Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien: Ergebnisse des Kieler DFG-Projektes 9783110554212, 9783110550849

How do linguistic lay people regard German dialects and their speakers? Based on an empirical investigation conducted th

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German Pages 278 Year 2017

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich
Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien
Das Ratespiel
Struktur und Komplexität des linguistischen Laienwissens
Laienlinguistisches Sprachnormwissen
„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“
Fazit
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Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien: Ergebnisse des Kieler DFG-Projektes
 9783110554212, 9783110550849

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Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien

Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien

Ergebnisse des Kieler DFG-Projektes Herausgegeben von Markus Hundt, Nicole Palliwoda und Saskia Schröder

ISBN 978-3-11-055084-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-055421-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-055255-3 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die traditionelle Dialektologie […] öffnet sich zunehmend auch der anderen Seite der Dialekte, der Frage nach dem Wissen linguistischer Laien um Dialekte und deren Sprecher. Ein Ergebnis der Neuorientierung ist der vorliegende Band. (Anders, Hundt & Lasch 2010: V)

Aus der „Neuorientierung“ hat sich mittlerweile eine linguistisch hoch relevante Disziplin entwickelt, die in den letzten sechs Jahren, seit der oben zitierte Band erschienen ist, eine Vielzahl innovativer Forschungsarbeiten entstehen ließ. Das Kieler DFG-Projekt Wahrnehmungsdialektologie. Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien ist in diesem Kontext entstanden. Das Ziel war, laienlinguistische Sprachwissensbestände erstmals im gesamten deutschen Sprachraum zu erheben. Der vorliegende Band enthält erste Auswertungen aus allen Bereichen des Forschungsprojekts (vgl. Einleitung). Die Ergebnisse sind als exemplarisch zu verstehen, denn das Projekt verschreibt sich der Grundlagenforschung in der Wahrnehmungsdialektologie und möchte mit den erhobenen Daten Wissenschaftlern1 eine Basis für weitere Studien bieten. Für diese Möglichkeit bedanken wir uns bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die an unser Vorhaben glaubte und uns von 2011 bis 2015 finanziell förderte. Wir bedanken uns darüber hinaus herzlich bei all unseren Kooperationspartnern, ohne die das Projekt sich nicht hätte entfalten können, darunter das Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim für die Nutzung des Online-Ratespiels sowie Robert Pietschmann für die Modifizierung und Umgestaltung nach unseren Wünschen und Vorstellungen, das Forschungsprojekt „regionalsprache.de“ (REDE) in Marburg, das Forschungsprojekt „Sprachvariation in Norddeutschland“ (SiN) in Bielefeld, Frankfurt/Oder, Hamburg, Kiel, Münster und Potsdam, das Zentrum für Geowissenschaften (ZfG) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Prof. Dr. Tim Freitag (Albert-LudwigsUniversität Freiburg), Prof. Dr. Helen Christen (Université de Fribourg) sowie Lucian Anderwald. Dank geht ebenso an das Hamburger Zentrum für Sprachkorpora (HZSK), das die Forschungsdaten für weitere Forschungseinrichtungen und -zwecke zur Verfügung stellt und somit die Daten speichert, sichert, pflegt und der Öffentlichkeit zugänglich macht.

|| 1 In diesem Band wird das generische Maskulinum verwendet. In dieser Form sind alle Geschlechter eingeschlossen.

VI | Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

Wir danken all den Mitarbeitern und Freunden des Forschungsprojekts, die zur Verwirklichung maßgeblich beigetragen haben, allen voran Christina A. Anders, die als Teil der Projektleitung den Grundstein gelegt hat, sowie allen Gewährspersonen, ohne die ein solches Projekt nicht umsetzbar gewesen wäre. Großer Dank gebührt auch den Hilfskräften Désiré Thielisch, Morten Blöcker, Patrick Beuge, Kristin Sanow, Julian Loop, Timo Hannemann, Toke Hoffmeister, Marrit Sophie Petzolt, Ann-Katrin Nöhren und Sebastian Veletić für ihre unermüdliche Arbeit. Ferner sind wir Ilse Welna, Ulrike Zander-Röpstorff und Birgit Siegmund für ihre ausdauernde Arbeit hinter den Kulissen sehr dankbar. Herrn Daniel Gietz vom Verlag Walter de Gruyter danken wir sehr herzlich für die Bereitschaft, den Band in das Verlagsprogramm aufzunehmen. Kiel im Juni 2017 Markus Hundt Nicole Palliwoda Saskia Schröder

Inhaltsverzeichnis Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder  Einleitung | 1 Nicole Palliwoda  Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 13 Saskia Schröder  Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 47 Nicole Palliwoda  Das Ratespiel | 83 Markus Hundt  Struktur und Komplexität des linguistischen Laienwissens | 121 Patrick Beuge  Laienlinguistisches Sprachnormwissen | 161 Timo Hannemann  „irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 183 Toke Hoffmeister  Der Einfluss der regionalen Herkunft auf das Dialektwissen linguistischer Laien | 213 Saskia Schröder  Fazit | 263

Abkürzungsverzeichnis AG

Altersgruppe

B

Belgien

CH

Schweiz

D

Deutschland

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

D-Wert

Dialektalitätswert

E_ID

Erhebungsort-Identifikationsnummer

GIS

Geoinformationssystem

GP

Gewährsperson (Plural GPn)

HZSK

Hamburger Zentrum für Sprachkorpora

MAK

Makrokartierung

MIK

Mikrokartierung

Nhd.

Neuhochdeutsch

PLZ

Postleitzahl

P-Signatur

Benennung der Polygone

REDE

Regionalsprache.de

RS

Ratespiel

ZfG

Zentrum für Geoinformation

Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

Einleitung Das DFG-Projekt Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien

1 Forschungshintergrund Der Forschungsgegenstand des vorliegenden Bandes ist verhältnismäßig jung im Vergleich zur traditionellen Dialektologie, die im deutschsprachigen Raum jahrzehntelang dominant war. Zwar wurden einzelne Arbeiten zur Metasprache veröffentlicht (u. a. Schlieben-Lange 1975), eine systematische Erschließung dieses Forschungsfeldes, das sich mit der Sprachwahrnehmung durch linguistische Laien auseinandersetzt, begann jedoch erst Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Der US-amerikanische Linguist Dennis R. Preston leistete hierfür wichtige Beiträge und erarbeitete auf Grundlage älterer japanischer und niederländischer Arbeiten einen Methodenkatalog, der seitdem als maßgebend innerhalb der von ihm benannten perceptual dialectology angesehen werden kann (vgl. u. a. Preston 1986, 1999 u. 2002). Im deutschen Sprachraum setzte sich dieser Sichtweisenwechsel spätestens mit Anders (2010a) und ihrer Untersuchung zu laienlinguistischen Konzepten des Obersächsischen durch. Die Autorin trug mit ihrer Arbeit auch zur theoretischen Unterfütterung einer Wissenschaft maßgeblich bei, die sie als Wahrnehmungsdialektologie definiert hat. Denn diese junge Disziplin sah sich vor besondere Herausforderungen gestellt: Die Wahrnehmungsdialektologie ist nicht nur eine neue Forschungsrichtung innerhalb der synchronen Dialektologie (vgl. Anders 2010a: 18; Hundt, Palliwoda & Schröder 2015: 296), sondern sie bietet als solche etliche Anknüpfungsmöglichkeiten zu anderen Disziplinen, wie z. B. zur Kognitionswissenschaft, zur Soziologie, aber auch zur Psychologie. Als Teil der Dialektologie sieht sie sich in methodologischer Hinsicht in Opposition zur traditionellen Dialektologie, die als objektbezogen bezeichnet werden kann. Die subjektzentrierte Wahrnehmungsdialektologie steht vor dem Problem, dass sie linguistische Termini und Konzepte, wie sie aus den Arbeiten der objektzentrierten Dialektologie entstanden sind, nicht einfach übernehmen kann, denn das Zentrum der Untersuchungen ist stets der linguistische Laie, der von Begriffen wie „Dialekt“, „Hochdeutsch“ usw. ein mitunter deutlich anderes Verständnis hat als der Experte.

DOI 10.1515/9783110554212-001

2 | Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

Hieraus ergibt sich nicht nur ein Problem, sondern gleichzeitig ein Desiderat der Wahrnehmungsdialektologie: Über welches sprachliche Wissen verfügen linguistische Laien und in welchen Kategorien [speichert] das kognitive Subjekt […] die Informationen, die zu Wissensbeständen zusammengefasst sind und die als das sprachraumbezogene Alltagswissen des laienlinguistischen Subjekts definiert werden können? (Anders 2010a: 107).

Dass ein solches Wissen „jederzeit bewußtseinsfähig [Hervorhebung im Original, die Verf.], d. h. in Explikationen abrufbar [ist], sei es in einfachen Ja-NeinEntscheidungen (auf Fragen nach Grammatikalität usw.), sei es in der Weiterentwicklung zum distinkt-adäquaten Wissen des Linguisten“, hat bereits in den 70er-Jahren Schlieben-Lange (1975: 194) postuliert. Das regionalsprachliche Wissen der linguistischen Laien ist dabei stets an den Raum gebunden und somit auch in Form von mentalen Karten (auch: mental maps, kognitive Karten) explizierbar. Den Vorgang des kognitiven Kartierens beschreiben Downs & Stea (1982: 23–24) als einen Handlungsprozess, dessen Modus „sich mit dem Alter (oder der Entwicklung) und dem Gebrauch (oder Wissen)“ ändert und die Welt auch nur so wiedergibt, „wie ein Mensch glaubt, daß sie ist“. Für die Wahrnehmungsdialektologie zieht dies eine folgenschwere Konsequenz nach sich: Die mental maps sind Produkte individuellen Handelns und als solche zu interpretieren. Bei ihrer Analyse ist dieser Umstand in einem viel stärkeren Maße zu berücksichtigen, und zwar nicht nur hinsichtlich der GPn, sondern vor allem auch bezüglich der Methode, die zur Evozierung der mentalen Landkarten herangezogen wird (vgl. hierzu Lameli, Purschke & Kehrein 2008). Mit der Rekodierung der räumlichen Verortung von Sprechweisen geht gleichermaßen deren Benennung durch linguistische Laien einher. Die Wahrnehmungsdialektologie hat an dieser Stelle die Aufgabe, nach den jeweiligen Bezeichnungskategorien zu suchen.1 Die Entstehung der mentalen Landkarten sprachlicher Variation ist jedoch noch von anderen Faktoren, abseits der Räumlichkeit, abhängig. So tragen saliente sprachliche Merkmale dazu bei, dass einige Sprechweisen in den Köpfen der linguistischen Laien präsenter sind als andere. Solche regionalsprachlichen Merkmale können in der traditionellen Dialektologie mit größtenteils verlässlichen Messmethoden auf der linguistischen Vertikalen verortet werden. Diese Verortung divergiert jedoch sehr häufig mit der Einschätzung linguisti|| 1 So ist beispielsweise für die Schweizer die Bezeichnungskategorie ‚Kanton‘ die maßgebliche Größe (vgl. Christen 2010), wohingegen für bundesdeutsche Sprecher andere Kategorien angenommen werden müssen (vgl. Schröder in diesem Band).

Einleitung | 3

scher Laien, die z. B. sprachliche Merkmale als typisch für eine Sprechweise nennen, obwohl das Vorkommen dieser Merkmale schon länger nicht mehr nachweisbar ist (so z. B. die alveolare Realisierung des /s/ in „spitzer Stein“, die noch gemeinhin für norddeutsche Regionen angenommen wird). Seien sie objektiv messbar oder Teil subjektiver Wahrnehmung: Saliente Merkmale haben das Potenzial, auf laienlinguistische Bewertungen Einfluss zu nehmen. So ist es beispielsweise häufig ein Sing-Sang, der den Sprecher aus Köln als rheinische Frohnatur kennzeichnet. Daraus ergeben sich forscherseitig zwei Probleme. Zum einen das der ‚Übersetzung‘ dieser offenbar die Intonation betreffenden Attribuierung in eine objektlinguistische Terminologie. Der häufig genannte Sing-Sang wird praktisch immer dann geäußert, wenn die Prosodie der gehörten Sprechweise ‚irgendwie anders‘ als die eigene ist (vgl. Anders 2010b: 81). Zweitens der ‚missing link‘ zwischen der Auffälligkeit und ihrer Evaluation seitens des linguistischen Laien, oder anders gefragt: Welche Merkmale werden durch die linguistischen Laien positiv bewertet, welche negativ und warum? Wie kommt es, dass das BAYRISCHE ganz weit oben bei den beliebtesten Dialekten auftaucht, gleichzeitig aber auch in der Liste der unbeliebtesten Dialekte vorn gerankt ist (vgl. Hundt 2010)? Ein weiteres Aufgabenfeld wahrnehmungsdialektologischer Forschungen liegt also in der Dekodierung und Kategorisierung laienlinguistischer Merkmalsbeschreibungen. Insgesamt sollten sich wahrnehmungsdialektologische Studien zum Ziel setzen, laienlinguistische Sprachraumkonzepte so verdichtet wie möglich zu erheben. Dass dies niemals in Gänze gelingen kann, erscheint aufgrund ihrer „semantischen Komplexität“ (Purschke 2011: 210) nur logisch. Diese Komplexität konstituiert sich vor allem aus „einer Vielzahl […] [von] Variablen überwiegend qualitativer Ausprägung“ (Heineberg 2007: 36). In dem Sinne setzte sich das Kieler DFG-Projekt zum Ziel, diese Komplexität laienlinguistischer Sprachraumkonzepte zu berücksichtigen und sich ihnen heuristisch mit einem durch Methodenvielfalt gekennzeichneten Forschungsdesign erstmals für den gesamten deutschen Sprachraum zu nähern. Eine Auswahl der Ergebnisse liegt mit diesem Band vor. Er dient nicht nur der Ergebnisdarstellung, sondern er soll auch Forschende dazu einladen, die erhobenen Daten unter weiteren Fragestellungen zu analysieren. Die Interviews sind beim Hamburger Zentrum für Sprachkorpora (HZSK) hinterlegt und können nach Anmeldung vollständig eingesehen werden.2

|| 2 Die Interviews sind unter dem folgenden Link einzusehen: hdl.handle.net/11022/0000-0001B003-4 (02.06.2017).

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2 Anlage des Forschungsprojekts Das DFG-Projekt Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien – wahrnehmungsdialektologische Grundlagenforschung und die Rekonstruktion von Laienkonzeptualisierungen zur deutschen Sprache hatte linguistische, geographische, soziale, kognitive und visualisierte Raumkonzeptionen von regionalen Varietäten des Deutschen aus der Sicht deutschsprachiger linguistischer Laien zum Gegenstand. Aufgrund der Forschungsdesiderate der Wahrnehmungsdialektologie war das übergreifende Ziel eine systematische Erhebung des Alltagswissens, der mit den Dialekten/Sprechweisen verbundenen Einstellungen und des zugrunde liegenden kulturell-konsensualen Wissens. Dieses Ziel gliederte sich in sechs Teilziele: 1. Mental maps – MAK: Die Dokumentation der mentalen Karten und der zugehörigen assoziierten Dialektmerkmale, die sich bei den befragten linguistischen Laien im gesamten deutschen Sprachgebiet belegen lassen. 2. Mental maps – MIK: Die Erhebung mentaler Karten im eigenen Nahraum der linguistischen Laien sowie die Eruierung entsprechender Differenzen in den jeweiligen Konzeptualisierungen. 3. Laienkonzeptualisierungen: Die Ermittlung der Bedeutung sprachlicher Merkmale, die linguistische Laien mit einzelnen Dialektkonzepten assoziieren, sowie der Vergleich zu perzipierten Merkmalen, die sich beim Anhören von Sprachproben als salient herausstellen. 4. Einstellungen gegenüber deutschen Dialekten: Die Dokumentation von Heterostereotypen, Autostereotypen und vermuteten Heterostereotypen. 5. Die Erhebung salienter Merkmale und Merkmalscluster in den Laienkonzeptualisierungen der regionalen Sprechweisen und deren jeweilige Distanz zum hypostasierten Standard aus Sicht der GPn. 6. Die Ermittlung von Differenzen und Ähnlichkeiten zwischen Laien- und Expertenwissen in Bezug auf die regionalen Varietäten im deutschen Sprachraum. Insgesamt wurde das Projekt von der DFG von April 2011 bis März 2015 gefördert (1. Förderungszeitraum: April 2011 bis März 2014; 2. Förderungszeitraum: April 2014 bis März 2015). In der ersten Projektphase lag der Fokus auf der Erarbeitung des Settings, des Datenmanagements, der Informantenakquise sowie der Erhebung der Daten. Dabei ergaben sich Probleme bei der Gewährspersonenakquise. Vor allem waren es schulinterne Schwierigkeiten, die eine flüssige und reibungslose Organisation der Befragungen verhinderten. Zahlreiche Anfragen wurden entwe-

Einleitung | 5

der gar nicht oder mit erheblicher Verzögerung beantwortet; auch mehrfache Nachfragen bei den Schulen konnten dieses Problem nicht lösen. Es zeigte sich, dass viele Schulen übersättigt hinsichtlich der Anfragen zu Untersuchungen und Befragungen waren. Daneben erschwerten teilweise der bürokratische Aufwand und die Bearbeitungszeiten der Kultusministerien die Akquise von GPn erheblich: Hier war meistens nicht nur eine schriftlich (per Post) eingereichte Anfrage vonnöten, sondern auch eine umfangreiche Darstellung unseres Vorhabens.3 Aufgrund der Absage des Freistaats Bayern4 wurden dann auch private Schulträger angeschrieben. Leider war auch dieser Versuch insgesamt nur in wenigen Einzelfällen erfolgreich. Ein zusätzliches Problem der GPn-Akquise ergab sich aus dem Untersuchungssetting. Durch den notwendigen Ausschluss der Deutsch- und Geografielehrer5 war es einerseits schwierig, aufgrund mangelnder intrinsischer Motivation das Kollegium für unser Vorhaben zu begeistern. Andererseits stellte sich heraus, dass die Voraussetzung, die GPn sollen alle in dem Erhebungsort aufgewachsen sein wie auch mindestens ein Teil ihrer Eltern, kaum aufrechterhalten werden konnte.6 Wir haben uns daher entschieden, diesen Faktor nicht zu berücksichtigen und lediglich noch vorauszusetzen, dass die GPn im „Einzugsgebiet des Erhebungsorts“ aufgewachsen sein sollten. Pro Erhebungsort sollten drei Altersgruppen (AGn) und insgesamt sechs GPn berücksichtigt werden:

|| 3 Beispielsweise muss man, um in einer österreichischen Stadt eine Befragung in einer Schule durchführen zu können, zuerst den/die Zuständige/n im Stadtschulrat informieren, dann bei den entsprechenden Schulen nachfragen, ob sie bereit wären mitzumachen. Sollte dies der Fall sein, wird ein umfangreicher Antrag mit der eventuellen Teilnahme der Schulen, dem Vorhaben und Nutzen etc. der Untersuchung für den Stadtschulrat zusammengestellt und per Post zugesandt. Dieser reicht den Antrag dann bei einer Kommission ein und die entscheidet, ob die Untersuchung überhaupt durchgeführt werden darf. Hinzu kommt, dass diese Kommission nur einmal im Monat tagt. 4 Zitat aus dem Erläuterungsschreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 13.12.2011: „Eine fachlich-pädagogische Relevanz kann nicht erkannt werden, da nicht zu erwarten ist, dass von der Studie positive Impulse für die Dialekte in Bayern ausgehen.“ 5 In diesem Band wird das generische Maskulinum verwendet. In dieser Form sind alle Geschlechter eingeschlossen. 6 Eine wesentliche Prämisse bei der Akquise war die Sicherstellung, dass es sich bei den GPn um linguistische Laien handelte, somit wurden Deutsch- oder Geografielehrer sowie -referendare nicht berücksichtigt. Zu den Voraussetzungen gehörte ebenso, dass die befragten Personen im Erhebungsgebiet oder Einzugsgebiet der Schule aufgewachsen sind, die meiste Zeit ihres Lebens dort gelebt haben und mindestens ein Elternteil aus dem Erhebungsgebiet kommen sollte.

6 | Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

– – –

AG 1 (16–20 Jahre): 1 GP AG 2 (30–50 Jahre): 2 GPn AG 3 (51–65 Jahre): 3 GPn

In der zweiten Förderphase lag der Schwerpunkt auf der Erhebung weiterer Ortspunkte, um die bis dato bestandenen Lücken in Ostbelgien und Österreich zu schließen, was aufgrund ähnlicher Problematiken wie bei der Akquise in der ersten Projektphase nur teilweise gelang. Trotz dieser Schwierigkeiten konnten bis zum Ende der Projektlaufzeit durch die zwei Exploratorinnen insgesamt 139 GPn aus 26 Orten befragt werden, die sich wie folgt auf die AGn verteilen: Tab. 1: Erhebungsorte und Anzahl der GPn.

Erhebungsort

AG 1

AG 2

AG 3

Gesamt

Alzenau (Unterfranken)

1

2

3

6

Barth

1

1

4

6

Buchen (Odenwald)

2

1

1

4

Coburg

1

2

3

6

Eppingen

1

2

2

5

Gammertingen

1

3

2

6

Hamburg

3

1

1

5

Hameln

2

2

Jena

2

2

Kaufbeuren

1

4

Neuruppin

3

Radebeul

1

1

4

6

Schleiden

1

2

3

6

Simmern (Hunsrück)

1

2

4

7

Springe

2

3

Stralsund

2

Velbert

2

Deutschland

4 4 1

6 3

1

5 2

4

1

4

5

6

3

6

Liechtenstein Vaduz

1

Luxemburg Ettelbrück

1

2

Einleitung | 7

Erhebungsort

AG 1

AG 2

AG 3

Gesamt

1

2

3

6

1

2

2

5

Luzern

1

2

3

6

Zürich

2

3

2

7

Brixen

1

2

2

5

Bruneck

1

2

2

5

Meran

1

2

3

6

GPn gesamt

37

46

56

139

Ostbelgien Eupen Österreich Lustenau Schweiz

Italien (Südtirol)

Die leitfadengestützten Interviews7 wurden an den Schulen vor Ort durchgeführt, mitgeschnitten und im Nachhinein mithilfe des Transkriptions- und Annotationseditors (Partitur-Editor) von EXMARaLDA8 orthografisch transkribiert. Da eine komplette orthografische Transkription eines Interviews ca. 60 Arbeitsstunden umfasst, wurde diese vorerst zurückgestellt. Für eine effizientere Transkriptionsarbeit wurden daher zunächst nur die im Hinblick auf die Auswertung wichtigsten Teile der Interviews transkribiert (vgl. Tabelle 2). Tab. 2: Stand der Transkriptionsarbeit.

Art der Transkription

Anzahl der Transkripte Länge der zu transkribierenden Abschnitte

vollständig

8

ca. 90120 min

Reiz-Reaktions-Test (Ratespiel) und 74 MAK (Pilesort-Methode)

ca. 4565 min

Normkonzept

139

ca. 220 min

noch ausstehend (RS u. MAK)

57

insgesamt

139

|| 7 Der Fragebogen kann unter dem folgenden Link eingesehen werden: https://www.degruyter.com/view/product/490254 (02.06.2017). 8 http://exmaralda.org/de/partitur-editor/ (06.09.2016).

8 | Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

Die Transkriptionen des Bereichs Normkonzept aus den Interviews liegen dagegen komplett vor, da diese Gegenstand einer Magisterarbeit sowie eines Dissertationsprojekts sind (vgl. Beuge 2014 sowie Beitrag in diesem Band). Durch die Kooperation mit dem Zentrum für Geoinformation (ZfG, Kiel) war es ebenso möglich, eine Web-Applikation9 zu erstellen, die neben den handdrawn-maps aus der MIK auch Ergebnisse aus der MAK beinhaltet und nach Fertigstellung der interessierten Öffentlichkeit online frei zur Verfügung gestellt wird (vgl. Palliwoda in diesem Band). Der vorliegende Sammelband präsentiert Ergebnisse aus allen Teilbereichen des Forschungsprojekts. Der erste Beitrag von Nicole Palliwoda beschäftigt sich mit den kleinräumigen mental maps der GPn, die sie in Form von hand-drawn-maps erstellt haben. Zugleich gibt der Beitrag einen Einblick in die Web-Applikation, mit der alle handgezeichneten Karten der GPn für die Forschung aufbereitet wurden. Innerhalb der Wahrnehmungsdialektologie ist die aus der Sozialgeographie adaptierte Methode der draw-a-map-task mittlerweile weitverbreitet und etabliert. Im Forschungsprojekt wurde diese für den Nahbereich der GPn genutzt. Mittels eines Kartenausschnittes, der sowohl Straßen als auch topographische Angaben enthielt und vom Erhebungsort als Kartenmittelpunkt einen 50-kmRadius (teilweise 100-km-Radius) aufwies, wurden die GPn gebeten, einzuzeichnen und zu benennen, bis wohin bzw. wo überall genauso gesprochen wird, wie sie selbst sprechen. Neben soziodemographischen Angaben können ebenfalls Grenzen unterschiedlichster Art das Verorten der eigenen Sprechweise und fremder Sprechweisen beeinflussen. Der Beitrag greift genau diese Aspekte auf und möchte exemplarisch anhand von zwei Orten, die idealiter an einer Staatsgrenze liegen (Schleiden in Deutschland und Eupen in Belgien), zeigen, wie sich Grenzen in den mentalen Karten der GPn zeigen. Der Beitrag von Saskia Schröder widmet sich den großräumigen mental maps, die durch die Pilesortmethode erhoben wurden. Linguistische Laien verorten Sprechweisen nach unterschiedlichen Kriterien. So spielen soziodemographische Variablen, wie z. B. das Alter und die Herkunft, eine Rolle, wenn die GPn im Großraum Sprechweisen verorten und charakterisieren sollen. Im Kieler DFG-Projekt war das primäre Ziel, mit Hilfe des Pilesortings die großräumigen Sprachraumkonzepte und -konfigurationen linguistischer Laien zu erheben. Darüber hinaus sollen sich die GPn aber auch mit ihrer Sprechweise in eine der ‚Stapelregionen' einordnen. Geprüft wird dabei, inwieweit diese Einordnung || 9 Die Entwicklung dieser Applikation wurde von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Andrea Kittler (ZfG) getragen, die dazu auch alle hand-drawn-maps georeferenzierte und rektifizierte.

Einleitung | 9

geleistet wird bzw. werden kann. Im Vordergrund stehen hier die räumliche Ausdehnung des ‚eigenen Stapels‘, seine Benennung10 sowie die Beschreibung seiner sprachlichen Merkmale. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf einen Vergleich zwischen nord- und süddeutschen GPn sowie zwei GPnGruppen aus der Schweiz. Der zweite Beitrag von Nicole Palliwoda präsentiert quantitative Ergebnisse des Ratespiels, bei dem die GPn Sprechproben verorten und näher beschreiben sollten. Neben der Elizitierung perzeptiver und somit salienter Merkmale standen ebenso Fragen nach dem Gefallen und der Korrektheit der Sprechproben im Fokus des Settings. Auf die beiden letzteren geht der Beitrag ein, wobei zuvor getestet wird, ob es einen Zusammenhang zwischen der gemessenen Zeit (Reiz-Reaktions-Test) und der korrekten Zuordnung der Sprechproben gibt. Des Weiteren wird anhand von fünf Sprechproben demonstriert, inwieweit die zur Auswahl stehenden Orte, zu denen das gehörte Sprachbeispiel sortiert werden konnte, einen Einfluss auf die Zuordnung haben. Der letzte Schwerpunkt des Beitrags wird die sozialen Parameter Alter und Geschlecht fokussieren und ermitteln, ob diese eine Auswirkung auf die Beurteilungen der Befragten ausüben. Der Beitrag von Markus Hundt beschäftigt sich mit der Struktur des linguistischen Laienwissens. Laienkonzepte zu deutschen Dialekten umfassen nicht allein (perzipierte oder assoziierte) sprachliche Merkmale, sondern zu ihnen gehören auch kulturelle Stereotype, geographisches Wissen und Stereotype zu den Sprechergruppen selbst. Diese verschiedenen Konzeptbestandteile können sich mit der jeweiligen Realität decken, müssen dies aber nicht. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass linguistische Laien nicht in einer binären Weise Zugang zu ihren eigenen Wissensbeständen haben (‚ganz oder gar nicht‘), sondern dass man von verschiedenen Graden der Zugänglichkeit zum eigenen Wissen ausgehen muss. Sie entwickeln ihr Wissen z. T. während sie über die Dialekte sprechen. Dies beweist auch, dass das linguistische Laienwissen sowohl in seiner Ausprägung und Komplexität als auch in der Zugänglichkeit heterogen ist und sich daher nur bedingt für Generalisierungen heranziehen lässt. Der Beitrag von Patrick Beuge widmet sich dem laienlinguistischen Sprachnormwissen und geht der Frage nach, wie linguistische Laien eine gute Sprache, d. h. sozial erwünschte sprachliche Handlungen und Produkte, konzeptualisieren. Hierbei nimmt der Beitrag den letzten Teil des Untersuchungssettings in den Blick, in dem die GPn zu ihren Vorstellungen eines ‚guten || 10 Laienlinguistische Bezeichnungen werden im Folgenden durch KAPITÄLCHEN gekennzeichnet.

10 | Markus Hundt, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder

Deutsch‘ befragt wurden. Ziel des Beitrags ist es somit, durch die Analyse metasprachlicher Äußerungen die Konturen eines solchen Sprachnormwissens hinsichtlich seiner Inhalte und Strukturen nachzuzeichnen. Der Beitrag von Timo Hannemann geht darauf ein, wie der norddeutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien konzeptualisiert wird, d. h. welche Bezeichnungen für ihn nachweisbar sind, wie er areal verortet wird und welche Assoziationen sprachlicher (und nicht-sprachlicher) Merkmale zu ihm bestehen. Darüber hinaus wird die Reaktion auf eine norddeutsche Sprechprobe ausgewertet. Es zeigte sich, dass dabei relativ statische Dialektkonzeptualisierungen bei den GPn vorliegen und dass diese Konzeptualisierungen stark durch außersprachliches Wissen geprägt sind. Der Beitrag von Toke Hoffmeister widmet sich dem Einfluss der regionalen Herkunft auf das linguistische Laienwissen. Es zeigte sich, dass das Wissen linguistischer Laien keinesfalls verallgemeinerbar ist, sondern stets differenziert betrachtet werden muss. Die Variable Herkunft verdeutlichte jedoch, dass sich die Wissensbestände der Laien in ihrer Struktur als verhältnismäßig homogen darstellen. Vielmehr unterscheiden sich die Wissensbestände hinsichtlich ihrer Inhalte. Der süddeutsche Sprachraum kann dabei als das ‚Zentrum‘ laienlinguistischer Wissensbestände gelten. Ausländische linguistische Laien verfügen ebenfalls über ein differenziertes Dialektwissen. Hierbei wird aber zumeist der eigene Mikroraum konzeptualisiert; über die Dialekte des bundesdeutschen Staatsgebiets besteht nur vereinzeltes Wissen. Im Zentrum dieses Beitrags steht also die Frage nach der Beschreibung der einzelnen Dialektkonzepte, d. h. es wird sowohl die Wissensstruktur als auch die Art und Weise der Wissensreproduktion untersucht. Die erhobenen Daten bieten trotz der Lücken im Ortsnetz insgesamt betrachtet eine wertvolle Quelle für exemplarische Untersuchungen zum linguistischen Laienwissen im deutschen Sprachraum. Die in diesem Band vorgestellten Ergebnisse geben einen Einblick in alle Teilbereiche des Forschungsprojekts; die erhobenen Daten bieten jedoch noch sehr viel Material für weitergehende Studien. Diese werden einerseits durch die Web-Applikation ermöglicht und andererseits durch die Zurverfügungstellung der kompletten Daten beim Hamburger Zentrum für Sprachkorpora (HZSK). Die wissenschaftliche Erforschung des linguistischen Laienwissens steht nach wie vor erst am Anfang. Das in diesem Band beschriebene Forschungsprojekt leistet dazu einen wichtigen Beitrag, der für viele weitere Studien Anregungen bieten kann.

Einleitung | 11

Literaturverzeichnis Anders, Christina A. (2010a): Wahrnehmungsdialektologie. Das Obersächsische im Alltagsverständnis von Laien. Berlin, New York: de Gruyter. (Linguistik – Impulse & Tendenzen 36). Anders, Christina A. (2010b): Die wahrnehmungsdialektologische Rekodierung von laienlinguistischem Alltagswissen. In Christina A. Anders, Markus Hundt & Alexander Lasch (Hrsg.), „perceptual dialectology“. Neue Wege der Dialektologie, 67–88. Berlin, New York: de Gruyter. Christen, Helen (2010): Was Dialektbezeichnungen und Dialektattribuierungen über alltagsweltliche Konzeptualisierungen sprachlicher Heterogenität verraten. In Christina A. Anders, Markus Hundt & Alexander Lasch (Hrsg.), „perceptual dialectology“. Neue Wege der Dialektologie, 269–290. Berlin, New York: de Gruyter. Downs, Roger & David Stea (1982): Kognitive Karten. Die Welt in unseren Köpfen. New York: Harper & Row. Heineberg, Heinz (2007): Einführung in die Anthropogeographie/Humangeographie. Paderborn u. a.: Schöningh. Hundt, Markus (2010): Bericht über die Pilotstudie „Laienlinguistische Konzeptionen deutscher Dialekte“. In Christina A. Anders, Markus Hundt & Alexander Lasch (Hrsg.), „perceptual dialectology“. Neue Wege der Dialektologie, 179–220. Berlin, New York: de Gruyter. Hundt, Markus, Nicole Palliwoda & Saskia Schröder (2015): Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien – das Kieler DFG-Projekt. In Michael Elmentaler, Markus Hundt & Jürgen Erich Schmidt (Hrsg.), Deutsche Dialekte. Konzepte, Probleme, Handlungsfelder: Akten des 4. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD), 295–321. Stuttgart: Franz Steiner. Lameli, Alfred, Christoph Purschke & Roland Kehrein (2008): Stimulus und Kognition. Zur Aktivierung mentaler Raumbilder. Linguistik Online 35 (3), 55–86. Preston, Dennis (1986): Five Visions of America. Language in Society 15 (2), 221–240. Preston, Dennis (Hrsg.) (1999): The Handbook of Perceptual Dialectology. Philadelphia: John Benjamins. Preston, Dennis (2002): Perceptual Dialectology. Aims, Methods, Findings. In Johannes B. Berns & Jaap van Marle (Hrsg.), Present-day Dialectology: Problems and Findings, 57105. Berlin, New York: Mouton de Gruyter. (Trends in Linguistics 137). Purschke, Christoph (2011): Regionalsprache und Hörerurteil. Grundzüge einer perzeptiven Variationslinguistik. Stuttgart: Franz Steiner. (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 149). Schlieben-Lange, Brigitte (1975): Metasprache und Metakommunikation. Zur Überführung eines sprachphilosophischen Problems in die Sprachtheorie und in die sprachwissenschaftliche Forschungspraxis. In Brigitte Schlieben-Lange (Hrsg.), Sprachtheorie, 189– 205. Hamburg: Hoffmann und Campe.

Nicole Palliwoda

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich Exemplarischer Einblick in die Mikrokartierung Abstract: Die aus der Sozialgeographie adaptierte draw-a-map-task ist in der Wahrnehmungsdialektologie mittlerweile etabliert und gehört inzwischen zum Methodenrepertoire. Im Kieler DFG-Projekt wurde diese Methode für den Nahbereich der Gewährspersonen genutzt. Mittels eines Kartenausschnittes, der vom Erhebungsort ausgehend einen 50-km- bzw. 100-km-Radius umfasste, wurden die Gewährspersonen gebeten, ihren sprachlichen Nahbereich zu kartieren. Hierbei können neben soziodemographischen Angaben ebenfalls Grenzen unterschiedlichster Art das Verorten von Sprechweisen beeinflussen. Der Beitrag greift diese außersprachlichen Faktoren auf und möchte exemplarisch anhand von zwei Orten, die idealiter an einer Staatsgrenze liegen (Schleiden/Deutschland und Eupen/Belgien), zeigen, wie sich Grenzen in den mentalen Karten der Gewährspersonen abbilden. Schlüsselwörter: Dialektologie, mental maps, perceptual dialectology, Sprachraum, Wahrnehmungsdialektologie

1 Einleitung Die mittlerweile etablierte Methode der draw-a-map-task in der Wahrnehmungsdialektologie (vgl. hierzu u. a. Anders 2008, 2010; Palliwoda 2009, 2011, 2012; Schröder 2015) wurde auch im DFG-Projekt eingesetzt. Die Methode wurde besonders durch Preston im angloamerikanischen Raum für die Linguistik fruchtbar gemacht und fand ihren Weg in die deutschsprachige Dialektologie (vgl. u. a. Preston 1999: xxxiv, 2010; Anders 2010; Löffler 2010). Mittels dieser Methode sollen Gewährspersonen (GPn) auf einer Karte einzeichnen, welche Sprechweisen sie in dem dargestellten Kartenausschnitt kennen und wie sie diese bezeichnen würden. Der Fokus liegt auf der Strukturierung des Raums –

||

Palliwoda, Nicole: Germanistik – Sprachwissenschaft, Universität Siegen, Hölderlinstraße 3, 57068 Siegen, Tel. 0271/7405144, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-002

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des Sprachraums. Innerhalb des DFG-Projekts wurde die Methode für den Nahbereich der GPn (Mikrokartierung – MIK) genutzt. Dabei soll herausgefunden werden, wie der Laie seine mentale Sprachkarte aufbaut und strukturiert. Ziel ist somit nicht nur die Dokumentation der MIK, sondern auch die Aufdeckung der jeweiligen regionalen und nationalen Unterschiede zwischen diesen Karten.1 Eine erste Analyse des Konzepts SCHWÄBISCH der GPn aus Eppingen offenbart, dass linguistische Laien das schwäbische Sprachgebiet zwischen Stuttgart, Ulm, Heilbronn und am Neckar (Laufen) entlang verorten. Beschrieben werden die Schwaben dabei eher als „gutmütig“, „bescheiden“, aber auch „hinterwäldlerisch“. Weiterhin werden sie als Menschen charakterisiert, die „sich bei der Bewältigung ihrer Aufgaben Zeit lassen“ und „breit“, aber „nicht derb“ sprechen. Die Eppinger GPn führen weiter aus, dass es ein typisches SCHWÄBISCH gibt. Wie andere Untersuchungen herausstellen konnten (vgl. u. a. Anders, Palliwoda & Schröder 2014), können GPn nur wenige phonetische Merkmale benennen, die sie zur Identifizierung von Sprachräumen heranziehen. Gleiches lässt sich bei den Eppingern zum Konzept SCHWÄBISCH herausarbeiten. Zudem kommt es bei der Verortung der Sprechweise SCHWÄBISCH kaum zu Überschneidungen zu der laienlinguistischen Sprechweise BADISCH, was die Einzigartigkeit der jeweiligen Sprechweise und die Abgrenzbarkeit zu anderen hervorhebt. Des Weiteren lässt sich feststellen, dass die GPn bei der Benennung der Sprachräume auf frühere territoriale Grenzen zurückgreifen (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a). Neben soziodemographischen Angaben (wie Alter und Herkunft) können somit ebenfalls Grenzen unterschiedlichster Art das Verorten der eigenen Sprechweise und fremder Sprechweisen beeinflussen (vgl. u. a. Anders 2010: 181–267; Kleene 2015: 338; Stoeckle 2010: 310, 2014: 413, 560–561). Der vorliegende Beitrag befasst sich mit genau diesen Aspekten und illustriert anhand der Orte Eupen (Belgien) und Schleiden (Deutschland) exemplarisch die Sprechweisenkartierung im Nahbereich der GPn. Hierfür werden in einem ersten Schritt die Methode bzw. der Teil des Settings innerhalb des Interviews vorgestellt. In einem zweiten Schritt werden dann exemplarisch die Ergebnisse aus der Mikrokartierung anhand der zwei ausgewählten Orte präsentiert und die Kartierung hinsichtlich des Alters, Geschlechts und der Herkunft unter Berücksichtigung der Staatsgrenze betrachtet und verglichen. Zusätzlich

|| 1 Mental maps oder kognitive Karten wurden mittlerweile im deutschsprachigen Raum in vielen wahrnehmungsdialektologischen Untersuchungen erhoben und kritisch betrachtet (vgl. u. a. Anders 2008, 2010; Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a, 2015b; Kleene 2015; Lameli, Purschke & Kehrein 2008; Palliwoda 2009, 2011, 2012).

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gibt der Beitrag einen Einblick in die aus der Mikro- und Makrokartierung entwickelten Web-Applikation, mit der Interessierte die Möglichkeit haben, sich die Daten selbstständig anzuschauen und zu analysieren.

2 Die Mikrokartierung im DFG-Projekt Wahrnehmungsdialektologie Eine der ersten Aufgaben innerhalb des Settings des DFG-Projekts war nach der Erhebung der Sozialdaten die MIK: die Elizitierung der Sprachräume und Sprachraumkonzepte im nähesprachlichen Raum der GPn. Hierfür wurden die GPn gebeten, auf einem Kartenausschnitt der eigenen Region zu markieren und zu bezeichnen, wo bzw. bis wohin gleich oder ähnlich gesprochen wird wie in ihrem Heimatort. Daran anschließend sollten die GPn die Regionen mit einer anderen Farbe verorten und benennen, in denen ihrer Meinung nach anders gesprochen wird. Grundlage für die MIK war dabei ein Kartenausschnitt, in dem der Erhebungsort bzw. der Heimatort im Mittelpunkt lokalisiert und um diesen ein Radius von 50 km gezogen wurde. Wenn dieser Radius nicht ausreichend war, um sprachliche Differenzen abzubilden, konnte auf einen Kartenausschnitt mit einem 100-km-Radius zugegriffen werden. Der Rückgriff auf die größere Karte erfolgte jedoch nur bei sieben von insgesamt 139 GPn. Der Kartenausschnitt enthielt topographische Angaben, um den GPn eine gute Orientierung zu ermöglichen und kleinräumige Sprachräume zu erzielen (vgl. hierzu u. a. Lameli, Purschke & Kehrein 2008). Hierbei war es wichtig zu eruieren, welche Punkte den GPn evtl. bei der Verortung der Sprachräume helfen. Neben der Beschriftung der eingezeichneten Polygone (Kreise) sollten die GPn diese auch beschreiben und die Ähnlichkeit zur eigenen Sprechweise auf einer siebenstufigen Skala einschätzen.2 Mittels dieser Erhebungsmethode und des leitfadengestützten Interviews stehen nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Daten zur Auswertung und Analyse zur Verfügung. Wie bei Anders lassen sich auch im DFG-Projekt auf diese Art und Weise der Erhebung unterschiedliche Kartierungs- und Kartentypen elizitieren (Anders 2010: 184–199). Somit ist es möglich, einerseits räumliche Strukturen unter Berücksichtigung ihrer Verfasser zu klassifizieren und andererseits die Wissenskonzepte linguistischer Laien zu verstehen. Es || 2 Der Fragebogen kann unter dem folgenden Link eingesehen werden: https://www.degruyter.com/view/product/490254 (02.06.2017).

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zeigte sich, dass GPn bei der Rekonstruktion von laienlinguistischen Raumkonzepten auf unterschiedliche Bezugsysteme zurückgreifen, die komplex sind und neben außersprachlichen Referenzpunkten (wie Städte, Landschaften etc.) auch Bewertungen enthalten (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a: 301–308). Aufgrund dieser unterschiedlichen Daten aus der MIK steht somit ein umfangreiches Material zur Verfügung, das Aussagen zu der arealen Verbreitung laienlinguistischer Sprachraumkonzepte zulässt und durch die Analyse metasprachlicher Kommentare Einblicke in die Sprachraumkonzepte linguistischer Laien gibt. Der vorliegende Beitrag möchte exemplarisch einen solchen Einblick in das Material geben, wobei auf die sozialen Variablen Alter, Herkunft und Geschlecht sowie den außersprachlichen Faktor Grenze bei der Verortung des Nahbereichs näher eingegangen werden soll. Hierfür wurden zwei Orte aus dem gesamten Setting ausgewählt, die sich an einer staatlichen, somit politischen Grenze gegenüberliegen: Eupen (Belgien) und Schleiden (Deutschland) (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Erhebungsorte Eupen & Schleiden auf der Dialekteinteilungskarte Wiesingers (1983).

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Aus dialektologischer Sicht zählen beide Orte zum mittelfränkischen Dialektgebiet und genauer zum Ripuarischen. Das Ripuarische […], bildet den nördlichen der beiden mittelfränkischen Großraumdialekte zu beiden Seiten des Rheins in der nördlichen Eifel, im Aachner Land mit dem ostbelgischen Gebiet um Eupen, im Rur- und Erftgebiet [sic!] und im Bergischen Land. Während es im Süden relativ deutlich einsetzt, geht es im Norden in breiter Fläche allmählich in das Niederfränkische über, wovon über die deutsche und niederländische Schrift- und Standardsprache hinweg, auch die hier ausgeschlossenen Gebiete des östlichen Belgiens und der südöstlichen Niederlande betroffen sind. Das ripuarisch-niederfränkische Übergangsgebiet beginnt etwa an der Grenze der hochdeutschen Lautverschiebung […]. (Wiesinger 1983: 858).

Des Weiteren lässt sich das Ripuarische laut Wiesinger in sechs Dialektbereiche einteilen: die nördliche Eifel, das mittlere Erft- und Rurgebiet [sic!] mit der unter stadtsprachlichem Einfluss etwas abweichenden Umgebung von Köln, das in mancherlei Hinsicht zum Niederfränkischen nach Westen überleitende Aachner Land, das Bergische Land mit dem in gewisser Weise konservativen Nordostrand von […] Freudenberg bis Wermelskirchen und schließlich das ripuarisch-niederfränkische Übergangsgebiet, in dem der nordbergische Raum von Solingen – Remscheid bis Mülheim/Ruhr durch sein spezifisches Verhalten den sechsten Bereich bildet. (Wiesinger 1983: 859).

Eupen liegt somit im ripuarisch-niederfränkischen Übergangsgebiet in Belgien und Schleiden in der Eifel in Deutschland.3 Im Vordergrund steht jedoch nicht, inwieweit sich diese Orte sprachlich unterscheiden bzw. sie sprachlich zusammengehören, sondern wie diese besondere sprachliche Situation von den Bewohnern dieser Orte wahrgenommen wird und wie sich dies evtl. in den mentalen Karten widerspiegelt. Bevor die Ergebnisse dieser beiden Orte exemplarisch präsentiert werden, soll die Web-Applikation des DFG-Projekts in Auszügen vorgestellt werden, die Interessierten die Möglichkeit eröffnet, sich selbst einen Einblick in die mentalen Karten des Nah- und Fernbereichs der GPn zu verschaffen.

|| 3 Weitere Ausführungen zu den sprachlichen Gegebenheiten vgl. u. a. Cajot 1989, Wiesinger 1983 sowie zur politischen und sprachlichen Situation aus historischer Perspektive vgl. u. a. Nelde 1979.

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3 Exkurs: Die Web-Applikation Die Web-Applikation wurde von Andrea Kittler vom Zentrum für Geoinformation (ZfG) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nach den Vorstellungen der Prokjektmitarbeitenden entwickelt.4 Mithilfe dieser Web-Anwendung soll dem interessierten Publikum sowie den Wissenschaftlern die Möglichkeit gegeben werden, selbst die Daten zu betrachten und eigene Fragen ans Material zu stellen. Hierfür stehen sowohl die Daten aus der MIK als auch diejenigen aus der MAK (Pilesort-Methode; für weitere Ausführungen zu dieser Methode vgl. Schröder in diesem Band sowie Schröder i. Dr.) zur Verfügung. Die folgende Abbildung zeigt die Startseite dieser Anwendung (vgl. Abbildung 2).

Abb. 2: Startseite der Web-Applikation.

In der Mitte der Abbildung 2 sind die Erhebungsorte des Projekts (rote Punkte) auf einer open-street-map dargestellt. Der untere Teil zeigt den Maßstab sowie die Geoinformationen. Der im oberen Bildabschnitt dargestellte Kartenausschnitt wird unten rechts auf einer größeren Karte projiziert. Sobald ein Erhe|| 4 Die Web-Applikation kann unter folgendem Link aufgerufen werden: https://corpora.unihamburg.de/hzsk/de/islandora/object/tool:wahrnehmungsdialektologie_webgis.

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bungsort mit dem Mauszeiger angesteuert wird, werden erste Informationen zu diesem Ort angezeigt (vgl. Abbildung 3).

Abb. 3: Erhebungsortinformationen.

Die Abbildung 3 zeigt entsprechende Informationen zum Erhebungsort Stralsund, der auf der Karte mit einem rosafarbenen Ring gekennzeichnet wird. Neben der Erhebungsort-Identifikationsnummer (E_ID), die eine interne Kennzeichnung darstellt, wird das Land (D = Deutschland), die Postleitzahl (PLZ), der Name des Erhebungsortes sowie die Gewährspersonenidentifikationsnummern, diese Nummerierung ist ebenfalls intern vergeben, angezeigt. Auf einen ersten Blick wird so ersichtlich, dass in Stralsund vier Personen interviewt wurden, da hier vier verschiedene GP-Nummern erscheinen. Mittels der Auswahloptionen auf der linken und rechten Seite (vgl. Abbildung 2) können unterschiedliche Einschränkungen und Abbildungseinstellungen vorgenommen werden, die im weiteren Verlauf kurz erläutert werden.

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Abb. 4: Auswahloption 1.

Aus der Liste auf der rechten Seite der Startseite (vgl. Abbildung 2) kann u. a. ausgewählt werden, welche Hintergrundkarte eingeblendet, welche Kartierungsvariante bzw. Erhebungsmethode (MIK oder MAK) näher betrachtet werden soll und ob die Erhebungsorte angezeigt werden sollen. Hierbei können bei der MIK neben den Polygonen ebenfalls die Benennungen der Polygone (PSignatur) und der Kartenausschnitt5 eingeblendet werden. Bei der MAK besteht die Möglichkeit, sich alle Stapelorte anzeigen zu lassen. Das hat den Hintergrund, dass bei der Erhebung die GPn die Möglichkeit hatten, Orte zu ergänzen, wenn sie der Meinung waren, diese würden in der Auflistung fehlen. Zudem lässt sich durch die Auswahl Orts-Paare die Häufigkeit der Zuordnung bestimmter Orte näher analysieren (vgl. Abbildung 4). Die Auswahl der in der rechten Liste auf der Startseite befindlichen Elemente hat Auswirkungen auf die Suchund Auswahlmöglichkeiten der in der linken Liste aufgeführten Optionen.

|| 5 Der Kartenausschnitt bezieht sich auf die Karte, welche den GPn vorgelegt wurde und auf der sie eintrugen, wo ähnlich oder gleich gesprochen wird.

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Abb. 5: Auswahloption 2.

Ist beispielsweise in der rechten Liste Erhebungsorte und Kartenausschnitt ausgewählt, können in der linken Liste unter Thema eben diese beiden ausgewählt werden. Zudem kann über Feld und Filter feiner differenziert werden, welcher Ort und welche GPn näher betrachtet werden sollen (vgl. Abbildung 4, Abbildung 5). Die folgende Abbildung 6 zeigt eine differenziertere Auswahl:

Abb. 6: Beispielansicht: Polygone der GPn aus Eppingen.

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Hier werden die Polygone sowie der entsprechende Kartenausschnitt aus Eppingen in den Fokus gesetzt, der auch den GPn vorlag. Durch das Führen des Mauszeigers auf ein Polygon wird die Benennung des Sprachraums (BADENSERISCH), die durch eine GP für diese Region vorgenommen wurde, offenbart. Dabei färbt sich das Polygon hellblau und erhält eine rosafarbene Umrandung (vgl. Abbildung 6). Durch einen Linksklick auf das entsprechende Objekt öffnet sich eine Informationsbox, die weitere Daten zu diesem ausgewählten laienlinguistischen Sprachraum (Polygon) enthält (vgl. Abbildung 7).

Abb. 7: Info-Box zu einzelnen Polygonen.

Die Informationsbox enthält neben der Gewährspersonenidentifikationsnummer (GP 5) ebenfalls Informationen über das Geschlecht (w), den Erhebungsort (Eppingen) und über die Bezeichnung (BADENSERISCH). Außerdem werden die Interessierten in dem Feld ‚Bemerkung‘ über weitere Aussagen der GP zu diesem Sprachraum sowie nicht eingezeichnete Elemente (Pfeile und Striche) informiert. So bezeichnet die GP die Sprechweise in Eppingen als KRAICHGAUER DIALEKT und ist der Meinung, dass dieser in Richtung SCHWÄBISCH geht (vgl. Abbildung 7).

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Zudem besteht die Möglichkeit, sich die Originalkarte der entsprechenden GP anzeigen zu lassen. Dafür muss nur auf den Button ‚Originalkarte anzeigen‘ geklickt werden (vgl. Abbildung 7).

Abb. 8: Originalkarte einer GP.

Es öffnet sich eine weitere Informationsbox, in der die Karte abgebildet wird, auf der die GP ihren sprachlichen Nahbereich eingezeichnet hat (vgl. Abbildung 8). Ersichtlich wird, dass die GP weitere Eintragungen vorgenommen hat, die bei der Web-Applikation nicht abgebildet werden, die aber mit der Informationsbox zum BADENSERISCHEN näher erläutert werden. So wird durch die abgehenden Pfeile bei dem blauen Polygon durch die GP angedeutet, dass das BADENSERISCHE in Richtung PFÄLZER tendiert (vgl. Abbildung 8). Dieses Verfahren ist für jedes eingetragene Polygon aller 139 GPn möglich. Wie weiter oben angemerkt, können ebenfalls Ergebnisse aus der PilesortMethode (MAK) visualisiert werden. Dafür müssen in der Auswahlliste auf der rechten Seite ‚Stapelorte‘ und ‚Orts-Paare‘ ausgewählt werden (vgl. Abbildung 4). Der Button ‚Stapelorte‘ zeigt alle Orte an, die Grundlage dieser Methode waren. Neben den 61 Stapelorten, die der Gewährsperson während des Interviews vorgelegt wurden, werden hier auch diejenigen Orte abgebildet, die von den GPn zusätzlich genannt bzw. hinzugezogen wurden (vgl. zur Methodik Schröder i. Dr. sowie Schröder und Hoffmeister in diesem Band). Durch den Button ‚OrtsPaare‘ werden die Verbindungen der Orte zueinander visualisiert (vgl. Abbildung 9).

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Abb. 9: Visualisierung der Pilesort-Methode (MAK).

Durch einen Klick auf einen der Stapelorte (lila markiert) werden durch blaue Linien, die unterschiedlich dick und farblich abgestuft sind, die Häufigkeiten der Zuordnungen dieses Ortes zu den anderen Stapelorten verdeutlicht. Zudem öffnet sich eine weitere Box, die genau aufschlüsselt, mit welchem Ort und wie oft dieser mit dem anderen Stapelort von den Gewährspersonen zusammensortiert wurde. Die Abbildung 9 zeigt die Zuordnung des Stapelortes Bochum. Die dazugehörige Informationsbox offenbart zum Beispiel, dass Bochum 91-mal mit dem Stapelort Dortmund und 77-mal mit dem Stapelort Essen und Duisburg zusammengeordnet wurde. Diese Informationen können zu jedem einzelnen Stapelort abgerufen werden. Für den vorliegenden Beitrag soll im weiteren Verlauf das mental-mapping (MIK) der GPn aus Eupen (Belgien) und Schleiden (Deutschland) näher betrachtet werden. Die Abbildung 10 zeigt die verschiedenen Sprachräume, die von den GPn aus der Region wahrgenommen und verortet wurden und in der WebApplikation abrufbar sind.

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Abb. 10: Polygone der GPn aus Eupen/BE und Schleiden/DE in der Web-Applikation.

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass die Sprachraumdichte vom Erhebungsort ins Umland abnimmt. Zudem könnte angenommen werden, dass die Sprachräume auch staatsübergreifend eingezeichnet wurden. Dies soll im Folgenden weiter geprüft werden.

4 Ergebnisse und Interpretation Grundlage der anschließenden Ausführungen bilden insgesamt zwölf GPn aus dem gesamten DFG-Projekt, die sich zu gleichen Teilen auf die Altersgruppen (AGn) sowie die Orte Eupen (Belgien) und Schleiden (Deutschland) aufteilen (vgl. Tabelle 1). Tab. 1: Verteilung auf die AGn und das Geschlecht.

Eupen/B

Schleiden/D

Gesamtergebnis

Altersgruppe

männlich

weiblich

männlich

weiblich

AG 3 (51–65 Jahre)

1

2

2

1

6

AG 2 (30–50 Jahre)

1

1

1

1

4

AG 1 (16–20 Jahre)

0

1

1

0

2

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Für eine detaillierte Betrachtung der eingezeichneten Sprachräume wurden die Karten der GPn in Quantum GIS 2.16 Nødebo6 überführt und verarbeitet. Durch das unterschiedliche Einfärben der verorteten Sprachräume der GPn aus Eupen und Schleiden lassen sich erste Erkenntnisse ablesen (vgl. Abbildung 11).

Abb. 11: Polygone der Gewährspersonen aus Eupen und Schleiden.

Es zeigt sich, dass beide GPn-Gruppen Sprachräume bzw. Sprechweisen verorten, die sich sowohl dies- und jenseits der Staatsgrenze befinden und auch grenzübergreifend sind. Zudem gibt es einige Sprachräume der Eupener und Schleidener GPn, die sich offensichtlich überschneiden. Dies betrifft besonders den Aachener, Eifler und St. Vither Raum. Dabei verorten die Eupener GPn die ihnen bekannten Sprechweisen im Nahbereich relativ eng aneinander (grün eingefärbte Polygone), wohingegen die Schleidener den gesamten Kartenausschnitt genutzt haben (lila eingefärbte Polygone). Das wird besonders an den

|| 6 Quantum GIS (QGIS) ist ein freies Open-Source-Geographisches-Informationssystem: http://www.qgis.org/de/site/ (26.11.2016).

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geraden Linien bei einigen Polygonen deutlich, da hier der Kartenausschnitt endete. Bezogen auf die Benennung der eingezeichneten Sprachräume7 lassen sich insgesamt 58 Benennungen (token) finden. Es werden von jeder GPn-Gruppe 29 genannt (vgl. Tabelle 10). Diese lassen sich wiederum zu neun Oberkategorien (types) zusammenfassen, wobei die neunte eine Sammlung einzelner Nennungen bzw. Bezeichnungen ist (vgl. Tabelle 2).8 Tab. 2: Benennungen der Sprachräume.

Oberkategorien

Eupen/B

Schleiden/D

AACHENER PLATT

2

1

EIFLER PLATT

4

8

EUPENER PLATT

6

0

KELMISER PLATT

5

0

KERKRAD

2

0

PLATT

0

6

RAERENER PLATT

4

0

RHEINLAND PFÄLZISCH

0

5

Einzelnennungen

6

9

Gesamt

29

29

Auffällig ist, dass die Eupener GPn eine Sprechweise bzw. einen Sprachraum verorten, der nach dem Erhebungsort EUPENER PLATT benannt wird, wohingegen sich die Bezeichnung SCHLEIDENER PLATT nicht finden lässt. Dagegen benennen alle Schleidener GPn eine Sprechweise nach dem Gebirge, in dem der Ort liegt, EIFLER PLATT, der durch einige Personen noch weiter differenziert wird (vgl. Tabelle 10). Deutlich wird zudem, dass bestimmte Bezeichnungen von beiden, andere wiederum nur jeweils von einer der Gruppen genannt werden. So tauchen Bezeichnungen wie EUPENER PLATT, KELMISER PLATT und RAERENER PLATT nur bei der Eupener GPn-Gruppe und im belgischen Raum auf. Sprechweisen, die einfach als PLATT oder RHEINLAND-PFÄLZISCH bezeichnet werden, kommen hinge-

|| 7 Die Zählung bezieht sich nur auf die eingezeichneten Polygone. Punkte, Striche und anders vermerkte Sprechweisen und Sprachräume wurden bei dieser Analyse nicht weiter betrachtet. 8 Eine detaillierte Aufschlüsselung aller einzelnen Bezeichnungen kann in der Tabelle 10 im Anhang eingesehen werden.

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gen nur bei den Schleidener GPn im deutschen Bundesgebiet vor. AACHENER PLATT und EIFLER PLATT werden von beiden Gruppen genannt und zugeordnet (vgl. Tabelle 2). Dies sind auch diejenigen Sprachräume, in denen es zu Überschneidungen der Polygone beider GPn-Gruppen kommt (vgl. Abbildung 11). Die Vermutung liegt nahe, dass dies mit der Nähe der Stadt Aachen sowie des Gebirges Eifel, was in Belgien in die Ardennen übergeht, zur belgisch-deutschen Grenze zusammenhängt. Ferner kommt die Bezeichnung DIALEKT für laienlinguistische Sprechweisen nur zweimal vor, ansonsten wird immer die Bezeichnung PLATT genutzt (vgl. Tabelle 10). Allein anhand der Bezeichnungen lassen sich somit Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Benennung der Sprechweisen dies- und jenseits der belgisch-deutschen Grenze feststellen, wobei sich dies nur auf die Bezeichnung der Sprachräume bezieht. Die GPn referieren hingegen auf die gleichen außersprachlichen Punkte, wie Städte, Gebirge und Landschaften. Die GPn hatten die Aufgabe, auf den Karten zum einen abzubilden, bis wohin bzw. wo überall so gesprochen wird, wie die GPn sprechen. Zum anderen sollten sie verzeichnen und beschreiben, wo überall nach der Empfindung der GPn anders gesprochen wird. Der Vergleich der Verortungen dieser beiden Aufgabentypen zeigt eine Orientierung an der Staatsgrenze.

Abb. 12: Darstellung der eigenen Sprechweisen (Eupen & Schleiden).

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Keine der GPn verortet die eigene Sprechweise bzw. das, was ähnlich oder gleich der eigenen Sprechweise ist, jenseits der belgisch-deutschen Staatsgrenze. Die Abbildung 12 macht dies sehr deutlich. Die verortete eigene Sprechweise endet sowohl bei der Eupener (lila eingefärbte Polygone) als auch bei der Schleidener Gruppe (blau eingefärbte Polygone) an der Staatsgrenze. Interessanterweise nehmen die Eupener ihre Sprechweise kleinräumiger wahr, die Schleidener hingegen ziehen den Radius der eigenen Sprechweise größer. Zudem bestätigt sich bzgl. der Benennung der eigenen Sprechweise die Vermutung, dass die Eupener ihre Sprechweise als EUPENER PLATT und die Schleidener ihre als EIFLER PLATT bezeichnen. Anders verhält es sich bei der Verortung der Sprechweisen, die von der eigenen verschieden sind (vgl. Abbildung 13).

Abb. 13: Darstellung der anderen Sprechweisen (Eupen & Schleiden).

Im Gegensatz zur Abbildung 12 verorten die beiden Gruppen bei der Frage, wo anders gesprochen werde, Sprechweisen dies- und jenseits der Staatsgrenze. Das verwundert nicht, da jenseits einer Grenze zumeist nach der Auffassung von GPn anders gesprochen wird als im eigenen Raum. Deutlich wird jedoch, dass nicht nur anders in anderen Staatsgebieten gesprochen wird, sondern bei

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den anders verorteten Sprechweisen einige grenzübergreifend sind und sich mit denen der anderen GPn-Gruppe überschneiden (vgl. Abbildung 13). In der Gegenüberstellung der Karten der beiden Gruppen zu dieser Aufgabenstellung zeigen sich die Unterschiede (vgl. Abbildung 14).

Abb. 14: Andere Sprechweisen; Eupen und Schleiden im Vergleich.

Die Schleidener Gruppe verortet Sprechweisen zwar in Belgien, jedoch zeichnet keine der GPn einen Sprachraum grenzüberschreitend ein. Anders sieht es bei der Eupener Gruppe aus. Diese verortet ebenfalls dies- und jenseits der Grenze, allerdings lassen sich hier Sprachräume finden, die sich von einem zum nächsten Staatsgebiet ziehen. Dies betrifft besonders den schon angesprochenen

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 31

Aachener und Eifler Raum (vgl. Abbildung 14), was evtl. mit der lebensweltlichen Ausrichtung der belgischen GPn Richtung deutsches Bundesgebiet zusammenhängen könnte. Interessant ist weiterhin, dass die deutschen GPn den gesamten Kartenausschnitt genutzt haben, die belgischen GPn hingegen verorteten die unterschiedlichen Sprechweisen und Sprachräume vergleichsweise eng an der belgischdeutschen Grenze im deutschsprachigen Gebiet Belgiens (vgl. Abbildung 13, Abbildung 14). Diese Verortung könnte damit zusammenhängen, dass die deutschsprachige Gemeinde in Belgien eine relativ kleine Gemeinde ist und die GPn ihre sprachliche Nähe eher zu Deutschland sehen und ihr Leben auch dahingehend ausrichten. Denn interessanterweise hat keine der GPn bei der Frage, wo anders gesprochen wird, Französisch und/oder Niederländisch verortet (außer zwei deutsche GPn, vgl. Abbildung 11).

4.1 Die Verortungen der unterschiedlichen Altersgruppen Im weiteren Verlauf soll nun analysiert werden, ob sich die Verortungen beider GPn-Gruppen hinsichtlich des Alters und der Herkunft unterscheiden lassen und inwieweit die belgisch-deutsche Staatsgrenze die Verortung beeinflusst. Zuerst wird auf die GPn der AG 1 (16–20 Jahre), dann auf diejenigen der AG 2 (30–50 Jahre) und zum Schluss auf die GPn der AG 3 (51–65 Jahre) eingegangen. Die erste AG besteht insgesamt aus zwei GPn, wobei eine GP aus Eupen und eine aus Schleiden stammt.

32 | Nicole Palliwoda

Abb. 15: Polygone der AG1.

Die GP aus Eupen hat im Gegensatz zu der Schleidener mehr Sprachräume (vgl. Tabelle 3) und diese auch zum Teil weitläufiger verortet. Zudem zeichnet sie den Sprachraum EIFELER PLATT über die Staatgrenze hinweg. Tab. 3: Bezeichnungen der AG 1.

Eupen/B

Schleiden/D

DEUTSCH

EIN PLATT

DEUTSCHSPRACHIGE GEMEINSCHAFT

PLATT KALLE

EIFELER PLATT EUPENER PLATT KELMISCHES PLATT RAERENER PLATT

Die GP aus Schleiden kann nur zwei Sprachräume verzeichnen und hat keine konkrete Bezeichnung für eine der beiden Sprechweisen, die sie verortete, sondern bezeichnet sie einfach als EIN PLATT. Eine genauere Bezeichnung findet die GP für den Sprachraum PLATT KALLE, was gleichzeitig die eigene Sprechweise

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 33

darstellt, da der Wohnort der GP Giescheid ist, der in diesem Sprachraum liegt (vgl. Abbildung 15). Es kann vermutet werden, dass die Eupener GPn frühzeitig auf ihre besondere Sprachsituation auch in der Schule und im gesamten Lebensumfeld aufmerksam gemacht werden und somit ein differenzierteres Sprachbewusstsein entwickeln als die Schleidener GPn. Ähnlich verhält es sich bei der zweiten AG, die aus vier GPn besteht, zwei aus jedem Erhebungsort.

Abb. 16: Polygone der AG 2.

Erkennbar ist wieder, dass die GPn des deutschen Erhebungsortes die Sprachräume, sowohl die eigenen als auch die anderen, bis zur belgisch-deutschen Staatsgrenze einzeichnen. Keine der beiden GPn verortet Sprachräume über diese Grenzen hinaus. Wie bei der AG 1 (vgl. Abbildung 15) sind jedoch die Eupener GPn der Auffassung, dass bestimmte Sprechweisen die Staatsgrenze überschreiten (vgl. Abbildung 16). Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der ersten und der zweiten AG besteht in der Anzahl an Bezeichnungen durch die belgischen GPn (vgl. Tabelle 4).

34 | Nicole Palliwoda

Tab. 4: Bezeichnungen der AG 2.

Eupen/B

Schleiden/D

AACHEN, RAEREN

AACHENER DIALEKT (ÖCHER PLATT)

BÜLLINGER PLATT

EIFELER PLATT

EUPEN

‚MAINSTREAM‘ EIFLER PLATT

EUPENER PLATT

SCHNEE EIFEL/SCHNEIFEL

KELMIS

TYPISCHER EIFLER DIALEKT

KELMISER PLATT KERKRADE ST. VITHER PLATT

Gleichfalls lässt sich feststellen, dass die Bezeichnung der belgischen GPn sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten AG mehr auf Orte referieren (Kelmis, Eupen, St. Vith) und nicht auf Regionen bzw. Landschaften (Eifel, vgl. Tabelle 3, Tabelle 4.). Dies könnte ebenfalls mit dem lebensweltlichen Umfeld zusammenhängen und zwar dahingehend, dass die belgischen GPn frühzeitig mit der sprachlichen Situation konfrontiert sind und sie sich evtl. auch eher an deutschen Regionen (Aachen) ausrichten (zum Einkaufen oder dergleichen). Ein etwas anderes Bild offenbart die älteste und dritte AG, die insgesamt aus sechs Personen, jeweils drei aus jedem Erhebungsort, besteht (vgl. Abbildung 17).

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 35

Abb. 17: Polygone der AG 3.

Im Gegensatz zu den Eupener GPn nutzen die Schleidener Personen den gesamten Kartenausschnitt und verorten in diesem die ihnen bekannten Sprechweisen. Die GPn aus dem belgischen Erhebungsgebiet kartieren kleinräumiger um ihren Wohnort herum. Im Unterschied zu der ersten und zweiten Schleidener AG verortet die dritte wie alle Eupener GPn Sprachräume über die Staatsgrenze hinaus (vgl. Abbildung 17). Zudem lassen sich bei den Eupenern fast doppelt so viele Benennungstoken und bei den Schleidenern fast dreimal so viele wie bei der zweiten AG finden (vgl. Tabelle 4, Tabelle 5). Tab. 5: Bezeichnungen der AG 3.

Eupen/B

Schleiden/D

AACHEN/ESCHER PLATT

BONNER PLATT

EIFEL

DÜRENER PLATT

EIFELER PLATT

EIFELER ‚KÖLSCH‘

EIFELER PLATT (ST. VITH)

EIFLER PLATT

ESCHWEILER

EIFLER PLATT

36 | Nicole Palliwoda

Eupen/B

Schleiden/D

EUPENER PLATT

EUSKIRCHENER PLATT

EUPENER PLATT (EUPEN)

FRANZÖSISCH (F)/DEUTSCH (D)/FLÄMISCH

KELMISER PLATT

HOLLÄNDISCH

KELMISER PLATT (KELMIS)

KÖLSCH

KERKRADE

MIX ZWISCHEN EIFLER PLATT U. KÖLSCH

ÖPENER PLATT

OSTBELGIEN ‚HIGHLÄNDER‘

RAERENER PLATT

PLATT

RAERENER PLATT (RAEREN)

PLATT

RÖRENER PLATT

PLATT

VERVIERS

PLATT PLATT (JÜNKERATH) RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH

Die höhere Anzahl an Benennungen bei der älteren Gewährspersonengruppe könnte ein Indiz für einen höheren Erfahrungshorizont dieser GPn sein, worauf auch das Verorten von Sprachräumen beider Gruppen jenseits der Staatsgrenze verweist. Dies lässt sich mittels der unterschiedlichen Benennungstypen aufzeigen (vgl. Tabelle 6). Tab. 6: Anzahl der Benennungstypen pro AG.

Altersgruppe

Eupen/B

Schleiden/D

AG 1

5

2

AG 2

5

2

AG 3

7

4

Deutlich wird aus der Tabelle 6, dass die erste und zweite AG sowohl aus Eupen als auch aus Schleiden gleich viele Typen nennen, wobei die Eupener mehr Typen nennen als die Schleidener GPn. Die Typenanzahl steigt bei beiden Herkunftsgruppen jedoch erst bei der dritten AG, wobei auch hier die Eupener GPn mehr Typen benennen als die Schleidener (vgl. Tabelle 6).

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 37

4.2 Die Verortungen der männlichen und weiblichen Gewährspersonen Zum Abschluss soll noch ein Blick auf die Verortungen der männlichen und weiblichen GPn geworfen werden, die sich zu gleichen Teilen auf beide Geschlechter verteilen. Von den sechs männlichen GPn sind zwei aus Eupen und vier aus Schleiden.

Abb. 18: Polygone der männlichen GPn.

Im Vergleich mit den vorhergehenden Karten (vgl. Abbildung 15, Abbildung 16, Abbildung 17) wird ein Unterschied gleich deutlich: Die zwei männlichen Eupener GPn verorten keine Sprachräume jenseits der Staatsgrenze (lila eingefärbte Polygone), wohingegen das bei den männlichen Schleidener GPn der Fall ist (blau eingefärbte Polygone). Zudem fällt auf, dass sich die Verortungen der Eupener GPn entlang der Staatsgrenze orientieren, wohingegen sich die Verortungen bei den Schleidenern eher kreisförmig um den Erhebungsort ausbreiten (vgl. Abbildung 18).

38 | Nicole Palliwoda

Bezogen auf die Benennungstoken lassen sich bei den deutschen GPn zwar drei Bezeichnungen mehr finden, jedoch haben insgesamt doppelt so viele GPn eine Verortung vorgenommen (vgl. Tabelle 7). Tab. 7: Bezeichnungen der männlichen GPn.

Eupen/B

Schleiden/D

BÜLLINGER PLATT

EIFELER ‚KÖLSCH‘

EIFELER PLATT

EIFELER PLATT

EUPENER PLATT

EIN PLATT

KELMISER PLATT

MIX ZWISCHEN EIFLER PLATT U. KÖLSCH

KELMISER PLATT

OSTBELGIEN ‚HIGHLÄNDER‘

ÖPENER PLATT

PLATT

RÖRENER PLATT

PLATT

ST. VITHER PLATT

PLATT PLATT PLATT KALLE VOREIFLER PLATT

Hinsichtlich der unterschiedlichen Benennungstypen lassen sich zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede feststellen. Sowohl die Eupener als auch die Schleidener GPn greifen auf fünf verschiedene Benennungstypen zurück (vgl. Tabelle 7, Tabelle 10). Bei den sechs weiblichen GPn, von denen vier aus Eupen und zwei aus Schleiden stammen, zeigt sich bei der Verortung der Sprechweisen im Nahbereich ein anderes Bild (vgl. Abbildung 19).

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 39

Abb. 19: Polygone der weiblichen GPn.

Im Vergleich zur Verortung der Sprachräume durch die männlichen GPn zeigt sich in der Karte der weiblichen GPn auf den ersten Blick mehr Dynamik. Sowohl die Eupener als auch die Schleidener GPn verorten Sprechweisen über die Staatsgrenze hinaus. Es zeigen sich jedoch auch Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Die belgischen GPn verzeichnen die Sprachräume eher weniger weitläufig um den eigenen Sprachraum herum. Die deutschen GPn hingegen nutzen den gesamten Kartenausschnitt und verorten die Sprechweisen nicht nur zentriert um den eigenen Sprachraum. Interessanterweise verorten die belgischen weiblichen GPn diejenigen Sprachräume, die sich von dem einen zum anderen Staatsgebiet erstrecken (vgl. Abbildung 19). Im Vergleich zu den männlichen GPn offenbart ein Blick in die Tabelle der genannten Bezeichnungen, dass die weiblichen GPn mehr Sprachräume verortet haben (vgl. Tabelle 7, Tabelle 8).

40 | Nicole Palliwoda

Tab. 8: Bezeichnungen der weiblichen GPn.

Eupen/B

Schleiden/D

AACHEN, RAEREN

AACHENER DIALEKT (ÖCHER PLATT)

AACHEN/ESCHER PLATT

BONNER PLATT

DEUTSCH

DÜRENER PLATT

DEUTSCHSPRACHIGE GEMEINSCHAFT

EIFLER PLATT

EIFEL

EIFLER PLATT

EIFELER PLATT

EUSKIRCHENER PLATT

EIFELER PLATT (ST. VITH)

FRANZÖSISCH (F)/DEUTSCH (D)/FLÄMISCH

ESCHWEILER

HOLLÄNDISCH

EUPEN

KÖLSCH

EUPENER PLATT

‚MAINSTREAM‘ EIFLER PLATT

EUPENER PLATT

PLATT (JÜNKERATH)

EUPENER PLATT (EUPEN)

RHEINLAND PFÄLZISCH

KELMIS

RHEINLAND PFÄLZISCH

KELMISCHES PLATT

RHEINLAND PFÄLZISCH

KELMISER PLATT (KELMIS)

RHEINLAND PFÄLZISCH

KERKRADE

RHEINLAND PFÄLZISCH

KERKRADE

SCHNEE EIFEL/SCHNEIFEL

RAERENER PLATT

TYPISCHER EIFLER DIALEKT

RAERENER PLATT RAERENER PLATT (RAEREN) VERVIERS

Beim Vergleich der Anzahl an Benennungen wird deutlich, dass die weiblichen GPn teilweise doppelt so viele Sprachräume verzeichnen wie die männlichen GPn. Hinsichtlich der Benennungstypen jedoch lassen sich kaum Unterschiede feststellen (vgl. Tabelle 9). Tab. 9: Anzahl der Benennungstypen pro Geschlecht.

Geschlecht

Eupen/B

Schleiden/D

Mann

5

5

Frau

7

5

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 41

Im Durchschnitt nennen sowohl die Männer als auch die Frauen fünf verschiedene Typen, wobei die Eupener Frauen einige mehr nennen als alle anderen (vgl. Tabelle 9). Aus der höheren Benennungsvielfalt und den differenzierten Sprachräumen auf der mentalen Karte könnte vermutet werden, dass die Frauen ein größeres Bewusstsein für sprachliche und auch kleinräumige Unterschiede aufweisen. Diese Vermutung lässt sich aber aufgrund des hier vorliegenden Datenmaterials nicht stützen und müsste mit weiteren Verortungen des Nahbereichs anderer Orte und den Aussagen zu den Verortungen verglichen werden.

5 Fazit und Ausblick In diesem Beitrag sollte zum einen ein Einblick in das Material der Mikrokartierung gegeben und zum anderen die Web-Applikation vorgestellt werden, die zur freien Verfügung bereitsteht. Es konnte deutlich gemacht werden, dass Unterschiede in der Verortung bezogen auf die Herkunft, das Alter und das Geschlecht bestehen. So kann für das vorliegende Sample festgehalten werden, dass die Eupener GPn eher kleinräumiger und entlang der Grenze kartieren als die Schleidener, was evtl. mit der Größe der deutschsprachigen Gemeinde zusammenhängt. Zudem scheint sich die Ausrichtung des lebensweltlichen Umfelds auf die deutsche Gemeinde und das bundesdeutsche Gebiet zu beziehen, da von den Eupener GPn keine Sprachräume außerhalb des deutschsprachigen Raums genannt und verortet wurden. Bezogen auf die AGn lassen sich ebenfalls Unterschiede finden. Die beiden jüngeren AGn (AG 1 und AG 2) aus Schleiden verorten Sprachräume nur im deutschen Bundesgebiet. Die älteste AG (AG 3) kartiert darüber hinaus. Die Eupener GPn verorten unabhängig von der AG über die belgisch-deutsche Grenze hinaus und grenzübergreifend, was evtl. mit dem Bewusstsein für und über die besondere sprachliche Situation in der deutschsprachigen Gemeinde zusammenhängt. Zudem nimmt die Anzahl an Benennungen von AG zu AG zu, was sich ebenfalls in den Typen der Benennung zeigt, wobei alle Gruppen auf die ähnlichen Referenzpunkte zurückgreifen (Städte, Regionen, Gebirge). Es zeigt sich jedoch, dass die Benennungen bei den Eupener GPn etwas kleinräumiger sowie auf Ortschaften und bei den Schleidener eher auf großräumigere Regionen und Städte bezogen sind. Interessanterweise nutzt bei der Beschreibung und der Benennung der Sprachräume keine der GPn den Ausdruck Ripuarisch, Niederfränkisch oder Mittelfränkisch. Diese dialektologischen Fachtermini

42 | Nicole Palliwoda

sind im Gegensatz zu Sächsisch, Schwäbisch oder Hessisch nicht im laienlinguistischen Wortschatz vorhanden, da sie nicht auf die lebensweltliche Umgebung referieren wie Bezeichnungen Eifler Platt oder dergleichen, die in der Wirklichkeit der GPn eine Rolle spielen. Anders verhält es sich mit Bezeichnungen, die auf Bundesländer oder Städte referieren und zur Lebenswirklichkeit der GPn gehören. Zudem konnte gezeigt werden, dass die weiblichen GPn mehr Sprachräume verortet haben und diese auch eher grenzüberschreitend verorten. Ob dies mit einem größeren Sprachbewusstsein von Frauen zusammenhängt, muss zunächst als Vermutung bestehen bleiben und mittels weiterer Analysen geprüft werden. Dies gilt für alle aufgestellten Vermutungen und Hypothesen, die an einer größeren Gruppe getestet und mit den Daten aus den Interviews zu den Verortungen verglichen werden müssten. Es scheint außerdem als fruchtbringend, die sprachlichen Produktionsdaten der GPn hinsichtlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus dialektologischer Sicht zu analysieren, die dann evtl. in den Mikrokartierungen wieder zu finden sind. Deutlich gemacht werden sollte, dass mittels der Web-Applikation und der sprachlichen Daten aus den Interviews ein breiter Fundus an unterschiedlichen Materialen zur Verfügung steht, die Antworten auf viele Fragen geben können.

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Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 43

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44 | Nicole Palliwoda

Anhang Tab. 10: Benennung der einzelnen Sprachräume.

Oberkategorie

Eupen/B

Schleiden/D

AACHENER PLATT

AACHEN, RAEREN

AACHENER DIALEKT (ÖCHER PLATT)

AACHEN/ESCHER PLATT EIFLER PLATT

EIFEL

EIFELER ‚KÖLSCH‘

EIFELER PLATT

EIFELER PLATT

EIFELER PLATT

EIFLER PLATT

EIFELER PLATT (ST. VITH)

EIFLER PLATT ‚MAINSTREAM‘ EIFLER PLATT SCHNEE EIFEL/SCHNEIFEL TYPISCHER EIFLER DIALEKT VOREIFLER PLATT

EUPENER PLATT

EUPEN EUPENER PLATT EUPENER PLATT EUPENER PLATT EUPENER PLATT (EUPEN) ÖPENER PLATT

KELMISER PLATT

KELMIS KELMISCHES PLATT KELMISER PLATT KELMISER PLATT KELMISER PLATT (KELMIS)

KERKRADE

KERKRADE KERKRADE

PLATT

EIN PLATT PLATT PLATT PLATT PLATT PLATT (JÜNKERATH)

RAERENER PLATT

RAERENER PLATT RAERENER PLATT

Der Einfluss von Grenzen auf die Verortung von Sprachräumen im Nahbereich | 45

Oberkategorie

Eupen/B

Schleiden/D

RAERENER PLATT (RAEREN) RÖRENER PLATT RHEINLAND PFÄLZISCHE

RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH RHEINLAND PFÄLZISCH

Einzelnennungen

BÜLLINGER PLATT

BONNER PLATT

DEUTSCH

DÜRENER PLATT

DEUTSCHSPRACHIGE GEMEINSCHAFT

EUSKIRCHENER PLATT

ESCHWEILER

FRANZÖSISCH (F)/DEUTSCH (D)/FLÄMISCH

ST. VITHER PLATT

HOLLÄNDISCH

VERVIERS

KÖLSCH MIX ZWISCHEN EIFLER PLATT U. KÖLSCH OSTBELGIEN ‚HIGHLÄNDER‘ PLATT KALLE

Saskia Schröder

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien Abstract: Der Beitrag setzt sich mit Forschungsergebnissen auseinander, die im Kieler DFG-Projekt im Rahmen der Makrokartierung gewonnen wurden. Ziel der Makrokartierung ist die Aufdeckung laienlinguistischer Sprachwissensbestände in Bezug auf den gesamtdeutschsprachigen Raum. Diese werden mit dem Pilesorting, einem Sortierverfahren, sowie einem teilstrukturierten Fragenkomplex innerhalb des leitfadengestützten Interviews erhoben. Der vorliegende Beitrag fokussiert den Teilbereich, in dem die Verortung der eigenen Sprechweise im Rahmen der Makrokartierung durch die Gewährspersonen (GPn) vorgenommen wird. Erste Studien konnten bereits zeigen, dass die Ergebnisse des Pilesortings in Abhängigkeit von der Herkunft der GPn unterschiedlich interpretiert werden müssen, da die Sortierung abhängig von der sprachlichen Situation vor Ort ist. Es ist daher zu erwarten, dass sich dieser Befund auch auf die individuelle sprachliche Lokalisation auswirkt. Schlüsselwörter: Wahrnehmungsdialektologie, Pilesorting, Linguistischer Laie, Dialektbezeichnung, Sprachraum

1 Einleitung Im Rahmen des DFG-Projekts ist die Makrokartierung (MAK) im Interview implementiert, um die sprachliche Wahrnehmung und räumliche Konfiguration der linguistischen Laien im Gesamtsprachsystem Deutsch zu erheben. Während sich die Mikrokartierung (MIK, vgl. Palliwoda in diesem Band) der draw-a-maptask bedient, wird im Rahmen der MAK mit der Pilesort-Methode gearbeitet. Der Unterschied zur draw-a-map-task ist zum einen der Stimulus, der rein kognitiver Natur ist, zum anderen handelt es sich bei der Pilesort-Methode um ein Sortierverfahren, das auf festgelegten Items beruht, die somit Fixpunkte darstel-

|| Schröder, Saskia: Germanistisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, Tel.0431/8802310, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-003

48 | Saskia Schröder

len.1 Durch ihre Sortierung, die in der Regel nach empfundener Ähnlichkeit der Items untereinander vollzogen wird, lässt sich somit die wahrgenommene Konfiguration der Fixpunkte erheben. Bei der draw-a-map-task hingegen muss zunächst ermittelt werden, nach welchen Kriterien die GPn ihre Eintragungen vornehmen, d. h. wo ihre individuellen Fixpunkte auf der vorgelegten Karte liegen.2 Die Fragestellungen, die mithilfe der Pilesort-Methode untersucht werden können, sind vielfältig. Im Kieler DFG-Projekt soll in erster Linie geklärt werden, wie linguistische Laien das deutsche Sprachgebiet räumlich gliedern. Zweitens steht die „Erfassung der assoziierten […] Merkmale großräumiger Dialektkonzepte und die Ermittlung von ‚weißen Flecken‘ in den mentalen Landkarten“ (Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a: 298–299) im Mittelpunkt des Interesses. Im vorliegenden Beitrag soll anhand exemplarischer Analysen an verschiedenen Erhebungsorten geklärt werden, wie die GPn sich und ihre Sprechweise im großräumigen Kontext des deutschen Sprachgebiets verorten und identifizieren. Da die Herkunft der GPn einen signifikanten Einfluss auf die Verortung und Wahrnehmung von sprachlicher Varietät hat (vgl. u. a. Schröder i. Dr. und Stoeckle 2014), werden in den nachfolgenden Untersuchungen Erhebungsorte aus dem Norden einerseits und dem Süden des bundesdeutschen Gebiets andererseits berücksichtigt. Es hat sich außerdem bereits gezeigt, dass die PilesortMethode zu heterogenen Ergebnissen führt, wenn die GPn von unterschiedlichen sprachlichen Voraussetzungen ausgehen, wie z. B. die Befragten im Bundesgebiet und jene im schweizerischen und österreichischen Sprachraum (vgl. Schröder i. Dr.). Dies soll anhand zweier Erhebungsorte in der Schweiz belegt werden. Dazu wird zunächst die Anlage der MAK innerhalb des Interview-Leitfadens erläutert sowie erste Ergebnisse vorgestellt. In zweiter Instanz folgen die Darlegung der Datengrundlage und die Vorstellung der Auswertungsmethoden. Im dritten Abschnitt werden die Ergebnisse vorgestellt und diskutiert, um sie zum Schluss zu reflektieren und zusammenzufassend einzuordnen. Zu erwarten ist das Sichtbarwerden unterschiedlicher Identifikationskonzepte, die durch die Variable Herkunft gesteuert sind.

|| 1 Zu den verschiedenen Stimuli, die in der Wahrnehmungsdialektologie zur Erhebung von mental maps eingesetzt werden, vgl. Lameli, Purschke & Kehrein (2008); Schröder (i. Dr.) sowie Schröder (2015). 2 Konsequenterweise unterscheidet z. B. Anders (2010: 185–205) unter Rückgriff auf Lynch (2001) zwischen Karten- und Kartierungstypen, die sie zunächst bestimmt, um anschließend die hand-drawn-maps unter qualitativen Kriterien auszuwerten.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 49

2 Das Pilesorting als linguistisches Analyseinstrument im Kontext des Kieler DFGProjekts In der Wahrnehmungsdialektologie, die sich seit den Arbeiten Prestons (v. a. 1986) und spätestens mit der Dissertation von Anders (2010) auch in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft manifestiert hat, wird traditionell mit der draw-a-map-task gearbeitet, um laienlinguistische Konzepte abzurufen und fassbar zu machen. Dabei erhält die GP einen Kartenausschnitt mit einer vorher bestimmten Informationsdichte3 sowie die Aufgabe, ihr bekannte Sprechweisen einzuzeichnen (vgl. Palliwoda in diesem Band). Die Art und Dichte der dargebotenen Informationen bestimmen somit den Rückgriff der Befragten auf ihr sprachliches Wissen.4 Der Reiz hierfür verläuft in erster Linie über den visuellen Kanal, sodass die draw-a-map-task als visueller Stimulus beschrieben werden kann (vgl. Schröder 2015; Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b; Schröder i. Dr.). Auch das Verwenden von Sprechproben zur Erhebung salienter Merkmale findet häufig Verwendung (vgl. u. a. Palliwoda i. Dr.; Palliwoda & Schröder 2016; Purschke 2011). Der hier verwendete Reiz wird über den auditiven Kanal aufgenommen, die Stimulusart ist daher als auditiv zu charakterisieren. Verhältnismäßig jung ist die Verwendung eines kognitiven Stimulus, der im Pilesorting repräsentiert ist. Hierbei handelt es sich um ein Sortierverfahren, mit dessen Hilfe sich Ähnlichkeiten zwischen zuvor festgelegten Items aufdecken lassen. Das aus der Psychologie und Anthropologie stammende Verfahren gelangte in der Linguistik durch die Arbeit von Tamasi (2003) zu kognitiven Strukturen in der Sprachwahrnehmung US-amerikanischer Sprecher zu größerer Bekanntheit. Im deutschen Sprachgebiet haben Kennetz (2008) und Anders (2010) auf diese Methode zurückgegriffen, um die Sprachwahrnehmung entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze bzw. im obersächsischen Sprachraum zu erheben. Als Sortiermethode wurde das Pilesorting im DFG-Projekt eingesetzt, um die Konzeptualisierung des gesamten deutschen Sprachraums bei den GPn zu erheben. Grundlage hierfür bilden insgesamt 61 Städte aus Deutschland, Öster|| 3 Zum Verhältnis von Stimuluseffekten und Sprachraumkonzepten vgl. die gleichnamige Arbeit von Lameli, Purschke & Kehrein (2008). 4 Zur Strukturierung und zum Zugänglichkeitsgrad zu laienlinguistischem Wissen vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder (2015b).

50 | Saskia Schröder

reich, der Schweiz und Luxemburg, die im Rahmen einer Voruntersuchung erhoben wurden.5 Diese Voruntersuchung war als Online-Befragung angelegt, in der die Teilnehmenden zunächst alle Städte eintragen sollten, die ihnen beim Blick auf eine Blankokarte des deutschen Sprachraums einfielen. Die Nennungen wurden im zweiten Teil aufgegriffen und dienten dann dazu, Assoziationen abzufragen, welche die Teilnehmenden im Zusammenhang mit den von ihnen genannten Städten verbanden. In der Auswertung wurden schließlich alle eingetragenen Städte nach Häufigkeit ihrer Nennung ausgezählt. Die 61 meistgenannten wurden in der Hauptbefragung als Items für das Sortieren durch die GPn verwendet. Abbildung 1 zeigt die räumliche Verteilung der Pilesort-Städte:

|| 5 Dass in dieser Aufzählung die deutschsprachigen Gemeinden in Belgien und Südtirol sowie Liechtenstein nicht auftauchen, liegt daran, dass aus diesen Ländern in der Voruntersuchung keine Städte genannt wurden, die im Ranking unter den ersten 61 lagen. Dahingegen wurde Genf als frankophone Stadt sehr häufig genannt und rangiert vor Städten wie Göttingen und Aachen. Die Gründe hierfür liegen in den Assoziationen der Probanden (v. a. Genf als Sitz wichtiger Institutionen), die sie zu der Stadt nennen (vgl. Schröder i. Dr.).

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 51

Abb. 1: Verteilung der 61 Pilesort-Städte.

Mit Ausnahme von Liechtenstein, Südtirol und Ostbelgien sind die Städte auf den deutschen Sprachraum recht gleichmäßig verteilt (vgl. Abbildung 1). Diese Städte werden, in alphabetischer Reihenfolge sortiert, den GPn in der Hauptbefragung auf kleinen Kärtchen präsentiert. Die formulierte Aufgabe lautet:

52 | Saskia Schröder

Bitte sortieren Sie die 61 Kärtchen hier in beliebig viele Stapel. In einem Stapel werden die Städte sortiert, wo ihrer Meinung nach gleich oder ähnlich gesprochen wird. Ein Stapel sollte möglichst aus mindestens zwei Städten bestehen. Gibt es Stapel, die Ihrer Meinung nach nur von einer Stadt repräsentiert werden, ergänzen Sie bitte diesen Ein-Stadt-Stapel um mindestens eine weitere Stadt, die nicht in den Kärtchen vorkommt. Die Städte, von denen Sie keine Vorstellung über die Sprechweise haben, dürfen aussortiert werden.6

Die GPn haben nun Zeit, die Städtekärtchen nach sprachlicher Ähnlichkeit zu sortieren. Das DFG-Projekt hat sich hier für einen einmaligen Sortiervorgang entschieden, um auf das Spontanwissen der GPn zugreifen zu können.7 Dazu Schnegg (2008: 27): Der einmalige Durchgang liefert für die untersuchte Domäne Strukturaussagen zu folgender Frage: Welche Domänenkomponenten bilden eine Gruppe, wobei alle Gruppen auf der gleichen Ebene stehen. Abstrakter ausgedrückt, die Nähe […] der Komponenten zueinander wird in einer Dimension erfasst.

Nachdem der Sortiervorgang nach Ansicht der GP abgeschlossen ist, erhält diese die Möglichkeit, nach eigenem Ermessen weitere Städte hinzuzufügen, um mit diesen neue Stapel zu bilden oder bereits vorhandene zu ergänzen. Anschließend kommuniziert die Exploratorin, dass nun jeder einzelne Stapel besprochen wird. Dabei ging es stets darum, wie die jeweilige ‚StapelSprechweise‘ beschrieben und benannt wird und welche Erfahrungen mit ihr gesammelt wurden. Im Idealfall äußerten die GPn aus eigener Initiative Assoziationen, sodass die Interviewerin unregelmäßig nachfragen musste. War dies jedoch nicht der Fall, wie z. B. häufiger bei Befragungen mit der AG 18, stand der

|| 6 Die Anweisung, ‚Ein-Stadt-Stapel‘ um mindestens eine weitere Stadt zu ergänzen, basierte ursprünglich auf der Erwartung, dass die Städtesortierungen in erster Linie dann erhoben und statistisch ausgewertet werden können, wenn die Städte auch sortiert und nicht einzeln verwendet werden. Allerdings stellte sich in der Praxis heraus, dass die Einzelverwendung der Pilesort-Orte aus Sicht der linguistischen Laien mitunter nicht zu umgehen ist, da so die Möglichkeit besteht, sprachlich herausragende und einzigartige Städte (wie z. B. Luxemburg) als solche zu kennzeichnen (vgl. Schröder i. Dr.). 7 Eine andere Möglichkeit besteht in dem sukzessiven Sortieren (vgl. Schnegg 2008: 27), bei dem der Proband in zwei oder mehr Sortiervorgängen seine Stapel immer weiter zusammenfasst. Das führt zwar insgesamt zu einem homogeneren Antwortschema – und damit zur Erleichterung der Auswertung – allerdings ist das Ergebnis dann nicht mehr als Spontanwissen klassifizierbar. 8 Speziell die GPn der Schülergruppe fühlten sich während des Interviews wie in einer Prüfungssituation. Als Grund hierfür gaben sie an, dass vermeintlich Fakten-Wissen abgefragt würde und sie den Erwartungen nicht gerecht werden könnten.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 53

Exploratorin im Interview-Leitfaden ein Fragenkomplex zur Verfügung, der wie folgt aufgebaut ist und für jeden einzelnen Stapel gilt: – Warum haben Sie diese Städte zusammensortiert? Was können Sie uns dazu erzählen? – Wie benennen Sie deren Sprechweise? – Woran erkennen Sie Sprecher, die aus dieser Stapelregion kommen? – Fallen Ihnen Personen ein, die typisch für diese Sprechweise sind? – Welche? – Wenn Sie an diese Person(en) denken: Welche sprachlichen Besonderheiten fallen Ihnen jetzt ein? – Vergleichen Sie bitte deren Sprechweise mit der Ihrigen. Wo gibt es Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten? Dieser Fragenblock konnte auf alle Stapel angewendet werden, wobei jedoch die Exploratorin von Fall zu Fall entschied, ob alle Fragen zum Einsatz kommen. Wenn die GP bspw. äußerte, dass sie bestimmte Städte aus rein geographischen Kriterien zusammensortiert hatte, erwies sich das Stellen der oben aufgelisteten Fragen mitunter als kontraproduktiv, da die befragte Person dann schnell genervt reagierte und sich dieses Befinden auf das weitere Gespräch auswirkte. Die Fragen kamen daher nach Angemessenheit zum Einsatz. Nachdem alle Stapel besprochen wurden, folgten die letzten Fragen, die allerdings in jedem Fall eingesetzt und global für alle ‚Stapel-Sprechweisen‘ gestellt wurden: – Welcher Stapelregion fühlen Sie sich zugehörig? – Welche dieser Stapel-Sprechweisen sind Ihnen sympathisch/unsympathisch? – Warum? Die zu Stapeln sortierten Städtekärtchen wurden durch die Exploratorin nebenbei notiert und später in eine Datenbank eingetragen, mit der es möglich ist, sich die Sortierungen unter verschiedenen Filterkriterien ausgeben zu lassen. Eine erste umfängliche Auswertung hatte zum Ziel, die räumliche Konfiguration des deutschsprachigen Gebiets aus der Sicht linguistischer Laien aufzudecken (vgl. Schröder i. Dr.). Dabei ging es vordergründig um die Entwicklung einer geeigneten Methode, um die vorliegenden Punktdaten (= Häufigkeiten der Städtesortierungen) auf einer geographisch definierten Fläche (= das deutsche Sprachgebiet) zu projizieren. Hierfür wurde eine bereits in Ansätzen erprobte Methode weiterentwickelt (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b). Aus den Sortierdaten wird eine Kreuzmatrix generiert, aus der abgelesen werden kann, wie häufig jede Stadt mit jeder anderen im Set kombiniert wurde. Diese Häufig-

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keitsdaten werden mit einem Geoinformationssystem (GIS) verknüpft und aufgearbeitet, sodass die Städte bei häufiger Zusammensortierung aufeinander zurücken bzw. an ihrer ursprünglichen Position verbleiben, wenn sie aussortiert wurden.9 Die so generierten Karten lassen deutlich erkennen, wo linguistische Laien einen sprachlich zusammengehörigen Raum wahrnehmen. Erstmals in der Form durchgeführte Analysen mit dem Datenmaterial des Kieler DFG-Projekts konnten zeigen, dass mit steigendem Alter der GPn auch die Anzahl der konzeptualisierten Sprachräume steigt. Dabei ist der deutlichste Sprung zwischen der Schülergruppe und den beiden älteren AGn auszumachen. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass vor allem politische Grenzen wichtige Hilfmittel für die linguistischen Laien darstellen. Das gilt insbesondere für nicht-bundesdeutsche Sprecher, die alles jenseits der nationalen Grenze ihres Heimatlandes als potenziell ‚Standardsprache‘ im Sinne einer Varietät am oberen Spektrum der Vertikalen, die sich stark vom jeweilig eigenen Dialekt abgrenzt, kategorisieren (vgl. Schröder i. Dr.).

3 Die Verortung der eigenen Sprechweise im Kontext der Pilesort-Methode 3.1 Ziel und Anlage der Untersuchung Neben den Fragen, die zu jedem Stapel gestellt werden, sofern die GP nicht aus sich heraus berichtete, ist der gesamten MAK noch eine Frage nachgestellt, in der sich die Befragten der Stapelregion zuordnen sollen, die ihnen in sprachlicher Hinsicht nach eigenem Empfinden am ähnlichsten erscheinen. Im Wortlaut heißt es hier: – Welcher Stapelregion fühlen Sie sich zugehörig? Dabei steht vordergründig die Frage nach den sich ergebenden Konflikten bei der Beantwortung im Fokus des Interesses. Nachdem im Rahmen der MIK (vgl. Palliwoda in diesem Band) bereits auf sehr kleinräumigem Gebiet die perzipierte sprachliche Landschaft der Befragten erhoben wurde, ist in der Makrokartierung zu erwarten, dass die Zuordnung zu einer Stapel-Sprechweise mit Konflik-

|| 9 Eine ausführliche Erläuterung dieser Vorgehensweise findet sich in: Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b sowie in Schröder i. Dr.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 55

ten einhergeht, die sich vor allem im Bereich der Merkmalsbeschreibung und der Sprachraumdimensionierung und -benennung ausdrücken werden, da die GPn nun gezwungen sind, ihre eigene Sprechweise in einem großräumigen Gebiet einzusortieren. Eine nachträgliche Veränderung der Stapelsortierung ist nicht erlaubt, die GPn sind somit angehalten, potenzielle Probleme, die sich bei der eigenen Verortung ergeben, zu kommentieren. Der vorliegende Beitrag wird sich mit der Beantwortung folgender Fragen beschäftigen: (1) Wie konstituiert sich der ‚eigene Stapel‘ in räumlicher Hinsicht? (2) Wie wird der entsprechende Stapel benannt? (3) Vor welche Schwierigkeiten sehen sich die GPn bei der Einordnung gestellt und welche Rückschlüsse können daraufhin auf die Wahrnehmung des Varietätengefüges im deutschen Sprachraum gezogen werden? Die Beantwortung der Forschungsfragen macht eine qualitative und eine quantitative Datenauswertung nötig. In quantitativer Hinsicht erfolgt zunächst die Darstellung der ‚eigenen Stapel‘ mithilfe eines GIS. Sie dient zur Ermittlung der Stapelausdehnung im Raum. Auf qualitativer Ebene werden die StapelBezeichnungen der Befragten einbezogen und kategorisiert. Es hat sich bereits gezeigt, dass die Bewältigung der Pilesort-Aufgabe an nicht-bundesdeutsche GPn andere Anforderungen stellt als an binnendeutsche. Diese gestalten sich derart, dass Befragte aus den deutschsprachigen Nachbarländern bei der Stapelbildung in ihren Heimatländern andere Maßstäbe ansetzen, die sich an der jeweiligen sprachlichen Situation ihrer Region orientieren. Damit geht einher, dass GPn aus einer diglossischen Sprachlandschaft wie z. B. der Schweiz mit der Aufforderung, die Städte nach sprachlicher Ähnlichkeit zu sortieren, vor dem Problem stehen, dass für sie zunächst nicht klar ist, welche Ähnlichkeit gemeint ist – die der Standardnähe oder die der dialektalen? Hinzu kommt die verbreitete Einschätzung, dass die Sprechweise bei Überquerung der Staatsgrenze in die Bundesrepublik gemessen an der sprachlichen Landschaft des Heimatlandes als HOCHDEUTSCH (im Sinne von Standarddeutsch) eingeschätzt wird (vgl. Schröder i. Dr.). Daher wird eine Unterscheidung in drei Herkunftsgruppen vorgenommen, die sich in eine norddeutsche, eine süddeutsche und eine ausländische zusammenfassen lässt. Pro Gruppe werden zwei Erhebungsorte sowie alle drei Altersgruppen (AGn) berücksichtigt. Das gesamte Setting lässt sich somit wie folgt darstellen:

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Abb. 2: Erhebungsorte für die vorliegende Auswertung.

Tab. 1: Anzahl der GPn pro AG und Erhebungsort.

Ort

AG 1

AG 2

AG 3

Gesamt

Hamburg

3

1

1

5

Barth

1

2

3

6

Eppingen

1

2

2

5

Coburg

1

2

3

6

Luzern

1

2

3

6

Zürich

1

3

2

6

Gesamt

8

12

14

34

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 57

Für die Auswertung stehen somit 34 Datensätze zur Verfügung, die sich auf drei AGn und sechs Erhebungsorte verteilen. Die Auswertung erfolgt in erster Linie nach der Variable Herkunft und zweitens nach der Variable Alter. Auf quantitativem Wege wird mit Hilfe eines GIS die räumliche Ausdehnung des Stapels ermittelt, der als am nächsten zur eigenen Sprechweise eingeschätzt wird (vgl. Abschnitt 3.2). Gleichzeitig werden die Benennungen dieser Stapel anhand der aufgenommenen Interviews ermittelt und kategorisiert, sodass es möglich sein wird, durch die kartographische Abbildung einerseits und die qualitativen Daten andererseits die Charakterisierung der eigenen Sprechweise mit Hilfe der Pilesort-Methode sichtbar zu machen.

3.2 Ergebnisse: Die räumliche Ausdehnung des ‚eigenen‘ Stapels In der MAK stellt die Einordnung der eigenen Sprechweise gewissermaßen ein Ergebnis ‚zweiten Grades‘ dar, denn die Sortierung der Städte erfolgt in allererster Linie nach dem Kriterium der sprachlichen Ähnlichkeit (vgl. Abschnitt 3.1). Erst anschließend ist die GP aufgefordert, sich sprachlich innerhalb der ‚StapelLandschaft‘ zu verorten. Somit ist auch das Hinzufügen weiterer Städte, wie es den GPn zu Beginn des Pilesortings angeboten wurde, abgeschlossen, sodass die nachfolgenden Ergebnisse hauptsächlich mit den 61 Pilesort-Städten (vgl. Abbildung 1) auskommen, nur in wenigen Ausnahmen haben die Befragten von vornherein Städte hinzugefügt. Die Darstellung des eigenen Stapels erfolgt in einem ersten Schritt durch die Erstellung von Polygonen auf Grundlage der Pilesort-Städte, die miteinander verbunden wurden.10 Jede berücksichtigte GP erhält ihr ‚eigenes‘ Polygon. Von diesem Polygon wird mit Hilfe des GIS der Schwerpunkt berechnet. Dieser bildet nun die gemittelte Lage aller Städte, zu denen sich die GP sprachlich zurechnet. Die Darstellung erfolgt weiterhin farblich kodiert: rot steht für die ältesten GPn (AG 3), blau für diejenigen mittleren Alters (AG 2) und gelb für die Schülergruppe (AG 1). Die Ergebnisse werden nachfolgend pro Erhebungsort beschrieben, im Norden beginnend. Die Barther GPn verorten sich im Rahmen der MAK wie folgt (vgl. Abbildung 3).

|| 10 Anders als in vorherigen Studien (vgl. Schröder i. Dr. sowie Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b) ist die Erstellung von anamorphen Karten, in denen die Städte auf Grundlage der Verwendungshäufigkeiten zusammenrücken, nicht möglich, da die untersuchten Gruppen zu klein sind, als dass mit Häufigkeitswerten gearbeitet werden kann.

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Abb. 3: Ergebnisse der GPn aus Barth.

Auffällig sind einerseits die weitläufige Streuung der AG 3-Verortungen und andererseits die weit in den Süden abfallende Einordnung einer GP aus der AG 2. Letzteres lässt sich jedoch schnell erklären, wenn die verwendeten PilesortStädte hinzugezogen werden. Die nachfolgende Tabelle enthält ebenfalls die Stapel-Bezeichnungen der einzelnen AGn, auf die im anschließenden Kapitel noch eingegangen werden soll (vgl. Tabelle 2).11 || 11 Die Zahlen in Klammern bedeuten entweder die Anzahl der Nennungen oder die Anzahl der GPn.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 59

Tab. 2: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Barth.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Barth

3 (3)

Schwerin, Rostock, Greifswald, Hamburg, Kiel, Bremen, Flensburg, Lübeck, Hannover, Oldenburg

NORDDEUTSCH (2), GEMÄCHLICHES HOCHDEUTSCH

2 (2)

Greifswald, Rostock, Salzburg, Schwerin

SCHRIFTDEUTSCH, HOCHDEUTSCH NAHE NORDDEUTSCH

1 (1)

Frankfurt (Oder), Greifswald, Rostock, Schwerin

NORDDEUTSCH

In der AG 2 hat eine GP die österreichische Stadt Salzburg mit verortet und sich dabei höchst wahrscheinlich vertan.12 Womöglich hat sie die Stadt mit einer anderen, in Norddeutschland liegenden Stadt verwechselt.13 Von dem einen Ausreißer abgesehen, verteilen sich die Stapelverortungen eher horizontal im norddeutschen Raum, wobei sich die GP der AG 1 tendenziell in Richtung Süden verortet als die anderen vier GPn. Eine GP der AG 3 sieht ihre eigene Sprechweise eher noch in Richtung Hamburg verortet, also eindeutig westwärts. Interessant ist an diesem Befund auch, dass keiner der sechs GPn den Erhebungsort zu den Städten des Pilesortings hinzugefügt hat. Die Aufforderung zur Ergänzung des Settings erfolgt direkt, nachdem die GP den Sortiervorgang abgeschlossen hat. Anders stellt sich das Ergebnis für die Hamburger GPn dar (vgl. Abbildung 4). Abweichend von den anderen Erhebungsorten liegt hier ein Datenset vor, das aus drei Schülern und jeweils nur einer GP aus der mittleren und der älteren AG besteht.

|| 12 Für eine solche Verwechslung ist beim Pilesorting kein Lösungsweg angelegt. Eine Voraussetzung lautet zwar, dass die einzelnen Items gekannt werden (vgl. Schnegg 2008: 25), doch das ist auch bei einer Städte-Verwechslung der Fall. 13 Die Exploratorinnen haben darauf geachtet, keinerlei Hinweise auf die geographische Lage der Städte zu geben. Selbst bei Nachfrage der GPn wurden diese darauf verwiesen, dass man nach dem Interview etwas dazu sagen könne. Als einzige Stadt erhielt Oldenburg einen Zusatz, der verdeutlichte, dass es sich um die Stadt in Niedersachsen und nicht um die in SchleswigHolstein handelte.

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Abb. 4: Ergebnisse der GPn aus Hamburg.

Auffällig ist auch hier wieder ein Ausreißer der AG 2, dessen eigener Stapel sogar noch südlich von Hannover verortet ist. Die Auflistung der verwendeten Städte zeigt, wie es zu diesem Befund kommt (vgl. Tabelle 3).

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 61

Tab. 3: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Hamburg.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Hamburg

3 (1)

Flensburg, Kiel, Rostock, Schwerin, Hamburg, Lübeck

NORDDEUTSCH

2 (1)

Saarbrücken, Osnabrück, Oldenburg, Mannheim, Lübeck, Kiel, Hamburg, Halle (Saale), Göttingen, Flensburg, Bremen, Braunschweig

NORDDEUTSCHE MUNDART/ PLATTDEUTSCH-HOCHDEUTSCH SPRACHE

1 (3)

Münster, Bremen, Göttingen, Hamburg, Rostock, Flensburg, Lübeck, Kiel, Schwerin, Hannover

NORDDEUTSCH (2), HOCHDEUTSCH, NORDISCHE SPRECHWEISE (in HH: HAMBURGERISCH)

Aus Tabelle 5 lässt sich entnehmen, dass die GP der AG 2 die meisten Städte in ihrem ‚eigenen‘ Stapel hat und darunter auch solche sind, die von Hamburg aus gesehen recht weit im Süden lokalisiert sind, wie z. B. Saarbrücken und Mannheim. Dieser Proband hat insgesamt sieben Stapel gebildet – neben diesem, von ihm als NORDDEUTSCHE MUNDART bzw. PLATTDEUTSCH-HOCHDEUTSCH SPRACHE bezeichneten, hat die GP noch jeweils einen großen Stapel im Osten, Westen und Süden des Bundesgebiets gebildet, einen weiteren, in dem sie die österreichischen, schweizerischen Städte und Luxemburg zusammenfasst, und sie hat zusätzlich noch Hannover und Münster als kleinen Stapel definiert. Durch diese weiträumige Sortierung ist es zu erklären, dass der ‚Nord‘-Stapel, den sie als den sprachlich ihr am nächsten stehenden klassifiziert, deutlich weiter ins Zentrum der Bundesrepublik rückt als beispielsweise der AG-3-Stapel. Eine GP der AG 1 zeigt eine ähnliche Tendenz, da sich in ihrem Stapel Göttingen und Münster befinden, die das Gewicht des gesamten Stapels in den Süden verlagern. Die Bezeichnungen offenbaren allerdings, sowohl über die AGn, als auch über beide Belegorte hinweg, gewisse Ähnlichkeiten. So scheinen die linguistischen Laien die konzeptualisierte Sprechweise, der sie sich zuordnen, entweder vertikal am HOCHDEUTSCHEN (im Sinne einer Standardsprache) abzugrenzen oder sie ordnen sie mit globalen Etikettierungen räumlich in den Norden ein (vgl. hierzu auch Kapitel 3.2). Die Ergebnisse für die beiden süddeutschen Belegorte Eppingen und Coburg weichen insofern voneinander ab, als vor allem in Coburg deutlich weniger Städte in den ‚eigenen‘ Stapeln vorhanden sind. So benötigen drei der insgesamt sechs Coburger GPn nur die beiden Städte Nürnberg und Würzburg, um einen Stapel zu bilden, den sie als sprachlich am nächsten zu ihrer eigenen

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Sprechweise klassifizieren. Entsprechend bildet sich diese Sprechweise genau zwischen diesen zwei Städten ab (vgl. Abbildung 5).14

Abb. 5: Ergebnisse der GPn aus Coburg.

Anhand der Abbildung lässt sich außerdem erkennen, dass eine GP der AG 3 ihre eigene Sprechweise mit der Münchens identifiziert hat (1-Stadt-Stapel), eine weitere derselben AG ist gleichzeitig die einzige Coburger GP, die mehr als zwei Städte in den Stapel sortiert hat, sodass sich allein für diese GP ein Polygon erstellen ließ, dessen Schwerpunkt inmitten des Bundeslandes Bayern

|| 14 Die Symbolgrößen auf dieser und den nächsten Abbildungen sind allein der Übersichtlichkeit halber erzeugt worden. Sie bilden keine Häufigkeiten oder Größenverhältnisse ab.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 63

liegt. Tabelle 4 listet alle verwendeten Städte sowie die jeweiligen Stapel-Bezeichnungen auf. Tab. 4: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Coburg.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Coburg

3 (3)

München, Augsburg, Nürnberg, Würzburg

FRÄNKISCH UND BOARISCH, GEMÄßIGTER OBERBAYERISCHER DIALEKT, FRÄNKISCH

2 (2)

Nürnberg, Würzburg

FRÄNKISCH (OBER- UND UNTERFRÄNKISCH), FRÄNKISCH

1 (1)

Nürnberg, Würzburg

FRÄNKISCH

Auch hier ist die Benennung des Stapels über alle AGn hinweg einheitlich: Die Stapel-Sprechweise, der sich die GPn zuordnen, wird genuin als FRÄNKISCH bezeichnet und mithin noch spezifiziert bzw. etwas allgemeiner als Teil eines BAYERISCHEN konzeptualisiert. Interessant ist vor allem die Distanz des Erhebungsortes Coburg von den ‚eigenen‘ Stapeln, was bedeutet, dass auch keine der Coburger GPn ihren Heimatort als zusätzlich nötige Stadt für das Pilesorting angegeben hat. Im Südwesten des Erhebungsgebiets stellen sich die Ergebnisse für Eppingen anders dar, und zwar in zweierlei Hinsicht (vgl. Abbildung 6).

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Abb. 6: Ergebnisse der GPn aus Eppingen.

Zum einen liegen die jeweilig verorteten ‚eigenen‘ Stapel mit einem Ausreißer aus der AG 3 zwar auf einem recht kleinen Gebiet. Zweitens hat hier erstmalig eine GP die Möglichkeit genutzt und eine zusätzliche Stadt – in diesem Fall die Heimatstadt Bretten – eingefügt. Weitere Auffälligkeiten liegen in der Bezeichnung der einzelnen Stapel (vgl. Tabelle 5).

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 65

Tab. 5: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Eppingen.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Eppingen

3 (2)

Basel, Freiburg, Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim

BADISCH-ALEMANNISCH, BADISCH/BADENSERISCH

2 (2)

Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim, Frankfurt (Main), Heilbronn, Bretten, Freiburg i. Br., Tübingen, Stuttgart, Würzburg, Ulm

BADISCH-MANNHEIMERISCH, SCHWÄBISCH

1 (1)

Mannheim, Karlsruhe, Freiburg i. Br., Heidelberg

HEIMISCH

Eine Besonderheit ist die Bezeichnung der jungen GP, die den Begriff HEIMISCH verwendet und somit erstmalig im analysierten Datenset eine emotionale Attribuierung einsetzt. Davon abgesehen zeigen die Bezeichnungen der anderen vier GPn gewisse Ähnlichkeiten zueinander auf. Auf inhaltlicher Ebene stimmen drei von ihnen überein, dass es sich um eine Sprechweise handelt, die wenigstens zu einem Teil mit BADISCH (abweichend: BADENSERISCH) zu tun hat. Eine GP der ältesten AG sieht dieses BADISCH offenbar als zusammengehörig mit der Sprechweise ALEMANNISCH, eine GP aus der AG 2 hingegen sieht hier eher einen Zusammenhang mit dem MANNHEIMERISCHEN. Beide Bezeichnungen spiegeln sich in der kartographischen Darstellung wider, in der ein roter Punkt in Richtung Freiburg rückt und einer der blauen Punkte nach Mannheim tendiert (vgl. Abbildung 6). Auch die Bezeichnung SCHWÄBISCH lässt sich anhand der Karte nachvollziehen: Der zweite blaue Punkt für die AG 2 bewegt sich in entgegengesetzter Richtung zum anderen und weist eindeutige Tendenzen nach Stuttgart und Ulm auf. Für Eppingen lässt sich somit eine größere Vielfalt an Zuordnungen einerseits und an Bezeichnungsmöglichkeiten andererseits ausmachen, als es für Coburg der Fall war. Beide süddeutsche Belegorte unterscheiden sich weiterhin von den norddeutschen in dem Sinne, dass die räumliche Dimensionierung der Stapel im Norden angesichts der höheren Anzahl an verwendeten Städten größer erscheint. Nachfolgend sind die Ergebnisse für Zürich dargestellt, die gemeinsam mit Luzern innerhalb der Variable Herkunft als ‚ausländische Kontrollgruppe‘ gelten kann.

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Abb. 7: Ergebnisse der GPn aus Zürich.

Die kartographische Darstellung zeigt, dass sich insbesondere die GPn der AG 2 sehr einig hinsichtlich der Verortung ihrer Sprechweise sind (vgl. Abbildung 7). Der Auflistung aller verwendeten Städte lässt sich entnehmen, dass alle Befragten dieser Gruppe jeweils dieselben drei Pilesort-Orte zur Bildung des Stapels verwendet haben, sodass der errechnete Schwerpunkt stets an derselben Stelle bleibt (vgl. Tabelle 6). Tab. 6: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Zürich.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Zürich

3 (2)

Basel, Bern, Zürich, Stuttgart, ALEMANNISCH, SCHWEIZERDEUTSCH Karlsruhe, Freiburg, Konstanz, Innsbruck

2 (3)

Basel, Bern, Zürich

SCHWEIZ MIT SPEZIFISCHEN DIALEKTEN, ZÜRCHER DIALEKT, ZÜRICHDEUTSCH

1 (2)

Zürich

ZÜRI DÜTSCH, ZÜRICHER DIALEKT

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 67

Die Ergebnisse für Zürich weisen aber vor allem eine Besonderheit auf: Die Verortung einer GP aus AG 3 rückt ins bundesdeutsche Gebiet, was bedeutet, dass diese GP einen Stapel gebildet hat, der mindestens eine Stadt aus der BRD zu ihrer sprachlichen Heimat mitzählt (vgl. Abbildung 7). Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass es sich dabei um Stuttgart und Freiburg gehandelt hat, was zusammen mit den anderen Schweizer Städten (die Ausnahme hier ist Genf) unter dem Begriff ALEMANNISCH zusammengefasst wird (vgl. Tabelle 6). Dies ist insofern erstaunlich, als sich alle anderen GPn sowohl aus Luzern als auch aus Zürich sprachlich in der Schweiz verorten. Die Bezeichnungen der anderen GPn beziehen sich allesamt auf das Staatsgebilde (in einem Fall mit dem Hinweis auf weitere Spezifizierungsmöglichkeiten) bzw. auf Kantone.15 Wie schon im Fall von Coburg lassen sich auch für Zürich – allerdings verstärkt – Hinweise auf saliente Merkmale der jeweilig konzeptualisierten Sprechweise ausmachen. Diese sind klar an dem Versuch ihrer Imitation bei der Bezeichnung des Stapels zu belegen. Eine solche Imitation lässt sich für die Luzerner GPn nicht nachweisen, allerdings herrscht auch hier über alle drei AGn hinweg große Einigkeit über die Sortierung der Städte (vgl. Abbildung 8).

|| 15 Es ist einerseits den Interviews zu entnehmen, dass hier nicht die jeweiligen Kantonshauptstädte gemeint sind, andererseits bestätigt sich dies auch in vorangegangenen Forschungsarbeiten, die herausstellen konnten, dass sich Dialektbeschreibungen linguistischer Laien in der Schweiz in erster Linie an den Kantonsgrenzen orientieren und entsprechend bezeichnet werden. Christen (2010: 271) dazu: „(1) Das Kategorienniveau, das am häufigsten für Schweizer Dialekte verwendet wird, ist jenes nach der politischen Verwaltungseinheit Kanton. (2) Die Kantonsbezeichnungen werden gleichermaßen für den Bezug auf Dialekte Dritter als auch für die Bezeichnung des eigenen Dialekts verwendet.“

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Abb. 8: Ergebnisse der GPn aus Luzern.

Erstaunlich ist allerdings auch der Befund einer GP der AG 3, der sich zu Genf hinzuzählt und die Sprechweise dieses, seines ‚eigenen‘ Stapels als FRANZÖSISCH bezeichnet (vgl. Tabelle 7). Im Interview äußert die GP, dass sie sieben Jahre in Neuchâtel und somit in der französischsprachigen Schweiz gewohnt hat. Darüber hinaus handelt es sich hier um eine Lehrkraft für das Fach Französisch, was die zunächst ungewöhnlich erscheinende Einordnung erklärt.

Die Verortung der eigenen Sprechweise im Makrobereich durch linguistische Laien | 69

Tab. 7: Verwendete Städte und Stapelbezeichnungen der GPn aus Luzern.

Ort

AG

Verwendete Städte

Bezeichnungen

Luzern

3 (3)

Genf, Basel, Bern, Zürich

FRANZÖSISCH, SCHWEIZERDEUTSCH, SCHWEIZER DIALEKT

2 (2)

Basel, Bern, Zürich, Laupen

SCHWEIZERDEUTSCH, BERNER DIALEKT

1 (1)

Basel, Bern, Zürich,

SCHWEIZERDEUTSCH

Außerdem handelt es sich bei einer der beiden GPn aus der AG 2 erneut um eine der wenigen, die mit Laupen eine weitere Stadt zum Sample der Pilesort-Städte hinzufügte. Davon abgesehen ist sowohl anhand der Abbildung 8 als auch an der Tabelle 19 ersichtlich, dass – mit Ausnahme von Genf – die anderen Schweizer Städte bei den meisten der GPn übereinstimmende Verwendung finden. Auch die Bezeichnungen weisen deutlichere Ähnlichkeiten auf als noch bei den GPn aus Zürich. Insgesamt betrachtet erscheint es jedoch überraschend, dass die Schweizer GPn ihren eigenen Sprachraum großräumig kartieren, obwohl sie ihn zuvor im biographischen Teil des Interviews als sehr vielfältig hinsichtlich seiner dialektalen Variation beschrieben haben. Erwartbar wäre gewesen, dass sie womöglich jede Stadt als einzelnen Stapel klassifizieren und ihn ggf. noch durch Nachbarstädte erweitern. Damit einher geht auch die Bezeichnung der StapelSprechweisen, die sich in der vorliegenden Analyse als eher allgemein herausstellten. Das nächste Kapitel wird daher zunächst die Qualität der StapelBezeichnungen in den Fokus nehmen, bevor in einer Gesamtzusammenschau die Ergebnisse reflektiert werden.

3.3 Die Bezeichnung des ‚eigenen‘ Stapels Aus den vorangegangenen Ausführungen ist deutlich geworden, dass die Bezeichnung der eigenen Sprechweise nach unterschiedlichen Prämissen erfolgt, die sich offenbar abhängig von der Herkunft gestalten. Ziel dieses Kapitels ist daher, die verschiedenen Benennungen induktiv zu kategorisieren, um so – nach der Analyse der räumlichen Ausdehnung (s. o.) – auch einen Einblick in die sprachliche Dimensionierung des eigenen Stapels zu erhalten. Bei einem ersten überblicksartigen Vergleich stellt sich heraus, dass diese Dimensionierung, also der durch die Bezeichnung hergestellte räumliche Bezug, vom regional Begrenzten bis in die großräumige Fläche reicht.

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Bezeichnungen wie unter (1) aufgeführt, beziehen sich jeweils auf einen Kanton in der Schweiz. (1) ZÜRICH DEUTSCH BERNER DIALEKT Diese auf ein politisch definiertes Gebiet bezogenen Benennungen lassen sich im vorliegenden Sample in erster Linie bei den schweizerischen GPn nachweisen. Eine Ausnahme bildet jedoch eine Hamburger GP, die innerhalb ihrer Benennung NORDISCHE SPRECHWEISE darauf hinweist, dass die Redensart in ihrer Heimatstadt als HAMBURGERISCH zu etikettieren sei. Ferner lassen sich mit den Beispielen unter (2) Belege für Sprachraumbezeichnungen finden, die sich auf eine größere Fläche beziehen, die ich zunächst als Landschaft bezeichnen will (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008). (2) BADISCH-ALEMANNISCH SCHWÄBISCH FRÄNKISCH UND BOARISCH Diese decken sich ausdrucksseitig teilweise mit Dialektbezeichnungen, wie sie in der traditionellen Dialektologie verwendet werden und tragen, wie im Fall von FRÄNKISCH UND BOARISCH, offenbar saliente Dialektmerkmale.16 Bezeichnungen dieser Art lassen sich vor allem für den süddeutschen Raum nachweisen. Ist mit den unter (2) aufgeführten Beispielen noch nicht klar, über welche räumliche Dimensionierung es sich bei den Konzepten handelt, wird dies mit den Belegen unter (3) sehr viel deutlicher, denn sie beziehen sich eindeutig auf staatliche Gebilde, vorliegend auf die Schweiz. (3) SCHWEIZERDEUTSCH SCHWEIZER DIALEKT SCHWEIZ (MIT SPEZIFISCHEN DIALEKTEN) Bezeichnungen dieser Art befinden sich ausschließlich im schweizerischen Sample, wobei SCHWEIZERDEUTSCH mit insgesamt vier Belegen am häufigsten genannt wird.

|| 16 Dass in der Bezeichnung der Sprechweisen dialektale Merkmale reproduziert werden, spricht für ihren prominenten Status, den sie offenbar in der laienlinguistischen Wahrnehmung einnehmen. Nach Hundt, Palliwoda & Schröder (2015b: 599) handelt es sich mit der „spezifischen Charakterisierung von Einzelmerkmalen“ um den höchsten Differenziertheitsgrad an Wissen, den die GP zu erreichen imstande ist.

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Diese Art der Bezeichnung ist unter den analysierten Daten neben der Kantonskategorie die zweite ihrer Art, die mit der Schweizer Staatsgrenze einen eindeutigen Bezugsrahmen aufweist. Weitaus uneindeutiger sind hingegen solche Bezeichnungen, die nur eine geographische Orientierungsgröße als geographischen Bezug beinhalten, wie die folgenden Beispiele illustrieren: (4) NORDDEUTSCH NORDISCHE SPRECHWEISE Die unter (4) gezeigten Belege stammen ausschließlich aus den beiden norddeutschen Erhebungsorten Barth und Hamburg. Im Gegensatz zu (3) sind sie zunächst nicht an politische Grenzen geknüpft, sondern referieren auf einen Raum, der individuell als ‚im Norden‘ befindlich konzeptualisiert wird (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008). Die bisher vorgestellten Bezeichnungen beziehen sich auf die Räumlichkeit einerseits und auf die Verortung innerhalb des horizontalen Varietätenspektrums im objektlinguistischen Sinne andererseits. Weiterhin lassen sich die Bezeichnungen bis hierher vom kleinräumigen Gebiet (vgl. die Belege unter (1)) bis hin zum großflächigen Areal (vgl. die Belege unter (4)) anordnen. Darüber hinaus finden sich aber auch Benennungen, die sich weder an räumlichen Parametern orientieren noch als Verortung im horizontalen Kontinuum gewertet werden können. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um eine Lokalisation auf der vertikalen Achse oder – im laienlinguistischen Ausdruck – um eine Einschätzung darüber, wie ‚richtig‘ im Sinne von standardnah die Sprechweise sei. Beispiele hierfür sind unter (5) aufgelistet. (5) HOCHDEUTSCH SCHRIFTDEUTSCH GEMÄCHLICHES HOCHDEUTSCH Der laienlinguistische Ausdruck HOCHDEUTSCH ist hier als die Etikettierung des obersten Bereichs im vertikalen Varietätenspektrum zu verstehen und bezeichnet somit eine Sprechweise, die als wohlklingend und korrekt erachtet wird (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014; Palliwoda & Schröder 2016 sowie Beuge 2015).17

|| 17 Beuge (2015) konnte in einer ersten Untersuchung zur Frage, was für linguistische Laien ‚gutes Deutsch‘ ist, feststellen, „dass konzeptionelle Schriftlichkeit auf das mündliche Medium übertragen wird, was sich im Korpus [56 Interviews aus dem Kieler Korpus, S. Sch.] nicht zuletzt in der häufigen Bezeichnung schriftdeutsch oder hochdeutsch [Hervorhebung i. Orig., S. Sch.] für ‚gutes Deutsch‘ manifestiert“ (Beuge 2015: 143).

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Bezeichnungen dieser Art entstammen abermals den beiden norddeutschen Erhebungsorten. Eine weitere anzusetzende Kategorie ist mit bisher lediglich einer Nennung zu belegen: (6) FRANZÖSISCH Es handelt sich hierbei um eine Luzerner GP, die Genf als Stadt mit der größten sprachlichen Ähnlichkeit zur eigenen Sprechweise charakterisiert hat. Die GP hat sieben Jahre in Neuchâtel (frankophone Schweiz) verbracht und bezeichnet daher das frankophone Genf als am nächsten an ihrer eigenen Sprechweise. Die bisher besprochenen Bezeichnungen betreffen allesamt die jeweilige Sprechweise und lassen sich somit als objektbezogen klassifizieren. Im analysierten Sample bilden Bezeichnungen dieser Oberkategorie mit insgesamt 36 Nennungen die absolute Mehrheit. Als davon abweichend kann die Bezeichnung eines Eppinger Schülers betrachtet werden, der die ‚eigene StapelSprechweise‘ wie folgt benennt: (7) HEIMISCH In dieser Bezeichnung steckt eine emotionale Komponente, die allerdings nicht weiter ausdifferenziert werden kann, da es sich hierbei um den einzigen Beleg seiner Art im untersuchten Korpus handelt. In Abgrenzung zu den oben besprochenen Benennungen lässt sich dieser jedoch als subjektbezogen beschreiben, da die GP durch diese Bezeichnung einen deutlichen Schwerpunkt auf den emotionalen Nahbereich legt. Zusammengenommen lassen sich anhand des untersuchten Samples zwei Oberkategorien mit drei Subkategorien ersten Grades und vier Subkategorien zweiten Grades ausmachen, mit denen sich Bezeichnungen der eigenen Sprechweise linguistischer Laien innerhalb des Pilesortings grundsätzlich beschreiben lassen. Die folgende Auflistung stellt den Zusammenhang der einzelnen Kategorien im Überblick dar. 1. Objektbezogen 1.1 Vertikalität betreffend (5) HOCHDEUTSCH NAHE NORDDEUTSCH PLATTDEUTSCHE-HOCHDEUTSCHE SPRACHE GEMÄCHLICHES HOCHDEUTSCH HOCHDEUTSCH SCHRIFTDEUTSCH

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1.2 Horizontalität betreffend (29) 1.2.1 Raumbezogen (8) NORDDEUTSCHE MUNDART NORDDEUTSCH (5) NORDDEUTSCH (mit Spezialfall Hamburg) NORDISCHE SPRECHWEISE (in HH: HAMBURGERISCH) 1.2.2 Politisch begrenzt (11) SCHWEIZERDEUTSCH (4) SCHWEIZ (mit spezifischen Dialekten) SCHWEIZERDIALEKT ZÜRCHER DIALEKT ZÜRICHER DEUTSCH ZÜRI DÜTSCH ZÜRICH DEUTSCH BERNER DIALEKT 1.2.3 Landschaftsbezogen (kulturell, historisch) (10) GEMÄßIGTER OBERBAYERISCHER DIALEKT BADISCH-ALEMANNISCH FRÄNKISCH UND BOARISCH FRÄNKISCH (OBER-UND UNTERFRÄNKISCH) FRÄNKISCH (3) ALEMANNISCH BADISCH/BADENSERISCH SCHWÄBISCH 1.3 Anderes (1) FRANZÖSISCH 2. Subjektbezogen (1) HEIMISCH Wie bereits in der Beschreibung der einzelnen Kategorien angedeutet, ist es auffällig, dass einige von ihnen ausschließlich Belege enthalten, die von einer einzigen Herkunftsgruppe aus dem Sample stammen. So ist beispielsweise Kategorie 1.1 sowie 1.2.1 allein durch die Belege der norddeutschen GPn zustande gekommen. Hingegen besteht Kategorie 1.2.3 aus Nennungen der GPn aus dem süddeutschen Raum und die grenzbezogenen Bezeichnungen (Kategorie 1.2.2) sind einzig den Schweizerischen GPn vorbehalten. Andersherum lässt sich also festhalten, dass die Bezeichnungen, sofern sie räumlich bezogen sind, höher dimensioniert sind, je nördlicher die befragte Herkunftsgruppe lokalisiert ist.

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Darüber hinaus scheint es ebenfalls im Norden ein größeres Bedürfnis bei der Abgrenzung von Sprechweisen gegenüber einer individuell konzeptualisierten Standardsprache zu geben. Die zunehmende räumliche Dimensionierung im Norden des untersuchten Gebiets lässt sich auch mit Befunden aus der MIK verbinden, die allein anhand der Größe der eingezeichneten Sprechweisen verdeutlichen, dass die norddeutschen GPn seltener in der Lage sind, kleinere, regional begrenzte Sprechweisen auszumachen als die meisten Befragten der süddeutschen Erhebungsorte. Als Beispiel soll nachfolgend eine hand-drawn-map dienen, die von einer Hamburger GP der AG 2 im Rahmen der MIK erstellt wurde.

Abb. 9: Ergebnis der Mikrokartierung einer GP aus Hamburg (AG 2).

Die GP nimmt zwar für den Raum Hamburg eine Sprechweise an, die sie – auch hier – zu einem HOCHDEUTSCH abgrenzt, darüber hinaus trifft sie jedoch keine weiteren Einteilungen, wohingegen sich dies bei den GPn aus der Schweiz erwartbar anders darstellt (vgl. Abbildung 10).

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Abb. 10: Ergebnis der Mikrokartierung einer GP aus Luzern (AG 2).

Der Luzerner kartiert hier in dem gegebenen Radius von 50 km zwar ebenfalls exhaustiv (vgl. Anders 2010; Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a), allerdings unterscheidet und benennt er verschiedene Sprachgebiete – ganz im Unterschied zur Hamburger GP. Für die Art der Bezeichnung des ‚eigenen‘ Stapels kann somit für dieses Sample festgehalten werden, dass sich diese zunächst in objektbezogene und subjektbezogene Benennungen unterscheiden lassen. Die Kategorie der objektbezogenen Attribuierungen kann wiederum in eine die Vertikalität betreffende und eine auf die Horizontalität bezogene Klasse unterschieden werden, wobei im untersuchten Sample die zweite Gruppe mit insgesamt 29 Nennungen die größte darstellt. Beziehen sich die Bezeichnungen der GPn auf das horizontale Varietätenspektrum, können diese anhand kulturell-historischer Landschaften oder an politischen Grenzen festgemacht werden. Diese Kategorien werden ausschließlich von süddeutschen und Schweizer GPn bedient. Die flächenmäßig größte Dimensionierungskategorie (raumbezogen) konstituiert sich hingegen exklusiv aus Bezeichnungen der Barther und Hamburger GPn. Auch jene

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Benennungen, die sich auf die Vertikale beziehen, entstammen diesen beiden Herkunftsgruppen. Die Art der Sprachraumbezeichnung innerhalb der MAK scheint also maßgeblich von der Herkunft abzuhängen und deckt sich als Teilergebnis dieses Beitrags somit mit der Beobachtung von Vorgängerstudien, die bereits feststellen konnten, dass auch die Stapelsortierung im Ganzen nach herkunftsbedingen Kriterien unterschiedlich ausfällt (vgl. u. a. Schröder i. Dr.).

4 Reflexion der Ergebnisse Die Ergebnisse der durchgeführten Analysen können auf inhaltlicher und auf methodischer Basis bewertet werden. Die Darstellung des ‚eigenen‘ Stapels mit Hilfe eines GIS hat zunächst gezeigt, dass sich die Verortung der eigenen Sprechweise in der MAK hinsichtlich der Herkunft der GPn unterscheidet. So differieren die Verortungen der norddeutschen GPn am stärksten, was sich anhand der großen Entfernungen zwischen den gemittelten Stapelsortierungen zeigt. Die Barther GPn variieren sowohl auf der Ost-West-Achse (AG 3) als auch auf der Nord-Süd-Achse (AG 2). Die Stapel der Hamburger GPn lassen sich hingegen fast gemeinsam auf einer gedachten Senkrechten durch Kiel, Hamburg und Hannover anordnen. Im süddeutschen Raum findet die Eigenverortung auf einem deutlich kleineren Raum statt, sowohl in Eppingen als auch in Coburg. Beide Erhebungsorte weisen allerdings Ausnahmen auf, die in beiden Fällen aus der AG 3 stammen. Im Eppinger Sample ordnet sich die betreffende GP einem Stapel zu, der Freiburg enthält. Dadurch verlagert sich der Schwerpunkt weiter in den Süden als bei den anderen GPn, die ihre Stapel kleinräumiger verorten. In Coburg ist das Ergebnis noch viel eindrücklicher, da mit Ausnahme von zwei GPn der AG 3 alle anderen Befragten sich einem Stapel zuordnen, der einzig aus den Städten Würzburg und Nürnberg besteht. Eine AG-3-GP setzt ihre Sprechweise mit München gleich und lediglich eine GP von insgesamt sechs Coburger GPn ordnet sich einem Stapel zu, der aus mehr als zwei Städten besteht. Ähnlich verhält es sich mit den Ergebnissen der beiden Schweizer Erhebungsorte. Am deutlichsten ist die Übereinstimmung von Eigenverortungen für die Luzerner GPn nachzuweisen. Hier ordnet sich eine GP der AG 2 zwischen Bern und dem eigens hinzugefügten Ort Laupen zu und ein anderer Befragter der AG 3 setzt seine eigene Sprechweise mit der Genfs gleich. Die Verortungen der übrigen GPn lassen sich gemeinsam in einem gedachten Dreieck mit den Eckpunkten Basel, Zürich und Bern anordnen. Zürich hingegen weist mit einer

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GP der AG 3 eine Besonderheit insofern auf, als diese sich in einem größeren Kontext verortet, Städte aus dem deutschen Bundesgebiet in ihren ‚eigenen Stapel‘ hineinnimmt und so dafür sorgt, dass sich der Schwerpunkt des ermittelten Polygons in die Bundesrepublik verlagert. Aus methodischer Sicht ist bei der Gesamtbetrachtung der Ergebnisse auffällig, dass nur wenige GPn die Chance genutzt und eigene Städte zum ursprünglichen Sample der Pilesort-Methode hinzugefügt haben – somit waren teilweise auch nicht die Heimat- oder Erhebungsorte vertreten, wie z. B. Barth, Eppingen und Coburg, und auch Luzern. Insbesondere für die Orte in der Schweiz ist das überraschend, da in den vorangegangenen Interviewteilen durchweg immer wieder die dialektale Vielfalt der Schweiz seitens der GPn verdeutlicht und in der MIK auch konsequent dokumentiert wurde. Dass die Frage der Exploratorinnen, ob der deutsche Sprachraum durch die vorhandene Anzahl an Städten gut vertreten sei oder individuell ergänzt werden müsse, mit einer Beibehaltung des Original-Samples beantwortet wird, spricht dafür, dass die GPn aus der Schweiz in der MAK sich offenbar selbst von der kleinräumigen Kartierung lösen und damit eine andere Sichtweise einnehmen, mit der sie die von ihnen wahrgenommene sprachliche Vielfalt der Schweiz von einer Position betrachten, die ‚von außen‘ auf den gesamten deutschen Sprachraum blickt und im Zuge dessen den deutschsprachigen Teil der Schweiz nicht mehr (nur) in seiner Kleinteiligkeit wahrnimmt, sondern die dialektale Landschaft unter einem Label zusammenfasst. Diese Interpretation lässt sich anhand der kategorisierten Sprachraumbezeichnungen belegen, denn Benennungen wie SCHWEIZERDEUTSCH, die am häufigsten belegte Bezeichnung der schweizerischen GPn, geben eine solche eingenommene Sicht ‚von außen‘ wieder. Mit dem Hinweis einer GP, dass es noch SPEZIFISCHE DIALEKTE in der Schweiz gäbe, liegt sogar ein wortwörtlicher Beleg für die oben formulierte Annahme vor. Die anderen Bezeichnungen, wie z. B. ZÜRICHDEUTSCH oder BERNER DIALEKT weisen wiederum das nach, was Christen (2010) bereits feststellt, nämlich dass Eigen- und Fremdkonzepte linguistischer Laien aus der Schweiz in erster Linie kantonal manifestiert sind. Im Fall der süddeutschen GPn aus Eppingen und Coburg zeigen einerseits die Bezeichnungen, andererseits aber auch die verwendeten Städte (v. a. Coburg), dass die Sicht auf den deutschen Sprachraum von der MIK zur MAK nicht vollständig wechselt, sondern lediglich etwas ‚herausgezoomt‘ wird. Bezeichnungen wie FRÄNKISCH und BADISCH/BADENSERISCH sind zwar keine Etikettierungen, die lokale Sprechweisen bezeichnen, aber immer noch als regional begrenzend angesehen werden können, ohne einen politischen Bezug zu haben, wie im Falle der Staats- und Kantonsgrenzen in der Schweiz. Die Benen-

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nungen der süddeutschen GPn lassen sich in ihrer Mehrheit der Kategorie landschaftsbezogen (kulturell, historisch) einordnen. Die GPn der norddeutschen Erhebungsorte Barth und Hamburg lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich der Stapel-Bezeichnung in zwei Gruppen einordnen: Diejenigen, die eine Bezeichnung mit großräumigen Bezug (z. B. NORDDEUTSCH) finden und jene, die den ‚eigenen‘ Stapel auf der linguistischen Vertikalen vom HOCHDEUTSCHEN abgrenzen. Gleichzeitig sind die norddeutschen GPn die einzigen im untersuchten Sample, aufgrund derer die Bezeichnungskategorie Vertikalität betreffend bestimmt werden konnte. Die Einordnung der Stapel in einen recht unklar begrenzten Bereich wird eingeschränkt durch Hamburger GPn, die in den Interviews darauf hinweisen, dass Hamburg ein SPEZIALFALL sei bzw. dort HAMBURGERISCH gesprochen werde. Das spiegelt im Kleinen wider, was die Umfrage Erkundung und Analyse aktueller Spracheinstellungen in Deutschland aus dem Jahre 2010 erhoben hat: Die Bezeichnung NORDDEUTSCH ist nur eine von vielen, die geäußert wird, wenn linguistische Laien das, was im Norden Deutschlands gesprochen wird, benennen sollen (vgl. Gärtig, Plewnia & Rothe 2010: 155). Auch Hannemann (in diesem Band) konnte eine ähnliche Bezeichnungsvielfalt im Rahmen der MAK nachweisen, wobei jedoch der Name NORDDEUTSCH dominiert. Nicht nur die Bezeichnungsvielfalt, sondern auch die daraus resultierende kategoriale Vielfalt zusammen mit der Sichtbarmachung der jeweiligen Verortung zeigen, dass die norddeutschen GPn ihren eigenen sprachlichen Hintergrund auf der Horizontalen am großräumigsten von allen hier untersuchten GPn verorten. Auf der anderen Seite scheint die vertikale Abgrenzung bzw. die Unterscheidung zwischen PLATTDEUTSCH und HOCHDEUTSCH ein besonders salientes Charakteristikum zu sein. Die induktive Kategorisierung der Sprachraumbezeichnungen kann freilich nicht dazu dienen, komplexe Sprachraumkonzepte zu dekodieren. Sie ist aber durchaus in der Lage, über die Qualität der Bezeichnungen Auskunft über die Wahrnehmung sprachräumlicher Strukturen zu geben. In dem Kontext sind vor allem auch solche Bezeichnungen interessant, die nicht in erster Linie auf die jeweiligen Sprechweisen gerichtet sind, sondern eine persönliche Komponente der GPn beinhalten. Im vorliegenden Korpus gibt es hierfür mit HEIMISCH (als kategorisiert) nur einen einzigen Beleg, der aber andeutet, dass die laienlinguistische Kartierung von Sprachräumen nicht allein geographischen und alltäglichen Wissensbeständen unterliegt, sondern auch unter emotionalen Prämissen erfolgen kann.

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5 Fazit Wer Räume analysiert, richtet das Augenmerk stets auf die Differenz, die gegenseitigen Verflechtungen und ihre Veränderungen. Dies gilt gleichermaßen für Makroräume wie Nationalstaaten als auch für die Mikroräume des Alltags. (Löw, Steets & Stoetzer 2008: 51).

Die hier zitierte Aussage aus der Raumsoziologie beinhaltet mit den Schlagworten Differenz und Verflechtungen zwei wesentliche Komponenten, die den Kern jeder Untersuchung laienlinguistischer Sprachräume bilden.18 Der vorliegende Beitrag richtete sein Augenmerk insbesondere auf die Differenz zwischen den unterschiedlichen Verortungen der eigenen Sprechweise im Rahmen des Pilesortings. Dabei stand die Frage der verwendeten Städte, die zur Konstitution des Stapels verwendet werden, im Vordergrund, wie auch die mithilfe des GIS gemittelte Position der Stapel und ihre Bezeichnungen. Diese wurden erstmalig im Kontext des Kieler DFG-Projekts induktiv kategorisiert. Es stellte sich abermals heraus, dass die Herkunft einen Einfluss auf die Wahrnehmung sprachlicher Räume hat (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008; Stoeckle 2014; Schröder i. Dr. sowie Hannemann; Palliwoda; Hundt und Hoffmeister in diesem Band). Der Effekt tritt im Falle der Schweizer GPn besonders stark hervor, indem sie im Kontext der großräumigen Kartierung ihr schweizerisches ‚Objektiv‘, das besonders sensibel für kleinräumige Sprachvariation ist, hin zu einer Sichtweise wechseln, mit der sie in der Lage sind, die dialektalen Mikroräume der Schweiz im Kontext des Makroraums deutsches Sprachgebiet einzuordnen. Dass die GPn aus Zürich und Luzern in der Lage sind, hinsichtlich ihrer sprachräumlichen Wahrnehmung zwischen zwei Positionen zu switchen, ist gleichzeitig ein Effekt, der dem verwendeten Stimulus zugeschrieben werden kann und vor allem der Intention, mit der er verwendet wurde.19 Für die bundesdeutschen GPn kann dies nicht in der Form festgestellt werden. Zwar lassen sich in Eppingen und Coburg Ausnahmen finden, die Mehrheit der süddeutschen GPn scheinen sich jedoch bei der Betrachtung des Sprachge-

|| 18 Die Veränderung hingegen lässt sich angesichts der verhältnismäßig jungen Wissenschaftsgeschichte (vgl. Preston 2010) erst in ein paar Jahrzehnten nachweisen. 19 Purschke (2011: 151) weist in diesem Zusammenhang auf die Unterscheidung zwischen Wissenseffekten und Stimuluseffekten hin, indem er sagt: „So muss je nach Methode deutlich zwischen Wissenseffekten [Hervorhebung im Original, S. Sch.] auf der einen Seite, also Effekten, die auf individuelle Perzeptions- und Konzeptualisierungsmuster verweisen, und Stimuluseffekten [Hervorhebung im Original, S. Sch.] auf der anderen Seite, also Effekten, die aus der Qualität der verwendeten Messinstrumente herrühren, unterschieden werden […].“

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biets und der Einordnung ihrer eigenen Sprechweise eher ‚hinaus zu zoomen‘, anstatt das ‚Objektiv‘ zu wechseln. Die norddeutschen GPn bringen neben der räumlichen Einordnung, die sich hier als am großräumigsten dimensioniert darstellt, noch eine weitere Möglichkeit der Verortung mit ein: die Abgrenzung innerhalb des vertikalen Varietätenspektrums. Nachfolgende Analysen sollten vor allem das Kategoriensystem auf seine Stabilität hin überprüfen und ggf. ausbauen. Insbesondere für den Bereich der subjektbezogenen Bezeichnungen wird es interessant sein, ob sich noch weitere Beispiele im Korpus finden lassen. Ihr Vorkommen spricht für die Verwendung kognitiver Stimuli, die offenbar nicht am ehesten „soziale und kulturelle Stereotype und räumliche Konstellationen [abfragt]“ (Purschke 2011: 126), sondern auch in der Lage ist, individuell-emotionale Konzeptualisierungen zu triggern. Darüber hinaus kann das Kategoriensystem auch daraufhin überprüft werden, ob eine systematische Berücksichtigung der hier nicht weiter analysierten Merkmalsimitationen innerhalb der Bezeichnungen sinnvoll erscheint.20 Als zusammenfassendes Ergebnis kann für die vorliegende Analyse jedoch festgehalten werden, dass die Verortung der eigenen Sprechweise im Kontext des Pilesortings einerseits zeigt, dass die Herkunft nicht nur die Verortung der Sprechweisen im Allgemeinen, sondern auch die Qualität der jeweiligen Bezeichnung beeinflusst. Anders gesagt: Je weiter die GP aus dem Norden kommt, desto globaler fällt die Bezeichnung aus, sofern sich die GP an der linguistischen Vertikalen orientiert. Je weiter die GP aus dem Süden des bundesdeutschen (!) Sprachgebiets kommt, desto kleinräumiger fällt die Etikettierung aus. Stammt die GP aus der Schweiz, erfolgt ein Wechsel der Sichtweise zugunsten einer Wahrnehmung, mit der es möglich ist, ein ‚gesamtdeutsches Gebiet‘ zu kartieren. Die gewählte Strategie bei der Bezeichnung der ‚eigenen‘ Stapel in der Schweiz bleibt hingegen: kantonal bzw. national.

|| 20 Purschke (2010: 152) zum linguistischen Wert von Dialektimitationen: „Die Analyse von Dialektimitationen könnte […] einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie die Bekanntheit bestimmter regionalsprachlicher Merkmale in der Wahrnehmung der Hörer und ihre Funktion für die Ausbildung kognitiver Prototypen von Dialekten in den Blick nimmt.“

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Das Ratespiel Möglichkeiten und Grenzen der Auswertung Abstract: Der Beitrag präsentiert quantitative Ergebnisse des Ratespiels, bei dem die Gewährspersonen (GPn) Sprechproben verorten und näher beschreiben sollten. Hierbei standen sowohl Fragen zur Elizitierung perzeptiver Merkmale als auch Fragen zum Gefallen und zur Korrektheit der gehörten Sprechproben im Fokus des Settings. Im Beitrag werden die beiden Variablen Gefallen und Korrektheit dahingehend überprüft, ob die sozialen Parameter Alter und Geschlecht eine Auswirkung auf diese ausüben. Zuvor wird jedoch getestet, ob es einen Zusammenhang zwischen der gemessenen Zeit (Reiz-Reaktions-Test) und der korrekten Zuordnung der Sprechproben gibt. Des Weiteren wird anhand von fünf Sprechproben demonstriert, inwieweit die zur Auswahl stehenden Orte, zu denen das gehörte Sprachbeispiel sortiert werden konnte, einen Einfluss auf die Zuordnung haben. Schlüsselwörter: Bewertung, Dialektologie, perceptual dialectology, Sprechproben, Wahrnehmungsdialektologie

1 Einleitung Die Bewertung von Sprechweisen und Dialekten ist kein neues Phänomen. Erste Beurteilungen bestimmter Sprechweisen und deren Sprecher lassen sich schon um 1300 finden (vgl. u. a. Jakob 2010). Eine systematische Auseinandersetzung mit der Bewertung von Sprechweisen und Sprechproben im deutschsprachigen Raum setzt jedoch erst in den 1970/80er Jahren im Zuge der pragmatischen Wende ein, wobei die subjektive Betrachtung der Sprache durch die Sprecher besonders ab Mitte der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung gewinnt (vgl. u. a. Hundt 2012; Palliwoda 2009). Im Zuge dessen etablierte sich besonders durch die Arbeiten der Perceptual Dialectology aus dem angloamerikanischen Raum die Wahrnehmungsdialektologie im deutschsprachigen Raum (vgl. u. a. Anders 2010; Anders, Hundt & Lasch 2010). Innerhalb dieser Forschungsrich-

|| Palliwoda, Nicole: Germanistik – Sprachwissenschaft, Universität Siegen, Hölderlinstraße 3, 57068 Siegen, Tel. 0271/7405144, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-004

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tung stehen die Sprecher selbst im Fokus der Untersuchung. Von besonderem Interesse ist hierbei die kognitive Verankerung von Dialekten bzw. Sprechweisen: Wahrnehmungsdialektologie ist als kognitive Verankerung einer regionalen Varietät beschreibbar, in der die Beschaffenheit der kognitiven Strukturen des subjektiven Alltagswissens und der Alltagskategorisierung im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. (Anders 2010: 53–54).

Zur Eruierung dieser Strukturen besteht mittlerweile ein umfangreiches und etabliertes Methodeninventar (vgl. u. a. Anders 2010; Anders, Hundt & Lasch 2010; Niedzielski & Preston 2003; Preston 1999; Stoeckle 2014), wie u. a. die Identifikation von Sprechproben und deren Beliebtheit (pleasantness) sowie Korrektheitseinschätzung (correctness, vgl. u. a. Niedzielski & Preston 2003: 45– 96; Preston 1999: xxxiv), die in diesem Beitrag eine wesentliche Rolle spielen. Ferner konnten unterschiedliche Studien zeigen, dass bestimmte Sprechweisen als präsent im Gedächtnis der GPn gelten und diese je nach Fragestellung polarisieren können.1 Außerdem kann ein und dieselbe Sprechprobe unterschiedliche Sprachraumkonzepte anstoßen (vgl. u. a. Hundt 2010, 2012; Kehrein 2012b; Kehrein, Lameli & Puschke 2010; Lameli 2012; Stoeckle 2014). Rezente Untersuchungen konnten zudem nachweisen, dass Sprechproben von GPn unterschiedlich wahrgenommen werden, obwohl sie einen ähnlichen Dialektalitätswert aufweisen. Hierbei werden bestimmte sprachliche Merkmale als unterschiedlich salient (auffällig) durch die Einschätzenden wahrgenommen (vgl. u. a. Anders, Palliwoda & Schröder 2014; Elmentaler, Gessinger & Wirrer 2010; Kehrein 2012a, 2012b; Kiesewalter 2014; Lenz 2010; Purschke 2011, 2014). Besonders in den letzten Jahren ist im Zusammenhang mit der Beliebtheit sowie der Zuordnung von Sprechproben zu bestimmten Regionen eine Debatte aufgekommen, die sich mit der Frage nach der Auffälligkeit sprachlicher Merkmale auseinandersetzt. Erste Ansätze finden sich bereits bei Schirmunski, wobei hier noch von einem Zusammenhang zwischen Auffälligkeit und Abbautendenzen sprachlicher Merkmale ausgegangen wird (vgl. u. a. Schirmunski 1928 sowie Jakob 1985; Lenz 2003). Dass diese Gleichsetzung jedoch nicht gerechtfertigt ist, kann Lenz herausarbeiten (vgl. Lenz 2003: 407). Die subjektive Komponente wird durch Trudgill durch den Begriff der salience erweitert. Hierbei werden besonders solche sprachlichen Merkmale innerhalb einer Sprachkontaktsituation verändert oder angepasst, derer sich die Personen am meisten bewusst sind (vgl. || 1 So zählen GPn das BAYERISCHE sowohl zu den beliebtesten als auch zu den unbeliebtesten Sprechweisen (vgl. u. a. Institut für Demoskopie Allensbach 2008).

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Trudgill 1986: 11). Somit scheint die sprachliche Auffälligkeit von Merkmalen mit der Bewertung dieser verbunden zu sein und ermöglicht zusätzlich, Sprachwandelphänomene zu erklären (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 52–53; Lenz 2010: 89–95). Des Weiteren können Herrgen & Schmidt herausstellen, dass Hörerurteile als eine unabhängige Größe betrachtet werden sollten, da die verschiedenen Bewertungen unterschiedlicher Sprechweisen „weder aus dem Systemkontrast noch aus der Phonetik der Merkmale noch aus der arealen Verbreitung der Merkmale erklärt werden“ (Herrgen & Schmidt 1985: 35) und Beurteilungen durch unterschiedliche Merkmale – je nachdem, welche für den Hörer als auffällig gelten – ausgelöst werden können. Lenz beschreibt in diesem Kontext Salienz als „die kognitive Auffälligkeit eines sprachlichen Merkmals“, das „dem Sprachbewusstsein leichter und schneller zugänglich […] [ist, N. P.] als nicht-saliente Varianten.“ (Lenz 2010: 94). Besonders durch die Arbeiten Purschkes liegt mittlerweile eine Theorie des Hörerurteils vor, die auf den Basiskategorien Salienz und Pertinenz aufbaut. Dabei wird unter Salienz die „kontextuelle Auffälligkeit sprachlicher Phänomene“ (Purschke 2011: 47) und unter Pertinenz die „subjektive Relevanz, die diesen Phänomenen individuell als Ergebnis kognitiver Bewertungsprozesse zugestanden wird“ (Purschke 2011: 47), verstanden. Hierbei gliedert sich das Hörerurteil in sechs binär aufgebaute Teilprozesse: 1. Kategorisierung der perzeptiven Distinktheit (auffällig/unauffällig), 2. Kategorisierung der interaktionalen Akzeptabilität (verständlich/unverständlich, vertraut/fremd), 3. Kategorisierung der situativen Signifikanz (signifikant/nicht signifikant), 4. Beurteilung der Pertinenz (relevant/irrelevant), 5. Stabilisierung/Modifikation der individuellen Kompetenz, 6. Handlungskontinuität/-änderung. (Purschke 2011: 85).

Demnach führt erst die Bewusstwerdung von bestimmten sprachlichen Merkmalen zu einer evaluativen Zuschreibung, wobei diese kontextbezogen ist. Somit sind sprachliche Merkmale nicht per se salient, sondern unterschiedliche Faktoren (z. B. die Situation, der Kontext, eigenes Normempfinden, Herkunft) können dazu beitragen. In jüngeren Untersuchungen konnte zudem festgestellt werden, dass bestimmte Merkmale überregional, andere nur regional auffällig sind (z. B. apikales /r/). Kiesewalter kann für solche Merkmale herausstellen, dass diese für „einheimische Hörer […] Bestandteile des alltagssprachlichen Normhorizonts“ sind, wohingegen „regionsfremde Testpersonen […] sie bereits als Normabweichungen“ (Kiesewalter 2014: 130) werten. Zudem werden „schwach saliente […] Formen […] mehr oder weniger für alle Situationen als angemessen beurteilt, die hoch salienten Formen weniger und in abgestufter Weise für die informellen, halbformellen und formellen Situationen als adäquat

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angesehen.“ (Elmentaler, Gessinger & Wirrer 2010: 130). Hierbei wird zudem deutlich, dass sich Salienz auch erst interaktional herstellen kann. Somit ist Salienz „nicht einfach vorhanden, sondern wird situativ, kontextabhängig und interaktiv hergestellt“ und verstanden „als dynamisch erzeugtes Konstrukt einer auf sprachliche Erscheinungsformen gerichteten kognitiven Aktivität“ (Gessinger & Butterworth 2015: 293). Dies entspricht dem Relevanzprinzip der durch Purschke beschriebenen Theorie des Hörerurteils als sozio-pragmatische Indexikalität, nach der bestimmte Handlungen/Einstellungen erst ausgelöst werden, wenn die entsprechenden sprachlichen Merkmale innerhalb einer Situation/Interaktion als relevant (pertinent) erachtet werden (vgl. Purschke 2014).2 Das breite Spektrum der Salienz kann innerhalb des DFG-Projekts jedoch nur auf der Ebene der perzeptiven Distinktheit analysiert werden (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014) und zwar mittels des modifizierten Ratespiels (vgl. Kap. 2 Methode und Setting). Bei ersten Analysen konnte festgestellt werden, dass die Beschreibung der sprachlichen Merkmale den GPn eher schwer fällt und sie in unterschiedlichem Grad Zugang zu ihrem eigenen sprachlichen Wissen haben. Zudem tauchen die wenigen sprachlichen Beschreibungen der GPn bei den unterschiedlichen Sprechproben teilweise wiederholend auf (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014; Hundt, Palliwoda & Schröder 2015a). Des Weiteren gibt es Sprechproben, die leicht und solche, die eher schwieriger zuzuordnen sind. Hierbei zeigen sich besonders das Züricher und Dresdner Sprachbeispiel als leicht zuordenbar. Dagegen zählen die hessisch-rheinfränkische und brandenburgische Probe zu den schwierigeren Sprechproben (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b). Durch eine erste quantitative Datenanalyse konnte festgestellt werden, dass die Variablen Gefallen und Korrektheit der Sprechproben korrelieren. Das heißt, Sprachbeispiele, die einen positiven Gefallenwert erhalten haben, werden zumeist auch als korrekt von den GPn eingeschätzt (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014). Zudem belegen die Analysen, dass bestimmte soziale Parameter eine Auswirkung auf die Zuordnung der Sprechproben haben. Dabei zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Altersgruppe (AG) und der Zuordnung des Sprachbeispiels zu einem Ort: Die älteren GPn können die Sprechproben besser verorten als die jüngeren. Dies könnte mit der Erfahrung und Reife der älteren GPn zusammenhängen. Des Weiteren hat auch das Geschlecht eine Auswirkung auf die Zuordnung: Männer konnten die Sprechproben eher richtig verorten als Frauen. Auch dieser Zu-

|| 2 Für eine ausführliche Darstellung der Salienz-Forschung vgl. vor allem Purschke 2011, 2014 sowie Anders, Palliwoda & Schröder 2014; Elmentaler, Gessinger & Wirrer 2010; Hettler 2014; Kiesewalter 2014; Lenz 2010.

Das Ratespiel | 87

sammenhang stellte sich als signifikant heraus. Aufgrund dieses Ergebnisses lässt sich die Behauptung, dass Frauen sprachaffiner seien als Männer, nicht bestätigen (jedenfalls nicht in dem getesteten Setting). Ebenfalls stellte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Herkunft der GPn und der Zuordnung der Sprechproben heraus. Dabei konnte die Hypothese bestätigt werden, dass GPn, die im Süden sozialisiert wurden, eher die Sprachbeispiele korrekt verorteten. Als Erklärung für dieses Ergebnis wird die Vermutung aufgestellt, dass regionale Sprechweisen im Süden des deutschsprachigen Gebiets in der alltäglichen Kommunikation eine größere Rolle als im Norden Deutschlands spielen (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b). Im Zuge der Auswertung stellte sich jedoch immer wieder die Frage, ob die Zuordnung der Sprechproben nicht auch aufgrund der zur Auswahl stehenden Städte getroffen wurde, also ob die GPn eventuell eher nach einem Ausschlussprinzip bei der Zuordnung vorgingen (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014 sowie Kap. 2 Methode und Setting). Nach der Vorstellung der Methode und des Settings der vorliegenden Analyse widmet sich der erste Teil des Beitrages genau dieser Frage und stellt anhand von fünf gewählten Sprechproben exemplarisch die Zuordnung beim ersten Versuch dar. Der zweite Abschnitt befasst sich dann mit der Beurteilung der Sprechproben (Gefallen und Korrektheit). Hierbei soll geklärt werden, ob die sozialen Parameter Alter und Geschlecht ebenfalls eine Auswirkung auf diese Variablen ausüben, wie dies bereits bei der Zuordnung der Sprechproben nachgewiesen werden konnte (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b).

2 Methode und Setting Mithilfe eines Offline-Ratespiels3 sollte zum einen eruiert werden, welche sprachlichen Merkmale perzipiert und als salient für regionale Sprechweisen angesehen werden (qualitative Daten).4 Zum anderen sollte mit diesem Ratespiel in Anlehnung an Preston (1999: xxiii-x) ermittelt werden, welche der ge-

|| 3 Die Grundlage für das Offline-Ratespiel bildet das Online-Ratespiel Hör mal, wo der spricht des Instituts für Deutsche Sprache (Mannheim) des Projekts Deutsch-heute. An dem OnlineRatespiel kann weiterhin unter folgendem Link teilgenommen werden: http://multimedia.idsmannheim.de/hoermal/web/ (03.05.2016). 4 Hierbei sollten die GPn versuchen zu begründen, warum sie die Sprechproben einem bestimmten Ort zugeordnet haben (vgl. https://www.degruyter.com/view/product/490254 (02.06.2017)).

88 | Nicole Palliwoda

nutzten Sprachbeispiele als sympathisch gelten (Gefallen) und welchen Abstand diese zum hypostasierten Standard aus der Sicht der GPn haben (Korrektheit). Die GPn hatten bei dem Spiel die Aufgabe, die gehörten neun Sprechproben so schnell wie möglich einem Ort, der zusammen mit anderen auf einer Karte des deutschsprachigen Raums präsentiert wurde, zuzuordnen (vgl. Tabelle 1: Sprechprobenauswahl und D-Werte).

Abb. 1: Screenshot des Ratespiels.

Zusätzlich wurde dabei die Zeit gemessen (Reiz-Reaktions-Test), die eine GP vom Start des Gehörten bis zur Zuordnung zu einem bestimmten Ort benötigte. Bei der Auswahl der neun Sprechproben wurden die Ergebnisse aus vorhergehenden Untersuchungen herangezogen, die herausstellen konnten, welche Sprachräume am präsentesten bei den linguistischen Laien sind (vgl. u. a.

Das Ratespiel | 89

Hundt 2010; Kehrein, Lameli & Purschke 2010). Zudem wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass die Sprachbeispiele aus den großräumigen Dialektregionen des Deutschen stammen (vgl. Tabelle 1). Tab. 1: Sprechprobenauswahl und D-Werte.

Dialektverband

Belegort

D-Wert5

Quelle

Brandenburgisch

Potsdam

0,5

REDE

Hochalemannisch

Zürich

1,1

Uni Zürich

Mittelbairisch

Traunstein

0,9

REDE

Mittelbairisch

Wien

0,9

Uni Wien

Nordniederdeutsch

Rendsburg

0,2

REDE

Obersächsisch

Dresden

0,8

REDE

Schwäbisch

Ulm

0,9

REDE

Zentralhessisch/Rheinfränkisch

Darmstadt

0,9

REDE

Standardsprachliches Kontrollsample (Standardvarietät)

Helmstedt

0,5

CAU Kiel

Hierbei stammen sechs der Sprachaufnahmen aus dem Projekt regionalsprache.de (REDE) und drei wurden selbst durch die Projekt-Exploratorinnen erhoben. Es handelt sich bei den neun Sprachbeispielen um standardnahe Sprechweisen,6 da vorhergehende Studien herausstellen konnten, dass wenige regionalsprachliche Merkmale bei linguistischen Laien ausreichen, um eine Zuordnung vorzunehmen und um Stereotype anzustoßen (vgl. u. a. Hundt 1992: 76; Kehrein, Lameli & Purschke 2010: 376). Die modifizierte Offline-Variante des Ratespiels bestand aus drei Runden, wobei in der ersten Runde zwei Sprechproben und drei Orte, in der zweiten Runde drei Sprachbeispiele und vier Orte und in der dritten Runde vier Sprechproben und fünf Orte zur Auswahl standen. Die Sprachbeispiele liefen dabei in randomisierter Reihenfolge ab. Hierbei bildet die Sprechprobe aus Helmstedt eine Ausnahme: Sie wurde bei allen GPn zu Beginn abgespielt und als Testrun-

|| 5 Die Messung des Dialektalitätswertes erfolgte durch Saskia Schröder und durch das REDEProjekt. Weitere Informationen zum Projekt REDE können unter folgendem Link eingesehen werden: http://www.regionalsprache.de (03.05.2016). 6 Dabei war die Aufgabe der neun männlichen Einsprecher, den Text Nordwind und Sonne so standardnah wie möglich vorzulesen.

90 | Nicole Palliwoda

de angekündigt. Damit sollte getestet werden, ob diese von den GPn als Standardvarietät (HOCHDEUTSCH) interpretiert wird. Wenn dies der Fall war, konnte dieses Hörbeispiel als Referenz genutzt werden, wenn die GPn andere Sprechweisen mit dem HOCHDEUTSCH-Konzept vergleichen sollten (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 55). Des Weiteren bildeten 65 Städte die Grundlage des Spiels, die in randomisierter Reihenfolge abliefen. 61 dieser Orte sind der Pilsorte-Methode des DFGProjekts entnommen (zur Pilesort-Methode vgl. Schröder und Hoffmeister in diesem Band). Die vier weiteren Städte wurden dem Spiel hinzugefügt, da diese nicht unter den 61 Orten auftauchten und es sich bei diesen vieren um die Heimatstädte der Einsprecher der Sprechproben handelt. Im Anschluss an die Zuordnung der gehörten Sprechprobe zu einem Ort wurden die GPn gefragt, warum sie diese Zuordnung vorgenommen hatten, was sie erkannt bzw. gehört hatten, wie ihnen das Gehörte auf einer Skala von minus drei bis plus drei gefallen hat und als wie korrekt – ebenfalls auf einer Skala von minus drei bis plus drei – sie das Sprachbeispiel einschätzen würden.7

3 Ergebnisse und Interpretation Im Folgenden werden nur die quantitativen Daten aus dem Setting des Ratespiels berücksichtigt. Hierbei soll zum einen hinsichtlich der Zuordnung der Frage nachgegangen werden, welche Orte ausgewählt wurden, wenn die Zuordnung beim ersten Zuordnen nicht korrekt war. Hierfür werden ausgewählte Sprechproben und deren Zuordnung näher betrachtet (vgl. Kap. 3.1). Zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechter- und Altersgruppen hinsichtlich der Gefallen- und Korrektheitswerte gibt (vgl. Kap. 3.2). Dabei werden im ersten Teil des Beitrags rein deskriptive Methoden angewandt, wohingegen im zweiten Teil mit interferenzstatistischen Tests geprüft wird.8 Die Grundlage der folgenden Analysen bilden die 139 GPn der insgesamt 26 Erhebungsorte (vgl. Einleitung dieses Bandes).

|| 7 Die genauen Fragen des Interviewausschnitts zu diesem Setting können online eingesehen werden (vgl. https://www.degruyter.com/view/product/490254 (02.06.2017)). 8 Die vorliegende Datenanalyse wurde mit der Statistik- und Analyse-Software SPSS 21 durchgeführt, mit der vorerst getestet wurde, ob bei den abhängigen Variablen eine Normalverteilung vorliegt. Dies wurde mittels des Kolmogorov-Smirnov-Tests (vgl. u. a. Bühl 2008: 119 sowie 337–338) und des Shapiro-Wilk-Tests (vgl. u. a. Bühl 2008: 240) getestet, wobei diese keine Normalverteilung feststellen konnten (vgl. Anhang: Tabelle 23). Aufgrund dessen werden

Das Ratespiel | 91

3.1 Die Zuordnung der Sprechproben und die Auswahl der Städte Die erste Aufgabe der GPn innerhalb des Ratespiels war stets, eine gehörte Sprechprobe auf der Karte des deutschsprachigen Gebiets einem der angezeigten Orte zuzuordnen. Dies sollte aufgrund der Zeitmessung so schnell wie möglich geschehen, was auch dementsprechend durch die Exploratorinnen verbalisiert wurde. Im Anschluss an die Zuordnung – egal, ob diese korrekt oder nicht korrekt war – sollten die GPn ihre Auswahl begründen und das Gehörte entsprechend der Variablen Gefallen und Korrektheit einschätzen. Tabelle 2 verdeutlicht, welche der Sprechproben von den GPn beim ersten Mal der korrekten Stadt zugewiesen wurde.9 Tab. 2: Zuordnung der Sprechproben (N = 139).

Sprechprobe

Korrekt

nicht korrekt

absolut %

absolut

Hochalemannisch (Zürich)

131 93,57

Obersächsisch (Dresden) Mittelbairisch (Wien)

9

Gesamt

% 6,43

140

112 80,85

27 19,42

139

104 74,82

35 25,18

139

Schwäbisch (Ulm)

87 62,59

52 37,41

139

Mittelbairisch (Traunstein)

85 61,15

54 38,85

139

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

83 59,71

56 40,29

139

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

82 59,42

56 40,58

138

Brandenburgisch (Potsdam)

68 48,92

71 51,08

139

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

53 38,13

86 61,87

139

|| nichtparametrische interferenzstatistische Verfahren angewendet (Korrelation nach Spearman, vgl. u. a. Bühl 2008: 348, Mann-Whitney-Test, vgl. u. a. Rasch et al. 2014: 94–104, KruskalWallis-Test, vgl. u. a. Rasch et al. 2014: 106–108), bei denen Unterschiede bzw. Zusammenhänge zwischen zwei oder mehreren Gruppen bzw. Variablen auf der Basis von Rangplätzen (nicht Mittelwerten) auf statistische Signifikanz getestet werden (vgl. u. a. Bühl 2008: 348; Bühner & Ziegler 2009: 382–382; Rasch et al. 2014: 111). Genauer hierzu vgl. u. a. Bühl 2008: 317; Bühner & Ziegler 2009: 268–269; Rasch et al. 2014: 94. 9 Jede Sprechprobe wurde von jeder GP einmal gehört (N = 139), nur bei der Sprechprobe Helmstedt und bei der Sprechprobe Hochalemannisch ist ein technischer Fehler aufgetreten: Eine Person hat die erstgenannte Sprechprobe keinmal und die zweitgenannte zweimal gehört.

92 | Nicole Palliwoda

Dabei gibt es Sprachbeispiele, bei denen den GPn die Zuordnung leichter und bei einigen schwerer fiel (vgl. hierzu auch Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b: 608). Als leicht zuordenbar erscheinen die Sprechproben aus Zürich, Dresden und Wien. Diese wurden von mehr als der Hälfte der GPn beim ersten Versuch dem korrekten Ort zugeordnet. Bei den Sprachbeispielen aus Potsdam und Darmstadt gestaltet sich die Zuordnung eher umgekehrt. Sie gehören zu den Sprechproben, deren Verortung schwerer fiel: Beim ersten Versuch konnten weniger als die Hälfte der GPn diese beiden Hörproben dem korrekten Ort zuweisen (vgl. Tabelle 2). Dies führt zum einen zu der Vermutung, dass besonders bei den Sprechproben, deren Zuordnung leicht fiel, sprachliche Merkmale vorhanden waren, die den GPn als besonders salient für die entsprechenden Regionen erschienen. [D]ie Sprachraumkonzepte ‚Bairisch/Süddeutsch‘, ‚Schweizerdeutsch‘, ‚Ostdeutsch‘ und ‚Norddeutsch‘ [scheinen, N. P.] anfälliger zu sein für die lokale Identifikation regional gefärbter Standardsprache als andere Sprachraumkonzepte. (Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 68).

Zum anderen könnte jedoch die Zuordnung der Sprechproben mit der Konzeption des Spiels und somit mit den zur Auswahl stehenden Städten zusammenhängen. Diese Städte könnten somit aufgrund des (Sprach-)Wissens der GPn oder aufgrund des Ausschlussverfahrens auf die Zuordnung des Gehörten eine Auswirkung gehabt haben (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 68). Daher soll im Folgenden auf die zur Auswahl stehenden Städte eingegangen werden. Hierfür werden einerseits die drei Sprechproben betrachtet, die von den meisten GPn beim ersten Versuch korrekt zugeordnet wurden. Andererseits werden die beiden Sprachbeispiele berücksichtigt, die von mehr als der Hälfte der GPn beim ersten Versuch nicht korrekt zugeordnet wurden (vgl. Tabelle 2). Bevor jedoch darauf eingegangen wird, soll der Frage nachgegangen werden, ob ein Zusammenhang zwischen der Schnelligkeit der Zuordnung der Sprechproben und der korrekten Verortung besteht. Tabelle 3 stellt die Anzahl der GPn dar, die die Sprachbeispiele entweder korrekt oder nicht korrekt zuordneten, und den Mittelwert der gemessenen Zeit in Millisekunden.10

|| 10 Mittels des Reiz-Reaktions-Tests sollte zusätzlich eruiert werden, bei welchem Wort oder Laut die GPn die gehörte Sprechprobe zugeordnet haben; da die Messung der Zeit aus technischen Gründen nicht exakt ablief, wird dies nicht weiter betrachtet.

Das Ratespiel | 93

Tab. 3: Zeitmessung & Zuordnung (N = 139).

Zeitmessung bis zur Zuordnung (Reiz-Reaktions-Test) N

Mittelwert in ms

absolut

%

korrekt

805

64,35

145,95

nicht korrekt

446

35,65

192,79

Mehr als die Hälfte der GPn (64,35 %, vgl. Tabelle 3) hat die gehörten Sprechproben korrekt zugeordnet. Zudem wurden die korrekt zugeordneten Sprachbeispiele im Mittel auch am schnellsten von diesen GPn zugeordnet (145,95 ms, vgl. Tabelle 3). Zwischen diesen beiden Variablen besteht eine geringe negative Korrelation, die jedoch signifikant ist (r = -0,252, p ≤ 0,001, α = 0,01).11 Das heißt, dass weniger Zeit bei der Zuordnung einer Sprechprobe benötigt wird, wenn diese korrekt zugeordnet wurde, wie Abbildung 2 verdeutlicht.

|| 11 Da keine Normalverteilung der Daten vorliegt, wurde die Korrelation mittels SPSS 21 nach Spearman durchgeführt: „Bei ordinalskalierten oder nichtnormalverteilten intervallskalierten Variablen wird anstelle des Pearson-Koeffizienten die Rangkorrelation nach Spearman berechnet. Bei dieser werden zunächst den einzelnen Werten Rangplätze zugeordnet, die dann in einer entsprechenden Formel weiterverarbeitet werden.“ (Bühl 2008: 348).

94 | Nicole Palliwoda

Abb. 2: Zeitmessung & Zuordnung (N = 139).

Es kann festgehalten werden, dass die korrekte Zuordnung in der Tendenz schneller vorgenommen wird als die inkorrekte Zuordnung. Die korrekte Verortung des Sprachbeispiels Zürich (grün), das von 131 GPn beim ersten Versuch korrekt verortet wurde, weist im Mittel auch die geringste Reaktionszeit auf, wobei die GPn mehr Zeit bei der Zuordnung benötigen, wenn diese nicht korrekt vorgenommen wurde. Ähnlich gestaltet es sich bei den Sprechproben Dresden (rot) und Wien (lila). Bezogen auf die beiden Sprachbeispiele aus Potsdam (dunkelblau) und Darmstadt (blau), die beim ersten Versuch von mehr als der Hälfte der GPn nicht korrekt zugeordnet wurden, wird ein anderes Bild deutlich: Wenn die Darmstädter Probe korrekt zugeordnet wurde, erfolgte dies zumeist in einer geringen Zeitspanne. Bei dem Sprachbeispiel aus Potsdam hingegen benötigten die GPn mehr Zeit, um diese korrekt zuzuordnen. Dies zeigt sich auch bei denjenigen, die diese Sprachbeispiele nicht korrekt zugeordnet haben (vgl. Abbildung 2). Besonders bei den Sprachproben Zürich, Dresden und Wien kann aufgrund der geringen Zeit bei der Verortung sowie der überwiegend korrekten Zuordnung davon ausgegangen werden, dass hier für die GPn saliente Merkmale aufgetreten sind, durch die der Zugriff auf das Konzept erleichtert wurde. So eindeutig zeigt sich dies nicht bei den letzten beiden Sprachbeispielen aus Potsdam und Darmstadt. Die lange Zuordnungsdauer bei

Das Ratespiel | 95

der Helmstedter Sprechprobe (vgl. grauer Balken, Abbildung 2) kann damit zusammenhängen, dass diese die erste Sprechprobe war und mittels dieser das Spiel erklärt wurde, was somit zu längeren Zeiten führte. Ausgeschlossen werden kann bei allen Sprechproben nicht, dass die zur Auswahl stehenden Städte die Zuordnung positiv bzw. negativ beeinflusst haben. Daher sollen diese Städte, die von den GPn bei einer inkorrekten Zuordnung gewählt wurden, näher betrachtet werden. Als erstes wird auf die Hörprobe Zürich eingegangen. Diese wurde von 131 GPn beim ersten Versuch der richtigen Stadt zugeordnet (vgl. Tabelle 2) und die korrekte Zuordnung erfolgte im Mittel in der kürzesten Zeit (vgl. Abbildung 2). Wenn das hochalemannische Sprachbeispiel nicht korrekt zugeordnet wurde, wurden jedoch nur Städte ausgewählt, die sich dem oberdeutschen Sprachraum zuordnen lassen (vgl. Tabelle 4). Tab. 4: Sprechprobe Hochalemannisch/Zürich – 1. Versuch (N = 139).

Dialektraum

Dialektgebiet12

ausgewählte Stadt

absolut

%

Oberdeutsch

Hochalemannisch

Zürich/korrekt

131

93,6

Oberdeutsch

Mittelbairisch

Passau

3

2,1

Gesamt

Wien

1

0,7

Nordbairisch

Regensburg

1

0,7

Schwäbisch

Tübingen

3

2,1

Stuttgart

1

0,7

140

100,0

Dabei fiel die Auswahl entweder auf alemannische bzw. schwäbische (Stuttgart, Tübingen) oder auf mittel- bzw. nordbairische Städte (Passau, Regensburg, Wien, vgl. Tabelle 4). Insgesamt hat aber nur eine geringe GPn-Anzahl (6,4%) das hochalemannische Sprachbeispiel beim ersten Versuch nicht korrekt verorten können. Bezogen auf das obersächsische Sprachbeispiel Dresden, das ebenfalls von den meisten GPn beim ersten Versuch korrekt zugeordnet wurde (80,6%, vgl. Tabelle 5), zeigen die Ergebnisse des ersten Versuchs ein anderes Bild als bei der hochalemannischen Sprechprobe (vgl. Tabelle 4 und Tabelle 5).

|| 12 Die Zuordnung der Städte zu den entsprechenden Dialektgebieten wurde mithilfe der Wiesinger Dialektkarte (1983) sowie dem SprachGIS von REDE (goo.gl/RjcPIy) vorgenommen.

96 | Nicole Palliwoda

Tab. 5: Sprechprobe Obersächsisch/Dresden – 1. Versuch (N = 139).

Dialektraum

Dialektgebiet

ausgewählte Stadt

Mitteldeutsch

Obersächsisch

Dresden/korrekt

112

80,6

Rostock

5

3,6

Schwerin

1

0,7

Nordniederdeutsch

Rendsburg

5

3,6

Ostfränkisch

Nürnberg

1

0,7

Ripuarisch

Köln

1

0,7

Thüringisch/Obersächsisch

Jena

2

1,4

Mittelbairisch

Traunstein

4

2,9

Wien

1

0,7

Nordbairisch

Regensburg

1

0,7

Süd-/Mittelbairisch

Graz

1

0,7

Hochalemannisch

Zürich

1

0,7

Schwäbisch

Tübingen

2

1,4

Ulm

2

1,4

139

100,0

Niederdeutsch Mecklenburgisch-Vorpommersch

Mitteldeutsch

Oberdeutsch

Gesamt

Anzahl Prozent

Die Sprechprobe Dresden wurde von insgesamt 27 Personen (ca. 20%, vgl. Tabelle 2) beim ersten Versuch nicht der korrekten Stadt zugeordnet. Im Gegensatz zur alemannischen Sprechprobe lassen sich bei der obersächsischen Sprechprobe Zuordnungen finden, die sich über den gesamten deutschen Sprachraum erstrecken. Dabei können zwölf Zuordnungen dem oberdeutschen, elf dem niederdeutschen und vier dem mitteldeutschen Raum zugerechnet werden. Bei diesem Hörbeispiel zeigt sich somit eine größere Unsicherheit in der Verortung, was sich ebenfalls in der Zeit widerspiegelt. Wenn die GPn das Sprachbeispiel inkorrekt zugeordnet hatten, benötigten sie im Mittel auch am zweitlängsten, dieses einem Ort zuzuweisen (vgl. Abbildung 2). Aus den unterschiedlichen Verortungen kann zudem vermutet werden, dass das Sprachbeispiel bei einigen GPn das Sprachraumkonzept OSTDEUTSCH aktiviert hat, welches eine konzeptuelle Nähe zu SÄCHSISCH aufweist (vgl. Kehrein 2012b: 256–259). Dies könnte die Zuordnung der Sprechprobe in den Raum Mecklenburg-Vorpommern erklären (vgl. Tabelle 5). Des Weiteren könnten die vorhandenen sprachlichen Merkmale der obersächsischen Sprechprobe bei anderen GPn das Konzept SCHWÄBISCH angestoßen haben, was sie zur Verortung der Hörprobe in den schwäbischen Raum leitete (vgl. Kehrein 2012b: 246–249). Um diese Vermutungen zu verifizieren, böten sich weitere Untersuchungen an, die die qualitativen Aussagen der

Das Ratespiel | 97

GPn analysieren, also die Begründung der Zuordnung. Insgesamt kann jedoch festgehalten werden, dass die Hörprobe aus Dresden von 80% der GPn korrekt verortet wurde. Die mittelbairische Sprechprobe aus Wien zeigt im Vergleich zur obersächsischen eine geringere Variation der Zuordnungen zu unterschiedlichen Städten (vgl. Tabelle 5), jedoch im Gegensatz zur hochalemannischen eine größere (vgl. Tabelle 4). Tab. 6: Sprechprobe Mittelbairisch/Wien – 1. Versuch (N = 139).

Dialektraum

Dialektgebiet

ausgewählte Stadt

Oberdeutsch

Mittelbairisch

Wien/korrekt

Niederdeutsch Mecklenburgisch-Vorpommersch Mitteldeutsch

Oberdeutsch

Gesamt

Anzahl Prozent 104

74,8

Rostock

1

0,7

Westfälisch

Osnabrück

1

0,7

Mosel-/Rheinfränkisch

Saarbrücken

1

0,7

Ostfränkisch

Nürnberg

1

0,7

Rheinfränkisch/Zentralhessisch

Wiesbaden

1

0,7

Mittelbairisch

Passau

5

3,6

Salzburg

4

2,9

6

4,3

11

7,9

Nordbairisch

Regensburg

Hochalemannisch

Zürich

Schwäbisch

Tübingen

4

2,9

139

100,0

35 der 139 GPn konnten beim ersten Versuch dieses Sprachbeispiel nicht der korrekten Stadt zuweisen. Es wird allerdings deutlich, dass sich die Verortungen, wenn diese nicht korrekt vorgenommen wurden, überwiegend im oberdeutschen Raum befinden. Von diesen 35 haben 15 GPn zwar nicht die Stadt Wien ausgewählt, jedoch eine andere Stadt im mittel- bzw. nordbairischen Raum (vgl. Tabelle 6). Somit scheinen für diese GPn die sprachlichen Merkmale staatsgrenzenübergreifend für den mittelbairischen Sprachraum zu gelten. Beim Vergleich der Begründungen der Zuordnungen der mittelbairischen Sprechproben Traunstein und Wien stellte sich heraus, „dass die linguistischen Laien einige Unterschiede auf der lautlichen Ebene heraushören konnten, doch dass bei der Beschreibung mittels außersprachlicher Kategorien auf überwiegend gleiche Beschreibungsvarianten zurückgegriffen wurde.“ (vgl. Palliwoda & Schröder 2017). Interessanterweise perzipieren 15 GPn mit der mittelbairi-

98 | Nicole Palliwoda

schen Sprechprobe Wien aber auch eine alemannische (vgl. Tabelle 6). Dies könnte vielleicht auch mit der Herkunft einiger GPn zusammenhängen, die in ihrem alltäglichen Umgang nicht viel mit oberdeutschen Varietäten konfrontiert werden. Dies könnte auch die ‚Fehlverortungen‘ in den nieder- und mitteldeutschen Raum erklären. Die folgenden zwei Sprachbeispiele sind nun jene, bei denen sich die Zuordnung für die GPn eher schwieriger gestaltete. Tab. 7: Sprechprobe Brandenburgisch/Potsdam – 1. Versuch (N = 139).

Dialektraum

Dialektgebiet

ausgewählte Stadt

Anzahl Prozent

Niederdeutsch

Brandenburgisch

Potsdam/korrekt

68

48,9

Mecklenburgisch-Vorpommersch

Greifswald

2

1,4

Rostock

1

0,7

Rendsburg

33

23,7

Kiel

2

1,4

Hamburg

1

0,7

Lübeck

1

0,7

Göttingen

1

0,7

Hannover

1

0,7

Helmstedt

1

0,7

Westfälisch

Osnabrück

7

5,0

Mosel-/Rheinfränkisch

Saarbrücken

1

0,7

Nordhessisch

Kassel

1

0,7

Obersächsisch/Thüringisch

Weimar

3

2,2

Jena

2

1,4

Rheinfränkisch/Zentralhessisch

Wiesbaden

2

1,4

Ripuarisch

Köln

2

1,4

Mittelbairisch

Passau

1

0,7

Salzburg

1

0,7

Nordbairisch

Regensburg

3

2,2

Mittelalemannisch

Konstanz

1

0,7

Schwäbisch

Tübingen

3

2,2

Stuttgart

1

0,7

139

100,0

Nordniederdeutsch

Ostfälisch

Mitteldeutsch

Oberdeutsch

Gesamt

Das Ratespiel | 99

Das Sprachbeispiel aus dem brandenburgischen Raum (Potsdam) wurde von 68 GPn, somit von 49%, beim ersten Versuch dem korrekten Ort zugewiesen (vgl. Tabelle 7). Demzufolge haben 71 GPn eine andere Stadt gewählt, deren Verortungen sich über den gesamten deutschen Sprachraum erstrecken. Auffällig ist jedoch, dass von den 71 GPn 50 das Gehörte mit dem niederdeutschen Raum verbinden und demnach auch einen Ort aus dieser Region gewählt haben. Wiederum 33 der 50 GPn wählten die Stadt Rendsburg im nordniederdeutschen Raum (vgl. Tabelle 7). Damit kann konstatiert werden, dass das Sprachbeispiel Potsdam von der Mehrheit als ein Sprachbeispiel aus dem niederdeutschen Raum wahrgenommen wurde. Jedoch verorten auch 21 von 139 GPn dieses in den mitteldeutschen und oberdeutschen Raum (vgl. Tabelle 7). Diese Ergebnisse führen zum einen zu der Vermutung, dass die Sprechprobe aufgrund des geringen D-Wertes (vgl. Tabelle 1) als eine Art HOCHDEUTSCH oder NORDDEUTSCH konzeptualisiert wurde, was die Werte zur Korrektheit des Sprachbeispiels bestätigen (vgl. Tabelle 9). Hierbei wird der norddeutsche Raum zumeist von linguistischen Laien als standardnah wahrgenommen (vgl. u. a. Kehrein, Lameli & Purschke 2010: 370; Palliwoda 2009: 68–69). Zum anderen kann die Vermutung aufgestellt werden, dass die GPn, die die Hörprobe in den mittel- bzw. oberdeutschen Raum sortiert haben, davon ausgingen, der Sprecher könnte ebenfalls aus der eigenen Region kommen, da sie der Auffassung sind, dort werde ebenfalls eine standardnahe Variante gesprochen bzw. sie selbst sprächen eine solche (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008: 83) und sind sich somit ihrer eigenen sprachlichen Merkmale nicht bewusst. Die letzte Sprechprobe, die diesbezüglich näher betrachtet werden soll, ist das Sprachbeispiel aus Darmstadt. Dieses konnte von den GPn am schwierigsten zugeordnet werden (vgl. Tabelle 2). Tab. 8: Sprechprobe Zentralhessisch/Darmstadt – 1. Versuch (N = 139).

Dialektraum

Dialektgebiet

ausgewählte Stadt

Anzahlt

Prozent

Mitteldeutsch Rheinfränkisch/Zentralhessisch

Darmstadt/korrekt

52

37,4

Niederdeutsch Nordniederdeutsch

Kiel

1

0,7

Greifswald

1

0,7

Rostock

1

0,7

Saarbrücken

1

0,7

Kassel

2

1,4

Nord-/Obersächsisch/Thüringisch Halle/Saale

2

1,4

Obersächsisch/Thüringisch

3

2,2

Mecklenburgisch-Vorpommersch Mitteldeutsch Mosel-/Rheinfränkisch Nordhessisch

Weimar

100 | Nicole Palliwoda

Dialektraum

Oberdeutsch

Dialektgebiet

ausgewählte Stadt

Anzahlt

Prozent

Ostfränkisch

Würzburg

1

0,7

Rheinfränkisch/Schwäbisch

Karlsruhe

3

2,2

Mittelbairisch

Traunstein

32

23,0

Passau

2

1,4

Linz

1

0,7

Nordbairisch

Regensburg

1

0,7

Hochalemannisch

Zürich

6

4,3

Mittelalemannisch

Konstanz

2

1,4

Schwäbisch

Ulm

23

16,5

Tübingen

3

2,2

Stuttgart

2

1,4

139

100,0

Gesamt

Insgesamt konnten nur 52 GPn (37,4%) das Sprachbeispiel dem korrekten Ort innerhalb des Ratespiels zuordnen. Das heißt, 87 GPn haben eine andere Stadt bzw. eine andere Region mit dieser Hörprobe perzipiert. Hierbei streuen die Verortungen über den gesamten deutschen Sprachraum, wobei der mitteldeutsche und oberdeutsche überwiegend präferiert wurde. Auf dieses Sprachgebiet fallen insgesamt 84 Zuordnungen. Interessanterweise verorten 32 GPn das mitteldeutsche Sprachbeispiel nach Traunstein und 23 nach Ulm und somit in den oberdeutschen Raum (vgl. Tabelle 8). Dies deutet darauf hin, dass die vorhandenen sprachlichen Merkmale von den GPn eher mit anderen Regionen als mit dem rheinfränkischen bzw. zentralhessischen Raum verbunden werden. Gleichzeitig wird ersichtlich, dass die Sprachprobe von den GPn eher nicht mit der niederdeutschen Region verbunden wurde.

3.2 Gefallen und Korrektheit der Sprechproben Hundt, Palliwoda & Schröder konnten nachweisen, dass sich Unterschiede in der korrekten Zuordnung zwischen den unterschiedlichen Alters- und Geschlechtergruppen finden lassen (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b: 608– 617), aufgrund dessen sollen im Folgenden die Variablen Gefallen und Korrektheit der gehörten Sprechproben diesbezüglich näher betrachtet werden. Ebenfalls konnten Anders, Palliwoda & Schröder eine Korrelation zwischen Gefallen und Korrektheit bei einer Stichprobengröße von 42 Personen herausstellen (vgl.

Das Ratespiel | 101

Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 60–61), was anhand des gesamten Datensamples erneut geprüft werden soll. Als ein erstes Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Sprechproben, die von den GPn zumeist beim ersten Versuch der korrekten Stadt zugeordnet wurden, nicht an erster Stelle der Gefallensbeurteilung bzw. der Einschätzung der sprachlichen Korrektheit auftauchen (vgl. Tabelle 2 und Tabelle 9). Tab. 9: Gefallen & Korrektheit der Sprechproben (N = 139).

Sprechprobe

Gefallen

Korrektheit

D-Wert



s



s

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

2,01

1,029

2,64

0,540

0,5

Brandenburgisch (Potsdam)

1,47

1,181

1,91

1,109

0,5

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

1,43

1,257

1,88

1,100

0,2

Mittelbairisch (Traunstein)

1,26

1,374

0,64

1,504

0,9

Mittelbairisch (Wien)

1,25

1,368

0,73

1,483

0,9

Hochalemannisch (Zürich)

1,18

1,332

0,54

1,528

1,1

Schwäbisch (Ulm)

0,84

1,456

0,53

1,524

0,9

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

0,54

1,466

0,49

1,501

0,9

Obersächsisch (Dresden)

0,32

1,686

0,41

1,663

0,8

Tatsächlich wurde die als Standardvarietät genutzte Sprechprobe mit Abstand am positivsten (= 2,01) bewertet und ebenfalls als korrekteste ( = 2,64, vgl. Tabelle 9) eingestuft.13 Die obersächsische Hörprobe, die von den GPn mit am häufigsten der korrekten Stadt zugewiesen wurde, schätzen die GPn am negativsten ( = 0,32) und inkorrektesten ein ( = 0,41, vgl. Tabelle 9). Insgesamt verhalten sich die Einschätzungen der Sprachbeispiele bezüglich der Variablen Gefallen und Korrektheit ähnlich. Nur die beiden mittelbairischen Sprechproben verhalten sich diametral zueinander: Die mittelbairische Hörprobe Traunstein wird positiver bewertet als die aus Wien und bei der Einschätzung der Korrektheit ist diese Reihung anders herum (vgl. Tabelle 9). Des Weiteren zeigt sich anhand der D-Werte, dass die objektsprachliche Messung nicht mit der subjektiven Einschätzung der Korrektheit der Sprechproben übereinstimmt.

|| 13 Die Verteilung der Werte auf die Skalen kann im Anhang eingesehen werden (vgl. Tabelle 21 sowie Tabelle 22).

102 | Nicole Palliwoda

Obwohl die Sprechprobe Zürich den höchsten D-Wert aufweist, wird sie nicht als inkorrekteste von den GPn eingestuft. Ähnliches zeigt sich bei der obersächsischen Sprechprobe, die einen geringeren D-Wert als die aus Traunstein, Wien, Zürich, Ulm und Darmstadt hat, jedoch als inkorrekteste empfunden wird (vgl. Tabelle 9). Angenommen werden kann aufgrund der ähnlichen Platzierung der Variablen Gefallen und Korrektheit, dass ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen besteht, wie dies schon bei den 42 GPn festgestellt wurde (vgl. Anders, Palliwoda & Schröder 2014: 60–61). Diese Korrelation kann mittels eines inferenzstatistischen Tests bestätigt werden. Zwischen den Variablen Gefallen und Korrektheit besteht eine positive Korrelation, die hochsignifikant ist (p ≤ 0,001, α = 0,01).14 Somit werden Sprechproben in der vorliegenden Untersuchung korrekter empfunden, wenn diese ebenfalls als positiv bewertet wurden.

3.2.1 Gefallen und Korrektheit bzgl. der Variable Geschlecht Die Variable Geschlecht als soziale Kategorie wird innerhalb der Dialektologie kontrovers diskutiert (vgl. u. a. Kehrein, Lameli & Purschke 2010), deswegen erscheint deren Betrachtung hinsichtlich der Einschätzung des Gefallens und der Korrektheit der gehörten Sprechproben als besonders interessant. Hierbei herrscht die Annahme vor, dass Frauen sprachaffiner seien als Männer. Diese Aussage konnte zu Teilen jedoch widerlegt werden (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b). Im vorliegenden Abschnitt soll erstens analysiert werden, ob sich Unterschiede in der Bewertung der Sprechproben und der Einschätzung der Korrektheit zwischen den weiblichen und den männlichen GPn finden lassen. Und zweitens, wenn es Unterschiede gibt, bei welchen Sprechproben sich Beurteilungsunterschiede feststellen lassen. Innerhalb des DFG-Projekts ist die Variable Geschlecht annähernd gleich verteilt (vgl. Tabelle 10).

|| 14 Aufgrund der nicht normalverteilten Daten wurde hier wieder die Korrelation nach Spearman durchgeführt (vgl. Bühl 2008: 348).

Das Ratespiel | 103

Tab. 10: Verteilung des Geschlechts.

Geschlecht

absolut

%

Weiblich

69

49,6

Männlich

70

50,4

Gesamt

139

100,0

Insgesamt gibt es nur eine männliche GP mehr als weibliche (vgl. Tabelle 10). Hundt, Palliwoda & Schröder konnten feststellen, dass die Männer beim ersten Versuch signifikant mehr Sprechproben korrekt zuordnen konnten als die Frauen (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b: 612). Aufgrund dessen liegt die Vermutung nahe, dass sich diese Gruppen ebenfalls in der Beurteilung der Sprechproben (Gefallen und Korrektheit) unterscheiden. Diese Vermutung kann nur zum Teil verifiziert werden: Zum einen gibt es bei der Bewertung der Sprechproben signifikante Unterschiede zwischen den männlichen und den weiblichen GPn (Gefallen, vgl. Tabelle 11). Zum anderen gibt es jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen bei der Variable Korrektheit (vgl. Tabelle 11). Tab. 11: Vergleich der Geschlechter bzgl. Gefallen & Korrektheit (α = 0,05).

Variable

Geschlecht

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

Gefallen

Weiblich

621

647,57

p = 0,032*

Männlich

630

604,74

Weiblich

621

636,05

Männlich

630

616,10

Korrektheit

p = 0,318

Der obere Teil der Tabelle 11 stellt den Vergleich zwischen den Geschlechtergruppen hinsichtlich der Variable Gefallen dar, wobei sich ein signifikanter Unterschied in der Bewertung der gehörten Sprechproben feststellen lässt (p = 0,032). Hierbei bewerten die weiblichen GPn insgesamt das Gehörte positiver als die männlichen GPn (Mittlerer Rang: 647,57 > 604,74, vgl. Tabelle 11). Der untere Teil der Tabelle 11 präsentiert den Vergleich hinsichtlich der Einschätzung der Korrektheit zwischen den Geschlechtergruppen. In diesem Fall können keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gefunden werden (p = 0,318). Ersichtlich ist jedoch, dass die weiblichen Probanden die Sprechproben tendenziell korrekter bewerten als die männlichen (Mittlerer

104 | Nicole Palliwoda

Rang: 636,05 > 616,10, vgl. Tabelle 11), wobei dieser Unterschied nicht signifikant ist. Somit sind die weiblichen GPn insgesamt den Sprechproben gegenüber aufgeschlossener, die männlichen hingegen etwas kritischer. Aufgrund der unterschiedlichen Sprachbeispiele soll in einem zweiten Schritt der Frage nachgegangen werden, bei welchen Sprechproben solche signifikanten Unterschiede in der Bewertung gefunden werden können. Die Ergebnisse des Tests sind in der Tabelle 12 zusammengeführt. Tab. 12: Vergleich des Geschlechts bzgl. Gefallen einzelner Sprechproben (α = 0,05).

Sprechprobe

Geschlecht

N

Mittlerer Rang Signifikanz (2-seitig)

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

Weiblich

68

76,35

Männlich

70

62,85

Brandenburgisch (Potsdam)

Weiblich

69

79,73

Männlich

70

60,41

p = 0,036* p = 0,003*

Signifikante Unterschiede in der Bewertung gibt es nur bei der standardsprachlichen Sprechprobe und bei dem Sprachbeispiel aus Potsdam (vgl. Tabelle 1215). Bei diesen beiden bewerten die weiblichen Personen das Gehörte positiver als die männlichen. Es könnte angenommen werden, dass die Frauen beide Sprechproben aufgrund des geringen D-Werts als HOCHDEUTSCH konzeptualisieren und diese deswegen positiver bewerten, da sie eventuell standardnähere Varianten bevorzugen. An dieser Stelle würden die Begründungen der Bewertungen und somit die qualitativen Daten Aufschluss geben. Zusammenfassend kann jedoch konstatiert werden, dass die Variable Geschlecht auf die Beurteilung (Gefallen und Korrektheit) der Sprechproben aus statistischer Sicht keinen größeren Einfluss ausübt (vgl. dazu auch Stoeckle 2014).

3.2.2 Gefallen und Korrekheit bzgl. der Variable Alter Im Gegensatz zur Variable Geschlecht lassen sich in der Forschung hinsichtlich der Variable Alter einheitliche Aussagen finden, dass diese eine entscheidende || 15 Da bei den anderen Sprechproben keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden konnten, wird auf diese nicht weiter eingegangen. Die Ergebnisse können jedoch in der Tabelle 25 eingesehen werden (vgl. Anhang Tabelle 25).

Das Ratespiel | 105

Rolle bei der Sprachwahrnehmung spielt (vgl. u. a. Kehrein, Lameli & Purschke 2010; Stoeckle 2014). Hierbei geht die Forschung davon aus, dass ältere GPn ein besseres Diskriminationsvermögen besitzen als jüngere GPn. Hundt, Palliwoda & Schröder (2015b) konnten nachweisen, dass es in der Zuordnung der Sprechproben signifikante Unterschiede zwischen den AGn gibt (vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b: 609–611). Aufgrund dessen soll im Folgenden darauf eingegangen werden, ob sich solche signifikanten Unterschiede ebenfalls bei der Bewertung (Gefallen) und bei der Einschätzung der Korrektheit der Sprechproben ausmachen lassen. Tabelle 13 stellt die Verteilung auf die einzelnen AGn dar. Tab. 13: Verteilung auf die einzelnen AGn.

Altersgruppe

absolut

%

AG 1

37

26,62

AG 2

52

37,41

AG 3

50

35,97

gesamt

139

100,00

Durch die Anordnung des Untersuchungssettings kommt es zu unterschiedlichen Verteilungen auf die AGn, da pro Ort im Idealfall ein Schüler, zwei Lehrer mittleren Alters und drei Lehrer gehobeneren Alters ausgewählt wurden. Dieser Idealfall konnte allerdings nicht immer geschaffen werden, sodass an einigen Erhebungsorten AGn mitunter unterrepräsentiert sind. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die Beurteilung der Sprechproben von der AG abhängt. Tab. 14: Vergleich der AGn bzgl. Gefallen & Korrektheit (α = 0,05).

Variable

AG

N

Signifikanz (2-seitig)

Gefallen

AG 1

333

p = 0,002*

AG 2

468

AG 3

450

AG 1

333

AG 2

468

AG 3

450

Korrektheit

p ≤ 0,001*

106 | Nicole Palliwoda

Sowohl bei der Bewertung der Sprechprobe (Gefallen, p = 0,002) als auch bei der Korrektheit gibt es signifikante Unterschiede zwischen den AGn (p ≤ 0,001, vgl. Tabelle 14). Zwischen welchen Gruppen diese Unterschiede genau liegen, verdeutlichen die folgenden Tabellen (vgl. Tabelle 15 u. Tabelle 16). Dabei ist zu vermuten, dass diese Unterschiede besonders zwischen der AG 1 und den anderen beiden AGn liegen. Tab. 15: Vergleich der AGn bzgl. Gefallen (α = 0,05).

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

AG 1

333

382,35

p = 0,048*

AG 2

468

414,27

AG 1

333

359,00

AG 3

450

416,42

AG 2

468

444,56

AG 3

450

475,03

p ≤ 0,001* p = 0,074

Tabelle 15 stellt den Vergleich zwischen den einzelnen AGn dar. Signifikante Unterschiede zwischen diesen Gruppen ergeben sich zwischen der AG 1 und der AG 2 (p = 0,048) sowie zwischen der AG 1 und der AG 3 (p ≤ 0,001, vgl. Tabelle 15). Damit kann die vorhergehende Vermutung bestätigt werden. Zwischen den GPn der beiden älteren Gruppen lassen sich keine signifikanten Unterschiede in der Bewertung feststellen (p = 0,074, vgl. Tabelle 15), somit bewerten die älteren GPn die Sprechproben ähnlich positiv. Aus den höheren Werten der mittleren Ränge der älteren Gruppen (AG 2 u. AG 3) kann abgelesen werden, dass diese die Sprachbeispiele signifikant positiver als die Schüler-Gruppe bewerten (414,27 > 382,35 u. 416,42 > 359,00, vgl. Tabelle 15). Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass die älteren GPn die gehörten Sprachbeispiele positiver als die jüngeren einschätzen, was eventuell mit deren Erfahrungswissen zusammenhängen könnte. Somit könnten die älteren GPn z. B. mehr positive Urlaubserlebnisse im deutschsprachigen Raum und mit deren Sprechern, längere Erfahrung mit medial inszenierten Dialekten, mehr Erfahrungen mit Dialektsprechern im privaten und/oder beruflichen Kontext etc. erfahren haben, was sich dann auf die Gefallen-Werte auswirkt. Etwas anders gestalten sich die Unterschiede bei der Einschätzung der Korrektheit der Hörproben (vgl. Tabelle 16).

Das Ratespiel | 107

Tab. 16: Vergleich der AGn bzgl. Korrektheit (α = 0,05).

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

AG 1

333

401,08

p = 0,993

AG 2

468

400,94

AG 1

333

351,02

AG 3

450

422,33

AG 2

468

417,00

AG 3

450

503,70

p ≤ 0,001* p ≤ 0,001*

Signifikante Unterschiede lassen sich hier zwischen der AG 1 und der AG 3 (p ≤ 0,001) sowie zwischen der AG 2 und der AG 3 finden (p ≤ 0,001, vgl. Tabelle 16). Hinsichtlich der Korrektheit schätzen die beiden jüngeren AGn (AG 1 u. AG 2) die gehörten Sprechproben als ähnlich korrekt ein, hier lassen sich keine signifikanten Unterschiede ausmachen (p = 0,993, vgl. Tabelle 16). Die älteste GPn-Gruppe (AG 3) empfindet im Vergleich zu den jüngeren Gruppen (AG 1 u. AG 2) die Sprachbeispiele signifikant korrekter (422,33 > 315,02 u. 503,70 > 417,00, vgl. Tabelle 16). Diese Unterschiede in der Korrektheitseinschätzung könnten mit dem unterschiedlichen Sprachwissen der GPn zusammenhängen. So konnten Kehrein, Lameli & Purschke feststellen, dass jüngere GPn eher standardnähere Sprechproben besser verorten können und ältere eher dialektnähere. Dies begründen die Autoren mit der unterschiedlichen kommunikativen Erfahrung der GPn. Während die älteren GPn mit dialektnäheren Sprechweisen aus dem eigenen Umfeld vertraut sind, kommen besonders die jüngeren mit Regiolekten und standardnäheren Sprechweisen aus den Medien in Kontakt (vgl. Kehrein, Lameli & Purschke 2010). Aufgrund dessen könnten vielleicht die standardnahen Sprechproben des Ratespiels von den älteren GPn als korrekter eingeschätzt worden sein, da sie aus der kommunikativen Erfahrung mehr als die jüngeren mit dialektnäheren konfrontiert werden. Die bessere Vertrautheit mit dialektalen Sprechweisen der älteren GPn könnte ebenfalls dazu führen, dass sie ein feineres Sensorium für Standardabweichungen bei Sprechproben haben. Zudem könnte ihr größeres Erfahrungswissen dazu führen, dass sie eine größere Toleranz bzgl. der Abweichungen entwickelt haben. So könnte geschlussfolgert werden: Je älter die GPn, umso sprachtoleranter werden sie, da die zunehmende Erfahrung mit der im deutschen Sprachraum vorfindlichen sprachlichen Variation dazu führt, dass sie einen größeren Toleranzbereich dafür entwickeln, was sie noch als „korrekt“ im Sinne von „das ist noch Standardsprache“ empfinden. Denn es ist ebenfalls anzunehmen, dass die älteren GPn ihr Wissen um Sprachvarietäten nicht nur (und vermutlich sogar immer

108 | Nicole Palliwoda

weniger) aus dem direkten Sprachkontakt erwerben, sondern auch aus den Medien. Im Folgenden werden die Sprechproben näher betrachtet, bei denen signifikante Unterschiede hinsichtlich der beiden Variablen Gefallen und Korrektheit zwischen den AGn bestehen. Hierbei zeigen sich nicht bei allen Sprechproben und bei beiden Variablen Unterschiede zwischen den Schülerund Lehrer-Gruppen. Signifikante Unterschiede hinsichtlich der Variable Korrektheit finden sich bei der hochalemannischen (p = 0,003), bei der mittelbairischen (p = 0,011), bei der obersächsischen (p = 0,008) und bei der schwäbischen Sprechprobe (p = 0,044, vgl. Tabelle 27). Nur bei dem Sprachbeispiel aus dem Obersächsischen können auch signifikante Unterschiede zwischen den AGn hinsichtlich der Bewertung (Gefallen) analysiert werden (p = 0,031, vgl. Tabelle 26). Somit kann festgehalten werden, dass die Variable Korrektheit größere Unterschiede zwischen den AGn hervorruft als die Variable Gefallen. Wie bei der Analyse zu allen Sprechproben zeigen sich bei der hochalemannischen Hörprobe Zürich signifikante Unterschiede zwischen der AG 1 und AG 2 (p = 0,003) sowie zwischen der AG 2 und AG 3 (p = 0,005, vgl. Tabelle 17). Tab. 17: Vergleich der AGn bzgl. Korrektheit/Hochalemannisch (α = 0,05).

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

AG 1

37

44,23

p = 0,808

AG 2

52

45,55

AG 1

37

35,27

AG 3

51

51,20

AG 2

52

43,92

AG 3

51

60,24

p = 0,003* p = 0,005*

Auch bei diesem Sprachbeispiel schätzt die älteste Gruppe das Gehörte signifikant korrekter ein als die beiden jüngeren Gruppen (51,20 > 35,27 u. 60,24 > 43,92, vgl. Tabelle 17). Ebenso verhält es sich bei der Sprechprobe aus Wien (mittelbairisch, vgl. Tabelle 18):

Das Ratespiel | 109

Tab. 18: Vergleich der AGn bzgl. Korrektheit/Mittelbairisch, W. (α = 0,05).

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

AG 1

37

42,24

p = 0,385

AG 2

52

46,96

AG 1

37

35,85

AG 3

50

50,03

AG 2

52

44,73

AG 3

50

58,54

p = 0,008* p = 0,016*

Die beiden jüngeren AGn schätzen die mittelbairische Sprechprobe aus Wien als ähnlich korrekt ein. Signifikante Unterschiede lassen sich zwischen der AG 1 und der AG 3 (p = 0,008) und der AG 2 und der AG 3 (p = 0,016, vgl. Tabelle 18) finden. Hier empfindet die älteste Gruppe dieses Sprachbeispiel korrekter als die beiden jüngeren (50,03 > 35, 85 u. 58,54 > 44,73, vgl. Tabelle 18). Auch das obersächsische Beispiel (Dresden) lässt keine anderen Ergebnisse bezüglich der Variable Korrektheit erkennen, wobei hier signifikante Unterschiede bei der Variable Gefallen gefunden werden können (vgl. Tabelle 19): Tab. 19: Vergleich der AGn bzgl. Gefallen & Korrektheit/Obersächsisch (α = 0,05).

Variable

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

Gefallen

AG 1

37

47,41

p = 0,452

AG 2

52

43,29

AG 1

37

39,45

AG 3

50

47,37

AG 2

52

43,93

AG 3

50

59,37

AG 1

37

46,46

AG 2

52

43,96

AG 1

37

37,24

AG 3

50

49,00

AG 2

52

43,03

AG 3

50

60,31

Korrektheit

p = 0,141 p = 0,007* p = 0,648 p = 0,029* p = 0,003*

Bei der Variable Gefallen bestehen die signifikanten Unterschiede zwischen der AG 2 und AG 3 (p = 0,007). Hierbei bewertet die älteste Gruppe das Gehörte

110 | Nicole Palliwoda

positiver als die mittlere AG (59,37 > 43, 93, vgl. Tabelle 19). Die AG 1 und AG 2 sowie die AG 1 und AG 3 empfinden tendenziell die obersächsische Hörprobe als ähnlich sympathisch (vgl. Tabelle 19). Bezüglich der Variable Korrektheit wiederholen sich die Ergebnisse im Vergleich zu den anderen Sprechproben: Die älteste GPn-Gruppe empfindet das Sprachbeispiel als signifikant positiver als die beiden jüngeren (49,00 > 37,24 u. 60,31 > 43,03, vgl. Tabelle 19). Dies bestätigt auch der Vergleich der AGn zur Korrektheitseinschätzung der schwäbischen Sprechprobe (vgl. Tabelle 20): Tab. 20: Vergleich der AGn bzgl. Korrektheit/Schwäbisch (α = 0,05).

AG

N

Mittlerer Rang

Signifikanz (2-seitig)

AG 1

37

44,76

p = 0,939

AG 2

52

45,17

AG 1

37

37,41

AG 3

50

48,88

AG 2

52

45,48

AG 3

50

57,76

p = 0,032* p = 0,033*

Signifikante Unterschiede lassen sich zwischen der AG 1 und der AG 3 (p = 0,032) sowie zwischen der AG 2 und der AG 3 finden (p = 0,033, vgl. Tabelle 20). Die älteste GPn-Gruppe bewertet die Sprechprobe aus Ulm signifikant korrekter als die beiden jüngeren AGn (57,76 > 45,48 u. 48,88 > 37,41, vgl. Tabelle 20). Ingesamt kann mit diesen Ergebnissen die Vermutung von Kehrein, Lameli & Purschke gestärkt werden (vgl. Kehrein, Lameli & Purschke 2010): Da die älteren GPn noch eher stärker ausgeprägte dialektale Sprechweisen (aufgrund von größererer Lebenserfahrung/größerer Vertrautheit mit dialektalen Sprechweisen) als die jüngeren kennen, ist zu vermuten, dass ihnen die regiolektalen Sprechweisen als standardnäher erscheinen, als dies bei den jüngeren GPn der Fall ist. Aufgrund des Wissens über Dialekte und sprachliche Variation durch die älteren GPn könnte dies jedoch ebenfalls dazu führen, dass sie sprachtoleranter als die jüngeren sind, wenn es um die Korrektheitseinschätzung geht. Somit erscheinen regiolektale Sprechweisen den älteren GPn dann korrekter als den jüngeren.

Das Ratespiel | 111

4

Fazit und Ausblick

Obwohl es sich bei den genutzten Sprechproben um Vorleseaussprache und somit um eine standardnähere Sprechweise handelt, können die GPn unterschiedliche Verortungen vornehmen. Somit reichen die vorhandenen sprachlichen Merkmale für die GPn aus, um Unterschiede feststellen zu können (vgl. u. a. Hundt 1992; Kehrein, Lameli & Purschke 2010). Es konnte gezeigt werden, dass die GPn tendenziell weniger Zeit bei der Zuordnung benötigten, wenn sie diese korrekt verortet hatten (vgl. Tabelle 3, Abbildung 2). Besonders präsente Sprachraumkonzepte können zumeist schnell und richtig verortet werden. Mehr Zeit benötigen die GPn bei weniger präsenten Konzepten bzw. bei denjenigen, die Unsicherheiten hervorrufen und für sie nicht eindeutig Sprachbeispielen zuzuordnen sind. Somit scheinen einige Sprechproben, in diesem Fall Zürich, Dresden und Wien, sprachliche Merkmale aufzuweisen, die bei den GPn als salient gelten und einen schnelleren Zugriff auf das entsprechende Konzept erlauben. Umgekehrt gibt es Sprechproben, die durch ihre sprachlichen Merkmale eher Verunsicherung hervorrufen und keine eindeutige Zuordnung zulassen, so bei den Sprachbeispielen Potsdam und Darmstadt (vgl. Kap. 3.1). Deutlich wurde zudem, dass die GPn auch bei einer inkorrekten Verortung ein ungefähres Bild von dem Gehörten hatten bzw. deren Verortung trotz dessen in das übergeordnete Dialektgebiet sortiert wurde (vgl. Tabelle 4, Tabelle 5, Tabelle 6, Tabelle 7 u. Tabelle 8). Die durch die GPn wahrgenommenen sprachlichen Merkmale lassen sich somit dem niederdeutschen, mitteldeutschen oder oberdeutschen Raum zuordnen. Teilweise werden durch die Zuordnungen der Sprechproben zu den inkorrekten Städten auch Sprachraumkonzeptüberschneidungen deutlich, die jedoch nur mit einer qualitativen Analyse abschließend geklärt werden können (vgl. Kap. 3.1). Zudem lässt sich kein Zusammenhang zwischen der korrekten Zuordnung einer Sprechprobe und dem Gefallen bzw. der Korrektheit finden (vgl. Tab. 2 u. 9). Die als Standardvarietät genutzte Sprechprobe wird im Durchschnitt am positivsten und am korrektesten bewertet, obwohl sich deren Zuordnung teilweise schwieriger gestaltet, wobei wiederum deutlich wurde, dass das Sprachbeispiel mit dem niederdeutschen Raum verbunden wurde. Somit wird ebenfalls die These gestützt, dass linguistische Laien eine standardnahe Variante eher im Norden Deutschlands verorten (vgl. Kehrein, Lameli & Purschke 2010). Diese Beurteilung kann natürlich mit der Situation selbst zusammenhängen, dass das Sprachbeispiel als Proberunde genutzt wurde und mit ihr das Spiel erklärt wurde und die GPn somit die Beurteilungen dieser Sprechprobe noch nicht als relevant erachtet haben. Dies lässt sich nur eindeutig mit den

112 | Nicole Palliwoda

Aussagen der GPn verifizieren. Auch lässt sich kein Zusammenhang zwischen dem objektsprachlich gemessenen Abstand zum Standard und der Einschätzung der Korrektheit der GPn ablesen. Sprechproben, die von den GPn positiver bewertet werden, werden auch korrekter eingeschätzt, unabhängig von der objektsprachlichen Messung des D-Wertes (vgl. Tab. 9, vgl. Kap. 3.2). Bezogen auf die sozialen Parameter kann zum einen herausgestellt werden, dass das Geschlecht eher einen geringen bis gar keinen Einfluss auf die Gefallens- und Korrektheitswerte ausübt. Ähnliche Ergebnisse konnten schon Kehrein, Lameli & Purschke (2010: 375) sowie Stoeckle (2014: 496) herausarbeiten. Dagegen übt das Alter, wie andere Untersuchungen ebenfalls herausstellen konnten (vgl. u. a. Kehrein, Lameli & Purschke 2010: 375; Stoeckle 2014: 496), einen größeren Einfluss auf die Beurteilung der Sprechproben aus. Die beiden älteren GPn-Gruppen bewerten die gehörten Sprachbeispiele insgesamt positiver und korrekter als die Schüler-Gruppe. Dies könnte sich darauf zurückführen lassen, dass die älteren GPn eher mit dialektnäheren Sprechweisen sozialisiert wurden und somit die standardnäheren als solche erkennen und sie somit korrekter und positiver bewerten. Bei der Betrachtung der einzelnen Sprechproben zeigt sich, dass signifikante Unterschiede zwischen den AGn zu finden sind, die von den GPn mehrheitlich beim ersten Versuch korrekt verortet wurden. Diese Unterschiede beziehen sich zumeist auf die Einschätzung der Korrektheit des entsprechenden Sprachbeispiels. Die ältesten GPn aus der vorliegenden Untersuchung schätzen das Gehörte signifikant korrekter ein als die anderen beiden AGn. Dieses Ergebnis stützt somit die Aussage von Kehrein, Lameli & Purschke 2010, dass ältere GPn aufgrund von länger andauernden Erfahrungen mit Sprachvariation und gegebenfalls auch aufgrund der eigenen Sprachsozialisation (die in einem Dialekt erfolgt sein kann, aber nicht muss) regiolektale Sprechweisen als noch näher am Standard empfinden als die jüngeren. Die älteren GPn schätzen standardnähere Sprechweisen als korrekter ein. Die Erfahrung der älteren GPn bzgl. sprachlicher Variation könnte zudem ebenfalls zu mehr Toleranz geführt haben und daher zur korrekteren Einschätzung der Sprechproben führen (vgl. Kap. 3.2.1). Hier werden außerdem die Grenzen einer quantitativen Analyse sichtbar: Zwar können signifikante Unterschiede herausgestellt werden, jedoch müssen die Interpretationen eher spekulativ bleiben. Zur abschließenden Klärung der angestellten Vermutungen ist eine Bearbeitung und Analyse der Begründungen der GPn über deren Zuordnung und Einschätzung unabdingbar. Diese Analysen können Aufschluss darüber geben, ob bestimmte Sprachraumkonzeptüberschneidungen vorliegen und welche perzipierten Merkmale und Assoziationen die Beurteilungen des Gehörten gesteuert haben. Ein weiterer Faktor, der in

Das Ratespiel | 113

vielen Untersuchungen eine wesentliche Rolle spielte (vgl. u. a. Hundt, Palliwoda & Schröder 2015b; Kehrein 2012; Kehrein, Lameli & Purschke 2010), ist die Herkunft der GPn, die ebenfalls Auswirkungen auf die Zuordnung und Bewertung der Sprechproben ausübt, die jedoch nicht im Fokus der vorliegenden Analyse stand (vgl. Hoffmeister in diesem Band).

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114 | Nicole Palliwoda

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Das Ratespiel | 115

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116 | Nicole Palliwoda

Anhang Tab. 21: Gefallen-Werte zu den Sprechproben (N = 139).

Variable Gefallen Sprechprobe

-3

-2

-1

0

1

2

3



s

Gesamt

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

0

1

1

12

20

52

52

2,01

1,029 138

Brandenburgisch (Potsdam)

0

3

5

20

33

52

26

1,47

1,181 139

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

0

3

11

18

21

63

23

1,43

1,257 139

Mittelbairisch (Traunstein)

1

4

12

24

21

54

23

1,26

1,374 139

Mittelbairisch (Wien) 1

3

13

22

31

42

27

1,25

1,368 139

Hochalemannisch (Zürich)

0

6

10

23

39

38

24

1,18

1,332 140

Schwäbisch (Ulm)

3

6

17

24

41

30

18

0,84

1,456 139

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

1

12

24

28

35

26

13

0,54

1,466 139

Obersächsisch (Dresden)

6

16

28

22

26

27

14

0,32

1,686 139

Tab. 22: Korrektheitswerte zu den Sprechproben (N = 139).

Variable Korrektheit Sprechprobe

-3

-2

-1

0

1

2

3



s

Gesamt

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

0

0

0

0

4

42

92

2,64 0,540 138

Brandenburgisch (Potsdam)

0

2

5

6

24

56

46

1,91 1,109 139

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

0

1

6

10

17

63

42

1,88 1,100 139

Das Ratespiel | 117

Variable Korrektheit Sprechprobe

-3

-2

-1

0

1

2

3



s

Gesamt

Mittelbairisch (Wien) 1

10

23

21

37

31

16

0,73 1,483 139

Mittelbairisch (Traunstein)

0

10

31

21

30

31

16

0,64 1,504 139

Hochalemannisch (Zürich)

3

9

29

27

23

38

11

0,54 1,528 140

Schwäbisch (Ulm)

2

14

22

28

26

37

10

0,53 1,524 139

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

3

12

24

25

35

30

10

0,49 1,501 139

Obersächsisch (Dresden)

4

18

24

22

27

30

14

0,41 1,663 139

Tab. 23: Test auf Normalverteilung der Variablen Gefallen & Korrektheit.

Kolmogorov-Smirnova

Shapiro-Wilk

Statistik

df

Signifikanz

Statistik

df

Signifikanz

Gefallen

,207

1251

,000

,909

1251

,000

Korrektheit

,212

1251

,000

,901

1251

,000

a. Signifikanzkorrektur nach Lilliefors

Tab. 24: Korrelation zwischen Gefallen und Korrektheit (N = 139).

Korrelationen

Spearman-Rho Gefallen

Gefallen

Korrektheit

Korrelationskoeffizient

1,000

,533**

Sig. (2-seitig)

.

,000

N

1251

1251

Korrektheit Korrelationskoeffizient

,533**

1,000

Sig. (2-seitig)

,000

.

N

1251

1251

**. Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (zweiseitig).

118 | Nicole Palliwoda

Tab. 25: Vergleich des Geschlechts bzgl. Gefallen aller Sprechproben (α = 0,05).

Sprechprobe

Geschlecht

N

Mittlerer Rang

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

Weiblich

68

76,35

Männlich

70

62,85

Brandenburgisch (Potsdam)

Weiblich

69

79,73

Männlich

70

60,41

Weiblich

70

69,44

Männlich

70

71,56

Weiblich

69

74,76

Männlich

70

65,31

Weiblich

69

70,04

Männlich

70

69,96

Weiblich

69

71,22

Männlich

70

68,79

Weiblich

69

74,04

Männlich

70

66,02

Weiblich

69

71,08

Männlich

70

68,94

Weiblich

69

68,57

Männlich

70

71,41

Hochalemannisch (Zürich) Mittelbairisch (Traunstein) Mittelbairisch (Wien) Nordniederdeutsch (Rendsburg) Obersächsisch (Dresden) Schwäbisch (Ulm) Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

Signifikanz (2-seitig)

p = 0,036* p = 0,003* p = 0,750 p = 0,151 p = 0,991 p = 0,707 p = 0,234 p = 0,748 p = 0,671

Tab. 26: Vergleich der AGn bzgl. Gefallen aller Sprechproben (α = 0,05).

Sprechprobe

AG

N

Mittlerer Rang

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

AG1

37

59,04

AG2

52

68,58

AG3

49

78,38

AG1

37

69,74

AG2

52

61,96

AG3

50

78,55

AG1

37

62,49

AG2

52

72,05

AG3

51

74,74

AG1

37

58,42

Brandenburgisch (Potsdam)

Hochalemannisch (Zürich)

Mittelbairisch (Traunstein)

Signifikanz (2-seitig)

p = 0,61

p = 0,096

p = 0,335

Das Ratespiel | 119

Sprechprobe

Mittelbairisch (Wien)

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

Obersächsisch (Dresden)

Schwäbisch (Ulm)

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

AG

N

Mittlerer Rang

AG2

52

78,74

AG3

50

69,48

AG1

37

60,16

AG2

52

78,38

AG3

50

68,56

AG1

37

71,77

AG2

52

62,85

AG3

50

76,13

AG1

37

67,85

AG2

52

60,72

AG3

50

81,24

AG1

37

64,69

AG2

52

71,64

AG3

50

72,22

AG1

37

57,31

AG2

52

71,88

AG3

50

77,43

Signifikanz (2-seitig)

p = 0,051

p = 0,092

p = 0,202

p = 0,031*

p = 0,630

p = 0,058

Tab. 27: Vergleich der AGn bzgl. Korrektheit aller Sprechproben (α = 0,05).

Sprechprobe

AG

N

Mittlerer Rang

Standardvarietät (Ostfälisch/Helmstedt)

AG1

37

68,96

AG2

52

65,85

AG3

49

73,79

AG1

37

70,15

AG2

52

68,11

AG3

50

71,86

AG1

37

60,50

AG2

52

62,97

AG3

51

85,43

AG1

37

63,54

AG2

52

66,41

AG3

50

78,51

Brandenburgisch (Potsdam)

Hochalemannisch (Zürich)

Mittelbairisch (Traunstein)

Signifikanz (2-seitig)

p = 0,476

p = 0,883

p = 0,003*

p = 0,154

120 | Nicole Palliwoda

Sprechprobe

AG

N

Mittlerer Rang

Mittelbairisch (Wien)

AG1

37

59,09

AG2

52

65,19

AG3

50

83,07

AG1

37

69,99

AG2

52

62,24

AG3

50

78,08

AG1

37

64,70

AG2

52

60,49

AG3

50

83,81

AG1

37

63,16

AG2

52

64,15

AG3

50

81,14

AG1

37

61,96

AG2

52

65,74

AG3

50

80,38

Nordniederdeutsch (Rendsburg)

Obersächsisch (Dresden)

Schwäbisch (Ulm)

Zentralhessisch/Rheinfränkisch (Darmstadt)

Signifikanz (2-seitig)

p = 0,011*

p = 0,106

p = 0,008*

p = 0,044*

p = 0,061

Markus Hundt

Struktur und Komplexität des linguistischen Laienwissens Abstract: Linguistische Laien verfügen über sehr unterschiedliches Wissen zu deutschen Dialekten und deren Sprechern. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Struktur des linguistischen Laienwissens. Grundlage sind die Daten, die im DFG-Projekt „Der deutsche Sprachraum aus der Sicht linguistischer Laien“ erhoben worden sind. Laienkonzepte zu deutschen Dialekten umfassen nicht lediglich (perzipierte oder assoziierte) sprachliche Merkmale, sondern zu ihnen gehören auch kulturelle Stereotype, geographisches Wissen und Stereotype zu den Sprechergruppen selbst. Diese verschiedenen Konzeptbestandteile können sich mit der jeweiligen Realität decken, müssen dies aber nicht. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass linguistische Laien nicht in einer binären Weise Zugang zu ihren eigenen Wissensbeständen haben (ganz oder gar nicht), sondern dass man von verschiedenen Graden der Zugänglichkeit zum eigenen Wissen ausgehen muss. Sie entwickeln ihr Wissen z. T., während sie über die Dialekte sprechen. Dies zeigt auch, dass das linguistische Laienwissen sowohl in seiner Ausprägung und Komplexität als auch in der Zugänglichkeit heterogen ist und sich daher nur bedingt für Generalisierungen eignet. Schlüsselwörter: Laienwissen, Struktur

1 Einleitung Dieser Beitrag befasst sich mit der Struktur des linguistischen Laienwissens. Dabei wird auf die Kommentare der Gewährspersonen (GPn) aus dem DFGProjekt zurückgegriffen, die sie im Rahmen der gesamten Untersuchung (leitfadengesteuertes Interview, Mikrokartierung (MIK), Pilesorting, Sprechprobenverortung, vgl. hierzu ebenfalls Einleitung u. die Beiträge in diesem Band) gemacht haben. Es zeigt sich, dass die Laienkonzeptualisierungen zu deutschen Dialekten umfänglicher und heterogener sind, als dies bislang angenommen wurde. Teil der Laienkonzepte sind nicht nur die perzipierten und assoziierten

|| Hundt, Markus: Germanistisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, Tel. 0431/8802316, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-005

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Sprachmerkmale, sondern auch kulturelle, soziale, historische, wirtschaftliche etc. Stereotype, die mit den Dialekten und deren Sprechern verbunden werden. Von GP zu GP schwankt der Umfang des laienlinguistischen Wissens erheblich, sodass Generalisierungen über ganze GP-Gruppen nur sehr bedingt möglich sind. Zudem muss von verschiedenen Wissensschichten und von verschiedenen Graden der Zugänglichkeit zu diesem Wissen bei linguistischen Laien ausgegangen werden. Das Wissen, das linguistische Laien zu den jeweiligen Dialekten haben, kann von ihnen i. d. R. nicht in einer einfachen on-off-Weise aktiviert werden. Der Zugang zu den eigenen Wissensbeständen erweist sich als stark kontextabhängig. Die Wissensbestände selbst sind Teile des Alltagswissens linguistischer Laien. Relevant für die unterschiedlichen Ausprägungen der Wissensbestände sind v. a. das Alter der GPn und die regionale Herkunft. Bei der Bewertung von Dialekten/Sprechweisen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, nicht nur die sog. social-connotation-Hypothese. Relevant für den Aufbau, die Struktur und die Funktion laienlinguistischer Konzepte sind v. a. auch alltagslogische Schlussverfahren.

2 Die Daten Ausgewertet wurden die Kommentare der GPn (metasprachliche Daten) aus den Aufgaben zur MIK, zur MAK und zum Sprachratespiel (zu den erhobenen Daten, zum Forschungsdesign und zur Methodik vgl. Einleitung in diesem Band). Bei diesen drei Aufgaben wurden die GPn von den Exploratorinnen jeweils auch dazu aufgefordert, zusätzliche Kommentare abzugeben. Dies betraf bei den MIKn z. B. die Benennungen der eingezeichneten (kleinräumigen) Sprachregionen, evtl. dazu vorhandene Assoziationen zu Sprachmerkmalen oder sonstige Besonderheiten, die die GPn mit diesen Sprachräumen verbinden (vgl. Palliwoda in diesem Band). Bei den MAKn ergaben sich die notwendigen Kommentare und Erläuterungen der GPn zu den von ihnen im Pilesorting zusammengestellten Stapelregionen aus zusätzlichen Fragen der Exploratorinnen, die die GPn nach spezifischen sprachlichen Merkmalen der Stapelregionen, nach Assoziationen zu Prominenten, nach der Ähnlichkeit der Sprechweise in den Stapelregionen mit der eigenen Sprechweise und natürlich auch nach den entsprechenden Benennungen der Stapelregionen befragten. Außerdem wurde die Pilesorting-Aufgabe jeweils durch eine abschließende Frage nach sympathischen bzw. unsympathischen Sprechweisen abgeschlossen, was wiederum vereinzelt zu weitergehenden Äußerungen der GPn in Bezug auf die von ihnen zusammengestellten Stapelregionen führte. Auch beim Sprachratespiel, bei

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dem die GPn Sprechproben bestimmten, auf einer Karte vorgegebenen Ortspunkten zuordnen mussten, fragten die Exploratorinnen nach erfolgter Zuordnung, weshalb die GPn eine bestimmte Sprechprobe einem bestimmten Ort (ob nun korrekt oder nicht korrekt) zugeordnet hatten. Dabei nannten die GPn ebenfalls vereinzelt Merkmale, die sie aus den Sprechproben herausgehört hatten oder auch nur herausgehört zu haben glaubten. Die Nennungen aus diesen drei Bereichen werden im Folgenden nicht in einer quantitativen Weise ausgewertet und interpretiert. Die quantifizierte Datenauswertung ist in diesem Fall – d. h. bei den sprach- und sprechercharakterisierenden Nennungen der GPn – wenig erfolgversprechend, da die Aussagen der GPn insgesamt sehr heterogen waren, nur wenige konsistente Merkmale zu einzelnen Dialekten genannt wurden (s. dazu weiter unten) und – dies ist m. E. der wichtigste Grund, der gegen eine nur quantitative Datenauswertung spricht – da sich zeigte, dass die GPn in unterschiedlichem Grad auf die eigenen Wissensbestände zugreifen konnten, d. h. dass nicht von einem stabilen, jederzeit einfach zugänglichen Wissen um die entsprechenden Sprechweisen bei den GPn ausgegangen werden kann (s. u.). Die ausgewerteten metasprachlichen Kommentare können somit nur sehr bedingt als Basis für eine repräsentative Rekonstruktion der laienlinguistischen Konzeptualisierungen von Dialekten herangezogen werden. Sie sind sicherlich in ihrer Aussagekraft symptomatisch, sowohl für die einzelnen GPn als auch in den – selteneren – Fällen, in denen sprachliche oder auch nichtsprachliche Merkmale zu einzelnen Dialekten häufiger genannt wurden (z. B. „icke“ beim BERLINISCHEN oder „gedehnte Sprechweise“ beim ÖSTERREICHISCHEN/WIENERISCHEN). Dieses Problem – Symptomatik anstelle von Repräsentativität – ist jedoch grundlegenderer Art. Die Vielschichtigkeit laienlinguistischen Wissens und die unterschiedlichen Zugänglichkeitsgrade wurden bislang in der Forschung kaum thematisiert, so dass auch im Vorfeld der Projektkonzeption noch nicht darauf reagiert werden konnte. Zukünftige Studien zur Wahrnehmungsdialektologie werden sich daher verstärkt dem Problem widmen müssen, wie evtl. doch repräsentative Daten zum laienlinguistischen Wissen (Dialektkonzeptualisierungen) gewonnen werden können, d. h. mit welchen neuen Methoden den verschiedenen Wissensschichtungen einerseits und der situationsbedingten Veränderlichkeit im Zugang zum eigenen Wissen andererseits Rechnung getragen werden kann. Aus diesen Gründen erfolgt die Auswertung der Nennungen von sprach-, sprecher- und regionscharakterisierenden Merkmalen durch die GPn zu den drei oben genannten Fragenkomplexen auf einer exemplarischen qualitativen Basis. Dies hat den Nachteil, dass sich dadurch allgemeingültige, über das Gesamt der GPn oder auch nur über bestimmte Gruppen der GPn (drei Altersgrup-

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pen, männliche vs. weibliche GPn, regionale Verteilung der GPn) hinaus generalisierbare Aussagen nur in Einzelfällen werden machen lassen. Die große Heterogenität der Aussagen der GPn spiegelt sich demnach auch in der geringen Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Ergebnisse wider. Als erstes Ergebnis kann festgehalten werden: 1. Das linguistische Laienwissen, d. h. die Konzeptualisierungen zu den einzelnen Dialekten sind sehr heterogen und nur bedingt generalisierbar.

3 Zugänglichkeit des Wissens und Schichten des Wissens In den leitfadengesteuerten Interviews hat sich immer wieder gezeigt, dass die GPn nicht in einer Ganz-oder-gar-nicht-Weise auf ihr eigenes Wissen über Dialekte zugreifen, sondern dass sie auf ihr eigenes Wissen teilweise erst allmählich, während des Interviews zugreifen können, indem sie über die gestellten Fragen nachdenken und sich so allmählich eigene Wissensbestände ins Bewusstsein heben. Im Falle der vorliegenden Interviews handelt es sich dabei keineswegs um ein interviewinduziertes Bias, d. h. dieses Wissen wurde nicht durch die Interviews selbst erzeugt. Die Exploratorinnen gaben an keiner Stelle suggestive Vorgaben o. Ä. Dass dieses Wissen tatsächlich erst allmählich von den GPn aus ihrem eigenen (impliziten) Wissensbestand gehoben und versprachlicht wurde, zeigt sich daran, dass sie es – in z. T. längeren Phasen des Nachdenkens – eruierten, ohne von den Exploratorinnen beeinflusst zu werden. Wenn die GPn – was auch vorkommen konnte – spekulierten, d. h. für sie selbst ungesicherte Meinungen oder Hypothesen zu Sprechweisen äußerten, haben sie dies auch gekennzeichnet. Diese Spekulationen sind nicht in die Auswertung eingegangen. Selbst wenn man konzediert, dass nicht für alle Äußerungen der GPn mit letzter Sicherheit gewährleistet werden kann, dass sie den Überzeugungen der GPn entsprechen, sondern gegebenenfalls auch solche Spekulationen in Einzelfällen (als sichere Behauptungen) geäußert wurden, kann für das Gesamt der Daten festgehalten werden, dass viele GPn erst einen allmählichen Zugriff auf ihr eigenes Wissen erlangten. Dies zeigt, dass wir hier mit verschiedenen Zugänglichkeitsgraden zum eigenen Wissen zu rechnen haben, oder anders formuliert: Es handelt sich hier um verschiedene Wissensschichten bei ein und derselben GP. Die Offenlegung eigener Wissensbestände während des Gesprächs entspricht dem, was bereits Kleist als die „allmählige Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (Kleist 1878/1999) charakterisiert hat. Gerade der im

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Forschungsprojekt verwendete Methodenmix (draw-a-map-task bei der MIK, Pilesortmethode bei der MAK, Ratespiel mit Hörproben) und die jeweils dazu abgegebenen Kommentare ermöglichten den GPn offenkundig einen wiederholten Zugriff auf ihr eigenes Wissen unter verschiedenen Perspektiven. Anders formuliert: Die unterschiedlichen Stimuli (Kartenausschnitt, Städtekärtchen, auditive Stimuli) gaben den GPn bei ihren Überlegungen zu den avisierten Dialektkonzepten jeweils unterschiedliche Hinweise, die ihnen das Explizitmachen der eigenen Wissensbestände z. T. (nicht immer) erleichterten. Diese Zugänglichkeitsgrade bzw. Wissensschichten werden im Folgenden genauer beschrieben (vgl. dazu auch Hundt, Palliwoda & Schröder 2015). Getrennt davon müssen die Funktionen dieser Wissensbestände und gruppenspezifische Verteilungsunterschiede gesehen werden. Sowohl bei der draw-a-map-task (MIK) als auch beim Pilesorting (MAK) gab es bei den GPn immer wieder den Fall, dass so genannte ‚weiße Flecken‘ in der individuellen Dialektlandschaft zu verzeichnen waren. Diese weißen Flecken sind aus der Forschung bekannt (vgl. z. B. Hundt 2010). Es handelt sich dabei um Gebiete, die für die GPn in ihren mentalen Landkarten nicht präsent sind. Häufig können die GPn mit diesen Regionen sprachlich gar nichts verbinden, d. h. sie verfügen hier über keine laienlinguistischen Konzeptualisierungen, auch nicht über bloße sprachliche Etiketten für Dialekte. So fallen z. B. das Thüringische oder das Moselfränkische aus den laienlinguistischen Kartierungen heraus. Diese ‚weißen Flecken‘ sind ein Teil dessen, was als negatives Varietätenwissen bezeichnet werden kann. Denn: Auch wenn die GPn zu diesen Gebieten keine Konzeptualisierungen in Bezug auf die Sprache haben, wissen sie doch, dass auch in diesen Regionen dialektal geprägte Sprechweisen vorkommen bzw. vorkommen können. Dies erschließen sie analog zu den anderen Gebieten. Die Folge davon ist, dass sie bei der MAK zwar Stapel auf der Basis geographischer Zusammengehörigkeit bilden können, diese Stapel dann jedoch nicht weiter charakterisieren können. Diese Stapel bleiben ohne Bezeichnungen für die zugehörigen Sprechweisen. So verfuhr z. B. GP98 aus Hamburg, die bei mehreren Stapeln dieses Verfahren anwendete: Stuttgart, Mannheim, Freiburg, Nürnberg wurden zu einem Stapel sortiert und mit dem Kommentar versehen „liegen dicht beieinander, deswegen müssen sie eine ähnliche Sprache sprechen“. Ein anderes Beispiel ist die Äußerung von GP130 aus Gammertingen, die zu dem aus den Städten Weimar, Magdeburg, Jena, Frankfurt/Oder gebildeten Stapel sagte: „die reden bestimmt einen eigenen Dialekt“, ohne eine Dialektbezeichnung oder weitere Charakterisierungen geben zu können. Eine zweite Art des negativen Varietätenwissens ist dasjenige, bei dem die GPn zwar auch keine näheren Angaben zu den Sprechweisen oder deren Spre-

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chern machen können, bei denen sie aber immerhin über Bezeichnungen für die Dialektregionen verfügen, d. h. die Bezeichnungen für bestimmte Sprechweisen sind bekannt, weitere metasprachlichen Kommentare zu den Sprechweisen werden jedoch nicht gegeben. Dieses Phänomen taucht bei vielen GPn bei den unterschiedlichsten Dialektbezeichnungen auf (z. B. Hessisch, Bayrisch, Kölsch, Rheinisch etc.). Das negative Varietätenwissen in diesen beiden Ausprägungen (entweder nur eine geographisch getriggerte Regionenbildung ohne Dialektbezeichnung oder aber eine Dialektbezeichnung ohne weitere Charakterisierungen dieses Dialekts) sollte von gänzlichem Unwissen getrennt werden, da hier – über Analogieschlüsse, über die Kenntnis von Dialektbezeichnungen und v. a. über das Bewusstsein der GPn, dass es in diesen Gebieten spezifische Sprechweisen geben muss – durchaus eine Art laienlinguistischen Wissens vorliegt. Die GPn wissen von der Existenz der jeweiligen Sprechweisen in diesen Fällen insofern, als sie sich zumindest ihrer eigenen Wissenslücke bewusst sind und so (über die genannten Schlussverfahren) in einer negativen Weise über entsprechende Vorstellungen verfügen. Selbstverständlich ist dieses negative Varietätenwissen für die Rekodierung laienlinguistischer Vorstellungen zu deutschen Dialekten nur wenig hilfreich. Es markiert das äußerste Ende der oben beschriebenen Zugänglichkeitsgrade/Wissensschichtungen. Aussagekräftig für die individuellen laienlinguistischen Dialektkonzepte ist erst das positive Varietätenwissen (vgl. dazu auch die Gliederung in Hundt, Palliwoda & Schröder 2015: 599). Wenn man die Wissensbestände linguistischer Laien insgesamt erfassen und klassifizieren möchte, empfiehlt sich die Kategorisierung, die Anders (2010: 269) vorgestellt hat. Sie unterscheidet verschiedene Merkmalstypen linguistischen Laienwissens auf insgesamt vier Ebenen mit entsprechenden Unterkategorien: (1) Lautliche Besonderheiten, (2) Morphosyntaktische Beschreibungen, (3) Wortassoziationen, (4) Aussagen zur regionalen Varietät (die auch nichtsprachliche Merkmale enthalten). Diese detaillierte Auflistung aller Merkmale aller GPn ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die Daten des DFG-Projekts (noch) nicht möglich, da nur Teile der leitfadengestützten Interviews transkribiert sind. Zur Aufdeckung der verschiedenen Schichten laienlinguistischen Wissens ist eine Gliederung des positiven Varietätenwissens hilfreich, wie sie erstmals in Hundt, Palliwoda & Schröder (2015) vorgestellt wurde. Dort werden folgende Schichten unterschieden:

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1.) Unspezifische Ahnung (je ne sais quoi). 2.) Allgemeine Dialektcharakterisierungen ohne Angabe konkreter Dialektmerkmale. 3.) Spezifisches Wissen unter Rückgriff auf Schibboleth-Phrasen. 4.) Spezifisches Wissen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale. Diese vier Wissensschichten sind nicht so zu verstehen, dass eine GP entweder über die eine oder die andere Schicht in genereller Weise verfügt, sondern so, dass einzelne GPn – je nach Dialektkonzept, um das es geht – über diese Schichten oder Zugänglichkeitsgrade verfügen können. Wie sich in den Interviews zeigte, konnten einzelne GPn auch von der einen zur anderen Schicht übergehen, wenn sie während des Interviews ihr eigenes Wissen im Laufe des Nachdenkens und Sprechens über die Dialekte entwickeln konnten. Im Folgenden sollen diese vier Schichten anhand von Beispielen aus dem Erhebungsmaterial verdeutlicht werden.

Abb. 1: Wissensschichten/Zugänglichkeitsgrade.

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3.1 Unspezifische Ahnung Die erste Wissensschicht ist sehr allgemein und unspezifisch. Sie ist eine Art von Wiedererkennen, ohne dass die GPn angeben konnten, woran sie ihr Wissen festmachen könnten. Es handelt sich dabei um eine holistische Vorstellung des jeweiligen Dialektkonzepts ohne Konkretisierungen. Dieses Erkennen ist ein je ne sais quoi, das die GPn mit der Sprechweise verbinden (ohne Sprechprobe) bzw. das sie den Dialekt erkennen lässt (mit Sprechprobe). In beiden Fällen (mit oder ohne Sprechprobe) ist diese Art des Erkennens/Wiedererkennens vergleichbar mit dem Fall, wenn man ein Musikstück hört, das man kennt oder zu kennen glaubt, bei dem man jedoch den Titel und/oder den Komponisten o. Ä. nicht angeben kann. Der Vergleich hinkt hier jedoch insofern, als die GPn bei dieser Wissensschicht durchaus über Dialektbezeichnungen verfügen (Abgrenzung zum negativen Varietätenwissen). Zudem kann auch schon dieses ganz unspezifische Erkennen/Wiedererkennen dazu ausreichen, weiterreichende Stereotype zu den Dialekten bzw. zu den Dialektsprechern oder zur Dialektregion auszulösen. Der Rückgriff der GPn auf ihr tacit knowledge zu den Dialekten fungiert damit als Trigger für die Auslösung weiterer kultureller, gruppenbezogener, arealbezogener etc. Stereotype. Diese werden dann z. T. mit dem Verweis auf Modellsprecher (bei der Pilesorting-Aufgabe wurde jeweils nach prominenten Vertretern der jeweiligen Sprechweisen gefragt) oder mediale Inszenierungen der Dialekte ergänzt. Diese Gruppe bildet den Beginn des positiven Varietätenwissens, d. h. hier haben die GPn durchaus Vorstellungen von den Dialekten, deren Bezeichnungen, deren räumlicher Verortung, ohne jedoch weitergehende Beschreibungen geben zu können. Dieser Fall trat bei der Pilesorting-Aufgabe, aber auch bei der Sprechprobenverortung häufig auf, so z. B. wenn GP69 (Stralsund) das KÖLSCHE benennt und verortet, dann aber äußert: „ich weiß nicht mehr, wie das ist“ oder zum SÄCHSISCHEN: „ich würds erkennen, aber ich weiß nicht, was typisch sein würde“. – GP2 (Eppingen): „ich würde en Karlsruher sofort erkennen, aber fragen se net an was.“ – GP134 (Gammertingen) zum HAMBURGISCHEN: „wie so Seemänner“ oder dieselbe GP zur Zürcher Sprechprobe: „irgendwie hört mans halt raus“ (ohne Angabe weiterer Merkmale, aber mit korrekter Zuordnung). – GP35 (Bruneck/Südtirol) zum SCHWEIZERDEUTSCHEN: „das erkennt man halt.“ – GP5 (Eppingen) zum HESSISCHEN: „ich hörs, wenn jemand Hessisch spricht.“

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3.2 Allgemeine Dialektcharakterisierungen ohne Angabe konkreter Dialektmerkmale Wenn GPn in der Lage sind, ihre Vorstellungen von Sprechweisen in einer Form zu konkretisieren, dass sie über ganz unspezifische Kennzeichnungen (Wissensschicht 1) hinauskommen, ist die nächste Stufe des Wissens bzw. der nächste Zugänglichkeitsgrad erreicht. Die Beschreibungen auf dieser Ebene dringen zwar noch nicht bis zu konkreten Dialektmerkmalen, Dialektimitationen oder Schibbolethphrasen vor, sie zeugen aber deutlich davon, dass die GPn in einer bestimmten Weise beschreiben können, was sie sich unter den Sprechweisen vorstellen. Diese Beschreibungen auf der Basis nichtsprachlicher Merkmale lassen sich grob in folgende Bereiche, die sich z. T. auch überschneiden können, unterteilen: 1.) Klangassoziationen, 2.) emotionale und wertende Beschreibungen, 3.) metaphorische Umschreibungen, 4.) Parallelisierungen und Abgrenzungen zu anderen Dialekten und Sprachen, 5.) Sprechgeschwindigkeit, 6.) Artikulation, 7.) Verständlichkeit, 8.) tautologische Beschreibungen.

3.2.1 Klangassoziationen Bei sehr vielen GPn werden Klangbeschreibungen in unspezifischer Weise zu verschiedenen Sprechweisen genannt. Hier werden in nicht weiter analysierter Weise suprasegmentale Eigenschaften der Sprechweisen durch die GPn angesteuert, die sie offenkundig in holistischer Weise wahrnehmen. Am typischsten ist dabei die Kennzeichnung, die auch aus anderen Forschungsarbeiten bekannt ist: das Singen. Die als eigentümlich empfundene Sprachmelodie/Prosodik der zu beschreibenden Sprechweisen wird i. d. R. als „Singen“ bezeichnet (z. B. von GP52 (Coburg) zum WIENER DIALEKT, von GP53 (Coburg) zum SCHWÄBISCHEN: „Singsang“, von GP78 (Barth) zum SÄCHSISCHEN: „so eine summende Melodie“, von GP101 (Radebeul bei Dresden) zur Sprechweise in Leipzig: „singend“). Dieses „Singen“ wird in der einen oder anderen Form für nahezu jeden Dialekt, dessen Prosodie für die GPn auffällig ist, als Beschreibung verwendet.

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Neben dem „Singen“ kommen auch andere Beschreibungen der Sprachmelodie vor (s. auch die Beispiele unten), die auch wertend sein können, z. B. GP96 (Hamburg) zum SÄCHSISCHEN: „Sachsen reden ganz grauenhaft für die Ohren“.

3.2.2 Emotionale/wertende Beschreibungen Emotional-wertende Beschreibungen steuern den emotiven Anteil der laienlinguistischen Konzepte an. Dabei werden emotionsbezogene Bezeichnungen genannt, die auf intellektuelle („dümmlich“), aktivitätsbezogene („aggressiv“), ästhetische („wunderschön“), allgemein charakterisierende („gemütlich“, „anheimelnd“), typencharakterisierende („rau“, „proletenmäßig“) oder auf sprachliche Merkmale („glatt“, „schnoddrig“) verweisen. Da die GPn diese Kommentare nicht näher erläutern, ist eine jeweils eindeutige Zuordnung nur selten möglich, so kann sich die Kennzeichnung „glatt“ oder „langweilig“ sowohl auf die Sprechweise als auch auf den Sprecher beziehen. Zu den emotionalen/wertenden Beschreibungen können folgende Aussagen gezählt werden: – GP3 (Eppingen) zum HOCHDEUTSCHEN/REINE HOCHSPRACHE: „glatt und langweilig“ – GP3 (Eppingen): „Schwäbisch klingt eher gutmütiger, weniger aggressiv (als Badisch)“ – GP69 (Stralsund) zum NORDDEUTSCHEN: „kernige Seemannssprache, wie so ein rauer Seemann sprechen würde“ – GP4 (Eppingen) zur Sprechweise im Ruhrgebiet: „dümmlich, einfach“ – GP50 (Coburg) zum BERLINISCHEN: „schnoddrig“. – GP97 (Hamburg) zum BERLINISCHEN: „wunderschön, gemütliche Sprache“. Die BERLINER SCHNAUZE wird z. T. auch wertend kommentiert, z. B. von: – GP96 (Hamburg): „Berliner Schnauze“, „proletenmäßig“, „dreckig“ – GP97 (Hamburg) zum SÄCHSISCHEN: „das ist die Sprache, die mich zum Lachen bringt“. – GP98 (Hamburg) zum SÄCHSISCHEN: „die reden ziemlich komisch“ – GP50 (Coburg) zum NIEDERBAYRISCHEN: „für mich klingt das sehr anheimelnd, gemütlich“ – GP20 (Simmern/Hunsrück) zum ÖSTERREICHISCHEN: „sehr breit, gemütlich, Kaffeehausatmosphäre, Wiener Schmäh“. – GP3 (Eppingen): zum ÖSTERREICHISCHEN: „klingt jammernd“.

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– –

GP35 (Bruneck/Südtirol) zum ÖSTERREICHISCHEN: „klingt so, als ob sie Bauchschmerzen hätten.“ GP52 (Coburg) zum SCHWEIZERISCHEN: „Halskrankheit“.

3.2.3 Metaphorische Umschreibungen Metaphern werden von den GPn immer wieder dazu genutzt, das zu beschreiben, was sie nicht genauer fassen können. Deswegen kommt es auch zu Überschneidungen zwischen dieser Kategorie und den anderen. Wenn eine GP z. B. eine Sprechweise als „weich“ beschreibt, ist dies einerseits metaphorisch, zugleich aber auch eine Beschreibung des holistischen Höreindrucks, der hier vermutlich auf die suprasegmentalen Eigenschaften verweist. – GP49 (Coburg) zum SÄCHSISCHEN: „hört sich lustig an, weicher, fließender“, zum FRÄNKISCHEN: „abgehackter“, zum NORDDEUTSCHEN: „kräftiger Dialekt“. – GP52 (Coburg) zur Sprechweise in Münster: „weicher Klang“ oder zum HESSISCHEN: „weicher Ton“. – GP52 (Coburg) zum SCHWEIZERISCHEN: „Halskrankheit“. – GP96 (Hamburg) zum NORDISCHEN/KÜSTENART: „rundes Sprechen“ bzw. zum BAYRISCHEN: „abgehackt, härter“. – GP101 (Radebeul) zum HOCHDEUTSCHEN: „hart“. – GP5 (Eppingen) zum HESSISCHEN: „so weich, so ne weiche Sprache“.

3.2.4 Parallelisierung und Abgrenzung zu anderen Dialekten und Sprachen Hier handelt es sich um ein Verfahren, das zu Beschreibende, das sich eben der Explikation entzieht, dadurch in den Griff zu bekommen, dass auf etwas für die GP Bekanntes verwiesen wird. Die Spezifik der zu beschreibenden Sprechweise ergibt sich dann aus der Differenz zu der Sprechweise, auf die im Kommentar referiert wird. – GP23 (Simmern/Hunsrück) zum HESSISCHEN: „Hessisch hört sich wie Saarländisch an, fehlt der Feinschliff, holprig.“ Auch hier charakterisiert die GP die Sprechweise in sehr allgemeiner Art („holprig“) und mit zusätzlichem Verweis auf eine ebenfalls unspezifisch gekennzeichnete Sprechweise „wie Saarländisch“. – GP39 (Brixen) zum DDR-DIALEKT: „andere Sprechweise als sonst so in Deutschland“. Diese GP greift in der Negativabgrenzung z. T. auch über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus, z. B. wenn sie den NORDDEUTSCHEN DIA-

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kennzeichnet: „nordländischer Einfluss, dänischer Einfluss“, „Dänemark/Norwegen so in der Richtung“ GP49 zum NIEDERSÄCHSISCHEN: „ähnlich Hochdeutsch“ oder zum SCHWÄBISCHEN: „leichte Version vom Hessischen“ oder zum THÜRINGISCHEN: „Zwischendings zwischen Fränkisch und Hochdeutsch“. GP51 (Coburg) zum SÜDSCHWÄBISCHEN (Stapel Freiburg/Konstanz): „zwischen Bayrisch und Schwäbisch, Mischform mehr Schwäbisch geprägt mit bayrischem Einfluss“. LEKT





3.2.5 Sprechgeschwindigkeit Im Gegensatz zu den Klangassoziationen, bei denen in unspezifischer Weise i. d. R. auf das „Singen“ rekurriert wird, zielen die Kennzeichnungen zur Sprechgeschwindigkeit auf einen speziellen suprasegmentalen Aspekt der Sprechweise ab. Dabei wird häufiger das Stereotyp des schnell sprechenden Deutschen bzw. Norddeutschen im Unterschied zum langsamer sprechenden Schweizer bzw. Süddeutschen aktiviert. Allerdings gilt dies nicht durchgängig, wie z. B. die Äußerung der GP78 aus Barth belegt. Hier wird den Sprechern eines süddeutschen Dialekts eine höhere Sprechgeschwindigkeit zugesprochen. – GP13 (Vaduz) zum Stapel „Dresden/Berlin“: „Ostdeutsch“ „sprechen (in Berlin) so schnell wie Maschinenkanonen“. – Ähnlich GP14 (Vaduz) zum NORDDEUTSCHEN: „schnell, die müssen weniger atmen, so schnell, dass man kaum mitkommt, sehr eloquent, unwahrscheinlich schnell, halten das, was sie sprechen für Hochdeutsch“. Diese Geschwindigkeitseinschätzung wird dann in der Folge von der GP auf alle Sprecher aus Deutschland übertragen: „Deutsche sprechen generell schneller als wir“. – GP78 (Barth) zum SCHWÄBISCHEN: „schnell, hastig“.

3.2.6 Artikulation Die Kategorie der Artikulation steht in engem Zusammenhang mit der Kategorie der Verständlichkeit (s. u.), was Überlappungen zur Folge hat. Allerdings sind die Beschreibungen der Artikulationsspezifik auf dieser Ebene noch so unkonkret, dass sie sich nicht auf Einzelmerkmale beziehen lassen: „lallen“, „Unterkiefer hängen (lassen)“, „nuscheln“ etc. können sich auf ganz verschiedene Artikulationsbesonderheiten beziehen.

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– – – – –

GP67 (Springe) zum SÄCHSISCHEN: „man lässt den Unterkiefer hängen“. GP69 (Stralsund) zum SÄCHSISCHEN: „klingt so ein bisschen genuschelt“. GP129 (Gammertingen) zum SÄCHSISCHEN: „wie wenn der Unterkiefer zu weit vorsteht“. GP95 (Hamburg) zum HESSISCHEN: „die, die immer so ein bisschen lallen“. GP60 (Ettelbrück/Luxemburg) zum NORDDEUTSCHEN: „mehr durch die Nase gesprochen“.

3.2.7 Verständlichkeit Die Kategorie Verständlichkeit bezieht sich ganz offenkundig auf phonologische und lexikalische Faktoren. Allerdings sind diese aus dem Material so i. d. R. nicht eindeutig erkennbar. So kann sich die Kennzeichnung „unverständlich“ sowohl auf die phonologische Differenz zur eigenen Sprechweise bzw. zur Standardsprache beziehen als auch auf die lexikalischen Unterschiede. – GP69 (Stralsund) zum SÄCHSISCHEN: „ein bisschen unverständlich“. – GP69 (Stralsund) zum ÖSTERREICHISCHEN: „ähnelt dem Bayrischen, aber leichter verständlich“. – GP48 (Meran) zum SCHWEIZERISCHEN: „unsympathisch, weil unverständlich“. – GP50 (Coburg) zum SCHWYZERDÜTSCH: „sehr unverständlich“ aber zugleich „höre ich gerne“. – GP69 (Stralsund) zum SCHWEIZERISCHEN: „hört sich manchmal an als wärs nicht Deutsch“.

3.2.8 Tautologische Beschreibungen Tautologische Beschreibungen sind aus linguistischer Sicht wenig ergiebig, da hier nicht klar sein kann, was das Definiens in Bezug auf das Definiendum leisten soll. Offenbar wird hier in zusammenfassender Weise ein Höreindruck kategorisiert, z. B. als „sächseln“ oder „berlinern“. GP40 (Brixen) zum SÄCHSISCHEN: „da sächselt einer“ oder zum BERLINISCHEN „berlinern“. Hierzu können auch die Kennzeichnungen des BERLINISCHEN gerechnet werden, die es mit der „Berliner Schnauze“ (z. B. GP47 (Meran), GP51 (Coburg), GP69 (Hamburg)) verbinden, wenngleich hier mit der „Schnauze“ zusätzlich auch eine bestimmte emotional gefärbte Weise des Sprechens verbunden ist. Gleiches gilt für die Beschreibung des ÖSTERREICHISCHEN/WIENERI-

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mit der Kennzeichnung „Wiener Schmäh“ (z. B. GP20 (Simmern/Hunsrück) oder GP53 (Coburg)).

SCHEN

3.3 Spezifisches Wissen unter Rückgriff auf SchibbolethPhrasen Mit den nun folgenden Wissensschichten (3 und 4) werden in den Beschreibungen der GPn auch sprachliche Merkmale genannt. Auf der dritten Ebene sind die Beschreibungen allerdings noch so beschaffen, dass die GPn offenkundig nicht in der Lage sind, Einzelmerkmale zu benennen. Vielmehr werden hier – ob durch Imitationen oder durch Aufgreifen von stereotypen Erkennungsphrasen (Schibboleth-Phrasen) – noch in einer eher ganzheitlichen Weise die Sprechweisen beschrieben. Der Rückgriff auf Schibboleth-Wörter und -Phrasen war im Projekt sowohl bei der Pilesorting-Aufgabe (ohne sprachlichen Stimulus) als auch bei der Sprechprobenerkennung zu beobachten. Wenn Sprechproben als Stimuli verwendet wurden, lösten diese zunächst gegebenenfalls ein Erkennen des jeweiligen Dialekts aus, das dann wiederum den Aufruf von Schibboleths auslöste. Die Sprechprobe diente dann lediglich als Stimulus für den Zugang zu einer laienlinguistischen Wissensschicht, die auch ohne diese Sprechprobe vorhanden und zugänglich gewesen wäre. In diese Sparte gehören auch die Imitationen, die die GPn z. T. in den Interviews geboten haben. In den Imitationen ahmen sie die Zieldialekte nach, können dabei aber nicht immer die von ihnen selbst nachgeahmten Merkmale bezeichnen. Wenn dies doch der Fall ist, z. B. beim Nachdenken über das eigene Imitieren und einer damit einhergehenden Analyse der selbst vorgebrachten Sprachstücke, dann bilden solche Imitationen den Zugang zur vierten Wissensschichtung (Rückgriff auf Einzelmerkmale). So gibt GP3 (Eppingen) zur Sprechweise „Berlin/Potsdam“ zunächst an: „kann ich schlecht beschreiben“. Dies würde auf Typus 2 deuten. Dann imitiert die GP jedoch die Sprechweise (Typus 3) und kommt darüber hinaus (Reflektion des eigenen Imitats) zu einzelnen Wörtern und Merkmalen („ooch“, „icke“).

3.3.1 Typische Schibboleths Sehr häufig wird für das BERLINISCHE als Schibboleth „icke“ genannt (z. B. GP9, 10, 11 (Hameln), GP15, 16, 18 (Vaduz), GP19, 20, 21 (Simmern) GP28 (Schleiden), GP51, 52, 53 (Coburg), GP65, 67 (Springe), GP69 (Stralsund), GP78 (Barth), GP96, 97 (Hamburg), GP100 (Radebeul), GP129, 130 133 (Gammertingen) und bei zahl-

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reichen weiteren GPn), manchmal auch in Satzform „ick bin Balina/Berliner“ (z. B. GP66 (Springe)). Die nicht durchgeführte zweite Lautverschiebung (k > ch) ist hier offenkundig ein salientes Merkmal. Ebenso die r-Vokalisierung (GP66). Beides wird jedoch von der GP nicht genannt (auch nicht in einer Laienbeschreibung). Das Merkmal ist im Kontext des Schibboleths salient, so dass das Schibboleth selbst als entscheidend für die Charakterisierung angesehen werden kann. Dies gilt auch für die folgenden Beispiele, in denen viele linguistische Einzelmerkmale verpackt sind (Lenisierungen, Verschleifungen, Apokopen, Monophthongierungen, Vokalsenkungen z. B. beim SÄCHSISCHEN; lexikalische Besonderheiten, k-Verschiebung beim SCHWEIZERISCHEN; Diminutive beim SCHWÄBISCHEN etc.). – GP51 (Coburg) zum KÖLSCH: „Kölle Alaaf“. – GP2 (Eppingen) zum SÄCHSISCHEN: „ei verbibbsch“. – GP67 (Springe) zum SÄCHSISCHEN: „gönnse fleisch mal de gofferaum uffmache“. – GP66 (Springe) zum SÄCHSISCHEN: „Läiptsch“ (für Leipzig). – GP2 (Eppingen) zum HESSISCHEN: „Ebbelwoi“. – GP60 (Ettelbrück/Luxemburg) zum HESSISCHEN: „Hesse sin Verbresche, denn sie klaue Aschebesche, wenn sie keine Aschebesche klaue, tun sie Fraue haue.“ – GP24 (Simmern/Hunsrück) zum BERLINISCHEN: „Schrippe“. – GP67 (Springe) zum BERLINISCHEN: „ick gloobs nich“, „dufte“, „Schnauze“. – GP100 (Radebeul) zum BERLINISCHEN: „icke, dette, kiek emal“. – GP51 (Coburg) zur Sprechweise NORDSEE/FRIESISCH: „Moin“. – GP53 (Coburg) zum SCHWÄBISCHEN: „schaffe, schaffe, Häusle baue“. – GP131 (Gammertingen) zum SCHWÄBISCHEN: „Schtuagat, Ulm ond Biberach, Meckabeura, Durlesbach“ (aus einem bekannten Lied). – GP94 (Alzenau) zum WIENERISCHEN: „die reden Schmäh, Wienerisch ist Schmäh“, d. h. „Schmäh“ wird selbst zum Schibboleth. – GP97 (Hamburg) zum ÖSTERREICHISCHEN: „jo geh, jo da schau her“. – GP45 (Meran) zu den SCHWEIZER DIALEKTEN: „Grüezi“ „auf Wiederluege“ „Velo“, „ich geh in den Ausgang“. – GP52 (Coburg) zum SCHWEIZERISCHEN: „Chuchichaschtli“.

3.4 Spezifisches Wissen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale Die maximale Differenziertheit laienlinguistischen Wissens zu Sprechweisen ist auf der vierten Stufe erreicht. Hier können die GPn nicht nur in allgemeiner Weise oder unter Rückgriff auf Erkennungswörter und -phrasen ihr eigenes

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Wissen versprachlichen, sondern sie sind darüber hinaus in der Lage, zu den jeweiligen Sprechweisen (je nach Dialekt unterschiedlich und selbstverständlich nicht für alle Dialekte in gleicher Weise) einzelne sprachliche Merkmale zu benennen. Die Beschreibungen selbst sind nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen oder in einer fachterminologischen Weise zu interpretieren (z. B. wenn eine GP zu einem Dialekt äußert „die ziehen die Wörter so zusammen“). Wenn man das erhobene Material im Hinblick auf die Merkmalsnennungen sichtet, fällt auf, dass nur wenige Sprachmerkmale von vielen GPn konsistent genannt werden. Häufiger sind Einzelnennungen zu verschiedenen Sprechweisen, die eine Generalisierung deutlich erschweren. Unstrittig ist jedoch, dass die genannten Merkmale für die GPn so salient sind, dass sie sie in ihrem Wissen isolieren können. Darüber hinaus sind die genannten Merkmale häufig von den GPn mit zusätzlichen Kommentaren versehen worden, die deutlich machen, dass die Merkmale auch sozial bewertet werden.1 In diesen Bewertungen wird dann von den sprachlichen Merkmalen auf die Sprecher der jeweiligen Dialekte geschlossen (eine Form des alltagslogischen Schließens, s. u.). Diese Zuschreibungen funktionieren auch dann, wenn Merkmale genannt werden, die nicht mehr dem aktuellen Sprachgebrauch entsprechen (z. B. die s-Realisierung vor den Plosiven p und t im HAMBURGISCHEN).2 Diese Loslösung vom tatsächlichen Sprachgebrauch ist ein klares Indiz dafür, dass die Ursache für die Entstehung von sozialen Stereotypen zu Sprachvarietäten nicht in den Varietäten selbst zu suchen ist, sondern in außersprachlichen Faktoren (vgl. Auer 2014: 14). Häufig wurden folgende Einzelmerkmale genannt: „icke“ (Frikativ zu Plosiv) im BERLINISCHEN, „s-pitzer S-tein“ (alveolare statt palatale Realisierung des s vor p und t), „ch“ im SCHWEIZERDEUTSCHEN (velare/uvulare statt palatale Realisierung) und die Diminutivform -le im SCHWÄBISCHEN. Weitere Nennungen von Einzelmerkmalen sind weniger häufig. GP4 (Eppingen) zum HAMBURGISCHEN „s-pitze S-teine“. Bei dieser GP taucht dieses Merkmal erneut auf, wenn nach der historischen Entstehung der deut-

|| 1 Vgl. dazu auch die von Auer (2014) vorgeschlagene Unterteilung der Salienz in eine physiologisch bedingte, eine kognitiv bedingte und eine soziolinguistisch bedingte Salienz. Wichtig ist dabei auch die von Auer hervorgehobene Hierarchisierung, nach der die soziolinguistische Salienz den anderen Typen vorgeordnet ist (Auer 2014: 12 und 17). In Bezug auf den Vorschlag von Purschke zur Definition von Salienz als „sozio-pragmatischer Indexikalität“ zielen diese Beispiele auf den Aspekt der Pertinenz, d. h. der konkreten Zuschreibung von Eigenschaften und Bewertungen in Verbindung mit auffälligen sprachlichen Merkmalen (vgl. Purschke 2014: 45). Vgl. auch Lenz (2010); Anders, Palliwoda & Schröder (2014); Palliwoda & Schröder (2015). 2 Vgl. zu dieser Form Auer (1998) und Auer (2014: 14).

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schen Standardsprache gefragt wurde. Die GP äußert dazu, dass diese wohl aus dem Norden gekommen sein müsse, „weil die s-pitzen S-teine ja eigentlich korrekt ausgesprochen wurden.“ Dies könnte auch ein Hinweis darauf sein, weshalb sich dieses faktisch ausgestorbene Merkmal im Bewusstsein linguistischer Laien so hartnäckig hält (neben anderen Gründen wie z. B. der medialen Vermittlung). Es trägt das Kennzeichen einer vermeintlich korrekten Aussprache nach der Schrift. Zum Teil wird diese vermutete Sprechweise auch auf die Denkweise der Sprecher in einem alltagslogischen Schluss übertragen, so z. B. von GP52 (Coburg): „jemand, der über s-pitze S-teine s-tolpert, der denkt anders als jemand der ganz guttural spricht.“ GP5 (Eppingen) zur Sprechweise des Stapels „Lübeck/Hamburg“: „schon sehr gepflegtes Hochdeutsch, sind ein bisschen steif, mit dem s-t“. GP20 (Simmern/Hunsrück) zum Stapel „Hamburg/Bremen“: „gutes Hochdeutsch“, „s-tolpern übern s-pitzen S-tein“ mit dem Hinweis auf Helmut Schmidt als prominentem Vertreter dieser Sprechweise. Für viele weitere GPn aus dem ganzen Untersuchungsgebiet ist dieses Merkmal für die Sprechweise um Hamburg bzw. z. T. ausgeweitet auf den ganzen norddeutschen Raum salient (z. B. auch GP46 (Meran), GP99 (Radebeul)). Zum SCHWEIZERISCHEN wird häufiger der velare/uvulare Frikativ als Kennzeichen genannt, so z. B. GP98 (Hamburg): „die haben halt diesen ch-ch-ch-Laut“ (imitierend), GP99 (Radebeul): „röchelndes ch“. GP133 (Gammertingen) zum BADISCHEN/ALEMANNISCHEN und dann auch zum SCHWEIZERDEUTSCHEN: „krächzen/kchr“ „(Schweizer) krächzen noch extremer als im Alemannischen“. Zum SCHWÄBISCHEN wird häufiger die Diminutivbildung mit „le“ genannte (z. B. GP40, 41 (Brixen), GP52 (Coburg), GP94 (Alzenau)). Neben diesen häufiger genannten Einzelmerkmalen kommen zahlreiche andere Merkmale in den Beschreibungen vor, allerdings mit deutlich geringerer Frequenz. Hier nur einige Beispiele: – GP3 (Eppingen) zum KÖLSCHEN „l mit Zungenverbiegung“. – GP3 (Eppingen) zum BAYRISCHEN „die rollen das r“. – GP133 (Gammertingen) zum FRÄNKISCHEN: „rollendes r, g zu ch“. – GP133 (Gammertingen) zum SCHWEIZERDEUTSCHEN „Leute zu Lüüt“ „bei zu bii“ (Erhalt des mhd. Monophthongs). Ebenso wurden eine Reihe von Merkmalen aus den Sprechproben (Ratespiel) von einzelnen GPn benannt, so z. B. von GP35 (Bruneck/Südtirol) zur Potsdamer Sprechprobe: „das j wo sonst ein g ist“. Als zweites und drittes Ergebnis (zur Methodik und zum Bereich der Wissensschichtungen/Zugänglichkeitsgrade) kann somit festgehalten werden:

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2.

3.

Die Anwendung mehrerer Methoden (mental maps auf MIK- und MAKEbene, die Sprechproben, das Zusatzfragen im Gespräch) hat sich bewährt, weil die GPn so aus unterschiedlichen Perspektiven auf das eigene Wissen zugreifen können und es so z. T. erst selbst entwickeln, ähnlich wie bei Kleists „Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Die GPn verfügen über unterschiedliche Wissensschichtungen, die von einem negativen Varietätenwissen bis hin zu spezifischen Charakterisierungen der Sprechweisen/Dialekte unter Rückgriff auf Einzelmerkmale reichen. Der Prozess der Wissensrekodierung ist für linguistische Laien graduell, je nach Methode und eigenem Nachdenken können sie unterschiedlich komplexe Dialektkonzepte explizieren.

4 Wissensbestände Nach dem Blick auf die verschiedenen Wissensschichten und Wissensinhalte ist es nun erforderlich zu klären, um welche Art von Wissen es sich bei den laienlinguistischen Konzepten handelt. Im Unterschied zum Expertenwissen handelt es sich beim Laienwissen um Alltagswissen im besten Sinne, d. h. um ein Wissen, über das (potentiell) alle Sprachteilnehmer verfügen oder verfügen können und das zudem bestimmte Merkmale und Funktionen hat. Im ersten Schritt soll daher geklärt werden, was in diesem Beitrag unter Alltagswissen zu verstehen ist, welche Funktionen es hat und wie es strukturiert ist. Im zweiten Schritt wird dann diese allgemeine (operationale) Definition von Alltagswissen auf das Wissen linguistischer Laien zu deutschen Dialekten angewendet.

4.1 Eigenschaften und Funktionen von Alltagswissen Die Forschungsliteratur zum Wissensbegriff darf ohne Übertreibung als uferlos bezeichnet werden. Es werden zahlreiche Typen, Funktionen und Eigenschaften von Wissen unterschieden (vgl. dazu z. B. Schützeichel 2007, Schröder i. Dr.; Beuge 2014 zum Normenwissen). Im Folgenden wird eine operationale Definition von Alltagswissen versucht, die sich dem sozialkonstruktivistischen Ansatz von Berger & Luckmann (1977/1969) verbunden fühlt, aber weitere Ansätze einbezieht (s. u.). Für die Auswertung der Daten des DFG-Projekts sind insgesamt sechs Komponenten des Alltagswissens relevant. Dabei wird Alltagswissen als ein Wissen verstanden, das nicht fachspezifisch ist (kein Expertenwissen), das potentiell allen Sprachteilnehmern zur Verfügung steht,

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das sowohl prozedurale als auch deklarative Bestandteile enthält, das nur teilweise von den Laien explizierbar ist, das jedoch wichtige Funktionen in der Bewältigung des Alltags übernehmen kann. Alltagswissen ist 1.) oft nicht explizierbar, 2.) oft nicht begründbar, implizites Wissen, 3.) oft erfahrungsresistent, 4.) orientierend und komplexitätsreduzierend, 5.) eine Mischung aus kognitiven, emotiven und konativen Bestandteilen, 6.) nicht allein rational legitimiert, sondern über weitere Faktoren (Erfahrung, Autoritäten, Gefühl). In den heutigen Industrie- und Wissensgesellschaften gibt es wohl nur wenige Bereiche, bei denen sich der Laie sagen kann: Hier kenne ich mich aus, dazu kann ich etwas sagen, d. h. hier existiert Alltagswissen im Sinne eines populären Wissens, über das jeder verfügt und von dem jeder annimmt, dass sein Gegenüber in mehr oder weniger der gleichen Weise darüber verfügt.3 In der Tradition der konstruktivistischen Wissenssoziologie nach Berger & Luckmann (1977/1969) wird Alltagswissen modelliert: Sowohl das gesellschaftliche Wissen (und damit das allen zugängliche, gegenseitig vorausgesetzte Wissen) als auch die damit verbundene Wirklichkeit der Alltagswelt werden als Konstruktionen der handelnden Subjekte einer Gesellschaft verstanden. Da wir alle täglich kommunizieren, glauben wir auch, etwas von diesem Kommunikationsmittel, von der deutschen Sprache zu wissen. Und auf eine bestimmte Weise stimmt das auch: Wenn es um das Alltagswissen, d. h. das naiv-vortheoretische Wissen zur deutschen Sprache geht, dessen Bestimmungsfaktoren (s. o. 1.–6.) für uns orientierungsstiftend und handlungsleitend sind. Während das nicht-populäre Wissen, das Fachwissen zur deutschen Sprache in der Regel – oder besser gesagt – idealiter ein Wissen ist, das sich auf nachvollziehbare, rationale Begründungen, Argumentationsmuster und erklärungsadäquate Theorien gründet, die auch einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten (Reliabilität und Validität), gilt dies für das Alltagswissen, das i. d. R. vortheoretisch, praxis- und erfahrungsbezogen ist, nicht. Die Legitimati-

|| 3 Mancher Leser mag sich wundern, weshalb in diesem Beitrag der Begriff des Sprachbewusstseins nicht fällt. Unter Sprachbewusstsein versteht der Verf. in Anschluss an Scharloth (2005: 19) „eine Sammelbezeichnung für die Gesamtheit des metasprachlichen Wissens eines Individuums oder (hypostasierend) einer Gruppe.“ Damit ist Sprachbewusstsein ein Oberbegriff über die im Folgenden dargestellten Wissenstypen, in denen sich Alltagswissen zur deutschen Sprache manifestiert.

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on des Wissens als Wissen (in Abgrenzung von Meinungen) erfolgt im Alltag eben nicht allein über rationale und explizierbare Begründungen, die intersubjektiv überprüfbar sind, sondern über – mindestens – noch drei andere Arten der Legitimation: Erfahrung, Autorität, Gefühl (s. u.).4 Deswegen bestehen oft auch große Diskrepanzen zwischen Fach- und Alltagswissen. 1.) Oft nicht explizierbar (intuitives/implizites Wissen/System-1-Wissen nach Kahneman 2012): Dieses Merkmal mutet seltsam an. Wie kann man etwas wissen, das man gar nicht beschreiben kann? Dennoch ist es häufig so, dass wir z. B. aufgrund von Erfahrungswissen Handlungen vollziehen können, die wir nicht genau beschreiben können, zum Beispiel das SchnürsenkelBinden.5 Ein anderes Beispiel stellt sich in der Fragestellung, woran man einen Bayern oder einen Schwaben in Bezug auf seine Sprechweise erkennen würde, dar. Häufig antworten unsere GPn dann: „das hört man einfach“, „ich kann zwar nicht sagen woran ich das erkenne aber ich erkenne es.“, „man hat’s irgendwie ein bisschen im Ohr“ (Wissensschicht 1, s. o.). Das heißt natürlich nicht, dass das Alltagswissen zur deutschen Sprache immer ein stillschweigendes, gegenseitiges Wissen wäre. Es gibt natürlich viele Fälle, in denen dieses Wissen auch expliziert wird, z. B. beim positiven Varietätenwissen in den verschiedenen Wissensschichten, die weiter oben beschrieben wurden. Dieses Merkmal des Alltagswissens sehe ich in Verbindung mit dem Wissenstyp des intuitiven Wissens, wie es etwa Gigerenzer (2007) beschrieben hat. Beim intuitiven Wissen ist es auch oftmals so, dass wir es nicht nur nicht erklären und begründen können, sondern dass wir auch nicht beschreiben können, wie dieses Wissen genau aussieht, d. h. z. B. an welchen Merkmalen wir etwas erkannt haben, was zu einer Kategorisierung, zu einer Beurteilung oder zu einer bestimmten Entscheidung ge-

|| 4 Fernández-Armesta (1999) zeichnet die Diskussion um verschiedene Wahrheitstheorien nach und kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt vier Faktoren dafür relevant sein können, wenn einer Aussage der Status der Wahrheit zugesprochen werden soll. Neben der Vernunft sind dies das Gefühl, die Erfahrung und der Verweis auf Autoritäten. Diese Legitimationskriterien sind m. E. auch für die Frage relevant, was ein Individuum für sich selbst als Wissen akzeptiert (s. u.). 5 Vgl. dazu auch die Unterscheidung in prozedurales und deklaratives Wissen bzw. Gedächtnis (z. B. bei Thompson 1994: 385) oder die vergleichbare Differenzierung zwischen knowing how und knowing that im Anschluss an Ryle (1949), hierzu Anacker (2004: 897), Westerkamp (2014: 5–6.) zu Ryle und Westerkamp (2014: 15) zu implizitem prozeduralem Wissen.

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führt hat. Eine Parallele besteht auch zu dem von Kahneman beschriebenen System-1-Wissen, zu dem sog. „schnellen Denken“.6 2.) Oft nicht begründet/begründbar: Dieses Merkmal trifft sicherlich noch häufiger auf das Alltagswissen zu als das vorige. Wenn linguistische Laien gefragt werden, weshalb sie z. B. Reflexivpassivsätze („Hier wird sich auf Chomsky bezogen“) für falsch, ungrammatisch, stilistisch schlecht oder Ähnliches halten, erhält man oft die Antwort „das ist eben so“, „das geht in der deutschen Sprache nicht“. Die Befragten wissen sehr wohl, dass solche Sätze nicht mit ihrem Sprachgefühl konform gehen. Sie wissen auch, dass da etwas falsch ist, und: Sie können auch den Finger auf die für sie ungrammatischen Stellen legen und/oder eine aus ihrer Sicht korrekte Formulierung geben. Aber: Sie können nicht begründen, warum hier ein Fehler vorliegt. Zu beachten ist dabei auch, dass ein schlichter Verweis auf den Duden (ob Grammatik oder Rechtschreibung) keine Begründung oder Erklärung ist („das sagt der Duden“), sondern nur ein Verweis auf eine (vermeintliche) Autorität. Dieser Aspekt des Alltagswissens zielt auf das implizite Wissen,7 d. h. ein Wissen, das zwar Phänomene beschreiben, sie aber nicht erklären oder begründen kann. Solche Phänomene finden wir z. B. häufig in der Eltern-Kind-Interaktion, z. B. wenn ein Kind fragt, warum man nicht sagen kann „er denkte“ bzw. „er hat gedenkt“, wo es doch auch heißt „er lenkte“ und „er hat gelenkt“ (Präteritum und Partizip II). Hier können die Eltern sagen, was falsch ist und auch beschreiben, wie es richtig heißen muss, allerdings fehlt ihnen i. d. R. das Wissen um die zugrundeliegenden grammatischen Regularitäten. Diese können nicht expliziert werden, obwohl die Eltern selbst die zugrundeliegende Regel korrekt anwenden. Dieses Merkmal sprachlichen Alltagswissens hat aber auch seine sinnvolle Funktion. Bei Wissensbeständen, die sich in der Erfahrung bewährt haben, wird ganz offenkundig unsere Kognition entlastet, wenn nicht mehr eine Reihe von Begründungen und Erläuterungen zu diesem Wissen gespeichert werden muss. Es genügt zu wissen, dass etwas so und so funktioniert. Offenkundig können sich die meisten linguistischen Laien im Rahmen der

|| 6 Das System-1-Wissen zeichnet sich dadurch aus, dass es mit schnellem, automatisiertem Denken verbunden ist, das wenig (kognitiven) Aufwand erfordert und darüber hinaus der willentlichen Kontrolle weitgehend entzogen ist (vgl. Kahneman 2012: 20–21.). 7 Z. B. nach Polanyi (1985), vgl. auch Anacker (2004: 897).

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verschiedenen sprachlichen Normen problemlos bewegen, sprachlich handeln, ohne je diese Normen und Regeln angeben oder gar erklären zu können.8 3.) Oft erfahrungsresistent: Das Merkmal der Erfahrungsresistenz wird in der Regel im Zusammenhang mit der Definition von Vorurteilen und Stereotypen genannt. So wird z. B. das Vorurteil, dass Frauen nicht einparken können, nicht einfach dadurch entkräftet, dass man Frauen kennt, die bestens einparken können. Diese Frauen sind dann eben Ausnahmen, die wiederum die Vorurteilsregel bestätigen. In Bezug auf das Alltagswissen meint Erfahrungsresistenz aber auch eine Haltung zum Sprachwandel insgesamt. Veränderungen in der Sprache, ob dies nun die Rechtschreibung, die Grammatik, die Bedeutung einzelner Wörter oder die Einstellung gegenüber Fremdwörtern betrifft, solche Veränderungen werden in aller Regel kritisch gesehen, weil sie mit zusätzlichem Lernaufwand und Verunsicherungen verbunden sind. Dass sich alle lebenden Sprachen dieser Welt stetig und auf allen Sprachsystemebenen wandeln müssen, um den jeweils veränderten kommunikativen Anforderungen gerecht zu werden, ist eine Erkenntnis, die man eher bei Linguisten findet als bei linguistischen Laien. Obwohl auch linguistische Laien den Sprachwandel in ihrer eigenen Biographie ständig erfahren, erleben und auch selbst z. T. vorantreiben, ist die Haltung des „früher war in der deutschen Sprache alles besser“ weit verbreitet. 4.) Orientierungsfunktion durch Komplexitätsreduktion: Das Alltagswissen zur deutschen Sprache dient den linguistischen Laien in erster Linie dazu, kommunikativ handeln zu können. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, wird das entsprechende Wissen oftmals stark vereinfacht, d. h. es geht nicht primär um die Reflexion der wissenstheoretischen Grundlagen, um widerspruchsfreie, konsistente, argumentativ abgesicherte Aussagen auf einer Metaebene zur deutschen Sprache. Vielmehr dient das Alltagswissen der Orientierung bei der Lösung kommunikativer Aufgaben. Damit diese Orientierungsfunktion angemessen umgesetzt werden kann, wird das Wissen um die deutsche Sprache oftmals vereinfacht, d. h. die Komplexität des Wissensgegenstandes wird bewusst oder unbewusst deutlich reduziert. Wie schon die Systemtheorie Luhmannscher Prägung treffend feststellte, ist die Komplexitätsreduktion ein wesentliches Merkmal sozialer Systeme. Sie erlaubt uns, die vielfältigen Informationen, die jeweils auf uns eindringen, zu

|| 8 Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass im Alltag nie oder nur selten argumentiert wird. Die grundsätzlichen Möglichkeiten und Verfahren alltagslogischer Argumentationen werden ausführlich in Kienpointner (1992: 231–416) dargestellt.

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filtern, die wichtigen zu berücksichtigen und die in der jeweiligen Situation weniger wichtigen auszublenden. In Bezug auf das Alltagswissen zu Sprachvarietäten hat dies folgende Auswirkungen. Es besteht ein Grundbedürfnis nach klaren Regeln und Dichotomien:9 Es muss ein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ geben (z. B. in der Rechtschreibung oder in Fragen der Grammatik). Darüber hinaus besteht ein Bedürfnis nach klaren Einheiten bzw. abgegrenzten Konzepten: So ist für den linguistischen Laien vollkommen klar, dass es so etwas wie HOCHDEUTSCH tatsächlich gibt, dass es eine Region gibt, in der das gesprochen wird (Hannover), auch wenn die Befragten bei näherem Hinsehen zugeben müssen, dass es da natürlich auch die eine oder andere sprachliche Besonderheit oder gar Abweichung vom eigentlichen HOCHDEUTSCHEN gibt. Gleiches gilt für die Beschreibung von Dialekten. Einerseits sehen linguistische Laien, dass in Dialektregionen große Unterschiede in den Sprechweisen bestehen können, z. T. unterscheiden sich diese Sprechweisen auch von Ort zu Ort. Andererseits – und hier greift die Komplexitätsreduktion – fassen sie dennoch solche faktisch unterschiedlichen Sprechweisen zu übergreifenden Dialektkonzepten zusammen, wie eben ÖSTERREICHISCH, SCHWEIZERDEUTSCH, NIEDERDEUTSCH o. Ä. Die letzte Art der Komplexitätsreduktion findet sich auch in den Wissenschaften. In der Dialektologie wird letztlich ebenfalls nach diesem zusammenfassenden Prinzip verfahren, das der Sprachwirklichkeit mit ihren vielen hunderten verschiedenen Sprachvariablen nicht gerecht werden kann (vgl. zuletzt Lameli 2013: 1–7). Zur Komplexitätsreduktion gehört somit die fokussierte Wahrnehmung. So wird im linguistischen Alltagswissen der Fokus auf jeweils saliente, d. h. auffällige Merkmale gerichtet, z. B. bei der Jugendsprache, der Werbesprache, der Sprache der Politik. Es spielt somit keine Rolle, wenn – um ein fiktives Beispiel zu wählen – in einem jugendsprachlichen Text (Chat, Blog o. Ä.) über 90% des Textes unauffällige Standardsprache ist. Relevant sind die wenigen Wörter, die vergleichsweise seltenen Auffälligkeiten in der Schreibung oder in syntaktischen Konstruktionen, die die Wahrnehmung des gesamten Textes prägen. 5.) Mischung aus kognitiven, emotiven und konativen Bestandteilen: Mittlerweile ist nicht nur in der Stereotypen- und Vorurteilsforschung, sondern auch in der Semantiktheorie anerkannt, dass Begriffe in drei Dimensionen strukturiert sind. Begriffe haben eine kognitive, eine konative und eine

|| 9 Ganz in Übereinstimmung mit den Überlegungen Claude Lévi-Strauss‘ „zum wilden Denken“/„mythischen Denken“, der ebenfalls eine Neigung zum Denken in Dichotomien kulturenübergreifend festgestellt hat, vgl. Lévi-Strauss (1968: 163–164.).

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emotive Komponente, d. h. sie beschreiben etwas (kognitiv), sie haben für den Hörer/Leser eine emotive Aufladung und in ihnen steckt auch ein Handlungspotential.10 So hat etwa das laienlinguistische Konzept des SCHWÄBISCHEN nicht nur die kognitiven Bestandteile „Art des Deutschen, spricht man in Baden-Württemberg“, sondern eben auch Anteile wie „klingt angenehm/unangenehm“ oder handlungsbezogene Komponenten, die auf typische Verhaltensweisen der Sprecher verweisen „geizig“ „schaffe, schaffe, Häusle baue“ etc. Mag diese Dreigliedrigkeit bei solchen Alltagskonzepten offenkundig sein, so liegt sie doch auch bei allen anderen Konzepten vor. Wenn wir z. B. von einer Versicherung ein Schreiben erhalten, in dem auf eine Beitragsanpassung hingewiesen wird, hat das mit diesem Ausdruck verbundene Konzept für uns sowohl eine kognitive Komponente „Erhöhung des Beitragssatzes bei sonst gleichbleibender Gegenleistung“, als auch eine emotive „Preiserhöhungen sind schlecht“, als auch eine konative „der Beitrag wird verändert, wir müssen mehr bezahlen“ etc. Im Alltagswissen gewinnen oftmals die emotiven und konativen Bestandteile eine besondere Bedeutung vor den kognitiven. Dies sieht man z. B. an der z. T. hitzigen Diskussion um Anglizismen (Service Point). 6.) Nicht allein rational, sondern über weitere Faktoren (Erfahrung, Autoritäten, Gefühl) legitimiert: Fernández-Armesto (1999) hat in seinem Buch über Wahrheitstheorien und über die Begründungsmöglichkeiten für die Wahrheit von Aussagen vier Faktoren erarbeitet: Neben der Vernunft, aus der heraus die Wahrheit von Aussagen rational geprüft und begründet werden kann, sind drei weitere Faktoren zu berücksichtigen, die in einzelnen Fällen dafür verantwortlich sind, wenn wir einer Aussage den Status der Wahrheit zubilligen. Zum einen ist dies der Verweis auf anerkannte Autoritäten, aus dem dann die Wahrheit der von diesen Autoritäten behaupteten Aussagen abgeleitet wird; ein Verfahren, wie es z. B. in der scholastischen Philosophie angewendet wurde, das jedoch auch im heutigen Alltag nach wie vor Verwendung findet. Man muss dann nicht jede Behauptung aufwändig auf ihre Gültigkeit hin – unter Einschluss aller Prämissen – prüfen, sondern man verlässt sich auf die Autorität, die dies bereits getan hat. Es ist klar, dass diese Legitimationsbasis weniger verlässlich ist als der Rückgriff auf die rationale Prüfung. Ein weiterer Faktor ist die Erfahrung. Aussagen werden im Alltag zuweilen als wahr akzeptiert, weil die allgemeine Lebenserfahrung oder persönliche Erfahrungen dies nahelegen. Auch dieses Kriterium ist sicherlich weniger verlässlich als die rationale Prüfung (s. o.), es wird || 10 Vgl. Hundt (1992: 5–6) mit weiterer Literatur; Hundt (2012).

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aber dennoch häufig eingesetzt, da dieser unmittelbare Rückgriff auf Erfahrungstatsachen komplexitätsreduzierend ist und die Mühe der aufwändigen Individualprüfung erübrigt. Schließlich ist das Gefühl, der unmittelbare, im ersten Zugriff nicht weiter begründbare Eindruck ein Faktor, der zur Zuschreibung von Wahrheit führen kann (z. B. der erste Eindruck beim Kennenlernen einer Person; das Bauchgefühl bei schnell zu treffenden Entscheidungen11). Diese vier Faktoren (Ratio, Autorität, Erfahrung, Gefühl) sind nun m. E. bei der Frage danach, was eine Person für sich selbst als Wissen, d. h. als fundierte und dem Prinzip nach begründbare Überzeugung, in Abgrenzung zur bloßen Meinung akzeptiert, relevant. Im Alltag – und ganz offenkundig nicht nur dort – wird nicht für jeden Wissensbestandteil und für jede Aussage, die man als wahr akzeptiert, jeweils detailliert anhand intersubjektiv nachvollziehbarer rationaler Argumente geprüft, ob es sich hier um Wissen im Sinne von geltenden Sachverhalten handelt, sondern der Rekurs auf die anderen genannten Faktoren spielt eine ebenso große Rolle. Gerade für die Rekonstruktion von Laienwissen zu deutschen Dialekten ist diese Erweiterung der Legitimationsbasis für Wissen relevant. In den Kommentaren der GPn wird deutlich, dass explizites Sprachwissen, das zudem noch rational begründet werden könnte, vergleichsweise selten ist. Das Wissen linguistischer Laien ist in der Regel implizit. Darüber hinaus ist es häufig unter Rückgriff auf ein vermeintliches kollektives Wissen („das ist halt so“. „das weiß man eben“) durch nicht weiter explizierbare persönliche Erfahrungen und/oder den Verweis auf das Kollektiv als Autorität oder auf andere Personen, von denen man dies gegebenenfalls weiß, begründet. Auf den oft intuitiven Charakter dieser Wissensbestände wurde unter Punkt 1 schon hingewiesen; auch der Faktor des Gefühls, der unmittelbaren, nicht weiter begründbaren Anmutung spielt hier eine Rolle. Diese vier Faktoren, v. a. die Faktoren der Erfahrung und des Gefühls stellen dann auch eine Erklärung dafür bereit, weshalb alltagslogische Schlüsse (s. u. 6.) für linguistische Laien durchaus plausibel sind. Sie sind nicht den Notwendigkeiten einer strikten rationalen Prüfung (Konsistenz, Widerspruchsfreiheit) unterworfen, sondern „funktionieren“ auch dann, wenn die Prämissen dieser Schlüsse selbst z. B. auf Erfahrungen, dem Rückgriff auf Autoritäten oder Gefühlseindrücken beruhen. So kann ein Schluss wie der von einem sprachlichen Merkmal auf den Charakter der Gruppe alltagslogisch plausibilisiert werden (z. B. wenn „icke“ ein salientes Wortbeispiel des Berlinischen ist, || 11 S. dazu auch die Ausführungen zum System-1-Wissen bei Kahneman (2012) bzw. zum intuitiven Wissen bei Gigerenzer (2007).

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verweist dies auf die Ichbezogenheit der Berliner). Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass diese alltagslogischen Schlüsse häufig nicht haltbar sind.

4.2 Laienlinguistische Wissensbestände/Schichtungen im Projekt Wie aus den Ausführungen zu den Wissensschichten schon deutlich geworden sein dürfte, sind die eben beschriebenen Merkmale und Funktionen von Alltagswissen allesamt auch beim linguistischen Laienwissen zu deutschen Dialekten präsent. Gerade die Tatsache, dass die GPn häufig während der Befragung erst allmählich Zugang zu ihren eigenen Wissensbeständen erlangen, dass sie häufig nicht angeben können, woran sie bestimmte Sprechweisen erkennen können, dass sie darüber hinaus bei einzelnen Sprechweisen Merkmale angeben, die nicht (mehr) dem aktuellen Sprachgebrauch entsprechen oder dass sie in Sprechproben, nachdem sie sie für sich zu einer bestimmten Sprechweise zugeordnet haben, z. T. Merkmale zu hören glauben, die in den Sprechproben gar nicht vorgekommen sind (sog. Pseudomerkmale, vgl. Anders 2005, 2007, 2010: 332), weisen auf zentrale Merkmale des Alltagswissens hin. Das Wissen der GPn in Bezug auf die eigenen Dialektkonzeptionen ist häufig nicht explizierbar oder begründbar, es ist in Teilen erfahrungsresistent, d. h. die bei den GPn vorhandenen Dialektkonzepte sind z. T. losgelöst vom tatsächlichen Sprachgebrauch. Dieses Wissen ist für die GPn jedoch orientierend im Hinblick darauf, dass mit ihm der deutsche Sprachraum erschlossen werden kann, dass medial-vermittelte oder persönliche Erfahrungen (Reisen in die jeweiligen Dialektregionen, Kontakte mit Sprechern aus den Regionen) eingeordnet und zu einem konsistenten Gesamtwissen verbunden werden können. Natürlich ist auch die Funktion der Komplexitätsreduktion relevant, was allein schon daran zu erkennen ist, dass die Dialekte jeweils auf wenige Merkmale reduziert werden, die dann stellvertretend für den ganzen Dialekt stehen können. Diese Komplexitätsreduktion ist den GPn auch durchaus bewusst, was man z. B. daran ablesen kann, dass sie sich über die Unvollständigkeit der eigenen Beschreibungen im Klaren sind (gilt für alle vier Wissensschichten). Interessant mit Blick auf das Forschungsprojekt sind darüber hinaus zwei Ergebnisse, die das Alter und die Herkunft der GPn betreffen: Beim Vergleich der drei AGn der GPn hat sich klar gezeigt, dass die laienlinguistischen Wissensbestände nicht nur heterogen in Bezug auf die einzelnen GPn sind, sondern dass sich zwischen den AGn (AG 1 Schüler: 16–20 Jahre; AG 2 Lehrer: 30–50 Jahre; AG 3 Lehrer: 51–60 Jahre) sehr deutliche Differenzen sowohl in der

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Struktur als auch in den Inhalten dieses Wissens gezeigt haben. So war zwar aus verschiedenen Vorgängerstudien (vgl. Hundt 2010, 2012; Stickel & Volz 1999; Stickel 1999; Bausinger 1972) bekannt, dass linguistische Laien den deutschen Sprachraum i. d. R. in 10 bis 12 Großräume aufteilen. Bislang war allerdings noch nicht geklärt, ab wann linguistische Laien über diese Art der Differenzierung verfügen und ebenfalls unklar war, wie sich diese Großraumaufteilung aus der Perspektive von linguistischen Laien darstellt, die nicht aus der Bundesrepublik Deutschland stammen. Schröder (i. Dr.) kann mit Blick auf die Pilesorting-Aufgabe nachweisen, dass die Anzahl laienlinguistischer Dialektkonzepte mit zunehmendem Alter der GPn steigen. Die jüngeren GPn verfügen über deutlich weniger Dialektkonzepte als die beiden älteren GPn-Gruppen, die sich hier eher ähneln. Es wurden von den jüngeren GPn (Schülern) deutlich weniger Sprechweisen-Stapel gebildet und deutlich mehr Städte aussortiert. Es zeigte sich, dass die jüngeren GPn (16–20 Jahre) noch keineswegs über eine Gliederung in 10–12 Großräume verfügen. Bei den beiden Gruppen der älteren, inländischen GPn (30–50 Jahre, 51–65 Jahre) ist diese Differenziertheit dann erreicht, mit einer Tendenz zu einer größeren Differenziertheit bei der ältesten Gruppe (vgl. Schröder i. Dr.). Wenn man diesen Befund aus Schröder (i. Dr.) vergleicht mit den metasprachlichen Kommentaren, die die GPn zu ihren Stapelbildungen, aber auch bei den anderen Aufgaben (draw-a-map-task, Ratespiel) geben, zeigt sich dasselbe Bild. Bei jüngeren GPn ist die Tendenz zum negativen Varietätenwissen und/oder zum Wissenstyp 1 (unspezifische Ahnung) deutlich größer als bei den beiden älteren Gruppen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als die jüngere Gruppe sowohl in Bezug auf persönliche Erfahrungen mit den jeweiligen Sprechweisen und deren Sprechern als auch in Bezug auf die mediale Vermittlung dieser Konzepte über deutlich weniger Lebenserfahrung verfügen (können) als die älteren GPn. Stellt man nun das Wissen der inländischen GPn dem Wissen der ausländischen GPn (Schweiz, Belgien, Luxemburg, Liechtenstein, Italien (Südtirol), Österreich) gegenüber, wird ein zweiter Punkt deutlich: Die Konzeptualisierung von Dialekten in sprachlichen Großräumen (gesamtes deutsches Sprachgebiet) ist sensitiv für nationale Grenzen. Schröder (i. Dr.) weist dies für die PilesortingAufgabe klar nach. Die ausländischen GPn verfügen über eine weniger differenzierte Gliederung, was den gesamtdeutschen Sprachraum betrifft. Zwar zeigt sich auch hier der Altersfaktor als relevant, dennoch bleibt die Anzahl der unterschiedenen Großräume unter der der inländischen GPn. Die z. B. von Auer (2004), Purschke (2011), Stoeckle (2012), (2014) bemerkte Relevanz politischer (Landes)Grenzen für die laienlinguistische Raumbildung zeigte sich bei den

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ausländischen GPn sehr deutlich. Gleiches gilt natürlich umgekehrt auch für die Konzeptualisierungen inländischer GPn in Bezug auf Sprachräume, die nicht in der Bundesrepublik liegen. Hier verfügen die inländischen GPn i. d. R. nur über landesbezogene Konzepte und Kennzeichnungen (für die ganze Schweiz: SCHWEIZERISCH/SCHWEIZERDEUTSCH o. Ä.; für ganz Österreich: ÖSTERREICHISCH, z. T. noch mit dem Fokus WIENERISCH). Wie bedeutsam solche politischen Grenzen sein können, zeigt auch die Arbeit von Palliwoda (i. Dr.), die die Nachwirkungen der einstigen deutsch-deutschen Grenze bei Dialektkonzeptualisierungen von jüngeren GPn aufzeigen kann. Der Blick auf die metasprachlichen Kommentare der GPn unterstützt wiederum den Befund von Schröder (i. Dr.). Was jenseits der jeweils eigenen Landesgrenze liegt, ist für die GPn konzeptionell eher fern und fremd. Die schweizerischen GPn (Luzern, Zürich) verfügen einerseits über ein sehr differenziertes Dialektwissen in Bezug auf die verschiedenen alemannischen Dialekte in der Schweiz. Dies ist in anderen Studien ebenfalls belegt worden (vgl. z. B. Christen 1998, 2010, 2014). Andererseits sind dann aber die Konzeptualisierungen der Dialekte jenseits der Grenze, also der bundesdeutschen Dialekte, vergleichsweise deutlich weniger differenziert. Gleiches gilt für die GPn aus Italien (Südtirol: Brixen, Bruneck, Meran). Aufgrund des stark dialektal geprägten Alltags (ähnliche Situation wie in der Schweiz) verfügen die GPn hier über sehr detailliertes Wissen zum sprachlichen Nahraum (vgl. die Kommentare bei der draw-a-maptask). Der Blick über die Landesgrenze ist dann jedoch schwierig. Bei der Beschreibung möglicher Dialektkonzepte im binnendeutschen Sprachraum (Bundesrepublik Deutschland) ist die Anzahl der Konzepte (Pilesorting) geringer und die Beschreibung dieser Konzepte (Kommentare zu den Aufgaben) deutlich weniger differenziert als dies bei den vergleichbaren GPn-AGn im binnendeutschen Raum der Fall ist. Offenkundig ist ein ausgeprägtes Laienwissen zu den bundesdeutschen Dialekten oder, genauer formuliert, zu den Dialekten, die nicht im eigenen Land liegen, für die ausländischen GPn weniger relevant. Dies ist auch plausibel und nachvollziehbar, ist doch das oben beschriebene Alltagswissen eine Wissensform, die der Bewältigung der jeweiligen Alltagsaufgaben dienen soll. Dieser kommunikative, kulturelle, ökonomische, soziale etc. Alltag ist für die GPn generell eher der Nahraum und darüber hinaus das eigene Land. Die nationale Grenze bildet hier für den Alltag eine wichtige Barriere. Als viertes Ergebnis kann festgehalten werden: 4. Die Varietätenkonzepte linguistischer Laien entsprechen in Struktur und Funktion dem, was als Alltagswissen/Laienwissen (Wissenssoziologie, Kognitionsforschung) bezeichnet wird. Dieses linguistische Laienwissen ist

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erstens stark altersabhängig, wie die Unterschiede zwischen den AGn der GPn zeigen. Zweitens unterscheidet sich dieses Wissen deutlich je nach der Region, die den Alltag der GPn bestimmt, d. h. nationale Grenzen haben einen großen Einfluss auf die Dialektkonzeptualisierungen linguistischer Laien.

5 Normdekrethypothese vs. Eigenwerthypothese Die Frage nach den Einstellungen gegenüber den Dialekten (und damit auch gegenüber deren Sprechern) wurde im vorliegenden Projekt an verschiedenen Stellen thematisiert. So konnten die GPn bei der MAK kommentieren, welche der von ihnen in den Stapeln sortierten und ggf. zusätzlich charakterisierten Sprechweisen ihnen sympathisch bzw. unsympathisch sind. Ebenso wurde bei der Verortung der Sprechproben im Ratespiel danach gefragt, wie den GPn die jeweiligen Sprechweisen gefallen würden. Zudem – und dies gilt für alle Bereiche der Befragung, in denen die GPn Kommentare über die Sprechweisen abgeben konnten – ließen sich Bewertungen zu den charakterisierten Dialekten auch aus den Beschreibungen der GPn ableiten. Wenn z. B. GP134 (Gammertingen) zu der Sprechweise des Stapels Hamburg/Flensburg anmerkt „lustig“, oder GP53 (Coburg) das HESSISCHE als „durchaus angenehm“ beschreibt (allgemeine Dialektcharakterisierung). Einstellungen gegenüber Konzepten verfügen über Bedeutungsanteile in jeweils drei Dimensionen (vgl. Hundt 1992: 5; Schäfer & Six 1978: Kap. 1): der kognitiven, der emotiven und der konativen (s. o.). Dieses Drei-KomponentenModell ist über die Einstellungen hinaus auch für die Bedeutungsbeschreibung anderer Konzepte sinnvoll einsetzbar, weil diese Dreigliederung letztlich für alle sprachlichen Konzepte greift. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass die GPn bei den Beschreibungen der Dialekte emotive, konative und kognitive Bedeutungsanteile nicht allein bei der Formulierung ihrer Einstellungen zu den Dialekten (sympathisch vs. unsympathisch etc.) äußern, sondern generell bei der Charakterisierung der Dialekte. Dabei bleiben die konativen Bedeutungsanteile in der Regel implizit, sie sind jedoch durchaus vorhanden. Wenn z. B. Beschreibungen wie von GP51 (Coburg) zum BERLINISCHEN genannt werden, wie „Preußisch, Berliner Schnauze, kein Singsang“, dann transportieren Kennzeichnungen wie „Preußisch“ neben der emotionalen Haltung der GPn zum Preußischen (militärisch, diszipliniert, steif o. Ä.) auch konative Komponenten, die sich dann auf das Verhalten der GPn gegenüber Sprechern des BERLINISCHEN beziehen. Allerdings wird dies hier nicht expliziert. Explizite Kommentare zur

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konativen Dimension sind seltener, z. B. bei GP36 (Bruneck/Südtirol) zum SCHWEIZERISCHEN: „als Nichtschweizer kann man es in der Schweiz schwer haben“. Wird der Frage nachgegangen, woher die Einstellungen gegenüber Sprachvarietäten und deren Sprechern kommen, stößt man in der Forschung in der Regel auf zwei Haupthypothesen, die z. T. noch um weitere Hypothesen ergänzt worden sind (vgl. Bezooijen 2002; zur Diskussion dieser Thesen Hundt 2012: 199–203). Auf der einen Seite steht die „inherent value hypothesis“ (Eigenwerthypothese). Nach dieser Hypothese liegen die Ursachen für solche positiven oder negativen Bewertungen in bestimmten sprachlichen Merkmalen der Varietäten selbst (Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik, Pragmatik). Diese Hypothese wurde vielfach kritisiert und kann derzeit als weitgehend widerlegt gelten. Die andere Hypothese – die „social connotation hypothesis“ (Normdekrethypothese) – sucht die Gründe für das Prestige oder Stigma einzelner Sprachvarietäten in sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, historischen oder anderen außersprachlichen Faktoren. Danach kann das Prestige oder Stigma der Sprachvarietäten in keiner Weise mit den sprachlichen Merkmalen dieser Varietäten in Verbindung gebracht werden. Vielmehr sind es außersprachliche Stereotype, die den Sprechern dieser Varietäten zugeschrieben werden und die dann in einem zweiten Schritt dafür sorgen, dass diese Stereotype auf die Sprachvarietäten selbst übertragen werden. Die social-connotation-Hypothese ist in der Forschung als Hauptgrund für die Zuschreibung von Prestige bzw. Stigma zu einzelnen Sprachvarietäten anerkannt (vgl. Giles 1974; Steinig 1980: 110f.; Trudgill 1983: 201–225; Hundt 1992: 11; Bezooijen 2002: 14–15., dezidiert gegen die Eigenwerthypothese bereits Ris 1978: 96). Dies gilt auch dann, wenn man weiteren Faktoren einen Einfluss auf die Einstellungsbildung zubilligt (z. B. Verständlichkeit der Sprachvarietät, Vertrautheit mit der Sprachvarietät, Ähnlichkeit der Sprachvarietät zur eigenen Sprechweise). Die als social connotation hypothesis (Normdekrethypothese) aus der Forschung bekannte Position ist somit sicherlich insgesamt der inherent value hypothesis (Eigenwerthypothese) vorzuziehen. Allerdings muss mit Blick auf die Daten des Projekts festgehalten werden, dass die GPn nur relativ selten auf kulturelle, soziale, historische oder wirtschaftliche Stereotype bei der Charakterisierung von Dialekten, Dialektsprechern oder Regionen zurückgegriffen haben. In vielen Fällen kennzeichnen die GPn die assoziierten oder auch die perzipierten Sprachmerkmale mit Bewertungen, die sie dann im Umkehrschluss wiederum auf die Sprecher projizieren, d. h. z. B. BAYRISCH hört sich gemütlich an, deswegen sind die Bayern gemütlich. Die Berliner sagen „icke“ und das verweist darauf, dass die Berliner sehr ichbezogen sind. Nun ist eine gänzliche

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Umkehr des Schlussverfahrens (von den Höreindrücken und den assoziierten Sprachmerkmalen auf die Sprechergruppen) sicherlich zu weit gehend. Allerdings muss wohl von einer gegenseitigen Beeinflussung ausgegangen werden. Einerseits führen soziale, kulturelle, historische und/oder wirtschaftliche Stereotype zur Aufladung sprachlicher Merkmale, andererseits können aber auch die Sprachmerkmale selbst wiederum dazu führen, dass die GPn bestimmte Bewertungen in Bezug auf die Sprechergruppen vornehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die GPn nach eigenen Aussagen keine weiteren Kenntnisse von den Dialekträumen haben, d. h. wenn sie nach eigenen Aussagen weder über die Medien noch über persönliche Erfahrungen (Bekanntschaften, Reisen in die Dialektregionen etc.) Kenntnisse über die Dialektregionen und deren Sprecher erlangt haben. In diesen – in unseren Daten vergleichsweise häufigen – Fällen muss davon ausgegangen werden, dass die sprachlichen Merkmale allein (ob perzipiert oder assoziiert) tatsächlich zu Bewertungen der Sprechergruppen führen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad eine Rehabilitierung der Eigenwerthypothese, ohne jedoch die grundsätzliche Geltung der Normdekrethypothese in Frage zu stellen. Als fünftes Ergebnis kann festgehalten werden: 5. Bei der Bewertung von Dialekten durch linguistische Laien spielt offenkundig sowohl die Normdekrethypothese (social connotation hypothesis) als auch die Eigenwerthypothese (inherent value hypothesis) eine Rolle.

6 Alltagslogische Schlüsse Alltagslogische Schlussverfahren unterliegen nicht immer den Gesetzen der formalen Logik. Dies zeigt sich z. B. daran, dass in der Alltagslogik teilweise der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) ausgehebelt wird (Beispiel: Frage: „Ist Paul schon da?“ Antwort: „Ja und nein, er ist zwar körperlich anwesend, aber nicht bei der Sache.“). Die Alltagslogik ist somit nicht in allen Fällen zweiwertig in Bezug auf den Wahrheitswert von Propositionen. Ebenso werden im alltagslogischen Denken zuweilen Aussagen und Begründungen sowie behauptete Zusammenhänge akzeptiert, die einer strengen logischen Prüfung nicht standhalten (‚Die Sonne geht auf.‘, ‚Der Wal ist ein Fisch, weil er im Wasser schwimmt und so ähnlich wie andere Fische aussieht.‘). Manche Schlüsse auf der Basis von Alltagslogik sind somit teilweise nicht widerspruchsfrei, konsistent und im wissenschaftlichen Sinne haltbar. Dennoch wird diese logische Unbestimmtheit/Unschärfe im Alltag in bestimmten Fällen akzeptiert, weil und solange sie für die Zwecke der alltagspraktischen Orientierung und Lebensbewältigung hinreichend ist. Auch linguistische Laien greifen bei der

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Beschreibung ihres eigenen Wissens auf alltagslogische Schlüsse zurück. Dabei handelt es sich i. d. R. um Begründungen von Zusammenhängen, die so zwar nicht haltbar sind, die für die GPn aber offenkundig als plausible Erklärungen erscheinen.

6.1 Schluss von der Gruppe auf die Sprache – Schluss von der Sprache auf die Gruppe Schon bei den Bewertungen der Sprechweisen durch linguistische Laien ist ein alltagslogischer Schluss auffällig gewesen: Bayrisch hört sich gemütlich an, deswegen sind die Bayern gemütlich. Die Berliner sagen „icke“ und das verweist darauf, dass die Berliner sehr ichbezogen sind (GP78 (Barth)). Auch auf die Denkweise wird z. T. alltagslogisch von der Sprechweise geschlossen, so wenn GP52 (Coburg) äußert: „Jemand, der über s-pitze S-teine s-tolpert, der denkt anders als jemand der ganz guttural spricht.“ Ebenso ist der Umkehrschluss zu verzeichnen. Die Dialekte sind so, weil die Sprecher so sind. Beides sind alltagslogische Schlüsse, die sprachliche Merkmale in einen direkten Kausalzusammenhang mit Charakter- und Verhaltenseigenschaften der Sprecher bringen. Alltagslogische Schlüsse zeichnen sich dadurch aus, dass sie komplexe Phänomenzusammenhänge in stark vereinfachender Form aufeinander beziehen. Dies führt zu Ergebnissen, die in einem streng logischen Sinn zwar nicht haltbar sind, die aber für die GPn komplexitätsreduzierend sind und die ganz offenkundig eine für die GPn zufriedenstellende bis überzeugende Erklärungsstärke haben. In einzelnen Fällen ist die Richtung des Schlusses nicht eindeutig zu erkennen. Es kann dann davon ausgegangen werden, dass die GP wohl von einer gegenseitigen Determination ausgeht, d. h. von der Sprechweise auf die Gruppe und gleichzeitig von der Gruppe auf die Sprechweise: Etwa wenn GP3 (Eppingen) die für ihn unsympathischen ostdeutschen Dialekte so kommentiert: „und komischerweise verbirgt sich dahinter, dass der Charakter dazu passt“.

6.2 Ausschlussverfahren Ein weiterer alltagslogischer Schluss liegt im häufig angewendeten Ausschlussverfahren: Wenn die GP beim Ratespiel zunächst nicht wusste, wohin sie die Sprechprobe räumlich einordnen sollte, griff sie darauf zurück. Die Orte X und Y konnten es nicht sein (bei diesen Orten hatte die GP eine Vorstellung von der Sprechweise), also musste es der Ort Z sein. Dies zeigt, dass alltagslogische

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Schlüsse nicht immer falsch sein müssen, nämlich dann, wenn die für den Ausschluss relevanten Orte tatsächlich korrekt ausgeschlossen werden konnten. Bei der Pilesorting-Aufgabe verfuhren die GPn häufig nach dem Verfahren, bei dem sie zunächst geographisch zusammengehörige (oder ihrer Meinung nach zusammengehörige) Orte zu Stapeln vereinigten, auch dann, wenn sie zu den so gebildeten Stapeln nur wenige Vorstellungen hatten, was die jeweiligen Sprechweisen betrifft.

6.3 Geographie → kulturelle/soziale Stereotype → Sprache Wie die Arbeit von Schröder (i. Dr.) zeigen konnte, weist die Methode des Pilesortings Vor- und Nachteile auf. Ein Vorteil der Methode liegt darin, dass die GPn nicht bereits über vorgegebene Stimuli (wie politische Grenzen, geographische Besonderheiten etc.) in ihren Antworten geleitet werden. Die Relevanz der vorgegebenen Stimuli auf Karten (bei den draw-a-map-tasks) wurde wiederholt bewiesen (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008; Kehrein, Lameli & Purschke 2010). Ein Nachteil der Pilesorting-Methode besteht allerdings darin, dass bei der Stapelbildung ganz offenkundig geographisches Wissen mit sprachlichem Wissen verbunden wird, im ungünstigsten Fall: dass geographisches Wissen an Stelle von sprachlichem Wissen als Basis für die Stapelbildung herangezogen wird. Diese Verbindung der beiden Wissenstypen folgt einem (allerdings plausiblen) alltagslogischen Schluss. Da Sprache in bestimmten Gebieten gesprochen wird und sich Dialektregionen als zusammenhängende Gebilde präsentieren, ist es logisch anzunehmen, dass räumlich näher beieinander liegende Städte der Pilesorting-Aufgabe auch sprachlich zueinander gehören. Dieser alltagslogische Schluss ist problematisch: Er kann zu Biaseffekten führen. Im ungünstigsten Fall werden dann durch das Pilesorting nur geographisch zusammengehörige Städte in Stapeln geordnet. Dieser Fall ist für die Erhebung im vorliegenden Fall zwar nicht 100%ig auszuschließen, jedoch eher unwahrscheinlich, da die Probanden explizit darauf hingewiesen wurden, dass sie Städte, mit denen sie „nichts anfangen können“, auch aussortieren können und sollen. Von dieser Möglichkeit haben die GPn auch rege Gebrauch gemacht. Die Studie von Schröder (i. Dr.) zeigt, dass v. a. jüngere GPn mehr Städte in dieser Weise aussortiert haben. Wenn also bei den gebildeten Stapelregionen von den GPn in den begleitenden Fragen der Exploratorinnen z. T. wenige Merkmale der Sprechweisen genannt wurden, weist dies eher darauf hin, dass es sich hier um ein negatives Varietätenwissen handelt, d. h. die GPn bilden hier Räume zwar primär auf einer geographischen Basis, jedoch durchaus mit einem sprachlichen Bezug. Eben in Form eines alltagslogischen Schlusses: Im ganzen deut-

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schen Sprachraum gibt es verschiedene Sprechweisen, bestimmte Orte gehören geographisch zusammen, ergo: An diesen Orten wird gleich oder ähnlich gesprochen. Dies gilt auch und gerade dann, wenn die GP von einzelnen Regionen überhaupt keine Vorstellung hat, wie dort gesprochen wird. So werden Sprachregionen aus der geographischen Zuordnung erschlossen und konstruiert, ohne dass konkrete varietäre Konzepte vorliegen. Diese alltagslogische Konstruktion von Dialekten funktioniert somit nach einem Korrelationsverfahren. Geographisches Wissen wird mit analog erschlossenem oder projiziertem sprachlichem Wissen korreliert. Die Orte, die man zwar geographisch einander zuordnen kann, mit denen man jedoch in sprachlicher Hinsicht nichts verbindet, werden zu einem konstruierten Dialekt, einer konstruierten Sprechweise vereinigt. Solche Konzeptualisierungen von Dialekten sind selbstverständlich nicht einfach mit denen zu vergleichen, bei denen konkrete Dialektmerkmale (ob assoziiert oder perzipiert) oder Vorstellungen zu den Sprechern dieser Dialekte vorliegen. Es handelt sich vielmehr um Konzeptualisierungen aus einem negativen Varietätenwissen heraus (s. u. zu den Wissensschichtungen). Es ist dann den GPn zwar nicht möglich, genaue Angaben zur jeweiligen Sprechweise in diesen Regionen zu machen, sie sind sich aber dessen bewusst bzw. sie gehen davon aus, dass diese Region dennoch über eine spezifische, eigene Sprechweise verfügt. Ein Beispiel für diese Art eines alltagslogischen Schlusses ist die Charakterisierung der KÜSTENSPRACHE: Im ersten Zugriff werden dabei die Städte, die an der Küste vermutet werden, einander auf der Basis geographischen Wissens zugeordnet. Solche primär geographisch basierten Zuordnungen finden sich z. B. auch bei der Charakterisierung des „Ruhrgebiets“ oder bei Charakterisierungen, die über die Landesgrenzen hinausgreifen (Österreich bzw. Schweiz aus binnendeutscher Sicht). Bei der KÜSTENSPRACHE gibt es in einzelnen Fällen jedoch auch einen darüber hinausgehenden Schluss: Von der Geographie zu kulturellen/sozialen Stereotypen, d. h. zu typischen Verhaltensweisen der Bewohner dieser Gegenden. Im zweiten Schritt werden somit in einzelnen Fällen Stereotype zu den Menschen, die an der Küste wohnen, aktiviert (Seemänner, Schifffahrt etc.). Diese Stereotype können dann wiederum auf die Sprache angewendet werden: „Sprechen wie die Seemänner“. So entsteht in diesem Fall sogar ein Konzept, das über ein gänzlich negatives Varietätenwissen hinausreicht und immerhin angereichert ist um soziale/kulturelle Stereotype. Die Orte an der Küste werden dadurch zu Vertretern der KÜSTENSPRACHE. Von Rostock bis Lübeck, Hamburg, Kiel, Flensburg wird ähnlich gesprochen (wobei es hier auch Unterschiede gibt, vgl. Hannemann in diesem Band).

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6.4 Weitere nichtsprachliche Faktoren zur Konstruktion von Sprachräumen Die Orientierung an der geographischen Nähe (beim Pilesorting), die reziproke Projektion von Sprache auf die Gruppe und umgekehrt, das Ausschlussverfahren (im Ratespiel) sind sicherlich die wichtigsten alltagslogischen Schlüsse, die bei den linguistischen Laien in der Befragung eine Rolle spielten. Als Erweiterung des Prinzips des korrelierenden Schließens müssen jedoch auch andere Faktoren berücksichtigt werden. Wenn sich die GPn über die mögliche Ausdehnung der von ihnen zusammengestellten (Pilesorting/MAK) oder eingezeichneten (draw-a-map-Methode/MIK) Dialekträume unsicher waren, griffen sie auch immer wieder auf folgende Faktoren zurück: politische Grenzen (nationalstaatliche Grenzen, Bundesländergrenzen) oder geographische Besonderheiten (Schwarzwald, Ruhrgebiet, Küste). Als sechstes Ergebnis kann festgehalten werden: 6. Laienlinguistische Konzepte sind in manchen Fällen ad hoc und auf der Basis von alltagslogischen Schlüssen konstruiert, so dass hier nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden kann, dass sich diese Konzepte auf tatsächlichen Erfahrungen mit den Varietäten und/oder deren Sprechern gründen. Hier ist mit einer Bandbreite der Konzeptualisierung zu rechnen, die vom negativen Varietätenwissen aufgrund von Korrelationsschlüssen einerseits bis hin zu durchaus mit sprachlichen Merkmalen fundierten Konzeptualisierungen reicht, bei denen dann wiederum alltagslogische Schlüsse zur Charakterisierung der Sprecher (die Sprecher haben diese und jene Charaktereigenschaften, weil der jeweilige Dialekt diese und jene Eigenschaften hat) bzw. zur Charakterisierung der Sprechweisen genutzt werden (der Dialekt ist so und so ausgeprägt, weil die Sprecher über bestimmte Charakter- und Verhaltenseigenschaften verfügen). Interessant und für die Konzeption von Folgeuntersuchungen relevant ist dabei, dass sowohl die Komplexität des laienlinguistischen Wissens (Zugänglichkeitsgrade und Wissenstypen s. o.) als auch die verschiedenen Arten alltagslogischer Schlüsse in den Kommentaren der GPn deutlich zum Vorschein gekommen sind. Weitere Studien zu diesem Thema können nun einzelne Bereiche dieses vielschichtigen laienlinguistischen Wissens untersuchen.

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7 Fazit Zunächst muss erwähnt werden, dass die Ergebnisse dieser Studie zum linguistischen Laienwissen nicht auf der vollständigen Auswertung aller metasprachlichen Kommentare der GPn im Forschungsprojekt beruhen (können), sondern auf einer repräsentativen Auswahl. Erst wenn die Interviews vollständig transkribiert sein werden, sind über diese qualitativen Analysen hinaus auch quantitative Auswertungen der metasprachlichen Daten/Kommentare möglich. Die qualitativen Analysen zeigen deutlich, dass sich der multimodale Zugang, wie er im Forschungsprojekt gewählt wurde, bewährt hat. Jede der verwendeten Methoden (draw-a-map-task, Pilesorting, Sprechprobenverortung, leitfadengesteuertes Tiefeninterview) hat Stärken und Schwächen. Mit jeder der Methoden wird jedoch auch eine bestimmte Facette der laienlinguistischen Dialektkonzepte fassbar. Auf dieser methodischen Basis konnten eine Reihe von Ergebnissen erzielt werden, die uns der Antwort auf die Frage nach den spezifischen Wissensstrukturen und Inhalten der laienlinguistischen Dialektkonzepte näher bringen. Sechs Ergebnisse sind dabei relevant: 1. Das linguistische Laienwissen, d. h. die Konzeptualisierungen zu den einzelnen Dialekten sind sehr heterogen und nur bedingt generalisierbar. 2. Die Anwendung mehrerer Methoden (mental maps auf Mikro- und Makroebene, die Sprechproben, die zusätzlichen Fragen im Gespräch) hat sich bewährt, weil die GPn so aus unterschiedlichen Perspektiven auf das eigene Wissen zugreifen können und es so z. T. erst selbst entwickeln, ähnlich wie bei Kleists „Verfertigung der Gedanken beim Reden“. 3. Die GPn verfügen über unterschiedliche Wissensschichtungen, die von einem negativen Varietätenwissen einerseits bis hin zu spezifischen Charakterisierungen der Sprechweisen/Dialekte unter Rückgriff auf Einzelmerkmale reichen. Der Prozess der Wissensrekodierung ist für linguistische Laien graduell, je nach Methode und eigenem Nachdenken können sie unterschiedlich komplexe Dialektkonzepte explizieren. 4. Die Varietätenkonzepte linguistischer Laien entsprechen in Struktur und Funktion dem, was man als Alltagswissen/Laienwissen (Wissenssoziologie, Kognitionsforschung) bezeichnen kann. Dieses linguistische Laienwissen ist erstens stark altersabhängig, wie die Unterschiede zwischen den AGn der GPn zeigen. Zweitens unterscheidet sich dieses Wissen deutlich je nach der Region, die den Alltag der GPn bestimmt, d. h. nationale Grenzen haben einen großen Einfluss auf die Dialektkonzeptualisierungen linguistischer Laien.

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Bei der Bewertung von Dialekten durch linguistische Laien spielt offenkundig sowohl die Normdekrethypothese (social connotation hypothesis) als auch die Eigenwerthypothese (inherent value hypothesis) eine Rolle. Laienlinguistische Konzepte sind in manchen Fällen ad hoc und auf der Basis von alltagslogischen Schlüssen konstruiert, so dass man hier nicht in jedem Fall davon ausgehen kann, dass sich diese Konzepte auf tatsächlichen Erfahrungen mit den Varietäten und/oder deren Sprechern gründen.

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Patrick Beuge

Laienlinguistisches Sprachnormwissen Abstract: Dieser Beitrag widmet sich dem laienlinguistischen Sprachnormwissen und geht der Frage nach, wie linguistische Laien eine gute Sprache, d. h. sozial erwünschte sprachliche Handlungen und Produkte konzeptualisieren. Hierbei stützt sich der Beitrag hinsichtlich der in ihm analysierten Daten auf den letzten Teil des Untersuchungssettings des DFG-Projekts, in dem mittels leitfadengestützter Interviews die Gewährspersonen (GPn) zu ihren Vorstellungen eines „guten Deutsch“ befragt wurden. Ziel des Beitrags ist es, durch die Analyse metasprachlicher Äußerungen die Konturen eines solchen Sprachnormwissens nachzuzeichnen. Schlüsselwörter: Laienlinguistik, Sprachnormwissen, Sprachnorm, Alltagswissen

1 Die Rekonstruktion laienlinguistischen Sprachnormwissens Im Zuge der Etablierung von auf den linguistischen Laien ausgerichteten Forschungsgebieten innerhalb der Linguistik ergeben sich insbesondere an der Schnittstelle dieser Gebiete mit wissenssoziologischen Ansätzen, deren Anliegen das Beschreiben, Verstehen und Erklären gesellschaftlicher zeichengebundener Konstruktionen und somit generell menschlichen Wahrnehmens und Handelns ist, neue theoretisch-methodologische Perspektiven, die die alltäglichen Wissensbestände des „Mannes auf der Straße“ (Schütz 1972: 88) in den Fokus rücken. Diese können vor dem Hintergrund einer sozialphänomenologisch orientierten Wissenssoziologie terminologisch als Alltagswissen bzw. in Bezug auf sprachliche Phänomene als sprachbezogenes Alltagswissen (vgl. Lehr 2002) oder kurz: Sprachwissen definiert werden. Als ein Teil dieses Sprachwissens kann hierbei ein Wissen über sozial (nicht) erwünschte sprachlichkommunikative Handlungen, Produkte und diesbezügliche Erwartungen angesehen werden, welches als Sprachnormwissen bezeichnet werden kann (vgl.

|| Beuge, Patrick: Germanistisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, Tel. 0431/8802316, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-006

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Gloy 1987: 119–124). Hierbei sollen Sprachnormen im Kontext dieses Beitrags verstanden werden als eine Teilmenge sozialer Normen, womit sich dieses Verständnis vor allem an das von Gloy herausgearbeitete Sprachnormkonzept anschließt (vgl. Gloy 1974, 1975, 1987, 1997, 2012).1 Sprachnormen bestimmt er als intentionale bzw. modale Sachverhalte, welche „die Bildung, Verwendungsabsicht, Anwendung und Evaluation sprachlicher Einheiten der verschiedensten Komplexitäten regulieren (sollen)“ (Gloy 1987: 121). Sprachnormen sind demnach eine (kollektiv-verbindliche) Orientierungshilfe, die der (sprachbezogenen) Verhaltensregulierung und –stabilisierung dienen, eigenes sowie fremdes Handeln, Handlungsprodukte und diesbezügliche Erwartungen erwartbar machen und somit letztlich komplexitätsreduzierend und handlungsentlastend sind. Ein so beschaffenes Wissen, d. h. Sprachnormwissen ist zu verstehen als ein Wissen darüber, welche sprachlichen Produkte und Handlungen beispielsweise (nicht) angemessen, erwünscht, richtig oder erstrebenswert sind, was nicht nur die Erwartungen betrifft, die der Handelnde an andere Handelnde richtet, sondern ebenfalls die sog. „Erwartenserwartungen“ (Luhmann 2008: 33), also Erwartungen, die der Handelnde an sich selbst richtet, da dieser erwartet (und dieses Erwarten für ihn eine gewisse Verbindlichkeit aufweist), dass andere bestimmte Erwartungen hinsichtlich eines von dem Handelnden auszuführenden Verhaltens haben. Strebt man eine Rekonstruktion der Inhalte und Strukturen dieses in der Lebenswelt des Alltags verankerten, laikalen Sprachnormwissens an, zieht dies zwangsläufig theoretisch-methodologische Konsequenzen nach sich: Sprachnormen als intersubjektiv existierende Einheiten eines sozial abgeglichenen und sozial sowie lebensgeschichtlich erworbenen und (sprachlich) vermittelten sprachlichen Wissens sind aufgrund des sich aus dieser Konzeptualisierung ergebenden ontologischen Status als „Institution im Reich der Gedanken“ (Gloy 1997: 22) keine direkt beobachtbaren empirischen Gegebenheiten. Ein so beschaffenes Sprachnormwissen kann im Rahmen einer empirischen Sprachnormenforschung somit lediglich indirekt beobachtet und in einem hermeneutischrekonstruierenden Prozess der Analyse von Externalisierungen dieses Sprachnormwissens in Form metasprachlicher Äußerungen erfolgen. So kann dieses Wissen als sozial konstruierter, objektivierter und intersubjektiv vermittelter

|| 1 Zum Alltagswissen vgl. Schütz & Luckmann (2003), Schütz (1981) sowie die Ausführungen Hundts in diesem Band; zum Sprachwissen vgl. Mattheier (1985: 56), Ziegler (1996: 146–151), Schlieben-Lange (1975), Scherfer (1983: 19–75) sowie insbesondere die beiden wissenssoziologisch ausgerichteten empirischen Arbeiten von Lehr (2002) zum sprachbezogenen Alltagswissen und Jürgens (2015) zum Niederdeutschen.

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Sinn,2 der durch Mitglieder einer Gesellschaft in kommunikativen Prozessen, dem „Rattern [der] Konversationsmaschine“ (Berger & Luckmann 2010: 163), konstituiert wird, somit nur durch seine empirisch zugängliche und analysierbare Form forschungspraktisch handhabbar gemacht werden. Dies soll im Folgenden auf der Grundlage der „extrapersonal und materiell-manifestierte[n] Wissensrepräsentationen“ (Konerding 2014: 61) erfolgen, die in Form sprachlich-symbolischer Zeichen eines explizierbaren, deklarativen Wissens, bei dem eben jene Möglichkeit einer Inter-/Externalisierung gegeben ist, vorliegen und anhand derer eine empirisch geleitete Rekonstruktion möglich ist.3 Die Verfahren, durch die Mitglieder einer Gesellschaft soziale Realität herstellen bzw. in einem interpretativen Prozess deuten, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von jenen, die zu einer (Re-)Konstruktion der Inhalte und Strukturen alltäglicher Wissensbestände beitragen, legt man zugrunde, dass Menschen generell Wissen gemäß ihrer Dispositionen auslegen und vor allem in (alltäglichen) Interpretationsprozessen deuten. Allerdings – und das unterscheidet Alltagsmensch und Wissenschaftler und somit alltägliches und wissenschaftliches Verstehen – versucht letzterer nicht nur durch Reflexion sich der Voraussetzungen und Methode des eigenen Verstehens bewusst zu werden, sondern dieses Verstehen erfolgt ebenso vor dem Hintergrund einer Handlungsentbundenheit von alltagspragmatischen Kontexten.4 Möchte man sich diesen Wirklichkeitskonstruktionen im Rahmen einer qualitativ-hermeneutischen wissenssoziologischen Forschung nähern, ist es notwendig, eine Möglichkeit zur Erschließung, und somit letztlich auch zum Verstehen und Erklären, dieser Konstruktionen zu entwickeln.

|| 2 Sinn ist hier zu verstehen als „Bezugnahme auf etwas vor dem Hintergrund von Anderem und Ähnlichem: Erst wenn das Bewusstsein die Erfahrung von etwas mit etwas anderem vergleicht, dem es ähnelt oder von dem es sich unterscheidet, haben wir es mit Sinn zu tun. Sinn wird durch diesen Akt des Bewusstseins hergestellt, der in der Typisierung einen bekannten Ausdruck findet […] Sinn also ist kein Inhalt, sondern eine Form, genauer: eine bestimmte Aktivität des Bewusstseins, die in der Bezugnahme besteht.“ Knoblauch (2014: 352). 3 Freilich besteht nicht immer die Möglichkeit der Externalisierung aller Formen des Wissens, denn man kann durchaus annehmen, dass es auch ein Wissen gibt, welches sich nicht explizit verbalisieren lässt; hierzu Polanyi (1985) sowie Ryle (2009). 4 Weitere Unterschiede wären zudem informelle und unsystematische Beobachtungen alltäglicher Verstehensprozesse vs. die zielgerichtete, reflektierte und systematische wissenschaftliche Beobachtung. Zudem besteht der Anspruch, verzerrende Faktoren wie z. B. selektive Wahrnehmung oder auch Dissonanzvermeidung in der Wissenschaft entsprechend zu vermeiden, ebenso wie unsystematische Schlussfolgerungen, so dass eigene Erwartungen, Vorurteile, eine Verallgemeinerung von Ergebnissen sowie eine oberflächliche und undifferenzierte Argumentation möglichst ausgeschlossen werden.

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Eine solche Vorgehensweise bildet das „methodisch kontrollierte Fremdverstehen“ (Kallmeyer 2005: 979), welches darauf abzielt, alltägliche Konstruktionen zu rekonstruieren, um diese letztlich zu beschreiben, verstehen und erklären zu können. Ein solches Verfahren, das sich innerhalb qualitativ verfahrender Forschung bereits etabliert hat (vgl. Mey & Mruck 2014), kann insbesondere im Rahmen einer Analyse metasprachlicher Äußerungen, wie sie (nicht nur, aber auch) den Gegenstand der Laienlinguistik bilden, fruchtbare Erkenntnisse liefern. Mittels der Analyse solcher Äußerungen kann schließlich eine Rekonstruktion subjektiver Wissensbestände erfolgen, geht man davon aus, dass sprachlich-kommunikative Produkte und Handlungen des Individuums im Laufe der Sozialisation von anderen Sprechern durch metakommunikative Äußerungen „bestätigt und gefestigt, aber auch ergänzt und korrigiert [werden, P. B.] […] durch Urteile der Kommunikationsgemeinschaft über die in dieser Gemeinschaft erwünschte Art und Weise“ (Hartung 1977: 17). Diese „erwünschte Art und Weise“, von welcher sich Sprecher leiten lassen bzw. anhand derer diesen die Möglichkeit geboten wird, sprachlich-kommunikative Handlungen und Produkte als gut, richtig oder auch schlecht, falsch zu bewerten, gibt somit Auskunft über ein kollektiv geteiltes Sprachnormwissen einer Sprachgemeinschaft bzw. über Kenntnisse darüber, was als sprachlich normgemäß oder normabweichend zu gelten habe. Gerade aufgrund der Möglichkeit einer Externalisierung und Diskursivierung dieses Wissens kann überhaupt erst eine hermeneutischrekonstruierend verfahrende qualitativ orientierte Analyse vorgenommen werden, die letztlich eine (Re-)Konstruktion dieser „Konstruktionen 1. Ordnung“ (Soeffner 1999a: 42) anstrebt.5 Bei den durch die Wahl des qualitativ hermeneutisch-rekonstruierenden Ansatzes gewonnenen (Re-)Konstruktionen der Konstruktionen erster Ordnung handelt es sich um typisierte und sozial konstruierte Klassifizierungen auf der Basis von Alltagswissen, sodass der jeweils im Einzelfall subjektive Ursprung dieses subjektiven Wissens gleichzeitig auch kollektiv-empirischen Ursprungs ist. Diese Kollektivität ist begründet im gesellschaftlichen Wissensvorrat, da bei dessen Konstitution auf bereits sedimentierte Zeichen- sowie Wissensschemata zurückgegriffen wird, welche ihren Ursprung in jenen gesellschaftlichen bzw. soziohistorisch generierten Zeichen- und Wissensvorräten haben und mittels sprachlich-symbolischer Zeichen diskursiv prozessiert werden (vgl. Keller 2011: 42–43). Im Rahmen einer Rekonstruktion dieser gesellschaftlichen Konstruktio-

|| 5 Hierzu im Detail: Soeffner (1999a: 39–43). So befürworten ebenso Mattheier (1985: 54), Dovalil (2013: 68) sowie Gloy (1997: 27–29, 2012: 26) eine an qualitativ-hermeneutischen Methoden orientierte Sprachnormforschung.

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nen, welche den „subjektiv gemeinten Sinn“ (Berger & Luckmann 2010: 20) nachzeichnen und verstehen will, kann und muss eine angestrebte Objektivität und Repräsentativität der gewonnenen Erkenntnisse allerdings relativiert werden bzw. ist eine Übertragung von Kriterien, die für eine quantiative Forschung entwickelt wurden, nur bedingt anwendbar (vgl. u. a. Saldern 1995: 331–371; Wolf 1995: 309–329). Aufgrund der Subjektivität und Singularität des Verstehens/des Verstehenden, zumal es der Forschende nicht mit objektiv gegebenen und somit messbaren Größen, sondern sozialen Konstrukten zu tun hat, kann dieser Sinn nur jeweils im Einzelfall interpretativ erschlossen werden (vgl. Koller 2006: 84–85; Soeffner 1999b; Reichertz 2006: 85–89). Eine intersubjektive Überprüfbarkeit der Ergebnisse und Replikation der Untersuchung ist daher aufgrund der begrenzten Standardisierbarkeit des Vorgehens qualitativer Forschung nicht gegeben (vgl. Steinke 2010: 322). Stattdessen schlägt Steinke vor, eine „intersubjektive […] Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses“ (Steinke 2010: 324) anzustreben, die unter anderem durch eine Dokumentation des Forschungsprozesses bzw. der Erhebungsmethoden, des Erhebungskontextes und der Transkriptionsregeln sichergestellt werden kann. Statt (statistischer) Repräsentativität geht es im Rahmen einer qualitativ orientierten Vorgehensweise in erster Linie darum, Fälle auszuwählen, denen im Hinblick auf die Fragestellung eine Bedeutsamkeit zukommt. Ziel ist keine Verallgemeinerbarkeit, sondern der Fall bzw. die Fälle, um die Komplexität des untersuchten Phänomens zu erfassen, was sich nicht quantitativ in der Zahl der Fälle niederschlägt; sondern relevant ist der Informationsgehalt des Falles in Bezug auf das untersuchte Phänomen als exemplarischer Einzelfall. Im Folgenden soll ein Einblick in die Anwendung zweier qualitativer Verfahren geboten werden, zum einen das leitfadengestützte halbstrukturierte Interview als Methode zur Erhebung metasprachlicher Daten und zum anderen die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) und Kuckartz (2016) als Methode zur Rekonstruktion eines laienlinguistischen Sprachnormwissens als Teil des sprachbezogenen Alltagswissens. Hieran schließt sich eine Problematisierung dieser Methoden sowie der hierdurch gewonnenen Ergebnisse an. Zunächst erfolgt eine kurze Beschreibung des Forschungskontextes, aus welchem die Daten, auf die im vorliegenden Beitrag Bezug genommen wird, stammen.

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2 Qualitative Methoden im Kieler DFG-Projekt Empirische Datengrundlage der hier skizzierten Analyse bilden qualitative Daten aus halbstrukturierten leitfadengestützten Interviews, die im Zuge der Exploration im Kieler DFG-Projekt zwischen April 2011 und Februar 2015 erhoben wurden.6 Bei der Erhebung subjektiver Wissensbestände, wie sie im Rahmen des Projektes angestrebt wurde, lassen sich unterschiedliche inhaltliche sowie methodische Schwerpunkte ausmachen, die sich in der Konzeption des Fragebogens bzw. Leitfadens der Untersuchung niederschlagen.7 Den für den vorliegenden Beitrag relevanten Teil innerhalb des Untersuchungssettings bildet der letzte Fragenkomplex des gesamten Interviews. Er umfasst sechs offene Fragen, mittels derer die Rekonstruktion der Inhalte und Strukturen eines laienlinguistischen Sprachnormwissens angestrebt wird und die sich jeweils auf unterschiedliche Sachverhalte beziehen. Die den GPn gestellten Fragen lauteten: 1. Was ist für Sie „gutes Deutsch“? 1.1 Woran erkennen Sie, dass jemand „gutes Deutsch“ spricht? 1.2 Durch welche Merkmale/Besonderheiten zeichnet sich diese Sprechweise aus? 1.3 Wie würden Sie „gutes Deutsch“ noch benennen? Haben Sie einen anderen Namen für „gutes Deutsch“? 1.4 An wem oder was orientieren Sie sich, wenn Sie „gutes Deutsch“ verwenden? Gibt es Personen oder Instanzen, die bestimmen, was „gutes Deutsch“ ist? 2. Was denken Sie, woher kommt …/wie ist … entstanden? Mittels der offenen Fragen 1., 1.1 und 1.2 wird hierbei eine Erfassung assoziativer Äußerungen zur Struktur eines laienlinguistischen Sprachnormwissens im Hinblick auf die unterschiedlichen Bezugsebenen (z. B. Lautung, Flexion, Paraverbales usw.) eines sprachnormkonformen, sprachlich-kommunikativen Handelns bzw. dessen Produkte sowie im Speziellen hinsichtlich der Inhalte, d. h. konkrete sprachlich-kommunikative Phänomene, die diesen Ebenen zugeord-

|| 6 Für eine detaillierte Beschreibung des Projektes vgl. die Einleitung und die einzelnen Beiträge in diesem Band sowie Hundt, Palliwoda & Schröder (2015a, b). 7 Zu den unterschiedlichen Methoden wie der Pilesort-Methode, mental maps oder ReizReaktions-Tests, ihrer Anwendung und Ergebnissen vgl. u. a. Anders (2008, 2010a, 2010b); Anders, Palliwoda & Schröder (2014); Palliwoda (2011, 2012); Palliwoda & Schröder (2016); Schröder (2015), zum laienlinguistischen Sprachnormwissen vgl. Beuge (2014, 2016) sowie Beiträge in diesem Band.

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net werden können, angestrebt. Frage 1.3 bezieht sich auf eine Bezeichnung für eine sprachnormkonforme Sprechweise bzw. ein Konzept, welches sich durch die zuvor genannten (positiven) Eigenschaften auszeichnet. Durch Frage 1.4 soll überprüft werden, ob ein sprachnormatives Vorbild in Form prototypischer Sprecher bei der Alltagskonzeptualisierung von Relevanz ist. Zudem kann mit dieser Frage überprüft werden, ob (und wenn ja, inwiefern) prestigebehaftete Varietäten, Instanzen und/oder Sprecher existieren. Weiterhin zielt diese Frage darauf ab, die Relevanz normsetzender Instanzen zu ermitteln, also wie sich beispielsweise Kodizes, Modellsprecher oder andere Personen/Institutionen in ihrer Funktion als normsetzende Instanzen (vgl. Ammon 2005) aus Sicht der laienlinguistischen GPn beschreiben lassen bzw. welcher Status ihnen beigemessen wird (vgl. hierzu Beuge 2016). Der Vorteil der hier verwendeten qualitativen Erhebungsmethode der halbstrukturierten leitfadengestützten Interviews besteht darin, dass durch die gestellten, offen gehaltenen Fragen die GPn die Möglichkeit haben, eigene thematische Relevanzsetzungen innerhalb des Gespräches einzubringen, somit die thematischen Schwerpunkte selbst zu wählen und aus den hieraus hervorgegangenen Daten, als Produkt verbaler Kommunikation, Aspekte der Wirklichkeitserfahrung rekonstruiert werden können. Während mit geschlossen konzipierten Fragebögen zumeist nur die Zustimmung zu (den von dem Forscher) vorgegebenen Konstrukten erfasst werden kann, bietet das qualitative Interview hier die Möglichkeit, variationsreiche und heterogene Daten zu sammeln. Lassen sich mittels standardisierter und auf Quantität ausgerichteter Befragungen mit wenig Aufwand große Datenmengen leicht sammeln und auswerten, sind die hierbei aktivierten und erhobenen Wissensbestände jedoch stark durch die Erhebungsmethode überformt. So ist es beispielsweise fraglich, ob die GPn auch diejenigen Merkmale zur Erklärung heranziehen würden, die ihnen bei einem geschlossenen Fragebogen vorgegeben werden.8 Natürlich sind auch Daten aus qualitativen Interviews nie

|| 8 Als ein illustratives Beispiel hierfür findet sich z. B. bei Helfferich (2011: 21–22): „Wenn wir in dem Fragebogen einer Studie zu reproduktiven Biographien […] gefragt haben „War die Schwangerschaft geplant?“, haben wir unterstellt, wie in der standardisierten Forschung üblich, dass Forschende und Befragte den untersuchten Phänomenen und den in Frageformulierungen verwendeten Begriffen – hier dem Begriff „Planung“ – den gleichen Sinn unterlegen und die gleiche Relevanz zumessen. Wie Frauen zu Schwangerschaften kamen, wurde dann auch Thema in qualitativen Interviews bei denselben Befragten. Es ergaben sich Diskrepanzen. Einige Frauen, die bei der geschlossenen Frage Planung bejaht hatten, antworteten im qualitativen Interview sinngemäß z. B. „gewollt ja, geplant nein“ oder „weder geplant noch ungeplant“. Der relevantere Begriff war für sie die Gewolltheit, nicht die Geplantheit, und sie „dach-

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natürliche Daten, da sie in einer methodisch weitestgehend kontrollierten Situation erhoben wurden, die vorher als solche definiert wurde und deshalb keine alltägliche Gesprächssituation bildet. Somit sind Erhebungssituation und Daten selbst künstlich herbeigeführt und ebenso Verzerrungen unterworfen (vgl. hierzu Deppermann 2014: 134–136). Die Interviews wurden nach der Aufzeichnung mittels der Transkriptionssoftware EXMARaLDA (vgl. Schmidt & Wörner 2009 sowie exmaralda.org/de/) orthographisch in Kleinbuchstaben transkribiert und aufbereitet. Die Analyse des Materials erfolgte mittels der QDA-Software MaxQDA (vgl. Kuckartz 2010). Bei der Analyse der Daten fiel die Entscheidung zur Wahl des Analyseinstruments auf die Qualitative Inhaltsanalyse, wie sie derzeit von Mayring (2010) und Kuckartz (2016) vertreten wird, da durch dieses Verfahren eine möglichst materialnahe Auseinandersetzung mit den Daten möglich ist. Hierbei war es zunächst notwendig, diejenigen Texte bzw. Interviews in das Korpus zu integrieren (im vorliegenden Fall qualitative halbstrukturierte leitfadengestützte Interviews), die zur Befriedigung des Erkenntnisinteresses der Arbeit dienen. Die jeweiligen Einzelinterviews sind hierbei die jeweiligen Analyseeinheiten bzw. Fälle. Findet nun eine Zuordnung von Textstellen zu Kategorien innerhalb eines Falles statt, spricht man von Kodiereinheiten, die sich dann den entsprechenden Ober- oder Unterkategorien zuordnen lassen; hierbei kann diese Kodiereinheit eine beliebige Komplexität aufweisen: von der einzelnen Wortform bis zur Textebene. Somit dient das Kodieren dem Konzeptualisieren von Daten und der Identifizierung und Dimensionalisierung der Eigenschaften von Kategorien. Das so gewonnene Kategoriensystem dient somit der Erfassung der aus der Fragestellung abgeleiteten (und im Falle einer deduktiven Kategorienkonstruktion: theoretisch begründeten) relevanten Aspekte aus dem Material und ist erkenntnisstrukturierend und komplexitäts- bzw. materialreduzierend. Die kodierten Segmente stellen hierbei kodierte Sinneinheiten dar, die Kodierung ist also semantisch. Das Kategoriensystem, welches in diesem Fall im Vorwege durch eine deduktiv-theoriegeleitete Kategorienkonstruktion erstellt wurde, orientiert sich hierbei an unterschiedlichen Klassifikationskriterien soziolinguistischer Sprachnormenforschung, die zuvor aus der Literatur extrahiert wurden, um so einen ersten Bezugsrahmen zur Interpretation der Daten zu bilden.9 Hierbei bildet der nachfolgende Ausschnitt des Kategoriensystems lediglich

|| ten“ den Begriff „Planung“ aus einer anderen Perspektive als aus der Perspektive der Bevölkerungsmedizin“. 9 Im Einzelnen hierzu Gloy (1974: 239–282, 1975: 62–65); Hartung (1977: 25–42, 1984: 271–272, 1987: 328–332); Bartsch (1987: 5–61); Dittmar (1997: 166–169) sowie Schwarz (1977: 79–98).

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einen Teil des gesamten Kategoriensystems, welches für den vorliegenden Beitrag gekürzt wurde: (1) Normen zur Beschaffenheit der Äußerung (11) Korrektheit (111) lautliche Eigenschaften (112) Syntax (113) Grammatik Dieses Kategoriensystem wurde hiernach am Material angewandt und während der Analyse differenziert, um im Anschluss daran die Ergebnisse interpretieren zu können. Bei der Rücküberprüfung des auf Basis der Forschungsliteratur konstruierten Kategoriensystems wurde, bedingt durch die zirkuläre Vorgehensweise des qualitativen Forschungsprozesses, eine Revidierung einzelner Kategorien vorgenommen, da sich einzelne vorab konstruierte Kategorien, die beispielsweise Aussagen zu Interpunktion oder Normen zur Regelung von kommunikativen Rahmenbedingungen fassen sollten und im Vorwege aus sprachwissenschaftlicher Sicht relevant erschienen, als laienlinguistisch irrelevant herausstellten. So konnte das Kategoriensystem soweit optimiert werden, dass eine gegenstandsadäquate Auswertung möglich war.10

3 Fallbeispiele Als eine aus dem Material extrahierte Kategorie konnte Grammatik ermittelt werden, welche im Folgenden näher betrachtet werden soll. Unter dieser lassen sich Äußerungen zur grammatischen Beschaffenheit sprachlicher Produkte und Handlungen fassen, wobei in den meisten Fällen keine Explikation seitens der Laien erfolgt, was konkret darunter zu verstehen sei, und ggf. somit keine Zuordnung zu den bestehenden Kategorien, die aus der soziolinguistischen Sprachnormenforschung deduktiv gewonnen wurden und an sprachstrukturelle Klassifikationskriterien angelehnt sind, möglich ist. Es zeigt sich für diese Kategorie fallübergreifend eine häufige Verwendung von Attribuierungen zu Grammatik, die auf grammatische Korrektheit/Richtigkeit referieren: „die grammatik stimmt“ (GP1 (Eppingen)), „dass die grammatik richtig verwendet wird“ (GP6 || 10 Für eine detaillierte Beschreibung des qualitativen Forschungsprozesses vgl. Mayring (2010), Kuckartz (2016) sowie die Anwendung in Beuge (2014). Für eine eingehende Analyse der Kategorie Normen zur Beschaffenheit der Äußerung, insbesondere lautlicher und orthoepischer Normen sowie eine detailliertere Übersicht des Kategoriensystems vgl. Beuge (2014).

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(Neuruppin)), „wenn man das grammatikalisch korrekt hat“ (GP7 (Neuruppin)), „wenn es grammatikalisch auch stimmt“ (GP15 (Vaduz)), „grammatikalisch in ordnung“ (GP20 (Simmern)), „eine richtige grammatik“ (GP24 (Simmern)), „frei von fehlern grammatikfehler“ (GP47 (Meran)), „korrekte grammatik“ (GP51 (Coburg)), „der müsste ein deutsch sprechen was grammatikalisch korrekt ist“ (GP54 (Velbert)), „bitte bitte bitte korrekte grammatik“ (GP63 (Ettelbrück)), „grammatikalisch richtiges deutsch“ (GP66 (Springe)). Hierbei muss jeweils im Einzelfall geklärt werden, welche Bedeutung(en) das Lexem grammatik in seinen unterschiedlichen Gebrauchskontexten umfasst. Hierzu sei folgendes Fallbeispiel angeführt: 01 EX: was ist für dich gutes deutsch? GP4: hochdeutsch EX: mhm GP4: eigentlich ja grammatikalisch richtig 05 […] EX: mhm GP4: also dass wirklich die wörter kommen korrekt ausgesprochen werden und auch von der grammatik wirklich richtig sind und dass es nicht ((1.3s)) 10 ja ((1.5s)) im dialekt sind ja manchmal die grammatiken bisschen falsch Auch wenn unklar bleibt, auf welche konkreten (sprachstrukturellen) Phänomene sich die Aussage „im dialekt sind ja manchmal die grammatiken bisschen falsch“ (GP4 (Eppingen)) bezieht, kann angenommen werden, dass in diesem Fall ganz allgemein auf die grammatischen Strukturen diatopischer Varietäten verwiesen wird. Richtigkeit in Bezug auf grammatik impliziert hier die Einhaltung bestimmter (standard-?)sprachlicher Normen, welche bei diatopischer Variation verletzt werden. Hierbei werden zur Bewertung der grammatikalischen Richtigkeit bzw. Strukturgemäßheit regionaler Varietäten die Normen einer im weiteren Verlauf des Gesprächs als HOCHDEUTSCH benannten Bezugsgröße als Maßstab angesehen und Abweichungen hiervon als Fehler bewertet. Bezugsgröße ist in diesem Fall also eine andere grammatikalisch bzw. strukturell richtigere (prestigereichere?) Varietät, deren grammatische Struktur als Maßstab dient, auch wenn hier das Urteil bzw. die Intensität von falsch durch die Gradpartikel bisschen abgeschwächt wird. Auch GP24 (Simmern) sieht

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sprachstrukturelle Eigenschaften regionaler Varietäten als ungrammatisch bzw. abweichend an: 01 EX: was ist für sie gutes deutsch? GP24: ((5.6s)) ja also wenn die grammatik stimmt im satz ja also nicht wie beim saarländer halt 05 die person nicht zum konjugierten verb passt Bei diesem Beispiel bezieht sich grammatik auf die morphosyntaktische Besonderheit der grammatisch-syntagmatischen Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat des (vermutlich) Rheinfränkischen/Moselfränkischen. Diese morphosyntaktische Konstruktion wird von der GP als von den Normen des guten Deutsch, welches sie im weiteren Verlauf des Interviews mit dem Terminus SCHRIFTSPRACHE oder HOCHDEUTSCH benennt, abweichend empfunden und somit als falsch gewertet. GP5 (Eppingen) konzeptualisiert sprachliche Variation als taxonomische Werteskala und benennt sogleich die beiden äußeren Pole dieser Skala: 01 EX: was ist für sie gutes deutsch? GP5: eine... ein gutes deutsch ist für mich wenn man so spricht wie es geschrieben wird und das ist für mich hochdeutsch wie man halt da eben teilweise in niedersachsen spricht 05 EX: können sie sich vorstellen dass es irgendwelche institutionen oder personen gibt die bestimmen was hochdeutsch ist was gutes deutsch ist? GP5: es ist ja nicht von ohne dass dialekt sprechen EX: mhm GP5: nicht angesagt ist das heißt in der werteskala steht das hochdeutsch 10 oben und das heißt das ist die norm so gehört sich gesprochen [...] irgendwer wird es dann schon festlegen [wenn es] EX: [ja] 15 GP5: verlangt wird dass es in der werteskala äh oben angesiedelt ist und breiter dialekt oder dialekt sprechen weiter unten angesiedelt ist Insbesondere diatopische Variation, hier durch die Attribuierung breit bezeichnet, wird in Gegensatz zum geschriebenen HOCHDEUTSCH gesetzt. Unklar bleibt, durch wen diese Kategorisierung oder taxonomische Einordnung erfolgt, also

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welche Person oder Instanz, die hier mit dem Indefinitpronomen irgendwer bezeichnet wird, gemeint ist. Die vertikale Dimensionierung, die hier vorgenommen wird, zeugt von der Wahrnehmung eines bewerteten Hoch-TiefGefälles, bei dem das (kodifizierte?) HOCHDEUTSCH als positiver Referenzpunkt angesehen wird. Es zeigt sich zudem, dass die GP dieses Konzept sprachgeographisch verorten kann: „wie man halt da eben teilweise in niedersachsen spricht“ (GP5 (Eppingen)). Was bei der Betrachtung dieser in erster Linie medial mündlich realisierten Sprache, welche hier mit dem Terminus hochdeutsch bezeichnet wird, zusätzlich als besonders wichtig erscheint, ist eine schriftnahe Aussprache. Sie bildet für die GP die erstrebte Realisierung der Schriftsprache: „gutes deutsch ist für mich wenn man so spricht wie es geschrieben wird“ (GP5 (Eppingen)). Auch in anderen Interviews wird eine schriftsprachliche Konzeptualisierung sichtbar, so wie GP1 (Eppingen) es formuliert: 01 GP1: das das wie man es spricht leitet sich wahrschei... leitet sich ab wie man es schreibt EX: mhm GP1: ähm das heißt das geschriebene ist das richtige deutsch und derjenige 05 der das geschriebene vorgibt sind die rechtschreibungen Als sprachnormatives Vorbild dient hier ebenfalls eine schriftsprachliche Bezugsgröße, welche in diesem Fall auf gesprochene Sprache übertragen wird und dessen Grundlage „die rechtschreibungen“ (GP1 (Eppingen)) bilden. Dadurch wird in diesem Fall Kodizes direkte präskriptive Autorität nicht nur für schriftbezogene (formale) Kontexte, sondern auch für gesprochene Sprache zugeschrieben. Sprachnormformulierungen und Empfehlungen werden hier also nicht als kontextabhängig interpretiert, sondern als allgemeinverbindlich angesehen, auch für die medial mündliche Kommunikation. Bei der Frage nach der Rolle normsetzender Instanzen sieht GP20 (Simmern) die Rolle der Sprachkodizes vor allem darin, dass durch sie die Grammatik präskriptiv festgelegt wird und eine lexikalische Variantenauswahl erfolgt, welche dann in ihrer Gesamtheit das Hochdeutsche konstituiert: 01 EX: und gibt es vielleicht äh für sie oder gibt es etwas oder jemanden der ähm mehr oder weniger bestimmt was gutes deutsch ist? GP20: ja gut es gibt ja da verschiedene organisationen die sich um sprache bemühen ähm was bestimmen die die grammatik wird ja festgelegt 05 […]

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sich auch um veränderungen kümmern also wenn jetzt 10 neue vokabeln auftreten also aus dem umgangssprachlichen bereich das sozusagen in das hochdeutsche erheben 10 EX: mhm GP20: also neue vokabeln hinzufügen auch […] ob das gutes deutsch ist dann guckt man mal im duden nach Hier zeigt sich durch das transitive Verb erheben, dass seitens der GP eine Taxonomie sprachlicher Variation konzeptualisiert wird: So wird durch den Duden neben der Festlegung der grammatik und der Inventarisierung von vokabeln auch der Lexemstatus im Hierarchiegefüge sprachlicher Varianten festgelegt und ein bestimmtes Lexem in einen höheren Rang eingeordnet bzw. erhoben und diesem der Wert gut zugeschrieben. Generell zeigt sich für die Kategorie allgemein Grammatik, dass hier eine geringe Toleranz bei der Bewertung von (standardabweichender) Variation herrscht und sich Richtigkeitsvorstellungen aus einer überwiegend schriftlichen bzw. kodifizierten Bezugsgröße speisen, welche in enger Verbindung zu den Kodizes steht. Dass sich laikale Begriffe nicht oder nur partiell mit sprachwissenschaftlichen Konzepten vereinbaren lassen, sei abschließend am Beispiel von GP22 (Simmern) verdeutlicht: 01 GP22: gutes deutsch also ein schönes hochdeutsch was man... das man das in allen landschaften einigermaßen gut verstehen kann EX: mhm GP22: ((2.1s)) 05 möglichst akzentfrei So bezieht sich die Attribuierung akzentfrei nicht auf suprasegmentale Eigenschaften, sondern – dies wird unter Zuhilfenahme des Kontextes deutlich – hat die Bedeutung ,frei von regionaler Markierung‘, wodurch eine überregionale Reichweite des Gesagten ermöglicht werden soll. Daher erscheint es umso notwendiger, eine qualitative Analyse nicht kontextabstrakt, sondern kontextsensitiv durchzuführen. Ebenfalls als problematisch anzusehen ist die Semantik anderer Attribuierungen wie beispielsweise deutlich, klar oder rein. Die Attribuierungen deutlich und klar werden vor allem im Kontext der Beschreibung und Bewertung der artikulatorisch-phonetischen Qualität, wie „eine klare artikulation dass das wort gut zu verstehen ist“ laut GP51 (Coburg), oder der gesprächsstrukturellen Merkmale, wie die Vermeidung von Interjektionen, genutzt (GP21

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(Simmern): „dass ja dass man eben deutlich spricht und nicht viele ähms und äh und ebenso reinbringt so ähm so gedankenwörter sage ich mal so“. Allerdings erfolgt seitens der GPn nur selten eine genaue Spezifizierung, so dass diese Attribuierungen, vor allem in Verbindung mit aussprache, hier geradezu stereotypen Charakter haben.11 Weiterhin muss die Semantik der Attribuierungen jeweils einzeln analysiert und klassifiziert werden, da zu klären ist, auf welche Art von Korrektheit bzw. Richtigkeit in Bezug auf grammatik sich korrekt oder richtig bezieht, also welche sprachliche Bezugsebene und welche konkreten sprachlichen Phänomene (sofern überhaupt expliziert) angesprochen sind sowie insbesondere der sich aus diesen metasprachlichen Äußerungen ableit- bzw. rekonstruierbare Maßstab, anhand dessen ein Urteil bezüglich einer (Non-)Normkonformität sprachlichkommunikativer Handlungen und Produkte seitens der Laien gefällt wird. Stellt man im Zusammenhang einer Rekonstruktion eines laienlinguistischen Sprachnormwissens die Frage nach der (Il-)Legitimität bzw. den Legitimationskriterien bestimmter sprachlich-kommunikativer Normen, infolge derer sprachlich-kommunikative Handlungen und Produkte als (il-)legitim bzw. (nicht) normgemäß seitens der Laien beurteilt werden, kann auf eine Analyse der Begründung dieser im jeweiligen Einzelfall bestimmten Legitimation nicht verzichtet werden. Legitimität kann hierbei verstanden werden als Anforderung bzw. Bedingung, der ein sprachliches Phänomen (bspw. eine sprachliche Form, ein bestimmter Sprachgebrauch oder eine Varietät) genügen muss, um somit als erwartungsgemäß bzw. normkonform zu gelten. Hierbei gilt es zu bedenken, dass diese Legitimität keine über- und interindividuell dauerhaft fixierten Inhalte oder gar apriorische Sachverhalte darstellt, sondern Legitimation „aus Werten, für die intersubjektive Anerkennung unterstellt bzw. beansprucht wird“ (Gloy 2004: 392), resultiert. Die vorangegangenen Ausführungen betrachtend konnte bereits das Legitimationskriterium Grammatikalität bzw. (grammatikalische) Richtigkeit/Korrektheit ermittelt werden, welches danach fragt, ob einem bestimmten sprachlichen Phänomen eine Entsprechung in einem (hypostasierten bzw. ideellen) sprachstrukturellen Standard zukommt. Weiterhin konnte als ein wesentliches Legitimationskriterium Verständlichkeit ermittelt werden, das

|| 11 Beim letzten Beispiel bleibt allerdings unklar, ob deutliches Sprechen und die Vermeidung von Interjektionen zwei verschiedene Qualifizierungen darstellen oder ob die zweite Attribuierung die erste näher spezifiziert. Es zeigt ebenfalls exemplarisch die Diskrepanz zwischen der Bewertung fremden Sprachgebrauchs bzw. der Idealisierung einer konsistenten und konsequenten Sprachproduktion und dem eigenen Sprachgebrauch.

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allerdings in den jeweiligen Interviews bzw. Äußerungskontexten ebenso wie Grammatik unterschiedliche Bedeutungen aufweist: 1. kommunikative Reichweite (GP3 (Eppingen)): „ähm einfach sehr gut verständlich im vergleich zu den dialekten und vor allem von möglichst vielen sprechern verständlich also ein dialekt wird nur von wenigen leuten gut verstanden“; 2. artikulatorisch-phonetische Qualität (GP73 (Barth)): „ja dass es verständlich ist nicht nuscheln klar also wie gesagt klar sprechen“; 3. semantische Interpretierbarkeit (GP16 (Vaduz)): „wobei mir auch hier das royal english am nächsten liegt und empfinde es auch als das am schönsten weil es eben ein klares englisch ist und weil es verständlich ist und von allen auch wirklich begriffen wird und das halte ich für ein wesentliches kriterium“. Jedoch wird diese Kategorie auch ohne weitere Spezifizierung gebraucht. Kommunikative Reichweite bezieht sich hierbei sowohl auf die rezeptive als auch die produktive (über-)regionale Reichweite sprachlicher Äußerungen. Artikulatorisch-phonetische Qualität hingegen meint eine rein auditive Verständlichkeit, welche letzteres Kriterium der semantischen Interpretierbarkeit bedingt.12

4 Fazit Bei zusammenhängender Betrachtung der vorangegangenen Fallbeispiele zeigt sich, dass sich das, was sprachlich als gut gilt, also die Vorstellung normkonformer sprachlicher Handlungen und Produkte, vor allem aus einem schriftlichen und weitgehend homogen konzeptualisierten Ideal speist.13 Das, was mit

|| 12 Zu weiteren Legitimationskriterien vgl. Gloy (1975: 65–86, 1998: 397–399). 13 Nichtsdestotrotz können, wie im Fall von GP21 (Simmern) „dass ja dass man eben deutlich spricht und nicht viele ähms und äh und ebenso reinbringt so ähm so gedankenwörter sage ich mal so“, Divergenzen zwischen objektsprachlichen und metasprachlichen Äußerungen festgestellt werden, welche Inkonsistenzen offenlegen, die, wie Arendt konstatiert, dadurch erklärt werden können, dass laienlinguistische Theorien den Laien in ihrer Komplexität selbst nicht einsichtig sind und eine aktuelle Äußerung aus Laiensicht gar nicht den Anspruch erheben muss, global konsistent und kohärent zu sein, sondern diese muss vielmehr „im lokalen Interaktionsgeschehen, im jeweiligen Kontext, sinnvoll und rational erscheinen“ (Arendt 2011: 136). So auch Antos, der laienlinguistisches Wissens als implizit, lückenhaft, inkohärent, inkonsistent und falsifikationsresistent ansieht, da diesem meist logische Konsistenz und Wider-

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dem Terminus gutes deutsch14 bezeichnet wird, wird nicht nur vor dem Hintergrund einer skriptizistischen Folie, sondern auch im Gegensatz zu diatopischer Variation reflektiert, und bei der Beurteilung medial mündlicher Realisationsformen findet sich neben einer schriftsprachlichen Orientierung die Tendenz, dass (konzeptionelle) Schriftlichkeit auf das mündliche Medium als Maßstab übertragen wird. Die Normkonformität sozial nicht erwünschter oder defizitärer sprachlicher Handlungen oder deren Produkte wird zumeist anhand des Maßstabes eines (kodifizierten) guten deutsch oder hochdeutsch gemessen und selten kontextabhängig interpretiert. Wenn Beispiele für non-normkonforme sprachliche Handlungen gegeben werden bzw. etwas darüber ausgesagt wird, was nicht gutes Deutsch ist, dann sind dies diatopische Varietäten und/oder vereinzelt deren sprachstrukturelle Eigenschaften. Diese schriftnahe, vorbildliche Aussprache kann weiterhin anhand eines konkreten Sprachraumes festgemacht werden, wie bei GP5 (Eppingen) veranschaulicht oder wie im Fall von GP31 (Schleiden): „dann denke ich auch dass in hannover so am schönsten und am besten gesprochen wird“, sodass sich mit einer geographischen (und eindeutig lokalisierbaren) Dimension eine evaluativästhetische bzw. vorbildliche verbindet, wie es beispielsweise Preston für den US-amerikanischen Raum festgestellt hat (vgl. Preston 1989: 352). Kontrastiert man diese alltagsweltliche Vorstellung einer einheitlichen und geographisch eindeutig lokalisierbaren Standardvarietät, welche als ein unter Laien verbreiteter Topos angesehen werden kann (vgl. Elmentaler 2012) mit dem linguistischen Konzept einer nicht eindeutig lokalisierbaren (plurizentrischen) Standardsprache, so legt dies nicht nur ein dem linguistischen common-sense widersprechendes monozentrisches Standardkonzept offen, sondern es findet sich zudem die Tendenz, dass sich der aus sprachwissenschaftlicher Sicht als Kontinuum konstituierte Varietätenraum als taxonomische Werteskala darstellt. Im Fall von GP5 (Eppingen) oder GP20 (Simmern) bildet hierbei das obere Ende das hochdeutsche, während am unteren Ende diatopische Variation angesiedelt ist. Fallübergreifend lässt sich unter den befragten Laien somit eine stark ausgeprägte Standardaffinität konstatieren, so dass hier – um mit Gloy zu sprechen – eine „Reduktion einer Normenpluralität […] zugunsten der einen Standardsprache“ (Gloy 1998: 398) festgestellt werden kann.

|| spruchsfreiheit fehle und es in hohem Maße situations-, wert- und affektbezogen sei (vgl. Antos 1996: 29–36; hierzu auch: Grotjahn 1998). 14 Alternative Bezeichnungen, welche im Korpus hierzu existieren bzw. von den Laien als Antwort auf Frage 1.3 gegeben wurden, sind HOCHDEUTSCH, HOCHSPRACHE, STANDARDSPRACHE, SCHRIFTDEUTSCH.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass linguistische Laien eine dichotome Abgrenzung sprachlicher Variation vornehmen und Varietäten entsprechend klar voneinander abgrenzbar konzeptualisieren. Während zum einen gutes deutsch oder hochdeutsch als variationsfrei bzw. frei von regionalen Merkmalen und homogen konzeptualisiert wird, steht zum anderen demgegenüber eine zumeist diatopische Variation mit einem niedrigeren Prestige, gemessen mit dem Maßstab eines standard- bzw. schriftsprachlichen Ideals. Hierbei kommt der Abwesenheit diatopischer Merkmale in Bezug auf Korrektheit und Prestige ein hoher Stellenwert zu: gutes deutsch sollte wenig bis keine regionalen Merkmale enthalten, sich an der Schrift orientieren, damit das Kriterium sprachlicher Korrektheit erfüllt und diese Sprechweise/dieses Produkt somit als normkonform einzustufen ist, nicht zuletzt, da dies eine überregionale Verständlichkeit sicherstellt. Aus methodischer Sicht erwies sich die Qualitative Inhaltsanalyse als fruchtbares, aber nicht unproblematisch anzuwendendes Instrument: So traten vor allem Probleme hinsichtlich der Kategorienbildung sowie der Zuordnung von Belegen zu den einzelnen Kategorien auf, was der Alltagssemantik und Unschärfe laikaler Begriffe sowie der kontextabhängigen semantischen Ambiguität geschuldet ist. Ferner anzustreben wäre zudem die Berücksichtigung sprachhandlungssequenzieller, thematischer, sinnkonstitutiver sowie innersprachstruktureller Zusammenhänge sprachlicher Handlungen. Begreift man das Interview epistemologisch nicht als manifesten Text, sondern als soziale Interaktion, in der soziale Realität nicht nachgebildet sondern aktiv konstruiert wird, müssen diese lokal-interaktionalen Strukturen eruiert, expliziert und schließlich kontextsensitiv in die Analyse mit einbezogen werden (vgl. Deppermann 2014: 136–146). Eine kontextsensitive Analyse und Beschreibung laikaler Äußerungen ist demnach unerlässlich, möchte man den intersubjektiv und kontextuell variierenden Bedeutungsspektren laikaler Begriffe und somit letztlich einer empirisch fundierten und an der Lebenswelt der Subjekte orientierten Rekonstruktion eines laienlinguistischen Sprachnormwissens gerecht werden.

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Timo Hannemann

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ Der norddeutsche Sprachraum in der Wahrnehmung linguistischer Laien Abstract: Dieser Beitrag zeigt, wie linguistische Laien den norddeutschen Sprachraum konzeptualisieren, d. h. welche Bezeichnungen für ihn bestehen, wie er areal verortet wird und welche Assoziationen sprachlicher (und nichtsprachlicher) Merkmale zu ihm bestehen. Außerdem wird die Reaktion auf eine norddeutsche Sprechprobe ausgewertet. Dadurch soll zum einen gezeigt werden, dass es relativ statische Dialektkonzeptualisierungen gibt, und zum anderen, dass diese maßgeblich durch nicht-sprachliches Wissen geprägt sind. Dazu werden 33 Tiefeninterviews von Gewährspersonen (GPn), die aus verschiedenen Regionen des deutschsprachigen Raums stammen, ausgewertet. Schlüsselwörter: Laienlinguistik, Norddeutsch, Plattdeutsch, Hochdeutsch, Dialektkonzept

1 Einleitung Den Ergebnissen der Repräsentativbefragung des Projekts „Erkundung und Analyse aktueller Spracheinstellungen in Deutschland“ zufolge ist „Norddeutsch“ der beliebteste deutsche Dialekt, gefolgt vom „Bairischen“ und „Schwäbischen“ (Gärtig, Plewnia & Rothe 2010: 158). Während die letztgenannten Varietäten inhaltlich relativ homogen sind, ist der Spitzenreiter der Umfrage eine Summe verschiedener im Norden Deutschlands verorteter Bezeichnungen, in die z. B. „Platt“ und „Hamburgisch“ miteinbezogen wurden (vgl. Gärtig, Plewnia & Rothe 2010: 155). Die Annahme einer Kongruenz der hinter den heterogenen Bezeichnungen stehenden Varietätenkonzepte der Befragten ist jedoch nicht zweifelsfrei zu belegen, weil in der Studie lediglich nach Bezeichnungen gefragt werden konnte.

|| Hannemann, Timo: Hammer Steindamm 106, 20535 Hamburg, Tel. 040/74109476, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-007

184 | Timo Hannemann

Zur Lösung dieses Problems hat bereits Plewnia (2013) versucht, sich den laienlinguistischen Sprachraumkonzepten zum Norddeutschen anzunähern, indem er ihre arealen Verortungen in mental maps untersucht hat. Doch auch dieser Ansatz führt nicht zu klaren Ergebnissen, wie der Autor selbst einräumt: Welche Vorstellung von einer Varietät, die etwa mit dem Etikett ‚Norddeutsch‘ belegt wird, genau besteht, lässt sich zwar vermuten, letztlich aber nicht sicher sagen. (Plewnia 2013: 59).

Um die laienlinguistische Konzeption des norddeutschen Sprachraums präzisieren zu können, werden im Folgenden vor allem qualitative Daten genutzt, die im DFG-Projekt erhoben wurden. Diese umfassen neben Dialektbezeichnungen auch areale Verortungen mittels des Pilesort-Verfahrens, Tiefeninterviews über sprachliche Merkmale sowie Perzeptionstests (vgl. Einleitung in diesem Band).

2 Forschungsstand Auch andere Studien bestätigen den grundlegenden Befund, dass für die Varietät(en) des norddeutschen Sprachraums heterogene Laienbezeichnungen bestehen, wobei NORDDEUTSCH, PLATTDEUTSCH und FRIESISCH am häufigsten genannt werden (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008: 60; Hundt 2010: 197; Plewnia 2013: 49‒58). Lameli, Purschke & Kehrein (2008: 84) führen die unterschiedlichen Bezeichnungen auf ein „Küstensprachenkonzept“ zurück, was sie damit belegen, dass trotz unterschiedlicher Benennung des Sprachraums ihre GPn den Sprachraum nahezu gleich, nämlich entlang der Nord- und Ostseeküste, kartierten und gleiche dialektale Prototypen nannten (vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008: 84). Außerdem seien die eingezeichneten Dialektgebiete häufig doppelt benannt (z. B. „norddeutsch/friesisch“, vgl. Lameli, Purschke & Kehrein 2008: 84). Nach dieser Auffassung ist die von Gärtig, Plewnia & Rothe (2010) vorgenommene Addition der verschiedenen Dialektbezeichnungen unter den Oberbegriff NORDDEUTSCH zulässig. Doch gibt es auch Ergebnisse, die dieser Auffassung von einer einheitlichen Laienkonzeption des norddeutschen Sprachraums widersprechen. So deuten die mental maps aus Plewnias (2013) Studie darauf hin, dass das FRIESISCHE, das mehrheitlich im Nordseeraum verortet werde, sich deutlich vom NORDDEUTSCHEN und PLATTDEUTSCHEN unterscheidet. Er merkt außerdem an, dass aus dialektologischer Perspektive alle ermittelten Varietäten durch die verschiedenen Sprachlagen im niederdeutschen Raum existieren würden: PLATTDEUTSCH als Synonym zum niederdeutschen Basisdialekt, NORDDEUTSCH als regionale Umgangsspra-

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 185

che, FRIESISCH als eigene Sprache (vgl. Plewnia 2013: 47). Es sei ein Nachteil der mental-maps-Methode, zweidimensional begrenzt zu sein und die verschiedenen Sprachlagen, vorausgesetzt sie werden empfunden, nicht abbilden zu können (vgl. Plewnia 2013: 59). So ergibt sich als erste Frage, die hier behandelt werden soll, inwieweit linguistische Laien mit ihren heterogenen Sprachraumbezeichnungen auf das gleiche sprachliche Konzept referieren. Des Weiteren sei es nach Plewnia (2013: 58) nicht sicher, inwieweit in den mental maps das Sprachwissen von Wissen aus anderen Bereichen überlagert sei. Bezüglich der medial vermittelten sprachlichen Prototypen merken auch Lameli, Purschke & Kehrein (2008: 79) an, dass diese aus linguistischer Sicht keine regionalen oder lokalen Dialekte verkörpern, sondern eher ihre Herkunft inszenieren, ohne dass dabei die Sprache entscheidend sei (z. B. Otto Waalkes). Ein anderes Beispiel für den Einfluss sprachexternen Wissens ist die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, die, wie Kennetz (2010) und Palliwoda (i. Dr.) zeigen, als „Mauer in den Köpfen“ noch (teilweise) vorhanden ist und vor allem von Westdeutschen auch als dialektologische Grenze gezogen wird (vgl. Kennetz 2010: 325). Preston (2010: 2) bezeichnet den Prozess, in dem sprachliche Eigenschaften mit demographischen Faktoren in Beziehung gebracht werden, als „iconization“. Dieser könne zum Ausblenden von sprachlichen Ähnlichkeiten („erasure“) auf der einen, zum Überbewerten kleinerer Unterschiede („recursivity“) auf der anderen Seite führen (vgl. Preston 2010: 2). Es muss daher behandelt werden, welchen Einfluss außersprachliches Wissen auf die laienlinguistische Konzeption des norddeutschen Sprachraums hat. Drittens stellt sich die Frage nach der räumlichen Verteilung sprachlichen Laienwissens zum norddeutschen Sprachraum, die in den homogenen GPnGruppen der bisher vorgestellten Studien nicht untersucht werden konnte.1 Dass sich aber zumindest auf der Ebene laienlinguistischer Einstellungen gegenüber Dialekten durchaus regionale Unterschiede feststellen lassen, zeigt die Studie von Gärtig, Plewnia & Rothe (2010: 160). Bereits Downs & Stea (1982) beschreiben Phänomene räumlicher Wissensverteilung. Unter dem Begriff „Geozentrismus“ zeigen sie die Auswirkungen von Herkunft, lokal gebundenen Interessen, ähnlichen Informationsmedien und Aktivitätsmustern, die zu regionaler Loyalität einerseits und zu regionalen Heterostereotypen und Einstellungen andererseits führen würden (Downs & Stea 1982: 144).

|| 1 Bei Lameli, Purschke & Kehrein (2008) und Plewnia (2013) handelt es sich um Schüler, bei Hundt (2010) um Studierende (allerdings unter Einbeziehung verschiedener Herkunftsgebiete).

186 | Timo Hannemann

3 Methode Bei der Auswahl der GPn der vorliegenden Untersuchung wurden zwei Kriterien beachtet: Aufgrund der meist eher niedrigen GPn-Zahlen in den jeweiligen Erhebungsorten sollten erstens möglichst viele Interviews für einen möglichst kleinen geographischen Raum zur Verfügung stehen. Daher wurden Regionen ausgesucht, in denen mehrere Interviewerhebungen in nahe beieinander liegenden Orten stattgefunden haben. Zweitens wurden, um auch die räumliche Verteilung sprachlichen Laienwissens untersuchen zu können, verschiedene im deutschen Sprachraum verteilte Erhebungsregionen gewählt. Somit ergaben sich drei GPn-Gruppen: die geographisch nördlichsten GPn stammen aus Barth und Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern), weiter südlich ist eine Gruppe von GPn aus Eppingen und Buchen (Baden-Württemberg) und schließlich sind die GPn aus Meran, Brixen und Bruneck (Südtirol) die geographisch südlichste Gruppe. Tab. 1: Anzahl und Verteilung der GPn.

Herkunftsgruppe

Städte

Personenzahl

Gruppe I

Barth, Stralsund

10

Gruppe II

Buchen, Eppingen

9

Gruppe III

Brixen, Bruneck, Meran

14

Die 33 Interviews wurden im Bereich der Makrokartierung (MAK) und des Ratespiels ausgewertet. Bei der MAK werden über das Pilesort-Verfahren Informationen über die Benennung, die areale Verortung und die assoziierten Merkmale einer Varietät erhoben. Geordnet werden die assoziierten Merkmale mittels der von Anders vorgeschlagenen Klassifizierung (vgl. Anders 2010: 269). Ein Problem, das sich gleich zu Beginn der Arbeit mit der Pilesort-Methode stellt, ist die Auswahl derjenigen Stapel, die für das subjektive Konzept einer GP zum norddeutschen Sprachraum relevant sind. Die Einteilung der Stapel auf der Grundlage dialektologischer Kriterien, z. B. der Benrather Linie, ist wenig brauchbar, weil es um subjektive Konzepte linguistischer Laien geht. Das bedeutet, dass Räume, die zwar nach der klassisch-dialektgeographischen Einteilung im niederdeutschen Raum liegen, jedoch von den GPn nicht mit Norddeutschland verbunden werden, auch nicht in die Untersuchung eingehen. Ein typisches Beispiel dafür ist das Westfälische, das von Laien eher selten mit

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 187

Norddeutschland in Verbindung gebracht wird, obwohl es nach dialektgeographischer Einteilung zum niederdeutschen Sprachraum gehört. Als – zweifellos unscharfes – Kriterium eines für die Untersuchung relevanten Stapels kann somit nur gelten, dass dieser entweder durch die Bezeichnung oder durch bestimmte Äußerungen in Verbindung mit dem norddeutschen Sprachraum gebracht wird. Das führt dazu, dass auch viele Stapel unter der Bezeichnung HOCHDEUTSCH in die Analyse miteinbezogen werden. Weitere Erkenntnisse bezüglich der Konzeption des norddeutschen Sprachraums, des Einflusses außersprachlichen Wissens sowie der sozialen Faktoren Alter und Herkunft bieten die Ergebnisse des Ratespieles. Dabei erfolgt eine Beschränkung auf die Äußerungen der GPn zur Rendsburger Sprechprobe – der geographisch nördlichsten Sprechprobe, die im Ratespiel des „Wahrnehmungsdialektologie“-Projektes Verwendung findet.

4 Auswertung und Interpretation 4.1 Bezeichnungen Tabelle 2 zeigt die Anzahl und Benennung der Stapel, die die GPn in der Pilesort-Aufgabe gebildet haben und die für ihre Konzeption des norddeutschen Sprachraums als relevant befunden wurden. Tab. 2: Anzahl und Benennung der Stapel, geordnet nach der Herkunft der GPn.

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

NORDDEUTSCH

14

3

4

21

HOCHDEUTSCH

3

7

3

13

ohne Bezeichnung

5

1

3

9

HAMBURGISCH

1

1

0

2

PLATTDEUTSCH

0

1

1

2

NORDOSTDEUTSCH

1

0

0

1

MECKLENBURGISCH

1

0

0

1

HANSEATISCH

0

1

0

1

Stapel/GP

2,50

1,56

0,79

1,52

188 | Timo Hannemann

Insgesamt wurden 50 Stapel ausgewertet. Am häufigsten ist die Bezeichnung NORDDEUTSCH, gefolgt vom HOCHDEUTSCHEN und von Stapeln ohne Bezeichnung. Erste Unterschiede zu den Ergebnissen von Lameli, Purschke & Kehrein (2008), Hundt (2010), Palliwoda (2011) und Plewnia (2013) werden deutlich, denn FRIESISCH wird als Varietätenbezeichnung gar nicht genutzt. Außerdem gibt es nur zwei PLATTDEUTSCH-Stapel. Diese Bezeichnung wird jedoch von den GPn recht häufig als Varietät innerhalb einer Stapelregion genannt.2 Auffällig ist das Phänomen, dass viele GPn mehrere Stapel zum norddeutschen Sprachraum bilden und dabei die Varietät, die sie mit den Stapeln verbinden, gleich benennen. So bildet die Gruppe I (bestehend aus 10 GPn) z. B. 14 Stapel mit der Bezeichnung NORDDEUTSCH (vgl. Tabelle 2). Das könnte einerseits ein erster Hinweis dafür sein, dass außersprachliche Einflüsse die einheitliche Konzeption des Sprachraums beeinflussen und verhindern („erasure“). Andererseits könnte dies auch auf Wissensdifferenziertheit hindeuten: Dafür spricht auch der Befund, dass Gruppe I (die geographisch nächste Gruppe) den norddeutschen Sprachraum viel kleinteiliger in den Stapeln nachbildet als die anderen Gruppen (vgl. Tabelle 2: Stapel/GP) und dass einige GPn aus der südlichen Gruppe gar kein relevantes Konzept zum norddeutschen Sprachraum haben (Stapel/GP < 1, vgl. Tabelle 2).

4.2 Areale Verortungen Doch welche Städte werden mit den verschiedenen Stapeln verbunden? In einem ähnlichen Konzept müssten gleiche oder ähnliche Städte verortet werden. Exemplarisch geht es im Folgenden um die Bezeichnungen NORDDEUTSCH und HOCHDEUTSCH, da sie die meistgenannten Bezeichnungen sind (vgl. Tabelle 2). Tabelle 3 zeigt die Häufigkeit, mit der Städte unter diese beiden Bezeichnungen sortiert worden sind.

|| 2 Nähere Ausführungen dazu befinden sich in Kapitel 4.3.4.2.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 189

Tab. 3: Die häufigsten Städte einer Bezeichnung.

NORDDEUTSCH

HOCHDEUTSCH

Stadt

Anzahl

Stadt

Anzahl

Kiel

12

Hamburg

9

Hamburg

10

Kiel/Lübeck

8

Flensburg/Lübeck/Rostock

9

Bremen/Flensburg/ Hannover/Rostock

7

Die fünf häufigsten unter der Bezeichnung NORDDEUTSCH verorteten Städte sind unter den ersten sieben mit der Bezeichnung HOCHDEUTSCH. Tabelle 3 bezieht jedoch nicht die von den GPn vorgenommene Binnendifferenzierung (verschiedene Stapel mit gleicher Bezeichnung) ein. Um diese zu visualisieren, bietet sich die Auswertung des Sortierverhaltens mit Hilfe einer Nähematrix und multidimensionaler Skalierung an.3 Dabei wird das Verhältnis untersucht, wie oft zwei Städte zusammen sortiert bzw. nicht zusammen sortiert werden. Das ist hier jedoch nicht möglich, weil Städte auch komplett aussortiert werden konnten, um eine blinde Sortierung zu vermeiden (vgl. Schröder 2015: 176). Deshalb wird die Anzahl der Zusammensortierungen in einen Stapel in Relation zu den GPn untersucht, die einen Stapel gleichen Namens gebildet haben. Dies führt allerdings dazu, dass Städte, die häufiger genannt werden, graphisch näher bei den anderen Städten liegen, was letztlich die Visualisierung der Ähnlichkeit leicht verfälscht. Tendenzen bleiben aber dennoch sichtbar. Einbezogen werden, wie Anders (2010: 231) vorschlägt, nur die Städte, die öfter als der Mittelwert der absoluten Verortung unter eine Bezeichnung sortiert werden.4 Grundsätzlich sind die Abbildungen der multidimensionalen Skalierung so zu verstehen: Je näher die Städte zueinander liegen, desto häufiger wurden sie von den GPn in denselben Stapel sortiert. Für die Sortierung der Städte unter der Bezeichnung NORDDEUTSCH und HOCHDEUTSCH ergeben sich folgende Bilder:

|| 3 Einführend dazu z. B. Schnegg & Lang (2008: 28). 4 Dieser liegt für NORDDEUTSCH bei 4,88~5 und für HOCHDEUTSCH bei 3,62~4. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Gesamtzahl der GPn und damit auch die der Stapel und der Städte zu gering ist, um repräsentativ zu sein.

190 | Timo Hannemann

Abb. 1: Multidimensionale Skalierungen für die Bezeichnung NORDDEUTSCH.

Abb. 2: Multidimensionale Skalierungen für die Bezeichnung HOCHDEUTSCH.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 191

In Abbildung 1 stehen Greifswald und Schwerin an derselben Stelle, weil sie immer in einem Stapel liegen. Weiterhin ist die Nähe von Lübeck, Flensburg, Oldenburg und Kiel zu erkennen. Hamburg und Bremen, obwohl absolut häufig genannt, stehen graphisch zwar eher allein, allerdings wird in 86% der Fälle Bremen zu Hamburg sortiert. Hamburg wird in 80% der Fälle zu Kiel sortiert. Auffällig ist jedoch die Entfernung beider Städte zu Rostock, Schwerin und Greifswald. In Abbildung 2 liegen Kiel, Lübeck und Flensburg ebenfalls recht nah beieinander, ergänzt um Hamburg, Hannover, Bremen und Göttingen. Oldenburg wird eher mit Osnabrück verbunden. Das areale Konzept zum HOCHDEUTSCHEN scheint etwas großräumiger zu sein, was damit einhergeht, dass unter dieser Bezeichnung durchschnittlich größere Stapel (7,92 Städte/Stapel) entstehen als unter der Bezeichnung NORDDEUTSCH (4,19 Städte/Stapel). Rostock und Schwerin5 liegen in Abbildung 2 zwar wesentlich weiter auseinander als in Abbildung 1, dennoch wurde Schwerin in 80% der Fälle unter der Bezeichnung HOCHDEUTSCH zu Rostock sortiert. Hier täuscht die Grafik also ein wenig. Insgesamt ergeben sich keine Anzeichen grundsätzlicher Unterschiede in der arealen Verortung vom HOCH- und NORDDEUTSCHEN. Für die Gruppen I und II gilt, dass die Herkunft einer GP die areale Konzeption des norddeutschen Sprachraums nicht bedeutend beeinflusst. Das zeigen die Abbildungen 3 und 4, in denen die Stapelbildungen beider Gruppen unabhängig von der Bezeichnung eines Stapels gegenübergestellt sind:

|| 5 Greifswald wurde nicht häufig genug genannt, um hier miteinbezogen zu werden.

192 | Timo Hannemann

Abb. 3: Multidimensionale Skalierung für alle Stapel der GPn aus Gruppe I.

Abb. 4: Multidimensionale Skalierung für alle Stapel der GPn aus Gruppe II.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 193

In Abbildung 3 stehen Schwerin, Rostock und Greifswald direkt untereinander, weil sie immer in den gleichen Stapel sortiert wurden. Gleichzeitig identifizieren sich die GPn aus der nördlichen Gruppe mit der Sprache in diesen Städten. Fast alle geben auf die Frage: „Zu welchem Stapel fühlen Sie sich zugehörig?“ einen Stapel mit Rostock, Greifswald und Schwerin an. Auch in Abbildung 4 liegen Schwerin und Rostock nah beieinander.6 Die Zuordnung der anderen Städte ist in beiden Abbildungen nicht ganz so deutlich. Jedoch zeigt sich, dass Flensburg, Kiel und Lübeck als sprachlich ähnlich empfunden werden. Ein kleinerer Unterschied der Konzeptionen liegt in der Größe des norddeutschen Sprachraums. In der Gruppe II wird z. B. Kassel häufig noch miteinbezogen. Wesentlich undifferenzierter ist die Sortierung bei der südtiroler GPnGruppe. Nur GP33 (Bruneck) hat innerhalb des norddeutschen Raums sprachliche Unterschiede assoziiert und unterscheidet den „nordosten in etwa ja also die neuen bundesländer“7 von einem anderen norddeutschen Stapel.8 Am Beispiel von GP33 (Bruneck) wird ebenfalls deutlich, dass GPn der Gruppe III den norddeutschen Sprachraum wesentlich größer konzeptualisieren. Folgendes kann festgehalten werden: Die Raumkonzeptionen sind trotz unterschiedlicher Bezeichnungen (HOCHDEUTSCH und NORDDEUTSCH) grundsätzlich ähnlich. Bedeutendstes Merkmal ist, dass Städte der neuen Bundesländer (Schwerin, Greifswald, Rostock) von Städten der alten Bundesländer getrennt sortiert werden. Gleiches gilt, wenn auch nicht so deutlich, für die Städte Schleswig-Holsteins (Flensburg, Lübeck, Kiel). Ferner zeigen die Stapelbildungen, dass Gruppe I den Sprachraum am kleinteiligsten kartiert, während die Differenzierung mit steigender Entfernung zum norddeutschen Sprachraum (Gruppe II und III) abnimmt. Zu klären bleibt jedoch, ob diese Einteilung auf sprachliche Kriterien zurückzuführen ist. Der Schluss von einer feingliedrigeren Kartierung auf größeres sprachliches Wissen zu einem Sprachraum ist jedenfalls problematisch, wie das Beispiel der GP76 (Barth) zeigt. Die GP hat mit fünf Stapeln die feinste Differenzierung des norddeutschen Sprachraums vorgenommen, ohne die Abgrenzung jedoch mit sprachlichen Assoziationen beschreiben zu können. Für vier Stapel kann sie weder lautliche, morphosyntaktische noch lexikalische Merkmale

|| 6 Greifswald wurde wieder nicht häufig genug genannt, um hier miteinbezogen zu werden. 7 Die Städte sind: Rostock, Schwerin, Magdeburg, Potsdam, Berlin, Frankfurt (Oder) und Halle (Saale). 8 Die Städte sind: Kassel, Flensburg, Kiel, Bremen, Lübeck, Hamburg, Hannover, Osnabrück, Braunschweig, Oldenburg, Tübingen, Münster, Göttingen.

194 | Timo Hannemann

benennen. Kennzeichnend für den Stapel, der aus Schwerin, Rostock, Greifswald und Frankfurt (Oder) besteht, sei „diese lockere relativ offene sprechweise“. Ähnliches äußert die GP zu einem Stapel bestehend aus Hamburg und Lübeck. Bremen als einzige Stadt des vierten Stapels habe „so ein bisschen so eine eigene art“. Braunschweig, ebenfalls einzeln sortiert, kennzeichne nach GP76 (Barth) „eher so diese mecklenburgische sprechweise die sich vielleicht nicht unbedingt von der pommerschen sprechweise her jetzt unterscheidet aber... ja also sagen wir recht ähnlich ((lacht))“. Als (einziges) lautliches Merkmal des Stapels Hamburg/Lübeck nennt die GP mit Blick auf den repräsentativen Sprecher Peer Steinbrück „diese quakige sprechweise“. Weitere differenzierende Merkmale lassen sich nicht ausmachen. Dieser erste Einblick in Assoziationen von Laien zeigt, wie wichtig eine qualitative Untersuchung von Laienwissen zu Sprachräumen ist. Nur anhand dieses Materials, das im Folgenden ausgewertet wird, kann gezeigt werden, ob die von der GP genannten Räume wirklich aufgrund sprachlicher Faktoren zustande kamen oder ob sie von extra-linguistischen Faktoren beeinflusst sind („iconization“).

4.3 Assoziationen Insgesamt wurden innerhalb der 50 Stapel 29 lautliche (=0,58/Stapel), eine morphosyntaktische (=0,02/Stapel) und 18 lexikalische Assoziationen (=0,37/Stapel) sowie 123 Aussagen zur regionalen Varietät (=2,46/Stapel) ausgewertet.9 Zunächst soll an die Ergebnisse aus Kap. 4.2 angeknüpft werden mit der Frage, ob die feinere areale Differenzierung der nördlichen GPn auch durch Nennungen von Merkmalen und Assoziationen gestützt werden kann. Tab. 4: Durchschnittliche Merkmalsnennung/GP in Abhängigkeit zur Herkunft, gerundet.

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Allgemeine lautliche Merkmale

0,60

0,33

0,28

Spezifische lautliche Merkmale

0,80

0,33

0,36

Allgemeine lexikalische Merkmale

0,10

0

0,29

Spezifische lexikalische Merkmale

0,30

1

0,07

|| 9 Die Einteilung und Klassifizierung wurde nach Anders (2010: 269) durchgeführt.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 195

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Aussagen zur regionalen Varietät

6,3

4

1,71

Summe

8,10

5,78

2,71

Aufgrund der Summe der Merkmale/GP in Tabelle 4 könnte man vermuten, dass GPn der Gruppe I ein profunderes Wissen zum norddeutschen Sprachraum haben. Sie können den norddeutschen Sprachraum nicht nur in kleinere Einzelglieder teilen, sondern auch mehr Aussagen zu ihm treffen. Zudem nennen sie im Vergleich zu den anderen Gruppen die meisten lautlichen Merkmale. Bei lexikalischen Merkmalen liegen sie jedoch zurück. Möglicherweise sind Lexeme (wie z. B. „Moin“), die für die anderen Herkunftsgruppen auffällig sind, für GPn der nördlichen Gruppe nicht so salient, dass sie im Rahmen des Interviews genannt werden. Tab. 5: Durchschnittliche Merkmalsnennung/Stapel in Abhängigkeit zur Herkunft, gerundet.

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Allgemeine lautliche Merkmale

0,24

0,21

0,36

Spezifische lautliche Merkmale

0,32

0,21

0,45

Allgemeine lexikalische Merkmale

0,04

0

0,36

Spezifische lexikalische Merkmale

0,12

0,64

0,09

Aussagen zur regionalen Varietät

2,52

2,57

2,18

Summe

3,24

3,71

3,45

Betrachtet man jedoch die Merkmale/Stapel, stellt sich das Bild anders dar (vgl. Tabelle 5). Gruppe II nennt durchschnittlich mehr Merkmale/Stapel. Auch Gruppe III liegt vor Gruppe I. Die GPn der Gruppe I charakterisieren einen Stapel durchschnittlich lediglich anhand von 3,24 Merkmalen. Nach Anders (2010) klassifiziert, entfallen 2,52 Merkmale auf Aussagen zur regionalen Varietät, 0,24 Merkmale auf allgemeine phonetisch-phonologische und 0,04 Merkmale auf lexikalische Assoziationen. Es bleiben nur 0,32 spezifisch lautliche und 0,12 spezifisch lexikalische Merkmale. Das heißt, dass die GPn aus Gruppe I binnendifferenzieren, ohne dabei spezifische Merkmale des norddeutschen Sprachraums zu kennen oder nennen zu können. Im Folgenden werden die (wenigen) Merkmale, die die GPn mit dem norddeutschen Sprachraum assoziieren, genauer vorgestellt.

196 | Timo Hannemann

4.3.1 Lautliche Merkmale 4.3.1.1 Vokalische Assoziationen Tab. 6: Vokalische Assoziationen nach Herkunft.

Vokalische Assoziationen

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

langgezogene Vokale

5

0

0

5

besonderes /e/

1

0

0

1

besonderes /ö/

0

0

1

1

[kafə] für Kaffee

0

1

0

1

Insgesamt wurden acht vokalische Merkmale genannt (vgl. Tabelle 6). Mit fünf Nennungen sind Vokaldehnungen am häufigsten assoziiert worden. In einem Fall wurde dieses Merkmal spezifiziert auf /e/: „dass zum beispiel das e länger gezogen ist [...] finde ich also kirche [ke:çǝ]“ (GP77 (Barth)). Die Senkung von [ɪ] zu [e] und der Schwund des /r/ ist GP77 in ihrem eigenen Beispiel nicht aufgefallen. Alle GPn, die die Vokaldehnung genannt haben, sind aus der Herkunftsgruppe I. Von den fünf Nennungen des Merkmals entfielen vier auf Stapel bestehend aus Rostock, Schwerin und Greifswald. Zu diesen Stapeln fühlen sich die GPn der Gruppe I auch zugehörig. Abgegrenzt haben sich die GPn durch dieses vokalische Merkmal vor allem von Sprechern aus Hamburg und Bremen. Diese Städte wurden dreimal von GPn der Gruppe I in andere Stapel sortiert. Dialektologisch ist die Vokaldehnung zwar als Standardabweichung für den niederdeutschen Raum nachgewiesen, jedoch beschränkt sie sich keinesfalls nur auf das von den GPn beschriebene Gebiet (vgl. Lauf 1996: 202). Hier könnte also auch ein von Preston (2010: 2) als „erasure“ bezeichnetes Phänomen vorliegen. Das bedeutet, dass die GPn vokalische Gemeinsamkeiten mit anderen Städten des norddeutschen Sprachraums aufgrund extra-linguistischer Faktoren ausblenden würden.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 197

4.3.1.2 Konsonantische Assoziationen Tab. 7: Konsonantische Assoziationen nach Herkunft.

Konsonantische Assoziationen

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

alveolar realisiertes /s/ vor Plosiv

1

2

3

6

/p/ statt /pf/

0

0

1

1

besonderes /r/

1

0

0

1

Das meistgenannte spezifische lautliche Merkmal des norddeutschen Sprachraums ist das alveolar realisierte /s/ vor Plosiv, in den meisten Fällen vor /t/ (vgl. Tabelle 7).10 Es wird von allen Herkunftsgruppen erwähnt. Als Beispiele dafür geben die GPn u. a. „steif“ (GP5 (Eppingen)), „stehen“ (GP40 (Brixen)), „frühstück“ (GP74 (Barth)) und „stolpern übern spitzen stein“ (GP77 (Barth)) an. Das Merkmal wird immer mit Hamburg und Kiel und in fünf von sechs Fällen mit Flensburg, Lübeck und Rostock in Verbindung gebracht. Dabei haben die Stapel, die mit diesem Merkmal assoziiert werden, unterschiedliche Bezeichnungen (NORDDEUTSCH, HOCHDEUTSCH und PLATTDEUTSCH). Aus dialektgeographischer Perspektive ist der recht stabile und verteilte Wissensbestand über das alveolar realisierte /s/ vor Plosiv überraschend, da die Variante fast überall in Norddeutschland komplett abgebaut wurde (vgl. Elmentaler & Rosenberg 2015: 511). Wie erklärt sich die feste Verankerung der Variante im Laienwissen? Dazu kann auf von Schütz & Luckmann (2003) beschriebene Vorgänge der Wissensobjektivierung zurückgegriffen werden. Objektiviertem Wissen, das in Zeichen (z. B. Sprache) überführt wird, weisen sie zwei Eigenschaften zu: zum einen die Gelöstheit von der ursprünglichen Situation der Erfahrung, zum anderen Anonymität (vgl. Schütz & Luckmann 2003: 383). Durch eine Redewendung wie „Stolpern über’n spitzen Stein“ können Erfahrungen aus einer Zeit, in der das alveolare /s/ vor Plosiv noch häufiger realisiert wurde, in ein starres, zeitlich nicht gebundenes Symbol, wie z. B. eine Phrase, überführt und routinemäßig weitergegeben werden (vgl. Schröder i. Dr.). Auffällig ist jedoch, dass dieses Stereotyp auch von einer GP der nördlichen Herkunftsgruppe I, die dieses Wissen überprüfen könnte, geteilt wird (vgl. Tabelle 7). Sie beschreibt damit aber nicht den Stapel, dem sie sich zugehörig fühlt, sondern denjenigen, der Hamburg und Bremen enthält.

|| 10 Zu diesem Ergebnis kam bereits Hettler (2014).

198 | Timo Hannemann

4.3.1.3 Prosodische und artikulatorische Assoziationen Tab. 8: Prosodische und artikulatorische Assoziationen nach Herkunft.

Prosodische und artikulatorische Merkmale

Norden

Mitte

Süden

Summe

„andere“ Aussprache

1

1

1

3

besondere Stimmmelodie

1

0

1

2

langsam/bedächtig

1

1

0

2

abgehackt

0

0

2

2

besondere Betonung

1

0

0

1

monoton

0

1

0

1

quakig

1

0

0

1

Aussprache aller Buchstaben

1

0

0

1

Insgesamt wurden 13 Merkmale im Bereich Prosodie und Artikulation genannt (vgl. Tabelle 8). Diese sind schwer zu interpretieren, da aus den Äußerungen der GPn nicht klar hervorgeht, was genau gemeint ist. Daher werden sie hier auch gemeinsam behandelt.11 Manche Aussagen lassen Spekulationen zu: Die „aussprache aller buchstaben eines wortes“ (GP77, Barth) bezieht sich eventuell auf die alveolare Realisierung des /s/ vor Plosiv. Die GP nennt das Merkmal zumindest im Zusammenhang mit dem „spitzen stein“. Zwei weitere Informanten charakterisieren die Sprache im norddeutschen Sprachraum (sie haben nur einen Stapel für den gesamten norddeutschen Raum) als „bedächtig“ (GP2 (Eppingen)) und „langsamer [...] gemächlich“ (GP78 (Barth)). Könnten damit wiederum Vokaldehnungen beschrieben sein? Oder beziehen sich diese Aussagen eher auf Charakterisierungen von prototypischen Sprechern?

4.3.2 Morphosyntaktische Merkmale Lediglich GP79 (Buchen/Odenwald) nennt mit Bezug auf den Shanty „Hamborger Veermaster“ das morphosyntaktische Merkmal „andere grammatik“. In den hier ausgewerteten Interviews werden keine weiteren grammatikalischen Merkmale von GPn genannt. || 11 Zur Unterscheidung von Prosodie und Artikulation s. Anders (2010: 270).

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 199

4.3.3 Wortassoziationen Tab. 9: Spezifische lexikalische Merkmale nach Herkunft.

Spezifische lexik. Merkmale

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

Stolpern über’n spitzen Stein

1

2

1

4

Moin/Moin Moin

0

2

0

2

Schiffskutter

0

1

0

1

uschig

0

1

0

1

Stiesel

0

1

0

1

Hamburger Deern

1

0

0

1

Hamborger Veermaster

0

1

0

1

Hamburg [hambʊʁʃ]

0

1

0

1

Mecklenburg [meklənbo:k]

1

0

0

1

Spezifische lexikalische Besonderheiten werden vor allem von GPn aus Gruppe II angegeben (vgl. Tabelle 9). Darunter fällt die zweifache Nennung von „Moin (Moin)“, was, so GP1 (Eppingen) und GP81 (Buchen/Odenwald), in Standardsprache übersetzt „(guten) morgen“ heiße. Die Begrüßung wird in erster Linie mit Hamburg assoziiert: „die hamburger die kommen ja so mit ihrem dialekt mit diesem moin moin“ (GP1 (Eppingen)). Ebenfalls mit Hamburg in Verbindung gebracht wird der „schiffskutter“12 (GP1 (Eppingen)). Weitere genannte lexikalische Besonderheiten sind „stiesel“13 und „uschig“14. Als Merkmal für einen Stapel bestehend aus Hamburg, Bremen und Oldenburg nennt eine GP aus Gruppe I das Begriffspaar „hamburger deern“: „also stralsunder deern würde keiner sagen oder... na gut in rostock kenne ich es auch noch rostocker deern so mal zu einem mädchen aber in hamburg [...] ist es so ja drin“ (GP70 (Stralsund)). Hamburger Deern unterschieden sich von anderen Frauen oder Mädchen durch „ein anderes selbstbewusstsein [...] in der sprache in der stimme im klang [, die T. H.] nicht so diesen beigeschmack von plattdeutsch und plattem land“ hätten (GP70 (Stralsund)). Die GP sieht sich diesem Sprachraum nicht zugehörig. Ihr eigener Raum mit den Städten Greifswald,

|| 12 Gemeint ist wohl eher der Fischkutter. 13 „Die niedersachsen sagen zu den bremern stiesel warum weiß ich auch nicht“ (GP79 (Buchen/Odenwald)). 14 „Das macht mich ganz uschig“ (GP82 (Buchen/Odenwald)).

200 | Timo Hannemann

Schwerin, Lübeck und Rostock sei geschichtlich und sprachlich anders „gewachsen“. Das liege auch am „zuzug“ und der „mischung [...] die in der region relativ begrenzt sind“ (GP70 (Stralsund)). Es ist wahrscheinlich, dass damit auch die deutsche Teilung in jüngerer Vergangenheit gemeint ist. In „Hamburger Deern“ vermischen sich also sprachliche und politisch-demographische Aspekte. Es stellt sich die Frage, ob „Hamburger Deern“ überhaupt ein regionales sprachliches Merkmal ist, denn das Rostocker Pendant sei sprachlich auch gebräuchlich, so GP70 (Stralsund). Das Lexem „Deern“ ist für die GP also nicht speziell an Hamburg gebunden. Gleichzeitig beinhaltet es im Zusammenhang mit Hamburg subjektiv die exponierte Stellung der Stadt und die Abgrenzung der Metropole zum Umland. Auch verschiedene phonetische Konglomerate werden mit dem norddeutschen Sprachraum assoziiert. Darunter versteht Anders (2010: 272) Wortnennungen, mit denen mehrere lautliche Besonderheiten eines assoziierten Dialekts verdeutlicht werden sollen, indem die regionale Verortung und gleichzeitig die Sprechweise des assoziierten Dialekts an der Lautgestalt des Beispielwortes abgelesen werden kann.

Ein Beispiel dafür nennt GP79 (Buchen/Odenwald): „ich kenne ein lied das heißt ick heff mal n hamburger veermaster sehn“. Diesen bekannten niederdeutschen und englischen Shanty verbindet die GP mit der Varietät HANSEATISCH in Bremen und Hamburg. Die Städte seien geschichtlich verbunden „durch die hanse aus dem mittelalter kaufmannsstädte mit seeverbindung viel internationaler publikumsverkehr“ (GP79 (Buchen/Odenwald)). Es ist wohl ein ähnliches Bild der Hansestädte, das auch GP70 (Stralsund) im Kopf hat, wenngleich GP79 (Buchen/Odenwald) ganz andere sprachliche Folgen ableitet: „andere grammatik andere aussprache“. Dies könnte einerseits dafür sprechen, dass die GP denkt, in Hamburg und Bremen werde so gesprochen, wie in dem Shanty gesungen wird. Andererseits könnte GP79 (Buchen/Odenwald) damit auch nur die dialektal gefärbte Sprachlage meinen, weil sie das HANSEATISCHE zuvor als „irgendwas zwischen plattdeutsch und hochdeutsch“ charakterisiert hat. GP3 (Eppingen) nennt eine Besonderheit in der Aussprache des Wortes „hamburg [hambʊʁʃ]“. Das verwundert zunächst, denn es gibt einen Regionalismus zur Aussprache des Namens der Stadt, der auch am Wortende von der Standardlautung abweicht, allerdings nicht [ʁʃ], sondern [ɪç] ([hambuɪç]), also eine r-Vokalisierung nach /u/ als /i/ statt als /e/ (vgl. Auer 1998: 180). Möglicherweise hat die GP die Aussprache von Hamburg als salient empfunden, konnte die konkrete Abweichung jedoch nicht behalten.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 201

4.3.4 Aussagen zur regionalen Varietät Die mit Abstand meisten Assoziationen lassen sich in die eher allgemein gehaltene Oberkategorie „Aussagen zur regionalen Varietät“ einordnen. Diese unterteilt Anders (2010: 272) in die Unterkategorien „Dialektbeschreibung“, „Dialektbewertung“, „Variation“ und „Raumparameter“, die im Folgenden nacheinander vorgestellt werden. 4.3.4.1 Dialektbeschreibung Die GPn beschreiben norddeutsche Varietäten häufig über die Ähnlichkeit (achtmal) bzw. Unähnlichkeit (dreimal) zur eigenen Sprechweise. Erwartungsgemäß stellen nur GPn aus der geographisch nahen Gruppe I sprachliche Ähnlichkeiten mit der Sprache im norddeutschen Sprachraum fest. Die Gruppen II und III konstatieren Unähnlichkeiten. GP40 (Brixen) empfindet sogar Ähnlichkeiten zu anderen Sprachen: „wenn die dann wirklich unter sich reden dann gibt es null chance also sich zu beteiligen muss man sofort auf hochdeutsch umgewechselt werden [...] wir empfinden das ganze [...] wie das niederländische“. Bezeichnet wird die Varietät von GP40 (Brixen) als PLATTDEUTSCH. Synonym dazu benutzt sie „niederdeutsch und [...] norddeutsch“. Mit PLATTDEUTSCH meint diese GP also eine standardferne Sprachlage, die dem nahe steht, was dialektologisch als Niederdeutsch bezeichnet wird. Tab. 10: Qualifizierende Dialektbeschreibungen nach Herkunft.

Qualifizierende Dialektbeschreibungen

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

breit

3

0

0

3

offen

2

0

0

2

locker

2

0

0

2

stark

1

0

0

1

bedächtig

1

0

0

1

hart

1

0

0

1

Neben solchen allgemeinen Beschreibungen gibt es auch eine Reihe von qualifizierenden Beschreibungen (vgl. Tabelle 10). Darunter versteht Anders (2010: 273) „Äußerungen, die einen Dialekt mittels einer Beschaffenheit oder Konsistenz beschreiben“. Diese müssten aber nicht zugleich präzise und ver-

202 | Timo Hannemann

ständlich sein. Die häufigste qualifizierende Beschreibung ist „breit“ mit drei Nennungen. GP70 (Stralsund) beschreibt damit Greifswald, Schwerin, Lübeck und Rostock: „auf dem darß spricht man noch ein bisschen breiter dort“. Dagegen benutzt GP73 (Barth) die Beschreibung für Hamburg, Kiel, Lübeck, Oldenburg und Flensburg einerseits („so breitgezogen ne?“), Bremen, Osnabrück, Hannover und Münster andererseits: hier würde ich vielleicht wieder meinen dass man das wieder breiter spricht ne? [...] hamburger dialekt oder so was man so kennt was man so hört [...] mir fallen jetzt konkret keine beispiele ein aber das weiß man wenn man das hört das ist so langgezogen. (GP73 (Barth)).

Beide GPn nennen auch langgezogene Vokale als Charakteristikum dieser Sprachräume, die sie mit „breit“ zu beschreiben versuchen. Es könnte also sein, dass „breit“ für die GPn den Klang einer Varietät, in der Vokale langgezogen werden, beschreiben soll. Weitere Adjektive qualifizierender Beschreibung sind die Antonyme „hart“ und „weich“, die GP75 (Barth) benutzt, um zwei Stapel voneinander abzugrenzen (Greifswald, Rostock und Schwerin („härter“) einerseits und Flensburg, Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck und Oldenburg („weicher“) andererseits). Einschränkend fügt die GP hinzu, dass beide Varietäten sehr ähnlich seien: „wenn mir jetzt jemand [...] begegnen würde glaube ich würde ich das nicht unbedingt ausmachen können“. „Hart“ und „weich“ könnte auf die Beschreibung eines plosivreichen bzw. -ärmeren Konsonantismus hindeuten. Da aber genauere Bestimmungen von der GP nicht gemacht werden, könnte es sich hier ebenso um ein „recursivity“-Phänomen handeln, also um eine extra-linguistisch motivierte Überbewertung eigentlich kleiner sprachlicher Unterschiede (Preston 2010: 2). GP69 (Stralsund) bezeichnet das NORDDEUTSCHE, das in Hamburg, Kiel und Hannover gesprochen werde, als „seemannssprache“, die „stark“, „rau“ und „kernig“ klinge. Die Bedeutung der Küste und die Seefahrermetaphorik spielt bei vielen Konzepten zum norddeutschen Sprachraum eine wichtige Rolle. Häfen, vor allem der prominente Hamburger Hafen, gelten vielen GPn als typische Orte, Fischverkäufer als typische Sprecher norddeutscher Varietäten.15 Weil GP69 (Stralsund) aber kaum andere Merkmale für den aus Hamburg, Kiel und Hannover bestehenden Stapel benennt, stellt sich auch hier die Frage: Schließt die GP von der Sprache auf die Seefahrer oder vom Seefahrer auf die Sprache? || 15 Vgl. „die fischverkäufer wie sie am hafen stehen und da rumbrüllen“ (GP80 (Buchen/Odenwald)).

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 203

Da wenige GPn ihre Stapel mit sprachlichen Merkmalen begründen, könnte man eher von Letzterem ausgehen. Tab. 11: Prominente Vertreter norddeutscher Varietäten nach Herkunft.

Sprachlicher Prototyp

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

Helmut Schmidt

1

1

0

2

Jan Fedder

1

1

0

2

Otto Waalkes

1

0

1

2

Joachim Gauck

1

0

0

1

Christian Rach

0

1

0

1

Günther Jauch

0

0

1

1

Loki Schmidt

0

0

1

1

Hildegard Knef

0

0

1

1

Peer Steinbrück

1

0

0

1

Uwe Seeler

0

1

0

1

Neben solchen abstrakten Prototypen geben viele GPn prominente Vertreter norddeutscher Varietäten an (vgl. Tabelle 11). Helmut Schmidt, Jan Fedder und Otto Waalkes werden von jeweils zwei GPn genannt. Am standardfernsten wird Jan Fedder bzw. seine Rolle im Großstadtrevier als Dirk Matthies empfunden. Dann spreche er „dieses typische hamburger platt“ (GP78 (Barth)). Auch bei Otto Waalkes gehe es „in dieses plattdeutsche mit rein“ (GP72 (Stralsund)). Bei Helmut Schmidt erkennen die GPn zwar Abweichungen vom Standard in der „betonung“ des /r/ (GP73 (Barth)) oder dem alveolar realisiertem /s/ vor Plosiv (GP5 (Eppingen)), bewerten die Sprechweise aber dennoch standardnah, z. B. als „gepflegtes hochdeutsch“ (GP5 (Eppingen)). Einzeln werden Loki Schmidt, Peer Steinbrück, Hildegard Knef und Uwe Seeler als repräsentative Sprecher genannt. Es ist auffällig, dass aus linguistischer Perspektive keiner dieser prominenten Vertreter ein Dialektsprecher im Sinne eines Basisdialektes ist. Das hat zur Folge, dass die Varietät mancher prominenter Sprecher zwar als dialektal gefärbt, aber auch als standardnah empfunden wird. So werden Günther Jauch und Christian Rach mit den Worten „so einen dialekt wie hier unten [...] hat er eigentlich nicht“ (GP1 (Eppingen)) und „recht ordentliches hochdeutsch“ (GP45 (Meran)) beschrieben und sehr standardnah eingeschätzt.

204 | Timo Hannemann

4.3.4.2 Variation Bei der Analyse der sprachlichen Prototypen deutete sich bereits an, dass vertikale Variation, also ein subjektiv empfundenes „Standard-Substandard-Gefüge“ (Anders 2010: 273), eine wichtige Rolle für die GPn bei der Konzeption des norddeutschen Sprachraums spielt. Tab. 12: Dialektbezeichnung der Stapel, die als Standardsprache oder standardnah empfunden werden, nach Herkunft.

Dialektbezeichnung

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

HOCHDEUTSCH

0

5

3

8

NORDDEUTSCH

2

1

1

4

ohne Bezeichnung

1

0

1

2

Insgesamt wurde 14 Mal die Aussage getroffen, dass Varietäten im norddeutschen Sprachraum keine oder nur wenige dialektale Merkmale aufweisen (vgl. Tabelle 12). Eine Ballung dieser Aussagen gibt es bei den Stapeln, die als HOCHDEUTSCH bezeichnet werden. Am häufigsten wird die Sprache im norddeutschen Sprachraum von GPn aus den geographisch entfernter liegenden Gruppen II und III als standardnah bewertet. Dennoch werden zu HOCHDEUTSCH-Stapeln gelegentlich auch Standardabweichungen assoziiert, wie z. B. die alveolare Realisierung von /s/.16 Bei der Bezeichnung NORDDEUTSCH ist es ähnlich, wie die Aussage über das NORDDEUTSCHE von GP79 (Buchen/Odenwald) zeigt: „richtung hochdeutsch aber auch schon einflüsse von plattdeutsch“. Tab. 13: Die fünf häufigsten Städte in Stapeln, die als Standardsprache oder standardnah empfunden werden, nach Herkunft.

Stadt

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

Rostock

2

4

3

9

Kiel

1

4

3

8

Lübeck

1

4

3

8

Hamburg

1

3

4

8

Flensburg

1

3

3

7

|| 16 Vgl. Kap. 4.3.1.2.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 205

Rostock ist mit neun Nennungen am häufigsten in einem standardnah oder gleich empfundenen Stapel, gefolgt von Kiel, Lübeck und Hamburg mit acht Nennungen. Hamburg liegt zwar auf einem vorderen Rang bei Standardnähe, wird von einigen GPn jedoch auch als Stadt mit der standardfernsten Varietät angesehen (z. B. von GP3 (Eppingen); GP82 (Buchen/Odenwald)). Die Stadt übe einen sprachlichen Einfluss auf umliegende Städte aus (vgl. GP72 (Stralsund); GP 79 (Buchen/Odenwald)). Worin dieser genau besteht, wird nicht benannt. Einflüsse übt nicht nur Hamburg bzw. das HAMBURGISCHE, sondern auch das PLATTDEUTSCHE aus. Diese Varietät wird als Basisdialekt bzw. als eigenständige Sprache gesehen, so z. B. von GP40 (Brixen), die Parallelen des PLATTDEUTSCHEN zum Niederländischen und eine weite Entfernung zum Standard empfindet.17 GP35 (Bruneck) nennt ihren Stapel zwar NORDDEUTSCH, aber „es wird glaube ich auch platt genannt“. Weil die GP dann die ausbleibende Verschiebung von /p/ zu /pf/ als Merkmal anführt und von einer „völlig anderen sprachlichen Entwicklung im süddeutschen Raum“ spricht, kann hier angenommen werden, dass sie PLATTDEUTSCH als sehr standardferne Varietät versteht. PLATT- und NORDDEUTSCH können also auch Bezeichnungen für basisdialektale Sprachlagen sein. Die genannten Beispiele deuten darauf hin, dass die GPn das PLATTDEUTSCHE als häufig gesprochene Varietät konzeptualisieren. Andere GPn sehen das PLATTDEUTSCHE dagegen als Sprachlage, die nur noch von einigen Menschen gebraucht wird. Typische Dialektsprecher werden beschrieben als „alt“, „alt eingesess[en]“ (GP5 (Eppingen)) und als „auf dem land“ (GP2 (Eppingen)) lebend. Dementgegen schätzen andere GPn das PLATTDEUTSCHE als nur noch beeinflussenden Faktor der Umgangssprache ein. Das zeigen Beschreibungen wie „in dieses plattdeutsche rein“ (GP72 (Stralsund)), „so ein bisschen plattdeutsch mit drin“ (GP73 (Barth)) oder „ganz normales hochdeutsch vielleicht verknüpft mit einigen plattdeutschen dingen“ (GP71 (Stralsund)). Die subjektiv empfundene Varietät weist also für die GPn Interferenzen des PLATTDEUTSCHEN auf. Doch auch auf diese Weise wird das PLATTDEUTSCHE mit einer sehr standardfernen Varietät gleichgesetzt. Denn unabhängig davon, ob man nun, wie GP40 (Brixen) und GP35 (Bruneck), davon ausgeht, dass dieser Basisdialekt noch viel gesprochen wird, ob er bereits nur noch auf dem Lande von alten Sprechern genutzt wird oder ob man nur noch von Einflüssen auf eine sonst standardnahe Varietät spricht, wie es die meisten GPn tun, z. B. mit dem Verweis „irgendwas zwischen plattdeutsch und hochdeutsch“ (GP70 (Stralsund)): PLATTDEUTSCH meint immer Standardferne und wird nur sehr selten mit dem NORD- oder HOCHDEUTSCHEN gleichgesetzt. || 17 Vgl. Kap. 4.3.4.1.

206 | Timo Hannemann

4.3.4.3 Raumparameter Neben abstrakten oder realen sprachlichen Prototypen orientieren sich die GPn häufig an bestimmten geographisch-politischen Raumparametern. Am bedeutendsten sind diese für die Stapel mit Rostock, Schwerin und Greifswald. Beschrieben wird der Sprachraum z. B. als „norden des ostens“ (GP70 (Stralsund)). Dieses Orientierungsmuster wird von allen GPn-Gruppen verwendet. Besonders bei GPn der Gruppen II und III ist es auffällig, dass jene Stapel ausschließlich aufgrund von geographisch-politischen Raumparametern gebildet zu sein scheinen und keine lautlichen, morphosyntaktischen und lexikalischen Merkmale genannt werden. Wie bereits in Kap. 4.3.3.1 gezeigt wurde, verbinden GPn der (norddeutschen) Gruppe I überwiegend langgezogene Vokale mit der Region um Rostock, Schwerin und Greifswald, wobei es auch hier möglich ist, dass es sich dabei um ein „erasure“-Phänomen handelt. GP75 (Barth) hat z. B. zwei Stapel (Greifswald, Rostock, Schwerin einerseits und Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck, Oldenburg andererseits) gebildet. Den zweiten Stapel habe sie zusammensortiert, weil es der „norden deutschlands [...] aber eben westen“ sei. Die GP fügt aber einschränkend hinzu: „die sprache ist schon sehr ähnlich zu unserer18“. Auf die Frage, woran man jemanden aus der Region Bremen etc. erkennen könne, ist die Antwort: „wenn mir jetzt jemand [...] begegnen würde glaube ich würde ich das nicht unbedingt ausmachen können“. Es wird deutlich, dass, obwohl sprachlich wenige bis gar keine Unterschiede gesehen oder benannt werden können, eine subjektive Dialektgrenze entlang der ehemaligen deutschdeutschen Grenze gezogen wird. Nach Preston (2010) handelt es sich also um ein „erasure“-Phänomen, dem außersprachlich motivierten Ausblenden sprachlicher Gemeinsamkeiten.

4.4 Perzeptionen 4.4.1 Bezeichnung der Sprechprobe Die Sprechprobe aus Rendsburg wird insgesamt achtmal als HOCHDEUTSCH und fünfmal als NORDDEUTSCH bezeichnet. Niemand bezeichnet die Sprechprobe als PLATTDEUTSCH. Stattdessen nennen 20 der 33 GPn keine Bezeichnung (vgl. Tabelle 14).

|| 18 „Unserer“ meint hier Greifswald, Rostock und Schwerin.

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 207

Tab. 14: Dialektbezeichnung der Rendsburger Sprechprobe.

Dialektbezeichnung

Gruppe I

Gruppe II

Gruppe III

Summe

HOCHDEUTSCH

2

4

2

8

NORDDEUTSCH

2

1

2

5

ohne Bezeichnung

6

4

10

20

Es wird allerdings auch nicht explizit nach einer Bezeichnung gefragt. Für letztgenannte Bezeichnungen stellt sich das Bild in der vertikalen Varietät im Perzeptionstest wie folgt dar: Es ist möglich, dass GPn die Sprechprobe NORDDEUTSCH nennen, aber keine Abweichungen von der Standardsprache feststellen. Es gibt aber auch GPn, die Sprechproben NORDDEUTSCH nennen und Standardabweichungen erwarten. So ist z. B. GP47 (Meran) unschlüssig, „weil zu wenig norddeutsches drin war für mich“. Niemand nennt aber umgekehrt die Sprechprobe HOCHDEUTSCH und stellt Abweichungen von der Standardsprache fest. Dies ist im Pilesort-Teil für Stapel unter der Bezeichnung HOCHDEUTSCH gelegentlich vorgekommen.19 Tendenziell bestätigt der Perzeptionstest somit, dass die Bezeichnung HOCHDEUTSCH Synonym für das Standarddeutsche, NORDDEUTSCH für keine oder nur leichte dialektale Abweichungen und PLATTDEUTSCH für standardferne Varietäten gebraucht wird.

4.4.2 Lautliche Merkmale und Aussagen zur Varietät Insgesamt wurden in Bezug auf die Sprechprobe nur elf lautliche Besonderheiten von den 33 GPn genannt. Neben vereinzelten Äußerungen zum Vokalismus und Konsonantismus werden vor allem die Artikulation und Prosodie angesprochen. Zur Artikulation bemerkt GP5 (Eppingen): „so ein bisschen durch die nase gesprochen“. GP79 (Buchen/Odenwald) befindet: „artikuliert recht gut“, wobei wohl die Artikulation der Standardsprache als Maßstab gesetzt ist. Aussagen zur Prosodie sind z. B. „hinten sehr abgehackt“ (GP81 (Buchen/Odenwald)) und „gestochen scharf“ (GP47 (Meran)), mit denen wohl auch Standardnähe ausgedrückt werden soll. Salient scheint auch die Sprachmelodie, denn auch sie wird zweimal für besonders befunden. GP82 (Buchen/Odenwald) nennt als Beispiel für eine abweichende Betonung die Aussprache von „der Wanderer“. Auch hier gilt, was schon über die assoziierten artikulatorischen und prosodischen Merk|| 19 Vgl. Kap. 4.3.4.2.

208 | Timo Hannemann

male gesagt wurde: dass sie meist unklar und damit schwer auszuwerten sind. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es wohl saliente Merkmale jenseits des Vokalismus und Konsonantismus gibt. Neben dem Bereich der Artikulation und der Prosodie werden die Sprechproben von den GPn in Bezug auf die perzipierte Ähnlichkeit zur eigenen Sprechweise beschrieben. Eine GP aus Gruppe I kann durch eine perzipierte Unähnlichkeit sogar Schwerin und Rendsburg unterscheiden: „aber es war nicht einhundertprozentig vertraut für mich und deswegen habe ich schwerin nicht genommen weil ich denken würde schwerin wird mir am vertrautesten sein“ (GP77 (Barth)). Zum anderen werden andere Sprechproben vergleichend herangezogen: „Ja es war natürlich mehr norddeutsch schon als das aus dresden“ (GP72 (Stralsund)). Die meisten Aussagen zur Rendsburger Sprechprobe betreffen aber Vergleiche mit der Standardsprache. 14 GPn ordnen die Sprechprobe explizit als standardnah oder als Standardsprache ein. Das zeigt sich auch bei der Frage nach der sprachlichen Korrektheit, bei der die GPn auf einer siebenstufigen Skala (-3 bis +3) die Korrektheit der Sprechprobe beurteilen sollten. Durchschnittlich liegt der Wert bei +2,12. Es gibt zwischen den verschiedenen Herkunftsgruppen nur geringste Unterschiede. Lediglich GP46 (Meran) hätte es sich „noch perfekter vorgestellt“, vergibt letztlich aber auch eine „+3“. Werden die GPn nach Merkmalen gefragt, antworten sie meist, dass es keinen Dialekt oder keine Merkmale gebe: „weiß nicht [...] was ich da beschreiben könnte“ (GP34 (Bruneck)). Mit Hilfe der perzipierten Standardnähe wird dann meist im Ausschlussverfahren Rendsburg als Herkunft der Sprechprobe ausgewählt. GP37 (Brixen) sagt: „also ich würde die mit zürich dresden wien nicht in verbindung bringen das sind meine ausschlüsse“. Das heißt, dass ein Raumkonzept zur Orientierung der GPn aktiviert wird: „je weiter nach norden desto dialektfreier“ (GP3 (Eppingen)), „es war halt relativ klar und damit auch im norden anzuordnen“ (GP4 (Eppingen)), „gerade deswegen weil mir nichts aufgefallen ist habe ich mir eben gedacht ja muss irgendwie korrektes deutsch sein also nordwesten irgendwo“ (GP35 (Bruneck)). GP3 (Eppingen) bezeichnet die Sprechprobe als HOCHDEUTSCH, GP35 (Bruneck) als NORDDEUTSCH. Das zeigt, dass die Bezeichnungen hier prinzipiell austauschbar sind. Ebenfalls bestätigt sich, dass die im Pilesort-Teil gemachte Ost-West-Differenzierung des norddeutschen Sprachraums größtenteils auf außersprachlichen Faktoren beruht. Ein gutes Beispiel dafür ist GP75 (Barth), die, obwohl sie in jenem Teil der Befragung Ost und West unterschieden hat, die Rendsburger Sprechprobe fälschlicherweise Rostock zuordnet. Daraufhin räumt sie ein: „also

„irgendwas zwischen hochdeutsch und plattdeutsch“ | 209

ich kann diese lokalen unterschiede nicht ausmachen“. Assoziativ werden also vorhandene Ähnlichkeiten größer eingeschätzt, als sie dann wirklich perzipiert werden.

5 Zusammenfassung Die Wissensbestände der GPn zum norddeutschen Sprachraum bzw. zu norddeutschen Sprachräumen erweisen sich als verschieden, teilweise als gegensätzlich und selten als explizit, was eine Zusammenfassung, wenn darunter eine Vereinheitlichung zu einem schlüssigen Varietätenkonzept verstanden wird, erschwert oder unmöglich macht. Das ist bereits der Fall, wenn – wie in der vorliegenden Arbeit – nur 33 GPn qualitativ untersucht werden. Ausgangspunkt der Untersuchung war die These von Lameli, Purschke & Kehrein (2008), dass linguistische Laien für norddeutsche Varietäten verschiedene Namen haben, diese aber inhaltlich auf ein ähnliches „Küstensprachenkonzept“ referieren. Die Heterogenität in den Bezeichnungen kann bestätigt werden. Neben NORDDEUTSCH werden die Sprachräume PLATTDEUTSCH, HAMBURGISCH etc. genannt. Außerdem zeigt sich, dass für den norddeutschen Sprachraum relevante Varietäten von vielen GPn auch als HOCHDEUTSCH bezeichnet werden. FRIESISCH wurde als Bezeichnung nicht genannt, was jedoch an der geringen Anzahl an GPn liegen kann. Es konnte gezeigt werden, dass die areale Konzeption des norddeutschen Sprachraums unabhängig von der Bezeichnung, die eine GP für ihn hat, ähnlich ist: zum einen hinsichtlich der in ihm verorteten Städte, zum anderen aber auch hinsichtlich der Binnendifferenzierung des Raums. So wird von vielen GPn die Sprache in Rostock, Schwerin und Greifswald als eigenständige Varietät innerhalb des norddeutschen Sprachraums konzeptualisiert. Insbesondere bei dieser Grenzziehung lässt sich der Einfluss außersprachlichen Wissens auf das Sprachwissen zeigen. GPn der Gruppe I nennen zur Abgrenzung ihres Sprachraums (sie identifizieren sich mit der Sprache der Region) zumeist die Vokaldehnung, obwohl dieses Phänomen aus dialektgeographischer Perspektive kein rein mecklenburgisch-vorpommersches Phänomen ist (vgl. Lauf 1996: 202). Demnach liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier um den von Preston (2010) beschriebenen Vorgang des „erasure“ handelt, also um das außersprachlich motivierte Ausblenden von Gemeinsamkeiten. Bei GPn der Gruppen II und III, die eine nordostdeutsche Varietät meist nur mit geographisch-politischen Gründen erklären können, liegt die Vermutung, dass hier die ‚Mauer in den Köpfen‘ weiterhin existiert, noch näher. Im Perzeptionstest bestätigt sich diese,

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da dort einige GPn ihre feingliedrigen Differenzierungen innerhalb des norddeutschen Sprachraums nicht praktisch anwenden können. Topographische Gegebenheiten beeinflussen ebenfalls das Sprachwissen und die Konzeption des norddeutschen Sprachraums, wenn auch nicht in dem Umfang der Ost-West-Trennung. Es gibt z. B. keinen Stapel, der nur aus Hafenoder Küstenstädten besteht. Aber das Seefahrer-Stereotyp spielt eine wichtige Rolle innerhalb der Konzeption des norddeutschen Sprachraums. Von Fischerei, der rauen See und starken Seemännern gibt es immer wieder Rückschlüsse auf die Sprache. Es ist möglich, dass die topographischen Sortierungsprinzipien vor allem bei Vorlage einer Karte, wie es z. B. bei hand-drawn-maps üblich ist, noch aktiver werden. Auf ein relativ einheitliches Konzept zum norddeutschen Sprachraum deuten auch die assoziierten sprachlichen Merkmale hin. Am häufigsten und unabhängig von der Bezeichnung wird die alveolare Realisierung von /s/ vor Plosiv, insbesondere vor /t/, von GPn aller Gruppen genannt. Mit Rückgriff auf Schütz & Luckmann (2003) scheint es sich hier jedoch um ein sozial vermitteltes Stereotyp zu handeln, das aufgrund der Objektivierung, z. B. im Sprichwort „Stolpern über’n spitzen Stein“, anonym, losgelöst von der ursprünglichen Erfahrung und routinemäßig weitergegeben wird. Insgesamt konnten die GPn, egal welcher Herkunftsgruppe sie angehören, nur sehr wenige sprachliche Merkmale nennen. Das ist zum einen darauf zurückzuführen, dass bei der Bildung sprachlich ähnlicher Stapel geographischpolitische Motivationen eine wichtige Rolle spielen und diese die sprachlichen Merkmale teilweise überlagern. Zum anderen werden norddeutsche Varietäten überwiegend als sehr standardnah oder standardsprachlich eingeschätzt. Diesbezüglich gleichen sich die Einschätzungen unabhängig von der Sprachraumbezeichnung: Generell deutet die Bezeichnung HOCHDEUTSCH zwar auf unmittelbare Standardnähe hin, schließt jedoch Abweichungen nicht aus. Umgekehrt deutet NORDDEUTSCH zwar auf Standardabweichungen hin, schließt aber die Nähe zur Standardsprache oder die Gleichheit mit dem Standard nicht aus. Das zeigen auch die Bezeichnungen und Perzeptionen im Ratespiel. Das PLATTDEUTSCHE und HAMBURGISCHE werden dagegen im vertikalen Varietätenspektrum als sehr standardfern verortet, und zwar unabhängig davon, ob die GPn PLATTDEUTSCH als alltägliche norddeutsche Umgangssprache oder lediglich als Einfluss auf die regionale Umgangssprache, die zu Standarddivergenzen führt, sehen. PLATTDEUTSCH bezeichnet immer eine wesentlich standardfernere Varietät, ohne dass die GPn diese Standardferne an bestimmte sprachliche Merkmale knüpfen.

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HOCHDEUTSCH, NORDDEUTSCH usw. sind im Wissen der 33 hier untersuchten linguistischen Laien als Bezeichnungen standardnaher Varietäten so ähnlich, dass es legitim erscheint, sie gleichzusetzen. Von einer Synonymie von NORD- und PLATTDEUTSCH zu sprechen – wie in der eingangs zitierten Umfrage des Projektes „Erkundung und Analyse aktueller Spracheinstellungen in Deutschland“ – erscheint dagegen nicht möglich. Abschließend kann festgehalten werden, dass für linguistische Laien die Bezeichnungen von Varietäten weniger aussagekräftig sind als die Konzepte des Bezeichneten. Daher lohnt es sich, neben der Bezeichnung auch nach subjektiven Wissensbeständen und Perzeptionen von linguistischen Laien zu fragen.

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Toke Hoffmeister

Der Einfluss der regionalen Herkunft auf das Dialektwissen linguistischer Laien Abstract: Der Beitrag setzt sich mit dem Wissen linguistischer Laien auseinander und verdeutlicht, dass dieses keinesfalls verallgemeinerbar ist, sondern stets differenziert betrachtet werden muss. Die Variable Herkunft, die zur Auswertung herangezogen wurde, verdeutlicht hingegen, dass die Wissensbestände der Laien nicht sonderlich heterogen sind. Dieser vermeintliche Widerspruch resultiert aus der Tatsache, dass sich die Wissensinhalte zwar unterscheiden, strukturelle Unterschiede jedoch nicht bzw. nur eingeschränkt vorhanden sind. Der süddeutsche Sprachraum kann als das ‚Zentrum‘ laienlinguistischer Wissensbestände gelten. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass eine kategorische Denkweise zur Beschreibung dieser Wissensbestände nicht zielführend ist, da ausländische linguistische Laien durchaus über Dialektwissen verfügen. Hierbei wird aber zumeist der eigene Mikroraum konzeptualisiert; über die Dialekte des bundesdeutschen Staatsgebiets besteht nur vereinzeltes Wissen. Insgesamt wurde festgestellt, dass es einer Differenzierung der metadialektalen Urteile in Bezug auf ihre thematische Ausrichtung bedarf. Im Zentrum dieses Beitrags steht also die Frage nach der Beschreibung der einzelnen Dialektkonzepte, d. h. es wird sowohl die Wissensstruktur als auch die Wissensreproduktion untersucht. Schlüsselwörter: Laienwissen, Herkunft, Metadialektale Urteile, Metadialektale Äußerungen

1 Einleitung Das Wissen linguistischer Laien in Bezug auf Dialekträume muss mit Bedacht beschrieben werden, nicht nur weil es eine klare Struktur, die sich in der Reproduzierung rekodierter Elemente ausdrückt, vermissen lässt, sondern vor allem auch weil es keinesfalls verallgemeinerbar und nicht immer klar expli-

|| Hoffmeister, Toke: Germanistisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, Tel. 0431/8803832, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-008

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zierbar ist.1 Die Ergebnisse, die aus den zahlreichen Studien folgen, sind oftmals eher Momentaufnahmen, von Repräsentativität kann ohnehin nicht gesprochen werden. Wenn linguistische Laien über Dialekte sprechen, dann ist es kein Abrufen von Wissen, sie sprechen nicht in einer „Ganz-oder-gar-nicht-Weise“ (Hundt in diesem Band), sondern entwickeln ein Wissen teilweise erst während des Gesprächs mit den Exploratoren. So kann nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass die linguistischen Laien überhaupt über ein „Dialektbewusstsein“2 verfügen, das eine Voraussetzung jeglicher Reflexionsprozesse ist. Im folgenden Beitrag soll untersucht werden, wie linguistische Laien Dialekte wahrnehmen, d. h. welche Raumvorstellungen die Laien besitzen (geographische Perspektive) sowie welche Attribute (linguistische Perspektive) repräsentiert werden. Eine evaluative Perspektive wird in diesem Beitrag nicht behandelt, da insbesondere die Prestige-Stigma-Diskussion der 1980er/1990er Jahre3 viele Erkenntnisse geliefert hat. Der Fokus der Betrachtung liegt auf der Konzeptualisierung einzelner Dialekträume durch linguistische Laien und eventuellen (inter-)nationalen Unterschieden.4 Ausgegangen wird von der Sprachraumkonzeptdefinition, wie sie Purschke (2011: 212, Hervorhebungen i. O.) liefert: Sprachraumkonzepte sind demnach semantisch komplex kodierte Elemente des regionalsprachlichen Wissens, deren Komplexität, semantische Struktur und Motivierung wesentlich von konstitutiven Wissensfaktoren wie Herkunft, Alter, regionalsprachliche Kompetenz etc. einerseits und individuellen Wissensdomänen wie sprachlicher Raum, politischer Raum, geographischer Raum etc. andererseits bestimmt wird.

Hieraus leitet sich das Ziel des Beitrages ab, den Wissensfaktor Herkunft auf die Rolle im Wissenserwerbsprozess hin zu untersuchen.

|| 1 Für eine nähere Beschreibung der Struktur laienlinguistischer Wissensinhalte vgl. Hundt (in diesem Band) sowie Antos (1996: 32–33), der sprachliches Laienwissen als situations-, wertund affektbezogen sowie als implizit, lückenhaft, inkohärent, inkonsistent und falsifikationsresistent charakterisiert. Darüber hinaus sei sprachliches Laienwissen häufig nicht widerspruchsfrei und es fehle ihm an logischer Konsistenz. 2 Ich verstehe unter „dialect awareness“ nicht das didaktische Prinzip, das Jeffrey Reaser (2006) in seiner Dissertation beschreibt, sondern simplifiziert im Anschluss an den „linguistic/language awareness“-Begriff eine Form von Dialektbewusstsein (vgl. Gornik 2014; Lehr 2002: 41–53). 3 Vgl. hierzu z. B. die Studien von Steinig (1982), Mihm (1985), Jakob (1992), Hundt (1992; 1996), Stickel (1999), Stickel & Volz (1999). 4 Vgl. zu den Fragestellungen der Wahrnehmungsdialektologie z. B. Anders (2010: 1–3 und 22–49), Anders, Hundt & Lasch (2010) sowie Mathussek (2014: 141–147).

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Folgende Fragen sollen schließlich im Beitrag behandelt werden: (1) Wie ist das Dialektwissen und die Dialektwahrnehmung von linguistischen Laien strukturiert? (2) (Wie) Wird das Antwortverhalten der Laien durch ihre regionale Herkunft bedingt?5 Die letztere bildet das übergeordnete Erkenntnisinteresse der Arbeit, während die vorangegangene Frage eher grundsätzlicher Natur ist. Es sollen, dies bildet den methodischen Kern der Arbeit, die einzelnen Konzeptualisierungen (metadialektale Äußerungen6) miteinander verglichen werden, um so etwaige Unterschiede oder Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Der Fokus liegt hierbei nicht wie bei Schröder (i. Dr.) auf der Gegenüberstellung Inland – Ausland, sondern auf der Differenzierung nach Nationen, wobei der deutsche Sprachraum in sich zur besseren Vergleichbarkeit zusätzlich in ein nord- und ein süddeutsches Gebiet aufgeteilt wird. Die umfassende Analyse metadialektaler Äußerungen wurde lange vernachlässigt. Dies liegt zum einen daran, dass schlichtweg keine (belastbaren) Daten vorlagen, und zum anderen, dass die Arbeiten, die sich metadialektalen Urteilen widmeten, einzelne Dialektkonzepte fokussierten und so nur einen Ausschnitt laienlinguistischer Wissensbestände offenlegen konnten. Diese Lücke wurde nun, zumindest annäherungsweise, geschlossen, da erstmals umfassend metadialektale Äußerungen linguistischer Laien aus einem breiten Herkunftsspektrum ausgewertet und interpretiert werden konnten. Die Struktur dieses Aufsatzes gestaltet sich folgendermaßen: Zunächst wird das Forschungsdesign dargestellt (Kap. 2), in dem die Untersuchungsorte genannt und die Auswahl begründet, die Datenmenge beschrieben, die Auswertungsmethodik erläutert und Hypothesen hergeleitet werden. Anschließend werden die Ergebnisse dargestellt (Kap. 3), ehe sie einer interpretierenden Bewertung (Kap. 4) unterzogen werden. Abgeschlossen wird der Beitrag durch ein Resümee und einen Ausblick (Kap. 5).

|| 5 Wie in den folgenden Abschnitten deutlich wird, kann eine sozio-demographische Auswertung nach dem Kriterium Bildungsstand im Rahmen dieser Untersuchung nicht erfolgen, da die Gewährspersonen (GPn) ausschließlich an Schulen (fast ausschließlich Gymnasien) akquiriert wurden und somit eine Differenz im Bildungsstand nach objektiven Kriterien ausgeschlossen ist. 6 Ich verwende diesen Begriff im Anschluss an Christen (2014: 35), da dieser präziser als der bisher gemeinhin verwendete Begriff ‚metasprachliche Äußerung‘ ist.

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2 Das Forschungsdesign 2.1 Datengrundlage: Erhebungsorte und Gewährspersonen Das Datenkorpus bilden 61 leitfadengestützte Interviews (26 Frauen, 35 Männer), die in zwölf verschiedenen Orten des gesamten deutschen Sprachraumes (mit Ausnahme von Österreich und Ostbelgien) im Rahmen des DFG-Projektes von 2012 bis 2015 erhoben wurden, wobei hier nur die Aussagen aus der Makrokartierung (MAK) berücksichtigt werden.7 Die Interviews wurden mithilfe des Transkriptions- und Annotationsprogramms EXMARaLDA8 orthographisch in Kleinbuchstaben transkribiert. Für die Untersuchung wurden die in Abb. 1 dargestellten Orte ausgewählt. Ein leichtes Übergewicht liegt im Westen des deutschen Sprachraums. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Erhebungsorte Radebeul und Jena im Osten (und Hamburg im Westen) bisher nicht transkribiert vorliegen.9 Folgende Kriterien wurden für die Ortsauswahl Meran zugrunde gelegt: Erstes Kriterium für die Auswahl eines Ortes war die Zahl der transkribierten Interviews, da eine möglichst hohe Datenmenge erreicht werden sollte. Bei Meran, Brixen und Bruneck gestaltete sich die Auswahl schwieriger, da in jedem der Orte fünf Interviews transkribiert vorliegen. Das zweite Kriterium war der objekt-dialektologische Sprachraum, der jedoch auch bei allen drei Orten, da sie im südbairischen Sprachraum liegen, identisch ist. Schließlich wurde Meran aufgrund der geopolitischen Bedeutung für die Region als ehemalige Tiroler Landeshauptstadt ausgewählt.

|| 7 Insgesamt wurden Daten von 139 Gewährspersonen (GPn) erhoben vgl. Hundt, Palliwoda & Schröder in diesem Band. 8 Das Programm kann als Open-Source-Programm unter www.exmaralda.org/de/ (11.08.2016) heruntergeladen werden. 9 Für Neuruppin liegt zwar ein Interview transkribiert vor, dies findet aber keine Berücksichtigung in vorliegender Studie, da diese Ergebnisse wenig belastbar wären und der Datensatz idealerweise zu einem späteren Zeitpunkt, wenn eine größere Menge an Interviews für Neuruppin transkribiert vorliegt, ausgewertet werden sollte.

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Abb. 1: Verteilung der in die Untersuchung eingeflossenen Ortspunkte.

2.1.1 Differenzierung des innerdeutschen Untersuchungsgebietes Das deutsche Sprachgebiet soll in sich differenziert werden, um einen Vergleich von nord- und süddeutschen Erhebungsorten zu ermöglichen. Bisher existiert meines Wissens keine Einteilung des deutschen Sprachraums aus wahrnehmungsdialektologischer Perspektive. Dieses Vorgehen wäre für diese Arbeit das Wünschenswerteste, da so die wahrnehmungsdialektologische Ausrichtung konsequent durchgehalten werden könnte. Da eine solche Einteilung nicht vorliegt, muss eine traditionell dialektologische Einteilung des deutschen Sprachraumes genügen. Dieses Vorgehen birgt gegenüber dem wahrnehmungsdia-

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lektologischen sogar einen Vorteil: Da der deutsche Sprachraum mittels traditioneller Isoglossen eingeteilt wird, können schließlich verlässliche Aussagen darüber getroffen werden, wie nord- bzw. süddeutsche Deutschsprecher den deutschen Sprachraum beurteilen, stünde hingegen ein laienlinguistisches Profil zur Verfügung, müsste dies bei der Formulierung der Ergebnisse stets Berücksichtigung finden.10 Als Differenzierungsmarker wurde die Hochdeutsch/Niederdeutsch-Sprachscheide11 gewählt. Diese Einteilung ist insofern unproblematisch und für diese Zwecke angemessen, als sie den deutschen Sprachraum exemplarisch in Norden und Süden differenziert. Demnach liegen Barth und Springe im Norden, Schleiden, Ettelbrück, Simmern, Buchen, Eppingen, Coburg, Luzern, Vaduz und Meran im Süden des deutschen Sprachraumes. Problematisch ist die Einteilung von Velbert, da der Ort exakt auf der Isoglosse liegt (vgl. Abb. 2).12 Die Verortung Velberts wird somit forschungspraktisch begründet. Da lediglich Springe sowie Barth den norddeutschen Sprachraum repräsentieren, wird Velbert zunächst zu dieser Gruppe gezählt. Dieses Vorgehen ist jedoch nur unter Vorbehalt anzuerkennen, da, wenn sich durch die Auswertung der Ergebnisse eine andere Einteilung ergibt, die Lage Velberts revidiert und eine Zuordnung zum süddeutschen Sprachraum vorgenommen werden kann.

|| 10 Eine laienlinguistische Herangehensweise hätte wiederum den Vorteil, dass sich die Deutschsprecher zuvor selbst im Sprachraum verortet hätten und so keine deduktive Auswahl getroffen werden müsste. Außerdem widerspricht die traditionell dialektologische Herangehensweise der wahrnehmungsdialektologischen Idee: Ziel ist, die Sicht von linguistischen Laien zu untersuchen, doch die Kategorien liefern Dialektologen. Eine solche Erhebung ist ein dringendes Desiderat wahrnehmungsdialektologischer Forschung. 11 Vgl. Wiesinger (1983: Karte 47.4). Die „Wiesinger-Karte“ ist auch online über das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas abrufbar. Dort ist die Karte mithilfe einer SprachGISAnwendung digitalisiert (https://regionalsprache.de/SprachGis/Map.aspx (15.08.2016)). 12 Darstellung nach: https://www.regionalsprache.de/SprachGis/Map.aspx (15.08.2016).

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Abb. 2: Lage Velberts im deutschen Sprachraum.

2.2 Die Methodik: Auswertung qualitativer Daten Die Auswertung der leitfadengesteuerten Interviews erfolgt mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse. Es wird versucht, Hypothesen sowie die Plausibilität interpretierter Zusammenhänge zu überprüfen.13 Letzteres nimmt Bezug auf die von Anders (2010: 269) entwickelte Klassifikation, die in der vorliegenden Arbeit umfassend praktisch angewendet wird. Zur Analyse und Auswertung wird das Computerprogramm MAXQDA genutzt, das die Möglichkeit der codeorientierten Auswertung bietet. Hierbei wird ein Codesystem gewählt, dem dann einzelne Merkmale zugewiesen werden, sodass unter einem bestimmten Code A ein Merkmalscluster entsteht (vgl. Beu|| 13 Vgl. Mayring (2015: 23). Er verweist hier auf W. Schulz (1978), der in seiner Untersuchung über „Soziale Kontakte in der Großstadt“ mehrere Vorteile qualitativer Inhaltsanalyse aufzählt.

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ge in diesem Band). Die von Anders vorgeschlagene Klassifikation, die als Codesystem implementiert wird, ist mit Kuckartz (2010: 61) als „thematisches Codesystem“ zu bezeichnen. Dies eröffnet ein Problem, das die wissenschaftliche Durchführbarkeit der Untersuchung betrifft. Kuckartz (2010: 61) weist darauf hin, dass die thematischen Codes nicht „mit einer Abweichung von 0,0 Grad“ auf den Untersuchungsgegenstand zutreffen können, sodass Merkmale teilweise auf unterschiedliche thematische Codes passen. Dies ist auch in der vorliegenden Untersuchung zutreffend, wenngleich versucht wird, die Merkmale eindeutig zu den entsprechenden Codes zuzuordnen.

2.2.1 Codierung der Sprachdaten: Das Codesystem Im Folgenden soll das für die Auswertung verwendete Codesystem vorgestellt und kurz erläutert werden.14 Das Codesystem unterteilt sich in vier Großbereiche (Lautliche Besonderheiten, Morphosyntaktische Besonderheiten, Wortassoziationen und Aussagen zur regionalen Varietät), die sich wiederum in einzelne Bereiche gliedern. Insgesamt bietet das System so die Möglichkeit, Merkmale 49 verschiedenen Kategorien zuzuordnen. Ob sich eine Ergänzung des Modells anbietet, wird im Anschluss geklärt. Des Weiteren ist nicht gesichert, dass tatsächlich jede Kategorie auch Verwendung finden kann.15 Die folgende Darstellung bildet das Codesystem ab:16 (1) Lautliche Besonderheiten (11) Vokalische Assoziationen (111) Unspezifische allgemeine Beschreibungen (112) Spezifische allgemeine Beschreibungen (113) Vokalfrequenzen (114) Vokalqualitäten (12) Konsonantische Assoziationen (121) Unspezifische allgemeine Beschreibungen (122) Spezifische allgemeine Beschreibungen (123) Konsonantenqualitäten […]

|| 14 Für eine ausführliche Erläuterung des Modells vgl. Anders (2010: 270–275). 15 In diesem Beitrag kann nur ein Ausschnitt behandelt werden. In der zugrunde liegenden Masterarbeit wurden alle Kategorien analysiert. 16 Siehe Anders (2010: 269). Als Ebenennummerierung ist hier die von Anders beibehalten.

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(2) Morphosyntaktische Beschreibungen (210) Allgemeine grammatische Beschreibungen (220) Beschreibungen zur Wortbildung (230) Beschreibung zur Flexion (240) Syntaktische Beschreibungen (3) Wortassoziationen (31) Inhaltsbezogen (311) Allgemeine lexikalische Merkmale (312) Lexikalische Besonderheiten (313) Phraseologisches (kulturelle Schibboleths) (32) Ausdrucksbezogen (321) Wörter/Wortgruppen als phonetische Konglomerate (4) Aussagen zur regionalen Varietät […] (43) Variation (431) Vertikale Variation (Standard – Substandard) […] Es kann hier nicht auf jede einzelne Kategorie zur Erklärung eingegangen werden, sodass nur diejenigen erläutert werden sollen, die m. E. einer Erläuterung bedürfen. Morphosyntaktische Beschreibungen (2) werden hier gebündelt aufgeführt, da diese oftmals nicht eindeutig voneinander separiert betrachtet werden können. Mit ausdrucksbezogenen Wortassoziationen (32) sind solche gemeint, die den GPn dazu dienen, lautliche Besonderheiten des assoziierten Dialekts hervorzuheben. Näher betrachtet werden die vokalischen und konsonantischen Assoziationen, morphosyntaktische Beschreibungen sowie inhalts- und ausdrucksbezogene Wortassoziationen.

2.3 Darstellung der Hypothesen Dialekt spielt in den Alltagswelten der GPn unterschiedliche Rollen. Dies liegt insbesondere daran, dass Dialekt in den verschiedenen Gebieten des deutschen Sprachraumes unterschiedlich präsent ist. Diese Heterogenität in der deutschen Dialektlandschaft setzt sich, so lautet Hypothese 1a, auch in der Konzeptualisierung der Dialekträume fort: (1a) Der deutsche Sprachraum wird von den GPn unterschiedlicher Herkunft durch metasprachliche Äußerungen heterogen beschrieben.

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Insbesondere im deutschen Bundesgebiet gibt es eine Vielzahl an Dialekten und Vorstellungen darüber. Menschen aus den nördlichen Bundesländern, wie Schleswig-Holstein oder Niedersachsen, beanspruchen für sich des Öfteren, das beste HOCHDEUTSCH zu sprechen.17 Dieser Eindruck wird auch in der Fremdzuschreibung durch südliche Sprecher bestätigt. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass das Autostereotyp in den meisten Fällen ein positives ist und so zu einer positiven Bewertung des eigenen Dialekts führt. Heterostereotype18 werden von den unterschiedlichen Gruppen im Norden und Süden Deutschlands unterschiedlich gebildet. So kann Hypothese 1b wie folgt formuliert werden: (1b) Süddeutsche und Norddeutsche unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Vorstellung und der Beschreibung des deutschen Sprachraumes. Dialekte spielen im öffentlichen Interesse zwar keine übergeordnete Rolle, sind aber dennoch in der Öffentlichkeit präsent. Hieraus resultiert, dass die Wahrnehmung von Dialekten durchaus objektgerichtet sein kann. Die Objekte, die für den Dialekt als Repräsentation stehen, sind über Nationalstaatsgrenzen hinaus statisch, sodass gleiche Repräsentanten zur Orientierung herangezogen werden. Unterscheiden sich die Repräsentanten, so wird von den unterschiedlichen Repräsentanten ein gleiches oder ähnliches Phoneminventar zur Verdeutlichung des Dialektes herangezogen, um eine stereotype Ausprägung des Dialektes darzustellen. Dies führt zu Hypothese 1c: (1c) Die lautlichen Assoziationen unterscheiden sich nicht wesentlich in Bezug auf die Herkunft, es werden aber überwiegend Assoziationen zu Dialekten des süddeutschen Bundesgebietes geäußert. Auer (2004) hat mit seinem nationalstaatlichen Modell eine Theorie zur Raumgliederung linguistischer Laien vorgelegt. Das nationalstaatliche Modell besagt, dass linguistische Laien an nationalstaatlichen Grenzen eine Zäsur setzen, da diese Grenze „als mentale Raumbegrenzungen ein kognitives Ordnungsschema bereitstellen.“ (Auer 2004: 166). Deshalb lautet Hypothese 2a: (2a) Bei Sprechern aus dem Ausland existiert nur ein eingeschränktes Wissen vom (binnen)deutschen Sprachraum.

|| 17 Vgl. Elmentaler (2012). Elmentaler verweist zu Beginn seines Artikels auf die Suchergebnisse für „Bestes Hochdeutsch“ in einer Suchmaschine. Dort fänden sich bei 189.000 Treffern nur wenige Belege, die ohne den Hinweis auf die Stadt Hannover auskämen. 18 Vgl. Hundt (1992: 26).

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Das nationalstaatliche Modell wird ergänzt durch das Zentrum-PeripherieModell (vgl. Auer 2004). Hiernach handelten linguistische Laien sogar noch häufiger, verglichen mit dem nationalstaatlichen Modell. Linguistische Laien würden, so Auer, im Nahraum sehr viel kleinräumiger und genauer differenzieren. Je weiter sich die Konzeptualisierung von diesem Mikroraum entferne, sie sich also in die Peripherie bewegt, desto undeutlicher und vager würden die Konzepte. Die Konzeptualisierung finde um Kernregionen statt. Deshalb lässt sich für Hypothese 2b festhalten: (2b) Sprecher aus dem Ausland besitzen ein differenziertes Wissen vom eigenen Mikroraum.

3 Darstellung der Ergebnisse In diesem Beitrag kann nur ein Teil der Ergebnisse dargestellt werden. Die Dialektbezeichnungen, die einen ersten Überblick über vorhandene Konzeptualisierungen bieten, sind im Anhang tabellarisch dargestellt. Des Weiteren werden die Bereiche vokalische und konsonantische Assoziationen, morphosyntaktische Assoziationen, inhalts- und ausdrucksbezogene Assoziationen sowie Aussagen zu Variation und Raumparametern ausgewertet.

3.1 Vokalische Assoziationen Im Folgenden werden die vokalischen Assoziationen dargestellt. Dies beinhaltet alle Äußerungen der GPn in Bezug auf Vokalqualität oder -frequenz sowie spezifische und unspezifische allgemeine Beschreibungen. Äußerungen über Vokale sind im Vergleich zu anderen metadialektalen Äußerungen seltener. Insgesamt wurden also nur wenig vokalische Merkmale assoziiert. Die Anzahl der Nennungen bewegen sich zwischen 0 und 0,18 Nennungen pro Stapel. Die insgesamt niedrige Anzahl an vokalischen Assoziationen ist verantwortlich für die durchgehend niedrige Anzahl an Merkmalen pro Stapel. Negativ fällt Liechtenstein mit insgesamt nur einer einzigen Nennung auf. Positiv zu bemerken ist die relative Anzahl der Nennungen der süddeutschen GPn, die sowohl bei den spezifischen allgemeinen als auch bei der Vokalqualität arithmetische Mittelwerte von 0,12 bzw. 0,18 erreichen.

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3.1.1 Unspezifische allgemeine Beschreibungen GP64 (Springe) stellt fest, dass im HESSISCHEN die Vokale „eigen“ ausgesprochen würden. Gleiches nennt GP64 (Springe) als Merkmal für das NORDDEUTSCHE, dort seien die Vokale „ein bisschen anders“. GP79 (Buchen) nimmt eine Vokaldifferenz zu seiner eigenen Sprechweise im SCHWÄBISCHEN wahr. GP3 (Eppingen) äußert die Wahrnehmung einer Vokaldifferenz für das SÄCHSISCHE, da die Sprecher „ziemlich viele vokale“ veränderten. GP45 (Meran) beurteilt die Vokale des ÖSTERREICHISCHEN als „anders“ im Vergleich zum HOCHDEUTSCHEN. Ebenso, wenngleich etwas spezifischer, äußert sich GP46 (Meran) zum BAYERISCHEN: „die selbstlaute die sie anders vielleicht [sprechen, T. H.]“, wie anhand des Beispiels „hoam“ zu erkennen sei. Auch GP85 (Luzern) differenziert die eigenen Vokale von denen des ÖSTERREICHISCHEN und BAYERISCHEN, gibt jedoch keine Beschreibung, worin der Unterschied begründet ist. GP26 (Schleiden) empfindet die Vokale des NORDDEUTSCHEN als „deutlich […] gesprochen“. Auch die Vokale bzw. die Laute im Allgemeinen des INNSBRUCKER DIALEKTES unterscheiden sich in der Wahrnehmung von GP46 (Meran) von der eigenen Sprechweise. GP83 (Luzern) stellt zum BERLINERISCHEN19 fest, dass Vokalwechsel vorhanden seien, ohne näher zu klären, was unter Vokalwechseln explizit zu verstehen ist.

3.1.2 Spezifische allgemeine Beschreibungen GP63 (Ettelbrück) nimmt insbesondere die Verschiebung der Vokale20 /a/, /o/ und /e/ im SÄCHSISCHEN in den Fokus, da sich diese zu /ɛ/ sowie /ø/ änderten. Des Weiteren sei dieser Dialekt durch seine nasale Aussprache gekennzeichnet. GP63 (Ettelbrück) stellt für das ÖSTERREICHISCHE fest, dass dort „typisch charakteristisch die art und weise wie sie reden wie sie die wörter so hinten so ääää“ sprechen, sei. Auch in DEUTSCH-BELGIEN sei die hohe Frequenz von /ɛ/ vorhanden, wie GP63 (Ettelbrück) anhand des Beispiels „äblä“ verdeutlicht. Dieser Dialekt sei „sehr breit“, jedoch „nicht wie das österreicher das ist eigentlich nicht so nega-

|| 19 GP83 bezeichnet den Stapel nicht als BERLINERISCH, der Stapel bleibt dort ohne Bezeichnung, doch anhand der Städtesortierung wurde zugunsten der besseren Übersichtlichkeit diese deduktive Bezeichnung von mir vorgenommen. 20 In dieser Darstellung (auch in den folgenden Kapiteln) ist, sofern nicht explizit anders dargelegt, stets sowohl der lange als auch der kurze Vokal eingeschlossen.

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tiv“. Hier wird also nicht nur eine bloße Wiedergabe der Wahrnehmung vorgenommen, sondern diese wird evaluativ angereichert, indem das ÖSTERREICHISCHE dem DEUTSCH-BELGISCHEN ästhetisch vorgezogen wird. Für das LUXEMBURGISCHE beschreibt GP63 (Ettelbrück) eine graphematische Besonderheit. Das standardsprachliche Graphem werde im LUXEMBURGISCHEN als realisiert. Phonetisch artikuliert werde der Graph als [a:], was dazu führe, dass eine Schreibung als * naheläge. Da jedoch der Auslaut nur mit dem Graphen und nicht mit einer digraphischen Variante ( oder ) dargestellt werde, sei nur die monographische Realisierung des Vokals im Inlaut erlaubt. Oder – anders gesagt – die „verdoppelung vom vokal findet im luxemburgischen nur statt wenn mindestens zwei konsonanten folgen“ (GP63 (Ettelbrück)). Das SCHWEIZERISCHE ist Objekt einer Reihe von Wahrnehmungen spezifischer allgemeiner Art. GP45 (Meran) merkt an, dass die Schweizer „statt dem a […] ganz häufig ein u [sagen, T. H.] bei uns wird das a eher ein o im usgang würden wir ausgang ausgong oder so sagen“. GP45 beschreibt also eine Vokalhebung. GP83 (Luzern) widerspricht der Einschätzung von GP45 (Meran), da ihrer Ansicht nach eine Vokalsenkung vorliegt: „die vokale [werden, T. H.] von u zu o [abgeändert, T. H.]“. Somit wird von GP45 eine hohe Frequenz von /u/ wahrgenommen (Vokalhebung), während GP83 eher eine hohe Frequenz von /o/ zugunsten des /u/ wahrnimmt (Vokalsenkung). Ähnlich wie GP46 empfindet das GP19 (Simmern), die für das SCHWEIZERISCHE eine hohe Frequenz des Umlautes /y/, bzw. /ʏ/ wahrnimmt: „mit ü und z so üz und so“. GP4 (Eppingen) geht auf die phonetische Bedeutung des Vokals [i] ein: „allein der name schwiizerdütsch anstatt schweizer ist das i sehr zu betonen und anstatt so ein eo ein ü zu setzen also halt die veränderung von vokalen“21. Das [i] werde „betont“, wie die Transkription ([ʃviːtsɐdyːtʃ]) ͜ von „schwiizerdütsch“ zeigt. Auch hier wird die Bedeutung des Vokals /y/ beschrieben. GP3 (Eppingen) nennt als Merkmale des SCHWÄBISCHEN die „ganz breite aussprache von dem a […] ich [gehe, T. H.] runter de aral“. „Breit“ bezieht sich hier offensichtlich auf die Länge des Vokals (Vokaldehnung) [aː], der in dem Lexem aral [aːʁaːl] besonders lang gesprochen wird. GP79 (Buchen) verbindet mit dem SCHWÄBISCHEN „ganz breite vokale“, äußert sich also ähnlich wie GP3, wenn er auch keine Konkreta zu benennen weiß.

|| 21 Statt des beispielhaften „eo“ meint die GP an dieser Stelle wohl den Diphthong /ɔʏ̯ / wie in dem Lexem deutsch.

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GP53 (Coburg) nimmt im FRÄNKISCHEN eine Eigenheit der Vokalproduktion wahr: „Vokale [sind, T. H.] durchaus verwaschen und nicht so klar also o statt a“. Das Verwaschene wird mit einer dunkler werdenden Tendenz des Vokals assoziiert (hier /a/ zu /o/). Außerdem variiert der Öffnungsgrad des Mundes von offen (/a/) zu einer mittleren Lage zwischen offen und geschlossen (/o/). GP51 (Coburg) geht auf die Vokallänge im FRÄNKISCHEN ein und merkt an, dass „manche vokale […] auch sehr gedehnt“ sind, wie das Beispiel „nüanbääch“ zeige. Hier sind also Ähnlichkeiten in der Wahrnehmung von GP3 (Eppingen) zum SCHWÄBISCHEN sowie von GP63 zum DEUTSCH-BELGISCHEN zu erkennen. Insgesamt lassen sich in diesem Themenkomplex zwei Bereiche besonders hervorheben: (1) Klangqualität und (2) phonetische Besonderheiten, in die sich die aufgeführten Aussagen der GPn sortieren lassen.22

3.1.3 Vokalfrequenzen Dem SCHWEIZERISCHEN wird eine hohe Frequenz von „ü-lauten“ bescheinigt.23 Dies wird insbesondere mit der Variante „dütsch“ ([dyːtʃ]) begründet. Auch GP2 (Eppingen) verweist auf das SCHWEIZERDÜTSCHE als „ü betonte sprache“, was sich neben „dütsch“ auch an „grüezi“ zeige. Doch auch das /i:/ besitzt eine hohe Frequenz (GP5 (Eppingen)). Es wird deutlich, dass in der Wahrnehmung der hier befragten linguistischen Laien insbesondere hohe, geschlossene, vorne produzierte Vokale mit dem SCHWEIZERISCHEN assoziiert werden. Das BAYERISCHE weist, so GP1 (Eppingen), eine hohe Frequenz des hohen, geschlossenen, vorne liegenden [i]-Lautes auf, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: „die sagen ja auch nicht ich hätte jetzt gerne den süßen senf zu der weißwurst sondern ich hätte gern einen ziesen zenf zu die weißwirscht“ ([tsɪːsn ͜ tsɜnf ͜ tsu ͜ dɪː va ͜ɪsvɪʁʃt]). Hieraus leitet GP1 die evaluative Einschätzung ab, dass das

|| 22 Neben den hier ausführlich beschriebenen spezifischen allgemeinen Äußerungen gibt es weitere, die nur am Rande genannt werden können, da sie vereinzelt auftreten und deshalb nur der Vollständigkeit halber Platz finden sollen: GP31 (Schleiden) merkt zum BAYERISCHEN an, dass sie es „an diesem oa […] doaheim“ erkenne. GP31 zum RUHRGEBIET: „das machen das i irgendwie die machen so schiif oder niischt“. GP23 (Simmern) zum KÖLSCH: „das geht ja in richtung holland mit äi und so das sind ja auch heller klingende vokale“. GP24 (Simmern) zum HESSISCHEN: „also die sagen dieses oi also zum beispiel bei roihessisch […] äppelwoi“. 23 Vgl. GP21 (Simmern) und GP24 (Simmern).

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BAYERISCHE „extrem herzlich“ (GP1) sei. GP38 (Coburg) teilt diese Einschätzung und qualifiziert BAYERISCH als „dunkle“ Sprache „mit sehr viel os und ois“. Die [i]-Laute werden also ergänzt durch [o]-Laute, die für die dunkle Klangfarbe verantwortlich sind.

3.1.4 Vokalqualitäten In der norddeutschen GPn-Gruppe werden insbesondere die Vokale des SÄCHSIsowie BERLINERISCHEN assoziiert. GP74 (Barth) erkennt einen Sprecher aus Leipzig an der Verschiebung des Vokals [a] zu einem [o] und somit an der Bewegung der Zunge aus einer niedrigen, zentralen, unrunden zu einer mittleren, hinteren, runden Position: „zum beispiel der o laut ne? wir haben früher immer den witz gemacht korl morx stoadt die stadt mit den drei os da das a oft zum o gesprochen wird“. Diese Assoziation wird auch, wenngleich unspezifischer, von GP53 (Coburg) und GP50 (Coburg) geteilt, die SÄCHSISCH als „mehr im rachen […] weiter hinten“ liegend bzw. „viel hinten im gaumen“ Laute produzierend beschreiben. So beschreibt auch GP19 (Simmern) SÄCHSISCH als „weit hinten im hals gesprochen“ und verweist hiermit auf einen Grenzbereich zwischen Velum, Radix, Uvula und Glottis. Auch GP56 (Velbert) assoziiert mit dem SÄCHSISCHEN Ähnliches, nämlich die Verwendung des /ø/ ebenso wie GP64 (Springe), die die von GP74 beschriebene Verschiebung ebenfalls andeutet: „so ein bisschen oa a laute“ und GP26 (Schleiden): „also dieses o wird wie ein ö gesprochen“. Es liegt also eine Frontierung des Phonems /o/ vor, sodass ein helles, vorn liegendes Phonem /øː/, bzw. die ungespannte, zentralisierte Variante /ø/ entsteht.24 Mit dem BERLINERISCHEN assoziiert GP64 eine Monophthongierung des Diphthongs [aɪ̯] zu dem Monophthong [eː] anhand des Beispiels des standardsprachlichen Lexems mein zu BERLINERISCH „meene“. Die Monophthongierung beschreibt auch GP53 (Velbert) anhand des Lexems auch, da sich der Diphthong [aʊ̯ ] zum Monophthong [oː] verschiebe („och“).25 Für das HESSISCHE ist der Diphthong [ɔʏ̯ ] ein zentrales Assoziationsmerkmal. So äußert sich GP24 (Simmern): „die [die Hessen, T. H.] sagen dieses oi also zum beispiel bei roihessisch […] äppelwoi“. Gleiches nimmt auch GP19 (Simmern) wahr: „und dann auch so woi ne wein da sagen die woi“. Hier liegt also eine

SCHEN

|| 24 GP1 (Eppingen) gibt für die Entrundung das Beispiel „[əuzm œstn kœm ɪç]“. 25 Vgl. auch GP80 (Buchen).

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wahrgenommene Rundung (des ersten Vokals) sowie eine Veränderung (des zweiten Vokals) des Diphthonges ([aɪ̯] zu [ɔʏ̯ ]) vor. Die Rundung von [aɪ̯] wie in standardsprachlich [baɪ̯ʀɪʃ] zu [oɐ̯ ] ([boɐ̯ ʀɪʃ]) wird von GP79 (Buchen) mit dem BAYERISCHEN assoziiert. Während in dem Beispiel von GP79 lediglich eine Diphthongrundung vorliegt, assoziiert GP13 (Vaduz) eine Diphthongierung im BAYERISCHEN, da sich das in Vaduz geläufige „bub“ zu „buab“ verschiebt. Hier entsteht aus dem vokalischen Monophthong [u] der varietätenspezifische vokalische Diphthong [uɐ̯ ]. GP45 (Meran) beschreibt eine vokalische Differenz zwischen der ihr eigenen Sprechweise und dem BAYERISCHEN in der Senkung des Vokals [e:] (‚gehn‘ [ge:n]) zu [ɛ:] (‚gänge‘ [gɛ:ŋə]). In dieser Kategorie lässt sich nur eine Assoziation bzgl. des NORDDEUTSCHEN finden. Lediglich GP60 (Ettelbrück) nimmt die Vokale als „etwas nasal“ und „durch die nase“ gesprochen wahr.

3.2 Konsonantische Assoziationen Konsonantische Assoziationen treten im Vergleich zu den vokalischen Assoziationen häufiger auf. Hier wird von Anders (2010: 269–270) keine Unterkategorie der Konsonantenfrequenzen verwendet, sodass auch hier darauf verzichtet wird. Konsonantenqualitative Assoziationen sind sowohl absolut als auch relativ im Vergleich zu den vokalischen Assoziationen recht häufig vorgekommen, insbesondere bei den süddeutschen GPn (0,62/Stapel) und bei den norddeutschen GPn (0,29/Stapel). Hier fällt bereits auf, dass die innerdeutschen GPn gegenüber den ausländischen GPn rein quantitativ mehr Assoziationen nennen können. Einzig bei den spezifischen allgemeinen Merkmalen nennen ausländische GPn (Liechtenstein 0,17/Stapel, Südtirol und Luxemburg jeweils 0,12/Stapel) genauso viele wie die süddeutschen GPn. Die Schweizer GPn fallen aus diesem Schema heraus, sie haben lediglich zwei unspezifische allgemeine Merkmale konsonantischer Art genannt.

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3.2.1 Unspezifische allgemeine Beschreibungen Für das SÄCHSISCHE26 ist aus norddeutscher Sicht (GP76 (Barth)) der postalveolare Frikativ typisch: „ja eben dieses sch und so […] dieses typische wie man das so kennt“. Derselbe Laut wird von GP24 (Simmern) mit dem HESSISCHEN verbunden: „und ganz schlimm ist s c h ob es passt oder nicht“. Nähere Beschreibungen werden nicht gegeben. Das SCHWIZERDÜTSCHE unterscheidet sich nach GP62 (Ettelbrück) dahingehend vom ÖSTERREICHISCHEN und BAYERISCHEN, dass die Konsonanten verschieden ausgesprochen würden. Die Laute des BAYERISCHEN empfindet auch GP85 (Luzern) als „anders“ und „charakteristisch“, sodass diese Laute für sie distinkt sind. GP 46 (Meran) grenzt sich von Sprechern aus Innsbruck ab: „den innsbrucker erkennt man beim ersten wort einmal schon wenn man sagt ich dann halt schon eben auch die laute total verschieden zu unseren lauten“. Diese Äußerung bezieht sich zweifach auf Konsonanten: Zum einen scheint eine Differenz in der Aussprache des stimmlosen palatalen Frikativs /ç/ zu existieren, zum anderen sind die Laute im Allgemeinen unterschiedlich zu der eigenen Sprechweise von GP46.

3.2.2 Spezifische allgemeine Beschreibungen Das NORDDEUTSCHE wird von GP73 (Barth) als „breitgezogen“ charakterisiert. Außerdem würden bestimmte Buchstaben betont, wie beispielsweise der stimmhafte uvulare Frikativ. Die gleiche Äußerung nimmt GP73 zum BAYERISCHEN vor: „tief gesprochen so denke ich ne? wenn man das so hört dann weiß man oder das r so betont“. Auch hier kann nicht geklärt werden, ob es sich um Vibrant oder Frikativ handelt. Es existieren zwar unterschiedliche mentale Konzepte und auch ein Bewusstsein über die Differenz der beiden Laute scheint gegeben zu sein, doch dieses Wissen kann nicht näher expliziert werden. Es handelt sich also um „spezifisches Wissen unter Rückgriff auf Einzelmerkmale“ (Hundt in diesem Band), doch es fehlt das nötige Reflexions- und Differenzierungsvermögen. Selbstverständlich ist ebenso gut möglich, dass GP73 diesen Laut als Gemeinsamkeit zwischen NORDDEUTSCH und BAYERISCH wahrnimmt, ähnlich wie GP74 (Barth) dies zwischen NORDDEUTSCH und ÖSTERREICHISCH tut. GP74 weist darauf hin, dass ein norddeutscher Sprecher prädestiniert dafür sei, einen apikalen oder uvularen Vibranten zu verwenden („das r wird stark ge|| 26 GP85 (Luzern) zum SÄCHSISCHEN: „gewisse buchstaben werden so in die länge gezogen“.

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sprochen“, der „richtige norddeutsche [ist] dafür prädestiniert […] dass er das r rollt“), ebenso wie Sprecher des ÖSTERREICHISCHEN es täten. Die Verwendung des apikalen Vibranten im ÖSTERREICHISCHEN wird auch von GP26 (Schleiden) wahrgenommen.27 GP28 (Schleiden) nimmt zwar ein Einzelmerkmal des SCHWEIZERISCHEN wahr, kann dieses jedoch nicht in einen übergeordneten funktionalen Zusammenhang stellen: „also ich weiß dass die das ck zum beispiel sehr betonen“. Referiert wird hier mutmaßlich auf die Affrikate /kχ/, dies ist jedoch, objektiv betrachtet, eine „komplexitätsreduzierende“ Äußerung (Hundt in diesem Band), weswegen die Äußerung von GP28 zweifelsfrei dem Alltagswissen zugeordnet werden kann. GP14 (Vaduz) verdeutlicht die SCHWEIZERISCHE Variation des uvularen stimmlosen Frikativs anhand des Beispiels „chuchichästle“, nimmt allerdings auch keinen abstrahierten Bezug auf lautliche Alleinstellungsmerkmale oder lautliche kontrastive Merkmale. Hervorgehoben wird „die frau aus bern“, die „so viel ch hinten drin“ hat (GP14), dass man die Wortform ‚wolcha‘ nur schwerlich auf das Lexem Wolke zurückführen kann. So wird für die Berner hier eindeutig eine uvulare Realisation des stimmlosen Frikativs erkannt, während dies auf andere Schweizer nicht zwingend zutreffen muss.28 GP20 (Simmern) nennt zum RUHRPOTT Jürgen von Manger als Beispiel und verdeutlicht daran die Veränderung des velaren Plosivs [g] zum palatalen Frikativ [j]: „dat jibet doch jar nich“. Das Auftreten des palatalen Frikativs /j/ bemerkt auch GP21 (Simmern), jedoch für das KÖLSCHE29, wo die Sprecher „sehr mit dem buchstaben j befreundet [sind, T. H.] weil sie haben viele j in ihrer sprache kölsche jung und sowas“. Auf eine nicht näher erläuterte Konsonantenverdopplung geht GP74 (Barth) zum BERLINERISCHEN ein: „die haben das mit den konsonanten mit der verdopplung“. Das NORDDEUTSCHE wird von GP21 (Simmern) mit „besonderen s t lauten“ verbunden.30 Angespielt wird hier auf die Schibbolethphrase „stolpern übern

|| 27 Für TIROLER ist darüber hinaus „ein sehr hartes k“ (GP45 (Meran)) typisch. 28 Auch GP15 (Vaduz) ebenso wie GP58 (Ettelbrück), GP63 (Ettelbrück), GP21 (Schleiden) nennen den velaren/uvularen stimmlosen Frikativ als kennzeichnend für den SCHWEIZER DIALEKT. Für das SCHWEIZERISCHE nimmt GP60 (Ettelbrück) ebenso wie GP45 (Meran) zusätzlich einen betonten stimmhaften uvularen Frikativ oder den entsprechenden Vibranten wahr. 29 Die Stapelbildungen sind hinsichtlich ihrer Orte unterschiedlich vorgenommen worden und haben keine Gemeinsamkeiten: GP20, Stapel RUHRPOTT: Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen; GP21 KÖLSCH: Köln. 30 GP63 (Ettelbrück) verweist ebenfalls auf diese lautliche Besonderheit und expliziert diese, indem sie auf die „Trennung“ der beiden Phoneme eingeht.

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spitzen stein“, die sich durch eine alveolare statt einer palatalen Realisierung des [s] vor [p] und [t] auszeichnet. Diese Äußerung verdeutlicht einmal mehr, dass laienlinguistisches Wissen mehr andeutenden denn explizierenden Charakter hat. GP38 (Coburg) unterzieht das FRÄNKISCHE einer Binnendifferenzierung. So unterschieden sich Nürnberger von Würzburger Sprechern darin, dass die Nürnberger das /l/ anders sprechen. Die Sprecher ließen dabei „wie so ein chamäleon die zunge rausschnalzen“, sodass man eine „fliege fangen“ könnte. Bei den Würzburger Sprechern sei diese Artikulationsart nicht zu beobachten. Ein salientes Merkmal für das SCHWÄBISCHE ist der post-alveolare Frikativ. Sowohl GP50 (Coburg), GP38 (Coburg) sowie GP21 (Simmern) assoziieren dieses Phonem mit dem SCHWÄBISCHEN. GP63 (Ettelbrück) wiederum verbindet den post-alveolaren Frikativ mit dem RUHRGEBIET und Willy Millowitsch: „wie der willy millowitsch also ein sch anstatt das ch“, GP53 (Coburg) verbindet ihn mit dem SÄCHSISCHEN.

3.2.3 Konsonantenqualitäten Das SÄCHSISCHE ist Wahrnehmungsobjekt einer Äußerung zur Konsonantenqualität von GP64 (Springe), die wahrnimmt, dass „b g und d immer hart“ gesprochen würden. Es geht also um die Veränderung des stimmhaften bilabialen, stimmhaften velaren und stimmhaften alveolaren Plosivs zu dem jeweils „harten“, d. h. stimmlosen Komplementärplosiv /p/, /k/ und /t/. Diesen Eindruck teilt GP54 (Velbert) nicht. Sie assoziiert, im Gegensatz zu GP64, dass die SACHSEN „viele weiche laute haben statt der harten also kein p statt p b und statt t d“ gesprochen würde. Fortis-Laute werden also zugunsten von Lenis-Lauten abgelöst. Mit dem BERLINERISCHEN Dialekt wird maßgeblich die Verschiebung in der Realisation des stimmlosen Frikativs zu einem velaren Plosiv assoziiert und häufig anhand des Beispiels „icke“ verdeutlicht.31 Dieses Merkmal wird in der norddeutschen Gruppe zehnmal genannt und macht somit fast ein Drittel aller Äußerungen zur Konsonantenqualität aus. Doch nicht nur die Frikativ-PlosivVerschiebung von /ç/ wird mit dem BERLINERISCHEN assoziiert. Auch in Artikelwörtern und Pronomina wird eine solche Verschiebung ausfindig gemacht, da sie „das und was“ häufig als „dit und dat“ oder „wat“ realisierten (GP77 (Barth); GP54 (Velbert)). Hier liegt also ebenfalls eine Frikativ-Plosiv-Verschiebung vor, || 31 Vgl. auch GP31 (Schleiden), GP20 (Simmern), GP45 (Meran).

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wenngleich es sich um die alveolaren Artikulationsarten handelt. Außerdem wird eine Ersetzung des velaren Plosivs /g/ durch den palatalen Frikativ /j/ beschrieben.32 Die Frikativ-Plosiv-Verschiebung in Artikelwörtern und Pronomina wird von GP54 (Velbert) auch mit dem RUHRGEBIETSDEUTSCH assoziiert.33 Insgesamt sei es „gutturaler […] mehr im kehlbereich“ (GP54). GP59 (Velbert) geht auf die Qualität des uvularen Frikativs ein: „r wird härter gesprochen“. Außerdem läge eine Verschiebung des palatalen Frikativs zum post-alveolaren Frikativ vor, wie an dem Beispiel „ch wird also isch ausgesprochen“ erkennbar ist. Diese Verschiebung des palatalen Frikativs ist für GP68 (Springe) im HESSISCHEN zu beobachten: „sprechen das s wie ein sch.“ Darüber hinaus assoziiert GP54 (Velbert) eine Eigenschaft mit dem HESSISCHEN, die sie bereits mit dem SÄCHSISCHEN verbunden hatte, betont jedoch, dass es „anders“ sei: „viele weiche konsonanten also viel b und viel d“. Hier wird das HESSISSCHE charakterisiert als eine Sprechweise, die sich durch eine Vielzahl stimmhafter Plosive (insbesondere /b/ und /d/) auszeichnet. Dieses Wissen ist charakterisierbar als ein spezifisches Wissen, das insbesondere qualitativ explizierbar ist und somit auf ein für das HESSISCHE geltendes Reflexions- und Distinktionsvermögen hindeutet. GP26 (Schleiden) beschreibt das HESSISCHE sehr ausführlich mithilfe der kulturellen Schibbolethphrase „die hesse sin verbresche [dɪː hɛzə zɪn feabʁɛʃɛ]“. Hieran verdeutlich die GP gleich mehrere Merkmale: Zum einen die Apokope des auslautenden [n] in [hɛːzə]. Zum anderen die Verwendung des stimmhaften alveolaren Frikativs [z] statt des standarddeutschen stimmlosen [s]. Außerdem verdeutlicht es die Apokope des auslautverhärteten [t] in [zɪnt] sowie die Vokalisierung des präfixbeendenden vokalisierten uvularen Frikativs. Zusätzlich liegt ein stimmhafter uvularer Vibrant in der Wortmitte von „verbresche“

|| 32 Vgl. GP31 sowie GP53 (Coburg): „justav hol den jens aus dem jaten die fressen den janzen jol du jogelhupf“. Diese Ersetzung wird von GP19 (Simmern) auch mit dem KÖLSCHEN assoziiert. Des Weiteren beschreibt GP19 anhand der Phrase „haste jesehn“ die Kontraktion von Prädikat und Subjekt („hast du“ → „haste“). Für das RHEINISCHE (andere Bezeichnung, aber gleiche Stapelsortierung wie GP19 und KÖLSCH, nämlich Aachen, Bonn, Düsseldorf und Köln) hält GP20 (Simmern) die Phrase „dat jibet doch jar nich“ fest und verdeutlicht die oben beschriebenen Phänomene (Kontraktion Prädikat – Subjekt; Ersetzung velarer Plosiv durch palataler Frikativ; Ersetzung stimmloser alveolarer Frikativ zum stimmlosen alveolaren Plosiv). Außerdem zeigt es zusätzlich die Apokope des auslautenden [t] in „nicht“. Das KÖLSCHE zeichnet sich des Weiteren dadurch aus, dass „das l eher mit zungenverbiegung“ gesprochen werde und zudem der anlautende stimmlose Plosiv [k] in Köln eher als stimmhafte Variante realisiert wird ([ɡœln]) (GP3 (Eppingen)). 33 Vgl. hierzu Möller (2012: 100–101).

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vor. Des Weiteren verdeutlicht das Beispiel die Verschiebung des palatalen Frikativs /ç/ zum post-alveolaren Frikativ [ʃ] sowie die Verschiebung des auslautenden Schwa-Lautes zu einem ungerundeten, halboffenen Vorderzungenvokal [ɛ:]. Diese Analyse der Schibbolethphrase verdeutlicht die von GP68 und GP54 geäußerten Wahrnehmungen und bestätigt sie anhand eines Beispiels. Anhand des Beispiels „äppelwoi“ beschreibt GP31 (Schleiden) die im mitteldeutschen Sprachgebiet ausgebliebene zweite Lautverschiebung (die Verschiebung von germ. /p/ zu ahd. /pf/ im oberdeutschen Sprachraum). Für das BAYERISCHE ist insbesondere der stimmhafte alveolare Vibrant salient.34 GP55 (Velbert) geht in ihrer Einschätzung sogar noch weiter und sagt: „sie [die BAYERISCH-Sprecher, T. H.] rollen alles“. Ebenso wird von GPn der norddeutschen Gruppe die Existenz eines alveolaren Vibranten im MÜNSTERLÄNDER PLATT assoziiert.35 GP5 (Eppingen) sowie GP2 (Eppingen) und GP82 (Buchen) beschreiben einen uvularen Vibranten für das FRÄNKISCHE.36 Die Qualität des velaren/uvularen bzw. palatalen Frikativs steht für die GP59 (Velbert) und GP77 (Barth) in Verbindung zum SCHWEIZERISCHEN. GP77 beschreibt es folgendermaßen: „da ist zum beispiel das ch anders so [χ]37 irgendwie in die richtung“. GP59 qualifiziert den Laut als „härter, kehliger“ und versieht ihn mit der onomatopoetischen Beschreibung „knack, knack“. Für das SCHWEIZERISCHE liegt also nach Meinung der linguistischen Laien ein uvularer Frikativ vor. Gleiche Meinung teilt auch GP26 (Schleiden), die den uvularen Frikativ als „krächzlaut“ benennt38 und die Sprechweise generell als „ein bisschen abgehackt“ beschreibt, GP23 (Simmern) bezeichnet die Sprache als „hinten im hals“. GP58 (Ettelbrück) beschreibt das SCHWEIZERISCHE als „hart das ist mit so viel ch ch“. GP26 (Schleiden) beschreibt darüber hinaus, dass das SCHWEIZERISCHE durch ein „gerolltes r“, d. h. wie das BAYERISCHE durch einen stimmhaften alveolaren Vibranten, erkennbar sei. Das NORDDEUTSCHE wird mit dem salienten Merkmal der dentalen/alveolaren Realisierung des /s/ vor stimmlosen bilabialen oder alveolaren Plosiven ver-

|| 34 Vgl. GP74 (Barth); GP66 (Springe); GP26 (Schleiden). 35 Vgl. GP54 (Velbert). 36 GP49 (Coburg) beschreibt FRÄNKISCH als abgehackter (im Vergleich zum SÄCHSISCHEN). Außerdem liefe alles „zum t hin“ und /t/ und /d/ ließen sich kaum unterscheiden. GP52 (Coburg) unterscheidet zwischen MITTEL- und OBERFRÄNKISCH. Im MITTELFRÄNKISCHEN seien die Plosive /b/, /d/, /t/ und /p/ weicher als im MITTELFRÄNKISCHEN. 37 An dieser Stelle imitiert die GP den Laut. 38 GP24 (Simmern) nennt den uvularen Frikativ des SCHWEIZERISCHEN eine „rachenkrankheit“.

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bunden. So nennt GP21 (Simmern) als Beispiel „steen anstatt stehen“.39 Außerdem verdeutlicht dieses Beispiel die Verwendung eines e-Langvokals („monophthongartig“), der in nhd. „stehen“ [ˈʃteːən] nicht vorhanden ist („diphthongartig“). Das NORDDEUTSCHE verbindet GP24 (Simmern) mit der Verschiebung des auslautverhärteten [k] in Flensburg ([flɛnsbuɐk]) zu einem palatalen Frikativ ([flɛnsbuɐç]). GP52 (Coburg) beschreibt das SAUERLÄNDER PLATT als eine Sprechweise, die sehr „guttural“ orientiert sei und viele Elemente „mit wolle und nolle und solchen dingen“ beinhaltete. Ein typischer Laut des SAUERLÄNDER PLATT sei der post-alveolare Lateral /l/.

3.3 Morphosyntaktische Beschreibungen Alle Merkmale zu morphologischen und syntaktischen Besonderheiten werden in den folgenden Kategorien dargestellt. Hierbei sind, wie Anders (2010: 271) feststellt, beide Bereiche nicht immer eindeutig voneinander trennbar, weswegen von morphosyntaktischen Beschreibungen gesprochen wird. Von den GPn aus Liechtenstein wurden in dieser Kategorie keine Merkmale genannt, in der Gruppe der Südtiroler GPn insgesamt lediglich zwei Merkmale. Die Luxemburger GPn haben, verglichen mit den anderen ausländischen GPn, viele Merkmale morphosyntaktischer Art genannt. Die Gruppe der GPn aus Süddeutschland hat verhältnismäßig die meisten Merkmale in den Kategorien „Allgemeine grammatische Beschreibungen“ sowie „Beschreibungen zur Wortbildung“ genannt.

3.3.1 Allgemeine grammatische Beschreibungen Das SAARLÄNDISCHE wird von GP24 (Simmern) als fehlerhaft beschrieben: „das klingt auch manchmal so als könnten sie nicht richtig deutsch sprechen“. GP79 (Buchen) gibt ein Beispiel für eine SAARLÄNDISCHE Eigenheit: „die sagen nicht melanie oder die melanie sondern es melanie also ja alle frauen sind es“. In diesem Beispiel wird nicht die standarddeutsche feminine Artikelform ‚die‘ || 39 Dieses Prinzip wird gemeinhin durch das kulturelle Schibboleth „stolpern übern spitzen stein“ wiedergegeben. Vgl. außerdem Hettler (2014: 71). Bei dieser Assoziation handelt es sich jedoch um ein „Reliktmerkmal“ (Auer 1998: 195). Elmentaler & Rosenberg (2015: 511) weisen darauf hin, dass diese Variante im norddeutschen Raum fast vollständig reduziert ist. Vgl. zu der Frage, warum dieses Merkmal im laienlinguistischen Diskurs so präsent ist, Hannemann in diesem Band und Schröder (i.Dr.).

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genutzt, sondern es findet ein Genuswechsel statt, der sich in der Allegroform ‚es‘ für ‚das‘ manifestiert. Das gleiche Merkmal nimmt auch GP82 (Buchen) wahr: „die sagen also zu einem mädchen nicht die sondern es ja es rita“.40 Sprecher des BERLINERISCHEN vermeiden in der Wahrnehmung von GP24 (Simmern) die Verwendung von Artikeln41: „fahren wir mit bus oder bahn“. Das HOCHDEUTSCHE zeichnet sich durch eine „wunderbare syntax“ (GP25 (Simmern)) aus. Hier wird das HOCHDEUTSCHE als Standard konzeptualisiert, an dem sich andere dialektal geprägte Varietäten orientierten. Es bleibt jedoch offen, ob die „wunderbare syntax“ sich durch Fehlerfreiheit auszeichnet oder ob es sich lediglich um eine evaluativ-ästhetische Äußerung handelt. Eine weitere Konzeptualisierung eines Standarddeutschen gibt GP61 (Ettelbrück), die in der Schule ein NORMALES DEUTSCH verwenden musste. Dort wurde darauf geachtet, dass eine „richtige grammatik“ verwendet wurde. Das HANSEATISCHE wird von GP79 (Buchen) vom NORDDEUTSCHEN42 insbesondere deshalb unterschieden, weil es eine „andere grammatik“ besäße. Dies wird anhand des Beispiels „ick heff mol n hamburger vermaster sehn“43 verdeutlicht, jedoch nicht expliziert. Gemeint ist sicherlich die Bildung des Partizips „sehn“ und die Apokope des Partizipialsuffixes sowie der Verkürzung des unbestimmten Artikels „einen“ zu „n“. Auf syntaktischer Ebene weist der niederdeutsche Satz keine Eigenheiten auf und unterscheidet sich nicht von der standardsprachlichen Variante „Ich habe mal einen Hamburger Viermaster gesehen“.44 GP79 (Buchen) beschreibt die Grammatik des SCHWÄBISCHEN als anders, nennt jedoch keine spezifischen Merkmale, woran diese Andersartigkeit erkannt werden könnte. GP63 (Ettelbrück) nennt die Grammatik des SCHWÄBISCHEN „speziell“.

|| 40 Vgl. Nübling (2014). 41 Vgl. zu dem Thema der „Kontraktionsvermeidung“ Marossek (2013). Wenngleich diese Arbeit m. E. einige methodische Schwächen aufweist, behandelt sie jedoch das von GP 24 beschriebene Phänomen an Berliner Schulen. Die Dissertation Marosseks ist auch Grundlage des populärwissenschaftlichen Werkes Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? Warum wir reden, wie wir neuerdings reden. Marossek (2016). 42 Unterschiedliche Benennungen des norddeutschen Raums sowie dahinter steckende Konzepte vgl. Hannemann in diesem Band. 43 „Ick heff mol n Hamburger Vermaster sehn“ ist ein traditionelles niederdeutsches Seemannslied, das bis heute stereotyp für den norddeutschen, insbesondere den Hamburger Raum steht. 44 Auf lautliche Besonderheiten (habe > heff; mal > mol) der Beispielphrase geht GP79 nicht näher ein.

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Im RUHRPOTT ist nach GP58 (Ettelbrück) eine Eigenheit in Bezug auf die Verwendung von Präpositionen typisch: „die haben irgendwas wo sie mit zu oder bei irgendwie da gibt es was besonderes was einem auffällt […] gibt es irgendwas mit zu aldi oder bei aldi“. GP58 vermag dieses Merkmal jedoch nicht zu spezifizieren. GP63 (Ettelbrück) beschreibt die Grammatik des RUHRPOTT-Deutschen als „ungenau“ und ordnet es als „kein korrektes deutsch“ ein. Die Grammatik des WIENERISCHEN sei ein Alleinstellungsmerkmal: „ja das wienerische das würde ich jetzt da wieder etwas ausnehmen jetzt auch von der grammatik her“ (GP85 (Luzern)).

3.3.2 Beschreibungen zur Wortbildung Für das BERLINERISCHE wird die Besonderheit, einen Schwa-Laut [ə] an Wörter anzuhängen45, von GP75 (Barth) beschrieben: „berliner […] ist so eine eigene art mit icke und sodass […] manchmal dann ein e drangehängt wird“. Das SCHWEIZERISCHE zeichnet sich durch Derivation mit der Diminutivform {li} (Suffixderivat) aus. GP64 (Springe) verdeutlicht dies anhand des Beispiels „schweizerli“. Ein weiteres Beispiel nennt GP54 (Velbert), die den Prozess an dem Lexem büchli verdeutlicht.46 Ähnliches beobachtet GP54 im BAYERISCHEN.47 Dort werde an einzelne Lexeme das Derivationssuffix *{i}48 angehängt, wie das Beispiel „saubazi“49 zeige. GP21 (Simmern) nennt für das BAYERISCHE als Merkmal, dass dort viele angehängt würden, wie das Lexem „Brezen“ statt „Brezel“ verdeutliche. GP45 (Meran) nimmt eine Diminutivform im ÖSTERREICHISCHEN

|| 45 GP56 (Velbert) nennt als weiteres Beispiel das Lexem „jetze“, das ebenfalls mit einem Schwa-Laut verwendet wird. GP20 (Simmern) nennt dieses Merkmal ebenfalls sowie GP21 (Simmern), GP25 (Simmern), GP57 (Ettelbrück). 46 Auch GP27 (Schleiden) nimmt dieses Merkmal als charakteristisch für das SCHWEIZERISCHE wahr. Die Diminutivform in der Sprechweise von GP27 ist ein angehängtes {sche}, wie z. B. in Männsche. 47 Dieses Merkmal nimmt GP23 (Simmern) für das SAARLÄNDISCHE wahr und beschreibt es mit dem Lexem „Wuffi“. Außerdem beschreibt GP5 (Eppingen) die Wortbildung im SAARLÄNDISCHEN wie folgt: „da weiß ich nur dass die ganze silben weglassen bisch gewes wo bisch gewes wo bist du gewesen“. 48 Dieses Beispiel ist aus linguistischer Sicht kein Beispiel par excellence für einen Wortbildungsprozess, da das Wort „*Baz“ nicht existiert und somit keine neue Form durch Derivation entsteht. Das am Ende des Lexems ist somit auch kein Derivationssuffix. Die GP54 assoziiert das bairische Wort möglicherweise mit ähnlichen Formen anderer Dialektkonzepte und überträgt diesen Prozess (fälschlicherweise) ins BAYERISCHE. 49 Ein Saubazi bezeichnet im Bairischen einen niederträchtigen Kerl oder einen Schuft.

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wahr, die sich zum Beispiel im Lexem „Maderl“ zeige. Hierbei werde, ähnlich wie im SCHWEIZERISCHEN und BAYERISCHEN, ein {erl} als Suffix angehängt, was zur Verniedlichung führe. Von welcher Grundform die Form „Maderl“ ausginge, was also die nicht verniedlichte Form ist, beantwortet GP45 nicht. Auch im SCHWÄBISCHEN existiert eine Form der Verkleinerung. Diese erfolge jedoch durch ein Anhängen des Diminutivsuffixes {le}, wie in „Häusle“ oder in „Kindle“ und „Spätzle“.50 Sprecher des SAUERLÄNDISCHEN hängen in der Wahrnehmung von GP21 (Simmern) „viele a und n an die verschiedenen wörter“.

3.3.3 Beschreibungen zur Flexion Im BERLINERISCHEN werde häufig der Dativ (zugunsten des Akkusativs) gebraucht, „sie [haben, T. H.] mit dem kasus ein bisschen probleme“ (GP87 (Luzern)). GP74 (Barth) veranschaulicht dies anhand der Formen „mir und dir“51. Im SAARLÄNDISCHEN wird das Verb häufig in der dritten Person Plural konjugiert, obwohl stattdessen die zweite Person gebraucht werden müsste. GP24 (Simmern) bringt hierfür das Beispiel „hanna are chrischtbaum ja habt ihr ja da machen die die dritte person plural han ihr“. Das SCHWÄBISCHE besitzt in der Wahrnehmung von GP79 (Buchen) eine „eigene grammatik also konjugation deklination“, bestimmt jedoch nicht näher, worin diese Eigenheiten bestehen. Sprecher des BAYERISCHEN ziehen in der Wahrnehmung von GP85 (Luzern) das Perfekt dem Präteritum vor und formulieren eher wie folgt: „der hot gsagt der hot gmacht“ anstatt von „der machte oder der sagte“.

3.3.4 Syntaktische Beschreibungen Im KÖLSCHEN gibt es die syntaktische Besonderheit, Sätze mit dem Diskursmarker „gell“ zu beenden.52 Gleiches nimmt GP73 im THÜRINGISCHEN wahr. Ähnlich || 50 Vgl. GP19 (Simmern). Auch GP21 (Simmern) verweist auf dieses Merkmal und nennt zusätzlich die Beispiele „Zügle“ und „Kindle“. Außerdem nennt GP79 (Buchen) dieses Merkmal, sie beschreibt die „endungen der hauptwörter“ im SCHWÄBISCHEN als „anders“ (GP 79). Siehe hierzu auch GP51 (Coburg), GP52 (Coburg), GP53 (Coburg), GP57 (Ettelbrück), GP63 (Ettelbrück). 51 Ebenso beschreibt es GP53 (Coburg), der dies aber ebenfalls mit dem RHEINISCHEN verbindet.

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nimmt dies GP75 (Barth) wahr, die diese Wahrnehmung – zumindest für „die alten Thüringer“ – ebenfalls äußert: „die alten thüringer die haben ja dann immer gelle gesagt“.53 Der Diskursmarker „gell“ wird in der Wahrnehmung von GP68 (Springe) sowie GP28 (Schleiden) ebenfalls im BAYERISCHEN verwendet.54 Das BAYERISCHE besitzt zudem eine eigene Syntax, wie GP75 (Barth) anhand des Beispiels „der wo mir hilft“ beschreibt. Außerdem werde im BAYERISCHEN die doppelte Negation (z. B. „nie nimmer“ (GP2 (Eppingen))) verwendet. Auch das ÖCHER PLATT besitzt ein syntaktisches Merkmal, das am Satzende steht. So zeichnet sich die Syntax dieses Dialektes in der Wahrnehmung von GP29 (Schleiden) durch die Fragepartikel „wa“ aus: „so meinst du das auch wa“ (GP 29)55. Das RUHRPOTTLERISCHE kennzeichnet eine divergierende Verwendung der Präpositionen. GP79 (Buchen) beschreibt, dass man dort beispielsweise nicht „in schalke sondern auf schalke“ sage. GP3 (Eppingen) teilt diesen Eindruck: „die verwechseln manchmal die präpositionen“ und begründet dies: „was ja mittlerweile auch relativ in ist durch migrationszuwachs“. Das SCHWÄBISCHE zeichnet sich auch durch eine eigene Syntax aus, die GP57 (Ettelbrück) anhand eines Beispiels verdeutlicht: „also hemma kauft ist ja dann ich habe mir was gekauft“. Anhand dieser Beispielphrase lässt sich erkennen, dass die syntaktische Struktur des SCHWÄBISCHEN eine klitisierte Form („hemma“ für „haben wir“) – und damit eine Änderung der Wortstellung – einschließt. Des Weiteren wird die Partizipialform (Partizip II) ohne das Präfix {ge} gebildet. GP57 irrt an dieser Stelle, als er die Phrase mit „ich habe mir was gekauft“ übersetzt, da die klitisierte Form hemma für wir haben steht. Nichtsdestotrotz ist eine Reduktion in den obligatorischen Ergänzungen zu erkennen.

3.4 Inhaltsbezogene Wortassoziationen Insbesondere die große Anzahl an Nennungen der süddeutschen GPn fällt hier auf. Dort wurden 0,65 phraseologische Merkmale pro Stapel genannt. Dem gegenüber stehen die norddeutsche und die Schweizer Gruppe mit 0,09 bzw. 0,08 || 52 Vgl. GP73 (Barth). GP54 (Velbert) assoziiert mit dem RUHRGEBIETSDEUTSCH die Fragepartikel „ne“, die am Satzende steht. 53 Auch GP78 (Barth) teilt die Wahrnehmung. 54 GP24 (Simmern) assoziiert den Diskursmarker „gell“ mit dem HOCHDEUTSCHEN, weist aber auch darauf hin, dass dort häufig die Fragepartikel „ne“ benutzt werde. GP 53 (Coburg) assoziiert den Diskursmarker mit dem SCHWÄBISCHEN. 55 GP58 (Ettelbrück) nimmt dieses Merkmal für das BERLINERISCHE wahr.

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Nennungen pro Stapel. Auch in den anderen Bereichen wurden viele Merkmale der süddeutschen GPn genannt. Allgemeine lexikalische Merkmale traten bei den Schweizer sowie bei den Luxemburger GPn jedoch häufiger auf.

3.4.1 Allgemeine lexikalische Merkmale Im KÖLSCH gebe es nach GP73 (Barth) „ein paar redewendungen oder bezeichnungen“, die Erkennungsmerkmale seien und so für das KÖLSCHE als Dialekt stünden. Ebenso gebe es „eigene ausdrücke […] aus der faschingszeit“ (GP51 (Coburg)), die als Marker dieser Dialektkonzeptregion dienen. Das BAYERISCHE könne man „manchmal überhaupt nicht verstehen“ (GP74 (Barth)), da sie „ganz viele andere vokabeln in ihrem sprachgebrauch haben“ 56 (GP74). Dies sei im Vergleich zu anderen deutschen Dialekten sehr fremd. Das NORDDEUTSCHE „erfände“ im Gegensatz zum BAYERISCHEN keine „völlig andere[n] wörter“ (GP77 (Barth)). Hier ist jedoch unklar, welche Referenz als Maßstab genutzt wird, was also unter „normalen Wörtern“ zu verstehen sei. Möglich ist zum Beispiel die Referenz auf die eigene Sprechweise ebenso wie eine Referenz auf das im Duden abgebildete Standarddeutsch. GP63 (Ettelbrück) widerspricht dieser Auffassung und bezeichnet die Wörter im NORDDEUTSCHEN als „sehr verschieden“. Hier gilt jedoch obige unklare Referenz nicht, da GP63 diese Differenz auf die eigene Sprechweise bezieht. Das BERLINERISCHE könne man an „bestimmten wortkombinationen“ (GP54 (Velbert)) bzw. „eigenkreationen [und, T. H.] wortschöpfungen“ (GP59 (Velbert)) erkennen. Es könne jedoch jeder verstehen, da es mehr „so kleine einzelne wörter“ (GP24 (Simmern)) seien, die das BERLINERISCHE auszeichneten. Auch das ÖCHER PLATT zeichnet sich durch eigene Lexeme aus, wie GP59 (Velbert) beschreibt: „das sind andere wortbegriffe die die benutzen“. Das SCHWITZERDÜTSCH habe, ähnlich wie das BAYERISCHE, „spezielle wörter die man überhaupt nicht versteht“ (GP58 (Ettelbrück)).57 Gleiches gelte auch für das ÖSTERREICHISCHE, wenngleich die Verständlichkeit der anderen Lexeme nicht thematisiert wird: „vielleicht ein paar wörter die speziell sind nur in österreich“

|| 56 Worin diese lexikalischen Besonderheiten liegen, beschreibt GP74 nicht. Der Eindruck von GP74 wird auch von GP75 (Barth), GP58 (Ettelbrück), GP62 (Ettelbrück), GP20 (Simmern), GP80 (Buchen) und GP38 (Coburg) geteilt. 57 Vgl. auch GP51 (Coburg), GP15 (Vaduz) und GP46 (Meran), die als Beispiel „Unterbruch“ statt „Unterbrechung“ nennen sowie GP47 (Meran).

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(GP58).58 GP26 (Schleiden) nimmt für das LUXEMBURGISCHE niederländische und französische Einflüsse wahr: aber auch an der wortwahl also dadurch dass ich meine wir sind ja auch nicht weit von belgien und den niederlanden entfernt aber durch die geografische nähe dann […] zu frankreich hin gibt es dann auch mit sicherheit einige begriffe die dann an die anderen sprachen anlehnen.

Typisch für das FRÄNKISCHE sei ebenso eine besondere Wortwahl59 wie für das RUHRGEBIET60, das SÄCHSISCHE61, das SCHWÄBISCHE62 und das ÖSTERREICHISCHE63.

3.4.2 Lexikalische Besonderheiten Das BERLINERISCHE nutze statt des für GP74 (Barth) geläufigen Lexems „Brötchen“ die regionale Variante „Schrippe“.64 Außerdem nutzen sie als Interjektionen die Lexeme „dufte klasse knorke“ (GP67 (Springe)). Das Wort „groggy“ wird von GP81 (Buchen) mit dem BERLINERISCHEN verbunden. Im NORDDEUTSCHEN ist die Grußformel „Moin“ besonders auffällig.65 Des Weiteren wird im NORDDEUTSCHEN in der Wahrnehmung von GP64 (Springe) zu Kindern nicht „die kleinen“ gesagt. Hierfür wird die regionale Variante „die lütten“66 genutzt. Wenn ausgedrückt werden soll, dass man „ganz verrückt gemacht“ werde, dann benutzten Sprecher des NORDDEUTSCHEN hierfür das Lexem „uschig“ („das macht mich ganz uschig“ (GP82 (Buchen))). Das NORDDEUTSCHE habe zudem das Lexem „reden“ durch „snacken“ ersetzt.67 Im SCHWÄBISCHEN gebe es diese Ersetzung nach GP31 (Schleiden) ebenfalls, wenngleich das Lexem „babbeln“ stattdessen genutzt werde.68 Des Weiteren werden Rosinen im || 58 Dies nennen auch GP60 (Ettelbrück), GP20 (Simmern) und GP51 (Coburg). 59 Vgl. GP27 (Schleiden). 60 Vgl. GP20 (Simmern). 61 Vgl. GP20 und GP51 (Coburg). 62 Vgl. GP79 (Buchen). 63 Vgl. GP83 (Luzern) und GP85 (Luzern), die im ÖSTERREICHISCHEN eine hohe Anzahl an französischen Begriffen wahrnehmen. 64 Das gleiche Beispiel nennen auch GP78 (Barth) und GP24 (Simmern). GP52 (Coburg) nennt als regionale Variante für „Butterbrot“ das Lexem „Stulle“. 65 Vgl. GP64 (Springe), GP54 (Velbert), GP20 (Simmern), GP51 (Coburg) und GP57 (Ettelbrück), die außerdem „rumtüddeln“ als Beispiel nennen. 66 Das gleiche Beispiel nennt auch GP23 (Simmern). 67 Vgl. GP31 (Schleiden). 68 GP25 (Simmern) verbindet dieses Lexem mit dem HESSISCHEN, s. u.

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SCHWÄBISCHEN „zibebe“ (GP20 (Simmern)) und Marmelade „gsälz“ (GP24 (Simmern)) genannt. Im ALEMANNISCHEN werden „Spätzle“ „Knöpfle“ genannt, hierbei handelte es sich in der Wahrnehmung der Laien um ein Synonym, es bezeichne also exakt dasselbe Produkt69, obwohl es faktisch zwei verschiedene Produkte sind. „Kartoffelbrei“ wird im BAYERISCHEN70 als „Stopferl“ bezeichnet71, „Brötchen“ werden „Semmel“ genannt72. Bereits in Kapitel 3.3.2 wurde die Wortbildung anhand des Lexems „Saubazi“ beschrieben. Dieses Wort ist nach GP54 (Velbert) ein regionaltypisches für das BAYERISCHE, wenngleich die GP eine inkorrekte Definition des Begriffes liefert: „das ist eben einer der von oben kommt ein norddeutscher“. Im SCHWIZERDÜTSCHEN werde die Polizei als „Gendarmerie“ bezeichnet73, außerdem gebe es eine lexikalische Besonderheit für „Pfannkuchen“, die GP26 (Schleiden) aber nicht nennen kann. GP24 (Simmern) nennt als Besonderheit für das SCHWIZERDÜTSCHE, dass anstelle des Lexems „Fahrrad“ das Lexem „velo“ gebraucht werde, der Scheibenwischer heiße „Winker“74. Insgesamt, so hält GP24 fest, gebe es im SCHWIZERDÜTSCHEN weniger Einflüsse aus dem Englischen. Typisch für das SCHWIZERDÜTSCHE ist die „halskrankheit“ (GP52 (Coburg)), die anhand der Lexeme „Chuchichaschtli“ und „Pschütigrütli“ verdeutlicht wird. Ersteres sei die Schweizer Variante für „Küchenkasten“, letzteres die Bezeichnung für „Mistwürmer, die in der Gülle leben“. GP56 (Velbert) nimmt im KÖLSCHEN eine Änderung der Benennung von „kleiner Junge“ wahr, den die Sprecher des KÖLSCHEN als „kleiner bub“ bezeichneten. Außerdem werde im KÖLSCH „alles geholt und nichts genommen“ (GP27 (Schleiden)). Dies bedeute, dass beispielsweise an einer Kaffeetafel gesagt werde: „ich hol mir eins [ein Stück Kuchen, T. H.]“ (GP27) anstelle von: „Ich nehme mir ein Stück Kuchen.“. Im RHEINISCHEN werde das Lexem „getöppelt“ anstelle von „gepunktet“ verwendet.75 Des Weiteren werde im ENTFERNTEN RHEINLÄNDISCH für „Küsschen“ „Bützerle“ verwendet.76

|| 69 Vgl. GP79 (Buchen). 70 GP56 (Velbert) assoziiert mit einem Stapel ohne Bezeichnung (Städtesortierung: Hamburg, Hannover, München, Stuttgart) die Verwendung des Lexems „Bulette“ statt „Frikadelle“. 71 Vgl. GP65 (Springe). 72 Vgl. GP59 (Velbert). Im FRÄNKISCHEN werden Brötchen als „Brödla“ bezeichnet (GP51 (Coburg)). 73 Dieses Beispiel wird auch von GP24 (Simmern) genannt. 74 Vgl. GP63 (Ettelbrück). 75 Vgl. GP57 (Ettelbrück). 76 Vgl. GP57.

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GP59 (Ettelbrück) beschreibt „ollen röe“ als lexikalische Besonderheit des MÜNSTERLÄNDER PLATTS. „Ollen röe“ beschreibe einen „alten Rüden“.77 Das HESSISCHE erkenne man nach GP19 (Simmern) daran, dass sie das Lexem „machen“ hochfrequentiert nutzen: „wenn die zum einkaufen fahren dann sagen die wir machen in den globus oder wir machen in das geschäft oder wenn sie in urlaub fahren wir machen in urlaub“. Ein Weinkrug wird im HESSISCHE „Bembel“ genannt.78 Außerdem sei für das HESSISCHE der Ausdruck „babbeln“ typisch.79 Im HESSISCHEN werde für die „Toilette“ das Wort „Abel“ benutzt, das von dem Begriff „Abort“ stamme.80 Im SAUERLÄNDISCHEN gebe es nach GP21 (Simmern) „schlüsselbegriffe wie zum beispiel lyona oder weck“, anhand derer man diesen Dialekt erkennen könne. Des Weiteren gebe es dort Begriffe, die zwar typisch für die Region seien, aber nicht aus dieser Region stammten, wie z. B. „malochen“.81 Typisch für das SAARLÄNDISCHE sei der Einfluss französischer Lexeme, wie das im Alltag omnipräsente „trottoir“ (GP 22 (Simmern)). Im ÖSTERREICHISCHEN werden Tomaten als „Paradeiser“ bezeichnet.82 Im LUXEMBURGISCHEN heißen Kartoffeln „Gromper“, im ÖSTERREICHISCHEN (insbesondere in Vorarlberg) werden sie „Grompir“ genannt.83 Im ÖSTERREICHISCHEN existieren außerdem kleine Wirtshäuser, in denen man kleine Speisen einnehmen kann, diese werden „Beisl“ genannt.84 Ein Kollege werde als „Haberer“ bezeichnet, die Polizisten seien die „Kiwarer“.85

3.4.3 Phraseologisches (kulturelle Schibboleths) Zu den kulturellen Schibboleths zählen nicht nur Äußerungen auf sprachlicher Ebene, sondern auch jene, die kulturelle Besonderheiten und Assoziationen beschreiben.

|| 77 Vgl. GP59 (Ettelbrück). 78 Vgl. GP19 (Simmern). 79 GP25 (Simmern) und GP31 (Schleiden) verbinden dieses Lexem mit dem SCHWÄBISCHEN, s. o. 80 Vgl. GP49 (Coburg). 81 Vgl. GP52 (Coburg). 82 Vgl. GP57 (Ettelbrück). 83 Vgl. GP60 (Ettelbrück). 84 Vgl. GP14 (Vaduz). 85 Vgl. GP45 (Meran).

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Das KÖLSCHE wird des Öfteren mit dem Karneval verbunden86 bzw. die Sprechweise wird in Karnevalszeiten besonders intensiv wahrgenommen.87 GP74 (Barth) weiß zwar, dass die Sprechweise auf den Karnevalsveranstaltungen eine andere ist, kann jedoch nicht explizieren, wo Unterschiede liegen. Ein typisches Schibboleth des KÖLSCHEN in Bezug auf den Karneval ist „Kölle Alaaf“ (GP78 (Barth)). Ebenfalls in diesem Zusammenhang werden „Die Höhner“ genannt, die mit dem Lied „Viva Colonia“ ein viel zitiertes Lied bei Karnevalsveranstaltungen gesungen haben.88 Auch das RHEINISCHE89 und das ALEMANNISCHE (Mainz) werden auf kultureller Ebene mit dem Karneval verbunden. Für das NORDDEUTSCHE ist immer noch die Phrase „stolpern übern spitzen stein“ eine der Hauptassoziationen (mehrfach genannt in allen Regionen), wenngleich die Auftretenshäufigkeit des Merkmals (alveolar realisiertes /s/ vor Plosiv) mittlerweile stark reduziert ist.90 Mit dem HANSEATISCHEN, das insbesondere von der Stadt Hamburg geprägt wird, wird der Shanty „Ick heff mol n Hamburger Veermaster sehn“ verbunden.91 Dieses spiegelt nicht nur die Sprache, sondern auch die Kultur Hamburgs („fischverkäufer wie sie am hafen stehen und da rumbrüllen“ (GP80 (Buchen)), „schiffskutter“ (GP1 (Eppingen)), „fischköppe“ (GP51 (Coburg)), „budder bei die fische“ (GP57 (Ettelbrück))) auf vielfältige, wenngleich stereotype Art und Weise, wider. Mit dem NORDDEUTSCHEN werden auch „spezielle Kopfbedeckungen“ (GP84 (Luzern)) verbunden, die mit der Lage am Wasser assoziiert werden. Im BERLINERISCHEN hat die Verschiebung vom stimmlosen palatalen Frikativ zum stimmlosen velaren Plosiv (/ç/ → /k/, [ʔɪç] → [ʔɪk]) Schibbolethcharakter.92 Außerdem verbindet GP63 (Ettelbrück) das Operetten-Lied „Berliner Luft“ mit diesem Dialekt, das den Charakter und die Lebensweise der Stadt inoffiziell verdeutlicht.

|| 86 Aufgrund der Vielzahl an Nennungen dieser kulturellen Assoziation wird auf eine vollständige Aufzählung aller Vorkommnisse verzichtet. Diese kulturelle Assoziation wird von GPn aller Herkunftsregionen genannt. 87 Das KÖLSCHE wird auch mit Lebensweisheiten verbunden, wie z. B. „et hät noch immer jut jejange“ (GP79 (Buchen)). 88 Vgl. GP58 (Ettelbrück). 89 GP2 (Eppingen) assoziiert mit dem RHEINISCHEN auch Persönlichkeitsmerkmale, die u. U. durch den Karneval bedingt sind: „die [singen, T. H.] immer so laut […] und [benehmen, T. H.] sich unmöglich“. 90 Vgl. Elmentaler & Rosenberg (2015) und Auer (1998: 195). 91 Vgl. GP79 (Buchen). 92 Vgl. z. B. GP78 (Barth) und GP28 (Schleiden). Aufgrund der Menge an Nennungen dieses Merkmals wird auf eine vollständige Wiedergabe der Nennungen verzichtet.

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Das SÄCHSISCHE wird mit der Phrase „Gönnse vielleischt mal den göfferöum öfmachen?“93 (GP67 (Springe)) verbunden.94 Ein ähnliches Schibboleth liegt für das HESSISCHE vor: „diesen schönen spruch reesche wermer kriesche“ (GP54 (Velbert)). Hierbei erläutert die GP, dass dieser Satz zwei Bedeutungen haben könne: „regen werden wir kriegen oder regenwürmer kriechen“. Die Aussprache sei in der Wahrnehmung beider semantischer Varianten (nahezu) homophon, sodass die phonetischen Merkmale das HESSISCHE in seiner typischen Ausprägung repräsentierten. Eine weitere Schibbolethphrase, die das HESSISCHE repräsentiert, wird von GP26 (Schleiden) genannt: „die hesse sin verbräschä“.95 Hieran werden verschiedenste phonetische Besonderheiten des HESSISCHEN verdeutlicht.96 Auch ein Witz, der kulturelle und sprachliche Eigenheiten des HESSISCHEN repräsentiert, wird von GP27 (Schleiden) als Schibboleth genannt: „wie buchstabiert der hesse felix? […] f wie vaterland e wie österreich [estʁa ͜iʃ] l wie elektriker [lɛktʁɪkɐ] e wie übermorgen [ɛbɛmɔʒə] und x wie gesundheit [kszʊndha ͜ɪt]“.97 Schibboleths im BAYERISCHEN sind vielfältig vorhanden, was insbesondere an der Wahrnehmbarkeit der Kultur und der distinktiven kulturellen Merkmale liegen mag, die durch Medien und öffentlichkeitswirksame Einrichtungen, wie z. B. den FC Bayern München, verstärkt werden.98 GP26 (Schleiden) nennt „joa mei“99 als typische Phrase des BAYERISCHEN, GP80 (Buchen) nennt „dahoam is dahoam“ und „mia san mia“100, GP4 (Eppingen) nennt die Grußformeln „grüß gott“ und „servus“. Die dialektale Variante für „Behüte dich!“ lautet im BAYERISCHEN laut GP5 (Eppingen) „Pfiat di!“. Außerdem wird das Lexem „Oachkatzl-

|| 93 Diese Schibbolethphrase entstammt einem Witz, der auf die Aussprache der obersächsisch Sprechenden referiert: Gibt es einen Satz mit Gänsefleisch und Kofferraum? Gänsefleisch mal den Kofferraum aufmachen? (vgl. GP27 (Schleiden)). 94 GP20 (Simmern) verbindet mit dem SÄCHSISCHEN darüber hinaus die Äußerung „joa nu“. GP50 (Coburg) assoziiert den Spruch „ohne kaffee kann man nicht kämpfen“ mit dem SÄCHSISCHEN. GP63 (Ettelbrück) verbindet „Jenaer Glas“ mit dem SÄCHSISCHEN. 95 Dieses Schibboleth nimmt Bezug auf den Zungenbrecher: „Alle Hesse sin Verbräschä, denn se klauen Aschebäschä. Klaun se keine Aschebäschä, sind se schlimme Messä-Schdäschä.“. 96 Vgl. Kapitel 4.1.3.3. 97 Die Transkriptionen spiegeln die Imitation der GP wider. 98 Vgl. GP29 (Schleiden). 99 Dieses Beispiel nennen GP4 (Eppingen) und GP5 (Eppingen) ebenfalls. 100 Diese Assoziation wird ebenfalls von GP58 (Ettelbrück) genannt.

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schwoaf“ im BAYERISCHEN verwendet.101 GP81 (Buchen) verbindet mit dem BAYERISCHEN das Kartenspiel Schafkopf. Mit dem FRÄNKISCHEN assoziiert GP31 (Schleiden) interessanterweise einen anglophonen Satz: „my germany is very better“. Dieser Satz stamme von Lothar Matthäus, der aus diesem Sprachraum stammt und somit eine kulturelle Identifikationsfigur darstellt. So repräsentiert er diesen Sprachraum selbst dann, wenn er Äußerungen in einer anderen Sprache tätigt. Hierbei handelt es sich um einen alltagslogischen Schluss der Rückproduktion von einem prominenten Sprecher auf den gesamten Dialekt. Das SCHWIZERDÜTSCHE wird von GP29 (Schleiden) kulturell-sprachlich mit dem Film „Das Wunder von Bern“ assoziiert, wenngleich keine konkreten sprachlichen Merkmale aus den Dialogen des Films extrahiert werden können. Die Bezeichnung des WIENERISCHEN als „Wiener Schmäh“ ist insofern ein kulturelles Schibboleth, weil damit in der Regel kulturelle Assoziationen einhergehen, wie z. B. „kaffeehausatmosphäre“ (GP20 (Simmern)). Mit dem WIENERISCHEN wird des Weiteren der Donau-Walzer von Johann Strauss (Sohn)102 sowie Wiener Schnitzel103 und Sacher-Torte104 verbunden. Mit dem RUHRPOTT wird immer noch Bergwerksindustrie verbunden: „so dieses bochumer so dieses bergwerksgeschwätz und ein bisschen derber“ (GP25 (Simmern)). Das THÜRINGISCHE steht in Verbindung mit der deutschen Kultur, die namentlich durch Martin Luther, Goethe und Schiller repräsentiert wird.105 GP81 (Buchen) assoziiert mit dem SCHWÄBISCHEN einen Satz106, der aus der Konfliktvergangenheit zwischen Baden und Schwaben herrührt107: „schade um den baum schade um den strick es war nur ein schwabengenick“. Einen ähnlichen Satz äußert GP2 (Eppingen), der jedoch im Zusammenhang mit dem FRÄNKISCHEN genannt wird: „man muss gott für alles danken auch für schwaben und für franken“.

|| 101 Dieses Wort wird von Sprechern des bairischen Sprachraums scherzhaft dazu verwendet, Fremde einem Sprachtest zu unterziehen, da es für diese oftmals schwierig ist, dieses Wort korrekt zu verstehen oder auszusprechen. 102 Vgl. GP79 (Buchen). 103 Vgl. GP79. 104 Vgl. GP1 (Eppingen) und GP57 (Ettelbrück). 105 Vgl. GP79 (Buchen). 106 GP53 (Coburg) bezeichnet die SCHWABEN als „findig“, was er aus dem Satz „schaffe häusle baue“ schließt. 107 Derartige interkulturelle Konflikte sind historisch bedingt nicht selten, heutzutage aber zumeist rein traditionell fortgeführt und nicht aktuell begründbar.

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Der KURPFÄLZER DIALEKT wird mit dem Satz „in de palz geht de parre mit der peif in de kärsch“ (GP2 (Eppingen)) assoziiert.

3.5 Ausdrucksbezogene Wortassoziationen Ausdrucksbezogene Merkmale, die Anders (2010: 272) als Wortnennungen mit Schibboleth-Charakter, mit denen z. T. mehrere lautliche Besonderheiten eines assoziierten Dialektes verdeutlicht werden sollen, indem die regionale Verortung und gleichzeitig die Sprechweise des assoziierten Dialektes an der Lautgestalt des Beispielwortes abgelesen werden kann,

definiert, wurden insbesondere von den süddeutschen GPn genannt (0,71 Nennungen/Stapel). In den ausländischen Gruppen gab es keine nennenswerten Nennungen dieser Art. Die norddeutsche Gruppe nannte 0,18 Merkmale/Stapel. Man kann also davon sprechen, dass im Wissen ausländischer GPn keine Beispielwörter, die lautliche Besonderheiten verdeutlichen, vorhanden sind, während dies im Wissen der süddeutschen GPn einen zentralen Bestandteil der Dialektkonzeptualisierungen darstellt.

3.5.1 Wörter/Wortgruppen als phonetische Konglomerate GP74 (Barth) verdeutlicht anhand der Beispielwörter „Würschtl“ und „Bemmel“ die Sprechweise des BAYERISCHEN. Sie deutet insbesondere darauf hin, dass „sie das r rollen“. Wichtig ist jedoch der Zusatz, den GP74 an den Anfang ihrer Äußerung stellt, als sie nach Unterschieden zu ihrer eigenen Sprechweise gefragt wird: „ja das ist die gesamte aussprache“ (GP74). Dieses Ordnungsmerkmal bzw. die Rekurrenz auf die „gesamte aussprache“ machen deutlich, dass es sich hier um Wörter als phonetische Konglomerate handelt. Ein Wortbeispiel für das BAYERISCHE nennt GP27 (Schleiden): „die sagen so das geflügelte wort oachkatzlschwoaf [ˈoa̯ χkaʦl̩ ˌʃwoa̯ f]“.108 Hieran wird insbesondere ein lexikalisches Merkmal („oachkatzl“ – „Eichhörnchen“) verdeutlicht, jedoch auch ein phonetisches Merkmal, das die Zuordnung zu diesem Code rechtfertigt. Anstelle von standardsprachlich „Schweif“ ([ʃwaɪ̯f], steigender Diphthong) liegt die bei der regio-

|| 108 Vgl. Kap. 3.4.3.

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nalen Variante [oa̯ ] ein fallender Diphthong vor.109 GP4 (Eppingen) beschreibt lautliche Besonderheiten anhand der Wortgruppen „grüß gott […] servus oder ja mei“. Im PLATTDEUTSCHEN wird eine Abschwächung der Semantik von Äußerungen von GP78 (Barth) anhand der Beispielphrase „ük zieh dir mal die löffel lang du lümmel“ verdeutlicht. Es wird darauf hingewiesen, dass sich diese Äußerungen „nicht so schlimm“ anhören, als wenn man sagte „dir haue ich gleich einen hinter die ohren“. Mit dem NORDDEUTSCHEN bzw. dem HAMBURGISCHEN wird die Äußerung „ich snack da ma rein und weiß nich wies weider geht ne?“ (GP67 (Springe)) assoziiert.110 Hierbei wird zum einen die schon mehrfach thematisierte Realisierung des alveolar realisierten /s/ vor Plosiv deutlich, aber auch Apokopen („ma“, „nich“) und Kontraktionen („wies“). An dem Beispielwort „weider“ wird zudem ein besonderes Merkmal der Aussprache verdeutlicht, da der stimmlose alveolare Plosiv als stimmhafte Variante realisiert wird.111 Für das BERLINERISCHE nennt GP74 (Barth) „icke dicke micke“ als Beispiele, die die als typisch wahrgenommene Produktion des stimmlosen palatalen Frikativs als velaren Plosiv verdeutlichen soll.112 GP66 (Springe) nennt außerdem noch „dit berlinerische“, das die Realisierung des stimmlosen alveolaren Frikativs als stimmlosen alveolaren Plosiv ebenso beschreibt wie die Hebung des Vokals von [a] zu [ɪ]. GP67 (Springe) nennt für das BERLINERISCHE „ick gloobs nich find ich dufte wasde machst ganz klasse“ als Beispiele. Mit dem KÖLSCHEN oder RHEINISCHEN DIALEKT verbindet GP66 (Springe) die Äußerung „wat hastn da jemacht“. Anhand dieses Beispiels wird gezeigt, dass für dieses Dialektkonzept die Verwendung des stimmhaften palatalen Frikativs statt des velaren Plosivs typisch ist.113 GP5 (Eppingen) nennt das Beispiel: „da hast dich bekleckert mit det jelbe von det ei“. Im SÄCHSISCHEN ist die schon im Kapitel 3.4.3 beschriebene Schibbolethphrase „gönnse vielleischt mal den köfferröum öffmache?“ (GP67 (Springe)) zur Nennung diverser phonetischer Besonderheiten genannt worden. Hierbei

|| 109 GP50 (Coburg) nennt als Beispiel für dieses Prinzip „boarisch“. 110 „Snacken“ gibt auch GP31 (Schleiden) als Beispiel. 111 GP3 (Eppingen) verbindet mit dem HOCHDEUTSCHEN die Verschiebung des auslautverhärteten [k] in [hambʊɐk] zu [hambʊʁʃ], obwohl die GP sicherlich die Verschiebung zum palatalen Frikativ statt zum post-alveolaren Frikativ meint. 112 GP28 (Schleiden) nennt das Beispiel „ick bin ein berliner“. GP3 (Eppingen) nennt folgende Beispiele: „icke wa dit kann ick och hab ick och imma jesacht wa“. 113 Daneben wird auch die im BERLINERISCHEN beschriebene Verschiebung des stimmlosen alveolaren Frikativs zum stimmlosen alveolaren Plosiv beschrieben („wat“) und die Kontraktion von „hast“ und „du“ zu „haste“.

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geht es insbesondere um die Zentralisierung der Vokale (insbesondere von /o/, aber auch vom Diphthong /aʊ̯ /).114 Die Stadt Leipzig wird von GP24 (Simmern) zur Verdeutlichung der Aussprache genutzt: „die sagen ja lapzisch“.115 Die Monophthongierung des Diphthongs [a ͜i] zur [a] wird ebenso wiedergegeben wie die Verwendung des post-alveolaren Frikativs [ʃ] statt des stimmlosen palatalen Frikativs [ç].116 GP79 (Buchen) beschreibt lautliche Besonderheiten des SÄCHSISCHEN mithilfe der Phrase „nu ei verbibbsch“.117 Mit dem SCHWÄBISCHEN verbindet GP59 (Velbert) das Lexem „Ländle“, das insbesondere den Wortbildungsprozess des angehängten Suffixes {le} an das Lexem „Land“ und die damit verbundene Umlautung verdeutlichen soll. Aber auch die Verschiebung des stimmlosen alveolaren Frikativs /s/ sowie des stimmlosen alveolaren Plosivs /t/ zum post-alveolaren Frikativ /ʃ/ wird von GP24 (Simmern) thematisiert und in Bezug zum SCHWÄBISCHEN gesetzt: „die sagen nicht ist die sagen einfach des isch ein auto“. GP24 assoziiert mit dem SCHWÄBISCHEN zudem die Äußerung: „des hab i do nabebt“ für „Das habe ich dort angeklebt“. GP25 (Simmern) assoziiert mit dem SCHWÄBISCHEN die Phrase: „ha weisch ha gugge mo ha freili“, die zur Verdeutlichung phonetischer Besonderheiten, wie der oben beschriebenen Plosiv-Frikativ-Verschiebung, der Verwendung des stimmhaften velaren Plosivs statt des stimmlosen in „gucken“ sowie Apokopen von Phonemen in den Endsilben dienen. Mit dem HESSISCHEN verbindet GP59 (Velbert) die Lexeme „wasser aschenbescher verbrescher“, um die Nutzung des stimmhaften/stimmlosen (je nach Variante) post-alveolaren Frikativs (/ʒ/ bzw. /ʃ/) zu beschreiben. Solche lautlichen Besonderheiten verdeutlicht GP27 (Schleiden): „wie buchstabiert der hesse felix? […] f wie vaterland e wie österreich [ɛstʁa ͜iʃ] l wie elektriker [lɛktʁɪkɐ] e wie übermorgen [ɛbɛmɔʒə] und x wie gesundheit [kszʊndha ͜ɪt]“. Deutlich werden insbesondere die folgenden phonetischen Merkmale: (1) Entrundung und Senkung des Vokals [ø] zu [ɛ] in Österreich, (2) Aphärese des anlautenden [e:] in Elektriker, (3) Verschiebung von [ɐg] in [mɔɐgən] zu [ʒ] und schließlich (4) Verwendung des velaren Frikativs [χ] statt des stimmhaften velaren Plosivs [g]. GP5 (Eppingen) verdeutlicht lautliche Besonderheiten des HESSISCHEN anhand des Satzes „wermsche uffm termsche mitm schermsche unterm ermsche“.

|| 114 Auch GP27 (Schleiden) nennt dieses Beispiel. GP29 (Schleiden) formuliert ein ähnliches Beispiel: „die aus dem osten die ossis da [diː œzɪz dɐ]“. 115 Das gleiche Beispiel nennt GP53 (Coburg). 116 Dieser kommt durch die Auslautverhärtung zustande. 117 GP2 (Eppingen) nennt dieses Beispiel ebenfalls.

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Das RUHRGEBIETSDEUTSCH verbindet GP26 (Schleiden) mit der Äußerung, die aus dem Themenfeld „Fußball“ stammt, „gib misch mal die kirsche“. Hieran wird insbesondere die Verwendung des stimmlosen post-alveolaren Frikativs im Personalpronomen „mich“ gezeigt. Die Möglichkeit dieser Verwendung beruht jedoch auf einem grammatikalischen Fehler, da die Akkusativform „mich“ fälschlicherweise der Dativform „mir“ vorgezogen wird. Mit dem SAARLÄNDISCHEN assoziiert GP24 (Simmern) eine fiktive Diskussion zwischen zwei Diskutanten, die über die Verwendung einer Christbaumspitze diskutieren: „ai ne wir harre doch noch nie a christbaumspitz wir harre doch noch jet joar a christbaumspitz“. Um phonetische Besonderheiten des SCHWIZERDÜTSCHEN zu beschreiben, nutzt GP2 (Eppingen) die Grußformel „grüezi mitenand [ˈgryːɛtsiˌmɪtenɑnt]“. ͜ Dies hat insbesondere lexikalischen Charakter, jedoch werden auf Basis dieser regional variierten Lexeme (morphologische Prozesse) daraus resultierende phonetische Besonderheiten (Kontraktion von „Gott-Grüez-I“ zu „Grüezi“ (morphologischer Prozess, verantwortlich für lautliche Assoziationen der GP), Synkope des Diphthongbestandteils /i/ in „mitenand“ (Monophthongierung) sowie Apokope des auslautenden /ɐ/) abgeleitet. Für den KURPFÄLZER Dialekt hält GP2 (Eppingen) fest: „in de palz geht de parre mit der peif in die kärsch [ˈɪn deːɐ ˈpalts͜ geːt də paˈrɐ mɪt də pa ͜if ɪn diː ˈkɛrʃ]“. Hieran werden mehrere phonetische Merkmale verdeutlicht. Als erstes die ausgebliebene Verschiebung (Zweite Lautverschiebung) von [p] zu [p͡f] ([palts]͜ → [p͡falts]; ͜ [paˈrɐ] → [p͡faˈrɐ]; [pa ͜if] → [p͡fa ͜ifə]), aber auch die Senkung von [ɪ] zu [ɛ] sowie die Nutzung des post-alveolaren Frikativs [ʃ] statt des palatalen Frikativs [ç] sowie die Apokope des Schwa-Lautes [ə].

3.6 Variation Die meisten Merkmale zur Variation nennen die süddeutschen GPn (0,58 Nennungen/Stapel). Dahinter befinden sich die GPn aus Liechtenstein, Norddeutschland und der Schweiz mit ähnlichen Werten (0,38; 0,34 und 0,31 Nennungen/Stapel). Luxemburger und Südtiroler GPn nennen mit 0,29 bzw. 0,12 Nennungen/Stapel die wenigsten Merkmale.

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3.6.1 Vertikale Variation (Standard – Substandard) GP 73 (Barth) bezeichnet ein Konzept zwar als NORDDEUTSCH118, gibt jedoch an, dass sich HOCHDEUTSCH119 „immer mit drin“ befinde.120 Hier wird auf eine Standardnähe des Konzeptes angespielt. Es handelt sich also nicht um das Konzept STANDARDDEUTSCH, weist aber darauf hin und orientiert sich daran. NORDDEUTSCH nach dem Verständnis von GP73 kann also entschlüsselt werden als ein standardnahes Konzept mit dialektalen Färbungen (vgl. hierzu Hannemann in diesem Band). Im Süden Deutschlands wird laut GP73 kein HOCHDEUTSCH gesprochen. Es handele sich um einen SÜDLÄNDISCHEN DIALEKT. Welcher Dialekt dort gesprochen werde, kann die GP nicht sagen, sie ist sich lediglich sicher, dass es sich um eine gefärbte Variante handeln muss. HOCHDEUTSCH wird hier in den Assoziationsraum „Norden von Deutschland“ eingebettet, sodass alles, was aus diesem Raster herausfällt und diese Bedingung nicht erfüllt, nicht als HOCHDEUTSCH gelten kann. GP74 (Barth) schätzt den Sachverhalt ähnlich ein. Magdeburg sei dialektal gefärbt und „nicht so ganz hochdeutsch“, während sich insbesondere Hannover dem Standarddeutschen dadurch angleiche, dass es „nicht so extrem dialekt- und akzentgefärbt“ sei „wie weiter südlich“.121 Der letzte Zusatz („wie weiter südlich“) ist hier entscheidend, da er die eben dargestellte Argumentation stützt. Der Süden gilt in der Wahrnehmung linguistischer Laien als prototypisch für Dialekte jedweder Art, während sich HOCHDEUTSCH-Konzepte122 bzw. am Standard orientierte Konzepte123 in Richtung Hannover orientieren. In westlicher bzw. östlicher Richtung (Magdeburg) nimmt die Dialektalität wieder zu, sodass

|| 118 Im NORDDEUTSCHEN sei „das akzentfreie hochdeutsch deutlich herauszuhören“ (GP28 (Schleiden)). 119 Für eine Darstellung der vertikalen Variation zwischen Hoch- und Niederdeutsch vgl. Wirrer (1987: 258–260), der dort einige metadialektale Äußerungen darlegt und insbesondere zeigt, dass das PLATTDEUTSCHE als Privatsprache und das HOCHDEUTSCHE als Sprache der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. 120 Das NORDDEUTSCHE habe, in der Wahrnehmung von GP64 (Springe), keinen „starken dialekt“ und „keine großen abweichungen vom hochdeutschen“. Diese GP unterstützt also den Eindruck von GP73. 121 GP87 (Luzern) zur räumlichen Gliederung von Standard und Substandard: „je nördlicher desto höher scheint uns die sprache desto hochdeutscher sagen wir mal so“. 122 GP23 (Simmern) definiert HOCHDEUTSCH als „etwas ohne dialektale färbung“, GP3 (Eppingen) bezeichnet es als „reines deutsch“. 123 Für linguistische Laien sind STANDARDDEUTSCH und HOCHDEUTSCH oftmals Synonyme wie GP84 (Luzern) zeigt: „standardsprache also […] hochdeutsch“.

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sich ein „Ring der Dialektalität“ um den Raum Hannover bildet.124 Diese Vorgehensweise wird von der Darstellung von GP74 (Barth) unterstützt: „die mitteldeutschen die relativ akzentfrei sind […] [dort spricht man, T. H.] relativ gutes [hochdeutsch, T. H.] sicherlich auch leichte färbung“. Es existiert also in der Wahrnehmung von GP74 ein Gebiet, das geografisch im Norden Mitteldeutschlands zu verorten ist und das als nahezu standardnah eingeschätzt wird.125 Es existieren darüber hinaus einige Abstufungen, die im Grad ihrer „Färbung“ divergieren. Rostock, Greifswald und Schwerin sind in der Wahrnehmung von GP77 (Barth) „schriftdeutsch eigentlich“. Dies impliziert, dass in diesen Orten identisch geschrieben und gesprochen werde, sowohl auf Syntax wie auf Lexik bezogen. Mit Schriftdeutsch wird sicherlich auf ein Standarddeutsch126 rekurriert, da Dialektsprecher i. d. R. in schriftlicher Kommunikation eine am Standard orientierte Syntax und Lexik verwenden. Selbst Dialektsprecher tendierten in der Öffentlichkeit dazu, HOCHDEUTSCH zu sprechen (GP21 (Simmern)). So wird die Verwendung von Dialekt zu etwas Privatem, das für die Verwendung in der Öffentlichkeit ungeeignet sei. Ob dies daran liegt, dass Dialekt nicht von jedem verstanden oder HOCHDEUTSCH für diesen Anlass positiver bewertet wird, bleibt offen. 127 Das KÖLSCHE sei vom „dialekt nicht so stark geprägt wie bayern“ (GP73 (Barth)) und ähnele mehr dem HOCHDEUTSCHEN. Auch wenn es sich bei dem KÖL-

|| 124 Diese Ausführungen rühren aus einem geringen Datenmaterial her und müssen an einer größeren Datenmenge verifiziert werden. Dies könnte beispielsweise auch in einer grafischen Auswertung münden, die diesen „Ring“ optimalerweise sichtbar macht, vgl. hierzu auch Schröder (i. Dr.), die die Rolle Hannovers als „Zentrum“ insbesondere für die AG 1 (Schüler, 16– 20 Jahre) und AG 2 (30–50 Jahre) nachweisen kann. 125 Dies bestätigen u. a. GP54 (Velbert): „hannover wäre so die echte mitte deutschlands wo ich sage […] dass dort das reinste hochdeutsch gesprochen wird“ sowie GP31 (Schleiden): „da spricht man glaube ich das beste hochdeutsch in deutschland“ und GP51 (Coburg): „hannover ist für mich der inbegriff des hochdeutschen“. 126 Die Verwendung von Standarddeutsch-Konzepten ist zentraler Bestandteil des laienlinguistischen Standard-Substandard-Diskurses. GP60 (Ettelbrück) beschreibt HOCHDEUTSCH als „normales deutsch“ und nimmt damit selbst eine individuelle Standardisierung vor. 127 Dazu beschreibt GP24 (Simmern), warum der Hunsrücker Bürgermeister vor der Gemeinde nicht HUNSRÜCKER PLATT spricht. Er wolle seine „stigmatisierung als bauer loswerden“. Durch die Verwendung des HOCHDEUTSCHEN könne genau dies erreicht werden. Der BAYERISCHE und SCHWÄBISCHE Dialekt würden mehr gepflegt und seien deswegen „salonfähiger“. Gleiches beschreibt auch GP58 (Ettelbrück), die auf die Frage nach Berühmtheiten, die NORDDEUTSCH sprechen, keine Antwort geben kann, da sich im Fernsehen alles „normalisiert“ habe und die Personen dort eher HOCHDEUTSCH sprächen (vgl. Diercks 1988: 281).

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um eine Substandardvariante handelt, orientiert sie sich mehr am Standard als an stark dialektal geprägten Varianten. Der RUHRPOTT zeichne sich durch eine „grundform“ (GP51 (Coburg)) HOCHDEUTSCH aus, allerdings sei es leicht dialektal gefärbt: „mit ein paar besonderheiten dialektologische [sic!] eigenheiten eigene ausdrücke“. Das THÜRINGISCHE sei schwer einzuordnen. Es sei zwar „ein bisschen hochdeutsch mit drin“128, aber beispielsweise im Vogtland wird ein THÜRINGISCHER DIALEKT gesprochen. Hierbei könne zunächst der Eindruck entstehen, es handele sich um BAYERISCH oder SÄCHSISCH. Die Bezüge der Substandardvarietät, wie GP73 (Barth) sie schildert, sind also letztlich für den Laien nicht eindeutig zu klären. SÄCHSISCH ist nach GP77 (Barth) „sehr wenig am schriftbild orientiert“. Diese implizierte negative Evaluation verweist auf eine erstrebenswerte Orientierung am „Schriftbild“ und somit einer Sprechweise, die sich in Syntax und Lexik daran orientiert. Gleichzeitig stilisiert GP77 eine schriftbildähnliche Sprechweise zum STANDARD.129 Magdeburg, Halle an der Saale und Erfurt werden von GP67 (Springe) als eine „synthese“130 beschrieben. Das HOCHDEUTSCHE sei zwar zu erkennen, aber es gebe „so leichte nuancen […] dass man merkt […] das geht so ins sächselnde rein“. Es liegt also eine Art HOCHDEUTSCH-Konzept vor, das jedoch durch dialektale Interferenzen ergänzt wird und so eine neue Substandard-Varietät bildet. Das SÄCHSISCHE131 sei darüber hinaus ein „starker“ (GP54 (Velbert)) Dialekt, der große Einflüsse auf das HOCHDEUTSCHE hätte: „ein starker dialekt der sich wirklich auf das hochdeutsche der das sehr färbt“. So entstünde der Eindruck, dass SÄCHSISCH schnell zu erkennen sei. SÄCHSISCH wird hier beschrieben als eine stark dialektal geprägte, aber dennoch standardnahe Varietät, die durch äußerst saliente Merkmale (phonetischer, lexikalischer, grammatischer, syntaktischer oder morphologischer Art) Alleinstellungsmerkmale besitzt.

SCHEN

|| 128 GP74 (Barth) meint, dass der THÜRINGISCHE DIALEKT in der Aussprache vom HOCHDEUTSCHEN „ganz schön herb“ abweiche. 129 GP77 geht identisch vor, um zu erklären, weswegen ihr einige Sprechweisen unsympathisch sind. 130 Vgl. hierzu Möller (2012: 97–98), der auf Cornelissen (2001) und Davies (1999) verweist. 131 GP21 (Simmern) würde das SÄCHSISCHE „auch nicht als dialekt bezeichnet sondern [als, T. H.] sprache weil sie sind des hochdeutschen nicht mächtig“. Diese Äußerung fällt zwar aus dem Standard-Substandard-Gefüge heraus, weil dem SÄCHSISCHEN der Dialektstatus abgesprochen wird, aber es steht dennoch hiermit in Verbindung, da das Obersächsische objektiv zu den Dialekten des Deutschen zu zählen ist.

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Das ÖSTERREICHISCHE hat nach GP15 (Vaduz) zwar Ähnlichkeiten mit dem „hochdeutschen also dem deutschen“132, aber dennoch „einen eigenen akzent“. Interessanterweise wird hier das HOCHDEUTSCHE mit dem DEUTSCHEN gleichgesetzt. Durch diese Abgrenzung, die GP15 selbst vornimmt, wird deutlich, dass die eigene Sprechweise von GP15 seinem Verständnis nach nicht zweifelsohne als DEUTSCH zu bezeichnen ist. Das SCHWEIZERDEUTSCHE ist für GP45 (Meran) „besonders sympathisch“. Als Grund gibt sie an, dass die „sprache so sehr abweicht von der hochsprache“. Für diese GP ist das SCHWEIZERISCHE als Substandardvarietät also sympathischer, weil es nicht den Charakter des Standarddeutschen vermittelt, sondern durch eigene Merkmale gekennzeichnet ist. GP83 (Luzern) beschreibt das ÖSTERREICHISCHE ebenso wie das SCHWEIZERISCHE als „varianten vom deutschen“ und greift dort den Varietätenbegriff indirekt auf. Was unter „deutsch“ verstanden wird, bleibt zwar offen, doch es scheint als eine Standardreferenz gebraucht zu werden, da die Dialektkonzepte „von dort einfach abgeändert“ seien.

4 Interpretation der Ergebnisse Im Folgenden werden die in Kap. 2 dargestellten Hypothesen einer Prüfung unterzogen.133 Hierbei wird versucht, möglichst differenziert auf die einzelnen Kategorien, nach denen die metadialektalen Äußerungen ausgewertet wurden, einzugehen. Hypothese 1a: Der deutsche Sprachraum wird von den GPn unterschiedlicher Herkunft durch metasprachliche Äußerungen heterogen beschrieben. Diese Hypothese kann nicht eindeutig verifiziert werden. In der Analyse der metasprachlichen Äußerungen hat sich kein struktureller Unterschied in der Beschreibung des deutschen Sprachraums gezeigt. Die verwendeten Beispiele, sowohl in Bezug auf die lautlichen als auch auf die lexikalischen Assoziationen,

|| 132 Das ÖSTERREICHISCHE ist in der Wahrnehmung von GP84 (Luzern) „näher an der standardsprache“ im Vergleich zur eigenen Sprechweise. 133 In der Auswertung der Ergebnisse muss stets bedacht werden, dass es sich bei den hier vorgestellten Ergebnissen um eine Stichprobe handelt. Auch wenn sprachlich des Öfteren generalisiert wird, so müssen die Implikationen, die die Anzahl der GPn auslösen, mitbedacht werden. Es liegt somit im Bereich des Möglichen, dass Anschlussuntersuchungen mit einer größeren Stichprobe oder anderen Daten zu anderen Ergebnissen kommen. Die Daten, die hier ausgewertet wurden, dürfen keinesfalls mit einer repräsentativen Untersuchung verwechselt werden.

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waren zwar unterschiedlich, hier kann jedoch auch nicht von einer Heterogenität gesprochen werden, da die Beispiele sich oftmals in der Struktur glichen. Nur vereinzelt gab es klare Widersprüche in den Wahrnehmungen. Insgesamt hat sich gezeigt, dass die salienten Merkmale einzelner Dialektkonzepte durchaus stabil sind und lediglich in unterschiedlicher Ausprägung vorhanden und explizierbar sind (vgl. Hypothese 2a/b). Hypothese 1b: Süddeutsche und Norddeutsche unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Vorstellung und der Beschreibung des deutschen Sprachraums. Betrachtet man die absoluten Benennungshäufigkeiten der einzelnen Stapel und vergleicht diese miteinander, so fallen Unterschiede auf. Das NORDDEUTSCHE findet in der Gruppe der norddeutschen GPn eine häufigere Verwendung als bei den süddeutschen GPn, während diese das SCHWEIZERDEUTSCHE und das SÄCHSISCHE etwas häufiger nennen. Die Tendenz ist insgesamt jedoch eine ähnliche, sodass von wirklichen Unterschieden nicht gesprochen werden kann. Gelegentliche Unterschiede z. B. in der qualifizierenden Beschreibung sind eher individueller denn systematischer Art. Die metadialektalen Äußerungen der nord- und süddeutschen GPn weisen insgesamt ein hohes Maß an Homogenität auf. Hypothese 1c: Die lautlichen Assoziationen unterscheiden sich nicht wesentlich in Bezug auf die Herkunft, es werden aber überwiegend Assoziationen zu Dialekten des süddeutschen Bundesgebietes geäußert. Der erste Teil der Hypothese kann verifiziert werden. Das Salienzpotential einzelner Merkmale erweist sich als überaus hoch, sodass diese Merkmale stets von verschiedenen GPn verschiedener Herkunft reproduziert werden. Auch der zweite Teil der Hypothese kann verifiziert werden. Lautliche Assoziationen zum norddeutschen Raum beschränken sich auf die alveolare Realisierung von /s/ vor /p/ oder /t/ sowie weitere vereinzelt genannte Assoziationen. Zum süddeutschen Raum werden diverse Assoziationen geäußert. Bedacht werden muss, dass dieses Ergebnis nicht vollständig verwertbar ist, da zum süddeutschen Raum insgesamt deutlich mehr Dialektkonzepte vorliegen (ebenso wie GPn). Deshalb ist es wahrscheinlich, dass auch eine größere Anzahl an Assoziationen genannt wird. Jedoch kann das Ergebnis dahingehend differenziert und schließlich dennoch bestätigt werden, da für die einzelnen Dialekte aus dem süddeutschen Raum auch unterschiedliche Assoziationen zu einem Dialektkonzept vorliegen, während für Dialektkonzepte des norddeutschen Raums von diversen GPn nur eine Assoziation genannt wird. So lässt sich das Ergebnis schließlich auf folgende allgemeine Formel bringen: Zu unterschiedlichen norddeutschen Dialektkonzepten werden i. d. R. immer dieselben salienten Merkmale genannt (vgl. hierzu auch Hannemann in diesem Band). Zu demselben süddeutschen

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Dialektkonzept werden unterschiedliche Merkmale genannt, es herrscht also zu süddeutschen Dialektkonzepten eine größere Merkmalvarianz. Hypothese 2a: Bei Sprechern aus dem Ausland existiert nur ein eingeschränktes Wissen vom (binnen)deutschen Sprachraum. Diese These konnte durch die Analyse der metadialektalen Äußerungen verifiziert werden. Zwar liegen von den GPn aus dem Ausland metadialektale Äußerungen vor, jedoch wurden häufiger als bei den bundesdeutschen GPn keine metadialektalen Äußerungen zu einer Kategorie genannt. Hierbei fallen insbesondere die Schweizer GPn auf, die zwar auf allgemeiner Ebene durchaus Merkmale nennen konnten, allerdings kaum spezifische Merkmale nannten. Hierbei kann dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass kein Wissen vorliegt. Innerhalb der Gruppe der ausländischen GPn können die Luxemburger GPn hervorgehoben werden, da diese im Vergleich zu den Schweizer, Liechtensteiner und Südtiroler GPn insgesamt mehr Merkmale nannten. Hypothese 2b: Sprecher aus dem Ausland besitzen ein differenziertes Wissen vom eigenen Mikroraum. Diese These kann teilweise verifiziert werden. Sofern ausführliche Beschreibungen von dem SCHWEIZERISCHEN oder dem LUXEMBURGISCHEN vorgenommen wurden, wurden diese Beschreibungen i. d. R. von GPn aus diesem Herkunftsland getätigt. Einige wenige zumeist unkonkrete Beschreibungen stammen auch von bundesdeutschen GPn, doch insgesamt gilt das in der Hypothese Postulierte. Die Südtiroler und Liechtensteiner GPn nahmen keine ausführlich differenzierte Beschreibung des eigenen Mikroraumes vor. Über Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Es lässt sich also festhalten, dass Schweizer und Luxemburger GPn durchaus über ein differenziertes Wissen des eigenen Mikroraumes verfügen, während Südtiroler und Liechtensteiner dieses Wissen entweder nicht besitzen oder es aber im Rahmen der MAK nicht preisgaben.134

5 Schlussbetrachtung Die vorliegende Studie hat sich zum Ziel gesetzt, umfassend metadialektale Äußerungen linguistischer Laien zu beschreiben und zu analysieren. Dies ist für einen Großteil des deutschen Sprachraumes gelungen, sodass zum ersten Mal ein breiter Überblick über Dialektbeschreibungen linguistischer Laien nicht nur

|| 134 Bei der draw-a-map-task (MIK), die für den Mikroraum genutzt wurde, wird der Nahbereich der GPn jedoch ausführlich beschrieben.

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bezüglich einzelner Dialektkonzepte135, sondern über das gesamte Sprachraumwissen gegeben werden kann. Die Studie konnte zum einen Ergebnisse vergangener Studien bestätigen, wie z. B. Hypothese 2a zeigt. Sie konnte des Weiteren dazu beitragen, die Konzepte, die zumeist von linguistischen Laien genannt werden, zu benennen und die Ergebnisse der vorherigen Studien in diesem Punkt zu unterstützen.136 Es hat sich gezeigt, dass der süddeutsche Raum, wie er in dieser Arbeit definiert wurde, als eine Art „Zentrum“ laienlinguistischer Wissensbestände in Bezug auf Komplexität und Differenziertheit gelten kann. Norddeutsche GPn verfügen jedoch auch über ein recht ausführliches Wissen. Die Wissensbestände der ausländischen GPn variieren sehr stark. Leider lag hier nur wenig Datenmaterial vor, sodass es wünschenswert wäre, wenn sich etwaige Anschlussuntersuchungen insbesondere diesen Bereichen des deutschen Sprachraumes widmeten. Ein Zentrum deutscher dialektaler Wahrnehmung verorten linguistische Laien im Raum Hannover, der als das Zentrum des HOCHDEUTSCHEN gilt.137 Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die salienten Merkmale (Triggermerkmale) der einzelnen Dialekte in einer regionalen Betrachtungsweise äußerst stabil sind. Merkmale wie das im NORDDEUTSCHEN des Öfteren wahrgenommene alveolar realisierte /s/ vor Plosiv sind, obwohl quantitativ rückläufig, fester Bestandteil laienlinguistischer Wissensbestände. Regional betrachtet werden ebenfalls gleiche oder ähnliche Merkmale wahrgenommen. So ist für das SCHWÄBISCHE der post-alveolare Frikativ im bundesdeutschen wie im ausländischen Untersuchungsgebiet salient. Bisher wurde häufig eine weitestgehende Homogenität in den Äußerungen linguistischer Laien angenommen. Festgehalten werden kann, dass die genannten metadialektalen Merkmale eine äußerst große Vielfalt aufweisen. Der Begriff Heterogenität wird hier gezielt vermieden, da er nicht vorhandene strukturelle Unterschiede impliziert. Die von Auer (2004) postulierten Modelle (Nationalstaatliches Modell sowie Zentrum-Peripherie-Modell) konnten anhand der Stapelsortierungen bestätigt werden. Hier zeigt sich der Vorteil der Analyse metadialektaler Äußerungen, da so eindeutig geklärt werden kann, wo eine GPn den Schwerpunkt eines Stapels setzt, wo also Akzentuierungen vorhanden sind. Eine rein quantitative Auswertung kann zwar möglicherweise einwandfrei darstellbare Ergebnisse liefern,

|| 135 Vgl. z. B. Anders (2010), Christen (2014), Stoeckle (2014). 136 Vgl. Hundt (2010). Die Ergebnisse dieser Studie decken sich bis auf wenige Abweichungen mit den dort dargelegten Ergebnissen. 137 Vgl. Elmentaler (2012), der diese Wahrnehmung als Mythos entlarvt.

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eine Gewichtung innerhalb eines Stapels kann bei vorliegender Erhebungsmethode jedoch nur schwerlich erfolgen. Die Analyse metadialektaler Äußerungen ist – das hat sich gezeigt – ein wichtiger Baustein, um laienlinguistische Wissensbestände möglichst vollständig zu beschreiben. So wird nicht nur das Was der Beschreibung fokussiert, sondern auch das Wie, sodass schließlich ein Ganzes entstehen kann. Es können mithilfe dieser Methode umfassend saliente Merkmale beschrieben werden. Anschlussuntersuchungen müssen jedoch das Triggerpotential dieser salienten Merkmale bewerten, um so den Prozess der Äußerungen von Metakommunikaten vollständig zu entschlüsseln. Es wurde deutlich, dass es sich bei den laienlinguistischen Wahrnehmungen eher um Überzeugungen als um rationale Reflexionen handelt. Einerseits geht es um sichere Gedanken (positives Varietätenwissen, spezifisches Wissen), andererseits um spekulative Gedanken (Nicht-Wissen, unspezifische Ahnung, vgl. Hundt in diesem Band). Es wird außerdem deutlich, dass der Wahrnehmungsbegriff untrennbar mit dem Wissensbegriff verwunden ist. Schließlich soll betont werden, dass es sich auch bei den sicheren Gedanken um das, was hier in Anlehnung an Schütz & Luckmann (2003: 401) als inaktives Wissen138 bezeichnet werden soll, handeln kann. Wissen bedeutet im laienlinguistischen Kontext nicht, dass alle Inhalte zu jeder Zeit vollständig verfügbar sind. Diese Art des Wissens zeichnet sich vielmehr dadurch aus, dass es während eines Diskurses stetig in seinem Grad der Explizierbarkeit steigt (somit steigen auch die Bewusstseinsgrade) und deshalb während des Diskurses die stetige Mög-

|| 138 Beckers (2012: 36) beschreibt das Laienwissen als „dynamisch-flexible Größe“. Schröder (i. Dr.): „Das individuelle Sprachwissen scheint hierbei deutlich dynamischer zu sein, als der gesellschaftliche Wissensvorrat, der sich nur langsam verändert. Durch diese Trägheit lassen sich nun auch sprachliche Stereotype erklären, die im Widerspruch zur sprachlichen Realität stehen, sich aber seit Jahren hartnäckig halten. Schütz & Luckmann (2003, 401) sprechen hier von irrelevantem Wissen, das in der Vergangenheit eine große gesellschaftliche Bedeutung hatte und dadurch ‚legendär fixiert wurde'.“ An dieser Stelle schlage ich vor, den von Schütz & Luckmann verwendeten Begriff des irrelevanten Wissens durch inaktives Wissen zu ersetzen, da die evaluative Dimension des Irrelevanten nicht klar erhoben werden kann, soll heißen: Es kann nicht mit letzter Genauigkeit gesagt werden, ob das Wissen tatsächlich irrelevant oder schlicht nicht bewusst ist. Fakt ist, dass das Wissen um die Herkunft und Folgen der Aussagen nicht länger im Bewusstsein vorhanden ist, weswegen das Wissen als inaktiv charakterisiert werden kann. Des Weiteren verdeutlicht der Begriff inaktives Wissen die Option einer Rekonstruktion einmal bereits aufgebauter, dann aber vernachlässigter Wissensstrukturen. Damit aus etwas Irrelevantem etwas Relevantes wird, so hat es den Anschein, ist eine deutlich größere Anstrengung vonnöten als für die Entwicklung von inaktiv zu aktiv, da eine strukturelle Umbesinnung des Geistes stattfinden muss.

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lichkeit der (erneuten) Vergegenwärtigung gegeben ist (vgl. Hundt in diesem Band). Deswegen ist diese Art des Wissens nicht eindeutig dem „alltagsweltlichen Wissen“ zuzuordnen, da sich dieses dadurch auszeichne, dass es „zuvörderst den Zweck hat, der Bewältigung häufig wiederkehrender Anforderungen der Alltagswelt zu dienen.“ (Lehr 2002: 52, Hervorhebung T. H.). Die Anforderungen, auf linguistische Fragestellungen reagieren zu müssen, liegen für die meisten GPn fern des Bewusstseins – und sind erst recht nicht häufig wiederkehrend –, sodass die GPn in einer Anforderungssituation zunächst eine Form des „alltagsweltlichen Wissens“ aufbauen müssen. Diese Strukturierung erfordert zumeist eine hohe kognitive Verarbeitungsleistung, sodass die Strukturierung der reproduzierten Elemente vernachlässigt wird.139 Schließlich kann diese Untersuchung zeigen, dass das Wissen linguistischer Laien in besonderem Maße aus lexikalischen Merkmalen (lexikalische Besonderheiten, kulturelle Schibboleths) sowie Raumparametern gebildet wird. Hier stimmt die vorliegende Untersuchung mit den Ergebnissen von Anders (2011: 25) überein. Jedoch zeigte sich darüber hinaus, dass insbesondere Beschreibungen mit Identifikationscharakter (Assoziationen typischer Sprecher) einen erheblichen Anteil an der Reproduzierbarkeit laienlinguistischer Sprachwissensbestände haben. Dies zeigt wiederum, dass die dort assoziierten Dialektkonzepte ein hohes Maß an Salienzpotential besitzen und dies durch eine stereotype Verwendung auf Sprecher übertragen werden kann. Abschließend kann festgehalten werden, dass linguistische Laien tatsächlich über ein breites Dialektwissen verfügen, das sich in seiner Differenziertheit und Explizierbarkeit unterscheidet. So bleibt der – zugegebenermaßen etwas überspitzte – Eindruck, dass linguistische Laien oftmals mehr wissen, als sie selbst sich zuzutrauen bereit sind.

|| 139 Vgl. die Einleitung dieses Beitrages sowie Lehr (2002: 20): „Dementsprechend sind Wissensbausteine widersprüchlichen Inhalts häufig auf unterschiedliche Situationstypen bezogen, sodass sie von den Menschen der Alltagswelt weder als widersprüchlich noch als Alternativen aufzeigend wahrgenommen werden“.

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Saskia Schröder

Fazit Die in dem vorliegenden Band dargestellten Befunde können nur einen Teil dessen abbilden, was sich aus den Interviewdaten unter Anwendung verschiedenster Analysemöglichkeiten an Ergebnissen ermitteln lässt. Die hier besprochenen Ergebnisse stellen aus jeweils verschiedenen Blickrichtungen dar, wie linguistische Laien ihren Sprachraum auf unterschiedlichen Ebenen wahrnehmen. Zusammengefasst und verdichtet können dabei Aussagen zu folgenden Parametern getroffen werden. A. Laienlinguistisches Wissen: Erkenntnisse und Anknüpfungsmöglichkeiten Das linguistische Laienwissen ist insgesamt vergleichsweise heterogen und nur bedingt generalisierbar. Linguistisches Laienwissen ist unterschiedlich differenziert ausgeprägt. Es reicht vom negativen Varietätenwissen bis hin zur Explikation spezifischer Einzelmerkmale. Die Analyse metasprachlicher Äußerungen zu laienlinguistischen Vorstellungen von „gutem Deutsch“ hat ferner gezeigt, dass ein Sprachnormwissen, d. h. Wissen über sozial erwünschte sprachliche Handlungen und Produkte, vor allem vor dem Hintergrund einer skriptizistischen und standardsprachlichen Folie reflektiert wird. Linguistische Laien konzeptualisieren sprachliche Variation zudem dichotom: Einem frei von regionalen Merkmalen und homogen konzeptualisierten HOCHDEUTSCH steht die diatopische Variation gegenüber, deren Korrektheit und Prestige vor allem anhand eines standard- bzw. schriftsprachlichen Ideals gemessen wird. Hierbei kommt insbesondere der Abwesenheit diatopischer Merkmale, einer (nicht näher explizierten) „grammatischen Korrektheit“ und einer (überregionalen) „Verständlichkeit“ sprachlicher Äußerungen eine hohe Relevanz zu. Die in diesem Teilbereich dringendsten Desiderate lassen sich daher wie folgt zusammenfassen: 1.) In sprach- und wissenstheoretischer Hinsicht sollte genauer geklärt werden, was unter einem linguistischen Laien (und somit letztlich auch unter dem linguistischen Laienwissen) genau verstanden werden soll. Hier handelt es sich um einen Begriff, der zwar in der Laienlinguistik und der Wahrnehmungsdialektologie bislang immer wieder verwendet wird, der sich aber bislang einer präzisen begrifflichen Schärfung und Definition zu entziehen

|| Schröder, Saskia: Germanistisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leibnizstraße 8, 24118 Kiel, Tel.0431/8802310, E-Mail: [email protected]

DOI 10.1515/9783110554212-009

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scheint. Vor allem vor dem Hintergrund qualitativer Untersuchungen ist es vonnöten, eine theoretisch-methodologische Begründung einer qualitativ-hermeneutischen Vorgehensweise zur Rekonstruktion dieses Wissens zu leisten. 2.) Das Projekt hat gezeigt, dass der Einsatz verschiedener Methoden zur Rekodierung linguistischen Laienwissens sinnvoll und erfolgreich ist. Die Kombination mehrerer Methoden ermöglicht bis zu einem gewissen Grad den Ausgleich von Nachteilen bei einzelnen Methoden. So macht beispielsweise das Tiefeninterview durch die GP-Kommentare deutlich, was bei der draw-a-map-task und beim Pilesorting allein noch unklar bliebe – Bezeichnungen der Stapel, Kommentare zu eingezeichneten Gebieten etc. Allerdings zeigt sich auch, dass die Untersuchung des gesamten deutschsprachigen Raums mit nur einem Großprojekt vermutlich auch in Zukunft nicht gelingen können wird. Es sind daher zahlreiche weitere Studien wahrnehmungsdialektologischer Art nötig, um die jeweils kleineren Dialekträume zu untersuchen. Ziel wäre es dann, aus der Kombination vieler solcher auf kleinere Sprachräume bezogenen Studien einen Überblick über den gesamten deutschen Sprachraum zu gewinnen. B. Sprachräumliche Konzeptualisierungen: Erkenntnisse und Anknüpfungsmöglichkeiten Mithilfe einzelner Tiefenbohrungen konnte die Gewichtung laienlinguistischer Assoziationen und deren Rolle bei der Gesamtkonzeptualisierung eines Sprachraums ermittelt werden. Trotz unterschiedlicher Bezeichnungen für die Varietäten des norddeutschen Sprachraumes haben linguistische Laien ein relativ einheitliches Konzept eines solchen Sprachraums. Dieses zeigt sich in ähnlichen arealen und sprachlichen Assoziationen. Beide Bereiche sind jedoch stark von außersprachlichem Wissen beeinflusst (z. B. der „Mauer in den Köpfen“). Allgemein kann der süddeutsche Sprachraum als eine Art ‚Zentrum‘ in Bezug auf laienlinguistische Wissensbestände hinsichtlich ihrer Komplexität und Differenziertheit gelten. Insgesamt sind die Wissensbestände recht stabil, sodass Hannover noch immer als das Zentrum des HOCHDEUTSCHEN angesehen wird. Auch die Triggermerkmale erweisen sich als stabil, sodass selbst quantitativ rückläufige Merkmale wie das alveolar realisierte /s/ vor Plosiv im Norddeutschen regelmäßig reproduziert werden. Dennoch hat sich die regionale Differenzierung zwischen den GPn-Gruppen als fruchtbar erwiesen, da die einzelnen Wissensinhalte durchaus voneinander abweichen können. Dies wird u. a. bei der Bezeichnung der einzelnen Regionen im Kontext der Pilesort-Methode sichtbar. Je nördlicher der Herkunftsort der GPn liegt, desto großräumiger konzeptualisieren sie ihre sprachliche Heimat. Die süddeutschen GPn hingegen

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entwerfen tendenziell eher kleinräumige Konzepte für ihren sprachlichen Nahbereich, die sie auch auf das Pilesorting applizieren können. Während man diesen Umstand metaphorisch mit einem ‚Hinein- bzw. Hinauszoomen‘ beschreiben kann, erfolgt bei den schweizerischen GPn ein ‚Wechsel des Objektivs‘, indem sie kantonal bzw. national kartieren. Nachfolgende Studien sollten sich einzelnen Regionen des deutschen Sprachraums widmen, um so zu einem schlüssigen Gesamtbild zu kommen, das es ermöglicht, das deutschsprachige Gebiet nach subjektlinguistischen Kriterien neu zu kartieren. Hierbei stehen insbesondere folgende Fragen im Zentrum: 1. Was ist Nord/Süd/Ost/West für linguistische Laien? und 2. Welche Städte stehen prototypisch für die durch Himmelsrichtungen gekennzeichneten Regionen bzw. wo liegen etwaige Übergangsbereiche? Ferner sollte ein Ausbau des erstellten Kategoriensystems zur Bezeichnung der Sprechweisen erfolgen. Anschließend können variablenspezifische Fragestellungen näher beleuchten, ob es Unterschiede bei der Sprachraumkonzeptualisierung auf der Benennungsebene gibt. C. Die Rolle sozialer Faktoren: Erkenntnisse und Anknüpfungsmöglichkeiten Die Untersuchungen konnten nachweisen, dass sich die Parameter Alter, Geschlecht und Herkunft auf die richtige Zuordnung von Sprechproben auswirken. Zudem konnte die Korrelation zwischen den Variablen Gefallen und Korrektheit gezeigt werden, d. h. Sprechproben, die zumeist als positiv bewertet wurden, werden zumeist auch als korrekt eingestuft. Offen in diesem Zusammenhang war bisher, inwieweit sich soziale Parameter auf die Beurteilung der Sprechproben auswirken (v. a. Alter und Geschlecht). Hier stellte sich das Alter der GPn als wichtiger Faktor heraus. Die ältesten GPn aus der vorliegenden Untersuchung schätzen das Gehörte signifikant korrekter ein als die anderen beiden AGn. Im Gegensatz dazu scheint die Variable Geschlecht auf die Beurteilung der Sprechproben einen geringen bis gar keinen Einfluss zu haben. Zudem lässt sich kein Zusammenhang zwischen dem objektsprachlich gemessenen Abstand zum Standard und der Einschätzung der Korrektheit der GPn ablesen. Sprechproben, die von den GPn positiver bewertet werden, werden auch als korrekter eingeschätzt, unabhängig von der objektsprachlichen Messung des DWertes. Dieses Resultat zeigt einmal mehr, dass die Dialektalität unter subjektlinguistischen Kriterien völlig anders bewertet werden muss als aus traditionell dialektologischer Perspektive! Aufgrund der Konzeption des Ratespiels stellte sich auch immer wieder die Frage, ob die Zuordnung der Sprechproben nicht ebenfalls durch die unterschiedlichen abgebildeten Städte beeinflusst wird und die GPn eher nach dem

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Ausschlussprinzip vorgehen. Allerdings wurde deutlich, dass die GPn auch bei einer inkorrekten Verortung ein ungefähres Bild von dem Gehörten hatten und die Verortung in das übergeordnete Dialektgebiet erfolgte. Die durch die GPn wahrgenommenen sprachlichen Merkmale lassen sich somit dem niederdeutschen, mitteldeutschen oder oberdeutschen Raum zuordnen. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass das Ausschlussprinzip angewandt wird, jedoch die wenigen sprachlichen Merkmale eine grobe Zuordnung in das übergeordnete Dialektgebiet zulassen. Mithilfe des Ratespiels konnte zudem herausgestellt werden, dass die GPn tendenziell weniger Zeit bei der Zuordnung benötigten, wenn sie diese korrekt verortet hatten. Besonders präsente Sprachraumkonzepte können zumeist schnell und richtig verortet werden und scheinen sprachliche Merkmale aufzuweisen, die bei den GPn als salient gelten und einen schnelleren Zugriff auf das entsprechende Konzept erlauben. Mehr Zeit benötigen die GPn bei weniger präsenten Konzepten bzw. bei denjenigen, die Unsicherheiten hervorrufen und für sie nicht eindeutig Sprachbeispielen zuzuordnen sind. Zwei Erkenntnisse bilden sich hier heraus und können Ausgangspunkt für Anschlussuntersuchungen sein: Erstens hat sich gezeigt, dass einige der sog. ‚klassischen‘ Variablen einen signifikanten Einfluss auf die Einschätzung von Sprechproben haben. Allerdings bleibt noch zu klären, welche qualitativen Unterschiede hier existieren? Wirken sich die nachgewiesenen signifikanten Faktoren (Alter, Herkunft, etc.) auch auf die Salienz einzelner Merkmale aus? Dass die Dialektalität im objektlinguistischen Sinne kein gültiges Explikandum in wahrnehmungsdialektologischen Untersuchungen darstellt, ist hier außerdem deutlich geworden. D. Die Rolle geographischer Faktoren: Erkenntnisse und Anknüpfungsmöglichkeiten Bisher konnte herausgestellt werden, dass verschiedenste Faktoren und besonders auch außersprachliche die Verortung des Nahbereichs der GPn beeinflussen. Mithilfe der draw-a-map-Methode sollte zum einen dokumentiert werden, wie die Laien ihren Mikroraum aufbauen und strukturieren. Zum anderen sollten regionale und nationale Unterschiede zwischen solchen Karten aufgedeckt werden. Erstens kann somit festgehalten werden, dass Unterschiede in der Verortung und Benennung bezogen auf die Variablen Herkunft, Alter und Geschlecht bestehen. Zweitens zeigen Grenzen einen hohen Einfluss auf die Verortung. Die belgischen GPn (Eupen) kartieren eher kleinräumiger und entlang der Grenze als die deutschen (Schleiden), was evtl. mit der Größe der deutschsprachigen Gemeinde zusammenhängt. Zudem scheint sich die Ausrichtung des

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lebensweltlichen Umfelds auf die deutsche Gemeinde und das bundesdeutsche Gebiet zu beziehen, da von den belgischen GPn keine Sprachräume außerhalb des deutschsprachigen Raums genannt und verortet wurden. Im Vergleich der beiden Staaten verorten die AGn der belgischen Gruppe immer über die Staatsgrenze hinaus. Bei der deutschen Gruppe kartiert jedoch nur die älteste Gruppe Sprachräume außerhalb des deutschen Bundesgebiets. Im Hinblick auf die Unterschiede in der Kartierung der beiden Geschlechter ist auffällig, dass weibliche GPn eher grenzüberschreitend verorten – und zwar deutsche und belgische gleichermaßen. Bei der Benennung der Sprachräume werden kaum dialektologische Fachtermini genutzt, da diese nicht auf die Umgebung referieren, die in der Lebenswelt der GPn eine Rolle spielen. Anders verhält es sich mit Bezeichnungen, die auf Bundesländer oder Städte referieren und somit einen lebensweltlichen Ausschnitt repräsentieren, der nicht nur an ein sprachliches Konzept, sondern auch an ein politisches und/oder kulturelles geknüpft ist. In Folgeuntersuchungen kann eine Analyse der Kommentare zu den jeweiligen eingezeichneten Sprachräumen Aufschluss über ihre interne Strukturierung geben und damit Aussagen zu Spezifika laienlinguistischer Kartierungen im Nahbereich ermöglichen. Zudem kann ein Abgleich der sprachlichen Produktionsdaten der GPn mit den mental maps erfolgen. Dadurch wird es möglich sein, die in der MIK produzierten Karten dahingehend zu bestimmen, ob die zur Abgrenzung herangezogenen Merkmale aufgrund autostereotyper Vorstellung genannt wurden oder ob es sich nicht vielmehr um die Übernahme eines vermuteten Heterostereotyps handelt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Rekodierung laienlinguistischer Wissensbestände im deutschen Sprachraum nach wie vor am Anfang steht. Die Ergebnisse dieses Bandes stellen Ausschnitte eines äußerst komplexen Forschungsgegenstands dar, der mehrheitlich noch aus ‚weißen Flecken‘ besteht. Erst nach und nach, mithilfe weiterer Projekte wird es möglich sein, diese terra incognita vollends zu kartieren.