'Der Dienstbetrieb ist nicht gestört': Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948 9783406790270

Kaum beirrt von Bombenkrieg, Kapitulation und alliierter Besatzung liefen Gerichtsverfahren vor und nach 1945 einfach we

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German Pages 385 Year 2022

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Vorwort
Einführung: Außerordentliche Normalität
Papierwelt
Justiz im totalen Krieg
Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht
Schnitt-Stelle 1945
Eine Stunde Null gab es nicht
Geteilte Normalität
Von der rohen Gewalt zu den Akten
Zwischen Chaos und Kosmos
1. Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf
Die Dogmatik des Justitiums
Ius non stat: Die Vermeidung des Stillstands
Luftkrieg und Luftschutz
Schriftgut
Beamtenpflichten: Justizdienst als Kriegsdienst
Der Geschäftsbetrieb und seine Helden
Allerletzte Erledigungen
Fiat iustitia et pereat mundus
2. Das Recht der guten Leute: Auf den Spuren der deutschen Seele
Neustadt, eine Montage
Im Schatten des deutschen Waldes
Germanische Sonne
Fernab des Krieges
Die Rechtswahrer der Provinz
Jahreschronik des Neustädter Strafrechts
Eine Frage der Ehre
Endkampf um die Kehrwoche
Widerstand durch Unterlassen
Rechtsbewährungsprinzip und Wiederverwendung
Das richtige Leben im richtigen
3. Die Parzellierung des Todes: Das Amtsgericht Auschwitz und die Grundbücher der IG Farben
Grund und Buch
Eine Kleinstadt im neuen deutschen Lebensraum
Aufbau Ost
«Ethnische Flurbereinigung»
Juristisches Bodenpersonal
Die Auflassung des Betriebsgeländes
Ein Amtsgericht wird überflüssig
Räumen und Reinwaschen
Grundbuch der Erinnerung
4. Lastenausgleich: Das Sondergericht Aachen und sein letzter Richter
Hans Keutgen: Ein normaler Lebensweg
Der Bilderbuchjurist
Volksschädlinge, Schwarzschlachter, Lebensmittelkartenfälscher
Sonderrichter und Scharfmacher
Die Evakuierung der Stadt
Die Front rückt näher: Ausweichquartiere
Rundreise im Reich
Aachener Normalrichter, bekannte Gesichter
Selbstjustiz: «Weg legen»
Provinzfürst mit kassierter Vergangenheit
Trennungsentschädigung
Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung»
5. Auf der Flucht: Die Verlagerung der Gerichtsbehörden im Winter 1944/45
Wohin mit dem OLG Stettin?
Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest»
Hoffnung auf Rückkehr: «z. Zt.»
Die Macht des Papiers
Erwartung des Untergangs: «noch»
Wiederaufnahme des Dienstes
Sonder-Sondergerichte
Akten und Stempel: verbrennen, vergraben, vernichten
Gerichte unter Zugzwang
Anschlussverwendung
Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie
Das Ende
6. Zwischen den Jahren: Der Stillstand der Rechtspflege im Sommer
Nichts aus dem Nichts
Die Entreichlichung der Justiz
Geschäftsbetrieb in der Stunde Null
Alliierte Störungen
Neue Volksjuristen im Osten
Altgediente Volljuristen im Westen
Recycling
Rechtshängigkeit: Die Last der Altfälle
Rechtsfriede, endlich
7. Die Abwicklung: Der Krieg und sein langes Ende
Selbstbetrug: Das Justitium von 1945
Die Verbannung des Krieges aus der Rechtsordnung
Alte neue Normalitäten
Abwicklungsstellen
Altpapier
Rechtstransfer aus den verlorenen Gebieten
Rechtsvergleichung oder Ein Gesetz, das niemand mehr braucht
Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut
Epilog: Der Traum vom echten Leben
Allmachtsfantasien
Normalität als Strategie
Zivilisation oder Perversion
Dank
Anmerkungen
Quellen
Personenregister
Ortsregister
Zum Buch
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'Der Dienstbetrieb ist nicht gestört': Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948
 9783406790270

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Benjamin Lahusen «Der Dienstbetrieb ist nicht gestört» Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948

Benjamin Lahusen

«Der Dienstbetrieb ist nicht gestört» Die Deutschen und ihre Justiz 1943–1948

C.H.Beck

1. Auflage. 2022 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2022 Umschlagentwurf: Rothfos & Gabler, Hamburg Umschlagabbildung: Lee Miller, „Justice amid the ruins“ (Ausschnitt), Frankfurt am Main 1945 [21-23]. © Lee Miller Archives, England 2022. All rights reserved. leemiller.co.uk Satz: Janß GmbH, Pfungstadt ISBN Buch 978 3 79026 3 ISBN eBook (epub) 978 3 406 79027 0 ISBN eBook (PDF) 978 3 406 79028 7

www.chbeck.de Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.

Inhalt

Vorwort 9

Einführung: Außerordentliche Normalität Papierwelt  13  – Justiz im totalen Krieg  14  – Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht  20  – Schnitt-Stelle 1945  23  – Eine Stunde Null gab es nicht 26 – Geteilte Normalität 30 – Von der rohen Gewalt zu den Akten 33 – Zwischen Chaos und Kosmos 36

1. Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf Die Dogmatik des Justitiums 41 – Ius non stat: Die Vermeidung des Stillstands  44 – Luftkrieg und Luftschutz  47 – Schriftgut  50 – Beamtenpflichten: Justizdienst als Kriegsdienst  55  – Der Geschäftsbetrieb und seine Helden  60 – Allerletzte Erledigungen  65 – Fiat iustitia et pereat mundus 71

2. Das Recht der guten Leute: Auf den Spuren der deutschen Seele Neustadt, eine Montage  75  – Im Schatten des deutschen Waldes  76  – Germanische Sonne  78  – Fernab des Krieges  80  – Die Rechtswahrer der Provinz 83 – Jahreschronik des Neustädter Strafrechts  86  – Eine Frage der Ehre  90  – Endkampf um die Kehrwoche 93 – Widerstand durch Unterlassen 99 – Rechtsbewährungsprinzip und Wiederverwendung  102  – Das richtige Leben im richtigen 107

3. Die Parzellierung des Todes: Das Amtsgericht Auschwitz und die Grundbücher der IG Farben Grund und Buch 109 – Eine Kleinstadt im neuen deutschen Lebensraum  112 – Aufbau Ost  116 – «Ethnische Flurbereinigung»  122 – Juristisches Bodenpersonal  126  – Die Auflassung des Betriebsgeländes 129 – Ein Amtsgericht wird überflüssig 132 – Räumen und Reinwaschen 134 – Grundbuch der Erinnerung 137

4. Lastenausgleich: Das Sondergericht Aachen und sein letzter Richter Hans Keutgen: Ein normaler Lebensweg  141  – Der Bilderbuchjurist  145  – Volksschädlinge, Schwarzschlachter, Lebensmittelkartenfälscher  148  – Sonderrichter und Scharfmacher  153  – Die Evakuierung der Stadt 156 – Die Front rückt näher: Ausweichquartiere  160  – Rundreise im Reich  163  – Aachener Normalrichter,

bekannte Gesichter  168 – Selbstjustiz: «Weglegen»  173 – Provinzfürst mit kassierter Vergangenheit  177  – Trennungsentschädigung 180 – Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung» 184

5. Auf der Flucht: Die Verlagerung der Gerichtsbehörden im Winter 1944 /45 Wohin mit dem OLG Stettin?  187  – Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest» 191 – Hoffnung auf Rückkehr: «z. Zt.» 194 – Die Macht des Papiers  199  – Erwartung des Untergangs: «noch» 204 – Wiederaufnahme des Dienstes 207 – Sonder-Sondergerichte 210 – Akten und Stempel: verbrennen, vergraben, vernichten  213  – Gerichte unter Zugzwang  215  – Anschlussverwendung 220 – Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie 223 – Das Ende 227

6. Zwischen den Jahren: Der Stillstand der Rechtspflege im Sommer 1945 Nichts aus dem Nichts  233 – Die Entreichlichung der Justiz  236 – Geschäftsbetrieb in der Stunde Null 239 – Alliierte Störungen 242 – Neue Volksjuristen im Osten  245  – Altgediente Volljuristen im Westen  248 – Recycling  253 – Rechtshängigkeit: Die Last der Altfälle 255 – Rechtsfriede, endlich 258

7. Die Abwicklung: Der Krieg und sein langes Ende Selbstbetrug: Das Justitium von 1945  263  – Die Verbannung des Krieges aus der Rechtsordnung 266 – Alte neue Normalitäten 271 – Abwicklungsstellen  275  – Altpapier  278  – Rechtstransfer aus den verlorenen Gebieten  281  – Rechtsvergleichung oder Ein Gesetz, das niemand mehr braucht  285  – Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut 290

Epilog: Der Traum vom echten Leben Allmachtsfantasien 295 – Normalität als Strategie 299 – Zivilisation oder Perversion 301

Dank 307 Anmerkungen 311 Quellen 373 Personenregister 382 Ortsregister 383

Vorwort Vorwort

«Füsse reinigen, Rauchen verboten, Spucknapfe benutzen», mahnt eine Tafel den Besucher des Amtsgerichts im Berliner Stadtteil Lichtenberg. Eine durchaus einleuchtende Hausordnung: Schon Heinrich Heine bekundete, ihn ängstige ein Land, wo die Menschen «ohne Spucknapf speien»,1 und Norbert Elias wies der Einhegung des abendländischen Spuckens im Prozess der Zivilisation ein ganzes Kapitel zu.2 An einem Gericht, das unzweifelhaft ein Bestandteil der Zivilisation ist, sind Spucknäpfe deshalb gut aufgehoben. Für den, der sich auf dem Weg zum Volljuristen befindet, ist ein Gericht allerdings auch dies: ein Ort quälender Langeweile und lähmender Pedanterie. Nach Klaus Eschens klassischer Beschreibung beschließt die Referendarausbildung die Dressur zum Flohzirkus; danach bleiben die Flöhe auch dann im Kriechgang, wenn sie bereits in die Freiheit entlassen wurden.3 Für diesen letzten Schritt haben mich höhere Mächte aus der Justizverwaltung ausgerechnet an das zivilisatorisch einwandfreie Amtsgericht Lichtenberg entsendet. Dort musste ich Stunden des Grauens verbringen: Arbeitsgemeinschaft für Referendare im Zivilprozessrecht. In der höchsten Not, als die Uhr noch eine lange Reihe intellektueller Tiefschläge verhieß und sich das Gemüt nur noch für wenige Minuten dagegen gefeit sah, wanderte der verzweifelte Blick durch die kargen Landschaften der Zivilprozessordnung, um dort irgendeine Ablenkung zu finden. Das Wunder geschah: Die Lektüre von

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Vorwort

§ 245, der die «Unterbrechung durch Stillstand der Rechtspflege» im Kriegsfall regelt, brachte die eigenen Vorstellungswelten durcheinander, und für zusätzliche Verwunderung sorgte eine Fußnote – vom Verlag C.H.Beck vor Jahrzehnten gewohnt nutzerfreundlich angebracht –, die den Leser «wegen der Aufnahme von Verfahren, die am 8. 5. 1945 bei Gerichten anhängig waren, an denen deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wird», an das Zuständigkeitsergänzungsgesetz von 1952 verwies. Damit war das Thema für den nächsten Qualifizierungsschritt gefunden, und über die Frage, welche Gerichtsverfahren in den letzten Kriegswochen überhaupt noch anhängig waren und wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, sie 1952 fortzusetzen, ging irgendwann auch das Referendariat zu Ende. Das war 2009. Seither habe ich viel in Archiven im In- und Ausland gearbeitet und versucht herauszufinden, ob das, was die Langeweile als Thema identifiziert hatte, tatsächlich eines war. Für Juristen ist das an sich kein aufregender Stoff. Auf welche Weise und aus welchen Gründen das Recht sich in Momenten der existentiellen Krise in die Papierwelten des Justitiums zurückzieht, ist den Rechtsarbeitern zumeist herzlich gleichgültig; sie halten den Stillstand der Rechtspflege für ein Relikt aus einer Zeit, in der man noch die Benutzung von Spucknäpfen anmahnen musste. Sinnfällig ist Johann Peter Hebels Geschichte über einen Leinwandweber, der 1817 davon hörte, dass der jüngst eingerichtete Bundestag in Frankfurt sich mit den Angelegenheiten des untergegangenen Reichskammergerichts beschäftige. Weil auch der Weber dort noch einen Prozess anhängig hatte, zog er mit seinen Aktenpaketen nach Frankfurt an der Oder, musste da feststellen, dass Frankfurt am Main gemeint war, und erfuhr, als er dort nach einer abermals beschwerlichen Reise schließlich ankam, dass der Bundestag nur die Renten der ehemaligen Richter regeln wollte, die anhängigen Verfahren aber auf sich beruhen ließ. Der Weber verkaufte daraufhin seine Akten als Altpapier an einen vorüberziehenden Gewürz-

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Vorwort

händler und reiste vom Erlös zurück in die Heimat, wo er mit leeren Händen ankam. «An meine Frankfurter Reise», so resümierte er tapfer, «will ich denken.»4 Man wühlt sich durch, das Recht wurstelt mit, und das Leben zieht weiter fröhlich seine Bahnen. Im Frühjahr 2020 war meine Arbeit fertig und wurde für würdig befunden, als juristische Habilitationsschrift durchzugehen. Für das vorliegende Buch habe ich das Manuskript noch einmal überarbeitet und insbesondere den Apparat stark gekürzt. Dabei sind viele Werke aus den Anmerkungen verschwunden, die ich nicht direkt zitiere, die für die Arbeit gleichwohl wichtig waren. Um außer den zitierten auch die allgemein konsultierten Werke nachvollziehbar zu machen, ist das gesamte Literaturverzeichnis auf meiner Homepage abrufbar (www.rewi.europa-uni.de / de / lehrstuhl / br /rechtsgeschichte / Prof / index.html). Ich verwende in diesem Buch nur sehr selten eine geschlechtergerechte Sprache. Sensible Ausdrucksformen sind ein wichtiges Anliegen. Hier treffen sie aber auf eine historische Zeit, die sich – neben vielem anderen – auch in Geschlechterfragen durch größte Ungerechtigkeit auszeichnet. Die Akteure dieser Epoche waren, gerade in der Justiz, fast ausnahmslos Männer, und deshalb treten sie hier auch als solche auf; mein Maskulinum ist also ein spezifisches, kein generisches. Während der Schlussredaktion hat der Weltgeist dem Buch unvermittelt ein verändertes Umfeld beschert. Ein neues Virus zirkulierte, und plötzlich stand die Welt still. Im Februar 2020 raste der Stillstand auf Europa zu, und danach verging kaum ein Tag, an dem nicht ein bis eben noch für aberwitzig gehaltenes Szenario zur neuen Normalität erklärt wurde. Dass eine Epidemie die Rechtspflege zum Erliegen bringen könne, wird in der juristischen Gebrauchsliteratur schon seit der frühen Neuzeit als Standardfall

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Vorwort

erörtert,5 genau wie seit langem Einigkeit darüber besteht, dass dieser Fall niemals eintreten wird.6 Auch 2020 reagierte die Zunft deshalb so, wie sie es seit Jahrhunderten erprobt hatte: Die drohende Störung der juristischen Programme wurde ihrerseits juridifiziert. Zwei Wochen nach der landesweiten Kontaktsperre erschien die erste Fachzeitschrift, in der es die versammelten Rechtsprobleme der neuen Pandemie zu bestaunen gab, die ersten Handbücher folgten rasch. Dieses Buch handelt davon, wie sich das Recht unbeirrt von den Widrigkeiten seiner Umwelt entfaltet und dabei eine Pandemie und selbst einen Krieg ausblenden kann. Als das Buch bereits fertig war, wurde die Welt erneut eine andere. Am 24. Februar 2022 überschritten die Heere der russischen Föderation die ukrainische Grenze und der Krieg brach los, das heißt, es trat ein Ereignis ein, das dem menschlichen Verstand sowie der menschlichen Natur durchaus zuwider ist. Das Recht als System kann solche Vorgänge verdrängen. Es sei zu Protokoll gegeben: Ein Mensch kann das nicht.

Einführung: Außerordentliche Normalität

Papierwelt Einführung: Außerordentliche Normalität Papierwelt

Es beginnt mit dem Papier. Seine Oberfläche ist rau und porös, die Farbe ein schmutziges Beige; der Geruch verortet die Bündel irgendwo im Souterrain der Geschichte. Zahlreiche Risse wandern von den Rändern ins Zentrum, viele Faltstellen sind gebrochen, den Aktendeckeln gelingt es nur mit Mühe, ihr Innenleben zu bändigen. Die Akten haben, das zeigen sie ohne große Umschweife, ihre Zeit gehabt: Sie sind durch Hände gegangen, über Schreibtische gewandert, zwischen Behörden zirkuliert, sie kamen auf Vorlage und Wiedervorlage, wurden angefordert, gelesen, beachtet, umgesetzt, bis ihr normatives Leuchten von den Zeitläuften erst verdunkelt wurde und schließlich ganz erlosch. Ein schroffes «Weglegen» war das Ende. Gemessen an seinen ursprünglichen Zwecken war das Papier jetzt nutzlos geworden; für eine Anstandsfrist blieb es vor Ort, aber irgendwann kam unweigerlich die Übergabe an die amtliche Verwahrstelle für Altpapier: das Archiv. Dort bekam es neue Gebrauchsspuren – Signaturen, Stempel, Aufkleber –, wurde umsortiert – in Büscheln, Schubern, Schriftgutbehältern –, normativ rekonfiguriert  – Archivwürdigkeit, Datenschutz, Persönlichkeitsrechte  –, bevor der nächste Verwertungskreislauf eröffnet werden konnte. Das Papier beschreibt jetzt die Zeit, in der es einstmals selbst beschrieben wurde, aus den Akten sprudelt die Geschichte.

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Einführung: Außerordentliche Normalität

Die Akten komprimieren Zeit, Entstehungszeit, Gebrauchszeit, Erinnerungszeit, Geschichtszeit, ein papiernes Zeitgestrüpp, das sich zwischen heute und gestern schiebt und den Blick zurück leicht in die Irre führt. Es beginnt mit dem Papier. Aber wann?

Justiz im totalen Krieg Justiz im totalen Krieg

Am 26. August 1944 leitete das Reichsjustizministerium an die Oberlandesgerichte einige Überlegungen von Joseph Goebbels weiter, die dieser, soeben zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt, unter dem Titel «Lebensstil im totalen Kriege» zusammengetragen hatte. Das öffentliche Leben, monierte Goebbels, trage «mancherorts noch einen teilweise stark friedensmäßigen Charakter», Theateraufführungen versuchten durch eine «möglichst prunkvolle Inszenierung» zu glänzen, Ausstellungen «durch den bei ihrer Eröffnung gereichten Imbiß». Damit müsse es ein Ende haben. Künftig habe jede Form von Geselligkeit – Empfänge, Amtseinführungen, Festwochen, Musiktage, Familienfeiern  – zu unterbleiben, wenn sie nicht unmittelbar den Kriegsanstrengungen gelte; es sei fortan eine Ehre, einen sichtbar enthaltsamen Lebensstil zu pflegen und dem Ausland zu demonstrieren, dass von Deutschland Kompromissbereitschaft nicht zu erwarten sei.1 Die Erfordernisse des Krieges wurden zur Richtschnur für das gesamte Leben. Mit Folgen auf allen Ebenen: Wenige Tage später gab Reichsjustizminister Otto Thierack bekannt, er werde ab sofort auf «Glückwunschschreiben aller Art» verzichten und «lediglich noch Kondolenzschreiben an Angehörige von Gefallenen unterzeichnen».2 In der Woche darauf traf es die Toiletten, von denen man sich ebenfalls Ressourcen für den Krieg versprach; erbost musste man feststellen, noch immer würden regelmäßig Zeitspüler tätig, die einen Wasserverbrauch auslösten, «der sachlich nicht gerechtfertigt» sei.3

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Justiz im totalen Krieg

Dann waren die Justizbediensteten selbst dran. Um die Bevölkerung in ihrer Arbeitskraft möglichst wenig zu beeinträchtigen, wurden die Einsatzzeiten bei Gericht im Spätsommer 1944 auf wöchentlich sechzig Stunden erhöht und Sonntagsarbeit eingeführt,4 was freilich schon mit nahendem Winter wieder rückgängig gemacht werden musste, weil es für einen längeren Betrieb am Tage an Heizmitteln und Strom fehlte.5 Am 1. November notierten die Buchhalter im Ministerium, dass die Richterschaft nun prozentual mehr Gefallene zu beklagen habe als noch im Ersten Weltkrieg.6 In Danzig ließ man die Guillotine und den Galgen in Kisten verpacken, um sie angesichts der erwarteten sowjetischen Offensive in Sicherheit zu bringen,7 und in Stettin erhielten die Justizbehörden Ende 1944 eine Weihnachtskarte mit einem aufmunternden Zitat des Kriegsmetaphysikers Heinrich von Treitschke: «Darin eben liegt die Hoheit des Krieges, daß der kleine Mensch ganz verschwindet vor dem großen Gedanken des Staates; die Aufopferung der Volksgenossen füreinander zeigt sich nirgends so herrlich.»8 Staat, Volk, Opfer, Herrlichkeit: Wo solche historischen Zentnerwörter zu vergeben sind, da leistet auch die Justiz gerne ihren Beitrag. Sie war gut gerüstet in den Krieg gezogen. Schon 1937 hatten im Ministerium streng vertraulich die entsprechenden Vorbereitungen begonnen, unter dankbarer Verwendung der reichen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg.9 Zu Kriegsbeginn lagen nicht weniger als einunddreißig Gesetze und Verordnungen parat, um die Justiz auf den Kriegsbetrieb umzustellen. Zwei Überlegungen waren dabei maßgeblich. Zum einen sollte die Rechtsverwaltung dem Krieg möglichst nicht in die Quere kommen. Für die Front musste Personal gespart werden, und wer im Einsatz war, erhielt einen umfassenden Rechtsschutz gegen juristische Behelligungen in der Heimat. Zum anderen aber sollte die Zivilbevölkerung auf juristische Dienstleistungen nicht verzichten müssen. Das Recht durfte den Krieg nicht stören, aber umgekehrt durfte auch der Krieg das Recht nicht zu sehr stören. Justus Wilhelm Hede-

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mann, der Grandseigneur der nationalsozialistischen Rechtserneuerung, gab dazu die Parole aus, ein Staat könne sich einen Verzicht auf seine Rechtsordnung «selbst im erbittertsten und großartigsten Kriege» nicht leisten; man wisse aus dem letzten Krieg, dass «das bürgerliche Rechtsleben trotz schwerster Kriegsereignisse unablässig weiterläuft», weshalb die ordentlichen Gerichte «das Palladium der Rechtspflege auf dem Gebiete des bürgerlichen Lebens bleiben» müssten.10 Und das blieben sie. Im Februar 1943, nach der Niederlage bei Stalingrad, wurde eine erste große Schließungswelle angekündigt, deren Umsetzung jedoch so viele Bedenken auslöste, dass von den gut 2000 Amtsgerichten am Ende gerade einmal 98 stillgelegt wurden.11 Kurz darauf erging die Anweisung, alle Rechtsstreitigkeiten zurückzustellen, deren Erledigung «während des Krieges nicht dringlich» sei.12 Auch diese Maßnahme blieb ohne größere Auswirkungen. Was «kriegsdringlich» bedeute  – zumal im Hinblick auf einen Zivilprozess –, wusste niemand. Die Justiz übersetzte «Kriegsdringlichkeit» deshalb mit «Prozessökonomie» und nutzte das Instrument, um die eigene Bedeutung für die Heimatfront herauszustreichen und zugleich das alltägliche Arbeitspensum zu steuern. Aufwendige Verfahren wurden zurückgestellt  – betroffen waren 2 bis 4 Prozent aller Eingänge –, der Rest ging weiter wie zuvor.13 Freilich war dieser Rest trotzdem mit dem Arbeitsanfall zu Friedenszeiten nicht vergleichbar. Die politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Rahmenbedingungen des Krieges hatten die Justizstatistik auf allen Ebenen stark verändert. Die letzten Einberufungen zum Volkssturm schrumpften den Personalbestand von 1939 auf etwa 30 Prozent, von den fast 14 000 Richterstellen waren 1944 nur noch gut 6000 besetzt.14 Auch die Prozesse wurden immer weniger. Im Strafrecht waren zunächst mehr und mehr Zuständigkeiten an die Sondergerichte gegangen, ein Trend, den man seit 1943 wieder zu entzerren versuchte. Gewöhnliche Kriminalität sollte nach Möglichkeit im Verwaltungswege erledigt oder vor den

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Justiz im totalen Krieg

ordentlichen Gerichten angeklagt werden. Die Strafjustiz war deshalb spürbar zurückgegangen, bekam aber noch immer gut zu tun. Im Zivilrecht dagegen hatte es tiefere Einschnitte gegeben. Vermögensrechtliche Auseinandersetzungen waren um etwa drei Viertel eingebrochen; eine förmliche Explosion von Ehescheidungen und Unterhaltssachen und der kontinuierliche Bestand von Mietstreitigkeiten kompensierten den Rückgang nur zum Teil. Im Herbst 1944, als Goebbels dem öffentlichen Leben endgültig den friedensmäßigen Anstrich nehmen wollte, erging ein weiterer Schlag gegen die angestammte Gerichtsverfassung. Am 27. September wurde der Rechtsweg im Prinzip abgeschafft. Die Oberlandesgerichte sollten ganz verschwinden, das Reichsgericht nur noch dürftige Restzuständigkeiten verwalten, Frist: sechs Wochen. Aber auch diese radikale Sparmaßnahme blieb auf halbem Wege stecken. Die Frist, die den Gerichten zur eigenen Abwicklung gesetzt wurde, musste mehrfach verlängert werden und wurde schließlich vom Kriegsende kassiert.15 Selbst hemdsärmelig vorgetragene Extremlösungen  – «Ach was, die Justiz kriegswichtiger Betrieb, der Scheißdreck hört eben auf», bekam der Jenaer Generalstaatsanwalt im Oktober 1944 zu hören16 – führten intern nur zu Befremden und äußerstenfalls zu einem Vermerk. Sogar Goebbels musste sich darüber belehren lassen, dass eine Abschaffung der Justiz den Erhalt der staatlichen Ordnung gefährden, der Bevölkerung «ein Gefühl der Rechtslosigkeit» vermitteln und generell «chaotische Zustände» auslösen würde.17 Und dann war da noch der juristische Eigensinn. Die traditionelle Halsstarrigkeit des Berufsstandes hatte sich auch im totalen Krieg erhalten. Im November 1944 wurde den Richtern in einer ausführlichen Rundverfügung offenbart, dass künftig anstelle der umständlichen Berechnung der Gerichtskosten nach Streitwert und Gebührenordnung eine «freie Schätzung» des Richters zu treten habe.18 Ein derartiger Anwurf trieb die Justiz in den Widerstand. Der Landgerichtspräsident von Nordhausen am Harz be-

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Einführung: Außerordentliche Normalität

mühte die letzten Geschütze dogmatischer Differenzierungslust, um das ganze Ausmaß des gesetzgeberischen Versagens vorzuführen: Wenn der Beklagte verliere und auferlegt bekomme, die Anwaltskosten und den Gebührenvorschuss des Gegners zu erstatten, Letzterer aber unter den tatsächlichen Kosten liege, dann müsse der Kläger über diese tatsächlichen Kosten einen Titel gegen den Beklagten bekommen. Dies sei nur durch ein Kostenfestsetzungsverfahren möglich, das in diesem Falle sogar – anders als früher – auch ohne ausdrücklichen Antrag durchzuführen sei. Im Nordhäuser Bezirk, so resümierte der Bericht, lehne man das neue Kostenrecht deshalb ausnahmslos ab; es sei «unzweckmäßig und nicht zeitgemäß».19 Wer mochte da widersprechen? Der Vorwurf, die Anforderungen der Zeit zu verfehlen, musste sich auf das beziehen, was die staatliche Propaganda als die «lebensentscheidende Schicksalsstunde unseres Volkes» bezeichnete.20 Im September 1944 stand die Rote Armee vor den Grenzen Ostpreußens, die Bevölkerung arbeitete an den Verteidigungswällen und versammelte sich zum Volkssturm, im Westen überschritten US-amerikanische Truppen erstmals die Reichsgrenze. Das Kostenrecht war wohl wirklich nicht geeignet, in dieser Krise einen messbaren Beitrag zu leisten, ganz gleich, ob mit oder ohne freie Schätzung. Gleichwohl ließ sich nur schwerlich verbergen, dass die Rechtsarbeiter in ihrer herrlichen Aufopferung für Staat und Volk nicht nur die üblichen Biotope juristischer Besserwisserei pflegten, sondern auch ihre ohnehin bestehende Neigung zur Seelenblindheit weiter kultivierten. Die Juristen klammerten sich an die wenigen Probleme, die sie noch selbst lösen konnten. Im November 1944 ersann der Landgerichtspräsident von Aachen, der seinen Sprengel zu diesem Zeitpunkt bereits eingebüßt hatte und deshalb in Düren saß, detaillierte Regelungen darüber, wie man künftige Verlagerungen schon jetzt vorbereiten könne; als sein ausgeklügelter Plan die Vorgesetzten in Berlin erreichte, war auch der neue Amtssitz in Düren durch

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Justiz im totalen Krieg

einen Bombenangriff zerstört, weshalb man sich im Reichsjustizministerium auf den knappen Vermerk beschränkte: «Durch die Entwicklung überholt».21 Man verwaltete den eigenen Untergang, sachlich, nüchtern, realitätsfern. Je tiefer die Alliierten ins Landesinnere vorstießen, desto größer wurde die Leerstelle in der deutschen Justiz. Zum Jahresende 1944 musste der Oberlandesgerichtspräsident von Zweibrücken dem Reichsjustizministerium eingestehen, «daß der weitaus größte Teil der lothringischen Gerichte mir nicht mehr zugänglich ist».22 Am 5. Februar 1945 gab der Oberlandesgerichtspräsident von Breslau den blanken Irrsinn zu Protokoll, die Lage in seinem Bezirk könne «zur Zeit als wesentlich entspannt angesehen werden»  – eine fast schon schizoide Behauptung: zwei Landgerichte waren bereits von der Roten Armee besetzt, das Oberlandesgericht selbst hatte Breslau wegen akuter Feindbedrohung verlassen.23 Der Dienstweg führte über immer verschlungenere Seitenpfade, um dem Dienst überhaupt noch einen Weg durch das kleiner werdende Reich zu bahnen. Am 10. April 1945 erkundigte sich der Rostocker Generalstaatsanwalt, der wegen der Zerstörung seines Dienstsitzes schon seit drei Jahren in Schwerin residierte, beim Reichsjustizministerium, das seinerseits nur noch mit einem winzigen Notbestand in Berlin saß, nach dem Schicksal seiner Kollegen. Telefonisch wurde ihm mitgeteilt, dass «für die Behörden des Oberlandesgerichts Köln, Düsseldorf, Frankfurt / M., Darmstadt, Zweibrücken, Kassel weder Ausweichstellen noch Verwaltungsstäbe eingerichtet» seien;24 Königsberg, Danzig, Breslau, Stettin, Kattowitz waren da ohnehin schon verloren. Dem deutschen Recht kam sein Geltungsbereich abhanden. Eine gute Woche später verschwand mit der Besetzung von Leipzig durch US-amerikanische Truppen das Reichsgericht, kurz darauf lösten sich auch die letzten Reste des Ministeriums auf. Mit der Kapitulation des Deutschen Reichs war die Rechtsverwaltung an ihr Ende gelangt. Die Rechtspflege stand still.

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Einführung: Außerordentliche Normalität

Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht

Ganz hinten in der juristischen Wunderkammer war freilich auch für diesen absonderlichen Fall eine Rechtsfolge vorgesehen. Die Rechtspflege steht still – ius stat, murmelt dazu der gebildete Jurist, weshalb der Stillstand der Rechtspflege auch «Justitium» genannt wird, ein eigenartiges Überbleibsel aus dem Altertum, entstanden irgendwo in den Tiefen der römischen Republik, als man sämtliche anstehenden Gerichtsverhandlungen unterbrach, wenn die Truppen ausgehoben werden mussten.25 Bald wurde daraus ein allgemeines Symbol für Großereignisse des öffentlichen Lebens. Wo ein Tempel einzuweihen, ein kaiserlicher Nachfahre zu bestaunen oder der Tod eines Herrschers zu beklagen war, da konnte ein Justitium ausgerufen werden, und entsprechend bunt gefächert war das Repertoire an denkbaren Maßnahmen: Schließung von Staatskasse, Wechselstuben, Märkten und Läden, Aussetzung von Versteigerungen, von Senatssitzungen und Gerichtsverhandlungen, ergänzt um, je nach Anlass, Verzicht auf Schmuck, Festgewänder, Eheschließungen oder Opfergaben. Eine Art Lockdown. Das Justitium legte das öffentliche Leben in einem nachgerade sprichwörtlichen Sinne lahm; bei Livius ist von einem iustitio simile otium die Rede, einer dem Justitium ähnlichen Ruhe.26 Die Neuzeit entdeckte das Justitium in einem technischeren Sinne wieder. Tempore hostilitatis non currit praescriptio, hieß es im Kirchenrecht schon seit dem 12. Jahrhundert,27 bei höherer Gewalt läuft die Verjährung nicht. In der weltlichen Gesetzgebung taucht dieser Gedanke ab der frühen Neuzeit auf, etwa im preußischen Allgemeinen Landrecht von 1620, das vorschrieb, bei Krieg, Pest, Flut oder «ander noth» die Verjährung zu unterbrechen.28 Ein halbes Jahrhundert danach erging das erste ausdrücklich so genannte Justitium der Neuzeit: 1671 verhängte der Große Kurfürst über die Jahre 1626 bis 1648 rückwirkend ein Justitium, damit «der Lauff

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Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht

sothaner Jahre niemanden an seinen Rechten schädlich seyn solle».29 Die Ordnung des Rechts sollte von der Unordnung der Welt nicht gestört werden. Mit dem Justitium ließ sich letztlich jeder Ausnahmezustand juristisch operationalisieren, indem er  – wenn gar nichts mehr half – kurzerhand für irrelevant erklärt wurde. Für das neuzeitliche Recht ist das ein durchaus typischer Vorgang. Sobald das Funktionieren des Rechts in Gefahr geriet, erließ man einfach noch mehr Recht. 1780 hielt das Justitium offiziell Einzug in die neue preußische Prozessordnung, wurde danach in allen Reformen übernommen und landete schließlich 1877 in der Zivilprozessordnung für das Deutsche Reich.30 Der Regierungsentwurf formulierte knapp: «Hört in Folge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Thätigkeit des Gerichts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen.» Der Vorschlag enthielt keine Begründung, wurde sowohl in erster als auch in zweiter Lesung ohne Debatte angenommen und seither, von Anpassungen der Rechtschreibung abgesehen, nicht ein einziges Mal geändert.31 Keine großen Worte: Der Stillstand des Rechts versteht sich von selbst. Was soll man auch dazu sagen? Wenn die Gerichte nicht mehr arbeiten, dann arbeiten sie nicht mehr. Jenseits ihrer eigenen Bahnen hat diese unbekümmerte Tautologie kaum Spuren hinterlassen. Auch in zweihundert Jahren engagierter Militärgeschichte wurde nur eine Handvoll Fußnoten produziert.32 Aber bei aller Sinnlosigkeit hatte die Vorschrift durchaus Hintersinn. Mit dem Stillstand der Rechtspflege erhielt das Recht ein Instrument, um die Gefahr von Rechtlosigkeit juristisch zu bannen, eine Art juristischen Grenzwert, der zwischen Sein und Nicht-Sein des Rechts entscheidet und dabei vorgibt, auch diese Frage sei eine Rechtsfrage. Im Justitium ruhte ein verkapselter Mythos, der in sich die Erinnerung an einen Meilenstein der juristischen Phylogenese trug, den Übergang zur Allgegenwart des Rechts. Mitte des 19. Jahrhunderts kleidete Philipp Eduard Huschke, ein bibeltreuer Romanist,

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Einführung: Außerordentliche Normalität

dieses nimmermüde Fortschreiten des Rechts in eine besonders hingebungsvolle Bildsprache: «Der Ausdruck iustitium selbst, verglichen z. B. mit solstitium, drückt auch offenbar die Vorstellung aus, dass die iuris dictio an sich durch alle Werkeltage fortläuft wie die Sonne am Himmel.»33 Ausgerechnet mit dem Stillstand der Rechtspflege verknüpft sich damit eine nachgerade messianische Heilserwartung. Im Justitium antizipiert das Recht sich selbst. Irgendwann wird es weitergehen; und wenn es dann ganz anders ist als zuvor, dann ist es immer noch normal. Das Recht verteilt die Gnade seiner Normativität an allen Orten und zu allen Zeiten. Diese juristische Theologie ist keine Frage des Glaubens. Die juristische Realität ruht auf einem opulent institutionalisierten Kompendium von Regeln, das sich in seinem Vollzug zur Not selbst beglaubigen kann. Nichts kommt im Recht aus dem Nichts. Die Normativität der Programme zwingt dazu, auch bei einem radikalen Neubeginn Anknüpfungspunkte in der eigenen Systemgeschichte zu suchen, Gesetze, Verordnungen, Präjudizien, wissenschaftliche Autoritäten. Wer am Recht zweifelt, dem stehen deshalb Gesetzblätter, Bibliotheken und Anwaltskanzleien in großer Zahl zur Verfügung; sofern das nicht ausreicht, um dem juristischen Urvertrauen auf die Sprünge zu helfen, dann droht der Gerichtsvollzieher und bei hartnäckigen Sündern das Gefängnis. Das Recht ist immer da, ob man will oder nicht. Und so ist es nur konsequent, wenn sich in der juristischen Literatur des 20. Jahrhunderts, ungetrübt von jeder Ironie, die befremdliche Einschätzung durchsetzen konnte, «eine rein tatsächliche Behinderung des Gerichts» – was immer das im Unterschied zu Krieg oder Überschwemmung sein mag – führe genauso wenig zum Stillstand der Rechtspflege wie der «Tod aller Richter».34 Eingeführt hat diesen Gedanken der Standardkommentar von Adolf Baumbach in der 11. Auflage von 1936 (die 1. Auflage erschien 1924). Sind die Richter am Leben, geht das Recht seinen gewohnten Gang, sind sie erst einmal tot, auch. Und dann? «Über die Tat-

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sache des Stillstands der Rechtspflege», belehrt Baumbach verblüffend leichthändig weiter, «entscheidet der Richter.»35 Irgendwo wird sich schon jemand finden, um den letal verhinderten Kollegen zu ersetzen, ein anderer Richter, ein neuer Richter, ein Sofortrichter, ein Pseudorichter, den erst die Selbsternennung zum Normalrichter aufsteigen lässt. Was auch immer. Ein kurzes Flackern im Maschinenraum, und dann arbeitet die Rechtspflege wieder so ruhig und so verlässlich wie sonst auch. Ob das Recht noch existiert, ist eine Frage – des Rechts.

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Der Stillstand, zu dem der Ausgang des Zweiten Weltkriegs die deutsche Rechtspflege zwang, von Zeitgenossen als «komische Ausgeburt theoretisierender Begriffsspekulation» bezeichnet36 und später zum «juristischen GAU» stilisiert,37 lag also durchaus nicht jenseits der juristischen Vorstellungskraft. Da die Justiz selbst darüber befinden sollte, ob sie noch einsatzfähig war oder nicht, blieb sogar ihre Nicht-Existenz von ihrer Existenz abhängig. Das war auch 1945 so. Die Alliierten schlossen alle Gerichte unter ihrer Herrschaft, verpflichteten den Apparat auf Demokratie und Rechtsstaat, entnazifizierten das Personal und erlaubten irgendwann die Fortsetzung des Dienstbetriebs, zumeist nach einigen Wochen. Sie hatten viele neue Ideen mitgebracht. Aber kein neues Papier. «Wir hatten nicht einmal Papier, sondern fingen an auf der Rückseite ehemaliger Kalender der Gauleitung», erinnerte sich später Werner Baerns, der zweite Nachkriegspräsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf.38 Die Abfälle der alten wurden die Grundlage der neuen Justizverwaltung. Notpapier lieferte die Ingredienzen der Rechtsarbeit, dünn und brüchig, vollgesogen von der Zeit; Urteile, Beschlüsse, Verfügungen, Gerichtskostenmarken, Zustellungsurkunden der Deutschen

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Reichspost, sämtliche übersät mit den Emblemen der untergegangenen Herrschaft. Nach der Besetzung wurden sie durchgestrichen, überklebt, herausgeschnitten; «ein Durchstreichen des Hakenkreuzwappens mit Federstrichen genügt nicht», schärfte das Stuttgarter Justizministerium seinen Behörden ein, das verpönte Symbol müsse vollständig unkenntlich gemacht werden.39 Bis Ende der 1940er-Jahre verkündeten, oft nur notdürftig verborgen, anwaltliche Briefköpfe die einstige Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund. Auch bei den Gerichten musste zu dieser Zeit noch gelegentlich gemahnt werden. 1949 beklagte das Amtsgericht Berlin-Mitte, auf offiziellen Schreiben seien jüngst nationalsozialistische Embleme verwendet worden, und bemerkte weiter: «Dies hat bei den Empfängern Anstoß erregt und zu Mißdeutungen Anlaß gegeben.»40 Missdeutungen: Die neue Zeit war nicht mehr die alte. Aber die neue war sie auch noch nicht. Eine eindeutige Verortung in dieser Zwischen-Zeit war unmöglich. Selten wurde sie überhaupt nur versucht, und wenn, dann gut versteckt irgendwo in den Fahrtenbüchern der bürokratischen Maschinerie. Im Tagebuch für Justizverwaltungsangelegenheiten des Landgerichts im sächsischen Freiberg dokumentiert ein letzter Eintrag am 5. Mai 1945 die «Belegung von Diensträumen durch die Wehrmacht», Ende Juni geht es weiter mit der «Ingangsetzung der Justiz» und der «Meldung der aus politischen Gründen beurlaubten Gefolgschaftsmitglieder».41 Dazwischen ein mickriger, krummer Doppelstrich, später verstärkt durch eine scharf gezogene rote Linie, eine schmucklose Illustration des Umbruchs. Am Amtsgericht Hannover hat ein namenloser Justizangestellter ein verschämtes rotes Strichlein ins Strafprozessregister gesetzt, das die Termine vom 6. April 1945 (drei Fälle von Hehlerei, bestraft mit zwischen zwei und acht Monaten Gefängnis) vom ersten Diebstahl abgrenzt, der am 13. Juni unter der neuen Ordnung abgeurteilt wurde (Strafe: 50,– RM).42 Am Landgericht Plauen erlaubte sich der Sachbearbeiter ein besonders

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markantes Ornament. Seinen Strich im Zivilprozessregister versah er zunächst mit einem kernigen Titel  – «Neue Eingänge seit der Besetzung durch die alliierten Truppen»  –, um in einem zweiten Schritt sogar neue Aktenzeichen einzuführen, mit denen der Beginn auch der bereits laufenden Verfahren auf die Zeit nach der Kapitulation verschoben wurde.43 Ein derartiger Akt der geschichtspolitischen Selbstermächtigung war freilich ein Einzelfall. Eingriffe in die statistische Erfassung des Jahresgeschäfts oder in die Nummerierung der Akten wurden sonst nicht einmal in Erwägung gezogen. Die Justizverfahren hatten sich vom Zeitgeschehen emanzipiert, sie folgten einer juristischen Choreografie, die nicht notwendig von den Dramen der Weltgeschichte vorgeschrieben wurde. Ein unauffälliger Strich blieb die kühnste Maßnahme, verwegen, weil von der Aktenordnung nicht vorgesehen, aber metaphorisch verkürzt, weil die kleinen Schlussstriche avant la lettre auf die eigentlich angezeigte Bilanz verzichteten. Der Schlussstrich gewährte umstandslos eine neue Kreditlinie, er symbolisierte einen Schluss ohne Schlussrechnung. Vor Gericht waren der Massenmord, die Zerstörungen, das Kriegsende, die anschließende Entnazifizierung und die neue politische Rahmenordnung Umstände, deren juristische Relevanz von Fall zu Fall gesondert erwiesen werden musste. Nur ein Beispiel: Am 27. März 1945 antwortete ein Anwalt auf eine eben erhobene Klage vor dem Landgericht Stuttgart, er werde «im Hinblick auf die gegebenen Verhältnisse und meine Inanspruchnahme als Mitglied des Volkssturms erst in einiger Zeit antworten können». Das nächste Blatt in der Akte dokumentiert die Replik des Klägeranwalts vom 1. Dezember 1945. Das ganze Schreiben: «In Sachen Kuhn / Müller konnte der Rechtsstreit wegen der Feindbesetzung seinerzeit nicht weitergeführt werden. Ich rufe hiemit [sic] wieder an und bitte, neuen Verhandlungstermin zu bestimmen. Sogleich fordere ich den Beklagten zur Abgabe der immer noch ausstehenden Klagebeantwortung auf.»44 In der Handlungs-

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logik des Rechts sind Krieg und Frieden also, um eine Formulierung von Niklas Luhmann aufzugreifen, ein Rauschen in der Umwelt. «Man lebte in einer Fiktion des Fortbestehens des Dienstbetriebes», erinnerte sich ein Zeitzeuge im Rückblick;45 nicht einmal die Geschäftsverteilungspläne wurden in ihrer Gültigkeit angezweifelt, sondern lediglich «für den Rest des Geschäftsjahres 1945» neu justiert.46 Das Jahr 1945 war ein zeitliches Kontinuum, wie alle Jahre zuvor auch.

Eine Stunde Null gab es nicht Eine Stunde Null gab es nicht

Das hat man lange verdrängt. Der 8. Mai kam auch noch Jahrzehnte nach Kriegsende als Zäsur zum Einsatz, um einen epochalen Übergang von einem nationalsozialistischen Davor zu einem zwangsdemokratisierten Danach zu kennzeichnen. Bis zum 8. Mai war es düster, danach begann der mühselige Wiederaufbau, im Westen mit sehr viel mehr Erfolg als im Osten. In Anlehnung an den militärischen Sprachgebrauch nannte man diesen Wendepunkt «Stunde Null». Mittlerweile ist seit langem bekannt, dass es diese «Stunde Null» nie gegeben hat. Gleichwohl geht vom 8. Mai noch immer so etwas wie eine narrative Fernwirkung aus. Man erkennt das zunächst an der nach wie vor getrennten Behandlung von Krieg und Nachkrieg. Insbesondere die letzten Kriegsmonate, in denen die ohnehin allgegenwärtige Gewalt noch einmal stark verdichtet wurde, sind vielfach beschrieben worden, während sich umgekehrt Untersuchungen über den Alltag in den deutschen Ruinenlandschaften ebenfalls einer ungebrochenen Beliebtheit erfreuen.47 Auch die Justizgeschichte nutzt dieses Schema des Vorher– Nachher gern. Eine seltene Ausnahme liefert Hans Wrobels erfrischende Abrechnung mit der Gründergeneration der Bundesrepublik,48 ansonsten stehen auf der einen Seite die Auswüchse des Nationalsozialismus  – Volksgerichtshof, Sondergerichte, Militär-

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gerichte, Standgerichte –, auf der anderen steht der Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen in der Nachkriegszeit.49 Wer den Nationalsozialismus untersucht, sucht nach Nationalsozialismus, gerade in der Justiz, und wer die Nachkriegszeit untersucht, sucht nach labiler Rechtsstaatlichkeit, getragen von der Kontinuität nationalsozialistischer Karrieren. Die Beschreibungen kreisen um Gehorsam, Opportunismus und seltene Beispiele von Widerstand und reichen bis hin zu einer fast komischen Zahlenmagie, die berechnet haben will, dass im Zivilrecht vor 1945 «0,58 % der Urteile … durch das nationalsozialistische Rechtsdenken beeinflusst» gewesen seien.50 Juristische Routinearbeit gerät damit schon in die Nähe von Widerstand; welche Funktion die übrigen 99 Prozent hatten, ob nach 1945 ebenfalls Urteile in diesem Sinne beeinflusst waren und überhaupt, warum nur das Politische politisch sein soll, bleibt ungeklärt. Wer so argumentiert, marginalisiert die Rolle der Justiz. Dabei sind die massiven Einschränkungen der nationalsozialistischen Justiz durchaus in Rechnung zu stellen; das Strafrecht verrohte immer mehr, das Zivilrecht büßte einige Verfahrensschritte ein, viele Themen konnten aus offiziellen oder informellen Gründen nicht verhandelt werden. Aber dort, wo die Justiz noch etwas zu sagen hatte, wurde ihr die Kompetenz, über Recht und Unrecht letztverbindlich zu entscheiden, nicht ernsthaft bestritten. Die Urteilskritiken waren auf einen winzigen Bruchteil der getroffenen Entscheidungen beschränkt, die denkbar spröden «Richterbriefe» wurden teilweise als willkommene Fingerzeige begrüßt, teilweise ignoriert und im Übrigen nicht zuletzt dafür in Anspruch genommen, die Praxis als zu hart zu kritisieren.51 Selbst Hitlers berüchtigte Reichstagsrede vom 26. April 1942, in der er seine Stellung als oberster Gerichtsherr brachial erneuerte, mochte im Selbstwertgefühl der Richter Spuren hinterlassen haben; die Geschäftsverteilungspläne blieben davon unangetastet.52 Im Juli 1943 führte Reichsjustizminister Otto Thierack in einer Rundverfügung Klage darüber, dass auch innerhalb desselben Sondergerichts ähnlich gelagerte Fälle

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ganz unterschiedlich entschieden würden,53 und noch im Mai 1944 versprach der Minister seinen Richtern ein neues Gesetz, das ihre Sonderstellung im Staatsapparat endlich angemessen abbilde, da sie Beauftragte des Führers selbst und – anders als die übrigen Beamten – in ihren Entscheidungen unabhängig seien.54 Wer aus einer Mietstreitigkeit aus welchen Gründen als Sieger hervorgeht, das war 1945, juristisch gesehen, deshalb so kontingent wie heute. Manche Fälle lagen so und andere lagen anders. Die Justiz war ganz bei sich: Ihre soziale Zusammensetzung verband sie, wie üblich, mit der oberen Mittelschicht. Der Krieg ließ das Durchschnittsalter der Amtsträger ansteigen, was zugleich allfällige revolutionäre Neigungen abschwächte, hatte doch die Generation der vor 1900 Geborenen noch die Stabilität des bürgerlichen Zeitalters erlebt. Die Verwalter des Rechts durften, was auch immer an Konflikten an sie herangetragen wurde, in ein anderes Medium überführen und dort so lange dogmatisch traktieren, bis der politische Gehalt in homöopathische Dosen verdünnt war. Eben dadurch erbrachten sie die ihnen zugedachte Leistung, nämlich Gebrauchswert, Effizienz und Belastbarkeit gesellschaftlicher Strukturen zu steigern; und eben diese Funktion war auch nach 1945 eine gefragte Aufgabe. Die Politik des nationalsozialistischen Rechts ist deshalb, mit anderen Worten, nicht nur im Politischen zu suchen.55 Im Gegenteil: Die Suche nach Nationalsozialismus im Nationalsozialismus verspricht nur noch wenig Ertrag. In der Justizgeschichte gibt es keine Legenden mehr, die widerlegt, und keine Verbrechen, die noch bewiesen werden müssten, wie umgekehrt auch die Entdeckung bislang unbekannter Widerstandsnester nicht zu erwarten steht. Der Duktus der Empörung, mit dem nach 1968 über die NS-Zeit aufgeklärt wurde, wirkt mittlerweile wie aus der Zeit gefallen. Die heute praktizierte Aufklärung tut niemandem mehr weh. Die deutsche Justiz verfolgt seit kurzem mit heiligem Ernst die letzten noch lebenden Handwerker und -langer der Todesmaschi-

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nerie, die einem Akt der Symboljustiz unterzogen werden, bevor sie der erwartbar nahe Tod holt. Die deutsche Bürokratie hat währenddessen einen Wettbewerb in offiziöser Bußfertigkeit begonnen und versammelt flächendeckend Auftragsforscher in stolz titulierten «Unabhängigen Historikerkommissionen», um die amtlich dekretierte Bestürzung über Verstrickung und Verdrängung der bundesrepublikanischen Institutionen mit den passenden Fußnoten zu versehen. Für die Justiz hat 2016 die «Akte Rosenburg» diese Aufgabe übernommen,56 das zufriedene Selbstvergewisserungsprodukt der Berliner Republik, die angesichts der Grauen des Dritten Reichs pflichtschuldig den Kopf senkt und mit dumpfer Stimme vom «düstersten Kapitel der deutschen Geschichte» raunt, sobald die Rede auf das Jahr 1933 kommt. Damit können die Akten geschlossen werden. Der Nationalsozialismus ist ins Reich der allgemeinen Geschichte entlassen. Die Folgen sind, wie immer, ambivalent. Auf der Habenseite steht eine Angleichung an die üblichen Fachgepflogenheiten, die mitunter geradezu befreiend wirkt. Restriktive Archivpolitik und kollusive Netzwerke muss heute keiner mehr fürchten. Die Vorbehalte, die noch Anfang der 1980er-Jahre bis zu dem törichten Vorwurf reichten, wer nicht dabei gewesen sei, könne sich sowieso nicht zum Nationalsozialismus äußern, wirken heute wie Nachrichten von einem anderen Stern; von den Schwierigkeiten der 1950er- und 60er-Jahre ganz zu schweigen. Der Nationalsozialismus durchlebt gewissermaßen eine Säkularisierung. Der Ton wird abgeklärter. Die narrative Ratlosigkeit sticht dadurch allerdings umso klarer hervor. Das emphatische «Nie wieder!», das die Forschung jahrzehntelang im Hintergrund begleitet hat, ist unüberhörbar müde geworden. Zugleich löst sich der politische Comment, der im Umgang mit rechten Exzessen lange Zeit für An- und Abstand gesorgt hat, langsam auf. Der Leitsatz, dass «Auschwitz» sich nicht wiederholen dürfe, hat etwas Wohlfeiles an sich, wenn er nicht vom Kon-

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sens darüber getragen wird, was «Auschwitz» eigentlich war und wo seine Gründe liegen. Der Umgang mit dem Dritten Reich hat mittlerweile das Stadium einer systematischen Ver-Anderung erreicht; der Nationalsozialismus ist das, was wir nicht sind. Die Situation hat etwas durchaus Paradoxes an sich. Die Beweise für die Verbrechen des Regimes sind zugleich Beweise für seine kategoriale Andersartigkeit und deshalb auch dafür, warum man sich heute nicht mehr damit auseinandersetzen muss. «Rechtsperversion», «unsagbares Leid», «ungeheuerliche Verbrechen» sind dann Be- und Entlastungstermini zugleich: Pervers sind immer die anderen. Der Nationalsozialismus rückt in eine nicht unbequeme Ferne. Die Geschichte läuft sich tot.

Geteilte Normalität Geteilte Normalität

Deshalb wurde die Blickrichtung in diesem Buch verschoben. Im Mittelpunkt steht nicht das, was uns vom Nationalsozialismus trennt, sondern das, was wir mit ihm teilen: das Normale. Als Bindeglied zwischen gegenwärtigem und vergangenem Erfahrungshorizont fungieren die Probleme des Alltags, wie sie – damals wie heute  – von der Justiz verhandelt werden: Mietrecht, Eherecht, Beleidigungen, leichte Körperverletzungen, Fälle also, die bei Gericht mit einer routinierten Sachlichkeit rechnen dürfen. Die Reproduktion dieser Sachlichkeit durch beständige Wiederholung ist es, die hier als Verwaltung von «Normalität» bezeichnet wird. Im Kern geht es um die Frage, warum es auch unter den Bedingungen des Jahres 1945 noch attraktiv war, Auseinandersetzungen in der Form des Rechts auszutragen. Die Gewalt war allgegenwärtig, und trotzdem wurde immer wieder starrsinnig auf die dünne Macht des Papiers verwiesen. Das Normale verlor auch unter vollkommen unnormalen Umständen nicht seine Anziehungskraft. Warum?

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Geteilte Normalität

Die Rede von der «Normalität» macht dabei von einer dezidiert unspezifischen Semantik Gebrauch. Sie nährt sich, um mit Hans Magnus Enzensberger zu sprechen, von einem «terminologischen Pudding».57 Ihre Handlungsfelder lassen sich zunächst vor allem negativ charakterisieren, nämlich dadurch, dass sie von kaum jemandem als spektakulär oder außergewöhnlich wahrgenommen werden. Zur positiven Kennzeichnung bleiben erst einmal nur unbeholfene Synonyma wie Alltag, Durchschnitt oder Banalität. Noch einmal Enzensberger: «Normalität wird einem eingebrockt, man kann sie nur auslöffeln.»58 Diese relativ freie Wortverwendung hat in der Forschung zum Nationalsozialismus eine gewisse Tradition, die schon mit Hannah Arendts Charakterisierung von Adolf Eichmann begann, spätestens 1993 jedoch den historiografischen Mainstream erreichte, als Christopher Browning mit seiner Studie über die Ordinary Men hinter der Legende vom proletarischen Gewalt-, Exzess- und Krawallmenschen die Sicht auf den «gewöhnlichen» Deutschen als potenziellen NS-Täter freigelegt hat. Die Forschung hat diese Überlegungen mittlerweile um sozialpsychologische und organisationssoziologische Erwägungen erweitert.59 Bezieht man diese weiche Rhetorik des Durchschnittlichen auf das Recht, so werden Quellenbestände relevant, die bei der Erforschung des Nationalsozialismus bislang eine eher randständige Rolle gespielt haben: die Akten der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Sie wurden für dieses Buch in möglichst großer Zahl zusammengetragen, um das Funktionieren der Justiz in Endkampf und Wiederaufbau nachzeichnen zu können, wenn möglich, ergänzt um Verwaltungs- und Generalakten, Allgemeinverfügungen, Aktenordnungen und Dienstanweisungen der beteiligten Institutionen sowie Personalakten der wichtigsten Akteure. Die Kapitulation des Deutschen Reichs bietet auch hier durchaus eine zeitliche Orientierung, etabliert aber keine scharfe erzählerische Grenze. Die Nachwehen des Krieges dauerten vielerorts noch Jahre – in manchen Gebieten Jahrzehnte – an, während um-

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gekehrt die Aufräumarbeiten nicht erst nach der Kapitulation begannen, sondern, je nach militärischem Verlauf, schon lange zuvor. Die äußeren Umstände  – Personal, Räume, Inventar, Verpflegung – waren nach dem 8. Mai 1945 meist ungünstiger als zuvor. Die Periodisierung wurde daher so angelegt, dass sie die Überblendungen des juristischen Eigensinns gewissermaßen nachzeichnet. Brüche und Disruptionen sind auch in dieser Anlage möglich, aber sie werden nicht strukturell präskribiert durch eine Beschränkung der behandelten Fälle auf die Jahre des Nationalsozialismus oder auf den historischen Abschnitt des Wiederaufbaus. Das Buch entnimmt seine Quellen deshalb dem gesamten Zeitraum zwischen Stalingrad und Währungsreform.60 Zur Jahreswende 1942 /43 begann mit der verlorenen Schlacht von Stalingrad das lange Kriegsende, das Jahr 1948 – Trizone, Währungsreform, BerlinBlockade  – markierte den Abschluss der gesamtdeutschen Besatzungszeit. Danach gab man sich im Westen dem Wunschtraum vom Fortbestand des Deutschen Reiches hin, während man sich im Osten als das wahre, neue Deutschland sah. Bis dahin gab es mehr Verbindendes als Trennendes, weshalb die Quellenbestände sämtlichen Besatzungszonen entnommen werden. Bis ins Jahr 1947 hinein war der Austausch zwischen den Zonen rege. Man leistete einander Rechtshilfe bei Verhaftungen, man studierte im Osten Literatur und Rechtsprechung aus dem Westen, man veröffentlichte im Westen Autoren und Rechtsprechung aus der sowjetischen Zone. Die ostdeutsche Gründung der juristischen Zeitschrift Neue Justiz 1947 wurde auch im Westen erfreut registriert: Karl S. Bader, der badische Generalstaatsanwalt und Herausgeber der Deutschen Rechtszeitschrift, sprach von einer «Schwester», Georg August Zinn, damals hessischer Justizminister, von einer «Brücke zwischen Ost und West».61 Ohnehin standen sich «Ost» und «West» in den ersten Jahren nach dem Krieg nicht als monolithische Blöcke gegenüber. So war in der französischen Besatzungszone ein Separatismus wohlgelitten,

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der in den anderen Zonen keine Gefolgschaft fand. Unter den USAmerikanern pflegte man zunächst eine rigorose Entnazifizierungspolitik, die mit der sowjetischen Praxis mehr Ähnlichkeiten hatte als mit der der westlichen Verbündeten. Innerhalb der sowjetischen Zone wiederum gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten, weil insbesondere Thüringen und Sachsen anfangs hartnäckig an einer bürgerlichen Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit festhielten. Unter der Ägide von Eugen Schiffer, dem altgedienten Reichsjustizminister, blieb auch im Osten der bürgerliche Volljurist das Ideal des staatlichen Verwaltungsbeamten, das die neuen Volksrichter noch für einige Jahre auf Distanz halten konnte.62 Und entsprechend fand man in allen Besatzungszonen im «Positivismus» den passenden Schuldigen, der künftig nur mithilfe der höheren Mächte des Naturrechts bekämpft werden könne; die später sogenannte «Naturrechtsrenaissance» hat in dieser ersten Phase ihre entscheidenden Impulse aus dem Osten bekommen.63

Von der rohen Gewalt zu den Akten Von der rohen Gewalt zu den Akten

Da das Buch erst dann einsetzt, als die systematische Entrechtung ganzer Bevölkerungsgruppen bereits abgeschlossen war, ist der Fokus auf das Normale nicht unangemessen. Dass die Justiz maßgeblich an diesen Ausgrenzungsprozessen beteiligt war, ist seit Jahrzehnten bekannt.64 Das makabre Nebeneinander von Fürsorge und Mord trat in der Volksgemeinschaft des ausgehenden Zweiten Weltkriegs in aller Deutlichkeit hervor. Carl Schmitts düstere Fantasien von der wahren Demokratie, die von Homogenität und Vernichtung des Heterogenen lebe,65 hatten sich längst als Maximen staatlichen Handelns etabliert. «Innerhalb der Gemeinschaft gelten Friede, Ordnung und Recht. Außerhalb der Gemeinschaft gelten Macht, Kampf und Vernichtung», so lautete 1940 die berühmte Analyse von Ernst Fraenkel.66 Die treuen Volksgenossen

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konnten ihre Streitigkeiten, falls nötig, vor Gericht austragen, ohne mit den unangenehmen Fragen der Politik konfrontiert zu werden; für diese Fragen standen schon lange andere Foren bereit. Wenn hier das Treiben der ordentlichen Justiz ins Blickfeld rückt, so dient dies der Ergänzung der bereits bekannten Gewaltdarstellungen, nicht deren Ersetzung. Das eine kommt nicht ohne das andere aus. Erst das Normale gab dem Ausnahmezustand Form und Sinn, ohne die Ordnung konnte sich das Außerordentliche nicht entfalten. Dass sich diese juristische Alltagsnormalität tatsächlich belegen lässt, ist bereits ein erstes Ergebnis der Arbeit. Die öffentliche Erinnerung, aber auch die apologetischen Schriften der ersten Nachkriegsjahrzehnte haben die Zeit nach Stalingrad zu einer einzigen, ununterbrochenen Bombennacht verschmolzen, in der für ein normales Rechtsleben weder Voraussetzungen noch Bedarf vorgelegen hätten. Von der Justiz sei nur die Strafjustiz tätig geblieben, freilich in einer derart pervertierten Gestalt, dass man sie im Grunde gar nicht mehr als Justiz bezeichnen könne.67 Diese Einschätzung ist mehrfach falsch. Schon die Sondergerichte produzierten sehr viel mehr an juristischer Massenware, als ihr Name suggeriert, und selbst am Volksgerichtshof trifft man immer wieder auf eigenartige Residuen der Normalität.68 Freilich ist die Quellenlage insgesamt nicht günstig. Unterhalb des Reichsgerichts sind vollständige Gerichtsakten, zumal aus den letzten Kriegsmonaten, selten. Sie haben häufiger an der Peripherie als in den Zentren überlebt, sind nicht immer dort abgelegt, wo sie hingehören, und wecken durch ihren Titel Erwartungen, die nach der Lektüre – in positiver wie negativer Hinsicht – oftmals korrigiert werden müssen. Aber zu finden sind sie. Ein weiteres Quellenproblem, das «Normalität» üblicherweise indiziert, stellt sich hier ebenfalls nicht. Die Erinnerung interessiert sich meistens für das Unnormale, für Unwetter, Kriege, Katastrophen und sonstige Abweichungen vom gewöhnlichen Lauf der Dinge. Dem Alltag dagegen wird im kulturellen Gedächtnis nur

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wenig Raum zugestanden. Bei Gerichtsakten ist das anders. Das moderne Recht steht unter einem beständigen Protokollierungszwang, der gerade das Unauffällige und Formularmäßige besonders schätzt. Anders als die allgemeine Geschichte hat die Arbeit mit Justizakten deshalb nicht unter einem Mangel an Normalität zu leiden. Schon in der äußeren Form – Urteilsformel, Datum der Hauptverhandlung, Besetzung des Gerichts, Aufbau von Tatbestand und Gründen, Wechsel von Perfekt und Imperfekt usw. – sind die Urteile der damaligen Zeit so aufgebaut, dass sich heutige Juristinnen und Juristen darin mühelos selbst erkennen können, eben: normal. Eher birgt der Operationsmodus des Rechts die umgekehrte Gefahr, nämlich einer – womöglich nur eingebildeten – Überdosis an Normalität zu erliegen. Seit dem Eintritt in die Neuzeit spielt sich das Recht vorwiegend in Akten ab. Akten jedoch sind ein höchst indifferentes Medium. Sie dokumentieren den Nachbarschaftsstreit genauso wie Freislers Hasstiraden vor dem Volksgerichtshof. Papier erzeugt Distanz, und juristisches Papier ist in dieser Hinsicht besonders dick. Das Schriftgut gehorcht einer Ordnung, die schon die Farben der Aktendeckel zu Signifikanten macht und jeder Stelle des Aktenzeichens – vermittelt durch den Generalaktenplan  – eine eigene Bedeutung zuweist. Den Akten liegt das Ideal einer identischen Struktur zugrunde; ein möglichst hoher Grad an Formalisierung soll die behördliche Papierverarbeitung möglichst effizient und rationell gestalten. Die Arbeitsweise des Rechts besteht deshalb vor allem aus zwei Schritten: Erst wird die rohe Gewalt, die sich in der sogenannten Realität ereignet, in die kühlen Worte der Fachsprache übertragen, dann werden die Worte auf Papier gebannt. Die Papierwelt, die dabei entsteht, absorbiert die Rechtswelt.69 Dies verleiht juristischen Auseinandersetzungen ein seltsam zivilisiertes Gepräge auch dort, wo es um Leben und Tod geht, zumal im Rückblick. Geräusche und Gerüche, Staub, Schweiß und Schmerzen, aber auch Drama-

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tik, Komik, Langeweile verflüchtigen sich rückstandslos; selbst eine Hinrichtung überdauert die Zeiten nur in Form eines vorgefertigten Protokolls, das dem anwesenden Justizbeamten zur sekundengenauen Abrechnung die Spalten «Zeitpunkt der Vorführung», «Zeitpunkt der Übergabe», «Zeitpunkt der Vollstreckung» anbietet. Die Gefahr ist groß, die Normalität des Rechts für eine Normalität der Welt zu halten, die vornehmen Worte mit dem echten Leben zu verwechseln und aus der sauberen Ordnung der Akten auf eine saubere Wirklichkeit zu schließen. Das Recht zeigt eher zu viel als zu wenig Normalität, eine Gefahr, der sich nur mit den bewährten historischen Hausmitteln von Kontextualisierung und Relativierung begegnen lässt.

Zwischen Chaos und Kosmos Zwischen Chaos und Kosmos

Gerichtsakten protokollieren das Geschehen im Zentrum des Rechts. Trotzdem werden sie hier zu vorwiegend unjuristischen Zwecken verwendet. Ziel ist es, über die Form der institutionalisierten Konfliktbehandlung den Blick auf eine Gesellschaftsgeschichte freizulegen. Der Weg über die Normalität gerade des Rechts ist dabei nicht zwingend. In anderen Bereichen staatlichen und gesellschaftlichen Handelns  – Verwaltung, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Religion oder Sport – lässt sich ebenfalls bis in den Untergang hinein eine zähe Verteidigung der eigenen Normalität beobachten. Aus der Buchproduktion der deutschen Rechtsgelehrsamkeit: 1945 schenkte die stramm nationalsozialistische Hanseatische Verlagsanstalt den Volksgenossen ein letztes Mal ihre Loseblattsammlung Kriegssachschädenrecht, Gustav von Schmoller gab der interessierten Öffentlichkeit einen letzten Überblick über Das Wirtschaftsrecht in Böhmen und Mähren, Leo Raape brachte seinen Grundriss Deutsches internationales Privatrecht noch einmal auf den neuesten Stand, während das endgültig letzte Lebenszeichen

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Zwischen Chaos und Kosmos

der nationalsozialistischen Jurisprudenz – für die deutsche Honoratiorengelehrsamkeit durchaus sinnfällig  – eine Festschrift war: Festschrift für Leopold Wenger. Zu seinem 70. Geburtstag dargebracht von Freunden, Fachgenossen und Schülern. Zweiter Band, das Vorwort geschrieben von Mariano San Nicolò und Artur Steinwenter in München und Graz, April 1945.70 Beispiele aus dem Rest der Welt: Am 20. April 1945 gab die Deutsche Reichspost in Wien ihre letzten Briefmarken heraus («Parteiformationen SA und SS»), am 21. April bediente die Lufthansa die Strecke Berlin–München ein letztes Mal, am 29. April fand in Hamburg zwischen dem Hamburger Sportverein und Altona 93 ein letztes Freundschaftsspiel statt. Wenn hier ausgerechnet das Recht als Normalitätsbetrieb untersucht wird, so liegt dem gleichwohl keine zufällige Wahl zugrunde. Normalität und Recht sind eng miteinander verzahnt. Beide sind allgegenwärtig und in der Regel unauffällig, beide erfüllen dabei jedoch grundlegende Funktionen menschlicher Vergesellschaftung. Normalität bietet der Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung eine Projektionsfläche; sie verbürgt verlässliche Verfahren und verspricht kalkulierbare Ergebnisse; sie sichert die Korrespondenz von Erfahrung und Erwartung und steht für eine berechenbare Zukunft; sie markiert den Übergang vom Chaos zum Kosmos. Das «Normale» ist die Kulisse vor der Gebrechlichkeit der Welt. Wesentliche Bauteile für diese Kulisse sind juristischer Provenienz. Auch das Recht liegt zwischen Chaos und Kosmos. Wer den Naturzustand beenden und das Heer von Einzelkämpfern in eine Gesellschaft überführen will, muss das Tor des Rechts durchschreiten. Dieser essenziellen Funktion entspricht es, dass für die Verwaltung von Recht seit dem Beginn der Neuzeit ein professionalisierter Stab bereitsteht, dessen einzige Aufgabe in der rationalen, unvoreingenommenen und verlässlichen Pflege des staatlichen Normenvorrates liegt. Die Praxis, das weiß man, wird diesen Anforderungen nicht immer gerecht. Trotzdem wird das Recht als

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Hort des Erwartbaren wahrgenommen. Ausreißer sind nicht ausgeschlossen, treten aber auch als solche hervor. Recht verspricht Neutralität, Objektivität, Stabilität, Unaufgeregtheit, Prozeduren der Deeskalation und der sprachlichen Einhegung. Mit anderen Worten: Das Juristische normalisiert.71 Recht ist deshalb, zumindest bis zu einem gewissen Grad, immer «normal», jede Störung, jeder Defekt, jede Verwirrung hat ihren Platz auf der juristischen Landkarte. Die Dogmatik des Justitiums zeigt es an: Für das juristische Selbstverständnis ist auch die Kartografierung des rechtsfreien Raums eine juristische Operation. Das Justitium spannt eine Brücke über alle Abgründe des Daseins. Was im Leben geschieht, wird im Recht auf eine Weise abstrahiert, begrifflich zerlegt und formalisiert, die garantiert, dass auch die größten Zumutungen juristisch beherrschbar bleiben. Die juristischen Konstruktionen erzeugen eine zweite Realitätsebene, eine Papierwelt, die von der Lebenswelt aber nicht einfach nur getrennt, sondern dieser auch hierarchisch übergeordnet ist. Das Papier regiert das Leben. Mal verwaltet es stumm dessen reibungslosen Fortgang, mal mildert es dessen Heimsuchungen ab, mal spendet es Trost, und zuletzt sorgt es dafür, dass die Verwerfungen sich wieder glätten und zu Normalnull zurückkehren. Das Recht versteht sich gewissermaßen als die kardanische Lagerung der Welt. Und darin liegt wohl ein Unterschied zu anderen Bereichen des Gesellschaftlichen: Das Recht unterstellt sich selbst eine nachgerade religiöse Omnipräsenz. Eine juristische Kapitulation vor den Gebrechen der Welt ist ausgeschlossen. Die Analyse von Normalität enthält also kein Stilmittel der moralischen Relativierung, im Gegenteil. Das Recht, das hier beschrieben wurde, ist weder politisch noch gar moralisch normal, aber es baut auf strukturellen und organisatorischen Prinzipien auf, die man heute noch immer als «normal» empfinden würde. Das Etikett der «Normalität» baut Distanz ab. Es entlastet nicht die Vergangenheit, sondern beschreibt die Hypotheken der Gegen-

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wart. Die üblichen Reflexe wie «Rechtsperversion» oder «düsterstes Kapitel» genügen dann nicht mehr, um sich vor dem Nationalsozialismus in Sicherheit zu bringen. Im Gewebe der Normalität rückt uns der Nationalsozialismus näher, als uns lieb sein kann. Die Bühne ist geöffnet.

§ 1.

Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf

Die Dogmatik des Justitiums Die Freuden der Pflicht:Die Dienstbetrieb im Justitiums Endkampf Dogmatik des

Seit etwa vierhundert Jahren gibt es in Deutschland Gesetze, die den Einfluss des Krieges auf das Rechtsgeschehen minimieren. In der Theorie ist anerkannt, dass das militärische Geschehen die Justiztätigkeit unterbrechen kann, genau wie anerkannt ist, dass es praktisch niemals zu einer solchen Unterbrechung kommen wird. So war es im 17. Jahrhundert, als das Justitium in Form einer Legaldefinition auf dem juristischen Tableau erschien, im 19. Jahrhundert, als es sich in den deutschsprachigen Prozessordnungen festsetzte, und ebenso im 20. Jahrhundert, als sich der Krieg von einer militärischen Angelegenheit mehr und mehr zu einem Gesellschaftszustand auswuchs. Auch im Zweiten Weltkrieg blieb dem Justitium nur im Raum der Theorie ein Platz reserviert. Für die Praxis war «Stillstand» keine Option. Ein großflächiges oder länger währendes Justitium hätte, so die Sorge im Reichsjustizministerium, unabsehbare Folgen gehabt: für das Wirtschaftsleben, das auf verbindliche Konfliktlösungen angewiesen war, für die übrige Bevölkerung, die auf rechtliche Dienstleistungen ebenfalls nicht ganz verzichten konnte, aber auch für die Rechtsarbeiter selbst, deren

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Stellung durch die dauernden Anfeindungen von Partei und Gestapo ohnehin in Bedrängnis geraten war. Nach der herkömmlichen Dogmatik des Zivilprozessrechts war der Prozessrichter dafür zuständig, ein Justitium festzustellen. Als sich abzuzeichnen begann, dass die Luftangriffe der Alliierten eine Stärke erreichen könnten, die ein Justitium unabdingbar machen würde, hielt man die bisherige Verfahrensweise allgemein für unbefriedigend. Offiziell ließ das Ministerium dazu verlautbaren, dass ein Luftangriff möglicherweise unterschiedlich eingeschätzt werde und verschiedene Richter daher für dasselbe Gericht zu konfligierenden Entscheidungen gelangen könnten. Ende 1943 reklamierte das Reichsjustizministerium die Zuständigkeit für das Justitium zunächst für sich, leitete sie allerdings unmittelbar an die Oberlandesgerichtspräsidenten weiter, weil man, so die Begründung, nur dort einen zuverlässigen Überblick über die Verhältnisse vor Ort habe und in der Regel ohnehin nur kleinere Gerichte betroffen seien.1 Diese Erwägungen waren sicher zutreffend. Trotzdem dürften sie nur die halbe Wahrheit gewesen sein. Denn offensichtlich hatte eine Entscheidung über den Stillstand der Rechtspflege zu diesem Zeitpunkt längst staatspolitische Implikationen, die man nicht einfach ins Belieben amtsrichterlicher Machtfülle legen konnte. Die Rechtspflege stillzulegen hätte signalisiert, dass die deutsche Verwaltung den feindlichen Angriffen nicht gewachsen war und von den Zerstörungen in die Knie gezwungen wurde. Dies einzugestehen konnte nicht einfach den untersten Chargen der Justizverwaltung überlassen bleiben. Über die Wirkung der feindlichen Angriffe zu befinden war vielmehr den Spitzen der Hierarchie vorbehalten. Dass allerdings auch diese nicht einfach nach freiem Ermessen vorgehen dürften, kam Anfang 1944 noch einmal zur Sprache. Am 3. und 4. Februar versammelten sich die Oberlandesgerichtspräsidenten und Vertreter des Reichsjustizministeriums zu einer ihrer regelmäßigen Besprechungen, dieses Mal in Weimar. Am Ende einer

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Die Dogmatik des Justitiums

langen Tagesordnung kam die Rede auch auf den Stillstand der Rechtspflege. Dazu erklärte Ministerialdirigent Eberhard Staud, wie die Präsidenten vorzugehen hätten: Zunächst biete schon die bestehende Rechtslage «so viel Möglichkeiten zu helfen», dass man einen Stillstand kaum jemals feststellen müsse. Seien nur einzelne Gerichte betroffen und auch dies nur vorübergehend, brauche man ebenfalls kein Justitium zu verhängen. Lediglich bei längerem Stillstand sei eine entsprechende Feststellung unumgänglich, allerdings solle dann auf eine Information der Presse verzichtet werden, es sei denn, der Gang an die Öffentlichkeit werde von anderen Verwaltungen initiiert. Staud war das alles offensichtlich nicht geheuer. Bei seiner abschließenden Handlungsanweisung konnte er kaum genug Distanz zwischen sich und den Gegenstand bringen: «Wir stellen uns die Praxis sehr zurückhaltend vor. Man stellt nicht gern fest, daß man nicht weiter kann.»2 Pluralis auctoris, doppeltes Indefinitpronomen, doppelte Negation  – um die Vorstellung, das Recht könnte zum Stillstand gelangen, musste so etwas wie ein rhetorischer Hochsicherheitstrakt errichtet werden. Die Beteiligten werden es ohne größere Gefühlsregungen zur Kenntnis genommen haben, nicht nur, weil sie die verklemmte Semantik der Verwaltungssprache schon kraft Amtes verinnerlicht hatten. Was Staud ihnen in Weimar als Richtschnur zu einer angeblich neuen Rechtslage mit auf den Weg gab, entsprach ziemlich genau dem, was sich seit Beginn der alliierten Flächenbombardements im Frühjahr 1942 ohnehin als Usus etabliert hatte. Die Entscheidung über ein Justitium wurde auch ohne ausdrückliche Anweisung nicht von einfachen Richtern getroffen, sondern als Vorrecht der Gerichtspräsidenten behandelt, die wiederum stillschweigend einen Genehmigungsvorbehalt des Reichsjustizministeriums eingebaut hatten. Man stellt nicht fest, dass man nicht kann: Allen Beteiligten war klar, dass ein Justitium nur als Ultima Ratio in Betracht kam.

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Ius non stat: Die Vermeidung des Stillstands Ius non stat: Die Vermeidung des Stillstands

Das Fanal war Rostock. Die Rostocker Innenstadt wurde zwischen dem 23. und 27. April 1942 in mehreren Angriffswellen nahezu vollkommen zerstört. Auch die Justiz war schwer betroffen. Alle Gerichtsgebäude seien «restlos bis auf die Mauern niedergebrannt», berichtete der Oberlandesgerichtspräsident nach Berlin, dazu seien «sämtliches Inventar und sämtliche Akten» vernichtet.3 Von den Justizangestellten war zwar niemand ums Leben gekommen, aber man gehe davon aus, dass ein «großer Teil» von ihnen «infolge der seelischen und körperlichen Anstrengungen während der Katastrophennächte stark erholungsbedürftig geworden» sei. Einen juristischen Totalausfall hatten die Angriffe trotzdem nicht zur Folge. Das Sondergericht fällte schon am Tag nach den Angriffen die ersten Todesurteile, ließ sie sofort vollstrecken und verteilte in der ganzen Stadt Berichte darüber auf den gefürchteten roten Plakaten, die, wie der Oberlandesgerichtspräsident stolz verkündete, «zum Teil durch unsere Richter und Staatsanwälte persönlich geklebt» wurden.4 Auch die Verwaltungsgeschäfte liefen sofort wieder an, ein motorisierter Kurierdienst ersetzte den ausgefallenen Post- und Telefonbetrieb. Die Oberjustizkasse wurde noch in der Nacht der Angriffe ausgelagert und nahm am nächsten Tag in Neustrelitz ihre Tätigkeit wieder auf, sodass das Gehalt «nur mit kurzer Verzögerung in die Hände der Beamten» gelangte. Nur die ordentliche Justiz brauchte ein paar Tage, um wieder auf die Beine zu kommen. Man mietete rasch einige Räume in unversehrten Häusern; die Gerichte des Umlandes steuerten Schreibmaschinen und sonstiges Inventar bei. Ab dem 6. Mai, so stellte der Oberlandesgerichtspräsident im Nachhinein fest, sei «ein geordneter Dienstbetrieb der Rostocker Justizbehörden als gesichert anzusehen» und das Justitium damit beendet.5 Die Unter-

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brechung hatte also gerade einmal sieben Werktage in Anspruch genommen. Die Lehren aus diesem Vorgang waren einfach zu ziehen. Selbst die vollständige Vernichtung aller Gebäude und aller Akten rechtfertigte allenfalls eine kurze Pause in der Gerichtstätigkeit, zur Not war eben ein unzerstörtes Ausweichquartier zu beziehen. Tatsächlich blieb das Rostocker Justitium ein Solitär in der deutschen Justizlandschaft: Einen weiteren Stillstand der Rechtspflege scheint es während des gesamten Zweiten Weltkriegs nicht gegeben zu haben. Überhaupt in Erwägung gezogen wurde er nur zweimal. Zunächst in Köln – die dortigen Zerstörungen vom 30. /31. Mai 1942 erreichten zwar nicht das gleiche Ausmaß wie in Rostock, waren psychologisch aber ein größerer Einschnitt, weil der Angriff einer echten Metropole galt und zudem symbolträchtig mit einer Flotte von über tausend Flugzeugen vorgetragen wurde. Sechzigtausend Menschen verloren ihr Obdach, die Strom-, Gas- und Wasserversorgung wurde erheblich gestört, der öffentliche Nahverkehr fiel aus. Der Kölner Oberlandesgerichtspräsident bat das Ministerium telefonisch darum, ein Justitium verhängen zu dürfen, vor allem, um den Rechtsanwälten die Wiederherstellung ihrer Kanzleien zu ermöglichen und den Parteien Zeit zur Klärung ihrer persönlichen Angelegenheiten zu geben.6 Das Ansinnen wurde abschlägig beschieden. Schon «aus militärischen Gründen» komme ein Justitium nicht infrage, würde es doch «für die Feindpropaganda wertvolle Anhaltspunkte über die Wirkung der Luftangriffe enthalten».7 Kurz darauf wurden diese Überlegungen noch einmal bekräftigt. Amts- und Landgericht Duisburg wurden am 21. Dezember 1942 von Fliegerbomben schwer getroffen. Am 24. Dezember informierten die Behörden durch einen Anschlag an den Türen des Landgerichtsgebäudes, dass eilige Anträge an den Gerichten in Oberhausen und Ruhrort gestellt werden könnten. Die ersten Zivilsachen bearbeitete das Landgericht, behelfsmäßig instandgesetzt,

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am 31. Dezember, die Kollegen vom Strafrecht zogen in der ersten Januarhälfte nach. Anschließend bat der Düsseldorfer Oberlandesgerichtspräsident das Reichsjustizministerium darum, die Zeit der Schließung als Stillstand der Rechtspflege zu verbuchen. Erfolg hatte er keinen: Im Strafrecht gelte das Justitium gar nicht, musste er sich von Berlin belehren lassen. Im Zivilrecht aber blieb man bei der Kölner Linie. Die «vorübergehende tatsächliche Behinderung des Geschäftsgangs einzelner Gerichte» bedeute noch keinen Stillstand der Rechtspflege; man solle sich mit den Vereinfachungsverordnungen oder, wenn nötig, mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behelfen.8 Für den Fortgang des Krieges sind weitere Überlegungen in dieser Richtung nicht mehr überliefert. Die Juristen hatten die Lektionen der ersten großen Luftangriffe bald verinnerlicht, ein Justitium wurde augenscheinlich weder verhängt noch sein Erlass überhaupt nur beantragt. Einige Beispiele für die unbeirrte Fortführung der Geschäfte aus der Zeit vor dem Erlass der Zweiten Kriegsmaßnahmenverordnung: Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken brannte bei einem Angriff in der Nacht vom 29. zum 30. Juli 1942 genau wie das dortige Landgericht vollständig aus. Am nächsten Morgen, so berichtete der Generalstaatsanwalt Zweibrücken, habe man die Tätigkeit – «wenn auch nach Lage der Dinge zunächst nur in beschränktem Umfange» – wieder aufgenommen, eine Woche später arbeitete man «wieder wie früher voll».9 In Kassel wurden am 23. Oktober 1943 alle Justizgebäude, alle Rechtsanwaltsbüros sowie sämtliche Akten, Formulare, Stempel, Papiervorräte und Bücher bei einem Bombenangriff zerstört. Der Oberlandesgerichtspräsident meldete vier Tage später lapidar nach Berlin: «Justiz hat provisorisch Ausweichunterkunft in 3 Räumen des Oberfinanzpräsidiums erhalten.»10 Und als die Leipziger Innenstadt am Samstag, dem 4. Dezember 1943, zerstört wurde, beklagte der Dresdener Oberlandesgerichtspräsident zwar eine allgemeine Lethargie bei seinen Untergebenen. Umso besser jedoch gefiel er sich selbst in

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seinem Gestus der Entschlossenheit. Von den vier Justizgebäuden war eines zur Hälfte zerstört, die anderen drei betroffen, auch wenn sie den Angriff insgesamt «glänzend überstanden» hätten. Durch sein eigenes beherztes Engagement sei die Strafjustiz schon bald «sozusagen wieder besenrein» gewesen; «das Standgericht»  – gemeint war wohl ein ad hoc einberufenes Sondergericht  – «‹stand› vom ersten Tage an» und habe bereits am Sonntag das erste Todesurteil verhängt. Am Montag früh habe man eine Ehe geschieden, am Mittwoch gab es «eine reibungslos verlaufende Zivilsitzung in einem Richterzimmer». Befriedigt resümierte der Berichterstatter: «Der Dienstbetrieb hat keinerlei Unterbrechung erfahren.»11

Luftkrieg und Luftschutz Luftkrieg und Luftschutz

Dieses gelebte Ideal eines möglichst reibungslosen Geschäftsbetriebs wurde auch vom Reichsjustizministerium in immer neuen Rundverfügungen in den Mittelpunkt gestellt. Am 7. August 1943 teilte man den Beamten folgende Grundsätze mit: Es sei «mit allen Mitteln dafür Sorge zu tragen», dass auch bedrohte oder betroffene Behörden ihre Aufgaben weiterhin wahrnähmen. Nach Luftangriffen gebe es für alle Beteiligten zwar zumeist Wichtigeres zu tun, als die Rechtspflege einfach wie bisher fortzuführen; insbesondere solle man die Bevölkerung nicht mit Terminen behelligen und das eigene Personal lieber anderen Verwaltungen zur Verfügung stellen. «Immer» sei dabei jedoch darauf zu achten, dass für die weniger betroffenen Teile des Bezirks «die möglichst ungestörte Weiterführung der Rechtspflege angestrebt werden» müsse.12 Aber wie genau eine solche «ungestörte Weiterführung der Rechtspflege» zu bewerkstelligen sei, war damit nicht geklärt; ein großer Luftangriff, bei dem womöglich eigene Mitarbeiter zu Tode kamen und Gebäude, Akten und Inventar vernichtet wurden,

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musste schließlich auch bei ganz ungetrübtem Verwaltungssinn als «Störung» erscheinen. Um diesen Widerspruch aufzulösen, entwickelte das Ministerium zu dieser Zeit eine neue Informationspolitik. Bislang hatte man in Berlin wenig Interesse daran gezeigt, die konkreten Erfahrungen aus den Bezirken öffentlich zu machen. Seit Kriegsbeginn waren zahlreiche Anweisungen zum Luftschutz ergangen, die vor allem die Organisation des behördlichen Selbstschutzes betrafen und darüber hinaus immer wieder an die dauernde Verdunklung, die Räumung der Dachböden und die Anwendung von Feuerschutzmitteln erinnerten. Wichtige Akten  – vor allem Grundbücher  –, aber auch Schreibmaschinen und Büroeinrichtungen sollten gesichert werden, Telefone und Rundfunkgeräte waren nach Dienstschluss auf dem Fußboden zu platzieren, Gehaltszettel, Abrechnungszettel, Festsetzungsbescheide seien möglichst in den Bunker mitzunehmen, um die Auszahlung der Bezüge auch nach einem Luftangriff reibungslos zu gestalten.13 Ab dem Frühjahr 1943 wurden die Zusammenstellungen solcher Präventionsmaßnahmen zunehmend mit Empirie unterfüttert. Am 30. April erreichte die Justizbehörden eine Rundverfügung, in der sich das Reichsjustizministerium einige Vorschläge des Oberlandesgerichtspräsidenten von Hamm zu eigen machte: Man empfehle ein dauerhaftes Einsatz- und Meldesystem, um für Lösch- und Aufräumarbeiten sofort auf geeignete Justizangehörige zurückgreifen zu können. Wer telefonisch nicht zu verständigen sei, solle sich am Morgen nach dem Angriff um 6 Uhr bei Gericht einfinden.14 Am 27. Juli sonderte das Reichsjustizministerium eine dreiseitige Übersicht über «Luftschutzmaßnahmen in Behördengebäuden» ab, der ein fünfseitiger Bericht des Essener Landgerichtspräsidenten angehängt war, in dem dieser seine Beobachtungen der letzten Großangriffe zusammenfasste. Man sparte nicht mit detaillierten Ratschlägen: Man solle Wasser, Sand und Leitern bereithalten, Grundbücher und andere wertvolle Akten müssten gesichert oder, wenn möglich, fotokopiert werden. Im Ernstfall seien «straffe ziel-

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bewußte Leitung» und gute organisatorische Übersicht entscheidend. Auch für unangenehme Details gab es nun Erfahrungswerte. Es falle nur selten «eine Bombe (insbesondere Brandbombe) allein», ließ die Essener Behörde wissen, bei einem Feuer müsse man deshalb nach weiteren Brandherden suchen, und wer dabei fündig würde, erhielt noch den unterstrichenen Hinweis: «Brände müssen aus der Nähe und von unten her bekämpft werden.» Für die Bergung von Akten seien größere Säcke nützlich, bei schweren Packen oder Gefahr im Verzug biete es sich an, eine Kette zu bilden. Die Aufräumarbeiten seien «schon während des Brandes» in Angriff zu nehmen, vor allem, weil die Wasserschäden zumeist sehr viel größer seien als die Feuerschäden. In Essen habe man noch in der Nacht die Reinigungsfrauen benachrichtigt und einige Gefangenentrupps angefordert, die zunächst das Löschwasser entfernt und anschließend das Gebäude wenigstens grob gesäubert hätten. Der Lohn für diese Mühen: Bereits am Tag nach dem Bombardement konnte der Dienstbetrieb «ohne wesentliche Beeinträchtigungen durchgeführt werden».15 Diese für sich schon bedrückenden Erkenntnisse wurden bald um neues Anschauungsmaterial ergänzt. Als der Essener Bericht bei den Justizbehörden des Reiches eintraf, wurde Hamburg gerade zum Ziel der «Operation Gomorrha», die in den letzten Julitagen 1943 weite Teile der Innenstadt zerstörte und den berüchtigten Feuersturm auslöste. Drei Wochen später leitete das Reichsjustizministerium den Hamburger Thesaurus in einer neuen Allgemeinverfügung weiter: Noch einmal wurden Wasser und Sand eingefordert, außerdem gute Brandwachen und prophylaktisch «eine Bretter- und Dachpappen-Reserve». Wichtig seien zudem ununterbrochene Gehaltszahlungen und Gemeinschaftsessen für die Gefolgschaft; wenn möglich, sollten auch Notunterkünfte angeboten werden. Im Hinblick auf den Geschäftsverkehr fiel das Hamburger Resümee ähnlich aus wie die Bilanz in Essen: Der Betrieb könne «wegen des bei Großkatastrophen eintretenden Publikumsschwun-

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des erheblich verkleinert» und überflüssiges Personal zunächst anderen Verwaltungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings kämen nach schweren Angriffen «erfahrungsgemäß … einzelne Parteien und Zeugen zu Terminen», weshalb «der Gerichtsbetrieb» jedenfalls «als Notbetrieb ununterbrochen weiterlaufen» müsse. Es trage «entschieden zur Beruhigung bei, wenn das Publikum merkt, daß die Gerichte sich nicht haben aus der Fassung bringen lassen und ihre Arbeit fortsetzen». In Hamburg habe man auf diese Weise «sämtliche Gerichtsgebäude einsatzfähig» gehalten; insbesondere dem «tatkräftigen Eingreifen der Löschtrupps» sei es zu verdanken, dass der Gerichtsbetrieb «nicht einen einzigen Tag» zum Erliegen gekommen sei.16

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Freilich war allen klar, dass das Obdach für das Gericht selbst ein eher äußerliches Problem darstellte. Die Institution ließ sich mehr oder weniger einfach von einem zerstörten in ein unzerstörtes Gebäude umquartieren. Wenn die Zerstörungen jedoch die Akten betrafen, konnten sie nicht so leicht korrigiert werden. Oral history ist keine juristische Disziplin; die Grenzen der Akten sind auch die Grenzen der Rechtswelt. Ohne Akten war der Dienstbetrieb kaum mehr aufrechtzuerhalten, und deshalb konzentrierte sich die Justizarbeit im Krieg nicht zuletzt auf die Arbeit an den Akten. Sie wurden vervielfältigt, abgeschrieben, weggetragen, versteckt; schon 1939 begannen die ersten Verlagerungen der Gerichtsarchive, im Zuge deren Standesamtsregister, Kirchenbücher und ähnliche Vorgänge, die nicht jeden Tag konsultiert werden mussten, von vermeintlich gefährdeten Orten ins Hinterland gebracht wurden.17 Angesichts der großen innerstädtischen Bombardierungen seit Sommer 1943 entwickelte die Politik auch hier einen systema-

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tischen Anspruch. So bekamen die Gerichtsbezirke in Düsseldorf, Köln und Hamm, die man im Hinblick auf den Luftkrieg für besonders gefährdet hielt, eine Art Partnerbezirk zugewiesen, in dem sie ihre besonders wertvollen Akten – «Grundbücher, Standesamtsnebenregister, Strafregister, uneröffnete Testamente und Personallisten» – in Sicherheit bringen sollten. Das Verfahren wurde allen anderen Bezirken ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen.18 Nun fuhren Eisenbahnladungen voller Akten durch das Reich. Hamburg und Bremen meldeten Ende November Vollzug; in Hamburg sei «alles wertvolle Material in Großbunkern vereinigt», die Bremer Grundbücher seien im Salzbergwerk Grasleben bei Helmstedt untergebracht, während man die Testamente im Kellergeschoss des Bremer Justizgebäudes eingemauert habe.19 Dem Aktionismus waren keine Grenzen gesetzt. Aus Weimar kam die wirre Meldung, man habe 10 000 Blatt Schreibmaschinenpapier, 1000 Bogen Konzeptpapier, 1000 Stück Briefumschläge (normal), 500 Stück Briefumschläge 16 × 23 cm, 6 Stück Stempelkissen, eine Flasche Stempelfarbe, 8 Rollen Heftfaden, ½ Gros Bleistifte, ½ Gros Tintenstifte, zwei Rollen Klebestreifen, eine Flasche schwarzer Tinte, eine Flasche Füllhaltertinte, 3000 Stück Heftklammern in Stäben, 3 Gros Reißzwecken, 5 Farbbänder, 4 Rotstifte, 100 Blatt Kohlepapier und 4 Schreibmaschinen zum ruhigen Amtsgericht Blankenhain transportiert. Das Amtsgericht Jena brachte außer Bürostühlen und Kleiderhaken auch 11 Seifennäpfe und 16 Waschständer beim Amtsgericht Camburg in Sicherheit.20 Ein Bezirksnotar aus dem süddeutschen Ehingen schwang sich zu dem Vorschlag auf, im Umland «gut getarnte Erdbunker» anzulegen, um die Grundbücher aus den Städten auszulagern. Es habe keinen Wert, einfach nur in Resignation zu verharren, «da muß die bisherige Taktik geändert und sofort gehandelt werden», denn: «Häuser sind das Grab, das freie Feld ist die Rettung.» Der Vorschlag fand mit Rücksicht auf die Knappheit an Personal und Baustoffen keine Umsetzung.21

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Parallel wurde die Vervielfältigung der Akten zur geläufigen Präventionsstrategie. Überall schrieb man Akten ab, um das Risiko ihrer vollständigen Zerstörung zu minimieren. In Stettin rechnete man vor, bei der derzeitigen Papierqualität könne man Urteile in sechsfacher Durchschrift fertigen, was es erlaube, eine Abschrift künftig auch beim Strafregister zu hinterlegen.22 In Stuttgart wurden seit Januar 1944 immer wieder Justizangestellte dazu abgeordnet, Grundbuchseiten abzuschreiben. Die Zahl der Blätter, die dabei beschrieben wurden, ging in die Zehntausende. Am Ende nahm man sogar den Kampf mit dem Arbeitsamt auf, das die Vervielfältigung von Grundbüchern für unvereinbar mit dem totalen Krieg hielt, eine Einschätzung, die der Landgerichtspräsident Stuttgart als «eigenartig verständnislos» bezeichnete, worin ihm der Oberlandesgerichtspräsident vollauf recht gab.23 Im Dezember 1944 steuerte das Reichsjustizministerium eine Allgemeinverfügung bei, die unter der höchsten Dringlichkeitsstufe – «Eilt sehr!» – die fotografische Ablichtung von Grundbüchern und anderen wichtigen Akten in Aussicht stellte, wobei man bedauernd hinzufügte, die justizeigenen Maschinen seien gerade nicht funktionsfähig, man könne aber auf eine der fünfzig über das ganze Reich verteilten Stellen der «Kriegsgemeinschaft Sicherheitsarchiv» zurückgreifen.24 Selbst wenn das alles misslang, wenn Akten nicht ausgelagert und nicht vervielfältigt werden konnten, war man dem Luftkrieg nicht hilflos ausgeliefert. Nach den Angriffen auf Hannover veröffentlichte das OLG Celle einen minutiös ausgearbeiteten Plan, der angab, welche Akten «nach Dienstschluß sowie während des Dienstes bei Vollalarm» in den Keller oder brandsichere Räume im Erdgeschoss zu bringen seien, wie Register gesichert und wovon vorsorglich Abschriften gemacht werden müssten;25 das Kammergericht tat sich mit einer Anweisung hervor, wie die bei Luftangriffen verbrannten Akten auf gesonderten Verlustlisten buchmäßig zu erfassen seien.26 Richtlinien informierten darüber, wer im Falle des Falles welche Akten aus dem Gebäude tragen sollte. Aus Saar-

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brücken berichtete der zuständige Oberlandesgerichtspräsident, das Gericht sei von gut fünfzig Brandbomben in Brand gesetzt worden; als das Feuer schließlich vom Dachstuhl auf die darunter liegenden Stockwerke übergegriffen habe, hätten die Brandwachen die dort gelagerten Akten aus dem Gebäude gebracht. So seien «die Personal-, die General- und Verwaltungsakten, ferner die Akten der politischen Abteilung, die Akten der Abteilung II, die die Buchstaben M bis Z umfaßt, nahezu vollständig geborgen» worden. Künftig, so habe man gelernt, sei wichtiges Schriftgut im Erdgeschoss unterzubringen.27 Aus Greifswald kam der nützliche Hinweis, «die schweren Grundbücher» würden, «wenn möglich, aus dem Fenster heraus und dann unter Kettenbildung von Hand zu Hand weitergereicht»; in Stuttgart gab eine Rundverfügung die Anweisung, «Körbe und Säcke an einem bestimmten Platze sofort greifbar bereitzustellen», um mit der Bergung von Akten beginnen zu können; in Köln hatte man offenbar entsprechend vorgesorgt und konnte deshalb praktisch alle Akten «in großen Säcken verpackt … die Feuerleiter hinunter» befördern.28 Und falls die Prävention trotz aller Anstrengungen erfolglos geblieben war, gab es am Ende immer noch die, freilich lästige, Möglichkeit der Wiederherstellung. 1942 hatte das Reichsjustizministerium erstmals die Möglichkeit geschaffen, zerstörte Urkunden wiederherzustellen, ohne die darin protokollierten Akte wiederholen zu müssen.29 Selbst für eigenhändige Testamente folgte 1944 noch ein Prozedere, um deren Wiederherstellung, wenn auch nicht der Form, so doch jedenfalls dem Inhalte nach belastbar zu ermöglichen.30 Bei den Gerichten legte man nun ausführliche Listen darüber an, bei welchen Stellen man nach einem Aktendoppel fragen könne, darüber hinaus half die allgemeine juristische Lebenserfahrung. Wenn Akten bei einem Oberlandesgericht verbrannten, konnte man die unteren Gerichte fragen, in welchen Angelegenheiten Berufungen oder Revisionen anhängig gemacht worden waren; dazu standen Anwälte, Notare, Jugendämter oder sonst be-

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teiligte Stellen zur Verfügung, für General- oder Personalakten kam zusätzlich die Reichsjustizverwaltung in Betracht. Wie erfolgreich all diese Bemühungen waren, lässt sich schwer abschätzen. Aus Königsberg kam im September 1944 der Bericht, der letzte Fliegerangriff habe den Sitz des Oberlandesgerichts vollständig zerstört, wovon auch – «von ganz verschwindenden Ausnahmen abgesehen» – sämtliche Akten betroffen seien. Der unerschrockenen Ankündigung, jedenfalls die Personalakten ließen sich «leicht herstellen», folgte schon im nächsten Bericht das kleinlaute Eingeständnis, die Wiederherstellung der Akten verlange «viel Mühe» und nehme «zahlreiche Kräfte in Anspruch».31 Der Amtsgerichtsdirektor von Stettin musste nach zwei Angriffen im Frühjahr und Sommer 1944 den Verlust so gut wie aller Akten bekanntgeben, von Grundakten über Nachlassakten, Vereinsregister, Zwangsvollstreckungen, Erbhofrollen und Konkursakten bis hin zu mehr als 150 000 Strafakten und weit über 700 000 Zivilprozessakten. Auf die Bitte hin, über «das Veranlaßte» zu berichten, stellte der Amtsträger die geradezu größenwahnsinnige Behauptung auf: «Die Wiederherstellung der verlorengegangenen Akten ist im vollen Gange.»32 In Dresden, wo die Luftangriffe im Februar 1945 praktisch alle Gerichte zerstört hatten, versuchte man mühselig, wenigstens die Verwaltungsakten über die Bestände der Amtsgerichte aus dem Umland zu rekonstruieren, dazu kamen einige wenige Prozessakten.33 Und noch ganz erschüttert vom gerade erlittenen Verlust mühte sich ein sichtlich gehetzter Anwalt aus Ellwangen im Januar 1945, den Überblick über seine Rechtsangelegenheiten zurückzugewinnen: «Unser Schreibfräulein Dahlmann ist ums Leben gekommen! Ich bitte mir nun alle noch bei Ihnen befindlichen Unterlagen mir umgehend zuzusenden, insbesondere die z. Zt. von uns übersandte Klageschrift! Heil Hitler!»34 Die Fingerzeige für den Umgang mit den Akten ließen sich in der Praxis also nicht gleichermaßen umsetzen. Aber im regen Austausch zwischen dem Ministerium und den Rechtsarbeitern vor

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Ort entstand am Ende doch so etwas wie ein Vademecum für den Luftkrieg. Den allfälligen Zerstörungen begegnete man mit einem Bündel von bürokratisch penibel aufbereiteten Maßnahmen. Wer ordentlich verdunkelte, Feuerschutzmittel auftrug und die Dachböden entrümpelte, senkte das Risiko, dass das eigene Gebäude bei einem Angriff in Flammen aufging; ging es dennoch in Flammen auf, so konnten Luftschutztrupps und Betriebsfeuerwehren womöglich das Schlimmste verhüten; war das Schlimmste nicht zu verhüten, so sollten wenigstens die wichtigsten Akten und das nötige Inventar gerettet werden; war auch hier nichts mehr zu machen, steuerten die übrigen Gerichte aus dem Sprengel das Mobiliar bei, das sie selbst gerade nicht mehr brauchten, und durchsuchten die Keller nach Aktenabschriften. Der Glaube an die administrativen Selbstheilungskräfte wurde bis zum Schluss nicht aufgegeben, auch nicht, als die Bombardements ab Sommer 1944 die deutschen Städte reihenweise in Schutt und Asche legten. Bereitschaftsdienste sollten sich auf den Ernstfall vorbereiten, Ausweichquartiere wurden vorab besichtigt, Blankoschilder standen bereit, sodass nur noch der im Ernstfall gewählte neue Ort eingetragen werden musste; selbst die Frage, wann eigentlich ein «Großangriff» vorliege und was diesen von einem normalen Angriff unterscheide, erhielt eine formularmäßige Behandlung.35

Beamtenpflichten: Justizdienst als Kriegsdienst Beamtenpflichten: Justizdienst als Kriegsdienst

Die Geschäftigkeit zahlte sich aus. Im Februar 1944 beobachtete der Sicherheitsdienst zufrieden, ein Stillstand der Rechtspflege sei bislang «nicht oder nur für ganz kurze Zeit eingetreten»; die Justiz habe der Bevölkerung auch «unter schwierigsten Bedingungen» ein Beispiel dafür gegeben, «daß die Arbeit der Behörden und Gerichte trotz der durch die Terrorangriffe verursachten Schäden weitergehe».36 Der Sinn eines solchen störungsfreien

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Geschäftsbetriebs ging über die konkreten Dienstleistungen, die darin erbracht wurden, weit hinaus. Die Justiz war Vorbild, Bastion, Hort der Ruhe und Garant der Ordnung, ein strenger, aber gerechter Freund der verängstigten Massen. Justizminister Thierack teilte dazu seinen Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten mit, das Volk sei «anlehnungsbedürftig»; die Richter hätten eine exponierte Stellung inne und seien deshalb verpflichtet, jedem, der sich an sie wende, «Halt und Kraft zu geben».37 Solche Überlegungen waren es, die das administrative Wohlverhalten nach einem Luftangriff allmählich in die herkömmliche Pflichtenethik der Beamtenschaft integrierten. Das Beamtengesetz von 1937 hatte das Beamtenverhältnis zum «Vertrauensbeweis der Staatsführung» erhoben, das «unbedingten Gehorsam und äußerste Pflichterfüllung» verlange, um dann diese Forderung – ohne Rücksicht auf Redundanzen  – zu einem ganzen Katalog innerer und äußerer Verhaltensanweisungen aufzufächern: «echte Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft …, volle Hingabe der Arbeitskraft, Gehorsam …, Kameradschaftlichkeit …, Vorbild treuer Pflichterfüllung …, gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten, dem Führer … Treue bis zum Tode».38 Das einschlägige Schrifttum gewann daraus im Anklang an den Bund des Lebens die gutherzige Forderung, der Amtsträger schulde «Treue zum Führer in guten und bösen Tagen».39 Für den Umgang mit den Gefahren aus der Luft hatten diese Treueschwüre konkrete Folgen. Seine Pflicht konnte man nicht nach Laune tun oder wie es einem die Vorsicht eingab. Hier durfte sich niemand befreien, schon gar nicht gegen Geld.40 Am 15. März 1944 versandte Thierack in einer Rundverfügung eine ausführliche Schilderung des Verhaltens eines Richters, der am Morgen nach einem Großangriff dem Gericht ferngeblieben war. Als Entschuldigung hatte dieser den Ausfall der Verkehrsmittel geltend gemacht; wegen einer Fußverletzung sei er nicht imstande gewesen, den längeren Weg zu Fuß anzutreten, außerdem habe er unter Depressionen gelitten. Sein Vorgesetzter hatte dem Beamten daraufhin

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«einen bedauerlichen Mangel an Pflichtbewußtsein und Verantwortungsgefühl» vorgeworfen und ihn dienststrafrechtlich belangt. Thierack machte diesen Vorgang nun reichsweit bekannt und nutzte die Gelegenheit zu der Mahnung, «daß alle Justizangehörigen an ihre Pflichten bei und nach Luftangriffen erinnert werden». Gerade von den Richtern und Staatsanwälten erwarte er «restlosen Einsatz unter Hintansetzung persönlicher Belange».41 Der Justizdienst wurde so allmählich zum Kriegsdienst. Seit Kriegsbeginn wurde immer wieder getönt, Sicherheit und Ordnung der inneren Front seien unabdingbare Voraussetzungen für den militärischen Sieg, der Beamte sei daher nicht weniger im Kampfeinsatz als der Soldat.42 Von Roland Freisler ist die Charakterisierung des Richters als «Soldat des Führers» überliefert, von Curt Rothenberger die Forderung nach einem «heldischen Wesen»;43 zum zehnten Jahrestag von Hitlers Regierungsantritt ergänzte Thierack diese Weisheiten um die Devise, die Rechtspflege müsse «so schnell, entschlossen, tatkräftig, wuchtig und genau arbeiten wie das gewaltige Räderwerk unserer siegreichen Armee».44 Nun schlug die martialische Rhetorik in Wirklichkeit um. Je länger der Krieg dauere, «desto brennender sind alle Dinge, die den Luftschutz betreffen», ließ der Luftschutzleiter am Landgericht Greifswald, Oberamtsrichter Riensberg, seine Kollegen in reichlich missglückter Metaphorik wissen. Nach einer anschließenden tour de force durch den erforderlichen Vorrat an Gasmasken, Luftschutzstahlhelmen und Äxten erinnerte er noch einmal eindringlich daran, dass es letztlich auf «die mutige und kämpferische Entschlossenheit jedes einzelnen» ankomme, um trotz der bedrohlichen Flammen «zielbewußt mit kühler Überlegenheit zu handeln». Man wisse schließlich, «daß der Führer, wie er von jedem Soldaten an der Front stündlich den opfervollen Einsatz gegen alle feindlichen Mordwaffen verlangt, so auch von den in der Heimat verbliebenen Volksgenossen den rücksichtslosen Einsatz erwartet, wo es gilt, den Bombenterror siegreich zu bekämpfen».45

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Im Juni 1943 gab das Oberkommando der Wehrmacht die Weisung aus, dass sich Zivilisten bei Luftangriffen ebenfalls im Einsatz «für Deutschlands Größe» befänden und Opfer unter ihnen daher ebenfalls als «verwundet» oder «gefallen» zu bezeichnen seien.46 Im April 1944 erfuhren die Justizbeamten, dass sie für Tapferkeit nach Luftangriffen militärisch ausgezeichnet werden konnten, auch wenn sie der Wehrmacht nicht angehörten, wobei in der Folge betont wurde, dass bloße Pflichterfüllung dafür nicht ausreiche, vielmehr sei in der Regel ein «Einsatz unter unmittelbarem Beschuß, unter Splitterwirkung oder sonstiger Gefährdung durch Bomben oder Geschosse» vorauszusetzen.47 Der Kölner Landgerichtspräsident gab seinen Richtern die folgerichtige Weisung mit auf den Weg, «keine feindliche Bedrohung, kein Terror und keine Zerstörung, weder persönliche Sorge noch persönlicher Verlust» dürfe sie «in der Erfüllung ihrer Aufgaben erlahmen lassen».48 Der Oberlandesgerichtspräsident von Düsseldorf entwickelte daraus die personalpolitische Maßgabe, bei der Auswahl von Führungskräften künftig auf «Härte des Willens» und «soldatische Haltung» zu achten; verächtlich schilderte er, wie die Landgerichtspräsidenten von Mönchengladbach und Kleve nach dem letzten Angriff sofort «zusammengeklappt» seien.49 Aber auch die einfache Arbeitsebene wurde ohne Unterlass auf den Dienst zwischen Leben und Tod verpflichtet. In Stettin echauffierte sich der Landgerichtspräsident darüber, dass seine Kassenbeamten nach besonders schweren Angriffen erst auf seinen Befehl hin den Versuch unternommen hätten, die Kasse zu bergen, obwohl das doch ohnehin ihre Pflicht gewesen sei; nicht einmal «rauchgeschwärzt» seien die beiden gewesen. Dafür konnte er einer anderen Angestellten Lob aussprechen, weil sie «aus dem brennenden Altbau des Landgerichts aus der dort untergebrachten Gerichtskasse wichtige Akten, Unterlagen und bares Geld unter Lebensgefahr während des Brandes gerettet» habe.50 Ein Stettiner Notar beklagte den Verlust seiner Urkundenrolle, die der sonst zu-

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verlässige Hauswart im Haus vergessen habe; beim Versuch, «das Versäumte nach dem Vollalarm nachzuholen, ist er im Hause umgekommen»  – mit diesem knappen Hinweis endet das grußlose Schreiben.51 Der Landgerichtspräsident von Verden berichtete voller Anerkennung über einen Richter  – selbst vollständig ausgebombt – und einen Gerichtsvollzieher, die aus dem brennenden Amtsgericht Geestemünde Personal- und Generalakten sowie acht Schreibmaschinen getragen hätten; in Köln rettete man zahlreiche Akten, Schreibmaschinen und «2 gute Fahrräder der Kriminalpolizei» aus dem brennenden Landgericht; in Stuttgart wurden «sämtliche Schreibmaschinen, zwei Rechenmaschinen, eine Vervielfältigungsmaschine und ein Teil der Handaktenstücke sowie der im Hause befindlich gewesenen Personalakten» aus dem Oberlandesgerichtspräsidium geborgen, während dort das Feuer «mit rasender Schnelligkeit um sich griff».52 Gebündelt und zu einem Register amtlicher Pflichten verdichtet wurden die Schilderungen vom Heldentum der Beamtenschaft im Mai 1944, als die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte auf der malerischen Reichsburg Kochem zusammenkamen, um mit Vertretern des Ministeriums die Auswirkungen der Luftangriffe zu besprechen. Aus Frankfurt, Hamburg, Hamm, Kassel, Köln und Berlin berichteten die Spitzenjuristen über ihre Erfahrungen mit Spreng-, Brand- und Phosphorbomben, über die Vorzüge von Wasser gegenüber Sand und von Brunnen gegenüber Löschteichen bei der Brandbekämpfung. Der Behördenleiter müsse sich, wie mehrfach betont wurde, nach einem Angriff sofort zum Justizgebäude begeben. Komme es in den Gefängnissen zu Unruhe, dann schaffe  – so die probate Empfehlung des Berliner Generalstaatsanwalts  – «ein Schreckschuß in der Regel Beruhigung». Vor allem aber seien die Luftschutzkeller der ersten Kriegsjahre unbedingt zu erneuern. Die Sicherung der eigenen Mitarbeiter sei «die erste Pflicht», ein Gedanke, den auch Thierack aufgriff, als er in drastischen Worten vor «Menschenfallen» warnte, wobei

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er allerdings mit einer gewissen Ratlosigkeit abschließend hinzufügte: «Jeder muß sich selbst helfen.»53 Dabei ließ er es jedoch nicht bewenden. Einige Monate später wies Thierack in einer Rundverfügung vom September 1944 nachdrücklich darauf hin, dass auch die Behördenleiter Luftschutznachtwachen zu übernehmen hätten. Er selbst habe das als Präsident des Volksgerichtshofs ebenfalls getan, außerdem sei ihm in Erinnerung, wie sein Kompanieführer bei der Schlacht an der Somme 1916 unter schwerem Trommelfeuer höchst riskante Postendienste übernommen und damit die bedingungslose Anerkennung seiner Männer gewonnen habe.54 Die Anekdote ließ sich – a maiore ad minus? – unschwer auf die Justiz übertragen: Auch sie stand unter Trommelfeuer, und auch von ihren Mitarbeitern wurde erwartet, dem ungestörten Fortgang des Dienstbetriebs notfalls auch das eigene Leben zu opfern.

Der Geschäftsbetrieb und seine Helden Der Geschäftsbetrieb und seine Helden

Die Verwaltung der Kriegsfolgen war damit insgesamt zweiteilig angelegt: Einerseits gab es den Versuch der formularmäßigen Typisierung, andererseits die Erwartungen an die bedingungslose Pflichterfüllung des einzelnen Beamten. Die zahllosen Handreichungen zum Schutz von Schriftgut, Inventar und Gebäuden, zu Brandwachen, Aufräumarbeiten und Ausweichquartieren nährten die Illusion, auch der Luftkrieg ließe sich administrativ bändigen; was an Widersprüchen zur Wirklichkeit verblieb, wurde in die Verantwortung des handelnden Personals verschoben. Und dort waren die Unabsehbarkeiten des totalen Kriegs gut aufgehoben. Auch als ab Sommer 1944 die Bombenteppiche über deutsche Städte niedergingen, handelten die Beamten so, wie man es von ihnen erwartete: pflichtbewusst, gehorsam, opferbereit. In den letzten Kriegsmonaten gab es fast täglich irgendwo einen Angriff,

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Der Geschäftsbetrieb und seine Helden

und fast immer waren davon auch Justizgebäude betroffen. Der totale Krieg fraß sich durch das ganze Deutsche Reich. Aber in kaum einem der Berichte, die darüber erstellt wurden, fehlte am Ende die trotzige Schlussformel: «Der Dienstbetrieb wurde aufrechterhalten.» Eine kleine Auswahl, in loser Folge, ohne Rücksicht auf Stadt und Land, Zentrum und Peripherie, Kriegsdringlichkeit und Kriegsgleichgültigkeit, beginnend mit der letzten großen Einberufungswelle 1944: Bei einem weiteren Großangriff auf Hamburg im August 1944 wurde auch das dortige Oberlandesgericht teilweise zerstört. Die Bomben durchschlugen durch ihr schieres Gewicht sämtliche Stockwerke, dazu kamen Zeitzünder, die noch lange nach den Angriffen für Detonationen sorgten. Die Zeitzünder waren auch der Grund, warum einige Termine am Gericht ausfallen mussten, im Übrigen, so berichtete der Oberlandesgerichtspräsident nach Berlin, sei «der Fortlauf der Justiz … nie gehemmt gewesen».55 In Königsberg wurde kurz darauf die gesamte Innenstadt zerstört. Das Oberlandesgericht brannte vollständig aus, alle Akten gingen verloren. Am Amts- und Landgericht, wo das Feuer nur in den oberen Stockwerken um sich gegriffen hatte, kam die obdachlose Justizbehörde unter. Dort fand auch der richterliche Sofortdienst statt: «Erwähnenswert erscheint mir», schloss der OLG-Präsident seinen Bericht, dass am nächsten Morgen «um 9 Uhr, also 7 Stunden nach Ende des Angriffs, eine Strafkammer in dem teilweise noch etwas brennenden Hause eine Sitzung durchgeführt hat, in der 4 von 5 Sachen verhandelt wurden».56 Die Zerstörung von Stuttgart im September war noch verheerender. In der Innenstadt blieb praktisch kein Gebäude verschont, überall brachen Feuer aus, die Versorgung mit Wasser, Strom, Gas kam zum Erliegen. In den großen Justizgebäudeblock, Sitz aller Stuttgarter Gerichte, fielen neun Sprengbomben und zahlreiche Brandbomben, Akten und Bücher wurden fast ausnahmslos vernichtet, knapp die Hälfte des Gebäudes war zerstört, der Rest

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schwer beschädigt. Gleichwohl: Nicht ohne Stolz konnte der Generalstaatsanwalt nach Berlin melden, dass man bereits am Morgen nach den Angriffen «noch in den Rauchschwaden  … in den wenigen noch verfügbaren, erheblich beschädigten Räumen eine Reihe von Strafverhandlungen durchgeführt» habe.57 Für die Justiz in Hannover begann der Herbst mit dem Ausfall von Heizung und Strom, Folge eines Angriffs im Oktober, der die Justizgebäude schwer in Mitleidenschaft gezogen hatte. Dank eiliger Aufräumarbeiten konnten Sondergericht und Zivilkammern jedenfalls behelfsmäßig wieder so weit hergerichtet werden, dass auch hier der Geschäftsbetrieb «in vollem Umfange aufrechterhalten» blieb.58 «In vollem Umfang» war auch die Heilbronner Justiz bald nach den Angriffen im Dezember wieder tätig, allerdings nicht in Heilbronn, wo alle Institutionen zerstört waren, sondern im 25 Kilometer entfernt gelegenen Öhringen.59 In Detmold verlor das Landgericht in der Silvesternacht durch einen Angriff alle Fensterscheiben, was jedoch auch bei winterlicher Kälte kein Grund war, den Dienst zu unterbrechen: «Der Geschäftsbetrieb läuft ungehindert weiter», wurde bereits am nächsten Morgen nach Hamm gemeldet.60 Auch am Amtsgericht Ahrweiler hatte man nach einem Angriff Anfang Januar 1945 keine Fenster und keine Heizung mehr. Zwei Öfen stellten sicher, dass «die dringendsten Arbeiten» trotzdem erledigt werden konnten.61 Am Amtsgericht Hillesheim, wo man schon seit Wochen ohne Licht, Wasser, Telefon, Post und Verkehrsanbindung gearbeitet hatte, wurden kurz darauf auch noch Fenster und Türen zerstört. Auch hier trotzte man dem Winter und führte den Geschäftsbetrieb in einem behelfsmäßig hergestellten Raum weiter.62 Gleiches gilt für das Landgericht Wien: Bei den Angriffen am 15. Januar wurde eines der beiden Gerichtsgebäude fast vollständig zerstört. In dem anderen, das alle Fenster verloren hatte, setzte man den Dienstbetrieb unmittelbar fort: «Schon die für den darauffolgenden Tag  … anberaumten Verhandlungen wurden anstandslos durchgeführt», teilte der Landgerichtspräsident mit.63

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Vom Amtsgericht Bad Kreuznach waren nach einem Angriff Ende Januar 1945 noch drei Zimmer übrig, der Rest war ausgebrannt oder gleich eingestürzt, Akten gab es so gut wie keine mehr. Man fand Asyl bei einem Notar und meldete alsbald: «Der Geschäftsbetrieb ist wieder aufgenommen worden.»64 In Rheinbach musste man sich nach einem Angriff die fünf unversehrten Räume mit einem Genesungsheim teilen, die Versorgung mit Licht, Wasser und Gas war unterbrochen. Gleichwohl ging der Betrieb, «soweit es noch möglich ist, weiter».65 Am Landgericht Osnabrück hatten die Brand- und Sprengbomben nicht ein einziges Zimmer unbeschädigt gelassen. Sechs Tage später folgte die Standardnachricht: «Der Dienstbetrieb ist in den schwer beschädigten Gebäuden wieder aufgenommen worden.»66 Und im rechtsrheinischen Bensberg war es sogar noch schlimmer. Man hatte gar keinen unbeschädigten Raum mehr zur Verfügung, dazu ein riesiges Loch in der Außenwand, und stand außerdem unter ständigem Artilleriebeschuss. Aber auch hier galt, ohne Rücksicht auf Verluste: «Der Dienstbetrieb wird weitgehend aufrechterhalten werden, so lange es möglich ist.»67 Am Amtsgericht Schwäbisch Hall büßte man im Februar 1945 alle Fenster und einige Türen ein, in der Umgebung wurden zahlreiche Gebäude zerstört. Man behalf sich mit Vorfenstern und Pappscheiben und meldete nach Berlin: «Der Dienstbetrieb bei sämtlichen Justizbehörden in Schwäbisch Hall geht weiter.»68 Gleichzeitig hatte in Leipzig der dritte Großangriff schwere Verwüstungen hinterlassen. Auch das Reichsgericht war betroffen; die Wohnung des Präsidenten wurde zerstört, fortan residierte er mit der Familie eines Richterkollegen in einer Wachtmeisterwohnung im Keller. Wie auch immer: «Der Dienstbetrieb geht ohne Einschränkungen weiter.»69 Gleiches galt für Aschaffenburg: Eine schwere Sprengbombe durchschlug das Dach des Justizgebäudes und alle Stockwerke darunter, blieb dann aber im Hausflur liegen, ohne zu explodieren. Weil zudem eine kleine Brandbombe schnell gelöscht werden konnte, hieß es zusammenfassend: «Der Dienst-

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betrieb ist nicht unterbrochen worden.»70 Und auch in Reutlingen waren es die Brandwachen, die die ungestörte Geschäftigkeit gewährleisteten. Ihr «tatkräftiges Eingreifen» hielt die Brände in der Umgebung vom Gerichtsgebäude fern, eine Brandbombe im Dachstuhl wurde «durch sofortigen Zugriff des Justizoberwachtmeisters Schweikle und seines Sohnes gelöscht.  … Der Fortgang des Dienstbetriebes im bisherigen Umfang ist gesichert.»71 In Göppingen war es der im Gericht wohnende Richter selbst, der eine Stabbrandbombe «sofort nach dem Angriff» löschen konnte. Deshalb: «Der Dienstbetrieb im Amtsgericht ist nicht gestört.»72 Hildesheim beschrieb der dortige Landgerichtspräsident Ende März 1945 als «ziemlich restlos zerstört», unterlief diesen eigentümlichen Superlativ aber sogleich wieder, indem er behauptete, es könne «der Geschäftsbetrieb im Landgerichtsgebäude nach Erledigung der notwendigen Aufräumungsarbeiten doch in vollem Umfang aufrecht erhalten werden».73 Und auch aus Ulm, das der Stuttgarter Generalstaatsanwalt nach mehreren Angriffen in einer Generalklausel für «jetzt restlos … zerstört» erklärte, kam die betriebsübliche Ausnahme: «Die Geschäfte der Staatsanwaltschaft wurden nicht unterbrochen.»74 Zerstörung, Aktenverluste, Kälte, Dunkelheit. Und der Tod. In Bonn residierte die Justiz nach dem Großangriff vom 6. Januar 1945 über einem Massengrab: Der unter dem Gericht liegende öffentliche Luftschutzraum bekam einen Volltreffer, weit über zweihundert Menschen wurden getötet. In der Stadt fielen für mehrere Tage Gas, Strom und Wasser aus. Man zog in das benachbarte Gebäude des Amtsgerichts, wo man sich in den Luftschutzkeller verkroch. Der Geruch der Verwesung muss überall gewesen sein. «Nach den getroffenen Vorkehrungen», schloss der Bericht, «ist die Aufrechterhaltung einer geordneten Rechtspflege gesichert.»75 Auch in Bielefeld störten die Leichen im eigenen Keller den Dienstbetrieb nicht. Bei einem Angriff waren rund vierzig Gefangene verschüttet worden. Man wisse nicht, wer noch am Leben

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sei, meldete der Landgerichtspräsident, erklärte den Angriff aber gleichwohl für «lehrreich», schließlich habe er erneut vor Augen geführt, dass «Luftschutzkeller unter mehrstöckigen Gebäuden bei Volltreffern  … zu Massengräbern» würden. Und selbstredend: «Der Arbeitsbetrieb soll aber, soweit es möglich ist, hier fortgeführt werden.»76 Diese Berichte über die heroische eigene Pflichterfüllung waren interessegeleitet, natürlich. Aber schon ihre Massierung spricht dagegen, dass in ihnen stark übertrieben wurde. Auch waren die möglichen Gewinne und Verluste überschaubar. Dem Helden des Soforteinsatzes winkte eine militärische Auszeichnung, dem Verweigerer drohte nicht mehr als eine disziplinarrechtliche Sanktion, die sich irgendwo im weiten Feld zwischen «Maßnahme» und «Aberkennung des Ruhegehalts» bewegte.77 Außerdem durften die Autoren der Berichte mit Vertraulichkeit rechnen. Wurden die Darstellungen über die Lageberichte der Oberlandesgerichtspräsidenten übermittelt, standen sie als geheime Reichssachen ohnehin unter besonderem Schutz; darüber hinaus waren es militärische und propagandistische Überlegungen, die Diskretion gewährleisteten. Zu Beschönigungen gab es deshalb wenig Anlass. «Man stellt nicht gern fest, daß man nicht weiter kann»: Die Praxis hat das bereits zitierte Bürokratensätzlein mit Leben gefüllt. Ohne Fenster, ohne Türen, ohne Akten, ohne Mauern, ohne Dächer, ohne Licht, ohne Strom, ohne Heizung, ohne Gerichte und ohne Städte – das Rechtsleben ging trotzdem irgendwie weiter.

Allerletzte Erledigungen Allerletzte Erledigungen

Und so saßen sie in ihren Diensträumen und taten ihre Pflicht, die letzten Amtswalter, die der Krieg übriggelassen oder ausgesondert hatte, alt, gebrechlich, versehrt, ausgebombt, abgeschnitten von ihren Akten, ihren Büchern, ihren Häftlingen,

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häufig frierend, weil die Fenster zertrümmert und die Heizmittel rationiert waren, an dunklen Tischen, weil Strom gespart werden musste, in der Betriebsamkeit ziellos, weil Papier und Schreibmaschinen fehlten, hungrig und müde, weil oft stundenlange Fußmärsche nötig waren, um überhaupt zum Dienstort zu gelangen. Wie einst die imposanten Justizpaläste der Gründerzeit wurden auch deren Ruinen zum sinnfälligen Ausdruck «versteinerter Rechtskultur»;78 durch die Steinwüsten wehte der morbide Geist des Untergangs. Eilends eingerichtete Kurierdienste vermittelten zwischen den Außenposten der verinselten Bürokratie, verzweifelte Inventuren gaben der Institution das letzte Geleit. In Saarbrücken arbeitete man bei Gericht tagsüber nur noch schichtweise, damit lediglich ein Teil der Justizangehörigen den Gefahren der ständigen Angriffe ausgesetzt würde.79 Aus Rottweil kam die Klage, eine regelmäßige Arbeit sei wegen der dauernden Luftangriffe unmöglich, zwei Stunden Ruhe seien «schon viel».80 In Eisenach verhandelte man bei Fliegeralarm im Luftschutzkeller weiter, auch wenn das zu Konflikten mit den übrigen Schutzsuchenden führte, die sich über den Verlust von Sitzplätzen beschwerten.81 In Neubrandenburg teilten sich wegen Brennstoffmangels sämtliche Kanzleien und Geschäftsstellen das einzige Zimmer, das noch beheizt werden konnte.82 Der Stettiner Oberstaatsanwalt beanstandete, seinen neunundfünfzig Mitarbeitern stünden gerade einmal zwölf Räume zur Verfügung, ein Teil müsse ohne Beleuchtung auf den Korridoren arbeiten.83 Vom Oberlandesgericht Zweibrücken wurde berichtet, die Richter würden abwechselnd einen Tag am Westwall arbeiten und einen Tag ihre Dienstgeschäfte erledigen.84 In Köln verlegte man die letzten Abteilungen der Staatsanwaltschaft nach den Luftangriffen vom Februar 1945 – Köln selbst sah mittlerweile aus wie eine Dante’sche Dystopie  – in die Arresträume im Keller,85 in Koblenz zog man in zwei Räume in einem Bunker,86 beim Amtsgericht Kochem wurde der Geschäftsbetrieb in der richterlichen Privatwohnung fortgeführt.87

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Irgendwo kam man zusammen und sprach Recht, Kriegsrecht, Notrecht, befand über die letzten Grundbucheinträge, Unterhaltsklagen, Ehescheidungen, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Beleidigungen, Diebstähle, Plünderungen, Gewaltverbrechen, was immer in die Amtsstube getragen wurde. Im allgemeinen Zivilrecht war der Geschäftsanfall seit Kriegsbeginn stark zurückgegangen, keine Frage, dafür waren die Zahlen der Ehe- und Unterhaltssachen nachgerade explodiert. Im Strafrecht hatten sich die Zuständigkeiten verschoben, weil die Justiz gegenüber dem Verfolgungsapparat von Gestapo und Sicherheitsdienst regelmäßig das Nachsehen hatte,88 aber im Bereich der allgemeinen Kriminalität blieben noch genug Fälle übrig, und das Sonderstrafrecht hatte ohnehin Konjunktur. Im Dezember 1944 hob Ministerialdirektor Vollmer nach seinem Besuch des teilweise schon von den Alliierten besetzten Oberlandesgerichtsbezirks Köln ausdrücklich hervor, die Justizbehörden würden «nach wie vor lebhaft in Anspruch genommen», nicht nur im Strafrecht, sondern auch in Zivilsachen. Die Gerichte seien um die reibungslose Fortführung ihrer Geschäfte bemüht und hätten dabei bislang «im wesentlichen» Erfolg.89 Selbst aus dem vollkommen zerstörten Koblenz berichtete der Landgerichtspräsident im Februar 1945, Vormundschafts- und Nachlassgericht würden relativ häufig tätig werden, dazu kämen «noch in bescheidenem Umfang» Ehescheidungen.90 In Hannover war das Amtsgericht in den Tagen vor Kriegsende unter anderem mit einem Oberpostsekretär beschäftigt, der der Polizei anlässlich einer Kontrolle «Schweinerei», «Lumperei» und «Korruption» vorgeworfen hatte. Das Amtsgericht verurteilte ihn zu einer Strafe von 500 RM, obwohl sich seine Tirade bis zu dem Vorwurf gesteigert hatte, selbst die «Systempolizei» sei «besser gewesen als die jetzige»; großzügig hielt man ihm Erregung nach einem Luftangriff zugute. Ein Heiratsschwindler dagegen musste für acht Monate ins Gefängnis. Er hatte seinen Pass gefälscht, um «jünger und begehrenswerter» zu erscheinen, und sich auf diese

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Weise von einer heiratswilligen Zufallsbekanntschaft eine Butterstulle und ein Abendessen im Wert von 10 RM erschlichen. Zuletzt kam das Gericht in Hannover am 6. April 1945 zusammen, dem Tag, an dem US-amerikanische und britische Truppen das Stadtgebiet erreichten. Die Richter sanktionierten drei Diebstähle mit einer Geldstrafe, außerdem erhielten zehn Personen wegen Vergehen gegen die Kriegswirtschaft und drei Hehler Gefängnisstrafen zwischen zwei und acht Monaten.91 Vom Amtsgericht Freiburg ist ein Sitzungsprotokoll in einer Unterhaltssache überliefert, auf dem die anwesenden Juristen  – Richter und Urkundsbeamter – für den 22. Februar 1945 festgehalten haben, bei Aufruf der Sache sei «niemand» erschienen. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch «akute Luftgefahr mit Bombenabwurf» bestanden habe, sei das Ausbleiben der Geladenen begründet. Die letzte Sitzung im Freiburger Amtsgericht fand am 19. April 1945 statt, es wurde über die Abänderung eines Unterhaltstitels verhandelt. Der geschiedene Ehemann machte geltend, seine Exfrau könne nun wieder arbeiten, außerdem habe er selbst noch einmal geheiratet, müsse ein in die zweite Ehe mitgebrachtes Kind betreuen und habe nunmehr auch seine Mutter aufgenommen. Statt 130,– RM im Monat wolle er nur noch 60,– bezahlen. Der Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde auf den 24. April angesetzt.92 Dazu kam es nicht mehr; zwei Tage nach der Sitzung rückten französische Truppen in Freiburg ein. Auch im kleinen Amtsgericht in Kirchheim unter Teck saß man am 19. April zum letzten Mal zusammen. Ein Landwirt namens Schmid hatte seine Schwiegertochter verklagt, die 1937 mit ihrem Mann in das väterliche Haus gezogen war. Der Sohn sollte für den Vater arbeiten, deshalb hatte man eine bescheidene monatliche Miete von lediglich 10 RM vereinbart. Aber der Sohn war im September 1943 gefallen, und nun saß der Vater mit der Schwiegertochter da, die nicht für ihn arbeitete und viel zu günstig bei ihm wohnte. Im März 1945 klagte sein Anwalt auf Mieterhöhung. Bei

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einem ersten Termin am 12. April stimmte die Beklagte einer Erhöhung auf 20 RM zu. Schmid wollte jedoch 25 RM, und deshalb musste über die verbleibenden 5 RM noch entschieden werden. Am 19. April, dem nächsten Sitzungstag, standen die Amerikaner schon im Nachbarort. An den Autobahnbrücken wurden hastig Sprengungen durchgeführt, ab Mittag beschossen Tiefflieger die Stadt. Der Chronik des Ortes ist zu entnehmen: «Die Einwohner der Stadt hatten sich zum größten Teil in die Luftschutzkeller verkrochen; nur dort konnte man sich einigermaßen sicher fühlen.»93 Landgerichtsdirektor Oskar Fach und sein treuer Urkundsbeamter, Justizinspektor Staudacher, fühlten sich anscheinend auch im Gericht sicher. Zu tun gab es nichts. Staudacher protokollierte: «Bei Aufruf der Sache erscheint: für den Kläger niemand, für den Beklagten niemand.» Außer den beiden pflichtbewussten Gerichtsangestellten hatte sich keiner mehr auf die Straße gewagt.94 Für die Amtsgerichte Greifswald und Stralsund geben die Terminzettel für die Hauptverhandlungen einen Einblick in die Tätigkeit der Strafgerichte während der letzten Kriegsmonate: Verhandelt wurden Beleidigungen, Kriegswirtschaftsvergehen, hauptsächlich aber Diebstähle – von Rosinen bis Feldpost – und mindestens genauso oft der Umgang mit Kriegsgefangenen, mit denen die Angeklagten «geplaudert», «gesellschaftlich verkehrt», «geschlechtlich verkehrt», «insbesondere Geschlechtsverkehr gehabt», «insbesondere häufig Geschlechtsverkehr gepflogen» hätten.95 Die letzte Stralsunder Akte dokumentiert den Diebstahl eines Fahrrads. Der Angeklagte, ein Flüchtling aus dem Osten, brachte vor, er habe sein eigenes Fahrrad in der Heimat zurücklassen müssen und bitte daher um «milde Bestrafung». Juristisch natürlich eine unbeachtliche Schutzbehauptung: Am 24. April 1945 wurde er zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt.96 In Greifswald arbeitete das Gericht bis zum 27. April, einem Freitag. Die Tagesordnung sah fünf Fälle vor – Unterschlagung, Hehlerei, Diebstahl, einen Arbeitsvertragsbruch und einen Verstoß gegen

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das Reichsleistungsgesetz.97 Drei Tage später rückte die Rote Armee in der Stadt ein. In Dresden wurde an diesem 30. April 1945 noch ordentlich gearbeitet. Nach den Großangriffen hatte man die angesetzten Termine mit der formularmäßigen Feststellung, «durch Feindangriff vom 13. Februar 1945» sei das Justizgebäude «zerstört worden», verschoben; der Ort der Verhandlung, so kündigte man an, werde noch angegeben werden.98 Eine der letzten Sitzungen des Amtsgerichts galt einem Ziergarten in einem Dresdener Vorort. Ein Hauseigentümer hatte Ende März 1945 gegen seinen Mieter geklagt, dem er vertraglich einen Teil des Gartens hinter dem Haus zugestanden hatte, um dort Stauden zu pflanzen und einen Goldfischteich anzulegen. Nun wollte er dort selbst Gemüse anbauen, berief sich dabei auf die allgemeine Ernährungslage, einen Aufruf des Landesbauernführers, «das Letzte aus dem Boden» herauszuholen, und schließlich auf den misslichen Umstand, dass er auf das Gartenstück vor dem Haus schlecht ausweichen könne, schließlich wüchsen dort schon Blumen, und ein Gemüsegarten trage «nicht gerade zur Verschönerung der Vorderseite des Hauses» bei. Der Beklagte, der seine Staudensammlung für wissenschaftlich bedeutend hielt und ihren Wert mit aberwitzigen 12 000 RM – in etwa das Jahresgehalt eines gut situierten Anwalts – bezifferte, verwies dagegen auf die vertragliche Vereinbarung, außerdem habe der Garten nicht zuletzt dem Kläger selbst «immer Freude bereitet». Am 26. April 1945 einigte man sich friedlich: Der Beklagte stimmte zu, einen «6 m breiten Streifen in seiner ganzen Längsausdehnung» freizumachen, die Kosten des Rechtsstreits – 2 RM – wurden dem Kläger auferlegt.99 Das letzte Wort aber gehörte dem kleinen Amtsgericht Aue in Sachsen, das wie der ganze Landkreis Schwarzenberg nach der Kapitulation noch für einige Wochen ohne fremde Besatzung blieb. Dort saß Amtsgerichtsrat Martin Zweynert, Jahrgang 1908, seit August 1939 Richter in Sachsen. Zweynert hatte eine zupackende

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Natur. Am 23. Mai 1945 erließ er ein Versäumnisurteil, weil der Kläger, der eine ausstehende Zahlung von 73,88 RM begehrte, zum Termin nicht erschienen war. Der Richter dagegen musste sich kein Versäumnis vorwerfen lassen. Ihm stand zwar nur ein ausgedienter Vordruck aus der verhassten Weimarer «Systemzeit» zur Verfügung, der noch immer die längst überwundene Urteilsformel «Im Namen des Volkes» trug. Aber Zweynert ließ sich das nicht bieten. Mit einem couragierten Eingriff wies er die Dämonen der Vergangenheit zurück; während in Flensburg gerade die Regierung unter Karl Dönitz verhaftet wurde, korrigierte Zweynert sein Formular mit einem kleinen handschriftlichen Zusatz, der sicherstellte, dass auch dieser letzte Rechtsakt des Tausendjährigen Reiches noch «Im Namen des Deutschen Volkes» verkündet werde.100

Fiat iustitia et pereat mundus Fiat iustitia et pereat mundus

Was sich das Dritte Reich von seiner Justiz gewünscht hatte, das wurde geliefert. Die Rechtspflege war auch in den Augen der Machthaber einer «der wichtigsten Garanten» für die «Geschlossenheit der inneren Front», wie Justizminister Thierack bei seiner Neujahrsansprache 1944 noch einmal in Erinnerung gerufen hatte.101 Ohne eine gesicherte Ordnung und die stabile Routine des Alltags ließ sich selbst ein totaler Krieg nicht führen. Die Kolonnen des Todes benötigten auf ihrem Marsch einen belastbaren Grund. Die Justiz schuf diesen Boden, und zwar vor allem dort, wo sie sich in einem vermeintlich unpolitischen Formalismus erging. Gerade in der Schlussphase des Krieges, als von der nationalsozialistischen Propaganda eine Art Jüngstes Gericht der Weltrassen herbeigeredet wurde, mussten die Umrisse der irdischen Gerichtsbarkeit erkennbar bleiben, um nicht den Zukunftshorizont zu verlieren. Die Normalität des juristischen Dienstbetriebs, die zwischen, unter und neben den Trümmern hervorblitzte, überstrahlte

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die finstere Gegenwart und legte eine Zeitschiene auf dem Weg in eine bessere Zukunft: Heute die Klageschrift (mit Kostenmarken), nächste Woche die Erwiderung, in zwei Wochen offizielle Zustellurkunden mit Ladungen zur mündlichen Verhandlung, in vier Wochen die Verhandlung im Gericht, mit Richter, Talar und Urkundsbeamten, danach die Beweisaufnahme, Zeugen, Urkunden, vielleicht sogar ein Augenschein, irgendwann ein Titel und der Zugriff auf den staatlichen Vollstreckungsapparat. Beim Ticken der juristischen Normaluhr fand die aufgewühlte Seele ihre Ruhe. Immer wieder betonten die Beteiligten die psychisch heilsame Wirkung eines Dienstbetriebs, der sich von den welterschütternden Ereignissen nicht beeindrucken lasse. Selbst eine politisch eher unbedeutende Figur wie der Oberamtsrichter von Gemünd sah sich plötzlich zum Volksbetreuer erhoben. Als sein Gericht wegen Frontnähe geschlossen werden sollte, begehrte er am 15. November 1944 auch mit der Begründung auf: «Bei den vielen äußeren und inneren Belastungen, denen die Bevölkerung durch Feindeinwirkung und durch Gerüchte ausgesetzt ist, bietet der gleichbleibende Behördenbetrieb eine Beruhigung.» Er selbst sei nun «in bisher ungeahnter Weise» damit beschäftigt, «die Bevölkerung seelisch zu betreuen und sie damit einsatz- und arbeitsfreudig zu halten».102 Auch die bangen Herzen der Justizbeamten konnten sich in ihren Amtsstuben ein wenig aufwärmen. «Der Berufsbeamte ist», heißt es bei Max Weber in Wirtschaft und Gesellschaft, «mit seiner ganzen materiellen und ideellen Existenz an seine Tätigkeit gekettet …, ein einzelnes, mit spezialisierten Aufgaben betrautes, Glied in einem nur von der höchsten Spitze her, nicht aber (normalerweise) von seiner Seite, zur Bewegung oder zum Stillstand zu veranlassenden, rastlos weiterlaufenden Mechanismus, der ihm eine im wesentlichen gebundene Marschroute vorschreibt.»103 Die Rechtsarbeiter waren mit ihrem juristischen Dasein verschmolzen, der formale Rationalismus des bürokratischen Apparates imprägnierte ihr Leben gegen alle Anflüge des Uneigentlichen; was an

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Distanz zum eigenen Alltag möglich gewesen wäre, verschwand hinter Geschäftsbetrieb, Dienstkalender und Beamtenpflicht. Die Beamten wurden zu Verwaltungsfunktionären ihrer selbst.104 Der Stuttgarter Oberlandespräsident schrieb am 12. Januar 1945 an die Gerichte seines Bezirks, in Heilbronn seien «durch Feindeinwirkung sämtliche Talare vernichtet worden. Ich bitte daher bei pensionierten Richtern und den Angehörigen gefallener oder gestorbener Richter Ihres Bezirks anzufragen, ob sich in ihrem Besitz noch verwendbare Talare befinden und ob sie zur Veräußerung bereit sind, gegebenenfalls zu welchem Preis.»105 Bis Ende des Monats kamen aus verschiedenen Beständen Talare und Barette für fünf Richter zusammen. Die Lebenden liehen sich die Gewänder der Toten, während sie selbst dem Untergang entgegenjudizierten. Fiat iustitia et pereat mundus? Der Jurist entrüstet sich über den vermeintlichen Fanatismus des Konjunktivs.106 Dabei ist es gerade der Realis, der viel mehr verstört: Und wenn die Welt zugrunde geht – Recht findet statt.

§ 2.

Das Recht der guten Leute: Auf den Spuren der deutschen Seele

Neustadt, eine Montage DasNeustadt, Recht dereine guten Leute Montage

«Neustadt» ist kein Name, der seinem Erfinder besondere Originalität bescheinigen würde. Dutzende Orte in Deutschland tragen diesen Namen. Die 1944 gedruckte Gerichtsorganisation des Deutschen Reiches enthält alleine fünfzehn Amtsgerichte Neustadt, deren Individualität auf Zusätze wie «Aisch», «Tafelfichte» oder «Waldnaab» angewiesen war. Das hier beschriebene Neustadt – korrekt müsste es wohl heißen: Neustadt a.W. (am Wassersturz) – taucht dort nicht auf. Neustadt a.W. ist eine Montage aus den Hinterlassenschaften anderer Gerichte. Den Kern bilden die Quellenbestände zweier kleiner Gerichte, fehlende Fragmente wurden gelegentlich ergänzt durch Rückgriff auf die Archive einiger weiterer kleiner Gerichte – wie unschwer zu erkennen, sämtlich aus dem südwestdeutschen Raum. Im Hintergrund rauschen die Akten aus der großen weiten Welt. Aus der Zusammenschau dieser Quellen ist eine Collage entstanden, zusammengeschnitten aus dem Nachlass von Amtsgerichten wie Landsberg und Freiburg, Friedland und Kirchberg, unauffällige, periphere Orte, an denen es so zugegangen sein mag wie es im Folgenden beschrieben wird. Am Ende dieser Verdichtung steht Neustadt a. W. mit seinem

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Das Recht der guten Leute

kleinen Amtsgericht. Kein Umstand ist hinzugedichtet oder verschönert oder abgeändert worden. Alle Fälle haben sich in dieser Zahl und in dieser leeren Prächtigkeit so zugetragen, wie sie hier geschildert werden; die Richter haben ihre Personalbögen beschrieben, die Anwälte ihr Geld verdient, die guten Leute die Geschäftsstelle besucht und die Justizstatistik gefüllt – nur eben nicht in Neustadt.

Im Schatten des deutschen Waldes Im Schatten des deutschen Waldes

Unser Neustadt war an drei Seiten von Wald begrenzt. Der Ort lag am Ende eines Tals, das ein Fluss durch das Mittelgebirge gegraben hatte. Das Wasser kam aus einem Höhenzug, ergoss sich über einen mittelstarken Wasserfall – etwas zu opulent als «Neustädter Wassersturz» bezeichnet – in die Senke, in der Neustadt sein Plätzchen gefunden hatte, und floss dann friedlich durch das Tal. Seit unvordenklichen Zeiten begleitete eine Straße das Flüsschen, eigentlich nur ein schmales Sträßchen, für die Neustädter aber gleichwohl das Tor zur Welt. In allen anderen Richtungen stieß man bald auf dicht und hoch bewachsene Hügelketten, die dem tief liegenden Ort die freie Aussicht selbst auf den Himmel empfindlich einschränkten. Die Ur-Neustädter hatten sich vermutlich an dieser Stelle niedergelassen, um im felsigen Untergrund der Umgebung Eisenerz zu fördern. Eine Urkunde von 1137 sprach erstmals von «innerm Eisenärtzt», das die «Herren vom Neuenstadt» erfolgreich geschürft hätten, und das war auch das Datum, das man gemeinhin für die Stadtgründung ansetzte. Im 20. Jahrhundert war davon nur noch eine blasse Erinnerung geblieben. Seit langem war es der Wald, in dem der bescheidene Unternehmergeist der Neustädter seinen engsten Verbündeten fand. Wer nicht in der Landwirtschaft arbeitete, der nutzte die natürliche Allianz mit dem Holz, sägte,

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hobelte, tischlerte, drechselte oder arbeitete in einer der beiden Papierfabriken. Entsprechend fürsorglich war die Pflege, die man dem Neustädter Wald angedeihen ließ. Die oberste Maxime bestand darin, dem «Wald eine ewige Dauer» zu verschaffen, wofür der Doyen der deutschen Forstwirtschaft, Georg Ludwig Hartig, 1791 die beständige «Nachzucht des Holzes» als das probate Mittel erkoren hatte.1 Ewiger Wald, ewiges Leben! Die Neustädter mussten sich nicht vorwerfen lassen, diesen Grundsatz je missachtet zu haben. Was könnte es sonst noch Besonderes geben? Der Vollständigkeit halber seien erwähnt: die alte Realschule, eine kleine Dorf- und zwei ansehnliche Stadtkirchen, die Miniaturporzellansammlung des Barons Mintz, eine liebevoll unterhaltene Zusammenstellung alter Münzen und Briefmarken, die es im Rathaus zu besichtigen gab, ein großzügiges Hallenschwimmbad und natürlich der Neustädter Wassersturz, den man nicht ganz zu Unrecht für eine auch überregional bekannte Sehenswürdigkeit hielt. Auf Imponierenderes durfte man in Anbetracht der waldigen Geografie kaum hoffen, auch nicht, nachdem sich die Eisenbahn am Ende des 19. Jahrhunderts einen Weg in das Tal gebahnt hatte und die Zahl der Einwohner auf über zehntausend gestiegen war. Aber der Welt zu imponieren war ohnehin das Letzte, was man in Neustadt wollte. Das Beschauliche, Abseitige, auf eine beruhigende Art Berechenbare kam dem Gemüt der Neustädter sehr viel eher entgegen. Eine echte Blütezeit hatten die Jahrhunderte dem Städtchen zwar vorenthalten, aber da seine Bewohner traditionell über die glückliche Gabe verfügten, ihre Ansprüche mit den äußeren Möglichkeiten in gesunder Übereinstimmung zu halten, durfte man auf so etwas wie ein solides Dasein blicken. Seit Jahrzehnten hielt sich hartnäckig das Gerücht, Goethe habe im November 1806 einmal zufällig eine Nacht in Neustadt verbracht und dem Ort, sichtlich beeindruckt von dem beinahe allgegenwärtigen Wald, eine «verschattete Existenz» zugesprochen. Obwohl sich weder für

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diese Einschätzung noch überhaupt für Goethes Besuch verlässliche Belege finden ließen, bildete diese «verschattete Existenz» einen festen Bestandteil der Neustädter Identität. Dass damit kein Defizit beschrieben sei, verstand sich für die Mehrheit der Neustädter von selbst. Goethe habe, so die gängige Lesart, seine Anerkennung für Gedanken und Taten ausgesprochen, die über Jahrhunderte hinweg, ohne auf Moden und Äußerlichkeiten zu achten, dem untrüglichen Gespür dafür folgten, was sich gehöre und was nicht. Man gewähre neben Gott lediglich der Heimat einen sentimentalen Vorschuss, misstraue der verzerrenden Kraft der Leidenschaft und benötige keine Eskapaden, um dem Leben Sinn und Erfüllung zu geben; man kaufe keine Taube auf dem Dach und kein Getreide auf dem Halm; man mache keine großen Sprünge, falle deshalb aber auch nicht tief. Mäßigung, Bodenständigkeit und Besonnenheit, Gottesfürchtigkeit und ein gesunder Patriotismus seien also die Kennzeichen des echten Neustädters. Dies «verschattet» zu nennen bleibe natürlich jedem und gerade einem Manne wie Goethe anheimgestellt; die gebildeten Neustädter hielten insgeheim gleichwohl «bukolisch» für das passendere und dem Dichterfürsten angemessenere Attribut. In der Diktion der übrigen Bevölkerung dagegen bevorzugte man die schlichtere Feststellung, bei den Neustädtern handele es sich einfach um «gute Leute».

Germanische Sonne Germanische Sonne

Wie bei allen «guten Leuten» hat das Recht auch bei den Neustädtern eine lange Tradition. Die Schnittmenge, die sich aus den echten Neustädter Rechtsgeschichten bilden lässt, sieht in etwa so aus: Seit den Tiefen des Mittelalters wurden von den unterschiedlichsten Obrigkeiten Ansprüche auf das eingesessene Volk erhoben, die ein etwas verworrenes Neben- und Nacheinander der verschiedensten Jurisdiktionen zur Folge hatten. Da deren unmittel-

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Germanische Sonne

bare Austragung vor Ort aber nicht nur ein Gebot der politischen Symbolik war, sondern bereits von der ungünstigen Verkehrslage geradezu erzwungen wurde, hatte sich im Lauf der Jahrhunderte eine Vielzahl von Neustädtischen Gerichtsherrn und Gerichtsinstitutionen angesammelt. Vom Gerichtsbaum, dem Gogericht und dem ehrwürdigen Thing über Bauern- und Lehnsgerichte, Burggrafen-, Schultheißen- und Salzgrafengerichte, die verschiedensten Ämter, Freigerichtsstätten, Rügegerichtshütten und Regierungen bis hin zu Patrimonialgerichten war in Neustadt eigentlich alles irgendwann einmal aktenkundig geworden, was die deutsche Rechtsgeschichte an Gerichtsformen zu bieten hat. Lange Zeit hatte man Rechtsstreitigkeiten auf dem Marktplatz verhandelt, dorthin Bänke und Stühle aus dem Rathaus gebracht und – je nach Bedarf – den Pranger aufgestellt. Irgendwann erhielten die Bänke ein Dach, das erst aus Holz gefertigt war, bevor es zu Beginn der Neuzeit dank der großzügigen Spende eines örtlichen Papierunternehmers in Stein gebaut werden konnte. Schließlich wurde die ganze Gerichtsstätte dauerhaft dem Rathaus angegliedert. Trotzdem hatten die Neustädter lange Zeit ein eher misstrauisches Verhältnis zum unübersichtlichen, ja dämmrigen Verlauf ihrer eigenen Geschichte, das erst spät aufklarte. Zunächst war es das neue Gerichtsverfassungsgesetz von 1877, mit dem das soeben geschaffene Deutsche Reich Instanzenweg und Rechtsprechungsorgane einheitlich regelte. Der nunmehr fast ausnahmslos gültige Standard von Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht und Reichsgericht war zwar in jeder Hinsicht praktisch, zugleich aber von einer Monotonie, die die gewundene Vorgeschichte des neuen Amtsgerichts Neustadt mit einem Male reizvoll und ihre oftmals unerklärlichen Wandlungen auf anziehende Weise sagenhaft erscheinen ließ. Der zweite große Schritt kam 1933. Die Fackelzüge von Berlin hatten dem Flug der deutschen Seele eine historische Stimmigkeit verliehen, die auch auf den Neustädter Umgang mit der eigenen

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Geworfenheit beruhigend wirkte. Das Zwielichtige der Neustädter Rechtskultur, das zunächst Scham und dann bescheidenen Forscherehrgeiz geweckt hatte, wandelte sich nun in einen allerorts gepriesenen Vorzug, war es doch in der neuen Ordnung der unwiderlegliche Beleg dafür, dass Neustadt historisch schon immer auf der richtigen Seite gestanden habe. Nur im Unergründlichen konnte echte deutsche Innerlichkeit eine Heimat finden; gerade dort, wo sich die Spuren im Dunkel des Mittelalters verliefen, wo das Leben des Rechts sich – unverstellt von akademischem Dünkel – auf Triften und Schollen abgespielt hatte und wo sein Wirken mehr erfühlt als erforscht werden konnte, da durfte man die Quellen eines wahrhaft deutschen Gemeinrechts vermuten. Im bislang so unauffälligen Schattenreich von Neustadt schien die neue germanische Sonne.

Fernab des Krieges Fernab des Krieges

Für die kommenden tausend Jahre war man in Neustadt also gut gewappnet. Über Nacht war die eigene Lebensform zur Avantgarde geworden. Die Volksgemeinschaft fand in Neustadt ein beträchtliches Reservoir an gesunden und verlässlichen Genossen, die sich bereitwillig in NSDAP und SA zusammenfanden, um die arische Überlegenheit gemeinsam zu zelebrieren. Die waldige Einrahmung des Ortes war nun Standortvorteil, Behausung der deutschen Seele, Naturdom des Herrenmenschen und Wurzelwerk seines völkischen Daseins; ein unübersehbares Schild mit der Aufschrift «Juden sind in unsern deutschen Wäldern nicht erwünscht» war die logische Folge.2 Jüdische Familien hatte es in Neustadt ohnehin nur sechs gegeben, von denen bis 1938 fünf ihr Heil in der Ferne suchten; lediglich bei der sechsten wurde 1942 eine Evakuierung «in den Osten» erforderlich. Da der Neustädter Charakter der Ausbildung pazifistischer, kommunistischer

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oder sonstwie extremer Neigungen ohnehin nicht förderlich gewesen war, durfte sich der Ort schon im März 1933 im Grunde als gleichgeschaltet ansehen. Das Amtsgericht war da keine Ausnahme. In seinem Dunstkreis bewegten sich zwei Richter und zwei Anwälte, dazu der übliche Stab aus Angestellten, Kanzlisten, Schreibkräften, Wachtmeistern sowie ein Justizoberinspektor, der die Geschäfte der Staatsanwaltschaft versah. Wer von ihnen dem Ruf des Führers folgte und der Partei beitrat, tat diesen offiziellen Schritt mehr der guten Ordnung halber, bestanden an der politischen Zuverlässigkeit der Neustädter Rechtsverwaltung doch ohnehin keine Zweifel. Viele Möglichkeiten, die eigene Gesinnung unter Beweis zu stellen, boten sich ansonsten nicht. Das Neustädter Rechtsgeschehen war genauso übersichtlich, maßvoll und bescheiden wie die Neustädter selbst: Nachbarn, die gerichtlich zur Ordnung gerufen werden mussten, Sturmschäden, über deren Beseitigung Uneinigkeit bestand, verkaufte Milchkühe, die zu wenig Milch gaben, schadhafte Reparaturen, nicht bezahlte Rechnungen, Mietstreitigkeiten, Hausratsauseinandersetzungen, dazu kleinere Diebstähle, Raufereien, Beleidigungen, was immer das Leben in einem kleinen Städtchen eben an Verwicklungen bereithielt. Auch wenn sich ein Großteil dieser – wohl auch bei «guten Leuten» unvermeidlichen – Fehltritte ohne größeren Aufwand mithilfe von Strafbefehlen und Verfahrenseinstellungen erledigen ließ, waren die Neustädter Rechtsarbeiter zu Friedenszeiten ordentlich ausgelastet, schließlich hatten sie neben der Pflege des Straf- und Zivilrechts auch noch Grundbücher zu führen, Vormundschaften zu beaufsichtigen und die gerichtsinterne Verwaltung zu erledigen. Der Krieg brachte diese friedlichen Verhältnisse nur langsam in Unordnung. Die jungen Männer kamen, wie überall, an die Front. Für Ersatz sorgten, wie überall, Zwangsarbeiter aus Ost und West. Bei Kriegsende waren gut tausendfünfhundert von ihnen in der Neustädter Land- und Forstwirtschaft im Einsatz. Für Luftangriffe

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jedoch war der Ort nicht attraktiv. Im fast 50 Kilometer entfernten Lundheim mit seiner Rüstungsindustrie und seinem Flughafen fanden die alliierten Bomber ein ergiebigeres Ziel. Dorthin sah man ab 1942 die feindlichen Maschinen fliegen, und von dort musste man immer mehr Ausgebombte aufnehmen. Ihr Lamento über die Zerstörungen löste bei allem Schaudern auch eine klammheimliche Genugtuung aus, war doch die metropole Arroganz in den Gesichtern der Ankömmlinge allzu deutlich dem blassen Neid über das heile, satte Leben in der Kleinstadt gewichen. Intimere Kenntnis vom Krieg gewann man in Neustadt nicht. Selbst als der Krieg zum totalen Krieg gesteigert wurde, blieb das Neustädter Stadtbild verschont. Namentlich das Amtsgericht kam ohne Blessuren davon. Rein faktisch gab es immer weniger zu tun, das schon. 1931 hatte man noch mehr als 1500 Verfahren zu erledigen gehabt. Danach ging es kontinuierlich bergab, eine Entwicklung, die sich im Krieg noch einmal beschleunigte. 1939 waren noch 350 Fälle übrig, danach brach jedes Kriegsjahr rund ein Viertel der noch vorhandenen Geschäfte weg, sodass man 1944 auf gerade einmal 61 mageren Fällen saß. Im Strafrecht sank der Pegelstand etwas langsamer. Zwar machte sich der Verlust an jungen Männern, denen die Kriminalstatistik in der Regel den größten Zufluss verdankte, deutlich bemerkbar. Aber Ausgebombte und Zwangsarbeiter sorgten für einen gewissen Ausgleich, außerdem schuf der Krieg Verhältnisse, in denen die Achtung vor Mein und Dein keine zentrale Rolle mehr spielte. 1944 verlangten noch gut 90 Zwischenfälle nach einer strafrechtlichen Behandlung.3 Die große Schließungswelle, die 1943 über das Justizwesen rollte, hätte das kleine Neustädter Amtsgericht deshalb nicht überleben dürfen. Auch mit allen Gehöften, Flecken und Weihern in der Umgebung zusammen kam man kaum auf zwanzigtausend Gerichtseingesessene, deren Bedarf an juristischen Dienstleistungen sich, normativ gesehen, ohne Weiteres von einem anderen Gericht aus hätte bedienen lassen. Dass der Neustädter Rechtspflege unter

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keinem Gesichtspunkt strategische Bedeutung zukam, lag auf der Hand. Aber hier, im Schutz des Waldes und seiner Launen, stieß auch der totale Staat an seine Grenzen. Der Zug kam nur zweimal am Tag, und das schmächtige Sträßchen, das Neustadt Zugang zum Reich verschaffte, war vor allem während der Wintermonate zu häufig unpassierbar, um die Neustädter an ein anderes Gericht verweisen zu können. Die Justizverwaltung hatte bald ein Einsehen, weniger wegen der jahrhundertelangen Gerichtstradition, die die Neustädter ins Feld führten, als aus Rücksicht auf den Fahrplan der Eisenbahn, der auswärtige Termine ohne Übernachtung fast unmöglich machte. Dass man aber für eine Zeugenaussage oder gar eine Grundbuchangelegenheit schlecht zwei Arbeitstage opfern konnte, stand außer Frage.4 Der Schatten des Waldes bewahrte also nicht nur die Neustädter vor den alliierten Angriffen, er bewahrte auch ihr Amtsgericht vor der kriegsbedingten Schließung.

Die Rechtswahrer der Provinz Die Rechtswahrer der Provinz

Damit ist nicht gesagt, dass der Krieg sich auf die Geschäfte des Amtsgerichts nicht spürbar ausgewirkt hätte. 1940 wurden erst ein Richter und dann ein Anwalt eingezogen. Ab dem zweiten Kriegsjahr waren Justiz und Anwaltschaft jeweils Einmannbetriebe, und doch durften sie ihr kleines Reich auch nach Stalingrad und Sportpalast weiter bewirtschaften. Zurückgelassen hatte der Krieg Amtsgerichtsrat Eugen Thalmann, der bereits seit 1914 am Gericht in Neustadt tätig war, und Karl Dürr, seit 1925 erst Rechtsanwalt, dann Rechtswahrer aus Leidenschaft. Beide stammten zwar aus der Gegend, waren aber nicht in Neustadt geboren und hatten die Tätigkeit im dortigen Sprengel zunächst auch nur als eine Übergangszeit aufgefasst, die ein Ruf nach höheren Aufgaben irgendwann beenden würde. Allein, der Ruf erging nie, und so wurde aus dem Übergang irgendwann ein Dauerzustand.

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Rechtsanwalt Karl Dürr hatte mit bescheidenem Erfolg studiert, den Anwaltsberuf jedoch aus echtem Interesse ergriffen und dafür offensichtlich auch ein gutes Gespür entwickelt. In die Gründungsphase seiner Kanzlei fiel die Weltwirtschaftskrise, für einen Anwalt keine schlechte Zeit, weshalb Dürr der Kargheit der Neustädter Verhältnisse schon früh ein stetes Einkommen abgewinnen konnte. Im Oktober 1933 freilich gab er in einer Gastwirtschaft auf Nachfrage die juristische Einschätzung ab, «eine gesetzliche Verpflichtung zum Gruße der Hitlerfahnen bestände nicht», was ihm eine Geldbuße und eine – akquisitorisch ungünstige – Notiz in der Zeitung einbrachte. Sein Einkommen halbierte sich auf 2300 RM im Jahr. Dürr machte das Beste aus der Situation: Er trat in die SA ein, schloss sich dem Rechtswahrerbund und der Volkswohlfahrt an, blieb der Partei selbst aber fern und verließ nach einigen Monaten unter Verweis auf seinen ungebrochenen katholischen Glauben auch die SA wieder. Dieses distanzierte Verhältnis zu dem Regime habe ihm, so berichtete er rückblickend, «von Jahr zu Jahr sich steigernde Schikanen» eingebracht: Einmischungen, Vorladungen, Nachfragen, 1936 einen durch drei Instanzen geführten Rechtsstreit, um für seinen zweiten Sohn den frommen Beinamen Ignatius zu erkämpfen, 1937 gar ein Plakat mit der Aufschrift «Zum Judenknecht Dürr» an seiner Kanzlei, weil er «bis zuletzt noch die hier wohnenden Juden … vertreten» habe.5 Ein oppositioneller Geist war Dürr trotzdem nicht. Bei all den Schwierigkeiten, von denen er berichtete, ist zu berücksichtigen, dass sie durch die Monopolstellung, die er seit 1940 genoss, finanziell mehr als kompensiert wurden. Die kleine Welt von Neustadt erwies sich für Dürr langfristig als lukratives Pflaster. Sein Einkommen stieg nach 1934 Jahr für Jahr an, bis es 1943 den stattlichen Wert von 11 173,– RM erreicht hatte; Eugen Thalmann, der dank seiner langen Berufserfahrung bereits in der obersten Gehaltsstufe logierte, kam als Richter auf nicht einmal 9000,– RM.6 Thalmann war damit durchaus zufrieden. Er war ein schlechter

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Jurist mit zwei schlechten Examina und einer Mensurnarbe im Gesicht. Nach dem Studium hatte er sich verschiedentlich als Anwalt und als Hilfsarbeiter der Staatsanwaltschaft durchgeschlagen, bevor er 1914 zum Amtsrichter in Neustadt ernannt wurde. Eine Verbrühung am Fuß bewahrte ihn vor dem Kriegseinsatz, größeren Karrieresprüngen stand seine übersichtliche Begabung im Wege, also blieb Thalmann Amtsrichter in Neustadt, heiratete eine resolute Frau, adoptierte einen Sohn  – das uneheliche Kind einer Bauernmagd, dessen kriminellen Vater er als Angeklagten im Gerichtssaal kennengelernt hatte –, trat aus der Kirche aus und engagierte sich in der Anthroposophischen Gesellschaft. Sechzehn lange Berufsjahre fiel er nicht negativ auf, weshalb ihm die Justizverwaltung 1930 mit fünfundfünfzig eine Beförderung zuteil werden ließ; da Thalmann bis dahin allerdings auch nicht positiv aufgefallen war, konnte man seinen Karrieresprung mit bloßem Auge kaum erkennen. Thalmann wurde vom Amtsrichter zum Amtsgerichtsrat erhoben, Dienstort Neustadt. Alles blieb, wie es war. Zum 1. Mai 1933 trat er auf Empfehlung des Richtervereins der NSDAP bei, kurz darauf dem Rechtswahrerbund und der Volkswohlfahrt, wurde Luftschutzwart und Kreisrechtsberater. 1939 fasste ein Zeugnis des Landgerichtspräsidenten zusammen: «Er ist fleißig und pünktlich. Seine Führung und sein Charakter sind gut; doch ist er etwas empfindlich und fühlt sich leicht gekränkt. Er liebt Wahrheit und Gerechtigkeit. Politisch ist mir nichts Nachteiliges über ihn bekannt, auch habe ich keinen Anlass an seiner persönlichen Einsatzbereitschaft zu zweifeln. Er ist gesund.»7 Die Umstände waren diesem unspektakulären Tun gnädig gesinnt. Im Strafrecht war Thalmann zumeist der einzige Volljurist im Gerichtssaal; kaum ein Angeklagter konnte oder wollte sich einen Anwalt leisten, und der Amtsanwalt war mehr Verwaltungsmann denn Jurist. Thalmann sah sich, in aller Bescheidenheit, als so etwas wie der weise Mann von Neustadt, leutselig, volksnah, anders als «die hohen Herren» am Oberlandesgericht oder gar in Berlin, von

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denen er zwar keinen kannte, die er aber trotzdem als dumpfe intellektuelle Bedrohung empfand. Nationalsozialismus und Krieg unterstützten dieses Gefühl erheblich. Der ideologische Widerwille gegen formale Strenge und die rein praktisch immer weiter um sich greifende Unmöglichkeit, den Verfahrensvorschriften der Prozessordnungen bis ins letzte Detail Genüge zu leisten, hatten gerade an den kleinen Amtsgerichten selbst verdruckste Justizbürokraten wie Thalmann zu Richterkönigen geadelt. Aus dem Reichsjustizministerium war immer wieder die Aufforderung gekommen, Strafsachen von minderer Bedeutung großzügig einzustellen,8 was Thalmann tatsächlich großzügig interpretierte, indem er darin nämlich einen allgemeinen Auftrag erblickte, rechtlichen Erörterungen nicht allzu viel Bedeutung beizumessen. Ein kluges Wort hier, eine strenge Ermahnung dort, das wog mehr als aller juristische Feinsinn. Als schließlich noch die Weisung erging, insbesondere im Strafrecht die Begründung eines Urteils auf ein volkstümliches Minimum zu reduzieren,9 da sah sich Thalmann endgültig als Herold einer höheren Weisheit, den man weniger wegen juristischer Fachkenntnisse als wegen seiner Einblicke in die Geheimnisse des Lebens um Rat anging.

Jahreschronik des Neustädter Strafrechts Jahreschronik des Neustädter Strafrechts

Dürr und Thalmann, diese beiden Allerweltsjuristen waren es, denen die Verwaltung der Neustädter Rechtsangelegenheiten oblag, die auch im Krieg juristische Allerweltsangelegenheiten geblieben waren, zahlenmäßig dezimiert zwar, aber dem Reichtum des Lebens noch immer so nahe wie zu Friedenszeiten. Für die schlimmsten Entgleisungen der Bürgerinnen und Bürger war man in Neustadt ohnehin nicht zuständig. Die politische Verderbnis blieb den Behörden in Lundheim überlassen: die Volksschädlinge, Plünderer, Wehrkraftzersetzer, Defätisten, Schwarzschlachter,

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Jahreschronik des Neustädter Strafrechts

Lebensmittelkartenbetrüger, die mit einer verstörend routinierten Bearbeitung zu rechnen hatten. Das hatte jedenfalls in einer vertraulichen Minute Karl Dürr berichtet, der nach dem letzten großen Luftangriff als einer der wenigen nicht ausgebombten Rechtswahrer zum Soforteinsatz ans Lundheimer Sondergericht gebeten worden war. So schlecht, dachte sich Eugen Thalmann in derlei Momenten, hatte er es in Neustadt wahrlich nicht getroffen. Und so verteilte er auch im Jahr 1945 unter der Schirmherrschaft der Neustädter Justitia seine Zauberformeln unter den guten Leuten. Von Januar bis April 1945 weist die Überlieferung für jede Woche zwei neue Fälle aus, zusammengetragen aus allen Winkeln des strafrechtlichen Universums: winzige Übertretungen, kleinere Vergehen, größere Verbrechen. Den Aktenzeichen nach zu urteilen, ist etwa die Hälfte der Vorgänge erhalten geblieben. Verbleib und Inhalt der übrigen Akten sind unbekannt; ob sie Opfer eines zufälligen Verlustes oder der planvollen Vernichtung wurden, ließ sich nicht ermitteln. Dass sie Nachrichten von der dunklen Seite des Mondes enthalten, ist deshalb nicht auszuschließen; freilich hat die Durchsicht mehrerer vergleichbarer Bestände keinerlei entsprechende Anhaltspunkte geliefert. Die Jahreschronik des Neustädter Strafrechts beginnt mit einer Schneeballschlacht. Einige Jugendliche hatten sich am Neujahrstag im Schnee vergnügt, bis einer von ihnen die Gunst der Stunde nutzte und einer ihm missliebigen Nachbarin einen Schneeball ins Gesicht warf. Zur Rede gestellt, verlegte er sich zunächst auf heuchlerische Erschrockenheit, wurde jedoch bald ausfällig und ließ sich schließlich zu einer leichten Ohrfeige hinreißen. Bestürzung allerorten, polizeiliche Betriebsamkeit, eine rasche Anklageschrift. Thalmann reagierte milde. Nach kurzer Sitzung degradierte er die ohne Zweifel vollendete Körperverletzung zur «Buberei» und zum «Lausbubenstreich», rügte den Delinquenten, er sei gleichwohl «zu weit gegangen», weshalb er für ein Wochenende in den Karzer müsse, während zu guter Letzt der Staat, der ja doch über

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allem wachte, die Kosten zu tragen hatte. Das war am 10. Januar 1945,10 und damit war der Rahmen auch für die nächsten Monate abgesteckt: Die Neustädter Pastorale fand selbst noch in den Missetaten der Bewohner Nachhall und konnte meist in einem oder zwei nachsichtigen Sätzen ohne großes juristisches Brimborium abgehandelt werden. Weitere Jugendsünden: Drei Lehrlinge warfen aus Jux Steine auf ein Haus und beschädigten dabei dreiundzwanzig Ziegel im Gesamtwert von 40,– RM, für Thalmann eine «unverschämte Buberei», wo doch Arbeitskräfte und Material Mangelware seien. Zwei Wochen Jugendarrest waren die Folge.11 Ein Sechzehnjähriger fälschte einen Abholschein für zwei Koffer und löste sie aus der Bahnhofsverwahrung aus, was bei seinem Vater angesichts der kriminologisch ergiebigen Vorgeschichte seines Sohnes auf derartige Erbitterung stieß, dass er in der Hauptverhandlung Anfang Februar zischte, es sei am besten, «wenn man den Jungen totschlagen würde». So ging es nun auch nicht; Thalmann beschwichtigte, vermittelte, und am Ende standen vier Wochen Jugendarrest.12 Anfang März sah ein anderer Sechzehnjähriger ein unbewachtes Auto der Waffen-SS herumstehen und drehte eine kleine Runde: Fahren ohne Führerschein und Diebstahl von Treibstoff, dafür aber ein guter Leumund und ein verlässliches Engagement in der HitlerJugend – fünf Tage Jugendarrest, das sollte genügen.13 Auch die Erwachsenen benahmen sich im Großen und Ganzen friedlich. Ein Herr führte eine Dame zum Essen aus; die von ihm mutmaßlich gehegten Hintergedanken drohten von einem Platzregen durchkreuzt zu werden, woraufhin er in dem Restaurant kriminell rührend unbegabt zwei Regenschirme einsteckte. Thalmann zeigte Feingefühl, bescheinigte dem Dieb, ein «unglücklicher Kavalier» zu sein, und belegte ihn mit einer Strafe von 200,– RM – für den Täter bloß ein halbes Wochengehalt, für die meisten Neustädter aber ausreichend, um den Mangel an Regenschirmen wenigstens symbolisch anerkannt zu sehen.14 Auch für zwei Franzosen,

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die einen fetten Stallhasen aus einem Gartengrundstück gestohlen hatten, fand Thalmann die passenden Worte. Er verhängte lediglich drei Wochen Haft, weil doch die «Versuchung, sich auf diese Weise einen Festtagsbraten zu verschaffen, groß war».15 Ein anderer Franzose freilich musste etwas fester angepackt werden. Er wurde bereits im Gerichtsgefängnis verwahrt, fand dort einen Schlüsselbund, der ihn irgendwann in die Fleischkammer der Anstalt brachte, der er im Laufe mehrerer Tage insgesamt 17 Kilogramm Fleisch und 12 Paar Bratwürste entnahm. Eine solche Hemmungslosigkeit brachte auch die tiefe Neustädter Seelenruhe aus der Fasson. Sicher, Thalmann attestierte «starken Hunger», zudem konnte ein deutscher Mitesser dingfest gemacht werden, aber die hinuntergeschlungenen Fleischberge waren trotzdem derart maßlos, dass man die fünf Monate Haft, die Thalmann dafür auswarf,16 insgeheim für einen Beleg germanischen Edelmuts hielt. Die kleine Neustädter Volksgemeinschaft war insgesamt durchaus zufrieden mit sich. Es geschah nur wenig, wofür man kein Verständnis aufbringen könnte. Am 11. März 1945, dem siebten Jahrestag der furiosen Verwandlung Österreichs in die Ostmark, wurde im einzigen Kino der Stadt die Schmonzette Wir bitten zum Tanz gezeigt, obwohl die Behörden diese rührselige Erinnerung an das alte Wien für diesen Tag nicht freigegeben hatten. 50,– RM machten den Fauxpas wieder wett.17 Eine Bäuerin versteckte bei der Viehzählung eine Gans und sechzehn Hühner, um bei der Hochzeit ihrer Tochter eine reiche Tafel anbieten zu können. Die Volksgemeinschaft hatte man als Konzept durchaus verstanden, aber wenn es dem Einzelnen nicht gut ging, dann konnte es dem Volk doch erst recht nicht gut gehen, und so brauchte der oft gepredigte Vorrang des Gemeinnutzes denklogisch eine Fundierung im Eigennutz. Wie auch immer: Die Betroffene erhielt einen Strafbefehl über 200,– RM. Mit dem ging sie zu Dürr, der ihr zu einem Einspruch riet – nicht so sehr wegen der materiellen Rechtslage, die sich in solchen Dingen schwer einschätzen ließ, als vielmehr aus

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langer Erfahrung mit dem Neustädter Naturgesetz, wonach der Einspruch gegen einen Strafbefehl grundsätzlich dessen Halbierung zur Folge habe. So geschah es auch hier.18 Ein anderer Neustädter, der seine Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft ebenfalls kurzzeitig privatisiert hatte, wurde mit 50,– RM wieder zurück ins Reich geholt. Er hatte einem ausgebombten Ingenieur aus Lundheim gegenüber wahrheitswidrig behauptet, er habe kein Bett mehr übrig und könne deshalb niemanden aufnehmen. Ruhe, so machte er bei der Anhörung vor Gericht geltend, bedeute ihm viel, seine Frau sei herzkrank, außerdem habe er nicht gewollt, dass auch das letzte Bett verunreinigt würde. Im Neustädter Kosmos waren das keine abwegigen Einlassungen. Man habe es nur mit einem leichten Fall zu tun, urteilte Thalmann über den Angeklagten, da aber «immerhin sein Verhalten unschön war», sei gleichwohl eine Strafe von 50,– RM unausweichlich.19 Noch günstiger wurde es für eine Angeklagte, die sich für eine Strategie der konformen Obstruktion entschieden hatte: «Als am 8. XII. 1944 die aus 3 Köpfen bestehende Familie Weitner bei ihr untergebracht werden sollte, benahm sie sich so, dass die Leute gerne wieder fortgingen», eine unsolidarische Gehässigkeit, die Thalmann mit einem Strafbefehl über 30,– RM ahndete.20

Eine Frage der Ehre Eine Frage der Ehre

Schmuddelig wurde es nur in zwei Fällen. Ein schwer versehrter Soldat, der seit seiner Rückkehr von der Front als Pförtner arbeitete, hatte unter Beobachtung zweimal «mit Front gegen die Straße  … sein Geschlechtsteil herausgenommen und daran gerieben, bis Samenerguß erfolgte». So ging es natürlich nicht. Freilich wusste jeder, dass der Betroffene schon vor seiner Kriegsverletzung nur wenig Aussicht auf weibliche Nähe gehabt hatte; die Reue war allein wegen der öffentlichen Schande glaubhaft, und

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Eine Frage der Ehre

Wiederholungsgefahr hielt man allgemein für ausgeschlossen. Thalmann wollte aus generalpräventiver Sicht auf zwei Wochen Haft nicht verzichten, milderte die Sanktion in Anbetracht des eklatanten Pförtnermangels in Neustadt jedoch auf eine Geldstrafe von 150,– RM ab.21 Etwas anders gelagert war ein Fall, der sich Ende Februar zutrug. Ein Fremdarbeiter aus dem Osten lebte seine Geschlechtslust auf einem Melkkübel stehend mit einer Kuh aus. Die Technik habe ihm ein Kollege empfohlen, zur Anwendung gebracht habe er sie vor allem deshalb, so legte ihm das Protokoll in den Mund, «weil ich dumm war». Thalmann verhängte vier Wochen Haft. Die vollständige Begründung: «Er ist ein minderwertiger Mensch, der nie ein wertvolles Glied einer Volksgemeinschaft werden wird. Er konnte mit seiner Tat nicht allzuviel Menschenwürde aufgeben.»22 So einer, fand man in Neustadt, richtete sich selbst. Nach einigen Kleinigkeiten eher technischer Art – eine Urkundenfälschung, ein Arbeitsvertragsbruch, vier kleinere Schwarzschlachtungen, die Täter alle geständig23 – hatte Thalmann kurz darauf einen wahrhaft tragischen Fall zu beurteilen. Eine junge Frau hatte abends ihr eineinhalbjähriges Kind ins Bett gebracht und war anschließend zum Nachbarn gegangen, bei dem es angeblich besser geheizt sei. Ihr Ehemann, das wusste man, war nach Hannover dienstverpflichtet worden. Ein Fliegeralarm verzögerte die Rückkehr der Frau; als sie schließlich nach Hause kam, stand das ganze Zimmer voller Rauch, weil einige Scheite am Ofen verrutscht waren und zu schwelen begonnen hatten. Das Kind war tot. Thalmann brauchte nur einen Satz, um den Fall zu lösen: «Es war wohl ein gewisser Leichtsinn, den Ofen  & das hinter ihm aufgeschichtete Holz nicht zu überwachen, dafür ist die Angeklagte aber durch den Tod ihres Kindes schon schwer gestraft.» Geboten sei eigentlich eine Haftstrafe von einem Monat, aber mit der Zahlung von 150,– RM «dürfte … der Gerechtigkeit Genüge getan sein».24 Ein Monat Haft oder 150,– RM für ein totes Kind – am vorhergehenden Sitzungstag hatte Thalmann für die intime Verbindung

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des Fremdarbeiters mit der Kuh eine Haftstrafe von einem Monat ausgerufen, zwei Wochen danach belegte er die zweifache öffentliche Ejakulation mit 150,– RM. Die Gerechtigkeit ging eigenartige Wege; sobald sie sich dem Recht anvertraute, machte sie vollkommen unvergleichliche Dinge auf unangenehme Weise vergleichbar. Nur wenn sich die Prozeduren im Neustädter Gerichtssaal anschickten, das Recht zum Forum privater Ehrpusseligkeiten zu machen, durfte man sich nicht viel erhoffen. Beleidigungen wurden seriös behandelt, das schon; die Zeugen versteckten sich nicht, die Polizei ermittelte ausgiebig. Aber zu holen war hier nur wenig. Die Verbalattacke «Ich schlag Dich krumm und lahm. Wenn Du auch der Vater des Ortsgruppenleiters bist, ich fürchte Dich nicht» beschied Thalmann mit 10,– RM; die Drohung sei nicht ernst gemeint, die dahinter verbleibende Beleidigung «belanglos».25 Aufgrund ähnlicher Erwägungen wurde die rüde Ankündigung «Ich steche Ihnen das Messer in den Bims!», mit der die Angeklagte die Überprüfung ihrer Verdunklungsmaßnahmen durch den NSDAPZellenleiter abzubrechen gedachte, mit einem Strafbefehl über 25,– RM quittiert.26 Ein Betrunkener, der einen Polizeibeamten als «Dackel», «Simpel», «Dreckseckel» und «Trieler» beschimpft und überdies in der Ausnüchterungszelle randaliert hatte, bekam eine Strafe von 60,– RM und 14 Tagen Haft; diese freilich wurden, da der Angeklagte unbescholten war und (angeblich) rüstungsrelevante Arbeiten zu erledigen hatte, gegen eine Zahlung von 140,– RM zur Bewährung ausgesetzt.27 Zum Äußersten zwangen die Neustädter ihren wackeren Amtsrichter nur ein einziges Mal: Ein einziges Verfahren musste Thalmann tatsächlich wegen Geringfügigkeit einstellen. In einem Haus am Rande der Stadt war es über Monate hinweg zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Mietern gekommen, von denen einer nachts immer wieder Radio gehört, die Türen zugeknallt, Kohlen geholt, den Ofen gerüttelt haben soll, was regelmäßig kunterbunte Beleidigungen nach sich gezogen habe. Die Betroffenen

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stritten so erbittert, dass Thalmann es plötzlich mit zwei Anwälten für Beschuldigte und Zeugen zu tun hatte, mit Dürr und einem auswärtigen Kollegen, von dem schließlich der «wahrhaftig berechtigte Zweifel» geäußert wurde, ob es «unter Berücksichtigung der heutigen Verhältnisse überhaupt tragbar» sei, in einer solchen «Lappalie» drei Juristen, die Angeklagten, Nebenkläger und zahllose Zeugen zu bemühen. Das fragte sich Thalmann auch. Aber sicher konnte man nie sein, und deshalb bestellte er lieber alle Beteiligten zur Hauptverhandlung ins Gericht. Danach hatte auch Thalmann genug. Wer wann Zigaretten aus dem Fenster geworfen, Teppiche geklopft, den Abort unsauber hinterlassen habe, wer von wem als «Sau» oder gar «faule Sau» attribuiert wurde, das war aus dem wilden Durcheinander der Zeugen beim besten Willen nicht herauszuhören. Mit dem Segen der Oberstaatsanwaltschaft stellte Thalmann das Verfahren ein, freilich nicht ohne einen letzten Appell anzubringen: «Das Gericht erwartet, dass beide Teile  – gerade in dieser gespannten Kriegszeit – alles vermeiden, was weiterhin zu Reibereien im Hause führen könnte.»28 Ein Obiter dictum, dachte Thalmann humanistisch bewegt, juristisch sicher nicht notwendig, aber doch irgendwie ein salomonischer Spruch.

Endkampf um die Kehrwoche Endkampf um die Kehrwoche

Auch das Neustädter Zivilrecht war im Krieg ziemlich unspektakulär geblieben. Zwar hatte der Krieg auch den Neustädtern Versuchungen eröffnet, denen nicht alle guten Leute dauerhaft zu widerstehen vermochten; mehr und mehr uneheliche Kinder tauchten auf, für die ein Vormund bestellt und vor allem ein unterhaltspflichtiger Vater gefunden werden musste, was ohne eine unappetitlich detaillierte Befassung mit dem Intimleben einzelner Frauenspersonen nur selten vonstattenging. Etwa ein Viertel des

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amtsgerichtlichen Pensums wurde mittlerweile von diesem Geschäft in Anspruch genommen. Aber für die beängstigende Erosion der Sittsamkeit blieb gleichwohl vorrangig das übergeordnete Landgericht in Lundheim zuständig, wo Ehen, wie man hörte, mittlerweile am laufenden Band geschieden wurden. Das Neustädter Zivilrecht bestand deshalb hauptsächlich aus Mietrecht, auch in den letzten Wochen des Endkampfs. Das war an sich nicht neu, aber im Krieg hatte sich das Mietrecht in zweifacher Hinsicht vermehrt. Zunächst hatte der Staat schon länger versucht, immer mehr Privatstreitigkeiten stillzulegen, bis bei den Amtsgerichten neben den unvermeidlichen Unterhaltssachen eigentlich nur noch das Mietrecht übrigblieb. Und dann waren die Bomben gefallen. Die vielen auswärtigen Bombenflüchtlinge, die man in Neustadt aufnehmen musste, beflügelten die einheimische Bevölkerung zu einer bislang unbekannten Prinzipienhärte. Im Gerichtssaal trafen Hegels absoluter Geist, Ernst Jüngers Stahlgewitter und Hitlers persönlicher Kampf aufeinander, um auch die bornierteste Prinzipienreiterei als mannhaften Kampf ums Recht zu verkaufen. Gemeinwohl, gliedschaftliche Bindung, völkisches Miteinander, das war alles selbstverständlich, aber trotzdem brauchte Recht dem Unrecht nicht zu weichen. Die ganz Gebildeten belogen sich mit Martin Heidegger. «Für den Spießbürger ist Kampf immer nur Zwietracht, Streit und Hader und eine Störung», hatte der Freiburger Waldphilosoph 1934 mitgeteilt, für «den wesentlichen Menschen» jedoch sei «der Kampf die große Prüfung alles Seins, in der sich entscheidet, ob wir Knechte sind vor uns selbst oder Herrn»,29 und «wesentlich», das wollten die Neustädter natürlich auch sein, erst recht im völkischen Ringen ihrer Zeit. Wie auch immer: Den Rechtsweg betraten sie ohne Vorbehalte. Selbst das erste Quartal 1945 brachte der Justizstatistik spärlichen Zuwachs, obwohl Neuzugänge nur noch im Wochenrhythmus aufliefen. Bis April kam man auf ganze vierzehn Verfahren. Gut zwei Drittel davon sind überliefert; zum Rest gibt es keine Informa-

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tionen. Aus dem, was sich erhalten hat, lässt sich ablesen, dass die Neustädter wirklich durch und durch wesentliche Zeitgenossen waren. Exemplarisch beleuchtet dies eine Klage, die Dürr am 2. März 1945 erhob. Das Gericht wolle «für Recht erkennen der Bekl. ist schuldig, 1) jede zweite Woche die Kehrwoche zu machen und dabei den Bürgersteig um das ganze Haus, den Zugang zur Haustüre, die Keller-, Bühnentreppe und den Bühnenraum jede zweite Woche zu reinigen und bei Schneefall den Schnee zu beseitigen, 2) den Küchenabfall, wie Knochen, Gemüsereste nicht auf den zur Haustüre führenden Gang ausserhalb des Hauses und nicht auf das Dach des Hühnerhauses zu werfen, 3) den Betrag von RM 45,– und vom 1. 4. 1945 RM 15,– pro Monat jeweils am 1. eines Monats zu bezahlen, 4) die Kosten des Rechtsstreits zu tragen». Da war der ganze Sinn der Neustädter für Reinheit und geordnete Verhältnisse zu besichtigen, hier sogar noch familiensoziologisch erweitert: Der Beklagte war der Schwager des Klägers, wohnte im selben Haus, und der Prozess war der dritte zwischen den Parteien binnen Jahresfrist. Der Beklagte wies einen Teil der Anschuldigungen zurück, hielt sich für berechtigt, Mietkürzungen vorzunehmen – «Im Krieg giebts keinen Mietaufschlag» – und wähnte sich im Übrigen mit der Weltgeschichte im Verbund: «Die ganze Sache ist ja so lä kleinlich, dass man annehmen müsste, wo der Feind so nah im Land sich befindet, dieses von einem Amtsgericht gar nicht angenommen wird.» «Lächerlich» war dann doch zu stark, man führte ja bereits den dritten Prozess über die vermeintliche Marginalie, aber dass Kehrwoche und Gemüsereste angesichts der drohenden alliierten Besatzung «kleinlich» wirkten, das konnte nun wirklich niemand bestreiten. Eine Woche später tagte das Gericht. Über die weltgeschichtlichen Ausführungen des Beklagten schwieg man, peinlich berührt –

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viel juristischer Sachverstand war nicht nötig, um zu erkennen, dass dem Krieg keinerlei mietrechtliche Relevanz zukam. Thalmann schuf behutsam ein wenig Rechtsfrieden. Unter tatkräftiger Unterstützung von Dürr, der seiner Mandantschaft mehrfach energisch ins Gewissen redete, schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete, «jede 2. Woche, beginnend am Sonntag, den 25. März 1945, Kehrwoche … zu machen; sowie bei Schneefall den Schnee ordnungsmässig zu entfernen» und überdies «den Küchenabfall, wie Knochen, Gemüsereste u. s. w. nicht mehr auf das Dach des Hühnerhauses zu werfen». Über den Mietzins erzielte man keine Einigung, trotzdem war es eine ansehnliche Leistung, den notorischen Streit wenigstens teilweise beigelegt zu haben.30 Thalmann war zufrieden. Und so sah das zivilrechtliche Treiben in Neustadt in den letzten Kriegsmonaten aus: keine Petitesse zu klein, keine Auseinandersetzung zu giftig, um nicht doch irgendwie vor Gericht befriedet zu werden. Wenn es der Sache dienlich war, dann scheute Thalmann auch den Augenschein nicht, nahm seinen Urkundsbeamten mit, lud die Beteiligten zum Ort des Geschehens und besichtigte im großen Aufgebot Vorplätze, Keller, Apfelhürden und Gartengrundstücke. Am 22. März – der mit dem Vergleich über die Kehrwoche so hoffnungsvoll begonnen hatte – versammelte man sich in einem schönen Mehrfamilienhaus, in dem sich die Parteien das Leben gegenseitig zur Hölle gemacht hatten. Auch hier brachte die Verhandlung einen Vergleich: Die Wäsche werde künftig im Wechsel auf dem Dachboden aufgehängt, die Klägerin dürfe Besuch von ihrer Schwester empfangen – im Krankheitsfalle sogar über Nacht –, die Kartoffeln seien so, die Äpfel dagegen anders zu lagern, und schließlich: «Die Beklagte ist damit einverstanden, dass die Klägerin ihr Handwägelchen, ihre Leiter, den Obstbrecher und den Obsthaken in der Scheuer aufbewahrt; es wird vereinbart, dass der Schlüssel zum Scheuerntor an einem hinter der Haustüre anzubringenden Nagel aufgehängt wird. Dagegen kann die Beklagte nicht

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dafür einstehen, dass ein etwaiger späterer Mieter der Scheuer ebenfalls die Unterbringung der genannten der Klägerin gehörigen Gegenstände in der Scheuer duldet.»31 Auf einem Grundstück am Stadtrand versammelte Thalmann mit Ehepartnern, Sachverständigen und Zeugen gleich zehn Leute, um eine ungünstige Zufahrt neu zu regeln. Im Vorfeld war von «Gewaltkampagne» und «Erpresserwirtschaft» die Rede, nun, von Angesicht zu Angesicht, tauschte man gegen einen kleinen Obolus einige Grundstücksteile, sodass schließlich beide Seiten besser dastanden als zuvor.32 Von anderer Stelle berichtete Dürr: «Es werden ständig Türen zugeworfen. Zwischen abends 10–11 Uhr wird noch in der Küche gespült und herumgepoltert», zudem habe sich die Klägerin anhören müssen, sie könne «nicht verrecken, sonst hätte sie der Teufel schon lange geholt!»33 Die Sache blieb einstweilen auf sich beruhen. Auf diese friedliche Weise prozessierten die Neustädter allmählich dem Endsieg entgegen. Am 6. April verhandelte das Gericht die Mietsache eines älteren Herrn, der seine bombengeschädigte Mieterin loswerden wollte. Deren Kinder hatten ihn «einen frechen Kerl» genannt, der regelmäßige Besuch unbekannter Männer tat sein Übriges.34 Im Anschluss gab es eine weitere Sitzung, Streitgegenstand: «Wiederherstellung einer Hecke». In einer seiner barocken Klageschriften – ein Jahresumsatz von 11 000,– RM wollte erst einmal erwirtschaftet sein – hatte Dürr geschildert, wie der beklagte Bäckermeister eigenmächtig eine fünfzig Jahre alte Hecke auf einer Länge von 23,50 Meter abgehackt «und an derselben Stelle einen liederlichen Drahtzaun angebracht» hatte. Der Kläger, ein Architekt, «verbittet sich diese Verschandelung seines Villengrundstücks»; nur weil «die Hecke im Kriege wegen Leutemangels nicht zurückgeschnitten worden war», sei der Beklagte noch lange nicht berechtigt, «eine derartig radikale Massnahme zu ergreifen». Wohl wahr. Aber wie sollte hier eine Naturalrestitution aussehen? Selbst Dürr schien ein wenig ratlos. Also griff Thalmann zum letzten

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Mittel und stellte die Sache wegen fehlender Kriegsdringlichkeit zurück.35 Einmal, so dachte er, muss das doch erlaubt sein. Und damit war schon fast das Ende erreicht. Nur einen allerletzten Fall hatte die nationalsozialistische Rechtspflege von Neustadt noch zu bearbeiten, freilich einen, der sie schon das ganze Jahr über begleitet hatte. Am 29. Dezember 1944 hatte Dürr Klage für eine Arbeiterwitwe eingereicht, die sich von ihren Mietern – ihrer Tochter und deren Ehemann – schikaniert, drangsaliert, beleidigt und bedroht sah, zuletzt habe ihr Schwiegersohn angekündigt, er schlage «sie halb tot, wenn sie das Bett ihres Mannes nicht hergeben würde». Sie klagte nun auf Aufhebung des Mietvertrages, eine Tauschwohnung stehe bereit. Am 15. Januar einigte man sich gerichtlich darauf, das Mietverhältnis sofort aufzuheben, wobei die Beklagten erst auszuziehen hätten, wenn eine «geeignete» Ersatzwohnung bereitstände. Über die Geeignetheit verschiedener Wohnungsangebote stritt man anschließend weiter. Die erste Ersatzwohnung wurde vom Wohnungsamt für zu groß befunden. Ein in Aussicht gestellter Ringtausch scheiterte ebenfalls. Die Auseinandersetzung eskalierte unterdessen immer mehr; am 13. April erschien die Klägerin bei Gericht, berichtete von tätlichen Angriffen und stellte Strafanzeige gegen ihren Schwiegersohn. Daraufhin schaltete sich Dürr ein, der, obgleich der Anwalt der Klägerin, von alledem nichts gewusst hatte. Am 18. April schrieb er ans Gericht und bat «um Überlassung der Gerichtsakten zur Einsichtnahme». Die Wege waren kurz, und deshalb waren solche Gesuche nur die Ankündigung eines baldigen Besuchs auf der Geschäftsstelle. Am 21. April nahm Dürr die Akten persönlich entgegen. «Zur Einsicht auf 1 Woche übersandt. Ganggebühr – 0 –, da selbst abgeholt», notierte die Justizangestellte. «Ganggebühr 0»: In diesem gebührentechnischen Oxymoron fand die nationalsozialistische Rechtspflege von Neustadt ihren Schlusspunkt.36

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Widerstand durch Unterlassen Widerstand durch Unterlassen

Der 21. April war ein Samstag. Der Feind, das wusste man, war nah. Der Gefechtslärm hatte eine unangenehme Intensität angenommen, die Parteifunktionäre waren auf eine beängstigende Art aufgeregt. Am 22. April hielt sich Thalmann in seinem Arbeitszimmer auf. Der Sonntag war eigentlich ein Tag von Gemütsruhe, Gedankenaustausch und Müßiggang, aber Thalmann starrte angespannt hinaus in den Nieselregen eines trüben Frühlingstages. Abends um acht klingelten zwei junge Frauen, wiesen sich als Angestellte der Kreisleitung aus und überbrachten den Befehl, Thalmann möge sich um 24 Uhr im Amtsgericht einfinden und dort das Standgericht abhalten.37 Das war zu viel. Parteibeitritt: ja, Rechtswahrerbund, Beamtenbund, Volkswohlfahrt: ja, Gleichschaltung, Prügelstätten, Morde, Deportationen, Krieg: ja, ja und nochmals ja, aber jetzt drohte der Nationalsozialismus ihm doch zu nahe zu kommen. Thalmann stammelte sein Einverständnis, um die Unglücksbotinnen loszuwerden. Als er mit seiner Frau alleine war, beschlossen die beiden die Flucht. Im Schutze der Dunkelheit gingen sie hinaus in Kälte und Regen und überantworteten ihr Schicksal dem Wald, dem ewigen, deutschen, judenfreien Wald, der Neustadt schon so lange vor feindlichen Mächten Schutz geboten hatte und nun auch dem alten Ehepaar Thalmann Zuflucht gewährte. Zwei Tage irrten sie unter dem gütigen Kronendach umher, im Hallraum der Seele, wo Geist, Ideale, kulturelle Vergangenheit, Dichtung, überhaupt die ganze Wahrheit zu Hause sind, immer in Sorge, doch noch von den Schergen des eigenen Regimes entdeckt zu werden. Am Mittwoch kehrten sie zurück. Neustadt war unverändert. Nur die Nazis waren weg. Der pragmatische Sinn der Bevölkerung hatte die Stadt vor einer fanatischen Abwehrschlacht bewahrt. Für eine verlorene Sache zu kämpfen, das lag den Neustädtern nicht;

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auch der Oberbürgermeister hatte nur noch einige müde Anstrengungen unternommen, aber offensichtlich ohne rechte Überzeugung. Zuletzt hatte er sich auf dem Fahrrad davongemacht. Auf das Standgericht hatte man verzichtet, und als die ersten weißen Fahnen auftauchten, da war der Spuk vorüber. Die alliierten Truppen hielten Einzug, keinen triumphalen, das sicher nicht, aber auf eine verhaltene Neugier trafen sie durchaus.38 Auch Thalmann war kein Nazi mehr. Mehr noch: Jetzt, wo der Krieg verloren war, konnte er sich erstmals wieder unbefangen Rechenschaft über sein wahres Ich ablegen, und diese Selbstbefragung brachte ihn zu der Erkenntnis, dass er recht eigentlich nie ein Nazi gewesen war. Am Donnerstag, dem 26. April, ging er wieder ins Gericht. Am 28. April kamen die Alliierten und legten einen Fragebogen vor, den auszufüllen nahezu den ganzen Tag in Anspruch nahm. Thalmanns Gewissen war rein. Seine Judikatur, so fand er, war über jeden Zweifel erhaben. Was er an politischen Zugeständnissen gemacht hatte, war mit dem unverdächtigen Wunsch nach einer bescheidenen Karriere leicht zu erklären. Die Flucht vor dem Standgericht war praktisch eine aktive Widerstandshandlung, die erniedrigend mickrige Beförderung vom Amtsrichter zum Amtsgerichtsrat machte ihn bei Lichte besehen sogar zum Opfer des Nationalsozialismus. «Wurden Sie jemals aus rassischen oder religiösen Gründen … in Ihrer gewerblichen oder beruflichen Freiheit beschränkt?» Aber ja! «Es wurde mir als Anthroposophen durch Verordnung die Beförderung zum Gerichtsvorstand versagt und bei der Stellvertretung des Gerichtsvorstandes ein 20 Jahre jüngerer Kollege vor die Nase gesetzt.»39 Weiter geschah nichts. Thalmann blieb im Amt. Auch die Militärregierung war wohl schwer beeindruckt von der Omnipräsenz des Waldes, jedenfalls verzichtete sie darauf, das kleine Neustädter Amtsgericht zu schließen; «für besonders dringende Fälle» erhielt es als einziges im Bezirk eine Sondergenehmigung.40 Ein Stillstand der Rechtspflege trat in Neustadt also nie ein. Die Topografie des

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Ortes hatte während des Krieges die bloße Existenz des Gerichts zur kriegswichtigen Angelegenheit gemacht; nun sorgte sie, unter umgekehrten Vorzeichen, für eine dauerhafte Friedenswichtigkeit. Im Mai beschränkte sich Thalmanns Tätigkeit darauf, einige vollstreckbare Ausfertigungen irgendwelcher Titel zu verschicken und sonst die Aktenlage in Ordnung zu halten. Die Neustädter verhielten sich ruhig, auch die ehemaligen Zivilarbeiter, die jetzt Zwangsarbeiter hießen, wurden nur selten auffällig. Am 7. Mai tauchte Anwalt Dürr wieder auf. Die Geschwindigkeit, in der die Kapitulation in Neustadt vonstattengegangen war, hatte ihm den Volkssturm erspart. Äußerlich unversehrt brachte er die entliehenen Prozessakten wieder zurück,41 eigentlich eine Woche zu spät, aber Formalismus war jetzt wirklich nicht das Gebot der Stunde. Dürr war nun fein heraus, weil er der Partei ja gar nicht beigetreten war; nur für seine kurzzeitige Zugehörigkeit zur SA musste er sich rechtfertigen, erhielt seine Anwaltszulassung jedoch bald offiziell bestätigt.42 Ende Mai setzte bei Gericht der ordentliche Verhandlungsbetrieb wieder ein. In Neustadt war das Leben ja zwischenzeitlich nicht stehengeblieben: Am 14. Mai hatte ein bislang unbescholtener Bürger ein Fahrrad gestohlen, um Gemüse aus seinem etwas weiter entfernten Garten zu holen. Am 25. Mai wurde er festgenommen und umgehend zu Thalmann gebracht, der ebenso umgehend Untersuchungshaft anordnete; angesichts der «bestehenden politischen Verhältnisse» bestehe Fluchtgefahr. Am 1. Juni musste ein herumstromernder Lehrling zu sechs Tagen Kurzarrest verurteilt werden, weil er einen Stallhasen gestohlen, gebraten und verzehrt hatte.43 Am selben Tag verschickte Thalmann die ersten Ladungen für zivilrechtliche Termine. Der Fahrraddieb wurde am 15. Juni zu drei Wochen Haft verurteilt. Er ließ Dürr erklären, er sei mit der Verhandlung «ohne Anklageschrift  & ohne Einhaltung der Ladungsfrist» einverstanden; seine Strafe galt wegen der bereits erlittenen Untersuchungshaft

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als verbüßt.44 Am 18. Juni wurde wieder zivilrechtlich verhandelt. Es ging um die jüngste Altlast des Gerichts, den mietrechtlichen Kampf der Arbeiterwitwe gegen ihre Tochter und ihren Schwiegersohn; noch immer stand die Frage im Raum, ob eine angebotene Ersatzwohnung «geeignet» sei. Thalmann erließ einen Beweisbeschluss, und am 25. Juni ging man gemeinsam erst zur neuen, dann zur alten Wohnung, vermaß, verglich, bewertete: Der angebotene Ersatz «macht einen freundlichen Eindruck und ist in Waldesnähe. Zu der Wohnung gehört noch ein kleiner Garten», heißt es im Protokoll. Als sich schließlich noch das Bauamt bereiterklärte, dem neuen Domizil durch eine Trennwand zu einem dritten Zimmer zu verhelfen, da sprach nichts mehr gegen einen Auszug der Beklagten. Bei einem bloß vorsorglich für den 23. Juli anberaumten Termin notierte das Protokoll des Amtsgerichts: Es «erschien beim Aufruf: Niemand».45 Auch diese Sache hatte einen guten Ausgang genommen.

Rechtsbewährungsprinzip und Wiederverwendung Rechtsbewährungsprinzip und Wiederverwendung

Nur für Thalmann nicht. Das Protokoll vom 23. Juli war das erste, das ein anderer unterschrieb. Am 17. Juli war Robert Röll vom Oberlandesgericht als Oberamtsrichter in Neustadt eingesetzt worden. Nachdem seine Wohnung vollständig ausgebombt war, hatte er seinen Wohnsitz ohnehin nach Neustadt verlegt. Röll befand sich eigentlich schon im Ruhestand, aber bereits im März 1945 war eine erste Bitte zur Reaktivierung an ihn ergangen, und das, obwohl er als gläubiger Katholik und ehemaliges Mitglied des Zentrum immer Abstand zur NSDAP gehalten hatte. Damals hatte Röll widerstanden, jetzt, kurz vor seinem 67. Geburtstag, willigte er ein.46 Thalmann dagegen wurde beseitigt. Parteimitglieder waren im höheren Justizdienst nicht mehr wohlgelitten. Was er die nächsten

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Monate tat, ist nicht zu rekonstruieren. Am 17. August 1945 bat er um Anstellung «als rechtskundiger Hilfsarbeiter beim Amtsgericht Neustadt, wo ich mehr als 30 Jahre als Richter tätig war. Den die nationalsozialistische Bindung lösenden Eid habe ich bereits zweimal unterschrieben.»47 Auch den Fragebogen füllte er erneut aus, nicht ohne noch einmal darauf hinzuweisen, dass er wegen seiner anthroposophischen Gesinnung … usw. usf. Das Gesuch wurde trotzdem abgelehnt. Die neue Regierung hatte ehemaligen Parteigenossen zwar kurz zuvor geraten, eine Wiederanstellung als Hilfsarbeiter zu suchen, um sich auf diesem Wege für eine Rückkehr in das Richteramt zu empfehlen. Aber die Militärregierung sah solche faulen Kompromisse nicht gern. Thalmanns Neustädter Zeit war unwiederbringlich vorüber. Um wieder arbeiten zu können, begann er, sein Entnazifizierungsverfahren entschlossen voranzutreiben. Er nahm sich einen Anwalt, natürlich Dürr. Er sammelte Entlastungszeugen. Er fasste unangreifbar zusammen: In die Partei sei er nur gegangen, weil der Richterverein es so empfohlen habe, weil 1933 noch niemand habe sehen können, «daß man es mit Verbrechern zu tun hatte», weil er die wildesten Exzesse habe verhüten wollen, weil ein Austritt ihn «zusammen mit den Priestern der Christengemeinschaft ins Konzentrationslager» gebracht hätte. «Kreisrechtsberater» sei ein gänzlich unbedeutendes Amt gewesen. Vorteile habe er niemals genossen, im Gegenteil: «als Anthroposoph war ich von der Beförderung zum Aufsichtsrichter ausgeschlossen». Und dann natürlich: Widerstand! Seine Flucht in den Neustädter Wald sei «aktiver Widerstand» gewesen, schließlich verdanke er es nur den Besatzungstruppen, dass er «überhaupt noch am Leben» sei.48 Die Spruchkammer hatte dafür keinen Sinn. Partei, Rechtswahrerbund, Luftschutzwart, Kreisrechtsberater: Am 19. November 1946 erklärte sie Thalmann zum Mitläufer und erlegte ihm einen Sonderbeitrag von 600,– RM auf. Zwar seien die schlimmsten Anschuldigungen widerlegt, Thalmann habe sich «nicht mehr

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als nominell» am Nationalsozialismus beteiligt. Aber seine Flucht sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, als der Einmarsch der Alliierten «unmittelbar bevorstand und der Betroffene keinen Nachteil dadurch erlitten hat». Als aktiver Widerstand könne sie deshalb nicht gewertet werden.49 Thalmann war erschüttert. Er schrieb ans Ministerium, aber ohne Erfolg. Seine resolute Ehefrau war ebenfalls erschüttert. Sie schrieb auch ans Ministerium, um noch einmal die Dramatik der Flucht zu schildern, die man sich offensichtlich als «romantischen Waldspaziergang» vorstelle. Die Flucht sei die letzte Alternative zum Selbstmord gewesen, sie habe ihren «sehr herzkranken Mann  … oft auf Reisigbündel» legen müssen, trotz Regen und Kälte hätten sie es aus Furcht vor der Gestapo nicht gewagt, «in einem Dorf oder Hof Obdach zu suchen». Abschließend kam die Bitte der weisen Ehefrau: «Mein Mann soll von diesem Schreiben nicht erfahren», ganz am Ende die Bitte der noch weiseren Richtergattin: «Als alte Richterfrau hoffe ich nun, es finde sich Gerechtigkeit.»50 Gerechtigkeit fand sich nicht mehr. Thalmann fügte sich in sein Schicksal. Im Januar 1947 genehmigte die Militärregierung seine Wiederverwendung, aber da war er schon seit einigen Monaten «rechtskundiger Hilfsarbeiter» am Amtsgericht in Hausen, gut 25 Kilometer von Neustadt entfernt. Im April 1947 wurde er dort Amtsgerichtsrat. 1948 unternahm seine Ehefrau einen weiteren (heimlichen) Versuch, ihren «braven Mann zu rechtfertigen», um damit zugleich «dem künftigen Rechtsempfinden wieder ein wenig mit auf die Beine zu helfen»;51 kurz darauf bemühte sich auch Thalmann um Wiederaufnahme, weil er neue Zeugen beibringen könne. Nichts hatte Erfolg. Der gute Mann von Neustadt blieb als Mitläufer gebrandmarkt. Nur der Lebensabend wurde ihm ein wenig versüßt: 1950 erhielt er die langersehnte Beförderung zum Oberamtsrichter, wenn auch in Ermangelung einer Stelle nur dem Titel nach. 1951 trat er in den Ruhestand.

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In Neustadt selbst oblag es seinem Nachfolger, die losen Fäden der Neustädter Rechtspflege wieder aufzunehmen und sie nachkriegskompatibel zu verknüpfen. Die Würde des Rechts zeigte sich in seiner Beständigkeit gerade in Zeiten der Not. Dürr half, wo er konnte. Aus den Stempeln und Siegeln und Briefköpfen waren die Hakenkreuze zu entfernen, eine mühsame Tätigkeit, aber entnazifizierte Utensilien waren einstweilen nicht zu bekommen. Urteilsbögen gab es ebenfalls nur in der überholten Variante, die feierlich einen Rechtsspruch «Im Namen des Deutschen Volkes» verkündete, was nun notdürftig in die ideologisch unverdächtige Wendung «Im Namen des Gesetzes» korrigiert wurde. Bis 1948 waren solche frisierten Formulare in Gebrauch. Auch Dürr musste noch über Jahre hinweg die «Adolf-Hitler-Str.» auf jedem Briefkopf gesondert ausstreichen, außerdem hielt er einen kleinen Vorrat von Makulaturpapier bereit, um das Symbol des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes zu überkleben. Diese Kosmetik war jetzt in allen Rechtsgebieten angezeigt. Von den Verfahren nach nationalsozialistischem Strafrecht waren freilich nicht viele übriggeblieben, und längst nicht alles, was sich inzwischen ereignet hatte, lässt sich anhand der Akten nachvollziehen. Der Franzose, der sich so hemmungslos an den Gefängniswürsten vergangen hatte, war verschwunden. Es blieb nur noch die Feststellung, dass er Angehöriger der Alliierten sei und «weitere Strafvollstreckungsmaßnahmen» daher «keine Aussicht auf Erfolg» hätten.52 Der unachtsame Kinobetreiber bezahlte am 16. August 1945 seine Geldstrafe,53 der notgeile Pförtner seine am 15. November.54 Ebenfalls im November wurde der Jugendliche, der mit dem SS-Fahrzeug eine Spritztour unternommen hatte, vorgeladen, weil noch immer fünf Tage Jugendarrest ausstanden. Röll hatte von der Staatsanwaltschaft in Lundheim die Maßgabe bekommen, dass nach § 62 Abs. 4 des erst 1943 reformierten Jugendgerichtsgesetzes von der Vollstreckung abgesehen werden könne, falls der Verurteilte «zur Wehrmacht, zum Reichsarbeitsdienst oder zu einem

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ähnlichen Einsatz einberufen» worden sei. In der Verhandlung ergab sich, dass dies zwar alles nicht zutraf, der Sechzehnjährige aber drei Monate in US-Gefangenschaft gewesen war, was Röll großzügig als «ähnlichen Einsatz» wertete. Ob die Alliierten von diesem gewagten Analogieschluss je erfuhren? Jedenfalls hatte sich die Vollstreckung damit erledigt.55 Im zivilrechtlichen Bereich war mehr zu tun. Soweit der Staat beteiligt war, verstand sich das von selbst. Bei den zahllosen Unterhaltsfällen war es meist das Jugendamt, das den ordnungsgemäßen Fortgang der Sache im Auge behielt. Diese Fälle zogen sich mitunter noch über Jahre hin; nur mit den erbbiologischen Gutachten war man jetzt sparsamer. Waren es Kostenfragen, die noch einer Entscheidung harrten, dann konnte sich Röll auf Dürr oder die auswärtigen Kollegen verlassen, die in solchen Angelegenheiten ziemlich zuverlässig waren.56 Bei anderen Kleinigkeiten meldete sich meist von irgendwoher eine Partei oder ein Anwalt und nahm letzte Reste einer anhängigen Klage zurück.57 Wenn überhaupt nichts zu hören war, fragte Röll im Anschluss an eine umfassende Revision der Aktenbestände, die er Anfang 1949 durchführen ließ, bei den Parteien nach. Die meisten erklärten dann die Rücknahme der Klage. Und sonst? Die Vermieterin, die angeblich nicht verrecken konnte, weil sie sonst schon längst vom Teufel geholt worden wäre, erschien im Juli 1946 auf der Geschäftsstelle, um eine Vielzahl weiterer empörender Äußerungen zu Protokoll zu geben. Kurz darauf übertrug Dürr den epochalen Umschwung in anwaltliche Prosa: «Der Prozess kam wegen der Kriegsverhältnisse zum Ruhen. Neuerdings sind weitere Beleidigungen gefallen.» Nun waren die Kriegsverhältnisse vorbei, also stritt man weiter, bis sich die Sache im März 1947 durch den Auszug der Beklagten erledigte.58 Nur bei der abgeholzten Hecke, deren Schicksal seit dem 6. April 1945 auf Widerruf ruhte,59 wurde niemand tätig. Der Widerruf erging nie, und so erschlich sich der liederliche Drahtzaun des Beklagten letztlich wohl doch eine dauerhafte Existenz.

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Das richtige Leben im richtigen

Das richtige Leben im richtigen Das richtige Leben im richtigen

Und so ging das Leben in Neustadt weiter seinen gewohnten Gang. Die Neustädter nahmen hin, was der Schöpfungsplan an Freud und Leid für sie bereithielt, suchten nach getaner Arbeit den Müßiggang im Wald und erfreuten sich an den Glücksgütern der Zivilisation. Die deutsche Seele war in Neustadt gut aufgehoben. «Die Vielfalt der deutschen Begabungen, das Nebeneinander von soldatischen, technisch-organisatorischen, aber auch theoretisch-philosophischen, dichterischen und musikalischen Talenten wird von den Nachbarn der Deutschen manchmal als etwas Unheimliches empfunden, weil es dessen Reaktionsweise im Einzelfall unberechenbar macht», so schrieb 1944 Wilhelm Mühlmann, einer der obersten deutschen Seelenkundler seiner Zeit.60 Otto Thierack ergänzte dieses Psychogramm von amtlicher Seite, indem er in seinem Neujahrsaufruf 1944 dem deutschen Volk bescheinigte, ein «feines Empfinden für Recht und Gerechtigkeit» zu haben;61 Léon Degrelle, ein hoher Funktionär der Waffen-SS, entdeckte bei seiner letzten Fahrt durch das zerstörte Berlin im April 1945 ein deutsches «Gefühl für Disziplin bis in die sonderlichsten Einzelheiten hinein», das auch den Untergang «wirklich schön» aussehen lasse,62 und Franz Scholz, ein selbstverliebter Verwaltungsjurist mit Hang zum literarischen Schwulst, fügte die laienhafte, völkerpsychologisch aber vermutlich ohne Weiteres gebrauchsfertige Einschätzung hinzu: «Seit unvordenklichen Zeiten wird in allen Kulturländern der ‹Hort des Rechts› im Richter gesehen. … Namentlich das deutsche Volk verlangt den Richter. Hat es doch ein sehr empfindliches Rechtsgefühl, das vielfach in einem halsstarrigen ‹Kampf ums Recht› sich äußert.»63 Das war 1955. Die deutsche Seele war gut durch die Zeiten gekommen. Sie hatte ihren Sinn für das Wesentliche bewahrt, als im Schutt der Städte, von Leichen fett, die Ratten hausten, und jetzt,

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als die Nachkriegsjahre allmählich ihren begütigenden Mehltau verteilten, da war sie erst recht wesentlich. Die «guten Leute» waren im Kern gut geblieben. Und wer sich für die Pflege der deutschen Seele weniger verschattete Sachwalter gewünscht hätte, der fand ebenfalls Aufmunterung. Neustadt war schließlich nur eine Projektion der Nachwelt, eine Entrückung, die Akteure, Orte, Gedanken munter mischte, so als könne Neustadt überall sein und als sei die historische Wahrheit keine ernste Angelegenheit, sondern eine literarische Spielerei. Aber was überall sein kann, das kann auch nirgendwo sein. Die Sorge um eine solche Erfindung, da war man sich in Neustadt einig, durfte man deshalb anderen überlassen.

§ 3.

Die Parzellierung des Todes: Das Amtsgericht Auschwitz und die Grundbücher der IG Farben

Grund und Buch Die Parzellierung Grund des und Todes Buch

Das Grundbuch beschreibt eine eigene Welt. Vor seiner Einführung, in den dunklen Jahrhunderten des deutschen Mittelalters, musste noch eine umständliche Symbolik bemüht werden, um den Verkauf eines Grundstücks mit Rechtswirksamkeit auszustatten. Der eine kam, der andere ging, und damit das jedermann sehen konnte, löschte der Verkäufer das Herdfeuer, sprang über den Zaun oder überreichte dem Käufer eine Erdscholle, einen Stab oder einen Halm, gab also irgendein Zeichen, dass er den Boden verlassen hatte und ihn nunmehr auf den anderen übertrug; ufgegebin und ufgelazin, upseggen unde uplaten, vertygen und opgelaten: Lange geübte Lautangleichung machte daraus irgendwann die «Auflassung», und so wurde ab dem 13. Jahrhundert die Übertragung einer Immobilie genannt.1 Die allgemeine Technisierung der Welt bannte das begleitende Ritual in die ruhige Sphäre des Papiers. Noch im Mittelalter erstellten die ersten Städte Listen über Hausgrundstücke und deren Verkauf, um die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden rasch und zuverlässig feststellen zu können. Im 19. Jahrhundert wuchs

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dieser Apparat über die Stadtgrenzen hinaus, erfasste Wiesen, Felder, Haine und Wälder, bis es schließlich praktisch keine Lücken mehr gab. Mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch erhielt das Grundbuch Zugriff auf das gesamte Reich, ein Prozess freilich, der erst durch die neue Grundbuchordnung von 1935 abgeschlossen wurde, die letzte landesrechtliche Besonderheiten beseitigte. «Die Grundbücher werden von den Amtsgerichten geführt», hieß es nun im würdigen Duktus der Deskription. Und weiter: «Diese sind für die in ihrem Bezirk liegenden Grundstücke zuständig.»2 Ohne Grundbücher ging nun gar nichts mehr. Wer mit Immobilien handeln wollte, schloss zunächst einen Kaufvertrag, der von einem Gericht oder einem Notar beurkundet werden musste, danach gingen beide Parteien zum Grundbuchamt und erklärten ihre Einigung. Weil es sich dabei aber trotz aller technischen Details um eine ziemlich feierliche Angelegenheit handelte, brachte das Bürgerliche Gesetzbuch in § 925 hinter der «erforderlichen Einigung des Veräußerers und des Erwerbers» vorsichtshalber den Klammerzusatz «Auflassung» an, um dezent auf die mittelhochdeutschen Wurzeln dieser Bezeichnung hinzuweisen; in solchen Dingen ist ein kleiner Grundkurs über den Sprachschatz des deutschen Privatrechts unverzichtbar. Zugleich wurde das Grundbuch selbst hinter den Kulissen mit den Katastern verzahnt, den alten Grund- und Gebäudesteuerbüchern. Diese wurden ursprünglich zu fiskalischen Zwecken angelegt; um die Steuerlast feststellen zu können, vermaßen die Behörden die Größe von Liegenschaften und protokollierten Gemarkung, Lage und Gebrauch. Schon 1786 fand sich in Johann Georg Krünitz’ Oekonomischer Encyklopädie die Prophezeiung, den amtlichen Grenzziehern bleibe künftig «keine Handbreit Landes verborgen».3 Bald wurde daraus ein Tauschgeschäft. Die Katasterämter meldeten den Grundbuchämtern, was sie bei der Vermessung des Landes festgestellt hatten, im Gegenzug erhielten sie Informationen über Veränderungen der Eigentumsverhältnisse. Das

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Grundbuch sortierte die abgehobene Welt des Rechts, das Kataster kümmerte sich um die Bodenhaftung der Zahlen. Dabei regierten allerdings die Normen über die Fakten. Das Grundbuch blieb mit der Wirklichkeit verbunden, wurde ihr jedoch hierarchisch übergeordnet. Das Bürgerliche Gesetzbuch hielt fest, dass der Inhalt des Grundbuchs «als richtig» gelte (§ 892), und zwar auch dann, wenn er die tatsächlichen Verhältnisse nicht adäquat wiedergab. Hatten etwa die Vermessungsbehörden festgestellt, dass eine Grundstücksgrenze tatsächlich zehn Meter weiter östlich verlief als bislang angenommen, dann durfte das Grundbuch trotzdem erst nach Zustimmung der betroffenen Eigentümer angepasst werden. Bis dahin konnten falsch dokumentierte Rechtspositionen gutgläubig erworben werden, eine etwas eigentümliche Variante des alten Sprüchleins quod non est in actis, non est in mundo – erst mit der Anerkennung im Grundbuch wurde die Wirklichkeit in ihrer Existenz beglaubigt. Damit war die Bürokratisierung der Scholle abgeschlossen, die ratio scripta hatte den alten Symbolismus von Herdfeuer und Zaunsprung vollständig verdrängt. Die Flurstücke der Welt wurden zu Grundstücken im Rechtssinne. Zwei Grundstücke durften nur vereinigt werden, «wenn hiervon Verwirrung nicht zu besorgen ist», wie die Grundbuchordnung mehrfach betonte;4 jedes Grundstück erhielt ein eigenes Blatt, jedes Blatt eine zugehörige Akte, um Kaufverträge, Erbscheine oder allfällige Anträge zu dokumentieren, jede Gemeinde ein eigenes Buch. Der gesamte Boden wurde übersetzt in die stummen Datenreihen von Hektarzahlen, Abschreibungen, Rechten und Belastungen und sauber zerlegt in Abteilungen, Spalten und laufende Nummern. Mitte der 1920er-Jahre waren die Grundbücher in nahezu allen deutschen Ländern fertig angelegt. Was für ein Erfolg der Zivilisation! Und was für ein gewaltiger Sieg deutscher Tugenden: «Deutsche Liebe zum Boden, deutscher Sinn für Offenkundigkeit, deutsche Gewissenhaftigkeit und Beamtentreue haben sich bei dem Grundbuch im Laufe von Jahrhunder-

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ten zusammengefunden», jubelte Justus Wilhelm Hedemann 1936 voller nationalsozialistischer Inbrunst.5 Das papierne Doppel der Welt: Im Grundbuch fand die deutsche Seele zu sich selbst.

Eine Kleinstadt im neuen deutschen Lebensraum Eine Kleinstadt im neuen deutschen Lebensraum

Der Überfall auf Polen im Herbst 1939 jedoch brachte Unordnung in diese heile Welt. Die Siege der Wehrmacht und die hektischen Annexionen im Osten erschlossen dem deutschen Grundbuch neue Geltungsräume, ohne dass der Angriffskrieg grundbuchrechtlich vorbereitet worden wäre. Bei der Übernahme der sudetendeutschen Gebiete hatte man für die neuen Grundbücher einen Dreischritt vorgegeben: Erst sei ein Entwurf zu fertigen, dieser müsse dann ausgelegt werden, um Einwände aufnehmen zu können, nach deren Bearbeitung der Reichsjustizminister schließlich das Grundbuch «als angelegt» zu erklären hatte.6 Aber für die eroberten Gebiete in Polen passten diese Vorschriften nicht. Als Ausgangspunkt für den neuen Entwurf sollten nach den Vorstellungen im Reichsjustizministerium die Eintragungen in dem vorhandenen Grundbuch gelten. Polnische Grundbücher jedoch waren den deutschen Beamten schon sprachlich kaum zugänglich und inhaltlich ganz anders aufgebaut, manche folgten preußischem, manche österreichischem, wieder andere französischem Recht, während in den Landesteilen, in denen russisches Recht gegolten hatte, häufig gar keine Grundbücher existierten.7 Den Weg der Wehrmacht nach Ost aktenmäßig nachzubereiten, war deshalb eine Aufgabe, die neben juristischer Detailkenntnis und einem Sinn für technische Einzelheiten auch einiges an Improvisationskunst erforderte. Das deutsche Grundbuch traf auf unbekannte Regionen. Und so kam es, recht bald nach dem deutschen Überfall auf Polen, auch nach Auschwitz. Das Städtchen blickte da bereits auf

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eine lange Geschichte. 1864 war sogar der Brockhaus auf die stolzen achthundert Jahre aufmerksam geworden, die die Einwohner des Herzogtums Auschwitz in der Grenzregion verbracht hatten, mal zu Schlesien, mal zu Krakau, mal zu Böhmen gehörig, bevor das ganze Gebiet nach der polnischen Teilung 1795 mit Galizien an Österreich fiel.8 Mit Sola und Przemsa mündeten hier zwei kleine Nebenflüsse in die Weichsel, und nicht weit entfernt gab es immerhin «ein alterthümliches Schloß auf steiler Anhöhe» zu bewundern. Der Vertrag von Saint-Germain, in dem die Auflösung Österreich-Ungarns vollzogen wurde, machte 1919 aus Auschwitz wieder Oświęcim, indem er Galizien an Polen übertrug. Um die Wende zum 20. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung auf über 5000 Einwohner an, 1939 waren es dann schon gut 14 000, davon mehr als die Hälfte Juden, was diese zu der selbstbewussten Einschätzung veranlasste, man lebe im «Oświęcimer Jerusalem».9 Bereits am ersten Kriegstag geriet die Stadt unter den heftigen Beschuss der deutschen Luftwaffe. Bald setzte eine Massenflucht ein: Polnische Soldaten und Zivilisten versuchten, sich Richtung Krakau oder nach Rumänien durchzuschlagen, vor Ort blieben vor allem die wenigen Volksdeutschen und einige Alte, denen die Erinnerung an die «gute österreichische Zeit» die Erwartung eingab, von den Deutschen sei Schlimmes nicht zu befürchten. Am 4. September stand die Wehrmacht vor den Toren der Stadt, am Tag darauf marschierte die erste Einsatzgruppe ein, um sogleich «die erforderlichen Maßnahmen zur Befriedung» zu treffen, wie man in grimmigem Triumph nach Gleiwitz meldete.10 Binnen einer Woche hieß Oświęcim wieder Auschwitz, und wo eben noch ein traditioneller Marktplatz den Mittelpunkt der Stadt gebildet hatte, da signalisierte nun ein «Adolf-Hitler-Platz» den Anbruch eines neuen Zeitalters. Innerhalb weniger Wochen wurde die jüdische Bevölkerung enteignet, ihre Unternehmen wurden konfisziert, ihre Bankkonten gesperrt; in der ganzen Region – in Ostoberschlesien und dem sogenannten «Oststreifen»  – zerstörten die Besatzer Syna-

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gogen und jüdische Friedhöfe, die entfesselte Gewalt gipfelte in zahllosen willkürlichen Erschießungen. Am 8. Oktober wurde durch einen Erlass von Hitler der Regierungsbezirk Kattowitz gebildet, um ihn «unter Einbeziehung angrenzender Gebietsteile» der Provinz Schlesien zuzuschlagen; am 26. Oktober trat die Regelung in Kraft.11 Auschwitz gehörte nun zum Deutschen Reich. Ein grundsätzliches Problem war damit freilich noch nicht gelöst: In Auschwitz wohnten so gut wie keine Deutschen. Eine Volkszählung im Dezember 1939 spürte – allen Mythen vom «urdeutschen Stammesraum»12 zum Trotz  – in der Stadt selbst ganze einundsechzig Volksdeutsche auf, im Umland gar keinen. Nicht einmal für den Posten des Bürgermeisters fand sich ein Kandidat, der nationalsozialistischen Vorstellungen entsprach. Erst ein wildes Subventionsprogramm lockte allmählich Volksgenossen aus dem Altreich an. «Im Osten» boten sich günstige Aussichten auf Macht, schnellen Reichtum und den steilen Aufstieg zum Herrenmenschen; gerade in der Gegend um Auschwitz machte sich deshalb eine besonders niederträchtige Form nationalsozialistischer Goldgräberstimmung breit: Das Kohlerevier um Kattowitz versprach auf Jahrzehnte hinaus ergiebige Gewinne; Steuervergünstigungen zogen Investoren aller Art an; die faktische Rechtlosigkeit ganzer Personengruppen stellte einen reichen Fundus an Unternehmen, Villen, Möbeln, Accessoires bereit, aus dem sich der zugereiste Amtsträger mehr oder weniger frei bedienen konnte; die völkische Ideologie adelte noch die ordinärste Kriminalität zum wertvollen Dienst an der eigenen Rasse. In diesem aggressiven Germanisierungswettlauf hatte die Justiz zunächst nur wenig Platz. Auschwitz verfügte schon seit langem über eine gediegene Justizinstitution, die jetzt zum deutschen Amtsgericht erklärt und in die deutsche Gerichtsverfassung eingegliedert wurde, zugeordnet dem Landgericht Bielitz und darüber dem Oberlandesgericht Breslau.13 Die Straße, an der es lag, wurde nach wenigen Tagen in «Hermann-Göring-Straße» umbenannt.

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Damit hatte man zwar ein deutsches Gericht an einer ziemlich deutschen Adresse, aber sonst hatte man nichts: kein Personal, kaum brauchbare Akten und nicht einmal ein adäquates Gebäude. Ein Inspekteur, den die Reichsjustizverwaltung kurz nach der Besetzung schickte, beschrieb die Eindrücke seiner Ortsbesichtigung geradezu angeekelt: Das Gebäude liege fast am Ortsausgang, gehöre einem geflohenen Juden und befinde sich «in schlechtem, teilweise verwahrlostem Zustand», es gebe keinen Strom und eine mangelhafte Wasserversorgung. Benutzt würden lediglich zwei Räume: das «äußerst dürftig eingerichtete» Zimmer des Aufsichtsrichters und die Geschäftsstelle, in der aber im Grunde nur ein einziger Angestellter der deutschen Sprache mächtig sei. Von den ursprünglich vier Richtern seien zwei geflohen, einer habe sich umgebracht, der vierte sei bei der Zivilverwaltung in Krakau vorstellig geworden. Die Akten und hunderteinundzwanzig Bände Grundbücher habe man weitgehend vollständig vorgefunden; allerdings seien sämtliche Kataster fortgeschafft worden.14 Wer sollte dort Dienst tun? In Berlin schuf man rasch drei Stellen für das neu-deutsche Amtsgericht. Es fand sich jedoch lediglich ein einziger Jurist, der nach Auschwitz wollte, und seine Bewerbung hatte mutmaßlich auch nur deshalb Erfolg, weil sie eben die einzige war. Der neue Amtsträger hatte zuvor noch nie ein Amt innegehabt. Werner Günther, sechsundzwanzig Jahre alt, kam direkt aus dem Referendariat und sollte nun, ohne jede praktische Erfahrung, eine eigenständige deutsche Gerichtsbarkeit aufbauen. Sein Vater war ein mäßig erfolgreicher Verleger im schlesischen Reichenbach, Günther selbst hatte Studium und Referendariat in Schlesien verbracht, mit kurzen Ausflügen nach Rostock und Jena. Das Examen war solide, der evangelische Glaube locker, die politische Einstellung belastbar: 1933 kam er über den Stahlhelm in die SA, 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.15 Am 1. November 1939 trat Günther seinen Dienst in Auschwitz an. Das Amtsgericht war zu diesem Zeitpunkt die einzige

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deutsche Zivilbehörde in der Stadt und Günther der einzige Richter dort, ein einsamer, aberwitzig unerfahrener Vorposten für deutsches Recht und deutsche Ordnung inmitten eines ziemlich fremden Landstrichs. Und selbst diesem tapferen Kämpfer wurde die größtmögliche Distanz zum neu eroberten Lebensraum zugestanden: Sein offizieller Wohnsitz blieb Bunzlau, tief im Westen Schlesiens; in Auschwitz bezog er lediglich ein möbliertes Zimmer, und die Last der gut 320 Kilometer, die der deutsche Aufbau zwischen Günthers Schreib- und Esstisch geschoben hatte, wurde eineinhalb Jahre lang mit einem täglichen Zuschuss von 3,50 RM erträglicher gemacht.16

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Und so war das neue Amtsgericht im ersten Jahr seiner Existenz – wie überhaupt die Justizverwaltung im annektierten Osten – ein Provisorium mit wenig Mitteln und wenig Personal.17 Günther verwaltete einen Raum ohne Ordnung. Im Januar 1940 erhielt er einen Justizwachtmeister zur Unterstützung, dem seine vorherige Dienststelle in Ratibor eine Pistole mit Bajonett und fünf Patronen mit auf den Weg gegeben hatte,18 was den Neuankömmling in Auschwitz gewissermaßen zum Schwert der Justitia erhob. Weitere Unterstützung war einstweilen nicht zu erwarten. Nicht einmal Anwälte oder Notare ließen sich auftreiben; bis zum Einmarsch der Wehrmacht waren immerhin neun im Ort zugelassen gewesen, nunmehr gab es keinen einzigen mehr.19 Erst nach einem Jahr fand sich ein Rechtsanwalt und Notar, der aber als gebürtiger Ungar und langjähriger Mitarbeiter der Eisenbahn sowohl zum Recht als auch zum Deutschtum erst auf dem zweiten Bildungsweg gefunden hatte. Für eine Übergangszeit mochte das angehen; weil der spätberufene Rechtsarbeiter jedoch unbeirrt die Auffassung vertrat, er könne auch polnische Mitbürger vor Gericht ver-

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treten,20 wurde er im September 1942 wieder aus dem Amt entfernt. Günther selbst unternahm zwar immer wieder Versuche, neuen Angestellten den Wechsel zum Dienstort schmackhafter zu machen. Aber der enge Spielraum, der sich durch Aufbauzulagen, Trennungsentschädigungen und Tagegelder eröffnete, gewährte nur biedere Gestaltungsmöglichkeiten. Mit der freien Wirtschaft konnte die Justiz kaum konkurrieren. Zum großen Ärger der Beamten kam Auschwitz in die Ortsklasse C, die nur mickrige Zuschläge erlaubte. Wohnungen, Lebensmittel, der ganze Bedarf des Alltags waren in Auschwitz entweder gar nicht verfügbar oder exorbitant teuer. Im November 1940 rechtfertigte Günther die finanzielle Unterstützung für einen Justizsekretär mit der Begründung, die Lebensmittelpreise seien in Auschwitz um 15 bis 20 Prozent höher als im Altreich, deutsche Kaufleute und Handwerker gebe es kaum; für Ablenkung sorge lediglich «eine einzige  – primitive  – deutsche Gaststätte», kulturelle Einrichtungen seien gar nicht vorhanden.21 Selbst diesen Beobachtungen musste jedoch eine penible Auflistung sämtlicher Sonderkosten beigefügt werden  – Übernachtung, erstes und zweites Frühstück, «Zeitung 0,20 RM» usw. –, bevor der leidende Bedienstete schließlich in den Genuss eines zusätzlichen Tagegelds von 5,– RM kam.22 Vor allem an Wohnraum mangelte es. Möblierte Zimmer stünden nicht zur Verfügung, klagte Günther gegenüber der Justizverwaltung, «weil die Bevölkerung zu 70 bis 80 v.H. aus Juden besteht», was ein anderer Justizangestellter zu der – für eine Umzugszulage günstigen – Behauptung dramatisierte, die Stadt sei «zu 90 % verjudet».23 Tatsächlich war der jüdische Bevölkerungsanteil nach der deutschen Besatzung durch zahlreiche Deportationen aus anderen Landesteilen erst einmal gestiegen, und bei Juden wollte kein deutscher Justizangestellter wohnen. Bald fungierte dann die Altstadt als eine Art offenes Ghetto, das später durch eine Polizeigrenze vom Rest des Ortes isoliert wurde. In der Stadt selbst gab es

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deshalb so gut wie keine freien Wohnungen. Im Umland waren die Aussichten noch schlechter. Die Peripherie war fest in den Händen der SS. Im Südwesten, Westen und Norden verschlangen die Beschlagnahmungen immer mehr Dörfer, Höfe und Ortschaften, bis die SS schließlich über ein «Interessengebiet» verfügte, das mit gut 40 Quadratkilometern um ein Vielfaches größer war als das Stadtgebiet von Auschwitz. Seit Ende Januar 1940 war es beschlossene Sache, dort um ein leer stehendes Barackengelände herum ein Konzentrationslager anzulegen. Im Frühling wurden etwa 300 jüdische Männer zum Aufbau des Lagers zwangsverpflichtet; am 14. Juni nahm die neue Institution, ausgerichtet auf 10 000 Häftlinge, ihren Betrieb auf. Erst jetzt, im düsteren Schatten des Lagers, begann das zivile Leben in der Stadt aufzublühen. Den Sommer über zogen nach und nach mehrere Tausend SS-Männer mit ihren Familien in die Stadt. In kurzer Zeit entstand eine Siedlung mit Kindergärten, Schulen, Arztpraxen, Bibliothek, Fußballstadion und Schwimmbad, ein steinernes Reservat für die neue arische Elite. Die Wirtschaft zog mit. Ende 1940 verschaffte die Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG, kurz IG Farben, der Region den nächsten Investitionsschub. Man beschloss, in Dwory, wenige Kilometer östlich der Stadt, ein neues Werk für die Herstellung von Buna, einem synthetischen Kautschuk, zu errichten.24 Für Auschwitz selbst sollte ein gewaltiges Bauprogramm aufgelegt werden, um die erforderlichen Facharbeiter anzulocken und zugleich die nationalsozialistische Entschlussfreude unter Beweis zu stellen, wenn es darum ging, die Weiten des Ostens für die eigene Rasse urbar zu machen. Hier sollte, wie von nun an bei jeder Gelegenheit betont wurde, ein Bollwerk deutschen Geistes und deutscher Tatkraft entstehen: Beim Gründungstreffen der IG Auschwitz im April 1941 bekräftigte Otto Ambros für den ganzen IG-Vorstand die Absicht, dass «diese Industriegründung zu einem festen Eckpfeiler wird für ein kräftiges, gesundes Deutschtum im Osten»; Heinrich Himmler

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schwärmte vom «Muster der deutschen Ostsiedlung», das in Auschwitz entstehen sollte; Gauleiter Fritz Bracht wurde wenige Wochen später geradezu hysterisch, als er ausrief: «Oberschlesien muß so deutsch werden, daß es im ganzen Reiche keinen deutscheren Gau gibt. Was in und um uns ist, muß deutsch sein!»25 Damit fand sich das randständige Örtchen plötzlich ins Zentrum des Geschehens gerückt. Im Westen lag das monströse Konzentrationslager Birkenau, im Osten das neue Buna-Werk, das mit seinen rund 25 Quadratkilometern die Größe der Stadt ebenfalls bei Weitem übertraf. Die IG brauchte Land, Arbeitskräfte und Wohnraum, sämtlich Ressourcen, auf die die SS nahezu unbegrenzt Zugriff hatte. Damit bot sich ein Tauschgeschäft an, aus dem beide Seiten Gewinn schlagen konnten. Die SS erhielt Baumaterial, das sie für den Lagerausbau benötigte. Die IG bekam im Gegenzug alles, was sie für ihre Anlage brauchte. Da das Lager von Beginn an auf gigantomane Kapazitäten ausgerichtet war, stand ein schier unerschöpfliches Reservoir von Häftlingen bereit, aus dem sich der Industriebetrieb billig bedienen durfte; der Tagessatz für eine Arbeitskraft aus dem Lager betrug gerade einmal 3 bis 4 RM. Außerdem begann die SS im Februar 1941 in rasender Geschwindigkeit, die jüdische und Teile der polnischen Bevölkerung von Auschwitz zu deportieren. Sechs Wochen später stand die Stadt zur Hälfte leer; Juden gab es keine mehr, und die verbliebenen gut 7000 Polen mussten mitansehen, wie sich exakt 660 Reichsund 161 Volksdeutsche die nobelsten Häuser sicherten.26 Für Auschwitz brach damit eine seltsame Epoche an, eine Zeit des kurzen, eruptiven und morbiden Wachstums. Eingepfercht zwischen dem größten Konzentrationslager der Welt und einer riesigen Dependance des größten Chemiekonzerns der Welt waren den stadtplanerischen Visionen zwar enge Grenzen gesetzt. Die Kooperation zwischen den Berufsmördern auf der einen und den Sklaventreibern auf der anderen Seite warf jedoch Erzeugnisse ab, an denen sich auch die Stadt gütlich tun konnte. Schon wegen der

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Facharbeiter, die aus allen Landesteilen rekrutiert werden sollten, lohnte es sich, in die Lebensqualität der Stadt zu investieren und damit, wie es die IG-Größen in ihrem rohen Telegrammstil nannten, die «Grundbedingung für Seßhaftmachung von arbeitswilligen und einsatzfreudigen Einwohnern» zu schaffen.27 Zudem verursachte die schlechte städtische Infrastruktur beim Sklaventransport vom Lager zum IG-Werk hohe, aber zum Teil vermeidbare Transaktionskosten. Jeden Tag zogen erst einige Hundert, später mehr als tausend Häftlinge durch die Stadt, um vom Lager zur Baustelle zu gelangen, ein Fußmarsch von gut zehn Kilometern, der den Arbeitstag eröffnete und beschloss, bevor irgendwann ein – ziemlich unzuverlässiger – Güterzug zum Einsatz kam. Auch nachdem die IG im Herbst 1942 ihr eigenes Konzentrationslager Monowitz auf dem Firmengelände in Betrieb genommen hatte, musste der rasche Transport nach Birkenau ins Vernichtungslager gewährleistet bleiben – als glaubhafte Drohkulisse für arbeitsscheue Häftlinge, aber auch aus praktischen Gründen, wurden doch die unterernährten, kranken oder sonst unproduktiv gewordenen Arbeiter im Wochenrhythmus für die Gaskammern ausgesondert. Gaskammern im eigenen Werk zu betreiben, hielten sogar die Manager der IG für unzumutbar. Die städtische Infrastruktur fungierte deshalb weiterhin als «grausiges menschliches Fließband» zwischen Lager und Firma,28 und die IG sorgte dafür, dass dieses Fließband gut geschmiert lief. Die ersten Häftlingskolonnen bauten eine Straße von Auschwitz nach Dwory, bald darauf begannen die Arbeiten an einem Bahndamm, um das Werk auch ans Eisenbahnnetz anzuschließen, ein anderes Kommando machte enteignete Häuser in der Stadt bezugsfertig. Die IG versorgte die Stadt mit Wasser, Elektrizität und Fernwärme, investierte – dem Anspruch nach «ohne Rücksicht auf Kosten irgendwelcher Art»29  – in Wohnungen, Siedlungen und Grünflächen, nahezu bedingungslos unterstützt von der Reichsregierung, die jedes Bauprojekt in Auschwitz in die höchste Dring-

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lichkeitsstufe einordnete und mit Subventionen und Steuervergünstigungen in Millionenhöhe förderte. Die Mühen zahlten sich zunehmend aus. Buna wurde noch immer nicht produziert, aber wenigstens waren nun Teile der Anlage in Betrieb. Unternehmen aus verwandten Branchen folgten der IG nach Auschwitz und verschafften dem Konzentrationslager schließlich achtunddreißig wirtschaftsnahe Nebenlager. Im Oktober 1943 war die Stadt auf 28 000 Bewohner gewachsen, von denen gut 7000 aus dem Altreich zugezogen waren, ein Großteil von ihnen auf irgendeine Weise mit der IG verbunden. Ein neues Einwohnermeldeamt wachte über Zu- und Fortzug der Bürger, eine Bauinspektion und ein Verkehrsamt kontrollierten die zahlreichen Baustellen, ein Fürsorgeamt kümmerte sich um die sozial schwachen Volksgenossen, eine Straßenreinigung sorgte sommers wie winters für geräumte Wege. Bürgermeister Heinrich Gutsche erinnerte sich nach dem Krieg voller Stolz, Auschwitz sei «bald als eine der saubersten Städte des Bezirks bekannt» gewesen.30 Bei der IG Farben waren außer den 2825 Deutschen etwa 20 000 ausländische Arbeiter und gut 10 000 Häftlinge aus dem Lager tätig, im Konzentrationslager arbeiteten vier Krematorien unaufhörlich der Endlösung entgegen und hüllten die ganze Gegend in den süßlichen Gestank von verbranntem Fleisch. Die Stadt war nun unbestritten deutscher Rechts- und deutscher Kulturraum. Im selben Jahr fand sie Aufnahme in die Reisefibel des deutschen Bildungsbürgers: 1943 vermerkte der Baedeker Generalgouvernement, Hans Franks persönliches Propagandaprojekt, die Eisenbahnstrecke von den besetzten Gebieten nach Krakau führe über Auschwitz, «eine Industriestadt von 12 000 Einwohnern, ehemals Hauptort der Piastenherzogtümer Auschwitz und Zator». Der Reisende, der sich von diesen trockenen Informationen zu einem Besuch anregen lassen sollte, erhielt den genretypischen Zusatz: «Hotel Zator, 20 Betten».31

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«Ethnische Flurbereinigung» «Ethnische Flurbereinigung»

Als Ende April 1941 die ersten Häftlingskolonnen anfingen, die Ländereien der IG Farben zu erschließen, da begann auch für die Justizverwaltung ein neues Zeitalter. Am 1. Februar – die Deportationen begannen gerade – erhielt Günther seine Beförderung zum Amtsgerichtsrat, im März – die halbe Stadt war deportiert  – meldete er, er habe nun eine Wohnung in Auschwitz gefunden, «die z.Tl. mit beschlagnahmten Möbeln ausgestattet ist»; wenn man ihm die Aufbauzulage Ost gewähre, sei er bereit, die bislang gezahlte Trennungsentschädigung aufzugeben und nach Auschwitz zu ziehen. Das war auch aus Sicht der Justizverwaltung ein vernünftiger Plan. Ab dem 1. Juni 1941 wohnte Günther offiziell in Auschwitz.32 Zu dem ungeahnten Wirtschaftswunder im deutschen Osten konnten auch die Rechtsarbeiter ihren Beitrag leisten. Am 17. September 1940 hatte Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan eine Verordnung über die Behandlung von Vermögen der Angehörigen des ehemaligen polnischen Staates erlassen, die es erlaubte, Hab und Gut von Juden und geflüchteten Polen zu beschlagnahmen, einzuziehen und sich darüber hinaus alles andere einzuverleiben, was «im Interesse der Reichsverteidigung oder der Festigung des deutschen Volkstums benötigt wird».33 Ging es dabei um einen landwirtschaftlichen Betrieb, so war nach § 12 der Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums zuständig, also Heinrich Himmler, der damit Beschlagnahmen für die SS auf dem kurzen Dienstweg durchführen lassen konnte. Damit dabei allerdings nicht aus Versehen das Grundstück eines Volksgenossen beschlagnahmt würde, sah § 13 so etwas wie einen Rechtsweg vor: Sofern jemand vorbringe, er sei deutscher Volkszugehöriger, sei das Verfahren auszusetzen und beim Regierungspräsidenten eine entsprechende Entscheidung einzuholen, gegen die dann gegebenen-

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falls beim Reichsinnenminister Beschwerde eingelegt werden könne. Dieser Verwaltungsprozedur wiederum standen in den §§ 20 und 21 einige Strafandrohungen gegenüber, die den Rechtsweg nicht besonders attraktiv erscheinen ließen: Wer «in irgendeiner Weise die Beschlagnahmewirkung» beeinträchtige und sich dabei «gegen die politische Neuordnung» richte, sei mit dem Tode zu bestrafen. Das politische Ziel war damit klar: Die vollständige «Arisierung» des Immobilienmarkts, notfalls unterstützt durch die Kapitalstrafe. Für die formalisierte Strenge des Grundbuchs lag darin eine erhebliche Zumutung. Das von Hitler ausgegebene Ziel der «ethnischen Flurbereinigung»34 traf auf einen selbst nach juristischen Maßstäben außerordentlich unflexiblen Rechtszweig. Schon eine Beschlagnahme war grundbuchrechtlich nicht einfach umzusetzen. Ins Grundbuch durften grundsätzlich nur Positionen, deren Wirksamkeit von der Eintragung ins Grundbuch abhing. Eine Beschlagnahme durch Göring oder Himmler zielte aber gar nicht auf die Eigentumsverhältnisse, sondern enthielt zunächst nur ein polizeiliches Verbot, über das Grundstück zu verfügen. Dass eine solche Maßnahme auch ohne die korrekte Eintragung im Grundbuch wirksam war, lag auf der Hand. Nach Monaten der Unsicherheit einigte man sich darauf, das Veräußerungsverbot durch einen farbigen Klebezettel auf dem Aktendeckel anzuzeigen, gewissermaßen als nicht eingetragene Warnung vor einer Nicht-Eintragung.35 Dass darüber hinaus jedoch die Gültigkeit der Beschlagnahmen von der Volkszugehörigkeit der Betroffenen abhing, ließ sich grundbuchrechtlich gar nicht mehr darstellen. Die SS hatte dazu zwar schon formularmäßig Feststellungen getroffen. Aber diese Einschätzungen konnten wenigstens theoretisch noch mit einer Beschwerde angegriffen werden, zumal die Eintragungen auf der Deutschen Volksliste in Oberschlesien erst im April 1941 ihren Anfang nahmen, die Volkszugehörigkeiten also noch in jeder Hinsicht offen waren. Und das war noch nicht einmal das Schlimmste: Der ethnischen

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Flurbereinigung sollte unmittelbar eine wirtschaftliche folgen, damit nicht das Deutsche Reich oder irgendein redlicher Erwerber die Hypotheken der polnischen Vorbesitzer übernehmen würde. Nur bei landwirtschaftlichen Betrieben war das gesetzliche Erlöschen aller Belastungen vorgesehen, ansonsten hatten die Amtsgerichte darüber zu wachen, dass zwischen der Beschlagnahme und der endgültigen Einziehung allfällige Altschulden zunächst beseitigt würden, bevor das Grundbuch die neuen Herren verzeichnete, wobei auch hier wieder rassisch definierte Ausnahmetatbestände hinzukamen.36 Im Falle der Liegenschaften, die für die IG Farben auserkoren waren, gab es jedoch noch nicht einmal Vermessungsakten, weil die polnischen Behörden die Kataster vor der deutschen Besatzung fortgeschafft hatten. Man wusste also nicht, ob die Grundstücke zu Recht beschlagnahmt waren und mit welchen Pfandrechten sie belastet waren, ja es war noch nicht einmal bekannt, ob die betroffenen Parzellen überhaupt «Grundstücke» im grundbuchrechtlichen Sinne waren oder ob die juristisch relevanten Grenzen nicht ganz woanders verliefen. Als Grundbuchamt war das Amtsgericht Auschwitz dazu auserkoren, diese Schwierigkeiten zu lösen. Ab Sommer 1941 liefen dort Hunderte von Beschlagnahmeverfügungen ein, die Himmler als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums erlassen hatte, um der IG Farben den Boden für das neue Werk verkaufen zu können.37 Juristisch war nichts davon zu gebrauchen. Eine Beschlagnahme hinderte den bisherigen Eigentümer daran, weiter über sein Grundstück zu verfügen, schuf aber kein neues Eigentum, weder der Haupttreuhandstelle Ost noch des Deutschen Reiches noch gar der IG. Der Überfall auf Polen hatte die Grundbuchordnung unangetastet gelassen: ohne Grundbuch kein Eigentum, und ohne Kataster kein Grundbuch. Die IG Farben platzierte ihr kriegswichtiges Millionenprojekt auf einem Stück Land, das auf Jahre hinaus anderen Eigentümern gehören würde. In der Rechtsabteilung der IG war man deshalb alarmiert. «Die

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Frage der grundbuchmäßigen Behandlung unseres Geländeerwerbs», hielt ein Vermerk fest, «spielt bei unserem Geländekauf wohl die wichtigste Rolle überhaupt.»38 Schon bei einer ersten Besprechung wies man darauf hin, dass es über die betreffenden Liegenschaften keinerlei Flächenverzeichnisse gebe, weshalb alle Hoffnungen auf zwei Waggons mit unbekannten Akten ruhten, die man bei Lemberg gefunden hatte.39 Der Fund erwies sich rasch als wertlos. Es blieb deshalb nichts anderes übrig, als die beschlagnahmten Liegenschaften erst vermessen zu lassen und anschließend das bisher nach österreichischem Recht geführte Grundbuch durch ein neu angelegtes deutsches zu ersetzen. Bald tummelten sich die Landvermesser des Katasteramts Bielitz in Dwory, parzellierten den beschlagnahmten Grund und Boden, erfassten Lage, Nutzungsart, Fläche, Ertragsmesszahl und zimmerten aus den Tausenden Kleinund Kleinstfluren – zwischen 300 Quadratmeter und 80 Hektar war alles vertreten – am Ende sieben stattliche Grundstücke. Die Listen lesen sich wie mittelalterliche Landschaftsbeschreibungen: Flutkanäle, Wege, Tümpel, Hutungen, Wiesen, Wälder, Höfe, Hofräume, Wege, Dämme, gelegen «südlich der Weichsel», «nördlich des großen Fischteichs», «nordöstlich am großen Fischteich», «an der Grenze mit Zaborze», «südlich der Reichsstraße», «an der Gemarkungsgrenze zu Dwory II» oder einfach nur «im Dorf».40 Ganz wie Jahrhunderte zuvor von Johann Georg Krünitz prophezeit, blieb keine Handbreit des Landes verborgen, was sich freilich nicht nur auf deutsche Beamtentreue und deutsche Gewissenhaftigkeit, sondern sicherlich gleichberechtigt auch auf den Umstand zurückführen ließ, dass jedem die Todesstrafe drohte, der sich dieser rassisch bereinigten Welterfassung widersetzen sollte. Im Sommer 1942 war etwa die Hälfte des Geländes ordentlich parzelliert, die Kataster lägen, stellte die IG bei einer Baubesprechung im September 1942 zufrieden fest, «sauber und übersichtlich» vor.41 Ein erster stattlicher Datensatz ging ans Gericht.

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Juristisches Bodenpersonal Juristisches Bodenpersonal

Das Amtsgericht Auschwitz war davon zunächst heillos überfordert. Nur die begleitende Rhetorik blieb gewohnt bombastisch. Karl Buchholz vom Oberlandesgericht Posen jubelte über die eigenen Erfolge, man habe im September 1939 in Polen «einen rechtsleeren Raum» vorgefunden, in dem man umstandslos zur Anwendung des deutschen Rechts übergegangen sei.42 Fritz Fechner vom Reichsjustizministerium brachte den Rechtstransfer noch gravitätischer zum Ausdruck: «Der deutsche Mensch, der den deutschen Osten wieder in Besitz genommen hatte, brachte gleichsam sein Recht mit sich», im Sperrdruck hervorgehoben, damit auch dem oberflächlichen Leser die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Mission nicht entgehen würde.43 Die grundbuchrechtliche Praxis jedoch zwang die deutschen Rechtsmenschen zu einem ziemlich kleinlauten Ton. Wenn Werner Günther als tapferer Ostrechtswahrer sein eigenes deutsches Recht mit in die neuen Gebiete gebracht haben sollte, dann war ihm selbst jedenfalls dieses Mitbringsel verlorengegangen. Wenige Monate nach Amtsantritt wandte er sich direkt an das Ministerium in Berlin und begann mit der entwaffnend ehrlichen Frage, ob an seinem Gericht eigentlich bereits deutsches Grundbuchrecht gelte. Auch sonst war Günther einiges unklar. Er wollte von seinen Vorgesetzten wissen, ob er die vorhandenen polnischen Grundbücher weiterführen solle oder ob mit einer Lieferung deutscher Grundbücher zu rechnen sei, ob er auch Grundakten anzulegen habe und schließlich: ob er die deutsche Kostenordnung zugrunde legen dürfe.44 Da hatte der deutsche Volljurist außer seiner sorgsam gehegten Ehrfurcht vor dem Dienstweg eigentlich gar nichts mitgebracht. Aber anderes Personal gab es nicht. Das Gericht fristete noch immer eine denkbar dürftige Existenz. Günther war nach wie vor

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der einzige Richter vor Ort,45 von sechs Stellen im Grundbuchamt waren gerade einmal zwei besetzt. Für diese versprengten Justizangehörigen wurde das Grundbuch der IG-Farben bald zu einer Art Lebensversicherung. Ohne das Buna-Werk wäre das Gericht vermutlich geschlossen worden, sein Dasein hing an dem staatlichen Raubzug. Nur solange es noch gestohlene Ländereien juristisch besenrein zu machen galt, ließ es sich rechtfertigen, die wehrfähigen Rechtsarbeiter dem Krieg vorzuenthalten. Günther war schon bei seiner Abordnung nach Auschwitz für unabkömmlich erklärt worden. Um dies weiter zu begründen, wurde die wachsende Symbiose zwischen Gericht und Grundbuch zum entscheidenden Argument. Am 23. April 1942 unterstrich der Präsident des Oberlandesgerichts Kattowitz – das ein Jahr zuvor gegründet worden war und seither die Zuständigkeit für Auschwitz innehatte –, die «großen Bauvorhaben der IG Farben» würden eine «erhebliche, in die Tausende gehende Zahl von Grundbuchverfügungen» erforderlich machen. Günther sei der einzige Richter des Bezirks, der in den «in vielerlei Hinsicht schwierigen Fragenkreis eingeweiht» sei, was ihn «bis zur Durchführung der Bauvorhaben kaum ersetzbar» mache. Die IG Farben lege deshalb «erheblichen Wert» darauf, dass Günther am Arbeitsplatz bleibe. Nahezu zeitgleich schrieb die IG an die Wehrersatzinspektion, «für den Erwerb und die Bebauung der umfangreichen Ländereien in Auschwitz», auf denen man «einen Betrieb von allerhöchster Kriegswichtigkeit» errichte, sei «die Anlegung eines Grundbuchs nach deutschem Muster unbedingt notwendig». Und die könne nur Günther durchführen, da er bereits an den Vorarbeiten beteiligt gewesen sei. Zwei Wochen später bekräftigte der Oberlandesgerichtspräsident diese Einschätzung: «Die Dinge liegen in der Tat so, dass ein anderer Richter als derjenige, der die sehr schwierigen Vorarbeiten geleistet hat, kaum in der Lage wäre, sie sachgemäß zu Ende zu führen.»46 Das Grundbuch wurde zum Garanten gegen die Einberufung. Günther blieb.

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So ging es auch seinen Mitstreitern. Das Grundbuch brauchte sie, und sie brauchten das Grundbuch. Otto Schmiegel, Jahrgang 1900, zuletzt Justizangestellter in Kassel, kam Ende 1940 nach Auschwitz und wurde dort rasch zum Justizsekretär befördert. Günther attestierte ihm, er habe bereits 934 Grundakten der IG-Farben angelegt, seine Tätigkeit erstrecke sich «in der Hauptsache nur auf die Bearbeitung von Beschlagnahmeanträgen der Haupttreuhandstelle Ost».47 Als Schmiegel krankheitsbedingt zwei Wochen fehlte, bat das Gericht umgehend um Ersatz, «da die Arbeiten für die Grundbuchanlegung in vollem Gange» seien.48 Auch Schmiegels Arbeit war wichtiger als der Krieg; ab 1942 wurden seine UK-Stellungen nur noch routiniert mit den «bekannten vordringlichen Arbeiten» begründet.49 Die gleiche Formel kam auch Erich Pretzsch zugute, einem Justizangestellten aus Görlitz, dem sein Einsatz für die Buna-Werke ebenfalls eine Beförderung einbracht hatte und ihn anschließend vor dem Kriegsdienst bewahrte. 50 Selbst polnische Kräfte erwiesen sich als unabkömmlich. Seit Anfang 1940 war mit Sebald Godulla ein germanophiler Pole angestellt, um die Kommunikation mit der Bevölkerung zu erleichtern und die polnischen Akten zu erschließen.51 Als Godulla im April 1943 ausschied, folgte ihm umgehend Anna Brzezinski, deren Anstellung ausdrücklich mit dem «Geschäftsandrang aus Anlaß der Neuanlegung des Grundbuchs» begründet wurde.52 Mit Albin Jaskiewicz griff man sogar – gegen alle Vorschriften – auf die Dienste eines Polen zurück, dessen Eintragung in die Deutsche Volksliste abgelehnt worden war. 1885 in Auschwitz geboren, war er bereits seit 1904 am dortigen Gericht tätig, wurde 1939 zunächst pensioniert, kam dann zurück ans Gericht und wurde nun von Günther kurzerhand für unabkömmlich erklärt: «Jaskiewicz erledigt die häufigen, mit dem I. G. Farbenwerk und dem Konzentrationslager Auschwitz zusammenhängenden Grundbuchauszüge», erklärte er dem Präsidenten des Landgerichts Bielitz im Juni 1942. Zudem werde Jaskiewicz «für die demnächst zu erwartende grundbuch-

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mäßige Erfassung der Grundstücke des I. G. Farbenwerks unentbehrlich sein», wobei Günther noch einmal betonte, die Arbeiten seien «dringend» und müssten «in einem beschleunigten Geschäftsgang» erledigt werden.53 Noch Ende 1943 wurde die Weiterbeschäftigung von Jaskiewicz mit der «in allernächster Zeit beginnenden Anlegung des Grundbuchs nach deutschem Recht für den Interessenbereich des hiesigen Werkes der IG Farben» gerechtfertigt; sicherheitshalber verwies man darauf, dass das Grundbuchamt räumlich von den übrigen Abteilungen des Gerichts so getrennt sei, dass Jaskiewicz «sich mit anderen als Grundbuchgeschäften nicht vertraut machen» könne.54

Die Auflassung des Betriebsgeländes Die Auflassung des Betriebsgeländes

Eine letzte Schwierigkeit warf 1943 die politische Kartografie auf. Der genaue Grenzverlauf zwischen der Stadt Auschwitz und dem Konzentrationslager der SS war schon lange Gegenstand von Auseinandersetzungen gewesen, bei denen die zivilen Behörden schließlich den so einfältigen wie makabren Vorschlag gemacht hatten, das Lager «an anderer Stelle» neu zu errichten, um «allen Beteiligten für die Zukunft eine ausreichende Entwicklungsmöglichkeit sicherzustellen».55 Auch die IG war um Streitschlichtung bemüht. Am Ende hatte man damit zwar Erfolg. Im Frühjahr 1943 wurde die Grenze zum SS-Interessengebiet endgültig festgelegt; die Stadt verzichtete auf einige streitige Gebiete, erhielt dafür im Gegenzug die Vorzugsrechte nach der Deutschen Gemeindeordnung, einen eigenen Bürgermeister, ein eigenes Stadtwappen und schließlich auch die Konsolidierung ihrer Ostgrenze: Dwory und Monowitz, die beiden Ortschaften, in denen sich die IG angesiedelt hatte, gehörten ab dem 1. April überwiegend zur Stadtgemeinde Auschwitz. Aber damit war das Buna-Werk, so politisch privilegiert, kapital-

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stark und kriegswichtig es auch sein mochte, grundbuchrechtlich an die Stadt Auschwitz geknüpft, für die IG eine Katastrophe. Denn § 2 der Grundbuchordnung von 1935 erteilte die Anweisung: «Die Grundbücher sind für Bezirke einzurichten», eine Allgemeinverfügung gab dazu die eindeutige Erläuterung: «Grundbuchbezirke sind die Gemeindebezirke».56 Die IG durfte demnach erst dann auf ihr Grundbuch hoffen, wenn auch das gesamte Stadtgebiet von Auschwitz ordentlich erfasst sein würde. Insoweit aber, das war jedem klar, bestand keine Hoffnung. Die zahllosen Deportationen, Zerstörungen, Umwidmungen und Neubauten hatten in Auschwitz ein eigentumsrechtliches Chaos hinterlassen, das neu zu vermessen Jahre in Anspruch nehmen würde. Es bedurfte einer Intervention des Reichsjustizministers persönlich, um die grundbuchrechtliche Schicksalsgemeinschaft von Werk und Stadt wieder zu lösen. Dass eine Millioneninvestition unter ungeklärten Eigentumsverhältnissen misslich war, sah Thierack ohne Weiteres ein. Er teilte deshalb das Stadtgebiet in zwei Grundbuchbezirke auf. Ende 1943 erklärte er das Grundbuch Auschwitz II offiziell für angelegt; das damit implizierte Grundbuch Auschwitz I wurde nie erstellt. Am 22. März 1944 kam dann der krönende Schlussstein. Mittlerweile arbeiteten fast 30 000 Menschen auf der Baustelle, im firmeneigenen Konzentrationslager Monowitz wurden gut 7000 Insassen verwahrt, die «Verlegungsmeldungen nach Birkenau» verbuchten immer wieder Hunderte von Abgängen – Diagnosen von «Schwäche», «Durchfall» oder «Kollaps» bedeuteten den Tod im Gas –,57 und nunmehr gelang es in einem letzten Schritt, das rechtlose Interregnum auf dem Firmengelände zu beenden. Ufgegebin und ufgelazin: Das Amtsgericht Auschwitz, nach damals geltender Rechtslage mögliches Substitut für einen Notar, protokollierte einen Kaufvertrag zwischen IG Farben und Deutschem Reich, der dem Unternehmen fast 2500 Hektar Land versprach, wofür dieses wiederum einen Kaufpreis von 4,062 Millionen Reichsmark bezahlte.58 Die ungarischen Juden, die ab Mitte Mai zu

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Die Auflassung des Betriebsgeländes

Tausenden eintrafen, konnte die IG Farben unter geklärten Eigentumsverhältnissen versklaven. Jetzt war die Flur wirklich ethnisch bereinigt. Bei der IG Farben muss die lang ersehnte Legalisierung ihres Millionenprojekts für erhebliche Erleichterung gesorgt haben. Tausende Menschenleben, die das kriegswichtige Prestigeobjekt zu diesem Zeitpunkt bereits gefordert hatte, ließen sich durch Verweis auf Führer und Weltmarkt in eine brutale, aber wirtschaftspolitisch doch noch irgendwie darstellbare Logik integrieren: Um das Wohlwollen des Regimes zu erhalten, war entschlossenes Handeln erforderlich, außerdem hatte man viel Geld investiert, das nach Rendite schrie, und zu guter Letzt konnte man die SS vorschieben, wenn es darum ging, sich die Hände schmutzig zu machen. Das unwegsame Gelände der white collar crime jedoch dürfte den Regenten der IG Farben unheimlich geblieben sein. Einen schmutzigen Kragen kann sich der ehrbare Kaufmann nicht leisten. Bislang waren gut 500 Millionen Reichsmark im rassisch unzuverlässigen Grundbuch Ostoberschlesiens gelandet. Allein der Aufbau des Firmen-KZ hatte 5 Millionen gekostet, dazu waren mittlerweile 20 Millionen für die Sklaven aus Birkenau an die SS geflossen, und die Infrastruktur der Stadt hatte ebenfalls Unsummen gefressen. Es wäre peinlich gewesen, der jährlichen Hauptversammlung zu erklären, warum man diesen ungeheuren Betrag in einer Baustelle versenkt hatte, über die die IG Farben dank der Gnade der SS, nicht aber aus eigenem Recht verfügen konnte. Noch unangenehmer hätte der Kontakt mit einem Staatsanwalt werden können: Schon das Aktienrecht war voll von Strafvorschriften bezüglich Handlungen, die der Gesellschaft schadeten oder auf falschen Angaben beruhten, und der erst 1933 durch die Nationalsozialisten reformierte Untreuetatbestand des § 266 Strafgesetzbuch verlieh der eklatanten Vermögensgefährdung in Auschwitz ebenfalls strafrechtliche Relevanz.59 Es ist unbekannt, ob das professionelle Unbehagen an ihrem

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Die Parzellierung des Todes

juristischen Vabanquespiel die Entscheidungsträger der IG Farben jemals heimgesucht hat. Die Aktionäre stellten keine Fragen, die Staatsanwälte blieben fern, vor 1945 sowieso und nach 1945 erst recht. Der Kragen blieb weiß. Die pseudolegalen Umstände des Eigentumserwerbs warfen für alle Beteiligten willkommene Partizipationsmöglichkeiten ab. Vor der monumentalen Bedeutung des Grundbuchs schnurrten sogar die Machtworte von Göring und Himmler auf die putzige Größe von Klebezettelchen zusammen. «Eigentum» als Kernbereich der bürgerlichen Gesellschaft blieb dem brachialen Zugriff des Maßnahmenstaates jedenfalls nach der Aktenlage entzogen; die Bodenämter, Kreditinstitute, Teilhaber und anderen Honoratioren der Volksgemeinschaft konnten sich an einer juristischen Normalität erfreuen, für die auch die Errichtung einer Todesfabrik vorrangig ein Problem der ordnungsgemäßen Beurkundung war. Das Grundbuchamt verteidigte sein Papierreich auch gegen die Wehrmacht, indem es sich selbst für unabkömmlich erklärte. Das Selbstbild der Kaufleute blieb ungetrübt; für die Reise in die tausendjährige Zukunft brauchte man eben korrekte Papiere. Und wer so angstfrei in den Spiegel des Rechts blicken konnte, der hatte allen Grund, sich selbst für normal zu halten.

Ein Amtsgericht wird überflüssig Ein Amtsgericht wird überflüssig

Damit aber war auch der Daseinszweck des kleinen Amtsgerichts in Auschwitz weitgehend erfüllt. Das Geschäft war vollzogen. Im März 1944 war das Gericht überflüssig geworden. Was das Konzentrationslager anging, so flog man ohnehin unter dem Radar; für die SS war das juristische Bodenpersonal des Amtsgerichts nicht satisfaktionsfähig. Auch über die Parteizugehörigkeiten dürften sich keine Verbindungen ergeben haben: Otto Schmiegel als Zellenleiter, Sebald Godulla als Blockleiter und Werner Günther als Propaganda- und Schulungsleiter der überhaupt

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Ein Amtsgericht wird überflüssig

erst seit August 1940 bestehenden NSDAP-Ortsgruppe Auschwitz waren die höchsten Honoratioren bei Gericht. Die Beziehungen zur IG warfen ebenfalls nur noch wenige Brosamen ab. Ein Justizangestellter meldete der Verwaltung, seine fünfzehnjährige Tochter arbeite ab sofort für einen Monatslohn von 60 Reichsmark als Büroanfängerin beim IG-Werk in Auschwitz, wobei er bei der Bemessung des Kindergeldes zu berücksichtigen bitte, dass er weiterhin die Kosten für Kleidung und Wäsche zu tragen habe;60 ein anderer wechselte Ende 1943 ganz die Seiten und schloss sich «auf unbegrenzte Zeit» dem IG-Farben-Werk an.61 Für die meisten aber blieb als einzige kriegswichtige Verwendung nur noch der Krieg selbst übrig. Werner Günther, der die Germanisierung des Gerichts und die Anlegung des neuen Grundbuchs so wacker vorangetrieben hatte, musste Auschwitz bereits vor dem Gipfel seiner jahrelangen Mühen verlassen. Nach dreieinhalb Jahren Aufbauarbeit in Ostoberschlesien wurde er im Februar 1943 einberufen. Die ersten Monate war er wohl noch in Liegnitz stationiert – ab Mai gehörte er dem Gemeinderat von Auschwitz an  –, aber spätestens 1944 kam er zum Panzer-Grenadier-Regiment 108, einer Notzusammenstellung aus den Resten der bei Stalingrad untergegangenen 6. Armee, mit der er vor allem in Rumänien, Litauen und Lettland eingesetzt wurde.62 Sebald Godulla, der deutsch fühlende Pole, der in einer fernen Vergangenheit in der polnischen Armee Dienst getan hatte, betrieb seine Eindeutschung mit bitterem Ernst; als Gegenleistung erhielt er 1942 endlich den Eintrag in die Deutsche Volksliste und Anfang 1943 den Ruf zur Wehrmacht.63 Erich Pretzsch wurde am 10. September 1943 einberufen,64 Otto Schmiegel, der unverzichtbare Grundbuchhalter, wurde Anfang 1944 für kriegsverwendungsfähig erklärt;65 sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Nachdem die IG Farben ihre Grundbuchangelegenheiten in Ordnung gebracht hatte, wurden vor Ort nur noch sporadisch juristische Dienstleistungen angeboten. Anna Brzezinski war noch

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da, um polnische Übersetzungen anzufertigen; der Pole Albin Jaskiewicz blieb mit der Begründung am Gericht, die Volksdeutschen seien auch nicht verlässlicher, da sie häufig polnische Verwandtschaft hätten und sich «ostentativ bei Polen wieder beliebt machen» wollten;66 eine Witwe mit fünf Kindern kam jeden Tag für acht Stunden, um das Gerichtsgebäude sauberzuhalten.67 Nachdem Werner Günther vom Krieg abgeholt worden war, führte 1943 Günther Hindemith – ein überschaubar talentierter Jurist aus Niederschlesien – die Aufsicht über das Gericht;68 im März 1944 war es Gerhard Thiele, ein politisch serviler Karrierist, der aus dem 140 Kilometer entfernten Krzepice anreiste, um den Kaufvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der IG Farben zu protokollieren.69 In Auschwitz selbst gab es keinen Richter mehr.

Räumen und Reinwaschen Räumen und Reinwaschen

Als im Januar 1945 die sowjetische Armee immer näher rückte und Auschwitz geräumt wurde, war das mittlerweile ziemlich verschlafene Amtsgericht für niemanden ein besonderer Grund zur Sorge. Das Interesse der SS galt dem Konzentrationslager, das der IG Farben dem Werk. Das übergeordnete Oberlandesgericht Kattowitz meldete am 21. Januar nach Berlin, die meisten Justizbehörden im Bezirk würden «ohne Störung» arbeiten, auch in Bielitz könnten wenigstens die wichtigsten Geschäfte «im großen und ganzen noch erledigt» werden. Ergänzend bemerkte man, lediglich in Auschwitz sei «mit Störungen zu rechnen».70 Das war durchaus nicht falsch. Bei der IG Farben war man schon seit Monaten mit Notfall- und Evakuierungsplänen beschäftigt, die jetzt freilich binnen weniger Tage umgesetzt werden mussten.71 Am 16. Januar erschienen die ersten russischen Flugzeuge über der Stadt, einen Tag später begann die Evakuierung der nicht arbeitenden Bevölkerung, wegen der ständigen Luftangriffe kam die Tätig-

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Räumen und Reinwaschen

keit in den Werken praktisch zum Erliegen. Am 19. Januar trieb die SS die ersten Häftlingskolonnen auf einem Todesmarsch nach Westen, am Tag darauf erging der Räumungsbefehl für das Werk. Die letzten Mitarbeiter begannen, den Betrieb gezielt lahmzulegen und kompromittierende Unterlagen zu verbrennen, am 23. Januar ging die Werksleitung noch einmal über das Gelände und überwachte den Abtransport von Geheimakten und Schlüsseltechnik. Danach meldete man die Durchführung der Evakuierung. Am selben Tag erreichten die erwähnten Störungen auch Kattowitz selbst. Die Wehrmacht hatte dort immer wieder betont, es sei nachgerade unmöglich, dass die Rote Armee bis ins schlesische Kohlenrevier vordringe. Am 23. Januar erfuhr man dann, dass die Wasserwerke bereits vollständig in den Händen sowjetischer Soldaten seien und die Bahn nur noch Kohle für wenige Tage habe. Am nächsten Morgen erhielt Kattowitz den Evakuierungsbefehl. Man vernichtete wichtige Akten, verlud andere in einen Kraftwagen, der noch aufzutreiben war, schraubte die Guillotine auseinander, vergrub die Einzelteile und beseitigte zuletzt noch den Galgen. Oberlandesgerichtspräsident und Generalstaatsanwalt fuhren ein letztes Mal durch ihren Bezirk; ihre Erlebnisse waren erschütternd: «Westwärts fahrende Wehrmachtskolonnen, Trecks von Flüchtlingen und zurückgeführten Konzentrationshäftlingen und Gefangenen erschwerten die Fahrt. Zu Fuß flüchtende Mütter mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm zogen ihre letzte Habe auf dem Schlitten hinter sich. Am Wege lagen die Leichen von Konzentrationslagerhäftlingen. Militärkolonnen marschierten wenig geordnet daher. Vorgehende Truppen und militärische Sicherungen waren nicht zu sehen. Es war das Bild eines ungeordneten Rückzuges und maßlosen Flüchtlingselends. Infolge starker Kälte froren die Menschen. Nicht wenige Kinder sind durch Erfrieren ums Leben gekommen. Es war ein trostloser, niederziehender Eindruck, den auch alte Soldaten unter uns in dieser Stärke noch nicht erlebt hatten.»72 Wie es den in Auschwitz tätigen Juristen nach ihrer Zeit am

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dortigen Amtsgericht erging, war nur in Bruchstücken zu ermitteln. Günther Hindemith geriet in britische Gefangenschaft, wurde im März 1946 Hilfsarbeiter in einer Pappfabrik, war danach Assistent der Verteidigung in den Nürnberger Prozessen gegen die Südostgeneräle und anschließend einfacher Rechtspfleger. 1956 segelte er zurück ins Amt und wurde Amtsrichter in Geilenkirchen, kräftig befördert von Art. 131 Grundgesetz, dazu stellte man seine steten Mühen in Rechnung sowie zu guter Letzt seine fünf Kinder.73 Dass er jemals in Auschwitz war, ist in seinen Personalakten nirgendwo vermerkt. Gerhard Thieles Justizkarriere dagegen war beendet; seine Personalakte blieb zunächst im Reichsjustizministerium, wurde dann von Berlin nach Koblenz ins Bundesarchiv verschickt, und als sie nach 1990 von dort wieder nach Berlin zurück sollte, ging sie verloren und ist seither verschwunden.74 Werner Günthers Weg führte über ein schlesisches Lazarett und letzte Kämpfe in Guben nach Schwerin, einige Monate später nach Hof, wo er zunächst arbeitslos war, dann für Siemens arbeitete und schließlich Anwalt wurde. Bei seiner Eingliederung in die westdeutsche Gesellschaft griff er auf die üblichen Darstellungen zurück: Die Mitgliedschaften in NSDAP und SA seien tatsächlich nur erzwungene Übernahmen aus anderen Organisationen gewesen; für Polen, sogar für Juden habe er sich immer wieder eingesetzt und dabei auch die offene Konfrontation mit Vorgesetzten in Kauf genommen, wobei hier Albin Jaskiewicz, der unverzichtbare Grundbuchbeamte, und Sebald Godulla, der um jeden Preis hatte eingedeutscht werden wollen, als Kronzeugen herhalten mussten. Ein kleines Netzwerk schlesischer Flüchtlinge  – namentlich Erich Pretzsch und Sebald Godulla waren ebenfalls in Bayern gelandet – bestätigte die vielen Übertreibungen, Ausflüchte und Lügen, ein nicht greifbarer Schlesier, Otto Schmiegel, wurde übereinstimmend schwer belastet. Werner Günther erhielt am 16. Dezember 1946 mit seiner Einstufung als «entlastet» einen Freispruch erster Klasse. Die Ausführungen zum «aktiven Widerstand» – kein Kirchenaustritt, «Inte-

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resselosigkeit» in Parteiangelegenheiten, «gehaltliche Höhergruppierung sämtlicher Bediensteten seines Amtes» – machen etwa die Hälfte der Begründung aus. Günthers Tätigkeitsbeschreibung «Insbesondere Vorbereitung der Umstellung des Grundbuchs vom öster. aufs deutsche System» klang unaufgeregt bürokratisch, und der niedliche Appendix «klein», den Günther, einem lieb gewonnenen Sprachgebrauch der deutschen Justizverwaltung folgend, seinem Amtsgericht in Auschwitz anhängte, rundete den Eindruck vom ländlichen Idyll ab: Er habe in einem verschlafenen oberschlesischen Nest gewirkt, wo sich, wie Günther malerisch zusammenfasste, «die Füchse ‹Gute Nacht› sagten».75 Günther wurde Rechtsanwalt und trat 1986 altersbedingt in den Ruhestand.

Grundbuch der Erinnerung Grundbuch der Erinnerung

Und so kommt es, dass heute von dem kleinen Amtsgericht Auschwitz fast keine Spuren mehr zu finden sind. Im zuständigen Archiv in Bielsko-Biała wurden lange Zeit drei magere Akten verwahrt, von denen lediglich die Beschlagnahmeverfügungen des Bodenamts eine gewisse Brisanz bergen,76 zuletzt kamen vier Bände aus dem Staatsarchiv Oppeln hinzu, die den Werdegang des Kanzleigehilfen Maximilian Schmidt dokumentieren, der sich auf seiner beruflichen Karriere unermüdlich durch die schlesische Provinz arbeitete und dabei auch kurz Station in Auschwitz machte.77 Nicht einmal vom Grundbuch, um dessen Pflege das Amtsgericht so aufopferungsvoll bemüht war, sind mehr als kleinste Splitterbestände erhalten geblieben; die Zeiten überdauert hat augenscheinlich nur ein «Verzeichnis der im Grundbuch des Amtsgerichts Auschwitz für die Herrschaft Saybusch eingetragenen Grundstücke», das sich aber nicht auf die Stadt Auschwitz bezieht.78 Lediglich ein einziger Bestand hat nahezu geschlossen die Nachkriegszeit erreicht: die Personalakten des Amtsgerichts. Ihre

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Metamorphose von Gerichts- zu Geschichtsakten vollzog sich auf eigentümlichem Wege. Ursprünglich befanden sie sich in Kattowitz, dem Sitz des übergeordneten Oberlandesgerichts. Von dort brachte man sie Ende 1944 vorsorglich in die gut 130 Kilometer westlich gelegene Stadt Neisse, auf das andere Flussufer der Oder. Als im Januar 1945 hektisch Ort um Ort geräumt werden musste, gelang es erst im letzten Moment, einen Waggon der Reichsbahn zu organisieren, in dem die Akten am 13. Februar nach Dresden transportiert werden sollten. Ein hastiger Funkspruch lenkte sie noch einmal in eine andere Richtung; nach einer langwierigen Irrfahrt verendeten sie schließlich im thüringischen Ronneburg.79 Warum sich die US-amerikanischen Truppen, die sonst Akten in großer Zahl requirierten, für die Kattowitzer Hinterlassenschaften nicht interessierten, ist unbekannt. Auch die sowjetische Militärregierung beschränkte sich darauf, eine erste Inventur im Sommer 1945 brüsk zu unterbrechen. Aber 1946 begann man, sich einen systematischen Überblick zu verschaffen. Daraufhin erstellte der nunmehr zuständige Kreisrat Altenburg im Mai 1947 eine Übersicht über die Kattowitzer Restbestände, für deren Rettung im Endkampf zwei Jahre zuvor die letzten Kohlereserven aus dem oberschlesischen Revier verheizt worden waren, um die Akten mit der Eisenbahn die gut 600 Kilometer nach Westen zu schicken. Die Liste wollte gar nicht mehr enden: Register, Verwaltungsvorgänge, juristische Fachliteratur, Generalakten, Namensverzeichnisse, Erlasse, Nachlässe, Berechnungsbögen, Kalender, Dienstsiegel, 20 Schreibmaschinen, 3 Radiogeräte, ein Forstkalender 1946, Zwirn, Aktenreiter, 36 Bleistifte, 200 Tintenstifte, 120 Beutel Tintenpulver, 8 Stempelkissen (5 kleine und 3 große), ein Briefkorb, 10 000 Blatt Konzeptpapier, 2 Scheren und 2 Lineale, eine Schatulle mit Wertsachen, deren Treuhänder, Landgerichtspräsident Dr. Hermann, jedoch inhaftiert sei und deshalb zum Inhalt «nicht befragt werden» könne. Und so ging es weiter, insgesamt 150 eng bedruckte Seiten voller Hölzchen und Stöckchen der ober-

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schlesischen Justiz, und irgendwo versteckt in diesem vertrockneten Florilegium befanden sich auch die Personalakten der Rechtsarbeiter von Auschwitz.80 Nach dieser Bestandsaufnahme war der Weg frei, um die Akten von Ronneburg ins eben erst gegründete «Zentralarchiv in der Sowjetischen Besatzungszone» nach Potsdam zu überführen, wo sie die Gründung der DDR erlebten und bis 1990 relativ ereignislose Jahre verbrachten, sieht man von einem Transport in die Außenstelle Merseburg ab. Nachdem aber auch der Sozialismus in Deutschland Geschichte und die DDR Beitrittsgebiet geworden war, zogen die Akten ein weiteres Mal um. Seither liegen sie im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem, zugeordnet der Provinz Schlesien und dort wiederum dem Oberlandesgericht Breslau. Ist das nun die letzte Ruhestätte? Die Reise der Akten – Kattowitz, Neisse, Ronneburg, Potsdam, Merseburg, Berlin – wurde im Archiv in einer Provenienz gebündelt, an der eigentlich alles falsch ist. Schon die Zuordnung zu Breslau ist falsch, unterstand das Amtsgericht Auschwitz doch seit 1941 dem neu gegründeten Oberlandesgericht Kattowitz. Aber auch der Rest ist falsch. In den knapp tausend Jahren seiner wechselvollen Existenz lag Auschwitz in Polen, Polen-Litauen, Österreich und Böhmen, war Teil verschiedener Herzogtümer und irgendwann selbst ein Herzogtum, gehörte dem Heiligen Römischen Reich an und im 19. Jahrhundert dem Königreich Galizien, womit es Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie war, anders als der Rest Galiziens aber zugleich Mitglied des Deutschen Bundes. Das vorletzte Kapitel in dieser Geschichte war die Annexion durch das Deutsche Reich, das seine grausame Dialektik von Verdeutschung und Vernichtung in Auschwitz zusammenlaufen ließ; das jetzige Kapitel wurde 1945 begonnen, als die Stadt Teil des wiederauferstandenen Polen wurde und seither wieder Oświęcim heißt.

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Eines jedoch war Auschwitz nie: preußisch. Sein kleines Amtsgericht wurde zu einer Zeit aus der Taufe gehoben, als es nach der «Verreichlichung» der Justiz nicht einmal mehr eine preußische Justizverwaltung gab. Dass das Amtsgericht in der archivalischen Provenienzbildung rückwirkend prussifiziert wurde, ist nur eine weitere bizarre Wendung in der komplizierten Geschichte der Stadt. Fast wie im echten Leben: Auch das Grundbuch der Erinnerung nimmt keine Rücksicht auf die Kataster der politischen Geografie.

§ 4.

Lastenausgleich: Das Sondergericht Aachen und sein letzter Richter

Hans Keutgen: Ein normaler Lebensweg Lastenausgleich Hans Keutgen: Ein normaler Lebensweg

Der letzte Richter des Sondergerichts Aachen war ein durchaus typischer Vertreter seiner Art. Sein Vater zeichnete Muster in der Textilbranche, die Mutter war Hausfrau, und lediglich die fünf jüngeren Geschwister sorgten dafür, dass die juristenübliche Sozialisation im klassischen Mittelstand durch wiederkehrende Geldsorgen etwas eingetrübt wurde. Die Familie war seit Generationen im westlichen Rheinland verwurzelt; Hans Keutgen selbst kam 1912 in Aachen zur Welt, wurde – selbstverständlich – katholisch getauft und besuchte – ebenso selbstverständlich – das humanistische Kaiser-Karl-Gymnasium. Von der Natur mit guten Gaben ausgestattet, brachte er für das schulische Geschehen zwar Interesse auf, aber seine Wissbegier war selten so ausgeprägt, dass er sich autonom hätte motivieren können. In der Herz-Jesu-Volksschule waren es «Stockhiebe und stundenlanges Nachsitzen», die ihn, wie er selbst im Rückblick bekannte, zum Lernen trieben. Auf dem Gymnasium wurden derlei Erziehungsmittel nicht angewendet; «wenn man nichts tat», fasste Keutgen die veränderten Bedingungen zusammen, «gab’s höchstens eine schlechte Note, deren

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Tragweite man damals noch nicht einsehen konnte». Angesichts dieser neuen Freiheit verfiel Keutgen in den ersten Jahren auf der Oberschule in eine intellektuelle Apathie, die ihn schließlich zur Wiederholung einer Klasse zwang.1 Das war denn doch zu viel. Ab dem zweiten Durchgang der Quarta beobachteten die Lehrer bei ihm einen «fast übersteigerten Fleiß»,2 der seinen Leistungen in beinahe allen Fächern zugutekam. Mit den alten Sprachen konnte er sich freilich nicht recht anfreunden, außerdem gab es keinerlei musische oder künstlerische Neigungen, denen er hätte folgen können, ansonsten waren die Noten sämtlich gut und im Französischen sogar sehr gut. Das Abitur selbst fiel dagegen schlecht aus. In drei von fünf Fächern genügte Keutgen den Anforderungen nicht, womit er jedoch kein Einzelfall war. Bei der Klassenkonferenz stieß diese allgemein diagnostizierte «Examenspsychose» auf großzügiges Verständnis; nach ausführlicher Beratung kam die Lehrerschaft überein, es müssten wohl «die trostlosen Zeitverhältnisse  … dafür haftbar gemacht werden».3 In der Tat. Die Umstände der Prüfung waren deprimierend, wenn auch nicht in dem Sinn, den Keutgens Lehrer vermutlich im Kopf hatten. Der Abiturjahrgang 1932 – immerhin der einzige, dessen gesamte schulische Laufbahn im kurzen Leben von Demokratie und Rechtsstaat stattgefunden hatte – durfte als Beleg seiner Reife über das Thema sinnieren: «Deutschlands geographische Lage sein Schicksal».4 Keutgen, dem die Schule schon ganz generell bescheinigt hatte, «tief innerlich begeistert für hohe und edle Gedanken» zu sein,5 fühlte sich beflügelt. Auf acht Seiten bündelte er sämtliche weltgeschichtlichen Weisheiten, die einem Pennäler zu Gebote stehen, beklagte den «unüberbrückbaren Hader» mit Frankreich, Russland und England, empörte sich über den «Schrei … nach großen Gebieten deutschen Bodens», zitierte andächtig die Prophezeiung des Kaisers: «Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser!» und bejubelte die Flagge der deutschen Flotte, die «stolz … in den Häfen Japans & Chinas» wehte und «den Deut-

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schen in Brasilien, Chile  & Argentinien  … Heimatgrüße» überbrachte. Abschließend notierte er gerührt die «bewunderungswürdige» Tatsache, dass das Deutsche Reich überhaupt noch bestehe, was Keutgen voller Dankbarkeit auf diejenigen zurückführte, «die das Schiff des Staates durch die überschlagenden Wogen hindurchgesteuert haben, zu unserem Glücke und zum Segen der ganzen Welt». Keutgens weltpolitischer Rundumschlag war selbst für seine humanistische Erziehungsanstalt nicht tauglich; der Lehrer hielt seine Ausführungen für sprachlich missraten und inhaltlich unbrauchbar, teilweise sogar für «oberflächliche und unverständliche Geschichtsklitterung». Auch die Prüfungen im Griechischen und in Mathematik bestand Keutgen nicht. Gerettet wurde er von den respektablen Leistungen während des Schuljahrs, einer Drei im Turnen und einer Eins in Französisch. Am 26. Februar 1932 verließ er die Schule mit dem Abitur. Zum Sommersemester 1932 begann Keutgen ein Studium der Rechtswissenschaften in Köln, heimatnah, wo er bis zum Examen ohne Unterbrechung bleiben sollte. Dies dürfte durchaus der Weite seines geistigen Horizontes entsprochen haben, war allerdings auch Folge der eingeschränkten Finanzkraft seiner Eltern, die größere Um- und Abwege nicht zuließ. Wie bei vielen Juristen war die Studienwahl selbst nicht durch besondere fachliche Neigungen motiviert, sondern von Beginn an das Ergebnis einer kühlen ZweckMittel-Kalkulation. «Zum Hochschulstudium» sei er «förmlich gezwungen», hatte Keutgen anlässlich seines Abiturs bekannt, schließlich habe der Vater so viel in seine Ausbildung investiert, dass er nun nicht einfach eine Lehre machen könne. Weil in der Volkswirtschaft die Berufsaussichten schlecht seien, wolle er «aus rein praktischen Gründen» Jura studieren. «Tüchtige Juristen» habe man «auch heute noch überall nötig», «bei größtem Fleiß» könne man «trotz der Überfüllung» beruflich weiterkommen, und – für einen Abiturienten vielleicht die bemerkenswerteste Auskunft –:

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ein Jurist könne sich auf seinem Karriereweg «leichter umstellen … als jeder andere».6 Das Studium betrieb er mit dem kompromisslosen Fleiß, den er sich in der Schule antrainiert hatte. Römisches Privatrecht, römische Rechtsgeschichte, deutsche Rechtsgeschichte, die juristischen Kernfächer, dazu Schifffahrtsrecht, Bergrecht, Beamtenrecht, Kirchenrecht, Völkerrecht, Presserecht, Wertpapierrecht, Finanz- und Steuerrecht, Kriminalistik: Es gab wenige Veranstaltungen, die Keutgen sich entgehen ließ.7 Auch dem neuen Geist öffnete er sich gerne. Im Mai 1933 war er dem NS-Studentenbund und der SA beigetreten und hatte sich «umso freudiger in den Dienst der Bewegung unseres Führers gestellt», als entsprechende Aktivitäten bis dahin am Verbot des Gymnasiums und am Verbot des Vaters, der in einem jüdischen Betrieb arbeitete, gescheitert seien, wie er selbst ausführlich erläuterte. Nun lauschte er Gotthold Bohnes Ausführungen über eugenische Kriminalpolitik ebenso wie Carl Schmitts forschem Überblick über das Reichs- und Landesrecht; was angesichts des straffen Studienplans an Freizeit blieb, widmete er nach Selbstauskunft «ganz der Bewegung».8 Kurz vor dem Examen erlaubte er sich sogar noch einen kleinen Exkurs in Sachen Gerechtigkeit und nahm die Rechts- und Staatsphilosophie des eben habilitierten Hans Welzel in sein Programm auf. Ein weiteres Reservoir für hohe und edle Gedanken, hatte Welzel doch das Ziel ausgerufen, die «sinnlose, brutale Wirklichkeitskonstruktion des naturalistischen Positivismus» zu überwinden, eine neue «metaphysische Zusammenschau» zu entwickeln und damit zugleich den ideellen Hintergrund zu dem zu liefern, «was im politisch-staatlichen Leben bereits lebendigste Realität errungen hat».9 Damit war Keutgen gut gerüstet. Für jedes handwerkliche Detail kannte er die Fundstelle im Lehrbuch, dazu vermittelte das dunkle Raunen der braunen Metaphysik ein Gefühl von Bildung: Im Dezember 1935 beendete er sein Studium mit einem gediegenen ersten Staatsexamen (Prädikat «gut», der dritten

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von sieben Notenstufen) und durfte sich nun «geprüfter Rechtskandidat» nennen. Dass er seine Metamorphose zum Rechtsmenschen auch innerlich vollzogen hatte, belegt seine Unterschrift, die er ab dieser Zeit mit einem Punkt beendete; fortan zeichnete er mit «Hans Keutgen.», als sei sein Name, allen Regeln der Syntax zuwider, bereits ein aussagekräftiger Satz.

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Aber damit war der Gipfel noch nicht erreicht. Um das eigene Handwerk wissenschaftlich zu etikettieren, beschloss Keutgen  – auch insoweit ein verlässlicher Repräsentant seiner Zunft –, dem Studium eine Dissertation folgen zu lassen. Natürlich ging es dabei nicht ernsthaft um die Veredelung eines geistigen Reifeprozesses. Ganze vier Monate benötigte Keutgen, um die lästige Studie über «Private und öffentliche Sühne im Strafrecht» abzufassen.10 Sühne! Ein großes Wort. Keutgen zerlegte die mächtige Vorlage, bis sie juristisch gefügig gemacht und zugleich auf die Bedürfnisse der Machthaber zugeschnitten war, denen private Ambitionen ausgerechnet im Strafrecht besonders zuwider waren. «Alles das, was im Strafverfahren noch heute besteht, um dem Einzelnen eine Kontrollstellung gegenüber dem Staat einzuräumen, kann nicht mehr aufrecht erhalten werden, aus dem einfachen Grunde, weil es mit unserer neuen Auffassung nicht im Einklang steht», hieß es, pour prendre le ton, gleich im Vorwort. Mit 78 Seiten fiel die Arbeit sogar relativ ausführlich aus, aber die gedankliche Ödnis trat dadurch nur noch deutlicher hervor. Zur Einleitung gibt es den üblichen Griff in das historische Schatzkästchen – 18 Seiten für die Sühne im Recht von Rom bis zur Gegenwart –, danach eine Vielzahl kleinteiliger, häufig ängstlicher Referate, brav im Vortrag und voller Erörterungen über «Wesen» und «Natur» juristischer Denkformen, das typische Produkt

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einer Rechtswissenschaft, die die heile Welt ihrer Realien gegen den Prüfstein des Intellekts verbissen verteidigt. Überraschend wurde es nur im abschließenden Plädoyer, in dem Keutgen vorsichtig die Einführung eines Friedensrichters für Fälle leichter Kriminalität empfahl und dies mit der unverhohlen eigennützigen Begründung versah, man schaffe so auch eine Möglichkeit, «der Not der Volljuristen abzuhelfen, ohne die Betrauten damit ihrer Lebensaufgabe zu entfremden». Keutgens Doktorvater Albert Coenders konnte sich auch nach der geforderten Überarbeitung nur zu der Konzession durchringen, Keutgens Dissertation sei «nunmehr eine einigermaßen hinreichende Untersuchung», der Zweitgutachter, Gotthold Bohne, setzte das übliche «Einverstanden» hinzu. Das Rigorosum verlief schleppend, ausgerechnet das neue Fach «Volk und Staat» sorgte dafür, dass Keutgen überhaupt bestand und am Ende mit dem Armutszeugnis rite promoviert wurde.11 Aber was soll’s? Die Arbeit richtete sich an keine Leser, sondern hatte von vornherein einzig Keutgens Lebenslauf als Adressaten. Insoweit erfüllte sie alle Wünsche. Nach Ernennung zum Doktor der Rechte mutierte Keutgens Unterschrift ein weiteres Mal: Der Allerweltsbegleiter «Hans» wurde getilgt, und Keutgen signierte von nun an stolz mit «Dr. Keutgen.». Die erträumte Beamtenlaufbahn war damit in greifbare Nähe gerückt. Auch im Referendariat blieb Keutgen der Heimat treu und absolvierte seine Stationen an den oftmals kleinen und entlegenen Amtsgerichten im Oberlandesgerichtsbezirk Köln. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP.12 Der kämpferische Nationalismus und der – für die Volksgenossen – fürsorgliche Sozialismus der Partei dürften Keutgen durchaus gelegen haben. Den obsessiven Antisemitismus hat er vermutlich nicht in gleicher Weise geteilt, als guter Katholik aber wahrscheinlich auch nicht rundheraus abgelehnt oder gar die eigene Karriere dafür in Gefahr gebracht – immerhin verlangte das gerade in Kraft getretene Beamtengesetz, ein

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Beamter habe «jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten» (§ 3), was durch einen Parteibeitritt handfest belegt war. Bei den obligaten Wochen im Gemeinschaftslager Hanns Kerrl in Jüterbog hinterließ Keutgen in jeder Hinsicht einen guten Eindruck, die besondere Eignung für das Richteramt wurde ausdrücklich bestätigt,13 das zweite Staatsexamen legte er wieder mit «gut» ab. Keutgen war damit hervorragend ausgewiesen, ein promovierter Volljurist mit zwei Prädikatsexamen; «ganz klar über dem Durchschnitt», hielt die erste fachliche Beurteilung fest,14 politisch auf Kurs, dazu ein begabter Redner, wie später immer wieder zu lesen war: Außer dem, was er tatsächlich gesagt habe, hätte man ihm genauso gut das Gegenteil abgenommen. Gab es in diesem Werdegang Unverfügbares? «Bildung» sicher nicht. Keutgen bestätigte in seiner juristischen Ausbildung geradezu idealtypisch, was die Juristensoziologie erst sehr viel später systematisch erfassen sollte: Das Studium ist eine Verlegenheitslösung für diejenigen, die nicht wissen, was sie sonst machen sollen. Für Reflexion, künstlerische Distanz, Zweifel gar konnte Keutgen schon deshalb keine Leidenschaft entwickeln, weil dies dem juristischen comme il faut widersprochen hätte. Meinungsfreude, Originalität, Brillanz sind in der Welt des Rechts keine tauglichen Währungen; den guten Juristen nimmt man nicht wahr. Es entsprach also durchaus der Logik des Faches, wenn Keutgen seine nicht ungünstige Veranlagung mit zielsicherem Gespür dorthin lenkte, wo berufliches Fortkommen in Aussicht stand. Und sonst? Gottvertrauen wird ihn sicher geleitet haben. Keutgen hat sich zeitlebens als Katholik empfunden. Auf dem Reifezeugnis wollte er das religiöse Bekenntnis vermerkt haben, auch während des Dritten Reichs blieb er in der Kirche, nach dem Krieg engagierte er sich in mehreren christlichen Vereinigungen. Für den Mann des Rechts, der er vorrangig war, blieb zwar die irdische Ordnung die maßgebliche Größe. Aber aus der Verbindung zu den höheren Mächten dürfte Keutgen das unerschütterliche Vertrauen

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desjenigen gewonnen haben, der weiß, dass er auf der richtigen Seite steht. Keutgens Ziel war keine katholische Rechtspraxis, und doch war er in seiner Rechtsarbeit wohl immer auch metaphysischer Sendbote. Im Anforderungsprofil der Justiz ging ein Sachwalter wie Keutgen deshalb vollkommen auf: rezeptiv, sachlich und strebsam, erfüllt von der Akzessorietät des eigenen Daseins, die vor Individualität, Extravaganz und anderen Extremvorstellungen sicheren Schutz bot. Die Abhängigkeit von den herrschenden Verhältnissen machte den Dienstweg zu so etwas wie einer moralischen Instanz, Gründlichkeit und Fleiß ersetzten die fehlende Kreativität, der ausgeprägte Ehrgeiz fand in einem belastbaren Opportunismus sicheren Halt. Kurzum: ein Jurist.

Volksschädlinge, Schwarzschlachter, Lebensmittelkartenfälscher Volksschädlinge, Schwarzschlachter, Lebensmittelkartenfälscher

Bevor Keutgen sich der juristischen Praxis widmen konnte, holte ihn der Krieg. Sein zweites Staatsexamen fand am 26. September 1939 statt; anschließend erhielt er noch die Ernennung zum Gerichtsassessor, Anfang 1940 dann wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er kam zur 206. Infanterie-Division, einer ganz überwiegend aus ostpreußischen Kräften bestehenden Einheit, mit der er kurz in Polen eingesetzt, dort allerdings ebenso wenig in Gefechte verwickelt wurde wie in dem halben Jahr in Frankreich, wo seine Einheit danach Dienst tat. Nach dem Waffenstillstand im Westen gewährte man Keutgen ein halbes Jahr Urlaub vom Krieg. Er wurde Hilfsrichter am Aachener Landgericht, bevor er im März 1941 erneut an die Ostfront kam. Mit seiner Division wirkte er beim Überfall auf die Sowjetunion mit; als Teil der Reserve der Heeresgruppe Nord zog die Einheit gut drei Wochen durch das damalige Litauen und Weißrussland, ohne auf größeren Widerstand

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zu stoßen. Erst Mitte Juli kam es zum Kampf. In der Nähe von Polozk, gut 250 Kilometer nordöstlich von Minsk, sollte ein russisches Truppenlager gestürmt werden, was nach einigen Tagen auch gelang, allerdings nur unter massiven Verlusten.15 Auch Keutgen wurde schwer verwundet: Granatsplitter in Oberschenkel und Rücken, Granatdurchschlag durch den rechten Fuß. In Frontnähe kam er ins Lazarett, wurde durch Weißrussland und Litauen zurück nach Ostpreußen transportiert, bis er schließlich von Tilsit nach Gütersloh und von dort nach Aachen verlegt werden konnte. Im Januar 1942 schied er, vom Krieg schwer versehrt, im Rang eines Unteroffiziers aus dem Wehrdienst aus. Wie er den Krieg erlebte, als Naturschauspiel oder als Höllenfahrt, an welchen Schlachten und Verbrechen er teilnahm, ob ihm das Männerbündische des Heeres Geborgenheit oder Anmaßung bedeutete, welche Erfahrungen ihm eingeprägt blieben: Angst, Gewissenlosigkeit, Kameradschaft, Erschöpfung, die düsteren Geister kollektiver Enthemmung  – man weiß es nicht. Wie so viele andere seiner Generation suchte Keutgen das Gespräch über den Krieg nicht. Er war jetzt durch und durch Zivilist, kehrte in die Heimat zurück, gründete eine Familie und fand sein berufliches Glück. Am 1. März 1942 schloss er sich als Gerichtsassessor und Sachbearbeiter für Verwaltungssachen dem Landgericht Aachen an, zum 1. Januar 1943 erhielt er endlich die ersehnte Stelle als Landgerichtsrat und wurde zugleich Beisitzer am Aachener Sondergericht. Damit hatte Keutgen eine Institution gefunden, die seinem Fach, aber auch dem Zeitgeist in ähnlich dezenter Weise entsprach wie er selbst. Besondere Aufregungen gab es in der Aachener Justiz kaum einmal zu vermelden. Im Justizpalast, etwas außerhalb der Altstadt gelegen, residierte der Alltag der preußischen Provinz. Auch als das Sondergericht dort Einzug hielt, war das zunächst nur ein Abfallprodukt der nahegelegenen Großstadt. In Köln gab es bereits seit 1933 ein Sondergericht, wie überall zunächst eingesetzt für Fälle von Hochverrat und Heimtücke, seit 1939 aber für fast

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alle Vergehen zuständig, bei denen irgendeine Form von politischer Abweichung in Rede stand. Irgendwann waren es zu viele geworden. Weil man in Köln auf Monate im Voraus ausgebucht und dadurch die gewünschte Schneidigkeit des Sondergerichts gefährdet war, erhielt Aachen am 10. Februar 1941 sein eigenes Sondergericht.16 Zusammengesetzt war es so, wie es sich für ein Sondergericht gehörte, mit Richtern also, «die neben fachlicher Tüchtigkeit innere Entschiedenheit besitzen, auch hart zupacken können, wo es nötig ist, aber auch gründlich und gewissenhaft, nicht um des Lobes willen arbeiten» und sich überdies durch «eine untadelige dienstliche und private Führung» auszeichneten, wie der Landgerichtspräsident betonte.17 Spektakuläre Fälle waren selten. Knapp tausend Verfahren arbeitete das Aachener Sondergericht zwischen seiner Gründung und seinem Untergang ab. Fast siebenhundert Akten sind noch erhalten.18 Und in dieser vergleichsweise günstigen Überlieferung findet sich eine einzige Akte, die das Gericht selbst für bedeutsam genug hielt, um sie dem Vergessen zu entziehen. Den Deckel ziert der bedeutungsvolle Imperativ «Aufzubewahren als Staatsarchivsache»; dahinter verbirgt sich ein aus heutiger Sicht bedauerlicher, aber letztlich vollkommen belangloser Fall, in dem eine junge Frau das Kriegsschädenamt betrogen und Ersatz für einen verbrannten Koffer erhalten hatte, der gar nicht ihr, sondern ihrem Bruder an der Front gehört hatte. Keutgen war Beisitzer, als sie 1943 als Volksschädling zu achtzehn Monaten Zuchthaus verurteilt wurde.19 Einer von tausend Fällen. Im großen Rest fand auch das Gericht nichts, was der Erinnerung wert gewesen wäre. Tatsächlich waren die Verfahren überwiegend juristische Massenware. Insgesamt war es weniger die Ideologie als der Krieg, der den Alltag des Gerichts bestimmte. Weil die Expansion des Wirtschaftsrechts den freien Handel zunehmend kriminalisierte, traktierte man in Aachen vorwiegend die vielfältigen Verstöße gegen die Notwendigkeiten der Kriegsökonomie: schwarzes Schlachten,

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schwarzes Buttern, Betrügereien mit Lebensmittelkarten, Verstöße gegen Währungs- und Preisbestimmungen, verbotener Handel mit Lebensmitteln, Verkauf von Kleidern ohne die erforderlichen Bezugsscheine, dazu immer wieder falsche Angaben über Fliegerschäden – ein Potpourri der Knappheit, in dem kleinere und größere Gaunereien verbreitet als probates Mittel angesehen wurden, um die Härten des Krieges ein wenig abzumildern. Die Provinz produzierte Allerweltsfälle, auf die das Gericht mit einer ideologisch angepassten, aber selten wirklich exzessiven Dogmatik reagierte. Bürgerlichen Lebensformen trat man, wie unter Juristen zu allen Zeiten üblich, mit mehr Sympathie entgegen als anderen Milieus; dieser Affekt war nicht neu, er ließ sich jetzt allerdings juristisch sehr viel einfacher darstellen. Schon die Rede von «Volksschädlingen» und «Gewohnheitsverbrechern» bot dafür eine griffige Terminologie. Aber auch jenseits dessen ließ die Würdigung des Angeklagten viel Raum für das traditionelle Ressentiment. Wo etwa der englische Rundfunk von einer Person gehört wurde, die eine «korrekte vaterländische Haltung» besaß, war er weniger gefährlich als bei einem Kommunisten.20 Die Unterstützungsleistungen für Fahnenflüchtige zeitigten, wenn von Frauen erbracht, oft sittliche Begleitumstände, die Juristen ungehörig fanden, und mussten schon deshalb rigoros geahndet werden.21 Und überhaupt: Wo sich weibliches Geschlechtsleben jenseits der Ehe entfaltete, konnte die Justiz ihr angestammtes Misstrauen gegen unverbindliche Formen des Zusammenlebens dank der Erhöhung von Rasse und Volk mühelos in juristische Argumente ummünzen; eine Frau, die den kämpfenden Mann im Stich ließ oder sich gar mit dem Feind gemein machte, musste mit unerbittlicher Strenge bei der Bestrafung rechnen.22 Dank dieser bürgerlichen Traditionspflege konnte sich selbst in politisch besonders kontaminierten Bereichen ein gewisser Gleichmut juristischer Routinearbeit entfalten. Auch nach den massiven Einschränkungen von Verteidigung und Rechtsweg behielt das Ver-

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fahren noch ein durchaus juristisches Gepräge. Sogar Beleidigungen und Verwünschungen des Führers durften auf Haftstrafen von nur wenigen Wochen hoffen. Eine Angeklagte hatte Hitler die Schuld am Krieg gegeben und im Gespräch mit einer Bekannten auf der Straße erklärt, es solle sich einer finden, «der ihn mit Petroleum beschüttet und ansteckt!», wofür sie 1941 für drei Monate ins Gefängnis geschickt wurde, weil das Gericht der Ansicht war, die Äußerung sei nicht öffentlich gefallen. Eine Holländerin bekam Anfang 1942 für den Ausruf «Der Führer ist ein Verbrecher, die größte Strohpuppe, die nur vorne hingeschoben wird», eine Bewährungsstrafe von sechs Wochen; man hielt ihr zugute, dass sie in einem hitzigen Wortgefecht auf die Beleidigung reagiert habe, die Holländer seien «Lumpenpack». Mitte 1943 erhielt ein Angeklagter  – Parteimitglied und verheiratet mit einer Polin  – eine dreimonatige Bewährungsstrafe, weil er gesagt hatte: «Sehen Sie ‹mal, wie sich unsere SS-Männer in Warschau benommen haben. Jede Frau und jedes Kind geht von der Straße laufen, wenn sie einen SSMann sehen.» Noch 1944 wurden die zehn Monate Gefängnis, die die unmissverständliche Aufforderung «Die Saubande hat was angerichtet, diese Schweinhunde, kaput [sic] schießen müßte man sie» gekostet hatte, schon nach drei Monaten zur Bewährung ausgesetzt, weil man die Erregung der angeklagten Person nach einem Luftangriff entlastend in Rechnung stellen müsse.23 Juristische Ausreißer waren selten, in jeder Hinsicht. Nach politischer Obstruktion oder gar Widerstandshandlungen braucht man nicht zu suchen; genauso wenig allerdings findet man die berüchtigten Todesurteile für den Diebstahl von Nichtigkeiten nach einem Luftangriff. Überhaupt blieb die Kapitalstrafe in Aachen tatsächlich so etwas wie die Ultima Ratio; insgesamt vierzehn Menschen waren es, die das Sondergericht in den dreieinhalb Jahren seiner Existenz hinrichten ließ, darunter vier Mitglieder einer Schmuggelbande, die wiederholt Vieh über die nahe Grenze nach Belgien getrieben hatte – verglichen mit Friedenszeiten immer noch dras-

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tisch, aber weit entfernt von den Zuständen an den Militärgerichten, anderen Sondergerichten oder gar dem Volksgerichtshof.24

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Keutgen dürfte sich in diesem institutionalisierten Mittelmaß durchaus wohlgefühlt haben. Die Kollegen waren lokal so verwurzelt wie er selbst auch; wer nicht in Aachen oder Köln geboren war, durfte beinahe als Exot gelten. Die großen Säuberungswellen in Justiz und Verwaltung vom Frühjahr 1933 hatten für Aufregung gesorgt, lagen nun aber bereits fast zehn Jahre zurück; jüdische Kollegen gab es seit 1938 weder unter den Richtern noch unter den Anwälten. Als der Krieg Keutgen entließ, erlebte die Sondergerichtsbarkeit gerade ihren großen Aufschwung. Vor allem für die Staatsanwaltschaft war es oft günstiger, beim Sondergericht anzuklagen, um Verteidigerrechte einzuschränken, den Rechtsweg abzukürzen und sich generell nicht dem Risiko auszusetzen, eine politische Tat aus Versehen in die Verantwortung der ordentlichen Gerichte gegeben zu haben. Das Sondergericht wurde ab 1942 tatsächlich zum Normalgericht der deutschen Strafrechtspflege; seine Zuständigkeit erfasste, wie selbst das Reichsjustizministerium resigniert feststellte, «alle irgendwie bedeutsamen Strafrechtsfälle».25 Auch in Aachen war das zu spüren. Die Fallzahlen am Sondergericht stiegen bis 1942 von anfangs zwanzig auf dann vierzig Neuzugänge im Monat an, weshalb eine zweite Kammer eingerichtet werden musste. Keutgen wurde Beisitzer in der Kammer von Paul Losenhausen,26 der zugleich als ständiger Vertreter des Gerichtspräsidenten fungierte, aber kurz vor dem Rentenalter stand, generell von schwacher Physis war und sich häufig durch seinen Stellvertreter, Josef Schwengers,27 vertreten ließ. Die Szenerie dominierten andere. Am Sondergericht besaß Walther Fritz besondere Autorität, Richter seit 1929, Kammervor-

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sitzender, ein vorzüglich ausgewiesener Jurist, bürokratisch begabt, voller Tatendrang.28 Seine prägende Rolle geriet auch dann nicht ernsthaft in Gefahr, als er Ende 1943 für einige Monate zum Wehrdienst eingezogen wurde und in Paul Howahrde einen ebenso erfahrenen wie zupackenden Vertreter fand.29 Obwohl er erst 1942 der Partei beigetreten war, galt Fritz politisch als absolut zuverlässig: Er sei ein «aufgeschlossener Mensch, der die nationalsozialistischen Rechtsanschauungen mit voller Bejahung und aus innerem Bedürfnis in die Tat umsetzt», erläuterte sein Vorgesetzter kurz nach Kriegsausbruch; 1933 habe er vom Parteibeitritt Abstand genommen, «weil er nicht als Konjunkturritter angesehen werden wollte», später, um seine nationalsozialistische Überzeugung nicht zum «günstigeren Sprungbrett» zu degradieren30  – ein Narrativ, das, wie sich denken lässt, nach 1945 bestens in eine versteckte Oppositionstätigkeit umgedeutet werden konnte. Die Staatsanwaltschaft wurde weitgehend von zwei Scharfmachern beherrscht, Konrad Höher und Paul Zimmerath. Beide waren keine besonders guten, dafür jedoch gut brauchbare Juristen, beide waren Parteimitglieder. Zusammen übernahmen sie nicht nur den weitaus größten Teil der anstehenden Sitzungsvertretungen, sondern nutzten diese auch für besonders hohe Strafanträge – zwei «berüchtigte Staatsanwälte», wie ein Aachener Anwalt nach dem Krieg schrieb, die sich regelmäßig übertrumpft hätten, um «bestialische Strafen» durchzusetzen.31 Auf andere Art einflussreich war der 1910 geborene Ludwig Kuhnert, der sich am Gericht rasch zu einer Art Faktotum entwickelt hatte. Kuhnert war zwar vier Jahre lang Mitglied der SPD gewesen, konnte dies aber dem übermächtigen Einfluss seines Vaters  – eines Gewerkschafters – zuschreiben und kompensierte die Jugendsünde durch freudiges Engagement für die Bewegung und 1937 durch den Beitritt zur NSDAP, ein Werdegang, der ebenfalls in alle Richtungen anschlussfähig blieb. 1940 wurde er Richter am Landgericht in Aachen, zwei Jahre später  – inzwischen mehrfach UK gestellt  –

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Richter am Sondergericht, im Januar 1944 schließlich, als einige Einberufungen ein Revirement erforderten, zur dortigen Staatsanwaltschaft abgeordnet.32 Land- und Sondergericht kannte er deshalb wie kein Zweiter; im höheren Dienst gab es niemanden, den Kuhnert nicht irgendwann einmal zum Kollegen gehabt hätte. Keutgen selbst war für eine bestimmende Rolle am Sondergericht zu jung und juristisch zu unerfahren. Eine Randfigur blieb er gleichwohl nicht. Vermutlich dank seiner rhetorischen Fähigkeiten übernahm er schon in seinem ersten Jahr die örtliche Justizpressestelle, ihrer Konzeption nach eine Art Miniaturausgabe des Propagandaministeriums, in der Keutgen für die nächsten Jahre als erster Informant der Öffentlichkeit fungierte. Am Sondergericht selbst dürfte er gut 40-mal als Beisitzer zum Einsatz gekommen sein, in der ganzen Fülle dessen, was das Aachener Provinzrecht zu bieten hatte: die allfälligen Schwarzschlachtungen und sonstigen Verstöße gegen die Kriegswirtschaft, Rundfunkverbrechen, Diebstähle, die in der Regel mäßige Haftstrafen zur Folge hatten; dann aber auch gravierende Verbrechen, Gewaltdelikte und Wiederholungstaten, die hohe Zuchthausstrafen nach sich zogen. Und schließlich war Keutgen an Fällen beteiligt, bei denen der nationalsozialistische Geist mehr oder weniger ungefiltert ins Verfahren strömen konnte. Der Diebstahl von einem Teppich und Waschutensilien bei Aufräumarbeiten qualifizierte den bislang unbescholtenen Täter als Volksschädling und rechtfertigte eine Zuchthausstrafe; gleiches galt für falsche Verlustmeldungen nach einem Luftangriff, den groß angelegten Betrug mit Lebensmittelkarten und den fortgesetzten Diebstahl von Lebensmitteln im Schutz der Verdunklung.33 Auch wenn es darum ging, solcherlei identifizierte Volksschädlinge endgültig auszumerzen, leistete Keutgen den von ihm erwarteten Beistand. Noch als Gerichtsassessor war er Beisitzer in einem spektakulären Verfahren gegen einen Ortsgruppenleiter, der über Jahre hinweg die Verbrauchergenossenschaft Würselen nach Guts-

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herrenart geführt hatte, bis schließlich ein Fehlbestand von mehr als 300 Tonnen Lebensmitteln zu beklagen war. Unter der übernervösen Anteilnahme von Öffentlichkeit und Partei verurteilte ihn das Sondergericht im September 1942 zum Tode.34 Wenige Monate danach wurden binnen dreier Tage zwei weitere Todesurteile gefällt. Ein Delinquent hatte systematisch Feldpostsendungen gestohlen,35 ein anderer – mehrfach vorbestraft – hatte sich als Kriminal- oder als Zollbeamter ausgegeben, um bei ausländischen Zwangsarbeitern Geld, Lebensmittel und Spirituosen zu beschlagnahmen, gelegentlich unter Verwendung eines Parteiabzeichens. Solches Verhalten verdiene den Tod, hielt das Urteil fest, da es bei den Bestohlenen «das Vertrauen in die deutsche Polizei» erschüttere und das «Ansehen der Partei» untergrabe.36 Vertrauen der Zwangsarbeiter in den deutschen Polizeiapparat? Reputationsschaden für die NSDAP? Schwer vorstellbar, dass Keutgen oder seine Kollegen das selbst glaubten. Als es nach dem Krieg darum ging, die politische Belastung der Amtsträger zu überprüfen, klassifizierte die Landesjustizverwaltung die Urteile als «unbedenklich».37

Die Evakuierung der Stadt Die Evakuierung der Stadt

Zum Sonderfall wurden Aachen und sein Sondergericht erst durch den Krieg. Nicht so sehr wegen der allfälligen Zerstörungen; der Luftkrieg hatte Aachen schon seit 1941 regelmäßig heimgesucht und immer wieder für schwere Zerstörungen gesorgt. Aber das war in allen anderen größeren Städten im Westen ähnlich, und der Optimismus ließ sich überraschend lange aufrechterhalten; noch im Mai 1944 wurden der Justizverwaltung nach dem bis dahin schwersten Angriff 90 000,– RM bewilligt, um den «vollkommenen Ausbau im alten Zustand» herbeizuführen.38 Aber Aachen war die erste größere Stadt, der der Krieg nicht mehr nur aus der Luft zu Leibe rückte. Im Spätsommer 1944

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Die Evakuierung der Stadt

näherten sich die Alliierten auf dem Landweg. Die Stadt war nach fast siebzig Luftangriffen weitgehend zerstört, die Einwohnerzahl mehr als halbiert. Auch jetzt blieb der Blick nach vorne gerichtet, nun allerdings ohne jeden Optimismus, sondern vom Fanatismus getrieben. Schon nach der Landung der US-amerikanischen Streitkräfte in der Normandie hatte Hitler den Befehl ausgegeben, im Falle «des Vordringens feindlicher Kräfte auf deutsches Reichsgebiet» solle das zivile Leben im Operationsgebiet weitergehen.39 Eigenmächtige Evakuierungen waren untersagt. Am 5. September bekräftigte Reichsleiter Martin Bormann noch einmal, die Entscheidung zur Räumung sei, von Fällen «äußerster Gefahr» abgesehen, Hitler vorbehalten.40 Am selben Tag beantragte Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Josef Grohé die Erlaubnis zur Evakuierung Aachens. Zunächst ohne Erfolg. Die Symbolik wog zu schwer. Aachen stand für mehr als nur den drohenden Verlust einer Stadt. Mit der Besetzung durch den Feind wäre unwiderleglich bewiesen, dass die Verteidiger den alliierten Angriffen sehr viel weniger entgegenzusetzen hatten als von der Propaganda behauptet. Das «Ringen um Aachen», so der Propagandastab um Goebbels, werde «allgemein als Gradmesser unserer Kampfkraft im Westen überhaupt angesehen».41 Zwischen erfolgreicher Verteidigung und vollkommener Vernichtung gab es keinen Mittelweg. Hitler selbst gab die kompromisslose Anordnung: «Jeder Bunker, jeder Häuserblock in einer deutschen Stadt und jedes deutsche Dorf muß zu einer Festung werden, an der der Feind entweder verblutet oder die ihre Besatzung im Kampf Mann gegen Mann unter sich begräbt.»42 In der Justiz löste die Aussicht auf eine militärische Entscheidung eine eigentümliche Mischung von Entschlusskraft und Fatalismus aus. Der Kölner Oberlandesgerichtspräsident informierte seine Statthalter in den grenznahen Bezirken noch am 5. September über die Vorgaben der militärischen Führung. Ohne ausdrücklichen Befehl der vorgesetzten Dienststelle dürfe kein Arbeitsplatz

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aufgegeben werden, «ein besonders energischer Beamter» werde die Verhältnisse vor Ort überwachen.43 Zugleich aber begannen, recht diskret, die Vorbereitungen für eine Evakuierung. Großer Aufwand galt dem eigentlichen Rohstoff der Strafgerichtsbarkeit, den Akten und den Angeklagten. Insoweit war der Erfolg beträchtlich. Von den Strafgefangenen blieben lediglich «150 kurzfristige Häftlinge» in Aachen, ansonsten wurden das Gefängnis und die Haftanstalten im Umland geräumt.44 Auch die Akten verließen, jedenfalls teilweise, die Stadt. Für ihren Abtransport aus dem Landgericht und Amtsgericht gab es in den chaotischen Tagen vor der Evakuierung keine Kapazitäten mehr, vom Sondergericht dagegen wurde «ein wesentlicher Teil wichtiger Akten» ausgelagert oder, wenn die Mitnahme unmöglich war, vernichtet, wie der Generalstaatsanwalt berichtete. Der einzige schmerzliche Verlust, den es insoweit zu beklagen galt, war das Strafregister, das man nach Geilenkirchen ausgelagert hatte, wo es den alliierten Truppen in die Hände fiel.45 Im Übrigen aber gab man sich bemerkenswerten Illusionen hin. Alfred Hellbach, im Juni 1944 als Nachfolger des verstorbenen Vorsitzenden Paul Losenhausen aus Brünn nach Aachen gekommen, in Theorie und Praxis ein linientreuer Nationalsozialist,46 setzte in völliger Ausblendung der militärischen Ereignisse bis in den Oktober hinein Termine an.47 Am 5. September – als Dienstag ein regulärer Sitzungstag – wurde ein Angeklagter, der Kleidungsstücke aus einem Keller gestohlen hatte, zum Volksschädling erklärt und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, wohl das letzte Aachener Urteil, das in Aachen selbst gesprochen wurde.48 Am Donnerstag, dem 7. September, als die Evakuierung der Stadt bereits beantragt war, scheinen die letzten Sitzungen stattgefunden zu haben, an denen außer dem Justizpersonal selbst allerdings niemand mehr teilnehmen konnte. Festzustellen blieb lediglich der Abtransport der Angeklagten ins rechtsrheinische Siegburg, woraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft der Beschluss erging, die

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Sache «auf unbestimmte Zeit» zu vertagen. Selbst hier freilich versah Hellbach realitätsblind die Protokolle mit der unbelehrbaren Anweisung «Wiedervorlage nach 2 Wochen».49 Der ungünstige Verlauf dieser Hauptverhandlung schien ihm gleichwohl die Sinnlosigkeit seiner Bemühungen vor Augen geführt zu haben. Am darauffolgenden Freitag machte sich Hellbach daran – erneut in bizarrer Überschätzung der ihm noch verbliebenen Möglichkeiten  –, die bereits anberaumten Termine aufzuheben und die Beteiligten, «soweit möglich», abzuladen.50 Hellbach hielt sich noch immer für den Herrn des Geschehens. Am selben Tag bat ein Anwalt darum, seinem Mandanten die letzten fünf Monate Haft auf Bewährung zu erlassen; der betagte Delinquent hatte zwar ein großes Schwein ohne Genehmigung geschlachtet, das Fleisch aber ausschließlich für sich und seine Frau verbraucht und von den fünfzehn Monaten seiner Haftstrafe bereits zehn abgesessen. Hellbach beeindruckte das nicht. «Bei weiterer guter Führung», ließ er vernehmen, «befürworte ich bedingte Strafaussetzung der letzten 3 Monate.»51 Viel Zeit blieb nicht mehr. Am 10. September  – einem Sonntag  – erschien Heinrich Himmler in Aachen; nach einer Besprechung mit Partei, Wehrmacht und Verwaltung verkündete er den Bürgern, der Feind werde Aachen nicht erreichen, eine Räumung der Stadt komme daher nicht infrage.52 Am Montag danach kam Hellbach noch einmal ins Amt, um einige Termine, nunmehr vereinzelt mit einem der Dringlichkeit angemessenen «Sofort!» versehen, aufzuheben.53 Das war allem Anschein nach das Ende für die Sondergerichtsbarkeit in Aachen. An eben diesem 11. September rang sich Hitler angesichts der militärischen Lage dazu durch, die Evakuierung der Stadt zu genehmigen. Gegen 17 Uhr traf die Nachricht in Aachen ein. Die militärische Lage zwang zur Eile, aber wegen der Jagdbomber musste der Einbruch der Dunkelheit abgewartet werden. In der Nacht wurden hektisch Sonderzüge angefordert, am nächsten Tag

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informierte man die Bevölkerung, wohlwissend, dass an eine geordnete Evakuierung nicht mehr zu denken war. Die ersten Granaten schlugen bereits im Stadtgebiet ein; Polizei, Verwaltung und weite Teile der Partei setzten sich ab, andauernde Luftangriffe erschwerten die Räumungsfahrten mit dem Zug. Am Abend des 12. September machten sich lange Trecks von Zivilisten auf eigene Faust auf den Weg; um drei Uhr morgens wurde die Räumung für beendet erklärt. 20 000 bis 30 000 Bewohner waren in Aachen zurückgeblieben, ohne Strom, ohne Wasser, allenfalls sporadisch versorgt von einer städtischen Notverwaltung. Nach wochenlangen Kämpfen kapitulierte die Stadt am 21. Oktober, nunmehr vollkommen zerstört.

Die Front rückt näher: Ausweichquartiere Die Front rückt näher: Ausweichquartiere

Wie es Keutgen in dieser Zeit erging, lässt sich nicht ermitteln. Sicher ist nur, dass auch er Aachen im Zuge der Evakuierung verließ. «Auf eigenen Wunsch» wurde er ans kleine Amtsgericht Gemünd abgeordnet,54 50 Kilometer entfernt, tief in der Eifel gelegen. Am 19. September 1944 trat Keutgen dort seinen Dienst an, in einem auf zwei Zimmer zusammengeschnurrten Gericht, das nur noch deshalb in Betrieb war, weil die Verkehrsverhältnisse es unzumutbar erschienen ließen, die Bevölkerung an eine auswärtige Institution zu verweisen.55 Gut zwei Monate blieb er dort, aber es haben sich keine Akten erhalten, die über seine Tätigkeit Auskunft geben könnten. Die Aachener Kollegen dagegen reisten ihrer Behörde hinterher. Nur am Amtsgericht war mit der Evakuierung der Stadt der Stillstand der Rechtspflege eingetreten.56 Land- und Sondergericht arbeiteten weiter, aber mit dem Gerichtsort ging auch der geografische Zusammenhalt verloren. Die Verwaltung wich weit in rechtsrheinisches Gebiet aus und residierte fortan im Amtsgericht Gum-

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mersbach. Von den weiblichen Angeklagten verschlug es einige in die Frauenhaftanstalt Frankfurt-Hoechst, sodass auch dort fallweise ein Sondergericht Aachen tätig wurde.57 Staatsanwaltschaft und Sondergericht Aachen zogen 30 Kilometer ostwärts, wo sie das erst 1940 eröffnete Gebäude des Amtsgerichts Düren nutzen konnten. Besonders lange dauerte es nicht, bis der Apparat wieder kalibriert war. Noch in derselben Arbeitswoche, am 16. September – ganze vier Tage nach der Räumung  –, trat das Sondergericht in Düren zusammen.58 Aus Aachen waren drei Staatsanwälte und Landgerichtsdirektor Fritz nach Düren gezogen, dazu konnte man auf vier Kollegen aus Düren und einen Amtsrichter aus dem ebenfalls geräumten (heute wieder belgischen) St. Vith zurückgreifen.59 Hellbach, den die Situation in Aachen sichtlich überfordert hatte, war nach Gummersbach geschickt worden, um dort die Gerichtsverwaltung zu leiten. Der tatendurstige Walther Fritz nutzte die Gunst der Stunde. Ihm oblag bald unangefochten die Führung des Gerichts. Eine dienstliche Beurteilung hielt fest, Fritz habe bei Dauerbeschuss und «schwerstem Luftterror» den Vorsitz von Sondergericht, Straf- und Zivilkammer vorbildlich ausgefüllt und sich überhaupt in diesen «äußerst schweren Wochen» bestens bewährt.60 Neue Sachen gab es nur wenige. Man sei hauptsächlich mit Fällen von Plünderung anlässlich der Evakuierung beschäftigt, erläuterte ein Bericht des Generalstaatsanwalts. Die Ermittlungen würden große Mühe bereiten: Zeugen waren kaum einmal aufzufinden, und die Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin Wichtigeres zu tun. Aber die Gelegenheit zum Heroismus ließen sich die Aachener Beamten nicht entgehen. Unter regelmäßigem Artilleriebeschuss, 10 Kilometer von der Front entfernt, fanden jede Woche zwei Sitzungen des Sondergerichts und eine der Jugendstrafkammer statt. Selbst ein Todesurteil für einen NSDAP-Funktionär, der bei der Räumung von Aachen einige Schmuckstücke hatte mitgehen lassen, brachte man noch zustande.61 Auch zwei Volltreffer

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im Gericht kommentierten die Beamten nur mit einer kargen Passivkonstruktion: «Die Frage, ob unter den gegebenen Umständen eine geregelte Rechtspflege noch möglich sei, wurde bejaht.»62 Die vorgesetzten Behörden nahmen es mit Wohlgefallen zur Kenntnis. Das Reichsjustizministerium griff die ergebene Pflichterfüllung der Aachener Richter als Beleg für Einsatzfreude und Opferbereitschaft der Justiz auf. Insoweit genüge der Hinweis, «daß heute noch in Düren, einer Stadt, die 34 km westlich von Köln und unter Artilleriebeschuß liegt, nach wie vor das Sondergericht tagt», schrieb das Ministerium am 17. November 1944 an den Organisator des Volkssturms.63 Zu spät. Der Lobpreis der Aachener Tapferkeit war bereits überholt, als er die Poststelle des Ministeriums verließ. Am 16. November hatte ein halbstündiges Flächenbombardement die gesamte Innenstadt von Düren restlos zerstört. Das Aachener Sondergericht hatte seinen nächsten Dienstort eingebüßt: Es gab keine Gebäude mehr, kein Telefon, keinen Dienstwagen, und der Oberstaatsanwalt, ein leidenschaftlicher Nationalsozialist, dem das Schicksal den stimmigen Namen Hans Führer beschert hatte, war tot.64 Die Aachener Justiz zog ein weiteres Mal ostwärts. Zwei Tage später fand man einen neuen provisorischen Sitz im nahegelegenen Bergheim; die dortigen Amtsrichter wurden spontan zu Richtern am Sondergericht ernannt, ein täglich pendelnder Kurier hielt die Verbindung ins gut 50 Kilometer entfernte Siegburg, wohin sich Landgericht und Staatsanwaltschaft zurückgezogen hatten.65 Freilich taugte Bergheim noch nicht einmal als Verlegenheitslösung. Auch nach einem Monat war dort noch keine einzige neue Strafsache angefallen, dafür hatte sich die Front der Stadt so bedrohlich genähert, dass der abgeordnete Amtsgerichtsrat Schmitz um Entpflichtung bat, einerseits um die Verlegung des Amtsgerichts Bergheim vorbereiten zu können – für das er eigentlich zuständig war –, andererseits um seine private Gemäldesammlung in Sicherheit zu bringen. Für ihn fand sich zwar noch Ersatz, da das zwischenzeit-

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lich ausgebombte Amtsgericht Jülich ebenfalls nach Bergheim gezogen war und dessen Vorstand nun die Geschäfte des Sondergerichts Aachen übernehmen konnte, aber mehr als den Rückzug zu begleiten stand nicht an.66 Mitte Dezember verließ man Bergheim und zog weiter nach Siegburg. Dort bestanden alle Voraussetzungen für einen längeren Aufenthalt. Das Gerichtsgebäude war in einem guten Zustand. In die Haftanstalt hatte man – obwohl sie bereits stark überbelegt war – einen Teil der Aachener Untersuchungshäftlinge mitsamt ihren Akten verbracht. Einige Beamten waren deshalb schon früher, ohne den Umweg über Düren, nach Siegburg gezogen, Landgericht und Staatsanwaltschaft hatten auf den Abstecher nach Bergheim verzichtet, nunmehr fand sich das ganze Kollegium wieder vereint. Vorübergehend wohnte man in einem Massenquartier in der Strafanstalt, aber das änderte sich bald. Auch Arbeit gab es genug. Der Generalstaatsanwalt berichtete am 30. Januar 1945 ans Ministerium, obwohl der Landgerichtsbezirk Aachen zum größten Teil unter feindlicher Besetzung stehe, würden «noch soviel Sachen» anfallen, dass der Oberstaatsanwalt und zwei weitere Referenten «voll beschäftigt» seien.67

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Und damit war auch Keutgen wieder gefragt. Am 28. November 1944 erhielt er seine Abordnung von Gemünd zurück ans Sondergericht, kurz vor Weihnachten trat er die alte, aber zugleich ganz andere Stelle in Siegburg an. Lange blieb er dort indes nicht. Ein großer Teil der anhängigen Verfahren konnte nicht bearbeitet werden, weil die zugehörigen Untersuchungshäftlinge bei der Evakuierung von Aachen nach Bautzen verbracht worden waren. Schon länger sollte deshalb Personal nach Bautzen geschickt werden. In Düren war dieses Vorhaben wohl an der Zerstörung des

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Gerichts gescheitert, die andere Dinge dringlich werden ließ. In der relativen Ruhe von Siegburg wurde es wieder aufgegriffen. Zwei Bearbeiter waren erforderlich: ein Staatsanwalt, der vor Ort die Anklage vertreten, und ein Richter, der darüber entscheiden sollte. Als Staatsanwalt zog man Hans Wickmann heran, einen untertänigen Mann der Praxis mit zwei miserablen Examina und Engagement bei NSDAP und SA.68 Als Richter fiel die Wahl auf Keutgen. Warum ausgerechnet die beiden für die Besetzung der Stellen in Bautzen auserkoren wurden, ist unbekannt. Keutgen war schwer kriegsversehrt, Wickmann hatte drei kleine Kinder und eine wegen starker Schwerhörigkeit hilfsbedürftige Ehefrau. Nach Lebens- und Dienstalter fehlte beiden die erforderliche administrative Erfahrung für diese Abordnung ins Ungewisse. Aus demselben Grund standen beide jedoch am unteren Ende der institutionellen Nahrungskette, was letztlich den Ausschlag gegeben haben dürfte. Wie auch immer: Am 15. Januar 1945 trat Keutgen seine Reise an. Zunächst fuhr er nach Brilon ins Sauerland, wohin seine hochschwangere Frau mit dem ersten Kind evakuiert worden war; am Geburtstag seines zweiten Kindes musste er abends weiterreisen.69 Für die gut 500 Kilometer nach Bautzen benötigte er wegen der Zerstörungen und Fliegeralarme fast drei Tage. Dort traf er auf Wickmann und etwa hundertachtzig Untersuchungshäftlinge aus Aachen und Köln. Akten gab es nicht. Keutgen und Wickmann mühten sich redlich. Nach Selbstauskunft gelang es ihnen in rund sechzig Fällen, das Verfahren zu rekonstruieren und zum Abschluss zu bringen.70 Entlassen wurden einige Jugendliche, die als «Deutsche auf Widerruf» galten und sich dem Wehrdienst entzogen hatten. Bei anderen Delinquenten erreichten die Aachener Amtswalter eine Verurteilung. Ein Betroffener berichtete nach dem Krieg, er sei in der Untersuchungshaft von Aachen über Siegburg nach Bautzen gebracht worden; nach einigen Monaten habe man ihn ins dortige Gerichtsgebäude geführt, wo ein Raum durch ein Schild als «Oberstaatsanwaltschaft Aachen» ausgewiesen gewesen sei. Außer über ihn

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habe man dort über vier weitere Angeklagte verhandelt, er selbst sei wegen seiner Taten – er hatte in großem Stile bereits verwertete Lebensmittel- und Raucherkarten aufgehübscht und wiederverwertet – als Volksschädling zu fünfzehn Monaten Zuchthaus verurteilt, kurz darauf jedoch auf Bewährung entlassen worden.71 Ein anderer gab an, man habe ihn in Bautzen für seinen Diebstahl von Stoffen, Kleidung und Kaninchen ebenfalls zum Volksschädling erklärt, jedoch nur eine Strafe von lediglich neun Monaten Gefängnis ausgesprochen.72 Allerdings ließen die Kriegsgeschehnisse auch Bautzen bald zur Zwischenstation werden. Keutgen blieb dort keine vier Wochen. Bautzen war zu einer Art Auffangstelle für viele Häftlinge aus den mittlerweile besetzten Ostgebieten geworden. Das Gefängnis war heillos überfüllt, außerdem kam die Front unaufhaltsam näher. Das Sondergericht zog zurück Richtung Westen, in das knapp 300 Kilometer entfernte Ichtershausen in Thüringen. Keutgen folgte den Häftlingen, allerdings nicht auf direktem Wege. In einer dreitägigen Zugfahrt reiste er in die Heimat, um seiner Frau und dem neugeborenen Kind beizustehen, die beide schwer erkrankt waren. Kurz nach seiner Ankunft starb die Tochter, nur wenig später musste Keutgen zurück zu den Dienstgeschäften. Nach wiederum drei Tagen im Zug erreichte er am 23. Februar 1945 Ichtershausen. Im benachbarten Amtsgericht Arnstadt erhielten die Aachener Juristen, vom Oberlandesgerichtspräsidenten in Jena stillschweigend gebilligt, einen Verhandlungssaal für die noch vorhandenen gut hundertzwanzig Gefangenen. Viel verhandelt wurde allem Anschein nach nicht mehr. Lediglich ein einziges Urteil aus der Ichtershausener Zeit hat Spuren hinterlassen – freilich ein Urteil, das Alltag, Krieg und Ideologie auf besonders symptomatische Weise miteinander verquickt: Ein Weichenwärter der Reichsbahn, der angesichts seiner völlig zerrütteten Ehe begonnen hatte, Lebensmittelpakete zu unterschlagen, um sich in seiner Gartenlaube daraus die Mahlzeiten zu kochen, die er zu Hause nicht mehr erhielt,

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wurde am 22. März 1945 als Volksschädling zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.73 Dieses Urteil fällt bereits in die Endphase des Aachener Sondergerichts. Keutgen sagte nach dem Krieg aus, er habe seinen Dienst in Thüringen bis zum 29. März 1945 versehen, eine Angabe, die durchaus plausibel ist: Der 29. März war der Gründonnerstag; über Ostern setzte in Arnstadt fast ununterbrochener Fliegeralarm ein, am nächsten Werktag  – dem 3. April  – begann der US-amerikanische Artilleriebeschuss, eine Woche später wurde der Ort eingenommen. Auch das Zugangsbuch der Ichtershausener Haftanstalt enthält nach dem 29. März keine Einträge mehr. Nimmt man diesen 29. März mithin als letzten Arbeitstag des Aachener Sondergerichts, so ergeben sich eigenartige Koinzidenzen. Am 29. März trafen in Ichtershausen zwei Waggons voller Akten und Privatgegenstände aus Berlin ein, mit denen das Reichsjustizministerium einige Abteilungen verlegte. Selbstbewusst wurde dazu verkündet, man sei nun in der Lage, die «Geschäfte in vollem Umfang aufzunehmen».74 Sondergericht Aachen und Reichsjustizministerium Berlin – für einen kurzen Moment vereint in der Zwischenwelt von Ichtershausen. Und mehr noch: Als Keutgen sein «Dr. Keutgen.» unter die letzten Urteile schrieb, da gab es sein Sondergericht eigentlich nicht mehr. Aachen war seit mehr als einem halben Jahr besetzt, Düren seit vier Monaten zerstört, Bergheim schon lange geräumt, in Siegburg tobte der Endkampf. Dem Sondergericht waren die Ausweichquartiere abhandengekommen, auch vom übergeordneten Oberlandesgericht Köln waren nur noch kümmerliche Reste in Waldbröl tätig.75 Keutgens Expedition war zur Geschäftsführung ohne Auftrag verkommen. Die Alliierten hatten alle Gerichte geschlossen, die sie in ihrem Besatzungsgebiet vorfanden, das wusste man auch im Reichsjustizministerium.76 In Aachen selbst hatte die Nachkriegszeit deshalb bereits begonnen. Am 4. März wurde der unbelastete Rechtsanwalt Philipp Bohne zum neuen Landgerichts-

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präsidenten ernannt,77 Ende des Monats hielt man die ersten Zivilsitzungen ab, wie das Amtsgericht 1962 in einer historischen Selbstbetrachtung festhielt.78 Zwar geben die Akten des Ministeriums und die Literatur einhellig den 1. April 1945 als Tag der Wiedereröffnung der Aachener Gerichte an.79 Aber dieses Datum kann nicht stimmen. Der 1. April 1945 war der Ostersonntag, und es dürfte dem unerschöpflichen Arbeitseifer der deutschen Beamtenschaft selbst dieser Zeit widersprochen haben, eine Behörde an einem Sonntag, noch dazu dem höchsten christlichen Feiertag, zu eröffnen. Vermutlich wurde der Eröffnungstag erst post festum auf den Monatsbeginn gelegt, während die Geschäftstätigkeit de facto schon zuvor begonnen hatte. Wenn die ersten Nachkriegssitzungen aber tatsächlich bereits im März stattfanden, dann wären, gegen alle normative Erwartung, für einen kurzen Augenblick zwei Paralleluniversen zu besichtigen: Während die Justizbehörden in Aachen selbst der oktroyierten neuen Rechtsstaatlichkeit gehorchten, tat Keutgen in der Ferne unbeirrt seinen Dienst am nationalsozialistischen Recht und führte die letzten Aachener Volksschädlinge ihrer Verurteilung zu: ein synchroner Widerstreit anachroner Systeme, der in der juristischen Begriffswelt nur noch als dumpfe Ahnung darstellbar ist. War Keutgens Aachener Sondergericht z. Zt. Ichtershausen noch zuständig, obwohl es schon wieder ein ordentliches Landgericht Aachen gab? War es Teil der deutschen Gerichtsbarkeit, auch wenn seine Heimatbehörde schon lange nur noch mit Genehmigung der Besatzungsmacht handeln konnte? Und war es überhaupt noch ein «Staatsgericht», wie von § 15 des Gerichtsverfassungsgesetzes gefordert? Zu Keutgens Zeit hat diese Fragen, wie man sich denken kann, niemand gestellt. Und später auch nicht.

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Aachener Normalrichter, bekannte Gesichter Aachener Normalrichter, bekannte Gesichter

Der Jurist kann sich leichter umstellen als jeder andere. Jetzt, mit dreiunddreißig Jahren, bekam Keutgen die Gelegenheit, seine postpubertären abitürlichen Prophezeiungen selbst einzulösen. Wann er genau nach Aachen zurückkehrte, geht aus den Akten nicht hervor. Sicher ist nur: Schon am 15. August 1945 ließ ihn die Militärregierung wieder als Richter zu,80 obwohl bei ihm eigentlich alles zusammenkam, was selbst bei mildesten Kriterien wenigstens zum vorübergehenden Berufsverbot hätte führen müssen: Mitglied von SA und – wenn auch spät – NSDAP, Rechtsreferent der Hitler-Jugend, Sondergericht, Beteiligung an Todesurteilen. Bekanntlich hat jedoch auch in der neuen Ordnung eine solche Ballung von Ausschlussgründen nicht notwendig geschadet, weder in Aachen noch anderswo. Wer nur seine Pflicht tut, der braucht sich keine Sorgen zu machen, auch wenn die Zeiten sich einmal ändern sollten. Am 29. Januar 1946 ernannte die Militärregierung Keutgen zum Richter – da war er schon fast ein halbes Jahr als solcher tätig –, zwei Monate später reichte er den obligaten Fragebogen nach. Seine Erläuterungen dazu überzeugten den Überprüfungsausschuss vollkommen. In der Partei sei er tatsächlich gar nicht gewesen – im Personalbogen von 1944 hatte er noch eine Mitgliedsnummer angegeben  –, sondern lediglich Anwärter geblieben. Als überzeugter Katholik habe er den Nationalsozialismus ablehnen müssen, und einschlägigen Organisationen sei er nur beigetreten, wenn «dies zur Erreichung meines Berufszieles, ohne das ich mich nie wirklich zufrieden gefühlt hätte, zwingend erforderlich» gewesen sei. Beim Amt des Rechtsreferenten der Hitler-Jugend, wo diese Erklärung offensichtlich nicht ausreichte, behalf sich Keutgen mit der üblichen Auskunft, er habe sich auf die Position begeben, um Schlimmeres zu verhindern und «die Jugend vor den sonst auf diesen Stellen üblichen glaubenslosen und radi-

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kalen Elementen zu schützen», was ihm auch tatsächlich gelungen sei. Gekrönt wurde die Einlassung von der Bestätigung eines englischen Freundes, eines Vikars der dortigen Hochkirche, der das Innenleben von Keutgen gewissenhaft ausbreitete und seine Charakterstudie in der wiederholten, sicherheitshalber auch durch Unterstreichung hervorgehobenen Beteuerung kulminieren ließ: «You were never a Nazi!».81 Kurzzeitige Schwierigkeiten gab es erst im Juni 1947, als die britische Militärregierung, angestachelt wohl durch einen Zeitungsartikel, seinen Fall überprüfte und die Entlassung anordnete, weil ihr das Zusammentreffen von SA, NSDAP, Rechtsreferent der HJ und Sondergericht denn doch zu viel erschien. Allerdings hatte die Berufung umgehend Erfolg. Keutgen mobilisierte sein gesamtes juristisches und kirchliches Netzwerk: Rechtsanwälte, Angeklagte, Verurteilte, deren Angehörige, der Landgerichtspräsident, Justizangestellte, zwei Kaplane, ein Pfarrer, ein Religionslehrer, ein Jugendseelsorger; insgesamt kamen zweiundzwanzig Stellungnahmen zusammen – «Ich bin jederzeit in der Lage, eine große Zahl weiterer Zeugnisse beizubringen»  –, in denen das bereits Vorgetragene erneut vorgebracht wurde. Am Ende schob man noch Kontrollratsgesetz Nr. 4 beiseite, das unmissverständlich die Amtsenthebung von Richtern verlangte, «die an den Strafmethoden des Hitlerregimes direkten Anteil hatten», indem Keutgen zum stellvertretenden Beisitzer marginalisiert wurde, was er tatsächlich jedoch nur 1944 gewesen war. Nach einem solchen Aufgebot von Beschönigungen, Verzerrungen und offenen Lügen stand auch der aktive Nationalsozialist Keutgen bald als Mitläufer da.82 Sicher, nicht in allen Karrierewegen hatte der Untergang des Dritten Reiches solche eher oberflächlichen Spuren hinterlassen. Hellbach, bei dem bornierter Bürokratismus und ideologischer Fanatismus eine besonders unheilvolle Verbindung eingegangen waren, hatte sich untragbar gemacht; er wurde in den Wartestand versetzt und starb 1953.83 Fritz, der sich als Notvorsitzender von

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Düren und Siegburg zum administrativen Großwesir im Soforteinsatz aufgeschwungen hatte, wurde zwar zur Wiedereinstellung empfohlen, eine Tätigkeit im Landgerichtsbezirk Aachen hielt man jedoch – so viel politisches Gespür war noch vorhanden – für «unzweckmäßig»;84 er wurde zunächst Verwaltungsrichter in Münster und schließlich Senatspräsident am Landessozialgericht in Essen. Neben dem neuen Landgerichtspräsidenten Philipp Bohne gab es mit Arnold Heitzer auch einen neuen Oberstaatsanwalt; als ehemaliges SPD-Mitglied hatte Heitzer während des Nationalsozialismus mehrfach Repressalien hinnehmen müssen.85 Aber auf der Arbeitsebene stieß man bald auf bekannte Gesichter. Josef Schauergans, der schon vor dem Hitler-Putsch kurzzeitig und ab 1933 langfristig Mitglied der NSDAP war und als Sonderrichter an mindestens drei Todesurteilen mitgewirkt hatte, gehörte zu Keutgens alt-neuen Kollegen.86 Hans Wickmann, sein Reisebegleiter im Osten, wurde nach dem Krieg erst als «Mitläufer» eingestuft, dann Staatsanwalt, dann in einem neuen Verfahren zum «Entlasteten» erhoben, daraufhin Erster Staatsanwalt und schließlich Oberstaatsanwalt.87 Ludwig Kuhnert, das Faktotum des Gerichts, blieb zunächst in Aachen, wo er seinen Wechsel von der Richter- in die Staatsanwaltschaft endgültig besiegelte; 1953 brachte er es zum Oberstaatsanwalt in Essen.88 Selbst der Sachverständige Walter Stillger, der bis 1945 regelmäßig hinzugezogen worden war, um den Geisteszustand der Angeklagten zu begutachten, saß selbstverständlich wieder im Gerichtssaal.89 Der von ihm erarbeitete Fragenkatalog war freilich nur noch in Teilen verwendbar; die standardmäßige Abfrage der Funktionen von Hermann Göring und Joseph Goebbels etwa entfiel. Und so machte man sich in Aachen gemeinsam an den Neuaufbau der Justiz, der in dieser Zeit zu einem Gutteil darin bestand, den Schutt der vergangenen Jahre zu beseitigen.90 In Teilen des Justizgebäudes herrschte noch Monate nach Kriegsende Einsturzgefahr, die intakten Räume musste man sich auf längere Zeit mit

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der Militärregierung und der Stadtverwaltung teilen. Qualifiziertes und politisch tragbares qualifiziertes Personal war knapp, von den siebenundzwanzig Planstellen am Gericht war nach einem Jahr noch immer nur die Hälfte besetzt. Papier, Schreibwaren, Schreibmaschinen, Kohlen blieben Mangelware, im Winter wurde bei zehn Grad unter null ohne Heizung gearbeitet. Dabei gab es viel zu tun: Vor allem Diebstähle aus den evakuierten Wohnungen beschäftigten die Justiz, der Schwarzmarkt trieb, wie überall, seine Blüten, außerdem hielt die Flut von Ehescheidungen ungebrochen an. Auch alte Fälle gab es genug. Die gut tausend Verfahren des Sondergerichts waren in den unterschiedlichsten Stadien steckengeblieben; in manchen musste noch ermittelt werden, andere hatten zwar bereits zu einer Anklageschrift geführt, die Hauptverhandlung vor Gericht war jedoch noch nicht eröffnet worden; in wieder anderen gab es ein Urteil, aber die Entwicklungen des Krieges hatten es nicht mehr zugelassen, die Strafe zu vollstrecken. Unwirksam war keiner dieser Verfahrensschritte. Aufgehoben waren ein Katalog nationalsozialistischer Gesetze, die Sondergerichte und der Volksgerichtshof; nicht aufgehoben waren hingegen die Urteile, die von den beseitigten Institutionen oder unter Anwendung der inkriminierten Gesetze gefällt worden waren. Gesetz Nr. 1 der Militärregierung ordnete an, dass noch nicht vollstreckte Strafen, deren Höhe im Widerspruch zum neuen Zeitalter stehe, aufzuheben seien, was in der Kontrollratsproklamation Nr. 3 für «Verurteilungen, die unter dem Hitler-Regime ungerechterweise aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgten», noch einmal wiederholt wurde. Was genau das hieß und wie ein entsprechender Straferlass durchzuführen sei, bedurfte noch erheblicher Konkretisierung. In der britischen Zone wiesen verschiedene Anordnungen die Justizbehörden an, mit der Entlassung eines Häftlings durch die Alliierten sei dessen Strafe als verbüßt anzusehen; wer ohne Ermächtigung entwichen sei, könne begnadigt werden, wer sich in

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Sicherheitsverwahrung befunden habe, stehe nunmehr unter Bewährung.91 Zugleich bedeutete dies, dass bei jedem Rechtsakt ein kontaminierter Teil zu identifizieren war, den es zu beseitigen galt, ein davon unabhängiger neutraler Teil daneben aber durchaus Bestand haben konnte. Die Volksschädlingsverordnung, eine der ideologischen Herzkammern des alten Regimes, war, juristisch gesehen, nicht mehr als ein Strafschärfungsgrund wie viele andere auch – mit dem einzigen Unterschied, dass man ihn nach der Gesetzgebung des Kontrollrats nicht mehr anwenden konnte. Wer nach Luftangriffen geplündert hatte, war nun zwar kein Volksschädling mehr, aber trotzdem noch immer ein Dieb. In Bezug auf diese Verwicklungen behalf man sich in Köln mit zwei Verordnungen. Am 21. Januar 1946 erging ein Erlass des Oberlandesgerichtspräsidenten, wonach politische Straftaten Straffreiheit genössen und die übrigen von den Sondergerichten verhängten Strafen zu halbieren seien.92 Im Juni 1947 ordnete das zwischenzeitlich geschaffene Zentral-Justizamt erneut Strafmilderung an.93 Aber auch diese Rechtsakte hatten keinen unmittelbaren Zugriff auf die Rechtswirklichkeit. Was die Sondergerichte hinterlassen hatten, blieb ipso iure in der Welt, bis die jetzt zuständigen Einrichtungen Gegenteiliges verlauten ließen. Für zuständig erklärt aber wurde die Staatsanwaltschaft; sofern ein Beteiligter es darüber hinaus wünschte, sollte sich anschließend ein Gericht mit der Sache befassen und ohne erneute Hauptverhandlungen durch Beschluss entscheiden. Im Falle des Sondergerichts Aachen hieß das: Die notwendig gewordenen Korrekturen lagen nunmehr beim Landgericht Aachen und seiner Staatsanwaltschaft.94

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Selbstjustiz: «Weglegen»

Selbstjustiz: «Weglegen» Selbstjustiz: «Weglegen»

Und damit saßen die ehemaligen Sonderjuristen, nunmehr zu Normaljuristen mutiert, über die alten Fälle gebeugt beisammen, um zu überprüfen, welches ihrer alten Judikate auch in der neuen Ordnung noch Gültigkeit beanspruchen durfte. Die eigentümlichste Rolle kam dabei Ludwig Kuhnert zu. Als Hilfsarbeiter der Staatsanwaltschaft war er mit praktisch jedem Fall befasst, in dem ein überkommener Rechtszustand in die Nachkriegsverhältnisse eingepasst werden musste. Kuhnert stellte noch offene Ermittlungen ein, zog Anklagen zurück, verwies auf die mittlerweile ergangenen Straffreiheitserlasse oder behalf sich mit dem Gnadenweg, im Idealfall verdichtet zum bürokratischen Wundermittel: «1. Nichts zu veranlassen. 2. Weglegen.»95 Aber in vielen Fällen ließ sich die Abwicklung der eigenen Vorgeschichte nicht so beiläufig gestalten. Die Aachener Provinzverhältnisse hatten eine Konstellation von tiefer Absonderlichkeit geschaffen: Weil zwischen den nationalsozialistischen und den demokratisierten Amtswaltern in vielen Fällen Personalunion bestand, waren oft die Altlasten von Kollegen, nicht selten aber auch die eigenen Urteile zu überprüfen. Kuhnert beendete in der Nachkriegszeit zahlreiche Verfahren, die er selbst zuvor maßgeblich geprägt hatte. Er beantragte die Reduzierung von Strafen, die er als Richter selbst mitentschieden hatte, reduzierte sie gleich selbst oder setzte sie zur Bewährung aus, zog eigene Anklageschriften wieder zurück oder ließ Gnade walten, wo er diese vor 1945 selbst zurückgewiesen hatte.96 Mit welcher Gleichgültigkeit dabei der eigene Kontingenzhaushalt ausgeschöpft wurde, zeigt ein Urteil von 1943, das Kuhnert als Beisitzer mitgetragen hatte. Eine Angeklagte war wegen des Diebstahls von einigen Kleidungs- und Schmuckstücken nach einem Luftangriff als Volksschädling zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden: Sie sei zwar nicht vorbestraft, hatte das damalige Urteil betont,

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habe jedoch «im höchsten Maße verwerflich gehandelt»; gerade in diesen «schicksalshaften Stunden» seien «schärfste Brandmarkung und strengste Bestrafung der Angeklagten» erforderlich. Als Nachkriegsstaatsanwalt schrieb Kuhnert 1946 in derselben Sache kurzerhand ans Gericht, er bitte um Korrektur der Strafe, weil er sie auch nach Anwendung des Straffreiheitserlasses für «zu hoch» halte. Mehr nicht. Die Strafe wurde auf zwei Jahre reduziert.97 Von den Richtern wurden ebenfalls Anpassungsleistungen erwartet, und auch sie mussten bei der Überprüfung der alten Urteile immer wieder zugleich sich selbst einer Revision unterziehen. Schauergans hatte es in einigen Verfahren mit der unheilvollen Vorgeschichte von Kollegen zu tun,98 wurde aber mindestens einmal auch mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert: 1943 hatte ein Mitarbeiter der Stadt einer Bekannten zahllose Lebensmittelkarten zugesteckt, die von dieser wiederum für die Eigenversorgung verwendet oder zu Wucherpreisen weiterverkauft wurden. Man hatte damals auch die Todesstrafe in Erwägung gezogen, letztlich aber beide als Volksschädlinge zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Im damaligen Verfahren war Schauergans Beisitzer gewesen, nun war er wieder Beisitzer; die rechtsstaatliche Modifikation der Anklageschrift hatte Kuhnert besorgt, Vorsitzender Richter der zuständigen Strafkammer war der ebenfalls geläuterte Keutgen. Gemeinsam huldigte man dem neuen Rechtsstaat: Volksschädlinge gebe es nicht mehr, und davon abgesehen sei die verhängte Strafe «übermäßig hoch». Nun genügten für beide Delinquenten Haftstrafen von achtzehn Monaten, wobei die Nutzerin der Karten zusätzlich mit einer Geldstrafe von 500,– Reichsmark belegt wurde.99 Auch Keutgen selbst hatte reichlich zu tun. Er korrigierte die Judikatur nicht nur von Schauergans, sondern auch von anderen Kollegen; er griff in Verfahren ein, die Kuhnert als Richter mitverantwortet hatte, und er beschied Urteile neu, die von Kuhnert als Staatsanwalt auf den Weg gebracht worden waren.100 Ein Todesurteil in einem Plünderungsfall, von Wickmann beantragt und vom

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Reichsjustizministerium in eine zehnjährige Zuchthausstrafe umgewandelt, reduzierte er nun auf eine Gefängnishaft von dreizehn Monaten.101 Und schließlich erhielt Keutgen mehrfach die Gelegenheit, Urteile zu überdenken, die auf seine eigene Vorarbeit zurückgingen. 1943 hatte das Sondergericht einen Fall zu beurteilen gehabt, in dem ein Angeklagter seine Frau und Kinder mehrfach schwer misshandelt hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn als Gewaltverbrecher angeklagt; das Sondergericht war dem zwar nicht gefolgt, hatte den Angeklagten aber trotzdem zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Keutgen, damals Beisitzer, nun Vorsitzender, setzte die Strafe 1947 auf fünfzehn Monate herab. Zur Begründung verfiel er ganz in die bewährte Rhetorik des Unpersönlichen: «die Strafkammer» habe sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass das Urteil des Sondergerichts – trotz seiner anderslautenden rechtlichen Würdigung – «wesentlich» von der scharfen Anklageschrift beeinflusst war.102 In einem anderen Fall ließ Keutgen 1949 seine Mitwirkung an der Verurteilung eines Volksschädlings – Betrug mit Lebensmittelkarten  – hinter der routiniert transpersonalen Feststellung, weitere Vollstreckung dürfte «nicht angängig sein».103 Wie sehr die lebensweltliche Identität der Beteiligten von solchen Korrekturen strapaziert wurde, lässt sich naturgemäß nicht ermitteln. Aber auch das juristische Ich kann diese Wandlungen nicht unbeschadet überstanden haben, selbst wenn man die hohe Bereitschaft zur Indolenz in Rechnung stellt, die die Bewohner der Rechtswelt gewöhnlich auszeichnet. Nicht einmal ein hartgesottener Sachwalter wie Kuhnert wird es als alltägliches Ereignis verbucht haben, wenn er über eine von ihm selbst als Staatsanwalt auf den Weg gebrachte Entscheidung von einem Anwalt zu lesen bekam, man habe es mit einem «der für das Dritte Reich typischen Schreckensurteile» zu tun, und ihm 1946, noch immer Staatsanwalt, nur blieb, eine mildere Behandlung der ehemaligen Volksschädlinge zu beantragen.104

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Wie also die juristische Identität über die Zeiten retten? Mit dem Hinweis auf die zwischenzeitlich ergangene Gesetzgebung des Kontrollrats ließ sich ein Teil der Entscheidungsprozesse externalisieren; Volksschädlinge waren eben abgeschafft. Überdies waren die Folgen der Aufarbeitung zu begrenzt, um das richterliche Ethos auf eine ernste Probe zu stellen. Vorrangiger Adressat der Aachener Justiz war die Aktenlage selbst. Auch von den reduzierten Strafen wurde kaum eine vollstreckt; manche galten durch die Milderung als verbüßt, andere wurden zur Bewährung ausgesetzt.105 Und für die Alliierten war dieser Dienst am Papier offenkundig zu verworren, um zu überschauen, wer da eigentlich zur Selbstjustiz aufgerufen war. Die Instructions to Judges No. 2, die im Oktober von der Militärregierung erlassen wurden, schlossen einen Richter von jeder weiteren Befassung mit einer Sache aus, sofern es sich um ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung handelte, die der Richter zuvor gefällt hatte. Aber da es zwischen Sondergericht und Landgericht keinen Instanzenzug gab, musste auch niemand seine Zuständigkeit anzweifeln. In einzelnen Bezirken hatte man ausdrücklich bestimmt, dass die Überprüfung von politischen Altfällen nicht von den damals beteiligten Richtern durchgeführt werden dürfe.106 Für die Alltagsfälle erlaubte dies e contrario den sauberen juristischen Schluss, dass man sich um eine Personenidentität nicht sorgen müsse. Den Rest besorgte der juristische Gestus; Habitus und Rhetorik waren noch immer die zuverlässigsten Künder des Unausweichlichen. Dass irgendeiner der Aachener Rechtsarbeiter auf dem langen Weg vom Nationalsozialismus zum Rechtsstaat etwas von seiner rein sachlichen Urteilskraft eingebüßt haben könnte, wurde in keinem einzigen Verfahren auch nur erwogen. Juristen waren eben Diener der Notwendigkeit. Vom Reichsgericht stammt die wunderbar zirkuläre Selbstbestätigung, der Richter sei verpflichtet, die Staatsgesetze neutral anzuwenden, weshalb er sich selbst für befangen erklären müsste, sobald ein Gewissenskonflikt auftauche.

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Erkläre er, sich nicht befangen zu fühlen, so könne «auch vom verständigen Standpunkt eines Angeklagten aus kein Grund bestehen, in eine unvoreingenommene Ausübung des Richteramtes durch diesen Richter Zweifel zu setzen».107 Ein seltenes Bekenntnis zur illokutionären Kraft der Rechtssprache: Die Richter waren nicht befangen, solange sie behaupteten, nicht befangen zu sein. Diesen Grundsätzen hat man auch in Aachen zweifellos entsprochen.

Provinzfürst mit kassierter Vergangenheit Provinzfürst mit kassierter Vergangenheit

Und damit konnte das Dritte Reich in die nebligen Räume der Erinnerung entlassen werden. 1950 stellte Keutgen nach der neuen Verordnung über die Rechtsstellung nach periodischer Überprüfung im Entnazifizierungsverfahren einen Antrag auf Überprüfung der Kategorisierung als Mitläufer, die seiner Ansicht nach «bei zutreffender Berücksichtigung des vorliegenden Beweismaterials» nicht hätte ergehen dürfen.108 Am 6. Juni 1951 wurde die Entscheidung der Militärregierung vom Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung aufgehoben, weil Keutgen den Nationalsozialismus tatsächlich innerlich abgelehnt und sich nur aus «lauteren Motiven» heraus zu seinen Ämtern verpflichtet habe.109 Keutgen war jetzt offiziell entlastet, seine Vergangenheit rechtskräftig kassiert. In der Folge verschwanden nicht nur die ohnehin stark verwässerten Hinweise auf Hitler-Jugend und Parteimitgliedschaft aus den Dienstzeugnissen; Keutgens Berufsanfang wurde überhaupt erst auf das Jahr 1946 datiert, selbst sein Engagement als Pressedezernent, das er 1943 aufgenommen hatte, wurde im Rückblick um die Kriegsjahre gekürzt. Was dann noch kam, brauchte Keutgen deshalb nicht mehr zu fürchten. Als er Ende der 1950er-Jahre in den Braunbuch-Kampagnen der DDR auftauchte, begnügte man sich damit, ihn kommentarlos darüber in Kenntnis zu setzen.110 In Reaktion auf die Angriffe

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beschloss das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen gleichwohl, die Todesurteile der Sondergerichte generell zu überprüfen, wobei das Ergebnis dieser Prüfung schon vorgezeichnet war, wenn es hieß, bei «besonders geeigneten Richtern» sei eigens festzustellen, ob ein «erheblicher Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze» vorliege.111 Von den Aachener Urteilen wurde keines beanstandet. Ein letzter Gruß aus der Vergangenheit, der Keutgen 1965 traf, konnte denn auch schon vollkommen teilnahmslos behandelt werden. Ein gewisser «pfifikus [sic]» hatte sich bei der Ludwigsburger Zentralstelle gemeldet, um «als ehemaliger Verfolgter der Nazis» anzuprangern, Keutgen solle «am Sondergericht in Köln mehrere Todesurteile … aus geringem Anlaß» gefällt haben, «der Heuchler» sei überdies «früher ein heftiger Verfechter der Todesstrafe» und «ein eifriger Diener des Führers» gewesen, was schließlich in die – merkwürdig zahme  – Aufforderung mündete: «Unternehmen sie [sic] sofortige Schritte.» Das Oberlandesgericht Köln reagierte in formvollendetem Phlegma: «Auf die Eingabe … ist nichts zu veranlassen.»112 Die Zeit im Osten wurde ebenfalls bald Episode aus verflossenen Tagen. Wickmann äußerte sich in seinem Entnazifizierungsverfahren relativ ausführlich dazu und schilderte, wie er sich gemeinsam mit Keutgen um Haftverbesserungen für die Ausländer bemüht und einen «erheblichen Teil» von ihnen – mitunter gegen ausdrückliche Weisung  – entlassen habe.113 Keutgen dagegen beließ es bei der pauschalen Angabe, «richterliche Dienstgeschäfte» hätten ihn nach Bautzen und Ichtershausen geführt.114 Rührte sich hier doch noch das Gewissen? Dienstlich wurde er zweimal um eine Stellungnahme gebeten, als Angeklagte nach dem Krieg geltend machten, sie seien bereits von einem verlagerten Sondergericht Aachen verurteilt worden. Im einen Fall bestätigte er die Angaben mit längeren Erörterungen zu Werdegang und Aussichten des Verurteilten;115 bei einem anderen Angeklagten, der ein relativ günstiges Urteil für sich reklamierte und behauptete, seine verschiede-

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nen Diebstähle im Schutze der Dunkelheit hätten lediglich zu neun Monaten Gefängnis geführt, beließ er es bei einem knappen «Nicht richtig! K.».116 Obwohl die Abordnung 1945 offiziell erfolgt und über die Generalstaatsanwaltschaft dem Reichsjustizministerium gemeldet worden war, wollten sich jetzt nur noch wenige daran erinnern. Vernehmende Polizeibeamte spekulierten offen, die Angeklagten würden «mit Absicht einen Ort der russischen Zone» nennen, weil ihre Angaben «dann nicht mehr nachgeprüft werden können».117 Die Justizverwaltung zettelte immer wieder längere Schriftwechsel mit Gerichten in Bautzen an, um dort nach den Akten des ominösen Sondergerichts zu fahnden.118 In einem Zeitungsartikel aus den 1960er-Jahren hieß es nur noch, Keutgen sei «mit den Strafgefangenen» – was schon nicht stimmte – nach Bautzen und Ichtershausen «evakuiert» worden – was ebenfalls falsch war –, von wo er – vollends unsinnig – 1944 (sic!) zurückgekehrt sei.119 In Aachen wurde Keutgen bald zu einer Art Provinzfürst. Die dienstlichen Bewertungen lobten ihn in den höchsten Tönen als einen «Juristen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und Kenntnissen», mit «vorzüglicher Allgemeinbildung», «lobenswertem Fleiß» und «seltener Entschlußfreudigkeit», der «jedem Arbeitsanfall gewachsen» sei, dazu «charakterlich sehr hochstehend», «von geradem, offenem Wesen», «ein guter, stets hilfsbereiter Kollege».120 Von 1956 bis 1963 wurde er jedes Jahr zum Bundesrichter, danach dreimal zum Senatspräsidenten vorgeschlagen; warum die Beförderung nicht vollzogen wurde, geht aus den Akten nicht hervor.121 Auch die Presse war ihm wohlgesinnt. Als Pressedezernenten oblag Keutgen noch immer die Öffentlichkeitsarbeit für das Gericht, und diesen Auftrag nahm er so gewissenhaft wahr wie alle anderen Ämter. Seine Vorgesetzten bescheinigten ihm 1953, er habe «mit großem Geschick in schwieriger Zeit die Verbindung mit der Presse gehalten»,122 und auf Seiten der Presse sah man das offenbar ähnlich. Sein (angebliches) silbernes Dienstjubiläum – da

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war er tatsächlich bereits achtundzwanzig Jahre im Amt – wurde allseits wohlwollend vermerkt.123 Als er 1964 vom Straf- zum Zivilrecht wechselte und dort den Vorsitz einer Kammer übernahm, war dieser Vorgang allen drei Aachener Tageszeitungen teils ausführliche Artikel wert, in denen das große Bedauern über diesen Schritt zum Ausdruck gebracht und zugleich die Hoffnung geäußert wurde, er möge trotzdem weiter Pressedezernent bleiben.124 Am weitesten ging der Korrespondent der Aachener Zeitung, der den Wechsel zum Anlass für ein umfassendes Porträt nahm, an dessen Ende er Keutgen selbst zu Wort kommen ließ: «Nach 18 Jahren Strafkammer habe ich den Wunsch, als Zivilrichter eine friedlichere Tätigkeit auszuüben. Das dürfte doch verständlich sein» – ein Anliegen, das der Zeitungsmann devot kommentierte: «Man sollte die Entscheidung eines weisen Mannes respektieren.»125

Trennungsentschädigung Trennungsentschädigung

Nur eines blieb dem weisen Mann noch zu tun. Hans Keutgen, der unermüdliche Sonder-, Normal-, Straf- und Zivilrichter aus Aachen, hatte schließlich ab dem 12. September 1944 seinen Dienst fernab der Heimat tun müssen. Ohne Entschädigung braucht ein Beamter einen solchen Einschnitt in seine Lebensführung nicht hinzunehmen, damals so wenig wie heute. Nach dem Gesetz über Umzugskostenvergütung vom 3. Mai 1935 hatte ein Beamter einen Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen für Reise und Umzug. Mehr noch: § 11 gestand ihm darüber hinaus eine Trennungsentschädigung zu, wenn er «aus dienstlichen Gründen nach einem anderen Dienstort versetzt» wurde, dort aber «durch Wohnungsmangel» daran gehindert war, einen eigenen Hausstand zu gründen.126 Keutgen nahm das Angebot einer Sonderzulage dankend an. Schon in Gemünd hatte er nur drei Tage gebraucht, um Ordnungs-

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Trennungsentschädigung

sinn und Eigennutz in Stellung zu bringen und bei der ihrerseits evakuierten Justizverwaltung die Erstattung seiner umzugsbedingten Mehrkosten anzufordern. Weil, wie Keutgen formularmäßig mitteilte, «die Erlangung einer neuen Wohnung am Dienstort unter den gegenwärtigen Verhältnissen z. Zt. unmöglich» sei, beantragte er beim Landgerichtspräsidenten eine Trennungsentschädigung, und weil augenscheinlich niemand in Zweifel zog, dass die kriegsbedingte Evakuierung ein «dienstlicher Grund» war, wurde dem Antrag entsprochen. Für Siegburg, Bautzen und Ichtershausen galt nichts anderes; dass eine Wohnung unter den bestehenden Verhältnissen nicht zu bekommen war, lag schließlich auf der Hand. Und da man nicht wusste, wie lange die Abwesenheit von Aachen dauern würde, eine baldige Rückkehr aber ausgeschlossen zu sein schien, wurde die Trennungsentschädigung pauschal gleich bis zum Jahresende 1945 gewährt.127 Damit stand Keutgen ein ansehnlicher Bonus zu, um die Härten der vielen Ortswechsel ein wenig abzumildern. Der gewöhnliche Tagessatz belief sich auf 8,– RM, dazu kam eine Art Anschubfinanzierung von zusätzlich 10,– RM pro Tag für die erste Woche. Für Januar 1945 belief sich die Trennungsentschädigung deshalb auf 310,– RM – gut die Hälfe des Gehalts –, für Februar auf 224,– RM und für März auf 248,– RM,128 dazu kam die Erstattung der Reisekosten. Weil diese Unterstützungsleistungen sich im Laufe eines Jahres zu einem ansehnlichen Betrag summieren würden, wurde Keutgen noch im Januar ein erster Abschlag von 500,– RM ausbezahlt. Alles Weitere blieb der Nachkriegszeit vorbehalten. Am 22. Mai 1946, wenige Wochen nach Abschluss des Entnazifizierungsverfahrens, wandte sich der Kölner Oberlandesgerichtspräsident an Keutgen, um zu erfahren, von welchen Stellen dieser nach der Räumung von Aachen Bezüge und Entschädigungen erhalten habe.129 Der Vorgang erwies sich als ziemlich verwickelt. Man wusste schon nicht, bis wann die Trennungsentschädigung überhaupt bezahlt werden musste, schließlich war Keutgen ja lange

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vor dem 31. Dezember 1945 wieder nach Aachen zurückgekehrt. Welche Kosten ihm bei seinen Reisen quer durch das Deutsche Reich entstanden waren, ließ sich ebenfalls nicht einfach ermitteln. Ungeklärt war darüber hinaus, ob zwei weitere Abschlagszahlungen, die Keutgen im Februar und März durch Postscheck überwiesen wurden, ihr Ziel erreicht hatten. Und schließlich musste untersucht werden, ob Keutgen seine dienstlichen Reisewege durch Heimatbesuche aus Anlass von Geburt und Tod seiner Tochter womöglich unnötig verlängert hatte. Keutgen war durchaus daran interessiert, Licht in diese Vorgänge zu bringen. Ausführlich schilderte er seine Odyssee während der letzten Kriegsmonate, die Abordnung nach Bautzen, die Weiterfahrt nach Ichtershausen, insgesamt gut 2500 Kilometer. Am 15. Januar 1945 sei er in Siegburg aufgebrochen und für 13,10 RM nach Brilon gefahren, um dort seiner Frau bei der Geburt der Tochter beizustehen; diese sei am 17. Januar zur Welt gekommen, weshalb er sich weisungsgemäß abends nach Bautzen begeben habe (Reisekosten: 36,20 RM), wo er drei Tage später eingetroffen sei. Während der Räumung des Bautzener Untersuchungsgefängnisses habe ihn ein Telegramm erreicht, wonach Frau und Kind, beide nunmehr in Erwitte, ernstlich erkrankt seien. Deshalb sei er am 15. Februar von Bautzen nach Erwitte (39,20 RM) und nach einem kurzen Urlaub dort am 23. Februar von Erwitte nach Ichtershausen (23,80 RM) gereist, wofür bei den damaligen Verhältnissen wiederum jeweils drei Tage erforderlich gewesen seien. Die Reise in die Heimat, erläuterte Keutgen seine Rechtsauffassung, sei «schon deswegen erstattungsfähig, weil auch ohne wichtigen Grund der getrennt lebende Beamte einmal in drei Monaten zu seinen Angehörigen fahren darf». Bis zum Ende seiner Dienstgeschäfte am 29. März könne er in der Regel nur einen Tagessatz von 8,– RM an Trennungsentschädigung verlangen, der um 10,– RM erhöhte Satz während der ersten sieben Tage am neuen Ort stehe ihm dafür – Bescheidenheit ist in solchen Momenten nicht gefragt –

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Trennungsentschädigung

gleich dreimal zu, nämlich für Siegburg, Bautzen und Ichtershausen.130 Keutgens Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung fand in der Justizverwaltung offensichtlich Anerkennung. Der Aachener Landgerichtspräsident leitete Keutgens Schreiben nur einen Tag später an den Oberlandesgerichtspräsidenten mit einer eigenen Würdigung weiter, in der die verschiedenen Abordnungen sämtlich unter Verweis auf die Akten oder die Aussagen von Kollegen bestätigt wurden. Eine Genehmigung zur Verlegung des Beschäftigungsortes von Bautzen nach Ichtershausen sei zwar erforderlich gewesen, habe «in Anbetracht der derzeitigen Verhältnisse» jedoch nicht eingeholt werden können. Im Hinblick auf die zwischengeschaltete Heimreise habe durchaus ein wichtiger Grund vorgelegen, so die induktiv gewonnene Conclusio, schließlich sei «die lebensgefährliche Erkrankung des Kindes … dadurch belegt, dass das Kind am 20. 2. 1945 gestorben ist». Weil freilich nicht mehr festzustellen sei, «wieviel Tage die Reise von Bautzen nach Ichtershausen ohne den Umweg über Erwitte bei den damaligen Verkehrsverhältnissen in Anspruch genommen hätte», habe sich Keutgen großzügig damit einverstanden erklärt, die ganze Reise auf seinen Urlaub anrechnen zu lassen. Daher bitte man «unter Berücksichtigung aller Verhältnisse dieses Falles, insbesondere der schwierigen und gefahrenvollen Dienstreisen, sowie der schlechten und unverhältnismäßig teuren Übernachtungsmöglichkeiten», Keutgens Antrag «einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen».131 Jetzt ließ sich die Sache bilanzieren. Am Oberlandesgericht nahm man noch geringfügige Korrekturen vor, aber über die Erstattungsfähigkeit an sich gab es keinen Zweifel. Trennungsentschädigung, Tagegeld, Übernachtungsgeld, Reisekosten, Reisebeihilfe, Beschäftigungsvergütung Bautzen (Ortsklasse B), Beschäftigungsvergütung Ichtershausen (Ortsklasse C), Beschäftigungsreisegeld: Der letzte Dienst am Aachener Sonderrecht, die letzten hundertachtzig Volksschädlinge, Wehrdienstverweigerer, Schwarzschlach-

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Lastenausgleich

ter, Lebensmittelkartenfälscher, Wucherer hatten in ihrer justiziellen Sonderbehandlung Zusatzkosten von 956,24 RM verursacht.132 Keutgens monatelange Abordnung in die damals mittel- und nunmehr ostdeutschen Gefängnisse war damit abgegolten. Und warum auch nicht? Eine Radbruch’sche Formel des Umzugskostenvergütungsrechts gab es nicht, und ohnedies wurden die Dienstgeschäfte in Bautzen mit der Unverfänglichkeit des Reiserechts als «Erledigung der restlichen Strafsachen» umschrieben, während die Tätigkeit in Ichtershausen – bestechend logisch – die Bezeichnung «Weiterführung der Strafprozesse» erhalten hatte.133 Lediglich ein Punkt zeigte an, dass die bürokratische Nachlese keinem Normalfall galt: Die Rückreise nach Aachen wurde weder erstattet noch eine Erstattung von Keutgen überhaupt nur beantragt. Es war jedem klar, dass Keutgen als Sonderrichter ausgezogen war, aber nicht als Sonderrichter hatte zurückkommen können.

Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung» Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung»

956,24 RM. Von Wickmann, dessen Unkosten nicht geringer gewesen sein dürften, ist Vergleichbares nicht überliefert. Aber was heißt das schon? Vielleicht hatte man ihn vergessen, oder vielleicht hatte er angesichts ausreichender Vorschusszahlungen keine Veranlassung, von sich aus tätig zu werden. Im Falle von Keutgen entsprachen diese Vorschüsse immerhin gut zwei Monatsgehältern, und mehrfache Anträge auf Umzugskostenbeihilfe belegen, dass er das Geld gut brauchen konnte. Außerdem war die Initiative zur ordnungsgemäßen Abrechnung seiner Dienstgeschäfte nicht von ihm, sondern von der Justizverwaltung ausgegangen, und dass er bei der dadurch ausgelösten Suche nach erstattungsfähigen Positionen eine hartnäckige Akribie entfaltete, liegt fast schon in der Natur der Sache. Der Jurist kann sich leichter umstellen als jeder andere. Keut-

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Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung»

gen starb am 5. Februar 1999, im gesegneten Alter von sechsundachtzig Jahren.134 In seiner ereignisreichen Vita hatte er zahlreiche Gelegenheiten, seinen präpotenten Einlassungen Taten folgen zu lassen. 1976 erhielt er eine Ehrenurkunde für vierzig Dienstjahre, womit die Kriegszeit erneut unterschlagen wurde. Dass er bei Erreichen der Altersgrenze 1977 tatsächlich vierundvierzig Jahre gearbeitet hatte, spielte erst bei der Berechnung des Ruhegehalts eine Rolle; als es sich in klingende Münze übersetzen ließ, war auch von Keutgen wieder ein Bekenntnis zu seiner Zeit als Sonderrichter zu hören.135 Dienst an der Ordnung als Lebensform: Auf einen wie Dr. Keutgen – ehemals Hans – konnte man zu allen Zeiten zurückgreifen. In einer der wenigen öffentlichen Äußerungen, die von ihm überliefert sind, schob Keutgen eine Erklärung dafür nach. «Beim Strafrichter», ließ er 1964 ein Auditorium im Aachener Bürgerbräu wissen, stehe  – anders als beim Zivilrichter  – der Jurist an zweiter Stelle; «erst und vor allem» sei «das Menschliche» zur Anwendung zu bringen. Das klang durchaus nach wehrhaftem Humanismus. Aber Keutgens Menschlichkeit ging in eine ganz andere Richtung: Der Strafrichter müsse sich, so fuhr er fort, «mit seiner eigenen Persönlichkeit ganz für das Recht einsetzen bis zur eigenen Auflösung».136 Ein bemerkenswertes Ideal. Für seinen Beruf soll der Jurist sich selbst zum Instrument machen; «menschlich» zu sein bedeutet gerade, den menschlichen Überhang abzustreifen. Keutgen hat sich insoweit nichts zuschulden kommen lassen. Wenn ihm aber ausgerechnet das Primat des Menschlichen nahelegte, sich selbst aufzulösen, dann war anderes wohl auch nicht zu erwarten.

§ 5.

Auf der Flucht: Die Verlagerung der Gerichtsbehörden im Winter 1944 /45

Wohin mit dem OLG Stettin? derStettin? Flucht Wohin mit demAuf OLG

Ende 1943 verließ die Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Stettin ihren angestammten Sitz. Die Stadt hatte im Frühjahr ihren ersten großen Luftangriff erlebt. Die Justiz war davon zwar kaum betroffen; die Akten seien praktisch vollständig unversehrt geblieben, ließ der Stettiner Landgerichtspräsident bekannt machen, die Gerichte könnten weiterhin an ihren gewohnten Adressen aufgesucht werden.1 Allerdings musste gerade das Oberlandesgericht, prominent untergebracht im Stettiner Schloss, damit rechnen, weitere Angriffe nicht mehr so glimpflich zu überstehen. Im Juli erließ Wilhelm Frick als Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung die Anordnung, man solle Vorsorge dafür treffen, dass Behörden auch nach der Zerstörung ihres Dienstsitzes kriegswichtige Aufgaben unverzüglich weiter erledigen könnten, notfalls seien sie ins Umland zu verlegen.2 Da in der Verwaltungsabteilung des Stettiner Oberlandesgerichts größerer Publikumsverkehr nicht zu erwarten war, bestanden gegen ihre Verlegung keine Bedenken. Im August wurden ein paar Schreibmaschinen und einige wichtige, aber gleichwohl entbehrliche Unterlagen – ältere

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Personalakten, Bauakten, Fideikommiss- und Lehnsakten  – ins Landgericht in Köslin gebracht, im September begannen die konkreten Planungen für die Verlegung der gesamten Verwaltungsabteilung ins Pommersche Hinterland.3 Das Vorhaben war ambitioniert. Die Speditionsfirmen hatten mit Treibstoffmangel zu kämpfen, die Reichsbahn war voll ausgelastet. Auch ein Umzug in entfernte Gegenden durfte die Justiz in ihrer Arbeitsfähigkeit nicht behindern, weshalb besonders auf Bahnanschlüsse und Busverbindungen zu achten war. Die vielen ruhigen Städtchen im Bezirk, die diesbezüglich gute Bedingungen boten, waren wegen Evakuierungen aus dem luftkriegsgeplagten Westen jedoch oft schon so überfüllt, dass sich eine Unterbringung der Justizangestellten als unmöglich erwies. Dazu kamen die üblichen Abwehrreflexe: Der Landgerichtspräsident der Bezirkshauptstadt Schneidemühl gab an, in einigen seiner Amtsgerichte seien zwar noch Räume frei, sie würden sich aber nur für die Aufnahme von Möbeln und Gerätschaften eignen. Sein Kösliner Kollege, in dieser Hinsicht offenbar mit besonderem Einfallsreichtum ausgestattet, teilte bedauernd mit, in seiner Bibliothek seien selbst wichtige Werke wie Palandt, Schlegelberger-Hoche, Löwe-Rosenberg und außerdem das ganze Steuerrecht veraltet,4 was er selbst für die eigene Rechtsprechung offensichtlich als nicht weiter störend, für die Verwaltung des Oberlandesgerichts dagegen als inakzeptabel empfand. Die Lösung, auf die man sich schließlich einigen konnte, sollte niemandem wehtun und stellte daher keinen zufrieden. Zwischen September 1943 und Januar 1944 wurde die Stettiner Verwaltungsabteilung auf nicht weniger als sieben Ausweichorte verteilt. Das Amtsgericht in der winzigen Gemeinde Bublitz, fast 200 Kilometer östlich von Stettin, wurde Sitz des Oberlandesgerichtspräsidenten. Dessen Vertreter kam in das noch kleinere und noch fernere Örtchen Pollnow, weitere Arbeitsstäbe wurden an den Amtsgerichten in Köslin, Bärwalde und Tempelburg installiert. Nur die Gerichts-

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Wohin mit dem OLG Stettin?

kasse blieb relativ nahe und arbeitete im etwa 40 Kilometer südlich von Stettin gelegenen Amtsgericht Pyritz weiter. Judiziert wurde nach wie vor in Stettin, wo auch die Referendare wie bisher ihre Übungen besuchen konnten. Post, so der Oberlandesgerichtspräsident in seinem Bericht ans Ministerium abschließend, sei künftig an «den Arbeitsstab des OLG in Bublitz, Amtsgericht» zu richten.5 Besonders umsichtig gewählt war dieses Asyl nicht. Allein der Aufwand, der für die Auslagerungen betrieben werden musste, war erheblich. Die ersten Transporte mit Büromöbeln und Akten wurden im September abgewickelt; was die Spediteure nicht verladen konnten, übernahm ein eigens umgebauter Wagen der Haftanstalt Gollnow. Im Dezember fand dann das Gros des Umzugs statt. Zurückhaltung wurde nicht geübt. Neben den üblichen Zutaten – Tische, Stühle, Aktenschränke, Aktenböcke, Schreibmaschinen, Formulare, Bücher, Papier, Gasmasken, Panzerschränke  – hielt man auch die hergebrachten Insignien der bürgerlichen Repräsentation nach wie vor für unentbehrlich: Diplomatenschreibtische reisten mit, ebenso Stehpulte, Blumenständer, Sofas, Polsterstühle, Sessel, selbst eine Chaiselongue und ein Kronleuchter fanden ihren Weg ins Ausweichquartier auf dem Lande. Auch die privaten Habseligkeiten der Mitarbeiter wurden ohne größere Vorbehalte mitgenommen, gut zwei Dutzend Fahrten brachten ein buntes Sammelsurium in die Provinz: Betten, Matratzen, Decken, Nachttische, Ölbilder, Wannen, Eimer, Spiegel, Teppiche, Vorhänge, Karaffen, Lampen, Anrichten, Spinde, Schränke, eine Standuhr, Säcke mit Briketts, Kartoffelvorräte, außerdem zehn Rollen Toilettenpapier und fünfzehn Handtücher.6 Im Januar 1944 brachte ein Großangriff auf Stettin die Unternehmung ins Stocken, erst Ende Februar war der Umzug abgeschlossen. Aber wirklich einrichten konnte man sich in den neuen Verhältnissen nicht. Die bürokratischen Gepflogenheiten litten erheblich unter der räumlichen Fragmentierung, zumal angesichts der zunehmend unzuverlässigen Post- und Verkehrsverhältnisse. Das Ausweichquartier in Köslin musste bald

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aufgegeben werden, weil die Wehrmacht dort ein Lazarett einrichtete, aber auch die Arbeitsstäbe in Bublitz, Pollnow und Bärwalde verließen ihr Asyl nach wenigen Monaten und versuchten, der zersplitterten Verwaltung am Landgericht Stargard, nur noch 50 Kilometer östlich von Stettin gelegen, wieder ein Zentrum zu geben. Erneut waren Unterkünfte zu suchen, erneut gingen Akten, Schreibtische und Matratzen auf Reisen.7 Freilich war auch das nur ein Zwischenschritt. Während die Verwaltung langsam in den Dunstkreis ihres Stammsitzes zurückkehrte, wurde die Stettiner Innenstadt im August 1944 bei einem Großangriff weitgehend zerstört. Das Schloss brannte vollständig aus. Die Senate des Oberlandesgerichts und das Amtsgericht, die dort bis zuletzt verblieben waren, verloren alle Räume, alle Akten und alles Inventar; gemeinsam zogen sie in ein weniger beschädigtes Gebäude des Landgerichts  – ein kleiner, wenn auch sichtlich von der Not geschaffener Justizpalast: alle drei Instanzen vereint unter einem Dach.8 Kurz darauf kehrte auch das Präsidium des Oberlandesgerichts nach Stettin zurück, um sich im Amtsgericht der östlichen Vorstadt Altdamm niederzulassen, nach der ziemlich erratischen Irrfahrt durch das Pommersche Hinterland nun bereits der neunte Ausweichort, den die Verwaltung in den vergangenen zwölf Monaten bezogen hatte. Die Bedrohungslage hatte sich in dieser Zeit radikal verändert. Die Gefahr kam nicht mehr aus der Luft, sondern aus dem Osten. Im September 1944 begannen die ersten, streng geheimen Vorbereitungen für den Ernstfall. Im Westen ging Aachen verloren, bald darauf mussten Memel und die umliegenden Gebiete evakuiert werden. Pommern war von der Front zwar noch immer weit entfernt, aber dass das Heil nicht mehr im Osten lag, war auch in Stettin erkennbar. Nach der russischen Winteroffensive ging es schnell.9 Ende Januar 1945 wurden die ersten Orte im Bezirk geräumt, im nahen Zuchthaus Sonnenburg erschoss ein Kommando der Gestapo mindestens sechshundert Häftlinge, in Stettin ließ der

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Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest»

Volksgerichtshof Anfang Februar sieben Hochverräter hängen. Kurz darauf brachen die Telefonverbindungen nach Berlin zusammen, weshalb sich der Stettiner Generalstaatsanwalt für berechtigt erklärte, Gnadenentscheidungen über Todesurteile künftig selbst zu treffen. Mitte Februar wurde in Stettin ein Standgericht etabliert und mit zwei Richtern des Landgerichts besetzt; das erste Todesurteil folgte in den Tagen danach: Der Endkampf konnte beginnen.

Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest» Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest»

So etwas hatte noch keiner der Beteiligten erlebt. Aus dem Ersten Weltkrieg, aus dem die Verwaltungspraxis so viele wichtige Lehren gezogen hatte, gab es keinerlei Erfahrungen mit der feindlichen Besetzung des eigenen Landes. Bescheidenes Anschauungsmaterial hatten die Anfänge des jetzigen Krieges bereitgestellt, allerdings in einem völlig anderen Kontext. Um einer militärischen Reaktion der Franzosen auf den Überfall auf Polen standhalten zu können, waren schon im Zuge der Arbeiten am sogenannten Westwall verschiedene Zonen festgelegt worden, die im Ernstfall zu räumen seien. Die «Rote Zone», etwa 20 Kilometer breit, erstreckte sich schließlich auf einer Länge von gut 500 Kilometern zwischen Aachen und der Schweizer Grenze. Ende August 1939 wurde dort mehr als eine halbe Million Menschen evakuiert und ins Innere des Deutschen Reiches gebracht, zum Teil organisatorisch gut vorbereitet, häufig aber auch in sinnloser Überstürzung. Die Bevölkerung war in Einzelheiten des Planes nicht eingeweiht und wusste in der Regel weder, wann sie ihre Heimat verlassen musste, noch, mit welchem Ziel; Habe durfte kaum mitgenommen werden. Krankenhäusern oder Pflegeanstalten, aber auch Behörden und anderen zivilen Einrichtungen erging es deutlich besser. Das galt nicht zuletzt für die Justiz. Mit Ausbruch des Krieges erhielten

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viele der sogenannten «Freimachungsgebiete» neue Sondergerichte, die das Netz des politischen Strafrechts noch enger knüpften als zu Friedenszeiten.10 Von den ordentlichen Gerichten dagegen wurden einige von der Westgrenze ins Landesinnere verlegt, wo sie rund ein Jahr ausharren mussten. Wirklich weit zu ziehen brauchte niemand; wegen der relativ geringen Breite des Sperrgebiets konnte man im Sprengel des eigenen Oberlandesgerichts verbleiben. Als einziges Oberlandesgericht musste Zweibrücken seinen Sitz räumen und nach Ludwigshafen ausweichen; von den Landgerichten fanden Zweibrücken und Saarbrücken zusammen mit sechs Amtsgerichten in Kaiserslautern eine Unterkunft, während drei weitere Amtsgerichte andernorts untergebracht wurden. Aus dem Kölner Bezirk waren das Landgericht Trier, das nach Koblenz verlegt wurde, und eine gute Handvoll Amtsgerichte betroffen; die rund 100 Kilometer, um die das Amtsgericht Merzig ostwärts verschoben wurde, sind vermutlich die größte Distanz, die eine Institution damals zurückzulegen hatte.11 Aber anders als die übrige Bevölkerung war man auf die Verlagerungen gut vorbereitet. Schon Mitte August 1939 wurden vertraulich Räumungspläne für den Ernstfall verteilt. Aufnahmequartiere und Lagerstätten wurden rechtzeitig inspiziert, Akten, Siegel und Inventar sorgsam verpackt; Bereitschaftsdienste sicherten die jederzeitige Reaktionsfähigkeit.12 Feine Seismografen kündigten selbst an den unteren Gerichten den Kriegsbeginn mit einem gewissen Vorlauf an. Bei grenznahen Amtsgerichten gingen ab dem 21. August 1939 vermehrt Mitteilungen von Parteien oder Zeugen ein, sie könnten Terminen wegen Einberufungen zur Wehrmacht nicht Folge leisten, ein Phänomen, das sich in den nächsten Tagen weiter verstärkte. Als der Räumungsbefehl schließlich erging (Parole «Frühlingsfest»), stand eine intakte Infrastruktur bereit, um die geplanten Maßnahmen tatsächlich durchzuführen: Transportmittel, Unterkünfte, Verpflegung. Auch der normative Rahmen war noch unver-

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Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest»

sehrt, die Hierarchien klar, der Dienstweg unbeschädigt. Der aufsichtführende Richter am Amtsgericht Saarburg etwa verweigerte mehreren Räumungsbefehlen die Gefolgschaft, da sie «nicht von einer Justizbehörde» ausgingen. Erst nach einer telefonischen Bestätigung durch den Landgerichtspräsidenten und den Generalstaatsanwalt erklärte er sich zur Evakuierung des Gefängnisses bereit, ein Vorgehen, das augenscheinlich weder von Militär noch von Partei beanstandet wurde. Selbst für die ordnungsgemäße Unterbringung der Schlüssel «an dem Schlüsselbrett in Zimmer Nr. 4» fand sich noch Zeit, wobei die – durchaus nützliche – Zusatzinformation nicht verschwiegen wurde, der Schlüssel für Zimmer Nr. 4 stecke seinerseits «in der Tür».13 Flankierend gab es bürokratische Unterstützung für die Zivilbevölkerung: Eine Verfügung über die «gerichtliche Betreuung der Bevölkerung in Freimachungsgebieten» klärte die neuen Zuständigkeiten, «Hilfsmaßnahmen für Rechtsanwälte und Notare aus den freigemachten Gebieten» mühten sich um die Weiterbeschäftigung der arbeitslos gewordenen Rechtsverwalter.14 Ein Stillstand der Rechtspflege war deshalb nicht zu beklagen. Natürlich lief nicht alles glatt. Die Angestellten und Beamten mussten regelmäßig daran erinnert werden, sich auch fern der Heimat pünktlich zum Dienst zu melden.15 Außerdem kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Wehrmacht über die Benutzung von Dienstgebäuden. Aber nach der allmählichen Rückkehr im Sommer 1940 war man nicht unzufrieden. Im Allgemeinen ging es weiter wie zuvor. Eine der wenigen Ausnahmen hatte man am Amtsgericht Bergzabern erlebt: Nach einem knappen Jahr in Speyer fand man den Stammsitz  – in der Zwischenzeit von der Wehrmacht in Beschlag genommen – «bös mitgenommen», Möbel seien nach Belieben über die Zimmer verteilt, Stühle stünden im Freien, ein großes Grundbuchregal habe man nur durch Zufall bei einer Kompanie entdeckt, ein kleines werde noch immer vermisst. Man benötige deshalb eine «geraume Weile», um sich wieder ein-

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zurichten. Und selbst dieser etwas betulichen Inventur fügte der Präsident des Oberlandesgerichts Zweibrücken eilends die Einschätzung hinzu, sie habe sich als viel zu pessimistisch erwiesen. Man müsse, wurde außerdem vermerkt, «der Vorsehung dankbar sein», dass die «elementare Wucht» dieses Krieges Deutschland weitgehend verschont habe. Im September 1940, ein Jahr nach dem Überfall auf Polen, konnte man abschließend bilanzieren, die Gerichte seien ausnahmslos an ihre alten Dienstorte zurückgekehrt und hätten dort «reibungslos» ihre Tätigkeit wieder aufgenommen.16

Hoffnung auf Rückkehr: «z. Zt.» Hoffnung auf Rückkehr: «z. Zt.»

Als Vorbild für die Maßnahmen, die 1944 anstanden, waren die Erfahrungen von 1939 freilich kaum geeignet. Im Spätsommer 1944 näherten sich die alliierten Truppen in Ost und West den Grenzen des Deutschen Reiches. Die «Rote Zone» wurde wieder rot. Anders als 1939 wurden die betroffenen Gebiete nun aber nicht geräumt, um der eigenen Armee den Aufmarsch zu ermöglichen, sondern weil die Wehrmacht den alliierten Truppen nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Aus Zweibrücken kam der resignierte Bericht, der Bezirk sei nunmehr wieder Kriegsgebiet geworden, und wieder seien weite Teile freigemacht, «wobei kein Zweifel besteht, daß sich heute eine Evakuierung unter viel schwierigeren Umständen vollziehen würde»: Fast alle Städte waren zerstört, der Personalbestand der Justiz war um 80 Prozent reduziert, die verbliebenen Angestellten waren von Luftangriffen und Schanzarbeiten zermürbt.17 Das Oberlandesgericht selbst zog nach Kirchheimbolanden. Was von Akten und Inventar noch zu retten war, blieb nach Möglichkeit nicht in der Nähe, sondern kam – Zweibrücken war Teil der bayerischen Pfalz  – ins mehrere hundert Kilometer entfernte Bamberg.

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Die Möglichkeit einer feindlichen Besetzung hatte sich schon in den Monaten zuvor abgezeichnet, nach der Landung der USAmerikaner in der Normandie Anfang Juni zunächst an der Westfront. Hitler gab bereits am 13. Juli 1944 einen ersten Erlass «über die Befehlsgewalt in einem Operationsgebiet innerhalb des Reiches» heraus. Auch wenn ausländische Truppen deutsches Reichsgebiet besetzten, hieß es da, sollten zivile Dienststellen ihre Tätigkeit im Operationsgebiet fortsetzen. Ende September, als sich das Gebiet um Aachen bereits in US-amerikanischer Hand befand, wurde diese Maßgabe noch einmal erneuert. Dem Reichsverteidigungskommissar  – personenidentisch mit dem jeweiligen Gauleiter – oblag es, erforderliche Maßnahmen selbst zu treffen; Heinrich Himmler als Reichsinnenminister sollte die einheitliche Handhabung in der Praxis überwachen.18 Dazu legte der Generalbevollmächtigte für die Reichsverwaltung in ausdrücklicher Abstimmung mit dem Justizressort Richtlinien für die «Behördenverlegung aus Freimachungsgebieten» fest, die in einem geheimen Schnellbrief an die zuständigen Stellen übermittelt wurden. Am wichtigsten war die einleitende Maxime, eine Dienststelle dürfe «erst bei akuter Feindbedrohung» und auch dann nur «auf ausdrückliche Anordnung» verlegt werden. Nach Möglichkeit solle man innerhalb des eigenen Sprengels bleiben; weitergehende Verlagerungen oder Stilllegungen solle das zuständige Ministerium verfügen. Beamte, die nicht mehr gebraucht würden, seien an Wehrmacht oder Rüstungsbetriebe abzugeben.19 Fast zeitgleich erließ Otto Thierack für das Reichsjustizministerium «Richtlinien für Maßnahmen bei Justizbehörden in Operations- oder Kampfgebieten», die diese Grundsätze noch einmal ausbuchstabierten. Das Personal habe vor Ort zu bleiben, bis anderslautende Befehle ergingen. Sei eine Unterbringung nicht mehr möglich, müsse das Gericht «bis auf weiteres» verlegt werden; die Mitarbeiter sollten sich nach Möglichkeit zur avisierten Auffangstelle begeben oder sich jedenfalls bei der nächstgelegenen Justiz-

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behörde melden. Welchem Ziel der Umzug dienen solle, wurde ebenfalls deutlich gemacht: «Die Behörde setzt an ihrem neuen Sitz ihre Amtstätigkeit unter der bisherigen Behördenbezeichnung fort.» Dass diese Richtlinie die militärische Lage maßlos verkannte, liegt auf der Hand. Aber auch die politische Verblendung wurde im Ministerium zu dieser Zeit mit überraschender Hingabe gepflegt: Notfalls sei Personal zurückzulassen, um sicherzustellen, dass die verbleibende Bevölkerung «im Falle der Besetzung des Gebiets durch den Feind auf den wichtigsten Gebieten, insbesondere der freiwilligen Gerichtsbarkeit, weiter gerichtlich betreut werden kann».20 Man ging in Berlin also tatsächlich davon aus, dass auch die alliierten Besatzer auf die Dienstleistungen der deutschen Justiz zurückgreifen würden. Das war ersichtlich noch keine Politik der verbrannten Erde. Die Staatsführung hatte ein vitales Interesse daran, den Rückzug der Verwaltung wie eine strategisch gewollte, zumindest aber von ihr beherrschte Operation aussehen zu lassen. Vor allem in den westlichen Bezirken wurden deshalb erhebliche Ressourcen bereitgestellt. Von den Zweibrücker Gerichten verlagerten einige zum zweiten Mal in diesem Krieg ihren Dienstsitz. Das Amtsgericht Merzig zog jetzt ins gut 60 Kilometer entfernte Ottweiler,21 das Landgericht Trier ging nach Bernkastel-Kues,22 wo sich später auch die Amtsgerichte Perl und Saarburg einfanden.23 Die Evakuierung von Aachen war, obschon viel zu spät angeordnet, für die Justiz letztlich glimpflich verlaufen; über Düren und Bergheim kam man schließlich nach Siegburg, während die Verwaltungsgeschäfte von Gummersbach fortgeführt wurden.24 Die Gerichte in den annektierten Gebieten Belgiens  – Eupen, Malmedy, Sankt Vith  – und dazu fünf kleinere Amtsgerichte aus dem Bezirk Aachen stellten ihre Tätigkeit zwar erzwungenermaßen ein, aber immerhin konnte am Amtsgericht Gummersbach noch eine Poststelle für sie eingerichtet werden.25 Das Amtsgericht Jülich zog nach Titz, wo man die Kollegen aus dem zerstörten Düren traf, mit denen man anschlie-

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ßend gemeinsam nach Merzenich und später nach Lechenich auswich, bevor man am Ende ins Katasteramt von Bergheim übersiedelte.26 Begünstigt wurden diese teilweise recht aufwendigen Verlagerungen dort, wo sie nicht notwendig als Vorsichtsmaßnahme gegen eine drohende Besetzung erschienen, sondern in die spätestens seit Sommer 1943 geläufigen Luftschutzaktivitäten integriert werden konnten. So verließen am 3. November 1944 einige Kölner Justizbehörden die weitgehend zerstörte Stadt, um sich rechtsrheinisch niederzulassen: Oberlandesgerichtspräsident und Generalstaatsanwalt in Eitorf, das Landgericht in Wiehl, Strafkammern von Landgericht, Sonder- und Amtsgericht in einer Schule in Königswinter.27 Nur die Ziviljustiz verblieb noch in Köln. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe zog zum Jahresende ostwärts, tatsächlich eine Reaktion auf den Einmarsch der US-Amerikaner in Straßburg Ende November, aber genauso gut als Folge der Luftangriffe vom 4. Dezember darstellbar. Bis Kriegsende blieben das Gericht in Sinsheim und die Generalstaatsanwaltschaft im benachbarten Eppenheim.28 Im Osten war zu dieser Zeit noch vergleichsweise wenig zu tun. Im November mussten drei Landgerichte und zwanzig Amtsgerichte im Memelland stillgelegt werden, die übrigen Behörden wurden in Königsberg zusammengezogen. An der Grenze zum Generalgouvernement erhielten zudem die Amtsgerichte Ostenburg und Scharfenwiese neue Dienstsitze.29 Im Übrigen konzentrierten sich die Anstrengungen auf die Planung dessen, was nach allgemeiner Ansicht bevorstand: die vorübergehenden Räumungen auch weit hinter der Front aufgrund einer sowjetischen Offensive. Lange Listen definierten das «wichtigste und unersetzliche» Arbeitsmaterial: politische Akten, Geheimakten, Testamente, Grundbuchtabellen, Personalakten, Versorgungsakten, Register, Schreibmaschinen, Telefone, Radiogeräte, Geld.30 Am 9. September 1944 verteilte der Danziger Generalstaatsanwalt detaillierte Räumungspläne für die

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sieben Haftanstalten in seinem Bezirk: Aufgeführt war, welche Kennworte zu erwarten stünden («Strömung in Erwartung», «Strömung I», «Strömung II»), welche Gefangenen schon jetzt evakuiert werden sollten, wie mit Asservaten umzugehen sei, wie viele Vorräte für den Rückzug benötigt würden, welche Maschinen für eine Verlegung vorbereitet werden müssten, welche Aktenbestände mitzuführen und welche zu vernichten seien; dazu kamen Angaben zu Sicherungsmaßnahmen, Marschkolonnen, Sammelstellen, Aufnahmelagern. Aber auch hier standen die Zeichen auf Rückkehr. Was an Akten nicht mitgenommen werden könne, sei «möglichst feuersicher aufzubewahren», ließ der Generalstaatsanwalt wissen, offensichtlich von der Zuversicht geleitet, die Akten nach den Kampfhandlungen weiter bearbeiten zu können. Für die Haftanstalten erging ebenfalls eine Anweisung, die darauf abzielte, die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu erleichtern: «Die geräumten Anstaltsgebäude sind ordnungsgemäß zu verschließen, die Schlüssel sind bis auf die für den letzten Außenverschluß erforderlichen im Zimmer des Anstaltsvorstandes niederzulegen», diese wiederum seien dem zuständigen Amtsrichter oder, falls dieser unerreichbar sei, dem jeweiligen Landrat zu übergeben.31 Selbst für das geräumte Memelland äußerte der Königsberger Oberlandesgerichtspräsident die Hoffnung, die Bevölkerung könne womöglich «in Kürze» zurückkehren, und dann «würden auch die Justizbehörden ihre Tätigkeit wieder aufnehmen».32 Die räumliche Trennung war also als zeitlich begrenztes Intermezzo gedacht, und die Arbeit in einer Ausweichstelle sollte dazu dienen, diese Zwischenzeit zu überbrücken. Behörde und Sitz wurden dissoziiert, damit Erstere weiterarbeiten konnte, auch wenn Letzterer – vorübergehend! – nicht mehr zugänglich war. In Köln verlangte man sogar ausdrücklich, die Gerichte aus den besetzten Städten zumindest formal weiterzubetreiben, um nicht den Eindruck zu erwecken, man gebe diese Gebiete in irgendeiner Hin-

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sicht verloren.33 Der Zeithorizont hatte sich verdüstert, war aber noch nicht geschlossen. Im Oktober wurde beim Berliner Polizeipräsidenten eine «Zentralauskunftsstelle für Rückgeführte» eingerichtet, um die Verlegungen von Dienststellen zentral zu protokollieren. Wen die Front zum Ortswechsel zwang, der sollte seine neue Adresse «in doppelter Ausfertigung auf Postkartenformular in verschlossenem Briefumschlag» dorthin schicken, die obersten Reichsbehörden würden daraufhin wöchentlich mit aktuellen Listen versorgt.34 Im amtlichen Verkehr wurde das Zwischenspiel deshalb deutlich als bloße Episode gekennzeichnet. Ein trotziges «z. Zt.» auf dem jeweiligen Formular, gut sichtbar platziert zwischen den Nennungen von Behörde und Aufenthaltsort, ließ Missverständnisse gar nicht erst aufkommen: Sondergericht Aachen z. Zt. Düren, Oberlandesgericht Köln z. Zt. Eitorf, Oberlandesgericht Karlsruhe z. Zt. Sinsheim. Das Interregnum war klar markiert, das Reich der Eigentlichkeit in Bedrängnis geraten, aber im Großen und Ganzen noch unbeschädigt.

Die Macht des Papiers Die Macht des Papiers

Gehalten werden konnte die juristische Verteidigungslinie allerdings nur dort, wo es Akten gab. Wo die rechtlichen Angelegenheiten ihr papiernes Dasein vollständig eingebüßt hatten und nur noch in der Erinnerung der Beteiligten existierten, da fehlten die Anknüpfungspunkte für die juristische Nachwelt. Im Kontinuum der Zeit traten die Akten an die Stelle des verlorenen Raumes. Nur durch diese mediale Repräsentanz wurde die zeitliche Begrenztheit der Ausweichorte überhaupt erst plausibel. Die Gerichte verwalteten Sprengel, deren Existenz sich zunehmend ins Reich des Virtuellen verflüchtigte. Die Akten blieben die letzten materiellen Verbindungen zur Welt außerhalb des Gerichtssaals. Für eine erfolgreiche Verlegung der Gerichtsbehörden waren sie

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deshalb das wichtigste Umzugsgut. Und zugleich waren sie, allein schon durch ihre schiere Masse, deren größtes Hindernis, widerborstiger noch als die Strafgefangenen, deren unausweichliche Verlegung in den Räumungsvorbereitungen ebenfalls ausführlich erörtert wurde. Die Häftlinge konnten zur Not per Fußmarsch in Bewegung gesetzt werden. Flucht war zu vermeiden, aber sofern ein «Abgang eintrat», ein Gefangener «ausfiel», «liquidiert» werden musste oder nicht «am Bestimmungsort anlangte», genügte eine Aktennotiz und die Aussicht auf bessere Organisation beim nächsten Transport.35 Der Verlust von Häftlingen war zu verschmerzen, der von Akten nicht. Ohne Testamente und Grundbücher, ohne Standesamts- und Handelsregister, ohne Prozess- und Personalakten ließ sich nicht mehr feststellen, wem was gehörte, wer was von wem wollte, wer dazu welche Gebühren bezahlt und welche Beweise erbracht hatte, und überhaupt: wer eigentlich wer war. Wo immer ein Gericht verlegt werden musste, ließ man deshalb den Akten die größte Pflege angedeihen. Nach Möglichkeit wurden sie schon präventiv auf die Reise geschickt. Für die linksrheinischen Gebiete ordnete das Reichsjustizministerium im Dezember 1944 an, alle wichtigen Akten sofort zu bergen. Aus Zweibrücken fuhren zwei Eisenbahnwaggons mit Grundbüchern und anderen wichtigen Akten nach Bamberg.36 In Brühl gelang es dem zuständigen Richter, über persönliche Bekanntschaften ein Auto zu organisieren; die Angestellten und Richter wurden verpflichtet, den Akten die rechtskräftigen Ehescheidungsurteile zu entnehmen und transportfertig zu machen. In Köln-Mühlheim fuhr ein Zwölftonner vor, um die Grundbücher samt Regalen sicherzustellen. Aus Kerpen wurden fast sechshundert Grundbücher – mit einem Gewicht von mehr als sieben Tonnen – weggeschafft.37 Für das kleine Amtsgericht Bitburg jedoch kam die Anweisung zu spät – ein administratives Drama, weil man dorthin einen Großteil der Kölner Grundbücher und Standesamtsnebenregister verbracht hatte. Die Grundakten selbst waren in Köln verbrannt; in

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Bitburg hatte man Teile der Unterlagen fotokopiert, Tausende Ersatzhandblätter hergestellt, aber nun waren noch immer gut zweitausendsiebenhundert Grundbücher vor Ort, viele davon die einzigen noch existierenden Belege für die Eigentumsverhältnisse an Kölner Immobilien. Entsprechend groß war die Sorge. Walter Müller, der eisern nationalsozialistische Kölner Landgerichtspräsident, mobilisierte seine Kontakte zur Partei; der Bitburger Aufsichtsrichter erhielt eine Pauschalvollmacht, jede erdenkliche Transportgelegenheit zu nutzen, koste es, was es wolle. Es half alles nichts. Am 24. Dezember 1944 setzten starke Luftangriffe auf Bitburg ein, die die Stadt fast vollständig zerstörten. Im Gerichtskeller harrten noch einige Justizangestellte aus, ohne Lebensmittel, ohne Strom und ohne Heizung, gefangen mit über 40 Tonnen Akten. Schließlich marschierten sie in vier Tagen und Nächten, bei Temperaturen weit unter null, die gut 200 Kilometer nach Wiehl, um beim dortigen Ausweichquartier der Justizverwaltung den Stand der Dinge zu vermelden. Auch wenn der Kölner Oberlandesgerichtspräsident den Fehlschlag denkbar leidenschaftslos kommentierte  – «eine Weiterbearbeitung der Kölner Grundbuchsachen in Bitburg … dürfte hiernach vorerst nicht angehen» –, wollte man die Akten noch nicht ganz abschreiben. In einem Akt des Wahnsinns sollte zunächst einer der Marschteilnehmer, vierundsechzig Jahre alt, halb erfroren, rheumatisch und mit offenem Leistenbruch, nach Bitburg zurückgeschickt werden, um die Akten und, falls möglich, «5 wertvolle Buchungsmaschinen (System ElliotFisher)» aus dem Gericht zu holen. Nachdem sich die bürokratische Hybris wieder gelegt hatte, gelang es immerhin, einen Kraftwagen aufzutreiben; als dieser sich irgendwo auf halber Strecke befand, hatten die US-amerikanischen Truppen Bitburg bereits besetzt.38 Solche Leidensgeschichten machten jedem die Notwendigkeit einer guten Vorsorge deutlich. An den Umzug der Akten sei «zu einem erheblich früheren Zeitpunkt» zu denken als an den Umzug

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von Menschen, teilte Thierack den grenznahen Behörden schon im September 1944 mit. Man solle umgehend das wichtigste Schriftgut definieren und in Auffangstellen in weniger gefährdeten Gebieten verbringen.39 In Danzig etwa legte man daraufhin Ausweichstellen für die Gerichte östlich der Weichsel fest und wies die Oberstaatsanwälte an, alle Akten, die für eine Weiterführung des Dienstbetriebs gebraucht würden, «dem feindlichen Zugriff zu entziehen». Register sollten sofort weggeschafft werden, ebenso Formulare, Papier und Schreibmaschinen, die man nach Verlegung der Dienststelle zur Wiederaufnahme der Geschäfte benötige.40 Bis Jahresende wurden die wichtigsten Aktenbestände  – Testamente, Register, Personalbögen – in den Westen des Bezirks verlegt, nach Krone, Berent, Neustadt, der Hauptteil ans Landgericht Konitz. «Für laufende Weiterbearbeitung des sichergestellten Aktenguts», so betonte man hoffnungsvoll, sei «Sorge getragen».41 Wo man es dagegen versäumt hatte, rechtzeitig entsprechende Schritte einzuleiten, war die nachträgliche Fürsorge umso größer. Als Memel am 9. Oktober 1944 evakuiert wurde, schickte der Oberlandesgerichtspräsident aus Königsberg sofort einen Lastwagen, um die «besonders wichtigen Akten und einige Schreibmaschinen» zu bergen. Was damals zurückblieb, stellten die Beamten später «kaltblütig und mustergültig» sicher, häufig sogar unter Artilleriebeschuss, berichtete der Präsident stolz. Die Königsberger Akten wurden im November über die Weichsel gebracht und kamen schließlich über Neustadt, Stolp, Margonin, Flatow in die Gegend um Schneidemühl, wo – nunmehr im Oberlandesgerichtsbezirk Stettin, gut 350 Kilometer von Königsberg entfernt  – drei Sammelstellen für die Strafakten, Strafregister, Grundbücher und Testamente eingerichtet wurden. Und auch hier war man darum bemüht, den Geschäftsbetrieb trotz der großen räumlichen Distanz fortzuführen. Eine Vereinigung mit den aufnehmenden Behörden, betonte man, habe nicht stattgefunden, die Unterbringung unter demselben Dach habe sich «rein zufällig» ergeben. Den

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Akten folgten abgeordnete Justizangestellte, um vor allem die Grundbücher und Strafregister weiter bearbeiten zu können, die entsprechenden Dienstsiegel reisten ebenfalls mit.42 Aber wer sollte das alles transportieren? Die Akten waren ein störrischer Gegenstand. Schon ihr Inhalt konnte große Schwierigkeiten bereiten. Vertrauliches Material musste besonders vor unbefugten Lesern oder gar Verlust geschützt werden, es brauchte Begleitpersonal, Panzerschränke und vertrauenswürdige Empfänger am Bestimmungsort.43 Und dann erst die Masse! Auch wenn die 40 Tonnen von Bitburg ein Extremfall waren – leicht war das Papier auch anderswo nicht. In Köslin warteten am Amts- und Landgericht 12 000 Grundbuchblätter, 230 Personalbögen und zahllose öffentliche Register auf ihren Abtransport, insgesamt fast zweieinhalb Tonnen an Material.44 Im benachbarten Kolberg, wo man sich auf die Mitnahme von Personalbögen, Grundbuchblättern und Testamenten beschränken wollte, kamen ebenfalls zweieinhalb Tonnen Papier zusammen, woraufhin «sofort» beschieden wurde, Transportmittel könnten dafür nicht zur Verfügung gestellt werden.45 Das kleine Amtsgericht Bublitz, ehedem kurzzeitiges Asyl für das Oberlandesgericht Stettin, meldete am 26. Januar 1945 unter der Überschrift «Eilt sehr!» insgesamt 15 Zentner wichtiges Räumungsgut an. Selbst wenn man die Telefone, Schreibmaschinen, Uhren und den Staubsauger abzog, die man in Bublitz über die Kriegswirren retten wollte, blieb noch weit mehr als eine halbe Tonne an Grundbuchtabellen, Registern und Personalakten übrig, deren Mitnahme schon deshalb zu scheitern drohte, weil sie in Ermangelung von Kisten nicht verpackt werden konnten. «Justizhilfswachtmeister Ziemer», schrieb der aufsichtführende Richter nach Stettin, «wird nun noch einige Nägel aus seinem Privatbesitz zur Verfügung stellen und Kisten herstellen.»46

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Erwartung des Untergangs: «noch» Erwartung des Untergangs: «noch»

Das war offensichtlich die Verzweiflung, die hier sprach. Der Winter 1944 /45 veränderte die psychologischen Begleiterscheinungen und propagandistischen Rechtfertigungen der Gerichtsverschiebungen noch einmal grundlegend. Die Ardennenoffensive blieb bald nach Weihnachten stecken, von den angekündigten Wunderwaffen kam kaum eine zum Einsatz. Spätestens nach dem Beginn der russischen Offensive in Ostpreußen am 12. Januar 1945 war der Glaube an eine bloß vorübergehende Aufgabe der geräumten Gebiete geschwunden. In das verstockte «z. Zt.» mischten sich mehr und mehr Spuren eines fatalistischen «noch». Aus Königsberg berichtete man am 25. Januar 1945, es werde «noch gearbeitet», in der Stadt herrsche «noch Ruhe»; am nächsten Tag wurde verkündet, die Haltung der «noch anwesenden Behördenmitglieder»  – die «noch im Gerichtsgebäude am Adolf Hitler Platz» arbeiten würden – sei «noch recht gut». Über Bartenstein hieß es kurz darauf, die Stadt sei «noch in unserer Hand»,47 aus Danzig kamen wenig später Mitteilungen zur Lage in den «noch nicht feindbesetzten Teilen des Reichsgaues».48 Der Landgerichtspräsident von Neisse schrieb am 9. Februar, an zweien seiner Amtsgerichte habe sich die Tätigkeit durch Feindbesetzung «von selbst erledigt», und fuhr finster fort: «ob es möglich sein wird, an diesen Orten in absehbarer Zeit nach Verdrängung des Feindes den Dienst wieder aufzunehmen, wird die Zukunft lehren.»49 Auf die Interimsunterkunft folgte nun nicht mehr die Rückkehr an den Stammsitz, sondern unabwendbar und noch schlechter die weitere Reformatio in peius, fast so, als sei es ein Naturgesetz, dass man irgendwann selbst von der Front eingeholt und ins Innere des zerfallenden Reiches getrieben würde. Entsprechend vergiftet war die Symbolik. Da sich die Verlegungen in einem mittlerweile weitgehend zerstörten Land abspielten,

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war ihr organisatorischer Aufwand immens. Der Oberlandesgerichtspräsident von Leitmeritz etwa berichtete, für die Fahrt in die äußersten Gerichte seines Bezirkes – etwa 450 Kilometer entfernt – benötige man mittlerweile fünf Tage.50 Die Vorbereitungen, die man für die Räumung traf, durften aber auf keinen Fall den Anschein erwecken, hier werde ein vorzeitiger Rückzug oder gar eine Flucht in die Wege geleitet. Ende November 1944 hatte das Reichsjustizministerium in zivilem Ton angekündigt, wer seinen Arbeitsplatz bei Feindbedrohung eigenmächtig verlasse, werde «im Dienststrafwege zur Verantwortung gezogen», bis zur Todesstrafe sei alles möglich.51 Nun wurde das Vokabular soldatisch. Am 23. Januar 1945 gab Wilhelm Frick als Generalbevollmächtigter der Verwaltung den Behörden in den östlichen Bezirken die Anweisung, ihre Tätigkeit sei «bis zum letzten Augenblick» fortzusetzen, «gegen Versager» müsse «sofort scharf» eingeschritten werden. Am 29. Januar verdeutlichte Heinrich Himmler, was man sich darunter vorzustellen habe: Ein Behördenleiter, der seine Dienststelle ohne Befehl verlasse, sei mit dem Tode zu bestrafen; mit dem Polizeipräsidenten von Bromberg, so das abschreckende Beispiel, werde wegen dessen Fluchtversuch entsprechend verfahren; drei weitere Amtsträger seien zur Bewährung an die Front geschickt worden, um dort «besonders schwierige und gefährliche Aufgaben» zu übernehmen. Am 1. Februar erreichten diese Schreiben die Reichsministerien, wobei Frick darum bitten ließ, auch dort dafür zu sorgen, dass im jeweiligen «Geschäftsbereich geordnet und in voller Ruhe weiter gearbeitet» werde; man stehe im «vollen Blickfeld der Öffentlichkeit», weshalb der «festen und entschlossenen Haltung» der Beamten eine eminente Bedeutung zukomme.52 Otto Thierack verarbeitete diese Informationen umgehend zu einer passgenauen Rundverfügung für die Justiz. Unter der Überschrift «Verhalten bei Feindannäherung» informierte er seine Beamten am 7. Februar 1945 über das Anforderungsprofil der nächsten Wochen, überwiegend in wörtlicher Wiederholung dessen, was

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Frick ihm mitgeteilt hatte. Um den  – ohnehin einigermaßen unheimlichen – Ankündigungen noch mehr Nachdruck zu verleihen, ersetzte Thierack Himmlers Beispiele durch Vorfälle aus dem eigenen Ressort: Der Oberlandesgerichtspräsident und der Generalstaatsanwalt von Königsberg sowie der Oberstaatsanwalt von Kattowitz hätten sich pflichtwidrig nach Westen abgesetzt. Alle seien sofort verhaftet worden; zwei von ihnen hätten sich erschossen, der Königsberger Präsident sehe einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof entgegen. Ganz in Frick’scher Diktion fuhr Thierack fort, er erwarte von seinen Behördenleitern, «daß in ihren Geschäftsbereichen in voller Ruhe solange weitergearbeitet wird», wie es möglich sei. Wenn das Ausweichen der Behörde angeordnet werde, erfordere es Überwachung und Unterstützung vor Ort; «pflichtvergessene» und «ehrlose» Handlungen seien unverzeihlich, zumal die Justizbehörden im «Blickfeld der Öffentlichkeit» stünden und daher die «feste und entschlossene Haltung» der Beamten von grundlegender Bedeutung sei.53 Viel Raum für Missverständnisse blieb danach nicht. Um letzte Zweifel auszuschließen, stellte Martin Bormann am selben Tag «drakonische Mittel» in Aussicht, mit denen «alle Befehle  … unter allen Umständen» durchgesetzt würden.54 Himmler erklärte kurz darauf, Verlegungsbefehle dürften nur vom Oberbefehlshaber der zuständigen Heeresgruppe gegeben werden, «ein Verlassen der Stellen ohne diesen Befehl» habe «unverzüglich den Tod des Betreffenden» zur Folge, und nein, «angebliche Weisungen von Berliner Stellen» würden als Entschuldigung nicht akzeptiert.55 Damit war die Marschroute klar: Durchhalten bis zum Schluss. Das «Noch», das den allfälligen Fluchtimpuls unterdrücken sollte, wurde auf breiter Front verlängert. Der Preis dafür war hoch. Wer noch nicht bei der Wehrmacht war, musste jetzt noch mit seiner Einziehung zum Volkssturm rechnen; bei akuter Feindbedrohung sollte nur noch eine unverzichtbare Notverwaltung vor Ort bleiben. Eine geordnete Evakuierung war bei alledem praktisch unmöglich:

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Wer die Maßnahmen so rechtzeitig ergriff, dass sie Aussicht auf Erfolg hatten, geriet in den Verdacht des Landesverrats; wer jedoch auf den Räumungsbefehl wartete, hatte im Grunde keine Chance, Akten, Inventar oder wenigstens die eigenen Angestellten kontrolliert in Sicherheit zu bringen.

Wiederaufnahme des Dienstes Wiederaufnahme des Dienstes

Um trotz der herannahenden alliierten Truppen weiter zu judizieren – und dann auch noch «in voller Ruhe» –, bedurfte es schon erheblicher juristischer Verdrängungsleistungen. Man floh nicht vom Dienstort, aber von der Realität. Der Oberlandesgerichtspräsident von Breslau gab am 5. Februar 1945 bekannt, die Lage im Bezirk könne «zur Zeit als wesentlich entspannt angesehen werden», eine geradezu irrwitzige Einlassung – das Oberlandesgericht selbst war wegen akuter Feindbedrohung bereits nach Görlitz gezogen, zwei Landgerichte mit über zwanzig Amtsgerichten waren schon von der Roten Armee besetzt.56 Zur selben Zeit schilderte der Danziger Oberlandesgerichtspräsident ausführlich die Auflösungserscheinungen in Partei und Wehrmacht, das heillose Durcheinander der Flucht, die überstürzte Aufgabe fast aller Gerichte in der letzten Januarwoche, nur um dann die vollkommen kontrafaktische Selbstbeschreibung anzubieten: «In Danzig arbeiten die Gerichte ohne Störung weiter.»57 Und auch in Köln war man nicht bereit, der Besetzung des eigenen Gerichtssprengels einen historischen Sonderstatus zuzubilligen. Zufrieden konstatierte man, das Ansehen der Justiz sei durch ihr möglichst langes Ausharren vor Ort erhalten geblieben, sehe man einmal «von dem Geschwätz von Ignoranten und Meckerern» ab, die sich, wie eine handschriftliche Anmerkung in demonstrativer Leugnung irgendeiner geschichtlichen Anomalie ergänzte, «bei solchen Gelegenheiten immer» hervortun würden.58

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Ein toxisches Gebräu aus bürokratischem Größenwahn, ideologischem Übereifer und Angst. Der unerwartet schnelle Vormarsch der Roten Armee und die beharrliche Realitätsverweigerung auf deutscher Seite ließen das, was man amtlicherseits mit der beschwichtigenden Formel «Rückführung» belegt hatte, in der Praxis bald zur ziellosen Flucht werden, mal nach Osten, mal nach Westen, mal wieder zurück. Immer wieder wurden die Fliehenden von irgendeiner Befehlsstelle zum Richtungswechsel gezwungen. Am 11. Januar berichtete der Oberlandesgerichtspräsident von Karlsruhe seinem Kollegen in Stuttgart unter dem bemerkenswert neutral gehaltenen Betreff «Dienstleistung» von dem «überraschenden Einbruch des Feindes in das Elsaß», der viele Justizbedienstete zur eigenmächtigen Flucht veranlasst habe, sicherlich auch in den benachbarten Gerichtsbezirk Stuttgart. «Trotz der inzwischen erfolgten Festigung der militärischen Lage» seien viele nicht zurückgekehrt, deshalb möge der Kollege bitte Sorge dafür tragen, dass sich die ortsfremden Justizmitarbeiter «zur unverzüglichen Wiederaufnahme ihres Dienstes» an ihre bisherigen Beschäftigungsstellen begaben.59 Freilich wollte der Karlsruher Oberlandesgerichtspräsident, ein Nationalsozialist aus tiefstem Herzen, an die militärische Beruhigung, die er seinen Untergebenen predigte, offenkundig selbst nicht glauben. Bevor er seine Mitarbeiter zurück ins Elsass rief, hatte er vorsichtshalber eine «Zentralstelle zur Bearbeitung elsässischer Rechtsangelegenheiten» am Landgericht Wolfach eingerichtet, den Dienstbetrieb also selbst längst ausgelagert.60 Der Landgerichtspräsident von Memel, kurz zuvor nach Danzig geflohen, wurde von dort am 3. Februar ins 120 Kilometer entfernte Konitz abgeordnet, um in der vermeintlich voreilig geräumten Stadt nach dem Rechten zu sehen. Das Landgerichtsgebäude fand er fast vollständig von der Wehrmacht in Beschlag genommen, das Justizpersonal war mit Ausnahme eines Richters und eines Staatsanwalts geflohen. Noch am 4. Februar, einem Sonntag, übernahm er die Führung vor Ort und den Vorsitz des stark verkleiner-

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ten Sondergerichts. Weil er fand, dass sich die Lage nach einigen Tagen entspannte, beschloss er, auch die umliegenden, längst verwaisten Amtsgerichte Heiderode und Tuchel «wieder zu besetzen». Nach weiteren russischen Vorstößen blieb dieses Vorhaben im Versuchsstadium stecken; am 13. Februar wurde auch Konitz geräumt.61 Am 6. Februar 1945 meldete der Stettiner Generalstaatsanwalt, für Stargard sei der Räumungsbefehl erlassen. Der Rechtsberater des Gaues, Dr. Johannes Paulick, engagiertes Mitglied der Partei, tatkräftiger Sonder- und bald darauf auch Standrichter, widersprach sofort. Bislang sei lediglich die «Auflockerung» angeordnet; Frauen und Kinder sollten die Stadt verlassen, die Behördenleiter aber müssten sofort zurückkehren, der Reichsverteidigungskommissar habe die Maxime erneuert, dass jeder, der seine Stelle ohne ausdrücklichen Befehl verlasse, mit dem Tode zu bestrafen sei.62 Also ging es zurück. Fünf Tage später allerdings, an einem Sonntag, sei dann «überraschend» ein Räumungsbefehl ergangen; noch am Nachmittag sei man 12 Kilometer marschiert, wer nicht anwesend war, wurde per «Anschlag im Gerichtseingang» über die Notwendigkeit der sofortigen Flucht informiert. Nach einer kurzen Nachtruhe brach man um 3 Uhr morgens auf, um weiter nach Westen zu gelangen, geriet allerdings bald in einen starken Schneesturm, weshalb der Landgerichtspräsident wieder umkehrte. Am Abend verbreitete sich die Nachricht, man könne nach Stargard zurückkehren, den Behörden sei ein entsprechender Befehl erteilt. Am 14. Februar waren die Justizangestellten wieder beisammen vor Ort, Land- und Amtsgericht meldeten sich als arbeitsfähig.63 Der Dienstbetrieb blieb drei Tage ohne Störung. Am 18. Februar setzte eine fast ununterbrochene Bombardierung aus der Luft ein, das Gericht wurde arg in Mitleidenschaft gezogen. Der Landgerichtspräsident entschied sich, vor Ort zu bleiben, um letzte Akten zu sichern. Erst am 4. März verließ das Gericht Stargard, einen Tag vor der Besetzung durch die Rote Armee. Als Ausweichort wurde

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Demmin in Pommern gewählt. Dort fand man immerhin für rund sechs Wochen die von Thierack gewünschte «volle Ruhe». Ende April löste die absehbare Einnahme der Stadt durch die sowjetischen Truppen bei der Bevölkerung einen Massensuizid aus; als die Rote Armee schließlich Einzug gehalten hatte, kam es zu zahllosen Vergewaltigungen und Plünderungen, die Stadt wurde fast vollständig zerstört.

Sonder-Sondergerichte Sonder-Sondergerichte

In dieser zunehmend aussichtslosen Lage begann nun auch die Justiz, eine Politik der verbrannten Erde zu verfolgen. Was noch zu entscheiden war, bezog sich auf eine Zukunft, die es ohnehin nicht mehr geben würde. Die letzten Missetäter trafen auf eine Ruinenlandschaft  – nicht nur metaphorisch: Am 27. Januar 1945 berichtete die Generalstaatsanwaltschaft aus Königsberg telefonisch nach Berlin, die Sondergerichte würden nun ohne Unterbrechung verhandeln, man bemühe sich überdies um die Vernichtung der Akten, zudem würde «die Sprengung des Justizgebäudes vorbereitet».64 Aber auch die Rechtswelt lag in Trümmern. Schon anlässlich der letzten großen Aushebung im Sommer 1944 war man in Königsberg auf die Idee gekommen, absehbaren Personalengpässen in der Justiz dadurch vorzubeugen, dass sämtliche Richter eines Bezirks präventiv zu Sonderrichtern bestellt wurden. Sobald irgendeine Staatsanwaltschaft irgendwo eine entsprechende Anklage erhebe, trete man dort «zur sofortigen Aburteilung» als Sondergericht zusammen, wobei «alle Zugeführten … sofort  – möglichst noch am gleichen Tage  – abzuurteilen» seien.65 Dieses Vorgehen wurde an anderen frontnahen Orten kopiert und am 15. September 1944 vom Reichsjustizministerium zur allgemeinen Empfehlung für die Grenzbezirke erhoben: Es sei ratsam, bei jedem Landgericht ein Sondergericht einzurichten und vorsorglich

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«alle Richter des Landgerichtsbezirks» zu Mitgliedern des Sondergerichts zu bestellen.66 Deutschland, ein Sondergericht. Diese juristische Innovation, eine Schöpfung der Justiz selbst, begann zu wirken, noch lange bevor Standgerichte und Militärgerichte ihre Schreckensherrschaft ausüben sollten. In einer merkwürdigen Dialektik der Form beglaubigte und marginalisierte die ordentliche Gerichtsbarkeit das Gewöhnliche ihrer Existenz. Sondergerichte konnten sich nun ad hoc auch dort bilden, wo es bislang weder Sondergerichte noch überhaupt Sonderrichter gegeben hatte. Diese Möglichkeit erzeugte eine ganz eigene Dynamik. Aus Köln meldete der Generalstaatsanwalt im November 1944 telefonisch lapidar nach Berlin, es sei nunmehr beabsichtigt, «daß das Sondergericht umherfahre».67 Im Bezirk Breslau verachtfachte sich Anfang Februar 1945 die Zahl der Sondergerichte, selbst das kleine Waldenburg wurde mit einer eigenen Sondergerichtsbarkeit ausgestattet, obwohl dort bislang nicht einmal ein Landgericht ansässig war,68 Gleiches widerfuhr dem Amtsgericht Gotenhafen im Bezirk des Oberlandesgerichts Danzig.69 Welche Betriebsamkeit diese Sonder-Sondergerichte noch entfalten konnten, ist schwer zu ermessen. Um ihre Arbeit auf die Bedürfnisse der Zeit zuzuschneiden, wurden sie in ihrer Tätigkeit von vornherein auf besonders fluchttypische Delikte spezialisiert, vor allem also auf Fälle von Plünderung. Die kollektive Flucht bekam ihre eigene Ordnung und ihr eigenes Personal. Am Landgericht Stolp etwa wurde das neu eingesetzte Sondergericht direkt mit geflohenen Richtern aus dem Osten besetzt, die auf ihrer Durchreise die kriminellen Vergehen ihrer noch nicht geflohenen Landsleute abzuurteilen hatten, bevor sie dann gemeinsam weiter in den Westen flohen.70 Häufig scheinen die neuen Sondergerichte freilich nur nominell bestanden zu haben. Der Landgerichtspräsident von Thorn, der noch beflissen von den ordentlich ausgeführten Aktenvernichtungen berichten konnte, musste beschämt eingestehen, die Räumung sei geradewegs in eine kopflose Flucht übergegangen, weshalb

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das – selbstverständlich ordnungsgemäß besetzte – Sondergericht nicht mehr tätig geworden sei.71 In Oppeln blieben nach der Räumung der Stadt von der Justiz nur noch die Sonderrichter übrig, sie zogen «zwecks besseren Zusammenhalts» in ein Hotel. Währenddessen steckten Zwangsarbeiter das Gericht in Brand. Da Polizei und Feuerwehr ebenfalls bereits abgezogen waren, brannte es vollständig aus. Nach zwei ereignisarmen Tagen verließen dann auch die Richter die Stadt, um sich – vorwiegend zu Fuß – zum Ausweichort ins 50 Kilometer entfernte Neisse zu begeben, wo man allerdings unverzüglich die Anweisung erhielt, «weiter nach Westen» zu ziehen. Mehr als zwei Tage im Hotel hatte die Oppelner Sonder-Sonderjustiz nicht zustande gebracht.72 Über das Sondergericht in Glogau konnte der Breslauer Oberlandesgerichtspräsident nur berichten, es sei nach der Besetzung von Glogau zunächst nach Sagan und nach der dortigen sowjetischen Offensive nach Weißwasser ausgewichen, wo man, wie er in Endzeitrhetorik schrieb, «einige Sachen noch abwickeln» und dann zur Selbstauflösung schreiten würde.73 Das Vergebliche des eigenen Tuns wurde immer deutlicher. Im Protokoll über das Sondergericht Breslau sprang die Rede gleich ganz zurück in die alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat. Nach der Flucht nach Hirschberg werde man die Sachen «aus der früheren Zeit» abarbeiten, resümierte die Justizverwaltung das Vorhaben74 – ganz so, als sei die Zeit, da Ort und Gericht noch in Übereinstimmung waren, nicht erst seit wenigen Tagen vorüber, sondern bereits der Traum einer längst untergegangenen Epoche.

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Akten und Stempel: verbrennen, vergraben, vernichten Akten und Stempel: verbrennen, vergraben, vernichten

Diese Allgegenwart der Vergangenheit erfasste bald auch die Akten. Sie wurden registriert oder vergessen, mitgeführt oder übergangen, zurückgelassen oder verbrannt, je nachdem, wie schnell die Front näher rückte, wie innig die Amtswalter mit ihrem papiernen Schatten verbunden und wie belastbar die Kontakte zur Partei waren. Was nicht mitgenommen werden konnte, musste zerstört werden. Groß angelegte Vernichtungen gehörten deshalb zu den letzten Besorgungen vor Ort. Am Landgericht Neisse trennte man die Personalbögen aus den Akten und verbrannte anschließend alle Personalakten.75 In Kolberg konnte sich der Oberamtsrichter erst dazu durchringen, den Räumungsbefehl zu erteilen, als ihm Gefechtslärm und Blutlachen in den Straßen unwiderleglich die bevorstehende Besetzung bewiesen. Vor seiner Flucht nahm der Amtswalter alle Geheimakten aus dem Panzerschrank und vernichtete sie zusammen mit den Gerichtssiegeln, von denen lediglich ein einziges übrig gelassen und einem fliehenden Justizoberinspektor mit auf den Weg gegeben wurde.76 Im benachbarten Belgard war gerade noch ausreichend Zeit, um die Geheimsachen, Stempel und Siegel zu verbrennen, jedoch nicht mehr genug, um, wie geplant, die «Kirchen-, Juden- und Dissidentenregister» zu vergraben.77 Verbrennen, vergraben, vernichten – am 5. April 1945, als die Front im Herzen des Altreichs angekommen war, schrieb der Landgerichtspräsident von Hannover an seinen Vorgesetzten: «Ich überreiche die beiden anliegenden Vernichtungsverhandlungen», ein Selbstwiderspruch, der Pflichtbewusstsein und Befehlsverweigerung kunstvoll miteinander verband, weshalb die Nachwelt bis hin zu den Aktenzeichen nachvollziehen konnte, dass der paradoxal gestählte Amtswalter außer den kompromittierenden Akten auch noch die Stempel «Geheim» und «Geheime Reichssache»

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vernichtet hatte.78 In Dresden verbrannte man Anfang April alle desavouierenden Personal- und Generalakten,79 die der Luftkrieg übrig gelassen hatte, in Schwäbisch Gmünd versuchte man noch, die ausgelagerten Personalakten des Oberlandesgerichts Stuttgart nach Ravensburg zu transportieren, was aber genauso scheiterte wie deren kontrollierte Verbrennung: Die Aktendeckel wollten nicht Feuer fangen.80 Und selbst wenn  – was eine seltene Ausnahme war  – für den Transport von Akten noch Verkehrsmittel aufgetrieben werden konnten, war nicht klar, wohin man die Akten schicken sollte. Der Krieg war mittlerweile überall. Das Strafregister von Stettin war nach den unsteten Umzügen der Jahre 1943 und 1944 noch in Pyritz, als der Ort bereits unter russischem Beschuss lag. Alle Bergungsversuche scheiterten; ein Lastwagen wurde von einem Feuergefecht zur Umkehr gezwungen, der Aktenwagen des Oberlandesgerichts fuhr auf eine Mine.81 In Kattowitz gelang es dem Oberlandesgerichtspräsidenten Anfang Februar 1945 überraschend, die Oberjustizkasse und die Personalakten des Bezirks zu retten, indem er sie teilweise mit Pferdewagen, teilweise mit Lastwagen nach Westen schickte. Schließlich stand ein Waggon der Reichsbahn bereit, mit dem die Akten nach Dresden gebracht werden sollten, ausgerechnet am 13. Februar, als die Dresdener Innenstadt zerstört wurde. Ein Funkspruch stoppte die Fracht irgendwo auf dem Weg.82 Am kleinen Amtsgericht Bendsburg, in den Jahren zuvor ein Brennpunkt der Judenverfolgung, sammelte man fleißig Personalakten, Kassenbestände, Schreibmaschinen, die «in politischer Hinsicht verfänglichsten Akten» und – warum auch immer – «die noch vorhandene Bettwäsche aus dem Ledigenheim» in Kisten und brachte sie zum Landrat, der einen Lastwagen organisiert hatte. Aber wohin die Reise ging, blieb dem tüchtigen Amtsgerichtsdirektor verborgen, da der Landrat, wie der Richter seinem Vorgesetzten gegenüber zerknirscht einräumen musste, «den Bestimmungsort des L. K. W. nicht bekanntgegeben hat».83

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Größte Unsicherheit befiel schließlich den Landgerichtspräsidenten von Thorn, der seine Heimat Ende Januar verlassen musste. Am 22. Januar verlud er sein Gepäck bei eisiger Kälte und unter feindlichem Beschuss auf einen Handschlitten und machte sich zu Fuß auf, um fast 30 Kilometer zum nächsten Bahnhof in Kulmsee zu wandern. Thorn war bereits menschenleer, Partei, Wehrmacht und Zivilisten waren praktisch vollständig geflohen, jeder Glaube an eine Rückkehr war erloschen. Nur die Sprache trug noch ihre alten Ärmelschoner. Selbst über das Ende seines Dienstwegs erstattete der Spitzenjurist vorsichtshalber Fehlanzeige: «Gegen 12 Uhr mittags wurden die Gebäude verschlossen und die Schlüssel stecken gelassen; es war niemand da, dem man sie hätte geben können.»84

Gerichte unter Zugzwang Gerichte unter Zugzwang

Über die Institutionen regierte nun der Zufall. In den ersten Planungen für einen Notbetrieb hatte man nicht vorgesehen, dass der Krieg in einem nennenswerten Umfang auf deutsches Hoheitsgebiet übergreifen würde. Demgemäß waren die ersten Richtlinien für grenznahe Bezirke vom September 1944 – noch als «Geheime Reichssache» deklariert – nicht nach Danzig oder Breslau verschickt worden. Im Februar 1945 war diese Zurückhaltung sinnlos geworden. Am 13. Februar wurde der Geheimschutz aufgehoben, am 19. Februar erhielten reichsweit alle Justizbehörden neue Anweisungen, wie mit «Freimachungsgebieten» zu verfahren sei. Bei teilweiser Räumung solle an einem möglichst nahen Ort weitergearbeitet werden. Bei Räumung oder Besetzung des ganzen Bezirkes dagegen sei die Behörde «als bis auf weiteres stillgelegt anzusehen», Auffang- oder Ausweichquartiere würde es nicht geben. Nur für Verwaltungstätigkeiten, Registerangelegenheiten, Kassengeschäfte würden Verwaltungsstäbe eingerichtet. Die Rechts-

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pflege selbst dagegen sei einzustellen;85 vor allem müsse, wie in einem gesonderten Schreiben mitgeteilt wurde, der Anschein vermieden werden, dass einzelne Behörden «nur um ihrer selbst Willen fortgeführt werden».86 Intern kam die weitere Anweisung, beim Schriftverkehr mit den Verwaltungsstäben darauf zu achten, dass deren Arbeit «auf das Notwendigste beschränkt bleibt».87 Am Tag darauf wurden ähnliche Bestimmungen wiederholt, diesmal gemünzt auf die Bedürfnisse des individuellen Amtsträgers. Man solle sich nach der Flucht bei «der nächst erreichbaren Justizbehörde» melden, die dann über die weitere Verwendung entscheide. In Betracht komme – soweit hierfür überhaupt Bedarf bestehe – ein Einsatz im Justizdienst selbst, aber auch die Freigabe für die Wehrmacht oder Rüstungsarbeiten.88 Und noch etwas: Der Führer sollte das ganze Elend nicht zu Gesicht bekommen. Ausweichquartiere «im Gau Salzburg oder in Berchtesgaden-Reichenhall und Traunstein» seien, wie mehrfach betont wurde, nicht erwünscht.89 In der praktischen Umsetzung war mit diesen Vorgaben nur wenig anzufangen. Adressiert waren die Richtlinien an die höheren Reichsjustizbehörden, also insbesondere an die Präsidenten der Oberlandesgerichte und die Generalstaatsanwälte. Wenn von «Bezirk» die Rede war, mussten demnach zunächst deren Sprengel gemeint sein. Aber die militärische Strategie, einzelne Ortschaften zu «Festungen» zu erklären, hatte konkret zur Folge, dass mit der Ausnahme von Posen bis April 1945 kein Oberlandesgerichtsbezirk «völlig geräumt oder in ganzer Ausdehnung vom Feinde besetzt» war, wie es die Richtlinien für eine Stilllegung verlangten. Was war dann mit einem Amts- oder einem Landgericht, das schon vollständig besetzt war, dessen Belegschaft aber innerhalb des übergeordneten Bezirks noch ausweichen könnte? Und konnte ein schon lange verlagertes Oberlandesgericht am neuen Sitz weiter judizieren, wenn ein winziges Amtsgericht in seinem Stammbezirk noch arbeitete und gewissermaßen die Stellung hielt? Was bis zu diesem Zeitpunkt noch an zentraler Übersicht über

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die realen Gegebenheiten der deutschen Gerichtsbarkeit vorhanden gewesen sein mochte, löste sich spätestens jetzt auf. Institutionen wurden zerrissen und wieder zusammengesetzt oder verloren sich endgültig im Niemandsland der deutschen Geschichte. Die deutsche Justiz war in zunehmendem Maße atomisiert, kujoniert, verwaltet in einem Klima der Angst – Angst vor den alliierten Feinden, vor Partisanen und Saboteuren, aber auch Angst vor der eigenen Regierung, deren phobokratischer Terror in diesen Wochen selbst bislang wohlgelittene Parteigenossen treffen konnte. Die Zentralauskunftsstelle für Rückgeführte, die noch kurz zuvor großspurig angekündigt hatte, die Ortsverlagerungen in wöchentlichen Übersichten zu dokumentieren, scheint ihre Tätigkeit, so es denn überhaupt jemals eine gab, nach den schweren Luftangriffen auf Berlin am 3. Februar 1945 eingestellt zu haben. Im Reichsjustizministerium fertigte man deshalb selbst eine Liste mit den neuen Anschriften an. Aber mehr als ein Notdokument brachte man auch dort nicht zustande: Der Sachbearbeiter verfasste handschriftlich eine dreiseitige Adressliste, ohne einleitenden Titel, ohne abschließende Signatur, ohne Datum und ohne Aktenzeichen,90 fast so, als diene die Übersicht mehr dem privaten Sammlerinteresse eines Justizangestellten als offiziellen Zwecken. Und ohnehin war die Berliner Tabelle für die Verhältnisse vor Ort viel zu statisch. Angeregt wurde sie offenbar von den Verlegungen an der Westfront – der Umzug von Karlsruhe nach Sinsheim ist der erste Eintrag – und danach einige Male aktualisiert, mit systematischem Anspruch allerdings nur bis Anfang Februar 1945, denn schon die Zerstörung von Dresden am 13. Februar ist nicht notiert. Der letzte große Eintrag gilt der Aufspaltung der Münchener Justiz: Der Oberlandesgerichtspräsident ging nach Fürstenfeldbruck, ein Strafsenat mit einer Sondergerichtskammer nach Buchloe, ein weiterer Strafsenat mit einer weiteren Sondergerichtskammer nach Landshut, eine dritte Sondergerichtskammer und die Staatsanwaltschaft wurden nach Dachau verlegt.

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Die schwersten Erschütterungen der Gerichtsarchitektonik konnte das Register deshalb schon rein zeitlich nicht erfassen. In den ersten Nachkriegsbeschreibungen aus der Sowjetischen Besatzungszone, in deren Gebiet viele Institutionen bei Kriegsende gestrandet waren, war von ganzen «Behördentrecks» die Rede,91 im Westen spöttisch von einem «ambulanten Gewerbebetrieb».92 Beide Etiketten sind zu groß. Anfang 1945 gab es im Deutschen Reich 34 Oberlandesgerichte, rund 200 Landgerichte und über 2000 Amtsgerichte. Alleine im Osten hätte man Hunderte von Gerichten auf die Reise schicken müssen, um sie vor der Front in Sicherheit zu bringen. Das gelang nicht einmal annähernd. Aber immerhin, man tat, was man konnte: Die Oberlandesgerichte Danzig und Königsberg eröffneten Verwaltungsstäbe am OLG Rostock, das freilich seit den verheerenden Angriffen vom April 1942 selbst nicht mehr in Rostock residierte, sondern nach Schwerin ausgewichen war.93 Das Oberlandesgericht Posen zog über Frankfurt an der Oder und Riesa nach Weißenfels,94 das Oberlandesgericht Kattowitz über Neisse, Ottmachau, Dresden und Radebeul nach Gera,95 das Oberlandesgericht Breslau nach Görlitz und später noch nach Krummhübel im Riesengebirge,96 das Oberlandesgericht Dresden nach Döbeln,97 der Volksgerichtshof erst nach Potsdam und dann nach Bayreuth,98 während in Frankfurt an der Oder eine Art Sammelstelle für die Gerichtsbehörden aus den besetzten Kommissariaten im Osten entstand,99 bis das dortige Landgericht selbst nach Fürstenwalde verlegt wurde.100 Das Landgericht Lyck zog nach Stolp,101 das Landgericht Schweidnitz nach Waldenburg,102 das Landgericht Hohensalza nach Waldheim,103 das Landgericht Köslin nach Greifswald, das Landgericht Schneidemühl nach Anklam, das Landgericht Stettin ebenfalls nach Greifswald,104 das Landgericht Bautzen nach Marienberg,105 das Landgericht Plauen nach Falkenstein,106 das Amtsgericht Cosel nach Leobschütz,107 das Amtsgericht Stettin nach Stralsund, das Amtsgericht Ueckermünde nach Barth,108 das Amtsgericht Kolberg

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Gerichte unter Zugzwang

nach Stralsund,109 das Amtsgericht Fiddichow nach Greifenhagen,110 das Amtsgericht Plauen nach Oelsnitz.111 Im Westen setzte eine vergleichbare Dynamik etwas später ein, erfasste aber ebenfalls eine Großzahl von Institutionen: Das Oberlandesgericht Düsseldorf verlegte im März 1945 einige Senate nach Wuppertal,112 das Landgericht zog in den Düsseldorfer Vorort Gerresheim,113 das Oberlandesgericht Hamm überführte einige Dienststellen nach Altena und nach Werl,114 das Präsidium des Oberlandesgerichts Stuttgart wich erst nach Tübingen und Anfang April nach Ravensburg aus.115 Das Amtsgericht Kerpen zog nach Bergheim, das Amtsgericht Prüm nach Hillesheim, das Amtsgericht Gemünd nach Blankenheim, das Amtsgericht Trier nach Neumagen.116 Das Amtsgericht Koblenz, nach der Zerstörung der Stadt bereits auf die andere Rheinseite nach Ehrenbreitstein ausgewichen, übersiedelte Anfang März nach Montabaur, die Verwaltung wurde in Dierdorf untergebracht.117 Auch die Kölner Gerichtsbehörden, überwiegend schon seit November 1944 nicht mehr in der Stadt, setzten sich im März 1945 noch einmal in Bewegung. Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft zogen von Eitorf nach Waldbröl, die übrige Verwaltung ging nach Wissen und Daaden, das Landgericht verlegte seine Strafkammern erst nach Wiehl, dann nach Gummersbach. Die Angehörigen der Staatsanwaltschaft und des Sondergerichts marschierten am 10. März von ihrem ersten Ausweichquartier in Königswinter nach Marienheide – ein Auto war für die gut 60 Kilometer nicht mehr aufzutreiben –, mussten sich dort aber mit dem Kurhaus vor dem Ortseingang begnügen, weil die für sie vorgesehenen Räume bereits von der Gestapo belegt waren.118 Auch das Reichsjustizministerium blieb nicht verschont. Bereits im Februar 1944 hatte man ganze Abteilungen des Ministeriums nach Leitmeritz, Böhmisch-Leipa und Prenzlau verlegt, in Berlin war hauptsächlich das Strafrecht geblieben, die Post lief über Dresden.119 Im Oktober 1944 wurden die böhmischen Standorte aufgegeben und teils ans Amtsgericht in Berlin-Lichterfelde, teils ans

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Landgericht Prenzlau verlegt, dafür kam eine der dortigen Abteilungen ans Amtsgericht Zehdenick.120 Im März 1945 zogen dann die letzten Dienststellen ins thüringische Greiz und von dort weiter in die Justizvollzugsanstalt Ichtershausen. Ein Waggon mit Akten reiste mit, Personalakten, Haushaltsakten, Geheimvorgänge, insgesamt gut 28 000 Aktenbände, die «unter allen Umständen» weiterzuleiten seien, wie das Ministerium den Vorstehern der Bahnhöfe unterwegs einschärfte, ansonsten müssten sie vernichtet werden.121 Am 29. März meldete man aus Ichtershausen Vollzug; man sei nun in der Lage, die «Geschäfte in vollem Umfang aufzunehmen».122 Am selben Tag begann der Artilleriebeschuss von Ichtershausen, Anfang April wurde es von US-amerikanischen Truppen besetzt. Am 10. April 1945 erreichte das Ministerium noch einmal ein Anruf, entgegengenommen vermutlich in Prenzlau. Der Generalstaatsanwalt von Rostock (z. Zt. Schwerin) erfuhr auf Anfrage, dass für die Oberlandesgerichte Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Kassel, Köln, Zweibrücken weder Ausweichstellen noch Verwaltungsstäbe eingerichtet seien.123 Das Reich war klein geworden.

Anschlussverwendung Anschlussverwendung

Wer sich wie und wohin bewegte, was er dort tat und wohin er weiterreiste, war deshalb eine Frage von Glück und Unglück, Geschick, Beziehungen, Entschlusskraft, Schicksal. Jeder zog sich irgendwie zurück, landete irgendwo und meldete sich bei irgendwem, erhielt dort Gehaltszahlungen, bekam vielleicht eine Aufgabe zugewiesen, bearbeitete Grundbücher, bestrafte Volksschädlinge, wurde zu Rüstungsarbeiten geschickt oder in den Ruhestand versetzt. Die Oberlandesgerichte in Stettin und Dresden wurden zu so etwas wie Auffangbecken für die sich auflösenden Institutionen aus dem Osten, dazu kam im Hinterland Rostock,

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Anschlussverwendung

wohin viele Beamte weitergereist waren. Man bemühte sich eifrig, alle Ankömmlinge zu registrieren und ihre neuen Anschriften zu erfassen. Der Erfolg war bescheiden. In Rostock verzeichnete man bis März 279 geflohene Justizangestellte, 28 davon waren Richter.124 Für Dresden sind keine Unterlagen mehr vorhanden; nur am zugehörigen Landgericht Freiberg haben sich zahlreiche Meldungen von geflohenen Justizmitarbeitern erhalten.125 Von Stettin, wegen des Hafens wohl die wichtigere Anlaufstelle, sind, nach Bezirken sortiert, insgesamt neun «Listen der zurückgeführten Gefolgschaftsmitglieder des Ostens» überliefert.126 Aber obwohl man dort sämtliche Dienstgrade protokollierte, schriftliche und mündliche Meldungen akzeptierte, Ehefrauen mit auf die Listen schrieb, sogar Berichte von Flüchtlingen über andere Flüchtlinge aufnahm, waren es am Ende keine 500 Personen, über deren Schicksal man zumindest annähernd im Bilde war; die meisten kamen aus dem eigenen Bezirk, aus Königsberg 164, aus Danzig 37, aus Posen 13, aus Kattowitz und Breslau jeweils zwei – angesichts der vermutlich in die Zehntausende gehenden Zahl von betroffenen Mitarbeitern eine verschwindend geringe Prozentzahl. Viel mehr als die Abwicklung ihrer letzten Pflichterfüllungen blieb den Flüchtlingen häufig nicht. Vom Amtsgericht Löbau in Westpreußen hatte ein treuer Justizinspektor einige Personalakten, ein Verzeichnis nicht erledigter Grundbuchanträge und schließlich Geld dabei: 100,55 RM in bar, 105,93 RM in Kostenmarken sowie Briefmarken im Wert von 3,50 RM, alles abgeliefert am Amtsgericht Celle, wo er am 8. Februar eintraf. Mehr als die bürokratische Allzweckformel – «z. K.» – bekam er für seinen Einsatz nicht.127 Aus der Nähe von Posen nahm ein Justizobersekretär auf seiner zehntägigen Flucht 3876,25 RM mit, von denen allerdings rund 300,– RM nicht ordentlich abgerechnet waren. Nach weiteren zehn Tagen Ermittlungstätigkeit rang ihm das Landgericht Cottbus das Geständnis ab, «dass es mir unter den augenblicklichen Umständen nicht möglich sein wird, endgültige Abrechnung über ca.

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300,– RM zu leisten»; er habe «bei der großen Erregung zur Zeit» versäumt, die ihm anvertrauten Gelder ordentlich durchzuzählen. Man ließ die Sache wohl auf sich beruhen.128 Im ostpreußischen Guttstadt steckte ein Angestellter 377,75 RM in Kostenmarken und 42,17 RM Bargeld ein, die er am 1. März 1945 der Gerichtskasse in Stade übergab. Zudem bat er um Entscheidung, «wo ich die in meinem Besitz befindlichen Schlüssel des Oberlandesgerichts [sic] Guttstadt abliefern soll», die er ebenfalls in Sicherheit gebracht hatte. Auch ihm wurde nur eine protokollarische Standardnotiz zuteil: «Die Schlüssel sind in Büroverwahrung zu nehmen.»129 Die Geflohenen konnten sich weder mit ihren Kenntnissen noch mit den von ihnen geretteten Schätzen für eine Weiterverwendung empfehlen. Ihre juristische Expertise war im Endkampf nicht gefragt. Der Oberlandesgerichtspräsident von Stettin gab seiner Meldung an das Reichsjustizministerium vom 12. Februar 1945 den Hinweis mit: «Soweit die Angehörigen in meinem Bezirk gebraucht wurden, habe ich sie den Gerichten meines Bezirks zugeteilt.» Um im Hinblick auf den Bedarf nicht zu optimistisch zu klingen, fügte er in den Entwurf handschriftlich ein: «das gilt nur von wenigen».130 Am Landgericht Stettin kam ein Richter aus Ostpreußen unter, der aber schon am nächsten Tag zur Wehrmacht einberufen wurde, am Oberlandesgericht Stettin fand ein Richter aus Thorn eine neue Tätigkeit,131 während ein Richter aus Köslin für nicht näher spezifizierte «Flüchtlingsangelegenheiten» eingesetzt wurde.132 Am Landgericht Greifswald übernahm ein Richter aus Zempelburg Verwaltung, Dienstaufsicht und Bücherei,133 am Amtsgericht der Stadt erhielt ein geflohener Oberlandesrichter aus Kattowitz die Zuständigkeit für Zwangsversteigerung und Konkurs.134 Der Breslauer Oberlandesgerichtspräsident zählte fünf Richter aus den geräumten Gebieten auf, denen er in seinem Bezirk «vorläufig Dienstleistungsaufträge» habe erteilen können: drei Richtern bei Amtsgerichten, zweien bei Sondergerichten.135 Sein

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Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie

Kollege in Rostock konnte von den achtundzwanzig Richtern, die sich in seinen Bezirk durchgeschlagen hatten, immerhin zehn verwenden.136 Auch für Schneidemühl war die Bilanz ernüchternd. Von sämtlichen Richtern aus dem gesamten Landgerichtsbezirk einschließlich aller Amtsgerichte wurde bloß für zwei eine neue Beschäftigung gefunden: Einer sollte ans Amtsgericht Anklam, bat aber wegen eines fluchtbedingten Schwächeanfalls um Beurlaubung; ein anderer, fürs Amtsgericht Ueckermünde vorgesehen, beantragte umgehend, an seine Heimatbehörde in Siegen zurückkehren zu dürfen. Alle anderen waren mit unbekanntem Ziel geflohen, oder es gab keine Verwendung für sie, angesichts von fast vierzig Planstellen eine denkbar magere Ausbeute. Dem Bericht des Landgerichtspräsidenten von Schneidemühl, der sich ebenfalls nach Anklam durchgeschlagen hatte, war das Bewusstsein um die eigene Verzichtbarkeit durchaus anzusehen. Am 15. März 1945 ließ der Funktionär seinem Vorgesetzten eine Notiz zukommen, die die Sinnlosigkeit seiner juristischen Existenz mühsam in die Niederungen der Verwaltungssprache übertrug: «Bis heute ist die Notwendigkeit einer richterlichen Tätigkeit für die zurückgeführte Bevölkerung des Landgerichtsbezirks Schneidemühl noch nicht hervorgetreten.»137 Das Überleben war den Geflohenen dringlicher als rechtliche Angelegenheiten.

Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie

Dabei hatte die Berliner Zentrale auch in dieser Hinsicht vorgesorgt. Der deutsche Mensch, der ab 1939 «gleichsam sein Recht mit sich» in den Osten getragen hatte, wie damals voll vaterländischem Pathos formuliert worden war,138 durfte seine Fälle nun auch in sein Fluchtgepäck zurück Richtung Altreich stecken. Im Dezember 1944 hatte das Reichsjustizministerium die Devise

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ausgegeben, dass die Gerichte an den jeweiligen Aufenthaltsorten der Flüchtlinge die Prozesse auf Anfrage weiterführen sollten. Juristisch war das deshalb problematisch, weil der Gerichtsstand in der Regel vom Wohnsitz bestimmt wird, der außer dem faktischen Aufenthalt jedoch auch einen korrespondierenden rechtlichen Willen, dort zu residieren, voraussetzt. Dass die Geflohenen ihre Heimat aber nicht freiwillig verlassen hatten, lag auf der Hand. In einem bunten Nebeneinander von Superlativen und Fiktionen appellierte das Reichsjustizministerium deshalb an die Großmut seiner Mitarbeiter: Der erzwungene Ortswechsel könne  – wider besseres Wissen  – als Begründung eines neuen Wohnsitzes interpretiert werden; die Erörterung der Zuständigkeit dürfe die sachliche Arbeit genauso wenig beeinträchtigen wie der Verlust von Akten; die rechtssuchenden Flüchtlinge seien «in weitestem Umfange … mit Rat und Tat zu unterstützen», und überhaupt solle sich der Richter bei allen damit zusammenhängenden Fragen «weitherzig» zeigen.139 Das war schön gesagt: juristische Soforthilfe für den Volksgenossen in Not, umstandslos und unbürokratisch abrufbar. Streifzüge durch die Gefühlslandschaften sind in der juristischen Trias von Definition, Subsumption und Ergebnis jedoch nicht vorgesehen. Weitherzigkeit ist kein juristischer Begriff. Die Praxis hielt sich deshalb lieber an das herkömmliche Handwerkszeug. In Stettin gelang einem klägerischen Anwalt aus Thorn tatsächlich das Unglaubliche: Im April 1945, sein Mandant war gerade in Stettin stationiert, machte er die Adresse der ebenfalls geflohenen Beklagten im Vogtland ausfindig. Er bat daraufhin das Landgericht Stettin, den anhängigen Prozess – eine Ehescheidung – fortzuführen. Die Antwort war so engherzig, wie man es von einem Rechtsarbeiter unter gewöhnlichen Umständen erwartet: Ein dienstlicher Aufenthalt, schrieb das Gericht am 28. April 1945, begründe keinen Wohnsitz, und was das Vogtland angehe: «Dort kann eine Ladung nicht durchgeführt werden.»140 Damit war die Sache erledigt.

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Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie

Und das war schon sehr viel mehr, als die meisten anderen Beteiligten erreichten. Die Fortsetzung der eigenen Rechtsstreitigkeiten stand bei den Flüchtlingen in der Regel weit unten auf der Prioritätenliste, dazu kamen die Probleme, die der Verlust von Akten oder Beteiligten mit sich brachte. Der Generalstaatsanwalt von Posen hatte es zwar geschafft, seine Institution nach Riesa und einen Teil der Gefangenen nach Dresden zu verlegen; aber die eigentlich vorgesehenen Verhandlungen vor dem ebenfalls nach Riesa umgezogenen Oberlandesgericht Posen scheiterten daran, dass nach den Angriffen auf Dresden kaum Möglichkeiten bestanden, die Angeklagten von der Haftanstalt ins Gericht zu bringen.141 Die Amtsgerichte von Jülich und Düren wurden seit ihrer dritten Verlegung Ende November 1944 von nur noch einem Richter in Nörvenich betrieben. «Dieser kann praktisch natürlich nur in geringem Umfange tätig werden», konzedierte der vorgesetzte Richter, freilich werde er «auch nur in diesem Umfang in Anspruch genommen».142 Das Amtsgericht Gemünd, das nur 25 Kilometer nach Blankenheim gezogen war, hatte an der Ausweichstelle so gut wie gar nichts zu tun, lediglich im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit herrsche «ein schwacher Geschäftsbetrieb in Familienrechts- und Nachlaßsachen».143 Und der Präsident des Landgerichts Koblenz, der die letzten Reste seiner Rechtspflege Anfang März 1945 nach Montabaur und Dierdorf verlegt hatte, meldete seinem Vorgesetzten mit banger Sicht auf die Zukunft: «Ich bezweifle aber, daß unter den heutigen Verhältnissen noch eine ersprießliche Arbeit geleistet werden kann.»144 Nein, ersprießlich war das alles nicht mehr. Aber die Verwaltung von Recht und Unrecht ist eine kategorische Angelegenheit, die nicht nach Kosten und Nutzen oder gar den Befindlichkeiten ihrer Handlanger fragt. «Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche

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Auf der Flucht

Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann», schrieb Immanuel Kant 1797 in seinen Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre.145 Die deutsche Justiz am Ausgang des Zweiten Weltkriegs hat sich insoweit nur wenig zuschulden kommen lassen. Die letzten Mörder, die letzten Verräter, die letzten Volksschädlinge wurden so ordentlich hingerichtet, wie es der auf ein Semester zurechtgestutzten juristischen Pflichtenlehre entsprach; die letzten Diebstähle, Körperverletzungen, Beleidigungen wurden nach Vorschrift geahndet, und selbst bei den letzten Formularen, Kassenbeständen, Reisekostenabrechnungen, Stempelkissen und Dienstkalendern achtete die Kriegsjustiz peinlich darauf, dass sie ihre Hinterlassenschaften der Nachwelt frei von jeder Blutschuld würde überreichen können; in Breslau wurden noch Ende März Ehescheidungen ausgesprochen, da war die Stadt bereits seit Wochen von der Roten Armee eingeschlossen.146 Nur die allerletzte Sorge war ganz unkantisch. Bestirnter Himmel, moralisches Gesetz, schön und gut, aber dass Fressen vor Moral kommt, wissen im Zweifel auch die pflichtbeseelten Rechtsarbeiter. Am 6. Februar meldete der Oberlandesgerichtspräsident von Rostock, bei ihm seien bislang siebzehn Justizangehörige aus dem Osten angekommen. Mindestens sechs von ihnen hatten zuvor bei der Oberjustizkasse des Oberlandesgerichts Königsberg gearbeitet. Sie wurden im Schweriner Justizgebäude untergebracht; Neuankömmlinge aus dem Bezirk Königsberg wurden angehalten, sich ebenfalls dorthin zu begeben. Die Königsberger Justizkasse nahm deshalb fern der Heimat noch einmal ihre Tätigkeit auf; die Arbeit der Flüchtlinge erhielt sogar noch einen eigenen Geschäftsverteilungsplan.147 Und geschäftig wurden sie wirklich: Gut dreihundert Auszahlungsbelege des Oberlandesgerichts Königsberg

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Das Ende

haben sich erhalten, alphabetisch geordnet und fein säuberlich sortiert nach höherem, gehobenem, mittlerem, einfachem und Vollzugsdienst, für Februar, für März, für April, für Mai, angewiesen überwiegend Ende Mai, abgewickelt über die «Mecklenburger Bank». Die letzte Amtshandlung galt dem Assessor Dr. Werner Gruenhagen, der für Februar und März noch Dienstbezüge über 558,90 RM erhielt. Die Kassenanweisung wurde unterschrieben: «Schwerin, 30. 5. 45».148

Das Ende Das Ende

Und nach alledem bekam auch die Irrfahrt der Stettiner Justiz, die im Herbst 1943 ins Umland und im Herbst 1944 zurück nach Stettin geführt hatte, noch eine weitere Station. Am 9. März erging der Befehl, Stettin zu räumen. In den nächsten Tagen zogen das Oberlandesgericht und das Landgericht ins beschauliche Greifswald, wo sie, rund 120 Kilometer von der Heimat entfernt, im Landgericht am Domplatz ein letztes Ausweichquartier in Anspruch nehmen konnten; das Amtsgericht reiste weiter bis nach Stralsund. Vor dem Auszug wurde noch eine juristische Großtat vollbracht: Am 13. März verurteilte das letzte Aufgebot des Sondergerichts Stettin drei Postmitarbeiter, die Sendungen  – ausgerechnet – des Roten Kreuzes unterschlagen hatten, zu langen Zuchthausstrafen und einen von ihnen zum Tode.149 Am 20. März wurde der Artilleriebeschuss so schwer, dass auch die Behördenleiter Erlaubnis erhielten, ihre Posten zu verlassen; zwei Tage später wurden mit einem Lastwagen der Staatsanwaltschaft «einige Nachzügler aus Stettin herausgeholt».150 Wirklich geordnet war das nicht mehr. Akten kamen noch in großer Zahl nach Greifswald. Aber an die Diplomatentische und Kronleuchter, mit denen man 1943 und 1944 so hoffnungsfroh die pommerschen Provinzgerichte bestückt hatte, war nicht mehr zu

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denken. Die Greifswalder Kollegen unterstützten die Neuankömmlinge mit einigen bescheidenen Gaben; am Ende teilten sich 53 Mitarbeiter des Stettiner Landgerichts 15 Tische und 4 Schreibmaschinen.151 Freilich war man auch in diesem dürftigen Fluchtbetrieb weit davon entfernt, ins Chaos zu stürzen. Der Apparat erhielt rasch wieder eine belastbare Struktur. Ein Geschäftsverteilungsplan hielt, in großzügiger Voraussicht, für den Rest des Jahres die Zuständigkeiten fest: Gut zwei Dutzend Richter verteilten sich auf das nach Stralsund ausgewichene Amtsgericht, das Landgericht operierte mit einer Strafkammer und vier Zivilkammern, dazu kamen das Sondergericht, fünf Senate am Oberlandesgericht, die Staatsanwaltschaft und die Verwaltungsabteilung, selbst die ungeliebten Fideikommisssachen erhielten ihren eigenen Referenten, und schließlich fand auch der Nachwuchs noch eine Anlaufstelle: «Herr Dr. Müller bearbeitet die Geschäfte des Prüfungsamtes.»152 Mittwochs und donnerstags tagten die Zivilkammern, freitags gab es Strafrecht, der Samstag gehörte dem Sondergericht.153 Auch die übrigen Ingredienzien für einen ordentlichen Geschäftsbetrieb wurden eifrig zusammengetragen. Ein Anwalt, der nach Rostock geflohen war, bat um Befreiung von der Pflicht, vor dem Oberlandesgericht Stettin aufzutreten: Er habe in Greifswald keine Wohnung gefunden, wisse nicht, wo sich seine Klienten aufhielten, und habe zudem keine Akten aus Stettin mitnehmen können. Das Gesuch wurde abgelehnt. «Im Interesse der Rechtspflege» müsse «mit allen Mitteln versucht werden», verhandlungsreife Sachen abzuschließen; ein Oberlandesrichter gab dazu am 10. April 1945 an, «bei der absolut ruhigen Front vor Stettin» während der letzten zwei Wochen sei es «ohne weiteres möglich Akten und Kanzleimaterial aus Stettin herbeizuschaffen», außerdem habe sich der Wohnungsmarkt in Greifswald mittlerweile wieder etwas entspannt. Der Anwalt solle deshalb schleunigst eine Kanzlei in Greifswald einrichten und überdies die Adressen weiterer Stettiner Anwälte mitteilen. Noch am 20. April forderte das Oberlandesgericht den

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Das Ende

stellvertretenden Präsidenten der Rechtsanwaltskammer, der seine Flucht nach Flensburg gemeldet hatte, dazu auf, «binnen 2 Wochen» in den Gerichtsbezirk zurückzukehren, weil er «hier ständig gebraucht werde».154 Allerdings waren die Worte größer als die Taten. Der Dienstbetrieb lief weitgehend leer. Ein paar Ehescheidungen tröpfelten noch herein; eine Erbstreitigkeit wurde abschließend bearbeitet; eine Unterhaltssache erforderte eine Stellungnahme; einige Beweisverfahren warteten auf Durchführung. Vierzehn Franzosen saßen in Untersuchungshaft; über zwei Volksschädlinge musste befunden werden; ein Funktionär wurde um Strafantrag wegen Beleidigung gebeten, damit gegen den Täter vorgegangen werden könne. Ein gewalttätiger Ehemann wurde per einstweiliger Anordnung gezwungen, die eheliche Wohnung zu räumen; ein Kläger bekam zu hören, mit der Durchführung seines Ehescheidungsverfahrens könne er «für die nächste Zeit nicht rechnen»; eine Klägerin erhielt den Bescheid, die von ihr verlangte Beweisaufnahme sei «z. Zt. nicht durchführbar».155 Die Hauptaufgabe war Selbstverwaltung. Am 3. März 1945 erhielt der ebenfalls nach Greifswald geflohene Landgerichtspräsident von Köslin sechzehn Sonderausweise für Kräftigungsmittel für geistig Schaffende, um seine Rumpfbehörde weiter betreiben zu können.156 Am 7. April bat der Stettiner Landgerichtspräsident darum, ihm die obligate quartalsmäßige Übersicht über die Stellensituation in seinem Bezirk zu erlassen. Da «von den mir unterstellten Amtsgerichten die überwiegende Zahl geräumt bzw. vom Feinde besetzt sei», sehe er sich außerstande, die Liste zu erstellen.157 Zwei Tage danach kam es in einer anderen Sache beinahe zum Eklat. Der Stettiner Landgerichtspräsident beschwerte sich bei seinem Oberlandesgerichtspräsidenten, entgegen «allen bisherigen Gepflogenheiten» habe das Oberlandesgericht wiederholt Angestellte von ihm zur Bedienung der Heizanlage angehalten, was sein Bemühen unterminiere, «auch in diesen schweren Zeiten» die volle Autorität gegenüber seinen Angestellten zu behalten.

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In seiner Erregung wollte der Amtsträger sogar eine Entscheidung des Reichsjustizministeriums herbeiführen; eine mündliche Aussprache verhinderte diese Eskalationsstufe,158 das Ende der Heizperiode oder das Herannahen der Roten Armee mag die Kompromissbereitschaft der Beteiligten gefördert haben. Am 29. April wurden die Mitarbeiter noch einmal zusammengetrommelt, um die Akten auf belastendes Material hin durchzusehen und dieses gegebenenfalls zu vernichten. In der Nacht brannte «in allen Öfen Feuer».159 Am Tag darauf wurde Greifswald kampflos übergeben. Die letzte Amtshandlung war aber auch hier ein Griff in die Justizkasse. Wer «aus dienstlichen Gründen nach einem anderen Dienstort versetzt» wurde, dort aber wegen Wohnungsmangels keinen eigenen Hausstand gründen konnte, dem wurde gemäß § 1 des Gesetzes über die Umzugskostenvergütung vom 3. Mai 1935 eine Trennungsentschädigung von 8,– RM pro Tag gewährt, wobei die letzten Allgemeinverfügungen aus dem November 1944 davon eine Ausnahme angeordnet hatten, wenn ein umquartierter Angestellter «am oder in der Nähe des Aufnahmeortes» zum Einsatz kam.160 Das war hier ohne Zweifel der Fall: Die Stettiner Juristen arbeiteten in Greifswald und wohnten dort auch. Die Rechtslage wurde brüchig, aber die Formulare waren geduldig. «Tägliche Rückkehr an den Wohnort ist nicht möglich», begann der Vordruck, handschriftlich hatte der Antragsteller ergänzt: «da Köslin in Feindeshand».161 War das ein dienstlicher Grund? Und war Greifswald überhaupt ein «Aufnahmeort» oder nur ein zufälliges Provisorium? An dieser Stelle entwickelten die Beamten tatsächlich die Weitherzigkeit, die man ihnen bei der Behandlung ihrer geflohenen Volksgenossen nahegelegt hatte. Weit über hundert von ihnen gewährte die Justizverwaltung die übliche Entschädigung  – gemäß Einzelplan XVIIa Teil IX Unterteil 2a –, sicherheitshalber großzügig befristet bis 31. März 1946.162 Allzu strenggläubig lauschte offensichtlich niemand den Predigten vom nahenden Endsieg. Die letzte Trennungsentschädigung wurde vom Stettiner Land-

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Das Ende

gerichtspräsidenten am 22. Mai 1945 bewilligt und über die gebräuchliche Kassenanweisung ausbezahlt. Aus administrativer Sicht war die Sachlage schließlich eindeutig. Bisherige Beschäftigungsbehörde: «Landgericht Stettin in Stettin». Neue Beschäftigungsbehörde: «Landgericht Stettin in Greifswald». Grund für die Diskrepanz: «Verlagerung des Landgerichts Stettin nach Greifswald».163 Es war offensichtlich, dass weder der Einmarsch der Roten Armee noch die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai an diesem bestechend klaren Tatbestand etwas geändert hatten.

§ 6.

Zwischen den Jahren: Der Stillstand der Rechtspflege im Sommer 1945

Nichts aus dem Nichts Zwischen den Jahren Nichts aus dem Nichts

Der Anfang hatte keine Vorgeschichte. «Wir müssen neu beginnen, ganz vorn beginnen», postulierte die neu gegründete Deutsche Rechts-Zeitschrift 1946, «es gibt nichts, was einfach fortgesetzt werden könnte».1 Gleich im ersten Heft folgte eine Chronik, die dem bis dahin bewältigten Aufbau eines neuen Justizwesens bescheinigte, er sei «gleichsam aus dem Nichts» gekommen,2 während das Justizministerium Württemberg-Hohenzollern in seinem Rückblick einen Neubeginn «buchstäblich aus dem Nichts heraus» registrierte.3 Bald erhielten diese Rhapsodien über das Nichts ihre eigenen biblischen Weihen. «Die Stätten des Rechts waren öde und leer», schilderte der Präsident des Kölner Oberlandesgerichts seinem Minister den Zustand der Rechtspflege nach dem Krieg, «die Notariate verwaist, die Rechtsanwaltsbüros unbesetzt.»4 Die brandenburgische Landesverwaltung fasste 1946 in einem ersten Rechenschaftsbericht zusammen: «Als der Krieg zu Ende war, war eigentlich alles zu Ende. … Es war alles geordnete Leben zu Ende», um sich anschließend die rhetorische Zuspitzung einer Epiphrase zu gestatten: «Chaos.»5

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Zwischen den Jahren

Die gähnende Leere des Anfangs, Stunde Null und Tag eins, das machte Eindruck. Jahre später stellte Fritz Ostler in seiner Anwaltsgeschichte die Ausführungen über die Nachkriegszeit unter die Überschrift «Die Erde war wüst und leer», während der Berliner Generalstaatsanwalt, offenbar nicht ganz so bibelfest, aus den beiden ersten Sätzen der Schöpfungsgeschichte die Neuformulierung montierte: «Am Anfang war alles wüst und leer», um dann, nach bekanntem Muster, einen Wiederaufbau «fast aus dem Nichts» zu beschreiben.6 Vor dem Anfang lag nur die Finsternis. Dabei sah jeder die Spuren, die die Finsternis hinterlassen hatte. Die Erde war wüst, aber alles andere als leer. Vor dem Amtsgericht Charlottenburg hatte der Volkssturm sein Kriegsgerät weggeworfen; Uniformen, Panzerfäuste, Maschinengewehre und Munition lagen verstreut, dazwischen immer wieder Leichen, in der Luft der dumpfe Geruch des Todes. Im Gerichtsgebäude überall Schutt, Schmutz und Exkremente, die Fenster kaputt, die Regale umgestürzt, die Akten durcheinandergeworfen, die Schreibtische geplündert.7 Überall wühlten sich Richter durch die Ruinen, beseitigten Trümmer oder trugen ihr Zubehör an weniger zerstörte Orte. In Weimar verpflichtete der Landgerichtspräsident seine Mitarbeiter zu täglich zwei bis drei Stunden Aufräumarbeiten; um die Prioritäten klarzustellen – das Gericht war noch geschlossen –, schärfte er ihnen ein, dass dabei «weder ein Federhalter noch eine Schreibmaschine angerührt wird».8 In den notdürftigen Essener Amtsstuben mussten die Beamten wegen Löchern im Dach bei Regen ihre Schirme aufspannen. In Paderborn fand die ausgebombte Staatsanwaltschaft im Klassenraum einer Vorortschule Aufnahme. Im mecklenburgischen Schwaan bekam das Amtsgericht vier Zimmer in einem Hotel zugewiesen, im bayerischen Neunburg vorm Wald kam man in der Dienstwohnung des Amtsrichters unter, im sächsischen Königsbrück nahm der Dienstbetrieb in einem Café seinen kümmerlichen Neuanfang, während man im nahegelegenen Lausick im Buchungszimmer der Stadtgirokasse Unterschlupf fand,

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Nichts aus dem Nichts

auch wenn dort eine Verständigung mit dem Publikum unmöglich war; das rechtliche Gehör wurde vom Lärm der Buchungsmaschinen übertönt.9 Es gab keine Dienstzimmer, keine Sitzungssäle, keine Talare, keine Schreibmaschinen, keine Gesetzestexte, keine Literatur, keine Tische, keine Stühle, keine Telefone, keine Regale, kein Papier, keine Kohle, keinen Strom und nichts zu essen. Ihr Gehalt bekamen die Beamten in einer Währung, für die es nichts mehr zu kaufen gab. Jeder ungelernte Arbeiter, der Naturalien erhielt, verdiente mehr als ein Richter. In Hamburg soll ein Amtswalter auf der Suche nach Essbarem Mülltonnen durchwühlt haben, weil er sich, wie er zu seiner Verteidigung vorbrachte, aus Berufsgründen nicht auf dem Schwarzmarkt versorgen könne.10 In Baden-Baden kam ein Gerichtsvollzieher auf die Idee, an der Gefangenenkost teilzunehmen, um in seinem Zwölf-Stunden-Tag wenigstens einmal eine warme Mahlzeit zu bekommen.11 Seit Mitte 1946 wurde den Justizbediensteten zwar vielerorts die Lebensmittelkarte für Schwerarbeiter zugestanden, die entsprechende Verbesserung der Ernährung scheiterte aber immer wieder an Versorgungsschwierigkeiten. Noch Anfang 1948 vermerkte das Zentral-Justizamt, die Ernährungskrise bereite der Justiz «ernsteste Sorge», Ausfälle durch Krankheiten und Überarbeitung würden sich bedenklich häufen.12 Das Sächsische Justizministerium stellte Richtern und Staatsanwälten, die sich «an Brennpunkten» – gemeint waren Verfahren zu Kriegsverbrechen und Wirtschaftsstrafsachen – bewährt hatten, eine «besondere Zusatzverpflegung» in Aussicht.13 Und im Badischen Justizministerium nahm man einen Artikel aus der Zeitung Das Neue Baden zu den Akten, in dem unter der Überschrift «Geistige Arbeiter sind unterernährt» die feinfühlige Rechnung aufgemacht wurde, «die heutigen Rationen» lägen «zum Beispiel weit unter denen des Konzentrationslagers Buchenwald».14 Zu tun gab es so viel wie nie zuvor. Die gesellschaftlichen Fliehkräfte ließen die Justizstatistiken an neuralgischen Punkten förmlich

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Zwischen den Jahren

explodieren. Das Strafrecht nährte sich aus den typischen Notdelikten Diebstahl und Hehlerei, dazu kam die endemische Ausweitung des Schwarzmarkts, der vor allem Jugendlichen eine zügige kriminelle Karriere versprach. Auch Zahl und Art der zivilrechtlichen Verfahren illustrierten ungeschönt den Zerfall traditioneller Bindungen: Nach wie vor machten Ehescheidungen den größten Teil des Kerngeschäfts aus. So in etwa musste man sich den Naturzustand vorstellen, bevor Hobbes’ Leviathan sein Haupt erhoben hatte. Als der Aachener Landgerichtspräsident den Versuch unternahm, seinem Vorgesetzten von diesen apokalyptischen Zuständen zu berichten, da überkam ihn eine dramatische Wallung: «Mein und Dein wird nicht mehr auseinandergehalten. Stehlen ist nicht mehr Diebstahl, sondern Organisieren. Alles schiebt, alles rafft, alles übervorteilt. Habgier, Lieblosigkeit, Hartherzigkeit, das sind Eigenschaften, die sich überall frech in den Vordergrund drängen. Eltern verweigern ihren Kindern ein Obdach. Kinder sperren ihre alten Eltern aus. Der Mensch ist entfesselt.»15

Die Entreichlichung der Justiz Die Entreichlichung der Justiz

In gewisser Weise war auch das Recht entfesselt. Die Zeit hatte dem Raum die politische Ordnung genommen, ohne ihm dafür eine neue einzuschreiben. Die alten Spitzen waren weg. Das Reichsgericht wurde am 8. Oktober 1945 binnen weniger Minuten geschlossen und zur Abwicklung freigegeben. Seine Richter kamen in Haft, aus der fast keiner lebend zurückkehrte; was an Inventar wertvoll erschien, wurde der Verwaltung einer «Kommission zur Bewahrung der Sachwerte des Reichsgerichts» unterstellt.16 Auch das Reichsjustizministerium, auf unzählige Ausweichquartiere verstreut, hatte sich aufgelöst. In winzigen Amtsgerichten auf dem platten Land stöberte die Justizverwaltung der sowjetischen Zone nun Möbel, Inventar, die Bibliothek und gelegentlich kompromit-

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tierende Akten auf; Thieracks Schreibtisch stand, arg ramponiert, in einem Gasthof in Mittenwalde.17 Den Großteil der Akten  – rund 25 000 Personal- und 3000 Generalakten  – entdeckten die USAmerikaner im thüringischen Ichtershausen und brachten sie umgehend nach Hessen in eines ihrer Ministerial Collecting Centers, wo sie von unterdessen verhafteten Ministerialbeamten verwaltet wurden.18 Die zehn Jahre zuvor mit großem Pomp verreichlichte Justiz wurde nun in rasender Geschwindigkeit kommunalisiert. Bereits in seiner Ersten Proklamation vom September 1944 hatte Eisenhower angeordnet, alle Gerichte und alle Schulen zu schließen, die übrigen Beamten jedoch wurden ausdrücklich dazu aufgefordert, in ihre Amtsstuben zurückzukehren und dort Dienst zu tun. Das war ein schwerer Schlag für die juristische Empfindsamkeit: Die Rechtspflege war degradiert zum ideologisch kontaminierten Volksbildungsprojekt, auf einer Stufe mit Volksschulen und anderen Erziehungsanstalten. Nicht einmal eine gemeinsame Urteilsformel gab es mehr. «Im Namen des Deutschen Volkes», so hatte man seit dem Übergang der Rechtspflege auf das Reich die Urteile eingeleitet, aber die Alliierten wollten von einer deutschen Justiz nichts mehr wissen und gaben vor, nunmehr «Im Namen des Volkes», «Im Namen des Gesetzes» oder «Im Namen des Rechts» zu sprechen.19 Wer nun dieses Recht sprach, das hing ganz von den Zufälligkeiten vor Ort ab, von den Vorstellungen der Militärregierung, der Initiative der Eingesessenen und den Reserven an Personal, Gebäuden und Inventar. Zwischen der amerikanischen und der sowjetischen Besatzungsmacht scheint sich eine Art Wettlauf – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven  – entsponnen zu haben, unter wessen Herrschaft die Gerichte am raschesten wieder einsatzfähig sein würden. Im Falle der Russen, deren Militäradministration überhaupt erst Anfang Juni 1945 geschaffen wurde, war es wohl eher Planlosigkeit, die der lokalen Initiative erstaunliche Handlungsspielräume überließ, bei den Amerikanern lag umgekehrt eine

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Planübererfüllung vor: Nicht nur wurde der Aufbau der Justiz – wie von ihnen angekündigt – «as soon as possible» in Angriff genommen,20 sondern man konnte vor allem auf diese Weise auch in den Gebieten, deren spätere Übergabe an die Rote Armee im Raum stand, vollendete Tatsachen schaffen. Kopflosigkeit und ideologischer Übereifer in der Sowjetischen Besatzungszone sorgten dort bald für ein verwirrendes Nebeneinander von alten und neuen Gerichtsinstitutionen. Überall schossen Bezirks-, Stadt- und Kreisgerichte aus dem Boden, die ihren Platz neben selbsternannten Volksgerichten, Dorfgerichten, Friedensgerichten, aber auch neben fortbestehenden Amts- und Landgerichten beanspruchten. Im Strafrecht reichte die Strafgewalt von der einfachen Geld- bis hin zur Todesstrafe; um die Ehesachen, die im Zivilrecht zum praktisch ausschließlichen Beschäftigungsfeld geworden waren, stritten sich nun Bezirks-, Stadt- und Amtsgerichte. Güstrow bekam eine eigene «Gerichtsverfassung für die Stadt und den Landkreis Güstrow», die altes und neues System zu einer merkwürdigen Synthese führte, indem sie ein Kreisgericht und darunter fünf Amtsgerichte einsetzte.21 Stralsund, wo man in dieser Hinsicht besonders rührig war, erhielt neue Verfahrensordnungen für Strafsachen, Jugendsachen, Ehesachen, ein «Volkstribunal» für besonders schwere Delikte und schließlich noch einen «Polizeirichter» für leichte Vergehen, während in Weimar einem neuen «Polizeigericht» hauptsächlich Plünderungen vorgesetzt wurden. Im sächsischen Zittau ersetzte ein «Volksgericht» das alte Amtsgericht, um Beschlagnahmen und Plünderungen zu klären, wohingegen Zivilsachen bei einem neu eingesetzten «Friedensrichter» anzumelden waren. In Görlitz verschwand das Amtsgericht in einem neuen «Rechtsamt», dessen Zuständigkeiten freilich sehr eingeschränkt waren, weil parallel noch ein Polizeigericht für die Strafrechtspflege, ein Wohnungsschiedsamt für die Beschlagnahme von Wohnungen ehemaliger Parteimitglieder und ein Mieteinigungsamt existierten. In Neustrelitz nutzte man als neue Kategorie die schlichte Bezeich-

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nung «Gericht» und erläuterte, diese Institution sui generis sei nunmehr Amtsgericht und erstinstanzliches Landgericht zugleich.22

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War das noch die alte oder schon eine neue Gerichtsverfassung? Einen Moment, in dem alle deutschen Gerichte gleichzeitig stillgestanden hätten, gab es nicht, im Gegenteil: Die Rechtspflege war im Sommer 1945 von einer Buntscheckigkeit, wie man sie zuletzt im Mittelalter gesehen hatte. Von einigen wenigen Gerichten ist überliefert, dass sie als eine Art juristische Rettungsstelle von der Universalschließung ausgenommen worden waren. Irgendwelche allgemein verbindlichen oder wenigstens nachvollziehbaren Maßstäbe scheint es dabei nicht gegeben zu haben, unter sowjetischer Verwaltung sowieso nicht, aber auch nicht in den Westzonen, wo man zumeist die angestammte deutsche Gerichtsverfassung zur Orientierung gewählt hatte. Dem Landgericht Kempten im Allgäu und den Amtsgerichten im legendären Neustadt, im brandenburgischen Perleberg, im sächsischen Burgstädt oder im sächsischen Annaberg, über die entsprechende Berichte kursieren,23 dürfte in der Nachkriegsordnung nur eine eingeschränkte strategische Bedeutung zugekommen sein. Auch das Landgericht Greifswald, das in den letzten Kriegswochen Aufnahmestätte für ein halbes Dutzend verlagerter Institutionen aus dem Osten war, scheint nahezu durchgängig gearbeitet zu haben. Am 7. Mai fand noch ein Termin in alter Besetzung statt, eine Woche später erhielten die weiterhin verwendbaren Justizangestellten eine Bescheinigung, dass sie «in dem lebenswichtigen Betrieb des Zivilgerichts» beschäftigt seien, weshalb die Rote Armee gebeten werde, sie «überall ungehindert passieren zu lassen». Spätestens am 26. Mai nahm das Gericht in neuer Gestalt seine Arbeit wieder auf;24 ob es zwischendurch überhaupt geschlossen war, geht aus den Akten nicht hervor.

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Aber auch unter den geschlossenen Institutionen waren viele, die überraschend schnell wieder ihre Dienste anbieten konnten. In Aachen, noch unter amerikanischer Verwaltung und in jeder Hinsicht ein Sonderfall, wurden bereits Ende März Gerichtsverhandlungen unter der neuen Ordnung durchgeführt.25 Am Amtsgericht Tuttlingen kam man Ende April wieder zusammen, am 12. Mai folgte die Staatsanwaltschaft Deggendorf, zwei Tage später öffneten – unter amerikanischer Besatzung – die Amtsgerichte in Plauen und in Leipzig, am Tag darauf die Gerichte in den sowjetisch verwalteten Städten Ueckermünde, Stralsund und Anklam.26 Am 16. Mai begann der Geschäftsbetrieb am Amtsgericht Köln, einen Tag danach am Amtsgericht Siegburg und noch einen Tag später am Amts- und Landgericht Zwickau, was auch deshalb bemerkenswert ist, weil man am Amtsgericht Aue, keine 30 Kilometer entfernt, ohne Besatzung geblieben war und sich deshalb noch immer der nationalsozialistischen Herrschaft verpflichtet fühlte.27 Am 22. Mai folgte das Amtsgericht Trier, am 24. das Amtsgericht Jena, und bis Monatsende kamen noch Bamberg, Holzminden und Swinemünde hinzu; Letzteres freilich nur kurz, weil Swinemünde mit Stettin bald unter polnische Verwaltung kam und das Gericht deshalb im Oktober nach Usedom verlegt wurde.28 Und schließlich dienten sich im Mai 1945 auch im einstigen Zentrum der Macht einundzwanzig Amtsgerichte dem neuen Zeitalter an: Wegen der starken Zerstörungen erhielt jeder Berliner Bezirk ein eigenes Gericht; längst vergessene Einrichtungen wie das Amtsgericht Friedenau oder das Amtsgericht Weißensee verdanken dieser Notzeit ihre kurze Blüte. Sie waren von Beginn an als Übergangslösung gedacht, erhielten dafür freilich eine unbegrenzte Zuständigkeit für sämtliche Belange, vom Mietrecht bis zum Kapitaldelikt.29 Der eigentümlichste Bericht über diese Zwischenzeit aber stammt von einem Justizoberinspektor aus einem Örtchen mit dem klangvollen Namen Wolkenstein, 30 Kilometer südöstlich von Chemnitz gelegen, in dessen imposantem Schloss ein kleines Amts-

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gericht untergebracht war. Im Juni 1945 schilderte der treue Mitarbeiter seinen neuen Vorgesetzten das Geschehen der letzten Monate: Das Gerichtsgebäude sei ohnehin gut befestigt gewesen und dazu noch einmal besonders gegen Luftangriffe geschützt worden, was ihm, dem diensthabenden Beamten, nach Ansicht aller Kenner vorbildlich gelungen sei, da er nach zweiunddreißig Jahren vor Ort «von den Handwerkern jeden Wunsch erfüllt bekam». Bombenschäden gab es deshalb nur wenige, allerdings wurde das Personal Ende Februar fast vollzählig zum Volkssturm einberufen, weshalb der Justizoberinspektor nun als last man standing vom 27. Februar bis zum 26. Mai das Gerichtsgebäude weder tags noch nachts verließ. Sein Eifer fand ein großes Publikum. Der Luftschutzkeller fasste fünfhundert Personen, Flüchtlinge benötigten Quartier, Frauen suchten Schutz. Der tüchtige Amtswalter tat, was in seiner bescheidenen Macht stand. Selbst militärische Ansinnen habe er abgeschmettert – ein letztes Verteidigungsnest der Wehrmacht, ein Lazarett der Roten Armee: «Ich habe alles abgewendet.» Der hingebungsvolle Beamte war schließlich so eng mit seiner Arbeitsstätte verwachsen, dass ihn nicht einmal die Einquartierung der Roten Armee bei seiner Ehefrau im gemeinsamen Privathaus von der Verteidigung des Dienstsitzes abbringen konnte. Er blieb im Gericht und kontrollierte jeden, der Einlass begehrte. Aber selbst über diesen Dauereinsatz als Türhüter vergaß er nicht, was seine eigentliche Berufung war, nämlich dem Recht und dessen Pflege zu dienen, und deshalb enthält sein Bericht über die monatelange Aufopferung zwischendurch die wie beiläufig hingeworfene Selbstverständlichkeit: «Der Dienstbetrieb ist keine Minute unterbrochen worden.»30

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Der Stillstand der Rechtspflege nach dem Einmarsch der Alliierten mochte also alles Mögliche sein – Zeitgenossen sprachen von «theoretisierender Begriffsspekulation», der «tiefsten, von der hitlerischen Staatsführung verschuldeten Erniedrigung des deutschen Volkes» oder einfach nur von einer «großen, monatewährenden Pause der Besinnung»31 –, ganz sicher aber markierte er nicht einen historischen Nullpunkt. Irgendwo arbeitete immer ein Gericht, manchmal noch immer und manchmal schon wieder. «Ein rationales Beamtensystem funktioniert, wenn der Feind das Gebiet besetzt, in dessen Hand unter Wechsel lediglich der obersten Spitzen tadellos weiter, weil es im Lebensinteresse aller Beteiligten, einschließlich vor allem des Feindes selbst, liegt, daß dies geschehe», hatte Max Weber in Wirtschaft und Gesellschaft prognostiziert, «die gezüchtete Eingestelltheit auf das gehorsame Sichfügen» in die bestehende Ordnung bringe «den gestörten Mechanismus sozusagen wieder zum ‹Einschnappen›».32 Auf die deutsche Richterschaft ließ sich diese Beobachtung allerdings nur teilweise übertragen. Ihr Gebaren hatte sich vor 1945 so weit von den rationalen Tugenden des 19. Jahrhunderts entfernt, dass ein gesteigertes Interesse an ihrer fortgesetzten Tätigkeit  – noch gar ein «Lebensinteresse»! –niemand so recht hatte, schon gar nicht der Feind. In ihrem Falle war es nicht die Zurichtung auf mechanischen Gehorsam, der dem neuen Zeitalter den Zutritt zu den Niederungen des Apparats verweigerte, sondern die lang geübte Unabhängigkeit. Noch vor kurzem hatten sie ergriffen der Versicherung ihres nationalsozialistischen Ministers gelauscht, ihre unmittelbare Verbindung zum Führer adele sie zu Staatsdienern sui generis.33 Der deutsche Richter durfte selbst entscheiden, wessen Befehlen er Gehör schenken wollte; Hitler hatte diese Prüfung mit Bravour bestanden. Nun aber standen neue

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Herren im Haus, Herren aber, deren Befehle die deutsche Richterschaft als Anmaßung wahrnahm. Bereits die Allgemeinen Anweisungen für Richter Nr. 1 enthielten die offene Drohung, Justizangehörige würden «auf das schwerste bestraft», sollten sie versuchen, die nationalsozialistische Weltanschauung am Leben zu erhalten. Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 steuerte die Grundsätze von Demokratie, Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit als Leitsterne des neuen Gerichtswesens bei, eine Fülle von Dienstanweisungen brachte nähere Ausdifferenzierungen. Zu wenig Unabhängigkeit schadete, das war jedem klar, aber zu viel Unabhängigkeit schadete offensichtlich noch mehr. Die spiegelbildliche Formel der Militärregierung lautete: «Maximale Kontrolle bei minimaler Einmischung».34 In regelmäßigen Berichten war Rechenschaft über die eigene Tätigkeit und die erledigten Rechtsfälle abzulegen. Die deutsche Justiz stand unter Generalverdacht: Verbrechen in den Konzentrationslagern, Kriegsverbrechen und sämtliche Streitigkeiten, bei denen ein Angehöriger der Vereinten Nationen betroffen war, lagen anfangs außerhalb der deutschen Zuständigkeit. Alle Amtsträger konnten jederzeit entlassen werden, alle Entscheidungen unterlagen alliierter Kontrolle und konnten bei Nichtgefallen aufgehoben werden  – solche Verhältnisse hatte die deutsche Justiz zuletzt im Absolutismus des 18. Jahrhunderts erlebt. Man fand sich nun plötzlich am unteren Ende einer langen Hierarchie wieder. Beamte in Uniform wurden angewiesen, die Offiziere der Militärregierung angemessen zu grüßen; immerhin gab es bei Befolgung Aussicht auf eine Erwiderung.35 Ansonsten war das Prinzip der Gegenseitigkeit aus dem Dienstweg entfernt. Die eine Seite diktierte, die andere befolgte. Überall waren Klagen über Beschlagnahmen zu hören, die ohne Rücksicht auf politische Belastungen ausgesprochen würden; selbst bei Verpflichtungen zu Aufräumarbeiten, so berichtete man empört, habe es ein Bürgermeister mit dem Segen der französischen Besatzungsmacht für irrelevant erklärt, «ob ein ehem. Pg 5 % oder 90 %ig an den heuti-

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gen Zuständen Schuld trägt».36 Dem Kammergerichtspräsidenten wurde im Februar 1946 mitgeteilt, unhöfliche Schreiben an die Militärregierung könnten in Zukunft die Absetzung der Verantwortlichen zur Folge haben.37 In Detmold kürzte die Militärverwaltung eine Liste von gut fünfzig Beamten auf ganze vier zusammen, denen es gestattet sei, die Gerichtseröffnung vorzubereiten; um auch den wenigen Erwählten jede Hoffart auszutreiben, kam kurz darauf der Befehl, von allen Dienstzimmern die Namensschilder zu entfernen,38 schließlich hatte dort noch niemand Dienst. Am Landgericht Heilbronn erhielten sämtliche Amtsgerichte des Bezirks die Anweisung, je ein eigenes Zimmer für den Vertreter der US-amerikanischen Militärregierung, Major Ritchie, einzurichten, mit einer Sekretärin, einem Schild an der Tür, «einem schönen Schreibtisch, einem guten Teppich und einigen guten Wandbildern». Die üppig ausgestatteten Räumlichkeiten, so ließen die neuen Fürsten ausrichten, werde «Herr Major Ritchie nur benützen, wenn er gelegentlich dorthin kommt».39 Das waren nun alles Störungen, die ein deutscher Rechtsarbeiter kaum geräuschlos in seine gewohnten Geschäftsabläufe einbauen konnte. Die Richter reagierten eingeschnappt. Wenn von deutscher Seite «Mißtrauen und Bevormundung» und «jede Einwirkung Unberufener auf die Rechtsprechung» zurückgewiesen wurde,40 dann war damit nicht zuletzt die Militärregierung gemeint. Im Dunstkreis des Tübinger Instituts für Besatzungsfragen war man in einer ganzen Reihe von Publikationen darum bemüht, die Parallelen zwischen der deutschen Besatzung des europäischen Auslands und der alliierten Besatzung Deutschlands herauszuarbeiten.41 Ein interner Stimmungsbericht des Oberlandesgerichts Celle hielt fest, «der tiefste Wunsch aller Deutschen» sei die «Wiederherstellung des Rechts» gewesen, nun aber müsse man laufend willkürliche Verhaftungen erleben. Die Deutschen wüssten sehr wohl zu unterscheiden zwischen Tätern und solchen, «die saubere Hände haben und nur politisch geirrt haben».42

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Neue Volksjuristen im Osten

Neue Volksjuristen im Osten Neue Volksjuristen im Osten

Die Alliierten, so ist zu ergänzen, wussten das nicht, und am wenigsten wussten das, nach kundiger Einschätzung der Beteiligten, «die Russen». Sie raubten und marodierten durch die Gerichte; wenn die Rote Armee ein Gericht beschlagnahmt hatte, fehlte in kaum einem Bericht der indignierte Hinweis, man habe nach der Rückkehr «sinnlose Zerstörungen» (gab es auch sinnvolle?) vorgefunden.43 Vor allem mit Parteimitgliedern verfuhren die Russen rigoros. Sobald im Geschäftsverteilungsplan zu einem Richter der Hinweis «an der Wahrnehmung der Dienstgeschäfte z. Zt. behindert» auftauchte,44 dann konnte man ahnen, was die Stunde geschlagen hatte. Ob es Ersatz gab oder nicht, war dabei gleichgültig. In Pasewalk wurde der Richter seines Amtes enthoben und durch einen Oberstudienrat ersetzt, in Ueckermünde fungierte ein kaufmännischer Angestellter als Richter und ein Gastwirt als Staatsanwalt.45 Der berüchtigte Befehl Nr. 49, Anfang September 1945 oft hektisch am Telefon oder per Telegramm verbreitet, machte daraus ein Programm. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) verlangte darin die Entlassung aller NSDAP-Parteimitglieder bis zum 1. Oktober.46 Damit waren auf einen Schlag vier Fünftel aller Richter aus dem Amt entfernt. Ernst Melsheimer paraphrasierte die sowjetische Politik mit der unmissverständlichen Gleichung, man nehme «eher ein Justitium in Kauf als die Wiedereinstellung der Pg.’s».47 Nicht überall wurde der Befehl mit der gleichen Stringenz durchgeführt, vor allem in Sachsen versuchte man, auch belastete Richter noch im Amt zu halten. Aber an kleinen Amtsgerichten, wo oft nur ein oder zwei Richter arbeiteten, konnte es durchaus passieren, dass alle Richter zugleich entlassen wurden und vom Gericht nur noch eine leere Hülle übrig blieb.48 Im Landgerichtsbezirk Freiberg musste ein Richter drei Amts-

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gerichte bedienen, in Oederan oblag das Strafrecht einem achtzigjährigen Amtsträger, dem die eigenen Vorgesetzten bescheinigten, er sei schwerhörig und vergesslich.49 Andernorts wurden immer wieder Termine wegen Engpässen beim Personal aufgehoben;50 in Thüringen gab es noch bis Mitte 1948 eine gesetzliche Grundlage, um Zivilsachen wegen Richtermangels zurückzustellen, wovon in der Folge tatsächlich großflächig Gebrauch gemacht wurde.51 Den ehemaligen Parteigenossen öffnete die neue Rechtsordnung nur noch winzige Nischen; in Sachsen etwa erklärte man sich bereit, unauffällig gebliebene Parteimitglieder als Rechtsanwälte zuzulassen, sofern ortsweise ein Bedürfnis dafür bestehe; sie seien dann «vorzugsweise zur unentgeltlichen Rechtsberatung der minderbemittelten Volkskreise» heranzuziehen.52 Im Justizdienst dagegen blieb kaum einer – mit gravierenden Folgen. Ende 1946 waren noch immer fast 40 Prozent der Richterstellen unbesetzt, und selbst auf diesen mickrigen Wert kam man nur deshalb, weil man den Gesamtbedarf nach der Kapitulation um ein Drittel gekürzt hatte.53 Der Verzicht auf die alten Volljuristen war zugleich ein Votum für den Volksjuristen. Die Volksrichter, die ab August 1946 in den Justizdienst kamen, um die durch die Entnazifizierung gerissenen Lücken zu füllen und die ideologischen Bedürfnisse der Justizverwaltung zu befriedigen, waren insoweit nur das sichtbarste Indiz einer breiteren Entwicklung. «Keine Kluft mehr zwischen Volk und Recht!», ließ sich Eugen Schiffer, der honorige Direktor der noch neuen Deutschen Zentralverwaltung der Justiz, im September 1945 programmatisch zitieren, neben den Anforderungen der Wirtschaft müsse man auch «den seelischen Bedürfnissen des Volkes» genügen.54 «Volksnahe Justiz ist das Gebot der Stunde», hieß es in Thüringen, und die sächsische Justizverwaltung verlangte, gerichtliche Beschlüsse seien «kurz, klar, allgemein verständlich und volkstümlich» zu verfassen.55 Der neue Richter war antifaschis-

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tisch, demokratisch, lebensfreundlich, voll gestalterischer Kraft und politischem – gerne auch parteipolitischem – Tatendrang: In Greifswald gab man bekannt, sämtliche Richter seien «zuverlässige Demokraten», der NSDAP habe niemand angehört, alle Richter seien Mitglieder von CDU oder SPD und in der Gewerkschaft aktiv, auch das übrige Personal sei «durchweg politisch organisiert»;56 in Thüringen bilanzierte man 1950 zufrieden, die Zahl der Parteilosen sei «erheblich zurückgegangen» und betrage nur noch gut 15 Prozent.57 Als man im Osten zum Jahresbeginn 1946 offiziell zur Gerichtsverfassung von 1877 zurückkehrte  – oft genauso überstürzt, wie zuvor der Befehl Nr. 49 durchgegeben worden war –, da hatte man bereits eine Welt geschaffen, die im Westen wie die Götterdämmerung der bürgerlichen Gesellschaft erschien. Die in der SBZ mit Aplomb verkündete Devise, lieber habe man gar kein Recht als das Nazi-Recht, ließ sich leicht zum Untergangsszenario ausbauen; über das ungebildete Gewimmel von «Richtern im Soforteinsatz», «Richtern im Ehrendienst» und «Volksrichtern» wusste man in den westlichen Besatzungszonen zwar nur wenig, konnte jedoch mit Bestimmtheit sagen, dass sie eines nicht waren, nämlich Volljuristen im Sinne der hergebrachten Gerichtsverfassung. Die Nachrichten über dieses neue Heer von Rechtsarbeitern waren abschreckend, aber produktiv; wenig dürfte die justizpolitische Restauration im Westen so befeuert haben wie das Labor der wilden Experimente, das es im Osten zu bestaunen gab. Der politische Richter, den man dort unter den Stichwörtern Volksnähe und Demokratie propagierte, wurde im Westen zum roten Wiedergänger von Freislers Volksrichtern stilisiert, «Kader» empfand man lediglich als ein schneidigeres Wort für «Gefolgschaftsmitglied». Parteizugehörigkeiten oder gewerkschaftliches Engagement des Justizpersonals waren im Westen deshalb entweder verpönt oder gleich ganz verboten; das Problem wurde nicht in der falschen Politisierung gesehen, sondern in der Politisierung überhaupt. Die

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Oberlandesgerichtspräsidenten der britischen Zone tauschten sich schon auf ihrer ersten Tagung im September 1945, bebend vor Zorn, über einen «Maurergesellen» aus, der in Greifswald Landgerichtspräsident geworden sei – eine freie Erfindung, der Betroffene verfügte tatsächlich über eine jahrzehntelange Erfahrung als Rechtsanwalt und Notar.58 Eine im Westen sicherlich konsensfähige weltpolitische Einschätzung äußerte der Aachener Landgerichtspräsident, als er seinen Vorgesetzten – wohlgemerkt in einem Bericht über die Lage im eigenen Bezirk – wissen ließ: «Im Osten Deutschlands erleben wir eine Entwicklung, die sich in manchen Dingen noch elementarer vollzieht als die durch den Zusammenbruch überwundene.»59

Altgediente Volljuristen im Westen Altgediente Volljuristen im Westen

Besser alte als bolschewistische Beamte: Tertium non datur. Während die Ruinen noch rauchten, machte die Justizverwaltung im Westen die Militärregierung bereits damit vertraut, dass angesichts eines Anteils von 80 bis 85 Prozent unter den Justizjuristen ehemalige Angehörige der NSDAP für den Wiederaufbau unverzichtbar seien.60 Die Statistik sprach für dieses nüchterne Kalkül. 1946 gab es im Landgerichtsbezirk Koblenz für 33 Amtsgerichte 12 Richter, in Bremen waren 6 von 44 Planstellen besetzt, im ganzen Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf 136 von 548.61 In Tübingen prasselten auf zwei Staatsanwälte 4300 Strafanzeigen nieder;62 in Aachen teilten sich zwei Amtswalter 5485 Strafanzeigen, in Bonn waren es drei für 9663.63 Die Evidenz solcher Zahlenreihen verhalf dem Attribut «nominell» zu einer nie wieder erreichten Konjunktur. Nur bei besonders hohen Justizämtern – Präsident von Landgericht oder Oberlandesgericht, Oberstaatsanwalt und Generalstaatsanwalt – war die ehemalige Parteimitgliedschaft ein Entlassungsgrund, bei allen ande-

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ren Justizjuristen musste ein besonderes Engagement in NSDAP, SA oder SS hinzukommen.64 Auf der einfachen Arbeitsebene waren Parteimitglieder deshalb grundsätzlich hoffähig, darin lag der große Unterschied zwischen Kontrollratsgesetz Nr. 4, das ein Berufsverbot von einer «aktiven Tätigkeit» in der NSDAP abhängig machte, und dem nur wenige Wochen zuvor ergangenen sowjetischen Befehl Nr. 49, nach dem die Mitgliedschaft an sich schon ausreichte. Da im Westen als oberste Instanzen nur noch die Oberlandesgerichtspräsidenten vorhanden waren, diese sich aber lange Zeit nicht koordinieren konnten und vielleicht zunächst auch gar nicht wollten, gab es vor Ort durchaus Unterschiede. Die Tendenz ist gleichwohl eindeutig: Neben dem «Nicht-PG-Richter» tauchte bald der «unbelastete PG-Richter» auf,65 der typische Sonderrichter wurde vom bloß «nominellen» Sonderrichter unterschieden,66 und um alle Kriterien zu verwischen, machte man schließlich neben dem nominellen Parteimitglied auch noch das nominelle NichtParteimitglied aus. Viele Richter seien nur deshalb nicht in die Partei eingetreten, echauffierte man sich schon im Sommer 1945 in der britischen Zone, «weil sie entweder zu alt gewesen wären, einer Loge angehört hätten, oder aus allgemeiner Interessenlosigkeit».67 Der Landgerichtspräsident von Bonn erweiterte diese niedrigen Beweggründe um «Nichtannahme eines Aufnahmeantrages,  … Freimaurerei, jüdische Versippung» und gab der Militärregierung die deutliche Warnung mit, «ein nicht Pg» sei «noch lange nicht ein charaktervoller Mensch».68 Die ursprünglichen Pläne der Alliierten, so es sie denn gab, wurden in der Praxis deshalb bald mehr oder weniger stillschweigend kassiert. Selbst die berüchtigte 50-Prozent-Regel der britischen Zone, die für jeden unbelasteten Richter einen belasteten ins Amt ließ, erhielt noch einen kräftigen Subventionsschub: Jüngere Beamte, Frontsoldaten und Mitarbeiter der Justizverwaltung wurden in die Rechnung gar nicht erst aufgenommen.69 Sogar nach dieser politisierten Mathematik blieben noch riesige Lücken. Man

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rekrutierte Referendare, Rentner, Schöffen, Anwälte und – weniger gern  – rechtskundige Flüchtlinge aus dem Osten. Dazu ließ sich die Militärregierung Ende 1945 auf die Maßgabe ein, wer abgelehnt worden sei, der solle nicht «all zu bald wieder in Vorschlag» gebracht werden, woraus der Oberlandesgerichtspräsident von Celle inoffiziell eine Art Anstandsfrist konstruierte, wenn er neben dem Protokoll den handschriftlichen Zusatz anbrachte, auf zurückgewiesene Kandidaten könne man «nach 4–5 Monaten» wieder zurückgreifen.70 Der Staat war ewig, und deshalb waren auch die Staatsdiener ewig, und noch ewiger waren sie, wenn sie zugleich der Rechtsidee dienten, die dem Spiel irdischer Verwerfungen, richtig verstanden, ohnehin entzogen blieb. Der schiere Zeitablauf würde noch jeden überzeugten Nazi zur bloß nominellen Größe schrumpfen. Damit war die Matrix entworfen. Die Institutionen mussten gelegentlich daran erinnern, dass man auf die Expertise der suspendierten Beamten nicht verzichten könne, damit der Apparat im Weber’schen Sinne irgendwann wieder ordentlich einschnappen könne. Die betroffenen Richter schoben das Nominelle – Druck, Anpassung, Karriere, Vorsicht – in den Vordergrund und spielten die innere Bindung zu dem nun geächteten Regime herunter. Ab Mitte 1946, so schildern es die meisten Berichterstatter, begann sich die Personalsituation zu entspannen, die alten Amtswalter kehrten nach und nach zurück. Versetzungen, Abordnungen, Karrieresprünge und Zurückstellungen hatten dem Apparat insgesamt eine neue Konfiguration gegeben. Aber die Bestandteile waren überwiegend dieselben geblieben: Von den 9000 Justizjuristen, die Anfang der 1950er-Jahre Dienst taten, waren immerhin zwei Drittel schon vor 1945 im Einsatz gewesen. Der Düsseldorfer Oberlandesgerichtspräsident resümierte 1948 trocken: «Nach dem personellen Wiederaufbau der Justiz besteht der Kern der Beamtenschaft des Bezirks naturgemäß aus Personen, die ihr auch schon vor dem Zusammenbruch angehört haben.»71

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Und deshalb rückte auch die gute alte Beamtenpflicht wieder an den Platz, der für sie im Gefüge der Justiz vorgesehen war. So wie sie die Justiz durch den Krieg getragen hatte, so half sie ihr auch beim Wiederaufbau. Noch immer war der einzelne Amtswalter «mit seiner ganzen materiellen und ideellen Existenz an seine Tätigkeit gekettet», wie Max Weber analysiert hatte.72 In nachgerade idealtypischer Bestätigung dieser Beobachtung attestierte Wilhelm Kesseböhmer, der Generalstaatsanwalt von Hamm, seinen Kollegen, sie seien «innerlich mit dem alten Arbeitsplatz auf das engste verbunden» und hätten deshalb schon unmittelbar nach der Kapitulation ihre Pflicht darin gesehen, «ihren Arbeitsplatz in körperlicher Arbeit für die demnächstige Wiederaufnahme des Dienstbetriebes» wiederherzurichten.73 Beamtendisziplin und Beamtengewohnheit, der Glaube an eine höhere Sachlichkeit des Apparates und der Wunsch, das eigene Individuum in einer unpersönlichen Pflichterfüllung aufgehen zu lassen, waren auch für die Justiz nach 1945 die tragenden Säulen. Der Erfolg der Aufbauarbeit sei der «Pflichttreue und dem restlosen Einsatz» der Justizangestellten zu verdanken, hielt man ehrerbietig in Nordrhein-Westfalen fest, um das etwas lahme Lob folgen zu lassen, die Beamten seien sich «ihrer Pflichten bewußt» gewesen und hätten «Außerordentliches geleistet»;74 in Württemberg-Hohenzollern bescheinigte man den Richtern, sie hätten in «stiller, entsagungsvoller Pflichterfüllung» Rechtsfragen bewältigt, wie sie «in dieser Häufigkeit und Schwierigkeit wohl noch kaum einer Juristengeneration auferlegt worden» seien.75 Das Wort vom «stummen Heldentum» machte die Runde; «die Gemeinschaft behauptete sich, getragen von einem selbstlosen, schweigenden Heldentum der Tat, mit dem jeder an seiner Stelle ohne Hoffnung auf Lohn oder Dank seine Pflicht erfüllte», schwärmte ein Zeitgenosse sichtlich gerührt, es gebe «eine Großtat aller Stände des deutschen Volkes» zu würdigen, «eine selbstverständliche Pflichterfüllung im kantischen Sinne», kurzum: «ein Wunder».76

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Aber leider war es wie so oft in der Geschichte der philosophischen Praxis: Sobald Kant auf die Wirklichkeit traf, wurde es ganz unkantisch banal. Die Pflicht, um die es hier ging, erschloss nicht die Weiten des bestirnten Himmels, sondern den gewohnten Dienstweg. In erster Linie war der störungsfreie Weg zum eigenen Vorgesetzten wiederherzustellen. Die Lyrik des kategorischen Imperativs zerfiel in bürokratische Prosa. In Kleve baute der Landgerichtspräsident ein vollkommen zerstörtes Gericht in einer vollkommen zerstörten Stadt wieder auf. Sein Bericht, literarisch dem Genre des Sitzungsprotokolls treu ergeben, reihte kommentarlos Schwierigkeiten und deren Überwindung aneinander  – «Herstellung der erforderlichen Räume … entscheidend. … Am 12. 4. 1946 waren 8 Räume bezugsfertig» –, ohne wenigstens mit einem Wort darauf einzugehen, wie irgendeine dieser Heldentaten vollbracht wurde. Der Höhepunkt des Rückblicks war die Eröffnungsfeier, in der zwölf Monate entsagungsvoller Pflichterfüllung ihren krönenden Abschluss gefunden hatten: «Als Gäste waren u. a. geladen … Kurze Ansprachen hielten … Im Anschluß an die Eröffnung fand ein Festessen auf der Gartenterrasse des Restaurants Kock in der Tiergartenstraße statt. Man saß auf Gartenstühlen an Gartentischen. Es gab Erbsensuppe mit Speck. Dazu hatte Oberlandesgerichtspräsident Lingemann einige Flaschen Wein gestiftet.»77 Was will man mehr? An Gartentischen sitzt es sich gut auf Gartenstühlen. Das Fest blieb maßvoll, würdige Reden unterstrichen die Bedeutung des Anlasses, die Lokalprominenz aus Justiz, Politik und Gesellschaft erfreute sich an einem bodenständigen Imbiss in gediegenem Umfeld: Der juristische Wirklichkeitssinn war wiederhergestellt.

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Recycling

Recycling Recycling

Und mit diesem restaurierten Sinn für die Realität ließ sich auch leicht erkennen, dass das Nichts, um das die Berichte über den Neubeginn kreisten, tatsächlich einen langen Schatten warf. Recht kommt niemals aus dem Nichts, weder buchstäblich noch gleichsam noch fast. Alles Recht knüpft an eine Vorgeschichte an, an die Sozialisation des Personals, an die Gepflogenheiten der Form, an geläufige Medien, Autoritäten und Argumente. Anfang und Ende waren deshalb untrennbar miteinander verwoben, das Chaos durchzogen die Schlieren der untergegangenen Welt. Nicht überall war der juristische Möglichkeitsraum von Gartenmöbeln und Erbsensuppe begrenzt. Aber grenzenlos war er nirgendwo. In Bautzen hatte der Krieg Stadt und Gericht so schwer versehrt wie in Kleve, auf Befehl der Russen durfte der eben ernannte Gerichtsvorstand jedoch nur das Gefängnis wieder aufbauen, das die Militärregierung beschlagnahmt hatte. Dort waren hauptsächlich Fenster zu reparieren. Weil es neues Glas nicht gab, nahm man altes. «Zur Ausbesserung der zerschlagenen Fensterscheiben», beschrieb der Amtswalter sein Engagement, «wurden die in größerer Anzahl vorhandenen Hitlerbilder entrahmt und das gewonnene Glas zum Einziehen verwendet.»78 Der Systemumbruch erzwang einen Perspektivwechsel ganz eigener Art. Durch die Gläser, durch die eben noch der Führer mit strengem Blick auf die Verwalter seines immer kleiner werdenden Reiches geschaut hatte, starrten nun die Gefangenen der Besatzungsmacht in den grauen Alltag der Nachkriegszeit. So klaubten die Rechtsarbeiter aus den Trümmerhaufen die Bauteile für die neue Rechtsordnung zusammen. Aktenzeichen, Registraturen, Urkundenrollen liefen dort weiter, wo sie am Ende der tausend Jahre stehen geblieben waren, und vermutlich mussten sie das sogar, wollte man nicht die bürokratische Übersichtlichkeit einer wohlfeilen politischen Symbolik zum Opfer bringen. Das

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Papier war ebenfalls das alte geblieben. Alles, was Buchstaben tragen konnte, wurde beschrieben, Notizzettel, Lohnabrechnungen, Personallisten, Grundbuchseiten, Kostenaufstellungen, Inventurlisten: Die Abfälle der alten wurden zur Grundlage der neuen Justizverwaltung. Die Hakenkreuze waren überall. Sie mussten eigenhändig entfernt, aus den Roben herausgetrennt, von den Siegeln abgekratzt, in den Formularen überklebt werden. Auch der braune Habitus, zwölf Jahre sorgsam gepflegt, brach immer wieder hervor. Schon der Sprachgebrauch war nur schwer zu korrigieren. In Zittau kritisierte die KPD im September 1945 die – relativ milde – Strafe für eine Nazifamilie und ließ öffentlich plakatieren, das Urteil widerspreche «dem gesunden Volksempfinden». Der Aachener Landgerichtspräsident bescheinigte seinen Gerichtseingesessenen 1946 «seelische Entartungserscheinungen», der neue Generalstaatsanwalt von Celle träumte anlässlich der Wiedereröffnung seiner Behörde von der Wiederherstellung eines Berufsethos, «wie es früher den deutschen Rechtswahrer ausgezeichnet hat», der Landgerichtspräsident von Görlitz sah in der flächendeckenden Scheidung übereilt geschlossener Kriegsehen eine im Prinzip nicht unerwünschte «Bereinigung des Volkskörpers». In Freiburg schrieb ein Anwalt in alter Gewohnheit und allseits unkommentiert ans Amtsgericht, seine Mandantin sei «bei dem Terrorangriff vom 27. 11. 44 gefallen». In Stuttgart ließ man 1946 eine Statistik erarbeiten, die belegte, dass die Kriminalität unter Polen sehr viel größer sei als unter Deutschen, was freilich, wie man rechtsstaatlich sensibilisiert konzedierte, auch Gründe habe, «die den noch hier befindlichen Polen nicht im allgemeinen zur Schuld gereichen». Aber ob Zwangsarbeit oder Zivilarbeit: das kriminologische Problem blieb dasselbe.79 Auch von den Rechtsakten, die das Dritte Reich in riesiger Zahl hinterlassen hatte, war ipso iure keiner erledigt. Gesetze und Verordnungen galten zunächst einmal weiter. Die Rückkehr ins Jahr 1933 war aus praktischen Gründen ausgeschlossen, ein solcher

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Schnitt hätte mit allen Gesetzen auch alle Verträge, Eheschließungen oder Steuerbescheide aufgehoben. Von den notorischen NSGesetzen hoben die Alliierten noch 1945 gut zwei Dutzend auf; der große Rest verschwand hinter der Generalklausel von «Demokratie, Zivilisation und Gerechtigkeit»,80 von der die juristische Kreativität freilich eher beflügelt als beschränkt wurde. Ob die Anwendung einer Norm vom Rechtsstaat verlangt oder verboten wurde, ließ sich subsumptionsfähig kaum einmal angeben, dazu kam die vollständige Verwirrung zwischen den Zonen und Bezirken. Was eigentlich «nationalsozialistisch» war, wollte niemand mehr so recht wissen. Man diskutierte genauso ernsthaft über das staatliche Sterilisationsprogramm, das Heimtückegesetz und das 1938 reformierte Eherecht wie über die Frage, ob die Abschaffung der Gerichtsferien im Jahre 1935 ideologisch unverfänglich war. Selbst in Sachsen, wo man mit feierlichem Gestus verkündete, mit der Kapitulation sei die gesamte Staatsgewalt und – unterstrichen – «auch das gesamte Recht» erloschen, überbrückte man das selbst geschaffene Vakuum umgehend mit einer Universalanalogie, die dem angeblich erloschenen Recht dann doch wieder zur Geltung verhalf, jetzt eben nicht mehr auf direktem Wege, sondern in «entsprechender Anwendung».81 In der französischen Zone kam man mit der Behauptung, alle auf das Ermächtigungsgesetz gestützten Rechtsakte seien zwar nichtig, hätten sich im Laufe der zwölf Jahre aber den Rang von Gewohnheitsrecht erstritten, zum selben Ergebnis.82

Rechtshängigkeit: Die Last der Altfälle Damit war auch das Urteil über den Bodensatz des Rechts gesprochen. Das Gros der Verwaltungsakte, Strafbefehle und Zivilprozesse, individuell beantragt und individuell zugeschnitten, war von der großen Politik unberührt geblieben. Was einmal

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im Recht angekommen war, verschwand von dort nicht einfach wieder. Sobald ein Gericht im Strafrecht die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen (§ 207 StPO) oder im Zivilrecht die Klage zugestellt hatte (§§ 253, 263 ZPO), konnte die Sache nicht mehr spurlos getilgt werden. Der Streit hing dann im Archiv des Rechts – eine Metaphorik, die ursprünglich nur den Schwebezustand vor der juristischen Entscheidung bezeichnet hatte, in der frühen Neuzeit aber eine tatsächliche Gepflogenheit widergespiegelt haben soll: Man hing die Akten beim Gericht unter die Decke, um sie dort vor Mäusefraß in Sicherheit zu bringen.83 Deshalb war es ganz folgerichtig, dass nur dasjenige Gericht über eine Sache entscheiden konnte, bei dem diese anhängig gemacht worden war, schließlich hingen nur dort die Akten. Daran hatte sich nichts geändert, auch wenn es jetzt nicht die Mäuse, sondern die Zeitläufte waren, die am Recht genagt hatten. Die Rechtshängigkeit bewahrte die Verfahren davor, von den Widrigkeiten der Welt aufgefressen zu werden. Ein erheblicher Teil der Aufbauarbeit bestand deshalb in der Beendigung der Altfälle. Der Alltag des Rechts kam wieder hervorgekrochen und stellte sich seiner weiteren juristischen Behandlung, im Strafrecht zügig, weil die Alliierten insoweit eine eindeutige Priorität vorgegeben hatten, im Zivilrecht etwas verzögert, weil der Personalmangel dort voll durchschlug. Über den Neubeginn in Hamm schrieb Wilhelm Kesseböhmer: «Es harrte die Fülle der in den letzten Kriegsmonaten und der Bombenzeit liegengebliebenen und der sonst noch nicht abgeschlossenen Sachen ihrer Erledigung.»84 Am Oberlandesgericht Celle zählte der Präsident 465 offene Berufungen, am Landgericht Düsseldorf fand der neue Präsident über 1000 unerledigte Ehescheidungen und fast 300 anhängige Berufungen vor, als er sein Amt antrat, auf die Rechtsarbeiter in Chemnitz warteten mehr als 600 Ehescheidungen und über 1000 Strafsachen.85 Vor allen Heimsuchungen bot natürlich auch die Rechtshängigkeit keinen Schutz. Im Strafrecht bedurfte es teils erheblicher Ein-

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griffe  – das Rückwirkungsverbot war restauriert, Volksschädlinge gab es nicht mehr, Sondergerichte und Volksgerichtshof waren ebenfalls abgeschafft.86 Der staatliche Strafanspruch aber war unversehrt. Die Urteile, die von den verschwundenen Institutionen oder unter Anwendung der inkriminierten Gesetze gefällt worden waren, hatten ihre Rechtskraft nicht eingebüßt. Selbst in der sowjetischen Zone beschied man den Radikalvorschlag – in zielsicherem Bildbruch vorgetragen  –, «einen Strich durch diese alten Sachen ziehen», abschlägig: Nicht nur würde eine Generalamnestie vielen Nazis zugutekommen, so Ernst Melsheimer zur Begründung, vor allem gebiete in zahlreichen Fällen «ein wesentliches moralisches Interesse» die Fortsetzung der alten Strafverfahren.87 Eine automatische gesetzliche Aufhebung besonders anstößiger Urteile  – wegen Heimtücke, Rassenschande, Wehrkraftzersetzung, Rundfunkverbrechen – gab es deshalb zunächst nur in der amerikanischen, ab Mitte 1947 auch in der britischen Zone. Im Übrigen setzte man auf die heilende Wirkung des Rechtswegs: Der Betroffene stellte einen Antrag, ein Gericht überprüfte eventuelle politische Härten, die Vollstreckung wurde gegebenenfalls angepasst.88 Ein Plünderer war kein Volksschädling mehr, aber mutmaßlich noch immer ein Dieb, ein Stammkunde vor Gericht brauchte sich nicht mehr vor dem «gesunden Volksempfinden» zu fürchten, aber ein Gewohnheitsverbrecher konnte er noch immer sein. Auch wenn die verurteilenden Gerichte jetzt unter polnischer oder russischer Verwaltung standen, verlangten ihre Hinterlassenschaften noch Bearbeitung. In Bayern waren einige Häftlinge aus Pommern gestrandet, über deren Gelegenheitsdiebstähle nun das Amtsgericht München zu entscheiden hatte; man setzte die Strafen in der Regel zur Bewährung aus.89 In Hamburg hatte man über einen Postangestellten zu befinden, den das Deutsche Gericht in Warschau 1943 wegen Diebstahls von Feldpost zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt hatte, das Landgericht reduzierte die Strafe nach mehreren Haftunterbrechungen 1948 lediglich um ein Jahr:

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Immerhin müsse man berücksichtigen, «daß Feldpostdiebstähle während eines Krieges eine schwere Sühne erfordern».90 Solche Erwägungen waren häufig zu hören. Man dürfe ex post nicht vergessen, dass das Strafrecht bei allen Kulturvölkern im Krieg härter ausfalle als im Frieden. Die Kölner Generalstaatsanwaltschaft beklagte, die in der Nachkriegszeit verhängten Strafen seien – gerade im Vergleich mit den im Krieg ausgesprochenen  – als «äußerst milde zu bezeichnen»,91 die Brandenburgische Justizverwaltung sah sich sogar veranlasst, den Gerichten ins Gewissen zu reden, ihre Strafpraxis sei mittlerweile so nachsichtig, dass sie der Bevölkerung kaum «das nötige Gefühl für die Unantastbarkeit gewisser Rechtsgüter» vermittle.92 Wirklich geheuer war den Juristen die neue Welt noch nicht.

Rechtsfriede, endlich Rechtsfriede, endlich

So wie im Strafrecht das staatliche Privileg zu strafen die Zeiten überdauert hatte, so war im Zivilrecht die Streitlust unter den Parteien unbeschadet durch den Krieg gekommen. Zerrüttete Ehen blieben zerrüttet. Wer sich scheiden lassen wollte, konnte es häufig kaum erwarten, dass endlich wieder irgendeine Einrichtung – Stadtgericht, Amtsgericht, Kreisgericht, Landgericht – vorhanden sein würde, die sich um die Befreiung vom ehelichen Joch kümmern würde. Nur ein Beispiel: Im Pommernland hatte ein junges Paar 1943 sein Eheglück gefunden. Der Mann zog gleich danach in den Krieg, kehrte aber 1944 überraschend von der Front heim und erzählte irgendwelche Geschichten von einem angeblichen Genesungsurlaub, was ihm Anfang 1945 vom Staat ein Todesurteil wegen Fahnenflucht und von der Ehefrau eine Scheidungsklage einbrachte. Nach der Kapitulation war nur das Todesurteil aufgehoben; der Mann wurde aus der Haft entlassen. Seine Frau jedoch beharrte darauf, sie wolle möglichst rasch «von dem

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Mann befreit sein, der sie so schwer enttäuscht hat und mit dem sie niemals die Ehe fortsetzen kann und will». Sie setzte sich durch: Am 9. Oktober 1946 schied das Landgericht Greifswald die Ehe und sprach dem Mann die alleinige Schuld daran zu, da seine Lüge es der Frau unmöglich gemacht habe, «ihm weiter die dem Wesen der Ehe entsprechende Achtung entgegenzubringen».93 Den Führer durfte man retrospektiv so belügen, aber doch nicht die eigene Frau. Auch die Begleiterscheinungen solcher Prozesse hatten ihre juristische Relevanz nicht verloren. Auseinandersetzungen über Hausratsgegenstände, Entschädigungen wegen Verlöbnisbruch und Unterhaltszahlungen für uneheliche Kinder wurden auch in der neuen Ordnung, wenn möglich, weiter betrieben. Nur in der zumeist schmuddeligen Beweisführung waren einige Korrekturen vorzunehmen; insbesondere die erbbiologischen Gutachten, mit denen uneheliche Kinder ihre blutsmäßigen Bande zu einem zahlungsunwilligen Vater belegen wollten, waren einige Jahre lang diskreditiert und wurden erst 1952 wieder höchstrichterlich verwendet.94 Die übrigen zerrütteten Vertragsbeziehungen waren ebenfalls so zerrüttet wie zuvor. Vertrag geht vor Gesetz, das ist gute liberale Tradition, und deshalb mussten sich Kaufverträge, Werkverträge oder Mietverträge von der großen Politik nur ausnahmsweise beeindrucken lassen. Wo es um die noch ausstehende Bezahlung von Rüstungsgütern oder gar deren Abnahme ging, gelang es dem Schuldner nur ganz selten, sich hinter der Gesetzgebung der Militärregierung oder der allgemeinen Großwetterlage von Treu und Glauben zu verstecken. Zumeist galt auch hier: Vertrag ist Vertrag.95 Und wer nun seinen Mieter loswerden wollte, gab diesen Wunsch nicht einfach auf, nur weil das Land zwischenzeitlich besetzt worden war. Vor dem Amtsgericht Esslingen kämpfte eine Vermieterin seit März 1945 erbittert gegen ihren Mieter, dem sie in einer epischen Klageschrift – von einem leutseligen Anwalt einfühlsam in schwäbische Mundart übertragen  – eine ganze Serie von

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Ungeheuerlichkeiten vorwarf: «Wart’ Lumpenmensch, Dich verwisch ich noch unter 4 Augen», habe er gesagt, sie zweimal mit dem «Holzscheitle» auf den Kopf gehauen, weiter ausgeführt, ihre gehöre «eine in die Gosch hineingeschlagen», sie sei eine «Hupe [sic]», die es schon «mit jedem Kerle in der Stadt gehabt» habe, eine Anschuldigung, die in dem Schimpfwort «Regimentshure» noch einmal zusammengefasst worden sei; 1948 wurde der Hausfrieden endlich durch das ersehnte Urteil wiederhergestellt.96 Die Fülle des Lebens kehrte zurück: In Duisburg stritt man um das Bild Kürassierpatrouille, das der Beklagte 1941 erworben hatte, obwohl es auf der Rückseite den deutlich wahrnehmbaren Vermerk «unverkäuflich» trug. 1944 war man darüber vors Landgericht gezogen, 1946 bescheinigte dasselbe Gericht dem Erwerber guten Glauben und sprach ihm das Bild zu.97 In Dresden kam ein Sänger der Staatsoper im September 1945 aus russischer Gefangenschaft zurück und nahm umgehend seinen Rechtsstreit gegen eine Apotheke wieder auf, die ihm statt zwei Prozent die zehnfache Menge Zinkchlorid in ein Medikament gemischt hatte. Der Sänger hatte seine Stimme verloren, die Oper hatte ihn 1944 entlassen, womit neben einer glanzvollen Karriere – selbst der Dirigent Karl Böhm hatte die Klage mit einem günstigen Zeugnis unterstützt – auch der jährliche Bezug von astronomischen 23 000,– RM beendet war. Eine letzte Beweisaufnahme war am 20. April 1945 gescheitert, weil der Gutachter – wer will es ihm verdenken?  – geklagt hatte, es mangele an der «nötigen Sammlung und Ruhe». Freilich waren Sammlung und Ruhe auch in der Dresdener Nachkriegszeit rare Ressourcen, und so blieb die Klärung des Sachverhalts schwierig. Die Folgen der Falschbehandlung waren wohl hauptsächlich im Seelischen zu suchen, außerdem waren bei so gut wie allen Beteiligten die Akten verbrannt. So dauerte es noch drei Jahre, bis der Kläger vom Oberlandesgericht fast 44 000,– RM und die Feststellung zugesprochen bekam, dass auch allfälliger weiterer Schaden von der Beklagten zu tragen sei.98

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Rechtsfriede, endlich

In Zwickau stritten sich zwei ehemalige Hausgenossen um die Kosten für einen Umzug, deren Übernahme der Beklagte zugesagt hatte. Aber die Klägerin hatte ihren Wohnsitz Anfang 1944 für eine geradezu unverschämte Summe von 1600,– RM verlegt, vier Tage lang zwei Packer beschäftigt und auch noch alles versichern lassen. Der Beklagte wollte höchstens die Hälfte bezahlen. Eine epische Beweisaufnahme zog sich bis in den April 1945 hinein, ein Gutachten versuchte, die Angemessenheit von Packkosten und Trinkgeldern zu klären; die entscheidende Stellungnahme der «Reichsverkehrsgruppe Spedition und Lagerei» wurde vom Luftkrieg dahingerafft. Erst im September 1945 ging es weiter, dann aber so munter wie zuvor: Fuhrunternehmer traten als Zeugen auf, Handbücher informierten über übliche Transportkosten, die Post machte immer wieder Schwierigkeiten, am 16. Juni 1949 hieß es in einem die Weltgeschichte präzise spiegelnden Protokoll: «Die Anträge wie in der mündlichen Verhandlung vom 12. 7. 44 werden wegen Richterwechsels wiederholt.» Einen Richterwechsel hatte es seit 1944 ja tatsächlich gegeben, 1951 folgte dann ein Urteil zugunsten der Klägerin, ein Jahr später eine zurückgewiesene Berufung und schließlich – Rechtsfriede.99 Und warum auch nicht? «Krieg» ist kein juristisches Argument, «Friede» auch nicht. Das Recht klebt an der politischen Ordnung, an den Befehlen, Anordnungen, Verordnungen und Gesetzen, die der politische Raum aussondert, und trotzdem ist «Politik» keine zählbare Währung im juristischen Diskurs. Was in der Weltgeschichte passiert, und sei es noch so drastisch, muss erst einmal in juristisches Vokabular übersetzt werden, um in der Welt des Rechts Gehör zu finden. Herbert Ruscheweyh, Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg, brachte diese merkwürdige Gesetzmäßigkeit 1947 so zum Ausdruck: «Da die Besatzungsmacht eine Revolution nicht zuließ, mußte der deutsche Jurist folgerichtig die Kontinuität des Rechts, auch in Bezug auf den einzelnen Rechts- und Verwaltungsakt aus der vergangenen national-

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sozialistischen Epoche anerkennen.»100 Die Zeit «zwischen den Jahren» – gehört sie noch zum alten Jahr oder schon zum neuen? Mal so und mal so, und vor der Einführung des Gregorianischen Kalenders sowohl als auch. Die Erde mochte wüst und leer sein, aber die juristische Meistererzählung war noch intakt; dem Kenner bot der alte Justizsyllogismus wie gewohnt Orientierung. Prämisse: Revolution (–), Conclusio: Kontinuität (+).

§ 7.

Die Abwicklung: Der Krieg und sein langes Ende

Selbstbetrug: Das Justitium von 1945 Die Abwicklung Selbstbetrug: Das Justitium von 1945

Am 9. Mai 1945 um kurz nach acht Uhr abends verkündete die Wehrmacht das Ende ihres militärischen Kampfes. «Seit Mitternacht schweigen nun an den Fronten die Waffen», meldete ein letzter Wehrmachtsbericht, das «fast sechsjährige, ehrenhafte Ringen» sei zu Ende.1 Die bedingungslose Kapitulation, am 7. Mai frühmorgens in Reims unterschrieben, trat am 8. Mai um 23.01 in Kraft. Bis dahin war der Krieg der Fluchtpunkt allen staatlichen Handelns gewesen. Jetzt wurde der Friede zum Problem. Was der Krieg nicht geschafft hatte, erreichte erst das Kriegsende: die Rechtspflege stillzustellen. Nicht überall und schon gar nicht überall zur selben Zeit, aber dort, wo die alliierten Truppen das Land befriedet hatten, gehörte es zu ihren ersten Amtshandlungen, die Gerichte zu schließen. Der Krieg, immerhin die einzige gesetzlich geregelte Bedingung für ein Justitium, hatte nicht ausgereicht, um die Rechtspflege zum Stillstand zu bringen, sein Ende aber schon. Die juristische Welt stand Kopf. Es ließ sich nicht übersehen, dass die Dogmatik der Zivilprozessordnung für Friedenszeiten ersonnen war, zu denen die juristische Kreativität ihre Faszination für Extremfälle  – «Tod aller

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Die Abwicklung

Richter» – auch deshalb so freimütig hatte ausleben können, weil sicher war, dass diese niemals eintreten würden. Jeder wusste, dass niemals alle Richter gleichzeitig sterben. Aber keiner wusste, was nun, nach überstandener Erstarrung, zu tun war. Weil die Alliierten nicht auf einen Schlag das ganze Land besetzt hatten, ließen sich allgemeingültige Feststellungen nicht treffen. Allein für den Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe ergab eine chronologische Übersicht, dass sich das Kriegsende über mehrere Wochen hingezogen hatte, und selbst für diese Datierung mussten einzelne Gemeinden, die die Alliierten erst im Juni erreicht hatten, unberücksichtigt bleiben.2 Außerdem sagte die Besetzung einer Stadt, wie man wusste, nichts über die Besetzung des dortigen Gerichts aus, weil die Behörden oft verlegt worden waren. Wann der Stillstand begonnen und wann er geendet hatte, war also unbekannt. Literarisch: Dornröschen wusste nicht, wie lange ihr Schlaf gedauert hatte. Aufklärung darüber war nicht in Sicht. Teils wurde die übliche Verlegenheitslösung angeboten, nämlich jede Pauschalierung zurückzuweisen und stattdessen die Besonderheiten des Einzelfalles für unhintergehbar zu erklären. Das Oberlandesgericht Köln etwa, in dessen Bezirk sich zahllose Gerichtsverschiebungen abgespielt hatten, wollte zugunsten der Bevölkerung davon ausgehen, dass bereits die erste Verlegung einer Behörde ein Justitium begründet habe, wobei dann «klar» sei, dass dessen genaue Dauer nur «von Fall zu Fall» ermittelt werden könne;3 das Oberlandesgericht Hamm appellierte – wieder einmal – an die rechte Gehirnhälfte seiner Untergebenen und gab den Ratschlag, man solle bei der Prüfung einzelner Härten «nicht engherzig» verfahren.4 Diese totale Dilatorik war angesichts der totalen Niederlage allerdings selbst für hartgesottene Dogmatiker eine Zumutung. Die Justizverwaltungen schoben zwar bald Verordnungen nach, um auch jenseits des einzelnen Falles so etwas wie juristische Zeitzonen zu errichten. Im britischen Besatzungsgebiet kündigten die Oberlandesgerichtspräsidenten an, den Stillstand der Rechtspflege

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Selbstbetrug: Das Justitium von 1945

wenigstens für den eigenen Bezirk festzulegen.5 Unter den Franzosen, wo die Wiedereröffnung der Gerichte erst im Oktober begonnen hatte, erging eine zonenweite Verordnung, die den Stillstand der Rechtspflege generell auf die Zeit vom 1. April bis 20. Oktober 1945 eingrenzte,6 in der SBZ ließ der Befehl Nr. 49 der Militäradministration, in dem die Reorganisation des Gerichtswesens bis zum 1. Oktober angeordnet wurde, den Umkehrschluss zu, die Rechtspflege habe bis zum 30. September stillgestanden.7 Aber solche Konstruktionen hatten einen hohen Preis und einen geringen Nutzen. Den Stillstand der Rechtspflege administrativ festsetzen zu lassen, war überhaupt erst seit der sogenannten Schutzverordnung vom 4. Dezember 1943 möglich,8 die im Dienste des totalen Krieges eine bis dahin der Justiz überlassene Kompetenz an die Verwaltung delegiert hatte. Die Feststellungen von Anfang und Ende des Justitiums, die nach dem Einmarsch der Alliierten getroffen wurden, wiederholten diesen rechtsstaatlich vollkommen inakzeptablen Eingriff in die Autonomie der Gerichte. Gewonnen war damit eigentlich nur etwas im Hinblick auf die Berechnung der Verjährung. Nur gab es insoweit nicht viel zu holen: In sämtlichen Belangen der Verjährung galt seit 1944 ohnehin eine Universalhemmung, die man in allen Zonen bis zum Jahresende 1946 beibehielt, in den Westzonen sogar noch deutlich darüber hinaus.9 Was hier durchschimmerte, war also vor allem juristische Illusionskunst. Das Justitium antwortete auf eine Frage, die niemand gestellt hatte. Aus Furcht vor der Unvollständigkeit ihrer Welt legten die Juristen auch über das Nichts eine Karteikarte an. Und deshalb war in dieser Angelegenheit sogar vom Reichsgericht noch etwas zu hören. Am 18. April 1945 hatten die US-Amerikaner Leipzig besetzt und das Gericht  – vermeintlich vorübergehend  – geschlossen, zwei Tage darauf war Präsident Erwin Bumke durch Selbstmord aus dem Amt geschieden. Am 14. Mai war das Amtsgericht Leipzig unter der Verpflichtung auf Demokratie und Rechts-

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staatlichkeit wiedereröffnet worden.10 All das hatte man auch am Reichsgericht aufmerksam verfolgt. Am 17. Mai gab sein Präsidium, nunmehr vertreten durch Eugen Kolb, einen Vermerk zu den Akten, der sich zu der offiziellen Feststellung durchrang, «daß die Voraussetzungen des Stillstandes der Rechtspflege vorliegen».11 Auch der eigene Totenschein braucht eine Empfangsbestätigung, und bevor sich das Reichsgericht in seiner neuen Normalität einrichtete, verbarrikadierte es seine Tore mit den festen Beschlägen einer semantischen Paradoxie.

Die Verbannung des Krieges aus der Rechtsordnung Die Verbannung des Krieges aus der Rechtsordnung

Damit war der Ton gesetzt. Die Vergangenheit konnte nicht einfach ruhen, aber zugleich entwand sie sich der juristischen Erledigung. Das Recht kam auf dem Weg vom Krieg zum Frieden immer wieder gehörig ins Stottern. Mit dem Stillstand der Rechtspflege ließ sich die Zeit einfrieren, aber nur die juristische, nicht auch die Weltzeit. Nur im Märchen kriechen nach den hundert Jahren die Fliegen an den Wänden einfach weiter und brutzelt der Braten im Feuer fort. Die Rechtszeit dagegen musste sich nun in einer neuen Welt zurechtfinden. Diese neue Normalität war offensichtlich nicht mehr die alte; erforderlich waren deshalb zunächst einmal Wegmarken, Referenzpunkte, um die alte und die neue Normalität irgendwie miteinander in Beziehung setzen zu können. Mit ihren Mühen um eine geordnete Abwicklung des Krieges, so sinnlos sie im Einzelfall auch sein mochte, schufen die Juristen eine Art narrative Rahmenhandlung, die selbst die radikalste Transposition nach den Regeln der klassischen Harmonielehre rekonstruierte. Das bezog sich auf alle juristischen Arbeitsfelder. Wenn der Krieg wirklich der Vater aller Dinge war, dann gab es nun viele Dinge, die den Vater verloren hatten, die vom Weltgeist derelin-

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quiert worden waren und nun darauf warteten, von einer neuen Epoche aus ihrer herrenlosen Existenz befreit zu werden. So hatte das Kriegsende nicht nur die Gerichte in die Arbeitslosigkeit geschickt, sondern auch zahlreichen Gesetzen und Verordnungen die Raison d’être genommen. Bis 1945 waren immer wieder Gesetze und Verordnungen ergangen, die einzelne Vorschriften und Rechtsfolgen ausdrücklich «für die Dauer des Krieges» suspendiert, gelockert oder verschärft hatten, im Großen wie im Kleinen. Schon in ganz unscheinbaren Verordnungen wie der Neuregelung der Auslandskrankenversicherung oder des Liegegelds der Binnenschifffahrt12 war der Krieg dabei nicht nur eine Frage der bürokratischen Ressourcenverteilung, sondern zugleich völkischer Härtefall und völkisches Heiligtum. In anderen Vorschriften wurde das noch deutlicher. Kirchliche Feiertage wurden auf einen Sonntag verlegt, um den Arbeitseinsatz für den Endsieg zu erhöhen; Behörden konnten den zivilen Straßenverkehr untersagen, damit der letzte Kraftstoff zielgerichtet für den Krieg zum Einsatz gelangen konnte; Gefängniszeiten während des Krieges wurden bei der Vollstreckung nicht berücksichtigt.13 Manche Vorschriften sahen ihre automatische Erledigung vor, sobald der Krieg beendet wäre, andere stellten eine ausdrückliche Aufhebung in Aussicht, wieder andere äußerten sich gar nicht zu der Möglichkeit, sie könnten irgendwann einmal auf den Friedenszustand treffen. Systematische Übersichten der Justizverwaltungen zählten am Ende nicht weniger als hundertzweiundzwanzig Gesetze und Verordnungen, in denen der Krieg ausdrücklich zum Zeithorizont einer juristischen Norm erklärt worden war.14 Das erste, was aus der Rechtsordnung verbannt werden musste, war deshalb der Krieg selbst. In den Worten des Kölner Oberlandesgerichtspräsidenten: Es galt, «das im Kriege geschaffene Notrecht … durch Normalvorschriften zu ersetzen».15 Das war ein anspruchsvolles Unterfangen. Für die Rechtswelt hatten bislang lediglich die Kampfhandlungen aufgehört. Der Krieg dagegen benötigte einen Friedensvertrag, einen juristischen

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Abschluss, der sein Dasein auch in einem juristischen Sinne beendete. Die bedingungslose Kapitulation einseitig zum offiziellen Kriegsende aufzuwerten, war ohne Einverständnis der Siegermächte ausgeschlossen. Bis Sommer 1946 war hier nichts zu erwarten. Die Militärregierungen machten mehrfach deutlich, dass sie jede allgemeine Definition des Kriegsendes als Akt der staatlichen Anmaßung ablehnen würden. In der französischen Zone wurde die deutsche Justizverwaltung dazu gezwungen, ihre vorlaute Festlegung des Kriegsendes auf den 8. Mai zu revidieren und den Krieg wieder für bislang unbeendet zu erklären.16 Die britische Militärregierung ließ sich mit einer Bestätigung zitieren, der zufolge «sich seine Majestät mit Deutschland noch im Kriegszustand befindet»; jede anderslautende Praxis sei zu unterbinden, insbesondere seien sämtliche Verfahren, in denen eine richterliche Auslegung den Krieg für beendet erkläre, «niederzuschlagen oder auszusetzen».17 In der amerikanischen Zone ging man sogar noch darüber hinaus. Die Militärregierung wies selbst einen Verordnungsentwurf zurück, der bloß positiv die Fortdauer des Krieges konstatieren wollte, weil auch diese rein deklaratorische Verkündigung in die Befugnisse der Alliierten eingreife. Das Ergebnis war ein Gesetz, das «den einstweiligen Nichteintritt der an den Begriff des Kriegsendes geknüpften Rechtsfolgen» feststellte.18 Über den Krieg durfte man nichts sagen, also musste eine Beschreibung seines Schattenwurfes genügen. Freilich hatte diese rhetorische Verkrampfung fatale Folgen für die hundertzweiundzwanzig gesetzlichen Vorschriften, deren Geltung ausdrücklich an die Dauer des Kriegs geknüpft war. Dem Ausnahmezustand, für den sie gedacht waren, drohte aus staatsrechtlichen Gründen die juristische Perpetuierung. Für dieses Dilemma ersann das Differenzierungsvermögen der Rechtsarbeiter eine ganze Reihe von Auswegen, um das Kriegsende unter der Hand doch in die Deutungshoheit der Deutschen zu überführen. Im Verschollenheitsrecht war die Sache am drama-

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tischsten. Vermisste Soldaten sollten standardmäßig ein Jahr nach Kriegsende für tot erklärt werden, weshalb ein unkontrolliertes Kriegsende Tausende Kriegsgefangene in die Gefahr einer «zivilistischen Hinrichtung» gebracht hätte, wie damalige Beobachter drastisch kommentierten. Um das zu vermeiden, erließ man überall  – contra legem  – Verordnungen, die den Beginn der Jahresfrist von gesonderten Regelungen der Justizverwaltung abhängig machten, wieder also beim Schattenwurf ansetzten: Ob der Krieg noch andauerte, konnten nur andere sagen, aber ob damit im Rechtssinne Folgen verbunden waren, blieb den Juristen vorbehalten.19 Im Privatrecht half die Autonomie der Vertragspartner, im Notfall unterstützt von dem ehrwürdigen Sätzlein «falsa demonstratio non nocet». Auch die Rede vom Kriegsende war schließlich Auslegungssache, und es war ohne Weiteres denkbar, dass Vertragspartner vom «Kriegsende» gesprochen, damit aber gar nicht das «Kriegsende» gemeint hatten. Vor allem im Pachtrecht, dem der Krieg während seiner Dauer die automatische Verlängerung aller befristeten Land-Pachtverträge beschert hatte,20 erklärte man das tatsächliche Kriegsende auf diese Weise zur Frage des Einzelfalls. Die barsche Rhetorik der Alliierten blieb deshalb tatsächlich ohne rechten Widerhall. In mühevoller Kleinarbeit werkelten die deutschen Juristen an der Kompostierung des Kriegsendes. Das Oberlandesgericht Hamm stellte Ende 1945  – gegen die Anweisungen der eigenen Militärregierung – fest, in Pachtsachen sei der Krieg mit dem 8. Mai 1945 beendet. Die Pachtverordnung weise sich selbst als Maßnahme aus Anlass des «totalen Krieges» aus,21 und wenn darin vom Kriegsende die Rede sei, so wohl die Erwägung, sei damit tatsächlich das Ende des totalen Krieges gemeint, der als Propagandastreich von Goebbels aber ganz sicher keinen juristischen Schlusspunkt benötigte. Das Oberlandesgericht Celle vertrat das glatte Gegenteil: Eben weil der Krieg einen totalen Zusammenbruch hinterlassen habe, könne man sein Ende nicht einfach implizit in das Ende der Kampfhandlungen hineinlesen,

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sondern brauche einen ordentlichen Friedensvertrag.22 Das Landgericht Oldenburg ergänzte diese Ansicht um Überlegungen zur ratio legis: Die Versorgungslage habe sich seit der Kapitulation «noch erheblich verschlechtert», deshalb müssten die bestehenden Pachtverträge einstweilen unangetastet bleiben. Es desavouierte diese an sich nachvollziehbare Erwägung jedoch selbst, indem es in offenem Widerspruch zur eigenen Entscheidung darauf insistierte, das Kriegsende könne von einem Gericht gar nicht festgelegt werden, sondern erfordere eine einheitliche Regelung durch den Gesetzgeber, wofür, um den juristischen Höllenritt abzuschließen, als Begründung aber nicht die entsprechenden Direktiven der britischen Militärregierung, sondern ein Kommentar herangezogen wurde, den der damals zuständige Referent Josef Altstötter 1944 in der Deutschen Justiz veröffentlicht hatte.23 Und als die Militärregierung im September 1946 ihre rigide Haltung aufgab und der Justiz ausdrücklich das Recht zubilligte, über das Kriegsende selbst zu entscheiden, beendete auch das Oberlandesgericht Hamm seinen Sonderweg und erklärte nunmehr mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage, der Krieg sei doch noch nicht beendet.24 Dem totalen Krieg folgte also die totale Fragmentierung des Kriegsendes. Der Krieg war im völkerrechtlichen Sinne ein anderer als der im gesetzlichen Sinne, und dieser war wiederum verschieden vom Krieg im Vertragsrecht, in allen denkbaren Varianten. Die Rede von der Einheit der Rechtsordnung, eine zu allen Zeiten beliebte juristische Allzweckwaffe, wurde von Telos und Parteiwillen, zwei noch beliebteren Allzweckwaffen, zum Verstummen gebracht. Das Oberlandesgericht Köln wurde in dieser Frage vollends zum Hort des Dezisionismus. In einem Urteil vom 8. Juli 1948 schrieb es einleitend, es gebe «keinen einheitlichen Begriff ‹Kriegsende›», stattdessen seien die im Einzelfall maßgeblichen Umstände durch Auslegung zu ermitteln. Die juristische Selbstermächtigung kam gleich hinterher: «Auslegungsregeln dafür bestehen nicht.»25 Das war nun ein universell einsetzbarer Blankoscheck, Auslegung ohne

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Alte neue Normalitäten

Ziel und ohne Weg, juristisches Handeln ohne Telos und ohne Methode – ausgerechnet der Begriff des Kriegsendes bescherte der Freirechtsschule einen späten Sieg.

Alte neue Normalitäten Alte neue Normalitäten

Das ließ sich gut auf andere Gebiete übertragen. Denn noch zahlreicher als die ausdrücklichen Bezugnahmen auf den Krieg, die man hermeneutisch irgendwie in den Griff bekommen konnte, waren die Gesetze mit stillschweigender Verbindung zum Krieg. Die ganzen Notvorschriften zur Vereinfachung der Rechtspflege etwa waren implizit an den Kriegszustand geknüpft; das Studium war kürzer geworden, die Prüfungen leichter, die Hürden auf dem Weg zum Richterstand niedriger; der Krieg ermächtigte Gerichte, Rechtssachen wegen fehlender Kriegswichtigkeit zurückzustellen, und Notare, statt des Prägestempels einen Farbdruckstempel und ein Siegel ohne Namensnennung zu verwenden. Das hermeneutische Stutzen dieser Sondervorschriften war insofern unverfänglicher, als es semantisch vom Kriegsende abgekoppelt werden konnte. Wo vom Krieg nicht ausdrücklich die Rede war, musste auch vom Kriegsende nicht ausdrücklich gesprochen werden. Einfacher wurde es dadurch jedoch nicht. Beim Krieg mochte man an Carl von Clausewitz oder an Heinrich von Treitschke denken; der Krieg konnte als Chiffre für Mangel und materielle Not, aber auch für ideologischen Fanatismus stehen, und weil Mangel und Not noch immer andauerten, war den zahllosen Kriegsmaßnahmen nicht anzusehen, ob sie ihre Berechtigung durch das Ende der militärischen Auseinandersetzung verloren hatten oder nicht. Die strengen Bewirtschaftungsregeln etwa, die sogar strafrechtlich sanktioniert worden waren, hatten ihre Notwendigkeit nicht eingebüßt, im Gegenteil. In Greifswald 1946 notierte ein Staatsanwalt dazu: «Wenn im Kriege eine Kontingentierung nicht nötig gewesen

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wäre, jetzt wäre sie es bestimmt.»26 Auch die «Kriegsdringlichkeit» war sicher kein tauglicher Filter bei der Bearbeitung gerichtlicher Anträge mehr. Allerdings war genauso wenig zu übersehen, dass sich der Personalmangel seit 1943 noch weiter verschärft hatte und dass die Alliierten bei ihren regelmäßigen Mahnungen, zugunsten der strafrechtlichen Handlungsfähigkeit notfalls einen zivilrechtlichen Totalausfall hinzunehmen, eine diffuse Vorstellung von einer nunmehr maßgeblichen «Friedenswichtigkeit» im Kopf gehabt haben mussten. Ähnliches galt für die Ein-Mann-Besetzung vieler Spruchkörper, die erst der Krieg zum Standardprozedere erkoren hatte, die aber jetzt kaum wieder aufgegeben werden konnte. Vom Amtsgericht Ludwigsburg kam der ziemlich einfältige Vorschlag, alle Verordnungen, die sich selbst als «Kriegsmaßnahmen» bezeichneten, nicht mehr anzuwenden, alle anderen dagegen schon. Das Ministerium wies das Ansinnen umgehend zurück; die Titulatur von Gesetzen war neben propagandistischen Zwecken schließlich oft genug einfach dem Zufall gefolgt, wovon man sich nun nicht abhängig machen konnte.27 In Württemberg-Hohenzollern sah sich ein Landgerichtsrat gutachterlich zu dem reichlich pathetischen Ausruf genötigt: «Recht ist Leben», was als subsumptionsfähiger Maßstab für die Überführung in den Friedenszustand ebenfalls nur wenig hergab.28 Die ausführlichste Stellungnahme kam von Adolf Schönke, einem alten SA-Kämpfer und leidenschaftlichen Prozessualisten aller Rechtsgebiete. Im August 1945 legte er ein Gutachten über die Fortgeltung des Kriegsverfahrensrechts vor, das zwar in allen Besatzungszonen gelesen wurde, inhaltlich aber trotzdem nicht besonders viel anzubieten hatte.29 Schönke behauptete pauschal, die Vereinfachungen seien «zum Teil bereits gegenstandslos geworden», womit offenkundig nur wenig gewonnen war, solange sich nicht angeben ließ, um welchen Gegenstand es eigentlich jeweils gegangen war. Zudem blieb die staatsorganisationsrechtliche Seite der Angelegenheit bei Schönke stark unterbelichtet: Dass sich überflüssige Gesetze einfach von

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Alte neue Normalitäten

selbst aufheben oder korrigieren könnten, hatte in der Rechtsquellenlehre bislang noch niemand vorgetragen, von Gesetzgebungskompetenzen und Legitimationsfragen ganz zu schweigen. Ein echter juristischer Befreiungsschlag blieb in dieser Konstellation unmöglich.30 Wie schwierig es war, zwischen dem Krieg als Anlass und dem Krieg als Absicht zu differenzieren, zeigte komprimiert die Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung vom September 1944. Der Krieg war darin vielgestaltig aufgetaucht, als Rechtfertigung für tiefe Einschnitte in die Gerichtsverfassung, aber auch als zentrales Rechtsschutzargument für weite Personengruppen. Auf der einen Seite stand etwa § 7, der aus Rücksicht auf die allgemeine Not den Anwaltszwang weitgehend aufgehoben hatte, eine Möglichkeit, von der Gebrauch zu machen jetzt nicht seltener erforderlich war als vor der Kapitulation. Auf der anderen Seite stand aber eine Vorschrift wie § 69, die den Oberlandesgerichten eine Frist gesetzt hatte, binnen derer alle noch anhängigen Berufungen zu entscheiden oder für erledigt zu erklären seien. Anschließend sollten die Berufung abgeschafft werden, die Oberlandesgerichte verschwinden und als einzige Revisionsinstanz das Reichsgericht übrig bleiben. Der ordentliche Rechtsweg war zum Torso verstümmelt, wobei nicht einmal klar war, welche der Amputationen überhaupt noch Gesetzeskraft erreicht hatten: Das Reichsjustizministerium hatte zwar am 1. März 1945 angekündigt, die maßgebliche Frist bis zum 30. Juni 1945 zu verlängern, die in Aussicht gestellte Veröffentlichung in der Deutschen Justiz war aber nicht mehr zustande gekommen. Was tun? Nach einer kurzen Konsolidierungsphase mündete die Meinungsbildung in der Ansicht, § 69 generell für unanwendbar zu erklären, weil sein einziger Zweck – Personaleinsparungen zugunsten des totalen Krieges  – überholt sei.31 Sämtliche Berufungen seien als noch anhängig zu betrachten und müssten, sobald der Rechtsweg wieder das Berufungsverfahren vorsehe, auch sachlich entschieden werden. Aber auch damit war nur wenig erreicht. Für

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die Revisionen, die noch beim handlungsunfähig gewordenen Reichsgericht anhängig waren, fehlte jede Zuständigkeit, mehr noch: Der Krieg hatte die Verhältnisse in ihr Gegenteil verkehrt. Die eigentlich todgeweihten Oberlandesgerichte standen nun so mächtig da wie nie zuvor in ihrer Geschichte, während das Reichsgericht, das das nationalsozialistische Kriegsrecht zum allmächtigen Orakel hatte erheben wollen, faktisch verschwunden war. Auch die Ebenen darunter waren gehörig durcheinandergeraten. Das Oberlandesgericht in Köln weigerte sich, Berufungen amtsgerichtlicher Entscheidungen zu bearbeiten, weil dafür nach der alt-neuen Gerichtsverfassung die Landgerichte zuständig seien, die sich zunächst aber auch weigerten, weil ein solcher Zuständigkeitswechsel der alt-neuen Zivilprozessordnung zuwiderlaufe.32 Mancherorts wurde vorgeschlagen, ein Wiederaufnahmeverfahren für bereits für erledigt erklärte Verfahren einzurichten, was andernorts aus Rücksicht auf die ohnehin schon starke Überlastung der Gerichte auf Ablehnung traf. Der Oberlandesgerichtspräsident von Kiel meldete, angesichts von knapp zwanzig einschlägigen Verfahren bestehe kein Bedarf an solchen Überlegungen, während der Landgerichtspräsident von Aachen nur beitragen konnte, die in Rede stehende Kriegsmaßnahmenverordnung sei ihm gänzlich unbekannt, da man seit der Räumung von Aachen das Reichsgesetzblatt nicht mehr bezogen habe.33 Das war nun wieder so ein Fall, bei dem juristische Umtriebigkeit und politische Not durchaus nicht aufeinander abgestimmt waren. Die Rechtsarbeiter spannen eine Systemgeschichte fort, die auf keine Zuhörer mehr traf. Über die Anzahl der Revisionen führte zu dieser Zeit nur das Reichsgericht Statistik, aber dort konnte man nicht nachfragen, das Gericht trat nach seiner Schließung nach außen nicht mehr in Erscheinung. Das Gericht selbst erwähnte im August 1945 gegenüber der Deutschen Justizverwaltung «rund 700 Zivilsachen, 80 Strafsachen und 23 Arbeitssachen», die noch anhängig seien. Das war wohl als Beleg für die

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eigene Unverzichtbarkeit gedacht – man rechnete noch mit einer Wiedereröffnung –,34 hieß aber tatsächlich, dass auf jedes Oberlandesgericht höchstens drei Dutzend Vorgänge entfielen. Von diesen wiederum durfte man annehmen, dass sich ein größerer Teil durch die Kriegsverhältnisse erledigt hatte, während bei dem Rest die Schwierigkeit bestand, überhaupt an die Leipziger Akten zu gelangen; erst Ende 1947 scheint beim Landgericht Leipzig, dem die Abwicklung des Reichsgerichts zugedacht war, eine entsprechende Geschäftsordnung erlassen worden zu sein.35 Die Juristen hatten also einen Scheinriesen vor Augen. Sie wickelten ein Problem ab, das der Krieg selbst bereits gelöst hatte. Vom Reichsgericht blieb am Ende nur der Geist; er fand in Karlsruhe treue Diener. Die gewaltige Bibliothek dagegen fiel dem Obersten Gericht der DDR in die Hände. Nach allem, was man weiß, hat es davon kaum einmal Gebrauch gemacht.

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Bei der Transformation der Kriegs- in eine Friedensnormalität erlagen die Juristen also immer wieder Autosuggestionen. Sie regelten Dinge, die sich nicht regeln ließen. Die Normen selbst waren insoweit noch das dankbarste Objekt. Kriegsmaßnahmen ließen sich abschaffen oder, sofern sie als Friedensmaßnahmen weiter verwendbar waren, auf Dauer stellen. Aber die Schlachtfelder waren unübersehbar voll mit anderen Relikten des Rechts, mit Institutionen, Akten, Akteuren und Verfahren. Dieser materielle Unterbau war für eine Überleitung in den Friedenszustand viel zu sperrig. Die juristische Abwicklung des Krieges glich insoweit einem groß angelegten Versuch, längst geschmolzenen Schnee auf seine Höhe, Konsistenz und Schichtung hin zu analysieren. Gerichte etwa waren zu Hunderten untergegangen. 1944 hatte es 34 Oberlandesgerichte gegeben, gut 200 Landgerichte und über

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2000 Amtsgerichte.36 Jetzt standen 8 Oberlandesgerichte im Osten unter russischer, polnischer oder tschechoslowakischer Verwaltung; weitere 4 befanden sich in einem Land, das nun nicht mehr Ostmark, sondern Österreich hieß, und von kleineren Städten wie Darmstadt oder Kassel war aus praktischen Gründen ausgeschlossen, dass sie ihre Oberlandesgerichte wiederbekommen würden. Für Österreich fühlte sich niemand richtig zuständig, und allein jenseits von Oder und Neiße lagen 6 Oberlandesgerichte, über 50 Landgerichte und fast 550 Amtsgerichte, die ihren Betrieb vor Ort aufgegeben hatten. Gerade einmal drei davon erhielten eine eigene Abwicklungsstelle. Das Oberlandesgericht Kattowitz, dessen Verwaltungsstab sich über Neisse, Ottmachau, Dresden und Radebeul bis nach Gera durchgeschlagen hatte, arbeitete dort nach der Kapitulation kurz weiter, bis die SMAD Ende Juli jede weitere Tätigkeit untersagte.37 Am Amtsgericht Weißenfels, wo man die kümmerlichen Reste des Oberlandesgerichts Posen verwaltete, war im Herbst 1945 Schluss.38 Mehr als eine erste Sortierung der eigenen Aktenbestände scheint man an beiden Stellen nicht erreicht zu haben; lange Listen informierten über das mitgeführte Räumungsgut, dessen Verwaltung nunmehr anderen Institutionen oblag. Etwas erfolgreicher war die Arbeit nur in Greifswald: Dorthin waren im März 1945 Landgericht und Oberlandesgericht Stettin gekommen, und dort saßen sie nach der Kapitulation noch immer, bis sie zum 30. Juni offiziell aufgelöst wurden.39 Als Anfang August ein Bericht über einen Einbruch im Gerichtskeller noch immer an das Oberlandesgericht Stettin adressiert wurde, reagierte das Greifswalder Stadtgericht merklich verärgert und erteilte dem Stettiner Präsidenten – den es eigentlich gar nicht mehr gab – Weisung, künftig keine Schreiben mehr entgegenzunehmen und alle Post unmittelbar weiterzureichen; auf ausdrückliche Anordnung des Justizministers erledige alle Justizsachen im Bezirk ausschließlich das Stadtgericht.40

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Jetzt blieb nur noch die Nachlassverwaltung. Das einstmals herrschaftliche Stettiner Oberlandesgericht, bis 1944 im Schloss der alten Herzöge von Pommern untergebracht, schrumpfte auf ein mickriges Zimmer zusammen und firmierte nunmehr unter «Landgerichtsgebäude Zimmer 14 (bisher OLG Stettin)».41 Ein einsamer Justizoberinspektor betrieb das ursprünglich als Auffangstelle konzipierte Asyl mehr oder weniger privat als Abwicklungsstelle weiter. Für eine Intervention der Militärregierung war die Sache zu unbedeutend. Das Stettiner Inventar war längst an andere Behörden gegangen, drei Schreibmaschinen kamen ans Stadtgericht Greifswald, in Pölitz übernahm man Mobiliar, Bürogeräte und die Bücherei.42 Der Greifswalder Landgerichtspräsident attestierte dem engagierten Verwalter zwar eine «ziemlich erhebliche Tätigkeit», die jeden Tag vier bis fünf Stunden Arbeitszeit in Anspruch nehme,43 aber das hatte wohl vorwiegend besoldungsrechtliche Gründe. In den Westzonen erschien im November 1946 in einigen Justizblättern eine Annonce, die über die Arbeit der Abwicklungsstelle informierte: Vorrangig kümmere man sich um Personalangelegenheiten, außerdem versuche man, über das Schicksal früherer Mitarbeiter des Oberlandesgerichts auf dem Laufenden zu bleiben. Offenkundig blieb das Ganze jedoch ein dürftig ausgestattetes Freizeitprojekt. Abschließend folgte der Hinweis: «Da die Abwicklungsstelle ehrenamtlich betrieben wird, bittet sie bei Schreiben um Beifügung des Rückportos.»44 Und so bescheiden wie die Mittel waren die Erfolge. Bis 1948 blieb die Abwicklungsstelle Greifswald tätig. Aktenkundig geworden sind in dieser Zeit gut ein Dutzend Anfragen aus allen Zonen, in denen sich jemand nach Prozessakten erkundigte – vor allem aus Ehescheidungsverfahren  –, dazu noch einmal so viele Schreiben, die Personalakten, Versicherungskarten, Prüfungsakten, Zeugnisse oder Ähnliches verlangten.45 Außerdem führte man die Liste der «zurückgeführten Gefolgschaftsmitglieder aus dem Osten» weiter, auf der man seit Februar 1945 die ankommenden Flüchtlinge und

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ihren weiteren Verbleib notierte. Auch hier hielt das Papier mit der Welt nicht Schritt. Die meisten derer, die man jetzt «Umsiedler» nannte, hatten an ihrer Abwicklung kein Interesse. Von den Tausenden Justizangestellten, die betroffen gewesen sein müssen, fanden nach Kriegsende ganze fünfunddreißig ihren Weg zur Greifswalder Abwicklungsstelle. Ihr weiteres Schicksal blieb in Greifswald fast ausnahmslos unbekannt.46

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Dabei waren die Verhältnisse in Greifswald insofern günstig, als das Stettiner Personal gemeinsam mit seinen Akten geflohen war und sich jetzt selbst um dessen ordnungsgemäße Entsorgung kümmern konnte. Andernorts stand das justizielle Zubehör nach dem Krieg meist ohne seine Erzeuger da. Überall lag Papier herum, das niemandem mehr gehörte. Gerichtsakten aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße, aus Elsass-Lothringen, Luxemburg oder dem Sudetenland hatten es in großer Zahl in alle Besatzungszonen geschafft, einige durch die planvolle Verlagerung ganzer Bestände gegen Kriegsende, sehr viel mehr durch die Wirrnisse der Zeit; meist handelte es sich dabei um einzelne Prozessakten, in denen ein fernes Gericht etwa um die Vernehmung eines Zeugen gebeten worden war und die Akten nach Erledigung nicht mehr hatte zurückschicken können. Der Betrieb war an einer Stelle abgerissen, wo die Geschäftsordnung keine Unterbrechung vorsah. Das Papier stellte seinen Findern eine aufdringliche Frage: Wer bearbeitet die Vorgänge weiter? In der Sowjetischen Besatzungszone begannen die ersten Landesverwaltungen schon im Herbst 1945, Akten von jenseits der Oder-Neiße-Linie zu sichten.47 Man wusste schließlich um die Verwaltungsstäbe der verschiedenen Oberlandesgerichte, die in den letzten Kriegsmonaten irgendwo auf dem Gebiet der jetzigen SBZ

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zugrunde gegangen waren. Im Jahr darauf griff die Zentrale in Berlin das Thema auf und forderte aus allen Landesteilen systematische Übersichten an, um die Akten in einer Art Generalabwicklungsstelle zusammenzuführen. Das Ziel war Weiterverwendung, nicht Makulatur. Man sei laufend mit Anfragen von Justizbediensteten konfrontiert, berichtete die Deutsche Zentralverwaltung der Justiz, weshalb man dringend die vorhandenen Unterlagen erfassen müsse, «um sie bei der Bearbeitung der Personalsachen und Weiterzahlung von Bezügen zur Hand zu haben».48 Und so trudelten aus allen Provinzen nach und nach Listen und Register, Inventuren und Fundstücke ein: Im thüringischen Ronneburg tauchte eine Waggonfuhre voller Akten aus Kattowitz auf, außerdem kistenweise Tinte, Papier und andere Asservate der schlesischen Justizverwaltung.49 Am Amtsgericht Parchim lagen 1147 Testamente aus Ostpreußen, am Amtsgericht Demmin 1652 Testamente aus Pommern, in Schwerin noch mehr Testamente und dazu 19 schwere Kisten des Oberlandesgerichts Danzig, Besoldungsunterlagen aus Königsberg und gut 200 Bauzeichnungen von Justizgebäuden.50 Am Amtsgericht Grimma befanden sich 1118 Testamente und am Amtsgericht Oelsnitz 21 Personalbögen, 16 Sparbücher und 4 Testamente aus Lauban, am Amtsgericht Großenhain lagen 1000 Personalbögen des Oberlandesgerichts Breslau, bei der Staatsanwaltschaft Gera 38 Strafsachen unterschiedlicher Herkunft, am Amtsgericht Radebeul eine Ehesache, am Amtsgericht Lissa eine Beleidigungsklage aus Krotoschin, dazu kamen überall Tausende von Grundbüchern, außerdem tonnenweise Hypothekenbriefe, Besoldungsakten und Verwaltungssachen.51 Im Westen lagen die Dinge ähnlich. Im Juni 1946 begann man in der britischen Zone mit ersten Bestandslisten, bald kamen Urkunden und Wertgegenstände hinzu, bis der Kölner Oberlandesgerichtspräsident den Pauschalauftrag formulierte, einfach «alle Akten, justizeigenen Gegenstände, Personalnachweisungen und dergl.» zu sammeln und anschließend «die Neubearbeitung der

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Sachen … in die Wege zu leiten».52 Die Wertstoffe sollten zurück in den Kreislauf der Justiz. Aber auch hier war es der Zufall, der die Listen füllte. Im Bezirk des Oberlandesgerichts Braunschweig fand man fünf Rechtshilfesachen aus Ostpreußen, Posen und Schlesien, in Flensburg stöberte man Dutzende Bände von Genossenschafts-, Muster-, Firmen-, Handels-, Vereinsregister des Amtsgerichts Zoppot auf sowie zwei Testamente aus Wollin, die ein Justizangestellter auf der Flucht an sich genommen hatte. Hamm steuerte 24 Marginalien bei, Düsseldorf 5, Hamburg 17, Kiel 12.53 Erwähnenswert war eigentlich nur ein Posten, der sich – durchaus symptomatisch – einem Irrläufer der Reichsbahn verdankte, die im März 1945 einen Güterwaggon aus Versehen 500 Kilometer über das eigentliche Ziel hinaus geleitet hatte. Und so saß man nun im beschaulichen Uslar auf etwa 2000 Personalakten aus Stettin, fast 100 Personalakten aus Königsberg, einer ganzen Testamentskartei, Verwaltungsakten, Grundbuchtabellen, 12 Schreibmaschinen und dem Strafregister aus Stargard, insgesamt fast 20 Kubikmeter Akten, dazu das Bettzeug der Stettiner Justizangestellten.54 Dieser Fundus war das entscheidende Argument, sämtliche Erbschaften ehemals deutscher Gerichte am benachbarten Amtsgericht Hannover zu sammeln. Nach Gründung der beiden deutschen Staaten kamen dorthin die Fundstücke aus dem gesamten Bundesgebiet einschließlich Berlin. Die Hoffnungen auf ein juristisches Recycling bestanden noch immer. Das Landgericht Berlin übersandte seine Akten mit der Einschätzung, es handele sich um «wichtiges Urkundenmaterial für das rechtssuchende Publikum unter den 10 Millionen Ostvertriebenen»,55 die maßgeblichen Akteure bekräftigten mehrfach, die Akten würden gesammelt, weil man von der «späteren Benutzung und Verwendung» ausgehe.56 Soweit sich in den zusammengetragenen Papierbergen Vorgänge der internen Justizverwaltung befanden, mochte diese Erwartung vielleicht unnötig, aber nicht vollkommen unrealistisch sein. Besoldungs- oder Personalunterlagen hatten im Prinzip nichts von ihrem

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juristischen Gebrauchswert verloren, auch die fast vollständig erhaltenen Strafregister erwiesen sich noch immer als nützlich.57 Beim Rest dagegen handelte es sich beinahe ausnahmslos um Altpapier. Die Testamente hatten Erben und Erblasser eingebüßt, Grundbücher und Hypothekenbriefe dokumentierten eine reine Rechtslehre der besonderen Art, ein Bodenrecht nämlich, dem der Krieg den Boden entzogen hatte. Aber die Vorstellung, dass ein normaler Geschäftsvorgang ein unnormales Ende nehmen könnte, musste mit aller Macht unterdrückt werden. Mit welcher Ergebenheit man auch hier darum bemüht war, aus den Bruchstücken des untergegangenen Reiches die weiter verwertbaren Teile zu ziehen, zeigt am eindrucksvollsten ein Schatz, den die Landeszentralbank Hamburg Ende 1948 der Sammelstelle überreichte. Man habe bis jetzt eine «größere Kiste» der Oberjustizkasse Stettin in den eigenen Tresorräumen verwahrt; «der Inhalt», so gab man feierlich bekannt, «sind leere Aktendeckel».58

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Und dann waren da noch die einzelnen Verfahren. Ihr Schicksal hing mit den Aktensammlungen in Ost und West zusammen, wurde aber unabhängig davon diskutiert. Die zahllosen Klagen, Anträge, Anklagen, die bei Kriegsende unerledigt geblieben waren, befanden sich nun in einem eigentümlichen Schwebezustand. Sie hingen an Stellen, die auf absehbare Zeit von der Bildfläche verschwunden waren, aus ihrem Grab heraus aber trotzdem eine Art doppelter Sperrwirkung entfalteten: Man durfte die Vorgänge nicht einfach in die eigene Zuständigkeit übernehmen, solange es noch ein prinzipiell zuständiges Gericht gab, und aus dem gleichen Grund durfte man sie auch nicht einfach weglegen. Um die Möglichkeit divergierender Entscheidungen über dieselbe Sache auszuschließen, verlangte das Institut der Rechtshängigkeit, dass

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ein Rechtsstreit von dem Gericht beendet wurde, bei dem er angefangen worden war. Bis zum Urteil blieb eine Rechtssache an ihr Gericht gekettet; wer verklagt wurde, obwohl der Streit bereits bei einem anderen Gericht verhandelt wurde, konnte sich deshalb mit der sogenannten «Einrede der Rechtshängigkeit» zur Wehr setzen, was zur Folge hatte, dass der Klage bereits die Zulässigkeit abgesprochen wurde, ohne dass ihre inhaltliche Berechtigung auch nur behandelt worden wäre.59 Diese Schwierigkeit war schon bei den Gebietsabtretungen nach dem Ersten Weltkrieg aufgetreten. Sie einseitig per Gesetz zu überwinden galt als Eingriff in Hoheitsakte der nun ausländisch gewordenen Institutionen und damit als Verstoß gegen das Völkerrecht, weshalb man damals zahlreiche, teilweise erschreckend ausführliche völkerrechtliche Verträge geschlossen hatte. Freilich war die Situation nach 1945 sehr viel komplexer. Deutsche Gerichte hatten in unterschiedlichsten Formen auf dem halben Kontinent operiert. Im Osten hatte das Deutsche Reich das Sudetenland, Danzig, den polnischen Korridor und das Memelland annektiert und jetzt wieder verloren, Gleiches galt im Westen für die ostbelgischen Gebiete um Eupen und Malmedy. In Elsass-Lothringen, Luxemburg und der «Untersteiermark» getauften Region um Marburg / Maribor waren deutsche Gerichte tätig geworden, obwohl sie dort gar nicht auf deutschem Boden standen. Und dann gab es noch die eigentümlichen «Deutschen Gerichte», die man in den Niederlanden, im Protektorat Böhmen und Mähren, im Generalgouvernement und in den ehemaligen Reichskommissariaten Ostland und Ukraine errichtet hatte, Filialen einer Sonderjustiz für die dort tätigen deutschen Volksgenossen, denen man die Niederungen des einheimischen Rechtswegs nicht hatte zumuten wollen. Für eine saubere juristische Lösung hätte man also mit den Niederlanden, mit Luxemburg, Belgien, Frankreich, Jugoslawien, der Tschechoslowakei, Polen und der Sowjetunion Friedensverträge schließen müssen, um sich danach – möglichst in wechselseitigem

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Einvernehmen – den Fragen zuzuwenden, wer die deutschen Verfahren fortsetzen solle, wem die Vollstreckung aus früheren Titeln obliege, wo Auskünfte aus deutschen Registern zu erlangen seien. Und wer durfte überhaupt Ansprüche an den nicht selten von Herrenmenschenfantasien niederster Art getragenen Hinterlassenschaften der großdeutschen Justizverwaltung anmelden? Ein hoffnungsloses, zudem politisch in der Regel ziemlich peinliches Unterfangen. Die Suche nach einem möglichen Ausweg aus dieser juristischen Verlegenheit setzte unmittelbar nach der Kapitulation ein. In mehreren Oberlandesgerichtsbezirken ergingen ab Oktober 1945 erste Verordnungen, um für die drängendsten Angelegenheiten – Nachlässe und Abwesenheitspflegschaften  – neue Zuständigkeiten zu schaffen, 1946 folgten ortsweise Überleitungsvorschriften für Strafsachen von Wehrmachts- und Sondergerichten.60 In der sowjetischen Zone, wo in den Monaten nach Kriegsende mit Abstand die meisten Flüchtlinge gestrandet waren, entwickelte man die größte Kreativität. In einigen Ländern wurde vorgeschlagen, die Einrede der Rechtshängigkeit auszuschließen;61 die DJV gab dem Kammergericht den Rat, nach § 36 ZPO einfach ein neues Gericht für zuständig zu erklären. Das Amtsgericht Berlin-Mitte bekam zu hören, es solle bei der Auslegung der entsprechenden Regeln «nicht allzugroße Engherzigkeit» an den Tag legen – ein reichlich unjuristischer Ratschlag, der in eigenartiger Weise die Aufforderung des Reichsjustizministeriums vom November 1944 reproduzierte, sich bei der Übernahme ortsfremder Prozesse «weitherzig» zu zeigen.62 Im Mai 1946 befasste sich eine Konferenz der sowjetisch besetzten Länder mit dem Problem und kam überraschend schnell zu einer Einigung. Obwohl es auch ohne Gesetz möglich gewesen war, die Fesseln der Rechtshängigkeit zu lösen, erhielt nun eine Verordnung der Deutschen Justizverwaltung eine Mehrheit, die die Fortsetzung der unterbrochenen Verfahren am jetzigen Wohnsitz der Beklagten gestattete.63 Dabei wusste man nicht einmal, um wie viele Vorgänge es eigentlich ging. Den Akten der Justizverwaltun-

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gen zufolge dürften es kaum mehr als ein paar Dutzend gewesen sein.64 Die Sowjetische Militäradministration freilich bekam etwas ganz anderes zu hören. In einer Unterredung verwies die DJV darauf, es liefen «fast täglich Anfragen» ein, die sich nach der Möglichkeit einer Fortsetzung von Altprozessen erkundigten, weshalb ein «äußerst dringliches Interesse» an einer gesetzlichen Regelung bestehe. Der dramatische Ton dieser Behauptung wurde nach monatelangem Warten auf eine Genehmigung durch die Militärverwaltung noch einmal zugespitzt: Die Zahl einschlägiger Fälle sei «außerordentlich groß», die Anfragen hätten sich «immer mehr gehäuft», und ganz generell sei es nicht zu verantworten, wenn bei den Umsiedlern «zu ihrem Flüchtlingselend auch noch das Elend der Rechtlosigkeit» hinzukomme.65 Gleichwohl tat sich die SMAD mit einer Genehmigung schwer, wie immer, ohne Gründe dafür mitzuteilen. Vielleicht witterte sie in der Nachlassverwaltung über Gebiete, die sich jetzt zu einem großen Teil unter sowjetischer Verwaltung befanden, eine Einmischung in interne Angelegenheiten, womöglich war es aber auch nur ihr notorischer Personalmangel, der die Prüfung des knapp zweiseitigen Dokuments Monate dauern ließ. Am Ende verweigerte sie den Bestimmungen über Wiederaufnahmeverfahren bereits abgeschlossener Prozesse die Zustimmung, zeigte sich im Übrigen aber konziliant und gab sogar noch den freundschaftlichen Hinweis, keine Verordnung, sondern stattdessen eine «Anordnung» an die Länderverwaltungen zu erlassen, um das weitere Verfahren zu beschleunigen. Am 8. Mai 1947 wurde das neue Regelwerk unter dem klobigen Titel Anordnung über die Zuständigkeit in gerichtlichen Verfahren und ihre Überleitung veröffentlicht.66 Für die politische Realität hatten die Juristen der SBZ dabei ein Gespür, das von keinen Sentimentalitäten getrübt wurde. Dass die Ostgebiete jemals wieder unter deutsche Verwaltung zurückkehren könnten, hielt man allgemein für ausgeschlossen. In § 2 der neuen Anordnung hieß es ganz direkt, die betroffenen Gerichte seien nach

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dem 8. Mai «aus der deutschen Gerichtsbarkeit ausgeschieden». Die juristischen Illusionen waren dafür von nachgerade bürgerlichen Ausmaßen. Die beklagte Rechtlosigkeit der Flüchtlinge scheint vor allem die Angst vor einer Lücke in der eigenen Briefmarkensammlung gewesen zu sein. In den Registern der Neuen Justiz ist kein einziger Fall nachgewiesen, in dem die Anordnung maßgeblich gewesen wäre; auch das Oberste Gericht war mit ihr augenscheinlich nicht ein einziges Mal befasst.

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Eine sichtbare Folge hatte die Anordnung nur im Westen. Auch dort kannte man das Problem, hatte es jedoch vollkommen anders eingeschätzt. Anfang 1947 schrieb man in Karlsruhe einen ziemlich lustlosen Entwurf für eine Verordnung, die sich vor allem um Altfälle aus Elsass-Lothringen kümmerte, während man zur selben Zeit im Hamburger Zentral-Justizamt den Blick auf die verlorenen Ostgebiete richtete.67 Aus der amerikanischen Zone folgte daraufhin ein Gutachten, das schon beim historischen Ausgangspunkt zu einer ganz anderen Bewertung kam als die Juristen in der SBZ. Rechtlosigkeit war danach einfach eine Härte des Krieges; Flüchtlingen sei ein Neuanfang zuzumuten, und deshalb müssten sie gegebenenfalls auch «ihren Rechtsstreit neu aufbauen».68 Diese Erwägung ergänzte der Gutachter im Wesentlichen durch drei Argumente. Erstens benötige man, zumindest im Hinblick auf die Ostgebiete, einen völkerrechtlichen Vertrag, um nicht durch ein einfaches Gesetz in Hoheitsrechte der Siegermächte einzugreifen. Zweitens dürfe eine gesetzliche Regelung keinesfalls den Anschein erwecken, man wolle die politische Neuordnung irgendwie anerkennen und, wie der Gutachter formulierte, «rechtlich das Feld räumen». Drittens seien Überleitungs-

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vorschriften überflüssig, da die Einrede der Rechtshängigkeit die Möglichkeit voraussetze, den anhängigen Streit überhaupt zu Ende zu führen, was in den verlorenen Gebieten aber offenkundig nicht der Fall sei.69 Was man in der SBZ als zwingendes Gebot der Gerechtigkeit präsentiert hatte, betrachtete man im Westen also als politische Unmöglichkeit und juristischen Aktionismus. Die Praxis bestätigte diese Einschätzung. In Rheinland-Pfalz hatte man bislang von einem einzigen Fall gehört, in dem die Rechtshängigkeit zum Streitpunkt geworden sei, nach Württemberg-Hohenzollern war gar kein Fall gekommen, in München hatte man zwei Beschwerden in Bezug auf Grundstücke aus dem Osten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückgewiesen.70 Im Juni 1947 erging ein Urteil des Landgerichts Hamburg, das, in der Fachliteratur lebhaft begrüßt, die Einrede der Rechtshängigkeit versagte, sofern die Akten des früheren Rechtsstreits unerreichbar seien, weshalb ein Flüchtling an seinem neuen Wohnort auch in derselben Angelegenheit eine neue Klage erheben dürfe.71 Die richterliche Pragmatik hatte das gewünschte Ergebnis also auch ohne gesetzliche Grundlage geliefert. Allerdings erreichte den Rechtsausschuss in der amerikanischen Zone mit dem Urteil aus Hamburg zugleich die Nachricht, dass man im Osten bereits eine entsprechende gesetzliche Regelung verabschiedet hatte; selbst in Polen habe man sich mittlerweile mit dem Schicksal der ehedem deutschen Gerichtsverfahren beschäftigt.72 Damit war die prozessuale Abwicklung des verlorenen Reichsgebiets zur Systemfrage geworden. Für die westlichen Volljuristen gab es kein Zurück mehr. Als man nach einigen Wochen die ostdeutsche «Anordnung über die Zuständigkeit in gerichtlichen Verfahren» vom 8. Mai 1947 schließlich in Händen hielt  – die polnische Verordnung blieb einstweilen unerreichbar –, da war die bürgerliche Justizverwaltung in politischer Hinsicht bestürzt wegen der Aussicht, hier werde «ein Provisorium zu einem Definitivum» gemacht, wie das Zentral-Justizamt erregt kommentierte.73

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Juristisch dagegen erging man sich in kühlem Spott. Die ostzonalen Kollegen hätten, notierte man sichtlich zufrieden, das Zwangsvollstreckungs-, das Aufgebotsverfahren, das ganze Vereinsrecht sowie im Handelsrecht die «dem Registergericht zugewiesenen Funktionen nicht registerlicher Natur» vergessen, dafür aber umgekehrt bestimmte Tätigkeiten des Vormundschaftsgerichts neu geregelt, obwohl diese sich ohnehin nach dem jetzigen Wohnsitz bemessen würden, eine Ersatzzuständigkeit also gar nicht erst hätte geschaffen werden müssen.74 Diese volksjuristischen Fehlgriffe aus der Sowjetzone genügten, um im Westen den eigenen Ausgangspunkt zu revidieren und das juristische Fortleben der unterbrochenen Rechtsakte zum Prüfstein der eigenen Berufsehre zu machen. Das Zentral-Justizamt erarbeitete in akribischer Kleinarbeit eine zwölfseitige Übersicht, die für Zivilprozessordnung, freiwillige Gerichtsbarkeit, BGB, Handelsgesetzbuch, Aktiengesetz, Ehegesetz, Konkursordnung und einige Nebengesetze vermutlich lückenlos auflistete, in welchen Angelegenheiten die Flüchtlinge aus den verlorenen Gebieten Ersatzzuständigkeiten benötigen könnten: Todeserklärung, gerichtliche Aufhebung von Kindesannahmeverhältnissen, Ehebefreiungen, Aufgebot eines Schiffseigentümers, Ersatzliquidatoren für eine Stiftung, Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern  – jetzt war wirklich klar, wo der Krieg den Rechtsweg ins Leere laufen ließ.75 Größer als der juristische Stolz blieb einstweilen jedoch die politische Angst, aus Versehen irgendeine inzidente Verzichtserklärung bezüglich der in Rede stehenden Territorien abzugeben. Und damit blieb auch dieser Betriebsamkeit  – deren Sinnhaftigkeit schon von Beginn an zweifelhaft gewesen war – nur noch die Arbeit an einem Exponat für das juristische Kuriositätenkabinett. Beratung folgte auf Entwurf, und Entwurf folgte auf Beratung. Ende Januar 1948 kündigte der zuständige Referent an, «schon durch das Weiterschreiten der Zeit» werde ein Gesetz bald überflüssig, im September kommentierte der hessische Justizminister mürrisch,

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das vorgeschlagene Gesetz wäre «noch vor 2 Jahren» nötig gewesen, nun sei es das nicht mehr.76 1949 legte das Grundgesetz die Materie in die Zuständigkeit des Bundes; nachdem beim Bundesjustizministerium bis Juli 1950 ganze acht Anfragen nach dem Verbleib von Gerichten aus den Ostgebieten zusammengekommen waren, sah man sich dort veranlasst, bei den Ländern die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung zu erkunden.77 Über diese gravierende Frage – die sie in den vergangenen Jahren schon mehrfach beantwortet hatten – verfielen die Länder für eineinhalb Jahre ins Grübeln, um dann überwiegend mit einem gelangweilten Achselzucken zu antworten: Das Gesetz sei nicht nötig, man werde sich aber auch nicht querstellen, sollte es dennoch kommen. Überarbeitung, Ressortabstimmung und redaktioneller Abschluss fraßen weitere eineinhalb Jahre auf, bis am 18. Juli 1952 schließlich Bundestag und Bundesrat dem handwerklich einwandfreien Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz) zustimmten, das in vierundzwanzig Paragrafen die geopolitischen Verwerfungen des Zweiten Weltkriegs juristisch zu glätten versuchte, ohne sie damit anzuerkennen. Wieder einmal wurde der Krieg für beendet erklärt, ohne ihn zu beenden. Die Camouflage für diese politische Schizophrenie: «Gerichte, an deren Sitz deutsche Gerichtsbarkeit nicht mehr ausgeübt wird». Die denkbar unspektakuläre Neuordnung: ein Verweis auf die «jetzt geltenden Vorschriften», womit in der Regel der neue Wohnsitz des Beklagten maßgeblich war.78 Damit hatte man ein Gesetz, das ursprünglich niemand gewollt hatte und das mittlerweile niemand mehr brauchte. Die Fachpresse nahm es überwiegend schweigend zur Kenntnis: Der Großkommentar von Bernhard Wieczorek, einem Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, widmete dem Zuständigkeitsergänzungsgesetz ein paar dürftige Seiten; im Betrieb erschien eine knappe Annonce. Im Bundesanzeiger veröffentlichten zwei Referenten des Bundesjustiz-

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ministeriums – die vermutlich an der Gesetzgebung selbst beteiligt waren – eine etwas ausführlichere Zusammenfassung, der sie in juristenüblicher Bescheidenheit die Bemerkung voranstellten, man habe «keine erschöpfende Regelung» vorlegen wollen und überlasse Zweifelsfragen der Praxis, was ein anderer Beobachter zum Anlass nahm, etwas gehässig von einem «Verlegenheitsgesetz» zu sprechen. Unerwartet euphorisch wurde nur die Neue Juristische Wochenschrift. Hier bejubelte einer der beiden Referenten des BMJ, nunmehr als Alleinautor, das eigene juristische Glanzstück und ließ die Mitwelt wissen, endlich sei ein «rechtsstaatlich gebotenes Mindestmaß an Rechtsschutz» erreicht, mit dem die Betroffenen sich gegen Beeinträchtigungen zur Wehr setzen könnten, «die der durch den Kriegsausgang bedingte Bruch der Verfahrenskontinuität zur Folge gehabt» habe.79 Der historische Ausgangspunkt war damit in sein Gegenteil verkehrt. Flüchtlingselend durfte auf gar keinen Fall mehr zur Rechtlosigkeit führen, womit der Autor unbeabsichtigt auf die Linie eingeschwenkt war, die die DJV sechs Jahre zuvor gegenüber der Sowjetischen Militäradministration vertreten hatte. Jetzt hatte auch der Westen seine Briefmarkensammlung vervollständigt. Viel mehr passierte nicht. Im Strafrecht führte das Gesetz zu einer Handvoll von Wiederaufnahmeverfahren gegen Urteile ehemaliger Sondergerichte, deren Sitz sich auf dem Gebiet der jetzigen Ostzone befunden hatte; von jenseits der Oder-Neiße-Grenze wurde kein einziger Fall transferiert. Im Zivilrecht war die Ausbeute ähnlich gering. 1956 zauberte ein Winkeladvokat das Gesetz hervor, um die Berufung, die sein Mandant 1944 gegen ein Scheidungsurteil des Landgerichts Breslau eingelegt hatte, zurückzuziehen und damit die Scheidung sozusagen rückwirkend rechtskräftig werden zu lassen. In Anbetracht von zehn Jahren harmonischer Ehe, die man seither verbracht habe, wies der Bundesgerichtshof das Ansinnen als Rechtsmissbrauch zurück.80 Ein Konkursverfahren aus Königsberg wurde in Berlin weitergeführt – die Konstella-

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Die Abwicklung

tion war zwar nicht geregelt, aber der BGH sah sich wegen des explizit fragmentarischen Gesetzes zur Lückenfüllung aufgerufen.81 Unbegrenzt war diese Auslegung natürlich nicht. Einen Kläger, der in Braunschweig nach einem erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahren eine Haftentschädigung zugesprochen bekommen hatte, verwies der BGH für die Auszahlung dieser Entschädigung kurzerhand an den damaligen Gerichtsherrn, also das Deutsche Reich. Wenn das auf Schwierigkeiten stoße, müsse der Gesetzgeber Abhilfe schaffen; die Rechtsprechung könne eine solche Lücke nicht einfach selbst füllen.82 Man war ja jetzt ein Rechtsstaat.

Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut

Das Bemühen war also, wenn auch allseits redlich, insgesamt nur von mäßigem Erfolg. Die Anstrengungen, das Kriegsende und seine Folgen juristisch in bekömmliche Happen zu portionieren, erreichten die Rechtswirklichkeit nur in wenigen Fällen. Die Anfragen zum Schicksal von Rechtsfällen aus Außig und Tilsit, Crossen und Bunzlau, Breslau, Goldap, Kolberg, Memel, Neumarkt, Lyck, Königsberg, Oels und all den Orten, die jetzt anders hießen, wurden mit Bedauern zurückgewiesen,83 bis man sich irgendwann hinter einer gesetzlichen Lösung verstecken konnte, von der freilich auch jedermann wusste, dass sie über den Verlust der Akten nicht hinweghelfen würde. Die Normalität der Geschäfte blieb oft eine aufwendig errichtete, gleichwohl unschwer zu durchschauende Fiktion. Vielen Rechtsangelegenheiten war die Wirklichkeit abhandengekommen. Es fehlte an Akten, an Parteien, am Interesse. In Hannover tauchte eine Unterhaltssache aus Königsberg auf, die man im März 1945 wegen der unterbrochenen Postverbindung nicht mehr hatte zurückschicken können. 1947 erkundigte man sich beim Oberlandesgericht Celle, wohin das Amtsgericht Königsberg

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Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut

ausgewichen sei, worauf ein Hinweis auf Schwerin folgte. Das Landgericht Schwerin wusste nichts von der Sache. Am 3. Mai 1947 schlief der Fall ein.84 In Dresden mühte sich das Amtsgericht darum, in einer Unterhaltssache Klarheit zu erlangen. Zuletzt getagt hatte man am 30. April 1945; als der mutmaßliche Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, sollte es weitergehen, aber alle Versuche, die Akten wiederherzustellen, scheiterten. Am Ende geschah gar nichts.85 In Freiburg unternahm das Amtsgericht, wiederum in einer Unterhaltssache, zahlreiche Anstrengungen, die zerstörten Akten wiederherzustellen; nachdem Anfragen bei dem beteiligten Rechtsanwalt, dem Jugendamt, dem Standesamt, dem Vormund und der Universitätsklinik erfolglos geblieben waren, musste das Amtsgericht dem Kläger schreiben, die Rekonstruktion sei unmöglich, man stelle anheim, eine neue Klage zu erheben; mehr geschah nicht mehr.86 In Plauen wandte sich am 25. November 1946 ein Anwalt für seinen Beklagten, den geschiedenen Ehemann der Klägerin, ans Landgericht, er brauche die Akten, weil seine eigenen Papiere sämtlich verbrannt seien. Zugleich erinnerte er das Gericht an den Sachverhalt und die jetzt erforderlichen Schritte: «Es handelt sich um die Herausgabe von Möbeln. Nachdem der Beklagte am 1. 10. 1946 aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekommen ist, muß der Rechtsstreit wieder in Gang gebracht werden.» Wenn die Gefangenschaft vorüber ist, dann muss die Justiz weitergehen: Mehr als diesen Rekurs auf eine vermeintliche Zwangsläufigkeit ließ niemand mehr verlauten.87 In Celle konnte ein Rechtsanwalt, der sich 1950 mit einer Altlast von 1942 konfrontiert sah, nur noch zu Protokoll geben, sein Büro sei 1943 vollständig ausgebombt worden, er besitze keine Unterlagen mehr, habe keinerlei Erinnerung an den Sachverhalt, wisse nicht, ob er den Kläger oder den Beklagten vertreten habe und verfüge auch über keine Adressen, um sich mit irgendeiner der Parteien in Verbindung zu setzen. Von so viel angehäufter Vergeblichkeit erholte sich der Fall nicht

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Die Abwicklung

mehr.88 In Hamburg arbeitete eine aus Stettin geflohene Versicherungsfirma weiter an der Aufklärung einer missglückten Bergung im Stettiner Hafen. Die Akte war im November 1944 nach Hamburg gekommen, damit dort ein Zeuge vernommen werden könne; ein Jahr später unternahm die Versicherungsfirma mehrere Versuche, die noch verbliebenen Zeugen ausfindig zu machen, sogar das Amtsgericht Stettin wurde  – erfolglos  – angeschrieben. 1948 folgte eine letzte Anstrengung, den Prozess in Flensburg weiterzuführen; nach einigen Wiedervorlagen erhielt die Kanzlei des Amtsgerichts Hamburg 1950 endlich die ersehnte Anweisung: «weglegen».89 Weglegen: Das wurde bald auch für die großen Papiersammlungen in Ost und West zur erlösenden Formel. Trotz aller Anstrengungen hatten Akten- und Rechtslage kaum einmal zueinander gefunden. Was die Akten noch an normativem Sinn gehabt haben mochten, büßten sie in kürzester Zeit ein und gerannen zu Geschichte. Am 30. Oktober 1952 meldete sich das eben in Koblenz errichtete Bundesarchiv bei der zentralen Sammelstelle in Hannover und bekundete unter dem Betreff «Geflüchtetes Schriftgut» ein dringendes Interesse an den Akten, die wegen des vermutlich vollständigen Verlustes von vergleichbarem Material einen «ganz besonderen historischen und rechtlichen Wert für sich beanspruchen» dürften und daher «in hervorragendem Maße archivwürdig» seien. Ab sofort sei das Bundesarchiv zuständig.90 Was die Sammelstelle in Hannover so fleißig zusammengetragen hatte, wurde daraufhin nach Koblenz geschickt. Jetzt tat sich endlich der lang ersehnte neue Verwertungskreislauf auf. Allerdings bestand die Leserschaft der Akten jetzt nicht mehr aus Juristen, sondern aus Historikern; heute erinnert man sich nicht einmal am Gericht selbst daran, dass es die Stelle in Hannover jemals gegeben hat.91 Und zuletzt wurde auch der über Jahre so aufwendig gezimmerte normative Rahmen für den Rechtstransfer aus den verlorenen Gebieten abgewickelt. Die weitgehend nutzlose Existenz

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Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut

des Zuständigkeitsergänzungsgesetzes währte noch bis 2006. Dann fielen große Teile des Gesetzes dem Vorhaben zum Opfer, die Rechtsordnung von überflüssigen Rechtsnormen zu bereinigen. Dass das Zuständigkeitsergänzungsgesetz verlustfrei aufgehoben werden könne, wurde im Prinzip von niemandem bestritten. Freilich wollte man dem Frieden noch nicht ganz trauen. Die strafrechtlichen Wiederaufnahmebestimmungen beließ man sicherheitshalber in Kraft – wer mochte wissen, ob nicht irgendwo noch ein Greis eine zu Unrecht bestrafte Jugendsünde in seiner Vita entdeckt? Und im Hinblick auf die Ersetzung zerstörter oder verlorener Urkunden blieb man ebenfalls bei der bewährten Rechtslage; ein verbrannter Erbschein aus Königsberg darf deshalb auch heute noch auf juristisches Wohlwollen hoffen. Unterm Strich aber war man zufrieden. Die Gesetzesbegründung führte aus, spätestens seit dem Fall der Mauer sei die Erwartung gerechtfertigt, «alle überhaupt noch denkbaren Verfahrensfortsetzungen seien inzwischen tatsächlich und rechtlich abgewickelt».92 Wer wollte da – außer der Bundesregierung selbst – widersprechen? Am 24. April 2006 trat das Erste Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministers der Justiz in Kraft,93 gewissermaßen der prozessuale Totenschein für den Krieg. Damit war auch die Abwicklung abgewickelt. Jetzt war der Krieg wirklich zu Ende.

Epilog Der Traum vom echten Leben

Allmachtsfantasien Epilog Allmachtsfantasien

Der Stillstand der Rechtspflege ist ein juristisches Schattengewächs. «Hört infolge eines Krieges oder eines anderen Ereignisses die Tätigkeit des Gerichts auf, so wird für die Dauer dieses Zustandes das Verfahren unterbrochen», das ist seit gut hundertfünfzig Jahren die immer wieder gedankenlos wiederholte Legaldefinition des Justitiums. Wenn die Gerichte nicht arbeiten, dann arbeiten sie nicht mehr, eine feierlich verkündete Selbstverständlichkeit, mit der Juristen ihr eigenes Dasein gerne philosophisch erhöhen. Hier, im juristischen Halbdunkel, hat man deshalb schon viele berühmte Sätze aufgestöbert. «Das Staatsrecht hört hier auf», ist so einer, geschrieben von Gerhard Anschütz 1919 im Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, gemünzt eigentlich auf den preußischen Verfassungskonflikt in den Jahren 1859 bis 1866, aber schon bald zum Sinnspruch über die juristische Unzuständigkeit für Machtfragen schlechthin herangereift.1 Der juristische Borderliner Carl Schmitt darf natürlich nicht fehlen, der in seinem metaphysischen Fieberwahn ein ganzes Füllhorn dunkler Weisheiten über die Unzulänglichkeit des Rechts ausgeschüttet hat. «Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles»: Nur die Suspension des Rechts offenbare Souveränität, erst der Ausnahmezustand erlaube die «absolute Reinheit» der Dezision und ent-

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Epilog

fessele «die Kraft des wirklichen Lebens».2 Und schließlich ist da noch die feindliche Übernahme von Walter Benjamins Betrachtungen Über den Begriff der Geschichte zu nennen,3 die dem Ausnahmezustand – gegen Benjamins erklärte Absicht – die jedem Ort und jeder Zeit enthobene Diagnose eingebracht hat, er sei bereits zur Regel geworden, womit der einstmals pathologische Befund endgültig in den Rang einer Art Weltformel des Rechts erhoben ist. Das vorerst letzte Bad in diesem Bassin der Ergriffenheit hat Giorgio Agamben genommen. Bei seinen Rundgängen durch die Menschheitsgeschichte ist er unvermittelt auf das Justitium gestoßen, in dem er die historische Rückversicherung für Carl Schmitts apodiktisches Sprüchlein gefunden zu haben meint. Das alte Justitium, so Agamben in seinem 2004 veröffentlichten Ausnahmezustand, sei tatsächlich der «Archetyp des modernen Ausnahmezustands».4 In Zeiten höchster innerer oder äußerer Gefahr – Krieg oder Bürgerkrieg  – habe man im antiken Rom lieber das ganze Recht aufgehoben, als es im Einzelfall zu brechen. Der Stillstand der Rechtspflege sei in Wirklichkeit ein Stillstand des Rechts überhaupt gewesen, «eine Zone der absoluten Unbestimmtheit zwischen Anomie und Recht, in der Rechtsordnung und kreatürliche Sphäre in ein und dieselbe Katastrophe verwickelt sind». Große Worte. Die Urgrammatik des Ausnahmezustandes kreist um ein Vakuum, einen Moment, der durch keine juristische Agenda verunreinigt werde und deshalb eine wahrhaft politische Tat erlaube. Und weil seit Carl Schmitt die unausgesprochene Pflicht besteht, solche Sehnsuchtsorte möglichst melodramatisch zu beschreiben, sieht Agamben durch das Prisma des Justitiums nichts anderes als «das Leben selbst». Bei der historiografischen Herleitung all dieser frommen Überlegungen hat Agamben freilich nur eine kümmerliche Fußnote aufgetan. Sein einziger Gewährsmann ist Adolph Nissen, ein Straßburger Strafrechtler, der 1877 einen Ausflug ins Zivilrecht unternommen und in einer sonderbaren Abhandlung über das Justitium ähnliche

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Allmachtsfantasien

Thesen aufgestellt hat. Die Fachliteratur gewährte Nissen für kurze Zeit den höflichen Status einer «anderen Ansicht», bevor dieses Gnadenbrot aufgebraucht war und man die zivilistische Wilderei des Kollegen hinter peinlichem Schweigen verbarg.5 Hundert Jahre später kam Agamben, verkündete triumphal seine literarische Entdeckung und erklärte den vielfach widerlegten Außenseiter zum Propheten. Der wahre Prophet ist ihm dabei entgangen. Heinrich van Huyssen, ein windiger Diplomat aus Essen, war 1689 zufällig in Speyer, als die Franzosen kamen und das Reichskammergericht zerstörten.6 Für die einen kriegerischer Akt, für die anderen ein Promotionsthema: De Justitio. Vom Stillstand des Gerichts7 hieß die Dissertation, mit der Huyssen den erzwungenen Stillstand der Rechtspflege seiner juristischen Verwertung zuführte. Die Arbeit enthält eine penible Auflistung alles dessen, was in einer Universalgeschichte des Justitiums nur jemals an Problemen aufgetaucht sein könnte: öffentliches Justitium, privates, zufälliges, notwendiges, Krieg, Pest, Hungersnöte, Feuer – schuldhaft und schuldlos –, vergiftete Luft, Unwetter, Erdbeben, Überschwemmungen; ob Testamente wirksam errichtet werden könnten, wer für welchen Zeitraum Verzugszinsen schulde, ob es Sonderkündigungsrechte für Pachtverträge gebe, welche Gerichtsangestellten in welcher Weise zu vergüten seien, usw. usf. – lange, nicht selten quälend detaillierte Distinktionen über jeden nur denkbaren Aspekt, der bei einem Stillstand der Rechtspflege juristische Beachtung erfordern könnte.8 Im rechtsfreien Raum geht es offenbar so juristisch zu wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. Bei Nissen taucht Huyssen nicht auf, bei Agamben auch nicht. Die welthistorischen Spaziergänger sind auf leichten Füßen unterwegs. Im schwarzen Loch des «Lebens selbst» versenkt Agamben, ohne es zu bemerken, immerhin gut vierhundert Jahre, in denen mittlerweile an der juristischen Einbalsamierung des Ausnahmezustandes gearbeitet wird. Damit ist Agamben auch entgangen, in

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Epilog

welch eigentümlicher Form sich das Leben selbst Bahn bricht, wenn man es der Fürsprache von Juristen anvertraut. Mit Huyssen rief ein intellektuelles Fliegengewicht das Zeitalter der juristischen Großmannsansprüche aus, ein Hochstapler, der den Doktorgrad ausschließlich für die Knopfleiste seiner Diplomatenanzüge benötigte und seine Dissertation deshalb – Adel verpflichtet – auch nicht selbst schrieb. Huyssen ließ sich am 15. Februar 1689 in Straßburg immatrikulieren, da war die Belagerung von Speyer noch in vollem Gange. Vierzehn Wochen später, die Ruinen des Reichskammergerichts rauchten noch, lagen fünfundneunzig engbedruckte, lateinische Seiten vor.9 Drei Monate lang jeden Tag eine druckfertige Seite zu produzieren, das ist schon für einen hauptberuflichen Schnellschreiber eine anspruchsvolle Aufgabe, für einen unerfahrenen Freizeitforscher dagegen unmöglich. Huyssen hatte Geld, allein ihm fehlte der Geist. Der Krieg trieb ihm Johann Deckher in die Arme, einen schriftstellerisch bestens ausgewiesenen Advokaten des Reichskammergerichts, der vor der Zerstörung aus Speyer geflohen war und nun in Straßburg vor dem Nichts stand. Huyssen bekannte im Rückblick freimütig, er habe von Deckher «durch vielmalige Conversationes viel gelernt».10 Den Rest kann man sich denken. Der reiche Huyssen degradierte den armen Deckher zu seinem persönlichen Schreibknecht. Huyssen prahlte hinterher, man habe ihm sogar eine Professur für sein Meisterstück angeboten; er verzichtete, reiste stattdessen sorglos durch Europa und wurde 1702 Propagandachef des russischen Zaren. Deckher blieb zurück und starb 1694 in Straßburg. Am Anfang des neuzeitlichen Justitiums stand also tatsächlich eine Katastrophe der kreatürlichen Sphäre, aber eine ganz andere, als Schmitt, Agamben und Konsorten sich jemals erträumt hätten. Den ersten Bericht vom rechtsfreien Raum erkaufte sich ein geltungssüchtiger Karrierist von einem notleidenden Flüchtling; Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.

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Normalität als Strategie

Normalität als Strategie Normalität als Strategie

Der rechtsfreie Raum ist ein rechtsfreier Traum. Heinrich van Huyssen sollte Recht behalten: Bevor das Recht vom Ausnahmezustand dahingerafft wird, sind die Pensionsansprüche der Amtsträger zu prüfen. Auch in den Jahrhunderten nach Huyssen war für die Schwärmereien der politischen Romantik deshalb kein Platz. Selbst wenn die Realien der Welt dem Tatbestand des Justitiums nahekamen, hielt sich das Recht jeden Anflug von Anomie vom Leibe, auch in höchster Bedrängnis war es von der Sterilität eines normativ entleerten Ausnahmezustandes weit entfernt. Eine ernsthafte Bedrohung wurde das Justitium ohnehin erst in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs. Man war darauf vorbereitet. Nach 1939 entstand ein eigenes Kriegsverfahrensrecht, das, unter umfassender Verwertung der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, möglichst viel Personal für die Front frei machen, dabei aber einen Stillstand der Rechtspflege unter allen Umständen vermeiden sollte. Das Vorhaben gelang. Die Operationsfähigkeit der Justiz blieb bis in den Untergang des Dritten Reichs hinein gewährleistet. Allen bürokratischen Widrigkeiten zum Trotz, ohne Akten, ohne Personal, ohne Gebäude, am Ende sogar jenseits der angestammten Gerichtsorte, erhielt sich die Justiz die Möglichkeit, Recht und Unrecht für den Einzelfall zuzuschneiden. Dafür war ein administrativer Aufwand nötig, der den Normalzustand in jeder Hinsicht überstieg. Die Herrschaft des Rechts geriet zwar zunehmend unter Druck, durch die Verkleinerung der Zuständigkeiten, Exemtionen für politisch sensible Bereiche, Schutzhaft und Urteilskorrektur. Aber dort, wo die Justiz noch tätig war, konnte sie auch auf einen Großteil ihres herkömmlichen Handlungsarsenals zurückgreifen, mit dem sich prinzipiell jede Störung aus der Umwelt juristisch operationalisieren lässt. Darin lagen für alle Beteiligten attraktive Angebote: Das Alltäg-

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liche, Routinierte, Gleichförmige der Rechtsverwaltung bot den Rechtsarbeitern und ihrem Publikum gleichermaßen die beschwichtigende Illusion einer ungestörten Normalität. Die Welt war noch nicht aus den Fugen, dafür gab es bei Gericht sogar Brief und Siegel, und selbst die servilste Unterordnung blieb noch immer eine Form von Ordnung. Formensprache und Vokabular der bürgerlichen Gesellschaft waren weiter verwendbar. Das Justizpersonal erhielt die Chance, durch eine besonders rege Aktivität der Einberufung zu entkommen. Die Wirtschaft, zu allen Zeiten auf berechenbare und verbindliche Entscheidungen angewiesen, konnte sich weiterhin darauf verlassen, dass Blockaden in ihrem Kreislauf vor Gericht gelöst würden. Die Bürger wiederum durften sich der Vorstellung eines ungetrübten Justizalltags hingeben, einer papiernen Zufluchtsstätte, deren sauberes Schwarz-Weiß umso anziehender wurde, je unübersichtlicher und schmutziger die übrige Welt wurde. Das Land mochte in Schutt und Asche versinken, aber Gerichtstermine fanden statt, und wenn für das eigene Anliegen tatsächlich eine Heerschar von vornehm gewandeten Pedellen, Urkundsbeamten, Protokollanten, Kanzlisten und Richtern bereitstand, dann konnte es ja um den Rest der Welt so schlecht nicht bestellt sein. Und nicht zuletzt profitierte das Regime von der immer wieder zur Schau gestellten juristischen Normalität. Auch der totale Staat war auf Stabilisierungsleistungen angewiesen, die er selbst nicht garantieren konnte. Ohne den Normenstaat hätte der Maßnahmenstaat weder funktioniert noch Akzeptanz gefunden, ohne das Gewöhnliche wäre auch das Entsetzliche gestaltlos geblieben. Nur zwischen den psychosozialen Stützen des Rechts konnte sich der ideologische Ausnahmezustand überhaupt  – gewissermaßen geordnet – entfalten. Auf den Feldern der Normalität unterbreitete das Regime seinen Bürgern Handlungsangebote, deren integrative Kraft eine Identifizierung mit dem Staat auch weit jenseits dieser Felder sicherstellte; die Form des Rechts, so unbedeutend die da-

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bei transportierten Inhalte im Einzelfall auch gewesen sein mögen, eröffnete eine Spielwiese der kognitiven Dissonanz, eine Einladung zum Leben in der Phrase. Zu einem Regierungsprogramm taugte das zwar nicht. Aber es war die Voraussetzung für jedes Regierungsprogramm. Bei aller Verachtung für die Behäbigkeit des Normenstaates blieb der Maßnahmenstaat selbst in seinem wüstesten Treiben auf dessen berechenbare Ordnung angewiesen. Auch im berüchtigten politischen Strafrecht hielten sich Inseln der Normalität, und selbst für den industriellen Massenmord waren die normalen Dienstleistungen der Justiz durchaus brauchbar. Auch für die Konzentrationslager wurden Grundbücher angelegt.

Zivilisation oder Perversion Zivilisation oder Perversion

Diese Mechanismen hatten nach 1945 ihren Wert nicht verloren. Wo der Krieg die juristischen Gesprächsfäden hatte abreißen lassen, wurden sie jetzt wieder aufgenommen. Formulare wurden weiter ausgefüllt, Aktenzeichen fortgeschrieben, Prozesse fortgesetzt. Die Wohlfahrt des Alltags spendete weiter ihren Trost. Durch das Justitium konnten die unterschiedlichsten Zeitschichten miteinander verbunden werden, während alles, was diese Schichten trennte, sich zur bloßen Zwischenzeit degradiert sah, ein Überblendungsmechanismus, der sich technisch als eine Art von juristischer Kryonik und literarisch als selbstverordneter Dornröschenschlaf deuten lässt. Irgendwann wird es weitergehen; und wenn es dann ganz anders ist als zuvor, dann ist es immer noch normal – schon die ersten Kodifikationen der Neuzeit sahen den Widerstreit zwischen dem Stillstand der Rechtspflege und dem Fortschreiten der Weltzeit. Im Landrecht von 1620 findet sich dazu ein Satz, der die juristische Abgeklärtheit im Umgang mit Leben und Tod in barocker Lebensklugheit beschreibt: «Wann aber der Krieg / und das Sterben auffgehöret / so gehet die zeit wider an.»11

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Epilog

Gerichtsakten, wie sie im Zentrum des vorliegenden Buches stehen, liegen deshalb quer zur Zeit. Sie dokumentieren einen diachronen Rechtstransfer, mit dem die Normalität des Dritten Reichs in die Normalität der Nachkriegszeit überführt wurde: Erfahrungen, Erwartungen, Ansprüche, Träume, zusammengeführt hinter einer Aktenmappe, dem die juristische Zoologie den Namen «Blattsammlungshülle» verliehen hat. Im Strafrecht ist sie rot, im Zivilrecht grün, ein Grün allerdings, in das sich viel trübes Grau gemischt hat, wohl weil hinter der Hülle neben den Hoffnungen auf eine bessere Zukunft auch die Abgründe der Gegenwart versteckt werden. Die Chronologie presst zusammen, was sich gleichzeitig gar nicht ereignen dürfte. «Nicht alle sind im selben Jetzt da. Sie sind es nur äußerlich, dadurch, daß sie heute zu sehen sind. Damit aber leben sie noch nicht mit den anderen zugleich», schrieb Ernst Bloch 1932.12 Das alte Rätsel der Gleichzeitigkeit: Jeder kämpft für sich alleine, unfähig oder unwillig, den eigenen Erlebnishorizont mit dem der anderen zu synchronisieren. Ein Flüchtling aus dem schlesischen Hirschberg wandte sich im September 1945 aufgebracht ans sächsische Justizministerium, am 17. April 1945 hätte seine Ehe vor dem Landgericht geschieden werden sollen, wozu es aber wegen der feindlichen Besetzung nicht mehr gekommen sei. Seine Frau sei noch in Hirschberg, er müsse nunmehr unbedingt geschieden werden, «da ich als allein stehender Mann nicht so existieren kann», weshalb er darum bitte, «mir einen Weg zu weisen, auf dem ich aus dieser Ungewißheit und Unklarheit befreit werden kann».13 In Ellwangen suchte ein Kläger Befreiung von einem Hausschwamm. Ein Vergleich darüber war am 7. April 1945 gescheitert – da zog gerade ein Todesmarsch aus den Konzentrationslagern Hessental und Kochendorf durch die Stadt –, aber der Pilz vergrößerte sich unbekümmert weiter, und nach mehreren Gutachten und Schriftsätzen schrieb der Kläger am 20. Mai 1947 erbost, der Schwamm wachse «sich langsam zu einer Katastrophe aus» und

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Zivilisation oder Perversion

müsse unbedingt beseitigt werden. Nach weiteren Ortsterminen mit Architekten und Ingenieuren, nach Gutachten von Sachverständigen und der Befragung aller Bewohner seit 1900 kam man im Oktober 1949 doch noch zu einem Vergleich.14 In Esslingen waren die Nachbarn die Katastrophe. Seit 1938 stritt sich ein Vermieter erbittert mit einer Mieterin, die durch Unordnung, Unsauberkeit und ungezogene Kinder den Hausfrieden nachhaltig störe. 1943 war man vor Gericht gezogen, 1948 kehrte der Kläger aus einem Internierungslager zurück und musste feststellen, dass die Zustände noch immer so verdorben waren wie zuvor, die Beklagte jetzt aber auch noch Herrenbesuch empfing. Am 31. Mai 1949 ließ er, nun bereits sichtlich resigniert, seinen Anwalt vortragen: «Dieser Kampf dauert schon 10 Jahre.» Aber es half nichts. Die Herrenbesuche hörten zwar auf, aber dafür verlor der Vermieter 1950 den Prozess; nach zwei weiteren Jahren von Zeugenaussagen, Anschuldigungen, Beweisaufnahmen blieb dem Landgericht Stuttgart nur noch die Feststellung, «daß die Parteien miteinander in einem Maße verfeindet sind, das ein friedliches Zusammenleben künftig als unmöglich erscheinen lässt».15 Jedem Bürger seinen eigenen Krieg: Das Recht schuf die Möglichkeit, einem kollektiven Ausnahmezustand einen individuellen Normalzustand entgegenzusetzen, sich zu dissoziieren von der Gebrechlichkeit der Welt und die erlebte Realität wieder in ihre Fugen zu bringen. Die derart geschaffene Normalität ist manchmal heiter, manchmal beschwingt, manchmal grimmig, manchmal düster. Verzichtbar ist sie nie. Normalität kann niemals ersatzlos gestrichen werden. Die Nachkriegszeit war nicht das Dritte Reich, und die neue Normalität war nicht mehr die alte. Aber die Normalität des Rechts sicherte Identität in dieser Differenz. Das Justitium bietet selbst dem lügenden Kreter eine Bühne, um dort ein Selbstgespräch zu führen, im Normalen und im Unnormalen, im totalen Krieg und in der totalen Niederlage. Und offenbar wird dieses Gemurmel selbst dann nicht unterbrochen, wenn die verhandelten In-

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halte auf keine Resonanz mehr hoffen dürfen. Die Geschwätzigkeit des Rechts aber verschüttet nicht das «Leben selbst», sie ist das Leben selbst in seiner ganzen Pracht: Mietstreitigkeiten, Beleidigungen, Körperverletzungen, Mord und Totschlag, Ehescheidungen, Streitlust und Eitelkeit, Missgunst und Unterwürfigkeit, Neid und Knechtseligkeit, immer wieder dieselben Exkremente des gesellschaftlichen Miteinanders  – bürokratisch traktiert, juristisch katalogisiert und schließlich abgelegt im Archiv des Rechts. Um auf den eingangs zitierten Hans Magnus Enzensberger zurückzukommen: «Die Normalität ist eine defensive Kraft, aber sie ist unfähig, zu resignieren.»16 Der anomische Raum ist also ein Hirngespinst, ein philosophisches Irrlicht. Das Justitium ist kein rechtsfreies Rudiment, sondern ganz im Gegenteil der Moment der größten normativen Verdichtung, potenzierte Normalität gewissermaßen. Ohne den Beistand des Rechts droht der Mensch sein Menschsein zu verlieren, nur mit dem Beistand des Rechts wird das rohe Fleisch der Welt zum vornehmen Wort. «Zur Zeit eines gänzlichen Stillstandes des Gerichts», schrieb Justus Claproth 1786 in seiner Einleitung in den ordentlichen bürgerlichen Proceß, «ist die Selbsthülfe erlaubt, weil alsdann die Unterthanen gleichsam in den natürlichen Zustand zurückgesezet sind.»17 Das Justitium macht einen Strich durch diese Rechnung. Dem drohenden Naturzustand hält es eine bedingungslose praesumptio aeternitatis entgegen, den Aufschub in die Ewigkeit. In eigens errichteten Palästen erklingt der feierliche Aufruf der Sache, die Beteiligten sind mit Roben und Talaren kostümiert, auf dem Papier thronen Stempel und Siegel, die Tonlage orientiert sich durchgängig am sonoren Klang einer beherrschten Sachlichkeit. Nirgendwo sonst kann man so andächtig ein «Gespräch über Bäume» führen, jeder Rechtsstreit benötigt eine Armee von Signifikaten zur Staffage. Das Recht ist eine riesige Normalisierungsmaschine, die rhetorische Zucht der menschlichen Triebe. Kontrolle von Affekten: Das ist der Kern von Zivilisation.

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Aber das Fleisch ist noch immer da. Die Banalität des juristischen Dienstbetriebes vollzog sich inmitten der deutschen Kollektivraserei, neben Konzentrationslagern, Todesmärschen, aber auch neben Bombenkrieg, Volkssturm, Besatzung, Flucht. Die Gewalt war allgegenwärtig, und trotzdem wurde immer wieder starrsinnig auf die dünne Macht des Papiers verwiesen. Das Normale verlor auch unter vollkommen unnormalen Umständen nicht seine Anziehungskraft. Ist das nun der Gipfel der Zivilisation oder ihre letzte Perversion?

§ Es beginnt mit dem Papier, und es endet mit dem Papier. In den papiernen Welten des Rechts findet auch die Erinnerung Gnade. Dem Blick zurück präsentiert das Recht das Bild eines gefrorenen Stromes, der die Disruptionen und Zäsuren der Zeit so großzügig verdeckt, dass auch eine ganz neue Normalität aussieht wie die Fortsetzung der alten. Eine «Stunde Null» konnte es nicht geben. Das Papier war nicht duldsam genug: Für einen echten Neubeginn fehlte es an den geeigneten Formularen. Wie sie hätten aussehen müssen? Leer, keine Spalten zum Ausfüllen, keine Fragen zum Beantworten, geschichtslos, zeitlos, randlos, ungenormt, ungelocht, ohne jede Spur der Vergangenheit und ohne jede Spur dieser Vergangenheitslosigkeit. Vermutlich einfach blütenweißes Papier.

Dank Dank

Die Arbeit an diesem Buch hat sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckt. Eine solche Wegstrecke lässt sich nur zurücklegen, wenn man nicht alleine unterwegs ist. Am Ende steht der Dank: Erste Archivstudien zu Genesis und Erscheinungsformen des Stillstands der Rechtspflege hat die Daimler-Benz-Stiftung, Ladenburg, großzügig gefördert und dabei mit stoischer Gelassenheit hingenommen, dass mir selbst lange nicht klar war, wonach ich in den Archiven eigentlich genau suchte. Rainer Dietrich und Eckhard Minx vom damaligen Vorstand der Stiftung sei dafür herzlich gedankt; Susanne Hallenberger und Jörg Klein danke ich für die außergewöhnlich flexible und freundschaftliche Gestaltung des operativen Geschäfts. Nachdem die ersten Probebohrungen ergeben hatten, dass der Stillstand der Rechtspflege mehr zutage fördern könnte als eigentümliche Anekdoten aus einer eigentümlichen Zeit, hat die VolkswagenStiftung sich bereit erklärt, im Rahmen einer sogenannten Freigeist-Fellowship über fünf Jahre hinweg sämtliche Personalund Sachmittel im Zusammenhang mit dem Projekt zu übernehmen. Eine solche Förderung liegt weit jenseits aller Möglichkeiten, die sich dem akademischen Mittelbau an einer deutschen Universität üblicherweise bieten. Erst dieser gewaltige Vertrauensvorschuss hat mir den finanziellen und ideellen Rahmen gegeben, mich mit ungewissem Ausgang über Jahre hinweg im Archiv eingraben zu können. Wilhelm Krull, dem langjährigen Generalsekretär der

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Dank

Stiftung, und Henrike Hartmann, der Leiterin der Förderabteilung, gilt deshalb mein herzlicher Dank. Aus dem Maschinenraum der Stiftung danke ich Thomas Brunotte, Michaela Finsel, Oliver Grewe, Kerstin Krüger und Jennifer Richter, am meisten aber Johanna Brumberg: Sie hat das Projekt mit nimmermüder Freundlichkeit begleitet, Wünschen wie Sonderwünschen stets Wohlwollen geschenkt und dabei das Kunststück vollbracht, dass die Verwaltung eines Freigeist-Programms für keinen Beteiligten zur contradictio in adiecto wurde. Der größte Teil dieser Studie ist an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden. Auch dort war ich nicht auf mich alleine gestellt. Für administrative und technische Unterstützung danke ich Wolfgang Aßmann, Martin Böhme, Bernd Grosse, Claudia Haarmann, Gerrit Oldenburg, Hendrik Roth, Isko Steffan und Regine Thiel. Die Hilfskräfte Felix Brieske (Frankfurt / Oder), Linda de Artiagoitia, Sarah Heinz (beide Rostock), Maximilian Horn und Clara Jungblut (beide Berlin) sowie die  – längst ehemaligen – Doktorandinnen Johanna Rakebrand und Maximilian Wagner haben mich in zahllose Archive und Bibliotheken begleitet und in unserer kleinen Arbeitsgruppe für ein gedeihliches intellektuelles Klima gesorgt. Anna-Bettina Kaiser hat mich in ihre Arbeitsgruppe «Recht und Krise» aufgenommen und mir dort zahlreiche Einsichten über die juristische Bewältigung des Ausnahmezustands vermittelt. Julia Eichenberg, Marcus Payk und Kim Priemel haben mir in unseren regelmäßigen Gesprächen über Recht und Geschichte die Chance gegeben zu verstehen, wie Historikerinnen die Welt sehen. Ihnen allen danke ich herzlich. Die Rechtsgeschichte ist nach wie vor eine überwiegend analoge Angelegenheit. Die Suche nach Quellen ist für den heutigen Nutzer deshalb nicht immer einfach. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich mit großem Entgegenkommen um meine Anliegen gekümmert. Drei Analogarbeiter will ich eigens hervorheben: Elke Koch vom Staatsarchiv Ludwigsburg hat mir geduldig

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erklärt, welche Akten auf welche Weise ins Archiv kommen und wie sie dort sortiert, gepflegt und für die Forschung aufbereitet werden. Von Joachim Wenzlau, der vor gut vierzig Jahren eine Pionierarbeit über den Wiederaufbau der Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg vorgelegt hat,1 habe ich umstandslos mehrere umfangreiche Ordner mit Protokollen, Interviews und Telefonlisten erhalten; die detektivische Mühe, die in den 1970er-Jahren erforderlich war, um einen Gesprächspartner jenseits des Atlantiks ausfindig zu machen, lässt sich daraus immerhin erahnen. Eine ähnlich beeindruckende Quellensammlung hat Peter Petschauer angelegt, der, ebenfalls in den 1970er-Jahren, auf den Spuren von Heinrich van Huyssen – von dem die erste Dissertation über den Stillstand der Rechtspflege stammt – durch Essen gewandelt ist.2 Petschauer ist es dabei sogar gelungen, Huyssens Privatarchiv ausfindig zu machen. Die Ergebnisse seiner Recherche hat er mir sämtlich in Form altertümlicher Kopien zugeschickt; da die Originale mittlerweile ungünstigen Umständen zum Opfer gefallen sind, war mir das eine besonders wertvolle Gabe. Ihnen dreien gilt mein aufrichtiger Dank. Die Lektüre eines unveröffentlichten Manuskripts ist selten ein erbauliches Unterfangen. Diethelm Kaiser hat die Mühe trotzdem auf sich genommen, voller Neugier und Mitgefühl, ohne Missachtung der ganz kleinen und ohne Furcht vor den ganz großen Fragen, und das alles mit großer Sensibilität gegenüber dem gekränkten Autorenherz, das mitunter eine Weile braucht, bis es von einem falschen Freund Abschied nimmt. Zwei weitere aufmerksame Leser konnte ich – das Buch diente Qualifizierungszwecken – mithilfe des akademischen Dienstwegs gewinnen: Jan Thiessen hat mir in einem ausführlichen Erstgutachten erklärt, welche Abschnitte der Studie besser und welche weniger geglückt sind, Christian Waldhoff hat in einem nicht minder detaillierten Zweitgutachten das gleiche in Bezug auf andere Abschnitte getan. Von beiden Gutachten und dem damit verbundenen Austausch habe ich

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Dank

wesentlich profitiert. Anschließend habe ich das Manuskript noch einmal überarbeitet und dabei eine Fülle von Fehlern, Missgriffen und Ungenauigkeiten produziert, die Petra Rehder sämtlich zutage gefördert und mit freundlicher Bestimmtheit korrigiert hat. Vielen Dank! Unterschiedliche Arbeitsphasen begleitet hat die wohlwollende Lektüre von Rebekka Göpfert, Heide und Walter Grasnick, Andreas Lahusen, Christiane Lahusen, Miriam Lahusen, Regine Lahusen, Ulrich Nolte, Kim Priemel. Die Ballung namensgleicher Erstleser signalisiert, dass nicht überall Freiwilligkeit am Wirken war, sondern familiäre Zwangsverpflichtungen aller Art nutzbar gemacht wurden. Das ließ sich auch auf die akademische Familie übertragen. Regina Ogorek und Dieter Simon haben die Studie von der ersten Idee bis zur Fertigstellung mit unerschütterlicher Empathie und unbestechlicher Kritik begleitet. Mit Blick auf Dieter Simon gilt dies für meine juristische Ontogenese überhaupt; sollten darin Spuren der rechtswissenschaftlichen Phylogenese zu finden sein, dann gehen sie auf ihn zurück. Daraus ist zunächst so etwas wie ein intellektueller Rettungsschirm geworden und dann  – bei allem Respekt vor großen Worten  – tiefe Freundschaft. Für Freundschaft bedankt man sich nicht. Für alles andere schon. Berlin, April 2022

Benjamin Lahusen

Anmerkungen Anmerkungen Anmerkungen zur Einführung

Vorwort 1 Heinrich Heine, Romanzero, Kapitel 37. 2 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation 1. Frankfurt am Main, 1976, 212–219. 3 Klaus Eschen, Vor den Schranken, in: Kursbuch 40 (1975), 103 ff. 4 Johann Peter Hebel, Reise nach Frankfurt, in: ders., Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes. Stuttgart, Kapitel 125. 5 Siehe nur Heinrich van Huyssen, De Justitio. Vom Stillstand des Gerichts. Straßburg, 1689; für die ZPO Ludwig Gaupp, Civilprozeßordnung. Freiburg, 1879, § 222, Anm. I; Lothar Seuffert, Civilprozeßordnung. München, 1895, § 222. 6 Statt aller: Friedrich Stein / Martin Jonas, Zivilprozessordnung. Tübingen 2016, § 245 Rn. 1.

Einführung: Außerordentliche Normalität 1 RV RJM, 26. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /22 (unpag.). Zum Kontext Richard Evans, Das Dritte Reich, Band 3. München, 2009, 819 f.; Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944 / 45. München, 2011, insb. 119 f. Im Übrigen: Volker Ullrich, Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches. München, 2020; Sven Keller, Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944 /45. München, 2013; Daniel Blatman, Die Todesmärsche 1944 /45. Reinbek, 2011; RolfDieter Müller (Hg.), Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches. München, 2008; Cord Arendes / Edgar Wolfrum / Jörg Zedler (Hg.), Terror nach Innen. Göttingen, 2006; Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München, 1995. 2 RV RJM, 31. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /22 (unpag.). Das Zitat

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Anmerkungen stammt aus der vorbereitenden Abteilungsleiterbesprechung, 8. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24688, Bl. 33. RV RJM, 5. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /22 (unpag.). AV RJM, 14. August 1944, in: ebd. Dazu etwa die RV vom Winter 1944 /45 OLGP Stettin, in: LAG, Rep. 75 Nr. 258 und Rep. 76 Nr. 836, Bl. 95. Siehe dazu die Statistiken in BA, R 3001 Nr. 25043 und Nr. 25113, in denen jedoch vorwiegend mit preußischen Zahlen gearbeitet wird. Dazu Maximilian Becker, Mitstreiter im Volkstumskampf. Deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten. München, 2014, 253. LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 330 (unpag.). Ausgangspunkt war ein streng vertrauliches Schreiben von Staatssekretär Franz Schlegelberger an einige hochrangige Mitarbeiter des Ministeriums vom 9. März 1937 (BA, R 3001 Nr. 22764, Bl. 7). Zu den Vereinfachungen: Franz Schlegelberger, DJ 1939, 1881 f.; Wilhelm Stuckart, Jahrbuch der AkDR 1939, 1–20; Adolf Schönke, Das Zivilprozeßrecht des Krieges. Berlin, 1940; Herbert Schneider, DR 1940, 1688–1690. Justus Wilhelm Hedemann, Der Krieg und das bürgerliche Rechtsleben, in: DJ 1939, 1516–1523, Zitate von 1516 und 1518. Gebrauchsfertige Informationen bei Eberhard Staud, DJ 1939, 1481–1484; Fritz Fechner, Deutsches Recht 1939, 1732–1738; Löwisch, Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht 1939, 349–354; Curt Freiherr von Stackelberg, Das bürgerliche Kriegsrecht. Bad Oeynhausen, 1940; Martin Jonas, Zivilprozeßordnung. Tübingen, 1943. Überblick bei Dominik A. Thompson, Krieg ohne Schaden. Vertragsstreitigkeiten und Haftpflichtprozesse im Kontext von Kriegswirtschaft und Amtshaftungskonjunktur ausgehend von der Rechtsprechung des Landgerichts Bonn während des Zweiten Weltkriegs (1939–1945). Tübingen, 2015, 38–59. RJM an alle OLGP, 11. Februar 1943, in: BA, R 3001 Nr. 20284, Bl. 15– 17; Übersicht über die Maßnahmen in der RV des RJM vom 20. Mai 1943, in: ebd., hier Bl. 104. Kriegsmaßnahmenverordnung vom 12. Mai 1943, in: RGBl. I, 290. Richtlinien dazu in BA, R 22761, Bl. 333 f., Erläuterungen bei Herbert Schneider, Deutsches Recht 1943, 778–780; ähnlich Eberhard Staud, DJ 1943, 273– 275; Vogel, Deutsche Notarzeitschrift 1943, 187–190. Statistiken in BA, R 3001 Nr. 22796, Bl. 165–211, Bl. 287–329 und 332– 378; siehe zudem Vermerk Abt. VI, 4. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24301, Bl. 1–28. Siehe zur Personalsituation das Schreiben RJM an den Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz, 1. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25113 (unpag.). Die wohl letzte Reichsstatistik mit Stand Januar 1944 findet sich in: BA, R 3001 Nr. 24514, Bl. 38 f. Dass der Schwund bis Kriegsende weiterging, zeigen regionale Studien, siehe nur Arthur von Gruene-

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Anmerkungen zur Einführung waldt, Die Richterschaft des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in der Zeit des Nationalsozialismus. Tübingen, 2015, 72–79; Hubert Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen vor und nach 1945. Berlin, 2010, 216–219. Zweite Kriegsmaßnahmenverordnung, RGBl. I, 229–237, in Kraft ab 15. Oktober 1944. Dazu Josef Altstötter, DJ 1944, 253–262. Auch die Richtlinien zur Kriegsdringlichkeit wurden noch einmal verschärft (DJ 1944, 265–267). Letzte Fristverlängerung: Schnellbrief RJM an alle OLGP, 1. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /23 (unpag.). So berichtete GStA Jena an RJM, 28. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 22266 (unpag.). RJM an Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz, 1. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25113 (unpag.). RV RJM, 10. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /22 (unpag.). LGP Nordhausen an OLGP Jena, 9. Dezember 1944, in: HStAW, Thüringisches Oberlandesgericht Jena Nr. 909, Bl. 25. Ablehnend auch Lagebericht OLGP Jena, 2. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23369, Bl. 123. Otto Thierack, Deutsche Rechtswahrer!, in: DJ 1945, 1. LGP Aachen an RJM, 8. November 1944, und Antwort darauf, beide in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 151. Lagebericht OLGP Zweibrücken, 28. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 119. Überblick bei Joachim Kermann, Das Oberlandesgericht Zweibrücken und der Aufbau einer deutschen Justizverwaltung in Lothringen 1940 /41, in: 175 Jahre pfälzisches Oberlandesgericht. Neustadt, 1990, 207–226. AV OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz), 5. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 2. Gesprächsvermerk GStA Rostock, 10. April 1945, in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 854 (unpag.). Zur Etymologie Heinrich van Huyssen, De Justitio. Vom Gerichts-Stillstande. Straßburg, 1689, Caput I, §§ 1–3; etwas anders Claudius Salmasius, De modo usurarum liber. Leiden, 1639, 810 f. und Sextus Pompeius Festus, De verborum significatione 1, 74. Beispiele bei Cicero, Philippica 5, 12; Livius 3, 27, 2; Sueton, Vita Galbae, 10, 2 und Vita Caligulae, 5 f.; Tacitus, Annales, liber 2, 81; Gellius, noctes atticae, liber 20, caput 1, 42– 43; Cassius Dio, 59, 7. Überblick bei Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht 1. Leipzig, 1876, 250–253. Wolfgang Kunkel / Roland Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, Zweiter Abschnitt. München, 1995, 225; Hendrik Simon Versnel, Destruction, devotio and despair in a situation of anomy, in: Perennitas. Studi in onore di Angelo Brelich. Rom, 1980, 541–618. Mehr der Vollständigkeit halber: Gregory Golden, Crisis Management During the Roman Republic. Cambridge, 2013, 87–103.

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Anmerkungen

26 Livius 7, 1. Anlass war die politische Blockade nach der Einführung des plebejischen Konsulats 366 v. Chr. 27 Dekretale im Liber Extra Gregors IX., 2, 26, 10, abgedruckt im Corpus Iuris Canonici. 28 Aus dem Landrecht von 1620: 1. Buch, Tit. XXIV, Art. X (persönliches Erscheinen) und 3. Buch, Titulus IV, Art. II § 3 (Verjährung). Die großen Reformen von 1685 und 1721 beschränkten sich an diesem Punkt auf praktisch wortgleiche Neuverkündungen. Ähnlich insoweit Project 1766, Theil III, Titel X § 21 IX. 29 Rescripte vom 28. Januar 1671, 5. April 1671 und 24. März 1674 (CCM, Nr. XL, XLI und XLVI). 30 Der Entwurf zum Corpus Iuris Fridericianum findet sich in: GStA PK, I. HA Rep. 84 XVI Nr. 15, Bd. 5, darin Teil I Titel 20 § 8, fol. 91–92r. Weiter: Entwurf PO Preußen 1864, § 759. Außerhalb Preußens: CPO Siebenbürgen (1852), Entwurf einer BPO für Sachsen (1860, Kapitel XX, § 855), § 103 CPO für Bosnien und Hercegovina (1883), § 161 österreichische CPO (1895). Zur parallelen Entwicklung im Staatsrecht («Ausnahmezustand») siehe die Hinweise bei Anna-Bettina Kaiser, Ausnahmeverfassungsrecht. Tübingen, 2020, 49–52. 31 Siehe Hahn, 252, 584, 962. 32 1807 kam es wegen Napoleon zu einem fast einjährigen Justitium bei Warschau (EKO 45 [1861], 97–102) und Posen (EKO 14 [1847], 365–369), 1814 bei Danzig, siehe dazu das Rescript vom 17. Mai 1814, Jahrbücher für die preußische Gesetzgebung 3 (1814), 262 f., und die Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 5. Mai 1815, in: ebd. 5 (1815), 8, und dazu EKO 17 (1849), 314–319; 23 (1852), 1–13. Zum Cholera-Ausbruch 1831 PreußGS 1831, 156 und 157 f. Zwei Urteile aus dem Ersten Weltkrieg sind bei Hans-Georg Hermann, §§ 194–225, in: HKK I, 2003, 901–1032, Fn. 199 nachgewiesen. Außerdem RG, Beschluß vom 25. Juli 1941, in: RGZ 167, 215–222. 33 Philipp Eduard Huschke, Römische Studien 1. Breslau, 1869, 281 Note 174. 34 Statt aller: Adolf Baumbauch, Zivilprozessordnung. München, 2018, § 245. 35 Ebd. Dieser Gedanke wurde wohl erst 1950 aufgenommen. 36 So Wilhelm Kesseböhmer, der erste Generalstaatsanwalt am OLG Hamm, in seinen Erinnerungen nach dem Krieg (1967), in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 14. 37 Joachim Rückert, Die Beseitigung des Deutschen Reiches – die geschichtliche und rechtsgeschichtliche Dimension einer Schwebelage (2006), in: ders., Abschiede vom Unrecht. Tübingen, 2015, 166–194, 172. 38 Zitiert nach Joachim Reinhold Wenzlau, Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland 1945 bis 1949. Königstein, 1979, 70 Fn. 5. 39 Runderlass Justizministerium Württemberg-Baden, 20. September 1946, in: StAL, EL 300 V Bü 192, Vorgang 86.

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Anmerkungen zur Einführung

40 AGD Berlin-Mitte, 15. März 1949, zitiert nach Ernst Reuß, Berliner Justizgeschichte. Berlin, 2000, 99 Fn. 328. 41 HStAD, 11031 Nr. 210. 42 LAH, Nds. 725 Acc. 2004 /112 Nr. 11. 43 Zitat in StACh, 30 096 Nr. 8551 (LG Plauen, 1. Zivilsenat) und Nr. 8537 (2. Zivilsenat), neue Aktenzeichen in ebd., Nr. 2168, 2209, 8505, 8509, 8527, 8537, 8551. 44 LG Stuttgart, 1 O 11 /1945, in: StAL, E 315 Zugang 2007 /11 Mappe 6. 45 Erinnerungsbericht Wilhelm Kesseböhmer (1967), in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 17. 46 Hier: Geschäftsverteilung beim LG Düsseldorf, 7. August 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 142 Nr. 209, Bl. 257. 47 Zuletzt Harald Jähner, Wolfszeit. Deutschland und die Deutschen 1945– 1955. Berlin, 2019; Victor Sebestyen, 1946. Das Jahr, in dem die Welt neu entstand. Berlin, 2015; Ian Buruma, Year Zero. A History of 1945. London, 2013; Frederick Taylor, Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944–1946. Berlin, 2011. 48 Hans Wrobel, Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945–1949. Heidelberg, 1989. Dazu näher Manfred Görtemaker, In eigener Sache. Das BMJ und seine Beiträge zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, in: ders. / Christoph Safferling (Hg.), Die Rosenburg. Göttingen, 2013, 17–42, 38 f. 49 Die Pionierarbeit stammt von Joachim Wenzlau, a. a. O. Synthesen bei Hermann Wentker, Justiz in der SBZ / DDR 1945–1953. München, 2001; Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. München, 2013. Die Literatur kann darüber erschlossen werden. 50 So Martin Dreyer, Die zivilgerichtliche Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf in der nationalsozialistischen Zeit. Göttingen, 2004, 330. In Oldenburg war die Kontamination fünfmal so hoch («ca. 2,5 %»), so Gundolf Bartels, Zivilrechtsprechung in Oldenburg 1933–1945, in: 175 Jahre Oberlandesgericht Oldenburg. Köln, 1989, 253–288, 288. 51 Vgl. dazu die SD-Meldung vom 13. Mai 1943 (Richterbriefe, 455–460). Siehe insgesamt Jürgen Meinck, Justiz und Justizfunktion im Dritten Reich, in: ZNR 1981, 28–39; Dieter Simon, Waren die NS-Richter «unabhängige Richter» im Sinne des § 1 GVG?, in: Bernhard Diestelkamp / Michael Stolleis (Hg.), Justizalltag im Dritten Reich. Frankfurt am Main, 1988, 11–25; Ralph Angermund, Deutsche Richterschaft 1919–1945, Frankfurt am Main, 1990, 231–245; Hans-Eckhard Niermann, Die Durchsetzung politischer und politisierter Strafjustiz im Dritten Reich. Düsseldorf, 1995, 372; Fabian Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt. Tübingen, 2006, 64– 66; Rottleuthner (a. a. O.), 13. 52 Zur Hitler-Rede und ihren  – vorwiegend psychologischen  – Folgen siehe Lothar Gruchmann, «Generalangriff gegen die Justiz»?, in: VfZ 2003, 509–

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Anmerkungen 520; außerdem Sarah Schädler, «Justizkrise» und «Justizreform» im Nationalsozialismus. Das Reichsjustizministerium unter Reichsjustizminister Otto Thierack (1942–1945). Tübingen, 2009, 6–56. RV RJM, 5. Juli 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22489, Bl. 152. Siehe dazu Ralph Angermund, Die geprellten «Richterkönige». Zum Niedergang der Justiz im NS-Staat, in: Hans Mommsen / Susanne Willems (Hg.), Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Düsseldorf, 1988, 304–373, 324 f.; Bernward Dörner, Justizterror bei weitgehender Wahrung der Form, in: «… eifrigster Diener und Schützer des Rechts, des nationalsozialistischen Rechts …». Düsseldorf, 2007, 9–32, 29. Otto Thierack, Tagung der OLGP und GStA in Kochem, 23.–25. Mai 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 1166, Bl. 139 (abgedruckt bei Schubert, 546). Zu unfreiwilligen Übereinstimmungen mit Curt Rothenberger siehe Werner Johe, Die gleichgeschaltete Justiz. Frankfurt am Main, 1967, 234. Das ist das grundlegende Missverständnis von Hermann Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus. Stuttgart, 1968, 95. Insoweit nicht unähnlich Wolfgang Grunsky, Gesetzesauslegung durch die Zivilgerichte im Dritten Reich, in: KJ 1969, 146–162; Inga Markovits, Diener zweier Herren. DDR-Juristen zwischen Recht und Macht. Berlin, 2020, insb. 218. Manfred Görtemaker / Christoph Safferling (Hg.), Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. München, 2016. Ergänzend (und nicht weniger selbstzufrieden): Heiko Maas (Hg.), Furchtlose Juristen. Richter und Staatsanwälte gegen das NS-Unrecht. München, 2017. Hans Magnus Enzensberger, Zur Verteidigung der Normalität (1982), in: ders., Politische Brosamen. Frankfurt am Main, 1985, 207–224, 209. Ebd. Christopher Browning, Ordinary Men. Reserve Police Battalion 101 and the Final Solution in Poland. New York, 1993. Erweiternd: Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt am Main, 2005. Stefan Kühl, Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust. Berlin, 2014. Beide Ansätze sind nicht unumstritten geblieben. Welzer wurde – zu Unrecht – eine Normalisierung der Täter vorgeworfen. Kühl dagegen braucht für seine «normalen Organisationen» einen totalitären Staat, einen Krieg (wenn möglich: einen totalen) und ein Übergreifen der Organisation auf die Lebenswelt ihrer Mitglieder. Damit verbindet sich die Hoffnung auf Anschlussfähigkeit an die allgemeine Geschichtsschreibung; siehe Martin Broszat / Klaus-Dietmar Henke / Hans Woller (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. München, 1989; Ludolf Herbst, Das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945. Frankfurt am Main, 1996, 435; Christopher Kleßmann, Kriegsende, in: Bernd-

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Anmerkungen zur Einführung A. Rusinek (Hg.), Kriegsende 1945. Göttingen, 2004, 211–218. Nicht konsultiert wurden alliierte Akten. Die Rekonstruktion gilt dem Horizont der deutschen Justiz, für die die Welt der Alliierten, jedenfalls in der Zeit unmittelbar nach der Kapitulation, einer Blackbox glich. Das Innenleben des alliierten Apparats war für die deutsche Justizverwaltung weder nachzuvollziehen noch von Belang. Historisch ist dieser Teil gut aufbereitet; zusammenfassend zuletzt Raim, a. a. O., 22–70. NJ 1947, 2. Siehe auch Georg August Zinn an Joachim Wenzlau, 30. März 1973, in: PA Wenzlau, Korr. Zinn; Inga Markovits, Sozialistisches und bürgerliches Zivilrechtsdenken in der DDR. Köln, 1969, 11 f. Dazu Ute Schneider, Der deutsche Einheitsjurist in der frühen DDR, in: Archiv für Sozialgeschichte 39 (1999), 235–264. Schon Gustav Radbruchs Beispiele (SJZ 1946, 105–108) stammen vorwiegend aus dem Osten. Siehe darüber hinaus Friedrich Buchwald, Gerechtes Recht. Weimar, 1947; Richard Lange, Zu neuen Ufern im Strafrecht, in: NJ 1947, 8. Zusammenfassend Lena Foljanty, Recht oder Gesetz. Juristische Identität und Autorität in den Naturrechtsdebatten der Nachkriegszeit. Tübingen, 2013, insb. 53 f. Siehe – natürlich – Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus. Tübingen, 1968, und weiter Diemut Majer, «Fremdvölkische» im Dritten Reich. Boppard, 1981; dies., Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems. Stuttgart, 1987, 117–200; Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NSStaat. Heidelberg, 1996. Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. Berlin, 1923, 14. Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat. Recht und Justiz im ‹Dritten Reich› (1940), Frankfurt am Main, 1984, 193. Exemplarisch Albrecht Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Verfahrens- und Richterrechts im nationalsozialistischen Staat. Stuttgart 1968, 313; siehe auch Gerhard Erdsiek, Chronik der Rechtsentwicklung, in: DRZ 1946, 18–26, 20; Hubert Schorn, Festgabe zur Wiederkehr des Tages des 100jährigen Bestehens des Landgerichts Bonn. Bonn, 1950, 133; Friedrich Scholz, Berlin und seine Justiz. Berlin, 1982, 3 f.; aus jüngerer Zeit Barbara Manthe, Richter in der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft. Beruflicher und privater Alltag von Richtern des Oberlandesgerichtsbezirks Köln, 1939–1945. Tübingen, 2013, 118–126. Siehe dazu die Zusammenstellung bei Klaus Marxen / Holger Schlüter, Terror und «Normalität». Urteile des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs 1934–1945. Eine Dokumentation. Düsseldorf: JM NRW, 2004. Dazu Cornelia Vismann, Akten. Medientechnik und Recht. Frankfurt am Main, 2000, 23, 269. Mariano San Nicolò /Artur Steinwenter (Hg.), Festschrift für Leopold

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Anmerkungen

Wenger 2. München, 1945. Im Übrigen: Kurt Kroll /Arthur Christiansen (Hg.), Kriegssachschädenrecht. Hamburg, 1945 (Stand Dezember 1944); Gustav von Schmoller, Das Wirtschaftsrecht in Böhmen und Mähren. Brünn / München / Wien, 1945 (erschienen Dezember 1944); Leo Raape, Deutsches internationales Privatrecht. Berlin, 1945. 71 Dies in Anlehnung an Hermann Heller, Staatslehre. Leiden, 1934, 252–254.

1. Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf Anmerkungen zu Kapitel 1

1 Chronologie: Schutzverordnung vom 4. Dezember 1943 (RGBl. I, 666– 668), AV RJM, 22. Dezember 1943, in: DJ 1944, 39. Erläuterungen bei Eberhard Staud, DJ 1944, 49 f. 2 Protokoll in HStAW, Thüringisches Oberlandesgericht Jena Nr. 906, Bl. 302. Dürftige Widergaben bei Schubert, 530; OLGP Celle an LGP Detmold, 22. Februar 1944, in: LAV NRW-OL, D 20 B Nr. 2002, Bl. 325 f. 3 OLGP Rostock an RJM, 30. April 1942, in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 851 (unpag.), auch in LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 46. Daraus die folgenden Zitate. Siehe außerdem die Lageberichte OLGP Rostock an RJM vom 1. Mai und 1. Juli 1942, BA, R 3001 Nr. 23385, Bl. 19 f. 4 Ebd. 5 OLGP Rostock an die Senatsvorsitzenden und Landgerichtspräsidenten, 27. Mai 1942, in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 857, Bl. 169. 6 OLGP Köln an RJM, 29. Juli 1942, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 469, Bl. 8–10; Barbara Manthe, Richter in der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft. Beruflicher und privater Alltag von Richtern des Oberlandesgerichts Köln, 1939–1945. Tübingen, 2013, 107 f. 7 Vermerk RJM vom 4. Juni 1942, in: BA, R 3001 Nr. 22761, Bl. 17 f. Man behalf sich mit der Vereinfachungsverordnung vom 1. September 1939 (RGBl. I, 1656–1658) und legte Wert darauf, dass den Beteiligten keine Nachteile entstünden. Beim nächsten großen Angriff auf Köln wurde ein Justitium nicht mehr in Erwägung gezogen; vgl. LGP Köln an OLGP Köln, 15. Mai 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 28 Nr. 206, Bl. 186 f. 8 Schriftverkehr zwischen LGP Duisburg, OLGP Düsseldorf und RJM dazu, in: BA, R 3001 Nr. 22761, Bl. 250 f., 254. 9 Lagebericht GStA Zweibrücken, 8. August 1942, in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 85 ff. 10 Der gesamte Vorgang ist dokumentiert in StAM, 263 OLG Kassel Nr. 5. 11 OLGP Dresden an RJM, 27. Dezember 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22328, Bl. 21. 12 AV RJM, 7. August 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22328, Bl. 31 f. Vorläufer nach

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Anmerkungen zu Kapitel 1 LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 487, Bl. 141) und BA, R 3001 Nr. 24459, Bl. 22. Runderlass RJM, 4. April 1941, in: BA, R 3001 Nr. 22327, Bl. 1 ff.; AV RJM, 15. Dezember 1942, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /18 (unpag.); AV RJM, 14. August 1943, in: DJ 1943, 404; RV RJM vom 1. März 1944 und vom 8. Mai 1944, beide in: BA, R 3001 Nr. 8463 /21 (unpag.); Arbeitstagung RJM, 3. /4. Februar 1944 (Schubert, 517 f.). AV RJM, 30. April 1943, hier nach LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 849, Bl. 122. AV RJM, 27. Juli 1943, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /20 (unpag.). AV RJM, 21. August 1943, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /20 (unpag.). Der Bericht selbst findet sich in BA, R 3001 Nr. 22317, Bl. 7–10; ganz ähnlich der Lagebericht der GStA Hamburg, 30. September 1943, in: BA, R 3001 Nr. 23366, Bl. 118. Siehe etwa für das Landgericht Stargard die Berichte in GStA PK, XV. HA Rep. 76 Stargard Nr. 672. RV RJM, 13. Juli 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22734, Bl. 19. Weiter: RV RJM, 31. Mai 1942, in: BA, R 3001 Nr. 22317, Bl. 174; RV RJM, 19. Oktober 1942, in: DJ 1942, 686 f.; RV RJM DJ 1943, 24 f. Lagebericht OLGP Hamburg, 27. November 1943, in: BA, R 3001 Nr. 23366, Bl. 122. Beide Berichte sind undatiert, wohl Ende 1943, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 34, unpag. Bezirksnotariat Ehingen an LGP Ulm, 20. September 1944, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 646, Vorgang 5 /2. OStA Stettin an LGP Stettin, 12. Mai 1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 129, Bl. 100–102. Schriftwechsel (Dezember 1944) in HStAS, EA 4 / 001 Bü 646, Vorgänge 5 /1, 5 /14, 5 /15. AV RJM, 6. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 22317, Bl. 241. RJM, AV vom 5. April 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /21 (unpag.). Der – darüber etwas hinausgehende – Bericht des OLG Celle findet sich in BA, R 3001 Nr. 22317, Bl. 135–139. AV RJM, 9. August 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /22 (unpag.). Ähnlich AV OLGP Stettin, 5. September 1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 650, unpag. Lagebericht OLGP Zweibrücken, 8. August 1942, und GStA Zweibrücken, 14. August 1942, beide in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 85 ff., 90 ff. Ansprache Luftschutzleiter LG Greifswald, 13. November 1943, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 61, Bl. 9 ff.; RV OLGP Stuttgart, 21. Oktober 1942, in: StAL, F 254 II Zugang vom 29. 4. 1988, Bü 195; LGP Köln an OLGP Köln, 15. Mai 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 28 Nr. 206, Bl. 187. Verordnung, 18. Juni 1942 (RGBl. I, 395), Erläuterungen bei Honig, DJ 1942, 417–420.

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Anmerkungen

30 AV RJM, 2. Juni 1944, in: DJ, 168. 31 Lageberichte OLGP Königsberg, 9. September 1944 und 30. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23375, Bl. 258 f. und 273. 32 AGD Stettin an LGP Stettin, 24. April und 5. September 1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 129, Bl. 90 und 145. 33 Siehe etwa LGP Dresden an OAR Riesa, 3. März 1945, in: HStAD, 11091 Nr. 19, Bl. 16; OLGP Dresden an AG Zwickau, 9. April 1945, in: StACh, 30 145 Nr. 5650 Band II (AG Zwickau, 15 C 225 /44). 34 LG Ellwangen R 45 /1945, in: StAL, E 341 IV Zugang vom 14. 11. 1988 P 61 Nr. 307. 35 Formular (Januar 1944) in BA, R 3001 Nr. 22733. 36 SD-Bericht, 21. Februar 1944, in: Meldungen, 6346 ff.. 37 Ansprache Thierack auf der Tagung der OLGP in Weimar, 3. /4. Februar 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 1166, Bl. 123. Etwas anders die Wiedergabe bei Schubert, 501. Dazu Michael Stolleis, Nachwort, in: ders., Recht im Unrecht. Frankfurt am Main, 2005, 335–342, 338. 38 Alle Zitate aus §§ 1 und 3 Deutsches Beamtengesetz, 26. Januar 1937, in: RGBl. I, 39–70. 39 Wilhelm Eschrich, Beamtenrecht. Berlin, 1944, 21 f. Siehe dazu Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944 /45. München, 2011, 387 f. 40 Diese «Loskauf» genannte Praxis wurde mehrfach untersagt, siehe RV RJM, 5. September 1942, in: BA, R 3001 Nr. 22308, Bl. 191, und AV RJM, 5. Januar 1943, in: DJ 1943, 41. 41 AV RJM, 15. März 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /21 (unpag.). Ähnlich RJM an Rechtsanwaltskammer, 11. März 1944, in: ebd. 42 Vgl. Wilhelm Stuckart, Führung und Verwaltung im Kriege. Berlin, 1941, insb. 46. 43 Nachweise bei Diemut Majer, Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems. Stuttgart, 1987, 112 f. 44 Otto Thierack, Sammlung der Kräfte!, in: DJ 1943, 65 f. 45 Ansprache vom 13. November 1943, in: LAG Rep. 76 Greifswald Nr. 61, Bl. 9 ff. 46 Siehe RV RJM vom 15. Juni 1943, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /19 (unpag.). 47 AV RJM 24. April 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /21 (unpag.), ergänzt am 1. Juni 1944 und 17. Juni (ebd.). 48 LGP Köln an AG Köln, 18. Oktober 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 198, Bl. 7. 49 Lagebericht OLGP Düsseldorf, 29. November 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 203 Nr. 191 (unpag.). 50 Bericht LGP Stettin, 7. Februar 1944, in: GStA PK, XV. HA, Rep. 75a OLG Stettin Nr. 629, Vorgang 26.

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Anmerkungen zu Kapitel 1

51 Justizrat Flamme an LGP Stettin, 28. August 1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 129, Bl. 157. 52 LGP Verden an OLGP Celle, 29. September 1944, in: LAH Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 161, Bl. 17; Bericht der Luftschutzwache Köln vom 1. Mai 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 178, Bl. 112; Bericht des OLGP und GStA Stuttgart an RJM, 27. September 1944, in: HSA Stuttgart EA 4 / 001, Bü. 646, Bl. 7. 53 Dies hatte Thiearck auch schon auf der Tagung von Weimar wenige Monate zuvor wörtlich gesagt (3. /4. Februar 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 1166, Bl. 123). Die Referate von Kochem sind abgedruckt bei Schubert, 547–550. 54 RV RJM, 28. September 1944, hier zitiert nach: HStAS, EA 4 / 001 Bü 646. 55 Lagebericht OLGP Hamburg, 5. August 1944, BA, R 3001 Nr. 23366, Bl. 138. 56 Lagebericht OLGP Königsberg, 9. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23375, Bl. 258 f. 57 Berichte OLGP und GStA Stuttgart, 27. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 22328, Bl. 6–9; GStA Stuttgart an RJM, 3. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23387, Bl. 61 f. 58 LGP Hannover an OLGP Celle vom 1. November 1944, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 161, Bl. 25. 59 Bericht OLGP Stuttgart, 23. Dezember 1944, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 646, Bl. 48. 60 LGP und OStA Detmold an OLGP Hamm, 1. Januar 1945, in: LAV NRWOL, D 20 B Nr. 2155, Bl. 12. 61 Bericht Oberamtsrichter Ahrweiler, 10. Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 327, Bl. 134. 62 Bericht des aufsichtführenden Richters Hillesheim, 26. Januar 1945, in: ebd., Bl. 128. 63 Bericht vom 1. Februar 1945 in: BA, R 3001 Nr. 22734. 64 LGP Koblenz an OLGP Köln, 29. Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 327, Bl. 124. 65 Bericht Oberamtsrichter Rheinbach, 7. Februar 1945, in: ebd., Bl. 127. 66 OLGP Oldenburg an RJM, 31. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22734, Bl. 11. 67 Bericht Oberamtsrichter Bensberg, 1. März 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 327, Bl. 138. 68 OLGP Stuttgart an RJM, 27. Februar 1945, und Bericht Amtsgerichtsdirektor Schwäbisch Hall, 26. Februar 1945, in: HStAS EA 4 / 001 Bü 656, Vorgänge 143 und 152. 69 RGP an RJM, 2. März 1945, zitiert nach Hans-Peter Glöckner, Die Auflösung des Reichsgerichts im Spiegel der archivalischen Überlieferung, in: FS Bernhard Diestelkamp, 1994, 421–456, 437.

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Anmerkungen

70 OLGP Bamberg an RJM, 22. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22734, Bl. 10. 71 AGD Reutlingen an LGP Tübingen, 3. März 1945, in: HStAS EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 153. 72 AGD Göppingen an OLGP Stuttgart, 2. März 1945, in: HStAS EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 154. 73 Bericht LGP Hildesheim an OLGP Celle, 27. März 1945, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 171, Bl. 174. 74 Berichte des Generalstaatsanwalts Stuttgart, 12. Januar, 2. März und 10. März 1945, HStAS EA 4 / 001 Bü 646, Bl. 46, 81, 85. 75 OLGP und GStA Köln an RJM, 9. Januar 1945, in: StA Duisburg, Gerichte Rep. 255 Nr. 365, Bl. 214, und Bericht LGP Bonn an OLGP Köln, 8. Januar 1945, in: ebd., Bl. 216. 76 Bericht LGP Bielefeld an OLGP Hamm, 24. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22734, Bl. 3. 77 So die Dienststrafen nach § 4 Reichsdienststrafordnung vom 26. Januar 1937, in: RGBl. I, 71–90. 78 Werner Gephart, Versteinerte Rechtskultur, in: Heinz Mohnhaupt / Dieter Simon (Hg.), Vorträge zur Justizforschung 1. Frankfurt am Main, 1992, 401–431. 79 Bericht Wittmann, 10. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 52. 80 LGP und OStA Rottweil an GStA Stuttgart, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 146. 81 Bericht des LGP Eisenach an OLGP Jena, 28. Juni 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena, Nr. 1988, Bl. 228. 82 Erklärung des OAR Neubrandenburg vom 7. Februar 1945, in: LHAS 5.12–6 /4 Nr. 396 (unpag.). 83 OStA Stettin an LGP Stettin, 10. November 1944, in: LAG Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 120, Bl. 59. 84 Reisebericht Wittmann, 10. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 55. 85 GStA Köln an RJM, 8. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 327, Bl. 120. 86 Vermerk GStA Köln, 24. Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 449 Nr. 46, Bl. 168. 87 OLGP Köln an RJM, 20. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 327, Bl. 133. 88 Dazu grundlegend Gerhard Werle, Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich. Berlin, 1989. Siehe auch Ralph Angermund, Die geprellten «Richterkönige». Zum Niedergang der Justiz im NS-Staat, in: Hans Mommsen / Susanne Willems (Hg.), Herrschaftsalltag im Dritten Reich. Düsseldorf, 1988, 304–373, 335. 89 Bericht Dr. Vollmer / Fechner, 8. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 48.

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Anmerkungen zu Kapitel 1

90 Stimmungsbericht LGP Koblenz an OLGP Köln, 14. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 175, Bl. 83. 91 Oberpostsekretär: Sitzung und Urteil AG Hannover vom 20. März 1945, in: LAH, Hann. 172 Acc. 15 / 61 Nr. 35; Heiratsschwindler: Sitzung und Urteil vom 14. März 1945, ebd. Nr. 12; Weitere Beleidigungen ebd. Nr. 3 und Nr. 28. Die letzten Termine ergeben sich aus dem Strafprozessregister, in: LAH, Nds. 725 Acc. 2004 /112. 92 Luftangriff: AG Freiburg 2 C 99 /1944, in: StAF, E 159 /1 Paket Nr. 418; Unterhaltsklage: AG Freiburg 2 C 133 /1944, ebd. Nr. 424. 93 Werner Frasch, Kirchheim unter Teck. Aus Geschichte und Gegenwart einer Stadt und ihrer Bewohner. Kirchheim unter Teck: Teckbote, 1985, 425. 94 AG Kirchheim unter Teck C 8 /1945, in: StAL, Bestand 276 III, Zugang vom 14. 11. 1980 Nr. 7. 95 Terminiert wurde bis zum 4. Mai 1945; siehe insgesamt LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1136. 96 AG Stralsund 4 Ds 51 /1945, in: LAG, Rep. 77 Stralsund Nr. 5023. 97 Dies ergibt sich aus der Übersicht in LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1136. 98 Sitzungsprotokoll OLG Dresden, 30. April 1945, 5 /10 U 145 /43, in: HStAD, 11045 AG Dresden Nr. 221, Bl. 7, Formular ebd., Bl. 2. Ähnlich übrigens AG Freiburg, E 1 /1945, Sin: tAF, E 159 /1 Paket 23 Nr. 509. 99 AG Dresden 36 C 505 /45, in: HStAD 11045 AG Dresden Nr. 284. 100 StACh, 30 100 AG Aue Nachtrag 112. Das Amtsgericht Aue tat noch bis 16. Juli 1945 Dienst, dann wurde es geschlossen und Zweynert entlassen (Bericht AG Aue, 27. Juli 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 238). 101 Otto Thierack, Deutsche Rechtswahrer!, in: DJ 1944, 1. Ganz ähnlich Josef Altstötter, Die volksgenössische Rechtspflege im totalen Krieg, in: DJ 1944, 253–262, 253. 102 OAR Gemünd an LGP Aachen, 15. November 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 198, Bl. 10. 103 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 1922, 669. Weber geht in seinen Überlegungen von der «legalen Regierung» aus, was im Falle des NS freilich nicht applizierbar ist. 104 Diese Formulierung nach Theodor W. Adorno / Max Horkheimer / Eugen Kogon, Die verwaltete Welt oder: Die Krisis des Individuums (1950), in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften 13. Frankfurt am Main, 1989, 121–142, 124. 105 HStAS, EA 4 / 001 Büschel 256, Bl. 1 ff. 106 Zur eigentümlichen Rezeptionsgeschichte siehe Detlef Liebs, Das Rechtssprichwort: Fiat iustitia et pereat mundus, in: JZ 2015, 138–141; Rainer Zaczyk, «Fiat iustitia, pereat mundus», in: FS Peter Krause, 2006, 651– 662.

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Anmerkungen

2. Das Recht der guten Leute: Auf den Spuren der deutschen Seele Anmerkungen zu Kapitel 2

1 Georg Ludwig Hartig, Anweisungen zur Holzzucht für Förster. Marburg, 1791, V. Aktualisierungen dieser Devise bei Max Endres, Handbuch der Forstpolitik. Berlin, 1922, 1; Heinrich Weber (Hg.), Handbuch der Forstwissenschaft 4. Berlin, 1927. 2 Siehe dazu Johannes Zechner, Der deutsche Wald. Eine Ideengeschichte. Darmstadt, 2016, insb. 163–193; allgemein Michael Wildt, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939. Hamburg, 2007, insb. 176–218; ders., «Wir wollen in unserer Stadt keine Juden sehen». Antisemitismus und Volksgemeinschaft in der deutschen Provinz (2004), in: ders., Die Ambivalenz des Volkes. Berlin, 2019, 117–134. 3 Diese Entwicklung vollzog sich im gesamten Reich; siehe im Überblick bereits Burke Shartel / Hans-Julius Wolf, Civil Justice in Germany, in: Michigan Law Review 43 (1944), 863–908, 907 f. und zuletzt Hubert Rottleuthner, Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen vor und nach 1945. Berlin, 2010, 18. 4 Das Problem war beispielsweise Gegenstand der ausführlichen RV über die «Einschränkung des Dienstbetriebes bei kleinen Amtsgerichten», 13. März 1942, in: BA, R 3001 Nr. 22489, Bl. 118 f. 5 Zitat und Informationen aus der Entnazifizierungsakte Karl Dürr, Fragebogen der Militärregierung mit Anlagen, 9. Dezember 1946. 6 Dies und das Folgende aus der Personalakte von Eugen Thalmann. 7 So eine Beurteilung des zuständigen LGP aus dem Jahre 1939 (ebd.). 8 Siehe zuletzt die AV RJM vom 20. Dezember 1944 (BA, R 3001 Nr. 8463 /22 [unpag.]). 9 Verordnung vom 13. August 1942 (RGBl. I, 508–512). Siehe dazu auch die Richterbriefe Nr. 5 und Nr. 18, 1. Februar /1. Dezember 1943, abgedruckt in: Richterbriefe, 68–81, 225–250. 10 AG Neustadt, Urteil vom 10. Januar 1945, Ds 1 /1945. Grundlage für die Kostenverteilung war die Ermessensregel des § 38 JGG von 1943 (RGBl. I, 635 f., 637–650). 11 AG Neustadt, Urteil vom 15. März 1945, Ds 11 /1945. 12 AG Neustadt, Urteil vom 8. Februar 1945, Ds 5 /1945. 13 AG Neustadt, Urteil vom 19. April 1945, Dls 11 /1945. 14 AG Neustadt, Urteil vom 18. Januar 1945, Ds 4 /1945. 15 AG Neustadt, Urteil vom 16. Januar 1945, Ds 2–3 /1945. 16 AG Neustadt, Urteil vom 8. März 1945, Dls 1 /1945 und Ds 13–14 /1945.

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Anmerkungen zu Kapitel 2 Die Häufung von Aktenzeichen erklärt sich daraus, dass im Laufe der Ermittlungen noch weitere Mitesser ausfindig gemacht wurden. AG Neustadt, Strafbefehl vom 28. März 1945, Cs 16 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 25. Januar 1945, Cs 1 /1945. Grundlage war in diesem und den folgenden Fällen § 34 Reichsleistungsgesetz vom 1. September 1939 (RGBl. I, 1645–1653). AG Neustadt, Urteil vom 1. März 1945, Ds 6 /1945. AG Neustadt, Strafbefehl vom 2. März 1945, Cs 9 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 15. März 1945, Ds 12 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 22. Februar 1945, Ds 10 /1945. Siehe die Verfahren AG Neustadt, Ds 7 /1945, Ds 8 /1945, Ds 20–24 / 1945. AG Neustadt, Urteil vom 1. März 1945, Ds 9 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 5. April 1945, Ds 26 /1945. AG Neustadt, Strafbefehl vom 21. Februar 1945, Cs 15 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 13. Februar 1945, Dls 3 /1945. AG Neustadt, Einstellungsbeschluss vom 12. Februar 1945, Dls 4 /1944. Martin Heidegger, 25 Jahre nach unserem Abiturium, 26. /27. Mai 1934, in: ders., Gesamtausgabe 16. Frankfurt am Main, 2000, 279–284, 283 f. AG Neustadt, Vergleich vom 22. März 1945, C 5–6 /1945. Ähnlich großspurig war die Argumentation in einem Schriftsatz vom 1. November 1944, in dem die Klägerin bemängelte, ihr sei die Mitbenutzung von Küche, Bad und Keller untersagt: «Dieses Verbot widerspricht einem gesunden Volksempfinden, zumal zur Jetztzeit, und muss als schikanös bezeichnet werden, wenn nicht als volksschädigend.» (AG Neustadt, C 45–46 /1944) AG Neustadt, Vergleich vom 22. März 1945, C 1 /1945. Vergleich vom 7. April 1945, AG Neustadt, C 7 /1945. Schriftsatz vom 10. Januar 1945, AG Neustadt, C 3 /1945. Den Mietern wurde gekündigt. AG Neustadt, Urteil vom 6. April 1945, C 12–13 /1945. AG Neustadt, Beschluss vom 6. April 1945, C 11 /1945. AG Neustadt, C 60–61 /1944. Diese und die folgenden Informationen stammen aus der Personalakte von Eugen Thalmann sowie aus der Akte seines Entnazifizierungsverfahrens. Man kennt diese Geschichten. Statt aller: Herfried Münkler, Machtzerfall. Die letzten Tage des Dritten Reichs am Beispiel der hessischen Kreisstadt Friedberg. Frankfurt am Main, 2015. Dass sich in dieser Hinsicht nur wenig generalisieren lässt, ist ebenfalls bekannt; Jill Stephenson, Hitler’s Home Front. Württemberg under the Nazis. London, 2006, 314, formuliert treffend: «It was something like a lottery». Eugen Thalmann, Fragebogen der Militärregierung, 28. April 1945, gleichlautend in der Personalakte und in der Entnazifizierungsakte. Generalakten darüber haben sich nicht erhalten, der Vorgang erschließt

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Anmerkungen sich aber aus dem Schriftwechsel mit einem Anwalt aus dem Juni 1945, der in AG Neustadt, C 60–61 /1944, dokumentiert ist. Die Rückgabequittung befindet sich in der Akte AG Neustadt, C 60– 61 /1944. Die Bestätigung kam am 21. November, die Beeidigung am 4. Dezember 1945 (Entnazifizierungsakte Karl Dürr). AG Neustadt, Urteil vom 1. Juni 1945, Ds 29–30 /1945. AG Neustadt, Urteil vom 15. Juni 1945, Ds 31 /1945. AG Neustadt, Beschluss vom 18. Juni 1945, Vergleich vom 25. Juni 1945 und Sitzungsprotokoll vom 23. Juli 1945, C 60–61 /1944. Personalakte Robert Röll: Jahrgang 1878, katholisch, zwei «gute» Staatsexamina, seit 1906 Richter, seit 1929 am OLG, 1945 Ruhestand und nochmalige Wiederverwendung am OLG. 1922 bis 1933 Mitglied im Zentrum, kein Mitglied der NSDAP, aber im Beamtenbund, Rechtswahrerbund und in der Volkswohlfahrt. Thalmann an Spruchkammer, 17. August 1945, in: Personalakte Eugen Thalmann. Thalmann an Spruchkammer, 13. September 1946, in: Entnazifizierungsakte Eugen Thalmann. Spruchkammer, Bescheid vom 19. November 1946, in: ebd. Schreiben Frau Thalmann an Berufungskammer, 18. Dezember 1946, in: ebd. Schreiben Frau Thalmann an Karl Dürr, 23. März 1948, in: ebd. Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20. Februar 1947, AG Neustadt, Dls 1 /1945, Ds 13–14 /1945. AG Neustadt, Cs 16 /1945. AG Neustadt, Ds 12 /1945. AG Neustadt, Dls 11 /1945. Kostenentscheidungen von Oktober und November 1945 finden sich etwa in Neustadt, C 56–57 /1944 und AG Neustadt, C 7 /1945. Z. B. in AG Neustadt, C 5–6 /1945. AG Neustadt, C 3 /1945. AG Neustadt, C 11 /1945. Wilhelm Mühlmann, Die Völker der Erde. Berlin, 1944, 133. Otto Thierack, Deutsche Rechtswahrer!, in: DJ 1944, 1. Léon Degrelle, Die verlorene Legion (1952), zitiert nach Walter Kempowski, Das Echolot. Abgesang ’45. Ein kollektives Tagebuch. München, 2005, 76. Franz Scholz, Die Rechtssicherheit. Berlin, 1955, 69.

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Anmerkungen zu Kapitel 3

3. Die Parzellierung des Todes: Das Amtsgericht Auschwitz und die Grundbücher der IG Farben Anmerkungen zu Kapitel 3

1 Siehe dazu Deutsches Rechtswörterbuch 1. Weimar, 1914, Sp. 891 f.; Thomas Olechowski, Art. «Auflassung», in: HRG 1 (2008), Sp. 339–342. 2 § 1 AV, 8. August 1935 (RMBl. 637). 3 Band 14, Lemma «Flur», Band 7 Lemma «Dorf=Buch». 4 Nämlich in §§ 4–6 GBO 1897, §§ 4–7 GBO 1935. 5 Justus Wilhelm Hedemann, Grundbuchrecht, Berlin, 1936, 2. 6 AV RJM, 12. Dezember 1939, in: DJ 1939, 1899–1901. 7 Eine Übersicht darüber findet sich in der Denkschrift des Oberlandesgerichtspräsidenten Breslau über den Stand der Aufbauarbeit am 1. Dezember 1940 der Gerichtsorganisation in den im Oberlandesgerichtsbezirk Breslau eingegliederten Ostgebieten, in: BA, R 3001 Nr. 20283, Bl. 1–39, Bl. 26 f. 8 Anonymus, Lemma «Auschwitz», Band 2, 11. Auflage 1864. 9 Siehe zur Geschichte von Auschwitz bis 1939 zusammenfassend Sybille Steinbacher, «Musterstadt» Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien. München, 2000, 22–47. 10 Meldung der Einsatzgruppe an das Generalkommando des VII. Armeekorps, 5. September 1939, zitiert nach ebd., 55. 11 Erlass des Führers und Reichskanzlers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete, 8. Oktober 1939, in: RGBl. I, 2042 f. 12 Siehe dazu die Zitate bei Steinbacher, a. a. O., 78. 13 Denkschrift, a. a. O., hier Bl. 10, danach: Erlass über die Gerichtsgliederung in den eingegliederten Ostgebieten, 26. November 1940, in: RGBl. I, 1538 f. 14 RJM, Vermerk über die Besichtigung des Amtsgerichts in Auschwitz (Oswiecim), undatiert (wohl Mitte November 1939), in: BA, R 3001 Nr. 8531, Bl. 132 f. Siehe außerdem OLGP Breslau an RJM, 30. Mai 1940, in: BA, R 3001 Nr. 20829, Bl. 7, wo berichtet wird, es seien «sämtliche Katasterkarten von 23 zum Grundbuchamt Auschwitz gehörigen Ortschaften, das Tagebuch 1939 für Grundbuchsachen und einige unerledigte Anträge» fortgeschafft worden. Nähere Angaben zum Bestand macht ein Schreiben des AG Auschwitz an RJM, 28. Juni 1940 (BA, R 3001 Nr. 20814, Bl. 108), in dem von 121 Grundbuchbänden mit 11734 Blättern die Rede ist. 15 Alle Angaben aus Personalakte Werner Günther, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2161 (Band 1). Seine Examina wurden jeweils mit «gut» bewertet, der dritten von sieben Notenstufen. 16 OLGP Breslau, 26. Januar 1940, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2161 (PA Günther Band 1), Bl. 154.

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Anmerkungen

17 Eine Übersicht gibt die Denkschrift, a. a. O., hier Bl. 18 f. Zum Aufbau der Justiz insgesamt Maximilian Becker, Mitstreiter im Volkstumskampf. Deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten. München, 2014, 59–69; mit Fokus auf die Region Łukasz Iluk, Das deutsche Amtsgericht in Saybusch und seine Urteile aus den Jahren 1939–1945, in: Hans-Werner Retterath (Hg.), Germanisierung im besetzten Ostoberschlesien während des Zweiten Weltkriegs. Münster, 2018, 199–221. 18 AGD Ratibor an OLGP Breslau, 26. Januar 1940, in: GStA PK, XVII. Rep. 222a Nr. 3590, Bl. 257. 19 OLGP Breslau an RJM, 21. November 1940, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 1902, Bl. 1. 20 Sitzungsprotokoll vom 18. Juni 1942, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 1902, Bl. 22 (PA Matthäus Fazekas). 21 Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an LGP Beuthen, 25. November 1940, in: Personalakte Otto Schmiegel, Band 1, GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3681, Bl. 209. Siehe dazu auch ähnliche Berichte in PA Bernhard Kleczka, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2578, Bl. 42; PA Erich Pretzsch, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3449, Bl. 34; Lagebericht OLGP Danzig an RJM, 1. Juli 1940, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 6–10; außerdem Steinbacher, a. a. O., 224. 22 Handschriftliche Auflistung von Otto Schmiegel, 4. Dezember 1940, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3681 (PA Band 1), Bl. 212. 23 «Verjudet»: Justizangestellter Sebald Godulla über AG an LGP Beuthen, 6. Dezember 1940, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2073, Bl. 16. Prozentzahlen im Schreiben des aufsichtführenden Richters AG Auschwitz an LGP Beuthen, 25. November 1940, in: Personalakte Otto Schmiegel, GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3681 (PA Band 1), Bl. 209. 24 Siehe dazu grundlegend Bernd C. Wagner, IG Auschwitz. Zwangsarbeit und Vernichtung von Häftlingen des Lagers Monowitz 1941–1945. München, 2000; Joseph Robert White, IG Auschwitz. The Primacy of Racial Politics. Nebraska, 2000; Peter Hayes, Industry and Ideology. IG Farben in the Nazi Era. Cambridge, 2001; Piotr Setkiewicz, Ausgewählte Probleme aus der Geschichte des IG Werkes Auschwitz, in: Hefte von Auschwitz 22 (2002), 7–147; ders., The Histories of Auschwitz IG Farben Werk Camps 1941–1945. Oświęcim, 2008; Florian Schmaltz, Die IG Farbenindustrie und der Ausbau des Konzentrationslagers Auschwitz 1941–1942, in: Sozial.Geschichte 21 (2006), 33–67. Namentlich die Arbeit von Gottfried Plumpe, Die I. G. Farbenindustrie AG. Berlin, 1990, ist damit weitgehend überholt. 25 Ambros: Bericht über die Gründungssitzung der IG Auschwitz in Kattowitz, 7. April 1941, Nürnbg. Dok. NI-11117, in: TUB ZfA und NMT 8, 383–386; Himmler: Bericht über die Gründungssitzung der IG Auschwitz in Kattowitz, 7. April 1941, hier zitiert nach Wagner, a. a. O., 64; Bracht:

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Anmerkungen zu Kapitel 3 Kattowitzer Zeitung, 1. August 1941, hier zitiert nach Steinbacher, a. a. O., 215 Fn. 49. Weitere Nachweise bei Wolfgang Kessler, Das «befreite Schlesien». Der Regierungsbezirk Kattowitz 1939–1945 in der deutschen Wahrnehmung, in: Hans-Werner Retterath (Hg.), Germanisierung im besetzten Ostoberschlesien während des Zweiten Weltkriegs. Münster, 2018, 17–54, insb. 19–24. Bericht bei Hans Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen, 1973, 123 f. NI-11125 IG Baubesprechung, 26. August 1941, in: TUB ZfA. Peter Hayes, Die IG Farben und die Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen im Werk Auschwitz, in: Hermann Kaienburg (Hg.), Konzentrationslager und deutsche Wirtschaft 1939–1945. Opladen: Leske + Budrich, 1996, 129– 148, 144. Die IG fing im Winter 1943 damit an, die ersten Selektionen durchzuführen, nach denen nicht arbeitsfähige Häftlinge zurück ins Stammlager geschickt wurden. Carl Krauch an Otto Ambros, 25. Februar 1941, Nürnbg. Dok. NI-11938, in: NMT 8, 358–360. Ähnlich die Gründungssitzung, 7. April 1941, Nürnbg. Dok. NI-11117, in: TUB ZfA, wo es heißt, das Buna-Werk sei «mit aller Beschleunigung» zu erstellen. Heinrich Gutsche, Auschwitz-Stadt. Eine kommunalpolitische Betrachtung (1960), in: BA, Ost-Dok. 13 /17, Bl. 1–10. Gutsche war vor Einführung der Gemeindeordnung Amtskommissar von Auschwitz; aus jeder Silbe seines Berichts quillt die Selbstzufriedenheit des deutschen Kolonisten. Karl Baedeker, Das Generalgouvernement. Leipzig, 1943, 10. Werner Günther an OLGP Kattowitz, 13. Juni 1941, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2161 (PA Günther Band 1), Bl. 233. RGBl. I, 1270–1273. Die Grundbuchämter waren schon im November 1939 angewiesen worden, keine Eintragungen ohne vorherige Nachricht an Göring vorzunehmen (RV RJM, 1. November 1939, in: BA, R 3001 Nr. 20814, Bl. 16). Hitler verwendete die Bezeichnung schon im September 1939, siehe Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. Bonn, 1996, 241. Siehe dazu die AV OLGP Danzig, 24. Juli 1940, in: BA, R 3001 Nr. 20814, Bl. 190; siehe außerdem Becker, a. a. O., 108 mit Fn. 22. Das ganze Verfahren richtete sich nach der sog. Schuldenabwicklungsverordnung, 15. August 1941, in: RGBl. I, 516–525. Von Gagern, Deutsches Recht 1941, 2505–2509, spricht deshalb – durchaus folgerichtig – von einer «restlosen Grundbuchbereinigung» (2507). Siehe außerdem Hans-Joachim Klee, Die bürgerliche Rechtspflege in den eingegliederten Ostgebieten. Berlin, 1942, insb. 180–184; Breithaupt, DJ 1942, 251–256; K. Wirsich, DJ 1942, 373–376. Insofern ist es durchaus sinnfällig, dass ausgerechnet diese Beschlagnahme-

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Anmerkungen verfügungen (vom 14. März, 8. April, 24. Juli, 3. Oktober, 3. November, 22. November, 25. November, 4. Dezember 1941) die Zeiten überlebt haben: APBB, 13 /554 Nr. 2 und Nr. 3. Die Anhänge dort weisen annähernd 900 beschlagnahmte Betriebe aus; wie viele es tatsächlich waren, lässt sich nicht ermitteln. Das wurde zwar erst im Rückblick festgestellt, war allerdings keine späte Einsicht, sondern bereits «von Anbeginn» bekannt, wie man betont; Vermerk Rechtsabteilung, 19. Dezember 1943, in: UA BASF, PB 4 / 898 Abt. 6 (unpag.). Vermerk Rechtsabteilung IG Farben, 7. Oktober 1941, in: UA BASF, PB 4 / 898 Abt. 6 (unpag.). Kopien der Vermessungsverwaltung in: UA BASF, PB 4 / 898 Abt. 6 (unpag.). In polnischen Beständen haben sich augenscheinlich keine Unterlagen erhalten. 20. Baubesprechung IG Auschwitz, 8. September 1942, Nürnbg. Dok. NI11138, in: TUB ZfA. Karl Buchholz, Zur Ostrechtspflegeverordnung, in: Deutsches Recht 1941, 2476–2481, 2477. Fritz Fechner, Das bürgerliche Recht in den eingegliederten Ostgebieten. Deutsches Recht 1941, 2481–2488, 2482. Siehe auch Heinz Breuning, Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit durch die Besatzungsmächte. Diss. iur. Tübingen, 1952, 115, der Wilhelm I. zitiert mit dem «unabdingbaren Grundsatz, dass der Deutsche sein Recht nur vom deutschen Richter zu nehmen braucht». AG Auschwitz an RJM, 28. Juni 1940, in: BA, R 3001 Nr. 20814, Bl. 108. Die Antwort vom 12. Juli ebd., Bl. 201. Am wichtigsten: Die polnischen Grundbücher waren weiterzuführen. Ab dem 1. Oktober 1941 war zwar nominell Dr. Franz Langer Oberamtsrichter in Auschwitz. Allerdings war Langer schon 1939 zum Wehrdienst einberufen worden; nach seiner Gerichtstätigkeit in Bielitz trat er im März 1941 als Gefreiter erneut seinen Wehrdienst an (Infanterie Regiment 444) und kam wohl nicht einmal vorübergehend nach Auschwitz. Siehe die Informationen in Personalakte Franz Langer, in: BA, R 3001 Nr. 83691, und BA (PA), Dr. Franz Langer. Schriftverkehr April / Mai 1942, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2161 (PA Günther Band 1), Bl. 261–263. Der Gründung des OLG (DJ 1941, 395) ging die Trennung der Provinz Schlesiens voraus, in deren Folge die Regierungsbezirke Kattowitz und Oppeln zur Provinz Oberschlesien zusammengefasst wurden. Beurteilung durch den Aufsichtführenden Richter AG Auschwitz, 5. Mai 1941, in: Personalakte Otto Schmiegel Band 2, GStA PK, XVII. HA. Rep. 222a Nr. 3681, Bl. 60. Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an OLGP Kattowitz, 4. Juni

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Anmerkungen zu Kapitel 3 1943, in: Personalakte Otto Schmiegel Band 2, GStA PK, XVII. HA. Rep. 222a Nr. 3681, Bl. 110. LGP Bielitz an Wehrbezirkskommando Bielitz, 14. August 1942, in: ebd., Bl. 86. Auch hier ist nur von den «bekannten vordringlichen Arbeiten» die Rede, siehe LGP Bielitz an Wehrbezirkskommando Bielitz, 2. Juni 1942, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3449, Bl. 55. Die Angaben stammen sämtlich aus der Personalakte Sebald Godulla, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2073. Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an OLGP Kattowitz, 29. April 1943, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 1669, Bl. 9. Ähnlich schon zuvor LGP Bielitz an OLGP Kattowitz, 31. März 1943 (GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2073, Bl. 102). Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an OLGP Kattowitz, 5. Juni 1942, in: Personalakte Albin Jaskiewicz, GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2419, Bl. 16. Der Einsatz von polnischen Kräften war ein häufig beklagtes Problem. Bis 31. März 1940 sollte diese Praxis beendet sein, was sich in der Praxis jedoch nicht durchsetzen ließ; siehe etwa Lagebericht OLGP Danzig an RJM, 6. November 1940, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 22; Günther Moritz, Bericht über die deutsche Gerichtsbarkeit in den eingegliederten Ostgebieten, in: BAK, B 120 Nr. 591; AGD Bendsburg an OLGP Kattowitz, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22370, Bl. 16; Becker (Fn.), 83. Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an OLGP Kattowitz, 22. Oktober 1943, in: Personalakte Albin Jaskiewicz, GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2419, Bl. 32. Besprechung 15. /16. Januar 1943, zitiert nach Steinbacher, a. a. O., 236. § 1 Abs. 1 AV, 8. August 1935 (RMBl., 637). Überstellungslisten des Häftlingskrankenbaus Monowitz, Nürnbg. Dok. NI14997. Fall VI, Prosecution Exhibit 2266, reel 035, Bl. 5–318 (POL). Die Meldungen vom 25. und 26. März 1944 umfassen insgesamt 200 Namen. Eine Kopie des Kaufvertrags findet sich in UA BASF, PB 4 / 898 Abt. 6 (unpag.). Die Eintragung ins Grundbuch selbst lässt sich nicht nachvollziehen; vom Grundbuch Auschwitz sind nur wenige Bruchstücke erhalten geblieben. Aus dem Aktiengesetz kommen namentlich die §§ 294–296 in Betracht (RGBl. 1937 I, 107–166, hier 163). Eine juristische Prüfung müsste allerdings die erheblichen Steuervorteile sowie die Garantiepreise der Reichsregierung entlastend berücksichtigen, dazu Wagner, a. a. O., insb. 55–57. Zur Jahreshauptversammlung der IG siehe OMGUS, 27. Otto Schmiegel an Oberjustizkasse Breslau, 9. Mai 1942, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3681 (PA Band 2), Bl. 83. Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an LGP Beuthen, 24. Februar

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Anmerkungen 1944, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2578, Bl. 59. Der weitere Karriereweg ist unklar. Siehe dazu BA (PA), Werner Günther, sowie Personalakte Werner Günther, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a, Bl. 279 und 282, und die Angaben auf dem Fragebogen, 3. Februar 1946, in: StAB, K 100 /4 Nr. 3467, Bl. 3. LGP Bielitz an OLGP Kattowitz, 16. April 1943, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2073, Bl. 103. LGP Beuthen an OLGP Kattowitz, 13. Dezember 1943, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3449, Bl. 79. LGP Bielitz an OLGP Kattowitz, 27. Februar 1944, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3681 (PA Schmiegel Band 2), Bl. 114. Präventiv wurde Maximilian Schmidt am 15. Juni 1943 als Ersatz ans Gericht abgeordnet, dort aber augenscheinlich nicht mehr mit Grundbuchangelegenheiten betraut (GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3675 (Personalakte Schmidt Band 3), Bl. 59. Aufsichtführender Richter AG Auschwitz an OLGP Kattowitz, 22. Oktober 1943, in: Personalakte Albin Jaskiewicz, GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 2419, Bl. 32. Personalakte Sofie Smolarek, in: GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3848. Günther Hindemith, Jahrgang 1900, Studium in Breslau und Berlin, beide Staatsexamina mit «ausreichend» (= Notenstufe 4 von 5), seit 1933 Pg. und Blockleiter, seit 1938 AGR in Striegau; dies alles aus den Personalakten LAV-R, NW-Pe Nr. 2563 und BR-Pe Nr. 13284. Seine Tätigkeit in Auschwitz ergibt sich nur indirekt aus Hinweisen in den Personalakten anderer, siehe etwa GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 1669, 2419, 2578, 3449, 3681. Siehe dazu die Kopie des Kaufvertrags, in: UA BASF, PB 4 / 898 Abt. 6 (unpag.). Gerhard Thiele, Jahrgang 1905, Studium in Breslau, zwei vollbefriedigende Staatsexamina (= Notenstufe 3 von 5), Diss. iur. ebendort 1928 (Die Bestrafung des Treibers beim Jagdvergehen des § 292 StGB, cum laude), seit 1. Mai 1933 Mitglied von NSDAP, NSRB, NSV und RDB, seit 1. Dezember 1934 Amtsgerichtsrat in Pitschen, seit Oktober 1941 in Krzepice. 1944 hatte Thiele für das AG Auschwitz die neuesten Gebietseinziehungen der Waffen-SS zu beurteilen, was er kurzerhand mit der Einschätzung erledigte, sie seien als Staatshoheitsakt «richterlicher Nachprüfung entzogen» (OLGP Kattowitz an RJM, 11. Februar 1944, in: BA, R 3001 Nr. 20815, Bl. 208 f.). Alle anderen Angaben aus: Reichsjustizkalender 1941; Richterkartei Reichsjustizministerium Bundesarchiv; Personalakte Thiele, in: GStA, XVII. HA Rep. 222a Nr. 4001. OLGP und GStA Kattowitz an RJM, 21. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23372, Bl. 300. Dies und das Folgende nach Walther Dürrfeld, Bericht über die Kriegsereignisse in und um Werk Auschwitz vom 13. Januar bis 24. Januar 1945,

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Anmerkungen zu Kapitel 3 Pirna, den 7. 2. 1945, Nürnbg. Dok. NI-11956, in: TUB ZfA; eingeordnet wird der Bericht bei Wagner, a. a. O., 275–280. Zur Räumung des Konzentrationslagers siehe auch Richard Evans, Das Dritte Reich. Band 3. München, 2009, 862–864. OLGP und GStA Kattowitz (z. Zt. Neisse) an RJM, 1. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23372, Bl. 302–305. Ähnlich GStA Kattowitz (z. Zt. Neisse) an RJM, 1. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24051 (unpag.). Dies alles aus seinen Personalakten, LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 2563 und BR-Pe Nr. 13284. Diese Auskunft verdanke ich Andreas Grunwald vom Bundesarchiv, Berlin. Werner Günther an Spruchkammer Hof / Stadt, 24. November 1946, in: StACo, Spruchkammer Hof / Stadt Nr. 985 (unpag.). Das «kleine» Gericht, die Tätigkeitsbeschreibung und der Weg nach Hof werden in der anwaltlichen Personalakte erläutert (StAB, K 100 /4 Nr. 3467, Bl. 8), der Freispruch vom 16. Dezember 1946 findet sich in StACo, Spruchkammer Hof / Stadt Nr. 985 (unpag.) APBB, 13 /554 Nr. 1–3. Erhalten ist darüber hinaus noch ein Register über alte Aktenbestände und eine relativ bedeutungslose Strafsache von 1942 (unerlaubter Grenzübertritt einer Polin, 4 Monate Straflager). Personalakte Maximilian Schmidt, vier Bände, APBB 13 /554 Nr. 4–7. Sie kamen im September 2018 von Oppeln nach Bielsko-Biała. Eine Parallelüberlieferung findet sich in GStA PK, XVII. HA Rep. 222a Nr. 3675. Schmidt verließ Auschwitz am 1. Mai 1944 und wurde Justizobersekretär in Gleiwitz. APBB, 13 / 908 Nr. 1274. Genannt werden Grundstücke in Brzeszcze, Jawischowitz, Przecieszyn und Skidziń. Siehe dazu Bericht OLGP Kattowitz (z. Zt. Neisse) an RJM, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 14; Vermerk RJM, Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 38; OLG Kattowitz (Verwaltungsstab), Vermerk vom 22. August 1945, in: HStAW, OLG Erfurt, Nr. 95, Bl. 124. Die Listen sind überliefert in HStAW, OLG Erfurt Nr. 95, Bl. 124–276, und BA, DP 1 Nr. 563, Lagereinheit 2 (unpag.). Vorhanden sind 13 Personalakten mit Bezug zu Auschwitz; lediglich die von Justizoberinspektor Raiwa (geb. 6. November 1912, in Auschwitz als Beamter der Staatsanwaltschaft) war nicht zu finden.

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Anmerkungen

4. Lastenausgleich: Das Sondergericht Aachen und sein letzter Richter Anmerkungen zu Kapitel 4

1 Dies alles nach Keutgens Bitte auf Zulassung zur Reifeprüfung vom 1. Dezember 1931, in: Stadtarchiv Aachen, KKG, Abitur 1932, Klasse OI b (unpag.). Zum Problem der Juristenbiografie zusammenfassend Johanna Rakebrand, Der Rechtsmensch. Ludwig Frege (1884–1964). Bielefeld, 2019. 2 Gutachten der Klassenkonferenz, 7. Dezember 1931, in: ebd. 3 Vorberatung über die mündliche Prüfung vom 22. Februar 1932, in: ebd. 4 Das war eines von vier Themen, unter denen die Schüler wählen konnten; warum es in dieser verstümmelten Form gestellt wurde, ist nicht zu erklären. Dass die Aufgabe kein Ausreißer war, zeigen die übrigen Themenstellungen dieses Jahres und der Jahre davor. Kleine Auswahl: «An Hand von Beispielen aus Geschichte und Dichtung ist das Bild des großen Führers zu zeichnen», «Grenze ist Schicksal», «Was erwartet der Staat von mir? Und was erwarte ich vom Staate?», «Der Führer im Volksstaate – Eindrücke und Einsichten, gewonnen durch Lektüre und Unterricht». Für die Zusammenstellung der Aufgaben von 1932 bin ich Jörg Fündling, Aachen, zu Dank verpflichtet, für die Zeit davor siehe A. Billen (Hg.), Bericht über das Schuljahr … am Kaiser-Karl-Gymnasium, Aachen: o. V., 1926–1931. 5 Gutachten der Klassenkonferenz, 7. Dezember 1931, in: Stadtarchiv Aachen, KKG, Abitur 1932, Klasse OI b (unpag.). 6 Zulassungsbitte vom 1. Dezember 1931, in: Stadtarchiv Aachen, KKG, Abitur 1932, Klasse OI b (unpag.). 7 Zum Studienverlauf siehe die Belege über die Kolleggelder in UA Köln, Zugang 604, Nr. 161–168. 8 Mein Lebenslauf (Promotionsakte, UA Köln, Zugang 42 Nr. 3210). 9 Diese Zitate alle aus Hans Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht. Mannheim, 1935. Umfassender ausgearbeitet hat Welzel diese Überlegungen – ohne die lebendigste politische Realität – in ders., Naturrecht und materiale Gerechtigkeit. Göttingen, 1951. 10 Hans Keutgen, Private und öffentliche Sühne im Strafrecht. Diss. iur. Köln 1936. Ihr sind die folgenden Zitate entnommen. 11 Promotionsakte, UA Köln, Zugang 42 Nr. 3210. 12 Auf seinem Personalbogen gab Keutgen die Mitgliedsnummer 4194.114 und den Rang eines Blockleiters an (Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakten OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 2). 13 So die Einschätzung über Keutgens Zeit in Kerrl (25.4.–18. 6. 1938) in: Archiv OLG Köln, Personalakte des Referendars Hans Keutgen (unpag.). 14 Beurteilung vom 14. Januar 1943, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakten OLG betreffend Dr. Hans Keutgen (unpag.).

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Anmerkungen zu Kapitel 4

15 Eine knappe Darstellung dieser Stationen in BA (PA), Dr. Hans Keutgen. Siehe auch: Georg Tessin, Verbände und Truppen der deutschen Wehrmacht und Waffen-SS. Band 8. Osnabrück, 1973, 23–27. 16 RMJ an OLGP Köln, in: LAV NRW-R Ger. Rep. 255 Nr. 213, Bl. 55. Offizielle Anzeige in DJ 1941, 223. 17 Bericht des LGP Aachen an OLGP Köln, 28. Februar 1942, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 174 (unpag.), auch in: Lagebericht OLGP Köln an RMJ, 1. März 1942, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 67–72. 18 Die umfangreichste Sichtung dieser Akten stammt von Oskar Vurgun, Die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Aachen. Berlin: Duncker & Humblot, 2017, 40–44. Vurguns präzise, allerdings nicht sehr anregende Schrift hat den Zugriff auf die Akten entscheidend erleichtert. 19 Urteil vom 23. März 1943, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 313. 20 Siehe die Verfahren ebd., Nr. 304 und 306: Das eine Mal gab es zwei Jahre Zuchthaus, das andere Mal ein Jahr Gefängnis. Dass im Übrigen der Verdacht kommunistischer Umtriebe nicht automatisch zu einer Verurteilung führte, zeigt der Fall ebd., Nr. 190, in dem sogar die Staatsanwaltschaft Freispruch aus tatsächlichen Gründen beantragte (allerdings danach «Rücküberstellung […] an die Gestapo» veranlasste). 21 Ebd., Nr. 198, 201, 217, 229, 242, 396. 22 In Aachen galt dies selbst bei Sachverhalten, in denen der Verdacht einer Vergewaltigung nahelag (etwa LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 258, außerdem Nr. 214, 300, 355). Entsprechende Einlassungen seitens der betroffenen Frau hielt man für widerlegt, wenn etwa die «Unterwäsche nicht beschädigt» sei (ebd., Nr. 302), und konstruierte im Übrigen eine Art Pflicht zur Gegenwehr, die a tergo nur wenig voraussetzungsreich sei (ebd., Nr. 218). 23 Kaput schießen: ebd., Nr. 303; SS-Männer: Nr. 325; Strohpuppe: Nr. 307; Petroleum: Nr. 310. 24 Siehe dazu die Angaben bei Vurgun, a. a. O., 374–379, der allerdings das Urteil vom 27. März 1943 in der Sache S Ls 55 /1943 übersehen hat. Dieses ist dokumentiert in LAV NRW-R, NW 1213 Nr. 43, Sonderheft III. 25 RV vom 5. Juli 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22489, Bl. 151–155. Vor Ort sah man das ähnlich, siehe Bericht LGP Aachen an OLGP Köln, 27. Juli 1943, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 213, Bl. 98. Ganz ähnlich der Bericht aus Köln, 2. August 1943, ebd., Bl. 100–104. 26 Losenhausen war seit 1925 Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei, bevor er am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintrat. Sein fragiler Gesundheitszustand ist mehrfach belegt. Judikatur ist in seinem Fall nur verhältnismäßig wenig überliefert. Losenhausen kam nach einem Luftangriff am 12. April 1944 ums Leben. 27 Rein quantitativ war Schwengers ein durchaus rühriger Richter, siehe Vurgun, a. a. O., 534. Nach mäßigen Examina war er 1928 Richter am Landgericht Bonn geworden. Eine Personalakte ist augenscheinlich nicht mehr

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Anmerkungen vorhanden; ein insgesamt positiver Bericht des OLGP Köln vom 27. Dezember 1944 hält Schwengers zwar für beförderungsfähig, mahnt aber an, bei ihm nicht willkommenen Abordnungen lasse er es «an Einsatzbereitschaft fehlen» (LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 138, Bl. 152). Walther Fritz wurde 1901 in Aachen geboren, studierte in Bonn und Greifswald. Nach dem Referendariat in Stettin war er kurz als Gerichtsassessor in Berlin tätig, bevor er 1929 Landgerichtsrat in Trier wurde; seit 1934 wirkte er dann in Aachen, wo er nach kurzem Militärdienst 1941 zum Landgerichtsdirektor befördert wurde. Siehe insgesamt die Personalakte LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 399. Der Landgerichtspräsident selbst, Dr. Walter Graeschke, spielte am Sondergericht augenscheinlich keine Rolle. Siehe zu ihm die Informationen bei Martin Birmanns, Die Aachener Justiz im Zeitalter des Nationalsozialismus, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 101 (1997 / 98), 209–262, 216 f. Der rheinländische Protestant Howahrde hatte ordentliche Examen, war 1918 Assessor geworden und seit 1926 Landgerichtsrat. Mehr Informationen in seiner Personalakte in: BA, R 3001 Nr. 61328. In Aachen war er mit weitem Abstand der aktivste Richter des Sondergerichts, unter seinem Vorsitz wurde mehr als ein Viertel aller Fälle entschieden (Vurgun, a. a. O.). Dies aus einer Beurteilung des OLGP Köln vom 22. Dezember 1939, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 11 Nr. 1535, Bl. 184. Schreiben Rechtsanwalt Lauber an Landgericht Aachen, 11. Februar 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 360. Höher wurde im November 1944 an den Volksgerichtshof berufen, Zimmerath tat ab März 1944 Dienst bei der Generalstaatsanwaltschaft Prag. Beide hatten nach dem Krieg erhebliche Schwierigkeiten, ihre Wiedereinstellung zu erreichen. Zu Höher siehe die Personalakte in LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 3711 und die Entnazifizierungsakte ebd., NW 1049 Nr. 37731. Biografische und sonstige Angaben zu Höher finden sich bei Vurgun, a. a. O., 195–202, 490 f., und zu Zimmerath ebd., 215–224, 491–493. Dies alles aus der mehrbändigen Personalakte Ludwig Kuhnert, in: LAV NRW-R, NW Pe Nr. 8002 sowie ebd., NW-Pe Nr. 6063. Siehe die Urteile vom 15. Februar 1943 (LAV NRW-R, Ger. Rep. 113, Nr. 408), vom 23. März 1943 (ebd., Nr. 313), vom 10. Juni 1943 (ebd., Nr. 286), vom 4. Juni 1942 (ebd., Nr. 204). Die Akten finden sich in BA, R 3001 Nr. 163394–163395, siehe außerdem die Darstellung bei Vurgun, a. a. O., insb. 411–420. Keutgen nahm im Entnazifizierungsverfahren für sich in Anspruch, die treibende Kraft des Verfahrens gewesen zu sein (LAV NRW-R, NW 1079 Nr. 1145) und die Verurteilung gegen den Willen der Partei durchgesetzt zu haben, was allerdings schon deshalb kaum zutreffen kann, da Keutgen zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Landgerichtsrat war. Urteil vom 27. März 1943, Az. S Ls 55 /1943, nachgewiesen in LAV

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Anmerkungen zu Kapitel 4 NRW-R, NW 1213 Nr. 43, Sonderheft III. Die Akte selbst war nicht zu finden. Urteil vom 30. März 1943, in: BA, R 3001 Nr. 162245, bei Vurgun, a. a. O., 423–425. So die Einschätzung des Justizministeriums aus dem Jahre 1960 in LAV NRW-R, NW Nr. 43 1213, Sonderheft III. Die Zerstörungen sind nahezu lückenlos dokumentiert in LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 343, hier Bl. 259 f. Führererlass vom 13. Juli 1944, abgedruckt in: Moll, 426–428. Schreiben von Reichsleiter Bormann an die Gauleiter, 5. September 1944, zitiert nach Christoph Rass / René Rohrkamp / Peter M. Quadflieg, Gerhard Graf von Schwerin und das Kriegsende in Aachen. Aachen, 2007, 32. Die folgende Darstellung der Ereignisse stützt sich vor allem auf diesen Bericht. Bericht vom 17. Oktober 1944, zitiert nach Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München, 1995, 154. Befehl vom 16. September 1944, zitiert nach Henke, ebd., 154 Fn. 23. Schreiben OLGP Köln an LGP Aachen, Köln, Trier, Koblenz, 5. September 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 553, Bl. 195. Die Aachener Erfahrungen wiederum, gewissermaßen die Probe aufs Exempel, wurden post festum in administrative Verfügungen umgemünzt, siehe den Schnellbrief des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, 18. September 1944, hier nach: GStA PK, XV. HA Rep. 76 Stargard Nr. 675, Bl. 187– 189. Vermerk über die telefonische Auskunft des GStA Köln, 9. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 69. Lagebericht GStA Köln, 30. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 145r. Es kam erst nach Kriegsende nach Aachen zurück. Details ergeben sich aus Personal- (LAV NRW-R, BR-Pe Nr. 1046 und NW-Pe Nr. 446) und Entnazifizierungsakten (ebd., NW 1037 RS Nr. 1949, NW 1079 Nr. 15400 und NW 1048–40–00110). Als Vorsitzender des Sondergerichts am Deutschen Landgericht Brünn war Hellbach an mindestens sechs Todesurteilen beteiligt (Bestand BA, R 137 II), Ende 1944 wurde er an die Kölner Zweigstelle des Volksgerichtshofs abgeordnet (LAV NRW-R, Ger. Rep. 449 Nr. 47). Siehe das Verfahren LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 402. Termine in der zweiten Septemberhälfte finden sich in ebd., Nr. 211, 216, 269, 270, 384, 390, 396, 397, 398, 399, 400, 401. Die Ladungen dafür wurden überwiegend Anfang September verschickt. Weiter westlich, am zum Bezirk gehörenden Amtsgericht Malmedy, hatte man das ähnlich gehalten; der Verhandlungskalender enthält Termine bis zum 19. September (StAE, X 49 Nr. 42). LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 212, 389. Ebd., Nr. 385 und 386. Nach Protokoll waren anwesend Hellbach, Amtsgerichtsrat Dr. Gliesche, Gerichtsassessor van Kempen und Staatsanwalt

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Anmerkungen Dr. Marx. Ebenfalls am 7. September wurde noch ein Zeuge für eine Sitzung am 16. September geladen, siehe ebd., Nr. 398. Der GStA Köln datiert den Abtransport der Häftlinge laut telefonischer Auskunft auf den 8. September (Vermerk darüber in BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 69). Siehe LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 209, 380, 387, 388, 394. Ebd., Nr. 344. Vgl. Paul Zimmermann, Die Evakuierung der Stadt Aachen, in: Bernhard Poll (Hg.), Das Schicksal Aachens im Herbst 1944. Authentische Berichte II. Aachen, 1962, 145–151, 145. Ebenfalls am 10. September verfasste Gerichtsassessor van Kempen die Urteilsbegründung im Verfahren LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 389. LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 211, 384, 397. Die Abladung unterbleibt in ebd., Nr. 269, 270, 390. Vgl. sein Schreiben an LGD Fritz, 19. September 1944, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte OLG Dr. Hans Keutgen, Bl. 4. OAR Gemünd an LGP Aachen, 15. November 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 198, Bl. 10. OLGP Köln an OAR Ahlen, 30. September 1944, in: LAV NRW-R Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 75. Siehe LAV NRW-R Ger. Rep. 113 Nr. 217 mit der Ermittlungsakte in Nr. 396. Das Urteil ist vom 27. Januar 1945; die Besetzung mit dem Dürener Amtsgerichtsrat Kaefer als Einzelrichter spricht für eine Ernennung zum Hilfsrichter ad hoc. Die Unterbrechung der Justiztätigkeit sei «nur von unbedeutender Dauer gewesen», vermerkte man am Oberlandesgericht Köln (Vermerk OLGP Köln, 25. Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 326, Bl. 233). Siehe die Personalübersicht vom 16. September 1944 (LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 74); für die Staatsanwaltschaft siehe den Bericht OStA, 14. Oktober 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 449 Nr. 46, Bl. 133 f. Personalakte des OLG über Walther Fritz, Beurteilung vom 23. Dezember 1944, in: LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 7244 (unpag.). Urteil vom 10. Oktober 1944, in: LAV NRW-R, NW 174 Nr. 200. Allerdings wird einschränkend hinzugefügt, der Räumungsbefehl werde erwartet. Siehe Bericht GStA Köln vom 14. November 1944, in: LAV NRWR, Ger. Rep. 449 Nr. 28, Bl. 160; zur Situation in Düren insgesamt vgl. ferner die Lageberichte der GStA Köln vom 30. September 1944 (BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 145) und vom 22. Oktober 1944 (ebd., Bl. 150). Schreiben Staatssekretär RJM an Oberbefehlshaber Friedrichs, 17. November 1944, BA, R 3001 Nr. 22266 (unpag.). Dienstreisebericht MD Dr. Vollmer, 24. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 25. Siehe auch Personalakte Hans Führer, in: LAV NRW-R, BR-Pe Nr. 7577. Dies alles nach Schreiben LGP Aachen an OLGP Köln, 23. November

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Anmerkungen zu Kapitel 4 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 215, Bl. 50, und Vermerk vom 20. November 1944, ebd., Bl. 48; Dienstreisebericht MD Dr. Vollmer, 24. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 32; Lagebericht OLGP Köln, 1. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 155. Schreiben LGP Aachen an OLGP Köln, 14. Dezember 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 215, Bl. 52. Lagebericht GStA Köln, 30. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 162. Siehe außerdem den Bericht über die Dienstreise Dr. Vollmer / Fechner, 8. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 46 f. Im ersten Staatsexamen erhielt er die Note «ausreichend», im zweiten fiel er einmal durch und landete bei der Wiederholung wieder beim «ausreichend»; siehe dazu die Personalakte des Justizministeriums NRW (LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 6190); Vurgun, a. a. O., 210–215. Schreiben Keutgen an OLGP Köln, 17. Januar 1945, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 14. Schreiben Hans Keutgen und Hans Wickmann an OLGP Jena, 28. Februar 1945, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 909, Bl. 67. Das Verfahren findet sich im Bestand des SG Aachen LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 401, hier Bl. 26 f. Ebd., Nr. 386, Bl. 172. LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 402, Bl. 16. Zur Vollstreckung kam der Verurteilte am 27. März 1945 ins Zuchthaus Untermaßfeld; von dort wurde nach dem Krieg das Urteilsdatum mitgeteilt, ebd., Bl. 18. In einem anderen Fall haben zwei Untersuchungshäftlinge nach dem Krieg bestätigt, in Ichtershausen eingesessen zu haben, ohne dass es dort noch zu einer Verhandlung gekommen wäre, siehe den Fall in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 385, Bl. 34 f. Schreiben RMJ z. Zt. Ichtershausen an RMJ, 29. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24471, Bl. 136 f. Das Oberlandesgericht war noch bis zum 9. April 1945 in Betrieb, siehe Bericht OLGP Köln an JM NRW, 1. April 1947, in: LAV NRW-R, NW 189 Nr. 1181, Bl. 26. Siehe den SD-Bericht über die Lage in den besetzten Gebieten vom Oktober 1944, der bereits Gesetz Nr. 1 und Proklamation Nr. 1 enthält, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 64–66. Siehe dazu Birmanns, a. a. O., 217 Fn. 34. Amtsgericht Aachen, Vermerk vom 1. Oktober 1962. Für die Zusendung dieses Dokuments bin ich der Geschäftsstelle des Gerichts zu Dank verpflichtet. Zwar spricht man in dem Vermerk ausdrücklich nur vom Amtsgericht, behauptet zugleich allerdings, das AG sei über Düren nach Gummersbach evakuiert worden, was nur für das Landgericht zutrifft. Es steht daher zu vermuten, dass sich die Angaben auf beide Gerichte beziehen. Siehe dazu etwa die Berichte des OLGP Köln an JM NRW, 1. April 1947

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Anmerkungen (LAV NRW-R, NW 189 Nr. 1181, Bl. 28) und 15. November 1947 (ebd., Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 151), oder die Besetzungslisten ebd., Ger. Rep. 563 Nr. 23. Stellvertretend für die Literatur: Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. München, 2013, 85 mit Fn. 362. Siehe den Fragebogen in der Entnazifizierungsakte LAV NRW-R, NW 1079 Nr. 1145 (unpag.). Hans Keutgen, Erläuterung zum Fragebogen, 28. März 1946, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 30. Ebd., Bl. 36, findet sich der Bescheid des Überprüfungsausschusses vom 16. April 1946. Siehe Einreihungsbescheid, 19. Juli 1947, und Berufungsbescheid, 2. September 1947, in: LAV NRW-R, NW 1079 Nr. 1145 (unpag.), außerdem Berufungsschreiben, 28. Juli 1947, in: NW 1037 Nr. 1984 (unpag.). Siehe Personalakte Dr. Alfred Hellbach, in: LAV NRW-R, BR-Pe Nr. 1046. Siehe den Bescheid vom 9. April 1946, in: LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 7244 (unpag.). Heitzer wurde 1933 für einige Monate in Schutzhaft genommen; nach dem 20. Juli 1944 entzog er sich der Verhaftung durch Flucht und versteckte sich bis zum Einmarsch der Alliierten. Zu Schauergans siehe die Personal- und die Entnazifizierungsakte in: LAV NRW-R, BR-Pe Nr. 13373 und NW 1079 Nr. 17007. Siehe dazu die Personalakte LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 6190 und die Entnazifizierungsakten, ebd., NW 1037 RS Nr. 1106 und NW 1079 Nr. 1789. Siehe Personalakte Ludwig Kuhnert, in: LAV NRW-R, NW-Pe Nr. 8002. So etwa im Verfahren in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 386. Fragebögen von Stillger finden sich im Verfahren LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 386, Bl. 132–144 oder ebd., Nr. 196, Bl. 53–68. Die folgenden Informationen stammen überwiegend aus den  – eindringlichen  – Lageberichten des LGP Aachen an OLGP Köln, LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176. Sie beginnen am 24. September 1945 und werden ab Januar 1946 halbjährlich erstattet. Ergänzend sind die Berichte über die Wiederaufbauarbeiten in LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 343 und 344 konsultiert worden. Hier referiert nach einem Schreiben der Militärregierung an Justizministerium NRW, 30. Mai 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 288, Bl. 186. Ähnlich schon eine  – von der Militärregierung diktierte  – RV des GStA Hamm, 15. November 1945, in: JBl. WL 1945, 37. Siehe im Übrigen die Nachweise bei Hans Wrobel, Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945–1949. Heidelberg, 1989, 154 f. Erlass über die Gewährung von Straffreiheit vom 21. Januar 1946, in: JBl. Köln 1946, 6. Das entsprach dem Vorgehen in anderen Bezirken. Verordnung über Straffreiheit vom 3. Juni 1947, in: VOBl. BZ 1947, 68. Dies ergibt sich aus § 8 der Verordnung zur Überleitung von Strafverfahren

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Anmerkungen zu Kapitel 4 bei aufgehobenen Gerichten, 4. Dezember 1946, in: VOBl. BZ, 1947, 8. Probleme traten nur dort auf, wo es gar kein Sondergericht gegeben hatte; siehe darüber den Schriftwechsel zwischen den OLGP Braunschweig, Celle, Hamm und Oldenburg in LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 214, Bl. 17–20. Siehe etwa ebd., Nr. 292. Vgl. im Übrigen beispielhaft die Verfahren in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113, Nr. 291, 373, 380, 381, 382, 383, 384, 387, 388, 389, 390, 391, 392, 393, 395, 397, 398, 399, 400, 402. Antrag: ebd., Nr. 349, 356, 407, 409; Reduktion: ebd., Nr. 296, 300, 301, 304, 317, 325, 326, 354; Bewährung: ebd., Nr. 347; Rücknahme: ebd., Nr. 380, 394. Im Fall Nr. 208 zog Kuhnert eine Anklage zurück, mit der er als Richter befasst gewesen war; das Verfahren gegen einen Belgier, der sich geweigert hatte, seinen Sohn am Reichsarbeitsdienst teilnehmen zu lassen, war 1944 vertagt worden; Gnade: ebd., Nr. 289. Siehe ebd., Nr. 369. Siehe etwa ebd., Nr. 262, 268, 288, 337. Ebd., Nr. 331. Ersteres: ebd., Nr. 349, 356, 357, 369; Letzteres: ebd., Nr. 410. Ebd., Nr. 205. Ebd., Nr. 206. Ebd., Nr. 286. An dem Urteil des Sondergerichts war übrigens auch Schauergans beteiligt. So ebd., Nr. 375. Freilich muss man ihm zugutehalten, dass die damaligen Urteile härter ausgefallen waren als von ihm beantragt. Einige seltene Ausnahmen: Nr. 204 (1942 Verurteilung zu acht Jahren Zuchthaus mit Sicherungsverwahrung wegen schweren Diebstahls; 1946 Aufhebung der Sicherungsverwahrung), Nr. 206 (Schwere Körperverletzung: Reduktion von vier Jahren Gefängnis auf ein Jahr und drei Monate, Ladung zum Strafantritt Mai 1946). Etwa § 9 der Verordnung über Straferlaß und Abänderung von Strafurteilen im OLGB Celle, 13. November 1945, in: HRPfl. 1945, 8. RG JW 1930, 2560 Nr. 26. Antrag Hans Keutgen, 21. April 1950, in: LAV NRW-R, NW 1037 RS Nr. 1984 (unpag.). Die Verordnung selbst findet sich in MinBl NRW 11 /1950, Sp. 497. Beschluß des Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung im Lande Nordrhein-Westfalen, 6. Juni 1951, in: LAV NRW-R, NW 1037 RS Nr. 1984 (unpag.). Vermutlich ist es überflüssig hinzuzufügen, dass zu diesem Beschluss keinerlei neues Beweismaterial vorgelegt wurde, sondern lediglich die bereits der Militärregierung vorliegenden Beweise neu gewürdigt wurden. Schreiben des OLGP Köln an Hans Keutgen, 13. Mai 1959, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 145. Keutgen wird in zwei Broschüren erwähnt (Hitlers Sonderrichter –

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Anmerkungen Stützen der Adenauer-Regierung. Berlin, 1957, 6; Wir klagen an. 800 NaziBlutrichter – Stützen des Adenauer-Regimes. Berlin, 1959, 20), was man im JM NRW aufmerksam protokollierte (LAV NRW-R, NW 1213 Nr. 3). Die Erwähnung bei Wolfgang Koppel, Justiz im Zwielicht: Dokumentation. NSUrteile, Personalakten, Katalog beschuldigter Juristen. Karlsruhe, 1963, 89, 160, 174, spielt in Keutgens Personalakte dagegen keine Rolle. Vermerk der Besprechung der OLGP mit JM und StSek, 25. März 1960, in: LAV NRW-R, NW 1213 Nr. 43, Bl. 3. Schreiben des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen an den OLGP Köln, 17. März 1965, und Vermerk des OLGP dazu, 20. April 1965, beides in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 216–218. Hans Wickmann, undatierte Anlage zum Fragebogen, wohl Ende 1947, in: LAV NRW-R, NW 1079 Nr. 1789 (unpag.). Dies aus der Entnazifizierungsakte, in: LAV NRW-R, NW 1079 Nr. 1145 (unpag.). Siehe das Verfahren in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 401, Bl. 27. Ebd., Nr. 386, Bl. 172. Die Anmerkung ist handschriftlich; Keutgens Urheberschaft ergibt sich lediglich aus dem Vergleich mit anderen handschriftlichen Einlassungen. Eindeutig ist die Beweisführung deshalb nicht. So im Verfahren in LAV NRW-R, Ger. Rep. 113 Nr. 386, Bl. 172r. Siehe etwa ebd., Nr. 401, Handakte, Bl. 16 ff. – bezeichnenderweise nachdem der Vorgang in der Hauptakte bereits aufgeklärt war. Aachener Zeitung, 5. Dezember 1964. LGP Aachen, Beurteilung vom 25. Oktober 1950, die mit der etwas eigentümlichen Wendung endet: «Er weiß, was er will.» (Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 86). LGP Aachen, Beurteilung vom 28. Oktober 1970 (Archiv OLG Köln, Personalakte über den Vorsitzenden Richter am LG Dr. Hans Keutgen [unpag.]). LGP Aachen, Beurteilung vom 5. November 1953 (ebd.). Siehe die Notizen in Aachener Zeitung, 1. Februar 1961; Aachener Nachrichten, 1. Februar 1961; Aachener Volkszeitung, 1. Februar 1961. Aachener Volkszeitung, 1. Dezember 1964; Aachener Nachrichten, 1. Dezember 1964; Aachener Zeitung, 1. Dezember 1964. Aachener Zeitung, 5. Dezember 1964. RGBl. I, 566, i. V. m. der Durchführungsverordnung des Reichsfinanzministers vom 7. Mai 1935, Reichsbesoldungsblatt, 40, aus deren Nr. 25 die obigen Zitate stammen. Siehe zum Ganzen Johann Meynen, Das Gesetz über Umzugskostenvergütung. Berlin, 1937. Zuletzt erging dazu eine AV des RJM, 12. Juli 1944, in: DJ, 218. LGP Aachen, 9. Januar 1945, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 13. Das RJM hatte erst am

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Anmerkungen zu Kapitel 4 12. Juli 1944 mit einer AV die Grundlage für eine zwölfmonatige Trennungsentschädigung geschaffen (DJ, 218). Bis dahin waren nur sechs Monate möglich gewesen. Berechnungs- und Überwachungsbogen für Trennungsentschädigung, 9. Januar 1945, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des LG über Hans Keutgen, Bl. 38. Schreiben OLGP Köln an Hans Keutgen, 22. Mai 1946, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des LG über Hans Keutgen, Bl. 27. Schreiben Hans Keutgen an OLGP Köln, 10. Februar 1947, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 53. LGP Aachen an OLGP Köln, 11. Februar 1947, in: Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen, Bl. 51. Die Reisekostenabrechnung des LGP Aachen vom 11. Februar 1947 hatte noch 1044,37 RM ergeben, davon entfielen allein 700,– RM auf die Trennungsentschädigung (inkl. dreimal der höhere Satz von 18,– RM / Tag für die erste Woche), siehe Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des LG über Hans Keutgen, Bl. 44 f. Am OLG dagegen setzte man kommentarlos die etwas niedrigere Beschäftigungsvergütung an (erhöht 15,– RM, sonst 7,– RM / Tag), ebd., Bl. 51. Weil zwischenzeitlich ein ursprünglich unzustellbarer Postscheck überwiesen worden war, führte die Neuberechnung des OLG zu der Pointe, dass Keutgen durch die vielen Vorschusszahlungen nunmehr 65,76 RM zurückzuerstatten hatte (und dies am 16. Juni 1947 auch tat, ebd., Bl. 56). Archiv OLG Köln, Ersatz-Personalakte des LG über Hans Keutgen, Bl. 37 und 44. Todesanzeige in Aachener Zeitung, 10. Februar 1999; Nachruf ebd., 11. Februar 1999. Auch da blieb man sich treu: Keutgen habe «die Aachener Nachkriegsjustiz nachhaltig mitgeprägt», ließ der Landgerichtspräsident wissen; dass diese Feststellung für die Justiz vor 1945 ebenfalls zutreffend sein könnte, hat niemand erwogen. Der Vorgang findet sich am Ende der Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen (Archiv OLG Köln). Erörtert wurde nicht zuletzt, ob Keutgen zur Fertigstellung der Dissertation Sonderurlaub erhalten hatte. Zitiert nach Aachener Nachrichten, 21. April 1964. Einige wenige Hinweise zu Keutgens Richterbild auch in ders., Kritische Betrachtung des Besonderen Teils des Entwurfs eines Strafgesetzbuchs [E 1960], in: Strafrechtspflege und Strafrechtsreform. Wiesbaden, 1961, 47–61.

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Anmerkungen

5. Auf der Flucht: Die Verlagerung der Gerichtsbehörden im Winter 1944 /45 Anmerkungen zu Kapitel 5

1 Bekanntmachung LGP Stettin, 26. April 1943, in: GStA PK, XV. HA, Rep. 75a OLG Stettin Nr. 620, Bl. 60. 2 Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung an Reichsverteidigungskommissare, 31. Juli 1943, in: BA, R 3001 Nr. 22328, Bl. 33. 3 Siehe die Übersichten in: GStA PK, XV. HA, Rep. 75a OLG Stettin Nr. 620, Bl. 1 und 10; ähnlich in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 61, Bl. 34. 4 LGP Schneidemühl an OLGP Stettin, 28. September 1943, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 61, Bl. 1. LGP Köslin an OLGP Stettin, 24. September 1943, in: ebd., Bl. 2. 5 OLGP Stettin an RJM, 21. Februar 1944, in: GStA PK, XV. HA Rep. 75a OLG Stettin Nr. 620, Bl. 61. 6 Die Umzugsprotokolle finden sich in größtmöglicher Ausführlichkeit in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 61, Bl. 177–250. 7 Die Details dieses Umzugs sind festgehalten in: LAG, Rep. 75 Nr. 85. Am 5. August 1944 war der Umzug abgeschlossen, siehe OLGP Stettin an alle LGP, 5. August 1944, in: GStA PK, XV. HA Rep. 75a OLG Stettin Nr. 620, Bl. 67. 8 Das Ausmaß der Zerstörung ergibt sich aus einem Schreiben des AGD Stettin an LGP Stettin, 17. August 1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 129, Bl. 132, und aus einem Vermerk des OLGP dazu, ebd., Bl. 134. Zusammenfassend der Lagebericht der GStA Stettin an RJM, 29. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 64. 9 Alle Informationen aus Lagebericht GStA Stettin, 10. Februar 1945; Tagesmeldung GStA Stettin, 14. Februar 1945; Lagebericht OLGP Stettin, 21. Februar 1945, alle in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 74 ff.. 10 RV RJM, 13. September 1939, in: BA, R 3001 Nr. 22489, Bl. 134 f. 11 Für den OLGB Köln siehe LGP Trier an OLGP Köln, 10. Oktober 1939, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 11 Nr. 1660, Bl. 219–224. Zum OLGB Zweibrücken siehe etwa RV des OLGP Jena, 20. September 1939, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 780, Bl. 4. 12 Schreiben OLGP Köln, 14. September 1939, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 11 Nr. 1660, Bl. 192 f. 13 Bericht des aufsichtführenden Richters AG Saarburg, 15. September 1939, in: ebd., Bl. 201–206. 14 Hilfsmaßnamen: Schreiben RJM an den Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, 16. September 1939; Zuständigkeiten: RV RJM, 8. September 1939, beide zitiert nach: LAV NRW-R, Ger. Rep. 11 Nr. 1660, Bl. 216 und 188.

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Anmerkungen zu Kapitel 5

15 Siehe dazu die Verfügung des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, 7. September 1939, hier zitiert nach: GStA PK, XV. HA Rep. 76 Stargard Nr. 675, Bl. 189 f. 16 Alles aus den Lageberichten OLGP Zweibrücken, 8. Januar, 15. Juli und 16. September 1940 (BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 4 f., 24 f.). 17 Lagebericht OLGP Zweibrücken, 28. November 1944, und Generalstaatsanwalt Zweibrücken, 14. Februar 1945, beide in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 118 f. und 122 f. (Zitat von 118). 18 Führer-Erlasse vom 13. Juli und vom 20. September 1944, in: Moll, 426– 428, 456 f. Für Köln AV OLGP vom 5. September 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 553, Bl. 195. 19 Schnellbrief des Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung, 18. September 1944, hier nach: GStA PK, XV. HA Rep. 76 Stargard Nr. 675, Bl. 187–189. 20 RJM, Richtlinien für Maßnahmen bei Justizbehörden in Operations- und Kampfgebieten, 15. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 13 f., als Geheime Reichssache gerichtet an die OLGP in Düsseldorf, Karlsruhe, Kattowitz, Köln, Königsberg, Posen und Zweibrücken. 21 Lagebericht OLGP Zweibrücken, 28. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 118. 22 Lagebericht GStA Köln (z. Zt. Eitorf), 30. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 161. 23 Vermerk OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 129; so auch in der Übersicht RJM (undatiert), in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 36. Von den lothringischen Gerichten zogen im November einige innerhalb Lothringens um, das Amtsgericht Sierck ging nach Busendorf, das Amtsgericht Ars nach Metz, die Gerichte von Helmen, Salzburgen, Duß und Wich allesamt nach Mörchingen, wenn auch nur für kurze Zeit. Ende des Monats wurden die meisten von ihnen endgültig von den Alliierten besetzt (Bericht einer Dienstreise durch den OLGB Zweibrücken, 10. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 52–57, 53 f.). 24 Dazu ausführlich Kapitel 4, bei Anm. 58–60. 25 Vermerk OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 129, Bl. 106. 26 Lagebericht OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 155 f.; Vermerk OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 129. 27 Lagebericht OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 154. Rechnungsamt und Oberjustizkasse kamen ins benachbarte Hennef. Im Dezember wurde in Wiehl auch eine zivilrechtliche Nebenstelle eröffnet. Siehe auch Barbara Manthe, Richter in der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft. Beruflicher und privater Alltag von Richtern des Oberlandesgerichts Köln, 1939–1945. Tübingen, 2013, 121 f.

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Anmerkungen

28 Christof Schiller, Das Oberlandesgericht Karlsruhe im Dritten Reich. Berlin, 1997, 233–241. 29 Lageberichte OLGP Königsberg, 11. Oktober sowie 24. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23375, Bl. 261, 270; siehe außerdem das Gesprächsprotokoll vom 14. Oktober 1944, ebd., Nr. 24051 (unpag.). Stillgelegt wurden die Landgerichte Memel, Tilsit und Zichenau. 30 Siehe RJM, Richtlinien für Maßnahmen bei Justizbehörden in Operationsund Kampfgebieten, 15. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 13 f. 31 Generalstaatsanwalt Danzig an alle Haftanstalten, 9. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 128–132. Siehe dazu auch Maximilian Becker, Mitstreiter im Volkstumskampf. Deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten. München, 2014, 252 f., und Ian Kershaw, Das Ende. Kampf bis in den Untergang. NS-Deutschland 1944 /45. München, 2011, 329 f. 32 Gesprächsvermerk Anruf OLGP Königsberg im RJM, 14. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 15. Anders dagegen die Maßgabe für die Zivilverwaltungen aus den nicht annektierten Gebieten, also für die deutsche Justiz aus Luxemburg, den Niederlanden und Elsass-Lothringen sowie die Kommissariate im Osten und im Generalgouvernement; siehe dazu die RV RJM vom 9. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /23 (unpag.). 33 Reisebericht MD Dr. Vollmer / Fechner, 8. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 49. 34 Runderlass vom 23. November 1944, in: Ministerialblatt des Reichs- und Pr. Ministeriums des Innern, Ausgabe A Nr. 49 Jahrgang 1944, 1165 und 1166. 35 Diese Formulierungen aus: Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Breslau, 25. Januar 1945, (ebd., unpag.); Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Kattowitz, 1. Februar 1945; Gesprächsvermerk zum Anruf des GStA Danzig im RJM, 2. Februar 1945, alle in: BA, R 3001 Nr. 24051 (unpag.); außerdem Bericht des Generalstaatsanwalts Stettin, 10. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 74. 36 Lagebericht OLGP Zweibrücken an RJM, 28. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23389, Bl. 118–121. 37 Dokumentiert in verschiedenen Berichten von Dezember 1944 / Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 288 Nr. 517, Bl. 2, 8, 28 f., 71, 101 f., 116. Zu Aktensicherungen im Raum Köln siehe Matthias Herbers, Organisationen im Krieg. Die Justizverwaltung im Oberlandesgerichtsbezirk Köln 1939–1945. Tübingen, 2012, 307–309. 38 Der ganze Vorgang ist dokumentiert in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 288 Nr. 517, Bl. 14, 19 f., 23 f., 28, 36, 42–44, 48 f., 53, 60, 69, 87, 102a, 123. Von dort alle Zitate. Zur Besetzung Bitburgs siehe Klaus-Dietmar Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München, 1995, 344. 39 RJM, Richtlinien für Maßnahmen bei Justizbehörden in Operations- und Kampfgebieten, 15. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 13 f. 40 Lagebericht GStA Danzig, 4. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23360,

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Anmerkungen zu Kapitel 5 Bl. 143 f. Für ähnliche Räumungsmaßnahmen in Posen siehe den Bericht des dortigen GStA, 5. Oktober 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23383, Bl. 141a. Lagebericht GStA Danzig, 5. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 145 ff. Ausführlich: GStA, XV. HA Rep. 75a OLG Stettin, Nr. 619, Zitat von Bl. 2. Siehe außerdem die Lageberichte OLGP Königsberg, 11. und 30. Oktober sowie 24. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23375, Bl. 261 f., 270, 273 f. Siehe die entsprechenden Anweisungen des LGP Stargard, 25. Januar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 30, Bl. 114. Dazu kamen noch 30 Schreibmaschinen, 28 Telefone und ein Radioapparat; siehe die Liste mit Bergungsgut AG und LG Köslin, 17. Februar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 62. Schreiben OAR Kolberg (z. Zt. Stralsund) an LGP Köslin (z. Zt. Greifswald), 16. April 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 116. Aufsichtführender Richter AG Bublitz an OLGP Stettin, 26. Januar 1945, in: LAG, Rep. 76 Nr. 133, Bl. 33. Alles aus den Gesprächsvermerken RJM über Anrufe Erster Staatsanwalt Büttner (Königsberg), 25., 26. und 28. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 18 f. Lagebericht OLGP Danzig, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 157. LGP Neisse an OLGP Kattowitz, 9. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 20243, Bl. 132. Lagebericht OLGP Leitmeritz, 15. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23376, Bl. 148. AV RJM, 29. November 1944, hier zitiert nach: HStAS, EA 4 / 001 Bü 665, Vorgang 67. Generalbevollmächtigter der Reichsverwaltung an Oberste Reichsbehörden, 1. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24435, Bl. 127. Darin sind auch die Schreiben vom 23. und vom 29. Januar enthalten. RV RJM, 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /24 (unpag.). Partei-Kanzlei, Anordnung Nr. 45, 1. Februar 1945, hier zitiert nach HStAS, EA 4 / 001 Bü 669, Vorgang 11. Hier nach Schreiben Reichsverteidigungskommissar Danzig-Westpreußen, 11. Februar 1945, als Anhang im Lagebericht des Oberlandesgerichtspräsidenten Danzig, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 160. AV OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz), 5. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 2. Lagebericht OLGP Danzig, 31. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 154–156. Lagebericht OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 1. Dezember 1944, in: BA, R 3001 Nr. 23374, Bl. 158.

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Anmerkungen

59 OLGP Karlsruhe an OLGP Stuttgart, 11. Januar 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 95. 60 Die Zentralstelle wurde am 12. Dezember 1944 eingerichtet und nach Intervention des RJM im März wieder aufgelöst (AV OLGP Karlsruhe, 9. März 1945, in: StAF, C 20 /1 Nr. 899). 61 LGP Memel an OLGP Danzig, 15. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 161 f. 62 Gesprächsvermerk RJM über Anruf GStA Stettin, 6. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 35. 63 Siehe dazu den ausführlichen Bericht des LGP Stargard (z. Zt. Demmin) an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 23. März 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 386, Bl. 2 f., sowie die Tagesmeldung des GStA Stettin vom 14. Februar 1945, Gesprächsvermerk darüber in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 78. 64 Gesprächsvermerk RJM über Anruf GStA Königsberg, 27. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24051 (unpag.). 65 Verfügung des GStA Königsberg vom 19. Juli 1944, hier nach: LAV NRWR, Ger. Rep. 255 Nr. 214, Bl. 8 f. 66 RJM an OLGP Düsseldorf, Karlsruhe, Kattowitz, Königsberg, Posen und Zweibrücken, 15. September 1944, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 12. Für die Zeit zuvor siehe Verfügung des GStA Köln an die OStA Koblenz und Trier vom 2. September 1944, beide in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 214, Bl. 8 f.; siehe außerdem den Bericht des OLGP Köln an RJM, 1. Dezember 1944, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 181 Nr. 193. Bei Manthe, a. a. O., 127 wird eine entsprechende Ernennung in Bonn erwähnt. 67 Gesprächsvermerk RJM, 2. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 25017, Bl. 61 f. 68 OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz) an RJM, 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 5. 69 Lagebericht OLGP Danzig, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23360, Bl. 157–159. 70 OLGP Stettin an LGP Stolp, Anruf vom 2. Februar 1945, Vermerk darüber in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 359, Bl. 151. 71 LGP Thorn (z. Zt. Stettin) an OLGP Danzig, 7. Februar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 15, Bl. 15–18. 72 LGD Oppeln an OLGP Kattowitz, 29. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 11 f. 73 Lagebericht OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz), 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23358, Bl. 87 f. Zur Tätigkeit in Sagan auch OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz) an RJM, 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 5. 74 OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz) an RJM, 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 5. Dort wird ein – wohl nicht mehr vollstrecktes – Todesurteil gegen den Bürgermeister von Dombrowa erwähnt, das das Sondergericht

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Anmerkungen zu Kapitel 5 in Hirschberg gefällt habe, weil dieser seinen Dienstsitz eigenmächtig verlassen habe. LGP Neisse an OLGP Kattowitz (z. Zt. Neisse), 9. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 20243, Bl. 132. OAR Kolberg (z. Zt. Stralsund) an LGP Köslin (z. Zt. Greifswald), 16. April 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 116. AGR Belgard (z. Zt. Stralsund) an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 20. März 1945, in: LAG, Rep. 76 Nr. 148, Bl. 67. LGP Hannover an OLGP Celle, 5. April 1945, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 133, Bl. 14–16. Bericht JOI Naumann an AGP Dresden, 28. August 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 249, Bl. 40–42. Gut 450 Akten blieben deshalb erhalten. OAR Schwäbisch Gmünd an OLGP Stuttgart, 9. April 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 110, Vorgang 1. Dort sind auch weitere Aktenverbrennungen geschildert. Siehe dazu den Bericht des GStA Stettin an RJM, 10. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 74. Bericht OLGP Kattowitz (z. Zt. Neisse) an RJM, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 14. Siehe dazu auch den Bericht des LGP Neisse an OLGP Kattowitz, 9. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 20243, Bl. 132. Justizinspektor Bendsburg an OLGP Kattowitz (z. Zt. Dresden), wiedergegeben in dessen Bericht an RJM, 16. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 16. Zur Vorgeschichte Mary Fulbrook, A Small Town Near Auschwitz. Oxford, 2012. LGP Thorn (z. Zt. Stettin) an OLGP Danzig, 7. Februar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 15, Bl. 15–18. RV RJM, 19. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 20. Zum Ende des Geheimschutzes RV RJM, 13. Februar 1945, hier zitiert nach HStAS, EA 4 / 001 Bü 654, Bl. 5. Dies geht zurück auf ein Schreiben von Wilhelm Stuckart vom 7. Februar 1945, das über den Reichsverteidigungskommissar in Pommern und den Oberlandesgerichtspräsidenten Stettin weitergeleitet wurde und am 19. März schließlich die Zielorte erreichte, hier nach LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 7. RJM an Abteilungsleiter, Anfang Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 1. RV RJM, 20. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /24 (unpag.). Zuletzt Schreiben von Hans Heinrich Lammes vom 23. Februar 1945, am 5. März weitergeleitet in einer RV RJM, in: BA, R 3001 Nr. 22489, Bl. 92. BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 36 f. Ein einzelner Nachzügler protokollierte die Verlegung des AG Wegberg nach Mönchengladbach, vermutlich eine Folge der Angriffe auf Wegberg am 25. Februar 1945. Vermerk DJV, 13. März 1946, in: BA, DP 1 Nr. 563 (unpag.).

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Anmerkungen

92 Gerhard Erdsiek, Chronik der Rechtsentwicklung, in: DRZ 1946, 18–26, 19, in Bezug auf das OLG Karlsruhe. 93 Vermerk OLG Stettin, undatiert (nach 20. Februar 1945), in: LAG, Rep. 75 Nr. 133, Bl. 28. Das OLG Königsberg hat noch eine Zwischenstation in Stettin-Altdamm bezogen; dies ergibt sich aus einer Nachricht des AG Ludwigslust an RJM, 27. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 21. 94 Vermerk RJM, 19. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22741, Bl. 6. Die Zwischenstation in Frankfurt an der Oder ergibt sich aus Gesprächsvermerk RJM, 28. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 21, und einer Meldung des Kammergerichtspräsidenten an RJM, Ende Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 18. Die Endstation Weißenfels ist dokumentiert in einem Schreiben der GStA Posen (z. Zt. Weißenfels) vom 28. März 1945, in: HStAD, 11091 Nr. 19, Bl. 29. Zur Räumung von Posen allgemein Kershaw, a. a. O., 309–311. 95 Gesprächsvermerk RJM über Anruf OLGP Kattowitz, 29. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 23; Gesprächsvermerk RJM über Anruf GStA Kattowitz, 30. und 31. Januar 1945, beide in: BA, R 3001 Nr. 24051 (unpag.); GStA Kattowitz (z. Zt. Radebeul) an RJM, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 106. Gera ist nachgewiesen in dem «Verzeichnis der Verwaltungsstäbe für Justizbehörden aus Freimachungsgebieten» (BA, R 3001 Nr. 22741, Bl. 5), das sich allerdings auf Danzig, Kattowitz, Königsberg und Posen beschränkt. 96 Vermerk RJM, 29. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24051 (unpag.). Die Station in Krummhübel (die Kasse ging nach Naumburg) ergibt sich aus dem Schreiben des LGP Görlitz an MdJ Sachsen, 14. April 1947, in: BA, DP 1 Nr. 563 (unpag.). 97 Tagebuch für Justizverwaltungsangelegenheiten LG Freiberg, 20. März 1945, in: HStAD, 11031 Nr. 210, Vorgang 486. 98 In Bayreuth wurde er jedoch nicht mehr tätig. Siehe dazu (und nur dazu) Hannsjoachim W. Koch, Volksgerichtshof. Politische Justiz im 3. Reich. München, 1988, 503. 99 Und zwar schon im Frühjahr 1944, siehe die RV RJM vom 30. März 1944 (hier nach LAG, Rep. 76 Stettin [neu] Nr. 487, Bl. 103) und vom 18. Juli 1944 (hier nach LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 179, Bl. 117). Die Aktenverlegungen sind dokumentiert in: BA, R 6 Nr. 390. Dass man in Frankfurt an der Oder auch wirklich tätig wurde, belegt exemplarisch ein Fall des Deutschen Gerichts in Shitomir, das die Strafvollstreckung bei den mittlerweile nach Hamburg geflüchteten Verurteilten auch von Frankfurt an der Oder aus weiterbetrieb. Er findet sich in BA, R 137 III Nr. 6. 100 Darüber ist im Februar 1945 ein reger Schriftverkehr geführt worden, weil das Kammergericht die Zustimmung des RJM, des Gauleiters, des Reichsführers SS und der NSDAP einholte; siehe BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 27–

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Anmerkungen zu Kapitel 5 35. Ob die nach Frankfurt an der Oder verlegten Gerichtsbehörden aus dem Osten diesen Umzug mitmachten, ist nicht nachzuvollziehen. Vermerk OLG Stettin, 13. Januar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 136, Bl. 1. OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz) an LGP Schweidnitz (z. Zt. Waldenburg), 6. April 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730 (unpaginierter Anhang). Siehe dazu das Telegramm von OStA Hohensalza an RJM, 27. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24698, Bl. 40. Vermerk OLG Stettin, 20. Februar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 133, Bl. 28; die Staatsanwaltschaften Stolp, Köslin, Stargard und Schneidemühl erhielten eine gemeinsame Abwicklungsstelle in Greifswald, dazu GStA Stettin (z. Zt. Greifswald) an RJM, 5. April 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 182. Tagebuch für Justizverwaltungsangelegenheiten LG Freiberg, 27. April 1945, in: HStAD, 11031 Nr. 210, Vorgang 765. Die Staatsanwaltschaft landete in Schirgiswalde (RV OStA Bautzen [z. Zt. Schirgiswalde], 28. April 1945, in: StFilaB, 50 016 Nr. 4358, Bl. 46). Ob das Landgericht Teschen, das sich Bautzen als Ausweichort auserkoren hatte (LGP Teschen an OLGP Kattowitz, 2. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 20243, Bl. 127), diesen Umzug mitgemacht hat, geht aus den Akten nicht hervor. AG Plauen an Landesverwaltung Sachsen Abteilung Justiz, 27. Juli 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 280, Bl. 9. OAR Cosel, Bericht vom 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 20243, Bl. 136. Aufsichtführender Richter Pasewalk an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 20. April 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 133, Bl. 45, sowie Vermerk Abwicklungsstelle OLG Stettin, 5. April 1946, in: ebd., Bl. 44. AGD Kolberg (z. Zt. Stralsund) an LGP Köslin (z. Zt. Greifswald), 16. April 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 116. AGR Fiddichow an LGP Stettin, 18. Februar 1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 8, Bl. 254. AG Plauen an Landesverwaltung Sachsen Abteilung Justiz, 27. Juli 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 280, Bl. 9. Telegramm OLGP Düsseldorf an RJM, 13. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22729, Bl. 37. Herbert Schmidt, «Beabsichtige ich, die Todesstrafe zu beantragen». Essen, 1998, 212. Erinnerungsbericht Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 18. Bericht OAR Schwäbisch Gmünd an OLGP Stuttgart, 9. April 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 110, Bl. 1. Diese Informationen sind sämtlich aus Vermerken des OLGP Köln vom Dezember 1944 und vom 1. Februar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 106 und 129.

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Anmerkungen

117 Ebd. Außerdem LGP Koblenz an OLGP Köln (z. Zt Eitorf), 10. März 1945, in: ebd., Bl. 130. 118 Vermerk GStA Köln, 13. März 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 449 Nr. 46, Bl. 160; GStA Köln an RJM, 13. März 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 533, Bl. 230; OStA Köln (z. Zt. Königswinter) an GStA Köln (z. Zt. Eitorf), 5. März, 25. März mit Vermerk vom 15. März 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 449 Nr. 28, Bl. 210 f.; Vermerk GStA Köln (z. Zt. Waldbröl), 25. März 1945, in: ebd. (unpag.). 119 Ansprache Thierack auf der Tagung der OLGP in Weimar, 3. /4. Februar 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 1166, Bl. 123 (gekürzt bei Schubert, 501). 120 Abteilungsleiterbesprechungen RJM, 11. Oktober 1944 und 31. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24688, Bl. 44, 49; RV RJM, 12. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /24 (unpag.); sowie den Arbeitsplan in BA, R 3001 Nr. 25044, Bl. 124. 121 Abteilungsleiterbesprechung RJM, 31. Januar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24688, Bl. 49; RJM an OLGP Celle, 15. und 16. Februar 1945, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 124, Bl. 3, 8; Brief Amtsrat Becker an Klempke, 4. Dezember 1945, in: BA, DP 1 Nr. 7347, Bl. 311. 122 RMJ z. Zt. Ichtershausen an RMJ, 29. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24471, Bl. 136 f. Schon zuvor OLGP Naumburg an OLGP Jena, 20. März 1945, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 909, Bl. 84. 123 Gesprächsvermerk GStA Rostock, 10. April 1945, LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 854 (unpag.). 124 OLGP Rostock (z. Zt. Schwerin) an RJM, 17. März 1945, in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 856 (unpag.). Eine Liste mit sechs Namen übersandte auch das AG Ludwigslust (27. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 21), selbst beim RJM meldeten sich einige Justizangestellte, siehe BA, R 3001 Nr. 22741. 125 Tagebuch für Justizverwaltungsangelegenheiten LG Freiberg, in: HStAD, 11031 Nr. 210. Am Landgericht Plauen kam ein Richter aus Breslau unter (StACh, 30 096 Nr. 8844). 126 Die Listen und das Begleitschreiben des OLGP Stettin an RJM, 12. Februar 1945, finden sich in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 124, Bl. 1–21 und ebd., Rep. 75 Nr. 14. Die Empfangsbestätigung dafür liegt in BA, R 3001 Nr. 25113. Die Liste über das Personal aus dem Stettiner Bezirk wurde bis zum 24. Februar 1946 (!) fortgeführt (wenn auch mit einer langen Unterbrechung zwischen dem 4. April und 16. September 1945). 127 AGD Celle und Gerichtskasse Celle an OLG Celle, 8. Februar 1945, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 168, Bl. 6 f. 128 LGP Cottbus an KGP, 13. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 19. 129 Gerichtskasse Stade an aufsichtführenden Richter Stade, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 168, Bl. 9 und 19.

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Anmerkungen zu Kapitel 5

130 OLGP Stettin an RJM, 12. Februar 1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 124, Bl. 21. 131 Beide Fälle sind dokumentiert in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 83. 132 OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 16. März 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 32. 133 LGP Greifswald an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 9. April 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1151, Bl. 39. 134 AGD Greifswald an LGP Greifswald, 16. April 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald, Nr. 1081, Bl. 37. 135 OLGP Breslau (z. Zt. Görlitz) an RJM, 7. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 22730, Bl. 6. 136 OLGP Rostock (z. Zt. Schwerin) an RJM, 17. März 1945, in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 856 (unpag.). 137 LGP Schneidemühl (z. Zt. Anklam) an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 15. März 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 316, Bl. 5. 138 So Fritz Fechner, Das bürgerliche Recht in den eingegliederten Ostgebieten, in: Deutsches Recht, 2481–2488, 2482. 139 AV «Rechtsangelegenheiten aus Freimachungsgebieten», 21. November 1944, in: DJ, 289 f. Nicht unähnlich die nahezu zeitgleich ergangene AV, in der die Weisung erteilt wird, bei der Frage der Kriegsdringlichkeit von Rechtsmitteln «nicht engherzig» zu verfahren (AV RJM, 28. November 1944, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /23). 140 Vermerk LG Stettin, 28. April 1945, Az. 21 R 36 /1945, in: LAG, Rep. 76a Stettin Nr. 1260, Bl. 11. 141 Vermerk RJM über Dienstreise nach Dresden vom 28. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23383, Bl. 144. 142 LGP Aachen an OLGP Köln, Januar 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 326, Bl. 232. 143 OLGP Köln an RJM, Februar 1945, in: LAV NRW-R, Rep. 255 Nr. 327, Bl. 131. 144 LGP Koblenz (z. Zt. Dierdorf) an OLGP Köln (z. Zt. Eitorf), 10. März 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 130. 145 § 49 E. 146 Akten sind dazu wohl nicht erhalten. Aber die DJV berichtete nach dem Krieg, dass die Breslauer Gerichte «ihre Tätigkeit noch fortgesetzt haben, als die Stadt bereits zur Festung erklärt und eingeschlossen war» (DJV, 5. April 1946, in: BA, DP 1 Nr. 6349, Bl. 44). Dem entspricht die Anfrage eines Flüchtlings, der ziemlich genau angeben konnte, das LG Breslau habe am 30. März 1945 durch die 10. oder 11. Zivilkammer ein Scheidungsurteil verkündet, dessen Akten er nun suche (HStAD, 11380 Nr. 204, Bl. 39). 147 Die Mitarbeiter der Justizkasse sind aufgeführt in der Liste LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 124, Bl. 6. Weitere Informationen im Lagebericht OLGP

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Anmerkungen Rostock, 6. Februar 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23385, Bl. 48. Der erste Geschäftsverteilungsplan stammt vom 9. März, der letzte vom 20. April 1945, beide in: LHAS, 5.12–6 /4 Nr. 289 (unpag.). Die Belege sind überliefert in GStA PK, XX. HA Rep. 31 Nr. 108, 109, 110, 111 und 112. Auch die in den verlorenen Gebieten zurückgebliebenen Bediensteten blieben im Prinzip versorgungsberechtigt, siehe dazu die RV RJM, 7. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 8463 /24 (unpag.). Danach konnten die Bezüge auch an Verwandte, insbesondere Ehepartner und Kinder, ausbezahlt werden. GStA Stettin an RJM, 5. April 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 182. Telegramm GStA Stettin an RJM, 22. März 1945, in: BA, R 3001 Nr. 23386, Bl. 81. Siehe dazu auch die Schilderungen des GStA Stettin an RJM, 5. April 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 179. Siehe den Schriftwechsel LGP Greifswald und LGP Stettin, 6. April 1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 306, Bl. 100 f. und ebd., Rep. 76 Greifswald Nr. 282 (unpag.). Geschäftsverteilungspläne in: AG in LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 640 (unpag.); LG und SG in: ebd., Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 146 und 641 (unpag.); OLG und StA in: ebd., Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 316, Bl. 217 f. (dort die Fideikommisssachen) und ebd. Rep. 75 Nr. 148, Bl. 32 (Prüfungsamt). Schreiben LGP Greifswald an LGP Stettin, 26. März 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1263, Bl. 138, 140. Diese Vorgänge aus LAG, Rep. 75 Nr. 135. Prozessakten sind nur in geringer Zahl überliefert, siehe aber die etwa 1000 Scheidungsakten in LAG, Rep. 76a Stettin, in denen auch Verfahrungshandlungen aus Greifswald überliefert sind, etwa in Nr. 1257, 1442. Erbstreitigkeit: LG Greifswald, 2.2 O 12 /1944, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 531; Unterhalt: LG Stettin, Schreiben vom 26. April 1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 687; zu den Beweisverfahren die Zivilprozessregister in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 445, 446 und 454; Franzosen: Vorgang in LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 146 (unpag.); Volksschädlinge: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 714, hier Bl. 257 und 261. Der Ausgang der Sachen ist unbekannt; Beleidigung: StA Stettin, 6b S Js 80 /1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 670; Ehemann: Einstweilige Anordnung vom 21. April 1945, Az. 21 R 39 /1945, in: LAG, Rep. 76a Stettin Nr. 1257; Bescheide Eheverfahren: Schreiben LG Stettin, 3. April 1945, Az. 21 R 36 /1945, in: ebd., Nr. 1260, Bl. 8; Schreiben LG Stettin, 23. April 1945, Az. 22 22 /1945, in: ebd., Nr. 1455, Bl. 22. OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald) an LGP Köslin (z. Zt. Greifswald), 3. März 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 148, Bl. 35. Die spärliche Betriebsamkeit des Kösliner Gerichts ist dort ebenfalls nachgewiesen. LGP Stettin (z. Zt. Greifswald) an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 7. April 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 10, Bl. 293.

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Anmerkungen zu Kapitel 6

158 Siehe LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 208. 159 So der Nachkriegsbericht eines Flüchtlings, mit weiteren Berichten der damals Beteiligten dokumentiert in: LAG, Rep. 77 Stralsund Nr. 1051. 160 RGBl. I, 566, i. V. m. der Durchführungsverordnung des Reichsfinanzministers vom 7. Mai 1935, Reichsbesoldungsblatt, 40, aus deren Nr. 25 die obigen Zitate stammen. Die zitierte Ausnahme wird verkündet in der AV RJM vom 7. August 1943, in: DJ 1943, 404, deren Anwendung im November 1944 ausdrücklich bestätigt wurde (hier nach AV OLGP Celle, 28. November 1944, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 171, Bl. 114). 161 LAG, Rep. 75 Nr. 122, hier: Bl. 5. 162 Ebd. Die Befristung auf zwölf Monate fußt wohl auf einer AV des RJM, 12. Juli 1944, in: DJ, 218; bis dahin waren lediglich sechs Monate möglich gewesen. 163 LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 460; Auszahlungsanordnungen vom 10. Mai 1945 finden sich in ebd., Rep. 76 Greifswald Nr. 950.

6. Zwischen den Jahren: Der Stillstand der Rechtspflege im Sommer 1945 Anmerkungen zu Kapitel 6

1 Geleitwort, in: DRZ 1 (1946), 1. Ähnlich Richard Schmid, Justiz in der Bundesrepublik. Pfullingen, 1967, 12; Winfried Hassemer, Strafrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Dieter Simon (Hg.), Rechtswissenschaft in der Bonner Republik. Frankfurt am Main, 1994, 259–310, 259. 2 Gerhard Erdsiek, Chronik der Rechtsentwicklung, in: DRZ 1 (1946), 18– 26, 19. Ähnlich OLGP Düsseldorf an JM NRW, 19. November 1947, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 11; LGP Aachen an OLGP Köln, 20. Januar 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 58. 3 Abschlussbericht des Justizministeriums Württemberg-Hohenzollern, 1952, in: StAS, Wü 2 T 1 Nr. 456 /4, Bl. 14. 4 OLGP Köln an JM NRW, 15. November 1947, in: LAV R, Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 116. Ähnlich Erinnerungsbericht Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 5; L. Kewer, Aus der Geschichte des Oberlandesgerichts Hamm, in: FS OLG Hamm. Hamm, 1970, 43–130, 107. 5 Rechenschaftsbericht 1946, zitiert nach Hilde Benjamin (Hg.), Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1945–1949. Berlin, 1976, 44; Walther Hoeniger, Justiz in Brandenburg, in: NJ 1949, 192. 6 Fritz Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte, 1871–1971. Essen, 1971, 307; Hans Günther, «Kammergericht soll bleiben» – «ok», in: DRiZ 1968, 71– 76, 71.

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Anmerkungen

7 Dies alles nach Friedrich Scholz, Berlin und seine Justiz. Berlin, 1982, 13. 8 LGP Weimar an amerikanische Militärregierung, 19. April 1945, in: HStAW, LG Weimar Nr. 135, Bl. 1. 9 Essen und Paderborn: Erinnerungsbericht von Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 73; Schwaan: Präsident Kreisgericht Güstrow an OB Güstrow, 16. Juni 1945, in: LHAS 5.12–6 /5 Nr. 181, Bl. 5; Neunburg: AG Neunburg v.W. an LGP Amberg, 12. September 1945, in: StAA, Staatsanwaltschaft Amberg Nr. 172, Bl. 35; Königsbrück: BM Königsbrück an LV Sachsen Abt. Justiz, 4. April 1946, in: HStAD, 11380 Nr. 199 (unpag.); Lausick: BM Lausick an AG Borna, 30. August 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 221, Bl. 2. 10 Siehe Hans Wrobel, Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945–1949. Heidelberg, 1989, 131. Bemerkenswert auch die Mitteilung des LGP Bonn an OLGP Köln, 29. Januar 1947, in: LAV NRWR, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 63, der mahnt, der Schwarzhandel drohe das «früher so unantastbar saubere Beamtentum» moralisch zu korrumpieren und «das gesamte öffentliche Leben zu balkanisieren». 11 Gerichtsvollzieher Bender an AG Baden-Baden, 15. März 1947, in: StAF, C 20 /1 Nr. 158, Bl. 130. 12 Zentral-Justizamt, Protokoll der Justizministerkonferenz, 5. Februar 1948, in: LAV NRW-R, NW 189 Nr. 1142, Bl. 1. Ähnlich Bericht über den personellen Wiederaufbau der Justiz im OLGB Düsseldorf, 3. November 1948, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 7; Freiherr von Hodenberg, Der Aufbau der Rechtspflege nach der Niederlage von 1945, in: 250 Jahre Oberlandesgericht Celle. Celle, 1961, 121–153, 138. Zum Ganzen: Katharina Busam, Kriegsfolgenbewältigung in der Rechtsprechung. Tübingen, 2017, 61–64. 13 RV MdJ Sachsen, 3. Februar 1949, in: StACh, 30 096 Nr. 8844, Bl. 189. 14 Das Neue Baden, 27. Februar 1948, hier nach StAF, C 20 /1 Nr. 157, Bl. 71. Weitere Nachweise bei Frank Biess, Republik der Angst. Reinbek, 2019, 73. 15 LGP Aachen an OLGP Köln, 20. Januar 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 58. 16 Siehe Hans-Peter Glöckner, Die Auflösung des Reichsgerichts im Spiegel der archivalischen Überlieferung, in: FS Bernhard Diestelkamp, 1994, 421–456. Der zitierte Bericht findet sich in BA, DP 1 Nr. 29, Bl. 29. 17 Die Reiseberichte finden sich in BA, DP 1 Nr. 5603, Nr. 7347. 18 Einer der Zwangsverpflichteten berichtete einem ehemaligen Mitstreiter, halb verbittert und halb erstaunt: «So konnten wir also mit unseren Akten ein unerwartetes Wiedersehen feiern» (Brief Amtsrat Becker an Klempke, 4. Dezember 1945, in: BA, DP 1 Nr. 7347, Bl. 311). Ende 1946 wurde die Sammlung aufgelöst: Ein großer Teil zog nach Berlin ins Document Center, kleinere Bestände kamen ab 1952 ins Bundesarchiv nach Koblenz.

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Anmerkungen zu Kapitel 6

19 Allgemeine Anweisungen Nr. 2; AV Chef der Justizverwaltung, 20. Oktober 1945, in: StAF, C 20 /1 Nr. 230, Bl. 2; RV LV Sachsen Abt. Justiz Nr. 25, 25. September 1945, in: BA, DP 1 Nr. 6370. 20 So das Handbook for Military Government, August 1944, zitiert nach Ute Gerhardt, Soziologie der Stunde Null. Frankfurt am Main, 2005, 338 Fn. 109. 21 Am 4. Juni 1945, siehe LHAS 5.12–6 /5 Nr. 181, Bl. 1 f. 22 Stralsund: Beschlüsse vom Juni / Juli 1945, in: LAG, Rep. 77 Stralsund Nr. 1034, Bl. 1, 15; Nr. 825, Bl. 1, 12, 40; Weimar: Bekanntmachung, Ende April 1945, in: HStAW, LG Thüringen Nr. 136, Bl. 13; Anordnung OB Zittau, 20. Juli 1945, in: StA Dresden, 11380 Nr. 221 (unpag.); Stadt Görlitz, Rechtsamt an LV Sachen Abt. Justiz, 28. August 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 257 (unpag.); Gericht Neustrelitz an Ministerpräsidium, Abteilung Justiz, 24. Oktober 1945, in: LHAS, 6.16–6 Nr. 59. 23 Kempten: Edith Raim, Justiz zwischen Diktatur und Demokratie. München, 2013, 76; Neustadt: siehe oben Kapitel 2; Perleberg: Dieter Pohl, Justiz in Brandenburg 1945–1955. München, 2001, 16 Fn. 29; Burgstädt (beschränkt auf freiwillige Gerichtsbarkeit): LV Sachsen, Abt. Justiz, Bericht, 20. Juni 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 285, Bl. 1; Annaberg: Berichte in HStAD, 11380 Nr. 237, Bl. 3 (14. Juni 1945) und Nr. 285, Bl. 13 (undatiert). 24 Leiter Stadtgericht Greifswald an OB Greifswald, 28. Mai 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 352, Bl. 4. Der Termin in alter Besetzung: LAG, O 6 /1945, in: ebd., Rep. 76 Greifswald Nr. 2114. 25 Amtsgericht Aachen, Vermerk vom 1. Oktober 1962 (siehe dazu bereits oben Kapitel 4 bei Anm. 78). 26 Tuttlingen: Abschlussbericht des Justizministeriums Württemberg-Hohenzollern, 1952, in: StAS, Wü 2 T 1 Nr. 456 /4, Bl. 13; Deggendorf: Raim, a. a. O., 76. Plauen: Bericht AG Plauen, 14. Mai 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 280, Bl. 1–3; Leipzig: AGP Leipzig an LV Sachsen Abt. Justiz, 27. August 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 264 (unpag.). Ueckermünde: Kreisgericht Ueckermünde an Präsident Mecklenburg-Vorpommern Abt. Justiz, 19. August 1945, in: LHAS 6.16–6 Nr. 202 (unpag.). Stralsund: Gericht des Bezirks Stralsund an Präsident Mecklenburg-Vorpommern Abt. Justiz, 15. August 1945, in: LAG, Rep. 77 Stralsund Nr. 804, Bl. 23; Stralsund in: ebd., Nr. 1039, Bl. 4. Anklam: Amtsgericht Anklam an Präsident Mecklenburg-Vorpommern Abt. Justiz, 16. August 1945, in: LHAS 6.16–6 Nr. 202 (unpag.). 27 Zu Köln und Siegburg OLGP Köln an JM NRW, 1. April 1947, in: LAV NRW-R, NW 189 Nr. 1181, Bl. 29, 31; Zwickau: AG Zwickau an LV Sachsen Abt. Justiz, 31. Juli 1945, in: StACh, 30 145 AG Zwickau Nachtrag 353, Bl. 98. Siehe daneben das Urteil des AG Aue vom 23. Mai 1945, in: ebd., 30 100 AG Aue Nachtrag 112, und den Bericht AG Aue an LV Sachsen Abt. Justiz, 27. Juli 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 238, unpag.

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Anmerkungen

28 Trier: Heinz Peter Kann, Geschichte des Landgerichtsbezirks Trier, in: 50 Jahre Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft Koblenz. Frankfurt am Main, 1996, 145–161, 158 f. Jena: Besprechungsprotokoll OLG Jena mit Militärregierung, in: HStAW, OLG Erfurt Nr. 7, Bl. 13. Bamberg (28. Mai): Raim, a. a. O., 75 f.; Holzminden: Freiherr von Hodenberg, a. a. O., 124. Die – handschriftliche – Liste in LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 53, Bl. 34, notiert für Holzminden den 3. August als Eröffnungsdatum. Swinemünde (30. Mai): Amtsgericht Usedom an Präsident MecklenburgVorpommern Abt. Justiz, 16. August 1945, in: LHAS 6.16–6 Nr. 202 (unpag.) und Nr. 203 /2. 29 Befehl des Stadtkommandanten von Berlin, 25. Mai 1945, in: Dokumente, Nr. 13; RV des Stadtpräsidenten Berlin, Juni 1945, in: BA, DP 1 Nr. 9, Bl. 1; Max Berger, Aus der ersten Zeit des Aufbaus unserer Justiz, in: Neue Justiz 1955, 267 f.; Scholz, a. a. O., 6–15. 30 Justizoberinspektor Wolkenstein, undatiert (wohl 13. Juni 1945), in: HStAD, 11380 Nr. 237, Bl. 6 f. Das Amtsgericht war eine Zweigstelle des AG Annaberg. 31 Spekulation: Wilhelm Kesseböhmer, Erinnerungsbericht, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, S. 14; Erniedrigung: Hubert Schorn, Festgabe zur Wiederkehr des Tages des 100jährigen Bestehens des Landgerichts Bonn. Bonn, 1950, 135; Besinnung: Walter Roemer, Wiederaufbau des Rechts  – Ein Rückblick, in: Süddeutsche Juristenzeitung 1947, 93–101, 93. 32 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen, 1922, 669. 33 Siehe etwa Otto Thierack, Ansprache bei der Tagung der OLGP und GStA in Kochem, 23.–25. Mai 1944, in: HStAW, Thüringisches OLG Jena Nr. 1166, Bl. 139 (Schubert, 544 f.). 34 Direktive der amerikanischen Militärverwaltung, zitiert nach Manfred Görtemaker / Christoph Safferling, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit. München, 2016, 74 Fn. 168. 35 RV badische Landesdirektion für Justiz, 10. August 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 151, Bl. 16. Ähnlich RV OLGP Hamm, 8. August 1945, in: LAV NRWOL, D 20 B Nr. 2571, Bl. 44; Werner Baerns, Interview mit Joachim Wenzlau, 16. Mai 1973 (PA Wenzlau, Abt. Interviews). 36 Schreiben des Bürgermeisters von Rastatt, 3. April 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 154, Bl. 26. Die Arbeitspflicht geht zurück auf Kontrollratsbefehl Nr. 3 vom 17. Januar 1946. Zu den Beschlagnahmen siehe etwa Badisches JM an Präsident Badische Landesverwaltung, 26. August 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 161, Bl. 4; LGP Detmold an Militärregierung, 31. Mai 1945, in: LAV NRW-OL, D 20 B Nr. 2232, Bl. 305. 37 Vgl. Scholz, a. a. O., 76 f. 38 Schriftwechsel Militärregierung / LGP Detmold, 12., 14., 16. und 21. Juni 1945, in: LAV NRW-OL, D 20 B Nr. 2232, Vorgänge 326 und 330; LGP

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Anmerkungen zu Kapitel 6 Detmold an AG Lemgo und Bad Salzuflen, 6. August 1945, in: LAV NRWOL, D 20 B Nr. 2571, Bl. 36. RV LGP Heilbronn, 20. Juni 1945, in: StAL, FL 300 /2 I Zugang 1995 / 81 Bü 37, Bl. 3. Misstrauen: Abschlussbericht des Justizministeriums Württemberg-Hohenzollern, 1952, in: StAS, Wü 2 T 1 Nr. 456 /4, Bl. 9; Einwirkung: LGP Aachen an OLGP Köln, 20. August 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 36. Siehe Hedwig Maier / Gustav von Schmoller, Das Besatzungsregime in den drei westlichen Besatzungszonen. Tübingen, 1948, insb. 21–32; Alfred Hetzel, Die Militärgerichtsbarkeit der Besatzungsmächte in Deutschland. Diss. iur. Tübingen, 1948; Heinrich Röhreke, Die Besatzungsgewalt auf dem Gebiete der Rechtspflege. Diss. iur. Tübingen, 1950; Heinz Breuning, Die Beschränkung der deutschen Gerichtsbarkeit durch die Besatzungsmächte. Diss. iur. Tübingen, 1952, insb. 101–121; Günther Moritz, Gerichtsbarkeit in den von Deutschland besetzten Gebieten 1939–1945. Tübingen, 1955; ders., Die Gerichtsbarkeit in besetzten Gebieten. Historische Entwicklung und völkerrechtliche Würdigung. Tübingen, 1959. OLG Celle (Gerhard Erdsiek), Vermerk Januar 1946, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 10, Bl. 7. So etwa AG Zella-Mehlis an OLGP Gera, 28. August 1945, in: HStAW, OLG Erfurt Nr. 7, Bl. 3 f.; Scholz, a. a. O., 5. Etwa: Mitteilung Stadtgericht Greifswald an Landesverwaltung Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Justiz, 28. Juli 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 352, Bl. 18. Dort kehrte der Betroffene freilich bald zurück. Pasewalk: LGP Stettin (z. Zt. Greifswald) an OLGP Stettin (z. Zt. Greifswald), 25. Mai 1945, in: LAG, Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 165, Bl. 118; Kreisgericht Ueckermünde an Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern, Hauptabteilung Justiz, 19. August 1945, in: LHAS, 6.16–6 Nr. 202 (unpag.). Die Justizverwaltung berichtete außerdem von zwei dort beschäftigten Feinmechanikern (Protokoll einer Besprechung DJV und Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, 22.–26. September 1945, in: BA, DP 1 Nr. 4, Bl. 19). Abgedruckt in: Dokumente, Nr. 48. Protokoll der Länderkonferenz der Justizverwaltung vom 1. /2. November 1946, in: HStAW, Land Thüringen – Ministerium der Justiz Nr. 55, Bl. 40. So etwa beim Amtsgericht Annaberg, wo die beiden Richter am 28. September entlassen wurden (LGP Chemnitz an LV Sachsen Abt. Justiz, 2. Oktober 1945, in: HStAD, 11380 [unpag.]), oder bei den Amtsgerichten Anklam, Hagenow, Penkun, Ueckermünde und Usedom (Rolf Bartusel, «Der Generalstaatsanwalt braucht durchaus kein Jurist zu sein». Münster, 2008, 104 Fn. 209). LGP Freiberg an LV Sachsen Abt. Justiz, 9. April 1946, in: HStAD, 11380 Nr. 69 (unpag.).

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Anmerkungen

50 Siehe für den Herbst 1945 etwa die Verfahren LG Plauen in StACh, 30 096 Nr. 2168, 2209. 51 RegBl. 1947 T, 110. Das Gesetz war bis 30. Juni 1948 in Kraft. 52 LV Sachsen Abt. Justiz an SMAS, 8. Januar 1947, in: HStAD, 11380 Nr. 59, Bl. 142. Gegenüber der SMAD gab die DJV für Dezember 1946 7847 Beschäftigte in ihrem Geschäftsbereich an, von denen 226 (also knapp 3 %) Parteimitglieder gewesen waren; in der Justiz sei niemand von ihnen tätig (BA, DP 1 Nr. 821, Bl. 3). 53 Übersicht über die Stellenbesetzungen, Stand 1. Oktober 1946, in: BA, DP 1 Nr. 883, Bl. 7. 54 Tägliche Rundschau, 20. September 1945, hier nach LAG, Rep. 77 Stralsund Nr. 812, Bl. 2. Ausführlicher Eugen Schiffer, Die deutsche Justiz. Grundzüge einer durchgreifenden Reform. München, 1949. 55 Präsident Thüringen, Rundschreiben 37 /46, hier nach AV OLG Jena, 21. Februar 1946, in: HStAW, OLG Erfurt Nr. 9, Bl. 8; LV Sachsen Abt. Justiz, RV Nr. 137, hier nach: StACh, 30 145 Nr. 5513, Bl. 77. 56 Leiter Stadtgericht Greifswald an Sowjetisches Nachrichtenbüro Greifswald, 17. Dezember 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 352, Bl. 99. 57 MdJ Thüringen, Fünf Jahre Aufbau der Justiz in Thüringen, in: HStAW, MdJ Nr. 34, Bl. 12. 58 Zitiert nach Wenzlau, a. a. O., 166 Fn. 1. Der Betroffene, Paul Andrich, war Volljurist, seit 1914 Rechtsanwalt und seit 1920 Notar in Greifswald (Personalakten Paul Andrich, in: BA, R 3001 Nr. 50299; Lebenslauf auch in LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 352, Bl. 57). 59 LGP Aachen an OLGP Köln, 20. August 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 35. 60 Siehe etwa LGP Bonn an Oberpräsidenten Bonn, 30. Mai 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 180. Genauso schilderte Wilhelm Kesseböhmer die ersten Gespräche mit der Militärregierung (Erinnerungsbericht, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 35 f.). 61 Koblenz: Erdsiek, Chronik, a. a. O., 20; Bremen: Wrobel, a. a. O., 130. Bericht über den personellen Wiederaufbau der Justiz im OLGB Düsseldorf, 3. November 1948, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 3. Weitere Zahlen, die sämtlich eine ähnliche Sprache sprechen: Protokoll einer Besprechung der LGP im OLGB Celle, 2. Oktober 1946, in: LAV NRW-OL, D 20 B Nr. 2002, Bl. 389; GStA Köln an JM NRW, 20. November 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 169 f.; LGP Köln an OLGP Köln, 7. August 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 42. 62 Abschlussbericht des Justizministeriums Württemberg-Hohenzollern, 1952, in: StAS, Wü 2 T 1 Nr. 456 /4, Bl. 15. 63 GStA Köln an JM NRW, 20. November 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 169, 172, 174. 64 Kontrollratsdirektive Nr. 24, 12. Januar 1946, Art. 10 Nr. 88, in: ABl. KR,

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Anmerkungen zu Kapitel 6 228. Ihre Umsetzung bestätigt etwa der Erinnerungsbericht von Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 54. Umso erstaunlicher ist, dass Rottleuthner, Karrieren, a. a. O., 73–78, gerade für die höheren Posten besonders hohe Kontinuitäten nachgewiesen hat. So in den Erinnerungen des Senatspräsidenten am OLG Köln, Floß, 1968, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 5, Bl. 82. Siehe Protokoll zur Besprechung der Justizverwaltung der französischen Zone mit der Militärregierung, 11. Mai 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 274. OLGP Celle auf einer Besprechung der OLGP Hamburg, Celle, Braunschweig, Oldenburg, 27. September 1945, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 47, Bl. 1 ff. LGP Bonn an Militärregierung, 22. Juni 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 192. Weitere Nachweise bei Busam, a. a. O., 49 f.; Biess, a. a. O., 78 f. Siehe etwa OLGP Celle an Militärregierung, 15. Januar 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 86 Nr. 169. Protokoll und Vermerk vom 24. Oktober 1945 finden sich in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 47, Bl. 47 ff., Bl. 57 ff. Bericht über den personellen Wiederaufbau der Justiz im OLGB Düsseldorf, 3. November 1948, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 6. Statistische Angaben bei Rottleuthner, a. a. O., 58 f.; freilich sollte man nicht leichthändig annehmen, zwei ehemalige Parteimitglieder seien doppelt so schlimm wie einer, insofern ist die Rede von der «Renazifizierung» irreführend. Weber, a. a. O., 669. Erinnerungsbericht von Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 16 OLGP Düsseldorf an JM NRW, 19. November 1947, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 16. Ähnlich Freiherr von Hodenberg, a. a. O., 139, der davon berichtet, wie alle Mitarbeiter «redlich und treu ihre Pflicht taten». Abschlussbericht des Justizministeriums Württemberg-Hohenzollern, 1952, in: StAS, Wü 2 T 1 Nr. 456 /4, Bl. 21. Hubertus von Löwenstein / Volkmar Zühlsdorff, Deutschlands Schicksale 1945–1957. Bonn, 1957, 24. Erinnerungen des damaligen LGP Kleve, 26. Juni 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 6, Bl. 50. Kommissarischer Vorstand AG Bautzen an LV Sachsen Abt. Justiz, 25. Juli 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 241, Bl. 3 f. Volksempfinden: BA, DP 1 Nr. 8, Bl. 102; Entartung: LGP Aachen, Lagebericht 20. August 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 176, Bl. 25; Rechtswahrer: GStA Dagobert Moericke, Wiedereröffnung des Oberlandesgerichts Celle, in: HRPfl. 1946, 33; Volkskörper: LGP Görlitz an LV Sach-

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Anmerkungen sen Abt. Justiz, 6. April 1946, in: HStAD, 11380 Nr. 69 (unpag.); Terrorangriff: AG Freiburg, 3 C 20 /1944, Schriftsatz vom 20. April 1948, in: StAF, E 159 /1 Paket 22 Nr. 443, Bl. 97; Statistik: Schriftverkehr Justizministerium Württemberg und Militärregierung, 13. Juni /18. Juli 1946, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 104, Vorgang 16. Hier: Kontrollratsproklamation Nr. 3, 20. Oktober 1945 (ABl. KR, 22). Siehe Besprechung der Justizverwaltung Sachsen mit der DJV, 19.–25. September 1945, in: BA, DP 1 Nr. 8, Bl. 13. OLG Tübingen, Urteil vom 17. April 1947, in: DRZ 1947, 141–143. Siehe dazu Cornelia Vismann, Akten. Medientechnik und Recht. Frankfurt am Main, 2000, 177. Erinnerungsbericht Wilhelm Kesseböhmer, 1967, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 8, Bl. 70. Ähnlich OLGP Düsseldorf an JM NRW, 19. November 1947, in: LAV NRW-R, RWN 139 Nr. 11, Bl. 21. Schriftverkehr Militärregierung und OLGP Celle, April 1945, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 84, Bl. 7 ff.; LGP an OLGP Düsseldorf, 14. November 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 142 Nr. 210, Bl. 60; LGP Chemnitz an LV Sachsen Abt. Justiz, 4. Oktober 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 245 (unpag.). Zur auch in der SBZ herrschenden Vorstellung einer Justizkontinuität siehe Hans Nathan, Ueber den Inhalt der deutschen Gerichtsbarkeit, in: NJ 1947, 81–85. Kontrollratsgesetz Nr. 1, 20. September 1945 (ABl. KR, 6). Ähnlich schon Eisenhowers Proklamation Nr. 1, 18. September 1944 (in: Sammlung; SHAEF), Gesetz Nr. 1; Kontrollratsproklamation Nr. 3, 20. Oktober 1945, darin auch Hinweise zur Vollstreckung (Abl. KR, 22). Protokoll der Länderkonferenz vom 3. Mai 1946, in: BA, DP 1 Nr. 7163 /1, Bl. 31–38, 34. Der Vorschlag, die Sachen durchzustreichen, kam aus Mecklenburg-Vorpommern. Ein vollständiger Überblick über die einschlägigen Bestimmungen in den Westzonen findet sich in dem Vermerk BMJ, 20. Februar 1952, in: BAK, B 141 Nr. 1800, Bl. 114–116. Ergänzungen zur SBZ bei Kluckhohn, Chronik der Rechtsentwicklung, in: DRZ 1946, 178–183, 183. AG Stolp 4 Ds 217 /1943 und 4 Ds 336 /1943, beide in: GStA PK, XV. HA Rep. 77 AG Stolp Nr. 1521 und 1522, außerdem StA Reichenberg, 5 K Ls 6 /1944, in: BA, R 137 II Nr. 71. Der ganze Fall findet sich in BA, R 137 I Nr. 142. GStA Köln an JM NRW, 20. November 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 173. Quartalsbericht der Abt. Justiz Brandenburg, 15. Juli 1946, zitiert nach Pohl, a. a. O., 64. LG Greifswald, R 31 /1945, Urteil vom 22. August 1946, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 4178. Siehe dazu Maren Bedau, Entnazifizierung des Zivilrechts. Die Fortgel-

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Anmerkungen zu Kapitel 7 tung von NS-Zivilrechtsnormen im Spiegel juristischer Zeitschriften aus den Jahren 1945 bis 1949. Berlin: BWV, 2004, 246–264 und Martin Grieß, «Im Namen des Rechts». Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone als Höchstgericht in Zivilsachen zwischen Tradition und Neuordnung. Tübingen, 2015, 263–268. Zahlreiche Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur bei Busam, a. a. O., 109–121. AG Esslingen, C 17–18 /1945, in: StAL, FL 300 /10 II Nr. 639. LG Duisburg 3 O 31 /1944, Urteil vom 8. Oktober 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 3 Nr. 247. OLG Dresden, 5 U 170 /1944, in: HStAD, 11030 Nr. 133. AG Zwickau, 15 C 269 /1944, in: StACh, 30 145 Nr. 5654. Herbert Ruscheweyh, FS Wilhelm Kiesselbach, 1947, 37–71, 51. Für die Justiz ganz ähnlich Friedrich Wilhelm Bosch, Zur gegenwärtigen Lage der Zivilgerichtsbarkeit. Schorndorf, 1948, 7.

7. Die Abwicklung: Der Krieg und sein langes Ende Anmerkungen zu Kapitel 7

1 Wehrmachtsbericht, 9. Mai 1945, in: Schramm, 1281 f. Der Reichssender Flensburg sendete eine leicht gekürzte Fassung und ließ drei Minuten Funkstille folgen. 2 Schreiben Württembergisch-Badisches Justizministerium, 19. Januar 1946, in: GLAK, Bestand 537 Zugang 1985–37 Nr. 485, Vorgang 1. Siehe zum «langen Kriegsende 1944 /45» insgesamt Klaus-Dietmar Henke, Deutschland – Zweierlei Kriegsende, in: Ulrich Herbert /Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Essen, 1998, 337–354. 3 OLGP Köln an OLGP Hamburg, 8. Juli 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 202, Bl. 241. 4 AV OLGP Hamm, 6. Dezember 1945, in: JBl. WL 1945, 39. 5 Zweite Besprechung der OLGP der britischen Zone (Hamburg, Celle, Braunschweig, Oldenburg), 24. Oktober 1945, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 47, Bl. 59. 6 AV Chef der deutschen Justizverwaltung in der französischen Zone Badens, 31. Oktober 1945, in: StAF, C 20 /1 Nr. 354, Bl. 1 (ABl. B, 1946, 4). 7 Baumbach, Zivilprozessordnung. München, 1950, § 245 Anm. 2. 8 Art. 7, RGBl. I, 666–668. 9 Siehe insgesamt: Katharina Busam, Kriegsfolgenbewältigung in der Rechtsprechung. Tübingen, 2017, 107 f. 10 AGP Leipzig an Landesverwaltung Sachsen Abteilung Justiz, 27. August

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Anmerkungen 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 264 (unpag.). Die ersten Richter wurden dort am 4. Mai vereidigt. RGP, 17. Mai 1945, zitiert nach Hans-Peter Glöckner, Die Auflösung des Reichsgerichts im Spiegel der archivalischen Überlieferung, in: FS Bernhard Diestelkamp 1994, 421–456, 440. Dass es den noch in Leipzig verbliebenen Richtern sehr viel schlechter erging, ist bekannt; siehe dazu August Schaefer, Das große Sterben am Reichsgericht, in: DRiZ 1957, 249 f. Versicherung: RGBl. 1939 I, 2175 f.; Schifffahrt: RGBl. 1942 I, 620. Feiertage: RGBl. 1941 I, 662; Kraftstoff: RGBl. 1944 I, 173 f.; Freiheitsstrafen: RGBl. 1940 I, 877. Erste systematische Übersicht: Vermerk Rechtsunterausschuß der Britischen Zone, 17. Juni 1946, in: BAK, Z 21 Nr. 44, Bl. 26–30; eine zweite vom 9. Juli 1947 wurde wohl vom Zentralen Justiz-Amt erstellt, hier nach: StAF, C 20 /1 Nr. 882 (unpag.). OLGP Köln, Rechtsentwicklung im OLGB Köln nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches, 12. November 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 84, Bl. 90. Siehe AV Bad. Justizministerium, 25. April 1946 (StAF, C 20 /1 Nr. 354, Bl. 7) einerseits und AV, 5. Oktober 1946 (ebd., Bl. 50) andererseits. OLGP Düsseldorf an Zentral-Justizamt, 18. Juni 1946, in: BA K, Z 21 Nr. 44, Bl. 49. Zunächst Vermerk JM Württemberg-Baden, undatiert (wohl Juni 1946), in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 662, Vorgang 198 /47. Das Gesetz vom 10. September 1947, in: GVBl. H 1947, 79 (gleichlautend in: RegBl. WB 1947, 96). Die Fundstellen sind nachgewiesen bei Maren Bedau, Entnazifizierung des Zivilrechts. Berlin, 2004, 348 f.; siehe für die SBZ die Hinweise bei Zimmerreimer, Fragen des Verschollenheitsrechts, in: NJ 1947, 58–61. Die «zivilistische Hinrichtung» befürchtet H. Rademacher, Die Kriegsverschollenheit, in: NJW 1948, 258–260, 258; das Verschollenheitsgesetz vom 4. Juli 1939 findet sich in RGBl. I, 1186–1192. Verordnung vom 11. Oktober 1944, in: RGBl. I, 245 f. Bekanntmachung OLGP Hamm, JBl. WL 1945, 27. OLG Celle, Beschluss vom 31. Mai 1946, in: SJZ 1946, 177 f. Gemeint ist Josef Altstötter: Deutsche Justiz 1944, 285–288 und 293–295. Das Urteil des LG Oldenburg vom 31. Mai 1946 findet sich im JBl. AOO 1946, 78 f. OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 1947, in: JMBl. NRW 1947, 32–35. Ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. August 1947, in: JMBl. NRW 1947, 72–76. Das Schreiben der britischen Militärregierung ist abgedruckt z. B. in JBl. B 1946, 145 f. In der französischen Zone beschritt man einen anderen Weg. Das Kriegsende sei noch nicht eingetreten, erklärte man dezidiert, nur um anschließend einige Sonderkündigungsrechte für die an sich kriegsbedingt unkündbaren Verträge zu schaffen (Besprechung der

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Anmerkungen zu Kapitel 7 Justizverwaltungen der französischen Zone, 3. /4. September 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 354, Bl. 44 f.). OLG Köln, Urteil vom 8. Juli 1948, in: ZJBl. 1948, 254 f. Strafsache Js 154 /46, Gegenerklärung vom 16. April 1946, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1573, Bl. 15. OAR Ludwigsburg an JM Württemberg-Baden, 6. November 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 185 /3. Gutachten LGR Dr. Neumeister, wohl Frühjahr 1946, in: StAS, Wü 25 T 1 Nr. 219. Das Gutachten war von der französischen Justizverwaltung in Auftrag gegeben worden (StAF, C 20 /1 Nr. 432, Bl. 1). Für die übrigen Westzonen siehe etwa LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 2, Bl. 77 ff. und HStAS, EA 4 / 001 Bü 263, für die SBZ LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 1573, 5 f. Übersicht bei Stein / Jonas, a. a. O., Einleitung A, § 7. Siehe zum Ganzen: Erlaß JM Württemberg-Baden, 30. November 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 656, Vorgang 185 /2; für Württemberg-Hohenzollern siehe StAS, Wü 25 T 1 Nr. 559, Vorgang 1; Protokoll der Tagung der OLGP Britische Zone, 13.–15. Mai 1946, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 47, Bl. 237 ff.; Gutachten Rechtsunterausschuß der Britischen Zone, 15. Juni 1946, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 73, Bl. 60–63; Badisches OLG Freiburg, Urteil vom 5. Juni 1946, in: DRZ 1946, 29; Schuler, Die bei der Besetzung anhängigen Rechtsmittel in Zivilsachen, in: SJZ 1946, 34. Schriftverkehr OLGP Köln, OLG Köln und OLGP Köln, 5. Juni, 17. Juli und 28. September 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 84 f., 87 f., 91. Wiederaufnahme: LGP Köln an OLGP Köln, 1. Dezember 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 98. Dagegen: LGP Stuttgart, 10. September 1945, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 43, Bl. 55 ff.; Protokoll zur Besprechung der Justizverwaltung der französischen Zone mit der Militärregierung, 3. /4. September 1946, in: StAF, C 20 /1 Nr. 275; OLGP Kiel an OLGP Köln, 10. November 1945, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 95; LGP Aachen an OLGP Köln, 22. November 1945, und Antwortschreiben, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 99 f. Auch das Oberlandesgericht in Köln konnte nicht aushelfen, weil es selbst nur ein einziges Exemplar besaß. Reichsgericht an DJV, 21. August 1945, in: BA, DP 1 Nr. 29, Bl. 19. Die Hoffnungen auf eine Wiedereröffnung standen durchaus in Einklang mit Gesetz Nr. 2. Siehe dazu insgesamt Glöckner, a. a. O. Dies geht hervor aus dem Schreiben LGP Leipzig an Landesverwaltung Sachsen, MdJ, 7. Oktober 1947 (HStAD, 11380 Nr. 59, Bl. 23). Siehe Reichsjustizkalender (zuletzt 1941) und Gerichtsorganisation (1944). Verwaltungsstab OLG Kattowitz an MdJ Thüringen, 22. August 1945, in: HStAW, OLG Erfurt Nr. 95, Bl. 124.

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Anmerkungen

38 AG Weißenfels an Provinzialregierung Sachsen-Anhalt, 24. April 1947, in: BA, DP 1 Nr. 563, Lagereinheit 1, unpag. 39 Vermerk Stadtgericht Greifswald, Juli 1945, in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 352, Bl. 26. Einige unbedeutende Verwaltungsangelegenheiten aus dem Juni 1945 finden sich in: ebd., Rep. 76 Stettin (neu) Nr. 165 und 321. 40 Leiter Stadtgericht Greifswald an OLGP Stettin, 9. August 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 134, Bl. 6. 41 Abwicklungsstelle an AG Rostock, 20. Dezember 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 135, Bl. 7. Genauso Schreiben an AG Demmin, 12. Januar 1946, in: ebd., Rep. 75 Nr. 133, Bl. 36. 42 Vermerk LG Greifswald, 10. Januar 1946, in: LAG, Rep. 75 Nr. 134 (unpag.); Kreisgericht Pölitz an Stadtgericht Greifswald, 19. September 1945, in: Rep. 76 Greifswald Nr. 352 (unpag.). Von welchem Stettiner Gericht sie stammten, lässt sich nicht ermitteln; das Schreiben spricht, von der neuen Terminologie offensichtlich verwirrt, vom «Stadtgericht Stettin». 43 Bericht LGP Greifswald an DJV, 20. Mai 1946 (BA, DP 1 Nr. 563, unpag.). 44 Hier nach JBl. B 1946, 163 (15. November 1946). 45 Alle in: LAG, Rep. 76 Greifswald Nr. 4176 (ohne Antwortschreiben), ebd., Nr. 3990 (dort gelegentlich mit Antworten) und ebd., Rep. 75 Nr. 133. 46 Siehe die Liste in LAG, Rep. 75 Nr. 14, die mit der laufenden Nummer 321 am 24. Februar 1946 endet. 47 Siehe etwa die RV Nr. 29 der sächsischen Justizverwaltung vom September 1945, die die Erfassung von Akten schlesischer Provenienz bezweckt (BA, DP 1 Nr. 6370). Ein Jahr später ging es ganz allgemein um «außersächsische Verfügungen von Todeswegen» (BA, DP 1 Nr. 6372). 48 Eine erste Erfassung begann im März 1946. Am 14. Februar 1947 richtete die DJV dann ein entsprechendes Schreiben an alle Justizministerien (BA, DP 1 Nr. 563, unpag.). 49 Etwas näher dazu oben Kapitel 3 bei Anm. 79 f. 50 Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern an DJV, 7. und 27. Januar 1947, 20. Januar und 9. November 1948, alle in: BA, DP 1 Nr. 563 (unpag.). Weitere Lieferungen aus den 1950er-Jahren in BA, DP 1 Nr. 344. 51 Grimma: MdJ Sachsen an MdJ DDR, 3. Februar 1950, in: BA, DP 1 Nr. 535, Bl. 1; Oelsnitz: LG Plauen an LV Sachsen Abt. Justiz, 2. Oktober 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 98 (unpag.); Großenhain: LG Desden an LV Sachsen Abt. Justiz, 18. September 1945, in: ebd. (unpag.); Gera: StA Gera an GStA Gera, 19. Mai 1947, in: HStAW, OLG Erfurt Nr. 95, Bl. 49; Radebeul: BA, DP 1 Nr. 616; Lissa: Provinzialregierung Sachsen-Anhalt an DJV, 10. Juni 1947, in: BA, DP 1 Nr. 563 Lagereinheit 1 (unpag.). 52 OLGP Köln an OLGP der Britischen Zone, 27. Juli 1946, in: BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 2. Dazu auch Protokoll der Tagung der OLGP der Britischen Zone in Bad Pyrmont, 15. /16. August 1946, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 151, Bl. 64.

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Anmerkungen zu Kapitel 7

53 Der gesamte Sammlungsvorgang der britischen Zone ist in BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 5–61 erfasst. 54 Der Vorgang war schon vor der Kapitulation aufgefallen, siehe GStA Stettin (z. Zt. Greifswald) an RMJ, 5. April 1945, in: BA, R 3001 Nr. 24052, Bl. 181. Ein Bericht des damals beteiligten Richters vom 12. Januar 1946 findet sich in LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 135, Bl. 9. Zum Inhalt siehe die Verzeichnisse des OLGP Celle vom 20. Februar 1953, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 159, Bl. 312, und ebd., Nr. 51, Bl. 388–402 (undatiert). Die Stettiner Abwicklungsstelle versuchte im November, die Akten nach Greifswald zu holen. In Göttingen wies man dies zurück, da Greifswald nunmehr «Polen einverleibt» sei (LGP Göttingen an OLGP Celle, 19. Januar 1946, in: LAH, Nds. 710 Acc. 124 / 87 Nr. 135, Bl. 5). 55 LGP Berlin an Zentral-Justizamt für die Britische Zone, 12. April 1949, in: BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 97 und Schreiben Magistrat von Groß-Berlin vom 20. Juni 1949 und vom 10. September 1949, in: ebd., Bl. 99, 105. 56 Niedersächsischer Minister der Justiz an die übrigen westdeutschen Justizminister, 28. Juni 1949, in: BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 102. Siehe dazu AV Zentral-Justizamt für die Britische Zone, 28. Februar 1949, in: ZJBl. 1949, 47 f. und den entsprechenden Vermerk, 23. April 1948, in: BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 74, außerdem das Protokoll der Konferenz der Justizminister am 29. /30. April 1948 (ebd., Bl. 75). 57 Erwähnenswert ist vor allem das Schicksal der ostpreußischen Strafregister, die ein Justizangestellter im Januar 1945 bis nach Mecklenburg gebracht hatte. Siehe dazu den Bericht des AGR Königsberg, 30. Januar 1945, in: LAG, Rep. 75 Nr. 136, vor Bl. 1 und das Schreiben Justizassistent Königsberg an DJV, 23. September 1945, in: BA, DP 1 Nr. 352, Bl. 15. 58 Landeszentralbank Hamburg an Zentral-Justizamt für die Britische Zone, undatierte Abschrift, in: BAK, Z 21 Nr. 260, Bl. 82. 59 Siehe §§ 263, 274 ZPO. Zur damals identischen Rechtslage: Friedrich Stein / Martin Jonas, Zivilprozeßordnung. Tübingen, 1934, § 263 Anm. III; Adolf Schönke, Zivilprozeßrecht. Berlin, 1943, § 48 III. 60 Die einzelnen Fundstellen sind nachgewiesen in § 22 ZustErgG, 7. August 1952, in: RGBl. I, 410; siehe außerdem Verordnung zur Überleitung von Strafverfahren bei aufgehobenen Gerichten, 4. Dezember 1946, in: VOBl. BZ 1947, 8 f. 61 Exemplarisch Präsident Mecklenburg-Vorpommern, Abt. Justizverwaltung, an DJV, 22. April 1946, in: BA, DP 1 Nr. 7163 /1, Bl. 10. 62 So die AV RJM, 21. November 1944, in: DJ, 289 f. Danach Schriftwechsel DJV und AG Berlin-Mitte, Januar 1947, in: BA, DP 1 Nr. 528, Bl. 7–9. Das Kammergericht hielt die Lösung nach § 36 ZPO übrigens «selbst bei freiester Auslegung nicht für angängig», weil die betreffenden Gerichte nicht in einem Einzelfall verhindert seien, sondern als solche nicht mehr bestünden (ebd., Bl. 13).

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Anmerkungen

63 Das Protokoll der Länderkonferenz vom 3. Mai 1946 findet sich in BA, DP 1 Nr. 7163 /1, Bl. 31–38. 64 Anfragen nach dem Schicksal untergegangener Gerichtsbehörden sind für die DJV gesammelt in: BA, DP 1 Nr. 528 und 529. Für Sachsen siehe HStAD, 11380 Nr. 199, 205, 377, wobei dort auch häufig nach dem Verbleib von Personalakten, Sparkassenbüchern etc. gefragt wurde. 65 Vermerk, DJV, 22. Oktober 1946, in: BA, DP 1 Nr. 7163 /1, Bl. 40, danach DJV an SMAD, 8. Februar 1947, in: BA, DP 1 Nr. 7163 /1, Bl. 45. 66 ZVBl., 15 f. 67 Zuvor schon OLGP Köln, Entwurf einer Verordnung über Rechtshängigkeit, September 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 179. Der – sehr knappe – Karlsruher Entwurf wurde am 28. März 1947 an das Zentral-Justizamt geschickt, dort verwies man auf eigene Überlegungen im Hinblick auf die Ostgebiete (HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgänge 11 und 15; parallele Überlieferung in BA K, Z 21 Nr. 406, 407, 408). Zuvor schon OLGP Köln, Entwurf einer Verordnung über Rechtshängigkeit, September 1946, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 179. 68 Gutachten Rechtsausschuss des Länderrats der Amerikanischen Zone, 28. Mai 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 16. 69 Ebd.; im Hinblick auf Elsass-Lothringen bewertete das Gutachten die Rechtslage anders, da es dort darum gehe, «eine Gerichtsbarkeit zu liquidieren, die wir uns unbestreitbar ohne Rechtsgrundlage im Ausland angemaßt haben», weshalb Frankreich zur Beseitigung dieses gewaltsamen Eingriffs ebenfalls nicht das Instrument des Vertrags wählen müsse. 70 JM Rheinland-Pfalz, 10. Mai 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 17 Anlage 4; Landesdirektion der Justiz Württemberg-Hohenzollern, 17. April 1947, in: ebd., Vorgang 21 Anlage 1; Schreiben OLGP München an Bayerisches Staatsministerium der Justiz, 21. Oktober 1947, in: ebd., Vorgang 40 Anlage 3. Ähnliche Zahlen aus dem OLG-Bezirk Köln, September 1946  – Januar 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 175 f., 191 f. 71 LG Hamburg, Urteil vom 12. Dezember 1946, in: SJZ 1947, 271 f. Bereits in seiner nächsten Sitzung meinte der Rechtsausschuss dazu, es werde «in wohl allgemeiner Gerichtspraxis» die Einrede der Rechtshängigkeit für unbeachtlich erklärt, wenn am Ursprungsgericht die Fortsetzung des Rechtsstreits unmöglich sei (Protokoll, 25. Juli 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 23). Berichte aus der Praxis bestätigen dies, siehe etwa die Schilderungen des LGP Köln an OLGP Köln, 7. Januar 1947, in: LAV NRW-R, Ger. Rep. 255 Nr. 237, Bl. 194–196, oder die Berichte aus dem OLGB Celle, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 73, Bl. 80–92. Zustimmung aus der Literatur: Erwin Riezler, Fragen des interzonalen Zivilprozeßrechts, in: SJZ 1947, 233–240, insb. 238 f.; Jürgen von Köller, Ersatzzuständigkeiten in Zivilsachen, in: MDR 1948, 450–452.

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Anmerkungen zu Kapitel 7

72 Protokoll Rechtsausschuss des Länderrates der Amerikanischen Zone, 25. Juni 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 22. Mit der polnischen Regelung ist wohl gemeint das Dekret o mocy obowiązującej orzeczeń sądowych, wydanych w okresie okupacji niemieckiej na terenie Rzeczypospolitej Polskiej, 6. Juni 1945 (DU Nr. 25, Poz. 151), geändert am 11. April 1947 (DU Nr. 32, Poz. 144), in dem die Rechtskraft deutscher Gerichtsurteile aus der Besatzungszeit behandelt wurde. Eine entsprechende französische Verordnung, ergangen bereits am 15. September 1944, kam erst 1949 zu den Akten (BAK, Z 21 Nr. 407, Bl. 88 f.). 73 Präsident Zentral-Justizamt an Justizministerium Württemberg-Baden, 18. Juli 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 28. 74 Präsident Zentral-Justizamt an Justizministerium Württemberg-Baden, 18. Juli 1947, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 28. Etwas zurückhaltender ZJBl. 1947, 46. 75 Aktenvermerk, 26. Juni 1947, in: BA K, Z 21 Nr. 406, Bl. 25–32. 76 «Weiterschreiten»: Protokoll, 26.–28. Januar 1948, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 51; «Jahre»: Schreiben Hessisches Staatsministerium, MdJ, 14. September 1948, in: HStAS, EA 4 / 001 Bü 696, Vorgang 67; Die Einwände sind zusammengefasst in einem Vermerk des Zentral-Justizamts vom 16. September 1948, in: BA K, Z 21 Nr. 406, 147–150. 77 Übersicht in: BA K, B 141 Nr. 1799, Bl. 72 f.; Protokoll JuMiKo, 23.– 24. Oktober 1950, in: ebd., Bl. 92; daraus geht hervor, dass bezüglich Nachlass- und Abwesenheitspflegschaften sehr viel mehr Anfragen eingingen. Für das Zentral-Justizamt siehe die Aufstellung in BAK, Z 21 Nr. 407 und 408 (insgesamt wohl zwei Vorgänge). 78 Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts (Zuständigkeitsergänzungsgesetz), 7. August 1952, in: BGBl. I, 407–410. Das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene ist dokumentiert in BAK, B 141 Nr. 1799–1801. 79 Siehe: Bernhard Wieczorek, Zivilprozeßordnung 1 / II. Berlin, 1957, § 245 B III; Anonymus, in: Der Betrieb 1952, 694; H. Costa / J. Mundt: Bundesanzeiger 1952, 7–9; «Verlegenheitslösung»: Fritz Karl, in: AcP 159 (1960 / 61), 293–319, 317; Euphorie bei: J. Mundt, Das Zuständigkeitsergänzungsgesetz vom 7. August 1952, in: NJW 1952, 1279–1281. 80 BGH, Urteil vom 10. März 1956, in: BGHZ 20, 198–209. Die wenigen anderen Fundstellen sind nachgewiesen in NJW-Fundheft Zivilrecht, 1956–1958. 81 BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1952, in: BGHZ 7, 307–311. 82 BGH, Urteil vom 8. März 1956, in: BGHZ 20, 183–188. 83 Diese Beispiele sämtlich aus BA, DP 1 Nr. 528 und 529. Sie ließen sich beliebig vermehren. 84 AG Königsberg, 12 C 358 /1944, in: GStA PK, XX. HA Rep. 38a Nr. 24.

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Anmerkungen OLG Dresden 5 /10 U 145 /1943, in: HStAD, 11045 Nr. 221. AG Freiburg 2 C 53 /1944, in: StAF, E 159 /1 Paket 20 Nr. 402. LG Plauen, 3 O 11 /1943, in: StACh, 30 096 Nr. 1736. OLG Celle, 3 U 147 /1950, in: LAH, Nds. 720 Acc. 53 / 61 Nr. 1. Der Fall liegt heute – vermutlich vermittelt durch die Hannoveraner Sammelstelle – in GStA PK, XV. HA, Rep. 76 Nr. 702. Bundesarchiv an AGP Hannover, 30. Oktober 1952, in: LAH, Hann. 173 Acc. 123 / 87 Nr. 159, Bl. 308. Im Bundesarchiv bildete die Fracht den Nukleus der Bestandsgruppe R 137, in der die Akten von «Justizbehörden außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik» dokumentiert sind, nach 1990 ergänzt um die Fundstücke aus den Sammlungsaktionen im Osten. Bei der Bestandsbildung 1952 folgte man dem Grenzverlauf von 1937, weshalb man zwar Akten etwa aus Danzig oder dem Generalgouvernement ins Bundesarchiv aufnahm, nicht aber die Überlieferung ostpreußischer, schlesischer und pommerscher Provenienz, die nach dieser Lesart nicht von außerhalb des Bundesgebietes stammte. Sie wurde deshalb ans Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz weitergereicht. Auskunft des AG Hannover, 13. August 2014. BT-Drucks. 16 /47, 59. Die Aufhebung erfolgte durch Gesetz vom 19. April 2006, in: BGBl. I, 866. BGBl. I, 866–893. Die einschlägige Fachliteratur nahm es gelangweilt zur Kenntnis. 2005 hieß es bei Friedrich Stein / Martin Jonas, Zivilprozessordnung. Tübingen, 2005, § 245 Rn. 2 noch: «Heute nicht mehr von Bedeutung ist § 2 Zuständigkeitsergänzungsgesetz.» In der Neuauflage von 2016 ist selbst dieser Hinweis gestrichen – ein denkbar unspektakuläres Ende.

Epilog Der Traum vom echten Leben Anmerkungen zum Epilog

1 Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts. München, 1919, 906. Der Zwilling ist: «Recht wohnt … niemals die Macht inne, den Gang des Staatslebens in kritischen Zeiten zu bestimmen» (Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre. Berlin, 1914, 358 f.). 2 Carl Schmitt, Politische Theologie (1922). Berlin, 2004, 13–21. 3 Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, VIII, in: ders., Gesammelte Werke. Band I /2, 1991, 690–708. 4 Giorgio Agamben, Ausnahmezustand. Frankfurt am Main, 2004. Daraus die folgenden Zitate. Anlass für Agambens Beschäftigung mit dem Justitium mag die Schilderung bei Livius (4, 31, 9) gewesen sein, im Justitium sei «omnia castris quam urbi similiora». 5 Adolph Nissen, Das Justitium. Leipzig, 1877. Die einzige befürwortende Stellungnahme findet sich augenscheinlich in F. Klingmüller, Art. «Iusti-

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Anmerkungen zum Epilog tium», in: Paulys Realencyclopädie X,2 (1919), Sp. 1339. Für alle anderen stellvertretend Wolfgang Kunkel / Roland Wittmann, Staatsordnung und Staatspraxis der römischen Republik, Zweiter Abschnitt. München, 1995, 226. Bei Gottfried Schiemann, Art. «Iustitium», in: Der neue Pauly 6. Stuttgart, 1999, 108, wird Nissen nicht einmal mehr erwähnt, genauso wenig bei Gregory Golden, Crisis Management During the Roman Republic. Cambridge, 2013, 87–103. Überblick bei Damian Ferdinand Haas, Geschichte der Verlegung des Cammergerichts, 1770; Johann Heinrich Harpprecht, Urkundliche Nachrichten von des Kayserlichen und Reichs-Cammergerichts Schicksaalen in Kriegszeiten …. Frankfurt am Mayn, 1759; Egid Joseph Karl von Fahnenberg, Schicksale des Kaiserlichen Reichskammergerichts vorzüglich in Kriegszeiten. Wetzlar, 1793. Heinrich van Huyssen, De Justitio. Vom Stillstand des Gerichts. Straßburg, 1689. Die grundlegenden Entdeckungen zu Huyssen (insbesondere die Auffindung von dessen Selbstbiographie) verdanken sich den Arbeiten von Peter Petschauer, siehe ders., In Search of Competent Aides: Heinrich van Huyssen and Peter the Great, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 26 (1978), 481–502, mit zahlreichen Nachweisen zu Quellen und Literatur. Zuletzt Svetlana Korzun, Heinrich van Huyssen (1666–1739). Prinzenerzieher, Diplomat und Publizist in den Diensten Zar Peters I., des Großen. Wiesbaden, 2013. Warum das Werk schließlich auf dem Index der katholischen Kirche landete, ist unbekannt, vgl. Catalogue des ouvrages mis à l’index. Paris, 1825, 161. Dass es dem Zeitgeist entsprach, belegt die kurz darauf erschienene Dissertation von Caspar Wolde, De eo quod justum est durande justitio. Halle, 1705; Georg Heinrich Loehmann, De eo quod justum est circa luctum publicum. Halle, 1705, beide entstanden bei Justus Henning Böhmer. Das Titelblatt der Dissertation lud zur Disputation am 23. Mai 1689, zur Einschreibung Gustav C. Knod, Die alten Matrikeln der Universität Straßburg 1621–1793. Band 3. Straßburg, 1897, 540. Heinrich van Huyssens Selbstbiographie, 18 (PA Petschauer, Huyssiana II). Landrecht 1620, 3. Buch, Titulus IV, Art. II, § 3. Zu dem Problem auch Huyssen, a. a. O., Caput I, §§ 18, 23, Caput II, §§ 20–24; ähnlich Wolde, a. a. O., insb. Caput II, §§ 17–20. Ernst Bloch, Ungleichzeitigkeit und Pflicht zu ihrer Dialektik (1932), in: ders., Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt am Main, 1962, 104–126, 104. Schreiben aus Meißen, 20. September 1945, in: HStAD, 11380 Nr. 377, Bl. 11. LG Ellwangen 3 O /1945, in: StAL, E 341 IV Zugang vom 28. 12. 1979 B 27 Nr. 3. Der Todesmarsch ist nachgewiesen bei Daniel Blatman, Die Todesmärsche 1944 /45. Reinbek, 2011, 119 f. AG Esslingen C 115 /1944 und LG Stuttgart, 8 /1 S 120 /1949, beide in:

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Anmerkungen

StAL, F 264 II Nr. 1471. LG Stuttgart, 8 /1 S 120 /1949, Urteil vom 14. September 1950, in: ebd. 16 Hans Magnus Enzensberger, Zur Verteidigung der Normalität (1982), in: ders., Politische Brosamen. Frankfurt am Main, 1985, 207–224, 224. 17 Justus Claproth, Einleitung in den ordentlichen bürgerlichen Proceß 1. Göttingen, 1786, 19, in den folgenden Auflagen (1795 und 1816) unverändert.

Dank 1 Joachim Reinhold Wenzlau, Der Wiederaufbau der Justiz in Nordwestdeutschland 1945 bis 1949. Königstein, 1979. 2 Peter Petschauer, In Search of Competent Aides: Heinrich van Huyssen and Peter the Great, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 26 (1978), 481–502.

Quellen Quellen

Auf den Abdruck eines Literaturverzeichnisses wurde verzichtet. Eine Übersicht über die (zitierte und konsultierte) Literatur findet sich auf der Homepage des Verfassers: www.rewi.europa-uni.de / de / lehrstuhl / br / rechtsgeschichte / Prof / index. html

Ungedruckte Quellen Ungedruckte Quellen

Alle mit einem Sternchen* gekennzeichneten Archive wurden online konsultiert. Archiwum Państwowe w Katowicach* (APK) 133 Wyższy Sąd Krajowy, Katowice (Oberlandesgericht Kattowitz) Archiwum Państwowe w Katowicach Oddział w Bielsku-Białej (APBB) 362 Akta miasta Oświęcimia (Gemeinderat Auschwitz) 554 Sąd Obwodowy w Oświęcimiu (Amtsgericht Auschwitz) 908 Dyrekcja Dóbr Żywieckich w Żywcu (Amt des Gutes Saybusch in Saybusch) Archiwum Państwowe w Poznaniu* (APP) 299 Reichsstatthalter im Reichsgau Wartheland – Posen Archiwum Państwowe w Szczecinie* (APS) 141 Wyższy Sąd Krajowy w Szczecinie (Oberlandesgericht Stettin) Archiwum Państwowe we Wrocławiu* (APW) 257 Wyższy Sąd Krajowy we Wrocławiu (Oberlandesgericht Breslau) Bundesarchiv Bayreuth (BA) Ost-Dok. 13 Deutsche Verwaltung in den annektierten und okkupierten Gebieten Polens, des Baltikums und der Sowjetunion 1939–1945

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Quellen

Bundesarchiv Berlin (BA) DP 1 Ministerium der Justiz, Deutsche Justizverwaltung (DJV) / MdJ R6 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete R 137 Justizbehörden außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik R 187 Sammlung Schumacher R 3001 Reichsjustizministerium Bundesarchiv Koblenz (BAK) B 120 Institut für Besatzungsfragen B 141 Bundesministerium der Justiz Z 21 Zentral-Justizamt für die Britische Zone Bundesarchiv Reinickendorf (BA [PA]) Werner Günther Dr. Hans Keutgen Dr. Franz Langer Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK) 537 Zugang 1985–37 Justizministerium Württemberg-Baden, Nebenstelle Karlsruhe Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA Rep. 84a Justizministerium XV. HA Rep. 76 Landgericht Stargard XV. HA Rep. 77 Amtsgericht Stolp XV. HA Rep. 75a Oberlandesgericht Stettin XVII. HA Rep. 222a Oberlandesgericht Breslau XVII. HA Rep. 223a Landgericht Oppeln XVII. HA Rep. 223b Amtsgerichte XX. HA Rep. 31 Oberlandesgericht Königsberg XX. HA Rep. 38a Amtsgericht Königsberg Hauptstaatsarchiv Dresden (HStAD) 11380 Landesregierung Sachsen, Ministerium der Justiz 11031 Landgericht Freiberg 11045 Amtsgericht Dresden 11091 Amtsgericht Riesa Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS) EA 4 / 001 Justizministerium Württemberg-Baden Hauptstaatsarchiv Weimar (HStAW) Land Thüringen – Ministerium der Justiz

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Ungedruckte Quellen

Oberlandesgericht Erfurt Thüringisches Oberlandesgericht Jena Landgericht Weimar Het Utrechts Archief* (HUA) 1221–1-1974 Burgerlijke Stand van de gemeenten in de provincie Utrecht Landesarchiv Greifswald (LAG) Rep. 75 Oberlandesgericht Stettin Rep. 76 Greifswald Landgericht Greifswald Rep. 76 Köslin Landgericht Köslin Rep. 76 Stettin (neu) Landgericht Stettin Rep. 76a Stettin Landgericht Stettin Ehesachen Rep. 77 Stralsund Amtsgericht Stralsund Landesarchiv Hannover (LAH) Nds. 700 Ministerium der Justiz Hann. 173 Oberlandesgericht Celle Nds. 710 Oberlandesgericht Celle Nds. 720 Landgericht Hannover Hann. 172 Amtsgericht Hannover Nds. 725 Amtsgericht Hannover Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-Lippe (LAV NRW-OL) D 20 B Landgericht Detmold Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (LAV NRW-R) NW 174 Justizministerium NW 189 NW 1213 BR-Pe Personalakten NW-Pe Ger. Rep. 86 Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf Ger. Rep. 142 Ger. Rep. 203 Ger. Rep. 11 Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft Köln Ger. Rep. 255 Ger. Rep. 449 Ger. Rep. 563 Ger. Rep. 113 Staatsanwaltschaft Aachen – Sondergericht Aachen Ger. Rep. 3 Landgericht und Staatsanwaltschaft Duisburg Ger. Rep. 308 Landgericht Essen Ger. Rep. 28 Landgericht Köln

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Quellen

Ger. Rep. 198 Landgericht und Staatsanwaltschaft Krefeld NW 1037 Der Sonderbeauftragte für die Entnazifizierung im Lande NRW NW 1048 NW 1049 NW 1079 RWN 139 Sammlung Hüttenberger zu Politik und Verwaltung in NRW nach 1945 Landeshauptarchiv Schwerin (LHAS) 6.16–6 Ministerpräsidium, Hauptabteilung Justiz 5.12–6 /4 Oberlandesgericht und Generalstaatsanwaltschaft Rostock 5.12–6 /5 Landgericht Güstrow 5.12–6 / 6 Landgericht Rostock Oberlandesgericht Köln (Archiv OLG Köln) Personalakte des Referendars Hans Keutgen Personalakte über den Vorsitzenden Richter am LG Dr. Hans Keutgen Ersatz-Personalakte des LG über Dr. Hans Keutgen Ersatz-Personalakte des OLG betreffend Dr. Hans Keutgen Privatarchiv Peter Petschauer (PA Petschauer) Huyssiana II: Selbstbiographie Privatarchiv Joachim Wenzlau (PA Wenzlau) Interviews Korrespondenzen Profit Over Life* (POL) Akten der Nürnberger Prozesse, Fall VI Stadtarchiv Aachen KKG, Abitur 1932, Klasse OI b. Staatsarchiv Amberg (StAA) Staatsanwaltschaft Amberg Staatsarchiv Bamberg (StAB) K 100 Oberlandesgericht Bamberg Staatsarchiv Chemnitz (StACh) 30095 Landgericht Chemnitz 30096 Landgericht Plauen 30100 Amtsgericht Aue

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Ungedruckte Quellen

30145 Amtsgericht Zwickau Staatsarchiv Coburg (StACo) Spruchkammer Hof / Stadt Staatsarchiv in Eupen (StAE) X 49 Amtsgericht Malmedy Staatsarchiv Freiburg (StAF) C 20 /1 Badisches Ministerium der Justiz E 159 /1 Amtsgericht Freiburg Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL) E 315 Landgericht Stuttgart E 341 IV Landgericht Ellwangen EL 300 V Oberlandesgericht Stuttgart F 254 II Amtsgericht Besigheim F 264 II Amtsgericht Esslingen F 276 III Amtsgericht Kirchheim unter Teck FL 300 /2 I Amtsgericht Backnang FL 300 /10 II Amtsgericht Esslingen Staatsarchiv Marburg (StAM) 263 Oberlandesgericht Kassel Staatsarchiv Sigmaringen (StAS) Wü 2 T 1 Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollern Wü 25 T 1 Justizministerium Württemberg-Hohenzollern Staatsfilialarchiv Bautzen* (StFilaB) 50016 Amtshauptmannschaft Zittau Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung (TUB ZfA) Akten der Nürnberger Prozesse, Fall VI Unternehmensarchiv der BASF (UA BASF) PB 4 / 898 Auschwitz / Buna IV Historisches Archiv der Universität Köln (UA Köln) Zugang 42 Rechtswissenschaftliche Fakultät, Dekanat Zugang 600 Matrikelkartei I Zugang 489 Matrikelkartei II Zugang 604 Universitätskasse und Quästur

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Quellen

Yad Vashem Archives* (YVA) O.51 Nazi documentation O.2 Wiener Library Collection

Amtliche Sammlungen und Quelleneditionen Amtliche Sammlungen und Quelleneditionen

ABl. B: Amtsblatt der Landesverwaltung Baden, Französisches Besatzungsgebiet, hg. von der Landesregierung Baden, Freiburg: Poppen  & Ortmann, 1946–1947. ABl. Kattowitz: Amtsblatt der Regierung in Kattowitz, 1939–1945. ABl. KR: Official Gazette of the Control Council for Germany …. Berlin: Allied Secretariat, 1945–1948. AGO: Allgemeine Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten. Berlin: Decker, 1795. Allgemeine Anweisungen für Richter Nr. 2 der Militärregierung Deutschland. Wiesbaden: Carl Ritter & Co, o. J. (1946). Aktenordnung: Verwaltung des Schriftguts in Justizverwaltungsangelegenheiten vom 18. Dezember 1935. Berlin: R. v. Decker, 1935. ALR: Allgemeines Landrecht für die Preussischen Staaten. Berlin: Decker, 1794. BPO Sachsen 1860: Entwurf einer bürgerlichen Prozeß-Ordnung für das Königreich Sachsen. Dresden: Heinrich, 1860. CCM: Des Corpus Constitutionum Marchicarum Anderer Theil  … Erste Abtheilung. Berlin: Buchladen des Waysenhauses, 1737. CIF: Corpus Iuris Fridericianum. Berlin: Verlag der Königlichen Akademie der Wissenschaften, 1781. Corpus iuris canonici: Emil Friedberg / Emil Ludwig Richter (Hg.), Corpus Iuris Canonici. Band 2. Leipzig: Tauchnitz, 1881. Corpus iuris: Theodor Mommsen / Paul Krüger (Hg.), Corpus iuris civilis. Berlin: Weidmann, 10. Auflage, 1905 /1929. CPO Bosnien 1883: Civil-Proceß-Ordnung für Bosnien und Hercegovina. Wien: Hof- und Staatsdruckerei, 1883. CPO Siebenbürgen 1852: Provisorische Civil-Proceß-Ordnung für das Großfürstenthum Siebenbürgen und die damit vereinigten Theile mit Einführungsverordnung, Wien: Hof- und Staatsdruckerei, 1852. DJ: Deutsche Justiz. Rechtspflege und Rechtspolitik. Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege, hg. vom Reichsminister der Justiz. Berlin: R. v. Decker, 1933–1945. Dokumente: Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR (Hg.), Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945–1959. Berlin: Staatsverlag, 1968. DU: Dziennik Ustaw (polnisches Gesetzblatt)

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Amtliche Sammlungen und Quelleneditionen

EKO: Entscheidungen des Königlichen Obertribunals, hg. im amtlichen Auftrag von [wechselnden Herausgebern]. Berlin: Heymanns bzw. Dümmler, 1837– 1879. Entwurf 1848: Friedrich Christian Koch, Entwurf einer Civil-Prozeß-Ordnung für den preußischen Staat, mit den Motiven, nebst einem Anhange, welcher einen Vorschlag über die Einrichtung des Gerichtskostenwesens und einen Gesetzentwurf über die Gerichtsgebühren enthält. Berlin: Trautwein, 1848. Entwurf PO Preußen 1864: Entwurf einer Prozeß-Ordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Preußischen Staat. Berlin: R. von Decker, 1864. Frei: Norbert Frei / Thomas Grotum / Jan Parcer / Sybille Steinbacher / Bernd C. Wagner (Hg.), Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940–1945. München: K. G. Saur, 2000. Gerichtsorganisation 1944: Gerichtsorganisation des Deutschen Reiches. Berlin: Beamtenpresse, 1944. GVBl. H: Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen, hg. von der Hessischen Staatskanzlei. Wiesbaden: Wiesbadener Kurier, 1947. GVBl. HH: Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt, hg. vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Hamburg: Lütcke & Wulff, 1945. Hahn: Carl Hahn (Hg.), Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 30. Januar 1877. Berlin: R. v. Decker, 1880. Handbuch der Justizverwaltung: Handbuch der Justizverwaltung. Bearbeitet im Büro des Reichsjustizministeriums. Berlin: R. v. Decker, 1942. Handbuch der Justiz: Handbuch der Justiz, hg. vom Deutschen Richterbund. Hamburg: R. v. Decker, 1953. Hartmann: Adolf Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. Band 3, Teil 3, hg. von Christian Hartmann. München: K. G. Saur, 1994. HRPfl.: Hannoversche Rechtspflege. Verordnungen und Mitteilungen für den Oberlandesgerichtsbezirk Celle, hg. von der Justizverwaltung des Oberlandesgerichts Celle. IMT: International Military Tribunal (Hg.), Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945–1. Oktober 1946. Nürnberg: Internationaler Militär-Gerichtshof, 1947–1949. JBl. AOO: Justiz-Blatt für Aurich, Oldenburg und Osnabrück, hg. vom Oberlandesgericht in Oldenburg. Oldenburg: Ad. Littmann Buchdruckerei, 1945– 1947. JBl. B: Justizblatt für den Oberlandesgerichtsbezirk Braunschweig, hg. von der Verwaltung des Oberlandesgerichts Braunschweig. Braunschweig: Limbach, 1946–1947. JBl. Köln: Justizblatt für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln, hg. vom Oberlandesgerichtspräsidenten in Köln. Moers: Brendow, 1946–1947.

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Quellen

JBl. WL: Justiz-Blatt für Westfalen und Lippe, hg. von der Verwaltung des Oberlandesgerichts Hamm. Hamm: Griebsch, 1945–1946. JMBl. NRW: Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, hg. vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen. Moers: Brendow, 1947. Juristentag 1947: Konstanzer Juristentag (Sträter): Konstanzer Juristentag (2.– 5. Juni 1947), hg. von der Militärregierung des Französischen Besatzungsgebietes in Deutschland. Generaljustizdirektion. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1947. Kästner: Erich Kästner, Das Blaue Buch. Geheimes Kriegstagebuch 1941–1945, hg. von Sven Hanuschek. Zürich: Atrium, o. J. Klemperer: Victor Klemperer, Tagebücher 1942, hg. von Walter Nowojoski. Berlin: Aufbau, 1995. Landrecht 1620: Allgemeines Land-Recht des Hertzogthumbs Preussen. Rostock: Augustin Ferber, 1620. Landrecht 1685: Churfürstlich Brandenburgisches Revidirtes Landrecht des Hertzogthumbs Preussen. Königsberg: Friedrich Reusner, 1685. Landrecht 1721: Verbessertes Land-Recht des Königreichs Preussen. Königsberg: Reussner, 1721. Meldungen: Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich 1938–1945. Herrsching: Pawlak, 1984. Moll: Martin Moll (Hg.), «Führer-Erlasse» 1939–1945. Stuttgart: Franz Steiner, 1993. Motive BPO Sachsen 1860: Gustav Marschner (Hg.), Motiven [sic] zu dem Entwurfe einer bürgerlichen Prozeß-Ordnung für das Königreich Sachsen, 1860. Motive: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Berlin: Guttentag, 1888–1896. NCC: Novum Corpus Constitutionum Prussico-Brandenburgensium Praecipue Marchicarum […] 1753–1822. Ab Bd. 3 Berlin: Decker, ab Bd. 5 Berlin: Kunst. NMT: Nuernberg Military Tribunals (Hg.), Trials of War Criminals Before the Nuernberg Military Tribunals Under Control Council Law N. 10. Washington: Government Printing Office, 1949–1953. OMGUS: Karl Heinz Roth (Hg.), OMGUS, Ermittlungen gegen die I. G. Farbenindustrie AG – September 1945. Nördlingen: Greno, 1986. PreußGS: Gesetzsammlung für die Königlichen Preußischen Staaten [Jahr]. Berlin: Decker. Project 1766: Project des Codicis Fridericiani Marchici. Königsberg: Johann Jacob Kanter, 1766. Protokolle CPO NDB: Protokolle der Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes. Berlin: R. v. Decker, 1868.

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Amtliche Sammlungen und Quelleneditionen

RegBl. T: Regierungsblatt für das Land Thüringen. Teil 1, Gesetzsammlung. Weimar: Landesverlag Thüringen, 1945–1949. RegBl. WB: Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden. Stuttgart: Staatsministerium, 1946–1952. Reichsjustizkalender: Kalender für Reichs-Justizbeamte. 2. Teil. Berlin: R. v. Decker, 1941. RGBl.: Reichsgesetzblatt. Teil 1, hg. im Reichsministerium des Innern. Berlin: Reichsverlagsamt, 1922–1945. Richterbriefe: Heinz Boberach (Hg.), Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschen Rechtsprechung 1942–1944. Boppard am Rhein: Harald Boldt, 1975. Rogall: Joachim Rogall (Hg.), Die Räumung des «Reichsgaus Wartheland» vom 16. bis 26. Januar 1945 im Spiegel amtlicher Berichte. Sigmaringen: Jan Thorbecke, 1993. Sammlung: Sammlung der Gesetze, Verordnungen, Anweisungen und Anordnungen der Militärregierung Deutschland, hg. vom Verlag Albert Höntges: Krefeld, 1950. Schramm: Percy E. Schramm (Hg.), Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht. Band 8: 1944–1945, Teilband II (1961). Herrsching: Manfred Pawlak, 1982. Schubert: Werner Schubert (Hg.), Das Reichsjustizministerium und die höheren Justizbehörden in der NS-Zeit (1935–1944). Protokolle und Mitschriften der Arbeitstagungen der Reichsjustizminister mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Volksgerichtshofs, des Reichsgerichts sowie mit den Generalstaatsanwälten. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2015. SHAEF: Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (Office of the Chief of Staff), Handbook for Military Government in Germany Prior to Defeat or Surrender. O. O., 1945. VOBl. BZ: Verordnungsblatt für die Britische Zone. Amtliches Organ zur Verkündung von Rechtsverordnungen der Zentralverwaltungen, hg. vom Zentral-Justizamt für die Britische Zone. Hamburg: Girardet & Co., 1947–1949. VOBl. MB: Verordnungsblatt der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg. Potsdam: Steiner, 1945–1946. Wolan: Hubert Wolan, Świdnickie procesy narodowosocjalistycznych bojówkarzy (1929–1930), in: Studia Śląskie 30 (1976), 341–362. ZJBl. BZ: Zentral-Justizblatt für die Britische Zone, hg. vom Zentral-Justizamt für die Britische Zone. Hamburg: Rechts- und staatswissenschaftlicher Verlag, 1947–1949. ZVBl.: Zentralverordnungsblatt. Amtliches Organ der Deutschen Wirtschaftskommission und ihrer Hauptverwaltungen, sowie der Deutschen Verwaltungen für Inneres, Justiz und Volksbildung, hg. von der Deutschen Justizverwaltung der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland. Berlin: Zentralverlag, 1947–1949.

Personenregister Personen- und Ortsregister

Agamben, Giorgio 296–298, 370 Altstötter, Josef 270 Ambros, Otto 118 Andrich, Paul 360 Anschütz, Gerhard 295 Arendt, Hannah 31 Bader, Karl S. 32 Baerns, Werner 23 Baumbach, Adolf 22 f. Benjamin, Walter 296 Bloch, Ernst 302 Böhm, Karl 260 Bohne, Gotthold 144, 146 Bohne, Philipp 166, 170 Bormann, Martin 157, 206 Bracht, Fritz 119 Browning, Christopher 31 Brzezinski, Anna 128, 133 Buchholz, Karl 126 Bumke, Erwin 265 Claproth, Justus 304 Coenders, Albert 146 Deckher, Johann 298 Degrelle, Léon 107 Dönitz, Karl 71 Dürr, Karl 83 f., 86 f., 89, 93, 95–98, 101, 103, 105 f., 324, 326 Eichmann, Adolf 31 Elias, Norbert 9 Enzensberger, Hans Magnus 31, 304 Eschen, Klaus 9 Fach, Oskar 69 Fechner, Fritz 126 Fraenkel, Ernst 33 Frank, Hans 121 Freisler, Roland 35, 57 Frick, Wilhelm 187, 205 f. Fritz, Walther 153 f., 161, 169, 335 Führer, Hans 162 Godulla, Sebald 128, 132 f., 136, 331 Goebbels, Joseph 14, 17, 157, 170, 269

Göring, Hermann 122 f., 132, 170, 329 Graeschke, Walter 336 Grohé, Josef 157 Gruenhagen, Werner 227 Günther, Werner 115–117, 122, 126–129, 132–134, 136 f., 327, 333 Gutsche, Heinrich 121, 329 Hartig, Georg Ludwig 77 Hebel, Johann Peter 10 Hedemann, Justus Wilhelm 112 Heidegger, Martin 94 Heine, Heinrich 9 Heitzer, Arnold 170, 340 Hellbach, Alfred 158 f., 161, 169, 337 Himmler, Heinrich 118, 122– 124, 132, 159, 195, 205 f. Hindemith, Günther 134, 136, 332 Hitler, Adolf 27, 57, 94, 114, 123, 152, 159, 195, 242, 329 Höher, Konrad 154, 336 Howahrde, Paul 154, 336 Huschke, Philipp Eduard 21 f. Huyssen, Heinrich van 297–299, 309, 371 Jaskiewicz, Albin 128 f., 136 Kant, Immanuel 226, 252 Kesseböhmer, Wilhelm 251, 256, 314 Keutgen, Hans 141–150, 153, 155 f., 160, 163–170, 174 f., 177–185, 333 f., 336, 342 f. Kolb, Eugen 266 Krünitz, Johann Georg 110, 125 Kühl, Stefan 316 Kuhnert, Ludwig 154 f., 170, 173–175, 341 Livius, Titus 20, 370 Losenhausen, Paul 153, 158, 335 Luhmann, Niklas 26 Melsheimer, Ernst 245, 257 Mühlmann, Walter 107

Müller, Walter 228 Nissen, Adolph 296 f., 371 Ostler, Fritz 234 Paulick, Johannes 209 Pretzsch, Erich 128, 133, 136 Raape, Leo 36 Riensberg, Georg 57 Ritchie, Franklin M. 244 Röll, Robert 102, 105 f., 326 Rothenberger, Curt 57, 316 Ruscheweyh, Herbert 261 San Nicolò, Mariano 37 Schauergans, Josef 170, 174, 340 Schiffer, Eugen 33, 246 Schlegelberger, Franz 188, 312 Schmidt, Maximilian 137, 332 f. Schmiegel, Otto 128, 132 f., 136 Schmitt, Carl 33, 144, 295 f., 298 Schmoller, Gustav von 36 Scholz, Franz 107 Schönke, Adolf 272 Schwengers, Josef 153, 335 Staud, Eberhard 43 Staudacher, Artur Friedrich 69 Steinwenter, Artur 37 Stillger, Walter 170, 340 Thalmann, Eugen 83–93, 96 f., 99–104, 325 Thiele, Gerhard 134, 136, 332 Thierack, Otto Georg 14, 27, 56 f., 59 f., 71, 107, 130, 195, 202, 205 f., 210, 237 Treitschke, Heinrich von 15, 271 Vollmer, Günther 67 Weber, Max 72, 242, 251, 323 Welzel, Hans 144, 334 Welzer, Harald 316 Wickmann, Hans 164, 170, 174, 178, 184 Wieczorek, Bernhard 288 Wrobel, Hans 26 Zimmerath, Paul 154, 336 Zinn, Georg August 32 Zweynert, Martin 70 f., 323

Ortsregister Ortsregister

Aachen 18, 141–185, 190 f., 195 f., 236, 240, 254, 274, 335–339, 343 Ahrweiler 62 Altena 219 Altenburg 138 Anklam 218, 223, 240, 359 Annaberg 239, 358 f. Ars /Ars-sur-Moselle 345 Aschaffenburg 63 Aue 70, 323 Auschwitz / Oświęcim 112–140, 327–333 Auschwitz-Birkenau 119 f., 131 Auschwitz-Dwory 118, 120, 125, 129 Auschwitz-Monowitz 120, 129 f., 331 Außig / Ústí nad Labem 290 Bad Kreuznach 63 Baden-Baden 235 Bamberg 194, 200, 240 Bartenstein / Bartoszyce 204 Barth 218 Bärwalde / Mieszkowice 188, 190 Bautzen 163–165, 178 f., 181– 184, 218, 253, 351 Bayreuth 218, 350 Belgard / Białogard 213 Bendsburg / Będzin 214 Bensberg 63 Bergheim 162 f., 166, 196 f., 219 Bergzabern 193 Berlin 18 f., 59, 79, 107, 136, 139, 166, 191, 199, 217, 219, 240, 280, 289, 332, 336 Berlin-Charlottenburg 234 Berlin-Friedenau 240 Berlin-Lichtenberg 9 Berlin-Lichterfelde 219 Berlin-Mitte 24, 283 Berlin-Weißensee 240 Bernkastel-Kues 196 Bielefeld 64 Bielitz / Bielsko 114, 125, 128, 134, 330 Bitburg 200 f., 203, 346 Blankenhain 51 Blankenheim 219, 225 Böhmisch-Leipa 219 Bonn 64, 248 f., 336, 348 Braunschweig 280, 299, 363 Bremen 51, 248 Breslau / Wrocław 19, 114, 139,

207, 211 f., 218, 221 f., 226, 279, 289 f., 327, 332, 352 f. Bromberg / Bydgoszcz 205 Bublitz / Bobolice 188–190, 203 Buchloe 217 Bunzlau / Bolesławiec 116, 290 Burgstädt 239, 357 Busendorf / Bouzonville 345 Camburg 51 Celle 52, 221, 244, 250, 254, 256, 269, 290 f., 363 Chemnitz 240, 256 Cosel / Koźle 218 Cottbus 221 Crossen 290 Daaden 219 Dachau 217 Danzig / Gdańsk 15, 19, 197, 202, 204, 207, 211, 215, 218, 221, 279, 282, 314, 346, 350, 370 Darmstadt 19, 220, 276 Deggendorf 240 Demmin 210, 279 Detmold 62, 244 Dierdorf 219, 225 Dresden 46, 54, 70, 138, 214, 217 f., 220 f., 225, 260, 276, 291 Duisburg 45, 260 Duisburg-Ruhrort 45 Düren 18, 161–163, 166, 170, 196, 199, 225, 338 f. Duß / Dieuze 345 Düsseldorf 19, 23, 46, 51, 58, 219 f., 248, 250, 256, 280 Düsseldorf-Gerresheim 219 Eisenach 66 Eitorf 197, 199, 219 Ellwangen 54, 302 Eppenheim 197 Essen 48 f., 170, 234, 297 Esslingen 259, 303 Eupen 196, 282 Falkenstein 218 Fiddichow / Widuchowa 219 Flensburg 71, 229 f., 292, 363 Frankfurt a. Main 10, 19, 59, 161, 220 Frankfurt a. d. Oder 10, 218, 349–351 Freiberg 24 Freiburg 68, 75, 94, 254, 291 Friedland 75 Fürstenfeldbruck 217 Fürstenwalde 218

Geestemünde 59 Gemünd in der Eifel 72, 160, 163, 180, 219, 225 Gera 218, 276, 279, 350 Glogau / Głogów 212 Goldap / Gołdap 290 Gollnow / Goleniów 189 Göppingen 64 Görlitz 128, 207, 218, 238, 254 Gotenhafen / Gdynia 211 Grasleben b. Helmstedt 41 Greifenhagen / Gryfino 219 Greifswald 53, 57, 69, 218, 222, 227–231, 239, 247 f., 259, 271, 276–278, 336, 351, 354, 359, 367 Greiz 220 Grimma 279 Großenhain 279 Gummersbach 161, 196 Güstrow 238 Gütersloh 149 Guttstadt / Dobre Miasto 222 Hagenow 359 Hamburg 49–51, 59, 61, 235, 257, 261, 280 f., 285 f., 292, 350, 363 Hamm 48, 51, 59, 62, 219, 256, 264, 269 f., 280, 314 Hannover 24, 52, 62, 67 f., 213, 280, 292, 370 Heiderode / Czersk 209 Helmen 345 Hennef 345 Hildesheim 64 Hillesheim 62, 219 Hirschberg / Jelenia Góra 212, 302, 349 Hohensalza / Inowrocław 218 Holzminden 240 Ichtershausen 165–167, 178, 181–184, 220, 237, 339 Jena 17, 51, 165, 240 Jülich 163, 196, 225 Kaiserlautern 192 Karlsruhe 197, 199, 208, 217, 264, 368 Kassel 19, 46, 59, 128, 220, 276 Kattowitz / Katowice 19, 114, 127, 134 f., 138 f., 214, 218, 221 f., 276, 279, 330, 350 Kempten 239 Kerpen 200, 219 Kiel 274, 280 Kirchberg 75 Kirchheim unter Teck 68

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Ortsregister

Kirchheimbolanden 194 Kleve 58, 252 f. Koblenz 66 f., 136, 192, 219, 225, 248, 292 Koblenz-Ehrenbreitstein 219 Kochem / Cochem 59, 66, 321 Kolberg / Kołobrzeg 203, 213, 218, 290 Köln 19, 45 f., 51, 53, 58 f., 66 f., 143, 146, 149 f., 153, 157, 162, 164, 166, 172, 178, 181, 192, 197–201, 207, 211, 219 f., 233, 240, 258, 264, 267, 270, 274, 279, 318, 335–340, 346, 365 Königsberg / Kaliningrad 19, 54, 61, 197 f., 202, 204, 206, 210, 218, 221, 226, 280, 289 f., 293, 349 f. Königsbrück 234 Königswinter 219 Konitz / Chojnice 202, 208 f. Köslin / Koszalin 188 f., 203, 218, 222, 229 f., 351, 354 Krotoschin / Krotoszyn 279 Krummhübel / Karpacz 218, 350 Landsberg 75 Landshut 217 Lauban / Lubań 279 Lausick 234 Lechenich 197 Leipzig 19, 46, 63, 240, 265, 275, 363 Leitmeritz / Litoměřice 205, 219 Leobschütz / Głubczyce 218 Lissa 279 Löbau / Lubawa 221 Ludwigsburg 178, 272 Ludwigshafen 192 Lyck / Ełk 218, 290 Malmedy 196, 282, 337 Marienberg 218 Marienheide 219 Memel / Klaipėda 190, 202, 208, 290, 346 Merseburg 139 Merzenich 197 Merzig 192, 196 Metz 345 Mittenwalde 237 Mönchengladbach 58, 349 Montabaur 219, 225 Mörchingen / Morhange 345 Neisse / Nysa 138 f., 204, 212, 218, 276 Neubrandenburg 66 Neumagen 219 Neumarkt / Środa Śląska 290 Neunburg vorm Wald 234 Neustrelitz 44, 238

Nordhausen am Harz 17 Nörvenich 225 Oberhausen 45 Oederan 246 Oels / Oleśnica 290 Oelsnitz 219, 279 Oldenburg 363 Oppeln / Opole 137, 212, 330, 333 Osnabrück 63 Ostenburg / Pultusk / Pułtusk 197 Ottmachau 218, 276 Ottweiler 196 Paderborn 234 Parchim 279 Pasewalk 245, 351 Penkun 359 Perl 196 Perleberg 239 Plauen 24, 218 f., 240, 291, 352 Pölitz 277 Pollnow / Polanów 188, 190 Posen / Poznań 126, 216, 218, 221, 225, 276, 280, 314, 347, 350 Potsdam 139, 218 Prag 336 Prenzlau 219 f. Prüm 219 Pyritz / Pyrzyce 189, 214 Radebeul 218, 276, 279 Ratibor / Racibórz 116 Ravensburg 214, 219 Rheinbach 63 Riesa 218, 225 Ronneburg 138 f., 279 Rostock 19, 44 f., 218, 220–223, 226, 228 Rottweil 66 Saarbrücken 46, 66, 192 Saarburg 193, 196 Sagan / Żagań 212 Salzburgen / Château-Salins 345 Sankt Vith 161, 196 Saybusch / Żywiec 137 Scharfenwiese / Ostrolenka / Ostrołęka 197 Schirgiswalde 351 Shitomir / Schytomyr 350 Schneidemühl 188, 202, 218, 223, 351 Schwaan 234 Schwäbisch Gmünd 214 Schwäbisch Hall 63 Schwarzenberg 79 Schweidnitz / Świdnica 218 Schwerin 19, 136, 218, 220, 226 f., 279, 291 Siegburg 158, 162–164, 166, 170, 181–183, 196, 240

Siegen 223 Sierck / Sierck-les-Bains 345 Sinsheim 197, 199, 217 Speyer 193, 297 f. Stalingrad 16, 32, 34 Stargard 190, 209, 280, 351 Stettin / Szczecin 15, 19, 52, 54, 58, 66, 187–191, 202 f., 209, 214, 218, 220–222, 224, 227–231, 240, 276–278, 280 f., 292, 336, 349, 352, 366 f. Stettin-Altdamm 190, 350 Stolp / Słupsk 202, 211, 218, 351 Stralsund 69, 218 f., 227 f., 238, 240 Straßburg 197, 298 Stuttgart 25, 52 f., 59, 61, 64, 73, 208, 214, 219, 254, 303 Swinemünde / Świnoujście 240 Tempelburg 188 Teschen / Cieszyn / Český Těšín 351 Thorn / Toruń 211, 215, 222, 224 Tilsit / Sowetsk 149, 290, 346 Titz 196 Trier 192, 196, 219, 240, 336 Tübingen 219, 248 Tuchel / Tuchola 209 Tuttlingen 240 Ueckermünde 218, 223, 240, 245, 359 Ulm 64 Usedom 240, 359 Verden 59 Waldbröl 166, 219 Waldenburg / Wałbrzych 211, 218 Waldheim 218 Warschau / Warszawa 152, 257, 314 Wegberg 349 Weimar 42 f., 51, 71, 234, 238, 321 Weißenfels 218, 276, 350 Weißwasser 212 Werl 219 Wich / Vic-sur-Seille 345 Wiehl 197, 201, 219, 345 Wien 37, 62, 89 Wissen 219 Wolfach 208 Wolkenstein 240 Wuppertal 219 Zehdenick 220 Zichenau / Ciechanów 346 Zittau 238, 254 Zoppot / Sopot 280 Zweibrücken 19, 46, 66, 192, 194, 200, 220

Zum Buch

Kaum beirrt von Bombenkrieg, Kapitulation und alliierter Besatzung liefen Gerichtsverfahren vor und nach 1945 einfach weiter, mit denselben Akteuren, nach den gleichen Regeln. Benjamin Lahusen deckt in seiner fulminanten Studie unheimliche Kontinuitäten der deutschen Justiz auf und zeichnet so das eindringliche Bild einer Gesellschaft, die den großen Einschnitt so klein wie möglich hielt. Stuttgart, im September 1944: Das Justizgebäude wird durch neun Sprengbomben und zahlreiche Brandbomben weitgehend zerstört, doch stolz meldet der Generalstaatsanwalt, dass bereits am nächsten Morgen „noch in den Rauchschwaden … eine Reihe von Strafverhandlungen durchgeführt“ wurden. Auch andernorts wird der Dienstbetrieb in teils noch brennenden Gebäuden aufrechterhalten, später selbst unter Artilleriebeschuss. Benjamin Lahusen hat sich die Akten zahlreicher Gerichte – darunter des Amtsgerichts Auschwitz – aus den Jahren vor und nach 1945 angesehen und beschreibt höchst anschaulich, wie weder „Endkampf“ noch staatlicher Zusammenbruch den juristischen Dienstbetrieb unterbrechen konnten. Er erklärt, warum ein Stillstand der Rechtspflege unter allen Umständen vermieden werden sollte, und zeigt, wie nach dem Krieg altgediente Juristen pflichtbewusst das alltägliche Recht des Dritten Reichs so weiterführten, als wäre nichts passiert. Wenn es noch eines Beweises dafür bedarf, dass es 1945 keine „Stunde Null“ gab, dann liegt er mit diesem glänzend geschriebenen Buch vor.

Über den Autor Benjamin Lahusen ist Professor für Bürgerliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) sowie Leiter der Geschäftsstelle der „Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz“. Er schreibt regelmäßig für die ZEIT und gibt bei C.H.Beck die Zeitschrift „Myops“ heraus.