen. Organisationsziele bestehen aus mehreren, ζ. T. konfligierenden Elementen. Wie gehen Organisationen mit diesen Konflikten um? Gibt es eine festgeschriebene Ziel-hierarchie? Sind die Ziele durchgängig, d. h. sind sie für alle Bereiche, z.B. auch für Tochtergesellschaften, aufeinander abgestimmt? Und, nicht zuletzt, muß die Frage nach der Wandlungsfähigkeit der Ziele gestellt werden. Welchen Zeithorizont decken die Ziele ab? Gibt es verschiedene Zielformulierungen für verschiedene Zeiträume? Ist die Revision eines Zieles ein „normaler" Vorgang oder wird er als Versagen derjenigen gewertet, die die Ziele formuliert haben? Dies leitet über zu dem zweiten Gebiet, nämlich dem Umgang mit Zielen. Nicht nur die Ziele selbst, sondern auch der Umgang mit ihnen differiert von Organisation zu Organisation und bietet somit die Möglichkeit, verschiedene Organisationen zu charakterisieren. Wer formuliert die Ziele? Wie läuft der Zielfindungsprozeß ab? Handelt es sich um ein jährlich wiederkehrendes, standardisiertes Ritual oder vielmehr um Kamingespräche? Wie hoch ist die Identifikation in der Belegschaft mit den Zielen? Sind die Organisationsziele Makulatur oder sind sie jedem Mitarbeiter ein Anliegen? Eng hiermit verknüpft ist die Kommunikation der Ziele. A u f welche Art werden die Ziele kommuniziert? Werden sie schriftlich mitgeteilt oder von den jeweiligen Vorgesetzten weitergegeben? Werden sie für die jeweiligen Abteilungen spezifiziert oder bleiben sie auf dem vielleicht für den Einzelnen zu abstrakten Niveau der Globalzielformulierung? Werden die Ziele nach innen und nach außen auf die gleiche Art kommuniziert? 6*
1. Teil: Theoretische Grundlagen
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Eine weitere Frage ergibt sich aus der Überlegung, ob Ziele Maßstabscharakter haben. Sind die Organisationsziele und die evtl. aus ihnen resultierenden Teilziele verbindlich für alle Organisationsmitglieder? Beeinflussen die Ziele die Auswahl, die Beurteilung und die Führung der Mitarbeiter? Welche Theorie steht dahinter? Auf welche Weise werden die Ziele umgesetzt? Werden Ziele direkt über Instrumente der Personalführung wie z.B. MBO umgesetzt? Gibt es eine rollierende Planung, in deren Rahmen Ergebnisse rückgekoppelt werden und Ziele den veränderten Rahmenbedingungen angepaßt werden? Ist also die Organisation eher zielorientiert oder zielgerichtet? {Scott, 1986, S. 154) Bleibt noch zu fragen, wie eine Organisation mit Zielkonflikten umgeht. Werden Zielkonflikte standardisiert gehandhabt oder werden sie als Chance begriffen? Werden sie benutzt, um Machtkämpfe auszutragen? Und: Welche Theorie steht hinter der Zielformulierung, dem Umgang mit Zielen überhaupt in einer Organisation? Werden Ziele mehr unter kognitiven oder unter emotionalen Gesichtspunkten betrachtet? Zusammenfassend ergeben sich aus der Zielgerichtetheit von Organisationen folgende Möglichkeiten der Beschreibung und des Vergleiches verschiedener Organisationen:
1. Zum Ziel selbst: -
formelle vs informelle Ziele Abstraktionsniveau/Operationalität Qualität und Inhalt Interessenwiderspiegelung Zielhierarchie/Durchgängigkeit der Ziele Wandlungsfähigkeit der Ziele
2. Zum Umgang mit den Zielen: -
Wer formuliert die Ziele? Wie läuft der ZielfindungsprozeB ab? Identifikation mit den Zielen Kommunikation der Ziele Einfluß der Ziele auf Auswahl, Beurteilung und Führung - Verbindlichkeit der Ziele - Umsetzung der Ziele - Umgang mit Zielkonflikten
y-
Λ
Alle diese wichtigen und interessanten Fragen, die viele Möglichkeiten bergen, Organisationen zu beschreiben und zu analysieren, dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Operationalisierung und somit auch die
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 85
Messung von den hier nachgefragten Konstrukten große Schwierigkeiten birgt. Quantitative Erfassung wird in vielen Fällen nicht möglich sein, wodurch die Vergleichbarkeit erschwert wird. Ziele können, müssen aber keine Werte sein. Abstrakte Ziele, die die in Kapitel 1.1.2. genannten Kriterien erfüllen, bezeichnen wir als Zielwerte. Werte nehmen hier also nicht über ein Kriterium zur Unterscheidung verschiedener Organisationen Einfluß auf die jeweilige Organisation, sondern Werte selbst sind Bestandteil, und zwar Hauptbestandteil, des Kriteriums. Allerdings sind nicht alle Ziele auch Zielwerte. In einem Unternehmen haben wir es mit einer Zielhierarchie zu tun, in der sich Ziele verschiedener Reichweite und bezogen auf verschiedene Schwerpunkte ergänzen, ζ. T. aufeinander aufbauen oder auch in Konflikt miteinander stehen. Die hier angesprochenen Ziele, die zugleich auch Zielwerte sind, sind in dieser Zielhierarchie relativ weit oben angesiedelt. Es handelt sich um Ziele auf relativ hohem Abstraktionsniveau. Die Untersuchung dieser Ziele gibt somit Aufschluß über die Wertstruktur, die im Unternehmen verankert ist. Der Vergleich der Ziele verschiedener Organisationen ist zugleich ein Vergleich ihrer Zielwertsysteme. Zudem läßt sich noch ein weiterer Einfluß von Werten auf Ziele beschreiben, nämlich der Einfluß von Maßstabswerten, aber auch von Zielwerten auf den Umgang mit den Zielen. Wer formuliert die Ziele? Hier wird die Vernetzung mit dem Führungsstil und der dahinterstehenden Theorie deutlich. Ist der Wert Partizipation und Delegation stark ausgeprägt, so wird der Zielformulierungsprozeß anders ablaufen als in dem Fall, in dem die Werte Autorität und Gehorsam eine zentrale Position im Wertgefüge der Organisation einnehmen. Ziele und Zielvereinbarung sind ein Führungsinstrument. Der Umgang mit Zielen wird daher von denselben Werten beeinflußt, wie der Führungsstil selbst. Auch die die Kommunikation beeinflussenden Werte beeinflussen die Ziele, und zwar die Kommunikation der Ziele, sowohl nach innen als auch nach außen. Die Identifikation mit den Zielen, obwohl schwer überprüfbar, wird zu einem entscheidenden Teil durch Werte wie Motivation, Mitwirkung u.ä. geprägt, (vgl.hierzu auch v. Rosenstiel, 1984) Allerdings wirken an dieser Stelle intervenierende Variablen ein. Die Identifikation mit den Zielen des Unternehmens hängt sowohl von der Kommunikation dieser Ziele ab, als auch von der Bereitschaft des einzelnen Mitarbeiters, sich für das Unternehmen zu engagie-ren, was wiederum von mehreren, beruflichen wie auch privaten, Einflußfaktoren abhängt. Da Ziele selbst entweder Werte sind oder wertgeladen sind, ergibt sich hier die Möglichkeit über die Untersuchung der Zielstruktur von Organisationen den Einfluß von Werten direkt zu erfassen. In Bezug auf die Zielgerichtetheit von Organisationen ist also ein direkter Einfluß über die Ziele selbst und ein Einfluß andererseits über den Umgang mit diesen Zielen gegeben.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Zusammenfassend erscheint der direkte Einfluß von Werten auf folgende Kriterien plausibel: - Ziele im oberen Bereich der Zielhierarchie und zwar - - formelle vs informelle Ziele - - Abstraktionsniveau/Operationalität - - Qualität und Inhalt - - Interessenwiderspiegelung - - Zielhierarcfyie/Durchgängigkeit der Ziele - - Wandlungsfähigkeit der Ziele - Umgang mit Zielen im oberen Bereich der Ziel hierarchie: - - Wer formuliert die Ziele? - - Wie läuft der Zielfindungsprozeß ab? - - Indentifikation mit den Zielen - - Kommunikation der Ziele - - Einfluß der Ziele auf Auswahl, Beurteilung und Führung - - Umsetzung der Ziele - - Umgang mit Zielkonflikten
2.5 Kriteriengenerierung „Strukturiertheit"
Eine Organisation ist ein soziales Gebilde, das zum Zweck der Zielerreichung strukturiert ist. Diese Struktur ist häufig als einziges Merkmal von Organisationen untersucht worden, mit dem Ziel, die Struktur in Bezug auf das jeweilige Ziel zu optimieren. Dieser Gedanke hat seine Wurzeln in dem sogenannten Zweckmodell der Organisation, das der klassischen Organisationslehre zugrundeliegt. „Organisationen werden als Systeme angesehen; ein System wird als Ordnung von Beziehungen verstanden, durch welche Teile zu einem Ganzen verknüpft werden; und das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen wird durch das Zweck / Mittel-Schema interpretiert. Alle Teile des Systems haben sich als Mittel zum Zweck des Ganzen auszuweisen, und diese Charakterisierung ist zugleich Bedingung wissenschaftlicher Relevanz. Was sich nicht einfügt, wird als Störung gebucht, kann aber mit den relativ einfachen Denkmitteln des Zweckmodells nicht weiter erforscht werden." (Mayntz, 1968, S. 39) Zunächst ist zu fragen, was unter der Struktur einer Organisation zu verstehen ist. Im allgemeinen wird Struktur als das Verhältnis der Teile zueinander sowie das Verhältnis der Teile zum Ganzen definiert. In Bezug auf Organisationen hieße dies, daß die Organisationsstruktur das Verhältnis der Subsysteme, also der Mitarbeiter, der Gruppen, der Abteilungen usw., zueinander und ihre Stellung innerhalb des Systems Unternehmen definiert. Kubicek (1980, sP.1779) faßt dies folgendermaßen zusammen: „Als Organisationsstruktur wird dabei zumeist das in einer Organisation als legitim angesehene System von Regeln verstanden, das einen Ordnungsrahmen für die dort ablaufenden Prozesse liefert
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 87
und die Rechte und Pflichten der einzelnen Organisationsmitglieder mehr oder weniger genau festlegt." Prozesse und Struktur unterscheiden sich demnach nicht dem Inhalt nach, sondern vielmehr durch die Perspektive, aus der sie betrachtet werden. In der Momentaufnahme der Organisation ist alles Prozeß und erst die Langzeitbetrachtung ermöglicht den Zugang zur Struktur. „Das zeitlich stabile „Muster" („Gefüge") der Prozesse definiert die Struktur, womit Prozesse und Struktur nicht „material", sondern nur noch analytisch-perspektivisch trennbar sind." (Gebert, 1978, S. 52) Nun lassen sich in Bezug auf die Organisationsstruktur verschiedene Strukturdimensionen erfassen. Die bisher angestellten Untersuchungen haben zu einem großen Teil ihre Wurzeln bei Max Weber, und zwar oftmals unabhängig von der verfolgten Fragestellung. 17 Kubicek (1980, Sp. 1781 ff) erfaßt verschiedene Untersuchungen zur Organisationsstruktur und gibt einen Überblick über die von den verschiedenen Autoren erfaßten Strukturdimensionen. Obwohl, wie Kubicek schreibt, sich die von den Autoren untersuchten Merkmale ζ. T. erheblich in Bezeichnung und Inhalt unterscheiden, ließen sie sich recht gut zu acht Klassen von Strukturdimensionen zusammenfassen: — Strukturale Differenzierung — Koordination — Hierarchie — Kommunikation — Zentralisation — Professionalisierung — Programmierung — Motivationsmechanismen — Formalisierung Im Rahmen dieser Untersuchung ist zu fragen, welche Dimensionen für die Darstellung der Organisationsstruktur am besten geeignet sind. A m besten will heißen, die am ehesten eine Beschreibung und Analyse verschiedener Organisationen möglich machen und somit auch einen Vergleich verschiedener Organisationen. Im Rahmen dieses Kapitels soll daher eine Beschränkung auf die Dimensionen stattfinden, die Struktur im Sinne der Beziehung der Teile untereinander und zum Ganzen erfassen. Einige der oben genannten Dimensionen, wie z.B. Kommunikation, wurden bereits in vorangegangenen Kapiteln abgehandelt. Ihre Einordnung unter den Aspekt der Strukturiertheit von Organisationen rührt ζ. T. daher, daß in der Organisationsforschung der Organisationsstruktur großes Gewicht beigemessen wird und diese zudem oftmals sehr viel weiter definiert wird als es im Rahmen dieser Arbeit getan wird. Organisationsstruktur wird dann nicht als ein Teilaspekt der Organisation verstanden, sondern vielmehr wird Organisationsstruktur mit Organisation annähernd gleichgesetzt.18 17
Zur Kritik der Übernahme des Konzepts Webers vgl. Gebert, 1978, S. 29ff. So definiert z.B. Nordsiek (1934, S. 15) die Organisation als „System geltender organisatorischer (betriebsgestaltender) Regelungen, deren Sinnzusammenhang durch die oberste Betriebsaufgabe gegeben ist. Organisation ist in diesem Sinn Betriebsstruktur.". 18
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Im folgenden sollen von den neun Strukturdimensionen diejenigen kurz dargestellt werden, deren Aussagekraft zur Struktur von Organisationen im o.g. gegeben ist. Die von Kubicek erfaßten Dimensionen Kommunikation, Professionalisierung und Motivationsmechanismen fallen unter Berücksichtigung der o.g. Definition von Struktur nicht unter dieses Kapitel. Vielmehr erfolgt ihre Bearbeitung im Rahmen des Aspektes „Die Organisation als soziales Gebilde". Die verbleibenden sechs Dimensionen sind aufgrund der Vernetztheit untereinander nur schwer getrennt zu besprechen. So fallt z.B. die von Kubicek als getrennt aufgeführte Dimension „Hierarchie" unter das Stichwort „vertikale Differenzierung" und ist somit ein Teil des Abschnittes „Strukturelle Differenzierung". Ebensowenig wie Hierarchie von Differenzierung zu trennen ist, da sich das eine aus dem anderen folgerichtig ergibt, ist die Koordination von beiden zu trennen. Koordination wird notwendig, wenn eine Gesamtaufgabe von verschiedenen Personen ausgeführt wird, wobei jeder eine nach Art verschiedene Teilaufgabe übernimmt, es also zu Differenzierung der Gesamtaufgabe kommt. U m künstliche Trennungen zu vermeiden, werden Koordination und Hierarchie unter dem Kapitel „Strukturelle Differenzierung" mit abgehandelt. Ähnlich verhält es sich mit den Dimensionen Programmierung und Formalisierung. Programmierung ist nur aufgrund von Formalisierung möglich und ist zugleich eine extreme Form der Formalisierung. Es scheint wenig Sinn zu ergeben, die beiden Dimensionen getrennt zu besprechen. Neben der Formalisierung, also der schriftlichen Fixierung von Entscheidungen und der Programmierung, also dem Festlegen von Entscheidungen im Voraus, unterscheidet man noch die Standardisierung. Unter Standardisierung wird das Festlegen der Entscheidung eines Steileninhabers durch Regeln verstanden. Sie umfaßt mithin die Programmierung ebenso wie die Formalisierung. I m Rahmen dieser Untersuchung werden Formalisierung und Programmierung unter dem Oberbegriff der Standardisierung besprochen. Bleibt noch die Dimension Zentralisation, die eine gewisse Vernetztheit mit der Dimension Differenzierung aufweist. Unter Zentralisation wird die Verteilung von Entscheidungsbefugnissen über die Hierarchiestufen verstanden. Hier besteht also eine Korrespondenz zur Hierarchie der Organisation einerseits und zur vertikalen Differenzierung andererseits. Allerdings handelt es sich bei der Frage der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung um eine insofern zentrale Frage der Organisationsstruktur, als daß es hier um die Verteilung der Macht geht. Da Macht ein in Bezug auf die dieser Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung wichtiges Konstrukt ist, soll die Dimension Zentralisation gesondert besprochen werden. Problematisiert werden muß noch das Verständnis formaler Organisationsstrukturen, da dieses Verständnis die Interpretation der Strukturdimensionen und somit auch ihre Messung erheblich beeinflußt. Zum einen kann die Organisationsstruktur als System formaler Regeln begriffen werden. Die
Kap. Π: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 89
Erfassung einer derart interpretierten Organisationsstruktur kann sich auf die jeweils geltenden formalen Regeln konzentrieren. Andererseits kann man argumentieren, nicht die Organisationsstruktur, wie sie gedacht ist, sondern wie sie wahrgenommen wird, beeinflußt das Verhalten der Organisationsmitglieder. Die formale und die informale Organisationsstruktur unterscheiden sich in manchen Fällen ganz erheblich. Dies soll anhand von Abbildung 3 demonstriert werden. Abbildung 3 Formelle vs. informelle Organisationsstruktur
Ο
formelle
Struktur
. informelle
Struktur
Dem Hauptabteilungsleiter sind formell Abteilungsleiter A und Β zugeordnet, sowie seine Sekretärin. Abteilungsleiter A wiederum ist der direkte Vorgesetzte der Sachbearbeiter C, D und E, Abteilungsleiter Β der von Sachbearbeiter F, G und H. Soweit die formelle Organisationsstruktur. Nun ist aber der Hauptabteilungsleiter begeisterter Tennisspieler und spielt oft mit Sachbearbeiter F Tennis, da die beiden sich seit der Schulzeit kennen. Hinzukommt, daß Abteilungsleiter Β neu hinzugekommen und zudem vollkommen unsportlich ist. Sachbearbeiter F wiederum ist in einem Skatclub mit den Sachbearbeitern G und H. Hierbei werden natürlich von Zeit zu Zeit auch schon einmal geschäftliche Probleme gewälzt. Hierbei ist H sehr hilfreich. Er hat ein Verhältnis mit der Sekretärin des Hauptabteilungsleiters und ist insofern eine Quelle unerschöpflicher Informationen. Aufgrund dieser informellen Konstellation ist Abteilungsleiter Β machtlos, wenn Sachbearbeiter F mit seinen
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Problemen direkt zum Hauptabteilungsleiter geht und dieser wiederum auch ab und zu mit „Polypengriff 4 F direkte Anweisungen gibt. Abteilungsleiter Β wird aufgrund der informellen Struktur mehr und mehr isoliert. Dieses Beispiel verdeutlicht eindrücklich die große Differenz, die zwischen formeller und informeller Organisationsstruktur bestehen kann. Dies muß natürlich nicht der Fall sein. Es ist sogar plausibel, daß aufgrund der überdurchschnittlichen Häufigkeit der Kontakte die formelle Organisationsstruktur die informelle beeinflußt und sie sich somit der formellen angleicht. (Rosenstiel, 1980, S. 144ff.) Wird Organisationsstruktur so aufgefaßt, kann man sie über die Perzeptionen der Organisationsmitglieder erfassen. Als dritte Interpretationsmöglichkeit ergibt sich, die Organisationsstruktur als strukturelle Verhaltensregelmäßigkeit zu begreifen. Der Zugang zur Organisationsstruktur wäre in diesem Fall die Beobachtung des Verhaltens der Organisationsmitglieder. Obwohl die erste der angesprochenen Möglichkeiten aufgrund der relativ unkomplizierten Operationalisierung und Erfassungsmöglichkeit die Untersuchung erleichtern würde, muß vor einer ausschließlichen Analyse aus dieser Perspektive gewarnt werden. „Die soziale Realität entspricht dem Plan nur in den wenigsten Fällen.... Organisationsforschung kann sich deshalb nicht auf eine Dokumentenanalyse der formalen Struktur beschränken, sondern muß mit Mitteln der empirischen Sozialforschung — durch Befragung und Beobachtung — die Dokumentenanalyse ergänzen." (v. Rosenstiel/ Molt / Rüttinger, 1986, S. 17) Noch umfassender ist die Forderung von Kubicek (1980, Sp. 1782), der die Kombination aller drei Aspekte für notwendig hält, „damit untersucht werden kann, wie in einem bestimmten Sinn gemeinte Regeln von den Betroffenen perzipiert und befolgt oder nicht befolgt werden." I m Rahmen dieser Arbeit wird im Zusammenhang der Operationalisierung für die jeweils zu erfassende Dimension die Frage der optimalen Erhebungsmethode zu diskutieren sein. Hierbei kann aufgrund der Fragestellung theoriegeleitet die Kombination der drei oben genannten Vorgehensweisen sinnvoll sein, aber ebenso kann die Erfassung mittels einer der Möglichkeiten ausreichen. 2.5Λ Strukturelle
Differenzierung
Eine der Dimensionen, die die Beziehung innerhalb des sozialen Gebildes erfassen, ist die Differenzierung. Organisationen strukturieren sich, um die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel auszurichten. 19 Bei zunehmendem Umfang und zunehmender Komplexität der Arbeit wird hierzu das Prinzip der Arbeitsteilung herangezogen. Mittels dieses Prinzips soll eine rationale Zielerreichung gewährleistet werden.
19
vgl. Kapitel II.l.2 Teil 1 dieser Arbeit.
Kap. II: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 91
Arbeitsteilung kann zum einen das Aufteilen der Gesamtmenge Arbeit auf mehrere Personen meinen und zum anderen das Aufteilen in verschiedene Aufgaben. Es kann also nach Art und nach Menge differenziert werden. Hierbei wird die Arbeitsteilung nach Art der Arbeit als Spezialisierung bezeichnet. Kieser / Kubicek (1983, S. 81) definieren: „Als Spezialisierung bezeichnen wir die Form der Arbeitsteilung, bei der Teilaufgaben unterschiedlicher Art entstehen." Die Aufteilung der Arbeit kann nach mehreren Kriterien erfolgen. So kann man sich die Arbeitsteilung in einer Fleischerei nach Produkten ebenso wie nach Funktionen vorstellen. Arbeitsteilung nach Produkten hieße, ein Geselle ist für die Produktion von Würstchen, ein anderer für die von Schinken und ein dritter für die Produktion von Braten verantwortlich. Von Arbeitsteilung nach Funktion würde man sprechen, wenn der erste für den Einkauf, der zweite für die Produktion und der dritte Geselle für den Verkauf zuständig wäre. Spezialisierung läßt sich aber nicht nur nach Art, sondern auch nach Umfang unterscheiden. So kann in Fleischerei A ein Geselle für die Produktion von Würstchen, in Fleischerei Β einer für die von geräucherten Würstchen, einer für die von gekochten und einer für die Produktion von rohen Würstchen zuständig sein. Das heißt nicht, daß Fleischerei Β größer sein muß als A. Denkbar ist auch, daß in Fleischerei A drei Gesellen für die Würstchenproduktion gemeinsam zuständig sind. Warum nun kommt es zu Differenzierung? Welche Vor- und welche Nachteile sind mit Differenzierung verbunden? Differenzierung erlaubt den Einsatz angelernter Kräfte bei der Produktion komplexer Produkte, da die Teilarbeiten geringere Einarbeitungszeit und geringere Sachkenntnis verlangen. Da der Einzelne sich auf einige wenige Tätigkeiten spezialisiert, wird er hierin geübt. Dies verkürzt die Zeit, die er zur Ausführung des Arbeitsganges benötigt. Es tritt also in Bezug auf eine Tätigkeit schneller ein Lern- und Übungseffekt auf. Bei extremer Spezialisierung kann dies jedoch aufgrund der Monotonie der Arbeit zu hoher Fluktuation und hohem Krankenstand aufgrund geringer Arbeitszufriedenheit führen. Zudem verringert die Spezialisierung der Arbeitnehmer auf eine bestimmte Tätigkeit die Flexibilität der Organisation, da der einzelnen Arbeitnehmer nur in klar abgegrenzten Tätigkeitsbereichen einsetzbar ist und ζ. B. für einen erkrankten Kollegen aus einem anderen Bereich nicht einspringen kann. 2 0 Für die Untersuchung von formalen Organisationsstrukturen ist Art und Umfang der Differenzierung insofern relevant, da sie zu Stellen- und Abteilungsbildung führt. Die Spezialisierung determiniert somit einen entscheidenden Teil der formalen Organisationsstruktur und führt zu struktureller, also festgeschriebener, Differenzierung. Da Differenzierung zu einem erhöhten Koordinationsbedarf führt, werden Abläufe festgelegt, um die Koordination zu 20 Eine ausführliche Diskussion der Vor- und Nachteile findet sich bei Kieser / Kubicek (1983, S. 83 ff.).
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
optimieren. Es entsteht also ein festes Gefüge von Rechten und Pflichten, daß von den jeweiligen Stellen abhängig ist. Es ergeben sich hierbei Anforderungen einer Stelle an die Qualifikation der Stelleninhaber. Da bei einem Wechsel eines Stelleninhabers nicht die gesamte Organisation neu abgestimmt werden kann, legt ein hoher Grad an Differenzierung zudem eine Organisation ad rem nahe. Wie nun kann man anhand der organisationsspezifischen strukturellen Differenzierung verschiedene Organisationen vergleichen? Differenzierung kann zum einen nach Intensität und zum anderen nach Richtung der Differenzierung erfaßt werden. Die Intensität der Differenzierung ist allerdings zu einem nicht unerheblichen Maße abhängig von der Größe der Organisation. Bei zwei Organisationen, die bei gleicher Größe ein unterschiedliches Ausmaß an Differenzierung aufweisen, ergibt sich eine Möglichkeit der Unterscheidung. I m Rahmen der Diskussion der Operationalisierung müßte ggf. überlegt werden, ob mit Hilfe von Verhältniszahlen die Differenzierung verschieden großer Organisationen vergleichbar gemacht werden kann. Die zweite Möglichkeit, die Differenzierung verschiedener Organisationen zu vergleichen, ist die Richtung der Differenzierung. Hier kann man unterscheiden zwischen vertikaler und horizontaler Differenzierung. Differenziert die Organisation nach Art oder nach Menge der Aufgaben? Differenziert sie nach Objekt oder nach Funktion? Gibt es Mischformen? Wenn ja, welche? Im Rahmen der vertikalen Differenzierung ist zu fragen, wieviele Hierarchieebenen es gibt. Auch hier muß allerdings wieder die Größe der Unternehmung zur Anzahl der Hierarchiestufen ins Verhältnis gesetzt werden. Aus dieser Verhältniszahl ergibt sich folgerichtig die Kennzahl der Organisation für die Konfiguration, wobei hier zu fragen ist, wie groß die Standardabweichung bei gegebenem Mittelwert ist. Wird in allen Abteilungen der Organisation mit einer Leitungsspanne von 1:7 gearbeitet oder gibt es einerseits Abteilungen, wo die Leitungsspanne 1:11 und andere, wo sie 1:3 beträgt? Ebenfalls in diesem Zusammenhang ist zu fragen, welche Bedeutung die Entscheidungen der jeweiligen Hierarchieebenen haben. Hierbei ist der Vergleich verschiedener Organisationen mit Hilfe der Bedeutungen der Entscheidungen auf gleichen Hierarchieebenen insofern problematisch, als die Festlegung der Kriterien von Bedeutsamkeit einer Entscheidung wiederum von der organisationsspezifischen Zielsetzung einerseits und von der Formalisierung solcher Entscheidungen andererseits abhängt. In dieser Frage wird also ein hohes Maß an Vernetztheit erreicht, das die Erfassung und den Vergleich erschwert. Die Frage der Machtverteilung wird im Kapitel Zentralisierung eingehend zu besprechen sein. Organisationen weisen selbst bei ähnlicher Differenzierung oftmals verschiedene Arten der Koordination auf. Hier ergibt sich demnach eine weitere Möglichkeit, verschiedene Organisationen zu unterscheiden. Hierbei lassen sich verschiedene Kriterien finden, um verschiedene Arten der Koordination zu unterscheiden. Zum einen kann man fragen nach dem Zeitpunkt der Koordination, also wann koordiniert wird. Zum zweiten kann man fragen nach dem
Kap.
: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 93
Umfang der Koordination, also wieviel koordiniert wird. Zum dritten kann man nach dem Inhalt der Koordination fragen, also was koordiniert wird und zum vierten kann man nach der Art der Koordination, also wie koordiniert wird, fragen. Koordination ist demnach die Abstimmung verschiedener Teilaufgaben aufeinander, die nach — Zeitpunkt — Umfang — Inhalt und — Art der Koordination unterschieden werden kann. Unter Zeitpunkt der Koordination versteht man, ob ein Ablauf koordiniert wird, bevor der aktuelle Koordinationsbedarf eintritt oder erst im Falle des Eintretens. Hierunter wird also subsumiert, ob es sich um eine Vorauskoordination oder eine Feedbackkoordination handelt, (vgl.hierzu auch Kieser ! Kubicek, 1983, S. 109) Unter dem Umfang der Koordination versteht man vor allem, wieviele Aufgaben koordiniert werden und wieviele ohne besondere Koordination ineinandergreifen. Des weiteren unterscheiden sich Organisationen dadurch, was sie koordinieren. Dies ist zum einen von der Art der Spezialisierung beeinflußt, zum anderen aber auch eine Frage der gesamten Art der Zusammenarbeit in der Organisation. Werden nur grundsätzliche, strategisch wichtige Projekte koordiniert oder wird auch das kleinste operative Detail koordiniert? Die Art der Koordination ist eng verbunden mit einer noch zu besprechenden Strukturdimension, nämlich der Formalisierung. Die Art der Koordination kann informell, also quasi auf Zuruf, funktionieren oder sie kann bis ins Detail schriftlich fixiert sein. Grundsätzlich sind die hier aufgeführten Kriterien eng miteinander verbunden. Doch erleichtert ihre Kenntnis die Spezifikation der Koordination im Einzelfall. Um den reibungslosen Ablauf einer Organisation zu gewährleisten, gibt es verschiedene Koordinationsinstrumente. Ohne detailliert auf sie eingehen zu wollen, sollen sie hier kurz vorgestellt werden und in Bezug auf die obengenannten Kriterien kurz beleuchtet werden. KieserIKubicek (1983, S. 112) unterscheiden vier Koordinationsmechanismen: — — — —
Koordination Koordination Koordination Koordination
durch durch durch durch
persönliche Weisungen Selbstabstimmung Programme Pläne.
Sie betonen hierbei: „ D a Organisationen und ihre Strukturen von Menschen geschaffen werden, beruhen grundsätzlich alle Koordinationsmechanismen auf Gestaltungsentscheidungen bestimmter Personen." {Kieser/Kubicek, 1983, S. 112)
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1. Teil: Theoretische Grundlagen
Die ersten beiden Mechanismen beruhen auf persönlicher Kommunikation, sie unterscheiden sich in der Art insofern, als daß der erste Mechanismus auf der Kommunikation mit den Vorgesetzten, bzw. Untergebenen beruht, während der zweite auf der Kommunikation mit den Kollegen beruht. In beiden Fällen ist nichts ausgesagt über den Zeitpunkt, den Inhalt und den Umfang der Koordination. Die dritte und vierte Art der Koordination hingegen legt den Zeitpunkt der Koordination fest. Sowohl Pläne als auch Programme koordinieren Tätigkeiten im Voraus. Die Art der Koordination ist in beiden Fällen formalisiert und schriftlich fixiert. Es handelt sich also um eine unpersönliche Art der Koordination. Zusammenfassend ergeben sich folgende Möglichkeiten der Unterscheidung von Organisationen anhand der Strukturdimension „Differenzierung":
1. Die Differenzierung
selbst
nach:
a. Intensität b. Richtung - vertikal - - Anzahl der Hierarchieebenen - - Entscheidungsumfang pro Hierarchieebene - horizontal - - Menge - - Art (Objekt, Funktion) 2.
Die Koordination nach a. Koordination selbst - Zeitpunkt - Umfang - Inhalt - Art b.
\
Koordinationsmechanismen - Koordination durch persönliche Weisungen - Koordination durch Selbstabstimmung - Koordination durch Programme - Koordination durch Pläne '\
Fragt man nun danach, auf welchen der oben genannten Faktoren Werte Einfluß nehmen, so ergibt sich folgendes Bild: Die Intensität der Differenzierung hängt u. a. von der Größe der Organisation, der Branche, in der sie tätig ist, der angewandten Technologie u.v.a.m. ab. Selbst wenn man hier einen Einfluß von Werten nicht ausschließen kann, so scheint die isolierte Betrachtung dieses Einflusses kaum möglich.
Kap.
: Konzept Organisation — Der Einfluß von Werten auf Organisationen 95
In Bezug auf die Richtung der Differenzierung ist der Einfluß von Werten stärker in Hinsicht auf die vertikale als auf die horizontale Differenzierung gegeben. Die horizontale Differenzierung, sowohl nach Art als auch nach Menge, hängt von zuvielen Faktoren, wie ζ. B. der Branche, der Unternehmensgröße u. ä., ab, als daß man den evtl. vorhandenen Einfluß von Werten isolieren könnte, um ihn zu untersuchen. Die vertikale Differenzierung, also die Anzahl der Hierarchieebenen und der Entscheidungsumfang pro Hierarchieebene, hat Einfluß auf die mögliche Initiative, die Organisation möglich macht ebenso wie auf die Flexibilität der Organisation. Allerdings wirken auch hier neben der Verankerung z.B. der Werte Flexibilität und Initiative weitere Faktoren auf die vertikale Differenzierung aus. Extreme Ausprägungen vertikaler Differenzierung sind demnach zwar geeignet, Hypothesen aus anderen Dimensionen einer Organisation zu unterstützen, aber ohne eine weitere Untersuchung scheint der Schluß vom Ausmaß der vertikalen Differenzierung einer Organisation auf die Werte deshalb nicht gerechtfertigt, da zuviele intervenierende Variablen diesen Zusammenhang beeinflussen. Anders stellt sich der Zusammenhang zwischen der Koordination und den in der Organisation verankerten Werten dar. So scheint ein Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Koordination und den Werten Initiative, Improvisation und Planung plausibel. Eine Organisation, die Initiative für wichtig erachtet, wird weniger durch Anweisungen von oben koordinieren, sowohl dem Inhalt als auch dem Umfang nach, und sie wird zudem später koordinieren. Diese Organisation wird sich auch anderer Koordinationsmechanismen bedienen. Sie wird Koordination durch Selbstabstimmung der durch Programme und Pläne vorziehen. Auf der anderen Seite wird eine Organisation, in der der Wert Autorität eine zentrale Stellung einnimmt, Koordination durch persönliche Weisungen der durch Selbstabstimmung vorziehen. Die Instrumente, die zur Koordination eingesetzt werden, werden also ebenso von Werten beeinflußt, wie Zeitpunkt, Umfang, Art und Inhalt der Koordination. Während sich also die Differenzierung selbst nicht unbedingt zu eignen scheint, um in Bezug auf die dieser Arbeit zugrundeliegende Theorie eine Aussage über Organisationen machen zu können, ergeben sich aus der Koordination und den angewandten Koordinationsmechanismen interessante Gesichtspunkte in Bezug auf die Theorie. 2.5.2 Zentralisierung
vs. Dezentralisierung
Zentralisierung und Dezentralisierung als die beiden extremen Pole eines Kontinuums werden in der Literatur unterschiedlich weit gefaßt. Zentralisation und Dezentralisation wird einerseits als allgemeines Problem der Zuordnung aller Arten von Aufgaben aufstellen und Abteilungen begriffen. Demgegenüber
1. Teil: Theoretische Grundlagen
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gibt es eine engere Auffassung, die Zentralisation und Dezentralisation ausschließlich als ein spezielles Problem der Zuordnung von Entscheidungs- und Leitungsaufgaben versteht, (vgl. hierzu auch Bleicher, 1980) I m Rahmen dieser Arbeit soll mit dem engen Zentralisationsbegriff gearbeitet werden. Die im Rahmen des weitgefaßten Begriffes zur Diskussion stehenden Fragen, wie z.B. die Frage nach den Kriterien der Zusammenfassung von gleichartigen Aufgaben, etwa nach Objekten, nach Funktionen, nach Raum oder Zeit, wurden bereits im Zusammenhang mit der strukturelle Differenzierung besprochen. Zentralisation und Dezentralisation wird hier also als die Verteilung der Gesamtmenge an Entscheidungen auf die einzelnen Stellen begriffen, (vgl.hierzu Gebert, 1978, S. 37 und Hoffmann, 1980, Bd. 1, S. 267) Hierbei lassen sich Entscheidungen nach der Menge und nach der Relevanz unterscheiden. Hoffmann (1980, Bd. 1, S. 266) unterscheidet drei Klassen von Entscheidungen: strategische, administrative und operative Entscheidungen. Abbildung 4 Entscheidungskategorien und ihre Merkmalsausprägungen operative Entscheidungen einfach « teilbezogen G l eicher « wohlstrukturiert determiniert