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German Pages 184 [186] Year 2003
Jürgen Angelow Der Deutsche Bund
Geschichte kompakt Herausgegeben von Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Barbara Stollberg-Rilinger Beratung für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Walter Demel, Merith Niehuss, Hagen Schulze
Jürgen Angelow
Der Deutsche Bund
Wissenschaftliche Buchgesellschaft
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ISBN 3-534-15152-6
Inhalt Geschichte kompakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung
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I. Reform und Restaurationszeit 1815–1830 . . . . . . . . . . . . 1. Der Wiener Kongress und die Entstehung des Deutschen Bundes a) Der Wiener Kongress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutscher Bund und die frühe deutsche Nationalbewegung . c) Konstruktion, Grundgesetz und Funktionsweise des Bundes . 2. Das europäische Gleichgewicht und der Deutsche Bund im Zeitalter der Restauration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Außenpolitische Inkompetenz des Bundes . . . . . . . . . b) Die europäische Dimension des Bundes und das europäische Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherheitspolitik des Bundes und Bundeskriegsverfassung . d) Der deutsche Frühliberalismus und die Militärfrage . . . . . 3. Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage . . . a) Grundlagen der Verfassungsentwicklung nach 1815 . . . . b) Die deutschen Verfassungsstaaten . . . . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Konfessionen im Deutschen Bund . . . . . . . . . . . 4. Politische Strömungen, Kultur und Zeitgeist des Biedermeier . . a) Idealistische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konservativismus und Restaurationsideologie . . . . . . . . c) Liberalismus und Nationalbewusstsein . . . . . . . . . . . d) Kunst zwischen Privatheit und Nationalbewusstsein . . . . 5. Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung . . . . . . . a) Burschenschaften und Wartburgfest . . . . . . . . . . . . . b) Die Ermordung Kotzebues und die Karlsbader Beschlüsse . . c) Disziplinierung der Gliedstaaten und reaktionäre Wende . . d) Wiener Schlussakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 . . . . . . . . . . 1. Die Julirevolution und ihre Auswirkungen in den deutschen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Politisierung und Radikalisierung der deutschen Öffentlichkeit im Zuge der Julirevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Frankfurter Wachensturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Repressive Maßnahmen von Seiten des Deutschen Bundes . c) Politische Publizistik und „Junges Deutschland“ . . . . . . . d) Politische Emigranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bürgerliche Festkultur und Hambacher Fest . . . . . . . . . 3. Die internationalen und sicherheitspolitischen Auswirkungen der Julirevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 11 12 15 17 18 18 20 20 22 23 26 26 27 29 30 34 34 36 39 42 45 46 49 49 49 51 52 53 54
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Inhaltsverzeichnis a) Julirevolution und Deutscher Bund . . . . . . . . . . . . . b) Äußere Krisenherde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Militärverhandlungen und militärische Reformbestrebungen im Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834 a) Strukturelle Voraussetzungen für den Zollverein . . . . . . b) Verhandlungen zum Zollverein . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen des Zollvereins . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkurrierende zollpolitische Aktivitäten . . . . . . . . . . 5. Die „Rheinkrise“, die Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg sowie ihre nationalen und internationalen Auswirkungen . a) Von der Orient- zur „Rheinkrise“ . . . . . . . . . . . . . . b) Nationale Symbolik vom Rheinlied zum Kölner Dombaufest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Annexionsforderungen und militärdiplomatische Sondierungen im Zuge der „Rheinkrise“ . . . . . . . . . . . . . . . d) Annexion Krakaus und Schweizer Sonderbundkrieg . . . . III. Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 1. Das Heraufziehen der Revolution in den deutschen Staaten . . a) Soziale Spannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bürgerliches Selbstbewusstsein und Politisierung der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Deutsche Bund in der Revolution von 1848/49 . . . . . . a) Revolutionsbeginn und Selbstausschaltung des Bundes . . . b) Bundesexekution gegen Dänemark . . . . . . . . . . . . . 3. Die Revolution in den deutschen Einzelstaaten – Ziele, Zentren und Zäsuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfassungsfrage und nationale Frage . . . . . . . . . . . . . 5. Nachrevolutionäre Neuordnungsversuche . . . . . . . . . . . a) Preußische Unionspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Österreichisches 70-Millionen-Projekt (Schwarzenberg-BruckPlan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Dresdener Konferenz und Restitution des Deutschen Bundes . . a) Historischer Ort der Dresdener Konferenz . . . . . . . . . b) Die österreichische Verhandlungsposition . . . . . . . . . c) Die preußische Verhandlungsposition . . . . . . . . . . . d) Die Position der Mittel- und Kleinstaaten . . . . . . . . . . e) Zusammenhang von europäischem Konzert und deutscher Reformfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 . 1. Die innere Entwicklung in den Staaten des Deutschen Bundes zwischen 1850 und dem Beginn der 1860er-Jahre . . . . . . . a) Die „Reaktionszeit“ 1850–1858 . . . . . . . . . . . . . . b) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Mittelstaaten und der Bundestag . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 2. Der Krimkrieg und seine bundespolitischen Auswirkungen 1853– 1856 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beginn, Verlauf und Beendigung des Krimkrieges . . . . . . b) Der Deutsche Bund und seine Vormächte während des Krimkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der oberitalienische Krieg 1859 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbereitung, Ablauf und Folgen . . . . . . . . . . . . . . b) Der Deutsche Bund im oberitalienischen Konflikt . . . . . 4. Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr in den Staaten des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . a) Demographische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . b) Urbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Industrialisierung und Industrielle Revolution . . . . . . . . d) Entwicklung des Bankwesens . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verkehrsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands in den 1850er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geistesleben und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . b) Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Malerei, Grafik und Plastik . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Aufschwung der deutschen Nationalbewegung in den späten 1850er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Deutsche Nationalverein . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bedeutung des preußischen Heeres- und Verfassungskonfliktes (1862–1866) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Deutsche Reformverein . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Reformkonzepte Österreichs, der deutschen Mittelstaaten und Preußens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reformstau und „deutsche Frage“ . . . . . . . . . . . . . . b) Die deutschen Mittelstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . c) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der deutsch-dänische Konflikt 1863/64 . . . . . . . . . . . . a) Die Schleswig-Holstein-Frage, Europa und der Deutsche Bund b) Bundesexekution gegen Holstein . . . . . . . . . . . . . . c) Preußisch-österreichische Pfandbesetzung . . . . . . . . . d) Die Folgen des Wiener Friedens für den Deutschen Bund und die Nationalbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vom „Schönbrunner Entwurf“ zur „Konvention von Gastein“ 4. Bundesbruch und Bundesexekution gegen Preußen . . . . . . a) Die Inszenierung des Bundesbruchs durch Preußen . . . . b) Der Feldzug und die Entscheidung bei Königgrätz . . . . . c) Der deutsche und italienische Kriegsschauplatz . . . . . . d) Die deutschlandpolitischen Folgen des Feldzugs von 1866 . e) Die Bildung des Norddeutschen Bundes . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Personen- und Sachregister
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Geschichte kompakt In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muß sie suchen. (M. Bloch)
Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verläßlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen des Mittelalters und der Neuzeit verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind jüngere, in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissenstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Martin Kintzinger Uwe Puschner Barbara Stollberg-Rilinger
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Einleitung Die vorliegende Darstellung zur Geschichte des Deutschen Bundes vergegenwärtigt dem Leser in geraffter und verständlicher Weise sowohl den historischen Prozess (1815 bis 1866), seine Fakten und Zäsuren, als auch die wesentlichen Strukturmerkmale des Bundes und zeigt dabei zentrale Grundlinien seiner Entwicklung reflektierend auf. Da der Deutsche Bund seiner verfassungsmäßigen Konstruktion und seinem praktischen Dasein entsprechend als eine lockere politische Verknüpfung und defensive militärische Allianz der deutschen Gliedstaaten und freien Städte angesehen werden kann, liegt das Schwergewicht der historisch-chronologischen Darstellung naturgemäß auf einer Strukturierung und Deutung politischer Ereignisabläufe, die jedoch mit einer Beschreibung der wichtigsten wirtschaftlichen, handelspolitischen, geistig-kulturellen und militärischen Angelegenheiten verknüpft wird. Drei Problemkreise stehen im Mittelpunkt der folgenden Darlegungen und werden auch bei einer umfassenderen Neubewertung des Deutschen Bundes als Fixpunkte dienen: Zum einen wird das Problem der Nation und des Nationalstaates behandelt, die Frage nach der staatsrechtlich-politischen Existenzform der deutschen Nation, und – damit verbunden – die Angelegenheit des nicht spannungsfreien Verhältnisses von Bund und deutscher Nationalbewegung. Zum zweiten soll dem Problem des Föderalismus in der deutschen Geschichte nachgegangen werden, insbesondere der Frage nach dem Verhältnis von partikularen und zentralisierenden Faktoren im politischen Tagesgeschäft und gesellschaftlichen Modernisierungsprozess. Hierbei besteht das Paradoxon, dass der stets dezentrale Entscheidungen präferierende Bund durch koordinierendes Eingreifen unabsichtlich zentralisierend wirken konnte und zudem nebenbündischen Zentralisierungstendenzen innerhalb seiner Teilstaaten keinen wirksamen Riegel vorgeschoben hat. Schließlich stellt sich zum dritten die Frage nach der „Europatauglichkeit“ des Bundes, seinem Stellenwert im europäischen Ordnungs- und Gleichgewichtssystem sowie seinem Anteil bei der Eindämmung und Bewältigung von europäischen aber auch inneren Konfliktlagen.
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I. Reform und Restaurationszeit 1815–1830 18. 9./1. 11. 1814 14. 10.–16. 11. 1814 8./9. 6. 1815 11. 6. 1815 12. 6. 1815 26. 9. 1815 5. 11. 1816 18./19. 10. 1817 26. 5. 1818 18. 10. 1818 23. 3. 1819 6.–31. 8. 1819 20. 9. 1819 8. 11. 1819 25. 11. 1819–24. 5. 1820 26. 11. 1819 2. 1. 1820 15. 5./8. 7. 1820 20. 10./20. 12. 1820 26. 1./2. 5. 1821 18. 6. 1821 16. 8. 1824
Beginn und offizielle Eröffnung des Wiener Kongresses Verhandlungen des „Deutschen Komitees“ Verabschiedung der „Bundesakte“ sowie der „Schlussakte“ Abschluss des Wiener Kongresses Gründung der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ (Jena) Gründungsmanifest der „Heiligen Allianz“ Eröffnung des Bundestages in Frankfurt a. M. Wartburgfest Preußisches Zollgesetz Gründung der Deutschen Burschenschaft in Jena Ermordung August von Kotzebues durch Karl Ludwig Sand Ministerkonferenz in Karlsbad (Karlsbader Beschlüsse) Billigung der Karlsbader Beschlüsse durch den Bundestag Einrichtung der Zentraluntersuchungskommission gegen „demagogische Umtriebe“ (Mainz) Wiener Ministerialkonferenzen Auflösung der Jenaer Burschenschaft Verbot des Turnens in Preußen als „staatsgefährlich“ Verabschiedung und Annahme der „Wiener Schlussakte“ Troppauer Fürstenkongress (Interventionsprinzip) Monarchenkongress der Heiligen Allianz in Laibach (Interventionsbeschlüsse) Uraufführung der Oper „Der Freischütz“ in Berlin Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse
1. Der Wiener Kongress und die Entstehung des Deutschen Bundes a) Der Wiener Kongress Zwischen dem 18. 9. 1814 und dem 11. 6. 1815 wurde Wien zum Schauplatz des ersten Friedenskongresses der Neuzeit, der nicht der Beendigung eines Krieges sondern der Gestaltung einer Friedensordnung gewidmet
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Kongresskultur
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war. Dem Kongress wohnten Vertreter von ca. 200 Staaten, Städten und Herrschaften bei. Zahlreiche kulturelle Aktivitäten, wie Feuerwerke, Feldmessen, Artilleriemanöver, Hofjagden, Kammer- und Hofbälle, fürstliche Ballfeste, Volksfeste, Illuminationen und Konzerte, boten Zerstreuung und dienten der Selbstinszenierung wiederhergestellter fürstlicher Macht. Wien, dessen Bevölkerung 1815 ca. 265 000 Menschen zählte, die während des Kongresses um ca. 30 000 anstieg, erhielt bedeutende wirtschaftliche Impulse. Unterdessen standen die Kongressverhandlungen vor der Aufgabe, den politisch-territorialen Status quo Europas nach den gewaltsamen Veränderungen infolge der Revolutionskriege nach 1792 neu und möglichst dauerhaft zu ordnen. Neben der beispielhaft noblen Behandlung des geschlagenen Frankreichs kündeten die auf dem Kongress vorgenommene maßvolle Gewichtsverteilung, die vorsichtige Berücksichtigung bereits irreversibler Territorialveränderungen sowie die Zurückweisung übertriebener Forderungen der Sieger von Augenmaß und Rationalität. Freilich wurden ethnische Besonderheiten kaum in Rechnung gestellt und nationale Forderungen als „revolutionär“ zurückgewiesen. Dies und das Desinteresse der Delegierten an der latent züngelnden „orientalischen Frage“ machten bedeutsame Defizite des Kongresses aus. Territorialbestimmungen des Wiener Kongresses (Wiener Schlussakte 9. 6. 1815) Russland behielt Finnland (Eroberung von 1808/09) und Bessarabien (Eroberung 1806–12), gewann den größten Teil Polens (Kongresspolen), Preußen annektierte die Hälfte Sachsens, behielt Teile Polens (Großherzogtum Posen), erhielt Lauenburg (Entschädigung für Hannover), vergrößerte seine rheinischen Besitzungen und wurde dadurch Schutzmacht Deutschlands im Westen, Österreich verlor Belgien, Luxemburg und Vorderösterreich, behielt Teile von Polen (Galizien außer Krakau), gewann die Lombardei und Venetien und wurde Vormacht in Italien, Großbritannien behielt seine kolonialen Erwerbungen zwischen 1793 und 1814 (Kap-Provinz, Ceylon, Mauritius, Malta, Ionische Inseln und Helgoland u. a.), Frankreichs Grenzen von 1792 wurden anerkannt, es verlor alle Eroberungen der Revolutions- und napoleonischen Kriege sowie kleinere Kolonialbesitzungen (Mauritius), Schweden erhielt in Personalunion Norwegen (Kompensation für Finnland), Dänemark bekam Schwedisch-Pommern (Kompensation für Norwegen) und tauschte es mit Preußen gegen Lauenburg, die Niederlande wurden als Barriere-Staat durch die Vereinigung von Holland, Belgien und Luxemburg gestärkt, Spanien und Portugal wurden wieder hergestellt, die Schweiz blieb dauerhaft neutral, der Deutsche Bund entstand aus 35 Einzelstaaten (Preußen und Österreich nur mit ihren deutschen Gebieten) sowie vier freien Städten.
Der Kongress wurde nachträglich unzählige Male in bildhafter, musikalischer, literarischer und filmischer Form im Sinne des biedermeierlichen Zeitgeistes stilisiert. Das Vakuum, welches Revolution und Krieg hinterlassen hatten, wurde von den Zeitgenossen allzu bereitwillig von einem harmonisierenden Bild von Staat und Gesellschaft überdeckt, das den Interessen der Herrschenden und dem Ruhebedürfnis der bürgerlichen Schichten entsprach. Innere Harmonie, Glück und Ruhe, ergänzt durch das paternalistische Verhältnis von Fürst und Untertan, bildeten jenes Leitmotiv, das die Restaurationszeit beherrschte und später als Biedermeier verinnerlicht wurde. Doch das bereits von Karl Joseph Fürst de Ligne (1735–1814) kolportierte Bild des unentwegt Walzer tanzenden Kongresses („Der Kongress tanzt, aber er kommt nicht voran!“) war eine nachträgliche Legende: Mit
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Der Wiener Kongress und die Entstehung des Deutschen Bundes
I.
ihr kontrastiert einerseits die Ernsthaftigkeit, mit der – sogar hart am Rande eines Krieges – in der polnisch-sächsischen Frage verhandelt wurde. Andererseits setzte sich der Walzer erst später durch den Einfluss von Johann Strauß (Vater, 1804–1849) und Joseph Lanner (1801–1843) in Wien vollends durch. So beklagte der in russischen Diensten stehende Graf Carl Nostitz die Langweiligkeit der Tänze und die Abwesenheit des Walzers: „Jetzt fast nichts als Polonaisen, die von den alten Damen mit den großen Herren durch die Reihe der Zimmer abgetanzt werden.“
b) Deutscher Bund und die frühe deutsche Nationalbewegung Der Deutsche Bund war ein Produkt der Wiener Kongressverhandlungen. Vorderhand genügte er den Anforderungen der frühen deutschen Nationalbewegung nicht. Diese war äußerst heterogen, ideologisch unfertig und zunächst keineswegs in der Lage, den nationalen Gedanken über die ursprünglich erfasste bildungsbürgerliche Schicht auf sehr breite Kreise der Bevölkerung auszudehnen. Sie hatte sich im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft konstituiert und umfasste ein äußerst diffuses Spektrum unterschiedlicher nationaler Zielprojektionen. Neben der prononciert konservativen Richtung in Österreich, in der sich die romantische Erinnerung an das verflossene mittelalterliche deutsche Kaisertum mit patriotischen Impulsen der Befreiungszeit mischte, standen unterschiedliche föderative und gemäßigt liberale Vorstellungen. Radikal-nationalistische Ideen vertraten hingegen einige Vertreter des südwestdeutschen Liberalismus, vor allem aber Ernst Moritz Arndt, die Turnbewegung um Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) und die deutsche Burschenschaft (s. S. 34–35). Letztere wurde zum Kristallisationskern schwärmerischer intellektueller Absonderungen und Tyrannenmord-Phantasien, die sich namentlich an den Universitäten Jena und – inspiriert durch den dortigen Dozenten der Rechtswissenschaft, Karl Follen (1796–1840) – in Gießen ausbildeten. Entgegen den vielfach maßlosen Erwartungen und Wünschen der deutschen Nationalbewegung hatte der Wiener Kongress im Anschluss an den antinapoleonischen Befreiungskampf keine Neuordnung der Mitte Europas im Sinne eines zentralisierten nationalen Bundesstaates hervorgebracht. Gleichzeitig widersprach die Errichtung des Deutschen Bundes auch der Tradition des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, in dem über 300 weltliche und geistliche Herrschaften souverän – einschließlich dem Recht, Bündnisse mit fremden Mächten einzugehen – und in weitgehend dezentraler Struktur nebeneinander existiert hatten. Das nunmehr ins Leben gerufene Konstrukt war ein Kompromiss zwischen der vom Reichsfreiherrn vom Stein (1757–1831), Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und Karl August Fürst von Hardenberg (1750–1822) anfänglich favorisierten stärker bundesstaatlichen Lösung einerseits, dem fortwirkenden Souveränitätsbedürfnis Österreichs und der Mittelstaaten andererseits sowie schließlich der Kaiseridee der kleineren Bundesglieder. Es war ein Staatenbund mit bundesstaatlichem Beiwerk, gegenseitiger Beistands- und Besitzgarantie sowie Rechtsgleichheit – und gewiss alles andere als ein Zentral-
Heterogenität der Nationalbewegung
Deutscher Bund als Kompromiss
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830 punkt der deutschen Nationalbestrebungen, wie der Gesandte der Freien Stadt Bremen, Johann Smidt (1773–1857), nach den Wiener Verhandlungen in illusionärer Selbsttäuschung euphorisch vermeldete. Zwar knüpfte der in Wien aus der Taufe gehobene Bund an die tausendjährige föderalistische deutsche Überlieferung an, bedeutete aber – nach dem völligen Umbau und der Vereinfachung der deutschen Staatenwelt infolge der Schläge Napoleons (Mediatisierung und Säkularisation im napoleonischen Zeitalter), nach Reichsdeputationshauptschluss (1803), Rheinbund (1806) und Reichsauflösung (1806) – eben auch keine Wiederherstellung der alten vorrevolutionären Ordnung. Stattdessen fungierte er als eine „nationale Aushilfsklammer“, als „normensetzender Defensivverband“ und als „früher Versuch einer kollektiven, gesamteuropäischen Friedensordnung“ (Hellmut Seier). Durchaus noch unfertig, fand er Akzeptanz im Lager derjenigen, die wie der Göttinger Historiker Arnold Hermann Ludwig Heeren (1760–1842) und der ebenfalls in Göttingen lehrende Philosoph und Politikprofessor Georg Sartorius (1765–1828, ab 1827 Freiherr von Waltershausen) die Ansicht vertraten, dass sich die Beibehaltung der historisch gewachsenen Länderautonomien günstig auf die Bewahrung der verfassungspolitischen und kulturellen Vielfalt Deutschlands auswirken würde. Darüber hinaus bestand die Möglichkeit eines Weiterbaus des Bundes.
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Ernst Moritz Arndt (1769–1860), deutscher Dichter und Publizist, Professor für Geschichte in Greifswald (1805), schwedisches Exil (1806), Privatsekretär des Reichsfreiherrn vom Stein in Russland (1812), Propagandist des antinapoleonischen Befreiungskampfes mit nationalistischen Untertönen („Über den Volkshass“, 1813), Gegner der deutschen Bundesverfassung von 1815, Professor in Bonn (1815); nach den Karlsbader Beschlüssen (1819) wurde er im Rahmen der Demagogenverfolgungen vom Dienst suspendiert (1820), Rehabilitation durch Friedrich Wilhelm IV. (1840), Mitglied der Nationalversammlung (1848/49), Ruhestand (1854).
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Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), Pfarrerssohn, Studium der Theologie, Hauslehrer, war seit 1806/07 unermüdlich für die Befreiung tätig; er verfasste 1810 die deutschtümelnde Kampfschrift gegen die napoleonische Unterdrückung „Deutsches Volkstum“, war ab 1810 Initiator der deutschen Turnerbewegung in der Berliner Hasenheide zur körperlichen Vorbereitung auf den Befreiungskampf, trat 1813 in die Lützower Jäger ein; Nach 1815 nahm er die Turnübungen wieder auf, nach dem Attentat auf Kotzebue wurde sein Turnplatz im März 1819 gesperrt; Verhaftung wegen demagogischer Umtriebe im Juli 1819, Freilassung 1825, unter Polizeiaufsicht bis 1840, publizistische Tätigkeit: „Neue Runenblätter“ (1828), „Werke zum deutschen Volkstum“ (1833) u. a., Abgeordneter der Paulskirche 1848.
c) Konstruktion, Grundgesetz und Funktionsweise des Bundes Einstweilen blockierte der Deutsche Bund die von Preußen gewünschte Zweiteilung Deutschlands in durch die Mainlinie getrennte Hegemonialbereiche beider Großmächte (Preußen und Österreich) und schob ebenso trialistischen Projekten der deutschen Mittelstaaten oder stärker partikularistischen Vorstellungen der Kleinstaaten einen Riegel vor. Ein ausgespro-
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Der Wiener Kongress und die Entstehung des Deutschen Bundes
I.
chener Sinn für Rationalität und Proportionen sowie der Wunsch, ohnehin unvermeidbare Entwicklungen wenigstens mit Augenmaß und unter weitgehender Bewahrung organisch gewachsener Zustände zu vollziehen, erwiesen sich hierbei als maßgebend. Dies entsprach den Intentionen Klemens Fürst Metternichs und seines Mitarbeiters Johann Freiherr von Wessenberg (1773–1858), deren Verhandlungsposition mit der Verabschiedung der Deutschen Bundesakte vom 8. 6. 1815 schließlich weitgehend durchgesetzt wurde. Karl August Freiherr, ab 1814 Fürst von Hardenberg (1750–1822), preußischer Minister und Reformer, als Staatskanzler Leiter der preußischen Politik (1810– 1822), preußischer Vertreter auf dem Wiener Kongress (1814/15). Er setzte die Reformen des Reichsfreiherrn vom Stein im Bereich der Agrarverfassung, von Militär, Handel, Gewerbe, Steuern und Staatsfinanzen fort und modernisierte die zentralen Regierungsbehörden durch Einführung des Ministerialsystems und Schaffung eines Staatsrates (1817). Er akzeptierte rasch und widerstandslos die reaktionäre Wende nach den Karlsbader Beschlüssen (1819), stellte aber mit der Zollgesetzgebung (1818) gleichzeitig die Weichen für eine aktive Wirtschaftsund Handelspolitik sowie die umfassende Sanierung des Staatshaushaltes.
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Wilhelm von Humboldt (1767–1835), deutscher Gelehrter (Sprachforscher), Reformer und Diplomat, juristische Ausbildung, Resident am Vatikan (1801–1808), Geheimer Staatsrat im preußischen Innenministerium (1809–1810), Gründer der Berliner Reformuniversität (1810), Gesandter in Wien (1810–1815), betrieb maßgeblich den Eintritt Österreichs in die antinapoleonische Koalition (1813); Verfasser einer Denkschrift über die künftige Verfassung Deutschlands (1813), neben Hardenberg zweiter preußischer Vertreter auf dem Wiener Kongress (1814/15), preußischer Gesandter in London (1817–1819), nach den Karlsbader Beschlüssen (1819) als deren Gegner entlassen.
E
Danach umfasste der Deutsche Bund neben seinen beiden Vormächten, der das Präsidium des Bundes innehabenden österreichischen Monarchie im Südosten und Preußen im Norden, sieben Mittelstaaten – Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt und Kurhessen – sowie 30 Kleinstaaten und Freie Städte (Art. 1). Zweck des Bundes sollte die „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands“ sowie der „Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten“ sein (Art. 2). Indes bezog sich der Bundesvertrag nicht auf das gesamte Staatsgebiet aller am Bund beteiligten Glieder, sondern nur auf ein als „deutsch“ definiertes Bundesgebiet, dessen Grenze – der alten Reichsgrenze folgend – die Staatsgebiete Österreichs und Preußens durchschnitt und weite Teile beider Monarchien – Posen, Westpreußen und Ostpreußen sowie Ungarn (mit Kroatien), Galizien, Lombardo-Venetien, Dalmatien, Siebenbürgen und die Militärgrenze auf dem Balkan – als „bundesfremd“ einstufte. Umgekehrt wurden dem Bund außerhalb der deutschen Staaten liegende Gebietsteile der Niederlande und Dänemarks zugeschlagen, sodass deren Herrscher – und bis 1837 auch der britische König als Souverän von Hannover – ein Mitspracherecht in deutschen Angelegenheiten wahrnehmen konnten. Als zentrales Organ des Deutschen Bundes fungierte ein Gesandtenkongress, der regelmäßig am runden Tisch im Sitzungssaal des angemieteten
Konstruktion und Zweck des Bundes
Bundesorgane
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830
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Klemens Lothar Wenzel Fürst von Metternich (1773–1859), avancierte als pragmatisch denkender, kühl kalkulierender und geschickt taktierender Staatsmann zur unumstrittenen Leitfigur im staatlich-konservativen Milieu der Epoche zwischen 1815 und 1848 („System Metternich“). Er stammte aus rheinisch-reichsgräflicher Familie, studierte Jura, Staatswissenschaften, Geschichte, Naturwissenschaften und Medizin in Straßburg, Mainz und Wien (1788–94) und schloss sich den Ideen der Aufklärung an. Er war Gegner der Französischen Revolution, deren Exzesse er in Straßburg miterlebte; Einheirat in das Haus Kaunitz, nach diplomatischen Verwendungen in Dresden, Berlin und als kaiserlicher Botschafter in Paris österreichischer Außenminister (1809–1848); er hatte maßgeblichen Anteil an der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 durch Wiederanknüpfen an das Gleichgewichtsprinzip, trotz ursprünglicher Ablehnung der vom russischen Zaren als Glaubensbekenntnis formulierten Heiligen Allianz („lauttönendes Nichts“) änderte er dieselbe ab und befürwortete die Restaurationspolitik; Urheber der Karlsbader Beschlüsse 1819, Haus-, Hof- und Staatskanzler 1821, danach Verringerung seines Einflusses auf der europäischen Ebene (Kongress von Verona 1822, Julirevolution 1830) und in der österreichischen Innenpolitik (Ernennung des Grafen Kolowrat-Liebsteinsky (1778–1861) zum Staats- und Konferenzminister 1826). Er wurde während der Wiener Märzrevolution 1848 gestürzt und zur Emigration nach London gezwungen, Rückkehr nach Wien 1851.
Thurn und Taxis’schen Palais in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt a. M. unter außergewöhnlich bescheidenen äußeren Umständen und mit nur geringem bürokratischen Aufwand zusammentrat. Unter dem Vorsitz des österreichischen Präsidialgesandten, dem das Privileg einer Dienstwohnung im Obergeschoss des Palais und die Geschäftsführungskompetenz zustanden, tagte die Bundesversammlung seit ihrer ersten feierlichen Eröffnungssitzung am 5. November 1816 entweder im „Plenum“ oder – wie in den meisten Fällen – in Form des „Engeren Rates“. Im Plenum, das nur äußerst selten bei Beschlüssen über die Bundesakte oder die organischen Bundeseinrichtungen zusammentrat, war jedes Mitglied stimmberechtigt, wobei die größeren Staaten über je vier bzw. drei oder zwei Stimmen verfügten. Insgesamt wurden hier 69 Stimmen vergeben. Deren Verteilung und die vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit schlossen jedoch eine Majorisierung der kleineren Bundesglieder durch die beiden Vormächte und die vier Königreiche (Minorität von 28 Stimmen) aus. Dem Reputationsbedürfnis der kleineren Bundesglieder war ferner dadurch Rechnung getragen worden, dass jede Verfassungsänderung und jeder Eingriff in bleibende Landeseinrichtungen Einstimmigkeit verlangte. Der Bund war damit bereits strukturell in seiner Weiterentwicklung blockiert. Alle laufenden Geschäfte besorgte der Engere Rat, in dem außer Österreich und Preußen die vier Königreiche – Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg – sowie Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein und Luxemburg über je eine selbstständige so genannte Virilstimme verfügten. Die restlichen Bundesglieder teilten sich sechs Gesamtstimmen, die nur einheitlich abgegeben werden konnten (Kuriatsstimmen), wobei die stimmführenden Bundesbevollmächtigten turnusmäßig abwechselten (s. Tab. 1). Im Engeren Rat entschied die einfache Mehrheit, bei Stimmgleichheit der österreichische Präsidialgesandte.
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Der Wiener Kongress und die Entstehung des Deutschen Bundes
I.
Tab. 1: Stimmverteilung im Engeren Rat des Bundestages und Einwohnerzahl Einwohner Virilstimmen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.
Kaiserreich Österreich Königreich Preußen Königreich Bayern Königreich Sachsen Königreich Hannover Königreich Württemberg Kurfürstentum Hessen-Kassel Großherzogtum Baden Großherzogtum Hessen-Darmstadt Herzogtümer Holstein und Lauenburg Großherzogtum Luxemburg
9 482 227 7 998 499 3 560 000 1 200 000 1 305 351 1 395 462 567 868 1 000 000 619 500 360 000 255 628
Kuriatstimmen 12. Großherzogtum Sachsen-Weimar Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha Herzogtum Sachsen-Meiningen Herzogtum Sachsen-Altenburg 13. Herzogtum Braunschweig Herzogtum Nassau 14. Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz 15. Großherzogtum Oldenburg Herzogtum Anhalt-Dessau Herzogtum Anhalt-Bernburg Herzogtum Anhalt-Köthen Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt 16. Fürstentum Hohenzollern-Hechingen Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen Fürstentum Liechtenstein Fürstentum Reuß ältere Linie Fürstentum Reuß jüngere Linie Fürstentum Lippe-Detmold Fürstentum Schaumburg-Lippe Fürstentum Waldeck Landgrafschaft Hessen-Homburg 17. Freie Stadt Lübeck Freie Stadt Frankfurt a. M. Freie Stadt Bremen Freie Stadt Hamburg
201 000 136 000 115 000 98 200 209 600 302 769 358 000 71 769 220 718 52 947 37 046 32 454 45 117 53 937 14 500 35 560 5 546 22 255 52 205 69 062 24 000 51 877 20 000 40 650 47 850 48 500 129 800 30 166 437
(Nach der Matrikel von 1818; Quelle: Huber, Verfassungsgeschichte, 1, S. 128 f.)
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Doppelhegemonie
E
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Die Weisungsgebundenheit der Gesandten – das ständige Einholen von Instruktionen und das Abfassen von Berichten – führte zu einem schleppenden Geschäftsgang, der aber vor allem in den ersten Jahren des Bundes einzelne Akte selbständiger Willensbildung nicht von vornherein ausschloss. Daneben stellte sich bald die bereits von Humboldt erkannte Tatsache als bedeutsam heraus, dass der Bund bei seiner Tätigkeit auf den nirgends verbrieften Konsens seiner beiden Vormächte angewiesen war. Alle von Wien und Berlin ausgehenden Instruktionen sollten daher in Übereinstimmung verfasst werden. Diese Form einer Vorverständigung legte den natürlichen Dualismus der beiden deutschen Großmächte zumindest bis zur Revolution von 1848 weitgehend still. Sie führte zu einer im Grunde doppelhegemonialen Beaufsichtigung des Bundes, die die Spielräume der kleineren Bundesglieder beschnitt und folglich von Seiten der deutschen Mittelstaaten heftig kritisiert wurde. Den Absichten Metternichs entsprechend, enthielt die „Deutsche Bundesakte“ nur die wichtigsten „Grundzüge“, weitere Einzelheiten und organische Einrichtungen sollten späteren Übereinkünften vorbehalten bleiben. Die von Humboldt vorgeschlagene Darlegung der Freiheitsrechte unterblieb, stattdessen fand sich im Art. 13 lediglich der Passus, dass in „allen Bundesstaaten (…) eine landständische Verfassung stattfinden“ sollte. Da zentrale bürgerliche Grund- und Freiheitsrechte keinen Eingang gefunden hatten, setzte die harsche Kritik der national und freiheitlich denkenden Opposition sofort und unvermindert ein: National denkende Publizisten wie Joseph von Görres und Ernst Moritz Arndt zeigten sich tief enttäuscht und klagten mit leidenschaftlicher Emphase die „jämmerliche, unförmige, missgeborene (und) ungestaltete“ Bundesverfassung an. In einer Denkschrift (24. 6. 1815) sprach selbst Reichsfreiherr vom Stein – seinen überzogenen Erwartungshorizont offenbarend – von einer „fehlerhaften Verfassung“, die nur einen „sehr schwache(n) Einfluss auf das öffentliche Glück Deutschlands erwarten“ ließe. Diese frühzeitigen Missbilligungen unterschlugen freilich, dass auch nach 1815 noch viele Möglichkeiten eines verfassungsmäßigen Ausbaus fortbestanden. Joseph von Görres (1776–1848), deutscher Publizist und Gelehrter, anfänglich Bewunderer der Französischen Revolution, später deren leidenschaftlicher Hasser, Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ (1814), Kritiker des Wiener Kongresses und des Deutschen Bundes. Er plädierte für eine freiheitliche Verfassung in einem von Österreich geführten Großdeutschland (1816) und emigrierte nach dem Verbot des „Rheinischen Merkur“ in die Schweiz (1819), später war er Professor für Geschichte in München, Gründer der „Historisch-politischen Blätter“ (1838) zur Verteidigung des Katholizismus und seiner großdeutschen Ideen.
Europäisches Gleichgewicht und Deutscher Bund
I.
2. Das europäische Gleichgewicht und der Deutsche Bund im Zeitalter der Restauration a) Außenpolitische Inkompetenz des Bundes Genauso wie die innere war auch die äußere Stellung des Bundes nicht präzise umrissen: Zunächst bedeuteten sowohl die in der Bundesakte enthaltene Formulierung des Bundeszwecks, die innere und äußere Sicherheit Deutschlands sowie die Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten zu erhalten (Art. 2), als auch die Gewaltverzichts-, Besitzstands- und Verteidigungsgarantie (Art. 11) einen unleugbaren Fortschritt gegenüber den Verhältnissen vor 1806. Zwar hatten sich die Bundesglieder das Recht von Bündnissen aller Art vorbehalten, gleichzeitig aber Verbindungen ausgeschlossen, „welche gegen die Sicherheit des Bundes“ oder die einzelner Bundesstaaten gerichtet wären (Art. 11). Doch auch Mängel blieben evident: Zwar ließen sich fremde Mächte in Frankfurt a. M. diplomatisch vertreten, der Bund aber übte bis auf eine einzige Ausnahme (Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust auf der Londoner Konferenz 1864) kein aktives Gesandtschaftsrecht aus, obwohl Artikel 50 der Wiener Schlussakte vom 15. 5. 1820 der Bundesversammlung die Aufgabe zusprach, „als Organ der Gesamtheit des Bundes für die Aufrechterhaltung friedlicher und freundschaftlicher Verhältnisse mit den auswärtigen Staaten Sorge zu tragen“, beim Bund Gesandte anzunehmen, „in eintretenden Fällen“ Verhandlungen für die Gesamtheit des Bundes zu führen und Verträge mit fremden Mächten einzugehen. Diesem Anspruch legten sich freilich bedeutende Hindernisse in den Weg. Nicht nur, dass die einzelnen Bundesstaaten das aktive und passive Gesandtschaftsrecht auch weiterhin ausübten, sodass für gesonderte Initiativen des Bundes eigentlich gar kein Raum blieb; als europäische Großmächte hatten Österreich und Preußen auch kein Interesse an einem womöglich eigenständigen außenpolitischen Agieren des Bundes und unterbanden diesbezügliche Aspirationen frühzeitig. Zwar hatte Bayern darauf gepocht, dass wenigstens fremde Mächte ihre Noten an das Präsidium des Bundestages richten konnten, doch hatte der Bund formal auf die Ausübung des ihm zustehenden aktiven und passiven Gesandtschaftsrechtes verzichtet (12. 6. 1817), weshalb es eine Außenpolitik des Deutschen Bundes weder formal noch inhaltlich geben sollte. Zum einen sahen die Grundgesetze des Bundes auch für die Zukunft keine weitergehenden oder konkretisierenden Bestimmungen vor, weshalb ein die deutschen Einzelstaaten integrierendes und unterordnendes Organ, das ihre Gesamtinteressen nach außen hätte wahrnehmen können, ein Desiderat blieb. Zum anderen waren wesentliche inhaltlichen Positionen der einzelnen Bundesglieder auf außenpolitischem Gebiet durchaus nicht deckungsgleich, sodass außenpolitische Aktivitäten allein den stärksten Mitgliedern vorbehalten blieben. Und schließlich hätte sich eine außenpolitische Tätigkeit des Bundes nur schwer mit der völligen Souveränität und völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit seiner Gliedstaaten vereinbaren lassen. Der Deutsche Bund betrieb die außenpolitische Vereinheitlichung
Äußerer Zweck des Bundes
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Ohnmacht der kleineren Staaten
Deutschlands – wenn überhaupt – nur mit großer Vorsicht und unter genauer Beobachtung des faktisch gegebenen europäischen Rahmens (Hellmut Seier). Zwar gab es in den europäischen Hauptstädten neben der österreichischen und der preußischen diplomatischen Vertretung auch außenpolitische Vertretungen kleinerer deutscher Staaten, doch blieben diese bei den großen Entscheidungen meist vor der Tür. Wien und Berlin konnten das außenpolitische Agieren der deutschen Mittelstaaten nicht unterbinden, aber doch behindern. Bereits 1817 hatte sich der preußische Gesandte in München gegen den „Wahn“ der bayerischen Regierung ausgesprochen, sich „selbstgefällig wie in gleicher Kategorie mit den Hauptmächten“ zu stellen und partout die „Rolle einer europäischen Macht“ spielen zu wollen. Doch waren die deutschen Mittelstaaten auf den Kongressen nur als Beobachter zugelassen und oft so wenig informiert, dass die allgemeinen Verhandlungsgegenstände für sie in einen „dichten Schleier“ gehüllt blieben, wie der württembergische Teilnehmer des Kongresses von Aachen (1818), Oberst Bangold, beklagte. Vier Jahre später monierte der württembergische Außenminister Georg Ernst Graf von Wintzingerode (1752–1834), dass er ohne jede Kenntnis der Absichten der zum Kongress von Verona (1822) versammelten Teilnehmer wäre. Dadurch müsse der „Verzicht auf jede Teilnahme an den Kombinationen der großen europäischen Politik“ zu den Grundlagen der Staatspolitik seines Landes gehören. Auch der Versuch Württembergs, über den russischen Zaren mehr Informationen zu erhalten, scheiterte. Völlig realistisch formulierte dagegen der Bürgermeister Bremens und Wortführer der Hansestädte im Bund, Johann Smidt, im April 1824 die Einsicht, dass die mindermächtigen Bundesglieder den Gang der europäischen Politik lediglich zu beobachten hätten, um ihre Schritte bei der „Aufrechterhaltung des Bundeszwecks darnach mit größerer Einsicht und Umsicht regeln zu können.“ Ein solches Verfahren führte immerhin dazu, die Bemühungen der beiden Vormächte, den Bund für ihre eigenen äußeren Absichten zu mobilisieren, in der Regel misslingen zu lassen.
b) Die europäische Dimension des Bundes und das europäische Gleichgewicht Mit der Verabschiedung der Deutschen Bundesakte als Bestandteil der Wiener Kongressakte wurde der Bund auch formell Bestandteil jenes umfassenden, auf Europa bezogenen Staatensystems, das dem Prinzip des Gleichgewichts der europäischen Mächte verpflichtet war. Als Bestandteil und Mittelstück dieses Gleichgewichtssystems nahm er eine defensive, den Status quo bewahrende und mögliche Konflikte dämpfende Aufgabe wahr. Ein wesentliches Kriegsziel der antinapoleonischen Koalition war die Wiederherstellung des europäischen Staatensystems gewesen, in dem sich – wie vor 1789 – die fünf tonangebenden europäischen Großmächte (Russland, Großbritannien, Österreich, Preußen und Frankreich) in einem Gleichgewichtszustand befanden und danach strebten, Konflikte möglichst friedlich beizulegen oder wenigstens nicht zum Krieg eskalieren zu lassen. Die bis zum Frieden von Lodi (1454) zwischen fünf italienischen Mittel-
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Europäisches Gleichgewicht und Deutscher Bund staaten (Mailand, Venedig, Florenz, Neapel und Kirchenstaat) zurückzuverfolgende Gleichgewichtsidee war Ausdruck neuzeitlichen Friedensdenkens. Philosophen und Völkerrechtler wie Hugo Grotius (1583–1645), Thomas Hobbes (1588–1679), Samuel Freiherr von Pufendorf (1632–1694) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hatten sie weiterentwickelt. Die Idee war auch durch Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft, insbesondere durch die klassische Mechanik, inspiriert worden. Als Bestandteil des Staats- und Völkerrechts hatte die Gleichgewichtsidee, zum Prinzip erhoben, die europäische Politik zwischen dem Westfälischen (1648) und dem Utrechter Frieden (1713) sichtbar beeinflusst und danach bis zur Französischen Revolution (1789) nachhaltig bestimmt. Als politisches Axiom zur Abwehr napoleonischen Hegemonialstrebens war sie 1806 von Friedrich von Gentz aufgegriffen und in den Wiener Verhandlungen (1814/15) allseits akzeptiert worden. Friedrich von Gentz (1764–1832), seit 1785 im preußischen Staatsdienst, avancierte vom Anhänger zum Gegner der Französischen Revolution; Übersetzer der Schrift Edmund Burkes (1729–1797) „Reflections on the Revolution in France“ (1790); er trat für die Zurückweisung der französischen Hegemonie und die Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts ein („Fragmente aus der neuesten Geschichte des Politischen Gleichgewichts in Europa“, St. Petersburg 1806), war Verfasser der österreichischen Kriegsmanifeste gegen Napoleon, Mitarbeiter Metternichs (1810–1832), Verfechter konservativ-legitimistischer Prinzipien und „Sekretär Europas“ auf dem Wiener Kongress 1814/15. Er war maßgeblich an der Etablierung des „Wiener Systems“ (1815–1822) und der „Wiener Ordnung“ (1815–1856) beteiligt, nach der Julirevolution (1830) lehnte er eine gegenrevolutionäre Intervention ab und wandte sich liberalen Gedanken zu.
I. Gleichgewichtsidee
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Statt einer europäischen Universalmonarchie oder Hegemonialmacht sollte nach 1815 wiederum ein System vorherrschender (präponderierender) Mächte den Territorialbestand der europäischen Staatenwelt sichern. Nach dem Sieg über Napoleon aber konnte es auf dem Wiener Kongress eine einfache Rückkehr zum Staus quo ante nicht mehr geben: Zum einen waren die territorialen Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorhanden, denn der Wiener Kongress hatte die europäischen Großmächte in eine neue Kräftebalance entlassen. Nicht mehr Frankreich verfügte über die stärkste Machtstellung auf dem Kontinent, sondern Russland, dessen Zuwachs zu Lande dem britischen zur See entsprach. Beide Flügelmächte, „Bär und Walfisch“, steckten von nun an jenes Kräftefeld ab, das polarisierend auf die übrigen europäischen Großmächte wirkte. Die Konflikte der Großmächte wurden auf Konferenzen der Botschafter oder Kongressen von Staatsoberhäuptern besprochen, ein Mechanismus, der als „Europäisches Konzert“ bezeichnet wird. Zum anderen war durch die Erfahrung der Französischen Revolution der Beweis angetreten worden, dass die revolutionäre Mobilisierung einer Gesellschaft ungeheure Potenziale freisetzen konnte, weshalb diese in der Zukunft besser unterbleiben sollte. Da ein großer Krieg zwischen den Mächten wiederum zu einem Ausbrechen des „revolutionären Vulkans“ hätte führen können, stand die Abwehr revolutionärer Tendenzen durch das europäische Staatensystem im Mittelpunkt gemeinsamer Bemühungen. Es war das jeder Institution innewohnende Interesse an Selbsterhaltung, das den großen Staatenkrieg als systemsprengend per-
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Pentarchie, Quadrupelallianz, Heilige Allianz
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14
horreszierte und die Erhaltung des Friedens zum Schutz des bestehenden Gefüges bedeutend aufwertete. Das Interesse an Selbsterhaltung und Friedenssicherung zog eine Instrumentalisierung der Staatenbeziehungen nach sich: Während die Versammlung der fünf Großmächte, die so genannte Pentarchie (Russland, Großbritannien, Frankreich, Österreich und Preußen) nach dem Kongress von Aachen (1818) mit Hilfe ihrer Interessenausgleichs- und Konfliktregelungskompetenzen immer dann einschritt, wenn revolutionäre Umbrüche oder irredentistische Bewegungen in Europa Machtverschiebungen hervorzurufen drohten, sicherten sich die vier Signatarmächte (Russland, Österreich, Großbritannien und Preußen) des antinapoleonischen Bündnisvertrages von Chaumont (1. 3. 1814) sowie der Pariser Friedensschlüsse (1814/15) als so genannte Quadrupelallianz gegen einen erneuten revolutionären Ausbruch in Frankreich ab. Die drei konservativen „Ostmächte“ – oder auch „Kernmächte der Heiligen Allianz“ – (Russland, Österreich und Preußen) hingegen verband das gemeinsame Interesse an der Unterdrückung der polnischen Nation sowie der nationalen Bestrebungen in Italien und auf dem Balkan, weshalb sie auf der Grundlage des nebulösen Gründungsmanifestes der „Heiligen Allianz“ bis zu deren Bruch (1854) als Ordnungshüter in Erscheinung traten. Nach dem Wiener Kongress übernahm Österreich im Süden (Italien) und Südosten Europas (Balkan) eine zentrale Ordnungsfunktion, Preußen dagegen die Verteidigung der deutschen Westgrenze im Falle einer erneuten Revolutionierung des im „Europäischen Konzert“ (1815–1914) wieder akzeptierten Frankreichs. Das europäische Gleichgewicht blieb im 19. Jahrhundert im Wesentlichen intakt, auch wenn es politisch-territoriale Veränderungen, wie die deutsche und die italienische Nationalstaatsbildung oder territoriale Verschiebungen auf der Balkanhalbinsel, hinnehmen musste. Erst im Vorfeld des Ersten Weltkrieges wurde die Gleichgewichtsidee infolge der sich verfestigenden Bündnisstrukturen (Dreibund und Triple-Entente) obsolet. Das Gründungsmanifest der „Heiligen Allianz“ (26. 9. 1815) war vom russischen Zaren Alexander I. (1777–1825) als religiös fundierte Maxime politischen Handels entworfen und von Metternich redigiert worden. In ihm gingen Alexander I., Kaiser Franz I. von Österreich (1768–1835) und Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770–1840) die Verpflichtung ein, sich zur Erhaltung der bestehenden politischen Ordnung jederzeit und an jedem Ort Beistand, Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Frankreich trat der Heiligen Allianz am 19. 11. 1815 bei. In der Folge vollzog die Mehrheit der europäischen Staaten den Beitritt. Nur Großbritannien, die Pforte und der Heiligen Stuhl vermieden einen formellen Anschluss. Doch während das Gründungsmanifest im völkerrechtlichen Sinne nur ein politisch unverbindliches Glaubensbekenntnis war, wurde es von den drei konservativen „Ostmächten“ zur Grundlage einer militanten Durchsetzung restaurativer außenpolitischer Ziele (Interventionsprinzip) sowie gegenseitiger innenpolitischer Einflussnahme stilisiert.
Europäisches Gleichgewicht und Deutscher Bund
I.
c) Sicherheitspolitik des Bundes und Bundeskriegsverfassung Nach den Erschütterungen infolge der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege galt es im europäischen Maßstab, allen hegemonialen Aspirationen vorzubeugen, weshalb eine größere Machtverdichtung des mitteleuropäischen Raumes oder die Inanspruchnahme des Bundes für weitergehende außenpolitische Ziele durch wen auch immer ausgeschlossen sein sollte. Somit bildete die Begrenzung der deutschen Machtpotenziale in Form der zwischen 1817–22 verhandelten Bundeskriegsverfassung mit ihrem geringen Mobilisierungsgrad, den langen Aufmarschzeiten und der nur mäßigen Vereinheitlichung des deutschen Wehrpotenzials eine notwendige Voraussetzung für die gewünschte Machtbalance auf dem europäischen Kontinent. Als Minimalvorsorge für denkbare Kriegsfälle ging von ihr keine Bedrohung für andere Mächte aus. Auch von ernsthafter militärischer Zentralisation oder Machtentfaltung konnte keine Rede sein. Gravierende sicherheitspolitische Entscheidungen – so die Frage nach Krieg oder Frieden – unterlagen kollektiver Willensbildung, waren von der mehrheitlichen Zustimmung der einzelnen Regierungen abhängig, komplizierten Regelmechanismen und schleppenden Geschäftsabläufen (zwischen den Gliedstaaten, der Bundesversammlung, dem Bundesmilitärausschuss sowie der Bundesmilitärkommission) unterworfen. So war die Sicherheitspolitik des Bundes durch dessen föderalistisch-dezentrale Konstruktion bereits in struktureller Hinsicht eindeutig defensiv vorgeprägt. Die Oberbefehlshaberregelung entsprechend den Näheren Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung (12. 4. 1821 u. 11. 7. 1822) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 121–128
Bundeskriegsverfassung
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§ 44. Der Oberfeldherr wird jedes Mal, wenn die Aufstellung des Kriegsheeres beschlossen wird, von dem Bunde in der engeren Versammlung erwählt. § 47. Der Oberfeldherr verhält sich zum Bunde, wie jeder kommandierende General zu seinem Souverän; die Bundesversammlung ist daher seine einzige Behörde, welche mit ihm durch einen aus ihr gewählten Ausschuss in Verbindung steht. § 48. Der Oberfeldherr wird von der Bundesversammlung in Eid und Pflicht des Bundes genommen; er erhält von derselben allein Vollmachten und Befehle, auch in besonderen Fällen spezielle Instruktionen: er erstattet an dieselbe seine Berichte unmittelbar. § 49. Wenn der Oberfeldherr in Eid und Pflicht genommen ist, und seine allgemeine Instruktion von der Bundesversammlung erhalten hat; so bleibt es ihm allein überlassen, den Operationsplan nach seiner Ansicht zu entwerfen, auszuführen und abzuändern, wie es die Umstände fordern. (…) § 50. Erst dann, wenn er nach getroffenen Einleitungen zur wirklichen Ausführung geschritten sein wird, ist er verpflichtet, der Bundesversammlung die Umrisse seines Operationsplans vorzulegen. (…)
Daneben resultierten weitere unfreiwillig friedensfördernde Effekte aus der Diskrepanz zwischen dem nicht allzu hohen Anspruch der Kriegsver-
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I.
Reform und Restaurationszeit 1815–1830 Tab. 2: Zusammensetzung des Bundesheeres nach der Bundeskriegsverfassung 1822 Armeekorps
1–3 4–6 7 8
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10
Bundesstaat
Österreich Preußen Bayern Württemberg, Baden, Großherzogtum Hessen, Hohenzollern-Hechingen, Liechtenstein, Hohenzollern-Sigmaringen, Hessen-Homburg, Frankfurt a. M. Sachsen, Kurhessen, Luxemburg, Nassau, Weimar, Gotha, Coburg, Meiningen, Hildburghausen, Dessau, Köthen, Sondershausen, Rudolstadt, beide Reuß Hannover, Holstein, Braunschweig, beide Mecklenburg, Oldenburg, Waldeck, beide Lippe, Lübeck, Bremen, Hamburg
Gesamtkontingent
davon Infanterie
davon Kavallerie
davon Artillerie
94 822 79 234 35 600
73 501 61 418 27 595
13 546 11 319 5 086
6 827 5 705 2 563
31 385
24 326
4 485
2 259
31 730
24 596
4 532
2 285
28 866
22 377
4 122
2 078
(Quelle: Angelow, Wien, S. 324 f.)
Ansätze einer militärischen Integration
16
fassung und der fiskalischen Zwängen unterworfenen militärischen Realität in den meisten kleineren deutschen Einzelstaaten. Auch blieb die Frage nach einem einheitlichen Oberbefehlshaber für das Bundesheer in Friedenszeiten ungeklärt und aufgrund des preußisch-österreichischen Dualismus praktisch auch unlösbar. Daher erwiesen sich in Krisensituationen vor allem solche Verteidigungsprojekte als lebensfähig, die unter Umgehung der Bundeskriegsverfassung auf der Teilung des Bundesheeres und des Oberbefehls bzw. auf preußischer Mehrleistung und dem daraus abgeleiteten preußischen Oberbefehl über alle nichtösterreichischen Bundeskontingente basierten. Trotz aller Einschränkungen ging von den gemischten Armeekorps des Bundesheeres sowie von den zuletzt fünf Bundesfestungen mit ihren gemischten Besatzungen eine, wenn auch begrenzte, national-integrierende Wirkung aus. Zweifellos barg die Bundeskriegsverfassung und die der Bundesverfassung innewohnenden Möglichkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik des Bundes die Chance einer stärkeren politisch-militärischen Verklammerung der entstehenden Nation in sich. Doch diese Chance wurde nur in Ansätzen ergriffen. Das konzipierte Bundesheer war ein Kontingentsheer. Es setzte sich aus sieben ungemischten (I.–III. Armeekorps: Österreich, IV.–VI. Armeekorps:
Europäisches Gleichgewicht und Deutscher Bund
I.
Preußen, VII. Armeekorps: Bayern) sowie drei gemischten Armeekorps (VIII. Armeekorps: Württemberg, Baden, Großherzogtum Hessen; IX. Armeekorps: Sachsen, Kurhessen, Nassau, Limburg; X. Armeekorps: Hannover, Braunschweig, Holstein und Lauenburg, beide Mecklenburgs, Oldenburg, Lübeck, Bremen, Hamburg) zusammen, deren Integrationsgrad nur schwach ausgeprägt war. Die kleinsten Bundesglieder bildeten ab 1831 die militärisch weitgehend unbrauchbare Reserveinfanteriedivision. Das einfache Kontingent des Bundesheeres umfasste zunächst 301 637 Mann, konnte aber bei Gefahr durch Reserven aufgefüllt werden. Mit der Revision der Bundeskriegsverfassung 1855 wurde die Heeresstärke dem Bevölkerungswachstum und den gewandelten sicherheitspolitischen Bedingungen angepasst und betrug nun 506 725 Mann. Neben dem Heer waren die Bundesfestungen für den Schutz der deutschen Westgrenze vorgesehen. Sie bildeten eine Ergänzung zu den preußischen und bayerischen Fortifikationen am Rhein. Zunächst wurden Mainz, Luxemburg und Landau zu Bundesfestungen bestimmt. Nach der „Rheinkrise“ (s. S. 68–73) traten die Neubauten in Ulm und Rastatt hinzu.
d) Der deutsche Frühliberalismus und die Militärfrage Obwohl auch für die frühen deutschen Liberalen die Integrität des Bundesgebietes ein unverrückbares Axiom darstellte, hielten sie die Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung für durchaus nachbesserungsfähig. Ausgehend von der Vision eines „Volkes in Waffen“ unterwarfen sie die bestehenden Militärverfassungen einer prinzipiellen Kritik und forderten eine Einschränkung adlig-monarchischer Vorrechte in den Heeren, den Verfassungseid des Militärs, eine Reform des Kadettenwesens und der Militärgerichtsbarkeit sowie eine Verkürzung der Dienstzeiten. Die Kritik am vorherrschenden Konskriptionssystem, der Einberufung von in Listen erfassten Wehrpflichtigen nach Losentscheid und zahlreichen Dienstbefreiungen, (neben der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen und Söldnerwerbung in den freien Städten) hatte der liberale Publizist und Politiker sowie Mitherausgeber des „Staatslexikons“ Carl von Rotteck (1775–1840) bereits 1816 in seiner Schrift „Über stehende Heere und Nationalmiliz“ in programmatischer Weise angesprochen. Rotteck hatte die Abschaffung der stehenden Heere gefordert, deren innere, machterhaltende Funktion er deutlich herausstrich. An ihre Stelle sollte eine „ständige Nationalwehr“ treten, die sich durch freiwillige Werbung rekrutieren würde. Dieses Modell einer Bürgerwehr korrespondierte mit den verfassungspolitischen Zielsetzungen des deutschen Frühliberalismus, kam dem Prinzip der Volksbewaffnung (Form der Schweizer Miliz) sehr nahe und stellte das Gegenmodell zum fürstlich-absolutistischen Militär dar. Carl von Rotteck Über stehende Heere und Nationalmiliz, Freiburg i. Br. 1816 Der Soldat ist gewohnt, nicht dem Gesetz, oder der unsichtbaren, moralischen Macht, sondern dem persönlichen Befehl und der Zwangsgewalt zu gehorchen, ja der Letzteren als vorzügliches Werkzeug dienstbar zu sein. (…) Die Gewalt allein
Liberale Militärkritik
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 ist es, welche er ehrt; und er wird, je nach den Umständen, entweder knechtisch ergeben, oder übermütig und trotzend sein. In einem militärischen Staat, demnach vor allen (…) die Konskription besteht, muss die Liebe und die Achtung des Rechtes schwinden. Denn hier sieht man allenthalben die Gewalt statt des Rechtes herrschen, und die Appellation an das Letztere für Feigheit oder für Verbrechen gelten. Ein weiterer Charakterzug des Soldaten ist die Arbeitsscheue. Denn Müßiggang ist sein Leben – die vorübergehenden Anstrengungen abgerechnet, welche im wirklichen Krieg die Leidenschaft oder die Not gebietet – und die Neigung zum Müßiggang bringt er mit, wenn er zurück ins bürgerliche Leben kehrt. Durch die Konskription wird die gesamte Jugend, demnach allmählich das ganze Volk mit dieser Pest behaftet, deren klägliche Folgen, zumal auf die allgemeine Verschlechterung des Charakters, zu schildern wohl überflüssig ist. (…)
3. Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage a) Grundlagen der Verfassungsentwicklung nach 1815
Verfassungen der Restaurationszeit
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Anders als auf außenpolitischem Gebiet entfaltete der Deutsche Bund nach 1815 gerade auf dem Feld der inneren Politik eine intensive Tätigkeit, wobei die Zurückweisung der liberalen und konstitutionellen Bewegung im Vordergrund stand. Angeregt von den Ideen der Restauration, und damit jeder fürstlichen Machtminderung abgeneigt, wirkte die Bundesversammlung unter dem Einfluss Metternichs namentlich gegen die Verfassungsidee, die in einigen deutschen Staaten bereits verwirklicht worden war und weiter um sich griff. Verfassungen setzten sich während der Restaurationszeit zunächst im süd- und mitteldeutschen Raum durch. Sie hatten verschiedene Wurzeln und orientierten sich sowohl an der französischen Aufklärung, zunehmend auch am englischen Modell, als auch an der deutschen idealistischen Philosophie. Ihnen war das praktische Bestreben eigen, die partikularen Staatswesen im Anschluss an die administrative Integration auch im Sinne eines parlamentarisch-repräsentativen Mitwirkens zu stabilisieren und ihnen durch die Befestigung eines genuinen Staatsbewusstseins einen natürlichen Mittelpunkt zu verleihen. Es handelte sich um Staatsgrundgesetze, in denen monarchische Besitzansprüche gegenüber dem Staat abgeschafft und die Einheit und Unteilbarkeit des Staates sowie seine Souveränität definiert wurden. Fortan sollten die Fürsten über den Staat und seine Verfassung nicht mehr willkürlich verfügen können. Ungeachtet zahlreicher Sonderrechte, die ihnen die staatliche Initiative, die Kontrolle der Exekutive und weitgehende Vollmachten im Falle eines Verfassungskonfliktes übertrugen, gingen diese doch ihrer Eigentümerfunktion am Staat verlustig und wandelten sich so zu Staatsoberhäuptern. An die Stelle des absolutistischen Staates trat Zug um Zug der bürokratisch-monarchische Obrigkeitsstaat. Seine idealtypische Verfassung führte eine angehende Repräsentation des Volkes in Form von Ständevertretungen, Kammern oder Landtagen ein. In diesen Vertretungskörperschaften verfügten die Abgeordneten bereits vielfach über freie Mandate. Doch auch die Traditionen des alten Ständestaates mit seiner Privilegierung des Klerus und des Adels wirkten vielfach weiter und spiegelten somit die so-
Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage
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ziale Realität der deutschen Einzelstaaten wider. Angesichts der fortwirkenden politischen Vorrangstellung des Adels war überall ein Oberhaus bzw. eine erste Kammer eingerichtet worden, der außer in Baden erbliche oder vom Monarchen berufene Mitglieder angehörten, die meist adlig waren. Darunter fielen hohe Beamte und Spitzenmilitärs, zum Teil auch Vertreter der Kirchen und der Universitäten. Durch diese Einrichtung fanden die ständischen Privilegien des Adels Eingang in das moderne Verfassungsleben, wurden aber gleichzeitig in konstitutionelle Formen überführt. Auch die zweiten Kammern waren zunächst vorwiegend durch prozentuale Restriktionen nach Ständen, Ämtern bzw. Stadt oder Land reglementiert. Zum Ausschluss von Frauen vom Wahlrecht traten noch die Beschränkungen des Zensuswahlrechts, das Grundbesitz oder eine bestimmte Steuerleistung voraussetzte. Hinzu kamen vielerorts Einschränkungen des passiven Wahlrechts durch indirekte Wahlverfahren über „Urwähler“ und „Wahlmänner“. Die Kammern wurden vom Monarchen einberufen, vertagt oder aufgelöst. Sie traten periodisch zusammen, um über Gesetzesvorlagen oder die Bewilligung von Steuern zu beraten. Darüber hinaus verfügten sie über das Petitionsrecht und konnten Beschwerden oder Wünsche vorbringen. In Württemberg hatten sie sogar das Recht, den Staatshaushalt zu bewilligen. Verfassungsstruktur der deutschen Staaten 1814–48 Quelle: Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 656 f.
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Erlass neuer Verfassungen (teils landständische Verfassungen mit Bevorzugung bestimmter Berufsstände unter Ausschluss der niederen Volksschichten, teils altständisch ausgerichtete Verfassungen mit Sitzverteilung zugunsten der bevorzugten Geistlichkeit sowie des Adels): Nassau (1./2. 9. 1814), Schwarzburg-Rudolstadt (8. 1. 1816), Schaumburg-Lippe (15. 1. 1816), Waldeck (19. 4. 1816), Sachsen-Weimar-Eisenach (5. 5. 1816), Sachsen-Hildburghausen (19. 3. 1818), Bayern (26. 5. 1818), Baden (22. 8. 1818), Liechtenstein (9. 11. 1818), Württemberg (25. 9. 1819), Hannover (7. 12. 1819, 26. 9. 1833, 6. 8. 1840), Braunschweig (25. 4. 1820, 12. 10. 1832), Hessen-Darmstadt (17. 12. 1820), Sachsen-Coburg (8. 8. 1821), Sachsen-Meiningen (4. 9. 1824), Hessen-Kassel (5. 1. 1831), Sachsen-Altenburg (29. 4. 1831), Holstein (28. 5. 1831), Sachsen (4. 9. 1831), Hohenzollern-Sigmaringen (11. 7. 1833), Lippe (6. 7. 1836), Schwarzburg-Sondershausen (24. 9. 1841), Luxemburg (12. 10. 1841). Übernahme altständischer Verfassungen: Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz (Erbvergleich 1755), Hohenzollern-Hechingen (Landesvergleich 1796), Anhaltinische Herzogtümer (Landtagsabschied 1625), Reuß ältere und jüngere Linie (Erbvereinigung 1668). Altständisch-patrizische Stadtverfassungen: Lübeck (19. 3. 1813), Hamburg (27. 5. 1814), Bremen (20. 3. 1816, 11. 12. 1818), Frankfurt a. M. (19. 7. 1816, 18. 10. 1816). Länder ohne landständische Verfassungen: Österreich (ständische Verfassungen für die einzelnen Landesteile), Preußen (provinzialständische Vertretungen), Oldenburg, Hessen-Homburg.
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830
b) Die deutschen Verfassungsstaaten
Landständische und Repräsentativverfassungen
Die ersten deutschen Verfassungsstaaten waren Nassau (1814), Schwarzburg-Rudolstadt (1816), Schaumburg-Lippe (1816), Waldeck (1816), Sachsen-Weimar (1816), Sachsen-Hildburghausen (1818), Bayern (1818), Baden (1818), Lippe-Detmold (1819), Württemberg (1819) sowie HessenDarmstadt (1820). Bei ihnen verlief die Grenze zwischen landständischen und Repräsentativverfassungen (mit breiter Vertretung des Volkes) durchaus noch recht fließend, wobei die badische Verfassung (Zweikammersystem mit ständischer Steuerbewilligungs- und Gesetzgebungskompetenz, Beschwerderechte und Ministeranklage) den konstitutionellen Ideen am weitesten entgegen kam. Oft wurde sogar an altständische Traditionen angeknüpft, wie etwa im württembergischen Verfassungsvertrag, der eine im Grunde absolutistische Beamtenregierung vorsah, oder in den Verfassungen Sachsens und Hannovers. Einige kleinstaatliche Verfassungen, wie die in Sachsen-Weimar, suchten sogar das ständisch-patrimoniale Staatsrecht der vorrevolutionären Ära wiederherzustellen. Während die landständischen Verfassungen ein Minimum an ständischen Rechten gewährten (Mitberatung von Gesetzen, die die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte der Bürger betrafen, Steuerbewilligung, Beschwerdeführung über Mängel der Landesverwaltung, Schutz der Verfassung gegen Willkürakte der Landesherren), bezweckte die repräsentative Verfassung die politische Mitverantwortung und Mitgestaltung der Staatsbürger, wodurch sie einen die Gesellschaft mobilisierenden Einfluss hatte. Indes wurden die Staatsbürger bereits durch die halbkonstitutionelle Verfassungspraxis zu staatlichem Denken und Handeln erzogen, sodass diese frühen deutschen Verfassungen letztlich eine Zwischenstufe auf dem Weg vom traditionellen Ständewesen zum modernen Repräsentativsystem darstellen.
c) Österreich
Altgewachsene Staatsstruktur
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Ganz anders entwickelte sich die Verfassungsfrage in Österreich. Dessen alteuropäischer Charakter einer „monarchischen Union von Ständestaaten“ (Otto Brunner) hätte jeder verfassungsmäßigen Entwicklung durch Einführung von Vertretungskörperschaften große Risiken und Hindernisse auferlegt. Nachdem bereits im 18. Jahrhundert zentralisierende Bestrebungen unter Kaiser Joseph II. (1741–1790) ins Leere gelaufen waren, begann sich die österreichische Herrschaftselite und Bürokratie mit der administrativen Heterogenität abzufinden und den Gedanken eines übernationalen Staatswesens zu entwickeln, in dem eine friedliche Koexistenz der verschiedenen historisch gewachsenen Länder und Völker bei gleichzeitiger Dominanz des deutschen Elements in Staat, Militär und Verwaltung möglich sein sollte. Doch bald schon stellten sich die Nationalitäten in den Weg, die Ansprüche an den Gesamtstaat sowie die Länder stellten und immer größere
Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage
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Rechte für sich einforderten. Durch die EinTab. 3: Gebiete der Habsburgermonarchie führung liberaler Freiheiten konnte die Natioim Bund und außerhalb des Bundes (1837) nalitätenfrage nur noch verschärft werden, weshalb Metternich klarsichtig eine liberale Gebiet Bevölkerung einzel- oder gesamtstaatliche VerfassungsBundesgebiete Österreichs entwicklung in Österreich als desintegrierend (Böhmen, Mähren, und systemsprengend ausschloss. Dennoch Kärnten und Krain, bemühte er sich um eine Reform der gesamtSteiermark, Küstenland, Tirol) 11 191 208 österreichischen Zentralverwaltung (NeuordGalizien 4 518 360 nung des „Staatsrates“ 1814) und achtete sorgLombardei 2 460 079 Venetien 2 074 118 sam darauf, die Macht der ständischen Landtage Dalmatien 373 479 wenn möglich einzugrenzen. Da aber eine deUngarn (mit Kroatien) 11 138 942 zidiert bürokratisch-zentralistische Gangart am Siebenbürgen 2 710 392 Widerstand des ausgesprochen regional verMilitärgrenze 995 861 wurzelten Adels scheitern musste, befand sich Wien in einer innenpolitischen Zwangslage, Gesamt 35 462 439 die sich nach der Berufung des böhmischen (Quelle: Lutz, Habsburg, S. 21) Grafen Franz Anton Kolowrat-Liebsteinsky (1778–1861) zum Staats- und Konferenzminister (1826) und bald darauf zum Chef der Budgetkommission zum lähmen- Innere den Dauerkonflikt an der Spitze und nach dem Tode Franz I. (1768–1835) und fiskalische schließlich zur politischen Paralyse ausweitete. In die Gesellschaft hinein Zwänge wirkte eine unendlich langsame und wenig effektive Verwaltung, die sich in internen Konflikten oft genug durch das Prinzip der „Nichterledigung“ zu behaupten suchte. Eine unterentwickelte Steuerverfassung, durch die eine Erhebung direkter Steuern an die Zustimmung der altständischen Landtage gebunden blieb, weshalb der Staat seine Einnahmen über indirekte Steuern, u. a. Verbrauchssteuern, zu mehren suchte, führte zu einer chronischen Unterfinanzierung zentraler staatlicher Aufgaben. Dazu traten langfristige Staatsschulden aus der napoleonischen Ära, die nicht getilgt werden konnten und zu einer galoppierenden Neuverschuldung bei privaten Bankhäusern – wie dem Haus Rothschild – führten. Gespart wurde bei den öffentlichen Gehältern und beim Heer. Obgleich die Pro-Kopf-Verteidigungsausgaben Österreichs nur etwas mehr als die Hälfte der Frankreichs oder Preußens ausmachten, blieben sie doch insgesamt, allein schon wegen der zahlreichen Besatzungsaufgaben u. a. in Lombardo-Venetien, von bedeutender Dimension. Fraglos führte die finanzielle Labilität Wiens bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer latenten Schwächung seiner Großmachtposition, denn die Bereitschaft, machtpolitischen Schachzügen durch Truppenmobilisierungen notfalls militärischen Nachdruck zu verleihen, war angesichts der ungewissen finanziellen Deckung nicht sehr ausgeprägt. Auch das österreichische Wirtschaftssystem blieb rückständig, da sich der grundbesitzende Adel mit Erfolg gegen eine Grundentlastung bäuerlichen Bodens gesperrt hatte und gegen den Widerstand der Zünfte keine Gewerbefreiheit gewährt werden konnte. Schließlich führte auch die teils protektionistische, teils unentschlossene Handelspolitik, durch die das einheimische Gewerbe geschützt werden sollte, in die handelspolitische Isolation.
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 Zum Hauptproblem der Habsburgermonarchie aber wurde alsbald die Nationalitätenfrage. Gewiss spielte diese nach 1815 noch nicht eine so gewichtige Rolle wie in der unmittelDeutsche 6 400 000 baren Zeit vor, während und nach der RevoSlawen (Nord- und Südslawen) 14 820 000 lution von 1848. Doch in Bezug auf den GeItaliener 4 584 000 samtstaat ließen sich bereits in der ersten HälfUngarn (Magyaren) 5 305 000 te des 19. Jahrhunderts zentrifugale Tendenzen Rumänen 1 567 000 nicht übersehen. In Italien und Polen herrschte Juden 623 000 eine andauernde Opposition gegen die österSinti und Roma 120 000 reichische Fremdherrschaft, die vor allem vom daneben: separatistisch denkenden Adel ausging, ohne Griechen, Albaner, Armenier u. a. dass hier nach 1815 bereits klare nationalpoli(Quelle: Lutz, Habsburg, S. 21) tische Programme existiert hätten. Ungarn war autonom und gehörte allein durch das Band der Krone zur Monarchie. An der Deckung der Kosten des Gesamtstaates beteiligte es sich proportional deutlich weniger als alle anderen Landesteile. Seine innere Verfassung war altständisch-adlig und reformfeindlich geprägt. Es gab einen unbarmherzigen Magyarisierungsdruck, der sich in Sprachgesetzen gegen alle anderen Nationalitäten wandte. Noch vor den Ungarn machten die Slawen den bedeutendsten nichtdeutschen Bevölkerungsanteil der Monarchie aus. In Böhmen begann der dort entstehende tschechische Nationalismus den alten böhmischen Landespatriotismus, der Deutsche und Tschechen geeint hatte, langsam zu verdrängen. Ihr Wortführer František Palacký forderte die Emanzipation der Tschechen vom Deutschtum sowie ihre politische und soziale Gleichberechtigung in einem autonomen Staatswesen – allerdings im Rahmen des Habsburgerreiches. Radikalere Positionen vertrat der Journalist Karel Havlicek (1821–1856), der seit den vierziger Jahren eine nationalistische Bewegung gegen die Wiener Zentrale zu organisieren suchte. Tab. 4: Nationalitäten in der Habsburgermonarchie (um 1840, Zahlen gerundet)
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Franz (František) Palacký (1798–1876), tschechischer Historiker und Politiker, Wortführer des erwachenden tschechischen Nationalbewusstseins, Verfasser einer Geschichte Böhmens (seit 1836), lehnte eine Beteiligung der Tschechen an der deutschen Nationalversammlung 1848 ab; er war Präsident des Prager Slawenkongresses und Führer der Tschechen im Kremsier Reichstag 1848/49, Anhänger einer föderativen Umgestaltung der Habsburgermonarchie zugunsten größerer Rechte der Nationalitäten und seit 1861 Mitglied des böhmischen Landtages. Er lehnte den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 ab und nahm demonstrativ am Slawenkongress in Moskau 1867 teil.
Reformstaat
Preußen dagegen, dessen Einwohnerschaft sich durch den Friedensschluss von 1815 verdoppelt hatte, entwickelte sich nach der Stein-Hardenbergischen Reformzeit (1807–22) zu einem rational geleiteten Musterstaat, der sowohl durch eine effiziente Verwaltung und durch Rechtssicherheit als auch durch das Fortwirken der obrigkeitsstaatlichen Tradition gekennzeich-
d) Preußen
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Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage
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net war. Unbelastet von NationalitätenprobleTab. 5: Preußische Gebiete innerhalb men größeren Umfangs (abgesehen von einer und außerhalb des Deutschen Bundes starken polnischen Minorität in den östlichen (1816/18, gerundet) Provinzen), über eine gemeinsame Sprache und nach dem Zollgesetz von 1818 auch über Gebiete Bevölkerung einen einheitlichen Wirtschaftsraum mit gePreußische Bundesgebiete sundenden Staatsfinanzen verfügend, und not(Brandenburg, Sachsen, falls sogar zur militärischen Abschirmung der Schlesien, Pommern, südwestlichen deutschen Staaten fähig, strahlte Westfalen, Rheinprovinz) 7 923 000 es weit in die deutsche Staatenwelt aus und Westpreußen 571 000 wurde bald zu einem Zielpunkt wirtschaftOstpreußen 886 000 licher und militärischer AnlehnungsbedürfPosen 820 000 nisse. Gebiete außerhalb des Bundes 2 277 000 Gesamtmonarchie 10 200 000 Durch die Reorganisation der zentralen Regierungsbehörden unter Hardenberg, insbe(Quelle: Lutz, Habsburg, S. 21) sondere durch die Einführung des Ministerialsystems, war das bürokratische System stärker rationalisiert und der monarchische Absolutismus gebrochen worden. Die Neuordnung der Staatsverwaltung wurde durch den Aufbau der Provinzen und Provinzialbehörden ergänzt, wodurch der Staat zentrale Entscheidungsbefugnisse verlagerte und wichtige Probleme dort entscheiden ließ, wo sie entstanden. An die Spitze des reorganisierten Verwaltungsapparates trat seit 1817 ein Staatsrat, dem die Prinzen des königlichen Hauses, die Spitzen der Behörden, die kommandierenden Generale sowie 34 vom König berufene Männer angehörten. Eine liberale Verfassung erhielt Preußen allerdings nicht. Zwar sollte die noch im Mai 1815 von König Friedrich Wilhelm III. versprochene Volksrepräsentation aus den neu formierten Provinzialständen hervorgehen, doch dieser Plan einer landständischen Verfassung kam bald ins Stocken und wurde nach der Kaltstellung Humboldts (1819) und dem Tod Hardenbergs (1822) schließlich fallen gelassen. Als Ersatz wurden 1823/24 „Pro- Provinziallandtage vinziallandtage“ ständisch-konservativen Zuschnitts mit beratender Kom- als Verfassungsersatz petenz eingeführt. Diese entwickelten sich jedoch namentlich in den Westprovinzen bald zu einem Forum der liberalen Opposition. Ungeachtet zahlreicher Verwässerungen in der Restaurationszeit nach 1815 blieben wesentliche Impulse der Reformer in den Bereichen der Agrar-, Gewerbe-, Steuer-, Finanz- und Militärverfassungen erhalten. Die Bauernbefreiung erzeugte eine enorme Mobilität, obwohl sie durch das Regulierungsedikt von 1816 mit vielen neuen Einschränkungen zugunsten des zunehmend kapitalistisch produzierenden Landadels ausgelegt wurde.
e) Die Konfessionen im Deutschen Bund Artikel 16 der Bundesakte schrieb die juristische Gleichstellung aller Anhänger christlicher Religionen fest und bestätigte die in den Einzelstaaten bereits eingeräumten Bürgerrechte der Juden. Zwar hatte sich auch in den deutschen Staaten im Zuge von Aufklärung, Religionskritik und Säkularisie-
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Konfessionelle Schwerpunkte
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rung der politische Stellenwert der Religion tendenziell abgeschwächt, doch vermochte sie ihren Einfluss und ihr ethisches Normengefüge im 19. Jahrhundert in allen gesellschaftlichen Milieus zu halten und sich den wertstürzenden Herausforderungen der gesellschaftlichen Transformationsprozesse zu stellen. Kirchliche Organisationsformen überzogen Stadt und Land flächendeckend und übernahmen zentrale staatliche Aufgaben im lokalen Bereich (Standesamt und Schulwesen). Im Bund existierte ein ungefähres demographisches Gleichgewicht zwischen den christlichen Konfessionen, allerdings mit ungleichen politischkulturellen Schwerpunkten. Während in den nördlichen Gebieten das protestantische Bekenntnis überwog, dominierte im Süden der Katholizismus, der in den Häusern Habsburg und Wittelsbach feste Stützen besaß. Besondere Probleme bereitete die Zurückdrängung des Katholizismus in der deutschen Universitätslandschaft und die politische Vereinnahmung großer katholischer Bevölkerungsteile unter protestantischen Herrschern, wie das in Preußen (Rheinland, Westfalen) aber auch in Baden und Württemberg der Fall war. Umgekehrt ergaben sich Spannungen durch die Eingliederung protestantischer Bevölkerungsteile im katholisch regierten Bayern (Franken, Pfalz und Schwaben). Artikel 16 der Bundesakte (8. 6. 1815) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 89 f. Die Verschiedenheit der christlichen Religionsparteien kann in den Ländern und Gebieten des Deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte begründen. Die Bundesversammlung wird in Beratung ziehen, wie auf eine möglichst übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen Glaubens in Deutschland zu bewirken sei, und wie insonderheit denselben der Genuss der bürgerlichen Rechte gegen die Übernahme aller Bürgerpflichten in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden könne; jedoch werden den Bekennern dieses Glaubens bis dahin die denselben von den einzelnen Bundesstaaten bereits eingeräumten Rechte erhalten.
Protestantismus
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Der deutsche Protestantismus war von einer starken Einflussnahme der Monarchie bestimmt und wirkte umgekehrt bewahrend auf die monarchische Ordnung und den Obrigkeitsstaat zurück. Da es gleichzeitig gelang, die volkstümliche Bewegung des Pietismus stärker mit der staatlich gestützten, kirchlichen Orthodoxie zu verbinden und im konservativen Milieu fest zu verankern, konnten die systemstabilisierenden Effekte des Protestantismus voll zur Geltung gebracht werden. So agierte die evangelische Kirche in der Revolution von 1848 prononciert gegenrevolutionär und bildete, indem sie die „Sündhaftigkeit“ der Revolution anprangerte, einen starken moralischen Rückhalt für die Kräfte der alten Ordnung. Neben diesen gesellschaftspolitischen Wirkungen initiierte sie im 19. Jahrhundert viele Aktivitäten der Kranken- und Armenpflege sowie im Schulwesen. Dies fand in der Gründung der „Inneren Mission“ auf dem Wittenberger evangelischen Kirchtag (September 1848) seinen sichtbaren Ausdruck. Karitative, sozial- und kirchenreformerische Ansätze mischten sich mit Initiativen zur Gründung von Diakonissenhäusern zur Krankenpflege, zur Betreuung von
Die Bundesglieder, die Verfassungs- und Konfessionsfrage Waisen, Kleinkindern und entlassenen weiblichen Strafgefangenen sowie zur Weiterbildung von Lehrern und medizinischem Personal. Im katholischen Bereich griffen zwei Tendenzen Platz. Zum einen gab es eine breite Bewegung für eine kirchliche Erneuerung, die in Wien, München, Tübingen und Mainz Anhänger fand und den Versuch unternahmen, die Freiheit der Kirche gegenüber dem Staat zu stärken und ein charismatisches seelsorgerisches Wirken zu entfalten. Hier waren durchaus Ansatzpunkte für ein Zusammengehen mit den Kräften des Liberalismus vorhanden. Doch andererseits stärkte der Einfluss Roms vor allem jene Positionen innerhalb der katholischen Kirche, die einer monolithischen Abgrenzung von der Gesellschaft, dem schroffen Rückgriff auf eine vormoderne Theologie, starren Hierarchien, Disziplinierung und innerer Geschlossenheit das Wort redeten (Ultramontanismus). Vertreter dieser Richtung glaubten, den Katholizismus im Sinne eines ständigen Abwehrkampfes gegen alles „Moderne“ sowie zur Selbstbehauptung gegen den liberalen Zeitgeist instrumentalisieren zu müssen. Am nachhaltigsten wirkte diese Tendenz in einer päpstlichen Enzyklika (1864), in der 80 Irrtümer der Zeit verworfen wurden, darunter die Freiheit von Religion, Meinung und Wissenschaft, Zivilehe, Liberalismus, Volkssouveränität, Demokratie, allgemeines Stimmrecht und Souveränität der Nation. Das war eine „geballte Kampfansage an die moderne Welt“ (Thomas Nipperdey). Zweifellos führte diese Abwendung des Katholizismus von nationalen oder gar national-kirchlichen Bestrebungen auch zu einer Verhärtung im Umgang mit dem Protestantismus. Konfessionelle Ausgrenzung griff auch im Bemühen um nationale Denkmäler Platz, so bei der Ausschmückung der von Leo von Klenze (1784– 1864) in der Form eines griechischen Tempels erbauten Walhalla bei Regensburg zum deutschen Nationalheiligtum. Hier hatte König Ludwig I. von Bayern (1786–1868) bei der Auswahl großer Deutscher zunächst kurzerhand auf Porträtbüsten der Kirchenreformatoren und Humanisten Martin Luther (1483–1546) und Philipp Melanchthon (1497–1560), des Dichters und Meistersingers Hans Sachs (1494–1576) sowie anderer missliebiger Persönlichkeiten der deutschen Geschichte verzichtet. Doch ist die Tatsache, dass unter den beiden großen Religionen vor allem nach der Jahrhundertmitte konfessionelle Abgrenzung überwog, auch darauf zurückzuführen, dass sich das Trennende in dem Maße verstärkte, wie der Protestantismus als „nationale Religion“ stilisiert wurde. In den Staaten des Deutschen Bundes lebten um 1820 etwa 350 000 Juden. Durch Zuwanderung aus dem Osten stieg die Zahl bis 1850 auf ungefähr 530 000 an. Infolge der französischen Besatzung und der Reformtätigkeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die Juden Gleichberechtigung und Bürgerrechte erhalten. Zwar war es in der Restaurationsära wieder zu Beschränkungen (Hessen, Preußen, Mecklenburg) oder sogar einer Rücknahme (Hannover, Frankfurt a. M., Hamburg) der Emanzipationsgesetze gekommen, dennoch waren die Mauern der Ghettos gefallen. Die berufliche Struktur der Juden war immer noch von den traditionellen Beschränkungen geprägt: in den ländlichen Regionen betrieben sie neben Kleingewerbe vor allem Geldverleih sowie Klein- und Viehhandel, in den Städten stieg ihr Anteil im gewerblichen Bereich (Schneider, Kürschner, Lebensmittelhandel). Zwar brachte die Zulassung der Juden zu den bürgerlichen Rechten und
I. Katholizismus
Judentum
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 zum Universitätsstudium Impulse für das wirtschaftliche und intellektuelle Leben, doch blieben ihnen nach wie vor wichtige TätigkeitsfelStadt 1816 1871 der in Verwaltung und Heer versperrt. Sie waren zudem in der Regel nicht wahlberechtigt. Berlin 3373 36 015 Hamburg 7000 13 796 Dem jüdischen Werben um Assimilation in Breslau 4409 13 00 0 die entstehende deutsche Nation stand zum Frankfurt a. M. 4309 7 620 einen die jüdische Orthodoxie entgegen, war Köln 150 3 172 doch die innere Struktur der jüdischen GeMünchen 380 2 903 meinschaft durch den äußeren Wandel nicht Wien 2010 (1838) 40 200 (1869) unberührt geblieben. Zum anderen ging die Prag 6400 (1846) 14 918 (1869) christlich-deutsche Gesellschaft nicht auf die (Quelle: Lutz, Habsburg, S. 112) Tendenz einer Annäherung ein. Im Gegenteil: im Verlaufe des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die Judenfeindlichkeit. Doch führte dies nicht zu einem massenhaften Übertritt von Bürgern jüdischen Glaubens zu den christlichen Kirchen. Insgesamt blieb die Emanzipation dieser über Jahrhunderte diskriminierten Bevölkerungsgruppe weiter unvollständig. Mehr und mehr wurden Bürger jüdischen Bekenntnisses als Störfaktoren bei der Herausbildung einer homogenen deutschen Gesellschaft qualifiziert sowie mit Stereotypen und Zerrbildern belegt. Zu den Protagonisten dieser Richtung zählten auch Exponenten der frühen deutschen Nationalbewegung wie Ernst Moritz Arndt, „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn und später vor allem der Komponist Richard Wagner (1813–1883). Ernst Moritz Arndt geiferte in seinen „Reden und Glossen“ (1848): Tab. 6: Juden in deutschen Städten
„Juden und Judengenossen, getaufte und ungetaufte, arbeiten unermüdlich und auf allen äußersten radikalen Linken mitsitzend, an der Zersetzung und Auflösung dessen, worin uns Deutschen bisher unser menschliches und heiliges eingefasst schien, an der Auflösung jeder Vaterlandsliebe und Gottesfurcht (…) Horcht und schaut, wohin diese giftige Judenhumanität mit uns fahren würde, wenn wir nichts eigentümliches, deutsches dagegenzusetzen hätten.“
4. Politische Strömungen, Kultur und Zeitgeist des Biedermeier a) Idealistische Philosophie
Liberales Staatsmodell
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Das deutsche Geistesleben wurde nach 1815 vor allem von den philosophischen Ansichten Immanuel Kants (1724–1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegels inspiriert. Kant bot eine umfassende Begründung des Liberalismus, indem er die Menschen aufforderte, den Ausgang aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit zu finden und zu lernen, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Der ideale Staat würde sich durch Gewaltenteilung und Volksrepräsentation auszeichnen und die Freiheit und politische Gleichheit aller Bürger sichern. In seiner Schrift „Zum ewigen
Politische Strömungen, Kultur und Zeitgeist des Biedermeier Frieden“ plädierte er dafür, den äußeren Frieden durch einen staatenbündischen Zusammenschluss zu sichern. Hegel war im Oktober 1818 einem Ruf der Berliner Universität gefolgt, wo er sein objektiv-idealistisches, erkenntnisoptimistisches und dialektisches System der Philosophie vollendete. Als Geschichtsphilosoph betrachtete er die Weltgeschichte als einen Prozess der gesetzmäßigen Selbstentfaltung der sittlichen Idee, die zu immer vollkommeneren gesellschaftlichen Zuständen führen würde. So lobte er die preußische Monarchie in unangemessener Weise, da er ihren Grad an konstitutionellen Freiheiten sowie ihre Überlegenheit an Bildung und Wissenschaft überbewertete. Ihn – gestützt auf einige Passagen seiner Rechtsphilosophie (1821) – als servilen Lobredner der preußischen Restauration hinzustellen, wäre indes verfehlt. Immerhin hatte er das Resultat der Wiener Verhandlungen (1815) in einem Brief mit dem Prädikat „notdürftig“ versehen und das System der Restauration als Herrschaft der „Mittelmäßigen“ qualifiziert. Ebenso lassen sich sein vorsichtiges Eintreten für verfolgte Burschenschaftler und seine Teilnahme an einer politischen Kundgebung (Pichelsberger Fest, 2. 5. 1819) von Berliner Anhängern der Burschenschaft anlässlich der Ermordung August von Kotzebues (s. S. 36–37) belegen. Obwohl er das Prinzip der Volkssouveränität als „verworrenen Gedanken“ verwarf, empfand Hegel doch die Französische Revolution als „herrlichen Sonnenaufgang“, da sie erstmalig eine Gesellschaft auf der Idee der Freiheit gegründet hätte. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung wollte er jedoch mit einer starken Stellung des Monarchen verschränken, in der er die Grundlage für die Einheit des Staates sah. Die Wirksamkeit der Hegel’schen Philosophie war enorm: Eine Generation nach seinem Ableben umfasste die „Hegel-Schule“ mehr als 70 Namen, die in sehr unterschiedlichen politischen Lagern standen. Angesichts dieser Breitenwirkung (von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten) gilt das philosophische Werk Hegels bis heute als folgenreich und politisch umstritten. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), nach Abschluss seines Studiums (Tübingen) als Hauslehrer in Bern und Frankfurt a. M. tätig, Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants, seit 1801 Lehrtätigkeit an der Universität Jena als Privatdozent und „außerordentlicher Professor“, Freundschaft mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854), gemeinsame Herausgabe des „Kritischen Journals der Philosophie“ (1802) 1807 Erscheinen der „Phänomenologie des Geistes“ als erstes großes Werk Hegels; Tätigkeit als Zeitungsredakteur in Bamberg (1807–08), Direktor des Gymnasiums in Nürnberg (1808), ordentliche Professur in Heidelberg (1816–18), Professur in Berlin (1818–31), 1821 Erscheinen seines staatsphilosophischen Hauptwerks „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, Herausgabe der „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“ (ab 1827), Vorlesungen zu allen Gebieten der Philosophie; starb an der Cholera (1831).
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Freiheit und Autorität
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b) Konservativismus und Restaurationsideologie Unter den politischen Strömungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand der Konservativismus für die Bewahrung des Bestehenden. Der moderne Konservativismus war in Auseinandersetzung mit der Französischen
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Legitimitätsprinzip
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Revolution und dem „revolutionären Prinzip“ entstanden, das die Ordnung und Stabilität aller Staaten und Gesellschaften bedrohen würde. Nach den Jahren der revolutionären Veränderungen, Kriege und Umstürze bildete er eine antirevolutionäre Gegenbewegung, ein Sammelbecken durchaus unterschiedlicher, aber immer historisch-konkreter, organologischer, hierarchisch-autoritärer, religiöser und modernisierungsskeptischer Auffassungen, die von Edmund Burke (1729–1797) und Friedrich von Gentz (1764–1832) über die französischen Anhänger des Gedankens der monarchischen Legitimät durch Gott (Legitimisten), Joseph de Maistre (1753– 1821) und Louis de Bonald (1754–1840), bis hin zum Schweizer Staatsrechtler Karl Ludwig von Haller (1768–1854), Adam Müller (1779–1829), Joseph von Görres (1776–1848), Leopold (1790–1861) und Ernst Ludwig von Gerlach (1795–1877) sowie Friedrich Julius Stahl (1802–1861) reichten. Die von François René de Chateaubriand (1768–1848) nach 1815 herausgegebene Zeitschrift „Le Conservateur“ gab der Bewegung schließlich ihren Namen. Die Konservativen wandten sich gegen den liberalen Zeitgeist, seinen Fortschrittsglauben, seine abstrakten Prinzipien und Verfassungsideen, aber auch gegen den modernen Nationalismus, der mit Tradition und monarchischer Legitimität gebrochen hatte. Sie befürworteten einen langsamen, evolutionären Wandel bei Bewahrung der Tradition sowie unter Beachtung des Gleichgewichts in den europäischen Gesellschaften wie im Staatensystem und blieben damit auch für gemäßigte Liberale attraktiv. Die romantische Kritik des Konservativismus an den „Segnungen“ der Moderne: Bürokratie und Entfremdung, Verlust von Orientierung und Identität, kapitalistischen Marktmechanismen und sozialer Verelendung, antizipierte in vielen Punkten die spätere sozialistische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft.
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Restauration Der Begriff Restauration geht auf Karl Ludwig von Hallers Schrift: „Restauration der Staatswissenschaft, oder Theorie des natürlich-geselligen Zustandes, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt“ (6 Bde., 1816–34) zurück. Haller verwirft hierin die modernen Gesellschaftsvertrags- und Souveränitätstheorien und zeichnet ein rationalistisch-naturalistisches Bild des Patrimonialstaates. Öffentliche Gewalt beruhe auf Eigentum, der Landesherr sei der Eigentümer des Staates. Er sei niemandem außer Gott verantwortlich, aber seine Gewalt werde durch Vertrag und Recht sowie Eigentum und die Autonomie seiner Untertanen in Grenzen gehalten. Mit seinen Auffassungen prägte Haller den politischen Leitbegriff und das Staatsdenken seiner Zeit nachhaltig.
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Romantik Die Romantik als Weltsicht bildete sich in Deutschland um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert heraus und prägte – besonders inspiriert von Adam Müller und Novalis (Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg, 1772–1801) – das politische Denken und Geistesleben bis etwa 1830 nachhaltig. Die romantische Staatsauffassung grenzte sich sowohl von konstitutionellen Vertragstheorien und vom Prinzip der Volkssouveränität als auch von der absolutistischen Herrschaftsform der Aufklärung ab, die durch Rationalisierung, Bürokratisierung und Effizienz, den Staat zu einer „seelenlosen Maschine“ verkümmern ließ. Das romantische Ideal verfolgte daher einen „dritten Weg“ zwischen Absolutismus und Liberalismus, der durch ein besonders enges Treueverhältnis von Herrscher und Volk ohne geschriebene Verfassung gekennzeichnet war. Obwohl eine umfassende Rezeption romantischer Staatsauffassungen nach 1840 in Preußen erfolgte (Friedrich Wilhelm IV.), setzte sich die Romantik als politische Doktrin nirgends dauerhaft durch.
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c) Liberalismus und Nationalbewusstsein Der deutsche Liberalismus war die politische Bewegung des aufsteigenden Bürgertums und stand in der Tradition der Aufklärung und des Vernunftdenkens (Kant). Er postulierte die Autonomie und Selbstbestimmtheit des Individuums gegen staatliche, ständische und korporative Bevormundung, ohne deshalb die Rolle des Staates zu negieren. Obwohl sich die liberalen Ideen auf die angelsächsische Tradition bezogen, standen sie doch auch in der Tradition der Ideen von 1789: Freiheit des Einzelnen, Menschen- und Bürgerrechte, Gewaltenteilung, Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit sowie Volkssouveränität zählten zu den Forderungen der zumeist akademisch gebildeten liberalen Vordenker, die sich nach 1815 vor allem im seit 1834 herausgegebenen Staatslexikon von Carl von Rotteck (1775–1840) und Carl Theodor Welcker (1790–1869) artikulierten. Doch von den traumatischen Erfahrungen der Französischen Revolution, ihren radikalen Auswüchsen (Mehrheitsherrschaft, Diktatur und Terror, revolutionärer Demagogie und Militärdespotie) grenzten sich die Liberalen ab. Revolutionen und sozialer Aufruhr waren für sie nicht erstrebenswert. Stattdessen setzten sie auf Reform und friedliche Evolution in Kooperation mit dem Staat, dessen bürokratische Regelkompetenz allerdings parlamentarischer Kontrolle unterstellt werden sollte. Während sich das deutsche Nationalgefühl vor 1815 im Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft entwickelt hatte, veränderte es danach seine Stoßrichtung und wandte sich nun gegen den Partikularismus der Einzelstaaten und ihren staatenbündischen Zusammenschluss, den Deutschen Bund. Diese Tendenz verstärkte sich in dem Maße, als der Bund gegen jede konstitutionelle Entwicklung in den Einzelstaaten auftrat, in allen praktischen Fragen (Zoll-, Währungs- und Verkehrswesen) versagte und durch seine bloße Existenz einer nationalen Neuorganisation im Wege zu stehen schien. So konterkarierte der nationale Gedanke als Gegenlegitimation das monarchische Legitimitätsprinzip der Restaurationszeit. Da sich nationale Einheit nur bei verfassungsmäßiger Fortentwicklung durchsetzen ließ, bildeten Einheit und Freiheit zwar einen Zusammenhang, indes gab es lange Zeit keine konkreten und schon gar keine einhelligen Vorstellungen darüber, nach welcher politischen Organisationsform der künftige Nationalstaat strukturiert und wie seine Ausdehnung beschaffen sein sollte. Dennoch war nationales Denken namentlich eine Sache der bürgerlichliberalen Öffentlichkeit: der Literatur und Publizistik, der Gelehrtenkongresse, der politischen Festkultur sowie der Gesangs- und Turnvereine. Ein anderes Problem war das Verhältnis zu den anderen Nationen und Nationalitäten: Nach 1815 schwächte sich die Frontstellung des deutschen Nationalgefühls gegen andere Völker zunächst ab. Nur eine radikale Minderheit hatte sich dieser Tendenz nicht angeschlossen. Die Deutschen begeisterten sich für den Befreiungskampf der Griechen (Philhellenismus), sie unterstützten die polnischen Emigranten als Märtyrer der Völkerfreiheit. Und auch der französische Nachbar wurde durchaus freundlicher beurteilt, als vor 1815. Erst in der Folge der Rheinkrise (1840, vgl. II.5) brachen die
Evolution und Kooperation
Nationales Denken
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 subkutanen antifranzösischen Ressentiments aus der Zeit der antinapoleonischen Kriege mit aller Schärfe wieder auf. Von nun ab erhielt das deutsche Nationalbewusstsein als Nationalismus eine antifranzösische und mit dem Versuch (seit 1844) der dänischen Krone, Schleswig in den dänischen Staat zu integrieren, auch eine antidänische Wendung. Das Gefühl der Bedrohtheit, die Gefahr der nationalen Amputation führten zu breiten und äußerst wirksamen Solidarisierungseffekten, die den Internationalismus einer Mehrheit der Nationalbewegung ins Wanken geraten ließen und die sozialen Konfliktlagen der entstehenden Nation überdecken halfen. Als populäre Sammlungsideologie konnte der Nationalismus nun auch deutlicher zur Herrschaftsstabilisierung instrumentalisiert werden.
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Nation und Nationalismus Der moderne Nationsbegriff unterliegt unterschiedlichen Konzepten: Er bezieht sich zum einen auf eine gemeinschaftliche Sprache, Kultur und Religion, die Zugehörigkeit zu einer angenommenen genuinen Rasse, ein abgegrenztes Territorium mit definierten Grenzen und Binnenmarkt sowie eine gemeinsame Geschichte und Tradition. Diese Merkmale lassen eine soziale Großgruppe zur Nation werden. Daneben kann Nation auch als massenpsychische Disposition gedeutet werden, als „Gefühls- und Willensgesmeinschaft“ (Ernest Renan), die dem täglichen Neubekenntnis unterliegt und die nationale Zugehörigkeit als ein erlernbares kollektives Identifikationsmuster erscheinen lässt. Nationalismus kennzeichnet eine Haltung sozialer Gruppen oder Einzelner, die auf die Durchsetzung als „national“ deklarierter Interessen gerichtet ist. Die Idee des Nationalismus hebt die vermeintliche Überlegenheit der eigenen Nation gegen andere hervor und rückt das Trennende zwischen den Nationen in den Vordergrund.
d) Kunst zwischen Privatheit und Nationalbewusstsein
Literatur und Theater
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Für die nationale Selbstfindung der Deutschen im Ausklang der napoleonischen Epoche sowie in der Auseinandersetzung mit der politischen Wirklichkeit spielten künstlerische Ausdrucksformen in Literatur, Theater, Malerei und Musik eine hervorragende Rolle. Doch eine einheitliche Wirklichkeitswahrnehmung boten sie nicht. Stilrichtungen und politische Aussagen divergierten; zum Teil zog sich die Kunst ins Unpolitische zurück. Allgemeine Schulpflicht und erhöhtes Lesebedürfnis breiter Schichten hatten die Nachfrage an literarischen Werken deutlich verstärkt. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden Lesegesellschaften, Zirkel und literarische Vereine, in denen sich das literaturinteressierte Publikum austauschen konnte. Zwischen 1800 und 1844 verdreifachte sich die Anzahl der Buchhandlungen in Deutschland. Doch eine einheitliche Literaturströmung gab es nach 1815 nicht: Der Begriff „Biedermeier“, der aus dem Pseudonym zweier Schriftsteller (Gottlieb Biedermaier) abgeleitet wurde, die 1855–1857 die Zeit nach 1815 parodierten, umfasst mehrere miteinander konkurrierende Stilrichtungen. Er versinnbildlicht das ruhige, konfliktscheue und verinnerlichte Lebensgefühl einer von Kriegen gezeichneten Generation, die noch nicht entschieden hat, in welche Richtung sich die Gesellschaft angesichts der umfassenden Modernisierungsprozesse in technologisch-industrieller und politisch-verfassungsmäßiger Hinsicht ent-
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wickeln wird. Neben der auflagenstarken Trivialliteratur (August von Kotzebue), die die herrschenden politisch-sozialen Verhältnisse unkritisch hinnahm, standen die Klassik (Goethe, Schiller) und die Romantik, die ihre Blüte im Jahrzehnt zwischen 1795 und 1805 hatten und noch weit ins 19. Jahrhundert hinein strahlten. Während Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) in den Jahren nach 1815 „Faust“ vollendete, in dem er den Mythos des „modernen Menschen“ entwarf, brachte die deutsche Romantik neben banaler Massenproduktion auch eine bedeutende Lyrik hervor, wie sie in Joseph von Eichendorffs (1788–1857) „Wünschelrute“ (1838) veröffentlicht wurde. Daneben wies Eduard Mörikes (1804–1875) mystische Naturlyrik schon über die Biedermeierzeit hinaus, während Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) in lyrischer Form bereits die Zerbrochenheit des beginnenden industriellen Zeitalters ansprach und damit die Abwendung des harmonischen Einklangs von Kultur und Natur der Biedermeierepoche vollzog. Nach der glanzvollen Theaterepoche der deutschen Klassik avancierte das Theater im Biedermeier zur „eigentlichen Stätte der deutschen Nationalkultur“ (Lutz). Nachdem August Wilhelm Iffland (1759–1814) das Berliner „Nationaltheater“ zu einem Zentrum deutscher Bühnenkunst erhoben hatte, sorgte nun Karl Leberecht Immermann (1796–1840) in Düsseldorf für Aufsehen erregende Inszenierungen (1833–1837). Das Wiener Hofburgtheater erreichte 1814–1832 unter Joseph Schreyvogel (1768–1832) eine einzigartige Blüte. In ihr vermischte sich das humanistische, die Sitten veredelnde Ideal mit volkstümlicher Poesie und bitterer Satire, wie sie namentlich in den Stücken von Ferdinand Raimund (1790–1836) und Johann Nestroy (1801–1862) zum Ausdruck gebracht wurden. Herben Volkswitz, abgefasst im Dialekt, zeichneten die „Eipeldauer Briefe“ aus, die anlässlich der Vermählung Kaiser Franz I. (1816) während einer Gratisvorführung im Wiener Burgtheater aufgeführt wurden. Auf kleineren Bühnen (Leopoldstädter Theater) gab man regelmäßig Lustspiele und Possen, besonders aber Ritter-, Geister- und Zauberstücke, die den Geschmack des einfachen Publikums trafen. Neben der Fortsetzung vieler herkömmlicher Genres und Stilrichtungen sowie der abgeschwächten Fortführung des nüchternen, hellen und klar strukturierten Klassizismus durch Künstler wie Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) und Joseph Anton Koch (1768–1839) war die Malerei nach 1815 vor allem durch zwei Tendenzen gekennzeichnet: Zum einen von einer Wendung zur Geschichte und dem Siegeszug der Historienmalerei, die das 19. Jahrhundert weitgehend bestimme und nach 1848 verstärkt eine patriotische Tendenz erhalten sollte. Diese, zunächst mit einem Hang zu religiösen Bildmotiven verbundene Richtung knüpfte stilistisch an die Freskenmalereien des Mittelalters und der Frührenaissance an. Zur 1810 ins Leben gerufenen Gruppe der „Nazarener“, die als Träger dieser Malerei galten und Residenzen, Burgen, Säle und Rathäuser in venezianischer Farbenpracht und minutiöser Wiedergabe ausmalten, zählten Johann Friedrich Overbeck (1789–1869), Franz Pforr (1788–1812), Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld (1788–1853) sowie Johann (1790–1854) und Philipp Veit (1793–1877). In ihren großflächigen und kontrastreichen Darstel-
Malerei
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Romantischer Stil
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lungen historischer und religiöser Begebenheiten verbanden sie Pathos und starke Effekte mit deutlichen Anklängen von Herrschaftssymbolik und unterstrichen damit den legitimitätsstiftenden und sozialpädagogischen Anspruch ihrer Kunst. Zweifellos zeugte diese Malerei nicht so sehr von Aufbruchsstimmung, sondern eher von einem rückwärts gewandten Wiederauflebenlassen vergangener Epochen. Doch das europaweite Wiederaufblühen historischer Stile führte auch zu einem Erstarken des Nationalbewusstseins. Gerade in Österreich war die Historienmalerei besonders verbreitet: Nach der inneren Stabilisierung des Kaisertums Österreich (1804–06) vollzog sich hier in der Malerei eine verstärkte Hinwendung zu vaterländischen Themen. Dabei konnte an den Zeitgeschmack und seine Vorliebe für das Mittelalter angeknüpft werden. Bereits 1807–1814 hatte der österreichische Hofhistoriograph Joseph Freiherr von Hornmayr in seinen „Momenten aus der vaterländischen Geschichte“ die wichtigsten Ereignisse des Hauses Habsburg von seinen Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart veröffentlicht und gleichzeitig die Forderung erhoben, dass die österreichische Vaterlandsliebe nicht nur im Schrifttum, sondern auch in Bildwerken ihren Ausdruck finden müsse. Damit erfolgte der Anstoß zur Entstehung der österreichischen Historienmalerei. Zwar fand das Anliegen in den Lehrplänen der Akademie kaum Resonanz, dennoch wurde es von zahlreichen Künstlern (Anton Petter, Carl Ruß, Johann Peter Krafft, Franz Pforr, Ludwig Ferdinand Schnorr von Carolsfeld) bereitwillig aufgegriffen. Zu den bevorzugten historischen Gestalten zählten neben Kaiser Maximilian I. (1493–1519) in erster Linie der Begründer des Erzhauses, Rudolf von Habsburg (1218–1291). Die 1803 von Friedrich Schiller in Form einer Ballade verfasste Episode, nach der Rudolf sein Pferd einem Priester angeboten haben soll, damit dieser einem Sterbenden rechtzeitig die heiligen Sakramente verabreichen konnte, fand bis weit über die Jahrhundertmitte in vielfacher Weise eine bildhafte Darstellung, eignete sich doch dieses Thema besonders treffend, die Verbindung von nationaler Geschichte mit Religiosität und Menschlichkeit zu dokumentieren. Daneben hatte sich seit der Jahrhundertwende als Revolte gegen den tonangebenden Klassizismus eine romantische Stilrichtung entwickelt, die sich vor allem dem Genre der Landschaftsmalerei zuwandte. Leblose Eisflächen, Abenddämmerungen und Mondscheinstimmungen, zwielichtige und geheimnisvolle Waldschluchten, einsame Klosterruinen und Friedhöfe drückten Wirklichkeitsabwendung und politische Resignation aus. Die Innerlichkeit der Naturempfindung, die Unendlichkeit der Landschaft sowie die Einsamkeit und Verlassenheit des Menschen in ihr symbolisierten Trauer und Melancholie über den Verlust an Geborgenheit und Orientierung in einer sich rasch wandelnden, modernen Welt mit ihren Eisenbahnlinien, Dampfhämmern, Fabrikschornsteinen und verpesteten Vorstädten. Daneben signalisierten idealisierte Landschaftsdarstellungen um ihrer selbst willen, und besonders häufig Italienmotive, das Bedürfnis nach Natur-Erleben und natürlicher Unberührtheit einer zunehmend verstädterten Gesellschaft. Zu den Hauptvertretern der romantischen Malerei in Deutschland zählten insbesondere Caspar David Friedrich, Johan Christian Clausen Dahl (1788–1857), Carl Blechen und Carl Gustav Carus (1789–1869). In der Malerei nach 1815
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bestach ebenso die große Innerlichkeit und Individualität der bürgerlichen Porträtkunst, die zugleich einen expliziten Bruch mit der höfischen Repräsentationskultur des 18. Jahrhunderts markierte. Caspar David Friedrich (1774–1840) entstammte dem Dresdener Kreis der deutschen Frühromantik und gilt als der Hauptvertreter der deutschen romantischen Malerei. Er war in erster Linie Landschaftsmaler, strebte indes trotz eingehender Studien der Natur keine bloße Wiedergabe konkreter landschaftlicher Motive an: sein Thema war vielmehr die Weltlandschaft als Ausdruck menschlicher Stimmungen. Sein Werk wird beherrscht von der Unendlichkeit der Natur, deren Mysterien der menschliche Intellekt nicht ergründen kann. Häufig benutzte er das Ausdrucksmittel des Nebels, um die Auflösung des Stofflichen zur transzendentalen Endlosigkeit zu symbolisieren. Hauptwerke: Meeresstrand im Nebel (1807), Wanderer über dem Nebelmeer (1818), Das Eismeer/Gescheiterte Hoffnung (1824), Mann und Frau den Mond betrachtend (1830–35).
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Carl Blechen (1798–1840) wurde vor allem von Caspar David Friedrich und Johan Christian Clausen Dahl inspiriert. Entscheidend für seine Freilichtmalerei wurde das südliche Licht Italiens, das er während einer Reise (1828/29) kennen lernte. Von Rom aus, wo er rasch mit der dortigen deutschen Künstlerkolonie in Kontakt trat, unternahm er einen längeren Ausflug nach Neapel und nach Capri. Hier entstand eines seiner bedeutendsten Werke: „Nachmittag auf Capri“ (1829), eine Inselansicht mit dem Blick auf den Monte Castiglione mit dem Tiberiusfelsen in mittäglicher Hitze. Das Bild vermittelt durch seine Farbgebung einen nachhaltigen Eindruck von der Intensität des südlichen Lichtes, widerspricht aber durch seine frühimpressionistische Malweise dem traditionellen Kunstverständnis. Es wurde auf der Herbstausstellung der Berliner Akademie (1832) gezeigt und fiel bei der Kritik durch.
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Mit dem Tode Ludwig van Beethovens (1770–1827) und Franz Schuberts (1797–1828) endete die klassische Ära der deutschen Musikgeschichte. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich eine bürgerliche Musikkultur, die breiteren Volksschichten einen Zugang zur musikalischen Auslese ermöglichte. Frédéric Chopin (1809–1849), Franz Liszt (1811–1886), Jakob Meyerbeer (1791–1864), Robert Schumann (1810–1856) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) standen für ein gewandeltes und geöffnetes musikalisches Klima. Daneben spielte nun auch die private Hausmusik sowie die öffentliche Chor- und romantische Liedgeselligkeit eine größere Rolle. Im Chor- und Liedgesang der Jahrzehnte nach 1815 waren bereits frühzeitig volkstümlich-nationale Tendenzen zu erkennen. Von Carl Maria von Weber (1768–1826), dem Großmeister der romantischen deutschen Oper, und Albert Lortzing (1801–1851) führte nach der Jahrhundertmitte der Weg zu Richard Wagner (1813–1883), der in Stoffwahl, Text und Musik das deutsche Nationalgefühl am prononciertesten formulierte. Auch die populären Sängerfeste fanden große öffentliche Resonanz. Sie waren keineswegs unpolitisch, symbolisierten sie doch in besonderer Weise das kulturelle Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen. Vielfach etablierten sich musikalische Gesellschaften und Vereine, die zu den Trägern des öffentlichen Konzertwesens wurden. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) erhielt als Sohn eines Bankiers und Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn in Berlin eine umfassende Ausbildung als Komponist (Carl Friedrich Zelter). Nach frühen Streichersinfonien
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 (1821–23) und der 1. Sinfonie c-Moll (1824) gelang dem 17-Jährigen mit der Ouvertüre zu Shakespeares „Sommernachtstraum“ (1827) ein Geniestreich. Ausgedehnte Bildungsreisen führten Mendelssohn Bartholdy nach England, Italien und Frankreich (1829–32). 1833 wurde er Musikdirektor in Düsseldorf, 1835 Kapellmeister des Leipziger Gewandhauses, das durch ihn zu einer Musikstätte von internationaler Bedeutung avancierte. Seine Lieder und Klavierkompositionen waren in der Hausmusik der Romantik weit verbreitet. Seine Chöre zählten zum Grundstock zahlreicher Chorvereinigungen.
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Carl Maria von Weber (1786–1826) wurde als Sohn eines Stadtmusikers in Eutin geboren und genoss eine systematische und gediegene Musikausbildung. Nach frühen Opernversuchen und kurzer Anstellung als Musikdirektor in Breslau, trat er in die Dienste des württembergischen Prinzen Eugen, für dessen Orchester er zwei Sinfonien schrieb (1806/07). Sein Engagement am Stuttgarter Hof wurde wegen väterlicher Verfehlungen früh beendet. Es folgten unstete Kunstreisen als Pianist durch Deutschland und die Schweiz. Durch das Amt des Operndirektors in Prag (1813–16) wurde Weber sesshaft, in Prag entstanden zwei Klavierkonzerte. 1816 trat er das Amt des Hofkapellmeisters in Dresden an, das er bis zu seinem Tod innehat. Gleich zu Beginn seiner Dresdener Zeit nahm er die Arbeit am „Freischütz“ auf, der am 18.6.1821 als erste Oper im neuen Berliner Schauspielhaus mit triumphalem Erfolg uraufgeführt wurde und Webers Ruhm begründete. Das Dämonische und Geheimnisvolle wurden durch ihn erstmals in Töne gebannt. So galt der „Freischütz“ bald als deutsche Nationaloper. Es folgten „Euryanthe“ (Wien 1823) und „Oberon“ (London 1826).
5. Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung a) Burschenschaften und Wartburgfest Ungeachtet der großen politischen und verfassungsmäßigen Unterschiede innerhalb der deutschen Staaten und im Gegensatz zur Betonung der einzelstaatlichen Souveränität und dem vordergründigen Harmoniebedürfnis der Biedermeierzeit mit ihrer Hinwendung zum Privaten blieb der nationale Gedanke an den deutschen Universitäten wach und meldete sich bald in politischen Aktivitäten zu Wort. Bereits im November 1814 war in Halle die Burschenschaft „Teutonia“ entstanden. Im Juni 1815 schließlich gründeten Jenaer Studenten eine „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“, die bald auch an anderen deutschen Universitäten Anhänger fand. Von den ca. 10 000 Studenten in den deutschen Staaten zählten zwar nur etwa zehn Prozent zur Burschenschaft, doch wegen ihrer lautstarken öffentlichen Wirksamkeit galt diese bald als Rückgrat der frühen Nationalbewegung. In ihr wurde ein prononciert nationaler Geist gepflegt, landsmannschaftliche und monarchische Bezüge galten als suspekt. Vielmehr rückte der Gedanke der nationalen Einheit und einer freiheitlichen Verfassung in den Vordergrund. Aktenkundig wurde dies bei der Verabschiedung einer Verfassung der Burschenschaft in Jena am 19. Oktober 1818, in der sich diese als „freie und natürliche Verbindung der gesamten auf den Hochschulen sich bildenden deutschen Jugend zu einem Ganzen“ bezeichnete. Bei diesem Ereignis waren immerhin 14 Universitäten vertreten.
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Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung Verfassung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaften (19. 11. 1818) Quelle: Paul Wenzcke: Geschichte der deutschen Burschenschaft, Bd. 1, Heidelberg 1919, S. 288
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Die allgemeine deutsche Burschenschaft ist die freie und natürliche Verbindung der gesamten auf den Hochschulen sich bildenden deutschen Jugend zu einem Ganzen, gegründet auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden Einheit des deutschen Volkes. Die allgemeine deutsche Burschenschaft als freies Gemeinwesen stellt als den Mittelpunkt ihres Wirkens folgende, allgemein anerkannte Sätze auf: a) Einheit, Gleichheit und Freiheit aller Burschen untereinander, Gleichheit aller Rechte und Pflichten. b) Christlich deutsche Ausbildung jeder geistigen und leiblichen Kraft zum Dienste des Vaterlandes. Das Zusammenleben aller deutschen Burschen in dem Geiste dieser Sätze stellt die höchste Idee der allgemeinen deutschen Burschenschaft, die allgemeine Einheit aller deutscher Burschen im Geiste wie im Leben dar. Die allgemeine deutsche Burschenschaft tritt ins Leben dadurch, dass sie sich je länger je mehr darstellt als ein Bild ihres in Freiheit und Einheit erblühenden Volkes, dass sie ein volkstümliches Burschenleben in der Ausbildung einer jeden geistigen und leiblichen Kraft erhält und in freiem, gleichem und geordnetem Gemeinwesen ihre Glieder vorbereitet zum Volksleben, sodass jedes derselben zu einer solchen Stufe des Selbstbewusstseins erhoben werde, dass es in seiner reinen Eigentümlichkeit den Glanz der Herrlichkeit deutschen Volkslebens darstelle.
Doch bereits ein Jahr zuvor hatten sich Studenten aus vielen deutschen Staaten anlässlich des 300. Reformationsjubiläums und des vierten Jahrestages der Leipziger Völkerschlacht in Eisenach versammelt, um an der historischen Stätte der Wartburg ihrer Forderung nach Einheit und Freiheit Ausdruck zu verleihen. Hier waren Bezüge zur Reformationszeit und zur idealistisch mystifizierten Vergangenheit des alten Deutschen Reiches wieder aufgelebt, dessen angebliche Farben „schwarz-rot-gold“ (schwarzer Adler mit roten Fängen auf goldenem Grund) bereits vom Lützower Freikorps während der Befreiungskriege gleichnishaft aufgegriffen worden waren. Sie avancierten von nun an zum Symbol der deutschen Einheit.
Forderung nach Einheit und Freiheit
Das Wartburgfest (18. 10. 1817) Das Wartburgfest war die erste gemeinsame Kundgebung der Burschenschaften und stand als doppeltes Fest der Wiedergeburt sowohl des freien Gedankens wir der Befreiung des Vaterlandes im Zeichen der Erinnerung an die Reformation und die Völkerschlacht bei Leipzig. Nach dem Zug zur Wartburg am Vormittag und dem Abhalten patriotischer Reden speisten und diskutierten die Anwesenden im Burghof. Am frühen Nachmittag verließen die Studenten die Wartburg und veranstalteten mit dem ortsansässigen Landsturm einen Gottesdienst. Danach wurden gemeinschaftliche Turnübungen auf dem Marktplatz abgehalten. Nach Einbruch der Dämmerung zogen etwa 600 Studenten mit Fackeln auf einen Berg, auf dem symbolische Siegesfeuer entzündet worden waren. Nach dem gemeinsamen Absingen von Liedern und einer Rede wurden wohl auf Veranlassung „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahns – in Nachahmung von Luthers Verbrennung der Bannbulle – „undeutsche“ (Code Napoléon, Hallers „Restauration der Staatswissenschaft“, August von Kotzebues „Geschichte des deutschen Reiches“) Schriften sowie Sinnbilder des absolutistischen Regimes – ein Zopf, ein Ulanenschnürleib und ein österreichischer Korporalstock – den Flammen übergeben.
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 Obwohl bereits im Festritual das Unfertige und Unreife der Bewegung sowie ihre abwegigen historischen Bezüge ins Auge sprangen, bildete doch die in der Burschenschaft gesammelte Erfahrung eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls eine zentrale Voraussetzung für die später vollzogene staatliche Einheit der Nation. Zunächst begann sich ein Teil der Deutschen als „geistiges Band“ zu fühlen, nicht allein solidarisiert durch Sprache und ethnische Homogenität, sondern auch durch das gemeinsame Streben nach freiheitlich-liberalen Werten. Dagegen war die Forderung nach politischer Handlungseinheit, nach einem Zusammenfallen von Nation und Staat vorderhand nur in Ansätzen entwickelt. Sie sollte sich im politischen Bewusstsein der werdenden Nation in den folgenden Jahrzehnten erst nach der Zurückdrängung der volkstümlichen Elemente, nach nationaler Außenabgrenzung und der Vereinnahmung des Nationalen durch obrigkeitsstaatliches Handeln durchsetzten. In diesem Sinne signalisierte das Wartburgfest mit seiner enormen Symbolkraft bereits den Bruch, der sich bald zwischen Nationalbewegung und Deutschem Bund auftun sollte.
b) Die Ermordung Kotzebues und die Karlsbader Beschlüsse Radikale Positionen
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Fraglos hatte die Burschenschaft durch ihre nationalpolitische Agitation und Symbolik auf sich aufmerksam gemacht, zumal sie sich auch selbst als Keimzelle eines nationalstaatlichen Gemeinwesens begriff, was den restaurativen Kräften zunehmend ein Dorn im Auge war. Für zusätzliche Beunruhigung aber hatte darüber hinaus die Tatsache gesorgt, dass sich an ihrer Peripherie radikale Positionen, gestützt auf Geheimbünde, auszubreiten begannen. Gewiss war der Einfluss fanatischer Aktivisten – zumal solcher, die Verbindungen zu radikalen Geheimbünden in Frankreich unterhielten – noch eher gering, die Burschenschaft aber hatte sich von ihnen nicht deutlich abgegrenzt. Und so konnte es nicht verwundern, dass das politische und gesellschaftliche Leben Deutschlands bereits von 1819 an die Folgen eines Ereignisses zu tragen hatte, das an sich unmaßgeblich war und doch als Vorwand zur Verschärfung des antiliberalen Kurses und der Einschränkung von bürgerlichen Freiheitsrechten benutzt wurde. Am 23. 3. 1819 war der bekannte Verfasser von mehr als 200 Unterhaltungsdramen, August von Kotzebue, der nicht nur als Agent des Zaren galt, sondern als Herausgeber des Literarischen Wochenblattes die patriotische Attitüde der Burschenschaftler verspottet hatte und deshalb bereits zur Zielscheibe von scharfen verbalen Angriffen aus ihren Reihen geworden war, vom Theologie-Studenten und Jenenser Burschenschaftler Karl Ludwig Sand in Mannheim erdolcht worden. Sand galt als Freund Karl Follens, des Führers der radikalen Fraktion in der Burschenschaft. Er hatte nach der Tat vergeblich versucht, sich selbst umzubringen. Von seinen Wunden geheilt, wurde er zum Tode verurteilt und am 5. 5. 1820 schließlich enthauptet. Da der Täter aus dem Milieu der nach Einheit, Konstitution und Freiheit verlangenden studentischen Protestbewegung stammte, lag es nahe, die Ursache dieses Terroraktes der freiheitlichen Bewegung an den Universitäten, den Protagonisten der frühen
Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung
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deutschen Nationalbewegung sowie der freien Presse im Ganzen anzulasten. Dies umso mehr, als am 1.7.1819 ein weiteres, wieder von einem Mitglied der Burschenschaft ausgeführtes Attentat auf den nassauischen Staatsrat Karl von Ibell (1780–1834) verübt wurde, das allerdings scheiterte. August von Kotzebue (1761–1819), deutscher Dramatiker und Publizist, lebte in Russland 1781–1797 und war Hoftheaterdichter in Wien 1797–1799. In Russland verhaftet, wurde er 1800 nach Sibirien verbannt und später entschädigt. Er wirkte publizistisch gegen Napoleon und wurde 1813 russischer Staatsrat. Er karikierte die Burschenschaften und galt als Feind der deutschen Einheit und Freiheit. Am 23. 3. 1819 wurde er von Karl Ludwig Sand ermordet.
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Karl Ludwig Sand (1795–1820), Theologiestudent und radikaler Burschenschaftler in Jena, Freund Karl Follens (vgl. I.1.b) und fanatischer Anhänger konspirativer Geheimbundaktivitäten; Er vertrat die Idee von der exemplarischen Ermordung einiger Verräter und dem Opfertod für die Freiheit: Nach der Ermordung Kotzebues und einem gescheiterten Selbstmordversuch wurde er am 5. 5. 1820 hingerichtet.
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Metternich zögerte nicht, beide Anschläge als Teil einer Verschwörung zu interpretieren und aus der zynisch kommentierten Ermordung des „armen Kotzebue“ durch den „vortrefflichen Sand“ politischen Nutzen zu ziehen. Nun konnte er endlich gegen die Burschenschaft im Besonderen sowie die nationale und liberale Bewegung im Allgemeinen aktiv werden. Da ihm – die parallel laufenden Verhandlungen zur Verabschiedung der Bundeskriegsverfassung vor Augen – gleichzeitig vorschwebte, den Bund gegen die Renitenz der von „verdächtigen Liberalen“ geführten mittelstaatlichen Triasbefürworter (Bayern, Württemberg, Baden und beide Hessen) unter Kontrolle zu bringen, bediente er sich bei seinem Vorgehen zur Gewährleistung der inneren Ruhe und Ordnung nicht der föderalistischen Struktur des Bundes, sondern knüpfte stattdessen an die doppelhegemoniale Praxis im Verein mit Preußen an. So blieb der Bundestag in dieser frühen Phase der Entscheidungsfindung ausgeschaltet und hatte dann im Nachhinein lediglich bereits vorher Besprochenes abzusegnen. Erst nach einem Treffen zur Vorverständigung mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. in Teplitz (20. 7. 1819) und der Teplitzer Punktation vom 1. August, in der sich der preußische Staatskanzler Karl August von Hardenberg von Metternich in Bezug auf die Einlösung des königlichen Verfassungsversprechens in Preußen die Hände binden ließ und gleichzeitig Einigung darüber erzielt wurde, im Innern Deutschlands keine mit der Existenz des Bundes unvereinbaren Grundsätze zu akzeptieren, setzte Metternich, von Gentz inspiriert, auf der Karlsbader Ministerialkonferenz (6.–31. 8. 1819) zahlreiche repressive Maßnahmen durch. Die anwesenden Gesandten wurden massiv unter Zeitdruck gesetzt und konnten sich daher nicht vorab mit ihren Regierungen beraten. So überrumpelt, dachten namentlich die süddeutschen Verfassungsstaaten Bayern und Württemberg von Anfang an nicht daran, sich an die Vorgaben zu halten. Deshalb passierten diese widerstandslos die Bundesversammlung (20. 9. 1819). Doch bald wurde die Tragweite des Beschlossenen sichtbar. Die Karlsbader Beschlüsse vom 20. 9. 1820 sahen die Einführung von vier Bundesgesetzen (Universitätsgesetz, Pressgesetz, Untersuchungsgesetz
Schlag gegen Liberalismus
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Zensur und Überwachung
Schlichtung und Bundesexekution
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und vorläufige Exekutionsordnung) vor, mit denen die Ruhe an den Universitäten wiederhergestellt und die liberale Agitation der Presse eingedämmt werden sollte. Die Burschenschaften sollten verboten, die Universitäten und das öffentliche Leben überwacht sowie die Pressezensur wiedereingeführt oder verschärft werden. Dieses ungewöhnliche Verlangen wurde vom Bundestag einstimmig sanktioniert: Danach sollten alle Hochschullehrer entfernt werden, die „durch Missbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren ihre Unfähigkeit (…) an den Tag gelegt“ hatten. Sie durften in keinem anderen Bundesstaat oder in irgendeiner öffentlichen Lehreinrichtung wieder angestellt werden. Gleichzeitig wurde die Burschenschaft mit der fadenscheinigen Begründung verboten, ihr liege „die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft und Korrespondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zugrunde“. Ab sofort sollte die Überwachung und Lenkung der Universitäten in die Hände außerordentlicher Regierungsbevollmächtigter gelegt werden. Einmal der Universität verwiesene Studenten durften von keiner anderen mehr aufgenommen werden. In Korrektur der im Art. 18 der Bundesakte in Aussicht gestellten Pressefreiheit wurde nun eine vorbeugende Zensur für Zeitungen, Zeitschriften und alle Druckerzeugnisse unter 20 Bogen eingeführt. Einer auf der Bundesfestung Mainz ansässigen, siebenköpfigen, außerordentlichen Zentraluntersuchungskommission oblag von nun an die Untersuchung „revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen“. Die Kommission sollte der Bundesversammlung Bericht erstatten, sodass Letztere weitere Beschlüsse zur Einleitung von Gerichtsverfahren fassen konnte. Nach Ablieferung ihres Hauptberichtes (14. 12. 1827) stellte die Kommission im darauf folgenden Jahr ihre Tätigkeit jedoch ein. Die Einrichtung eines von Preußen vorgeschlagenen Ausnahmegerichts des Bundes scheiterte am Einspruch Wiens. Doch wurde mit der Verabschiedung einer Exekutionsordnung die Voraussetzung für die Umsetzung von Bundesbeschlüssen und die Disziplinierung aller Bundesglieder geschaffen. Die gesetzliche Verankerung der Bundesexekution gegen abtrünnige Gliedstaaten war in Etappen erfolgt: Nach dem Abschluss einer Austrägalordnung (16. 6. 1817), deren Zweck in der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Mitgliedsstaaten des Bundes durch ein Vermittlungsund Entscheidungsverfahren lag, folgte die Abfassung gesetzlicher Bestimmungen zur Konfliktlösung zwischen Einzelstaaten und Bund. Der zu diesem Zweck verfassten vorläufigen Exekutionsordnung (20. 9. 1819) folgte auf der Grundlage der Art. 31 bis 34 der Wiener Schlussakte (15. 5. 1820) die Exekutionsordnung (3. 8. 1820). Art. I dieses Dokuments legitimierte die Bundesversammlung, zum Vollzug der Bundesakte und der übrigen Grundgesetze des Bundes nach Erschöpfung aller anderen bundesverfassungsmäßigen Mittel, die erforderlichen Maßregeln in Anwendung zu bringen. Das zeitaufwendige Verfahren der formellen Bundesexekution sah eine komplizierte Schrittfolge mit vielen friedlichen Optionen vor. Zunächst hatte die Bundesversammlung eine Kommission mit der Prüfung zu
Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung
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beauftragen, ob der bundesgemäßen Verpflichtung vollständig oder unzureichend Folge geleistet worden sei. Nach erstattetem Vortrag vor der Bundesversammlung hatte der Gesandte der betreffenden Regierung die Möglichkeit, den Vollzug der geforderten Verpflichtungen anzuzeigen. Im Falle der Nichterfüllung erging der Exekutionsbeschluss. Bevor jedoch militärische Zwangsmaßnahmen eingeleitet wurden, war die entsprechende Regierung noch einmal zu warnen. Bei erneuter Nichtbeachtung war der betreffende Staat von der im Namen der Gesamtheit des Bundes beschlossenen Einleitung des Exekutionsverfahrens in Kenntnis zu setzen. Anschließend hatte die Bundesversammlung den Auftrag zur Durchführung der Exekution in die Hand einer unbeteiligten Regierung oder mehrerer Regierungen zu legen. Die Bestimmung von Dauer des Verfahrens und Intensität des militärischen Mittels oblag ebenfalls der Bundesversammlung. Mit der unmittelbaren Leitung des Verfahrens war nun ein Zivilkommissar zu betrauen. Doch bis zur Vollstreckung hatte die betroffenen Regierung noch einmal eine Frist von drei Wochen, um ihre Haltung im Sinne der Bundesbeschlüsse zu korrigieren. Erst nach dem neuerlichen Ausbleiben einer positiven Reaktion begannen die militärischen Maßnahmen, nach deren Vollzug alle Truppen unverzüglich wieder zurückbeordert wurden. Dem Staat, dem die Exekution gegolten hatte, wurden gleichzeitig alle Kosten derselben in Rechnung gestellt. Die Langwierigkeit des Verfahrens eröffnete einer Gliedstaatenregierung genug Möglichkeiten, durch Berichtigung ihrer Position dem Einsatz militärischer Mittel aus dem Wege zu gehen. Bundesexekutionen Bei den insgesamt vier Bundesexekutionen wurde zweimal der Exekutionsbeschluss gefasst, dann aber das Verfahren abgebrochen, da die betreffende Regierung im letzten Moment einlenkte. Das war 1827 nach dem Bruch der Landesverfassung durch Herzog Carl von Braunschweig (1804–1874) der Fall, als dieser auf den Exekutionsbeschluss vom März 1829 die verfassungswidrigen Verordnungen zurücknahm. Als sich 1834 der Senat der Stadt Frankfurt a. M. weigerte, während der Bundesintervention von 1833/34 Bundesbeschlüssen Folge zu leisten, kam es ebenfalls zum Exekutionsbeschluss, der aber nicht ausgeführt werden musste, da der Senat seine Haltung korrigierte. Ausgeführt wurde die Exekution im Falle Holsteins, wo 1863/64 die dänische Herrschaft mit ihrer Hilfe gebrochen wurde (s. S. 143). Eine formlose Bundesexekution – ein Verfahren ohne zeitraubende Prozeduren – wurde infolge des Mobilmachungsbeschlusses des Bundes gegen Preußen vom 14.6.1866 eingeleitet. Daraus entwickelte sich schließlich der preußisch-österreichische Krieg (s. S. 150–151).
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c) Disziplinierung der Gliedstaaten und reaktionäre Wende Zweifellos setzte im Verhältnis zwischen Deutschem Bund und deutscher Nationalbewegung durch die Karlsbader Beschlüsse eine nachhaltige Entfremdung ein. Denn obwohl die Ausführung der Bundesbeschlüsse in den einzelnen Gliedstaaten zunächst durchaus große Differenzen aufwies – namentlich in den Verfassungsstaaten wurden diese viel großzügiger ausgelegt – war der Bund doch von nun an stärker zur Unterdrückung nationaler und liberaler Bestrebungen instrumentalisiert. Er geriet in das Dilemma,
Entfremdung von Bund und Nationalbewegung
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830
Epuration des Bundestages
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seine staatenbündische Struktur, insbesondere die Unverletzbarkeit und Souveränität der einzelnen deutschen Staaten, zunehmend mit massiven Eingriffen in eben deren Souveränitätsrechte zu verteidigen. Dieses Paradoxon vor Augen, beklagte der bayerische Finanzminister Maximilian von Lerchenfeld (1806–1866), dass Deutschland sich durch die Karlsbader Beschlüsse nunmehr von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat gewandelt habe. Zwar stellte dies eine Übertreibung dar, die Tendenz aber war nicht von der Hand zu weisen. Denn nun bemühte sich namentlich die Bundespräsidialmacht um eine verschärfte Gangart zur Disziplinierung unbotmäßiger Bundesgesandter. Ständige Ermahnungen und Maßregelungen Metternichs richteten sich gegen jene Bevollmächtigten, denen ein zu freier Umgang mit den Instruktionen ihrer Regierungen oder die Überschreitung von Kompetenzen nachgewiesen werden konnten. Neben dem badischen Gesandten Friedrich Landolin Freiherr von Blittersdorf (1792– 1861) und seinem bayerischen Kollegen Johann Adam Freiherr von Aretin sowie den beiden hessischen Bevollmächtigten erregte vor allem der württembergische Bundesgesandte Karl August Freiherr von Wangenheim die Aufmerksamkeit des österreichischen Staatskanzlers. Wangenheim hatte sich zu liberalen Ideen bekannt und setzte sich für einen bundesstaatlichen Ausbau des Deutschen Bundes im Sinne einer konstitutionellen Entwicklung ein. Erfolgreich hatte er an die öffentliche Meinung appelliert, die ihm zunehmend Rückhalt bot. Zudem wurde er durch den württembergischen König Wilhelm I. (1781–1864) gestützt. Es bedurfte schon einiger Mühe, diesen „Revolutionär“ und „üblen Demagogen“ (Metternich) zu diskreditieren und zu isolieren. Nachdem er eine Opposition im Bunde gegen die Mainzer Untersuchungskommission zu mobilisieren begann, erzwangen die beiden deutschen Vormächte 1823 unter Vorwänden in einem beispiellosen Akt der Gliedstaatendisziplinierung seine Abberufung und die zweier anderer Gesandter („Epuration“ des Bundestages). Selbständige Äußerungen oder gar liberale Initiativen von Bundesgesandten in Frankfurt unterblieben von diesem Zeitpunkt an. Die Drehung des Diplomatenkarussells hatte hier 1823/24 servile Parteigänger Metternichs in Stellung gebracht: Steriles restauratives Denken, denunziatorische Verschlagenheit und der Wille, jegliche Veränderung im liberalen Sinne zu unterbinden, beherrschten die Szenerie. Unter diesen Voraussetzungen wurden die Karlsbader Beschlüsse in Form eines „Maßregelngesetzes“ am 16. 8. 1824 ohne erkennbaren Widerstand auf unbestimmte Zeit verlängert und auch praktisch umgesetzt.
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Johann Adam Freiherr von Aretin (1769–1822), seit 1788 im bayerischen Staatsdienst, bis zum Sturz des Reform-Ministerium von Maximilian Graf Montgelas 1817 Direktor der diplomatischen Sektion, von 1817–22 bayerischer Bundestagsgesandter; In dieser Funktion trat er namentlich durch die energische Verteidigung der bayerischen Verfassung und sein Eintreten für ein vergrößertes politisches Gewicht der deutschen Mittelstaaten (Trias-Idee) in Erscheinung. Aretin war gemeinsam mit Freiherr vom Stein Stifter des „Vereins für ältere deutsche Geschichtskunde“.
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Karl August Freiherr von Wangenheim (1773–1850), studierte in Jena und Erlangen Theologie und Jura, seit 1795 im sachsen-koburgisch-saalfeldischen Landesdienst wurde er 1804 wegen Differenzen mit dem leitenden Minister entlassen; im württembergischen Staatsdienst seit 1806, Präsident des Oberfinanzdepartements 1809, Präsident der Oberregierung bis zu deren Aufhebung 1811, danach
Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung
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Präsident des Obertribunals und Kurator der Universität Tübingen, 1816–17 Kultusminister, 1817–23 Bundestagsgesandter, hier in mehreren Kommissionen vertreten, u. a. in der Reklamationskommission, wo er einen prononciert konstitutionellen Standpunkt einnahm, der Metternich im Juli 1823 den Vorwand lieferte, seine Abberufung zu fordern. Von da an war Wangenheim als Wissenschaftler und Publizist tätig.
Maßgeblich für politisches Agieren auf der Bundesebene war das enge Zusammengehen Wiens und Berlins, das nunmehr durch eine ideologische Komponente ergänzt wurde. So hatte der preußische Bundestagsgesandte seit 1824, Karl von Nagler, seine Sporen als Generalpostmeister und damit als Organisator des Informationsdienstes der preußischen reaktionären Hofpartei verdient. Er galt als unbedingt zuverlässiger Gewährsmann der restaurativen Kräfte in Berlin um den so genannten Minister hinter der Gardine, Polizeiminister Ludwig Wilhelm Georg Fürst von Sayn-Wittgenstein (1770–1851), und wie dieser als treuer Anhänger eines engen Schulterschlusses mit Wien. Überhaupt sollte nach Ansicht des neuen österreichischen Präsidialgesandten, Freiherrn von Münch-Bellinghausen, der den als „eigensinnig“ geltenden Johann Rudolf von Buol-Schauenstein (1763– 1834) abgelöst hatte, in den Sälen des Bundestages „jede persönliche Ansicht“ der Gesandten „über die Gegenstände allgemeiner Beziehungen verstummen“. Als Repräsentanten ihrer Fürsten hätten sie lediglich das Meinungsbild ihrer Höfe zur Kenntnis der anderen Bundesglieder wiederzugeben. Und auch die deutsche Öffentlichkeit erfuhr kaum mehr etwas von den Verhandlungen der Frankfurter Versammlung, abgesehen von Indiskretionen und peinlichem Leichtsinn (so waren die Protokolle versehentlich als Einwickelpapier benutzt und in Umlauf gebracht worden), nachdem die Publikation der Bundestagsprotokolle, die 1816/17 mit großer positiver Resonanz und von vielen Hoffnungen begleitet begonnen hatte, eingeschränkt und 1828 vollends eingestellt wurde. Eine belebende Opposition war auch von der „Trias“, dem Zusammenschluss der deutschen Mittelstaaten gegen die Dominanz der beiden deutschen Vormächte, vorerst nicht mehr zu erwarten. Nach der Entlassung Wangenheims, ihres profiliertesten Vertreters neben dem bereits 1822 verstorbenen bayerischen Gesandten Johann Adam von Aretin, erlitt sie einen Rückschlag, von dem sie sich bis zur Revolution von 1848 nicht mehr erholte. Karl Ferdinand Friedrich von Nagler (1770–1846), preußischer Beamter und Diplomat, studierte in Erlangen und Göttingen Jura und Staatswissenschaften, danach im preußischen Staatsdienst, 1802 Geheimer Legationsrat, 1809 Geheimer Staatsrat, 1810 von Hardenberg wegen seiner reformfeindlichen Grundhaltung kaltgestellt, 1821 Präsident des Generalpostamtes und seit 1823/24 Generalpostmeister (Adelstitel), 1824–35 preußischer Bundestagsgesandter in Frankfurt a. M., ab 1835 wieder Generalpostmeister und seit 1836 zugleich Staatsminister; er war Mitbegründer des modernen Postwesens in Deutschland.
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Joachim Eduard Freiherr von Münch-Bellinghausen (1786–1866), seit 1806 im österreichischen Staatsdienst, 1819–22 Stadthauptmann von Prag, 1822 als Hofrat in die Staatskanzlei berufen, 1823–48 österreichischer Staatsminister und Präsidialgesandter am Bundestag in Frankfurt a. M., wo er im Sinne Metternichs bedeutenden Einfluss ausübte. Er zog sich nach Ausbruch der Revolution von 1848 ins Privatleben zurück und wurde 1861 zum erblichen Mitglied des Herrenhauses ernannt.
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 Besonders in Österreich und Preußen begann nun für zwei Jahrzehnte eine Epoche der Reaktion. Überwachungen, Verfolgungen und Verhaftungen beherrschten allerorts die Szenerie. Während Friedrich Ludwig Jahn für Jahre ins Gefängnis wanderte, zog Joseph von Görres (1776–1848) die Emigration vor. Viele Reformer – unter ihnen Reichsfreiherr vom Stein (1757–1831) und der verdiente General der Befreiungskriege und Kommandant von Berlin, Graf Neidhard von Gneisenau (1760–1831) – wurden beschuldigt, Demagogen zu sein oder verloren – wie die Generale Hermann von Boyen (1771–1848) und Karl Wilhelm von Grolman (1777– 1843) – Einfluss und Stellung. Mit dem Scheitern der preußischen Verfassungspläne – vollends nach dem Tod Hardenbergs im November 1822 – verlor die liberale Bewegung einen wichtigen staatlichen Rückhalt. Das sich entwickelnde Bürgertum blieb in seiner politischen Wirksamkeit beschränkt und außerhalb politischer Verantwortung. Lediglich im administrativen Bereich überlebten liberale Reformvorstellungen, die vor allem in der Wirtschafts- und Zollpolitik Preußens zum Durchbruch gelangten.
Demagogenverfolgung
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Leopold Hermann Ludwig von Boyen (1771–1848), preußischer General und Militärreformer, Schüler Kants in Königsberg, war nach der Niederlage Preußens 1806/07 unter Gerhard von Scharnhorst führend an der preußischen Heeresreform beteiligt; als Kriegsminister war er 1814–1819 verantwortlich für das preußische Wehrgesetz. Er trat aus Protest gegen die Eingliederung der Landwehr in den Divisionsverband und die damit verbundene Verwässerung der Landwehrinstitution im Dezember 1819 zurück. Nach der Regierungsübernahme Friedrich Wilhelms IV. rehabilitiert, war er 1841–1848 erneut preußischer Kriegsminister, Marschall 1847.
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Karl Wilhelm Georg von Grolman (1777–1843), preußischer General, Diplomat und Militärreformer, lehnte den Deutschen Bund als „nicht lebensfähig“ ab, er erhielt zusammen mit Boyen im Dezember 1819, die königliche Pension ausschlagend, den Abschied; 1825 wurde er wieder als Divisionskommandeur eingestellt, ab 1832 war er kommandierender General des 5. Armeekorps, im November 1840 unternahm er während der „Rheinkrise“ eine militärdiplomatische Mission nach Wien.
d) Wiener Schlussakte
Kompromiss zwischen Restauration und Konstitutionalismus
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Unterdessen zog die Wiener Schlussakte vom 15. 5. 1820 bereits eine relativierende Bilanz unter die seit 1819 vollzogene Stärkung der Bundesexekutive, indem sie den Deutschen Bund als eine unauflösliche Gemeinschaft selbständiger, voneinander unabhängiger Staaten mit wechselseitigen gleichen Vertragsrechten und Vertragsobliegenheiten definierte, die lediglich in ihren äußeren Verhältnissen als „eine in politischer Einheit verbundene Gesamtmacht“ aufgefasst werden sollte (Art. 2). Zweifellos stellten diese Formulierungen kein bundesstaatliches, sondern stattdessen ein staatenbündisches Programm dar. Das monarchische Prinzip fand durch die Forderung nach Vereinigung der „gesamten Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats“ Berücksichtigung (Art. 57), wobei „der Souverän durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an
Karlsbader Beschlüsse und Bundesdisziplinierung
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die Mitwirkung der Stände gebunden werden“ konnte. Obwohl die Verfassungsverhandlungen in den Einzelstaaten noch zusätzlich durch die Bestimmung eingeschränkt wurden, dass durch sie „die Ruhe des einzelnen Bundesstaates oder des gesamten Deutschlands“ nicht gefährdet werden durfte, deuteten diese Formulierungen auf einen Kompromiss zwischen den restaurativen Tendenzen der Zeit und dem von Süddeutschland ausgehenden Konstitutionalismus hin. Restaurative Züge hingegen trug insbesondere Art. 25, der den gesamten Bund für den Fall einer Widersetzlichkeit der Untertanen gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs oder gefährlicher Bewegungen in mehreren Bundesstaaten auf der Grundlage der eingegangenen Beistandsverpflichtung aufforderte, an der Erhaltung oder Wiederherstellung der Ruhe mitzuwirken. Unabhängig von einem Hilfeaufruf der betroffenen Gliedstaatenregierung hatte sich die Bundesversammlung sogar verpflichtet, nötigenfalls exekutive Maßnahmen festzulegen und einer Bedrohung der öffentlichen Ruhe und gesetzlichen Ordnung in mehreren Bundesstaaten auch durch das Zusammenwirken der Gesamtheit des Bundes entgegenzutreten (Art. 26 und 28). Im Zusammenhang mit den Karlsbader Beschlüssen bildeten diese Bestimmungen der Bundesintervention eine juristische Handhabe, zentrale Werte der Existenzerhaltung und Herrschaftspartizipation notfalls gewaltsam zu verteidigen und den Bund gegen mögliche nationale, liberale und demokratische Oppositionsbewegungen zu wappnen. Bundesinterventionen Das Mittel der Bundesinterventionen gegen Volksbewegungen wurde insgesamt vier Mal geplant oder in Anwendung gebracht. Zunächst plante der Bund den Einsatz von Truppen zur Unterdrückung der revolutionären Bewegung nach der französischen Julirevolution in Luxemburg 1831. Der Einsatz unterblieb aber, da die Lage unter Kontrolle gebracht werden konnte. Nach dem Frankfurter Wachensturm 1833 erfolgte hier eine Bundesintervention unter dem Befehl des österreichischen Feldmarschallleutnants Ludwig Freiherr von Piret de Bihain (1783–1862). Auch die Maßnahmen zur Wiederherstellung der bundesmäßigen Ordnung in Baden 1848 sowie in Kurhessen und Schleswig-Holstein 1850–52 führten zu Bundesinterventionen.
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In den Art. 35 bis 49 fanden auch die in der Bundesakte noch allgemein formulierten Bestimmungen zur äußeren Sicherheitsvorsorge eine detaillierte Beantwortung: Dem Bund stand als Völkerrechtssubjekt das Recht zu, Krieg zu erklären sowie Frieden und andere Verträge und Bündnisse zu schließen, sofern diese seiner Selbständigkeit und äußeren Sicherheit sowie der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit seiner Glieder entsprachen. Die Beistandsverpflichtung trat im Falle eines feindlichen Angriffs sofort ein. Dem Bund war aber eine Kriegserklärung nur bei einer Mehrheit von zwei Dritteln aller Stimmen des Plenums der Bundesversammlung möglich. Aufgrund der Stimmverteilung konnte ein solcher Beschluss von den beiden deutschen Vormächten im Verein mit den Mittelstaaten nicht durchgesetzt werden. Es mussten daher äußerst gewichtige Kriegsgründe vorliegen, die eine sehr breite Identifikation und eine dementsprechende Beschlusslage ermöglichten. Als folgenreich erwiesen sich ebenso die elastischen Festlegungen des Artikelpaares 46 und 47, in denen zwar die Nichtbeteiligung des Bundes an einem um außerbündische Interessen
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Reform und Restaurationszeit 1815–1830 einer seiner Vormächte geführten Krieg festgeschrieben, gleichzeitig aber auch Bundeshilfe für den Fall in Aussicht gestellt wurde, dass in einem solchen Krieg von einer Mehrheit des Engeren Rates Gefahr für das Bundesgebiet erkannt würde. Möglichen aggressiven außen- und sicherheitspolitischen Zielsetzungen des Bundes war damit ein wirksamer Riegel vorgeschoben. Denn die kleineren Bundesglieder konnten durch Zusammenwirken in der Bundesversammlung eine Entartung der deutschen Sicherheitspolitik durch die Inanspruchnahme des Bundes für egoistische Großmachtinteressen Österreichs oder Preußens verhindern.
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II. Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 27.–29. 7. 1830
Julirevolution in Frankreich (Louis-Philippe wird „Bürgerkönig“) 25. 8. 1830 Erhebung in Brüssel September 1830 Unruhen in Sachsen, Braunschweig und Kurhessen 29. 11. 1830 Aufstand in Warschau Februar 1831 Aufstände in Modena, Parma und im Kirchenstaat 4. 3. 1831 Beginn der österreichischen Intervention in Italien (Radetzky) 15. 11. 1831 Beschluss der Londoner Konferenz über belgische Neutralität 27./28. 5. 1832 Hambacher Fest 28. 6. 1832 Verabschiedung der „Sechs Artikel“ durch den Bundestag 22. 3. 1833 Gründung des Deutschen Zollvereins (In-Kraft-Treten 1. 1. 1834) 3. 4. 1833 Frankfurter Wachensturm 12. 6. 1834 Verabschiedung der „60 Artikel“ durch den Bundestag 31. 6. 1834 Flugschrift „Der Hessische Landbote“ 7. 12. 1835 Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnlinie (Nürnberg-Fürth) 1. 11./18. 11. 1837 Aufhebung der hannoverschen Verfassung, Protest der „Göttinger Sieben“ 12. 12. 1837 Entlassung der „Göttinger Sieben“ durch König Ernst August II. von Hannover Februar 1840 Zusammentritt der Londoner Konferenz (Orientalische Krise) 5. 8. 1840 Beginn antideutscher Kriegsvorbereitungen in Frankreich 28. 11. 1840 Abschluss einer preußisch-österreichischen Militärkonvention 8. 5. 1841 Verlängerung des Deutschen Zollvereins ohne Österreich 13. 7. 1841 Dardanellenvertrag (Wiedereingliederung Frankreichs in das europäische Konzert) 26. 8. 1841 „Lied der Deutschen“ (Hoffmann von Fallersleben) 4. 9. 1842 Dombaufest in Köln 18. 10. 1842 Einweihung der Walhalla bei Donaustauf/Regensburg 11. 4. 1847 Eröffnung des Vereinigten Landtages in Preußen 12. 9. 1847 Versammlung von radikalen Liberalen in Offenburg 10. 10. 1847 Heppenheimer Versammlung gemäßigter Liberaler
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
1. Die Julirevolution und ihre Auswirkungen in den deutschen Staaten Der Ausbruch der Julirevolution in Paris wurde in den Staaten des Deutschen Bundes als ein elementares Ereignis angesehen. Metternich bezeichnete das Geschehen als „Dammbruch“, gewann doch die erneute Revolution in Frankreich sofort eine exemplarische Bedeutung für Europa: 1789 hatte sich als ein wiederholbarer Vorgang erwiesen, alle Versuche einer restaurativen Stabilisierung des Kontinents waren als lediglich transitorisch entlarvt. Die deutschen Liberalen dagegen fühlten sich inspiriert. Von den Ereignissen in Polen, Italien und Belgien (s. S. 54–58) waren deutsche Gliedstaaten direkt oder mittelbar betroffen. Abgesehen davon brachen in einigen deutschen Staaten revolutionäre Unruhen und Aufstände aus, die als Impulsgeber für den Ausbau des Konstitutionalismus und einen darauf fußenden Reformkurs sowie in der Folge einer zunehmenden Radikalisierung und Politisierung der deutschen Öffentlichkeit fungierten.
Julirevolution als Dammbruch
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Julirevolution in Paris (27.–29. 7. 1830) Am 25. 7.1830 erließ Karl X. (1757–1836) reaktionäre, gegen die Verfassung von 1814 gerichtete Ordonnanzen (Auflösung der Kammer, Pressezensur, Wahlrechtsveränderung). Das Volk von Paris erhob sich dagegen und erzwang nach Barrikadenkämpfen die Abdankung des Königs und die Inthronisation des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe (1773–1850), der die Verfassung revidierte (Ministerverantwortlichkeit und Senkung des Wahlzensus) und ein bürgerlich-liberales Kabinett einsetzte. Außenpolitisch trennte die Julirevolution Europa in den liberalen Westen und den konservativen Osten. Die national-liberale Bewegung erhielt durch die Revolution neuen Auftrieb.
Braunschweig
Die revolutionären Unruhen im Herzogtum Braunschweig im September 1830 spiegelten im Kleinen wider, was sich in der Pariser Julirevolution im größeren Maßstab abgespielt hatte. Eine Mischung aus Unzufriedenheit mit dem politischen System – der regierende Herzog Karl II. (1804–1873) hatte 1827 in einem absolutistischen Staatsstreich die Landesverfassung aufgehoben und seine Regierungspraxis auch nach Einleitung einer Bundesexekution trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht geändert – und sozialer Notlage führte am 6. und 7. 9. 1830 zu Aufständen und schließlich am 8. 9. zur Erstürmung, Plünderung und Inbrandsetzung des herzoglichen Schlosses. Dies war ein symbolischer Vorgang, der den Sieg des Volkes über fürstliche Willkürherrschaft versinnbildlichte. In einem Akt revolutionärer Volkssouveränität erklärte der einberufene Landtagsausschuss Herzog Karl kurzerhand für „regierungsunfähig“ und setzte seinen Bruder Herzog Wilhelm von Braunschweig-Öls (1806–1884) als Regenten ein. Da sich Karl bereits zuvor politisch weitgehend diskreditiert hatte, ließ man ihn in Wien und Berlin fallen, obwohl er auf die Solidarität des Bundes hätte pochen können. Seine Regierungsunfähigkeit wurde sofort und allgemein akzeptiert. Eine mögliche Bundesintervention zu seinen Gunsten unterblieb. Mit der Verabschiedung einer Repräsentativverfassung am 12. 10. 1832 wurde der Erfolg des Aufstandes besiegelt.
Die Julirevolution und ihre Auswirkungen in den deutschen Staaten
II.
Weit intensiver als in Braunschweig wurde das bürgerlich-ständische Aufbegehren in Kurhessen von sozialen Protesten begleitet. Hier hatte sich Kurfürst Wilhelm II. (1777–1847) durch absolutistische Regierungspraxis und provozierende Mätressenwirtschaft diskreditiert. Der politische Protest gegen sein Regime, gegen bürokratische Bevormundung, Polizeistaat und Korruption, war mit sozialen Forderungen angereichert worden, wobei eine Verringerung der Steuer- und Abgabenlast im Vordergrund stand. Daneben wurde der Ruf nach einer Abschaffung der Zollgrenzen laut, was in der Erstürmung von Zollhäusern seinen sinnfälligen Ausdruck fand. Die bürgerliche Opposition verstand es sehr geschickt, den am 6. 9. beginnenden Massenaufruhr unterbürgerlicher Schichten, der von den größeren Städten bald auf das Land übergriff, im Interesse ihrer eigenen Wünsche zu kanalisieren. Nach Übergabe einer Petition der Kasseler Bürgerschaft am 15. September, in der die Einberufung der kurhessischen Ständeversammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung gefordert wurde, lenkte Wilhelm II. ein. Die kurfürstliche Regierung berief einen Landtag ein, mit dem sie eine „liberale“ Verfassung vereinbarte, wobei der liberale Marburger Staatsrechtlers Silvester Jordan (1792–1861) federführend war. Kurfürst Wilhelm, der wegen seiner Mätresse den Hof nach Hanau verlegt hatte, wurde 1831 durch einen Mitregenten, seinen Sohn Friedrich Wilhelm, ersetzt. Obwohl der Monarch auch weiterhin Herr der Exekutive blieb und das Recht besaß, den Landtag einzuberufen und aufzulösen, verwirklichte die kurhessische Verfassung (5. 1. 1831) dennoch ein Höchstmaß von konstitutionellen Zugeständnissen. Sie sah ein Einkammersystem, ein relativ offenes Wahlrecht, eine Garantie bürgerlicher Grundrechte, den Verfassungseid von Beamten und Offizieren, die Möglichkeit einer Bürgergarde, das Verfassungsgelöbnis des Monarchen, Gesetzesinitiativrechte der Kammer, das Budgetrecht der Kammer sowie die Ministerverantwortlichkeit und -anklagemöglichkeit vor. Zweifellos handelte es sich dabei um die größten Zugeständnisse, die ein deutscher Monarch vor 1848 gemacht hatte. Deshalb galt die kurhessische Verfassung als singulär und konnte im Gegensatz zur württembergischen nicht als beispielgebend für die liberale Verfassungsentwicklung in Deutschland angesehen werden. Doch Verfassungstext und Verfassungsrealität waren auch in diesem Falle zwei verschiedene Dinge. Friedrich Wilhelm erwies sich als nicht weniger despotisch als sein Vater. Im Mai 1832 setzte er ein entschieden antikonstitutionelles Kabinett unter Minister Ludwig Hassenpflug (1794–1862) ein. Damit begann eine Periode permanenter politischer Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt in einer Ministeranklage gegen Hassenpflug fand, die vom Wortführer der Liberalen im kurhessischen Abgeordnetenhaus, Silvester Jordan, initiiert wurde. Das Verfahren führte nicht zum Erfolg, stattdessen aber zu dienstrechtlichen Maßregelungen einiger Abgeordneter. Die spätere Entlassung Hassenpflugs durch den Monarchen 1837 änderte nichts am absolutistischen Regierungsstil und hinterließ eine unbefriedete politische Szenerie.
Kurhessen
Ein Bündel politischer, religiöser und sozialer Spannungen führte im Sommer 1830 in Sachsen zu Unruhen, wobei sich die revolutionären Aktivitäten von den Städten in die Textildörfer ausbreiteten. Dabei verbanden
Sachsen
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 sich die Ablehnung der altständischen Verfassung mit antikatholischen Ressentiments sowie Handwerker- und Arbeiterprotesten. Auch in Sachsen gelang es dem etablierten Bürgertum, hier mit Hilfe der hohen staatlichen Bürokratie, die Protestbewegung in eine Reformbewegung zu kanalisieren, deren Ziel die Ausarbeitung einer Verfassung war. Zwar blieb diese, am 4. 9. 1831 verabschiedet, anders als in Kurhessen, von konservativem Zuschnitt, sie schrieb aber das Zweikammersystem fest und stellte somit einen Kompromiss dar. Von nun ab wurden Staat und Gesellschaft schrittweise reformiert. 1832 wurde die Ablösung der Grundlasten mit Hilfe staatlicher Bankkredite eingeleitet, 1843 sogar die adlige Steuerfreiheit aufgehoben. In den Städten kam es per Reform zu einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Hannover
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In Hannover, das mit Großbritannien in Personalunion verbunden war, richtete sich der Protest namentlich gegen das altständisch-feudale System, als deren Repräsentant nicht König Wilhelm IV. von Großbritannien (1765– 1837), sondern der leitende Minister in Hannover, Ernst Graf Münster (1766–1839), galt. Von den südlichen Landesteilen ausgehend, verbreitete sich der Ungehorsam seit dem Winter 1830/31 auch im übrigen Staatsgebiet. Im Januar 1831 putschten sich in Göttingen drei Privatdozenten an die Macht. Doch der Aufstand wurde bald mit Hilfe des Militärs niedergeschlagen. Graf Münster freilich war nun nicht mehr zu halten. Die Regierung und der durch Liberale veränderte Landtag vereinbarten eine Verfassung, die 1833 verabschiedet wurde und dennoch viele altständische Überreste enthielt. Immerhin kam es in Hannover zu Steuererleichterungen und bereits 1831/32 zur Ingangsetzung der Bauernbefreiung. Indes blieben die revolutionären Errungenschaften nicht unangefochten: Als im Juni 1837 nach dem Tode Wilhelms IV. die Personalunion mit Großbritannien wegen der unterschiedlichen Erbfolge endete, wurde seine Nichte Viktoria (1819–1901) Königin von England und sein Bruder, der Hochtory Ernst August von Cumberland (1771–1851), König von Hannover. Den Eid auf die Verfassung lehnte dieser schlichtweg ab. Er vertagte den Landtag und erklärte die Verfassung am 1. 11. 1837 schließlich für ungültig. Damit waren auch alle Staatsdiener aus ihrem Verfassungseid entlassen. Doch dem monarchistischen Staatsstreich vom November sollte ein Aufsehen erregendes Nachspiel folgen. Sieben Göttinger Professoren erklärten, sich auch weiter an die Verfassung gebunden zu fühlen und an keinen Aktionen gegen sie teilnehmen zu wollen. Diesen Akt politischer Unbeugsamkeit bezahlten sie mit ihrer fristlosen Entlassung aus dem Universitätsdienst. Drei von ihnen wurden des Landes verwiesen, wobei ihnen eine Frist von lediglich drei Tagen blieb. Zwar wurden diese „Märtyrer“ des liberalen Gedankens und der Rechtsstaatlichkeit später rehabilitiert, doch die deutsche Öffentlichkeit war angesichts dieses klaren Falles von monarchischer Willkürherrschaft alarmiert, zumal der Deutsche Bund den Staatsstreich auf Betreiben Metternichs einfach hingenommen hatte. Die Vorgänge in Göttingen hatten nicht nur zu heftigen Protesten in ganz Deutschland geführt, die politische Landschaft war insgesamt weiter polarisiert worden. Vor diesem Hintergrund fiel die revidierte Verfassung Hannovers von 1840 schließlich weitaus weniger reaktionär aus, als ursprünglich erwartet. Sie schränkte die Kompetenz der Kammern ein und schaffte die Ministerverantwortlichkeit ab.
Politisierung und Radikalisierung der deutschen Öffentlichkeit Göttinger Sieben Sie waren Professoren von höchstem wissenschaftlichem Rang: die Germanisten Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859), die Historiker Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1869) und Georg Gottfried Gervinus (1805–1871), der Orientalist Heinrich Ewald (1803–1875), der Jurist Wilhelm Eduard Albrecht (1800–1876) und der Physiker Wilhelm Eduard Weber (1804–1891). Ihre Entlassung führte zu spontanen öffentlichen Sympathiekundgebungen und zur Bildung von Hilfskomitees, die Geld sammelten, um die Entlassenen finanziell zu unterstützen. Die Brüder Grimm erhielten von einem Leipziger Verleger den existenzsichernden Auftrag, ein deutsches Wörterbuch abzufassen. Das Göttinger Ereignis begründete, wie Heinrich von Treitschke (1834–1896) zuerst bemerkte, die politische Autorität der deutschen Professorenschaft und schuf eine wichtige Voraussetzung für die Bewegung von 1848.
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2. Politisierung und Radikalisierung der deutschen Öffentlichkeit im Zuge der Julirevolution a) Frankfurter Wachensturm Neben dem konstitutionellen und reformerischen Schub erlebten die deutschen Staaten nach 1830 eine Phase der allgemeinen Politisierung und Radikalisierung. Letztere drückte sich namentlich im Frankfurter Wachensturm aus, einem gescheiterten Putsch, der zu scharfen Gegenmaßnahmen des Bundes führte. Am 3. 4. 1833 hatte eine kleine Gruppe von radikalisierten Intellektuellen aus dem Milieu der Burschenschaften versucht, sich durch einen Handstreich der Stadt Frankfurt a. M., dem Sitz der Bundesversammlung, zu bemächtigen, die Bundesgesandten zu arretieren und in der Mainmetropole eine revolutionäre Zentralgewalt zu errichten. Frankfurt, so glaubten die Verschwörer, würde das Signal zu einem allgemeinen Aufstand geben. Doch der Plan wurde verraten. Nach dem Sturm auf die Frankfurter Polizeiwache, der auf beiden Seiten einige Tote und Verwundete kostete, wurde schnell klar, dass das Unternehmen keine Realisierungschancen besaß. Weder nutzten die befreiten Gefangenen die Möglichkeit der Flucht, noch ließen sich die überrumpelten Soldaten darauf ein, gemeinsame Sache mit den Verschwörern zu machen. Die Frankfurter Bürger waren zwar neugierig, aber nicht zur Übernahme von Waffen zu bewegen. Eilig heranbefohlenes Militär unterdrückte den Aufstand schnell.
Putschversuch
b) Repressive Maßnahmen von Seiten des Deutschen Bundes Nach den Zwangsmaßnahmen der frühen zwanziger Jahre folgte nun im Ausklang der Julirevolution eine zweite Welle der Repression, die wieder durch die Frankfurter Bundesorgane initiiert wurde und das Verhältnis zwischen der nationalliberalen bürgerlichen Bewegung und der Institution des Deutschen Bundes weiter beschädigte. Nach dem Hambacher Fest (s. S. 53–54) wurde per Bundesgesetz am 5. Juli 1832 die Zensur verschärft
Neue Repressionswelle
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Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 und ein Verbot aller politischen Vereine, Versammlungen, Feste und Adressen erlassen. Damit war jede öffentliche politische Tätigkeit außerhalb des offiziellen Rahmens untersagt. Die Einzelstaaten folgten mit entsprechenden Verordnungen. In weiteren Bundesgesetzen, den „Sechs Artikeln“ vom 28. 6. 1832 sowie den „Zehn Artikeln“ vom 5. Juli 1832, verfügte der Bundestag eine Einschränkung von Volksfesten und Versammlungen sowie eine einheitliche Auslegung der einzelstaatlichen Verfassungen im Rahmen der Bundesgesetze. Damit wurden der liberalen Opposition viele Möglichkeiten der politischen Artikulation genommen. Petitionen durften nicht gegen das „monarchische Prinzip“ verstoßen, die Verweigerung des Budgets wurde eingeschränkt, Bedingungen für eine Budgetzustimmung als Auflehnung deklariert. Die Redefreiheit in den Parlamenten wurde beschränkt, ebenso die öffentliche Berichterstattung. Da die Parlamente durch den Bund unter Kuratel gestellt waren, besaßen die Regierungen ausgezeichnete Handhaben, oppositionelle Kammern in die Schranken zu verweisen. Von nun an waren Verfassungsfortschritte in den Einzelstaaten vom Bund blockiert. Der Gegensatz zwischen den in den vorhandenen Landesverfassungen verbrieften Freiheiten und Rechten einerseits sowie der politischen Praxis des Bundes andererseits wurde immer spürbarer. Konstitutionelle Rechte, wie sie das liberale Bürgertum für die Bildung eines deutschen Nationalstaates für unverzichtbar hielt, waren folglich nur noch über eine Revision oder Abschaffung der Bundesverfassung zu erreichen. Der Deutsche Bund stand der sich bildenden Nation zunehmend im Wege. Deutlich zeigte sich die repressive Vorgehensweise des Bundes nach den Frankfurter Ereignissen vom April 1833. Sogleich wurden Bundestruppen unter dem Befehl des österreichischen Feldmarschallleutnants Ludwig Freiherr von Piret de Bihain (1783–1862) mit der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in Frankfurt betraut. Aus dieser Bundesintervention entwickelte sich alsbald eine Bundesexekution, da sich der Frankfurter Senat weigerte, den Bundesbeschlüssen Folge zu leisten. Erst sein Einlenken verhinderte die Ausführung des Exekutionsbeschlusses. Weitreichender noch waren jene Zwangsmaßnahmen, die der Bund nun zur Unterdrückung der Presse und zur Gewährleistung einer politischen Friedhofsruhe auch in den übrigen Bundesstaaten beschloss: Eine neue Zentralbehörde für politische Untersuchungen nahm die öffentliche Meinung ins Visier, ermittelte bis 1842 in über 2000 Fällen und erstattete Bericht über verdächtige Aktivitäten. Zahlreiche Strafverfahren in den Einzelstaaten waren die Folge. Der Hauptstoß richtete sich wieder gegen die Burschenschaften; die Zugehörigkeit zu ihnen galt in Preußen als Hochverrat. Neben lebenslänglichen und langjährigen Freiheitsstrafen wurden auch Todesurteile verfügt, die jedoch in Haftstrafen umgewandelt wurden. In geheimer Selbstverpflichtung einigten sich die deutschen Regierungen im Schlussprotokoll der Wiener Ministerialkonferenzen vom 12. 6. 1834 in den „60 Artikeln“ auf einen harten, mittels Schiedsgerichtsverfahren abgesicherten Repressionskurs, der rigide Maßnahmen zur Disziplinierung der Beamten, zur Kontrolle der Universitäten, zur Domestizierung der Landtage und zur Einschränkung ihres Budgetrechts sowie zur Unterdrückung einer freien Presse vorsah. Britische und französische Einwände wurden vom Bundestag als „Einmischung in deutsche Angelegenheiten“ (18. 9. 1834) abgewiesen. Freilich blieben
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Politisierung und Radikalisierung der deutschen Öffentlichkeit
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diese rechtlich unverbindlichen Wünsche der deutschen Bundesversammlung gerade bei den konstitutionellen Staaten nicht ohne Widerspruch, sodass ihre Durchsetzung nicht überall in gleichem Maße erfolgte. Erst recht fanden schiedsgerichtliche Verfahren des Bundes keinen Eingang in die politische Praxis.
c) Politische Publizistik und „Junges Deutschland“ Vor allem die politisch-oppositionelle Publizistik sollte durch die Gegenmaßnahmen des Bundes getroffen werden. Hierzu zählte die an Lord Byron (1788–1824) geschulte radikale Exilliteratur Heinrich Heines und Ludwig Börnes, die seit 1830 in Paris lebten und auf den Index meist eilfertiger, zum Teil aber auch mitfühlender Zensoren, wie den von Heine sehr beeindruckten Hofrat Friedrich von Gentz, gerieten. Manch weniger begabter Poet profitierte auch vom Werbeeffekt der Zensur. Das von der Zensur besonders hart geknebelte Österreich galt dank des Einfallsreichtums von Schmugglern als Eldorado für verbotene Bücher. Die Schriften des durch Heine und weitere jüngere Autoren, unter ihnen Karl Gutzkow, der spätere Direktor des Wiener Burgtheaters Heinrich Laube (1806–1884) und Theodor Mundt (1808–1861), repräsentierten „Jungen Deutschlands“ wurden durch den Bundestag schließlich am 10.12.1835 wegen Gotteslästerung und Unsittlichkeit offiziell verboten. In ihnen war das fest gefügte Gesellschaftsbild einer kritischen Prüfung unterzogen worden. Sie hatten sich gegen Tradition, Konvention und kirchlich geprägte Moralvorstellungen gewandt.
Junges Deutschland
Heinrich Heine (1797–1856), politisch-zeitkritischer Schriftsteller mit scharfsinnig-ironischer, melancholisch-romantischer und emanzipatorisch-republikanischer Note. In seinem „Buch le Grand“ füllte er ganze Seiten mit Zensurstrichen und ließ zwischen ihnen nur die Worte stehen: „Die deutschen Zensoren … Dummköpfe …“. 1830 siedelte er nach Paris über. Er wurde zum Wegbereiter eines kämpferischen Journalismus und des modernen Feuilletons, verfasste zahlreiche Gedichte und kritische Reisebeschreibungen („Deutschland, ein Wintermärchen“).
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Ludwig Börne (1786–1837), Journalist und Schriftsteller, Studium der Medizin und Staatswissenschaften, Herausgeber der bereits 1818 verbotenen Zeitschrift „Die Zeitschwingen“, wandte sich gemeinsam mit Heine von der spätklassischen und romantischen Literatur ab; 1830 Umzug nach Paris. Seine „Briefe aus Paris“ wurden als Sensation empfunden und fanden in Südwestdeutschland starke Verbreitung. Börne rief darin seinen Landsleuten zu: „Ein Volk, das die Freiheit haben will, muss sie rauben. Dem Geduldigen gibt man nichts, dem Drohenden wenig, dem Gewalttätigen alles.“
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Karl Gutzkow (1811–1878), löste mit seinem Roman „Wally, die Zweiflerin“ (1835), der die freie Liebe, die Emanzipation der Frau und eine Auflehnung gegen das kirchliche Christentum zum Inhalt hat, die Verbotskampagne des Frankfurter Bundestages gegen die neue Literatur aus.
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Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
d) Politische Emigranten
Hessischer Landbote
Kommunistisches Manifest
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Getragen durch politische Emigranten bildeten sich im Exil bald auch politische Organisationen heraus, die als Zentren der radikal-liberalen und später demokratisch-proletarischen Bewegung auf Deutschland zurückwirkten. Doch zunächst war in Marburg durch den Gießener Studenten Georg Büchner (1813–1837) und den Butzbacher Pfarrer und Schriftsteller Ludwig Weidig (1791–1837) 1833 die „Gesellschaft der Menschenrechte“ gebildet worden. Weidig hatte Büchner statistisches Material geliefert, das dieser für den 1834 verfassten „Hessischen Landboten“ benutzte, eine Flugschrift in zwei Ausgaben, die sich als frühes Manifest der Revolution unter der Parole „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ für eine republikanische Staatsform, für revolutionäre Gewalt und eine egalitäre Gesellschaft stark machte. 1835 wurde die Verschwörung aufgedeckt. Weidig nahm sich 1837 in der Untersuchungshaft das Leben, Büchner floh nach Zürich, wo er im selben Jahr starb. In der Schweiz hatten politische Emigranten aus Handwerkerkreisen und Burschenschaften dem Geheimbund „Junges Europa“ (1834) von Guiseppe Mazzini (1805–1872) eine deutsche Sektion, das „Junge Deutschland“ – hinzugefügt. Im Pariser Exil war inzwischen 1834 aus dem „Deutschen Volksverein“ der „Bund der Geächteten“ entstanden, aus dem sich 1837 – nach Hinzutritt von Mitgliedern des „Jungen Deutschland“ – durch Abspaltung der „Bund der Gerechten“ entwickelte. Seine Führungsfiguren waren Karl Schapper (1812–1870) und vor allem der ehemalige Schneidergeselle Wilhelm Weitling. Diese erste sozialistische Organisation besaß Parallelorganisationen in der Schweiz und in London. Sie benannte sich 1847 in „Bund der Kommunisten“ um und gab sich im Februar 1848, am Vorabend der Revolution, ein zündendes „Kommunistisches Manifest“, das aus der Feder von Karl Marx und Friedrich Engels stammte und für die kommunistische Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts eine herausragende Bedeutung erlangen sollte.
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Wilhelm Weitling (1808–1871), Schneidergeselle, emigrierte 1835 nach Paris und 1841 in die Schweiz. Er wurde sowohl durch seine Organisationstätigkeit als auch durch seine Schriften: „Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte“ (1838), „Garantien der Harmonie und der Freiheit“ (1842), „Das Evangelium eines armen Sünders“ (1845) zum „einflussreichsten Repräsentanten des deutschen Frühsozialismus“ (Thomas Nipperdey).
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Karl Marx (1818–1883), deutscher Philosoph, Nationalökonom, sozialistischkommunistischer Theoretiker und Publizist, stammte aus einer rheinisch-protestantischen Familie. 1847 trat er dem „Bund der Kommunisten“ bei und veröffentlichte gemeinsam mit Friedrich Engels 1848 das „Kommunistische Manifest“; Herausgeber der „Neuen Rheinischen Zeitung“ 1848; nach der Auflösung des „Bundes der Kommunisten“ 1852 gründete er 1864 die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) in London. Aus dem Londoner Exil wirkte Marx namentlich auf die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie ein und entwickelte grundlegende Auffassungen der kommunistischen Bewegung.
Politisierung und Radikalisierung der deutschen Öffentlichkeit Friedrich Engels (1820–1895), sozialistisch-kommunistischer Theoretiker und Publizist, stammte aus einer pietistischer Fabrikantenfamilie. Er veröffentlichte 1845 die „Lage der arbeitenden Klassen in England“, Mitarbeiter und Freund von Karl Marx, Mitautor des „Kommunistischen Manifestes“, Offizier in der Reichsverfassungskampagne 1849; danach lebte er vermögend in London, unterstützte Karl Marx finanziell und wirkte publizistisch sowie praktisch auf die sozialistisch-kommunistische Bewegung ein.
II.
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e) Bürgerliche Festkultur und Hambacher Fest Seit Dezember 1830 gewann die bürgerliche Festkultur in Form der „Polenfeiern“ – einer Solidarisierung mit dem polnischen Aufstand (s. S. 56–57) – neue, politische Akzente. In ausgelassene Biergelage mischte sich ein Zug latenter Aufsässigkeit und allgemeinen Ungehorsams. Dies war besonders bei den Burschentagen 1831 und 1832 der Fall. Zunehmend fühlten sich auch unterbürgerliche Schichten angesprochen, deren revolutionäres Mobilisierungspotential bald zutage treten sollte. Den Höhepunkt bürgerlich-oppositioneller Festkultur vor 1848 indes bildete das Hambacher Fest. Vor dem Hintergrund der ungeklärten Frage, ob ein Festverbot vorliegen würde oder nicht, hatten die Journalisten Johann August Wirth aus München und Philipp Jakob Siebenpfeiffer aus der Pfalz nach Hambach zu einem „Nationalfest der Deutschen“ eingeladen, das am 27./28. 5. 1832 vor der Ruine des Hambacher Schlosses bei Neustadt an der Hardt in der Pfalz stattfand. Mit dieser Kundgebung wollten beide die Stärke und Geschlossenheit des „Vaterlandvereins zur Unterstützung der freien Presse“ unterstreichen, der Ende Januar 1832 in Zweibrücken gegründet worden war und bald – außer von den Behörden – von schweren Richtungskämpfen zwischen radikalen und gemäßigten Kräften bedrängt wurde. Auf dem Schloss wurde neben der schwarz-rot-goldenen Fahne auch der weiße Polenadler aufgepflanzt. Mit 20 000–30 000 Teilnehmern war es die größte politische Massenveranstaltung vor der 1848er-Revolution. Neben Deutschen nahmen auch Polen und Franzosen teil. In den ca. 20 gehaltenen Reden wurden ganz unterschiedlich Akzente gesetzt: Dem Gedanken der nationalen Einheit wurde dabei neben der Forderung nach Freiheit, freier Meinungsäußerung und der Beseitigung der Fürstenherrschaft in besonderem Maße Raum gegeben.
Hambacher Fest
Johann August Wirth (1789–1848), oppositioneller Publizist und Republikaner, Mitveranstalter des Hambacher Festes, zweijährige Haft wegen Beamtenbeleidigung, anschließender Zwangsaufenthalt in Hof; 1836 Flucht nach Frankreich und in die Schweiz, wo er als politischer Journalist tätig war, 1847 nach Deutschland zurückgekehrt wurde er 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt.
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Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789–1845), republikanischer Publizist und Mitorganisator des Hambacher Festes, floh 1833. nach Einsetzen der Verhaftungswelle im Juni 1832, in die Schweiz; Antritt einer juristischen Professur in Bern, Geisteskrankheit und Einlieferung in eine private Anstalt 1844.
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Nationalistische Missklänge waren nur am Rande vernehmbar: So forderte der Westfale Karl Heinrich Brüggemann (1810–1887) im Namen der
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Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 Burschenschaften Elsass-Lothringen von Frankreich zurück. Überwiegend aber wurde der Geist republikanischer Brüderlichkeit und nachbarschaftlicher Freundschaft beschworen. Obwohl viele Reden und Gesänge von revolutionärem Pathos angefüllt waren, konnten sich die Anwesenden nicht auf revolutionäre Aktionen einigen. Für die Einsetzung einer provisorischen Volksvertretung, wie sie Wirth und Siebenpfeiffer gefordert hatten, fand sich keine Mehrheit. Bald schnitt behördliche Repression alle weiteren Überlegungen in dieser Richtung ab. Die bayerische Regierung befriedete die aufrührerische Pfalz mit Zwangseinquartierungen („Strafbayern“) und der Ausrufung des Belagerungszustandes. Von Seiten des Bundes wurden die Ereignisse um das Hambacher Fest zum Anlass für erneute Repressionen genommen.
3. Die internationalen und sicherheitspolitischen Auswirkungen der Julirevolution a) Julirevolution und Deutscher Bund
Äußere Bedrohungsgefühle
Die internationalen Auswirkungen der französischen Julirevolution stellten den Deutschen Bund vor erhebliche sicherheitspolitische Probleme. Abgesehen von inneren Unruhen markierten eine Reihe von äußeren Krisenherden (Belgien, Polen, Italien) eine labile sicherheitspolitische Szenerie. Darüber hinaus blieb lange Zeit offen, welchen Grad der Radikalisierung die Revolution in Frankreich erreichen und welche Folgewirkungen die sich damit synchron verschärfende Krise für Europa und den Deutschen Bund haben würde. Besonders in den ersten Monaten nach der Julirevolution waren viele Zeitgenossen der Auffassung, dass Revolution auch Krieg bedeuten würde, wie dies der Erfahrung von 1792 entsprach: Das preußische Mitglied bei der Bundesmilitärkommission, General Ludwig von Wolzogen (1773–1845) forderte deshalb am 10. 8. 1830 beispielhaft für viele andere Stimmen einen „Krieg auf Leben und Tod“ gegen die Revolution: „Was wird kommen, was müsste geschehen? Die Geschichte aller Revolutionen lehrt, dass die Gemäßigten nicht bleiben, sie werden durch die Schlimmeren verjagt, diese durch die noch Schlimmeren, dann kommen die Revolutionsbestien und endlich der Diktator. Fast alle diese Parteien haben das Bedürfnis nach außen. Ist es aber gewiss, dass sie uns angreifen, warum nicht ihnen entgegengehen? Sich nicht rüsten, ist Schwachsinnigkeit. Gerüstet stehen bleiben, unausführbar. Also vorwärts!“
Doch „positive Kriegsziele“, die über die ideologische Gegnerschaft von restaurativen, am Status quo orientierten Kräften einerseits und der national-revolutionären, mit weitergehenden sozialen Forderungen auftretenden europäischen „Partei der Bewegung“ andererseits hinausreichten, waren kaum vorhanden. Deshalb triumphierte am Ende eine pragmatische Linie, jene „europäische Friedenspartei“ aus Konservativen und saturierten Liberalen, die für den Erhalt des Status quo nach den Verträgen von 1815 eintrat und einen Ausgleich der Interessen auf der Basis einer Machtteilung
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Internationale und sicherheitspolitische Auswirkungen
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zwischen den liberalen Kräften im Westen und den konservativen im Osten herbeiführte. So brachte das Jahr 1830 noch keine grundlegende qualitative Aufwertung des militärischen Faktors in den europäischen Staatenbeziehungen. Der Deutsche Bund dagegen war am Ausgang der Krise unbeteiligt. Mehr denn je auf den Konsens seiner beiden Vormächte angewiesen, vermochte er aufgrund seiner föderalistischen inneren Struktur nur unzureichend, rechtzeitig und effektiv auf die zugespitzte äußere Lage zu reagieren und der sich formierenden Nation durch eine gemeinsame Frontstellung gegen die vermeintliche äußere Bedrohung inneren Halt zu geben. Einmischungsversuchen des liberalen Westens (britische Note vom 21. 5. und französische Note vom 24. 5. 1834) zugunsten der Opposition schob er jedoch in äußerst schroffer Form durch die Statuierung der so genannten „Nicht-Interventions-Doktrin“ (18. 9. 1834) einen Riegel vor. Nicht-Interventions-Doktrin des Deutschen Bundes (18. 9. 1834) Auszug Quelle: Huber, Dokumente, 1, S. 153 f.
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(…) In Erwägung endlich, dass Deutschland mittelst der Bundesverfassung ein eigener, durch sich selbst entstandener, für innere und äußere Zwecke so vollständig gebildeter und so fest begründeter politischer Körper geworden ist, dass es als ein Hauptbestandteil des europäischen Staatengebäudes alle Mittel besitzt, um ohne fremde Beihilfe seine innere Ruhe eben so, als die unverbrüchliche Sicherheit und Selbständigkeit der im Bundes vereinten souveränen Fürsten und freien Städte, zu verbürgen; – in Erwägung aller dieser Verhältnisse, kann der Deutsche Bund in dem Inhalt der Note des königlich französischen bevollmächtigten Ministers vom 30. Juni, und jener des königlich großbritannischen bevollmächtigten Ministers vom 18. Juli d. J. nur eine fremde Einmischung in seine inneren Angelegenheiten, und eine Anforderung von Rechten und Befugnissen erkennen, welche, wenn sie, dem Bundesvertrage und der Kongressakte zuwider, zugestanden würde, das ganze Verhältnis des Bundes verrücken, seine Selbständigkeit gefährden, und dem Bunde eine den Absichten und Zwecken seiner Stifter widerstrebende Abhängigkeit gegen das Ausland geben würde. Diesem nach beschließt die Bundesversammlung: 1. dass der Deutsche Bund sich gegen die in den Noten (…) aufgestellten Theorien, als mit der Deutschen Bundesakte im direkten Widerspruch stehend, feierlich verwahre (…).
b) Äußere Krisenherde Die belgische Revolution brach bald nach der französischen aus. Am 25. August 1830 war in Brüssel während einer Aufführung der Oper „Die Stumme von Portici“ (Daniel François Auber, 1782–1871) eine euphorisierte Menschenmenge dem Ruf „Zu den Waffen!“ gefolgt und hatte die holländische Besatzung im Handstreich überwältigt. Dieser spontane Akt, der sich gegen die auf dem Wiener Kongress vollzogene Zwangsvereinigung Belgiens mit den Niederlanden richtete, markierte den Beginn eines nationalen Befreiungskampfes zur Bildung eines von Holland unabhängigen Staates. Genau wie Frankreich einen Monat zuvor, wo ebenso tradierte Le-
Belgien
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Polen
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gitimitätsvorstellungen massiv verletzt worden waren, wurde Belgien nun zum Prüfstein für die Glaubwürdigkeit des 1820 in Troppau statuierten Interventionsprinzips der Kernmächte der Heiligen Allianz. Da mit dem Großherzogtum und der Bundesfestung Luxemburg auch Gebiete und Einrichtungen des Deutschen Bundes von den revolutionären Ereignissen betroffen waren, bildete Belgien den Schnittpunkt divergierender Sicherheitsinteressen zwischen den liberalen Westmächten einerseits und den konservativen Ostmächten sowie dem Bund andererseits. Bereits am 2. 10. 1830 hatte der niederländische König Wilhelm I. (1772–1843) die Mächte der Quadrupelallianz um Hilfe gegen die belgische Revolution angerufen. Sein Ansuchen war von Großbritannien und Preußen sofort abgelehnt worden. Selbst Metternich qualifizierte den Antrag als „unüberlegt“, während allein Zar Nikolaus I. (1796–1855) bereit war, zu intervenieren. Dilatorisch und ausweichend reagierte erst recht der Deutsche Bund, den der niederländische Gesandte beim Bundestag, Joseph Graf Grünne (1769–1853), am 15. 10. offiziell um Bundeshilfe zur Unterdrückung der luxemburgischen Unruhen gebeten hatte. Statt einer Hilfszusage beschloss die Bundesversammlung im Frühjahr 1831 zur Verstärkung der Festung Luxemburg Militärkontingente der Reserveinfanteriedivision aus Waldeck, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe zu entsenden, die völlig kriegsuntauglich waren und nach Gehorsamsverweigerungen und Zusammenrottungen vom Festungskommandanten zurückbeordert werden mussten. Unterdessen war am 4. 11. 1830 in London eine Konferenz der fünf Großmächte einberufen worden, die bereits am 20. 12. 1830 die Unabhängigkeit Belgiens anerkannte und am 20. 1. 1831 in einem 24 Artikel umfassenden Vertrag die Existenzbedingungen des belgischen Staates formulierte. Damit hatte der Zwangsverband zwischen Belgien und der Niederlande aufgehört zu existieren. Nachdem die Niederlande im August 1831 mit einem verzweifelten militärischen Alleingang gegen Belgien zur Revision des Vertrages an der Festigkeit des europäischen Konzerts gescheitert waren, fügten sie sich in den Vergleich. Die Separationsakte vom 14. 10. 1831 überließ den wallonischen Teil Luxemburgs Belgien, während Stadt und Festung Luxemburg sowie ein kleineres Rayon im Osten des Großherzogtums beim Deutschen Bund verblieben. Erst 1839 erkannten die Niederlande den Kompromiss endgültig an und entschädigten den Bund für den Verlust der westlichen Gebiete Luxemburgs mit Limburg. Am 29. 11. 1830 brach in Warschau der polnische Aufstand aus, dessen Ziel die Befreiung der polnischen Nation von der russischen Bevormundung war. Die Aufständischen setzten die Zaren-Dynastie der Romanows ab und banden bis zum Herbst 1831 alle im Westen stationierten russischen Truppen, die für eine mögliche Intervention in Westeuropa nun nicht mehr verfügbar waren. In den befreiten Gebieten hatte sich unterdessen eine polnische Nationalregierung unter Fürst Adam Czartoryski (1770– 1861) konstituiert. Nach den Niederlagen der Polen bei Grochow und Ostrolenka gegen die russische Armee unter dem Befehl Graf Hans Karl von Diebitsch-Sabalkanskis (1785–1831) und dessen Choleratod eroberte General Iwan Paskjewitsch (1782–1856) am 7. 9. 1831 Warschau und führt nach einer harten Bestrafung der Insurgenten eine rücksichtslose Russifizierung durch. Österreich und Preußen stellten Observationskorps unter dem
Internationale und sicherheitspolitische Auswirkungen Befehl der Generale Joseph Freiherr von Stutterheim (1764–1831) bzw. Neidhard von Gneisenau (1760–1831), um ein Übergreifen des Aufstandes auf ihr durch die Teilungen Polens (1772, 1793, 1795) vergrößertes Staatsgebiet zu verhindern. Beide Generale fanden dabei den Tod – allerdings nicht durch Kampfhandlungen sondern durch die grassierende Choleraepidemie. Von einem offenen Eingreifen zugunsten Russlands sahen die deutschen Vormächte jedoch ab – mit Blick auf die angespannte innere Lage in ihren eigenen Machtbereichen. Ein weiterer Krisenherd befand sich in Italien. Dort brachen im Februar 1831 in Modena, Parma und im Kirchenstaat nationalrevolutionäre Aufstände gegen die österreichische Herrschaft aus. Die ab 4. 3. 1831 einsetzende österreichische Intervention unter General Johann Graf Radetzky barg einige Eskalationsrisiken in sich, da die Haltung Frankreichs lange Zeit unbestimmt blieb. Da die erhoffte französische Hilfe ausblieb, gelang es aber Radetzky rasch, die Unruhen zu unterdrücken. Johann Joseph Wenzel Graf Radetzky (1766–1858), österreichischer Generalfeldmarschall, 1813 Chef des österreichischen Quartiermeisterstabes und Hofkriegsrat, 1815 Generalstabschef, ab 1831 kommandierender General der Italienarmee, die unter seiner Leitung zu einer Mustertruppe des österreichischen Heeres avancierte; 1848 militärischer Sieg im „Guerra Santa“ (Custozza, 25. 7. 1848), 1849 erneute Niederschlagung der italienischen Revolution im 100-Stunden-Feldzug in Oberitalien (Novara, 23. 3.), im November 1850 designierter Oberbefehlshaber der gegen Preußen mobilisierten Truppen in Böhmen.
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Italien
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Doch der revolutionäre Funke schwelte weiter. Bereits 1832 bildete der Genueser Guiseppe Mazzini (1805–1872) im französischen Exil den Geheimbund „Giovane Italia“ (Junges Italien) zur nationalen Einheit und inneren Erneuerung. Nach der Gründung des „Jungen Europa“ in Bern (1834) entstand, von Piemont aus organisiert, ein Netzwerk von Verschwörern zur Befreiung Italiens und Europas. Es waren namentlich politische Emigranten, die sich der Bewegung anschlossen und ihre Ideen transportierten. Nun war das Schreckgespenst einer ganz Europa überziehenden Untergrundbewegung Wirklichkeit geworden. Die warnende Prophezeiung Metternichs hatte sich endlich erfüllt. Die Julirevolution und die in ihrem Gefolge aufbrechenden Ereignisse in Belgien, Polen und Italien hatten Europa in einen liberalen Westen und einen konservativen Osten geteilt. Doch sollten die praktischen Auswirkungen dieser „ideologischen Blockbildung“ (Heinz Gollwitzer) nicht überbewertet werden. Zwar bildete sich über den gemeinsamen französisch-britischen Interessen in Spanien und Portugal, wo es 1832/33 zu einem Bürgerkrieg (Carlistenkrieg) gekommen war, auf Betreiben des britischen Außenministers Henry John Lord Palmerston und des französischen Botschafters in London, Charles Maurice Prinz von Talleyrand-Périgord (1754–1838), schrittweise eine französisch-britische Entente Cordiale heraus, die im April 1834 um Portugal und Spanien zur Quadrupelallianz erweitert wurde. Doch besaß sie aufgrund der britisch-französischen Rivalität keine allzu große Festigkeit. Immerhin stellte sie ein Gegengewicht zur Interventionspolitik der konservativen Ostmächte dar, die sich im Oktober
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Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 1833 im Berliner Allianzvertrag wieder enger zusammenschlossen, nachdem die Monarchenbegegnung zwischen Kaiser Franz I. und Zar Nikolaus I. in Münchengrätz im Herbst 1833 hierfür die Weichen gestellt hatte. Indes waren auch im Verhältnis der Ostmächte zentrifugale Tendenzen nicht zu übersehen. Diese resultierten namentlich aus der gespaltenen Interessenlage Preußens, das aufgrund seiner innergesellschaftlichen Struktur von einer prononciert antiliberalen Außenpolitik absah.
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Henry John Temple Lord Palmerston (1784–1865), britischer konservativer Staatsmann, Parlamentsmitglied (1807), Kriegsminister (1812–28), Außenminister (1830–34, 1835–41, 1846–51), Innenminister (1852–55), Premierminister (1855–58, 1859–65), vertrat aktiv liberale außenpolitische Prinzipien (Selbstbestimmungsrecht der Völker) und stellte dem konservativen Interventionsprinzip ein liberales Recht auf Intervention zugunsten des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Völker gegenüber.
c) Militärverhandlungen und militärische Reformbestrebungen im Bund
Militärmissionen und Militärverhandlungen
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Erst zwei Monate nach Ausbruch der Julirevolution, beschloss der Deutsche Bund Maßnahmen zur fortifikatorischen und personellen Verstärkung seiner Festungen. Weitergehende militärische Anstrengungen blieben dagegen einzelstaatlicher Initiative vorbehalten. Sowohl Österreich als auch Preußen rüsteten in der Folge auf, wobei Wien vor allem nach Italien blickte und nur wenig Bereitschaft für gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Frankreich aufbrachte. Im Oktober 1830 endlich waren unter Ausschaltung der schwerfälligen Bundesbehörden unter dem Druck der im Falle eines französischen Angriffes am meisten gefährdeten süd- und südwestdeutschen Staaten bilaterale Sondierungen zur Verteidigung des Deutschen Bundes in Gang gekommen. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der Verhandlungspartner wichen die angestrebten Verhandlungsziele jedoch deutlich voneinander ab. Politisches Kalkül und militärische Sacherfordernisse überkreuzten sich ständig. Dies wurde insbesondere in den beiden militärdiplomatischen Missionen der preußischen Generale Eugen von Roeder (1782–1844) und Johann August Rühle von Lilienstern (1780–1847) augenfällig, die vom Dezember 1830 bis zum Mai 1831 in Wien sowie Karlsruhe, Stuttgart und München stattfanden. Berlin konnte sich zu einen davon überzeugen, dass Österreich, um freie Hand in Italien zu behalten, ein Engagement Preußen an der Westgrenze befürwortete, ohne die Kontrolle über die Kontingente des 7. und 8. Bundesarmeekorps aus der Hand geben zu wollen. Andererseits wurde ein eminentes militärisches Anlehnungsbedürfnis der süddeutschen Staaten an Preußen deutlich (3-Armee-Plan). So bestand die Chance, auf preußischer Mehrleistung beruhende Verteidigungskonzepte für den Deutschen Bund zu entwickeln, bei denen Berlin machtpolitischen Gewinn gegenüber Wien und moralische Eroberungen im übrigen Deutschland realisieren konnte. Die Verhandlungen hierzu fanden nach preußisch-österreichischen Vorgesprächen im März 1832 (Preußisch-österreichisches Militärprotokoll) in Berlin statt und zeigten die Tendenz, Österreich bei der Gestaltung der militärischen
Internationale und sicherheitspolitische Auswirkungen
II.
Verhältnisse in Deutschland beiseite zu schieben. Daneben erwies sich, dass der Bund sicherheitspolitische Entscheidungen nur mit großer Verspätung zu realisieren in der Lage war. Preußisch-österreichisches Militärprotokoll (14. 3. 1832) Um eine Isolierung Österreichs zu verhindern, entsandte Metternich seinen militärischen Berater, General Joseph Nepomuk Graf Clam-Martinitz (1792–1840), nach Berlin (September 1831-März 1832). Er sollte den preußischen Generalstab zur Preisgabe des Drei-Armeen-Planes, der den Anschluss aller nichtösterreichischen Bundesarmeekorps an Preußen vorsah, veranlassen. Nach der politischen Ausschaltung des bereits todkranken preußischen Außenministers Christian Graf Bernstorff (1769–1835) und der Ablösung des als liberal geltenden Chefs des preußischen Generalstabes Johann Wilhelm von Krauseneck (1774–1850) durch Karl Friedrich von dem Knesebeck (1768–1848) einigten sich beide Seiten am 14. 3. 1832 auf eine gemeinsame Verhandlungsposition für die anstehenden Militärberatungen auf Bundesebene. Preußen gab die von Rühle gegenüber den süddeutschen Höfen gemachten Zusicherungen wieder preis und akzeptierte den vorgesehenen Rückzug der süddeutschen Kontingente auf die Donau.
E
Berliner Militärprotokoll (3. 12. 1832) Nach den preußisch-österreichischen Vorgesprächen fanden in Berlin zunächst Militärverhandlungen beider deutscher Großmächte mit den süddeutschen (Mai bis Juli 1832) und schließlich mit den süd- und norddeutschen Militärbevollmächtigten (Oktober bis November 1832) statt. Hierbei bestanden die Vertreter der mindermächtigen Staatengruppe auf die Beibehaltung des ursprünglichen preußischen 3-Armeen-Planes und eine auf offensive Kriegführung. Österreich wurde durch das Berliner Militärprotokoll faktisch in eine zweitrangige Reservestellung manövriert, eine Unterstellung anderer Gliedstaatenkontingente unter österreichischen Befehl vermieden.
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Preußisch-österreichische Punktation (17. 3. 1833) Im Nachgang der Berliner Militärkonferenz verständigten sich die Vertreter der beiden deutschen Großmächte in geheimen Verhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen im Falle eines überraschenden französischen Angriffs und einer schnellen Niederlage des 8. Bundesarmeekorps, das aus württembergischen, badischen und großherzoglich-hessischen Truppen bestand. Es wurde vereinbart, dass die preußisch-norddeutschen Verbände einen hinhaltend-aktiven Widerstand bis zum Eintreffen der österreichischen Verstärkungen leisten sollten.
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In der Folge der europäischen Krise nach 1830 trat auch innerhalb des Deutschen Bundes eine größere Sensibilisierung in militärischen Belangen ein. Dies führte zur Korrektur besonders widersinniger Auswüchse der Bundeskriegsverfassung: Insbesondere entband der Bundestag die Kontingente der kleinsten Bundesglieder von der Stellung der Kavallerie und Artillerie. Ihre Truppen wurden aus den gemischten Armeekorps abgezogen und bildeten nun eine eigenständige Reserveinfanteriedivision, die im Verteidigungsfall die Bundesfestungen verstärken sollte. Lediglich die 693 Mann der Freien Stadt Frankfurt a. M. verblieben im Kriegsfall zur Disposition eines zu bestimmenden Oberfeldherren. Freilich, die Reserveinfanteriedivision war zu großen Teilen nicht einsatzfähig, wie Musterungen nach 1831 ergaben.
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
4. Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834 a) Strukturelle Voraussetzungen für den Zollverein
Mythos Zollverein
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In ähnlicher Weise wie die Militärverhandlungen zur Verteidigung des Deutschen Bundes nach der Julirevolution nicht auf der Ebene des Bundes, sondern stattdessen im zwischenstaatlichen Kontakt auf bilateraler Ebene entschieden worden waren, hatte der Bund auch auf wirtschaftlichem Gebiet bereits wichtige Kompetenzen an einzelstaatliche Initiativen abgetreten. Der Deutsche Zollverein von 1834 gab diesem Tatbestand deutlichen Ausdruck. Wohl auch deshalb wurde er von der auf Preußen fixierten (borussischen) Geschichtsschreibung später als unmittelbare Vorstufe der deutschen Reichseinigung von 1871 interpretiert. Heinrich von Treitschke glaubte in ihm bereits die „Umrisse jenes Kleindeutschlands“ zu erkennen, „das dereinst den Ruhm und die Macht des heiligen römischen Reiches überbieten sollte“. Neuere Forschungen haben diese Kontinuitätsthese nachhaltig in Frage gestellt und gleichzeitig verdeutlicht, dass der Zollverein weder allein ein Werk preußischer Staatsmänner noch sein Zustandekommen bereits nationalpolitisch intendiert gewesen war. Auch folgten sowohl die abwartende Haltung gegenüber dem Zollverein wie auch der Widerstand gegen ihn vor allem strukturellen Eigenheiten und durchaus nicht dem subjektiven Desinteresse von Staatsmännern aus Österreich oder aus dem Lager der deutschen Mittel- und Kleinstaaten. Preußen dagegen hatte namentlich aufgrund seiner wirtschaftsgeographischen Lage, der strukturellen Zerrissenheit seines Staatsgebietes und der fehlenden Verbindung zwischen seinen östlichen und seinen westlichen Landesteilen, ein besonderes Interesse an übergreifenden handelspolitischen Regelungen innerhalb des norddeutschen Wirtschaftsraumes. Eine einheitliche Handelspolitik des Bundes wurde aber auch von einigen kleineren Bundesgliedern sowie vom „Handels- und Gewerbeverein“ Friedrich List angemahnt, der die Forderung nach Zöllen zum Schutz der sich entwickelnden deutschen Industrie erhoben hatte. Und obwohl bundeseinheitliche Lösungen von Zoll- und Handelsfragen in der Deutschen Bundesakte von 1815 in Aussicht gestellt worden waren (Art. 19) und Verhandlungen zu diesem Punkt seit 1816 geführt wurden, vergab der Bund in der Folge diese wichtige Chance einer nationalen Integrationsleistung. Verantwortlich hierfür zeichneten die enormen strukturellen Gegensätze zwischen den freihändlerisch eingestellten nord- und nordöstlichen Agrarüberschussgebieten (Ostelbien) und traditionellen Handelsplätzen (Hanse- und Messestädte), den protektionistisch ausgerichteten, langsam expandierenden frühindustriellen Zentren (Rheinland, Westfalen, Sachsen, Schlesien) sowie den deutlich protektionistisch bis hin zum Hochzoll gestimmten kleingewerblich strukturierten Gebieten des Südens (Bayern, Württemberg, Baden, Österreich). Schon bald erwies sich der Bund als unfähig, diese stark differierenden wirtschaftlichen Ausrichtungen und Entwicklungsniveaus unter seinem Dach handelspolitisch zu integrieren.
Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834
II.
Tab. 7: Die Mitglieder des Zollvereins (1842) Staat Preußen mit angeschlossenen Staaten: Anhalt-Bernburg Anhalt-Dessau Anhalt-Köthen Waldeck Lippe-Detmold
Fläche (km2)
Datum des Anschlusses
185 171 782 843 661 1 250 1 250
17. 6. 1826 17. 7. 1828 17. 7. 1828 16. 4. 1831 18. 10. 1841
Hessen-Darmstadt
8 480
14. 2. 1828
Hessen-Kassel
9 196
25. 8. 1831
76 923
22. 3. 1833
19 823
22. 3. 1833 28. 7. 1824 28. 7. 1824
Bayern Württemberg mit angeschlossenen Staaten: Hohenzollern-Hechingen Hohenzollern-Sigmaringen
Sachsen Thüringischer Zoll- und Handelsverein mit angeschlossenen Staaten: Sachsen-Weimar Sachsen-Meiningen Sachsen-Coburg-Gotha Schwarzburg-Rudolstadt Schwarzburg-Sondershausen Reuß-Greiz Reuß-Schleitz Reuß-Lobenstein und Ebersdorf
242 936 14 961
30. 3. 1833
10. 5. 1833 3 689 2 351 1 349 1 900 859 854 330 854
Baden
15 142
12. 5. 1835
Nassau
4 554
10. 12. 1835
Frankfurt a. M.
99
2. 1. 1836
Braunschweig
4 020
19. 10. 1841
Luxemburg
2 566
8. 2. 1842
359 019 Außerhalb des Zollvereins stehen Österreich, Liechtenstein, beide Mecklenburg, Holstein, Hannover, Oldenburg, Schaumburg-Lippe, Hamburg, Bremen und Lübeck (Quelle: Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 292 f.)
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 Handelspolitisches Versagen des Bundes
Zudem ließen die Sorge vieler Mittel- und Kleinstaaten vor Souveränitätseinbußen sowie die geringen Handlungsspielräume der österreichischen Präsidialmacht die 1816 einsetzenden Verhandlungen bald in einer Sackgasse münden.
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Friedrich List (1789–1846), deutscher Nationalökonom und Politiker, nach Verwaltungstätigkeit ohne abgeschlossenes Studium 1818–19 Professor für Staatskunde und Staatspraxis in Tübingen, ab 1819 Konsulent des von ihm mitgegründeten „Deutschen Handels- und Gewerbevereins“ zur Aufhebung der Zollschranken in Deutschland; 1820 in die bayerische Kammer gewählt, wurde er wegen einer Missstände aufdeckenden Petition an die Stände im Februar 1821 seiner Stellung als Abgeordneter enthoben und zu einer zehnmonatigen Festungsstrafe verurteilt; Nach Flucht ins Ausland 1825 Rückkehr und Haftantritt; Verkürzung der Haft durch Auswanderung nach Amerika, wo er in seiner Schrift „Outlines of a new system of political economy“ (Philadelphia 1827) protektionistische Ansätze entwickelte. Nach einem Engagement im Kohlebergbau und bei der Projektion von Eisenbahnstrecken wurde er 1833 amerikanischer Konsul in Leipzig, wo er unter Rottecks und Welckers Redaktion das „Staatslexikon“ begründete und sich publizistisch betätigte („Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines allgemeinen deutschen Eisenbahnsystems“, Leipzig 1833). 1841 veröffentlichte er seine Hauptschrift „Das nationale System der politischen Ökonomie“ (Stuttgart 1841), in der er, wie auch im 1843 begründeten „Zollvereinsblatt“ den Schutz des deutschen Binnenmarktes propagierte. Körperlich leidend, beging List 1846 Selbstmord.
b) Verhandlungen zum Zollverein
Preußische Verhandlungstaktik
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Preußen hatte durch sein Zollgesetz von 1818, das ein einheitliches Grenzzollsystem auf wirtschaftsliberaler Grundlage etablierte, den Beweis für die Möglichkeit angetreten, unterschiedliche wirtschaftliche Interessen (Rheinland, Ostelbien) tarifpolitisch auszugleichen. Allerdings hatten bis dahin innerpreußische Motive überwogen. Waren doch einheitliche zollrechtliche Grundlagen, der Wegfall der Binnenzölle und die Einführung eines Grenzzolls für die Konsolidierung der Staatsfinanzen über stabile Zolleinnahmen sowie für die Erhöhung der Wirtschaftstätigkeit unabweisbar. Zudem wurden durch hohe Transitzölle jene Nachbarn unter Druck gesetzt, deren Handelsströme preußische Gebiete passierten. Dadurch entstand eine unmittelbare Sogwirkung, die es Berlin ermöglichte, gegenüber jenen Bundesgliedern vorsichtig zu agieren, durch deren Gebiete preußische Handelswege und militärische Kommunikationen verliefen. Diese Situation vor Augen zielten mittelstaatliche Initiativen seit 1820 darauf ab, der befürchteten Expansion des preußischen Zollsystems einen Riegel vorzuschieben. Doch die mittel- und kleinstaatlichen Verhandlungen in Darmstadt und Stuttgart mündeten lediglich im „bayerisch-württembergischen Zollverein“ (18. 1. 1828, In-Kraft-Treten: 1. 7. 1828), dessen Attraktivität gering blieb. Hessen-Darmstadt war bereits frühzeitig ausgeschieden und hatte sich gegenüber preußischem Werben aufgeschlossen gezeigt. Denn gerade nach 1825 war Berlin unter dem Einfluss des neuen Finanzministers Friedrich Motz sowie des Mitarbeiters im Außenministerium
Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834
II.
Johann Albrecht Friedrich Eichhorn in handelspolitischen Belangen immer offensiver geworden. Beide sahen im wirtschaftspolitischen Gleichklang des sich abzeichnenden Zollvereins ein „engeres Band“ für Deutschland, als es der Deutsche Bund jemals zu knüpfen imstande sein würde. Doch spielten derartig langfristige deutschlandpolitische Überlegungen noch keine bestimmende Rolle. Friedrich Christian Adolf von Motz (1775–1830), preußischer Ministerialbeamter und Finanzminister, nach dem Jurastudium (Marburg) seit 1795 im preußischen Staatsdienst: zuerst als Landrat in Halberstadt, später im Eichsfeld, nach 1815 Vizepräsident/Präsident in Erfurt, 1820 provisorischer, ab 1824 ordentlicher Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen, 1825 preußischer Finanzminister; er erwarb sich große Verdienste bei der Sanierung der preußischen Finanzen, indem er stabile Einnahmenüberschüsse erzielte. Von besonderer Wichtigkeit für die Zollreform und die Entwicklung des Handels waren die Verträge, die Motz 1828 mit dem Großherzogtum Hessen, mit Anhalt und SachsenKoburg schloss. Aus ihnen ging 1834 der Deutsche Zollverein hervor.
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Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1779–1856), preußischer Jurist und Staatsmann, nach juristischem und historischem Studium (1796–99 Erlangen), Regierungsbeamter in Kleve und Militärbeamter in Hildesheim, 1810 Kammergerichtsrat in Berlin, 1813 Mitglied des Ausschusses für Landwehr und Landsturm, Freiwilliger im Hauptquartier Blüchers bis zur Schlacht bei Leipzig (Oktober 1813), Mitglied der alliierten Zentralverwaltung über die zurückeroberten deutschen Gebiete, 1815 Verwaltungstätigkeit in den besetzten französischen Provinzen, Geheimer Legationsrat im preußischen Außenministerium, 1817 Mitglied des preußischen Staatsrates; Er erwarb sich große Verdienste in den Verhandlungen um den Abschluss des Deutschen Zollvereins; 1831 Direktor im preußischen Außenministerium (zweite Sektion für „deutsche Angelegenheiten“), Oktober 1840 Ernennung zum Staatsminister (Kultusminister), Rücktritt im März 1848.
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Durch das Scheitern der mittelstaatlichen Bemühungen zusätzlich gestärkt, hatte Preußen potenzielle Beitrittskandidaten durch die strikte Beachtung ihrer Souveränitätsvorbehalte auf seine Seite gezogen. Eine gegenseitige Verwaltungskontrolle bis hin zum Beamtenaustausch, das Prinzip der Einstimmigkeit und der Verzicht auf jede juristisch fixierte Unterordnung signalisierten ein sensationelles Entgegenkommen Berlins. Wenn möglich, sollte der Beitritt freiwillig erfolgen, wirtschaftliche Zwangsmittel blieben dagegen nicht ausgeschlossen. Mit der Zollvereinbarung vom 14. 2. 1828 gelang es, Hessen-Darmstadt zu gewinnen. Hektische Gegenmaßnahmen einiger deutscher Staaten (Kurhessen, Sachsen, Hannover, Braunschweig, Nassau, Frankfurt a. M. und Bremen), die im selben Jahr einen „Mitteldeutschen Handelsverein“ ins Leben riefen, der von Österreich, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden unterstützt wurde, blieben erfolglos und zeitlich begrenzt, da es sich um zollpolitisch belanglose Mittel zur Wahrung des Status quo handelte. Es gelang Berlin relativ rasch, einzelne Mitglieder in Separatverhandlungen herauszulösen. Bereits im Juni 1829 schlugen preußische Straßenverträge zur Öffnung der Handelswege mit Sachsen-Coburg-Gotha und Sachsen-Meiningen eine Bresche. Einen Monat zuvor, am 27. 5. 1829, war ein Handelsvertrag zwischen dem preußisch-hessischen und dem bayerisch-württembergischen Zollverein geschlossen worden, der den Weg für eine lang-
Gegenmaßnahmen scheitern
63
II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 same Fusion beider Vereine ebnete. Zollpolitische Forderungen im Umfeld der revolutionären Unruhen von 1830 verstärkten den Druck. Insbesondere in Kurhessen hatte die liberale Opposition Beitrittsforderungen erhoben, sodass Kassel bald darauf den handelspolitischen Konsens mit Berlin suchte. Nachdem die noch einmal von Hannover ins Spiel gebrachte Anrufung des Deutschen Bundes auf der Basis des Art. 19 der Bundesakte misslungen war und der Welfenstaat mit dem Einbecker Vertrag vom März 1830 die Weichen in Richtung auf einen eigenen „Steuerverein“ gemeinsam mit Braunschweig und Oldenburg gestellt hatte, gelang es Berlin im Jahre 1833, die Beitrittsverhandlungen mit Bayern, Württemberg, Sachsen und den thüringischen Staaten zum Abschluss zu bringen.
c) Auswirkungen des Zollvereins
Zollverein als Integrationsfaktor
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Mit dem In-Kraft-Treten des „Deutschen Zollvereins“ (1. 1. 1834) wurden Schlagbäume abgebaut und Zollhäuser geschlossen. Der neue Zollverein war zunächst nicht mehr als ein wirtschaftlicher Nebenbund im Deutschen Bund. Zwar basierte die überragende Stellung Preußens in diesem nicht auf politischer Hegemonie, sondern auf wirtschaftlicher Vorrangstellung, dennoch diente er auch der politischen Verklammerung Preußens mit dessen Mitgliedsstaaten. Zweifellos befand sich Berlin gerade zu Beginn der 1830er-Jahre deutschlandpolitisch im Fahrwasser der Metternich’schen Restaurationspolitik. Dennoch hielt es unvermindert am Zollverein fest, obwohl der österreichische Staatskanzler diesen als preußischen Alleingang zur Schaffung eines „Bundes im Bund“ ablehnte. Der Zollverein war nicht nur imstande, einen Großteil des wirtschaftlichen Protestpotenzials innerhalb der kleineren Bundesglieder zu neutralisieren, er trug darüber hinaus zu deren finanzieller Sanierung und damit innenpolitischen Stabilisierung bei. Als Projektionsfläche nationaler Sehnsüchte kompensierte er ganz offensichtlich die fehlende nationale Einheit und wirkte sogar, gewollt oder ungewollt, als ein wichtiges Instrument der nationalen Integration, indem er liberale Wirtschaftsinteressen mit denen des preußischen Obrigkeitsstaates deckungsgleich erscheinen ließ. Neben den kurzfristigen finanziellen Wirkungen, die aus der Umlage der gemeinsamen Einnahmen entsprechend der Einwohnerzahl resultierten, sollten sich die integrativen Faktoren des Zollvereins aber erst mittel- und langfristig herausstellen: Zum ersten Mal hatten deutsche Regierungen freiwillig auf bedeutende Bereiche ihrer Souveränität im Interesse einer Gemeinschaft verzichtet. Bereits in den 1840er-Jahren bewiesen die Verlängerungsverhandlungen die wirtschaftliche Abhängigkeit der Staaten des Zollvereins von Preußen. Durch den Austausch von Beamten und die damit verbundene Penetration der mittel- und kleinstaatlichen Verwaltungen begann deren Gewöhnung an die Praktiken der preußischen Bürokratie. Darüber hinaus erwies sich der Verein gerade in den Pauperismuskrisen der 1840er-Jahre als praktikables Mittel der Krisensteuerung und förderte nicht zuletzt – namentlich angesichts der immer machtvoller einsetzenden Industrialisierung – die wirtschaftliche Verflechtung seiner Mitglieder.
Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834
II.
Tab. 8: Nettowert der Produktion pro Kopf in Gulden (1840er-Jahre) Österreich
Wirtschaftszweig
Zollverein
Gesamtösterreich
deutschböhmische und italienische Länder
Ungarn und Galizien
27,6
29,3
25,6
Landwirtschaft und Nebengewerbe
46,3
Kleingewerbe
15,2
3,6
5,6
1,7
8,1
4,0
6,2
1,9
70,0
35,0
41,0
30,0
Industrie Gütererzeugung insgesamt
Die Tabelle veranschaulicht das starke wirtschaftliche Gefälle zwischen dem Zollverein und Österreich einerseits und zwischen den westlichen sowie den östlichen Landesteilen der Habsburgermonarchie andererseits. (Quelle: Drobesch, Aspekte, S. 33)
Dass der Zollverein unter diesen Umständen in der liberalen Öffentlichkeit mehrheitlich positiv bewertet wurde, liegt auf der Hand. Während der Deutsche Bund überwiegend abwehrend oder sogar repressiv in Erscheinung trat, wies der von Preußen geführte Zollverein eine Dynamik auf, die den strukturellen Wandel der Gesellschaft in konstruktiver Weise aufnahm. In diesem Sinne betrachteten gemäßigte Liberale namentlich in ihren während der Heppenheimer Versammlung vom 10. 10. 1847 aufgestellten Forderungen den Zollverein als Vorstufe eines deutschen Zollparlaments auf dem Weg in die politische Einheit der Nation. Solange sich die Hohenzollernmonarchie machtpolitisch zurückhielt, wurden ihre zollpolitischen Leistungen ganz vorherrschend begrüßt. Erst als Preußen im Nachklang der Revolution von 1848 mit dem Übergang zur Unionspolitik (vgl. III.5.a) begann, den handelspolitischen Akkord für weitergehende deutschlandpolitische Ambitionen auszunutzen, führte dies zu öffentlicher Kritik. So wenig der Zollverein von Berlin in seiner Anfangsphase bis 1848 als politisches Pressionsmittel instrumentalisiert worden ist, so deutlich traten in seiner späteren Entwicklung genau diese Wirkungen in den Vordergrund. Vor allem nach dem Beitritt des von Hannover geführten „Steuervereins“ am 1. 1. 1854 wurde die Kohäsionskraft des Zollvereins als nationalpolitisch integrierendes Mittel stärker in Anwendung gebracht. Und nachdem in den 1850er-Jahren durch den preußisch-österreichischen Handelsvertrag vom 19. 2. 1853 für einige Zeit sogar eine alle Bundesglieder umfassende Lösung in Reichweite zu liegen schien, stellte der preußische Handelsvertrag mit Frankreich vom 29. 3. 1862 vollends die Weichen in Richtung auf eine wirtschaftspolitische Ausgrenzung der Habsburgermonarchie. Die Proteste Österreichs und den Einspruch vieler dem Zollverein angehörender Mittel- und Kleinstaaten beantwortete Berlin am 15. 12. 1863 mit der
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848 Tab. 9: Handel des österreichischen Zollhauptgebietes (mit Lombardo-Venetien) 1832–50 (in Mio. Gulden) Jahr
Einfuhr
Ausfuhr
Handelsbilanz
1831 1832 1833 1834 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1848 1849 1850
65,286 75,593 77,684 77,203 87,597 94,792 92,967 98,412 98,528 105,817 100,732 105,425 111,421 114,485 116,248 126,742 127,997 83,710
76,028 85,224 86,847 81,951 84,401 91,967 85,688 110,425 101,108 103,420 106,646 103,396 104,114 109,618 107,542 105,821 112,208 46,360 keine Angaben 104,848
+10,742 + 9,631 + 9,163 + 4,748 – 3,196 – 2,825 – 7,279 + 12,013 + 2,580 – 2,577 + 5,914 – 2,029 – 7,307 – 4,867 – 8,742 – 20,921 – 15,789 – 37,350
158,955
– 54,107
Die Statistik zeigt, dass die österreichische Außenhandelsbilanz seit 1831 stark schwankte, ab 1842 negativ war und das Ungleichgewicht zwischen Export und Import bis 1850 immer größer wurde. (Quelle: Drobesch, Aspekte, S. 28)
Tab. 10: Gesamtaußenhandel des Deutschen Zollvereins im Vergleich zu Österreich 1850–52 (in Mio. Taler) Zollverein
Österreich
Jahr
Einfuhr
Ausfuhr
Gesamt
Einfuhr
Ausfuhr
Gesamt
1850 1851 1852
260,2 269,2 286,0
251,5 262,2 274,6
511,7 531,4 560,6
105,9 104,0 137,7
69,9 109,3 143,0
175,8 213,3 280,7
Der österreichische Gesamtaußenhandel machte 1850 nur 34,4% desjenigen der Zollvereinsstaaten aus. Besonders schmerzhaft war bis 1850 der geringe Exportanteil. Trotz erheblicher Anstrengungen, aufzuholen und den Export zu steigern, blieb auch in der Folge eine große Diskrepanz zum Zollverein bestehen. (Quelle: Drobesch, Aspekte, S. 29)
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Bildung und Auswirkungen des Deutschen Zollvereins von 1834 Kündigung des Zollvereins und dessen Neuverhandlung auf dezidiert freihändlerischer Grundlage. Nun zeigte sich, wie stark die wirtschaftliche Sogwirkung des Vereins auch politisch zu disziplinieren imstande war. Mit dem Abschluss der Neuverhandlungen am 12. 10. 1864 und dem In-KraftTreten des neuen Zollvereinsvertrages am 16. 5. 1865 war Österreich – mit gravierenden politischen Folgen – zum handelspolitischen Ausland geworden. Der Krieg von 1866 ließ den Zollverein unberührt. Die Einnahmen wurden wie eh und je geteilt, unabhängig davon, welcher Partei das jeweilige Zollvereinsmitglied angehörte. Nach der Entscheidung von 1866 reorganisiert, erhielt der Zollverein 1867 ein Zollparlament, bevor er durch die Herstellung der deutschen Wirtschaftseinheit infolge der Reichseinigung von 1871 gegenstandslos wurde und seine Tätigkeit einstellte.
II. Zollverein als Disziplinierungsfaktor
d) Konkurrierende zollpolitische Aktivitäten Am 1. 5. 1834 riefen Hannover und Braunschweig den „Steuerverein“ ins Leben, der am 1. 6. 1835 in Kraft trat. Er sollte die Gefahr eines handelspolitischen Anschlusses an Preußen vermindern, von dem sich die beiden Regierungen auf Grund der traditionellen Handelsströme ihrer Staaten keine Vorteile versprachen. Ihm schlossen sich Oldenburg (1. 8. 1835) und Schaumburg-Lippe (November 1837) an. Wie der Deutsche Zollverein schuf auch der Steuerverein eine gemeinsame Zollgrenze und verteilte die Einkünfte nach der Bevölkerungszahl. Braunschweig schied bereits 1841 aus und ging zum Deutschen Zollverein über. Aus finanziellen Erwägungen wechselten schließlich auch Hannover (Anschlussvertrag vom 1851) und der Rumpf des Steuervereins am 1. 1. 1854 zum Deutschen Zollverein. Die Stellung der Hansestädte, insbesondere Hamburgs und Bremens, zur Frage der deutschen Zolleinheit gründete sich auf deren besondere wirtschaftsgeographische Lage, die außerdeutsche Handelsverbindungen begünstigte, namentlich den Handel mit Großbritannien. Daraus resultierten zahlreiche Vorteile, die beide Städte selbstbewusst an ihrer Sonderstellung trotz scharfer gegenseitiger Konkurrenz festhalten ließen. Neben dem Zollverein gab es im preußisch-österreichischen Handel ein vertragliches Sonderverhältnis. So schien der beiderseitige Handelsvertrag vom 19. 2. 1853 die Möglichkeit jenen mitteleuropäischen Zollzusammenschluss offen zu halten, der als großösterreichisches Mitteleuropaprojekt (Schwarzenberg-Bruck-Plan) auf der Dresdner Konferenz 1850/51 bereits gescheitert war. Er führte im gegenseitigen Handelsverkehr das Prinzip der Meistbegünstigung ein und stellte Verkehrserleichterungen und eine Aufhebung der Transitzölle in Aussicht. Die Verhandlungen hierzu blieben allerdings ohne Resultat, da Preußen nach der Stabilisierung des Zollvereins Anfang 1854 kein Interesse mehr an handelspolitischen Regelungen mit Österreich hatte. Das wirtschaftliche Sonderverhältnis zwischen Berlin und Wien wurde durch den Abschluss des preußisch-französischen Handelsvertrages vom 29. 3. 1862 konterkariert, da nun auch Paris den Meistbegünstigungsstatus erlangte. Ein neues Zoll- und Handelsabkommen mit Österreich am 11. 4. 1865 enthielt keine weiter führenden Ansätze einer handelspolitischen Verständigung mehr.
Steuerverein
Hansestädte
Bilaterale Handelsverträge
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
5. Die „Rheinkrise“, die Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg sowie ihre nationalen und internationalen Auswirkungen a) Von der Orient- zur „Rheinkrise“
Londoner Vertrag
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Die „Rheinkrise“ von 1840 erwuchs aus der Orientkrise von 1839–41. Im Orient und auf dem Balkan hatten sich durch den Zerfallsprozess des Osmanischen Reiches die Interessen der europäischen Großmächte auch nach dem Wiener Kongress, auf dem es zu keiner Regelung der strittigen Orientproblematik gekommen war, deutlich überlagert. Während Russland die Kontrolle über die Meerengen zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer anstrebte und deshalb eine aktive Balkanpolitik betrieb, war Österreich an der Erhaltung des Status quo interessiert, da ihm die ungefährliche Nachbarschaft der Hohen Pforte als die beste Gewähr für die Aufrechterhaltung seiner eigenen Balkanposition erschien. Großbritannien dagegen ging es um die Sicherung seiner Kommunikationen nach Indien und des Kaffeehandels im Roten Meer sowie die Zurückweisung der russischen Meerengenpläne, die Russland zum Konkurrenten im Mittelmeer gemacht und die Verbindungen nach Indien unterbrochen hätte. Nach der Eroberung Algiers durch Frankreich (5. 7. 1830) und der Ausdehnung des französischen Machtbereichs in Nordafrika kristallisierte sich in der Mittelmeerregion ein neuartiger Interessenkonflikt zwischen Großbritannien und Frankreich heraus, der 1839 in einem Stellvertreterkonflikt zwischen dem osmanischen Sultan Mahmud II. (1784–1839) und seinem von Paris protegierten ägyptischen Vasallen, Pascha Mehemed Ali (1769–1849), kulminierte. Der Sieg der ägyptischen Armee über die Truppen des Sultans bei Nisib am 23. 6. 1839, der bald darauf eintretende Tod Mahmud II. und der anschließende Übergang der osmanischen Flotte an den Feind bedrohten das Osmanische Reich in seinem Bestand und ließ die europäische Diplomatie eingreifen. Auf der seit Februar 1840 stattfindenden Londoner Konferenz der europäischen Großmächte traten schließlich sogar die russisch-britischen Gegensätze auf der Balkanhalbinsel hinter das gemeinsame Interesse an einer Begrenzung des ägyptischen Machtanspruchs zurück. Allein der französische Gesandte isolierte sich, indem er als Einziger die Auflösung des Osmanischen Reiches anvisierte. Und so verständigten sich die Mächte der ehemaligen Quadrupelallianz von 1814/15 im Londoner Vertrag vom 15. Juli 1840 hinter seinem Rücken darauf, für den Erhalt der Pforte einzutreten, den Machtbereich Mehemed Alis auf Ägypten und Südsyrien einzugrenzen sowie diesen zur Herausgabe der osmanischen Flotte zu zwingen. Im Weigerungsfalle drohten die Vertragsmächte – außer Preußen, das als desinteressiert galt und dem Vertrag nur mit einem Neutralitätsvorbehalt für den Kriegsfall beigetreten war – Ägypten notfalls militärisch zur Einhaltung der ihm auferlegten Konditionen zu zwingen. Damit war dem Prestige Frankreichs, das seine sozialen Konflikte im Innern mit außenpolitischen Erfolgen zu kompensieren suchte, ein empfindlicher Schlag versetzt worden. Als Reaktion darauf wurde ein französischer Nationalismus wach, der sich indes nicht auf die Vorgänge im Mittelmeerraum bezog, sondern auf
„Rheinkrise“, Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg die geographisch näher liegende Ostgrenzen, zumal diese in den innenpolitisch umstrittenen Verträgen von 1815 fixiert worden waren. Mit einer Anleihe von 56 Millionen Francs und bald darauf erfolgenden Einberufungen von Reservisten leitete das Kabinett unter Ministerpräsident LouisAdolphe Thiers am 5. 8. 1840 schließlich erste Kriegsvorbereitungen ein. Parallel dazu wurde in einer Pressekampagne massiv die Forderung nach der Rheingrenze als der „natürlichen Grenze“ Frankreichs erhoben und gleichermaßen unverhohlen mit einem erneuten Revolutionskrieg gegen Europa gedroht. Nach dem Fall Beiruts am 20. 9. 1840 und der ägyptischen Niederlage vor den Toren der Stadt vom 12. 10. gegen britische, osmanische und österreichische Truppen, nahmen die nationalen Leidenschaften bedrohliche Ausmaße an, wodurch die innere Stabilität der Julimonarchie zur Disposition gestellt war. In dieser kritische Situation entließ König Louis-Philippe am 20. 10. Thiers und leitete mit dem neuen Kabinett unter Nicolas Soult und François Guizot einen Kurs der Reintegration Frankreichs in das Mächtekonzert ein. Doch die durch immer neue militärische Niederlagen der Ägypter (Schlacht bei Akkon, 4. 11. 1840) gedemütigte Nation benötigte zur Kompensation starke Symbole, die ihr Prestige wiederherstellten. Und so avancierte Napoleon I. (1769–1821) beinahe 20 Jahre nach seinem Tod zum Projektionshintergrund nationaler Sehnsüchte. Am 15. 12. 1840 wurden seine Gebeine unter großer öffentlicher Anteilnahme in düsterer Prozession von St. Helena in den Pariser Invalidendom überführt. Hinter der theatralischen Kulisse vollzog sich unterdessen die Wiedereingliederung der „Grande Nation“ in das Europäische Konzert. Mit dem Meerengenvertrag vom 13. 7. 1841 zwischen den fünf europäischen Großmächten und dem Osmanischen Reich, der den Bosporus und die Dardanellen für Kriegsschiffe aller Nationen sperrte, war dieser Prozess abgeschlossen.
II.
Frankreich gedemütigt
Louis-Adolphe Thiers (1797–1877), französischer Staatsmann, Historiker und Publizist, war als Redakteur des „National“ maßgeblich an der Vorbereitung der Julirevolution von 1830 beteiligt, danach verschiedene Regierungsposten, u. a. 1836 und 1840 französischer Ministerpräsident, schriftstellerische und politische Tätigkeit (Abgeordneter); 1871 Chef der französischen Exekutivgewalt und Verhandlungsführer beim Abschluss des Friedens mit Deutschland, 1873 Präsident der französischen Republik.
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Nicolas Jean de Dieu Soult, Herzog von Dalmatien (1769–1851), französischer Militär und Politiker, unter Napoleon Marschall von Frankreich, unter den Bourbonen Kriegsminister (1814–15), 1815 trat er zu Napoleon über (Generalstabschef) und wurde nach dessen 100-Tage Herrschaft von den Bourbonen verbannt (1816–19); 1827 Pair von Frankreich, unter Louis Philipp Kriegsminister (1830–34 und 1840–46) sowie Ministerpräsident (1832, 1839–40, 1840–47).
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François Guizot (1787–1874), französischer Historiker und Staatmann, bereits zwischen 1814 und 1820 in einflussreiche politische Stellungen berufen (Generalsekretär der Justiz, Staatsrat, Generaldirektor der Kommunal- und Departementverwaltung); Kritik an den restaurativen Bestrebungen und Entlassung 1820, 1830 Hauptinitiator des Protestes gegen die Juliordonnanzen zur reaktionären Außerkraftsetzung der französischen Verfassung; nach der Julirevolution war er zwischen 1830–40 in herausragenden Stellungen tätig (Unterrichtsminister, Innenminister, Gesandter in London), 1840 Außenminister unter Soult, 1847–48 Ministerpräsident, Sturz infolge der Pariser Februarrevolution 1848.
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
b) Nationale Symbolik vom Rheinlied zum Kölner Dombaufest
Rheinliedbewegung
In den Staaten des Deutschen Bundes riefen die französischen Rüstungen und die in der demokratischen und liberalen Presse erhobenen Forderungen nach der Rheingrenze einen gleichfalls undifferenzierten wie übersteigerten Nationalismus hervor, der an das seit dem Wartburgfest (1817) ambivalente Frankreichbild der deutschen Liberalen anknüpfte, der gestauten deutschen Nationalbewegung neue kräftige Impulse verlieh und sich in Form der Rheinliedbewegung lauthals und massenwirksam artikulierte. Zur größten Popularität gelangte das Rheinlied des Gerichtsschreibers Nikolaus Becker (1809–1845) mit dem gleichermaßen eingängigen wie programmatischen Refrain: „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“. Unzählige Male durch Gesangsvereine vertont, fand dieses Lied auch Anklang bei den Herrschenden. So ließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) dem Dichter eine Ehrengabe zukommen, während ihn der bayerische König Ludwig I. (1786–1868) mit einem Ehrenpokal bedachte.
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Nikolaus Becker (1809–1845), Dichter des „Rheinliedes“ („Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein“), nach dem Jurastudium als Gerichtsschreiber tätig; seine Popularität gründete sich auf das Rheinlied, zu dem in der Folge über 70 Kompositionen erschienen, von denen allerdings keine einzige volkstümlich wurde. Das Lied wurde in Frankreich erwidert, so durch Alfred de Musset, der voll Übermut dichtete: „Nous l’avons eu, votre Rhin allemand“ („Wir haben ihn, euren deutschen Rhein“), während Lamartines „Friedensmarseillaise“ (1841) versöhnlichere Töne anschlug. Außer in seinem Rheinlied hinterließ Becker in seinen „Gesammelten Gedichten“ (Köln 1841) keinen bleibenden Eindruck.
Nationalismus als Integrationsfaktor
Gerade in der Abgrenzung zu anderen Nationen entfaltete der Nationalismus nun seine integrierende Wirkung, wie die Rheinkrise bewies. Schienen die Ereignisse doch traditionelle antifranzösische Vorurteile zu bestätigen, die sich im Zuge des nationalen Befreiungskampfes gegen Napoleon herausgebildet hatten und danach weiter latent geblieben waren. Die Übersetzung und Steigerung dieser Stereotype mit Hilfe einer plakativen Dichtung und Bildsprache – die romantische Rheinmythologie mit LoreleyVergötterung und Germania-Kult standen hierfür paradigmatisch – verstärkte Emotionen und führte zu einer affektiven Bewusstseinslenkung großer Massen. Deren Verlangen nach nationaler Identifikation, das sich im Wiederaufleben des gotischen Stils als vermeintlich „deutschem Stil“ (Restaurierung der Marienburg, Weiterbau des Kölner Doms) gespiegelt und im Rheinmythos eine populäre Projektionsfläche erhalten hatte, wurde zusätzlich mit antifranzösischen Ressentiments aufgeladen, die bereits in vielstimmigen Forderungen nach einer Annexion Elsass-Lothringens gipfelten. Aversionen dieser Art prägten von nun ab den Wandlungsprozess der Idee von der deutschen Nation hin zum Nationalstaat. Deutschtümelei und nationale Hybris führten zu ihrer fatalen Verengung.
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„Rheinkrise“, Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg „Rheinliedbewegung“ und Deutschlandlied Neben Beckers „Rheinlied“ entstanden nach 1841 noch weitere Dichtungen, die das allgemeine Gefühl nationaler Solidarität zum Ausdruck brachten und zum „Durchbruch des modernen Nationalismus“ (Rudolf Buchner) beitrugen. Zu ihnen zählen Max Schneckenburgers (1819–1849) „Wacht am Rhein“ genauso wie Ernst Moritz Arndts übel klingendes „Zum Rhein! Übern Rhein! All-Deutschland in Frankreich hinein!“. Im August 1841 dichtete der freiheitlich-patriotisch gesonnene Breslauer Literaturprofessor August Heinrich Hoffmann (1798–1874), nach seinem Geburtsort genannt Hoffmann von Fallersleben, „Das Lied der Deutschen“ – ein Bekenntnis zu seinem Vaterland, keine Aufforderung zur Expansion. Das Lied wurde rasch verbreitet, nachdem es die Melodie des zweiten Satzes aus dem Streichquartett C-Dur op. 76 Nr. 3 von Joseph Haydn (1732– 1809) angenommen hatte. Friedrich Ebert bestimmte es 1922 zur deutschen Nationalhymne. Die Bundesrepublik Deutschland behielt es als Nationalhymne bei – allerdings unter Beschränkung auf das Absingen der politisch unverfänglichen dritten Strophe.
Auch die deutschen Fürsten begannen bald, sich der legitimierenden Kraft des Nationalismus zu bedienen. Im Nachhall der durch die „Rheinkrise“ ausgelösten nationalen Stimmung und als Kontrapunkt zu den Nationalfesten der Opposition (Wartburgfest 1817, Hambacher Fest 1832) bemühte sich insbesondere die preußische Krone, durch geschicktes Aufgreifen des Nationalgedankens im romantisch-monarchischen Sinne an die Spitze der nationalen Bewegung zu treten und zugleich deren verfassungspolitischen Zündstoff zu konterkarieren. Die wirtschaftliche und handelspolitische Anziehungskraft der preußischen Monarchie – gerade in liberalen Kreisen – bot hierfür gute Voraussetzungen. Zu diesem Zweck sollte die Feier zur Grundsteinlegung für den Weiterbau des Kölner Doms zu einer Bekräftigung des deutschen Einheitswillens und des Ausgleichs der Religionen instrumentalisiert werden. Die Bauarbeiten am Kölner Dom waren in der Epoche der Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert eingestellt worden. Doch trat 1840 auf private Initiative ein Dombauverein ins Leben, der die Vollendung des Doms als eine große, zeitgemäße Aufgabe anvisierte. Zur Einweihungsfeier (4. 9. 1842) waren unter anderem der österreichische Staatskanzler Metternich und als Vertreter des österreichischen Kaiserhauses Erzherzog Johann (1782–1859), der spätere Reichsverweser, eingeladen. Die Festrede hielt der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der mit pathetischen Worten die Einigkeit der deutschen Fürsten und Völker beschwor und damit die Zuhörer zu begeistern vermochte. Während des anschließenden Festessens lebte die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft des antinapoleonischen Befreiungskampfes auf. Den Trinkspruch des preußischen Königs erwiderte der wegen seiner liberalen Neigungen etwas im Abseits gehaltene Erzherzog Johann: „Solange Preußen und Österreich, solange das übrige Deutschland, so weit die deutsche Zunge klingt, einig sind, werden wir unerschütterlich dastehen wie die Felsen unserer Berge.“ Die Zeitungen freilich machten etwas anderes daraus: „Kein Österreich, kein Preußen mehr, ein einiges Deutschland, fest wie seine Berge.“ Der nationale Wunschtraum und die prodeutsche Stilisierung der Habsburgermonarchie hatten die Realität bereits weit überflügelt.
II.
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Kölner Dombau
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
c) Annexionsforderungen und militärdiplomatische Sondierungen im Zuge der „Rheinkrise“
Forderung nach Elsass-Lothringen
Militärdiplomatie
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Im Zuge der Rheinkrise und der Mobilisierung nationalistischer Gefühle begannen einflussreiche deutsche Politiker und Militärs annexionistische Ziele zu propagieren. So sah der preußische Vertreter in der Bundesmilitärkommission, Oberst Joseph Maria von Radowitz (1797–1853), den Zeitpunkt nahen, unter Mitwirkung Russlands mit Frankreich „abzurechnen“, um „die alten Reichslande“ wiederzugewinnen. Radowitz, seit 1823 in preußischen Diensten und ab 1836 preußischer Militärbevollmächtigter beim Deutschen Bund, zählte neben Karl von Canitz und Dallwitz (1787– 1850) sowie Christian Karl Josias Freiherr von Bunsen (1791–1860) zum internen Beraterkreis König Friedrich Wilhelms IV. und avancierte später als Initiator des erfolglosen preußischen Unionsprojektes (1849–50, vgl. III.5.a) 1850 kurzzeitig zum preußischen Außenminister. Neben ihm dachte auch Helmuth von Moltke (1800–1891), Hauptmann im Generalstab, an Annexion. In seinem 1841 veröffentlichten Aufsatz „Die westliche Grenzfrage“ bezeichnete er die beispiellos schonende Behandlung Frankreichs im Jahre 1815 als einen Fehler. Wenn dort aber die jüngere Generation in dem Glauben erzogen würde, sie besitze ein „heiliges Recht auf den Rhein“, dann müsse man auf deutscher Seite Elsass-Lothringen fordern. Moltke wurde 1858 Chef des preußischen Generalstabes und hatte maßgeblichen Anteil an den militärischen Erfolgen Preußens gegen Dänemark (1864), Österreich und seine Verbündeten (1866) sowie als Feldherr des Norddeutschen Bundes im Verein mit den süddeutschen Staaten gegen Frankreich (1870–71), in dessen Resultat er maßgeblich die verhängnisvolle Abtretung Elsass-Lothringens durchsetzte. Im Lager der deutschen Mittelstaaten trug sich vor allem der bayerische König Ludwig I. mit Annexionsforderungen. Neben der nationalen Aufwallung hatten in den deutschen Staaten – wie schon 1830 – bilaterale militärdiplomatische Sondierungen stattgefunden, deren Inhalt die Organisation der Verteidigung Deutschlands im Falle eines von Frankreich aufgezwungenen Krieges bildete. Da die Kabinette in Wien und Berlin, anders als 1830, jedoch ein „Außer-Kontrolle-Geraten“ der Situation befürchteten, hielten sie demonstrative Verteidigungsmaßnahmen in den deutschen Gliedstaaten lange Zeit für nicht zweckdienlich. Erst unter dem Eindruck der nationalen Aufwallung gewannen einflussreiche Vertreter des preußischen Regierungsestablishments – unter ihnen Prinz Wilhelm (1797–1888, seit 1861 König von Preußen, seit 1871 dt. Kaiser) und einige Militärs – immer mehr an Gewicht, die mit Hilfe von Kriegsvorbereitungen und einem offensiven Vorgehen gegen Frankreich einen preußischen Führungsanspruch im Deutschen Bund anzumelden suchten. Und so waren die Militärverhandlungen, die zunächst wieder auf doppelhegemonialer Grundlage geführt wurden, durch zeitliche Verspätung und durch divergierende sicherheitspolitische Ansätze gekennzeichnet. Metternich hatte Verhandlungen erst nach der Eskalation der Spannungen im Orient, unter dem Druck preußischer Mobilmachungsmaßnahmen und Verteidi-
„Rheinkrise“, Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg
II.
gungspläne sowie den Interventionen anderer deutscher Regierungen im September 1840 zugestimmt. Doch die am 17. 11. in Wien begonnenen Gespräche zwischen dem preußischen General Karl von Grolman (1777–1843), dem kurzzeitig von Oberst von Radowitz assistiert worden war, und dem österreichischen Chef der Kriegssektion im Außenministerium, Feldmarschallleutnant Karl Graf von Ficquelmont (1777–1857) führten zu einer im Grunde defensiven Militärkonvention (28. 11. 1840), die wesentliche Positionen der preußischen Kriegspartei preisgab, eine sensationelle preußische Verteidigungsgarantie für die umstrittenen italienischen Besitzungen Österreichs (Lombardo-Venetien) enthielt und zudem – anders als 1830 – die enge Verbindung der süddeutschen Kontingente mit denen Österreichs in gemeinsamer Defensive vorsah. Zwar hatte Radowitz den süddeutschen Regierungen in nachträglichen Gesprächen die Bereitschaft entlockt, sich im Notfall einem preußischen Oberbefehl und einem offensiven Vorgehen anzuschließen, doch wurde dieses Zugeständnis bald darauf durch die Mission des Chefs des österreichischen Generalquartiermeisterstabes, Generalmajor Heinrich Freiherr von Heß, wieder korrigiert. Heß war es im Februar 1841 sogar gelungen, die Berliner Militärs von ihren umstrittenen ursprünglichen Aufstellungsplänen abzubringen, wobei er schwerwiegende politische und wirtschaftliche Argumente ins Feld führte. Heinrich Freiherr von Heß (1788–1870), österreichischer Generalfeldmarschall, leitete ab 1839 den österreichischen Generalquartiermeisterstab und wurde zu militärdiplomatischen Missionen herangezogen, 1848 Generalquartiermeister bei der Italienarmee unter Radetzky, seit 1849 Generalstabschef der gesamten österreichischen Armee, im Juli 1854, während des Krimkrieges, an der Spitze einer österreichischen Armee, die eine Russland bedrohende Haltung einnahm.
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Im Gegensatz zur lautstarken öffentlichen Reaktion und den immerhin ernst zu nehmenden, wenn auch geräuschlos verhandelten preußischösterreichischen Aufstellungsplänen nahmen sich die konkreten militärischen Maßnahmen des Deutschen Bundes äußerst bescheiden und wenig überzeugend aus. Die Bundesversammlung war um viele Monate verspätet, im März 1841, endlich in Aktion getreten. Doch ihre Tätigkeit beschränkte sich nunmehr darauf, Vorschläge für eine beschleunigte Mobilmachung des Bundesheeres im Kriegsfall und dessen regelmäßige Inspektion bereits in Friedenszeiten zu unterbreiten, die übrigens erschreckende Ergebnisse zutage förderte. Weiterhin beschloss sie, einen Vorschlag des württembergischen Königs Wilhelm I. aus dem Jahre 1836 aufgreifend, zur Verteidigung der Westgrenze am Oberrhein zwei neue Bundesfestungen zu errichten: die kleinere Verbindungs- und Grenzfestung Rastatt und als süddeutschen Hauptwaffenplatz die größere Festung Ulm. Die Grundsteinlegungen hierzu fanden im Oktober 1844 statt. In den späten 1850er-Jahren endlich waren beide Festungen einsatzbereit. Doch vorderhand hatte der Deutsche Bund als Institution wieder in zentralen sicherheitspolitischen Belangen der erwachenden Nation versagt.
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II.
Julirevolution, Vormärz und Krise 1830–1848
d) Annexion Krakaus und Schweizer Sonderbundkrieg
Geheimabsprachen zwischen Wien, Berlin und St. Petersburg
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Auch die Ereignisse um Krakau führten zu einer Politisierung der öffentlichen Meinung und warfen gleichzeitig ein bezeichnendes Licht auf die noch vorhandenen Möglichkeiten der konservativen Ostmächte, den Bewegungskräften in ihrem Machtbereich gemeinsam einen Riegel vorzuschieben. Krakau war aus dem Wiener Kongress als „Freie Stadt“ hervorgegangen, da weder Russland noch Österreich dem jeweils anderen die Stadt zugestehen wollten. Als Sitz der ältesten polnischen Universität und nationales Kulturzentrum war sie von symbolischer Bedeutung für die polnische Nationalbewegung. Nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes (1830–31) im September 1831 (s. S. 56–57) sammelten sich hier politische Flüchtlinge und Aufstandsteilnehmer, was den Kabinetten in Wien, St. Petersburg und Berlin ein Dorn im Auge war. Um der polnischen Nationalbewegung diesen letzten Zufluchtsort zu entziehen, schlug Russland schließlich im Frühjahr 1832 die militärische Besetzung Krakaus vor. Doch erst die Verhandlungen in Prag und Teplitz (1834–35) führten zu einer Einigung, indem Zar Nikolaus I. (1796–1855) die Stadt den Österreichern zum Geschenk machte. Preußen war übergangen worden und fügte sich aus monarchischer Solidarität. Nach verschiedenen Erpressungsmanövern an die Adresse des Krakauer Magistrats, das Problem der politischen Flüchtlinge im Sinne der drei Ostmächte zu lösen, wurde die Stadt im Februar 1836 durch österreichische, russische und preußische Truppen besetzt und unter politisches und wirtschaftliches Kuratel Österreichs gestellt. In Krakau aber blieb die Lage instabil. Als es im Februar 1846 in Polen überall zu Unruhen gegen die Teilungsmächte und in Krakau zu Protesten gegen die österreichische Besetzung kam, verständigten sich die drei Höfe auf eine Niederwerfung des Aufstandes und die endgültige Einverleibung der Stadt durch Österreich. Entsprechend den Geheimabsprachen zwischen den drei Mächten von 1834/35 wurde Krakau nunmehr annektiert. Auch Preußen, das im Vorfeld noch Vorbehalte geäußert hatte, unterstützte die Aktion, da es damit die polnische Nationalbewegung zu treffen hoffte. Außenminister Canitz glaubte, dass die Annexion Krakaus durch Wien den polnischen Revolutionären auch in den polnischen Gebieten Preußens das Wasser abgraben würde. Die Reaktion der liberalen Westmächte dagegen war scharf und unmissverständlich. Sowohl Palmerston als auch Guizot protestierten, doch ihre Proteste wurden ignoriert. Im Lager des Liberalismus keimte erneut jene Polenbegeisterung auf, die bereits 1830/31 unüberhörbar gewesen war. Sie wurde eine Vorbotin der Revolution von 1848. Ein weiterer Konflikt von europäischer Tragweite bahnte sich in der Schweiz an. Auf dem Wiener Kongress hatten die Mächte die Existenz der Eidgenossenschaft als ewig neutralen Staatenbund von 22 souveränen Kantonen garantiert. Doch auch hier forderten die nationalen Bewegungskräfte eine stärkere Exekutive und eine freiheitliche Verfassung. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit standen v. a. die Jesuiten, die als Inkarnation und Garanten reaktionärer Verhältnisse galten. Deren Zurückdrängung jedoch emp-
„Rheinkrise“, Annexion Krakaus und der Sonderbundkrieg fanden sieben mehrheitlich von Katholiken bewohnte Bergkantone als Herausforderung. Unter der Leitung Luzerns schlossen sie sich Ende 1845 zum so genannten „Sonderbund“ zusammen. Dieser Akt war eine Notmaßnahme der katholischen Minderheit gegen das Vorgehen der Mehrheitskantone, wobei umstritten ist, ob damit gegen die Schweizer Verfassungsverhältnisse verstoßen wurde. Indes begann die Mehrheit eine Entscheidung zu forcieren. Im Sommer 1847 wurde der Sonderbund mit dem ultimativen Forderung konfrontiert, sich aufzulösen. Bald darauf begannen Kampfhandlungen. Metternich hatte die Entwicklung mit Sorge beobachtet und eine Intervention der Mächte zugunsten des Sonderbundes angeregt, ein Ansinnen, das von Guizot hinhaltend und von Palmerston direkt ablehnend behandelt wurde. Während Österreich den Sonderbund mit Waffen belieferte und einen Grenzkordon bildete, verhielt sich Preußen zwar äußerlich loyal, aber in praktischer Hinsicht sehr zurückhaltend, um sein besonderes Verhältnis zum Fürstentum Neuenburg, das sich bis 1857 offiziell in preußischem Besitz befand, nicht zu belasten. Angesichts eskalierender innerer Probleme war auch in den süddeutschen Staaten von Interventionsbereitschaft nur wenig zu spüren. Der rasche Sieg der Mehrheitskantone und die Verabschiedung einer liberalen Verfassung – der eidgenössischen „Tagsatzung“, die von den europäischen Bewegungskräften als Sieg gefeiert wurde, markierten eine schwere außenpolitische Niederlage des österreichischen Staatskanzlers. Dessen Fähigkeit zur Intervention war auch durch die in Italien aufbrechenden Unruhen gelähmt worden, die schließlich im Januar 1848 die Revolution in Gang setzten. So stand der Schweizer Sonderbundkrieg im Vorhof der europäischen Revolutionsereignisse.
II. Sonderbundkrieg
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III. Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 22.–24. 2. 1848 12. 3. 1848 18.–19. 3. 1848
Revolution in Paris Revolution in Wien (Sturz Metternichs 13. 3.) Revolutionskämpfe in Berlin (22. 3. Verfassungsversprechen) 22. 3./24. 3. 1848 Eiderdänisches Ministerium in Kopenhagen, Provisorische Regierung in Schleswig-Holstein, militärische Hilfe Preußens für Schleswig 30. 3./7. 4. 1848 Bundesbeschlüsse über die Wahl einer Nationalversammlung 12. 4. 1848 Bundesexekutionsbeschluss gegen Dänemark 12.–20. 4. 1848 Republikanische Erhebung und Bundesintervention in Baden 12. 5. 1848 Beschluss zur Aufnahme Schleswig in den Deutschen Bund 18. 5./19. 5. 1848 Eröffnung der Nationalversammlung in der Paulskirche 12. 7. 1848 Offizielle Beendigung der Tätigkeit der Bundesversammlung 26. 8. 1848 Abschluss des preußisch-dänischen Waffenstillstandes von Malmö (Ratifikation durch Nationalversammlung 16. 9. 1848, gültig bis 26. 3. 1849, vorzeitig beendet am 26. 2. 1849) September 1848 Septemberunruhen (Frankfurt a. M., Rheinland, Hessen, Thüringen, Pfalz, Baden) 16.–31. 10. 1848 Einschließung und Eroberung Wiens (Windischgrätz) 5. 12. 1848 Auflösung der preußischen Nationalversammlung/Verfassungsoktroi 7. 3. 1849 Oktroyierung einer Gesamtstaatsverfassung für Österreich 9. 3. 1849 Vorschlag eines großösterreichischen 70-MillionenReiches (Schwarzenberg) 26. 5. 1849 Gründung der „Union“ durch Preußen, Sachsen und Hannover Juni–Juli 1849 Reichsverfassungskampagne (23. 7. Fall der Festung Rastatt) 1. 9. 1850 Wiedereröffnung des Frankfurter Rumpfbundestages 12. 10. 1850 „Bregenzer Schutz- und Trutzbündnis“ 29. 11. 1850 Vertrag von Olmütz (Aufgabe der Union durch Preußen) 23. 12. 1850 Beginn der Dresdener Konferenzen zur Bundesreform 23. 2./15. 5. 1851 Scheitern und Beendigung der Dresdener Konferenz 8. 5. 1852 2. Londoner Protokoll (Integrität des dänischen Gesamtstaates)
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Das Heraufziehen der Revolution in den deutschen Staaten
III.
1. Das Heraufziehen der Revolution in den deutschen Staaten a) Soziale Spannungen Es waren sehr unterschiedliche Faktoren, die in den deutschen Staaten, vor allem in den frühindustriellen Ballungszentren und Metropolen, zur Herausbildung einer revolutionären Disposition beitrugen. Zum einen sind hier die sozialen Spannungen anzuführen, die sich infolge der demographischen Expansion (Verdoppelung der deutschen Bevölkerung zwischen 1816 und 1850), der Zuwanderung vom Land in die Städte und der beginnenden Industrialisierung abzeichneten. Pauperismus und Hungerkrisen (Hungerjahr 1847) waren die Folge des rasanten Bevölkerungszuwachses, der Abwanderung großer Teile der agrarischen Überschussbevölkerung, aber auch von Missernten. Im Jahre 1847 erkrankten allein in Oberschlesien 80 000 Menschen an Hungertyphus, fast 16 000 starben. Der schlesische Weberaufstand (1844), Unruhen in den böhmischen Textildörfern, Hungerrevolten und Plünderungen in Berlin, Stuttgart, Ulm und in den Wiener Vorstädten (Frühjahr 1847) signalisierten eine zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft der Unterschichten, insbesondere in den Städten. Das öffentliche Bewusstsein blieb hiervon nicht unbeeindruckt. Und obwohl der Höhepunkt der sozialen Missstände und Krisensymptome im Herbst 1847 überschritten wurde, trugen diese doch wesentlich zur Delegitimierung der alten Herrschaftseliten bei. Zu einem permanenten gesellschaftlichen Unruhefaktor wurden die Gesellen, deren Anzahl zunahm, ohne dass sie ausreichend Beschäftigung gefunden hätten. Wandernde Handwerksgesellen bildeten jenes Medium, durch das oppositionelle und revolutionäre Gedanken verbreitet wurden. Auch die durch die Ablösung der Feudallasten und der Landumverteilungen besitzlos gewordene Landbevölkerung bildete einen latenten Unruheherd. Doch blieb angesichts der weiterwirkenden paternalistischen Bewusstseinslagen vollkommen offen, in welche Richtung sich dieser Protest kanalisieren lassen würde. Gewiss zeitigten die sozialen Spannungen in Bezug auf die heraufziehende Revolution uneinheitliche Folgen. Doch bildeten sie den Treibsatz für die politischen Wünsche des Bürgertums.
Pauperismus
b) Bürgerliches Selbstbewusstsein und Politisierung der Öffentlichkeit Die beginnende Industrialisierung in Sachsen, dem Rheinland, in Berlin und Schlesien hatte zum Aufstieg des Bürgertums, insbesondere einer neuen Unternehmerschicht geführt. Männer wie der Aachener Kaufmann David Hansemann (1790–1864), der Kölner Bankier Gottfried Ludolf Camphausen (1803–1890) und der Maschinenfabrikant Friedrich Harkort (1793– 1880) waren es gewohnt, ihre Forderungen sehr direkt und ohne Umschweife zu artikulieren. Politischen Einfluss übte das liberal gesinnte Bürgertum in den Landtagen vor allem über das Budgetbewilligungsrecht aus.
Unternehmerschicht
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III.
Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 Sprichwörtlich wurde der Auftritt David Hansemanns, der vor dem ersten „Vereinigten Landtag“ Preußens (11. 4.–26. 6. 1847) in der Debatte um die Finanzierung des Baus der so genannten Ostbahn (Mai 1847), die Berlin mit der Provinz Ostpreußen verbinden sollte, den Satz formulierte: „Bei Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf, da muss bloß der Verstand uns leiten.“ Ungewollt erntete Hansemann mit dieser Äußerung stürmische Heiterkeitsausbrüche; sie war ein Glaubensbekenntnis der neuen Unternehmerschicht und richtete sich gleichzeitig gegen die Borniertheit der Krone, von den Kapitalinhabern Geschenke ohne Gegenleistungen zu verlangen.
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David Hansemann (1790–1864): Staatsmann, Sohn eines Predigers, erlernte den Kaufmannsberuf, führte die Geschäfte einer Handlung in Eberfeld und ließ sich in Aachen als Wollhändler nieder. Er gründete die Aachener Feuerversicherungsgesellschaft (1824) und widmete sich in literarischer und praktischer Tätigkeit dem Eisenbahnwesen. Unter seiner Vermittlung entstand die Köln-Mindener Eisenbahn, woraufhin er zum Handelsgerichtspräsidenten ernannt wurde (1838). 1845 gab er sein Handelsgeschäft auf und wurde Abgeordneter des rheinischen Provinziallandtages. Auf dem Vereinigten Landtag (1847) war er einer der herausragenden Führer der liberalen Opposition. Im März 1848 erhielt Hansemann das preußische Finanzministerium (Kabinett Camphausen), er blieb nach dem Rücktritt Camphausens (25. 6.) in der Regierung (bis 28. 9.). Er war Gegner der Reichsverfassung und der preußischen Unionspolitik, nach seinem Rücktritt aus der Regierung, wurde Chef der Preußischen Bank (bis März 1851) und der Preußischen Seehandlung. Er gründete die Berliner Diskontogesellschaft, die er zu einem der bedeutendsten Bankinstitute Deutschlands machte.
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Gottfried Ludolf Camphausen (1803–1890): Staatsmann, widmete sich dem Kaufmannsberuf und gründete mit seinem älteren Bruder ein Handlungs- und Bankhaus in Köln (1826) und erwarb sich Verdienste um den Bau von Eisenbahnlinien und die rheinische Dampfschifffahrt; 1838 Handelskammerpräsident, ab 1842 Mitglied des rheinischen Provinziallandtages sowie 1847 des Vereinigten Landtages, infolge der Revolution preußischer Ministerpräsident (29. 3.–20. 6. 1848). Er lehnte den Eintritt in die Reichsregierung ab, bekämpfte die Kaiseridee und die Reichsverfassung und wirkte als Bevollmächtigter Preußens bei der Zentralgewalt. Camphausen unterstützte die Unionspolitik und war als Mitglied des Erfurter Volkshauses (1850) Referent des Verfassungsausschusses. Nach seinem Rückzug aus der Politik widmete er sich der Verwaltung des Bankhauses A. u. L. Camphausen (1851–68).
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Friedrich Harkort (1793–1880): Industrieller, trat 1808 als Lehrling in ein Handlungshaus in Barmen ein und nahm als Offizier am Feldzug gegen Napoleon teil (1814/15). Nach dem Friedensschluss gründete er ein Kupferwalzwerk (1816), eine Lederfabrik (1818), eine Maschinenfabrik (1819), ein Werk zur Herstellung von Stabeisen (1827) sowie in Gemeinschaft mit anderen Aktionären eine Eisenhütte (1857). Bereits 1827 befürwortete er den Bau von Eisenbahnen und später von Kanälen. Er machte sich durch die Förderung der Dampfschifffahrt auf dem Rhein und die Gründung einer Spar-, Beamten- und Invalidenkasse verdient. 1848 wurde er in das preußische Abgeordnetenhaus gewählt. Bis 1867 war Mitglied der zweiten Kammer, danach Mitglied des norddeutschen Reichstages, des Zollparlaments und des ersten deutschen Reichstages (Fortschrittspartei).
Gerade das rheinisch-westfälische Bürgertum benutzte die Provinziallandtage und den „Vereinigten Landtag“ als Bühne für die Artikulation der eigenen Interessen. Jedoch sah der preußische König Friedrich Wilhelm IV. in der Einberufung des „Vereinigten Landtages“ bereits die Grenze dessen,
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Das Heraufziehen der Revolution in den deutschen Staaten was er politisch zuzugestehen bereit war, und unterstrich bei seiner Eröffnungsrede (11. 4. 1847) seine altständisch-romantische Staatsauffassung: Es werde keiner Macht der Erde je gelingen, ihn zu bewegen, das Verhältnis zwischen ihm und seinem Volk in ein konstitutionelles zu verwandeln. Niemals werde er es zulassen, „dass sich zwischen unserm Herrgott im Himmel und diesem Lande ein beschriebenes Blatt (…) eindränge, gleichsam als zweite Vorsehung, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte heilige Treue zu ersetzen“. Anders als Friedrich Wilhelm IV. betrachtete das liberale Bürgertum die königlichen Konzessionen lediglich als Halbheit. Ein „Vereinigter Landtag“ ohne Periodizität und mit nur beratender Stimme entsprach nicht seiner Forderung nach Repräsentativverfassung und wirklicher politischer Mitverantwortung. Nach der ungnädigen Auflösung des „Vereinigten Landtages“ durch den Monarchen war allen Beteiligten vollends klar, dass die Krone nur unter Druck bereit war, liberalen Bedürfnissen zu entsprechen. Seit den dreißiger Jahren war die Politisierung der deutschen Öffentlichkeit immer weiter vorangetrieben worden. Politische Gruppen hatten sich um verschiedene Publikationsorgane geschart. Sie hatten sich zu politischen Milieus verdichtet, die sich voneinander abgrenzten und die spätere moderne Parteienbildung bereits umrisshaft abbildeten. Während sich das konservativ-protestantische Milieu anfangs um die „Evangelische Kirchenzeitung“ (1827) und das „Politische Wochenblatt“ (1831) gruppierte und während der Revolution (ab 1.7.1848) die „Neue Preußische Zeitung“ („Kreuzzeitung“) zu seinem einflussreichsten Sprachrohr werden ließ, für die Männer wie der junge Otto von Bismarck (s. S. 92 ff.) und der Staatsphilosoph Friedrich Julius Stahl (1802–1855) schrieben, artikulierten sich die katholischen Konservativen in den „Historisch-Politischen Blättern“ (1838). Das gemäßigt konstitutionell-liberale Lager dagegen versammelte sich um die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“ (1844) und die „Deutsche Zeitung“ (1847). Radikale Liberale und Demokraten veröffentlichen ihr Meinungsbild in den „Halleschen Jahrbüchern für die deutsche Literatur und Kunst (1838) sowie in der „Rheinischen Zeitung“ (1842–43), deren Tradition während der Revolution dann von der „Neuen Rheinische Zeitung“ (1848) aufgenommen wurde. Daneben hielten gesamtdeutsche Begegnungen den nationalen Gedanken und den freiheitlichen Geist wach: Dazu zählten die Germanistentage in Frankfurt a. M. und Lübeck (1846/47), auf denen auch die Göttinger Sieben hervortraten, Sänger- und Schützenfeste, wie das allgemeine deutsche Sängerfest (1847), eine sich politisch formierende Vereinsbewegung sowie Versammlungen liberaler Parlamentarier zur programmatischen Selbstverständigung. Die Tagungen von Offenburg (radikale Liberale) und Heppenheim (gemäßigte Liberale) spiegelten beispielhaft den zunehmenden Differenzierungsprozess innerhalb des liberalen Lagers vor Ausbruch der Revolution. Offenburger Tagung Die auf der Offenburger Tagung (September 1847) versammelten mehr als 1000 Teilnehmer, unter ihnen Gustav von Struve (1805–1870) und Karl Hecker (1811– 1881), vertraten in ihren „Forderungen des Volkes“ (12. 9. 1847) einen prononciert radikal-liberalen Geist. Zur Forderung einer Wiederherstellung der durch
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Auflösung des Vereinigten Landtages
Politische Differenzierung
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 die Karlsbader Beschlüsse (1819) außer Kraft gesetzten bürgerliche Freiheitsrechte, der verletzten Bundesakte sowie der suspendierten badischen Landesverfassung traten weitere wichtige Ansprüche – unter anderem die allgemeine Volksbewaffnung und eine volkstümliche Wehrverfassung, eine gerechte Besteuerung durch Einführung einer progressiven Einkommenssteuer sowie eine „Selbstregierung des Volkes“.
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Heppenheimer Tagung Auf der Heppenheimer Tagung (Oktober 1847) trafen sich 18 gemäßigte Liberale, unter ihnen Heinrich von Gagern (1799–1880) und Gustav Mevissen (1815–1899), um ihre Kritik an der Institution des Deutschen Bundes, von dem die Nation nichts zu erwarten habe, und an der Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten mit der Überlegung zu verbinden, den Deutschen Zollverein zu einem politischen Verein auszubauen: „Durch weitere Ausbildung wird der Zollverein eine unwiderstehliche Anziehungskraft für den Beitritt der übrigen deutschen Länder üben, auch den Anschluss der österreichischen Bundesländer herbeiführen und somit eine wahre deutsche Macht begründen“ (Heidelberger „Deutsche Zeitung“, 10. 10. 1847). Im Gegensatz zur Offenburger Tagung wurde in Heppenheim die soziale Frage nicht als vordringlich angesprochen.
2. Der Deutsche Bund in der Revolution von 1848/49 a) Revolutionsbeginn und Selbstausschaltung des Bundes
Märzrevolution
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Nach dem Ausbruch der Revolution in Paris (22.–24. 2. 1848), die zum Sturz König Louis Philippes und zur Bildung einer republikanischen provisorischen Regierung führte, steigerte sich auch in den deutschen Staaten die schwelende Unruhe zur politischen Revolution. Anfang März setzte sich die liberale Bewegung, die in Südwestdeutschland ihren Ausgang genommen hatte, mit Hilfe von Versammlungen, Petitionen und friedlichen Demonstrationen beinahe widerstandslos in den meisten deutschen Staaten durch und verdrängte die alten Eliten von den Schalthebeln der Macht. Lediglich in Wien (13. 3., Rücktritt des Fürsten Metternich), Berlin (18. 3.) und einigen anderen deutschen Städten war es unter Freisetzung auch der radikal-demokratischen Bewegungskräfte zu Tumulten oder sogar Straßenkämpfen gekommen. Liberale traten nunmehr an die Spitze der Regierungen, doch Thronwechsel fanden mit Ausnahme Bayerns nicht statt, wo Ludwig I. zusätzlich durch die Affäre um seine exzentrische Geliebte, die rassige Tänzerin Lola Montez (1818–1861), angeschlagen war. Ludwig I. von Bayern (1786–1868): König von Bayern 1825–1848, baute München zur Kunststadt aus und trat für den griechischen Freiheitskampf ein. Sein anfängliches Kokettieren mit dem Liberalismus und Nationalismus (Walhalla/Befreiungshalle) machten einer zunehmend reaktionären Tendenz Platz, die eine Opposition gegen ihn auf den Plan rief, die ihn – zusätzlich durch die Affäre um Lola Montez – während der Märzrevolution zum Rücktritt zwang.
Durch den Ausbruch der Revolution von 1848 schließlich war die Institution des Bundes existentiell bedroht, repräsentierte sie doch jenen Antagonismus zwischen den Bedürfnissen der sich infolge der voranschreiten-
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Der Deutsche Bund in der Revolution von 1848/49 den Industrialisierung, dem Bevölkerungswachstum und der zunehmenden sozialen Mobilität entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft einerseits sowie den diese Entwicklung behindernden Herrschaftsstrukturen andererseits. Dazu trat die Besonderheit eines die Ausbildung der Staatsnation behindernden dezidierten Föderalismus, in dem staatenbündische Elemente einen deutlichen Vorrang vor bundesstaatlichen für sich beanspruchten. Dass die deutschen Einzelstaaten durchaus noch großen Rückhalt in der Bevölkerung besaßen und zudem an die verfassungsrechtliche Tradition des alten Reiches anknüpften, änderte nichts daran, dass sie nunmehr der Ausprägung einer nationalen Identität im Wege standen. Mit dem Beginn der Revolution war die permanent tagende Bundesversammlung (ab 2. 3.) bemüht, dem Druck der Ereignisse mit Hilfe einer flexiblen Doppelstrategie zu begegnen: Sie hob mit den Karlsbader Beschlüssen gleichzeitig die Zensur auf, führte die Farben schwarz-rot-gold in das Wappen des Deutschen Bundes ein und berief Männer des allgemeinen Vertrauens zur Vorbereitung einer Revision der Bundesverfassung. Andererseits bemühte sie sich bereits mit den ersten Anzeichen der Revolution, die revolutionären Massenaktionen militärisch zu konterkarieren. Parallel zu den auf Länderebene eingeleiteten Maßnahmen verfügte sie finanzielle Hilfen für die beschleunigte Ausrüstung der Bundesfestungen in Ulm und Rastatt und ein Ausfuhrverbot für Pferde, Waffen, Munition, Schlachtvieh und Verpflegungsgegenstände (4. 3.). Gegen die südwestdeutschen Unruhen ließ sie Bundestruppen mobilisieren (13. 3.) und in den grenznahen Räumen zu Frankreich aufmarschieren. Ende März befahl sie die Kriegsbereitschaft aller Bundesfestungen, die Marschbereitschaft der Festungskontingente, den Schutz aller süddeutschen Eisenbahnstationen sowie die Konzentration des 8. Bundesarmeekorps an gefährdeten Abschnitten des süddeutschen Raumes (23./25. 3.). Als der „Heckerzug“ im April 1848 Baden in Unruhe versetzte, beschloss die Bundesversammlung eine Bundesintervention zugunsten des badischen Großherzogs (15. 4.). „Heckerzug“ und Bundesintervention in Baden (April 1848) Mit dem Ziel, die Revolution durch Einführung der Republik unumkehrbar zu machen, sammelten sich ab März 1848 republikanische Kräfte in Baden unter Friedrich Hecker, Gustav von Struve und Joseph Fickler (1808–1865). Nach Ausrufung der „deutschen Republik“ (12. 4.) brach einen Tag später der Aufstand los. Bald folgten ihm 6000 Mann. Weitere 4000 Mann mobilisierten die Mitstreiter Johann Becker (1809–1886), Franz Sigel (1824–1902) und Georg Herwegh (1817–1875). Zunächst lehnte Baden ein preußisches Beistandsangebot ab. Nach dem Interventionsbeschluss der Bundesversammlung (15. 4.) wurde das 8. Bundesarmeekorps mobilisiert und unter Befehl des niederländischen Generalmajors Friedrich Freiherr von Gagern (1794–1848) in Marsch gesetzt. Zusätzlich unterstellte ihm Württemberg eine Division. Am 20. 4. kam es zum entscheidenden Zusammenstoß bei Kandern. Gagern fiel, Friedrich Hecker aber wurde besiegt und floh in die Schweiz. Mehr als 3000 Beteiligte wurden abgeurteilt.
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Gegenmaßnahmen des Bundes
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853
b) Bundesexekution gegen Dänemark
Bundesexekution
Europäisierung des Konfliktes
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Ein weiteres Problemfeld entstand für den Bund durch den deutsch-dänischen Nationalitätenkonflikt, den der Versuch der dänischen Krone, Schleswig in den dänischen Staatsverband einzugliedern, provozierte. Zwar zählte das mehrheitlich von Deutschen bewohnte Schleswig, im Gegensatz zu den Herzogtümern Holstein und Lauenburg, nicht zum Deutschen Bund, doch hatte altes Recht (Ripener Vertrag von 1460) seine Untrennbarkeit mit Holstein festgeschrieben. Als der dänische König Friedrich VII. (1808– 1863) eine Verfassungskommission für den dänischen Gesamtstaat einberief und die „Eiderdänen“ daraufhin die Einbeziehung Schleswigs forderten, verlangten die Schleswig-Holsteiner im Gegenzug die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund. Doch bevor die entsprechende Petition in Kopenhagen übergeben werden konnte, beschloss das neugebildete eiderdänische Ministerium die Einverleibung Schleswigs in die dänische Monarchie und damit die Trennung der Elbherzogtümer (21. 3.). Als Antwort bildete sich eine provisorische Regierung Schleswig-Holsteins (24. 3.), die sich von Dänemark lossagte, sofort mit der Bitte um Beistand an den Deutschen Bund und an Preußen herantrat (24. 3.) und schließlich die offizielle Aufnahme in den Bund beantragte (28. 3.). Eine Welle der nationalen Solidarisierung ließ die Bundesversammlung sofort erfolgte militärische Hilfsmaßnahmen von preußischer Seite nachträglich billigen (4. 4.), die provisorische Regierung anerkennen und die Bundesexekution gegen Dänemark beschließen (12. 4.). Deren Ziel richtete sich lediglich auf die Sicherung der Selbständigkeit und Untrennbarkeit der beiden Elbherzogtümer, da sich gegen den Widerstand Berlins der Eintritt Schleswigs in den Deutschen Bund nicht durchsetzen ließ. Bereits vor dem Exekutionsbeschluss des Bundes (12. 4. 1848) waren zwei preußische Garderegimenter bei Rendsburg konzentriert worden (7. 4.). Nach dem Scheitern eines preußischen Vermittlungsversuchs wurde die Bundesexekution durch das 10. Bundesarmeekorps, ein preußisches Korps sowie ein durch deutsche Freiwillige verstärktes schleswig-holsteinisches Korps (insgesamt 30 000 Mann) ausgeführt. Mit der Übernahme des Oberkommandos (20. 4.) durch den preußischen General Ernst von Wrangel (1784–1877) nahm die Intensität der Kampfhandlungen bedeutend zu. Am 2. 5. überschritten die Exekutionstruppen die Grenze zu Jütland und besetzten die Festung Fredericia (3. 5.). Indes traten mit der sich abzeichnenden Okkupation Jütlands die europäischen Großmächte auf den Plan, deren Interventionsdrohung neben anderen Schwierigkeiten dazu beitrug, einem weiteren militärischen Vordringen Einhalt zu gebieten. Dem inneren und äußeren Zangendruck (Drängen der Nationalversammlung, die den Konflikt am 9. 6. zur „Sache der Nation“ erklärt hatte, den Krieg energisch fortzusetzen, einerseits sowie russisch-französisch-schwedische Interventionsdrohung andererseits) fühlte sich die Bundesversammlung nicht gewachsen. Einer Entscheidung wurde sie aber durch das einseitige preußische Vorgehen und ihre Selbstent-
Der Deutsche Bund in der Revolution von 1848/49
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machtung (12. 7., s. unten) enthoben. Nach britischer Vermittlung beendete Preußen den Konflikt mit dem Waffenstillstand von Malmö (26. 8. 1848, gültig bis zum 26. 3. 1849), der nach erheblichem Widerstand im zweiten Anlauf von der Frankfurter Versammlung ratifiziert wurde (16. 9. 1848). Noch vor Auslaufen des Waffenstillstandes wurden die Kampfhandlungen von Dänemark wieder aufgenommen (26. 2. 1849) und durch den preußisch-dänischen Waffenstillstand (10. 7. 1849) beendet. Am 2. 7. 1850 schlossen Berlin und Kopenhagen den „Berliner Frieden“, woraufhin die letzten preußischen Verbände das Herzogtum Schleswig verließen (17. 7. 1850). Vollends beendet wurde der Konflikt erst mit der Restitution des Deutschen Bundes, einer Bundesintervention zugunsten Dänemarks (Oktober 1850) und dem 2. Londoner Protokoll (8. 5. 1852), welches im Grunde den Status quo ante wiederherstellte. Aufbau einer deutschen Flotte Dieser wurde erst nach der dänischen Blockade deutscher Häfen während der Auseinandersetzung um Schleswig-Holstein mit der Einsetzung eines Marineausschusses (4. 6. 1848) ins Auge gefasst. Später setzte die provisorische Zentralgewalt eine Marineabteilung und eine marinetechnische Kommission (30. 10. 1848) ein. Unter Leitung von Karl Rudolf Bromme (1804–1860) wurde danach mit dem Aufbau einer kleinen Flotte begonnen, die als nationales Symbol in der Öffentlichkeit einen starken Rückhalt fand. Geldsammlungen und Materialspenden versinnbildlichten die Popularität der Flottenidee, in die sich patriotische Gefühle, rationale Berechnungen und nationale Hybris mischten. Nach dem Scheitern der Revolution und der Restitution des Deutschen Bundes endete diese Episode deutscher Marinegeschichte. Die noch unfertige Flotte wurde per Beschluss des Bundestages aufgelöst (2. 4. 1852) und in der Folge versteigert. Das Geld erhielt der Verein zur Rettung Schiffbrüchiger.
Die Bundesversammlung, die durch die Revolution immer mehr unter inneren Legitimationsdruck geraten war, suchte die äußeren Krisen für den inneren Machterhalt zu nutzen. In diesem Sinne konstatierte sie, ungeachtet der anders lautenden empirischen Beobachtungen, dass sogar die Gefahr eines äußeren Krieges mit Frankreich nicht ausgeschlossen sei (16. 5.). Daraufhin einigten sich die deutschen Regierungen, im Notfall analog dem Drei-Armeen-Plan während der „Rheinkrise“ (preußischösterreichische Punktation vom 28. 11. 1840) zu verfahren, wozu es aber nicht kam. Durch die in Frankfurt a. M. am 18. 5. zusammengetretene verfassungsgebende Nationalversammlung de facto längst entmachtet, musste die Bundesversammlung schließlich ihre Tätigkeit für beendet erklären und ihre Rechte an den Reichsverweser Erzherzog Johann (1782–1859) abtreten (12. 7.), der bereits im Juni eine provisorische Reichsregierung eingesetzt hatte. Mit diesem Akt schaltete sich der Deutsche Bund nach vier Monaten des Überdauerns unter dem Druck der Revolution als politische Institution einstweilen selbst aus. Es blieb nachträglicher Interpretation vorbehalten, ob dieser Vorgang irreversibel war oder ob es später möglich sein würde, bruchlos an eine vorrevolutionäre Rechtstradition anzuknüpfen. Forderungen nach einem Nationalstaat und die Debatte darüber begannen, den Bund im Verlauf der Revolution als politisches Phänomen bald zu verdrängen.
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Selbstausschaltung des Bundes
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Bundesbeschluss über die Übertragung der Zuständigkeiten des Bundestages auf den Reichsverweser (12. 7. 1848) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 341 f. Die Nationalversammlung, und in ihr die Vertreter des deutschen Volkes, hat Eurer Kaiserl. Hoheit, dem von ihr erwählten Reichsverweser, eben erst in feierlicher Stunde ihre Huldigung dargebracht. Mit lautem Jubel hat sie ausgesprochen, dass die Deutschlands Recht und Deutschlands Freiheit, die Unabhängigkeit, die Ehre und die Macht des deutschen Volkes Eurer Kaiserlichen Hoheit vertraue. Die Bundesversammlung war es, die Sie, erlauchter Prinz, an dem denkwürdigen Tage Ihrer Wahl auch im Namen der deutschen Regierungen als Reichsverweser freudig begrüßte. (…) Die Bundesversammlung überträgt Namens der deutschen Regierungen die Ausübung dieser ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen an die provisorische Zentralgewalt, sie legt sie insbesondere mit dem Vertrauen in die Hände Eurer Kaiserl. Hoheit, als des deutschen Reichsverwesers, dass für die Einheit, die Macht und die Freiheit Deutschlands Großes und Erfolgreiches erzielt werden, Ordnung und Gesetzlichkeit bei allen deutschen Stämmen wiederkehren und das deutsche Volk der Segnungen des Friedens und der Eintracht dauernd sich erfreuen werden. (…) Mit dieser Erklärung sieht die Bundesversammlung ihre bisherige Tätigkeit als beendet an.
3. Die Revolution in den deutschen Einzelstaaten – Ziele, Zentren und Zäsuren Ziele
Wien und Österreich
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Die Forderung nach einem Nationalstaat einte alle die „Märzbewegung“ tragenden Kräfte. Doch waren mit diesem Ziel sehr unterschiedliche Erwartungen verbunden. Die Demokraten verstanden den Nationalismus als ein antifeudales, antiständisches und auch antimonarchisches Prinzip, das namentlich der Durchsetzung einer politischen Neuordnung dienen sollte. Bei den Liberalen fehlte die Abgrenzung der Nation gegen die vorrevolutionäre Ordnung, von ihnen wurde der Nationalgedanke als Integrationsideologie benutzt, um über die politischen und sozialen Gegensätze hinweg das Verbindende zu betonen. Doch dem Streben nach nationaler Einheit und Freiheit, wie es in der deutschen Nationalversammlung artikuliert wurde, stand das Beharrungsvermögen der monarchisch-konservativen Kräfte in den deutschen Einzelstaaten entgegen. Nicht die Debatten und Beschlüsse der Zentralgewalt in Frankfurt a. M., sondern handfeste gegenrevolutionäre Aktionen in den deutschen Einzelstaaten, namentlich in ihren Metropolen (Dresden, Frankfurt a. M.) und industrialisierten Ballungsräumen entschieden über das Schicksal der Revolution. In besonderer Weise traf dieser Sachverhalt auf die Hauptstädte der beiden deutschen Vormächte zu, auf Wien und Berlin: Die Wiener Revolution hatte sich aus Tumulten vor dem Landhaus der niederösterreichischen Stände (13. 3.) entwickelt, die im kopflosen Einsatz des Militärs (Herrengasse und Michaelerplatz) gipfelten und am selben Tag zur Demission Metternichs führten. Wien bildete nicht nur den Beginn der deutschen Revolution und signalisierte deren Auf- und Abschwünge (Auf-
Die Revolution in den deutschen Einzelstaaten
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stände im Mai, August, September und Oktober 1848), es strahlte auch über Deutschland auf Italien zurück und auf Ungarn aus. Seit den sizilianischen Unruhen (Januar 1848) waren in allen größeren italienischen Staaten in kurzer Zeit liberale Verfassungen durchgesetzt worden, die nun den Wunsch nach nationaler Einigung auf die Tagesordnung treten ließen. Mit dem Mailänder Aufstand (17. 3.) begann der italienische Nationalkrieg unter Führung König Karl Alberts von Piemont-Sardinien (1798–1849) gegen Habsburg in Oberitalien, den die reorganisierte österreichische Italienarmee unter General Graf Radetzky (1766–1858) bei Custozza (25. 7. 1848) jedoch für sich entschied. Als Ende 1848 die Vermittlungsverhandlungen zwischen Piemont und Österreich scheiterten und Neuwahlen im Januar 1849 eine demokratische Mehrheit und ein neues Kabinett brachten, das den Waffenstillstand mit Österreich kündigte (12. 3. 1849), flammten die Kämpfe erneut auf (20. 3. 1849). Doch auch jetzt erwiesen sich die Österreicher als überlegen. Entgegen allen Erwartungen seiner Gegner ergriff Radetzky sofort die Initiative, überrannte eine italienische Armee bei Mortara (21. 3. 1849) und schlug zwei Tage später, in der Schlacht bei Novara (23. 3. 1849), die piemontesischen Hauptkräfte. Tags darauf ersuchten die Italiener um einen Waffenstillstand. Der Feldzug war in 100 Stunden entschieden worden. Bereits im Juni 1848 erreichte die böhmische Revolution in Prag ihren Höhe- und Endpunkt. Sie war aus Forderungen nach tschechischer Autonomie innerhalb eines reformierten österreichischen Gesamtstaates erwachsen, um ein Aufsaugen Böhmens durch einen deutschen Nationalstaat zu verhindern. Als Gegenstück zur deutschen Nationalversammlung hatten die Tschechen unter František Palacký (1793–1876) einen Slawenkongress nach Prag einberufen (31. 5.), dessen innere Fraktionierung einen Erfolg jedoch verhinderte. Militärische Maßnahmen der Prager Garnison, Massenveranstaltungen und Gerüchte über einen angeblich bevorstehenden Angriff deutscher Truppen führten zu Spannungen, die sich in den Junikämpfen entluden. In ihnen demonstrierte General Alfred Fürst Windischgrätz (1787–1862), dass die revolutionäre Taktik des Barrikadenbaus (in Prag waren in kürzester Zeit ca. 400 Barrikaden entstanden) gegen den organisierten Einsatz des Militärs, das mit Hilfe von Artillerie, Pionieren und Infanterie vorging, keine Chancen besaß. Die ungarische Revolution war als Folge des Taktierens des Kaiserhofes und der kaiserlichen Regierung gegenüber den Ungarn und Kroaten, die weitgehende nationale Forderungen (nationale Autonomie und Personalunion) erhoben hatten, entstanden. Als im Oktober 1848 der endgültige Bruch eintrat und daraufhin alle verfügbaren österreichischen Truppen nach Ungarn kommandiert werden sollten, führte diese Anordnung zunächst zur Eskalation der Situation in Wien – Ermordung des Kriegsministers Ferdinand Graf von Latour (1780–1848) – und schließlich zur militärischen Einschließung und gewaltsamen Eroberung der Donaumetropole durch Alfred Fürst von Windischgrätz, der die antideutschen Affekte seiner tschechischen und kroatischen Regimenter gegen die deutschen Verteidiger Wiens auszunutzen verstand (16.–31. 10. 1848). Zwar konnte ein Entsatzangriff der Ungarn bei Schwechat abgewiesen werden, dennoch blieb die Lage jenseits der Leitha weiter unübersichtlich. Erst im Sommer 1849 wurde die ungarische
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Berlin
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Erhebung mit russischer Waffenhilfe niedergeschlagen. Die Kapitulation der Ungarn vor den Russen bei Világos markierte gleichzeitig den Endpunkt der Revolution als europäisches Ereignis (13. 8. 1849). Sofort nach Bekanntwerden der Wiener März-Ereignisse versuchte Friedrich Wilhelm IV. durch schnelle Zugeständnisse dem Ausbruch der Revolution vorzubeugen (18. 3. Aufhebung der Zensur, zum 2. 4. Einberufung des Vereinigten Landtages) und gab ein Verfassungsversprechen ab. Dennoch eskalierte ein friedlicher Massenprotest wegen Hinzuziehung des Militärs zum Barrikadenkampf (18. 3. 1848). Nach dem erzwungenen Rückzug der Regimenter aus Berlin und der Einsetzung eines Reformkabinetts setzte sich der König Ende März nach Potsdam ab, wo er durch Anpassung an die Forderungen der Revolution und gleichzeitige Duldung gegenrevolutionärer Aktivitäten (30. 3. Bildung einer geheimen Gegenregierung) allmählich die politische Kontrolle wiedergewann. Nachdem der Ansehensverlust der Garderegimenter im Krieg gegen Dänemark korrigiert worden war, wurden sie etappenweise in die Umgebung Berlins zurückgeführt (Anfang April bis September) und auf den inneren Einsatz vorbereitet. Im September wurde das parlamentarische Mehrheitsministerium in Preußen durch eine königstreue Regierung unter General Ernst von Pfuel (1779–1866) ersetzt. Nach den Oktoberunruhen in Berlin und der Niederschlagung des Wiener Aufstandes (Oktober) setzte Friedrich Wilhelm IV. am 8.11. ein konservatives Kampfkabinett unter Graf Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1792– 1850) mit eindeutig gegenrevolutionärer Programmatik ein. Die gewaltlose Entfernung der preußische Nationalversammlung (10. 11.), ihre Verlegung, Vertragung und schließliche Auflösung (5. 12. 1848) bei gleichzeitiger Oktroyierung einer bald revidierten Verfassung (5. 12. 1848, Revision 2. 2. 1850), die das Dreiklassenwahrecht vorsah, unter den Voraussetzungen des Belagerungszustandes (seit dem 12. 11.) signalisierten das Ende der Revolution in Preußen durch einen Staatsstreich. Dreiklassenwahlrecht (30. 5. 1849) und Verfassungsrevision (2. 2. 1850) Zusammen mit der preußischen Verfassung (5. 12. 1848) verfügte der Monarch die Berufung der in dieser vorgesehenen beiden Kammern. Während für die Wahl der ersten Kammer ein hoher Wahlzensus galt, hielt das Wahlgesetz für die zweite Kammer zunächst am allgemeinen und gleichen Wahlrecht fest. Die beiden preußischen Kammern traten am 26. 2. 1849 zusammen. In der zweiten Kammer kam es alsbald zu Auseinandersetzungen mit der Regierung um die Anerkennung der oktroyierten Verfassung, die Handhabung der von der Regierung erlassenen Notverordnungen sowie um die Anerkennung der Reichsverfassung. Als die zweite preußische Kammer die Rechtsgültigkeit der Reichsverfassung mehrheitlich anerkannte (21. 4. 1849), befahl der König deren Auflösung sowie die Vertagung der ersten Kammer (27. 4. 1849). Am 30. 5. 1849 führte er, gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßend, per Notverordnung das Dreiklassenwahlrecht für die Wahl der zweiten Kammer ein. Nach Einkommen differenzierte und zahlenmäßig stark voneinander abweichende Gruppen wählten nunmehr eine fixierte Anzahl von Abgeordneten. Auf der Grundlage des Dreiklassenwahlrechts wurde die zweite Kammer neu gewählt (17. 7. 1848). Beide Kammern traten am 7. 8. 1850 zusammen, um die Revision der Verfassung in Angriff zu nehmen. Nach Einarbeitung zahlreicher Änderungswünsche und Vorbehaltsklauseln zu Gunsten der Krongewalt trat die revidierte Verfassung am 2. 2. 1850 in Kraft. Friedrich Wilhelm IV. leistete am 6. 2. den vorgeschriebenen Eid. Die Verfassung blieb bis zur Novemberrevolution (9. 11. 1918) gültig.
Verfassungsfrage und nationale Frage Nach dem erzwungenen taktischen Zurückweichen der alten Ordnung und wichtigen Zugeständnissen in der ersten „Durchbruchsphase“ der Revolution (März 1848) vollzog sich in der darauf folgenden „Differenzierungsphase“ (März–Juni 1848) die militärisch-moralische Reorganisation und politische Sammlung der Gegenrevolution. Dies lief parallel zur inneren Differenzierung des revolutionären Lagers in Gemäßigte und Radikale. Die „Offensive der Gegenrevolution“ (Juni–Dezember 1848) setzte allerdings erst ein, nachdem sich das gemäßigt-liberale Lager seiner radikalen Stoßtruppen entledigt und damit den radikaldemokratischen Plan einer „zweiten Revolution“ zunichte gemacht hatte. Damit steckte es zwar den Haltepunkt der Revolution ab, schwächte aber gleichzeitig seine Position gegenüber den Kräften der alten Ordnung. In der „Endphase“ (Januar bis August 1849) festigten die Kräfte der alten Ordnung die wiederhergestellten Herrschaftsverhältnisse und rollten die revolutionären Errungenschaften auf breiter Front zurück. Der Erfolg war ihnen durch die flexible Anpassung an unvermeidliche Transformationsprozesse sowie die Ausnutzung konservativer Grundprägungen sowie antiliberaler Affekte der ländlichen Bevölkerung und der städtischen Unterschichten zugefallen. Das geschickte Ausweichen der Hofgesellschaften und Lebensnerven der Gegenrevolution aus den revolutionären Gefahrenzonen in Wien und Berlin nach Innsbruck bzw. Potsdam sicherte ihre Handlungsfähigkeit. Dazu trat die Unberührtheit der partikularen Staatsapparate mit Heer und Verwaltung, denn die Frage der Verfügungsgewalt über das Militär und die staatliche Verwaltung war von den revolutionären Kräfte nirgends in ihrem Sinne gelöst worden. Da die alten Apparate und Loyalitätsverhältnisse intakt blieben, wurden sie schließlich von der Gegenrevolution für ihre Zwecke instrumentalisiert.
III. Zäsuren der Revolution
4. Verfassungsfrage und nationale Frage Angesichts der deutschen Realität stand die verfassungsgebende Nationalversammlung (Paulskirchenversammlung) in Frankfurt a. M. vor zwei großen Aufgaben. Sie musste nicht nur eine Verfassung schaffen, sondern daneben auch die Grundlagen für einen nationalen Staat legen. Dies warf in der Praxis schwierigste Probleme (Grenzfragen, Umgang mit Nationalitäten und nationalen Minderheiten) auf, die neben den Interessen der deutschen Einzelstaaten auch die der europäischen Mächte tangierten. Die Revolution brachte eine Fülle von nationalen Ideen, Alternativen und Programmen hervor, die in Abhängigkeit von den gesellschafts- und verfassungspolitischen Vorstellungen ihrer Protagonisten variierten und in der Frankfurter Paulskichenversammlung vehement debattiert wurden: Sie reichten von staatenbündischen Reformkonzepten konservativ-monarchisch gesinnter Kreise (Fraktion Steinernes Haus, Café Milani), über bundesstaatliche der gemäßigten liberalen Mehrheit (rechter Flügel: Casino, linker Flügel: Württemberger Hof, mit den Absplitterungen Landsberg, Augsburger Hof, Pariser Hof), bis hin zu republikanischen Auffassungen der demokratischen Linken (Donnersberg, Deutscher Hof, mit den Absplitterungen Westendhall und Nürnberger Hof).
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Problem Österreich
Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV.
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Dabei bestand ein weitgehender Konsens in zwei Grundpositionen: zum einen sollte die staatliche Vielfalt Deutschlands nicht angetastet werden, sodass das Modell eines Bundesstaates nach amerikanischem Muster bevorzugt wurde. Zum anderen sollte der künftige Nationalstaat möglichst nicht durch eine Verbindung mit anderen Nationalitäten aufgeweicht werden. So rückte das Problem der multiethnischen Habsburgermonarchie bald in den Mittelpunkt aller Bemühungen der Paulskirchenversammlung um einen deutschen Nationalstaat. Da diese als Gesamtheit weder drinnen noch draußen bleiben konnte, forderte die deutsche Nationalbewegung schließlich die Auflösung ihrer staatlichen Einheit zugunsten eines deutschen Reiches. Doch diese Forderung war nun nicht mehr durchzusetzen. Den Wettlauf mit der Gegenrevolution hatte die Nationalversammlung mit ihren zeitraubenden Beratungen der „Grundrechte des deutschen Volkes“ (3. 7.–27. 12. 1848) gegen die in den Einzelstaaten wiedererstarkenden Kräften der monarchischen Ordnung (Niederwerfung des Wiener Aufstandes: 26.–31. 10. 1848, Einsetzung Franz Joseph I. zum österreichischen Kaiser: 2. 12. 1848; Oktroyierung der preußischen Verfassung: 5. 12. 1848) verloren. Insbesondere hatte die energische gegenrevolutionäre Strategie des österreichischen Ministerpräsidenten Fürst Felix Schwarzenberg (1800– 1852) und der militärische Sieg über die italienische und die ungarische Nationalbewegung bald alle Voraussetzungen für eine Auflösung Österreichs zugunsten eines deutschen Nationalstaates abgeschnitten. Eine Regelung ohne Österreich – sie sollte schließlich 1866 erfolgen – hätte zur Spaltung der entstehenden Nation und zum Konflikt geführt. Die Paulskirche suchte das Problem zunächst durch einen Kompromiss zu lösen, indem sie den deutschen Gebieten Österreichs den Anschluss an das engere Deutschland anbot. Dieses Angebot zielte freilich auf eine staatsrechtliche Loslösung der deutschen Länder der Habsburgermonarchie vom österreichischen Gesamtstaatsverband. Nachdem allerdings Schwarzenberg in seinem Regierungsprogramm (27. 11. 1848) den Erhalt der staatlichen Einheit der Gesamtmonarchie als oberstes Ziel propagiert und gegenüber der Frankfurter Reichsregierung das Verbleiben der ungeteilten Monarchie im deutschen Staatsverband verlangt hatte (März 1849), war allen nationalstaatlich-großdeutschen Lösungsmodellen der Boden entzogen worden. So blieb allein die erbkaiserlich-kleindeutsche Alternative übrig, die nunmehr eine rasche Verständigung sogar mit einem Teil der Demokraten ermöglichte. Auf dieser Basis wurde am 28. 3. 1849 die Reichsverfassung verkündet und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit 290 Stimmen bei 248 Enthaltungen zum deutschen Reichsoberhaupt gewählt. Doch der preußische Monarch lehnte ab. Damit war der von immerhin 27 deutschen Staaten angenommene Verfassungsentwurf gescheitert. Ihm folgte der revolutionärdemokratische Vorstoß seiner gewaltsamen Durchsetzung durch Bürgerkrieg und Reichsverfassungskampagne (Mai–Juli 1848, 23. 7. Fall der Festung Rastatt) sowie der monarchisch-konservative Beerbungsversuch durch die preußische Unionspolitik (s. S. 89–92). Zwar waren die europäischen Rahmenbedingungen für die deutsche Nationalstaatsgründung schwierig, aber sie machte das Vorhaben nicht aussichtslos. Und obwohl das neue Staatswesen in der Mitte Europas die Interessen der anderen Großmächte berührt hätte, allein schon wegen der Grenzfragen, gibt es
Nachrevolutionäre Neuordnungsversuche
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kaum Grund zu der Annahme, dass sie eine solche Entwicklung hätten verhindern können. Der Verfassungsentwurf (28. 3. 1849) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 375–396
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Obwohl der Verfassungsentwurf der Paulskirche ein politisches Programm blieb, bildete er dennoch einen Orientierungspunkt für spätere Verfassungen. Er unternahm den Versuch, sowohl Einheit und Vielfalt als auch Demokratie und Monarchie zusammenzubinden und sah eine kleindeutsch-bundesstaatliche Lösung mit einem preußischen Erbkaiser an der Spitze vor. Letzterer sollte – den anderen Bundesgliedern übergeordnet – als eigentlicher Träger der Reichsexekutive figurieren. Ihm standen die Außenpolitik, eine Fülle von Gesetzgebungskompetenzen und das Kommando über das deutsche Kontingentsheer zu. Die wenigen föderativen Elemente des Entwurfs bezogen sich auf die Gesetzgebungskompetenz des Reichstages, der aus einem Staatenhaus (Abgesandte der deutschen Staaten) und einem nach dem allgemeinen, gleichen, öffentlichen und geheimen Mehrheitswahlrecht gebildeten Volkshaus bestehen sollte. Eine Kontrollfunktion über die Reichsregierung besaß der Reichstag nicht. Als Bestandteil des Verfassungsentwurfs umfassten die Grundrechte des deutschen Volkes (Abschnitt VI) die individuellen Freiheitsrechte, wie sie seit 1789 zu jeder liberalen Verfassungsordnung zählten. Sie beseitigten adlige Vorrechte und erklärten die Unverletzlichkeit des Eigentums.
5. Nachrevolutionäre Neuordnungsversuche a) Preußische Unionspolitik Nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. (3. 4./ 28. 4. 1849) und dem damit verbundenen Scheitern des Plans, ein kleindeutsches Erbkaisertum auf revolutionärem Wege zu schaffen, glaubte eine reformkonservative Gruppe am Berliner Hof um den Berater des preußischen Königs, Joseph Maria von Radowitz (1797–1853), die nationale Reform auf dem Wege von Vereinbarungen der deutschen Fürsten durchsetzen zu können. Radowitz wollte den Schwung der Revolution ausnutzen, um unter Vermeidung eines offenen Bruches mit Österreich wichtige nationale Ziele auf monarchisch-legitimistischer Grundlage erreichen. Dabei knüpfte er an seine vorrevolutionäre Reformdenkschrift (November 1847) an, die eine Stärkung der bundesstaatlichen Elemente des Deutschen Bundes vorgesehen hatte, und nahm gleichzeitig liberale, kleindeutsche Ideen der Paulskirche (Vermittlungsplan Heinrich von Gagerns, 26. 10. 1848) auf. Sein Projekt sah einen „engeren Bund“ unter preußischer Hegemonie vor. Die demokratischen Tendenzen des Frankfurter Verfassungsentwurfs waren durch das absolute Vetorecht des Bundesoberhauptes und einen eingeschränkten Wahlmodus (Dreiklassenwahlrecht) bedeutend abgeschwächt worden. Dieser „engere Bund“ sollte unter der Bezeichnung „Deutsches Reich“ firmieren. Österreich sollte mit ihm nach außen „untrennbar eins und verbunden“ sein. Nach innen war eine lose staatsrecht-
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853
Erfurter Parlament und Unionsverfassung
Militärkonvention
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liche Verknüpfung zwischen beiden selbständigen Staatskörpern vorgesehen, ein „weiterer Bund“ zur Angleichung der beiderseitigen Interessen. Als Mitglied dieser „Deutschen Union“ hätte Österreich sein Gesicht wahren können, ohne noch einen nennenswerten Einfluss auf die deutschen Belange auszuüben. Obwohl die Wiener Regierung den preußischen Vorschlag noch im Mai 1849 ablehnte, standen die Realisierungschancen des Planes zunächst nicht schlecht, da preußische Truppen in einigen deutschen Staaten zur Revolutionsbekämpfung eingesetzt waren und Österreich durch den ungarischen Aufstand absorbiert war. Doch zeichnete sich bald ab, dass wichtige deutsche Mittelstaaten dem Unionsprojekt fernblieben. Zwar gelang es Preußen, mit Sachsen und Hannover das Dreikönigsbündnis (26. 5. 1849) abzuschließen, dem die Mehrheit der deutschen Staaten beitrat, Bayern aber lehnte eine Mitgliedschaft in der „Union“ ab und auch Württemberg wich aus. Anfang 1850 zogen sich auch Sachsen und Hannover wieder zurück. Und obgleich Österreich, nach der Niederschlagung der Revolution in Ungarn gestärkt, seinen Widerstand gegen die „Union“ immer deutlicher artikulierte, verfolgte Radowitz seinen Plan unbeirrt weiter. Im Januar 1850 wählten die Unionsstaaten das Erfurter Parlament auf der Basis des Dreiklassenwahlrechts. Nach seinem Zusammentritt (20. 3. 1850) verabschiedete es noch im April eine Unionsverfassung, die an eine „konservative Version der Reichsverfassung“ (Thomas Nipperdey) erinnerte. Mit dem Ziel, das Unionsprojekt nunmehr zu Fall zu bringen, organisierte Schwarzenberg im Mai 1850 einen Kongress zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes, dessen Rechtskontinuität er beschwor, und etablierte mit den hierzu willigen Staaten einen Rumpfbundestag (2. 9. 1850), der alle Kompetenzen des alten Deutschen Bundes für sich beanspruchte. Diese Einrichtung wurde von Preußen und den in der Union verbliebenen kleineren Staaten boykottiert. Parallel zur Unionspolitik verfolgte Preußen mit Hilfe bilateraler Militärkonventionen das Ziel, sich die Hegemonie im norddeutschen Raum zu sichern. Diese Militärkonventionen standen zwar im Widerspruch zur Bundeskriegsverfassung, trugen aber dem Trend einer militärisch sinnvollen Verflechtung Rechnung. Gemäß einer Forderung der Nationalversammlung (9. 11. 1848), dass alle Staaten mit einem Kontingent unter 6000 Mann ihre militärische Selbständigkeit aufzugeben hätten, schloss Preußen 1849 mit Anhalt-Dessau-Köthen, Anhalt-Bernburg, beiden Mecklenburgs sowie mit Braunschweig Militärkonventionen ab. Indem sie das Souveränitätsstreben der kleineren Bundesglieder militärischen Effizienzkriterien unterordneten und die Militärverhältnisse der kleineren deutschen Staaten den Zeiterfordernissen anglichen, wiesen diese neuen militärischen Organisationsformen über den Deutschen Bund und seine Militärverfassung bereits deutlich hinaus. Nach dem Scheitern der Unionspolitik im Spätherbst 1850 musste Preußen seine bilateralen Militärkonventionen aufgeben; die unvollendeten Verträge mit Hamburg, Schaumburg-Lippe, Waldeck, Schwarzburg-Sondershausen und Sachsen-Coburg wurden einstweilen auf Eis gelegt. Dennoch blieben viele militärische Verabredungen auch weiterhin einfach bestehen. Der Konflikt zwischen der preußisch geführten Union und dem österrei-
Nachrevolutionäre Neuordnungsversuche chisch geleiteten Rumpfbundestag entzündete sich an zwei latenten Problemen und gewann bald eine den Frieden gefährdende Größenordnung: Sowohl in der „Schleswig-Holstein-Frage“, genauer am vom Rumpfbundestag positiv beantworteten dänischen Interventionsgesuch zur Liquidierung der revolutionären Statthalterschaft in den Elbherzogtümern, als auch in der „kurhessischen Frage“, dem Versuch des Kurfürsten, die „Renitenz“ des Landtags gegen die Willkürakte zur Außerkraftsetzung der Verfassung zu brechen, fuhren die Positionen der beiden deutschen Vormächte und ihrer Vasallen fest. Der zum preußischen Außenminister (26. 9. 1850) ernannte Radowitz betrachtete beide Krisenherde als Prestigefrage und die Durchführung der vom Rumpfbundestag beschlossenen Interventionen als Kriegsfall. In diesem Fall aber waren die politisch-militärischen Gewichte zuungunsten Preußens verteilt. Während Frankreich und Großbritannien als neutral galten, neigte Russland Österreich zu. Zar Nikolaus I. (1796– 1855) erblickte in der „Union“ eine Frucht der Revolution, die es zu beseitigen galt. Nachdem Schwarzenberg mit Bayern und Württemberg gegen die preußische Union das Bregenzer Schutz- und Trutzbündnis (12. 10. 1850) abgeschlossen hatte, ordnete der österreichisch dominierte Rumpfbundestag die Bundesintervention in Kurhessen an (16. 10. 1850). Am 26. 10. verfügte er den Einmarsch von Bundestruppen in Kurhessen, der am 1. 11. begann und von Preußen mit einem Gegeneinmarsch beantwortet wurde. Gleichzeitig ging Österreich dazu über, seine Truppen zu mobilisieren und in Böhmen unter General Radetzky eine 75 000 Mann starke Operationsarmee zu konzentrieren. Erklärung des preußischen Außenministers Joseph Maria von Radowitz gegenüber dem österreichischen Gesandten in Berlin, Anton Freiherr von ProkeschOsten (25. 10. 1850) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 573
III. Union gegen Rumpfbundestag
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Glauben Sie mir, ich habe alle Chancen bedacht, die äußeren wie die inneren, die militärischen wie die politischen, und ich sage Ihnen: Unser Entschluss ist gefasst. Wir dulden keine fremden Truppen in Kurhessen, und wenn daraus ein Krieg wird, so machen wir augenblicklich alle neun Armeekorps mobil und setzen das Äußerste ohne jede Rücksicht und ohne jeden Aufenthalt daran.
Wie ernst die Lage war, wurde der preußischen Regierung in den Warschauer Verhandlungen (17.–28. 10. 1850) vor Augen geführt, die die beiden deutschen Vormächte, vermittelt durch den Zaren und sekundiert durch den russischen Gesandten in Wien, Peter Freiherr von Meyendorff (1796–1863), führten. Schwarzenberg hatte seinen Widerstand gegen die preußische Union mit den Konflikten um Schleswig-Holstein und Kurhessen zu einem Junktim verknüpft und dadurch Russland auf seine Seite gezogen. Doch hatte sich Meyendorff die Schiedsrichterrolle in den deutschen Angelegenheiten nicht entwinden lassen. Da der preußische Ministerpräsident, Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg (1792–1850), keine der österreichischen Forderungen akzeptieren wollte und die Verhandlungen ohne konkretes Ergebnis blieben, drohte ein militärischer Konflikt Preußens mit Österreich, Russland und den meisten deutschen Mittelstaa-
Warschauer Verhandlungen
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853
Olmützer Punktation
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ten. Am 1. 11. waren bayerische Truppen in Kurhessen einmarschiert, in dem sich wichtige preußische Durchgangsstraßen in Richtung der westlichen Provinzen befanden. Bei Bronzell kam es zu einem Schusswechsel (8. 11.), der jedoch durch das rechtzeitige Eingreifen von Offizieren auf beiden Seiten unblutig beendet werden konnte. Bereits zuvor hatte Friedrich Wilhelm IV. mit der Entlassung von Radowitz und der Einsetzung Otto Freiherr von Manteuffels (1805–1882) zum preußischen Ministerpräsidenten den außenpolitischen Kurs der Hohenzollernmonarchie enger mit ihren realpolitischen Möglichkeiten in Übereinstimmung gebracht. Bei gleichzeitig vollzogener preußischer Mobilmachung (6. 11.) intensivierte Manteuffel die diplomatischen Kontakte nach Wien, um endlich die noch verbliebenen Möglichkeiten einer friedlichen Konfliktlösung zu nutzen. Unter Vermittlung des österreichischen Gesandten in Berlin, Anton Freiherr von ProkeschOsten (1795–1876), gelang es schließlich in letzter Minute, durch direkte Verhandlungen mit Schwarzenberg einen friedlichen Ausweg zu finden. In der Olmützer Punktation (29. 11. 1850) verpflichtete sich Preußen, einer definitiven Regelung der kurhessischen und der schleswig-holsteinischen Angelegenheit durch die Entscheidung der deutschen Regierungen zuzustimmen, den Bundestruppen ungehinderten Durchmarsch über die preußischen Etappenstraßen zu gewähren und im Namen des Deutschen Bundes gemeinsam mit Österreich einen Kommissar nach Holstein zu entsenden, der die Einstellung der Feindseligkeiten und die Abwicklung der Bundesforderungen zu überwachen hatte. In einem Zusatzartikel musste Preußen versprechen, eine einseitige Demobilisierung als Voraussetzung für die Einstellung der österreichischen Rüstung durchzuführen. Die konservativ majorisierten preußische Kammer stimmte den Vereinbarungen nach intensiver Debatte mit knapper Mehrheit zu (Anfang Januar 1851). Hierbei erlangte die Rede des konservativen Abgeordneten Otto von Bismarck vom 3. 12. 1850 vor der zweiten Kammer Berühmtheit, in der er die Olmützer Punktation als im langfristigen Interesse Preußens gelegen verteidigte: „Es ist leicht für einen Staatsmann (…) mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder (…) donnernde Reden zu halten, und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg oder Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zum Kriege umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist (…).“ Ein Krieg Preußens für seine gekränkte Ehre, für die Union oder für Kurhessen sei absurd und nicht im preußischen Staatsinteresse gelegen. Preußen hatte sich seinem österreichischen Rivalen für den Augenblick ausliefern müssen, um seine Existenz als Großmacht aufrechtzuerhalten. Da es sich aber mit seinem flexiblen Nachgeben alle Optionen in der deutschen Frage langfristig sicherte und eine Restitution des Deutschen Bundes erst nach freien Verhandlungen zwischen allen deutschen Staaten erfolgen sollte, kann Olmütz nicht als „Demütigung“, „Kapitulation“ oder „Schmach“ interpretiert werden, wie dies durch einige Zeitgenossen und die liberale borussische Historiographie geschehen ist. Zwar hatte Schwarzenberg – wie beabsichtigt – der Berliner Regierung eine Lektion erteilt, die „Partie“ aber hatte er nicht entschieden.
Nachrevolutionäre Neuordnungsversuche
III.
b) Österreichisches 70-Millionen-Projekt (Schwarzenberg-Bruck-Plan) Nach der Niederschlagung der Revolution in Österreich und der Zurückweisung aller Föderalisierungs- und Auflösungstendenzen im Innern der Monarchie sowie der Absage an die großdeutsche Stimmung der Paulskirche nahm Schwarzenberg zunächst eine klare innenpolitische Kurskorrektur im zentralistisch-gesamtstaatlichen Sinne vor. Die oktroyierte Gesamtstaatsverfassung für alle habsburgischen Länder (7. 3. 1849) beendete alle Spekulationen um eine großdeutsche Lösung und demonstrierte, dass Wien am Primat einer großösterreichischen Konsolidierung festhielt. Auch nach außen verfolgte Österreich seit dem Frühjahr 1849 als Antwort auf die Entscheidungen der Paulskirche und später in Abwehr der preußischen Unionsversuche eine von politischen und wirtschaftlichen Prämissen gleichermaßen bestimmte großösterreichische Strategie: Als Alternative zu einem preußisch dominierten deutschen Nationalstaat und unabhängig vom preußischen Unionsprojekt hatte der österreichische Ministerpräsident bereits am 9. 3. 1849 das Projekt eines übernationalen Staatenblocks mit 70 Millionen Einwohnern in Mitteleuropa präsentiert, der sich aus dem um die polnischen Teilungsgebiete Preußens vergrößerten Deutschen Bund und der österreichischen Gesamtmonarchie bilden sollte. Als selbst ernannte mitteleuropäische Ordnungsmacht wäre Österreich so um das Potential des Deutschen Bundes gestärkt und damit als Großmacht stabilisiert worden. Natürlich stellte der Gesamteintritt der Habsburgermonarchie in den Bund nur einen matten Aufguss der während der Revolution von 1848 erhobenen nationalen Forderungen dar. Deshalb projektierte Schwarzenberg neben einem siebenköpfigen Direktorium, bestehend aus drei ständigen Mitgliedern (Österreich, Preußen und Bayern) und vier turnusmäßig wechselnden Stimmen der anderen deutschen Staaten, ein „Staatenhaus“, das aus Delegierten einzelstaatlicher Kammern hervorgehen sollte, wobei Wien entsprechend der Bevölkerungszahl die Mehrheit für sich beanspruchte. Bald war klar: Schwarzenberg hatte der deutschen Nation nicht viel anzubieten. Sein Plan bedeutete im Grunde eine Neufassung des staatenbündischen Prinzips, welche die verfassungspolitische Fortentwicklung Deutschlands mit den Sicherheitsbedürfnissen Österreichs verknüpfte und jeden Fortschritt an die Zustimmung Wiens band. Als am 26. 10. 1849 in der amtlichen Wiener Zeitung Karl Ludwig von Brucks Entwurf zur „Anbahnung der österreichisch-deutschen Handelsunion“ veröffentlicht wurde, der ein Programm zur stufenweisen Verschmelzung der deutschen Zollgebiete mit dem Ziel der Schaffung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsraumes darstellte, schien nunmehr auch ein handelspolitisches Pendant zur politischen Strategie Schwarzenbergs zu existieren. Doch Brucks Plan einer mitteleuropäischen Zollunion „von der Nordsee bis zur Adria“ war alles andere als das. War doch der Plan nicht wie der Schwarzenbergs aus der Abwehr der Nationalstaatskonzeption entstanden. In geschickter Argumentation suchte er eine breite nationale Solidarisierung gegen die Industrievorherrschaft Großbritanniens herbeizufüh-
Österreichisches 70-Millionen-Projekt
Mitteleuropäischer Zollunionsplan
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 ren und trug der nationalen Gefühlslage in einem weit höheren Maße Rechnung als der Vorstoß des österreichischen Ministerpräsidenten.
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Karl Ludwig Freiherr von Bruck (1798–1860) als Sohn eines Buchbinders in Elberfeld (heute Wuppertal) geboren, trat als 17-jähriger Freiwilliger in die russisch-deutsche Legion ein und wurde bei Waterloo verletzt. Nach einer Tätigkeit als Handlungsgehilfe siedelte er 1821 nach Triest über, wo er in eine Reedereifamilie einheiratete. Er gründete eine Schifffahrtsgesellschaft, den „Österreichischen Lloyd“ (1835/36), und verfolgte – inspiriert von Friedrich List – weitergehende wirtschaftspolitische Ideen. Im November 1848 wurde Bruck österreichischer Handelsminister, nahm nach dem Scheitern seines Zollunionplanes den Abschied (Mai 1851) und ging nach Triest zurück. Nach kurzer Tätigkeit als Botschafter in Konstantinopel erneut zum Finanzminister ernannt (1855–60) gelang ihm weder die Sanierung der österreichischen Staatsfinanzen noch der hartnäckig angestrebte Unionsvertrag mit dem Deutschen Zollverein. Als nach der österreichischen Niederlage von 1859 Betrugsfälle bei Heereslieferungen aufgedeckt und Sündenböcke gesucht wurden, geriet Bruck in Verdacht. Nachdem ihn Kaiser Franz Joseph I. zum Rücktritt aufgefordert hatte, wählte er den Freitod.
Brucks Vorhaben knüpfte an Gedanken Friedrich Lists an und stand in der Tradition der deutschen Nationalbewegung, die eine räumliche Erweiterung des Zollvereins mit dem Anspruch auf Neuordnung der ostmitteleuropäischen Staatenwelt unter deutscher Vorherrschaft anstrebte. Der Plan basierte auf einer stufenweisen Annäherung der bis dahin klar protektionistisch ausgerichteten österreichischen Handelspolitik an den freihändlerischen Norden und vermittelte den Eindruck, dass die ins Auge gefasste Verbindung von Markterweiterung und erhöhtem Außenschutz sowohl Freihändlern als auch Schutzzöllnern entgegenkommen würde. Vor allem war er geeignet, der Idee eines in Wirklichkeit nicht großdeutschen, sondern großösterreichischen Mitteleuropa, das eine klare Absage an das großdeutsche nationale Programm der Paulskirche darstellte, agitatorisch zu untermauern. Der durch die Bindekraft materieller Interessen gegebene kompensatorische Effekt ließ taktische Geschichtspunkte in den Vordergrund rücken, die eine Verbindung der politischen Pläne Schwarzenbergs mit denen des österreichischen Handelsministers nahe legten. Nach den Worten Brucks war sein Zollunionsplan expliziter Ausdruck und „sicherste Grundlage für die politische Einigung“, die Wien anstrebte, wobei offen blieb, was Priorität besaß, die politische oder die wirtschaftliche Zwecksetzung. Der Plan sollte namentlich jene „Fehlentwicklung“ des deutschen Zollvereins korrigieren, dessen Verflechtungen in den späten vierziger Jahren immer spürbarer wurden und auf eine wirtschaftspolitische Ausgrenzung und deutschlandpolitische Abschließung der Kaisermacht hindeuteten. Zwar legten die schwierige finanzielle Situation Österreichs, sein inneres Entwicklungsgefälle und sein wirtschaftlicher Entwicklungsrückstand im Vergleich zum Zollverein der Realisierung des Vorhabens schwerwiegende Hindernisse in den Weg, gerade nach der Jahrhundertmitte aber verbesserten sich die österreichischen Wirtschaftsdaten in eindrucksvoller Weise: Die Handelsbilanz der Habsburgermonarchie gestaltete sich seit 1851 wieder positiv. Und auch das Außenhandelsvolumen legte kräftig zu. Dieser Entwicklungstrend hätte längerfristig günstige Wirkungen auf die wirtschaftliche At-
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Dresdener Konferenz und Restitution des Deutschen Bundes
III.
traktivität Österreichs ausüben und so auch die politische Mitteleuropalösung nachhaltig flankieren können. Im Umkehrschluss wurde die anregende These gewagt, Bruck habe sein handelspolitisches Konzept als Hebel für eine innerösterreichische Modernisierung und als Zwangstherapie für das wenigstens teilweise Aufbrechen der überkommenen, die alten Eliten begünstigenden Wirtschaftsstruktur verwandt. Da das Projekt auf der Dresdener Konferenz aber an die große politische Lösung Schwarzenbergs angekoppelt wurde, scheiterte es gemeinsam mit dieser.
6. Dresdener Konferenz und Restitution des Deutschen Bundes a) Historischer Ort der Dresdener Konferenz Die Dresdener Ministerialkonferenz (23. 12. 1850–15 .5. 1851) gehört zu den wenig beachteten und häufig tendenziös interpretierten Ereignissen in der Epoche des Deutschen Bundes. Doch war sie weit tragend und zählte zu den „folgenreichen Kapiteln im Buch der versäumten Gelegenheiten der deutschen Geschichte“ (Heinrich Lutz). Sie war die erste und einzige Konferenz, die alle Mitglieder des Deutschen Bundes nach der Verabschiedung der Wiener Schlussakte (Juni 1815) in einer deutschen Metropole versammelte, und gleichzeitig ein gesellschaftliches Ereignis von Gewicht, das der Inszenierung wiederhergestellter fürstlicher Souveränität diente. Formal ging die Konferenz auf jenen Plan der beiden deutschen Großmächte vom März 1848 zurück, die Regierungen der Gliedstaaten nach Dresden einzuladen, um dort über das weitere Vorgehen angesichts der aufbrechenden Revolution zu beraten, was durch deren weiteren Gang schließlich bald nicht mehr realistisch war. Im Nachspiel der Revolution konnte das Ziel der Zusammenkunft sowohl in der Wiederherstellung des Status quo ante als auch in der Etablierung einer neuen Ordnung bestehen. Die generelle Entwicklungsfähigkeit des Deutschen Bundes, seine Reformfähigkeit, befand sich während der Konferenz auf dem Prüfstand. Und so richteten sich die Erwartungen der Zeitgenossen auf energische Schritte zur Verbesserung seiner Leistungsfähigkeit, zur Stärkung seiner Exekutive, und auf Maßnahmen zur wirtschaftlichen und rechtlichen Vereinheitlichung Deutschlands. Der Umstand, dass gerade das Problem der Exekutive und ihrer Kompetenzen eine so große Bedeutung besaß, konnte angesichts des veränderten europäischen Umfeldes und in Anbetracht der nunmehr der Vergangenheit angehörenden revolutionären Alternativen – die durchweg auf eine Machtverdichtung hinausgelaufen waren – nicht überraschen. Gerade dadurch schien die Scharnier- oder Gelenkfunktion der Verhandlungen zwischen Revolution und Nachrevolution angesprochen. Die Konferenz fungierte als Bindeglied, indem sie eine vorrevolutionäre Kontinuität beschwor und gleichzeitig das reiche und widersprüchliche Erbe der Revolution verarbeitete. Als Scharnier zwischen der revolutionären und der nachrevolutionären Ära hätte Dresden den abflauenden revolutionären Elan der zu neuen Ufern aufbrechenden deutschen Nation in eine Reform ihrer politisch-rechtlichen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse kanalisieren können.
Forderung nach Reform der Bundesexekutive
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853
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Neuregelung der Herrschaftsteilung
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Organisation und Verlauf der Dresdener Konferenz Nach dem Zusammentritt der Konferenz (23. 12. 1850) wurden die Verhandlungen in fünf Kommissionen geführt (1. Kommission: Organisation der obersten Bundesbehörde und Umfang des Bundesgebietes, 2. Kommission: Kompetenzen der obersten Bundesbehörde und ihr Verhältnis zu den einzelstaatlichen Regierungen, 3. Kommission: Handels-, Zoll- und Verkehrswesen, 4. Kommission: Bundesgericht, 5. Kommission: Protokollführung). Die Sitzungen der Kommissionen begannen am 2.1. und endeten am 28. 4. 1851. Die vier mit Sachfragen befassten Kommissionen legten im Anschluss an ihre Beratungen jeweils Berichte vor, über die in der Plenarversammlung debattiert und abgestimmt wurde. Bereits am 23. 2. 1851 gelangten die Berichte der 1. und 2. Kommission zur Vorlage, die von einer Mehrheit abgelehnt wurden. Und obwohl anschließend der missglückte Versuch unternommen wurde, durch Einsetzung einer neuen Kommission und Erarbeitung eines veränderten Berichtes doch noch einen Konsens herbeizuführen, war die Konferenz bereits de facto gescheitert. Alle Berichte und die in ihnen enthaltenen Vorschläge wurden nach ihrem Ende (15. 5. 1851) an die Bundesversammlung weitergeleitet.
Die Dresdener Konferenz schloss sich unmittelbar der gescheiterten Unionspolitik und dem dramatischen Szenario der Deeskalation im Verhältnis zwischen Wien und Berlin im Ausgang der Olmützer Punktation an. Sie knüpfte formal-rechtlich an die vorrevolutionäre Situation an und demonstrierte einen politischen Konsens, dessen politische Basis inzwischen fraglich geworden war, da sich die staatsrechtlichen Voraussetzungen in den deutschen Gliedstaaten bereits vor der Revolution und erst recht in ihrem Verlauf in verschiedene Richtungen entwickelt hatten, wobei das Modell der Repräsentativverfassung die traditionellen altständischen Verfassungsformen immer mehr verdrängte. Zwischen Wien und Berlin ging es auch um die Regelung der Herrschaftsteilung im Deutschen Bund, um eine Neuordnung der machtpolitischen Gewichte. Bereits die leitenden Prinzipien beider Mächte differierten erheblich und verwiesen auf Voraussetzungen, die in der Revolutionszeit und in der unmittelbaren postrevolutionären Ära wurzelten: Österreich, das konsequent von einer durch die Revolution ungebrochenen Rechtskontinuität des Deutschen Bundes ausging, verfolgte den ehrgeizigen Plan, die Habsburger Gesamtmonarchie in den Deutschen Bund zu integrieren und ihr mit Hilfe der von Bruck konzipierten mitteleuropäischen Zollunion eine politische und wirtschaftliche Vorrangstellung zu verschaffen. Manteuffel wies diese Ideen nicht von vornherein zurück, obwohl sie den preußischen Absichten zum Teil diametral entgegenliefen. Der österreichische Plan eines Eintritts von Gesamtösterreich war aber nur Ausdruck der als Maximalprogramm in geheimer Instruktion formulierten Forderung Schwarzenbergs, „Preußen zu gewinnen, (…) in den Kreis unserer Politik zu ziehen und dauernd zu fesseln“. Für die Fortsetzung eines solchen, an die Restaurationszeit und den Vormärz anknüpfenden Kurses fehlten nach der Revolution viele Voraussetzungen. Preußen war bereit, auf der Basis gemeinsamer konservativer Interessen pragmatisch zu agieren, ein darüber hinausgehender ideologischer Konsens sowie die damit verbundene österreichische Führungsposition schienen inzwischen jedoch inakzeptabel. Deshalb konfrontierte Manteuffel die Österreicher mit Paritätsforderungen, durch die eine Annahme ihres Projektes entschärft worden wäre.
Dresdener Konferenz und Restitution des Deutschen Bundes
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b) Die österreichische Verhandlungsposition Es ist bis heute in der Forschung umstritten, ob Schwarzenberg ein Maximalprogramm oder ein Minimalprogramm hatte durchdrücken wollen oder hätte anstreben sollen. Die Wiener Position erwies sich wohl als variantenreicher, wobei die Durchsetzung der Minimalvariante eigentlich noch als ein Erfolg angesehen werden konnte. Wenn schon die Hegemonie unerreichbar war, sollte Preußen wenigstens auf dem zweiten Platz gehalten werden, was durch den inhaltlichen Ausbau der Geschäftsordnungskompetenz möglich schien. Zwei weitere Umstände treten hinzu, die bisher kaum unmittelbar mit der Konferenz in Verbindung gebracht worden sind: zum einen das einen Tag nach Konferenzende abgeschlossene Schutz- und Trutzbündnis mit Berlin (16. 5. 1851), das sich sensationell auch auf nichtdeutsche Besitzungen der Monarchie erstreckte. Der zweite beachtenswerte Sachverhalt liegt in der Vereinbarung eines preußisch-österreichischen Handelsvertrages am 12. 2. 1853, der bis zum Abschluss des preußischfranzösischen Handelsvertrages von 1862 ein wirtschaftliches Sonderverhältnis (Präferenzzölle und Meistbegünstigung) zwischen Wien und Berlin begründete und – während Preußen seine handelspolitische Vormachtstellung in Deutschland weiter ausbaute – als quasi Freihandelszone das Tor für eine künftige große Zollunionslösung für einige Zeit offen hielt.
Bilaterale Vereinbarungen zwischen Wien und Berlin
c) Die preußische Verhandlungsposition Nach der Preisgabe seiner Unionspolitik und dem politisch-militärischen Rückzug im Gefolge der Punktation von Olmütz war Preußen in Dresden gestattet worden, sein Gesicht zu wahren. Nunmehr folgte Manteuffel dem Prinzip, die politische Neuordnung Deutschlands auf dem Wege freier Vereinbarungen der deutschen Regierungen mit dem Ziel erfolgen zu lassen, „eine neue Verfassung des deutschen Bundes“ zu schaffen, durch die die deutschen Staaten eine engere Verbindung eingehen würden. Dabei sollte dem neuen Bundeszentralorgan, in dem beide Großmächte gleichberechtigt sein sollten, eine aus dem gesamten Bundesgebiet periodisch zusammenberufene ständische Vertretung an die Seite gestellt werden, in Anerkennung des durch die Revolution faktisch eingetretenen Rechtszustandes; hiergegen lief Wien Sturm. Flexibel erwies sich die Berliner Position in der Frage der territorialen Zugehörigkeit von Landesteilen zum „weiteren Bund“, zählten doch seit Frühjahr 1848 auch die östlichen Randdistrikte Preußens (West- und Ostpreußen sowie Posen) zum Bundesgebiet. Dabei wäre der Gesamteintritt der Habsburgermonarchie, analog dem Eintritt der preußischen Gebiete, wohl akzeptiert, gleichzeitig aber an die Erwartung geknüpft worden, im Gegenzug volle Parität und eine abwechselnde Geschäftsführung des Bundes (Alternat) zu erhalten. Wien ließ sich darauf nicht ein, da es prinzipienpolitischen Überlegungen zur Wahrung des Status quo den Vorrang gab und um seine Bindungen zu den Mittelstaaten fürchtete.
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Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853 Scheitern der Konferenz
Nach der entscheidenden Auseinandersetzung mit Wien (Sitzung vom 23. 2. 1851) forderte Manteuffel Ende März die ehemaligen Unionsgenossen auf, den Deutschen Bund wieder zu beschicken. Damit war die Konferenz de facto bereits gescheitert. Trotz der Vorverständigung mit Wien verdeutlichte sie einen sich drastisch verringernden kleinsten gemeinsamen Nenner in den verschiedenen deutschlandpolitischen Konzeptionen der beiden deutschen Großmächte. So erwies sich das Prinzip der Vorverständigung als zunehmend obsolet, denn die Basis einer Verständigung wurde immer schmaler. Dresden signalisierte bereits ganz allmählich die durch die Revolution eingetretenen Veränderungen im preußisch-österreichischen Verhältnis. Doch eine Weichenstellung war die Konferenz nicht. Diese erfolgte erst im Ausgang der 1850er-Jahre, als Berlin – gestützt auf den 1859 gebildeten kleindeutschen Nationalverein – das Bündnis mit der nunmehr wieder gestärkten liberalen und nationalen Bewegung suchte und damit endgültig den Weg für eine Konfrontation mit Wien freimachte.
d) Die Position der Mittel- und Kleinstaaten
Föderalismus und Freiheit
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Gewiss beanspruchten die kleineren deutschen Staaten in besonderer Weise für sich eine Garantie für die föderalistische Ordnung aller deutschsprachigen Länder, hatten sie doch den deutschen Föderalismus durchweg als populären Teil des historischen Rechts und als Bürgschaft der Freiheit verinnerlicht. Dennoch befürworteten sie in ihrer Mehrheit eine Stärkung der Bundesexekutive auf dem Reformweg. Ihre Ängste bezogen sich vor allem auf das Zusammengehen von Wien und Berlin sowie die Möglichkeit einer Machtteilung zwischen beiden, von der sie wohl zu Recht eine starke Sogwirkung ausgehen sahen. Anders aber als die deutschen Vormächte legte das Lager der Mittelstaaten einen größeren Wert auf bürgerlich-liberale Freiheiten, konnte es doch vielfach auf eine längere Verfassungstradition zurückblicken, die auch in die Reaktionsphase nach 1849 hineinwirkte. Mit ihrer Forderung nach Einführung einer zentralen Nationalvertretung griffen die Mittelstaaten den Appell zur politisch-staatsrechtlichen Modernisierung in Deutschland direkt auf. Aus ihrer Perspektive stellte sich das Verhältnis von Einheit und Freiheit jedenfalls annehmbarer dar, als aus dem Blickwinkel der deutschen Vormächte. Der bayrische Ministerpräsident Ludwig Freiherr von der Pfordten (1811–1880), der noch bis 1852 eine konservativ-liberale Reformpolitik verfolgte, bezeichnete stellvertretend für die hochgespannten Hoffnungen im Lager der Mittelstaaten als Zweck der Zusammenkunft, „der deutschen Nation den ihrer jetzigen Bildungsstufe entsprechenden Grad bürgerlicher Freiheit zu gewähren“. Vor der Konferenz entwickelte er in einer Rede vor der zweiten Kammer des bayerischen Landtages (11. 6. 1850) seine Vorstellungen dahingehend, dass eine Revision der deutschen Bundesverfassung am besten in einem großdeutschen, föderalen und verfassungsmäßigliberalen Rahmen geschehen müsse. Auch der sächsische Ministerpräsident Ferdinand Freiherr von Beust (1809–1886) gab sich der Hoffnung hin, dass eine grundlegende Reform
Dresdener Konferenz und Restitution des Deutschen Bundes
III.
des Bundes zustande kommen werde. Seine Vision lag in einem großen mitteleuropäischen Staatenbund mit Österreich, der den Westen und Osten Europas dominieren und dadurch die Stabilität des Kontinents sichern sollte. Dem österreichischen Plan eines Handels- und Zollsystems stand er ambivalent gegenüber: Er begrüßte ihn aus politischen Gründen, weil er daran die Hoffnung knüpfte, dass der durch Preußen instrumentalisierte Zollverein – in dem er eine Schranke des von ihm befürworteten großdeutschen Gedankens sah – überflüssig werden würde. Andererseits befürchtete er eine Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen Sachsens, insbesondere des Zollvereinshandels mit dem Westen. Gute Möglichkeiten, eine reformorientierte Politik durchzusetzen, besaßen die Vertreter der deutschen Mittel- und Kleinstaaten indes nicht. Eine solche Linie fußte auf der Annahme einer relativen Machtblockade der beiden deutschen Vormächte. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Durch die Vorverständigungspraxis der beiden deutschen Großmächte wurden das liberale Potential und der Erneuerungswillen der kleineren Staaten lahm gelegt – Wien und Berlin zeigten sich im gemeinsamen Verhindern fähiger als im konstruktiven Verändern. Und offenbar waren die Interessen der Kleineren untereinander auch zu verschieden, als dass sie gebündelt und auf ein gemeinsames Ziel hätten gerichtet werden können.
e) Zusammenhang von europäischem Konzert und deutscher Reformfrage Mit der Revolution von 1848 hatten sich die europäischen Mächtebeziehungen als Folge der Abschwächung des Konzertgedankens strukturell verändert. Damit standen auch die Ordnungsvorstellungen des Wiener Kongresses in der praktischen Deutschlandpolitik der Großmächte auf dem Prüfstand. Doch traten diese Phänomene erst während des Krimkrieges (vgl. Kap. IV.2.a) offen zutage. In der Zeitspanne dazwischen vollzog sich auch äußerlich der Übergang zur Macht- und Realpolitik, wodurch der gemeinsamen konservativen Werten verpflichtete prinzipienpolitische Aspekt des europäischen Konzerts weiter reduziert und der Konzertgedanke zunehmend zum Vehikel nationaler Interessendurchsetzung wurde. Unschärfen der Wahrnehmung entstanden durch das Nebeneinander alter Grundsätze und neuer Maßstäbe. Alte Ressentiments machten neuen realpolitischen Einsichten Platz. Nationale Prinzipien und eine aufgewertete öffentliche Meinung wurden vielfach tonangebend. Sie bestärkten die Regierungen populäre außenpolitische Entschlüsse zu fassen oder damit zu drohen. Im Falle des Deutschen Bundes ist der Befund ambivalent. Einerseits lag die anvisierte Reform des Bundes durchaus im Zeitgeist, weshalb ihr nicht einmal Russland zu widersprechen wagte, geschweige denn Großbritannien oder Frankreich. Andererseits betraf sein innerer Wandel auch seine europäische Stellung, da mit ihm wirtschaftliche (britisch-französische Handelsinteressen) und territoriale Fragen (Lombardo-Venetien) untrennbar verknüpft waren. Für den Fall einer Erweiterung des Bundesgebietes und der Verfälschung des Gründungscharakters des Bundes glaubten sich Teile
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III.
Zwischen Revolution, Union und 70-Millionen-Reich 1848–1853
Diplomatie der Großmächte
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des britischen Regierungsestablishments zum Einschreiten berechtigt, zumal sie dadurch auch jenen unerwünschten österreichisch-russischen Konsens zu sprengen hofften, der sich bei der Niederschlagung der Revolution abgezeichnet hatte. Paris äußerte aufgrund der französischen Unterstützung für die italienische Nationalbewegung generelle Bedenken gegen den Schwarzenberg-Plan eines Gesamteintritts Österreichs in den Deutschen Bund. Russland hingegen wollte den Schwarzenberg-Plan akzeptieren und zumindest neutral bleiben, solange das Projekt einer preußischösterreichischen Versöhnung nicht im Wege stand. Im Einzelnen entschieden ganz konkrete Zielprojektionen und Interessenlagen über die Haltung der Großmächte, die zu Beginn der Verhandlungen von Zustimmung (Russland), Indifferenz (Großbritannien) und Zurückweisung (Frankreich) gleichermaßen gekennzeichnet war. Das diplomatische Eingreifen der europäischen Großmächte verhinderte die Bundesreform nicht. Erst als die Reformfrage am offenen Widerspruch Preußens gescheitert war (23. 2. 1851), das freilich schon vorher doppeldeutig hatte durchblicken lassen, dass der Schwarzenberg-Plan keine preußische Erfindung war, begann der Widerstand der europäischen Mächte Gestalt anzunehmen oder im Falle Frankreichs zu eskalieren. Zwar monierte Paris den Schwarzenberg-Plan immer wieder, rang sich aber erst Ende Februar zu einer wirklich energischen Sprache durch. Auch kann die das Projekt Schwarzenbergs schroff ablehnende französische Note (23. 2.) für die entscheidende Sitzung in Dresden nicht maßgeblich gewesen sein, da sie den französischen Geschäftsträger in Wien erst nachträglich instruierte. Und auch die anschließenden diplomatischen Erörterungen, ob das österreichische Programm nun durch die Verträge von 1815 gedeckt gewesen sei oder nicht, das an die Adresse Wiens gerichtete, die Ablehnungsgründe ausführlich darlegende französische Memorandum (5. 3.), die darauf folgende, in die gleiche Richtung gehende Note Palmerstons an Schwarzenberg (7. 3.) und schließlich die einhellig vorgetragene theatralische Zurückweisung aller äußeren Einmischungsversuche durch die deutsche Bundesversammlung (17.7.) waren nur Theaterdonner. Russland hatte seine Position erst unter dem Eindruck der preußischen Opposition geändert und war sehr spät auf die Linie der Westmächte eingeschwenkt, deren Argumente es allerdings hellsichtig teilte: Wäre erst einmal die „Büchse der Pandora“ geöffnet und der Stein territorialer Veränderungen ins Rollen gekommen, würde niemand mehr bereit sein, für die Erhaltung der Wiener Ordnung seine Hand ins Feuer zu legen. Aus der Sicht der deutschen Staaten beruhten alle Schuldzuweisungen an die Adresse der europäischen Großmächte, sie hätten eine Reform des Bundes durch ihre Interventionsdrohung zunichte gemacht, bestenfalls auf illusionärer Selbsttäuschung, wenn nicht – wie im Falle Preußens – auf bewusster Irreführung. Die Konferenzteilnehmer selbst waren für das Scheitern verantwortlich, benötigten aber die nachträglich folgende Drohkulisse der Großmächte, um Versagen und Unwillen in den eigenen Reihen zu bemänteln. Im Grunde bot das verspätete Eingreifen des Westens die Gelegenheit, durch dessen theatralische Zurückweisung nach außen einen Konsens zu demonstrieren, der innerlich bereits nicht mehr bestand.
IV. Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 19. 2. 1853 4. 4. 1853
Preußisch-österreichischer Zoll- und Handelsvertrag Vertragsverlängerung des Deutsche Zollvereins ohne Österreich 4. 10. 1853 Türkische Kriegserklärung an Russland 27./28. 3. 1854 Kriegserklärung der Westmächte an Russland 20. 4. 1854 Österreichisch-preußische Defensivallianz („Aprilbündnis“) 26.–30. 5. 1854 Bamberger Treffen der deutschen Mittelstaaten (Beitritt zum „Aprilbündnis“ bei Wahrung der Neutralität des Bundes) 24. 7. 1854 Beitritt der meisten Bundesstaaten zum „Aprilbündnis“ 26. 11. 1854 Zusatzvertrag zum „Aprilbündnis“ (Ausdehnung auf besetzte Donaufürstentümer) 2. 12. 1854 „Dezemberbündnis“ (Frankreich, Großbritannien und Österreich) 8. 2. 1855 Bundesbeschluss zur Herstellung der Kriegsbereitschaft 8. 9. 1855 Kapitulation der russischen Festung Sewastopol 1. 2. 1856 In-Kraft-Treten eines vorläufigen Waffenstillstandes 25. 2./16. 4. 1856 Pariser Konferenz zur Beendigung des Krimkrieges 30. 3. 1856 Friede von Paris 20. 7. 1858 Treffen Napoleons III. mit Cavour in Plombières (28. 1. 1859 Geheimvertrag) 26. 10. 1858 Beginn der „Neuen Ära“ in Preußen (Prinzregent Wilhelm) 23. 4. 1859 Beschluss über Marschbereitschaft des Bundesheers 23. 4. 1859 Abgabe des österreichischen Ultimatums in Turin 28. 4. 1859 Einmarsch der Österreicher in Sardinien-Piemont 4. 6./24. 6. 1859 Niederlage der Österreicher bei Magenta und Solferino 4. 7./7. 7. 1859 Mobilmachungsanträge Preußens sowie Österreichs 11. 7. 1859 Waffenstillstand und Vorfrieden von Villafranca 15./16. 9. 1859 Gründung des „Deutschen Nationalvereins“ in Frankfurt a. M. Oktober 1859 Feiern anlässlich des 100. Geburtstages Friedrich von Schillers 10. 11. 1859 Friede von Zürich zwischen Österreich, Sardinien und Frankreich 24.–28. 11. 1859 Erste Würzburger Konferenz
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Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860
1. Die innere Entwicklung in den Staaten des Deutschen Bundes zwischen 1850 und dem Beginn der 1860er-Jahre a) Die „Reaktionszeit“ 1850–1858 Die innere Entwicklung in den deutschen Staaten verlief nach der gescheiterten Revolution und dem in ihrem Nachspiel missglückten Reformversuch des Deutschen Bundes (Dresdener Konferenz) in prononciert konservativen Bahnen. Zwar wurden zentrale verfassungspolitische Errungenschaften der Revolution in den meisten Fällen nicht mehr zurückgenommen, höchstens zurückgebildet, doch beherrschte die politische Szenerie allerorts ein ausgesprochen bürokratisch-konservativer und abwehrender Geist. Dieser war vor allem in Österreich und Preußen zu spüren. Doch während das politische Klima durch Konformitätsdruck und eine temporäre Zurückdrängung der nationalen Wunschvorstellungen geprägt war, blieben die sozialen Errungenschaften der Revolution, insbesondere die Bauernbefreiung und die Abschaffung gutsherrlicher Privilegien unangetastet. Die „Reaktion“ erwies sich somit als nicht sehr tief gehend und nur von vorübergehender Dauer.
b) Österreich Neoabsolutismus
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Mit der Aufhebung der niemals in Kraft getretenen Verfassung von 1849 durch das Sylvesterpatent von 1851 begann in Österreich eine neoabsolutistische Regierungsperiode, die nach dem frühen Tode Schwarzenbergs am 5. 4. 1852 durch eine das Jahrzehnt bestimmende Phase der Alleinregierung Kaiser Franz Josephs I. (1830–1916, Kaiser seit Dezember 1848) geprägt war. Liberalkonservative Reformer, wie der ehemalige Reichsministerpräsident (1848) und spätere österreichische Staatsminister Anton von Schmerling (1805–1893) und der österreichische Handelsminister Karl Ludwig von Bruck, waren bereits zuvor beiseite gedrängt worden. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde abgeschafft, der Ministerrat aufgelöst. An die Stelle verfassungsmäßiger Einrichtungen traten eine nur beratende Ministerkonferenz und – unter dem Vorsitz Carl Friedrich von Kübecks (1780–1855) – ein „Reichsrat“, der lediglich als neoabsolutistisches Kontrollorgan fungierte. An der Spitze des Staates stand der pflichtbewusste, jedoch völlig überforderte junge Kaiser, der zugleich sein eigener Ministerpräsident war und sich um jede Kleinigkeit selbst kümmerte. Entsprechend dem zunehmend defensiven Ziel der österreichischen Politik, die innere Einheit der Monarchie gegen die immer stärker hervortretenden nationalen Kräfte zu verteidigen, griff nun ein harter Zentralisierungskurs Platz, der auf nationale Besonderheiten keine Rücksicht nahm (Neoabsolutismus). Als diese Ordnung durch den nationalrevolutionären Aufbruch in Oberitalien 1859 erschüttert wurde, setzte eine Periode verfassungspolitischer
Die innere Entwicklung in den Staaten des Deutschen Bundes
IV.
Experimente ein (Oktoberdiplom 1860, Februarpatent 1861), die liberalen Reformkräften wie Anton von Schmerling mehr Gestaltungsraum zumaß und die Weichen auf eine stärkere Beachtung föderalistischer Elemente (Ausgleich mit Ungarn und Entstehung der k.u.k. Doppelmonarchie 1867) stellte. Mit der feierlichen Eröffnung des neuen „Reichsrates“ am 1. 5. 1861 und dem kaiserlichen Verfassungsversprechen war die zehnjährige Periode der neoabsolutistischen Regierung beendet. Oktoberdiplom (20. 10. 1860) Nach der Niederlage im oberitalienischen Krieg 1859 (vgl. Kap. IV.3.) stellte Kaiser Franz Joseph I. im „Laxenburger Manifest“ (15. 7. 1859) zeitgemäße Verbesserungen in Gesetzgebung und Verwaltung in Aussicht. Er umgab sich mit liberalen Beratern und berief im Frühjahr 1860 den „Reichsrat“ auf veränderter Grundlage ein. Durch das „Oktoberdiplom“ sollte dieser nunmehr als zentrale Vertretungskörperschaft (von Deputierten aus den einzelnen ständischen Landtagen) zur Geltung kommen und auch Gesetzgebungskompetenzen erhalten. Trotz weiterer Zugeständnisse an den liberalen Zeitgeist (Gleichheit der Staatsbürger, allgemeine Ämterfähigkeit, Religionsfreiheit) wurde das „Oktoberdiplom“ in der Öffentlichkeit als unzureichend angesehen.
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Februarpatent (1861) Erst nach der Berufung Anton von Schmerlings zum Staatsminister (Dezember 1860) wurden mit dem das „Oktoberdiplom“ ergänzenden „Februarpatent“ endgültig die Weichen in Richtung auf eine konstitutionelle Fortentwicklung unter Beibehaltung zentralistischer Steuermechanismen gestellt: Im nunmehr geschaffenen Zweikammersystem existierten ein Abgeordnetenhaus (Vertreter der einzelnen Landtage) und ein Herrenhaus (erbliche und vom Kaiser berufene Mitglieder). Während der Reichsrat von nun an das zentrale Repräsentativorgan der Gesamtmonarchie bildete, war ein „engerer Reichsrat“ (bis 1918) für die nichtungarischen Länder zuständig. Damit wurde auch die Sonderstellung der Magyaren anerkannt, deren politische und verfassungsrechtliche Zukunft zunächst offen blieb und erst durch den „Ausgleich“ von 1867 ihre endgültige Festlegung fand.
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c) Preußen Die Rückkehr zu antiliberalen Regierungsprinzipien fand in Preußen unter Ministerpräsident (1850–1858) Otto von Manteuffel (1805–1882) ihren Ausdruck („Ära Manteuffel“). Zwar gelang es nicht, die Verfassung abzuschaffen, dafür aber, sie durch Wahlbeeinflussung zu verwässern. Bürokratische und polizeiliche Kontrolle sowie Gesinnungsprozesse, wie gegen den Führer der preußischen Demokraten Franz Benedikt Waldeck, suchten jede liberale Regung zu ersticken. Obwohl das die Agrarreform des Freiherrn vom Stein endlich abschließende Regulierungsgesetz (2. 3. 1850) alle Einschränkungen der Ablösung aufhob und die ritterliche Polizeigewalt und Gerichtsbarkeit abgeschafft blieben, gelang es dem Landadel dennoch, seine Position im Staat (Schaffung des adlig dominierten Herrenhauses, 12. 10. 1854), in den staatlichen Verwaltungen (monopolartige Ämterbesetzung), im Heer (adlig dominiertes Offizierskorps) sowie auf dem Lande (Weiterwirken ökonomischer Abhängigkeiten und paternalisti-
Ära Manteuffel
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 scher Traditionen) zu stabilisieren. Mit dem Thronwechsel in Preußen infolge der schrittweisen Ablösung des durch Gedächtnisverlust regierungsunfähigen Friedrich Wilhelm IV. durch seinen Bruder Wilhelm (Stellvertretung Oktober 1857, Regentschaft Oktober 1858, Nachfolge Januar 1861) und der Einsetzung eines neuen Ministeriums unter Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen (1811–85, Ministerpräsident 1858–62) begann die „Neue Ära“, eine Zeit liberaler Hoffnungen und einer fühlbaren Hinwendung zu nationalen Prinzipien.
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„Fall Waldeck“ Der preußische Demokrat und Jurist Franz Benedikt Waldeck (1802–1870) wurde in einem Gerichtsverfahren (28.11. bis 3.12.1849) fälschlich der Mitschuld an einem hochverräterischen Unternehmen bezichtigt. Während der Verhandlungen stellte sich die Unschuld des Angeklagten heraus, sodass die Staatsanwaltschaft schließlich auf Freispruch plädieren musste. Der durch die konservative „Kreuzzeitungspartei“ ( die „Kreuzzeitung“ war am 1.7.1848 als „Neue Preußische Zeitung“ zur Wahrung konservativer und landadliger Interessen gegründet worden) initiierte Prozess führte durch seinen Ausgang zu einer Diskreditierung der reaktionären Regierungspraxis. Im Volk löste die Freilassung Waldecks große Aufregung und stürmische Huldigungen aus.
d) Die Mittelstaaten und der Bundestag
Kurze Phase der Reaktion in Mittelstaaten
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Auch in den deutschen Mittelstaaten standen nach 1850 die Zeichen auf Reaktion. Doch gab es große Unterschiede: Abgesehen vom kleinen Sachsen-Coburg-Gotha war der reaktionäre Zeitgeist am wenigsten in Baden zu spüren, wo Friedrich I. (1826–1907, 1852 Regent, 1856 Großherzog) regierte. Mit der Einsetzung eines Ministeriums unter Freiherr Franz von Roggenbach (1825–1907) am 2. 4. 1860 obsiegte die liberale Richtung endgültig. In Bayern hatte das Ministerium unter Ludwig Freiherr von der Pfordten noch einige Zeit am liberalen Reformkurs festhalten können und ungeachtet einer kurzen Reaktionsphase (1852–56) auf seiner liberalen Kultur- und Wissenschaftspolitik beharrt. Mit der Ablösung von der Pfordtens im März 1860 gehörte die antiliberale Ära in Bayern vollends der Vergangenheit an. Auch in Sachsen war die Reaktionsperiode nicht sehr tief gehend. Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust führte das altständische Wahlrecht zwar wieder ein, er unternahm aber auch große Anstrengungen, um den industriellen Aufschwung zu fördern. Am nachhaltigsten wirkte sich die Reaktionszeit in Hannover aus, wo die vorrevolutionäre Verfassung wiederhergestellt und ein bürokratisches System zugunsten des Adels etabliert wurde. Im Bundestag wurden nach der Dresdener Konferenz zunächst keine großen, die Interessen der Nation wirklich berührenden inneren Themen mehr angesprochen. Die Gesandten beschlossen die Aufhebung der „Grundrechte des deutschen Volkes“ (23. 8. 1851), die in vielen Einzelstaaten nach 1848 gesetzlich verankert worden waren, sie liquidierten die deutsche Flotte – jenes nationale Symbol der Revolutionszeit – und stritten sich bei den abschließenden Finanzierungsfragen der beiden Bundesfes-
Der Krimkrieg und seine bundespolitischen Auswirkungen
IV.
tungen in Rastatt und Ulm, die in der zweiten Hälfte der 1850er-Jahre ihrer Fertigstellung entgegengingen und – bei geringer militärischer Bedeutung – den deutschen Verteidigungswillen im Westen symbolisierten. Es folgten die Verabschiedung von Bestimmungen zur Verhinderung des Missbrauchs der Pressefreiheit (6.7.1854) und „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde“ (13. 7. 1854), die auf eine Reglementierung und Einschränkung des Vereinswesens zielten. Deutlich führten die durch die Zurückweisung Preußens in der Olmützer Punktation veränderten Geschäftsgrundlagen zwischen Wien und Berlin zu einer immer spürbareren Lähmung der Tätigkeit des Bundes. Den Posten des preußischen Bundestagsgesandten besetzte seit 1851 ein Mann, der nicht willens war, sich an das Gängelband der österreichischen Präsidialmacht legen zu lassen und sorgsam darauf achtete, dass Preußen von jedem Zugeständnis zugunsten Österreichs auch selbst profitierte. Auf keinen Fall durfte sich nach Ansicht Otto von Bismarcks die preußische Außen- und Deutschlandpolitik in den Sog Wiens begeben. Dies wurde evident, als sich infolge des Krimkrieges und des oberitalienischen Konfliktes die bundespolitischen Aktivitäten wieder auf außen- und sicherheitspolitische Belange zu konzentrieren begann. Mit dem Ende der Reaktionszeit stand der sich aus dieser Haltung ergebende politische Immobilismus des Bundes zudem in einem auffälligen Gegensatz zur politischen Wiederbelebung in den Einzelstaaten. Otto von Bismarck (1815–1898), preußisch-deutscher Staatsmann, 1847/48 Mitglied des preußischen Vereinigten Landtages, 1851–59 preußischer Gesandter beim Bundestag in Frankfurt a. M., 1859–62 Gesandter in St. Petersburg, 1862 Gesandter in Paris; auf dem Höhepunkt des Heeres- und Verfassungskonfliktes wurde er zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt (23. 9. 1862 bis 20. 3. 1890). Er suchte das Bündnis mit den Liberalen und vollendete 1871 die deutsche Reichseinigung „von oben“; Kanzler des Norddeutschen Bundes (1867– 1871), Reichskanzler (1871–90).
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2. Der Krimkrieg und seine bundespolitischen Auswirkungen 1853–1856 a) Beginn, Verlauf und Beendigung des Krimkrieges Nach der Revolution von 1848 war der Krimkrieg das nächste einschneidende Ereignis in der europäischen Geschichte des 19. Jahrhunderts. Der Krieg stand mit der Revolution in einem inneren Bewegungszusammenhang. Obwohl er den Deutschen Bund nicht direkt betraf, waren doch seine Folgen für Deutschland von großer Tragweite. Während die Revolution die inneren Verhältnisse der europäischen Staatenwelt gewandelt hatte, indem sie über den Ausbau des Konstitutionalismus die bürgerlichen Eliten stärker an der Herrschaft partizipieren ließ, die öffentliche Meinung aufwertete und dem Prinzip des Nationalstaates neuen Auftrieb gab, stieß der Krimkrieg die europäische Mächtekonstellation aus der Bahn und schuf
Neue außenpolitische Spielräume
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860
Wende der österreichischen Außenpolitik
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neue außenpolitische Spielräume zur Lösung der offenen nationalen Fragen. Hiervon profitierte neben der italienischen gerade die deutsche Nationalstaatsbildung. Zwar bewegte sich der Krimkrieg – seine Schauplätze waren die Halbinsel Krim, die Donaufürstentümer und Armenien – noch graduell in den Bahnen traditioneller Kabinettskriege (mit begrenzten Kriegszielen, einer geringen räumlichen Ausdehnung des Kriegsschauplatzes und kleinen Heeren), besaß aber bereits die Tendenz einer räumlichen Ausdehnung und einer Eskalation der Kriegsziele zum „großen Krieg“. Maßgebend für den Krimkrieg war der russisch-türkische Gegensatz, der 1853 in der ultimativen russischen Forderung nach weitgehenden Schutzrechten für die orthodoxen Christen im Osmanischen Reich kulminierte. Dahinter stand der Wunsch des Zaren, in den Besitz von Konstantinopel zu gelangen, um aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen einen kontrollierten Zugang zum Mittelmeer zu erhalten. Doch die vom gänzlich ungeeigneten russischen Admiral Alexander Menschikow geführte Mission (Februar-Mai 1853) endete mit einem Misserfolg. Die Pforte, von Großbritannien und Frankreich gestärkt, lehnte die russischen Forderungen ab, woraufhin Zar Nikolaus I. Anfang Juli 1853 die Donaufürstentümer (Moldau und Walachei) als Faustpfand besetzen ließ. Nach Verstreichen eines türkischen Ultimatums, die Gebiete zu räumen, erfolgte am 4. 10. 1853 die Kriegserklärung der Pforte an Russland und am Ende des Monats der türkische Versuch einer Wiedereroberung der beiden besetzten Fürstentümer. Die Russen eröffneten sogleich eine zweite Front in Armenien und brachten der osmanischen Flotte am 30. 11. 1853 vor Sinope eine vernichtende Niederlage bei. Nun zeigte sich, dass außer dem russisch-türkischen Gegensatz auch die Interessen weiterer europäischer Großmächte tangiert waren. Einem Bündel disparater machtstaatlicher und wirtschaftlicher Motive folgend, entschied das britische Kabinett der immer rabiater russophob wirkenden Presse nachzugeben (die Times hatte Sinope als „Massaker“ hingestellt) und gemeinsam mit Frankreich, das nichts weniger als eine Revision der „Wiener Ordnung“ anstrebte, eine Flotte ins Schwarze Meer einlaufen zu lassen. Die britische und die französische Kriegserklärung an Russland vom 27./28. 3. 1854 war nur noch eine Frage der Zeit. Großbritannien zumindest hatte sich, wie Außenminister Lord Clarendon (1800– 1870) bestätigte, in den Krieg hineintreiben lassen. Im September 1854 landeten britische und französische Truppen auf der Krim, um die russische Festung Sewastopol zu erobern. Dies gelang nicht im ersten Anlauf, sodass die Festung förmlich belagert werden musste. Österreich hatte am 10. 11. 1853 zunächst „bewaffnete Neutralität“ proklamiert und von da aus seine Politik schrittweise ins Lager der Westmächte bewegt. So hatte Wien im Juni 1854 Russland per Ultimatum gezwungen, die Donaufürstentümer zu räumen und diese anschließend gemeinsam mit osmanischen Truppen besetzt. Am 2. 2. 1854 war Österreich auf Betreiben seines Außenministers (1852–1859) Graf Buol-Schauenstein (1794–1865) dem Bündnis mit den Westmächten beigetreten, ohne zunächst Kampfhandlungen gegen Russland aufzunehmen. Dieser Schritt, der die Grundlagen der Heiligen Allianz endgültig zerstörte, wurde von ihm selbst zurecht als „eine Revolution in den außenpolitischen Beziehungen Österreichs“ bezeichnet. Im Januar 1855 schloss sich Sardinien-Pie-
Der Krimkrieg und seine bundespolitischen Auswirkungen mont den Westmächten an, um im Gegenzug zu einem späteren Zeitpunkt deren Hilfe bei der italienischen Einigung beanspruchen zu können. Die Kämpfe auf der Krim waren äußerst verlustreich und zogen sich bis zum Fall von Sewastopol am 8. 9. 1855 hin. Danach einsetzende diplomatische Sondierungen zwischen Paris und St. Petersburg erhielten durch die Drohung Österreichs, in den Krieg auf Seiten der Westmächte einzugreifen bzw. durch die Ankündigung Preußens, nicht länger neutral bleiben zu können, eine entscheidende Wendung. Denn nun bestand die Gefahr, dass die Zügelung der Westmächte durch Wien, aber auch die Zügelung Österreichs durch Berlin versagen und der Krieg zu einem Schlagabtausch an der gesamten Peripherie des russischen Imperiums eskalieren würde. Angesichts dieses gefährlichen Szenarios lenkte Zar Alexander II. (1818–81, seit 1855 russischer Zar) ein. Am 1. 2. 1856 trat ein vorläufiger Waffenstillstand in Kraft. Auf dem Pariser Kongress einigten sich die Großmächte, das hinzugezogene Sardinien-Piemont unter Camillo Graf Benso di Cavour (1810– 1861) sowie die Türkei auf einen Friedensvertrag, der die russische Position durch die Bestimmungen über eine Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres („Pontus-Klausel“) schwächte. Mit dem offenen Kampf der beiden europäischen Flügelmächte Großbritannien und Russland, dem revisionistischen Agieren Frankreichs und Sardinien-Piemonts sowie dem Ende der russisch-österreichischen Allianz waren nunmehr die entscheidenden Impulse für die Zerstörung der Wiener Ordnung von 1815 erfolgt. Daraus sollten sich neue Chancen für die Lösung der „deutschen Frage“ ergeben. Pariser Kongress (25. 2.–16. 4.1856) und Pariser Friedensvertrag (30. 3. 1856) Der Pariser Kongress begann nach In-Kraft-Treten des vorläufigen Waffenstillstandes (1. 2. 1856) zunächst als Konferenz zwischen Russland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, der Türkei und Sardinien-Piemont und wurde später zum Kongress erhoben. Ab der vierten Kongresswoche durfte auch Preußen, dem Großbritannien den Zutritt verweigern wollte, teilnehmen. Aufgabe des Kongresses war die Abfassung eines Friedensvertrages mit Russland. Daneben gelang es Cavour im rastlosen Einsatz hinter den Kulissen (körperlicher Einsatz der schönen Gräfin Castiglione), das italienische Anliegen vor die Schranken der öffentlichen Meinung zu bringen und den britischen Außenminister Clarendon zu einer scharfen Rede zugunsten der Italiener zu veranlassen. Der Pariser Frieden sah die Neutralisierung und Entmilitarisierung des Schwarzen Meeres vor („Pontus-Klausel“). Dort sollten fortan (bis zur Kündigung der „Pontus-Klausel“ durch Russland am 31. 10. 1870) keine russischen Befestigungen, Marinewerften oder Arsenale mehr unterhalten werden. Kriegsschiffen aller Staaten wurde das Befahren des Schwarzen Meeres untersagt. Russland trat das südliche Bessarabien an Moldau ab und hatte von nun ab keinen Donauzugang mehr. Doch wurde die Freiheit des Donauhandels statuiert. Weiterhin verlor Russland die Festung Kars an die Türkei, womit es den Schlüssel zum Kaukasus preisgab. Die Entfestigung der Alandinseln (Ostsee) war dagegen leichter zu verschmerzen. Auf österreichische Initiative erhiel die Türkei eine Garantie Frankreichs, Großbritanniens und Österreichs für ihre Unabhängigkeit und ihren Territorialbestand, musste aber die Gleichstellung aller Christen in ihrem Reich mit den Muslims akzeptieren, worüber fortan die europäischen Großmächte wachten.
IV.
Zerstörung der Wiener Ordnung
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860
b) Der Deutsche Bund und seine Vormächte während des Krimkrieges
Meinungsbild in Wien und Berlin
Aprilbündnis
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Die Situation der beiden deutschen Großmächte und des Deutschen Bundes war während des Krimkrieges angesichts divergierender innerer Interessen äußerst prekär. Während Österreich ein vitales Interesse an der Kontrolle des Donauhandels besaß und die Balkanregion immer unverhohlener als zukünftiges Expansionsfeld betrachtete, waren Preußen und mit ihm die anderen deutschen Staaten am Konflikt desinteressiert. In Wien forderten die meisten Minister, unter ihnen Außenminister Graf Buol-Schauenstein und Innenminister Alexander Freiherr von Bach (1813–1893) den Bruch mit Russland, während sich viele Militärs und andere maßgebende Persönlichkeiten, wie Ex-Staatskanzler Metternich, für den Erhalt der Allianz mit St. Petersburg einsetzten, ohne dem russischen Expansionsbedürfnis nachgeben zu wollen. Kaiser Franz Joseph I. hielt lavierend an der Mittellinie fest, neigte aber den Westmächten zu. Obwohl auch in Berlin die Meinungen auseinander gingen, war die offizielle preußische Haltung von dem Wunsch bestimmt, sich nicht in den, die eigenen Machtinteressen nur wenig tangierenden, Konflikt mit Russland hineinziehen und die Handelsbeziehungen mit Russland trotz britischer Blockade weiter florieren zu lassen. Die Kamarilla um den einflussreichen Generaladjutant König Friedrich Wilhelms IV., Leopold von Gerlach (1790–1861), blieb aus konservativer Prinzipienpolitik pro-russisch, die liberale Wochenblattpartei um Moritz August von Bethmann Hollweg (1795–1877) und Graf Robert von der Goltz (1817–1869) eher pro-westlich eingestellt. Sogar Prinz Wilhelm (s. S. 116) und Ministerpräsident Otto Freiherr von Manteuffel bevorzugten eine Option zugunsten der Westmächte. Der preußische Monarch suchte mit einer Politik der strikten Neutralität den Drohungen der Westmächte und den Lockungen Österreichs zu widerstehen, ohne das Zutrauen der Romanows zu verspielen. Dieser Weg führte Preußen in die europäische Isolation. Die interne Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Vormächten bestimmte auch die Diskussion auf der Ebene des Deutschen Bundes. Ohnehin waren die meisten deutschen Staaten (außer Mecklenburg) am 24. 7. 1854 nur widerwillig dem von Preußen mit halbem Herzen am 20. 4. desselben Jahres geschlossenen österreichisch-preußischen Aprilbündnis beigetreten, das sich auch auf die nichtdeutschen Gebiete beider Monarchien bezog, die außenpolitische Handlungsfreiheit Wiens jedoch durch das Verbot von Sonderbündnissen einschränkte. Der Vertrag verlängerte die auslaufende österreichisch-preußische Defensivallianz vom 16. 5. 1851 um weitere zwei Jahre. Für die Dauer des Krimkrieges gaben sich Österreich und Preußen eine Verteidigungsgarantie für ihren gesamten, auch außerdeutschen Besitzstand. Nach Art. 5 des Vertragstextes durfte keine der beiden Mächte Sonderbündnisse eingehen, die mit dem Vertrag vom 20. 4. nicht „in der vollsten Übereinstimmung“ standen. Für den Fall, dass sich Österreich an die Seite der Westmächte begeben würde, konnte es demnach nicht auf preußische Hilfe rechnen. Die Verteidigungsgarantie galt aber nach Art. 2 auch für den Fall, dass eine der beiden deutschen Vor-
Der Krimkrieg und seine bundespolitischen Auswirkungen mächte auf der Grundlage gegenseitigen Einverständnisses zur Wahrung deutscher Interessen militärisch aktiv auftrat und so womöglich einen Angriff auf sich ziehen würde. Die dem Vertrag beigefügte Militärkonvention bestimmte für den Ernstfall den Einsatz von 250 000 Österreichern und 200 000 Preußen. Ihr Einsatz sollte aber nicht automatisch, etwa nach einer Zuspitzung des österreichisch-russischen Gegensatzes auf dem Balkan, sondern erst nach vorheriger Abstimmung erfolgen. Während der Vertragsverhandlungen hielt Preußen den russischen Gesandten in Wien, Peter Freiherr von Meyendorff, ständig auf dem Laufenden. Dieser nahm das Ergebnis denn auch äußerst gefasst auf: Durch den Vertrag, so Meyendorff, sei die Gefahr eines einseitigen österreichischen Einschreitens gegen Russland bedeutend vermindert worden. Der preußische Bundestagsgesandte Otto von Bismarck konstatierte dagegen, dass sich Preußen mit dem Vertrag am „Rockschoß Österreichs festhalten“ würde. Und obwohl ein Zusatzvertrag zum Aprilbündnis (26. 11. 1854) die Wirksamkeit der Abmachungen sogar auf die von Österreich besetzten Donaufürstentümer ausdehnte, bestätigte die zaudernd ausgeführte preußische Politik diese Befürchtung nicht. Als sich Wien im Pariser Vertrag (2. 12. 1854) die Hilfe der Westmächte für den Fall eines Krieges mit Russland zusichern ließ, ohne allerdings selbst eine Verpflichtung zum Kriegseintritt einzugehen, war der Fall eines österreichischen Sonderbündnisses eingetreten. Von nun an blockierte Bismarck im Bundestag jeden Schritt Österreichs, der zur Aufgabe seiner neutralen Position hätte führen können. Die deutschen Mittelstaaten, die sich auf den Bamberger Konferenzen (26.–30. 5. 1854) auf einen Neutralitätskurs geeinigt hatten, unterstützten ihn dabei umso mehr, als dadurch auch drohenden französischen Truppendurchmärschen entgegengewirkt werden konnte. Schließlich widersetzte sich Bismarck in spektakulärer Weise dem Mobilmachungsantrag des österreichischen Präsidialgesandten Anton von Prokesch-Osten vom Februar 1855, indem er lediglich für „Kriegsbereitschaft“ plädierte, was nur bewaffnete Neutralität bedeutete, und durch die Formulierung „nach allen Richtungen“ eine antirussische Frontstellung verhinderte (Bundesbeschluss vom 8. 2. 1855). Damit war eine Instrumentalisierung der deutschen Sicherheitspolitik zugunsten eigennütziger Wiener Ambitionen abgewendet worden. Prokesch-Osten hatte Österreich im Bund isoliert und verlor seinen Posten. Anton Freiherr von Prokesch-Osten (1795–1876), Gegenspieler Bismarcks am Bundestag während des Krimkrieges, österreichischer Offizier und Diplomat, 1863 Feldzeugmeister, 1849–1853 österreichischer Gesandter in Berlin, 1853– 1855 Präsidialgesandter beim Deutschen Bund, 1855–1867 Internuntius, danach Botschafter in Konstantinopel.
Die Folgen des Krimkrieges für den Deutschen Bund waren gravierend. Otto von Bismarck hat sie Ministerpräsident Otto von Manteuffel in seinem „Prachtbericht“ (26. 4. 1856) scharfsinnig auseinander gesetzt: Die aus Deutschland hinausführende österreichische Interessenpolitik müsste unweigerlich zu einer Sprengung des Deutschen Bundes führen, der außer den beiden deutschen Vormächten keine lebensfähigen politischen Gebilde enthalten würde. Da aber weder Russland noch Frankreich (wegen der
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Neutralitätskurs des Bundes
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Prachtbericht Bismarcks
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Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 aus dem Krimkrieg herrührenden Verstimmung in St. Petersburg bzw. wegen dem Eintreten für die italienische Irredenta in Paris) als künftige Bundesgenossen Österreichs bereit stünden, sollte Preußen die sich nunmehr abzeichnende Isolation der Habsburgermonarchie für die Lösung der „deutschen Frage“ ausnutzen.
3. Der oberitalienische Krieg 1859 a) Vorbereitung, Ablauf und Folgen
Italienische Frage
Haltung der europäischen Großmächte
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Anders als der Krimkrieg handelte es sich beim oberitalienischen Konflikt von 1859 nicht um einen Krieg der Kabinette, der um begrenzte Ziele geführt wurde, sondern um einen Nationalkrieg mit revolutionären Zügen. Das Ziel der Bildung eines italienischen Nationalstaates unter der Führung von Sardinien-Piemont bedeutete die Durchsetzung des nationalen gegen das monarchisch-legitimistische Prinzip in Europa. Es visierte die Vernichtung der österreichischen Stellung in Oberitalien (Venetien, Lombardei) an, auf der der Großmachtanspruch der Habsburgermonarchie wesentlich basierte. So avancierte die „italienische Frage“ zu einem Kernproblem bei der qualitativen Neubewertung des europäischen Gleichgewichts. Gleichzeitig hatte sie enorme Rückwirkungen auf Deutschland. Namentlich ging es um die Frage einer möglichen diplomatischen und militärischen Unterstützung für das hart bedrängte Österreich, die auch in der deutschen Öffentlichkeit lebhaft und kontrovers diskutiert wurde. Vor allem der Zwiespalt zwischen den Sympathien für den italienischen Unabhängigkeitskampf einerseits und der Ablehnung der ehrgeizigen Ambitionen des französischen Kaisers Napoleons III. (1808–1873) andererseits polarisierte die öffentliche Meinung. Auf der Ebene des Bundes trug der oberitalienische Konflikt schließlich dazu bei, den sicherheitspolitischen Konsens der deutschen Staaten untereinander weiter zu zerstören, der während des Krimkrieges bereits beschädigt worden war. Der Konflikt zwischen dem Haus Habsburg und der italienischen Nationalbewegung hatte bereits auf der Pariser Konferenz wieder deutlichere Konturen gewonnen. Napoleon III., dessen Regime durch die Wirtschaftskrise von 1857 unter Druck geraten war, suchte sich nun des italienischen Problems zu bedienen, um den wachsenden inneren Schwierigkeiten seines plebiszitären Kaisertums zu begegnen. Doch hinter dem vorgegebenen Ziel, die nationalen Interessen der europäischen Völker zu unterstützen, verbarg sich das Streben nach machtpolitischer Kontrolle und territorialen Kompensationen. Die piemontesischen Provinzen Nizza und Savoyen waren der Preis, den Napoleon gegenüber Ministerpräsident Graf Cavour auf ihrem Geheimtreffen in Plombières im Juli 1858 von Sardinien-Piemont für seine bereits fest zugesicherte Hilfe gegen Österreich forderte. Dies entsprach seinem Vorhaben, „natürliche Grenzen“ für Frankreich zu erreichen, eine Vorstellung, die sich genauso auf eine Revision der französischen Ostgrenzen und damit zur Belebung alter Rheinforderungen anwenden ließ. Mit dem (auf Dezember 1858 zurückdatierten) Geheim-
Der oberitalienische Krieg 1859
IV.
vertrag zwischen Napoleon III. und Cavour vom 28. 1. 1859 wurde das in Plombières Besprochene bekräftigt und so das Komplott für den Krieg geschmiedet. Nun bestand das Ziel der französischen Diplomatie darin, die anderen europäischen Großmächte aus dem Konflikt herauszuhalten. In einem Geheimvertrag am 3. 3. 1859 versicherte Russland, dem eine Schwächung Österreichs gelegen kam, neutral zu bleiben, solange von Seiten Frankreichs keine Rheinforderungen gestellt würden. Mehr noch: Zar Alexander II. und Außenminister Alexander Fürst Gortschakow (1798– 1883) revanchierten sich für die österreichische Haltung im Krimkrieg, indem sie russische Truppen auf dem Balkan konzentrierten und Wien über ihre letzten Absichten im Unklaren ließen. Einen französischen Angriff auf den Deutschen Bund wollte Russland jedoch nicht dulden. Großbritannien schwankte zwischen seiner am europäischen Gleichgewicht orientierten, traditionell proösterreichischen Position und starken Sympathien für die italienische Nationalbewegung. Durch den indischen Aufstand gebunden, blieb es passiv, verhielt sich aber gegenüber einem französischen Machtzuwachs ablehnend, namentlich wenn er Italien und damit die britische Position im Mittelmeer betreffen würde. Auch Großbritannien war nicht bereit, einen möglichen französischen Angriff auf den Deutschen Bund hinzunehmen. Obwohl sich das Gewicht der europäischen Flügelmächte seit dem Krimkrieg bedeutend verringert hatte, verhinderte deren abwartende Präsenz doch eine Eskalation des Konflikts. Geheimtreffen von Plombières (20. 7. 1858) Das gescheiterte Attentat des italienischen Revolutionärs Felice Orsini vom Januar 1858 auf Napoleon III. rückte dem französischen Kaiser die Aktualität der italienischen Frage erneut schmerzhaft ins Bewusstsein. Im Juli 1858 trafen er und Cavour im abgeschiedenen Vogesenbad Plombières zusammen, wo Napoleon seine Absicht bekräftigte, Sardinien in einem Angriffskrieg gegen Österreich militärisch zu unterstützen. Zu diesem Zweck sollten die Italiener 100 000 Mann und die Franzosen die doppelte Zahl bereitstellen. Neben detaillierten Vorstellungen, wie der Krieg zu beginnen wäre, einigten sich beide Politiker darauf, dass Italien nach einem siegreichen Feldzug als Staatenbund nach dem Muster des Deutschen Bundes reorganisiert werden sollte. Als Preis für seine Hilfe im Namen des Nationalitätenprinzips forderte Napoleon die Annexion von Nizza und Savoyen. Ein frivoler Heiratsplan zwischen der frommen, 15-jährigen Tochter des sardinischen Königs Victor Emanuel II. (1820–1878) und dem 35-jährigen, liederlichen und atheistischen Prinzen Napoleon vollendete das Kriegskomplott und verlieh diesem zusätzlich eine dynastische Note.
Bereits im Spätherbst des Jahres 1858 hatten französische Blätter mit einem Pressefeldzug gegen Österreich begonnen. Diplomatische Provokationen folgten. Im März 1859 schlug Russland eine europäische Konferenz zur Lösung der Krise vor, durch die Österreich weiter isoliert worden wäre. Frankreich, wo trotz der massiven Pressekampagne keine Kriegsbegeisterung aufkommen wollte, und Großbritannien griffen die Idee auf. Cavour war verzweifelt, da er einen friedlichen Ausgang der Krise befürchtete. Der Wiener Diplomatie gelang es sogar, die Mehrheit des europäischen Konzerts davon zu überzeugen, Sardinien-Piemont zur Abrüstung aufzufordern. Sie beging jedoch mit der Absendung eines übereilten Ultimatum an Turin am 19. 4. einen folgenschweren Fehler, da damit die europäischen
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Eskalation zum Krieg
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Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 Abrüstungsbemühungen konterkariert waren. Die Übermittlung des Ultimatums verzögerte sich bis zum 23. 4. Mangelndes Problembewusstsein in Bezug auf die italienische Frage, Nervenschwäche sowie die prekäre Lage der Staatsfinanzen (kostspielige Rüstungen), Selbsttäuschung (preußische Waffenhilfe) und das Gefühl, als Großmacht selbständig in Erscheinung treten zu müssen, hatten Wien erst unter Handlungsdruck und schließlich ins Unrecht gesetzt. Nach der erwartungsgemäßen Ablehnung des Ultimatums durch Turin (26. 4. 1859) hoffte Franz Joseph I. noch auf britische Vermittlung, wodurch sich der österreichische Angriff um weitere zwei Tage verzögerte. Unterdessen landeten französische Truppen seit dem 26. 4. bei Genua und erreichten am 30. 4. Turin. Damit war der günstigste Zeitpunkt, die Italiener vor Eintreffen der Franzosen zu schlagen, verpasst. Die österreichische Kriegführung konnte an die Tradition Radetzkys nicht anknüpfen. Nach dem Überschreiten des Tessins blieb Feldzeugmeister Franz Graf von Gyulai (1798–1868) beinahe vier Wochen im Angesicht des halb so starken Feindes passiv, bis ihm die verbündeten Franzosen und Sardinier bei Magenta westlich von Mailand (4. 6. 1859) und bei Solferino südlich des Gardasees (24. 6. 1859) empfindliche Niederlagen beibrachten. Doch die Österreicher zogen sich nunmehr auf das Festungsviereck (Verona, Peschiera, Mantua, Legnano) zurück, von wo aus eine zähe und hinhaltende Verteidigung möglich war. Alarmiert durch die unerwünschte Möglichkeit einer Weiterführung des Kampfes und die nach Solferino verkündete preußische Mobilmachung (25. 6. 1859), erfolgten ab dem 4. 7. französische Friedenssondierungen über Großbritannien, auf die Franz Joseph I. schließlich mit dem überraschenden Präliminarfrieden von Villafranca einging. Dessen Konditionen wurden im Frieden von Zürich (10. 11. 1859) bestätigt.
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Präliminarfrieden von Villafranca (11. 7. 1859) Bei einer persönlichen Zusammenkunft vereinbarten Napoleon III. und Franz Joseph I. die Abtretung der Lombardei an Frankreich. Venetien verblieb unter österreichischer Herrschaft. Obwohl Napoleon damit den Siegpreis (Nizza und Savoyen) verwirkt hatte, bestand er, seinen Ruf ruinierend, 1860 auf Durchführung des vereinbarten Tauschhandels mit Cavour. Mit dem Präliminarfrieden erkaufte sich Napoleon die für ihn äußerst wichtige rasche Beendigung und Lokalisierung des Krieges. Vor die Wahl gestellt, den Schwerpunkt seiner Politik entweder auf Deutschland oder Italien zu legen, verzichtete Franz Joseph auf die Lombardei und stellte damit klar, dass er nicht bereit war, eine Hegemonie Preußens im Deutschen Bund zu akzeptieren.
b) Der Deutsche Bund im oberitalienischen Konflikt Im Einklang mit der wieder erwachenden deutschen Nationalbewegung war die Haltung der Gliedstaaten des Deutschen Bundes im oberitalienischen Krieg eindeutig und mehrheitlich zugunsten einer Unterstützung Österreichs festgelegt. Sympathien für die italienische Nationalbewegung, wie sie bei einigen deutschen Liberalen und Demokraten dennoch nicht verstummten, waren in den einzelnen Regierungen und in der Bundesver-
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Der oberitalienische Krieg 1859 sammlung nicht zu spüren. Italien galt als die „Vormauer des Reiches“, folglich rief der Kampf um Lombardo-Venetien, in den auch Frankreich verwickelt war, starke Solidaritätsgefühle und nationale Affekte hervor. Die militärische Unterstützung Österreichs schien im Interesse der Verteidigung der deutschen Grenzen zu liegen. Sie hätte der sich konstituierenden Nation kräftige Impulse verleihen können. Zudem wäre ein gemeinsames sicherheitspolitisches Agieren der deutschen Staaten ein unübersehbarer Brennpunkt einer erneuerten Legitimation des Deutschen Bundes auf der Basis noch nicht verblasster großdeutscher Ideale geworden. Dieser Außenkonflikt hätte sich ohne Zweifel in zweierlei Hinsicht positiv ausgewirkt: zum einen auf Reformbemühungen der Bundesverfassung im Sinne einer Verbesserung ihrer Exekutive, zum anderen auf eine stärkere kulturelle und mentale Integration der Deutschen zur Nation. Der proösterreichische Grundkonsens speiste sich aus verschiedenen Motiven: In Süddeutschland überwogen konfessionelle Sympathien für den katholischen Kaiserstaat, der in Italien den Kirchenstaat gegen die nationale Revolution abschirmte. Preußen fühlte sich vom bonapartistischen Frankreich bedroht und nahm die Gefahr einer französischen Hegemonie sehr ernst. Viele deutsche Liberale verknüpften ihre Vorbehalte gegen den westlichen Nachbarn mit dem Wunsch, mit Hilfe einer preußischen Kriegsteilnahme liberale Zugeständnisse in Deutschland gegenüber Österreich durchzusetzen. Ohne der habsburgischen Propaganda das Wort zu reden, forderte sogar der sozialistische Publizist Friedrich Engels den Kriegseintritt aller Staaten des Deutschen Bundes an der Seite Österreichs gegen Frankreich. In seiner im April 1859 anonym erschienenen Schrift „Po und Rhein“ wandte er sich aber gegen die Aufrechterhaltung der österreichischen Fremdherrschaft in Oberitalien. Für die Verteidigung der deutschen Grenzen sei der Besitz der italienischen Provinzen nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich, weil er die dauernde Feindschaft der Italiener zur Folge haben würde: „Statt also unsre Stärke im Besitz fremden Bodens zu suchen und in der Unterdrückung einer fremden Nationalität (…), werden wir besser tun, dafür zu sorgen, dass wir in unserem eignen Hause eins und stark sind.“ Die Hoffnung, aus der momentanen Schwäche Österreichs Gewinn zu ziehen, sprach allein Bismarck aus. Sein zugespitzter Rat, „den Krieg Österreichs mit Frankreich sich scharf einfressen (zu) lassen und dann mit unserer ganzen Armee nach Süden auf(zu)brechen, die Grenzpfähle im Tornister mit(zu)nehmen und sie entweder am Bodensee oder da, wo das protestantische Bekenntnis aufhört, wieder ein(zu)schlagen“, blieb die Ansicht eines Außenseiters. Indes wurde die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes während des oberitalienischen Konfliktes nicht von der öffentlichen Meinung und den Wünschen der deutschen Nationalbewegung bestimmt, sondern von den Machtinteressen seiner beiden Vormächte. Österreich hatte seit dem Krimkrieg nicht nur außen-, sondern auch bundespolitisch an Terrain verloren. Dies wurde jedoch in Wien nicht adäquat erfasst. Dort gab man sich der trügerischen Hoffnung hin, dass Preußen dem bedrängten Bundesgenossen auch ohne Gegenleistungen in der deutschen Frage Hilfe leisten werde. Dieses Ergebnis schien durch die Mission des österreichischen Erzherzogs
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Nationale Solidarisierung mit Österreich
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860
Blockadehaltung Preußens
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Albrecht (1817–1895) in Berlin (11.–19. 4. 1859) bestätigt, deren Ergebnisse in Wien jedoch falsch interpretiert wurden. Zwar war in Berlin über militärische Inhalte gesprochen worden, doch hatte Prinzregent Wilhelm einem möglichen ultimativen Vorgehen Wiens nicht zugestimmt und auch eine preußische Militärhilfe gegen Sardinien als „mit der Würde Österreichs unvereinbar“ abgelehnt. Erst wenn Gefahr für Bundesgebiet entstehen sollte, war Berlin entsprechend Art. 47 der Wiener Schlussakte bereit, in Aktion zu treten. Gewiss hatte die Wiener Führung zum Zeitpunkt der Albrecht-Mission keine andere Möglichkeit mehr zugelassen, als den Konflikt in Oberitalien mit Waffengewalt zu lösen. Dennoch bleibt fraglich, ob man sich in Wien, die preußische Waffenhilfe fest einplanend, selbst täuschte oder aber einer Täuschung durch Preußen hingab. So konnte die am 20. 4. 1859 befohlene Kriegsbereitschaft aller preußischen Bundeskontingente sowohl als Indiz einer beginnenden Zusammenarbeit mit Österreich und dem Deutschen Bund oder aber auch als notwendige militärische Vorsichtsmaßnahme ohne weiteren bundespolitischen Bezug angesehen werden. Als der preußische Bundesgesandte Guido von Usedom (1805–1884), ohne Wien vorher in Kenntnis zu setzen, am 23. 4. gar die Marschbereitschaft aller Hauptkontingente des Bundesheeres und Vorkehrungen zur Verstärkung der Bundesfestungen verlangte, wurde dem preußischen Antrag in einem Gefühl der nationalen Euphorie stattgegeben, obwohl Usedom den rein defensiven Charakter der geforderten Maßnahmen betont hatte. Doch nach dem Beginn des Krieges wurden alle weiteren Maßnahmen des Bundes, wie das Treffen von Vorkehrungen zur Wahl eines Bundesoberfeldherren, durch Preußen blockiert. Taub gegenüber dem Wiener Drängen, den Krieg zur Entlastung der österreichischen Armee an den Rhein zu tragen, bestand Usedom auf der Einhaltung des Art. 46 der Wiener Schlussakte, wonach der Bund einem um außerbündische Interessen geführten Krieg einer seiner beiden Vormächte vollkommen fernbleiben konnte. Gegenüber dem Drängen der deutschen Mittelstaaten, personifiziert durch den sächsischen Ministerpräsidenten Friedrich Ferdinand von Beust, zeigte er sich nicht entgegenkommend. Beust hatte bereits vor Kriegsbeginn, am 22. 4. 1859, Napoleon III. in Paris mitgeteilt, dass Deutschland im Falle eines Krieges in Oberitalien nicht neutral bleiben würde. Jetzt, da man im Krieg stand, wollte er der sächsischen Drohung Nachdruck verleihen und wünschte eine Unterstützung Österreichs durch den Deutschen Bund. Hinter seiner Initiative und der nunmehr erhobenen Forderung stand das Interesse der Mittelstaaten, sich eine höhere Geltung neben den beiden deutschen Vormächten zu verschaffen. Ebenso wenige Sympathien brachte Berlin der süddeutschen Kriegspropaganda, vertreten unter anderem durch die „Bayerische Wochenschrift“, entgegen. Diese hatte am 30. 4. 1859 einen deutschen Nationalkrieg gegen Frankreich gefordert. Doch sollte dieser Krieg „deutsche Bildung und deutsche Freiheit nach Österreich, nicht österreichischen Absolutismus und Geistesdruck nach Deutschland“ tragen. Mehr noch: In der Absicht unangenehme Initiativen anderer deutscher Staaten schon im Vorfeld zu unterbinden, wurden die preußischen Gesandten bei den einzelnen Höfen angewiesen, dort von solchen Schritten dringend abzuraten. Ein von Han-
Der oberitalienische Krieg 1859 nover trotz des von Berlin erzwungenen Stillhaltens vor der Bundesversammlung eingebrachter Antrag auf Aufstellung eines Observationskorps (13. 5. 1859) wurde auf Wunsch Usedoms an den Bundesmilitärausschuss verwiesen (19. 5. 1859), wo er im Gestrüpp divergierender Interessen erwartungsgemäß unterging. Um die Verbindung zu Österreich nicht abreißen zu lassen, verhandelte der preußische Generalleutnant von Willisen (1790–1879) vom 9.–30. 5. in Wien. Das Ergebnis war ernüchternd. Preußen zeigte sich nicht bereit, dem österreichischen Drängen nachzugeben und im Interesse Österreichs eine zweite Front am Rhein aufzumachen. Der preußische Außenminister (1858–1861) Alexander Graf von Schleinitz (1807–1885) hatte Willisen sogar instruiert, mit dem Bruch des Deutschen Bundes zu drohen, falls Wien versuchen sollte, Preußen gegen seinen Willen zum Krieg zu zwingen. Zwar sei Preußen bereit, zur Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts zugunsten Österreichs in die Schranken zu treten und Gebietsverluste für Österreich verhindern zu helfen, doch nur als „bewaffneter Vermittler“ auf eigene Initiative. Die Mission brachte erwartungsgemäß die unüberbrückbaren Gegensätzen der beiden Vormächte an den Tag, verschaffte Preußen aber eine diplomatische Atempause. Parallel zu den Wiener Gesprächen hatte Berlin Generalmajor Gustav Graf von Alvensleben (1803–1881) an die süddeutschen und Oberst Hugo Graf zu Münster-Meinhövel (1812–1880) an die norddeutschen Höfe entsandt, um die Regierungen zum weiteren Stillhalten zu veranlassen. Mit Versprechungen und subtiler Einschüchterung gelang es der preußischen Diplomatie tatsächlich, die deutschen Mittel- und Kleinstaaten von gravierenden Schritten einer selbständigen Unterstützung Wiens abzuhalten und sie zur Rücknahme bereits in Gang gesetzter Initiativen zu veranlassen. Preußische Truppenkonzentrationen am Ober- und Mittelrhein (Ende Mai) ließ Napoleon III. im Vertrauen auf die Festigkeit der Berliner Politik unbeantwortet. Erst nach den österreichischen Niederlagen beantragte Preußen, nach dem es diesen Schritt wochenlang bekämpft hatte, am 25. 6. 1859 vor der Bundesversammlung die Aufstellung eines starken preußisch-süddeutschen Observationskorps am Rhein unter bayerischem Oberbefehl (Bundesbeschluss vom 2. 7. 1859). Am 4. 7. forderte es die Mobilmachung und Unterstellung aller nichtösterreichischen Bundeskontingente unter preußischen Befehl. Dies lief auf eine Außerkraftsetzung der Bundeskriegsverfassung hinaus. Die Wiener Zwangslage ausnutzend, strebte Berlin nunmehr ganz offen nach der militärischen Hegemonie im Deutschen Bund und bemäntelte dies mit militärischen Sachargumenten. Österreich versuchte die Flucht nach vorn und beantragte am 7. 7. die Mobilmachung des Bundesheeres und die Einsetzung des preußischen Prinzregenten als Bundesoberfeldherren entsprechend den Bestimmungen der Bundeskriegsverfassung. Dieser kluge Schachzug verhinderte die Aussetzung zentraler Festlegungen der Bundesverfassung, denen sich Prinzregent Wilhelm nicht unterwerfen mochte. Niemals zuvor und nie wieder danach hat eine der beiden deutschen Vormächte der anderen derartig weitereichende Zugeständnisse in der heiklen Frage des Oberbefehls gemacht. Doch das österreichische Angebot bestand nur vier Tage, mit dem Vorfrieden von Villafranca (11. 7.) wurde es bereits von den Tatsachen überholt. Nachdem Ös-
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Preußische Initiative
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Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 terreich die Bundesversammlung offiziell vom Waffenstillstand informiert hatte (16. 7. 1859), zog auch Preußen seinen Antrag vom 4. 7. zurück. Seit dem 21. 7. wurde das Bundesheer wieder demobilisiert.
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Wilhelm Prinz von Preußen (1797–1888), nach Militärdienstlaufbahn Thronfolger (1840), in Stellvertretung (seit 1857) seines erkrankten Bruders Friedrich Wilhelm IV. als Prinzregent 1858–62 Inhaber der Regierungsgewalt; König von Preußen (1862–88), Inhaber des Präsidiums des Norddeutschen Bundes (1867–71), Deutscher Kaiser (1871–88); als anfänglich entschiedener Gegner des liberalen Konstitutionalismus (1848 „Kartätschenprinz“) akzeptierte er nach seinem Regierungsantritt eine konstitutionelle Regierungsform (Verfassungseid 1858) und berief Otto v. Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten (1862), dem er sich politisch zeitlebens unterwarf.
Das Agieren der deutschen Vormächte im oberitalienischen Konflikt brachte die politische Entsolidarisierung des Deutschen Bundes als Folge der Obstruktion Preußens an den Tag. Berlin war nicht bereit, österreichische Interessen in Italien selbstlos zu unterstützen. Noch weniger suchte es die innere Solidarisierung der deutschen Öffentlichkeit mit der Habsburgermonarchie durch ein erfolgreiches sicherheitspolitisches Vorgehen zu fördern. Zwar wollte es keinen Machtverlust Österreichs akzeptieren, knüpfte an seine Unterstützung aber die Forderung nach einer militärischen Vorrangstellung im Deutschen Bund, die als Präjudiz für die Lösung der deutschen Frage hätte angesehen werden können. Wenn es bei der nationalen Integration noch ein Wort mitreden wollte, konnte Wien darauf nicht eingehen. Deshalb korrigierte es seine Position schließlich zugunsten einer stärkeren Hinwendung nach Deutschland.
4. Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr in den Staaten des Deutschen Bundes a) Demographische Entwicklung
Bevölkerungswachstum
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Die unterschiedlichen Entwicklungen in demographischer, wirtschaftlicher, finanzieller und verkehrsstruktureller Hinsicht sollten sich als besonders aufschlussreich in der nun folgenden Epoche des offenen Gegensatzes zwischen Österreich und Preußen im Deutschen Bund erweisen. Hierbei zeigte sich, dass die Habsburgermonarchie im Vergleich zum preußischen Modernisierungsstaat immer stärker ins Hintertreffen geriet und sich die strukturellen Voraussetzungen ihres unverminderten machtpolitischen Anspruchs dramatisch reduzierten. Angesichts der langen Friedensperiode, der stabileren Ernährungslage, einer verbesserten Hygiene und Immunisierung, des Rückgangs der Massenepidemien sowie des drastischen Sinkens der Säuglingssterblichkeit wuchs die deutsche Bevölkerung im 19. Jahrhundert kontinuierlich an. Sie betrug 1816 ca. 32,7 Millionen und stieg bis 1865 auf über 52 Millionen. Für die Zeit des Deutschen Bundes ergibt sich daraus ein Wachstum um 60 Prozent. Doch dieses Wachstum war regional und zeitlich sehr differen-
Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr
IV.
Tab. 11: Bevölkerung der Staaten des Deutschen Bundes (in Tausend)
1816
Königreich Preußen (Bundesgebiete) 8 093 davon Berlin 198 Brandenburg (ohne Berlin) 1 086 Pommern 683 Schlesien 1 942 Provinz Sachsen 1 197 Westfalen 1 066 Rheinprovinz 1 871 Schleswig-Holstein (Schleswig nicht im Deutschen Bund) 681 Hamburg 146 Mecklenburg-Schwerin 308 Hannover 1 328 Oldenburg 220 Braunschweig 225 Kurfürstentum Hessen-Kassel 568 Großherzogtum Hessen-Darmstadt 622 Nassau 299 Thüringische Staaten 700 Sachsen 1 193 Baden 1 006 Württemberg 1 410 Bayern (mit bayerischer Pfalz) 3 560 Luxemburg/Limburg (Bundesgebiet) 254 Sonstige (außer Österreich) 543 Deutscher Bund (ohne Österreich) 21 156 Kaisertum Österreich (Bundesgebiet) 9 290 davon Alpenländer 4 291 Niederösterreich (mit Wien) 1 045 Oberösterreich (mit Salzburg) 760 Tirol und Vorarlberg 726 Steiermark 765 Triest und Kreis Görtz 158 Kärnten und Krain 642 Sudetenländer 4 853 davon Böhmen 3 163 Mähren 1 690 Herzogtum Auschwitz 335
1865
Zuwachs in %
jährliche Zuwachsrate in %
14 785 646 1 992 1 442 3 532 2 053 1 676 3 379
83 226 83 111 82 72 57 81
1,2 2,4 1,2 1,5 1,2 1,1 0,9 1,2
1 017 269 555 1 926 302 295 754 854 466 1 037 2 354 1 429 1 752 4 815
49 84 80 45 37 31 33 37 56 48 97 42 24 35
0,8 1,2 1,2 0,7 0,6 0,5 0,6 0,6 0,9 0,8 1,4 0,7 0,4 0,6
395 817 33 824
56 51 60
0,9 0,8 0,9
13 865 ~ 5 870 ~ 1 900 ~ 880 ~ 875 ~ 1 115 ~ 290 ~ 810 ~ 7 485 ~ 5 015 ~ 2 470 510
49 37 82 15 21 46 84 26 54 59 46
0,8 0,6 1,2 0,3 0,4 0,8 1,2 0,5 0,9 0,9 0,8
57
0,9
(geschätzt)
Deutscher Bund insgesamt
30 446
47.689
(Quelle: Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 103 f.)
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 ziert. Zu einer Bevölkerungsexplosion kam es vor allem in den 25 Jahren bis 1840. Besonders schnell wuchs die Einwohnerzahl in Preußen, wobei die nicht zum Bundesgebiet zählenden Ostprovinzen, das Rheinland und die Provinz Sachsen die kräftigsten Zuwachsraten aufwiesen. Auf einen überdurchschnittlichen Anstieg konnten daneben beide Mecklenburg sowie Sachsen verweisen. In den nordwestlichen Regionen sowie in Süddeutschland lag die Bevölkerungsentwicklung unter dem Durchschnitt, in den österreichischen Alpenländern bewegte sie sich nur wenig oberhalb der Stagnation.
b) Urbanisierung
Zentren der Urbanisierung
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Die Bevölkerungsentwicklung des 19. Jahrhunderts war durch große Binnenwanderungen gekennzeichnet, von denen die Verstädterung (Urbanisierung) das größte Gewicht besaß. Während vor 1815 ca. 10 Prozent der deutschen Bevölkerung in Städten (ab 5000 Einwohnern) lebten, waren es 1870 bereits 23,7 Prozent. Hatte es 1800 nur drei deutsche Großstädte mit über 100 000 Einwohnern gegeben (Wien, Berlin, Hamburg) gab es 1870 bereits elf: Breslau, Dresden, München, Prag, Köln, Königsberg, Leipzig und Magdeburg waren hinzugekommen. Vor allem in Preußen hatte sich die Stadtbevölkerung mehr als verdoppelt. Das Gros der neuen Stadtbewohner rekrutierte sich aus der nicht hoferbenden ländlichen Überschussbevölkerung der näheren Umgebung. Vom Zuwachs profitierten namentlich die Haupt-, Residenz- und Verwaltungsstädte (Berlin, Wien, München, Stuttgart, Dresden), daneben die alten Wirtschaftszentren (Breslau, Köln, Leipzig, Magdeburg) und schließlich Städte in gewerblichen Ballungsräumen sowie neue industrielle Ansiedlungsgebiete (Krefeld, Elberfeld, Barmen, Aachen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Chemnitz). Das Schleifen der Stadtbefestigungen und ausgedehnte Eingemeindungen (1850-er und 1860er-Jahre) führten auch zur räumlichen Ausdehnung der Städte. Dies betraf in besonderer Weise Wien: Dessen Umwandlung in eine moderne Metropole wurde vom außerordentlich raschen Anstieg seiner Einwohnerschaft diktiert, der auch nach 1848 unvermindert anhielt. Allein in den 1850er-Jahren wuchs die Stadtbevölkerung von 431 000 (1850) auf 555 000 (1861). Die Bautätigkeit hielt damit nicht Schritt. Zunehmende Belegungsdichte und Mietwucher waren die Folge. Durch kaiserliches Handschreiben (20. 12. 1857) wurden schließlich die Stadtbefestigungen abgerissen und das gesamte, im staatlichen Besitz befindliche Gebiet von Umwallung und Glacis als Bauland verkauft. Mit dem Erlös ließen sich die Ausgaben für die großzügige Umgestaltung, einschließlich der Errichtung von öffentlichen Gebäuden und Kasernen finanzieren. Im ehemaligen Bereich der Fortifikationen entstanden die Ringstraße mit ihren Parks, Plätzen, monumentalen Repräsentationsbauten (Universität, Rathaus, Parlament, Oper), Hotels und Caféhäusern. Nach dem Ende des Klassizismus war hier kein einheitlicher Stilwille mehr am Werk, dafür aber eine ungebremste Gestaltungskraft. Der Mangel an kleineren Wohnungen konnte damit freilich nicht behoben werden.
Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr
IV.
Tab. 12: Bevölkerung deutscher Städte (in Tausend) Stadt
1800
1850/51
1860/61
Aachen Augsburg Barmen Berlin Bremen Danzig Dortmund Dresden Düsseldorf Duisburg Essen Frankfurt a. M. Hamburg Hannover Köln Leipzig Magdeburg Mannheim München Nürnberg Prag Stettin Stuttgart Triest Wien
27 26 16 172 40 41 4 60 10 4 4 48 130 18 50 30 23 19 40 30 75 18 18 29 247
53 (1852) 39 36 419 53 58 11 97 27 9 9 65 175 29 97 63 52 24 (1852) 107 (1852) 54 118 44 47 (1852) 83 444
60 45 46 548 67 70 23 128 41 13 21 76 200 71 121 78 67 30 (1864) 148 63 143 (1857) 58 56 – 476 (1857)
(Quelle: Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 113)
Neben der Binnenwanderung stieg vor allem seit der Jahrhundertmitte teils als Folge der Revolution, teils wegen der dort vermuteten besonders günstigen Aussichten die überseeische Auswanderung namentlich in die USA rapide an und führte seit den 1840er-Jahren zu einem enormen Aderlass menschlicher Ressourcen. 1852 verdoppelte sich die Auswanderung in die USA und überschritt die 100 000-Marke. Zwei Jahre später betrug sie sogar das Doppelte (d. h. 0,7% der deutschen Bevölkerung). Zwar waren die Zahlen danach rückläufig, blieben aber auf hohem Niveau – 1857 und Ende der Sechzigerjahre wurde die 100 000-Grenze schließlich erneut überschritten.
Auswanderung
c) Industrialisierung und Industrielle Revolution Von einer Industrialisierung konnte in den deutschen Staaten erst seit Beginn der vierziger Jahre die Rede sein. Sie vollzog sich nicht flächendeckend, sondern in den gewerblich am weitesten entwickelten Regionen: in Preußen waren das Berlin-Brandenburg, Rheinland-Westfalen, die Pro-
Zentren der Industrialisierung
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 vinz Sachsen und Oberschlesien. Aber auch im Königreich Sachsen verlief der industrielle Aufschwung relativ rasch. Dagegen kam es in Österreich zu einer verzögerten und zudem von bedeutenden regionalen Ungleichgewichten gekennzeichneten Entwicklung. Hier fanden Böhmen, Mähren, Schlesien, Teile Niederösterreichs und die Steiermark mit dem Durchbruch der Industriellen Revolution erst seit den 1880er-Jahren des 19. Jahrhunderts Anschluss an das westliche Industriesystem. Während die Zollvereinsstaaten in den 1850er- und 1860er-Jahren ein enormes Wirtschaftswachstum verzeichnen konnten und sich dort neue, großindustrielle Betriebsformen durchzusetzen begannen, vollzog sich die Aufwärtsentwicklung in Österreich trotz der gezielten Wirtschaftsförderung des neoabsolutistischen Systems eher verhalten. Dies zeigte sich vor allem in den Leitsektoren der Industrialisierung, Kohle, Eisen/Stahl und Maschinenbau, in denen Österreich bis spätestens Mitte der 1860er-Jahre deutlich überholt wurde. Im Kohlebergbau hatte Preußen 1851 das staatliche Direktionsprinzip aufgehoben, sodass sich hier privates Unternehmertum entfalten konnte. Nach Verbesserungen der Abbautechnik begannen 1840 die „Gründerjahre“ des Ruhrbergbaus, der sich allmählich von den alten Abbaustellen im Ruhrtal immer weiter nach Norden ausdehnte. Mit seinen Revieren an Ruhr und Saar sowie in Oberschlesien monopolisierte Preußen nahezu die gesamte deutsche Kohleförderung außerhalb Österreichs. Der Mangel an Steinkohle zählte zu den entscheidenden Strukturnachteilen der österreichischen Wirtschaft. Auf dem Sektor der Eisen- und Stahlherstellung konnte Österreich dagegen lange Zeit mithalten. Seine traditionellen Abbaugebiete in der Steiermark, in Kärnten sowie in Böhmen und Mähren lieferten Erze in guter Qualität. Doch fortschrittlichere Technologien im Hüttenwesen, vor allem der umfassendere Einsatz von Dampfmaschinenenergie in Preußen ließen die Habsburgermonarchie ab Mitte der 1850er-Jahre auch auf diesem Gebiet zurückfallen. Der deutsche Maschinenbau hatte sich seit den 1840er-Jahren in einem raschen Tempo entwickelt und in den beiden darauf folgenden Jahrzehnten einen großen qualitativen und quantitativen Aufschwung erlebt. Seit 1863 war der Maschinenexport (auf dem späteren Reichsgebiet) erstmals größer als der Maschinenimport. Auch in Österreich hatte in den 1840er-Jahren eine stürmische Entwicklung eingesetzt, doch war diese seit 1857 für ein Jahrzehnt durch eine Phase des Stillstandes und der Krise abgelöst worden.
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Industrialisierung und Industrielle Revolution Industrialisierung (als Kernbegriff der Wirtschafts- und Sozialgeschichte) beschreibt den Prozess der Transformation einer Volkswirtschaft, in deren Ergebnis der industrielle Sektor relativ gegenüber dem agrarischen eine zunehmende Bedeutung gewinnt. Im 19. Jahrhundert ging mit der Industrialisierung die Durchsetzung des kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialsystems einher. In Deutschland wurden die politisch-administrativen (Beseitigung der feudalen Agrarstruktur und Gewerbefreiheit), demographischen (Bevölkerungszunahme und Binnenwanderung in die entstehenden industriellen Ballungszentren) sowie zollpolitischen (Zollverein) Voraussetzungen der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelegt, die Industrialisierung setzte dagegen etwas später ein, etwa um 1840.
Bevölkerungsentwicklung, Industrialisierung, Banken und Verkehr Die Industrielle Revolution war eine Momentaufnahme der Industrialisierung, nämlich jene Phase des beschleunigten Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft, in der sich die ökonomischen und technischen Parameter sowie die gesellschaftliche Ordnung in rasanter Weise zu Gunsten der neuen industriellen Welt und ihrer kapitalistischen Nutznießer veränderten. Nachdem Großbritannien (ab 1820) und Frankreich (1840er-Jahre) diese Etappe bereits durchlaufen hatten, setzte die Industrielle Revolution in den Staaten des Zollvereins in den 1850er-Jahren ein und reichte bis zum Gründerkrach (1873).
IV.
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d) Entwicklung des Bankwesens Die Banken waren die Kapitalbeschaffer der modernen Industrie. Vor allem bedingt durch den rasanten Industrialisierungsbooms seit den 1850er-Jahren wuchs ihre Bedeutung bei der Bereitstellung von Kapital für Unternehmensgründungen und Investitionen. Nach den Privatbanken des frühen 19. Jahrhunderts (Rothschild-Bank), die sich während der napoleonischen Kriege mit der Abwicklung von finanziellen Zwangserhebungen (Kontributionen) und Hilfsgeldern (Subsidien) beschäftigt hatten und nach 1815 Staatsanleihen, Geldgeschäfte mit dem europäischen Hochadel und Spekulationen tätigten, entstanden in den 1850er-Jahren moderne Aktienbanken: die Bank für Handel und Industrie Darmstadt (1853), die Diskonto Gesellschaft Berlin (1856) und die Österreichische Creditanstalt (1858). Ihre Aufgabe bestand vornehmlich in der Beschaffung von Anlagekapital. Im Falle Österreichs, dessen Staatsschuld Anfang der 1860er-Jahre Schwindel erregende Zahlen erreichte, erzeugten Kapitalknappheit und noch dazu die breite Streuung des vorhandenen Kapitals wirtschaftliche Unterentwicklung.
Moderne Aktienbanken
e) Verkehrsentwicklung Neben dem Bau von Chausseen und dem Einsatz von Dampfschiffen auf den Flüssen und Kanälen führte vor allem die Eisenbahn zu einer beträchtlichen Erhöhung der Reisegeschwindigkeiten und damit zu einem neuen Verhältnis von Raum und Zeit. Die Schaffung von Verkehrsverbindungen, die einen raschen Menschen- und Gütertransport ermöglichten, gehörte zu den Voraussetzungen der Industrialisierung und veränderte nebenbei auch die Grundlagen der modernen Kriegführung (rasante Beschleunigung des Aufmarsches). Nachdem in Großbritannien 1825 eine erste Eisenbahnlinie zur Personenbeförderung in Betrieb genommen worden war, regte Friedrich Harkort den Bau solcher Bahnen auch in Deutschland an. Aber erst nach weiteren zehn Jahren konnte die erste, 6,1 km lange Eisenbahnlinie in Deutschland zwischen Nürnberg und Fürth eröffnet werden (7. 12. 1835). In der Folge entstanden weitere unverbundene Schienenstränge, und auch die Anzahl der Betriebsmittel wuchs. Zwischen 1837 und 1840 wurden die Strecken Wien–Brünn, Leipzig–Dresden, Berlin–Potsdam, München–Augsburg, Heidelberg–Mannheim, Frankfurt a. M.–Mainz und
Eisenbahnlinien
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 Tab. 13: Entwicklung des Verkehrsnetzes im Deutschen Bund im Deutschen Bund (in km) Jahr
befestigte Straßen absolut
um 1816 – um 1820 14 774 um 1830 – um 1835 ca. 25 000 um 1840 – um 1850 52 975 um 1870 ca. 115 000
Kanäle
Eisenbahnstrecken
1870 = 100 1870 = 100 1870 = 100 absolut absolut (in %) (in %) (in %) – 12,8 – 21,7 – 46,1 100,0
2412 2605 2632 2696 3229 3528 3817
63,2 68,2 69,0 70,6 84,6 92,4 100,0
– – – 6 579 7 123 24 769
– – – 0,0 2,3 28,8 100,0
(Quelle: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1, S. 80)
Köln–Bonn fertig gestellt. Danach entstanden überregionale Strecken: Berlin–Stettin, Berlin–Anhalt, Köln–Aachen und Berlin–Hamburg. In den 1860er-Jahren schließlich wurden die einzelnen Streckenabschnitte zu einem einheitlichen Bahnnetz verknüpft und weiter verdichtet. Seine Knotenpunkte wurden Berlin, Wien, Sachsen und Köln. Als eine Pionierleistung des Bahnbaus galt die Semmeringbahn, die erste Queralpenbahn Europas: Die 1857 fertig gestellte Bahn führte von Wien nach Triest und galt mit ihren zahlreichen Brücken und Tunneln als ein technisches Wunderwerk. Zuvor hatten Architekten und Gutachter die Pläne des österreichischen Ingenieurs Karl von Ghega (1802–1860) für undurchführbar erklärt. Mediziner vertraten die Auffassung, dass niemand die Fahrt über den Semmering überleben könne. Die Bahnlinie wurde schließlich aller Bedenken zum Trotz und ungeachtet einer Choleraepidemie, der rund 1000 Arbeiter zum Opfer fielen, sowie einiger Sabotageanschläge, fertig gestellt.
5. Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands in den 1850er-Jahren a) Geistesleben und Philosophie Ungeachtet der gescheiterten Revolution stand das deutsche Geistesleben der 1850er-Jahre keineswegs nur im Zeichen von Stagnation und Resignation, sondern auch von Aufbruch und Stilwandel, obwohl die nun folgende Hinwendung zu den Naturwissenschaften (Schwerpunkte: Medizin und Chemie) und zur Technik auch dem Gefühl der Enttäuschung und eines verunsicherten Selbstbewusstseins der bürgerlichen Eliten entsprang. Kultur und Kunst reflektierten und kritisierten nun immer stärker die industriell-
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Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands technischen Transformationsprozesse sowie die mit ihnen einhergehenden sozialen Begleiterscheinungen. Immerhin nahmen sie bereits die deutsche Nation in vielfacher Weise vorweg. Symbole und Ausdrucksformen des Einheitswillens fanden sich sowohl in Literatur und Historiographie als auch in den bildenden Künsten und der Musik. Gerade weil der nach 1848 wieder auflebende österreichische Reichspatriotismus wie auch der preußische und anderweitige Landespatriotismus nicht deckungsgleich mit einem deutschen Patriotismus waren, sollte nicht vergessen werden, dass auf eine einheitliche Nation zielende kulturelle Äußerungen bis zum Ende der 1850er-Jahre auch weiter in der Minderheit blieben. Nach dem Tode Georg Wilhelm Friedrich Hegels im Jahr 1831 hatte sich ein Teil seiner Schüler religionskritischen Positionen zugewandt. So bezeichnete der württembergische Theologe David Friedrich Strauß (1808– 1874) in seinem Werk „Das Leben Jesu“ (1835) die Berichte der Evangelien als Mythen, die es zu entzaubern gelte. Die radikalste Religionskritik stammte von Ludwig Feuerbach (1804–1872), dessen soziologischer Atheismus schließlich von Karl Marx (1818–1883), dem Begründer der kommunistischen Lehre, aufgegriffen wurde. Marx hatte sich mit der hegelschen Philosophie und Staatslehre auseinandergesetzt und mit den französischen Frühsozialisten, nationalökonomische Studien betrieben und in seiner politisch-publizistischen Tätigkeit praktische Erfahrungen gesammelt. Er inspirierte die europäische und deutsche Arbeiterbewegung, die sich nach der Revolution von 1848 als solche zu organisieren begann. Nach locker gefügten Arbeiterselbsthilfeorganisationen um Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) sowie der Arbeiterkongressbewegung entstand mit dem „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (23. 5. 1863) die erste straff-organisierte Arbeiterpartei Deutschlands. Ihr Vorsitzender war der sozialistische Schriftsteller Ferdinand Lassalle (1825–1864), der freilich im Gegensatz zu seinem Freund Karl Marx nicht auf der revolutionären Abschaffung des Staates bestand, sondern an dessen Umwandlung durch soziale Reformen („Staatssozialismus“) glaubte. Der „Allgemeine Deutsche Arbeiterverein“ (ADAV) Der ADAV stand unter dem Einfluss Lassalles, der 1863 auf fünf Jahre zu seinem Präsidenten gewählt wurde. Durch unermüdliche Agitations- und Publikationstätigkeit gelang es Lassalle, die politische Bewusstwerdung der Arbeiter entscheidend voranzubringen. Sogar Bismarck verhandelte mit ihm über eine mögliche politische Zusammenarbeit (1863/64). Eine Massenbasis aber blieb dem Verein versagt. Nach dem frühen Tod Lassalles im Jahr 1864 infolge eines Duells geriet der ADAV in die Krise. 1875 vereinigte er sich mit der von Wilhelm Liebknecht (1826–1900) und August Bebel (1840–1913) gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (1869) zur Sozialistischen Arbeiterpartei (Gothaer Programm 1875).
IV.
Junghegelianer
Arbeiterbewegung
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Die Auseinandersetzung mit Hegel und seinen Schülern brachte aber noch eine weitere, einfluss- und (mit Blick auf Existenzialismus und Lebensphilosophie) folgenreiche philosophisch-weltanschauliche Antwort hervor: Arthur Schopenhauer (1788–1860). Schopenhauers Philosophie war vor 1848 ohne größere Wirkung geblieben. Sie gewann erst nach der gescheiterten Revolution breitere Resonanz, weil sie nun der politisch-kulturellen Stimmung der gebildeten Schichten besser entsprach. Schriftsteller
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860
Pessimismus
Historismus
und Musiker wie Wilhelm Busch, Wilhelm Raabe und Richard Wagner waren von ihr tief beeindruckt. Den Fortschritts- und Kulturoptimismus des deutschen Idealismus hatte Schopenhauer hinter sich gelassen und eine tief pessimistische, schroff individualistische, irrationalistische und prononciert atheistische Position eingenommen. Der Mensch, im Grunde ein Raubtier, war nach ihm in die denkbar schlechteste aller Welten gestellt: Leben bedeutete zwangsläufig Leiden. Menschliche Bedürfnisse und Triebe bewirkten eine ständige Unzufriedenheit, die das Leiden noch verschlimmere. Doch wo das Streben aufhöre, beginne die Langeweile. Ihr durch Geselligkeit zu entgehen, vermehre das Übel nur. Denn die Menschen – von Natur aus schlecht – seien von Egoismus und Bosheit getrieben, weshalb der Staat notwendig sei. Dem Leiden könne nur durch Verneinung und Verzicht begegnet werden. Erst Askese, Armut, Keuschheit und Weltflucht führten zu friedvoller Ruhe. In den Geisteswissenschaften vollzog sich nach 1848 eine Wendung zum Historismus. Der philosophische Idealismus und das normative Denken des Liberalismus waren durch die Revolution zunächst ins Abseits gedrängt. Geschichtliche Erfahrung und historisches Wissen nahmen einen höheren Stellenwert ein und wurden vom liberalen Bildungsbürgertum nunmehr als zentrale Elemente der Nationalerziehung akzeptiert. Im nun vollzogenen Bruch mit dem revolutionären Erbe des Liberalismus lag die weltanschauliche Basis der Ende der 1850er-Jahre erfolgenden politischen Annäherung einer Mehrheit der Liberalen an die monarchisch-konservativen Kräfte. Unter diesen geistigen Voraussetzungen reiften gerade in den 1850er-Jahren bedeutende Werke deutscher Historiker (Leopold von Ranke 1795–1886, Johann Gustav Droysen 1808–1884, Theodor Mommsen 1817– 1903, Heinrich von Sybel 1817–1895). Der geistigen Vorbereitung des deutschen Nationalstaates sollten auch die „Preußischen Jahrbücher“ dienen, die ab 1858 von Rudolf Haym (1821–1901) herausgegeben wurden.
b) Musik
Sinfonische Dichtung Franz Liszts
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Die deutsche Musikkultur im Jahrzehnt nach der Revolution von 1848 wurde von Franz Liszt (1811–1886) und in besonderer Weise von Richard Wagner bestimmt. Liszt erlebte in den 1850er-Jahren seine fruchtbarste Schaffensperiode und schuf den neuen Typus der Sinfonischen Dichtung, die sich vom klassischen Kanon der Sinfonie absetzte und die poetische Idee zum Ausgangspunkt einer neuen Tonsprache machte. Tonmalerei, eine expressive Harmonik sowie eine verfeinerte Instrumentierung waren seine Charakteristika. Dazu trat eine ausgesprochene Ungarnschwärmerei, die nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands durch österreichische und russische Truppen (1848–1849) durchaus als subversiv aufgefasst werden konnte, zumal Parallelen zum nationalen Streben auch der Deutschen unübersehbar waren. Vehement setzte sich Liszt für den jungen Richard Wagner ein, seinen späteren Schwiegersohn, dessen Uraufführungen er vorbereiten half (Weimar 1850: „Lohengrin“). Nach einem von persönlichen Gegnern inszenierten Skandal anlässlich der von ihm
Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands
IV.
1858 geleiteten Uraufführung des „Barbier von Bagdad“ von Peter Cornelius legte Liszt sein Amt als Kapellmeister in Weimar nieder und zog nach Rom, wo er als Geistlicher wirkte. Erst 1869 kehrte er nach Weimar zurück. „Ungarische“ Kompositionen von Franz Liszt Ungarn hat Franz Liszt immer als einen großen Landsmann verehrt, obwohl in dessen Adern kein Tropfen ungarischen Blutes floss und er nicht einmal die ungarische Sprache beherrschte. Doch Liszt interessierte sich für ungarische Volksmusik; nicht für originale Volksweisen, sondern vielmehr für jene Zigeunerkapellen, die in den Wiener und Budapester Kaffeehäusern aufspielten. Ihnen entnahm er jene temperamentvollen und leidenschaftlich-schmachtenden Melodien, die er für seine „Fantasie über ungarische Volksmelodien für Klavier und Orchester“ (1852), seine Tondichtung „Hungaria“ (1848–54) sowie die insgesamt 19 „Ungarischen Rhapsodien“ für Klavier verwendete.
Mit Richard Wagner, der 1854–59 die ersten Teile des „Ringes der Nibelungen“ sowie das Musikdrama „Tristan und Isolde“ entwarf, gewann Musik eine ganz unmittelbar politische, soziale und religiöse Funktion. Bei ihm, dem charismatischen Ex-Revolutionär, dominierte der Wille zur großen, gestaltenden Form, der universale Anspruch. Im Musikdrama stiftete er gegen die individualistische Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft eine einzigartig verzückte Gemeinschaft und das Gefühl einer gemeinsamen nationalen Kultur. Mit Hilfe des düster-germanischen und mittelalterlichen Mythos wurden menschliche Konflikte weit überhöht und ins Unwirkliche verzerrt. Hier vollendeten sich die romantische Steigerung des Ausdrucks, der Subjektivität und des Gefühls in einem übermenschlichen Schicksal. In der Kombination von höchster Gefühlsintensität, tragischer Grundstimmung und religiöser Weltdeutung traf Wagner den Nerv seiner Zeit. Richard Wagner (1813–1883) wurde in Leipzig geboren und musikalisch ausgebildet. Mit 21 Jahren avancierte er zum Musikdirektor am Magdeburger Stadttheater. Engagements in Königsberg und Riga folgten. Hochverschuldet floh Wagner über London nach Paris, wo er sich neben seiner Arbeit am „Rienzi“ und „Fliegenden Holländer“ mit Gelegenheitskompositionen über Wasser hielt. Der große Uraufführungserfolg des „Rienzi“ in Dresden (1843) brachte ihm die Anstellung als sächsischer Kappellmeister an der Dresdener Oper ein. Doch zwang ihn seine Beteiligung an der Revolution von 1848 erneut zur Flucht über Weimar ins Züricher Exil, wo er seine Epoche machende Konzeption des Musikdramas entwickelte. Weitere Stationen waren Venedig, Luzern, Paris, Biebrich und München, wohin Wagner durch die Protektion des für ihn schwärmenden Bayernkönigs Ludwig II. (1845–1886) gelangte. Mit der Übersiedlung nach Tribschen bei Luzern (1866) folgten ruhigere Jahre. Den Höhepunkt seiner Tätigkeit erreichte Wagner nach 1872 in Bayreuth, wo er im selbst konzipierten Festspielhaus den „Ring der Nibelungen“ und das kunstreligiöse Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ aufführen ließ.
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Musikdrama Richard Wagners
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Von einem ganz anderen, nämlich heiteren Zuschnitt war die Musik des „Walzerkönigs“ Johann Strauß (Sohn), der nach dem Tode seines Vaters (1851) zum unbestrittenen König des hochorganisierten und durchaus lukrativen Wiener Tanz- und Walzerbetriebs wurde. Populäre Walzerkonzerte mit Lampions und Feuerwerk symbolisierten den Inbegriff der Wiener Lebensfreude. Strauß’ Musik begleitete den Wandel Wiens und der Habs-
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Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 burgermonarchie auf eigentümliche Weise: Nach dem Abbruch der Wiener Befestigungen entstand die „Demoliererpolka“ (1862), nach Einführung der dualistischen Verfassung (1867) warb er mit seiner Operette „Der Zigeunerbaron“ für eine Aussöhnung mit den Ungarn.
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Wiener Walzer Der Siegeszug des Wiener Walzers begann zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Joseph Lanner (1801–1843) und endete mit dem Tod des „Walzerkönigs“ 1899. Der musikalisch-rhythmische Vorgänger des Walzers war der bayerische Ländler. Erst nach dem Wiener Kongress (1814/15) wurde Wien von einem regelrechten Walzerfieber erfasst, dass sich durch alle Gesellschaftsschichten zog und so eine integrierende Wirkung jenseits politischer Tageskämpfe entfaltete. Neben Lanner und dem vom Bettelmusikanten aufgestiegenen Johann Strauß (Vater) zählte namentlich Johann Strauß (Sohn) zu den profiliertesten Walzerkomponisten.
c) Literatur Zweifellos wies die Literatur der 1850er-Jahre deutliche Elemente des politischen Rückzugs und einer von der Welt abgekehrten Betonung historischer Individuen auf, wie dies in Adalbert Stifters einfühlsamen Roman „Der Nachsommer (1857) oder Eduard Mörikes (1804–1875) „Mozart auf der Reise nach Prag“ (1856) deutlich wurde. Franz Grillparzer (1791– 1872), der als Opfer der vormärzlichen Zensur galt, wankte auch nach 1848 nicht in seinen liberalen und freiheitlichen Grundsätzen, wurde aber durch das gleichzeitige Festhalten an der staatskonservativen Idee Großösterreichs in eine tiefe Identitätskrise gestoßen. Gustav Freytag (1816– 1895) schrieb mit seinem Roman „Soll und Haben“ (1855) den erfolgreichsten Roman der Zeit, der seine Wirkung aus dem Konsens von individueller und gesellschaftlicher Entfaltung zog und damit eine ungebrochen optimistische Weltsicht des liberalen Bürgertums vermittelte. Fritz Reuter (1810–1874) wandelte sich nach frustrierender Haft als Burschenschaftler im Vormärz und der literarischen Anklage des sozialen Elends der Landarbeiter (1858: „Kein Hüsung“) zu einem Heimatschriftsteller, dessen Gesellschaftskritik im Abnehmen begriffen war.
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Realismus
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Adalbert Stifter (1805–1868) wurde in Südböhmen geboren und lebte zunächst in Wien als Privatlehrer. Die Revolution von 1848 anfänglich begrüßend, wandelte er sich jedoch bald zu einem entschiedenen Gegner von Demokratie und Liberalismus. In den 1850er-Jahren wollte er seine Kraft dem Wiederaufbau der österreichischen Kultur und Gesellschaft widmen und unterstützte die Bildungsreform des österreichischen Kultusministers Leo Graf Thun-Hohenstein (1811– 1888). Im amtlichen Wirken resigniert, widmete er sich bald wieder vorrangig der Literatur. In seinem Roman „Der Nachsommer“ zeichnete er das Modell des sozialen Ausgleichs durch gemeinsame Gesinnungen und führte adlige und bürgerliche Lebenswelten aneinander. Sein Ziel, zur Versöhnung von Deutschen und Tschechen in seiner Heimat beizutragen, blieb unverstanden. Den Krieg von 1866 erlebte er als Zerreißung der deutschen Nation.
Zu den großen Vertretern einer die gesellschaftliche Wirklichkeit und ihre Konflikte in den Mittelpunkt stellenden Literatur des deutschen Rea-
Grundlinien der kulturellen Entwicklung Deutschlands
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lismus zählten Theodor Storm (1817–1888) und Wilhelm Raabe (1831– 1910), die Verlusterfahrungen und Sinnzweifel der Zeit durch Festhalten an melancholisch verbrämten Erinnerungen und das gefasste Ertragen des Schicksals oder – wie im Falle Raabes – durch Rückzug auf sich selbst, Resignation und Flucht in eine Welt der Sonderlinge beantworteten. Bei Gottfried Keller (1819–1890), einem weiteren Vertreter des deutschsprachigen Realismus, dagegen überwog die positive Welt- und Lebensperspektive. Die Besinnung auf Geschichte und Tradition war besonders bei Theodor Fontane (1819–1898) spürbar, der, inspiriert durch eine längere Reise nach England, ab 1856 mit den Vorarbeiten seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ begann (vom Herbst 1859 an erschienen in der „Kreuzzeitung“ die ersten Teile) und damit dem märkischen Adel ein Denkmal setzte. Anekdoten, Biographisches und Pikantes wechselten mit geistreichen Reflexionen zu einer lebendigen Darstellung. Fontanes Lebensweg folgte in vielem den Umbrüchen des Jahrhunderts. Vom Apotheker und Sympathisanten der Revolution wurde er zum konservativen Journalisten, zum Theaterkritiker, Kriegsberichterstatter und schließlich zum großen Romancier.
d) Malerei, Grafik und Plastik Eine Rückwendung zu historischen Themen mit patriotischem Gehalt bestimmte auch die Malerei und Grafik der 1850er-Jahre. Von besonderer Bedeutung war hier Adolf Menzel (1815–1905), der nicht nur die Holzschnitte zu Franz Kuglers (1808–1858) „Geschichte Friedrichs des Großen“ anfertigte, sondern sich auch neuen Genres zuwandte: der industrialisierten Welt mit ihren neuen Kommunikationen (1847: „Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn“) und modernen Fabrikanlagen (1875: Eisenwalzwerk). Mit seiner Hinwendung zur Person des Preußenkönigs (1850: „Tafelrunde in Sanssouci“, 1852: „Flötenkonzert“) folgte Menzel dem bürgerlichen Zeitgeist, der Leben und historische Bedeutung Friedrichs II. im Sinne eines national-liberalen Monarchieverständnisses umdeutete. Daneben existierte nach wie vor die naturalistisch-detailtreue Genre-, Porträt-, Stillleben- und Landschaftsmalerei mit nur sehr schwachen sozialkritischen Ansätzen, die durch Künstler wie Rudolf von Alt (1812–1905), Ferdinand Georg Waldmüller (1793–1865) Josef Nigg (1782–1863) und Friedrich von Amerling (1803–1887) repräsentiert wurde. Ludwig Richter (1803–1884) dagegen war der Klassiker der Idylle. Seine Bilder spielten dem Betrachter eine heitere, harmonische, vorindustriell-unberührte Welt vor und entsprachen seinem Interesse an Konflikt- und Wirklichkeitsverdrängung sowie Harmonisierung. Dargestellt wurden fromme Menschen in vertrauter Umgebung: häusliche Frauen, rührende Kinder und Alte vor dem Hintergrund märchenhaft aufragender Burgen. Auch in der Plastik der 1850er-Jahre manifestierte sich ein historischpatriotischer Zug. Das Reiterstandbild für Erzherzog Karl (1853–59) auf dem Wiener Heldenplatz von Anton Dominik von Fernkorn (1813–1878) wurde von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen. Der dafür in den
Adolf Menzel
Plastik
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IV.
Europäische Konflikte und deutsche Entsolidarisierung 1853–1860 Ritterstand erhobene Fernkorn hatte mit dem steigenden Pferd des Erzherzogs Stileigentümlichkeiten des Neobarock antizipiert. Eine ähnlich neobarocke Formengebung zeichnete auch die dramatische Plastik des „Löwenkämpfers“ (1854–61) vor dem Alten Museum in Berlin aus, deren Schöpfer, Albert Wolff (1814–1892), zu den begabtesten Schülern Christian Daniel Rauchs (1777–1857) zählte. Von besonderer nationaler Symbolik indes war namentlich das „Goethe-Schiller-Denkmal“ (1852–57) auf dem Theaterplatz von Weimar. Ernst Friedrich Rietschel überwand mit dieser Bronzeplastik die bis dahin dominierende klassizistische Formensprache und begründete die realistische Stilrichtung in der deutschen Plastik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
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V. Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866
5. 5. 1860 26. 7. 1860
Regierungsvorlage zur preußischen Heeresreform Teplitzer Konferenz (Prinzregent Wilhelm/Kaiser Franz Joseph I.) 30. 7.–6. 8. 1860 Zweite Würzburger Konferenz der Mittelstaaten 20. 10. 1860 Oktoberdiplom Kaiser Franz Josephs I. 26. 2. 1861 Februarpatent Kaiser Josephs I. 24. 5.–23. 6. 1861 Dritte Würzburger Konferenz der Mittelstaaten 15. 10. 1861 Bundesreformdenkschrift Friedrich Ferdinand v. Beusts 22. 9. 1862 Ernennung Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten 28. 10. 1862 Gründung des „Deutschen Reformvereins“ 16. 8.–1. 9. 1863 Frankfurter Fürstentag (Vorsitz Kaiser Franz Josephs I.) 1. 10. 1863 Beschluss einer Bundesexekution gegen Holstein 23./24. 10. 1863 Nürnberger Ministerialkonferenz 21. 1. 1864 Beginn der Pfandbesetzung Schleswigs 18./19. 2. 1864 Würzburger Konferenz 25. 4./25. 6. 1864 Londoner Konferenz (dänische Frage) 12. 7./1. 8. 1864 Deutsch-dänischer Waffenstillstand, Präliminarfrieden von Wien 30. 10. 1864 Frieden von Wien zwischen Österreich, Preußen und Dänemark 16. 5. 1865 Erneuerung des Deutschen Zollvereins ohne Österreich 14. 8. 1865 Vertrag von Gastein 8. 4. 1866 Preußisch-italienisches Angriffsbündnis 7. 6. 1866 Einmarsch preußischer Truppen in Holstein 12. 6. 1866 Österreichisch-französischer Geheimvertrag 14. 6. 1866 Beschluss über formlose Bundesexekution gegen Preußen 16. 6./26. 7. 1866 Preußisch-österreichischer Krieg 18. 6. 1866 Kriegserklärung Italiens an Österreich 3. 7. 1866 Entscheidungsschlacht bei Königgrätz 26. 7. 1866 Vorfriede von Nikolsburg 13./17./22. 8. 1866, Friedensverträge/Schutz- und Trutzbündnisse Preu11. 4. 1867 ßens mit den Mittelstaaten 18. 8. 1866 Gründungsakte des Norddeutschen Bundes 23. 8. 1866 Frieden von Prag zwischen Preußen und Österreich
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866
1. Der Aufschwung der deutschen Nationalbewegung in den späten 1850er-Jahren a) Der Deutsche Nationalverein
Schillerfeiern
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Das Scheitern der Revolution hatte die deutsche Nationalbewegung geschwächt und einer tendenziellen Entfernung der bürgerlichen Eliten vom politischen Tageskampf sowie ihrer Hinwendung zu Technik und Industrialisierung Vorschub geleistet. Doch nach der Wirtschaftskrise von 1857, anlässlich der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Friedrich Schillers (10. 11. 1859), von Turn- und Sängerfesten (Coburg 1860, Nürnberg 1861), vor allem aber im Zusammenhang mit dem oberitalienischen Konflikt, insbesondere als Reaktion auf Annexionsabsichten Napoleons III., begann sich die deutsche Nationalbewegung – getragen durch nationale Organisationen wie Sänger- und Turnervereine – erneut zu formieren, an politischer Reife und Durchschlagskraft zu gewinnen sowie eine populäre Wirkung zu entfalten. Sänger- und Turnvereine als nationale Organisationen Nach dem Verbot der Turner- und Burschenschaften infolge der Bundesbeschlüsse von 1819–1820 und 1832 artikulierte sich das nationale Verlangen der Deutschen vor allem im patriotischen Liedgut der Gesangsvereine. Die Sänger wurden bald zur stärksten und am weitesten verbreiteten Organisation der deutschen Nationalbewegung. An „deutschen Sängerfesten“ (Würzburg 1845, Köln 1846, Lübeck 1847) nahmen Tausende teil. 1848 zählten die mehr als 1100 Gesangsvereine über 100 000 Mitglieder. Die Turnbewegung knüpfte an die Tradition des antinapoleonischen Befreiungskampfes und das Bestreben an, den Körper zu ertüchtigen. Diese, nach den Karlsbader Beschlüssen (1819) im Deutschen Bund verbotene Art der Wehrvorbereitung lebte Anfang der 1840er-Jahre wieder auf, wovon zahlreiche Turnfeste (Mainz 1842, Reutlingen 1845, Heilbronn 1846, Frankfurt a. M. und Heidelberg 1847) und hohe Mitgliederzahlen (1848 gibt es 250 Turnvereine mit 90 000 Mitgliedern) zeugten. Nach der Revolution von 1848 entwickelte sich die Turnerbewegung in eine konstitutionell-liberale und eine republikanisch-demokratische Richtung auseinander. Zwischen beiden Gruppen kam es auf dem 1. Allgemeinen Deutschen Turn- und Jugendfest in Coburg im Juni 1860 zum Konflikt. Hierbei gelang es der liberalen Mehrheit, den Versuch zu verhindern, die Turnerbewegung stärker zu politisieren.
Vor allem die Schillerfeiern im November 1859 wurden als Nationalfest begangen. Das Bekenntnis zu Schiller und zum liberal-reformerischen und nationalen Geist seines Werkes gab dem Verlangen nach Überwindung von Kleinstaaterei und absolutistischer Bevormundung Ausdruck. Ihrem Charakter nach waren die Schillerfeiern patriotische Demonstrationen, die von bildungsbürgerlichen Schichten initiiert und von breiten Massen besucht wurden. So erzwangen sich auf dem Berliner Gendarmenmarkt 30 000 Menschen den Zutritt zur Grundsteinlegung für ein Schillerdenkmal. Ein geplanter Fackelumzug wurde polizeilich verboten. In Hamburg folgten über 17 000 Menschen einem Festumzug zu Ehren Schillers. Die Frankfurter Schillerfeier wurden von über 8000 Menschen besucht. Als
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Der Aufschwung der deutschen Nationalbewegung prominenter Festredner in Dresden betonte der sächsische Ministerpräsident Ferdinand von Beust das alle Deutschen Verbindende an Schiller, „dass nicht der unsterbliche Name, der da ein strahlender Brennpunkt sein soll für die Gesamtheit deutschen Denkens und Empfindens, zu einer Brandfackel der Zwietracht unter den Deutschen werde“. Innerhalb der neu erstarkenden Nationalbewegung waren drei konkurrierende Grundströmungen maßgebend: Bis Ende 1859 dominierte die kleindeutsch-erbkaiserliche Partei von 1848/49, die einen Nationalstaat unter preußischer Führung errichten wollte und sich im Deutschen Nationalverein (gegründet am 15.–16. 9. 1859) eine organisatorische Struktur gab. Diese frühe nationale Sammlungsbewegung (mit bis zu 25 000 Mitgliedern) war durch das Vorbild des italienischen Nationalvereins, der „Società Nazionale“ (1856), inspiriert und wurde vom niedersächsischen Großgrundbesitzer Rudolf von Bennigsen (1824–1902) geführt. Es war ein bürgerlich-liberaler Agitationsverein, der süd- und norddeutsche Honoratioren zu vereinen und auch linksliberale Positionen zu integrieren wusste, wie sie beispielsweise Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883) vertrat. In der ersten Eisenacher Erklärung der Vereins (14. 8. 1859) wurde die Verfassung des Deutschen Bundes einer vernichtenden Kritik unterzogen und Preußen die Initiative zur Bildung einer Zentralregierung angeboten. Als seinen Zweck bezeichnete der Verein „die Einigung und freiheitliche Entwicklung des großen gemeinsamen Vaterlandes“ auf kleindeutscher
Eisenacher Erklärung des Deutschen Nationalvereins (14. 8. 1859) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 104 f.
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Strömungen in der Nationalbewegung
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Die augenblicklichen gefährlichen Zustände Europas und Deutschlands und das Bedürfnis, politische Parteiforderungen der großen gemeinsamen Aufgabe der deutschen Einigung unterzuordnen, haben eine Reihe Männer, welche teils der demokratischen, teils der konstitutionellen Partei angehören, aus verschiedenen deutschen Ländern zusammengeführt, um sich über die Herbeiführung einer einheitlichen deutschen Verfassung und die zur Erreichung eines solchen Zieles erforderliche Tätigkeit zu verständigen. Dieselben haben (…) über folgende Punkte sich vereinigt: 1. Wir erblicken in der gegenwärtigen politischen Weltlage große Gefahren für die Unabhängigkeit unseres deutschen Vaterlandes, welche durch den zwischen Österreich und Frankreich abgeschlossenen Frieden eher vermehrt als vermindert worden sind. 2. Diese Gefahren haben ihren letzten Grund in der fehlerhaften Gesamtverfassung Deutschlands, und sie können nur durch eine schleunige Änderung dieser Verfassung beseitigt werden. 3. Zu diesem Zweck ist es notwendig, dass der deutsche Bundestag durch eine feste, starke und bleibende Zentralregierung Deutschlands ersetzt und dass eine deutsche Nationalversammlung einberufen werde. 4. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen können die wirksamsten Schritte zur Erreichung dieses Zieles nur von Preußen ausgehen; es ist daher dahin zu wirken, dass Preußen die Initiative dazu übernehme. 5. Sollte Deutschland in der nächsten Zeit von außen wieder unmittelbar bedroht werden, so ist bis zur definitiven Konstituierung der deutschen Zentralregierung die Leitung der deutschen Militärkräfte und die diplomatische Vertretung Deutschlands nach außen auf Preußen zu übertragen. (…)
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 Grundlage. Immer wieder bezog er in den folgenden Jahren Stellung zu aktuellen politischen Fragen und wirkte im Sinne seiner auf Einheit und bürgerliche Freiheiten gerichteten Leitsätze. Ursprünglich hatte der Verein seinen Sitz in Frankfurt a. M. nehmen wollen. Auf Druck Österreichs lehnte der Frankfurter Magistrat jedoch ab, so dass der Verein auf Coburg auswich, wo ihn der Landesherr, Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha (1818–1893) unter seinen Schutz stellte. In das programmatische Umfeld des Deutschen Nationalvereins gehörte auch der Reformplan des badischen Außenministers Franz Freiherr von Roggenbach (1825–1907) und des badischen Großherzogs Friedrich I. vom August/September 1859, der Österreich freiwillig aus dem Bund ausscheiden sehen wollte, um die übrigen Bundesglieder unter preußischer Führung eine engere bundesstaatliche Einigung als „Vereinigte Staaten von Deutschland“ eingehen zu lassen. Der badische Großherzog zählte neben Herzog Ernst zu den eifrigsten Unterstützern des Vereins. Dagegen war er in den mecklenburgischen Großherzogtümern und in Kurhessen verboten und waren seine Mitglieder in anderen deutschen Staaten, insbesondere in Hessen-Darmstadt und in Hannover, behördlichen Schikanen ausgesetzt.
b) Die Bedeutung des preußischen Heeres- und Verfassungskonfliktes (1862–1866)
Heeresreform
Lückentheorie Bismarcks
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Nach der missglückten Mobilmachung während des oberitalienischen Krieges 1859 betrachtete Prinzregent Wilhelm die Reform des preußischen Heeres als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Das auf seine Weisung hin ausgearbeitete Reformprojekt des Kriegsministers Albrecht von Roon (1803–1879) sah die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des Heeres (von 150 000 auf 220 000 Mann), die Verstärkung der Linientruppen auf Kosten der Landwehr (Überführung von drei Landwehrjahrgängen in die Heeresreserve) sowie die Beibehaltung der dreijährigen Dienstzeit vor. Da dieser Plan von der liberaldemokratischen Mehrheit des preußischen Abgeordnetenhauses missbilligt wurde, kam es über seine Finanzierung zum Streit. Nach lediglich provisorischen Bewilligungen des preußischen Haushaltsplanes (1860/61 und 1861/62) verweigerte das Abgeordnetenhaus schließlich den Etat von 1862/63, da die Regierung nicht bereit war, auf seine Spezifikationen der Militärreorganisation einzugehen. Weder eine Regierungsumbildung (14. 3. 1862) noch Neuwahlen (6. 5. 1862) brachten eine politische Entspannung. Im Gegenteil, das Gewicht der oppositionellen Linksliberalen (Fortschrittspartei) verstärkte sich. Wilhelm I. dachte bereits an Abdankung. In dieser Situation entschloss sich der zum preußischen Ministerpräsidenten berufene Otto von Bismarck (22. 9. 1862), gestützt auf eine angebliche Verfassungslücke (die Verfassung habe den Fall eines Konflikts zwischen Parlament und Regierung um das Budget nicht vorgesehen) eine budgetlose Regierung zu führen, wodurch der Heereskonflikt vollends zum Verfassungskonflikt eskalierte. Nach erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Parlament wurde der Verfassungskonflikt erst nach einer Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im preußischen Abgeordnetenhaus zugunsten der Konservativen (Wahl vom 3. 7. 1866) infolge der militärischen Siege über Österreich durch die Annahme der Indemni-
Der Aufschwung der deutschen Nationalbewegung
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tätsvorlage (3. 9. 1866) beendet, die die budgetlose Regierung nachträglich sanktionierte. Der Konflikt spaltete das liberale Lager in Nationalliberale und Fortschrittspartei und domestizierte die Mehrheit der Liberalen (Nationalliberale) im Sinne von Regierung und Krone.
c) Der Deutsche Reformverein Abgesehen davon, dass der preußische Prinzregent dem Deutschen Nationalverein mit Misstrauen und Zurückhaltung begegnete, blieb diese beinahe bedingungslose Orientierung auf Preußen auch innerhalb der Nationalbewegung nicht unwidersprochen. Namentlich nach der Zuspitzung des Heeres- und Verfassungskonfliktes mit den Liberalen durch Bismarck und der in Österreich unter Anton von Schmerling (1805–1893) einsetzenden liberalen Reformperiode verstärkte sich für einige Zeit die Hinwendung einer starken Minderheit der Liberalen zur Habsburgermonarchie. Dies fand in der Gründung des Deutschen Reformvereins (28. 10. 1862) seinen sinnfälligen Ausdruck, dessen nicht sehr zahlreicher Anhang (bis zu 1500 Mitglieder) namentlich aus den deutschen Mittelstaaten (allein in München über 1000 Mitglieder) stammte und von großdeutsch-österreichischen Sympathien getragen wurde. Anders als dem Deutschen Nationalverein gelang es dem Reformverein nicht, eine feste Verbindung zwischen der Leitungsstruktur und der Vielzahl lokaler Vereine zu schaffen. Sein Ziel bestand in der Lösung der nationalen Frage unter Einschluss Österreichs durch eine Reform des Deutschen Bundes, insbesondere einer Stärkung seiner Exekutive. Deshalb unterstützte der Reformverein auch einen Antrag Österreichs, Bayerns, Sachsens, Hannovers, Württembergs, Kurhessens, Hessen-Darmstadts und Nassaus (14. 8. 1862), eine aus den einzelnen deutschen Ständekammern durch Delegation einzuberufende Versammlung zu bilden, die bei Gesetzentwürfen eine beratende Funktion erhalten sollte. Der Plan ließ sich in der Bundesversammlung nicht durchsetzen und wurde abgelehnt (22. 1. 1863). Mit dem Scheitern des österreichischen Bundesreformprojektes (vgl. Kap. V.2.c) am Widerstand Preußens im August 1863 verlor der Deutsche Reformverein vollends seinen staatlichen Projektionshintergrund und verschwand in der Bedeutungslosigkeit. Programm des Deutschen Reformvereins (28. 10. 1862) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 109 f.
Hinwendung zur Habsburgermonarchie
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1. Die Reform der Verfassung des Deutschen Bundes ist ein dringendes und unabweisliches Bedürfnis, sowohl um die Machtstellung nach außen als die Wohlfahrt und bürgerliche Freiheit im Innern kräftiger als bisher zu fördern. 2. Diese Reform muss allen deutschen Staaten das Verbleiben in der vollen Gemeinsamkeit möglich erhalten. 3. Sie findet ihren Abschluss nur in der Schaffung einer kräftigen Bundesexekutivgewalt mit einer nationalen Vertretung. 4. Als die nach den bestehenden Verhältnissen allein mögliche Form einer Bundesexekutivgewalt stellt sich eine konzentrierte kollegiale Exekutive mit richtiger Ausmessung des Stimmverhältnisses dar. (…) 7. Die Reform ist nur auf der Grundlage der bestehenden Bundesverfassung durch Vereinbarungen herbeizuführen. (…)
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 Die demokratische Strömung innerhalb der deutschen Nationalbewegung blieb dagegen marginal. Zwar hatte sie sich auf der Darmstädter Tagung im September 1865 unter der Losung „Keine preußische, keine österreichische Spitze“ nachdrücklich zu Wort gemeldet, sich aber nicht zu einer politischen Größenordnung hin entwickeln können. Schließlich sollte sich der gegenüber der zersplitterten und innerlich zerrissenen Nationalbewegung hinsichtlich Willen und Organisation weit überlegene preußische Staat für die Nationalstaatsbildung als ausschlaggebend erweisen.
2. Die Reformkonzepte Österreichs, der deutschen Mittelstaaten und Preußens a) Reformstau und „deutsche Frage“
Problemhintergrund der deutschen Frage
Mit dem Ende der 50er-Jahre war angesichts der offenbaren Überforderung des Deutschen Bundes die Frage nach einem zukünftigen Verfassungs- und Herrschaftsgefüge für die deutsche Nation erneut und unabweisbar in den Vordergrund getreten. Die öffentliche Meinung hatte sich dieses Problems immer wieder angenommen, ohne eines der vielen Projekte, die sich nun artikulierten, von vornherein zu bevorzugen. Die nunmehr angesprochene „deutsche Frage“ besaß äußerst widersprüchliche Konturen: Zum Ersten musste das Verhältnis von Verfassung und Herrschaft geklärt werden, in welchem Maße sich liberale Vorstellungen einbeziehen lassen würden, über welches Gewicht die Liberalen insgesamt verfügen sollten. Zum Zweiten war die Frage nach dem zukünftigen Platz Österreichs angesprochen. Ein Ausscheiden der Habsburgermonarchie hätte die werdende Nation geteilt, ihre Einbeziehung diese aber mit vielen zusätzlichen Problemfeldern belastet. Drittens war zu beantworten, ob die Neuordnung der deutschen Verhältnisse auf dem Wege einer Reform des Bundes geschehen konnte oder ob diese Möglichkeit aufgrund seiner inneren Struktur versperrt war? Schließlich musste viertens auch die Haltung der europäischen Großmächte beachtet werden, die wesentlich davon abhing, ob sich auf die deutschen Frage eine für Europa verträgliche Antwort finden ließ und wie die Interessen der anderen Großmächte beachtet würden.
b) Die deutschen Mittelstaaten
Bamberger Konferenz
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Im Gegensatz zu den beiden deutschen Vormächten, die eine machtpolitisch-hegemoniale Lösung der nationalen Frage ansteuerten, verfolgten die meisten mittelstaatlichen Regierungen einen rechtlich-föderativen Reformweg und bemühten sich, den Deutschen Bund als Rechtsbasis und Garantie für eine föderalistische Ordnung Deutschlands zu bewahren. Seit jeher hatte sich die „Trias“ gegen eine hegemoniale oder doppelhegemoniale Herrschaft im Deutschen Bund gewandt. Seit der „Bamberger Konferenz“ (Mai 1854), die einer Koordination ihrer Außenpolitik angesichts des preu-
Die Reformkonzepte Österreichs, der Mittelstaaten und Preußens ßisch-österreichischen Zusammengehens im Krimkrieg diente, setzten sich die führenden deutschen Mittelstaatsregierungen ebenso für eine föderative Reform des Deutschen Bundes und eine zaghafte Liberalisierung Deutschlands ein. Rückhalt fanden sie im liberal-konstitutionellen Reformlager. Doch Vorstöße in dieser Richtung scheiterten stets an der Obstruktion der beiden deutschen Vormächte, namentlich der Preußens, und an der Uneinigkeit der Mittelstaaten selbst. Die seit der Mitte der 1850er-Jahre in deren Lager ununterbrochen geführte Bundesreformdiskussion strebte mit der Ersten Würzburger Konferenz (November 1859) einem öffentlichkeitswirksamen Höhepunkt entgegen. Doch die daraus resultierenden Anträge (17. 12. 1859) gerieten, Vereinbarungsverfahren überantwortet und dazu in die Fachausschüsse des Bundestages verwiesen, schließlich in Vergessenheit. Als Wortführer der mittelstaatlichen Reformbemühungen hatten sich vor allem der sächsische Ministerpräsident Freiherr von Beust und sein bayerischer Kollege Freiherr von der Pfordten profiliert, deren Absicht darin bestand, die Bundeskompetenzen zu stärken, ohne die mittelstaatlichen Interessen einer zentralisierenden Nationalstaatsidee unterzuordnen. Gemessen an den Forderungen der Nationalbewegung war dieses politische Ziel nicht sonderlich attraktiv. Dazu traten interne Unstimmigkeiten: Während Beust einer paritätischen Führung des „Dritten Deutschlands“ anhing, befürwortete Pfordten eine bayerische Sonderstellung. So gelang es den Mittelstaaten nur zum Teil, eine über die interne Diskussion hinausreichende Wirkung zu entfalten. Bayerisches Verhandlungsprogramm für die Würzburger Konferenz (12. 11. 1859) Quelle: Gruner, Würzburger Konferenzen, S. 204 f.
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Würzburger Konferenz
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1. die Veröffentlichung der Verhandlungen der Bundesversammlung; 2. die Benutzung der Presse für die gemeinsamen Interessen und die Gewinnung oder Gründung eines gemeinschaftlichen Organs für diesen Zweck; 3. die Einrichtung eines Bundesgerichts; 4. die Förderung der Verhandlungen über die bereits beantragte Vereinbarung gemeinsamer Bestimmungen über das Heimatrecht, sowie bezüglich des Gerichtsstandes und der Vollziehung richterlicher Urteile, und eines Handelsgesetzbuches; 5. Herbeiführung einer übereinstimmenden Gesetzgebung über Zivil- und Kriminalrecht, wie über Zivil- und Kriminalprozess; 6. Einführung gleichen Maßes und Gewichtes; 7. Erwägung der Frage, ob die Konstituierung des s. g. Nationalvereins in Coburg nicht Gegenstand einer Dazwischenkunft des Bundes werden sollte? (…) 9. die bedenkliche Konstellation in den europäischen Angelegenheiten und deren mögliche Rückwirkung auf Deutschland.
Im Konnex mittelstaatlicher Reformpolitik besaß das Projekt des sächsischen Ministerpräsidenten von Beust (15. 10. 1861) einen besonderen Stellenwert. Es stellte eine „Resultante der Diskussion um eine Bundesreform seit 1849“ (Jonas Flöter) dar und versinnbildlichte zugleich das ungebrochene Streben der Mittelstaaten nach Mitsprache bei der künftigen Gestaltung Deutschlands. Beust, der zuvor Wien und die Regierungen der Mittelstaaten konsultiert hatte, visierte eine Aufwertung der Bundesexekutive an,
Beust-Projekt
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 ohne vom föderalen System abzugehen. Er schlug vor, den Bundestag aufzulösen und die Bundesversammlung in eine Ministerkonferenz umzuwandeln. Auf Vorstellungen der 50er-Jahre zurückgreifend, forderte er die Schaffung einer handlungsfähigen Bundesvollzugbehörde, die Einführung einer Bundesvolksvertretung sowie die Einrichtung eines Bundesgerichts. Sein Ziel bestand weiter darin, Bundesverfassung und einzelne Landesverfassungen anzugleichen. Als Moderator dieses Prozesses sollte der Bund in Erscheinung treten und so über das Ausmaß der föderalen Verbindung der deutschen Länder bestimmen. Preußen reagierte sofort mit einer brüsken Zurückweisung (20. 12. 1861), die mit der Drohung verbunden war, an die Unionspolitik anzuknüpfen und eine kleindeutsche Lösung im Verein mit der Nationalbewegung gegen den Deutschen Bund und gegen Österreich anzustreben. Da es zumindest fraglich ist, ob dieses sächsische, für eine trialistische Reformpolitik beispielhafte Projekt politisch durchsetzbar gewesen wäre, hat die Historiographie mehrheitlich vor allem dessen rückwärts gewandte Seiten betont. Beust habe die Einheit „mit den Fürsten und durch die Fürsten“ angestrebt. Die Vorbehalte Österreichs, die Skepsis der Mittelstaaten und die Ablehnung Preußens begleiteten sein Vorhaben von Anfang an und brachten es schließlich zu Fall. Aber obwohl sie liberale Wünsche nicht befriedigten, bildeten die Vorstellungen Beusts eine denkbare Alternative zu Versuchen, das deutschen Einheitsproblem auf hegemoniale Weise zu lösen.
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Friedrich Ferdinand von Beust, Nachtrag zur Bundesreform-Denkschrift vom Oktober 1861 Quelle: Das Staatsarchiv, Bd. 2, Nr. 176, S. 10–15. Wir haben es mit einer Reform der Bundesverfassung zu tun. Will man dieses Wort zu Ehren bringen, (…) so wird man sich vergegenwärtigen müssen, dass es nicht Aufgabe sein kann, das Bestehende über den Haufen zu werfen, und auf der Basis von Theorien, von Voraussetzungen und Wünschen ein neues Gebäude aufzuführen, sondern dass es darauf ankommt, das Bestehende umzubilden, ohne es in seiner Grundlage zu erschüttern. (…) Man muss daher vor allem den Charakter des Bestehenden ins Auge fassen, und (…) sich erinnern, dass der Deutsche Bund ein Staatenbund ist. Ein deutscher Bundesstaat ist mehrfach angestrebt worden, die Frage jedoch, ob es nun möglich sei, wird (…) schon durch die einfache Betrachtung verneint, dass der Bundesstaat gleichbedeutend ist mit der Auflösung des Bundes. (…) Ist der Staatenbund, dessen Bestehen Deutschland die schönsten Blüten seines inneren Kulturlebens, seiner Volkswirtschaft, seines materiellen Wohlstandes verdankt, vollkommen unfähig, den Anforderungen der nationalen Zusammengehörigkeit, der nationalen Machtentfaltung zu genügen? Gewiss nicht. Nur wolle man nicht mit einem Schlag erreichen, was das Werk mühsamen und beharrlichen Zusammenwirkens sein muss, dann aber auch gelingen wird.
Nach der Ablehnung des sächsischen Reformvorstoßes einigten sich Österreich und Bayern in einem geheimen Protokoll (22. 1. 1862) auf ein gemeinsames Vorgehen in der Bundesreformfrage. Sie wollten damit verhindern, dass Österreich aus dem entstehenden Staatsverband ausgeschlossen würde und sich die übrigen deutschen Fürsten einer preußischen Hegemonie unterzuordnen hätten. Sechs weitere deutsche Mittelstaaten (Württem-
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Die Reformkonzepte Österreichs, der Mittelstaaten und Preußens berg, Hannover, Hessen-Darmstadt, Nassau, Sachsen und Sachsen-Meiningen) traten dem Protokoll ebenfalls bei. Gemeinsam lehnten die acht Regierungen in identischen Noten (2. 2. 1862) den preußischen Reformplan (20. 12. 1861) ab, der deutlich an die 1850 gescheiterte Unionsverfassung anknüpfte. Die preußische Regierung wies ihrerseits diesen Schritt zurück (14. 2. 1862) und konnte dabei ungeachtet des sich anbahnenden Verfassungskonfliktes sogar auf die Unterstützung des liberal dominierten preußischen Abgeordnetenhauses zählen. Auch in der deutschen Öffentlichkeit wurde die Reformfrage lebhaft diskutiert. Dabei bildete sich eine zunehmende Polarisierung zwischen den Anhängern des großdeutsch eingestellten Deutschen Reformvereins und denen des preußisch orientierten Deutschen Nationalvereins heraus. So bekannte sich der deutsche Katholikentag in Aachen (10. 9. 1862) neben den konfessionspolitischen Prinzipien auch zu einer uneingeschränkten Zugehörigkeit der Habsburgermonarchie zur deutschen Nation. Dagegen beharrte der aus allen deutschen Landtagen in Frankfurt a. M. gebildete deutsche Abgeordnetentag auf der Herstellung der bundesstaatlichen Einheit Deutschlands und einem aus freien Wahlen hervorgehenden deutschen Parlament. Falls sich der Zugehörigkeit der deutschen Gebiete Österreichs Widerstände in den Weg legen sollten, wäre der Bundesstaat – nach dem Muster von 1848/49 – eben unter Ausschluss Österreichs anzuvisieren. Eine ganz offen kleindeutsche Lösung propagierte der Deutsche Nationalverein, indem er sich am 6.10.1862 vollends für die Ausführung der Reichsverfassung vom 28. 3. 1848 aussprach.
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Polarisierung
c) Österreich Nach Jahrzehnten der strikten Beharrung in der Deutschlandpolitik bemühte sich Österreich, die Erfahrungen von 1859 in Rechnung stellend und durch die innere Liberalisierung vorbereitet, die Handlungsfähigkeit des Bundes in seiner föderalistisch-staatenbündischen Gestalt durch Stärkung der bundesstaatlichen Elemente sowie der Exekutivmöglichkeiten zu verbessern. Kaiser Franz Joseph I. war zu diesem Schritt von der deutschen Nationalbewegung gedrängt worden. Bereits 1862 hatte er anlässlich der Eröffnung des deutschen Juristentages in Wien großdeutsche Akzente gesetzt: „Ich bin vor allem Österreicher, aber entschieden deutsch und wünsche den innigsten Anschluss Österreichs an Deutschland.“ Wenn Wien seine Führungsrolle im Bund gegenüber Preußen verteidigen wollte, musste es der Nationalbewegung entgegenkommen. Als zentrale Bundesorgane sah der österreichische Vorschlag ein aus den Vertretern Österreichs, Preußens und Bayerns sowie aus zwei turnusmäßig wechselnden Mitgliedern bestehendes Direktorium vor, daneben eine Fürstenversammlung sowie ein indirekt gewähltes Bundesparlament. Umfassender als 1815 sollten die Aufgaben des reformierten Deutschen Bundes sein: nicht allein die Aufrechterhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands, sondern auch die „Wahrung der Machtstellung Deutschlands“ nach außen sowie der „Schutz der öffentlichen Ordnung“ und die Förderung der
Bundesreformprojekt
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Fürstentag scheitert
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„Wohlfahrt der deutschen Nation“. Hier lagen Ansatzpunkte, die einen Ausbau des Deutschen Bundes zu einem Bundesstaat offen ließen. Indes sah der österreichische Entwurf vom 31. 7. 1863 (s. Quelle), der zusammen mit den Einladungsschreiben zu dem für den 16. 8. berufenen Frankfurter Fürstentag überreicht wurde, keine direkt gewählte Volksvertretung vor und entsprach damit nicht den Vorstellungen einer Mehrheit innerhalb der Nationalbewegung. Auch hatte Wien der preußischen Forderung nach Gleichberechtigung erneut nicht nachgegeben. Zudem war die österreichische Initiative von Franz Joseph I. in einer Form eingebracht worden, die an Überrumpelung erinnerte. Sie scheiterte am Widerstand Bismarcks, dem es gelang, König Wilhelm I. gegen seine innere Überzeugung zum Fernbleiben und zur Ablehnung (4. 8. 1863) zu verpflichten. Wilhelm I. befand sich in Gesellschaft seiner Frau und seiner Tochter sowie unter Beobachtung Bismarcks zur Nachkur in Baden-Baden, als ihn der sächsische König Johann (1801–1873) in Begleitung seines Ministerpräsidenten Ferdinand von Beust persönlich aufsuchte (19./20. 8. 1863), um ihn zu überreden, doch noch nach Frankfurt zu kommen. Bereit zum Nachgeben, wurde der Hohenzollernkönig von Bismarck wieder massiv unter Druck gesetzt und schließlich zur Ablehnung auch dieser Einladung genötigt. Mit dem Scheitern des österreichischen Reformprojektes war der Wirksamkeit des hinter ihm stehenden „Deutschen Reformvereins“ von 1862 der Boden entzogen worden. Die österreichische Deutschlandpolitik geriet nun in eine Sackgasse, aus der sie bis 1866 nicht mehr herausfand. Österreichische Denkschrift zur Bundesreform (31. 7. 1863) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 135–139 I. (…) Seit langem sind die Bundesverträge von 1815 und 1820 in ihren Fundamenten erschüttert. (…) Die kaiserliche Regierung ist mit festem Willen, wenn auch mit jener äußersten Vorsicht, die ihren Grundsätzen und Traditionen entspricht, an die Frage der Ausbildung der Bundesverfassung und besonders an die schwierige Aufgabe, die gesetzgebende Gewalt des Bundes zu organisieren, herangetreten. (…) II. Österreichs Reorganisationsvorschläge können nur auf dem mit voller Klarheit und Entschiedenheit festgehaltenen Föderativprinzip beruhen. (…) Die Grundlinien für ihren Reformplan sind somit bereits gezeichnet. Sie wird die Errichtung eines Bundesdirektoriums und die periodische Einberufung einer Versammlung von Abgeordneten der Vertretungskörper der Einzelstaaten in Vorschlag bringen. Nicht verkennend, dass es starker Gegengewichte bedarf, um gegenüber dieser letzteren Einrichtung das monarchische Prinzip und die berechtigte Selbständigkeit der Einzelstaaten gegen mögliche Übergriffe sicher zu stellen, neigt sie sich zugleich zu dem Gedanken, dass die beste Garantie dieser Art und ein wertvolles Mittel zur Wahrung der fürstlichen Rechte und der hohen Stellung der deutschen Dynastien in periodischen persönlichen Vereinigungen der Souveräne Deutschlands gefunden werden könnte. Auf den Vorschlag der Errichtung eines Bundesgerichts endlich wird sie unter den angemessenen Modifikationen gleichfalls zurückkommen. (…) III. Ohne Preußens bundesfreundliche Mitwirkung gibt es für die Aufgabe der Reorganisation des Bundes keinen definitiven Abschluss. (…) Preußens Wille kann daher die Reform der Gesamtverfassung Deutschlands faktisch und rechtlich hindern. (…) Preußens Veto hat jedenfalls diese verneinende Kraft. Wird es eingelegt, so kann sich der Bund in seiner Gesamtheit nicht aus seinem gegenwärtigen tiefen Verfalle erheben.
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Die Reformkonzepte Österreichs, der Mittelstaaten und Preußens
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d) Preußen Es ist fraglich, ob Preußen überhaupt ein Konzept zur Reform des Deutschen Bundes besaß oder ob es nicht vielmehr die Zerstörung des Bundes und seine Umwandlung in einen Bundesstaat anstrebte. Da die preußischen Veränderungswünsche für den Bund stets die Existenzfrage aufwarfen, wurden sie im Lager der Mittelstaaten und Österreichs vielfach als destruktiv bewertet. Preußens Interesse galt einer dualistischen Hegemonie im Deutschen Bund, die es gemeinsam mit Österreich ausfüllen wollte. Dazu forderte es gegenüber Wien Gleichberechtigung: einen abwechselnden Vorsitz (Alternat) im Präsidium des Bundes, ein beiderseitiges Vetorecht im Frankfurter Bundestag, die Wiederaufnahme der Vorverständigungspraxis mit Wien zur politischen Lahmlegung der deutschen Mittel- und Kleinstaaten, eine durchgreifende Reform der Bundeskriegsverfassung durch ihre Anpassung an die veränderte sicherheitspolitische Lage Europas sowie eine Einflussteilung mit Österreich an der Mainlinie, also freie Hand im Norden Deutschlands. Dieser Forderungskatalog hatte sich in Ansätzen bereits auf der Dresdener Konferenz abgezeichnet und war danach immer wieder erhoben worden. Seit 1862 wurde er unter Bismarck lediglich zugespitzt und ergänzt. Indem Bismarck die Forderung nach einem frei gewählten deutschen Parlament hinzufügte, mobilisierte er das Potenzial der deutschen Liberalen. Gleichzeitig vertrat er die Auffassung, dass sich die von ihm angestrebte kleindeutsche Einigung nur im Konflikt mit Österreich durchsetzen lassen würde, wobei die Gradationsstufen der Auseinandersetzung der politischen Lage anzupassen waren. Obwohl sich Wien und Berlin nach 1859 auf der Basis der Vorverständigung wieder angenähert hatten und Preußen im Teplitzer Geheimvertrag (26. 7. 1860) sogar eine Beistandsverpflichtung für den Fall eines italienischen oder französischen Angriffs mit dem Ziel der Wegname Venetiens eingegangen war, weigerte sich Wien strikt, Preußen durch Eingehen auf dessen Alternatsforderung eine machtpolitische Aufwertung im Bund zuzugestehen. Damit wurde die Chance vertan, den Dualismus beider Großmächte auf der Grundlage einer Abgrenzung ihrer Einflusssphären und einer gemeinsamen, von antifranzösischen Bedrohungsgefühlen getragenen außenpolitischen Linie zu überwinden. An energischer Zurückweisung aus Wien (6. 4. 1861) scheiterte kurz darauf ein weiterer Versuch, im Entwurf einer Defensivallianz (31. 3. 1861) das Alternat im Gegenzug für eine preußische Verteidigungsgarantie des gesamten österreichischen Staatsgebietes durchzusetzen. Preußen hatte im Gegenzug den österreichischen Reformvorstoß zu Fall gebracht (August 1863). Als die in Frankfurt versammelten Fürsten daraufhin eine „Reformakte des Deutschen Bundes“ verabschiedeten (1. 9. 1863), die vom österreichischen Vorschlag nur unwesentlich abwich, und den preußischen König einluden, ihr beizutreten, bekundete das offizielle Berlin erneut sein Widerstreben. Ohne sich mit dem Plan einer umfassenden Bundesreform überhaupt nur zu befassen, die den Bund als Institution erhielt und entwickelte, verlangte der preußische Bundesgesandte die Ein-
Preußische Reformvorstellung
Reform oder Zerstörung des Bundes
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Teplitzer Geheimvertrag zwischen Österreich und Preußen (26. 7. 1860) Quelle: Srbik, Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859–66, Bd. 1, 1934, Nr. 239 1. Als Grundlage unserer künftigen Handlungen in der großen Politik gilt der Grundsatz, dass Österreich und Preußen den uns gemeinschaftlich drohenden Gefahren gemeinschaftlich entgegentreten wollen. 2. Wir haben uns daher dahin verständigt, dass ein Angriff Frankreichs auf unsere Staaten unseren gemeinschaftlichen Widerstand nach sich zieht. 3. Sollte Frankreich, sei es durch Anwendung des allgemeinen Stimmrechtes, den Versuch machen, Belgien oder Teile des schweizerischen Gebietes und Hollands sich einzuverleiben, so würden Österreich und Preußen einem solchen Unternehmen vereint, nötigenfalls mit gewaffneter Hand, sich widersetzen. 4. Bei einem Angriffe Sardiniens auf Österreich wird Preußen ersterem Staate die bestimmte Erklärung abgeben, dass die Verletzung des deutschen Gebietes einer Kriegserklärung gegen Deutschland gleichbedeutend sei, wovon der Bundestag sofort Kenntnis erhielte. Die Entsendung deutscher Truppen, um österreichisches Gebiet durch eine Aufstellung an dessen deutsch-italienischen Grenzen zu sichern, erscheint untunlich (…) zu 4. (Gegenbemerkung Franz Josephs I.) In unserer Unterredung bin ich von dem Begehren abgegangen, dass bei einem Angriffe Sardiniens auf das Venezianische sofort Bundestruppen zum Schutze der deutsch-italienischen Grenzen aufgestellt würden, allein ich glaubte stattdessen vorschlagen zu können, dass ein Bundesobservationskorps aufgestellt werden sollte, um die der sardinischen Regierung zu machende Erklärung zu unterstützen. (…) 5. Die Verständigung zwischen Preußen und Österreich über die in einem Kriegsfalle zu ergreifenden strategischen Maßregeln sowie über die Armeeeinteilung und das Kommando der Armeen bleibt einer Verabredung vorbehalten, bei der in letzterer Beziehung die Stipulationen des Jahres 1840 maßgebend sein sollen. (…) 8. In der schleswig-holsteinischen Angelegenheit wird Österreich die preußische Politik nach Kräften unterstützen. (…)
richtung einer Bundeszentralgewalt und die gleichzeitige Einführung eines nach Kopfzahl gewählten Bundesparlamentes (5. 9. 1863), das als Gegengewicht zur Bundesexekutive gedacht war und eine beratende Funktion erhalten sollte. Damit war die Zerstörung des Bundes anvisiert. Zudem antwortete das preußische Staatsministerium noch einmal mit der expliziten Formulierung von drei Mindestforderungen, ohne die eine Annahme von Reformvorschlägen unmöglich wäre (15. 9. 1863): ein Vetorecht für jede der beiden Großmächte bei Kriegserklärungen, eine paritätische Besetzung des Bundesvorsitzes und die Berufung einer direkt gewählten Nationalversammlung. Zwar waren einige deutsche Staaten nun zu Zugeständnissen gegenüber Berlin bereit, doch die Uneinigkeit der Anhänger der Reformakte trat bald zutage (23./24. 10. 1863 Nürnberger Ministerialkonferenz) und ließ ihre Front aufbrechen. Schließlich lehnte Österreich die preußischen Forderungen direkt ab (30. 10. 1863). Gewiss kam machtstaatlichen Ambitionen und europäischen Rücksichten in der preußischen Deutschlandpolitik ein bedeutendes Gewicht zu. Und obwohl Bismarcks Vorgehen auch den Konflikt mit den Liberalen einschloss, schienen doch die am nationalen Selbstbestimmungsrecht orien-
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tierten Vorstellungen der deutschen Nationalbewegung von Berlin noch am wirksamsten vertreten zu werden. Da die Spielregeln des Zusammengehens mit der Nationalbewegung jedoch in Berlin bestimmt wurden, bezogen die Protagonisten des Deutschen Nationalvereins in ihrer Kritik am österreichischen Reformprojekt (16. 10. 1863) bald auch die preußische Seite mit ein, der sie Inkonsequenz und Verschleppung anlasteten (s. Quelle). So entfremdete sich Berlin einerseits zunehmend von der deutschen Nationalbewegung und geriet andererseits unter Druck, im sich anbahnenden Konflikt mit Wien und den deutschen Mittelstaaten das Repertoire seiner Bundespolitik zu radikalisieren und zu ergänzen. Für den Fall der sich immer deutlicher abzeichnenden Blockierung der eigenen Vorstellungen schlug Preußen nunmehr – wie durch Bismarck seit 1851 praktiziert – den Weg der Lähmung oder notfalls Sprengung des Bundes ein. Resolution des Deutschen Nationalvereins (16. 10. 1863) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 160
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Die von Österreich vorgelegte und auf dem Fürstentage zu Frankfurt beratene Reformakte genügt in keiner Weise den Ansprüchen der Nation auf Einheit und Freiheit. Sie gefährdet die freiheitliche Entwicklung und selbst die konstitutionellen Grundlagen in den Einzelstaaten, vorzugsweise durch die Erweiterung der Bundespolizei, die Bestimmungen über die Fürstenversammlung, die Zusammensetzung und Kompetenz des Bundesgerichts und die Delegiertenversammlung. (…) Die Durchführung dieser Reformakte wäre kein weiterer Schritt zur Einheit. Sie ist daher von der Nationalpartei mit aller Entschiedenheit zu bekämpfen. Nicht minder unzureichend sind die preußischen Gegenvorschläge, wenn sie von einer solchen Regierung überhaupt ernstlich gemeint sein können. Die Nationalpartei hält fest an der Reichsverfassung (von 1849, d. Verf.). Ihr Ziel ist und bleibt die Herstellung eines wahren Bundesstaates. Nie wird sie den Rechtsboden der Nation preisgeben. Nur das deutsche Volk selbst in einem freigewählten Parlament kann über sein Verfassungsrecht entscheiden.
3. Der deutsch-dänische Konflikt 1863/64 a) Die Schleswig-Holstein-Frage, Europa und der Deutsche Bund Nach der Ablehnung des österreichischen Reformprojektes und den ihm nachklingenden bundespolitischen Querelen ergab sich 1863 letztmalig die Chance einer preußisch-österreichischen Zusammenarbeit und der Rückkehr zu einer doppelhegemonialen Leitung des Deutschen Bundes. Den äußeren Anlass hierfür bildete der Konflikt um Schleswig-Holstein, der nach der Verabschiedung einer dänischen Gesamtstaatsverfassung (18. 11. 1863) erneut eskaliert war. Die von den „Eiderdänen“ initiierte und von König Christian IX. (1818–1906) erlassene Verfassung bezweckte die nationale Abgrenzung von Dänen und Deutschen durch die Separation der beiden Elbherzogtümer Schleswig und Holstein sowie die Einverleibung Schleswigs in den dänischen Staatsverband. Dies hätte bedeutet, dass ein überwiegend von Deutschen besiedeltes Herzogtum vom entstehenden
Dänische Gesamtstaatsverfassung
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 deutschen Nationalverband dauerhaft getrennt worden wäre. Außerdem verstieß Christian mit diesem Schritt gegen europäisches Vertragsrecht, war doch im 2. Londoner Protokoll noch einmal der seit dem Ripener Vertrag (1460) gültige Grundsatz der Untrennbarkeit beider Herzogtümer („up ewig ungedeelt“) festgeschrieben worden.
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Haltung der europäischen Großmächte
Bundesversammlung unter dem Druck der Nationalbewegung
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2. Londoner Protokoll (8. 5. 1852) Mit diesem Protokoll fanden die Großmächteinteressen in Bezug auf Dänemark und die Sicherung der Durchfahrt zwischen Nord- und Ostsee einen mühsam ausbalancierten Kompromiss. Vor allem wurde die Unteilbarkeit der dänischen Monarchie unter der Glücksburger Linie bei Thronverzicht des deutschgesinnten Hauses Augustenburg festgelegt. Zwar sahen die Londoner Bestimmungen eine Sonderstellung für Schleswig-Holstein vor, diese blieb aber völkerrechtlich umstritten. Das Protokoll wurde von Österreich und Preußen, nicht aber vom Deutschen Bund unterschrieben.
Und so rief die dänische Initiative nicht nur die deutsche Nationalbewegung auf den Plan, die ebenso vertragswidrig eine Loslösung SchleswigHolsteins von Dänemark zugunsten des Deutschen Bundes und einen Dynastiewechsel in Dänemark zum Vorteil der Augustenburger forderte. Ebenso waren die Garantiemächte des Londoner Protokolls, unter ihnen Österreich und Preußen, angesprochen. Doch anders als 1852 dominierten nunmehr nationale Interessen. Großbritannien war zwischen pro- und antidänischer Ausrichtung gespalten. Zwar setzte Lord Palmerston auf bewaffnete Vermittlung zugunsten Kopenhagens, vermochte sich aber gegen Queen Victoria (1819–1901) und das hinter ihr stehende Regierungsestablishment nicht durchzusetzen. Auch Russland, das in der dänischen Frage bis 1852 immer sehr aktiv gewesen war, zeigte sich nun wenig entschlossen. Ministerpräsident und Außenminister Alexander Fürst Gortschakow hielt sich zurück und nahm aus Dankbarkeit für die preußische Unterstützung während des polnischen Aufstandes 1863 (Abschluss einer russischpreußischen Militärkonvention am 8. 2. 1863) eine Berlin begünstigende Haltung ein. Sogar Frankreich, das sich durch die vermehrte preußisch-russische Zusammenarbeit in die Isolation gedrängt sah, zeigte kein besonderes Interesse an Dänemark. Napoleon III. schien sogar mit einer Annexion Schleswig-Holsteins einverstanden, sofern sich dadurch nach dem lange erwarteten Ableben des belgischen Königs Leopold I. (1790–1865) die Möglichkeit territorialer Kompensationen in der Luxemburgfrage eröffnete. Insgesamt trug die Haltung der Großmächte dazu bei, den Spielraum der deutschen Vormächte in der dänischen Frage gegenüber dem Deutschen Bund zu vergrößern. Die Bundesversammlung in Frankfurt a. M. fühlte sich mehrheitlich direkt berührt, da Holstein zum Bund gehörte und von Schleswig nicht getrennt werden sollte. Vor dem Hintergrund der aufgeregten nationalen Bewegung in beiden Herzogtümern hofften einige Mittel- und Kleinstaaten, Schleswig-Holstein dem entstehenden deutschen Nationalverband komplett angliedern und damit einen neuen Mittelstaat als zusätzliches Gewicht gegen die preußischen Hegemonialbestrebungen in Norddeutschland etablieren zu können. Österreich und Preußen beharrten in ihrer gemeinsamen Erklärung zur dänischen Frage (28. 11. 1863) gegen die öf-
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fentliche Meinung auf Bestimmungen des Londoner Protokolls und beabsichtigten, Kopenhagen zu deren Einhaltung zu zwingen.
b) Bundesexekution gegen Holstein Bereits unmittelbar nach der dänischen Ankündigung, die Sezession Holsteins aus dem Deutschen Bund vornehmen zu wollen, hatte die Bundesversammlung am 1. 10. 1863 mehrheitlich eine Bundesexekution gegen das zur dänischen Krone zählende Holstein in Gang gesetzt, deren Vollzug am 7. 12. ausgesprochen wurde. Die militärische Durchführung oblag einem sächsisch-hannoveranischen Bundeskontingent, als Reserve wurden preußische und österreichische Truppen in Bereitschaft gehalten. Nach dem Verstreichen einer siebenwöchigen Frist rückten die Truppen am 23. 12. 1863 in Holstein ein und besetzten innerhalb einer Woche die Eiderlinie mit Ausnahme der Festung Rendsburg. Den unter dem Befehl des sächsischen Generalleutnants Heinrich von Hake (1797–1877) stehenden Truppen waren die zivilen Bundeskommissare Hans Graf von Könneritz (1820–1911) und Ferdinand Nieper (1812–1879) gefolgt, die Holstein und Lauenburg der vom Bund geforderten Zwangsverwaltung unterstellten. Da der Bund mit der militärischen Besetzung der Eiderlinie dem europäischen Vertragsrecht nicht vollständig Geltung verschafft hatte, das die Untrennbarkeit der Elbherzogtümer vorsah, stellte sich die Frage nach völkerrechtlichen Zwangsmitteln, die über das Bundesgebiet hinausreichten. Mit der nunmehr in Reichweite liegenden Erklärung eines Bundeskrieges aber verbanden die den Bund konstituierenden Staaten sehr unterschiedliche Erwartungen. Während Österreich und Preußen für eine „Pfandbesetzung“ Schleswigs plädierten, um Christian IX. zum Einlenken zu zwingen, neigten die deutschen Mittelstaaten zur Einverleibung Schleswigs.
c) Preußisch-österreichische Pfandbesetzung Ohne Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag einigten sich Wien und Berlin Ende Dezember 1863 darauf, ihrer dem europäischen Vertragsrecht folgenden politischen Linie entsprechend vorzugehen. Den gemeinsamen Antrag beider auf Pfandbesetzung Schleswigs (28. 12. 1863) lehnte die Bundesversammlung (14. 1. 1864) ab, woraufhin beide erklärten, nunmehr eigenmächtig vorgehen zu wollen. Bereits am 16. 1. hatten sie letztmalig die dänische Regierung aufgefordert, binnen 48 Stunden die Novemberverfassung aufzuheben. Nach der Ablehnung aus Kopenhagen rückten österreichisch-preußische Truppen unter dem Befehl des preußischen Generalfeldmarschalls Heinrich Ernst von Wrangel (1784–1877) am 21. 1. in Holstein ein und überschritten am 1. 2. die Eider. Dies geschah gegen den Protest und letztendlich wirkungslosen Widerstand der deutschen Mittelstaaten und des preußischen Abgeordnetenhauses. Doch während der österreichische Ministerpräsident Bernhard Graf von Rechberg
Konflikt zwischen Bundesversammlung und Vormächten
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Fall der Düppeler Schanzen
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(1806–1899) die Integrität des dänischen Gesamtstaates zu respektieren suchte, hatte sich Bismarck die Handlungsfreiheit Preußens vorbehalten und damit annexionistische Ziele nicht mehr ausgeschlossen. Wie vorauszusehen, gelang es den Verbündeten rasch, Schleswig bis auf Düppel und Alsen zu besetzen. Während in Holstein die Zivilverwaltung des Bundes zunächst bestehen blieb, installierten beide Mächte in Schleswig eine Besatzungsverwaltung unter dem österreichischen Offizier und Diplomat Friedrich Graf Revertera von Salandra (1827–1904) und dem preußischen Verwaltungsbeamten Konstantin Freiherr von Zedlitz-Neukirch (1813– 1889). Proteste und offener Widerstand der deutschen Mittelstaaten begleitete das Vorgehen der beiden deutschen Vormächte gegen Dänemark. Bayern und Sachsen hatten den Bahntransport österreichischer Truppen durch ihr Gebiet untersagt, so dass die Züge über Breslau und Berlin geleitet werden mussten. Nach dem Einrücken der verbündeten Österreicher und Preußen in Holstein wollte ihnen General von Hake gewaltsam entgegentreten, musste sich aber der Bundesversammlung beugen, die ihm befahl, die Truppen unbehelligt passieren zu lassen (22. 1. 1864). Nachdem es zwischen den in Rendsburg stationierten Bundestruppen und preußischem Militär zu Zwischenfällen gekommen war, ließ Preußen die Festung kurzerhand besetzen (21. 7. 1864). Auch dieses Mal beschränkten sich die deutschen Mittelstaaten auf Proteste in der Bundesversammlung und zogen das sächsisch-hannoveranische Kontingent zurück. Unterdessen bemühte sich die Londoner Konferenz (25. 4.– 25. 6. 1864) um eine politische Lösung und die Wiederherstellung des Friedens. Erstund letztmalig auf einer Konferenz der europäischen Großmächte war auch der Deutsche Bund vertreten, dessen Gesandter Friedrich Ferdinand von Beust auf Einladung des britischen Gesandten beim Bundestag, Alexander Charles Malet (1800–86), nach London reiste, um dort im Einklang mit den Forderungen der deutschen Nationalbewegung und der meisten deutschen Mittelstaaten die Ablösung der in Dänemark regierenden Glücksburger durch die Augustenburger zu empfehlen. Da sich Kopenhagen in der illusionären Hoffnung auf Intervention der Großmächte weigerte, den österreichisch-preußischen Vorschlag einer Verbindung der Herzogtümer in Personalunion mit Dänemark zu akzeptieren und mit dem Sturm auf die Düppeler Schanzen (18. 4. 1864) sowie der Besetzung Jütlands (30. 4. 1864) vollendete militärische Tatsachen geschaffen worden waren, ließen die Vertreter der Großmächte die Integrität des dänischen Gesamtstaates bald als Verhandlungsziel fallen. Nach Verstreichen eines befristeten Waffenstillstandes (12. 5.–26. 6. 1864) rückte Bismarck endlich mit Annexionsforderungen heraus, wobei ihn Napoleon III. in Hoffnung auf Kompensationen unterstützte. Im militärischen Ringen waren die Würfel mit der Eroberung Alsens (29. 6. 1864) unwiderruflich gefallen. Dänemark ersuchte um einen definitiven Waffenstillstand (12. 7. 1864) und verzichtete im Präliminarfrieden (1. 8. 1864) sowie im Frieden von Wien (30. 10. 1864) zugunsten Österreichs und Preußens auf alle Ansprüche an Schleswig, Holstein und Lauenburg. Als Ausgleich für dänische Sprachinseln in Schleswig erhielt es die Insel Aero, das Gebiet südlich von Ripen, Kolding und einen südlich angrenzenden Landstrich.
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d) Die Folgen des Wiener Friedens für den Deutschen Bund und die Nationalbewegung Der Deutsche Bund war beim Friedensschluss ausgeschlossen, seine Forderung nach der augustenburgischen Thronfolge ungehört geblieben. Damit war erneut der Beweis seiner geringen außenpolitischen Mitwirkungsmöglichkeiten erbacht. Viel schwerer aber wog die Tatsache der Rückkehr beider deutscher Vormächte zu einer doppelhegemonialen Leitung der Bundesangelegenheiten unter Brüskierung des Nationalwillens. In der Komplizenschaft mit Preußen erkannten die Exponenten der deutschen Nationalbewegung, namentlich des abbröckelnden, proösterreichisch eingestellten Deutschen Reformvereins, eine bundeswidrige und prinzipienlose Politik Wiens. Der Deutsche Bund schien nurmehr zur leeren Hülle degeneriert, Reformhoffnungen begleiteten ihn kaum mehr. Österreich, das durch sein Bundesreformprojekt ein Jahr zuvor einige Sympathien gewonnen hatte, war nun in ihren Augen, aber auch in denen der Mittelstaaten diskreditiert. Der Reformverein geriet vollends ins politische Abseits und zerfiel. Aber auch Preußen hatte jeden nationalpolitischen Kredit verloren. Angesichts der die nationalen Befindlichkeiten mit Füßen tretenden Politik Berlins hatte der Deutsche Nationalverein ein eigenes Programm formuliert und sich sogar mit Anhängern des schwindenden Reformvereins verbündet. Von moralischen Eroberungen in Deutschland, wie sie zu Beginn der liberalen Ära 1859 vom offiziellen Preußen verkündet worden waren, war kaum mehr etwas zu spüren. Am Vorabend der Entscheidung von 1866 überwog auch bei den maßgeblichen Exponenten der deutschen Nationalbewegung Distanz gegenüber der einstmals proklamierten nationalen Sendung Preußens. Stattdessen sollte ein allgemeines deutsches Parlament frei und selbständig über die künftigen Träger der deutschen Zentralgewalt befinden. Das war eine klare Absage an Preußen. In diesem Augenblick erwies sich die in Willen und Organisation weit überlegene Macht des preußischen Staates als maßgebend. Mit der gewaltsam durchgesetzten Bismarck’schen Reichsgründung hörte die deutsche Nationalbewegung auf zu existieren, sie war nunmehr keine „von unten“ wirkende politische Kraft mehr.
Widerspruch zwischen deutschen Vormächten und Nationalbewegung
e) Vom „Schönbrunner Entwurf“ zur „Konvention von Gastein“ Nach dem Wiener Präliminarfrieden hatten in Schönbrunn Verhandlungen zwischen Bismarck und Rechberg stattgefunden (22.–24. 8. 1864), in deren Verlauf ein umfassender machtpolitischer Ausgleich zwischen Österreich und Preußen auf der Basis einer mitteleuropäischen Einfluss- und Herrschaftsteilung diskutiert wurde (s. Quelle). Während Preußen die drei neu gewonnenen Herzogtümer komplett annektieren wollte, um zur dominierenden Macht im nordmitteleuropäischen Raum aufzusteigen, sagte es Österreich im Gegenzug Hilfe bei der Wiedergewinnung der Lombardei
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Preußischösterreichischer Ausgleichsversuch
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und der Wiederherstellung der habsburgischen Herrschaft in der Toskana zu. Damit hätte Wien seine südmitteleuropäische Position wiederhergestellt. Ein solches Kompensationsgeschäft visierte die Zerstörung des eben gegründeten italienischen Königreiches an und war nur im Krieg gegen Frankreich durchzusetzen. Die äußere Frontstellung der beiden deutschen Vormächte wäre somit zum Kitt für die Fortexistenz ihrer dualistischen Hegemonie im Deutschen Bund geworden. Doch anders als Bismarck und Rechberg winkten die beiden beteiligten Monarchen ab. Franz Joseph I. wollte Kompensationen lieber in Deutschland, um seine Position im Bund nicht zu gefährden. Rechberg brachte nun Hohenzollern, Schlesien und die Grafschaft Glatz ins Spiel, worauf der preußische Prinzregent nicht einging. Sichere Gewinne für Preußen im Norden Deutschlands, noch dazu auf dem Boden des kleindeutschen Nationalbewussteins, gegen unsichere Gewinne für Österreich in Italien im Kampf gegen Frankreich und die italienische Nationalbewegung ließen die zukünftigen Konflikte dieses asymmetrischen Angebotes deutlich werden. Mit Blick auf den Deutschen Bund markierte der Schönbrunner Entwurf jedenfalls den Verzicht auf dessen föderative Struktur sowie auf den mittelstaatlichen Anhang der Habsburgermonarchie zugunsten einer aus Deutschland bereits hinausführenden Allianzbindung mit Preußen (Heinrich Lutz). Eine Allianz dieser Art wurde in modifizierter Form und mit nach Südosteuropa veränderter Stoßrichtung erst nach der Gründung des Deutschen Reiches (1871) in Gestalt des deutsch-österreichisch-ungarischen Zweibundes (1879–1918) realisiert. Konvention von Schönbrunn, Entwurf eines österreichisch-preußischen Vertrages über Schleswig, Holstein, Lauenburg und die Lombardei (24. 8. 1864) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, 203 f. 1. Die beiden (…) Höfe werden gemeinschaftlich darüber wachen, dass die Souveränitätsfrage in den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauenburg (…) solange offen gehalten werde, bis (…) die beiden Höfe einen definitiven Beschluss für hinreichend vorbereitet halten werden. (…) 3. Wenn vor der definitiven Verfügung über die Herzogtümer anderweitige, die Besitzverhältnisse der Großmächte berührende Verwicklungen entstünden, so würde der königl. preußische Hof sich mit dem kaiserl. österreichischen zu dem Zwecke verbinden, um nicht nur die Ausführung des Friedensvertrages von Zürich, sondern auch die Wiedergewinnung der Lombardei mit dem österreichischen Kaiserstaate durchzusetzen. Der kaiserl. österreichische Hof seinerseits würde im Falle der Erreichung dieses Zweckes auf seinen Anteil an den von der Krone Dänemark an Österreich und Preußen abgetretenen Rechten auf Schleswig, Holstein und Lauenburg zugunsten Preußens verzichten und zur Vereinigung der drei genannten Herzogtümer mit der preußischen Monarchie seine Zustimmung erteilen. 4. Damit das Machtverhältnis zwischen Österreich und Preußen im Deutschen Bund (…) keine Veränderung erleide, ist die Verabredung getroffen, dass in diesem Falle das deutsche Bundesgebiet Österreichs durch Einbeziehung einiger seither nicht zum Territorium des Bundes gehöriger, dem Gebietszuwachs Preußens an Bevölkerung gleichstehender österreichischer Gebietsteile vergrößert werden soll.
Das Scheitern des Versuchs hinterließ einen eigentümlichen Spannungszustand im Verhältnis beider Mächte, der durch verschiedene Anläufe
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Der deutsch-dänische Konflikt 1863/64 zu einem erneuten Ausgleich einerseits und beginnende außenpolitische Sondierungen in Richtung Frankreich andererseits gekennzeichnet war. Schließlich suchten beide Seiten in Verhandlungen noch einmal den Kompromiss, um dem sich abzeichnenden Konflikt aus dem Wege zu gehen. Am 14. 8. 1865 kam es in Bad Gastein zu einer Einigung zwischen Bismarck und dem österreichischen Unterhändler Otto Graf Blome (1829– 1906), in der eine Verwaltungsteilung der annektierten Herzogtümer beschlossen wurde. Die „Gasteiner Konvention“ bestimmte, dass Schleswig der preußischen und Holstein der österreichischen Verwaltung unterstellt werden sollten. Dagegen wurde Lauenburg für einen Kaufpreis von zweieinhalb Millionen Talern an Preußen abgetreten. Die große Entfernung Holsteins zu den österreichischen Stammgebieten sowie eine Reihe von Sonderrechten für Preußen – Etappenstraßen durch Holstein nach Schleswig, Militärstützpunkte und Marinestationen, der Bau des von Preußen initiierten Nord-Ostsee-Kanals durch holsteinisches Gebiet, sogar die Einbeziehung beider Herzogtümer in den preußisch geführten Deutschen Zollverein – deuteten darauf hin, dass die erreichte Einigung eher provisorischer Natur sein würde. Zwar trat im Verhältnis zwischen Wien und Berlin noch einmal trügerische Ruhe ein, doch war der in Bad Gastein erzielte Ausgleich unvollständig und brüchig. Konvention von Gastein (14. 8. 1865) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 212–214
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Kompromiss von Bad Gastein
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Art. 1. Die Ausübung der von den hohen vertragschließenden Teilen durch den Art. III des Wiener Friedenstraktates vom 30.10.1864 gemeinsam erworbenen Rechte wird, unbeschadet der Fortdauer dieser Rechte beider Mächte an der Gesamtheit beider Herzogtümer, in Bezug auf das Herzogtum Holstein auf (…) Österreich, in Bezug auf das Herzogtum Schleswig auf (…) Preußen übergehen. Art. 3. Die hohen (…) Teile werden in Frankfurt beantragen, Rendsburg zur deutschen Bundesfestung zu erheben. Art. 4. Während der Dauer der durch Art. 1 der gegenwärtigen Übereinkunft verabredeten Teilung wird die königlich-preußische Regierung zwei Militärstraßen durch Holstein (…) behalten. Art. 5. Die königlich-preußische Regierung behält die Verfügung über einen Telegraphendraht zur Verbindung mit Kiel und Rendsburg, und das Recht, preußische Postwagen (…) durch das Herzogtum Holstein gehen zu lassen. Art. 6. Es ist die übereinstimmende Absicht (…), dass die Herzogtümer dem Zollverein beitreten werden. (…) Art. 7. Preußen ist berechtigt, den anzulegenden Nord-Ostsee-Kanal, je nach dem Ergebnis der von der königlichen Regierung eingeleiteten technischen Ermittlungen, durch das holsteinische Gebiet zu führen. Art. 9. Seine Majestät der Kaiser von Österreich überlässt die (…) Rechte auf das Herzogtum Lauenburg (…) dem König von Preußen, wogegen die königlichpreußische Regierung sich verpflichtet, der kaiserlich-österreichischen Regierung die Summe von 2,5 Millionen dänischer Reichstaler zu entrichten (…).
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4. Bundesbruch und Bundesexekution gegen Preußen a) Die Inszenierung des Bundesbruchs durch Preußen
Preußische Konfliktstrategie
Zum Bruch zwischen Wien und Berlin kam es erst im Januar 1866, als die Aktivitäten der Augustenburger Partei in Holstein vom dortigen österreichischen Statthalter Ludwig Freiherr von Gablenz (1814–1874) geduldet wurden, um die offensichtlich auf Annexion beider Elbherzogtümer gerichtete Politik Preußens zu konterkarieren. Der auf antipreußische Demonstrationen in Altona (23. 1. 1866) folgende Protest Preußens (26. 1. 1864) stilisierte allerdings den Einzelfall zu einem generellen Problem. Das anschließende diplomatische Vorgehen Preußens machte deutlich, dass Bismarck nicht mehr an einer Zügelung des Konfliktes interessiert war und stattdessen eine eskalationsfördernde Konfliktstrategie betrieb. Dem lag die Einsicht zugrunde, dass die Substanz des preußisch-österreichischen Sonderverhältnisses aufgezehrt, der beiderseitige Interessenkonflikt unüberwindlich und das wirtschaftlich-finanzielle Übergewicht Preußens unübersehbar geworden war (s. Tab. 14). Tab. 14: Wirtschaftliches Potential Preußens und Österreichs 1865/66
Bevölkerung (Mio.) davon in Landwirtschaft (in %) Getreideernte (Mio. Tonnen) Zahl der ortsfesten Dampfmaschinen (Mio. PS) Steinkohleförderung (Mio. Tonnen) Roheisenerzeugung (Tonnen) Bruttostaatseinnahmen (Mio. Taler) Staatsschuld (Mio. Taler) Militäretat (Mio. Taler)
Preußen
Österreich
19,3 45 0,8 15 000 (0,8) 12 850 000 240 290 45
37,5 70 0,7 3 400 (0,1) 5,7 460 000 292 1670 51
(Quelle: Lutz, Habsburg, S. 330)
Doch auf die in Wien am 28. 1. vorgebrachte Drohung des dortigen preußischen Gesandten Karl Freiherr von Werther (1809–1894), dass Preußen die „volle Freiheit“ für seine Politik zurückgewinnen werde, falls sich die in Schleswig-Holstein angestrebte gemeinsame politische Linie beider deutscher Großmächte nicht verwirklichen lasse, reagierte der österreichische Außenminister Alexander Graf Mensdorff-Pouilly (1813–1871) zwar mit der Bemerkung, der Protest Bismarck sei mit „gewohnter Perfidie und Geschicklichkeit abgefasst“, in seiner Entgegnung (7. 2. 1866) übte er aber dilatorische Zurückhaltung. Diese wurde in Berlin konsequenterweise als Ablehnung ausgelegt (24. 3. 1866 Runderlass Bismarcks an die preußischen Gesandten bei den deutschen Regierungen). Trotz der immer feindseliger werdenden preußischen Haltung hatte auch die Sitzung des öster-
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Bundesbruch und Bundesexekution gegen Preußen
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reichischen Ministerrates (21. 2. 1866) keinen Konsens ergeben, sich auf einen drohenden Krieg mit Preußen vorzubereiten. Nachdem Preußen seine Kriegsfinanzierung langfristig sichergestellt hatte, beschloss der Berliner Kronrat Ende Februar 1866, die politisch-diplomatischen Weichen in Richtung Krieg zu stellen. Doch die friedliche Alternative eines durch politischen Druck erzwungenen Machtverzichts Österreichs im Norden Deutschlands zugunsten einer preußischen Hegemonie blieb – obwohl spekulativ und zunehmend theoretisch – bis zuletzt offen. Preußische Kriegsfinanzierung Die preußische Kriegsfinanzierung wurde bereits im Mai 1865 sichergestellt worden. Nach Einschätzung des Staatsrates waren ca. 60 Millionen Taler für einen halbjährigen Feldzug notwendig. Das Gros dieser Mittel wurde durch zwei finanztechnische Operationen aufgebracht: 17 Millionen brachte die Vermehrung der Depositengelder, die der preußische Staat durch eine Erhöhung des Zinsfußes anlockte, weitere 22–25 Millionen erhielt die Staatskasse durch das Ablösungsgeschäft mit der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft.
Maßgeblich für den Kriegsausbruch wurden ab Frühjahr 1866 jene diplomatischen Ranküne, die erst Bismarck hinter dem Rücken der Österreicher und später die Österreicher hinter dem Rücken der Preußen einfädelten. Beide Regierungen traten dabei deutsches Bundesrecht mit Füßen, wobei Berlin den Anfang machte. Doch erwies sich auch jetzt die Überlegenheit der preußischen Realpolitik gegenüber der unsicheren Staatsführung Wiens. Legitimiert durch die Beschlüsse der Kronratssitzung hatte Bismarck bereits im März Verhandlungen zur diplomatischen Absicherung eines möglichen Konfliktes mit Österreich begonnen. Russland galt im Berliner Kalkül als wohl wollend neutral. Napoleon III. indes hatte ihn mehrdeutig wissen lassen, dass Frankreich sowohl am Prinzip „loyaler Neutralität“ als auch an seiner Handlungsfreiheit festhalten würde. Am 8. 4. war Bismarck der Abschluss eines gegen Österreich gerichteten, zunächst auf drei Monate befristeten Angriffsbündnisses mit Italien gelungen. Die Allianz mit der italienischen Nationalbewegung, deren Ziel die Gewinnung Venetiens war, drohte Österreich in einen Zweifrontenkrieg zu verstricken. Mehr noch zählte der Zeitdruck, in den sich Preußen durch die Vereinbarung gesetzt hatte. Mit seinem herausfordernden Bundesreformantrag, der übrigens bei allen Teilen der deutschen Nationalbewegung auf restlose Ablehnung stieß, leitete es bereits einen Tag später vor der Bundesversammlung einen scharfen antiösterreichischen Provokationskurs ein. Preußischer Bundesreformantrag (9. 4. 1866) Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, S. 223–225
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Diplomatische Absicherung des Konfliktes
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(…) Indem die königliche Regierung alles weitere den Verhandlungen mit ihren hohen Bundesgenossen vertrauensvoll vorbehält, stellt sie jetzt den Antrag: (…) eine aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation hervorgehende Versammlung für einen noch näher zu bestimmenden Tag einzuberufen, um die Vorlagen der deutschen Regierungen über eine Reform der deutschen Bundesverfassung entgegenzunehmen und zu beraten; in der Zwischenzeit aber, bis zum Zusammentritt derselben, durch Verständigung der Regierungen untereinander diese Vorlage festzustellen.
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Preußisch-italienischer Bündnisvertrag (8. 4. 1866) Quelle: Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches, Bd. 4, S. 229 ff. Art. 1. Es wird Freundschaft und Bündnis zwischen (…) dem König von Preußen und (…) dem König von Italien bestehen. Art. 2. Wenn die Unterhandlungen, welche (…) der König von Preußen mit den anderen deutschen Regierungen in Absicht auf eine den Bedürfnissen der deutschen Nation entsprechende Reform der Bundesverfassung eröffnet hat, scheitern sollten, und in Folge dessen Seine Majestät in die Lage kämen, die Waffen zu ergreifen, um seine Vorschläge zur Geltung zu bringen, so wird Seine italienische Majestät, nach der von Preußen ergriffenen Initiative, sobald sie davon benachrichtigt sein wird, (…) den Krieg gegen Österreich erklären. Art. 3. (…) Weder Italien noch Preußen werden Frieden oder Waffenstillstand ohne gegenseitige Zustimmung schließen. Art. 4. Diese Zustimmung kann nicht verweigert werden, wenn Österreich eingewilligt hat, an Italien das lombardisch-venetianische Königreich und an Preußen österreichische Landstriche, die an Bevölkerung diesem Königreiche gleichwertig sind, abzutreten. (Dies galt auch für die von Preußen gewünschten Zugeständnisse Österreichs in der deutschen Frage, d. Verf.) Art. 5. Dieser Vertrag erlischt drei Monate nach seiner Unterzeichnung, wenn in diesen drei Monaten der in Art. 2 vorgesehene Fall nicht eingetreten ist, nämlich, dass Preußen nicht den Krieg gegen Österreich erklärt hat. (…)
Rüstungen
Österreichischer Mobilmachungsantrag
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Zwar rang Graf Mensdorff weiter um eine Verständigung, doch resignierte auch er angesichts der massiven wie unvermindert weitergeführten italienischen und preußischen Rüstungen. Ende März hatte Preußen mit Rüstungsmaßnahmen begonnen. Angesichts bald einsetzender italienischer Rüstungen war Österreich gezwungen, seine Grenztruppen zu mobilisieren (21. 4. 1866). Auch Sachsen hatte sich den Rüstungen angeschlossen und führte diese trotz preußischen Protestes vor der Bundesversammlung (27. 4. 1866) unvermindert weiter. Rüstungen und Kriegsvorbereitungen auf beiden Seiten gewannen eine Eigendynamik, die schließlich zum ergebnislosen Abbruch der österreichisch-preußischen Demobilisierungsverhandlungen (4. 5. 1866) führte. Nachdem das preußische Kabinett in provokativer Absicht die Verhandlungsziele seines Bundesreformprojektes der Bundesversammlung übermittelt hatte (11. 5. 1866) und ein privater Vermittlungsversuch (28. 5. 1866) des preußischen Abgeordneten Anton von Gablenz (1810–1878), des Bruders des österreichischen Statthalters in Holstein, gescheitert war, suchte Österreich nunmehr Rückhalt im Deutschen Bund und stellte ihm alle weiteren Entscheidungen über die Elbherzogtümer anheim (1. 6. 1866). Nach einem sofortigen preußischen Protest gegen diesen Bruch der Konvention von Gastein, der jedoch keine Provokation sondern eher einen Verzweiflungsschritt darstellte, ließ Bismarck in der Absicht, den Krieg zu entfesseln, preußische Truppen zur „Wahrung preußischer Rechte“ in Holstein einmarschieren (7. 6. 1866). Am 10. 6. leitete er den deutschen Regierungen die Grundzüge einer neuen Bundesverfassung zu, aus der Österreich und die Niederlande bereits ausgeschlossen waren. Folgerichtig beantragte der österreichische Präsidialgesandte Aloys Freiherr von Kübeck zu Kübau (1818–1873) die Mobilmachung des gesamten nichtpreußischen Bundesheeres (als formlose Bundesexekution) mit dem
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Ziel, dem gewalttätigen Vorgehen Berlins Einhalt zu gebieten sowie den Schutz der inneren Sicherheit des Bundes und der bedrohten Rechte der Bundesglieder zu gewährleisten (11. 6. 1866, s. Quelle). Dem Antrag wurde am 14. 6. 1866 durch die Bundesversammlung stattgegeben. Österreich schlossen sich noch zwölf weitere deutsche Staaten an: Bayern, Hannover, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Kurhessen, Nassau, Sachsen-Meiningen, Liechtenstein, Reuß ältere Linie und die Freie Stadt Frankfurt. Antrag Österreichs auf Mobilisierung des Bundesheeres gegen Preußen (11. 6. 1866) Auszug Quelle: Huber, Dokumente, Bd. 2, 237 f.
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(…) Nach diesem gewalttätigen Vorgehen (bundesrechtlich unerlaubte Selbsthilfe in Holstein, d. Verf.), welchem Preußens umfangreiche Rüstungen zur Seite stehen, kann nur die Aufbietung aller übrigen verfügbaren militärischen Kräfte des Bundes eine Gewähr des Schutzes für die innere Sicherheit Deutschlands und die bedrohten Rechte seiner Bundesglieder gefunden werden. Die kaiserliche Regierung erachtet die schleunige Mobilmachung sämtlicher nicht zur preußischen Armee gehörigen Armeekorps des Bundesheeres für notwendig. (…) Hohe Bundesversammlung wolle (…) den Beschluss fassen: 1. Die Mobilmachung des I., II., III., VII., VIII., IX. und X. Bundesarmeekorps anzuordnen (…).
Zuvor hatten österreichisch-französische Sondierungen die Neutralität Frankreichs festgestellt. Sie gipfelten in einem Geheimabkommen (12. 6. 1866), das traditionellen Kategorien von „Beuterecht“ und Landumverteilung verpflichtet war und sich im vollen „Widerspruch zu den herrschenden nationalen Tendenzen der Epoche“ (Walter Bußmann) befand. Kaiser Franz Joseph I. hatte im Bewusstsein des drohenden Krieges auch für den Fall eines österreichischen Sieges die Abtretung Venetiens an Frankreich zugesagt; Napoleon hatte versprochen, neutral zu bleiben und auch Italien zur Neutralität zu verpflichten. In einem mündlichen Ideenaustausch einigten sich beide Parteien, Österreich und die deutschen Mittelstaaten auf Kosten Preußens und seiner Verbündeten zu vergrößern und einen neuen Rheinstaat im Deutschen Bund zu schaffen. Die Situation war paradox: Bevor der Krieg überhaupt begonnen hatte, hatte Österreich auf seine letzte italienische Provinz verzichtet und bereitete sich darauf vor, mit den Soldaten des Feindes gegen eben diesen Feind um etwas kämpfen, was es schon nicht mehr besaß (Eugen Friedell). Das politisch-militärische Szenario der Kriegsentfesselung lief ab Mai auf vollen Touren. Nach den Mobilmachungsbefehlen König Wilhelms I. (5. und 12. 5. 1866) war bis Ende Mai der gesamte Personal- und Pferdebestand der Linieneinheiten zu den Truppenteilen überführt worden. Gleichzeitig erfolgte in Kombination von Fußmarsch und Eisenbahntransport die Konzentration von vier preußischen Armeekorps in Schlesien und in der Lausitz. Teile des 8. Armeekorps wurden von Trier nach Koblenz verlegt. Von Ende Mai bis Anfang Juni wurden – wieder mit Hilfe der Eisenbahn (Abfertigung von täglich ca. 40 Truppenzügen) – alle übrigen inzwischen mobilgemachten Armeekorps an die grenznahen Bestimmungs-
Kriegsentfesselung
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Nationale Frage, späte Reformversuche und Bundesbruch 1860–1866 räume verlegt. Nach der Konzentrierung der aus Landwehr bestehenden Reservekorps war die preußische Armee nach fast störungsfreiem Aufmarsch am 11. 6. vollständig versammelt und zur Führung eines Angriffskrieges bereit. Als Kübeck am selben Tag vor der Bundesversammlung den Antrag auf Bundesexekution gegen Preußen vorbrachte, war der günstigste Zeitpunkt hierfür bereits verpasst. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Wien (12. 6. 1866), dem Rücktritt vom Bundesvertrag (14. 6. 1866) und den kriegsauslösenden preußischen Ultimaten gegen Sachsen, Hannover und Kurhessen (15. 6. 1866) griffen die Preußen am Tage darauf an. Am 18. 6. erklärte Italien, dem Vertrag mit Preußen folgend, Österreich den Krieg. Napoleons italienische „Neutralitätszusage“ hatte sich als leeres Versprechen erwiesen. Zwei Tage später überreichten preußische Parlamentäre den Österreichern „Notifikationen“, aus denen hervorging, dass sich beide Staaten im Kriegszustand befänden. Offizielle Kriegserklärungen erfolgten nicht.
b) Der Feldzug und die Entscheidung bei Königgrätz
Entscheidung bei Königgrätz
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Gemäß der Devise „getrennt marschieren, vereint schlagen!“ hatte Helmuth von Moltke sechs Siebentel der preußischen Gesamtstreitkräfte (drei Armeen) konzentrisch in Böhmen einmarschieren lassen und als gemeinsame Stoßrichtung Gitschin, ostwärts der Iser, befohlen. Nach verlustreichen Begegnungsgefechten an der Grenze wurden die Österreicher auf die innere Linie gezwungen, die nur bei einem entsprechend großen Operationsraum von Vorteil ist. Den preußischen Aufmarsch gegen die österreichische Nordarmee und den zersplitterten Torso des Bundesheeres auf den deutschen Nebenkriegsschauplätzen leitete Moltke per Telegraph vom Berliner Hauptquartier aus. Erst am 30. 6. begab er sich nach Böhmen. Hier angelangt, dirigiert er am 3. 7. die Vereinigung der drei preußischen Heeressäulen auf dem Schlachtfeld von Königgrätz. Sein Plan bestand darin, alle drei Armeen auf dem Schlachtfeld zu vereinigen und der österreichischen Nordarmee in einem konzentrischen Angriff eine vernichtende Niederlage beizubringen. Helmuth von Moltke (1800–1891): Unauffällig und ohne erkennbaren Ehrgeiz diente sich Helmuth von Moltke (d. Ä.), der 1821 aus dänischen in preußische Dienste übergetreten war, im preußischen Generalstab, dem er seit 1833 angehörte, empor. Im Oktober 1857 mit der provisorischen und ein Jahr später der ordentlichen Leitung des Generalstabes betraut, oblag ihm die militärische Planungsarbeit im Frieden. Am 2. 6. 1866 erteilte ihm Wilhelm I. Befehlsbefugnis über die gesamten preußischen Streitkräfte, die er in seinem Namen ausüben durfte. Die kurz darauf erfolgte Beförderung zum General der Infanterie stärkte seine Autorität, da er nun endlich den älteren und ranghöheren Truppenkommandeuren gleichgestellt war. Königgrätz ließ ihn berühmt werden. Hochdekoriert und mit zusätzlichen Einkünften versehen, gelang ihm 1867 mit dem Ankauf von Kreisau der Erwerb erblichen Landbesitzes.
Der österreichische Feldherr, Ludwig Ritter von Benedek hatte dagegen den Auftrag, in Böhmen solange hinhaltend zu operieren, bis gegen die Ita-
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liener im Süden eine Entscheidung gefallen war. Danach sollte die Nordarmee, durch zahlreiche Verbände aus dem Süden gestärkt, die Offensive suchen. Doch diese Rechnung ging auf Grund des schnellen preußischen Vormarsches nicht auf. Benedeks Verzögerungskräfte wurden rasch zurückgeschlagen und suchten Anschluss an die Nordarmee. Nach dem vergeblichen Versuch, die Vereinigung der von Dresden vorrückenden preußischen Elbarmee und der über Reichenberg marschierenden I. Armee zu verhindern, konzentrierte sich die österreichisch-sächsische Armee am Westufer der Elbe, nahe der kleinen veralteten Festung Königgrätz in Nordböhmen. Angesichts der sich vor seinen Augen zusammenziehenden Schlinge telegraphierte Benedek nach Wien: „Bitte Eure Majestät dringend, um jeden Preis den Frieden zu schließen, Katastrophe der Armee unvermeidlich.“ Die Antwort des Kaisers war lapidar wie folgenschwer: „Einen Frieden zu schließen, unmöglich. Ich befehle – wenn unausweichlich – den Rückzug anzutreten. Hat eine Schlacht stattgefunden?“ Franz Joseph I. erwartete von seinem Feldherrn jene Entscheidungsschlacht, die dieser gern vermieden hätte. Und so ereignete sich nahe Königgrätz, auf einer Fläche von zehn Kilometern Breite und fünf Kilometern Tiefe am 3. 7. 1866 eine der großen Schlachten der Weltgeschichte, in deren Verlauf die österreichisch-sächsische Armee eine schwere Niederlage erlitt, deren politische Folgen weitreichend waren. Feldzeugmeister Ludwig Ritter von Benedek (1804–1881): Der populäre österreichische Feldherr hatte seine Meriten auf dem italienischen Kriegsschauplatz verdient. Er war ein schneidiger Korpskommandant und als solcher auch bei einfachen Soldaten sehr beliebt. Ein strategischer Kopf wie Moltke war er nicht. Während er in Oberitalien „jeden Baum bis Mailand“ kannte, blieb ihm das böhmische Terrain völlig fremd. Er wisse nicht einmal wo die Elbe fließe, soll er bei seiner ersten Weigerung, den Oberbefehl über die Nordarmee anzunehmen, gesagt haben. Da aber Erzherzog Albrecht den Oberbefehl über die Südarmee bevorzugte, musste sich Benedek dem allerhöchsten Befehl fügen. Auch für Benedek erwies sich Königgrätz als Lebenswende. Er wurde vom Kaiser kaltgestellt und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Bis zu seinem Tod verlor er öffentlich nie wieder ein Sterbenswörtchen über jenen Schicksalstag. Seine persönlichen Aufzeichnungen über den Feldzug vernichtete er.
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c) Der deutsche und italienische Kriegsschauplatz Noch bevor die süddeutschen Bundeskontingente mobilgemacht worden waren, hatte eine preußische Armee die Hannoveraner eingekreist. Letztere mussten bereits am 28./29.6. gegenüber den Preußen bei Langensalza kapitulieren. Da in der Folge die Vereinigung der süddeutschen Armeekorps und eine einheitliche Operationsplanung auf Grund von Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Oberbefehlshaber der süddeutschen Bundeskontingente, Carl Prinz von Bayern (1795–1875), und Prinz Alexander von Hessen-Darmstadt (1823–1888) misslang, brach der Widerstand der Süddeutschen rasch zusammen. Nach der italienischen Kriegserklärung am 18. 6. hatte die italienische Armee unter König Viktor Emanuel II. (1825–1878) und General Alfonso
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Custozza und Lissa
Marchese La Marmora (1804–1878) den Mincio überschritten, ohne allerdings genügend Vorsorge gegen die Österreicher zu treffen, die noch jenseits der Etsch vermutet wurden. Von Erzherzog Albrecht und seinem Generalstabschef Franz Freiherr von John (1815–1876) schwungvoll geführt, trat die österreichische Südarmee der italienischen Übermacht jedoch unerwartet am 24. 6. 1866 in der Schlacht bei Custozza entgegen und errang den Sieg. Die moralische Wirkung war erheblich. Als nach der Niederlage bei Königgrätz das Gros der Südarmee zur Verteidigung Wiens abgezogen wurde, rückten die Italiener nur äußerst vorsichtig nach. Auch zur See blieben die Österreicher überlegen. Am 20. 7. 1866, kurz vor Verkündung des Waffenstillstandes, war der österreichischen Flotte bei der dalmatinischen Insel Lissa ein großer und wieder unerwarteter Seesieg gegen die in Panzerung und Feuerkraft weit überlegene italienische Flotte gelungen. Der österreichische Flottenchef Admiral Wilhelm von Tegetthof (1827–1871) hatte das feindliche Feuer mit erstaunlicher Kaltblütigkeit unterlaufen und durch virtuoses Manövrieren seinen Schiffen den Rammstoß gesichert. Zwei italienische Panzerschiffe wurden versenkt, zwei schwer beschädigt. Mit seinem Flaggschiff bohrte er das italienische Flaggschiff „Re’d Italia“ in den Grund.
d) Die deutschlandpolitischen Folgen des Feldzugs von 1866
Vorfrieden von Nikolsburg
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Königgrätz bedeutete für Europa eine große Überraschung. Kardinal-Staatssekretär Giacomo Antonelli (1806–1876) rief beim Entreffen der Nachricht erregt: „Il mondo casca“! Doch die Schlacht bedeutete nicht den Untergang der Welt. Für die Deutschen führte der preußische Sieg zur entscheidenden Weichenstellung in Richtung auf die kleindeutsche Reichseinigung. Zwar wurde nun mit Hilfe eilig nach Norden beorderter österreichischer Truppen der Italienfront die Verteidigung Wiens organisiert, der Widerstandswille der Österreicher aber war erschüttert. Bereits am 22. 7. wurde ein Waffenstillstand verkündet, am 26. 7. beendete der Vorfrieden von Nikolsburg den Krieg. Österreich verlor Venetien an Italien, blieb aber ansonsten von territorialen Amputationen verschont. Indes veränderten sich im Gefolge des Waffenstillstandes und des Prager Friedensvertrages die machtpolitischen Gewichte in Deutschland zugunsten Preußens, das Schleswig-Holstein, Kurhessen, Hannover, Nassau und Frankfurt a. M. annektierte. Österreich stimmte der Auflösung des Deutschen Bundes und einer Neuordnung der deutschen Verhältnisse ohne seine Beteiligung zu (Nikolsburger Klausel), musste eine Kriegsentschädigung zahlen und wurde im übrigen glimpflich behandelt, da Bismarck es noch als Verbündeten für die Zukunft benötigte und zudem europäischen Kongressplänen aus dem Wege gehen wollte. Indem auch Württemberg (13. 8. 1866), Baden (17. 8. 1866), Bayern (22. 8. 1866), Hessen-Darmstadt (3. 9. 1866), Reuß ältere Linie (26. 9. 1866), Sachsen (21. 10. 1866) und Sachsen-Meiningen (8. 10. 1866) in gesonderten Friedensverträgen mit Preußen der Nikolsburger Klausel beitraten, machten sie den Weg für eine politische Neugestaltung Deutschlands frei.
Bundesbruch und Bundesexekution gegen Preußen Friedensvertrag von Prag (23. 8. 1866) Quelle: Georges Frédéric de Martens: Nouveau recueil général de traités, de conventions et autres transactions remarquables, 2, 18, S. 344 (20 Bde., Göttingen 1843–1876)
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Art. I. Es soll in Zukunft und für beständig Friede und Freundschaft zwischen seiner Majestät dem König von Preußen und seiner Majestät dem Kaiser von Österreich, sowie zwischen deren Erben und Nachkommen und den beiderseitigen Staaten und Untertanen herrschen. (…) Art. IV. Seine Majestät der Kaiser von Österreich erkennt die Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes an und gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des österreichischen Kaiserstaates. Ebenso verspricht seine Majestät, das engere Bundesverhältnis anzuerkennen, welches seine Majestät der König von Preußen nördlich von der Linie des Mains begründen wird, und erklärt sich einverstanden, dass die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde der näheren Verständigung zwischen beiden vorbehalten bleibt und der eine internationale unabhängige Existenz haben wird. Art. V. Seine Majestät der Kaiser von Österreich überträgt auf seine Majestät den König von Preußen alle seine im Wiener Frieden vom 30. 10. 1864 erworbenen Rechte auf die Herzogtümer Holstein (…). Art. VI. Auf Wunsch seiner Majestät des Kaisers von Österreich erklärt seine Majestät der König von Preußen sich bereit, bei den bevorstehenden Veränderungen in Deutschland den gegenwärtigen Territorialbestand des Königreiches Sachsen in seinem bisherigen Umfange bestehen zu lassen (…).
e) Die Bildung des Norddeutschen Bundes An die Stelle des alten Deutschen Bundes sollte zunächst ein transitorisches Geschöpf treten: der Norddeutsche Bund – eine Vereinigung der norddeutschen Staaten unter preußischer Hegemonie bei Zentralisation ihrer wesentlichen politisch-militärischen Kompetenzen in der Hand der preußischen Krone (18. 8. 1866). In seiner Verfassung (16. 4. 1867) sicherte sich Preußen das Bundespräsidium sowie das Übergewicht im Bundesrat (17 von 43 Stimmen). Der Reichstag des Norddeutschen Bundes ging aus allgemeinen, direkten und geheimen Wahlen hervor und erfüllte damit wesentliche nationale Forderungen des liberalen Lagers. Obwohl die Verfassungsurkunde zunächst auf einen Katalog der Grundrechte verzichtete, wurde den Freiheitsrechten des Einzelnen in einer Reihe von Gesetzen (Freizügigkeitsgesetz, Reichstagswahlgesetz, Gesetz betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen, Staatsangehörigkeitsgesetz, Gewerbeordnung, Strafgesetzbuch) Raum gegeben, die auch im Deutschen Reich ab 1871 Gültigkeit behielten. Den sicherheitspolitischen Rahmen des alten Deutschen Bundes aufgreifend und den norddeutschen Raum abrundend, schloss Bismarck – die Kompensationsforderungen Napoleons III. (Anschluss Luxemburgs, der bayerischen Pfalz und des linksrheinischen Hessen) ins Spiel bringend – zeitgleich mit den entsprechenden Friedensverträgen geheime Schutz- und
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Reichsgründung
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Trutzbündnisse mit Bayern (22. 8. 1866), Württemberg (13. 8. 1866) und Baden (17. 8. 1866). Diese wurden nachträglich durch ein ähnliches Abkommen mit dem Großherzogtum Hessen (11. 4. 1867) komplettiert. In ihnen übertrugen die betreffenden Souveräne ihre militärischen Befugnisse und Kommandoverhältnisse im Falle eines Krieges der preußischen Krone, ohne dafür ihre formell „internationale unabhängige Existenz“ (Art. 4 des Prager Friedens) aufzugeben. Gleichzeitig erfolgte eine Einigung über die Liquidation des Bundesvermögens und die Kompetenzverteilung bezüglich der Bundesfestungen. Landau wurde eine bayerische, Ulm eine württembergische und Rastatt eine badische Festung. Die im Großherzogtum Hessen gelegene Festung Mainz hingegen sollte fortan unter die militärrechtliche Kompetenz Preußens fallen. Mit dem Londoner Vertrag (11. 5. 1867) über die Unabhängigkeit Luxemburgs nach der Auflösung des Bundesverhältnisses schied das Großherzogtum aus dem deutschen Staatszusammenhang aus. Die dort gelegene alte Bundesfestung wurde aufgehoben. Infolge der französischen Kriegserklärung (19. 7. 1870) traten die süddeutschen Armeen mit den preußisch-norddeutschen Kontingenten unter preußischen Oberbefehl. Der schnelle und durchgreifende militärische Erfolg über Frankreich verstärkte die Anziehungskraft der preußischen Monarchie und wirkte wie ein Magnet auf deren süddeutsche Verbündete. Bereits im September war es in München zu Besprechungen zwischen Vertretern des Norddeutschen Bundes und den Süddeutschen über eine verfassungsmäßige Konsolidierung Deutschlands gekommen. Diese wurden im Hauptquartier in Versailles fortgesetzt und führten zu einer vertraglichen Bindung Badens und Hessens (15. 11. 1870), Bayerns (23. 11. 1870) sowie Württembergs (25. 11. 1870). Der Prozess der nationalstaatlichen Einigung wurde am 18. 1. 1871 im Spiegelsaal des Versailler Schlosses in martialischer Geste symbolisch vollendet. Deutschland war – wie das unzählige Male reproduzierte berühmte Bild Anton von Werners mit seiner eigenwilligen, im Detail jedoch unzutreffenden Interpretation verdeutlichte – eine Militärmonarchie geworden. Doch erst die Verabschiedung der neuen Reichsverfassung durch den Reichstag (16. 4. 1871) schloss das Verfahren der Reichsgründung ab. Nach dem Intermezzo des Norddeutschen Bundes gehörte der Deutsche Bund damit vollends der Vergangenheit an.
Resümee In einigen Beziehungen hatte sich der Deutsche Bund noch nicht überlebt, als er mit der Entscheidung von 1866 endgültig aufhörte, als realgeschichtliches Phänomen zu existieren. Nunmehr wurde er unwiderruflich zum Objekt der bewertenden Reflexion. Diese sollte freilich in Abhängigkeit von historischen Situationen, politischen Interessenlagen, subjektiven Sichtweisen und Bewertungsklischees ein äußerst diffuses Bild hervorbringen, bei dem zunächst die negativen Töne überwogen. Obwohl der Bund zu Beginn seiner Existenz und in den Jahren bis zur Revolution von 1848 – sogar noch im liberalen Staatslexikon von Carl v. Rotteck und Carl Welcker von 1843 – durchaus als entwicklungsfähig angesehen und keinesfalls an der nationalstaatlichen Elle gemessen worden war, klang doch bereits in seiner Frühphase in manchem Beitrag die Enttäuschung über das allzu Kümmerliche und Karikaturartige (Ernst Moritz Arndt, Michael Lips) seiner Gestalt und – nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 – auch Kritik an seinem negativ-abwehrenden Agieren gegen die liberale und nationale Opposition an. Nach 1848 schlug die zeitgenössische Beurteilung des Bundes vollends ins Negative um. Schließlich wandelte sich sein Bild in den ausgehenden 50er-Jahren vor dem Hintergrund der gleichermaßen unabweisbaren wie uneingelösten Forderung nach politischer Machtverdichtung der Mitte Europas durch Ausbau der bündischen Exekutivorgane in vollständige Ablehnung und eine nachhaltige historische Delegitimation. Diese Interpretationslinie ließ die kleindeutsch-liberale Fernvision bereits umrisshaft erkennen. Sie lud sich später, nach dem Vollzug der kleindeutschen Reichseinigung von 1871 und der anschließenden nachträglichen Konstruktion einer deutschen Einheitsmission Preußens durch die liberale, auf Preußen fixierte (borussische) Historiographie in besonderer Weise negativ auf. Zu deutlich verkleinerte der Blick von der vermeintlichen Höhe der 1871er-Reichseinigung die Leistungen der Generation zuvor. Die angebliche Trendwidrigkeit des von ihnen repräsentierten Deutschen Bundes lag im Zeitgeist. Verkörperte dieser doch in den Augen Heinrich von Treitschkes und – inhaltlich durchaus gleichrangig, in der Machart aber weniger reißerisch – Heinrich von Sybels die unheilvolle Zeit der Zersplitterung, des partikularstaatlichen Egoismus, der machtpolitischen Insuffizienz und Bedeutungslosigkeit. Gerade nachträglich wurde nun noch einmal im verneinenden Sinne der Beweis angetreten, dass es unter seinen Rahmenbedingungen eben keine Entwicklung geben konnte, weil es sie nicht gab. Der Bund erschien Sybel und den anderen blasseren BismarckApologeten als das Schlimmste, was der erwachenden Nation überhaupt hatte passieren können, nämlich die Fortsetzung eines Anachronismus, das nicht vollzogene Ende einer angeblich längst an ihr Ende gekommenen Epoche. Obwohl sich – etwas subtiler in der Form – natürlich auch die auf Österreich zentrierte Gegenposition artikulierte, etwa bei Ottokar Lorenz, erfuhr doch weder die deutsche Politik der Habsburgermonarchie noch die des so genannten Dritten Deutschlands damals eine umfassende historiographi-
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Resümee sche Würdigung. Lediglich Heinrich Friedjungs Darstellungen zur österreichischen Geschichte nach der 1848er-Revolution fanden einige Resonanz. Ihnen kam das Verdienst zu, ein ausgewogeneres Bild der Gesamtstaatsinteressen und nationalen Bedürfnisse Wiens entworfen und dabei das Augenmerk von Metternichs defensiver Abwehrhaltung zu Schwarzenbergs energischem Vorwärtsdrang gewendet zu haben. Erst der Ausgang des Ersten Weltkrieges, der Versailler Vertrag und die revolutionären Erschütterungen in Folge des Krieges führten schließlich zu einer Revision vieler bis dahin fest gefügter Urteile über den Deutschen Bund. Freilich wurde diese Neuorientierung bald durch die Zeit des Nationalsozialismus und dessen Ideologie überschattet. Namentlich Heinrich Ritter von Srbik trug in den zwanziger Jahren wesentlich zum Bruch mit dem kleindeutsch-liberalen Erbe bei. Doch fand in seinen Darlegungen eine verfälschende Umdeutung großösterreichischer in großdeutsche Positionen statt. Immerhin erschien nun das Föderative des Bundes nicht mehr als Makel. Auch seine mitteleuropäische Funktion, in der die Gestaltungskraft der Habsburgermonarchie und beispielhaft dafür die energische Statur seiner Staatsmänner eine hervorragende Rolle spielten, fand eine Würdigung. Endlich betrachteten weitere Historiker den Deutschen Bund auch aus nichtstaatlicher Perspektive, so dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse und auch die öffentliche Meinung Gegenstand der Forschung wurden. Namentlich aus dem Blickwinkel nationalkonservativer Gelehrter wie Erich Marcks oder Hans Erich Feine erschien er nunmehr als Durchgangsstufe auf dem Weg zum Nationalstaat. Dabei gerieten auch die Zeit nach der Revolution von 1848 sowie die damit verbundene Frage nach einer Bundesreform in das Visier historischer Forschung. Als richtungsweisend indes sollte sich die in ihrer Zeit kaum verstandene Arbeit eines Außenseiters erweisen: Franz Schnabels Deutung nahm durch eine neuartig breite gesellschafts- und ideengeschichtliche Fundierung einen Wandel der Perspektiven vor, der manches bis dahin Gültige auf den Kopf stellte und damit den Weg für eine umfassende Neubewertung des Deutschen Bundes einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges freimachte. Obwohl nach 1945 der kleindeutsche Bezugsrahmen für die Nation historisch bestätigt schien und wiederum kritische Töne die Oberhand gewannen, blieb doch die Kritik des Bundes wenigstens frei von borussischen Bewertungsklischees. Die Entwicklungsfähigkeit des Bundes wurde – die mangelnde Interessengemeinschaft zwischen Österreich und Preußen in Rechnung stellend – sowohl in Hans Herzfelds „Moderner Welt“ als auch in Fritz Hartungs seit 1914 immer wieder aufgelegter „Deutscher Verfassungsgeschichte“ bestritten. Doch verdrängten bald die zunehmende Regionalisierung und Europäisierung der Forschungsperspektiven stereotype Beurteilungsmuster. Theodor Schieder hob schließlich die defensive, friedensbewahrende Rolle des Bundes hervor, und Ernst Rudolf Huber attestierte ihm sogar grundsätzliche Entwicklungsfähigkeit. Neuere Forschungen sind beiden prinzipiell gefolgt, wenngleich – ungeachtet der instruktiven Passagen in Thomas Nipperdeys „Deutscher Geschichte“, den nützlichen Ausführungen von Heinrich Lutz sowie einer Reihe von Beiträgen aus der Feder insbesondere Wolf D. Gruners, Lothar Galls, Hellmut Seiers, Helmut Rumplers und Jürgen Müllers – eine wissenschaftlichen Ansprüchen genü-
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Resümee gende Gesamtdarstellung des Bundes bis heute als Desiderat gilt. Die im Jahrzehnt vor der deutschen Wiedervereinigung vorgenommene Aufwertung des Bundes aber ist – ungeachtet der im vereinigten Deutschland veränderten historisch-politischen Bewusstseinslagen – trotz Zurückweisung mancher unkritischer Übertreibungen in ihren Grundzügen bisher nicht revidiert worden. So bleibt als vorläufiges Resümee die Feststellung zu treffen, dass der Deutsche Bund viel besser war als sein Ruf – zumal im Spektrum der zeitgenössischen und ihr folgenden überwiegend preußenzentrierten Bewertung: Nach dem Ende der napoleonischen Kriege sicherte er der Mitte Europas für zwei Generationen eine friedliche Existenz, ohne den vielfältigen Modernisierungsprozessen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft wirklich hindernd im Wege zu stehen, wie es teilweise Intention seiner tonangebenden Repräsentanten gewesen war. Er verkörperte stattdessen das Bedürfnis, gleichzeitig an Vorhandenes anzuknüpfen wie sich den ständig wechselnden Zeitläuften durch vorsichtige Evolution anzupassen. Obwohl er vor allem in den Jahren zwischen 1819 und 1848 auch als Mittel der Repression und Disziplinierung in Erscheinung trat, sollten seine Möglichkeiten, wirksam im Sinne der Reaktion einzugreifen, dennoch nicht überschätzt werden. Schnelles Reagieren war seine Sache nicht, dies wurde schon durch seine schwerfälligen Prozesse der Entscheidungsfindung und -durchsetzung verhindert. Diese entsprachen noch der überkommenen Reichstradition und wiesen doch als Merkmale eines modernen zwischenstaatlichen Interessenausgleichs auch weit über ihn hinaus. Immerhin: In seinem Schoße erfolgten wichtige Auseinandersetzungen, Weichenstellungen und Entscheidungen zur Vorbereitung der nationalstaatlichen Einigung. In seiner Epoche erlebten die Deutschen einen enormen demographischen und wirtschaftlichen Aufschwung, aber auch Phasen der nationalen Solidarisierung und Willensbildung, ob in politisch-militärischer, kultureller oder mentaler Hinsicht. In seiner Hülle fand die nationale Frage zwar eine die föderative Tradition deutscher Staatlichkeit prononciert aufnehmende, gleichzeitig aber auch eine hegemoniale Aspirationen entschärfende sowie die kulturelle, militärische und mentale Integration voranbringende Beantwortung. Dabei duldete der Bund bedeutende und über ihn hinausführende nebenbündische Aktivitäten wie den Deutschen Zollverein oder bilaterale Militärabsprachen und half, durch die Gewöhnung an einzelstaatlichen Souveränitätsverzicht die Überwindung föderalistisch-dezentraler Machtstrukturen vorzubereiten. Und obwohl die moderne Nation per definitionem auf eine ihr zugeordnete staatliche Form bezogen ist, die in Deutschland erst mit der Reichseinigung von 1871 verwirklicht wurde, breitete sich doch der Prozess nationaler Mobilisierung in den deutschen Gliedstaaten wellenförmig aus (1817/19, 1830/34, 1840/41, 1848/50) und verdichtete sich in den späten 1850er-Jahren zu einer stabilen, gesellschaftlich einflussreichen, politisch tonangebenden und kulturell ins Gewicht fallenden Größenordnung. Die deutsche Nation hatte sich – wenn auch noch in „gedämpfter“ Form – schon vor 1866/71 gegen andere Nationen abgegrenzt (1840/41, 1848/50, 1859, 1863/64) und immer wieder als „Gefühlsgemeinschaft“ konstituiert. In einer Zeit rasanter industriell-technologischer und politischer Moder-
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Resümee nisierung sowie des radikalen Umbruchs bis dahin fest gefügter sozialer Bindungen und Hierarchien, kultureller Identitäten und Werte, politischer Loyalitäten und Legitimationsmuster trat der Bund für Stabilität und Ordnung ein, für Sicherheit und Berechenbarkeit. Konstruktivität und Behutsamkeit standen neben Verhindern und Versagen. Der Bund verstand es zwar nicht, die Deutschen zur Staatsnation zu fügen, und beabsichtigte dies auch nicht, er wusste sie aber dennoch partiell zu integrieren und ihr Zusammenleben sowie ihre Rolle in Europa in durchaus erträglicher Weise zu regeln. Gerade in dieser Hinsicht erwies er sich in europäischen Krisensituationen (1830/32, 1840/41, 1848/50, 1854/56, 1859, 1863/64) durchaus als fähig, die Interessen der europäischen Mächte sorgsam zu beobachten, als defensives Element staatenübergreifender Friedenssicherung zu wirken und gleichzeitig für lange Zeit innere Konflikte durch die Befolgung von Regelwerken in friedlichen Bahnen zu halten.
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Auswahlbibliographie Lexika und Nachschlagewerke Das Staats-Lexikon, hrsg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, 2. Aufl. Bd. 1–12, Altona 1845–48, Nachdruck Frankfurt a. M. 1990. Aus dem Blickwinkel des zeitgenössischen Liberalismus. Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, 6 Bde., hrsg. von Wolfram Fischer u. a., Bd. 4: Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Ilja Mieck, Stuttgart 1993; Bd. 5: Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, hrsg. von Wolfram Fischer, Stuttgart 1985. Unverzichtbares wirtschafts- und sozialgeschichtliches Kompendium. Handbuch der Kulturgeschichte, begr. von Heinz Kindermann, neu hrsg. von Eugen Thurnher, Abt. 1, Bd. 8: Deutsche Kultur in der Goethezeit, Konstanz 1965, Neuauflage 1981; Bd. 9: Deutsche Kultur zwischen 1830 und 1870, Frankfurt a. M. 1966. Überblick über die kulturellen Strömungen. Quellensammlungen Akten zur Geschichte des Krimkrieges, hrsg. von Winfried Baumgart, Serie 1: Österreichische Akten zur Geschichte des Krimkrieges, 3 Bde. München/Wien 1979/80. Serie 2: Preußische Akten zur Geschichte des Krimkrieges, 2 Bde., München 1990/91. Serie 3: Englische Akten zur Geschichte des Krimkrieges, Bd. 3 und 4, München 1988–1994. Beste Quellensammlung zum Krimkrieg mit hervorragender Einleitung. Die Auswärtige Politik Preußens 1858–1871. Diplomatische Aktenstücke, hrsg. von der Historischen Reichskommission unter Leitung von Erich Brandenburg, Otto Hoetzsch und Hermann Oncken, 10 Bde., Oldenburg i. O. 1931–1941. Grundlegend für die preußische Seite. Biefang, A. (Bearb.): Der Deutsche Nationalverein 1859–1867. Vorstands- und Ausschußprotokolle, Düsseldorf 1995. Unverzichtbar für die Betrachtung der Nationalbewegung. Bismarck, Otto Fürst von: Die gesammelten Werke, Bde. 1–15 (= Friedrichsruher Ausgabe; Nachdruck Nendeln/Lie. 1972), Berlin 1924–1935. Für das Verständnis der preußischen Perspektive nach 1862 herausragend.
Die Ministerratsprotokolle Österreichs und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 1848–1918, Wien, Budapest 1970. Unverzichtbar für die Rekonstruktion politischen Handelns in Österreich. Diwald, H. (Hrsg.): Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Politik und Ideengut der preußischen Hochkonservativen 1848–1866. Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach, 2 Bde., Göttingen 1970. Politik aus der Sicht eines einflussreichen Hochkonservativen. Fischer, Wolfram/Krengel, Jochen/Wietog, Jutta: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch, Bd. 1: Materialien zur Statistik des Deutschen Bundes 1815– 1870 (= Statistische Arbeitsbücher zur neueren deutschen Geschichte, hrsg. von Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter), München 1982. Breit angelegte Sozialstatistik. Gall, Lothar (Hrsg.): Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München (bisher erschienen: Abt. I: 1813–1830, Bd. 1, 1/2. Die Entstehung des deutschen Bundes 1813–1815; Abt. III: 1850–1866, Bd. 1. Die Dresdener Konferenz und die Wiederherstellung des Deutschen Bundes 1850/51, Bd. 2. Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858, München 1996–2000). Zentrale und moderne Quellensammlung mit hervorragenden Einleitungen. Hardtwig, Wolfgang/Hinze, Helmut (Hrsg.): Vom Deutschen Bund zum Kaiserreich 1815–1871 (= Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, hrsg. von Rainer A. Müller, Bd. 7), Stuttgart 1997. Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851–1900, 3. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1986. Grundlegende Zusammenschau verfassungspolitischer Quellen. Köllmann, W. (Hrsg.): Quellen zur Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstatistik Deutschlands, 1815–1875, 5 Bde. Boppard 1980–1995. Umfangreiche Zusammenfassung statistischer Daten. Poschinger, H. von (Hrsg.): Preußen im Bundestag 1851–1859. Dokumente der Königlich Preußischen Bundestagsgesandtschaft, 4 Bde., Leipzig 1882–1885. Interne Korrespondenzen zum Verständnis der preußischen Haltung am Bundestag.
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Auswahlbibliographie Srbik, Heinrich Ritter von (Hrsg.): Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859–1866. Unter Mitwirkung von Oskar Schmidt, Oldenburg i. O./ Berlin 1934–1938. Ausgewählte österreichische Korrespondenzen zur deutschen Frage. Allgemeine, übergreifende und historiographiegeschichtliche Darstellungen Bentfeldt, Ludwig: Der Deutsche Bund als nationales Band, Göttingen 1985. Nicht sehr hilfreich. Bußmann, Walter: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990. Abgewogene Biographie des Hohenzollernkönigs, seiner Dispositionen und Spielräume. Gall, Lothar: Der Deutsche Bund in Europa, in: Aretin, Karl Ottmar Freiherr von/Bariety, Jacques/ Möller, Horst (Hrsg.): Das deutsche Problem in der neueren Geschichte, München 1997, S. 17– 28. Problemorientiert und perspektivenreich. Gall, Lothar: Der Deutsche Bund als Institution und Epoche der deutschen Geschichte, in: Dieter Albrecht/Karl Ottmar Freiherr von Aretin/Winfried Schulze (Hrsg.): Europa im Umbruch 1750– 1850, München 1995, S. 257–266. Knapp und problemorientiert. Gehler, Michael/Schmidt, Rainer F./Brandt, HarmHinrich/Steininger, Rolf (Hrsg.): Ungleiche Partner? Österreich und Deutschland in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung. Historische Analysen und Vergleiche aus dem 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1996. Historische Längsschnittstudie mit bemerkenswerten Vergleichen. Langewiesche, Dieter: Europa zwischen Restauration und Revolution 1815–1849 (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 13), 3. Aufl. München 1993. Grundriss mit Darstellung von Ereignissen, Forschungskontroversen und der wichtigsten Literatur. Lutz, Heinrich: Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815–1866, Berlin 1985. Gut lesbare, abwechslungs- und facettenreiche Darstellung mit Tiefgang. Lutz, Heinrich/Rumpler, Helmut (Hrsg.): Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert. Probleme der politisch-staatlichen und soziokulturellen Differenzierung im deutschen Mitteleuropa, München 1982. Wichtiger Sammelband mit instruktiven Einzelbeiträgen. Marcks, Erich: Der Aufstieg des Reiches. Deutsche Geschichte von 1807–1871/78, 2 Bde., Stuttgart, Berlin 1936. Lediglich von historiographiegeschichtlicher Bedeutung.
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Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800– 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983. Ausgezeichnetes und vielschichtiges Handbuch zur deutschen Geschichte. Nipperdey, Thomas: Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: Ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays 1986, S. 69– 109. Brillantes Essay zum Problem des deutschen Föderalismus. Rürup, Reinhard: Deutschland im 19. Jahrhundert 1815–1871, Göttingen 1984. Sozialgeschichtlicher Überblick in geraffter Form mit Blick für das Wesentliche. Rumpler, Helmut (Hrsg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866. Europäische Ordnung, deutsche Politik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter der bürgerlich-nationalen Emanzipation (= Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17), Wien, München 1990. Sehr guter Überblick mit instruktiven Einzelbeiträgen. Schieder, Theodor: Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich 1815–1871 (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 15), 9. Aufl. München 1970. Stoffreicher, aber geraffter Abriss mit verfassungs- und sozialgeschichtlichem Fokus sowie guten Nachweisen der älteren Literatur. Schnabel, Franz: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, 4 Bde., Freiburg 1929–35. Vielschichtiger und wegweisender Blick auf ein Jahrhundert. Seier, Hellmut: Der Deutsche Bund als Forschungsproblem 1815–1960, in: Rumpler, Helmut (Hrsg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866, München 1990, S. 31–58. Brillanter und vollgültiger Abriss aller bedeutenden Forschungsansätze zum Deutschen Bund. Srbik, Heinrich Ritter von: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, 2 Bde., München 1925. Bisher beste, wenngleich apologetische Metternich-Biographie mit vielen Hintergrundinformationen. Sybel, Heinrich von: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., 7 Bde., München, Leipzig 1889–94. Historiographiegeschichtlich reizvolle Arbeit aus borussischer Sicht. Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, 5 Bde., Leipzig 1879– 1894. Provozierend, kleindeutsch und offen parteiisch.
Auswahlbibliographie Nationsbildung, Einzelstaaten und Verfassungsfrage Echternkamp, Jörg: Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Frankfurt a. M. 1998. Neue Einsichten zur Herausbildung des deutschen Nationalismus. Gruner, Wolf D.: Der deutsche Bund als Band der deutschen Nation 1815–1866, in: Wendt, Bernd Jürgen (Hrsg.): Vom schwierigen Zusammenwachsen der Deutschen. Nationale Identität und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1992, S. 49–79. Moderne, das Verbindende betonende Sicht auf den Bund. Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789–1830, 2. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln 1990; Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830–1850, 3. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988; Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1988. Zentriert auf staatliches Entscheidungshandeln und die Verfassungswirklichkeit. Langewiesche, Dieter: „Revolution von Oben“? Krieg und Nationalstaatsgründung in Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): Revolution und Krieg. Zur Dynamik historischen Wandels seit dem 18. Jahrhunderts, Paderborn 1989, S. 117–133. Zum Zusammenhang von militärischen Faktoren, Machtpolitik und deutscher Nationalstaatsbildung. Meinecke, Friedrich: Radowitz und die deutsche Revolution, Berlin 1913. Erklärt anhand der Radowitz’schen Ideen Hintergründe der preußischen Unionspolitik. Müller, Frank: Britain and the German Question. Perceptions of Nationalism and Political Reform 1830–1863, London 2002. Quellennahe Pionierarbeit mit Blick auf die deutschen Einzelstaaten und den Bund. Müller, Harald: Deutscher Bund und deutsche Nationalbewegung, in: Historische Zeitschrift 248, München 1989, S. 51–78. Scharfsinnige Analyse eines Antagonismus. Schulze, Hagen: Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985. Wichtige Längsschnittdarstellung zur Nationalbewegung. Siemann, Wolfram: Vom Staatenbund zum Nationalstaat, Deutschland 1806–1871 (= Neue Deutsche Geschichte, Bd. 7), München 1995. Zusammenfassend und stoffreich. Srbik, Heinrich Ritter von: Deutsche Einheit, Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz, 4 Bde., München 1935–42. Nachdruck
Darmstadt 1963. Historiographiegeschichtlich interessante Umdeutung der Geschichte im großdeutschen Sinne. Bundesinstitutionen, öffentliche Meinung und Bundesreform Flöter, Jonas: Beust und die Reform des Deutschen Bundes 1850–1866. Sächsisch-mittelstaatliche Koalitionspolitik im Kontext der deutschen Frage (= Geschichte und Politik in Sachsen, Bd. 16, hrsg. von Ulrich van Hehl u. a.), Köln, Weimar, Wien 2001. Gelungene Analyse eines stark vernachlässigten Gegenstandes. Flöter, Jonas/Wartenberg, Günther (Hrsg): Die Dresdener Konferenzen 1850/51. Föderalisierung des Deutschen Bundes versus Machtinteressen der Einzelstaaten (= Schriften zur sächsischen Landesgeschichte, Bd. 4), Leipzig 2002. Wichtiger Sammelband mit hervorragenden Einzelbeiträgen. Ilse, Leopold Friedrich: Geschichte der deutschen Bundesversammlung, insbesondere ihres Verhaltens zu den deutschen National-Interessen, 3 Bde. Marburg 1861–62, Nachdruck Hildesheim 1971–72. Historiographiegeschichtlich reizvolle, recht abgewogene Perspektive. Kohnen, Richard: Die Pressepolitik des Deutschen Bundes. Methoden staatlicher Pressepolitik nach der Revolution von 1848, Tübingen 1995. Interessante Facetten zur staatlichen Medienlenkung. Rumpler, Helmut: Die deutsche Politik des Freiherrn von Beust 1848–1850. Zur Problematik mittelstaatlicher Reformpolitik im Zeitalter der Paulskirche, Wien, Köln, Graz 1972. Nimmt eine zentrale Gestalt deutscher Reformpolitik ins Visier. Wehner, Norbert: Die deutschen Mittelstaaten auf dem Frankfurter Fürstentag 1863, Frankfurt a. M. 1993. Wichtige Pionierarbeit zur vernachlässigten mittelstaatlichen Perspektive. Gesellschaft, Wirtschaft, Geistesleben und Kultur Böhme, Helmut: Deutschlands Weg zur Großmacht. Studien zum Verhältnis von Wirtschaft und Staat während der Reichsgründungszeit 1848–1881, 3. Aufl., Köln 1974. Zeigt die Verbindungen von politischen Entscheidungen, Wirtschaft und Handel. Friedell, Egon: Kulturgeschichte der Neuzeit, Bd. 2, Neudruck 12. Aufl. München 1997. Unterhaltsam geschriebene und sehr anregende essayistische Darlegung mit vielen Hintergrundinformationen.
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Auswahlbibliographie Kiesewetter, Hubert: Industrielle Revolution in Deutschland 1815–1914, Frankfurt a. M. 1989. Komprimierte wirtschaftsgeschichtliche Darstellung. Klenke, Dietmar: Nationalkriegerisches Gemeinschaftsideal als politische Religion. Zum Vereinsnationalismus der Sänger, Schützen und Turner am Vorabend der Einigungskriege, in: Historische Zeitschrift 260, 1995, S. 395–448. Zur Rolle der Vereine bei der Herausbildung des deutschen Nationalismus. Langewiesche, Dieter: Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988. Darstellung zum ideengeschichtlichen Hintergrund politischer Kämpfe. Matis, Herbert: Österreichs Wirtschaft 1848–1913. Konjunkturelle Dynamik und gesellschaftlicher Wandel im Zeitalter Franz Joseph I., Berlin 1972. Soziale und wirtschaftliche Parameter der österreichischen Entwicklung. Reif, Heinz (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland, Bd. 1: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 19. Jahrhundert, Berlin 2000. Untersucht Probleme des Elitenwandels im 19. Jahrhundert. Sengle, F.: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815–1848, 3 Bde., Stuttgart 1971–1980. Nimmt die Literatur in der Epoche vor 1848 in den Blick. Tilly, Richard H.: Vom Zollverein zum Industriestaat. Die wirtschaftlich-soziale Entwicklung Deutschlands 1834 bis 1914, München 1990. Leitfaden der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1848/49. Bd. 3: Von der deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn der ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1987–1995. Hervorragende Gesamtschau sozial-, wirtschaftsund politikgeschichtlicher Zusammenhänge. Europäisches Konzert und deutsche Militärpolitik Angelow, Jürgen: Von Wien nach Königgrätz. Die Sicherheitspolitik des Deutschen Bundes im europäischen Gleichgewicht 1815–1866, München 1996. Abriss der deutschen Militär- und Sicherheitspolitik mit europäischen Bezügen. Bridge, Francis Roy/Bullen, Roger (Hrsg.): The Great Powers and the European States System 1815– 1914, London 1980. Blick auf das europäische Konzert und seine Veränderungen. Doering-Manteuffel, Anselm: Die deutsche Frage
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und das europäische Staatensystem, 1815–1871, 2. Aufl., München 2001. Hervorragende Darstellung des Zusammenspiels deutscher Politik und europäischer Interessen. Doering-Manteuffel, Anselm: Vom Wiener Kongress zur Pariser Konferenz. England, die deutsche Frage und das Mächtesystem 1815–1856 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, Bd. 28), Göttingen, Zürich 1991. Das deutsche Problem aus der Sicht des Gleichgewichtshalters. Dülffer, Jost/Kröger, Martin/Wippich, Rolf-Harald: Vermiedene Kriege. Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg 1856–1914, München 1997. Sehr gute Einzelstudien zu europäischen Konflikten. Geiss, Immanuel: Der lange Weg in die Katastrophe. Die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs 1815–1914, München, Zürich 1990. Schwungvolle, vorbildlich strukturierte Darstellung der europäischen Konflikte im 19. Jahrhundert. Gruner, Wolf D.: Der Deutsche Bund und die europäische Friedensordnung, in: Rumpler, Helmut (Hrsg.): Deutscher Bund und deutsche Frage 1815–1866, München 1990, S. 235–263. Sehr instruktiver Einzelbeitrag zur europäischen Dimension der deutschen Frage. Hencke, Ulrich: Die Heeresverfassung des Deutschen Bundes und die Reformpläne in den sechziger Jahren. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts, Tübingen 1955. Verbindet verfassungsgeschichtlichen Ansatz mit Darlegungen zur Bundesreform. Keul, Wolfgang: Die Bundesmilitärkommission (1819–1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Bundes, Frankfurt a. M. 1977. Förderliche Analyse einer zentralen Bundesbehörde. Marcowitz, Reiner: Großmacht auf Bewährung. Die Interdependenz französischer Innen- und Außenpolitik und ihre Auswirkungen auf Frankreichs Stellung im europäischen Konzert 1814/15– 1851/52 (= Beihefte der Francia, hrsg. vom Deutschen Historischen Institut Paris, Bd. 53), Stuttgart 2001. Tiefgründige Analyse der französischen Interessen- und Außenpolitik. Müller, Harald: Im Widerstreit von Interventionsstrategie und Anpassungszwang. Die Außenpolitik Österreichs und Preußens zwischen dem Wiener Kongress 1814/15 und der Februarevolution 1848 (= Studien zur Geschichte, Bd. 12 und 13), 2 Bde., Berlin (Ost) 1990. Akribische und faktenreiche Darstellung des schwierigen außenpolitischen Miteinanders der beiden deutschen Vormächte.
Auswahlbibliographie Petter, Wolfgang: Deutscher Bund und deutsche Mittelstaaten, in: Handbuch der deutschen Militärgeschichte, hrsg. von Friedrich Forstmeier/ Hans Meier Welcker, Bd. 4/2: Militärgeschichte im 19. Jahrhundert 1814–1890, München 1976, S. 226–300. Militärgeschichtlicher Abriss mit organisationsgeschichtlichem Schwerpunkt. Schnabel, Walter: Die Kriegs- und Finanzverfassung des Deutschen Bundes, Marburg 1966. Solide und informativ. Schroeder, Paul W.: The Transformation of European Politics 1763–1848, New York 1994. Neue und originelle Sicht auf ein altes Problem. Schulze, Hagen: Phoenix Europa. Die Moderne –
1740 bis heute, Berlin 1998. Gedankenreicher und brillanter Überblick mit aktuellen Bezügen. Seier, Hellmut: Zur Frage der militärischen Exekutive in der Konzeption des Deutschen Bundes, in: J. Kunisch (Hrsg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 1986, S. 397–445. Gelungene Analyse der militärischen Hierarchien im Deutschen Bund. Wienhöfer, Elmar: Das Militärwesen des Deutschen Bundes und das Ringen zwischen Österreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland 1815–1866, Osnabrück 1973. Auf das Militärische beschränkte Sicht.
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Personen- und Sachregister Die hervorgehobenen Seitenzahlen verweisen auf ein Insert zum Registerstichwort. Berücksichtigt wurden nur historische Personen. Albrecht, Erzherzog 114, 154 Albrecht, Wilhelm Eduard 49 Alexander II., Zar von Russland 107, 111 Alexander, Prinz von Hessen-Darmstadt 153 Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein (ADV) 123 Alt, Rudolf von 127 Alvensleben, Gustav Graf von 115 Amerling, Friedrich von 127 Antonelli, Giacomo 154 Aprilbündnis 108 Aretin, Johann Adam Freiherr von 40–41 Arndt, Ernst Moritz 5–6, 10, 26, 71, 157 Auber, Daniel François 55 Auswanderung 119 Bach, Alexander Freiherr von 108 Bamberger Konferenzen 109, 134 Bangold, Oberst 12 Bankhaus Rothschild 21 Bebel, August 123 Becker, Johann 81 Becker, Nikolaus 70–71 Beethoven, Ludwig van 33 Benedek, Ludwig Ritter von 152–153 Bennigsen, Rudolf von 131 Bernstorff, Christian Graf 59 Bethmann Hollweg, Moritz August von 108 Beust, Friedrich Ferdinand Freiherr von 11, 98–99, 104, 114, 131, 135–136, 138, 144 Biedermeier 4, 26, 30–31 Bismarck, Otto von 79, 92, 105, 109, 113, 116, 123, 132–133, 138–157 Blechen, Carl 32–33 Bonald, Louis de 28 Börne, Ludwig 51 Boyen, Leopold Hermann Ludwig von 42 Brandenburg, Friedrich Wilhelm Graf 86, 91 Bromme, Karl Rudolf 83 Bruck, Karl Ludwig von 93–96, 94, 102 Brüggemann, Karl Heinrich 53–54 Büchner, Georg 52 Bundesexekution 38–39, 50, 82, 143, 150 Bundesintervention 43, 50, 81 Bundeskriegsverfassung 15–17, 37, 115 Bundesreformprojekt, österreichisches 133 Bunsen, Karl Josias Freiherr von 72 Buol-Schauenstein, Johann Rudolf Graf von 41
Buol-Schauenstein, Karl Ferdinand Graf von 106, 108 Burke, Edmund 13, 28 Burschenschaft 5, 27, 33–34, 36, 38, 49, 53, 126 Busch, Wilhelm 124 Camphausen, Gottfried Ludolf 77–78 Canitz und Dallwitz, Karl von 72 Carl von Braunschweig, Herzog 39 Carl, Prinz von Bayern 153 Carus, Carl Gustav 32 Castiglione, Gräfin 107 Cavour, Camillo Graf Benso di 107, 110–112 Chateaubriand, François René de 28 Chopin, Frédéric 33 Christian IX., König von Dänemark 141–143 Clam-Martinitz, Joseph Nepomuk Graf 59 Clarendon, George William Frederick Lord 106–107 Cornelius, Peter 125 Cumberland, Ernst August von, König von Hannover 48 Czartoryski, Fürst Adam 56 Dahl, Johan Christian Clausen 32 Dahlmann, Friedrich Christoph 49 Deutsche Bundesakte 10–12, 23–24, 43 Deutscher Nationalverein 131, 133, 137, 141, 145 Deutscher Reformverein 133, 137–138, 145 Deutscher Zollverein 60–67, 94, 99, 120, 146, 159 Diebitsch-Sabalkanski, Hans Karl Graf von 56 Dreiklassenwahlrecht, preußisches 86 Dresdener Konferenz 67, 95–100, 102, 104, 139 Droste-Hülshoff, Annette von 31 Droysen, Johann Gustav 124 Dualismus, österreichisch-preußischer 10, 16, 139, 146 Eichendorff, Joseph von 31 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 63 Engels, Friedrich 52–53, 113 Epuration des Bundestages 40 Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha 132 Europäisches Konzert 13–14 Ewald, Heinrich 49 Februarpatent 103 Fernkorn, Anton Dominik von 127–128
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Personen- und Sachregister Feuerbach, Ludwig 123 Fickler, Joseph 81 Ficquelmont, Karl Graf von 73 Follen, Karl 5, 36 Fontane, Theodor 127 Franz I., Kaiser von Österreich 21, 31, 58 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich(-Ungarn) 88, 94, 102–103, 108, 112, 137–138, 140, 146, 151, 153 Freytag, Gustav 126 Frieden von Utrecht 13 Friedrich I., Großherzog von Baden 104, 132 Friedrich II., König von Preußen 127 Friedrich VII., König von Dänemark 82 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 23 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 6, 28, 70–72, 78–79, 86, 88–89, 92, 104, 108, 116 Friedrich Wilhelm, Kurfürst (Kurhessen) 47 Friedrich, Caspar David 32–33
Hardenberg, Karl August Fürst von 5, 7, 23, 37 Harkort, Friedrich 77–78, 121 Hassenpflug, Ludwig 47 Havlicek, Karel 22 Haym, Rudolf 124 Hecker, Friedrich (Heckerzug) 81 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 6 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 26–27, 123 Heilige Allianz 14, 106 Heine, Heinrich 51 Heppenheimer Versammlung 65, 79–80 Herwegh, Georg 81 Heß, Heinrich Freiherr von 73 Hessischer Landbote 52 Hobbes, Thomas 13 Hohenzollern-Sigmaringen, Karl Anton Fürst von 104 Hornmayr, Joseph Freiherr von 32 Humboldt, Wilhelm von 5, 7, 10, 23
Gablenz, Anton von 150 Gablenz, Ludwig Freiherr von 148 Gagern, Friedrich Freiherr von 81 Gagern, Heinrich von 80, 89 Gasteiner Konvention, preußisch-österreichische 147 Gentz, Friedrich von 13, 28, 51 Gerlach, Ernst Ludwig von 28 Gerlach, Leopold von 28, 108 Germania-Kult 70 Gervinus, Georg Gottfried 49 Gesangs- und Turnervereine 130 Ghega, Karl von 122 Giovane Italia 57 Gneisenau, Neidhard Graf von 42, 57 Goethe, Johann Wolfgang von 31 Goltz, Robert Graf von der 108 Görres, Joseph von 10, 28, 42 Gortschakow, Alexander Fürst 111, 142 Göttinger Sieben 48–49, 79 Grillparzer, Franz 126 Grimm, Jacob und Wilhelm 49 Grolman, Karl Wilhelm Georg von 42, 73 Grotius, Hugo 13 Grünne, Joseph Graf 56 Guizot, François 69, 74–75 Gutzkow, Karl 51 Gyulai, Franz Graf von 112
Ibell, Karl von 37 Iffland, August Wilhelm 31 Immermann, Karl Leberecht 31 Indemnitätsvorlage 132–133 Industrialisierung, Industrielle Revolution 119, 120–121, 130 Interventionsprinzip 56
Hake, Heinrich von 143–144 Haller, Karl Ludwig von 28, 35 Hambacher Fest 49, 53–54, 71 Hansemann, David 77–78 Hardenberg, Friedrich Leopold Freiherr von (Novalis) 28
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Jahn, Friedrich Ludwig 5–6, 26, 35, 42 Johann, Erzherzog (Reichsverweser) 71, 83–84 Johann, König von Sachsen 138 John, Franz Freiherr von 154 Jordan, Silvester 47 Joseph II. 20 Judentum 25–26 Julirevolution 1830 8, 13, 46–59 Junges Deutschland 51–52 Junges Europa 52, 57 Kant, Immanuel 26–27, 29 Karl Albert, König von Piemont-Sardinien 85 Karl II., Herzog von Braunschweig 46 Karl X., König von Frankreich 46 Karl, Erzherzog 127–128 Karlsbader Beschlüsse 7, 37–39, 81, 130 Keller, Gottfried 127 Klenze, Leo von 25 Knesebeck, Karl Friedrich von dem 59 Koch, Joseph Anton 31 Kolowrat-Liebsteinsky, Graf Franz Anton 21 Konfessionen 23–26 Kongress von Aachen 12, 14 Kongress von Verona 8, 12 Könneritz, Hans Graf von 143 Konservativismus 27–28
Personen- und Sachregister Kotzebue, August von 6, 27, 31, 35–37 Krafft, Johann Peter 32 Krauseneck, Johann Wilhelm von 59 Krimkrieg 105–110 Kübeck, Carl Friedrich von 102 Kübeck zu Kübau, Aloys Freiherr von 150, 152 Kugler, Franz 127 Lanner, Joseph 5, 126 Lassalle, Ferdinand 123 Latour, Ferdinand Graf von 85 Laube, Heinrich 51 Legitimität 28–29, 56 Leibniz, Gottfried Wilhelm 13 Leopold I., König von Belgien 142 Lerchenfeld, Maximilian von 40 Liberalismus 29–30 Liebknecht, Wilhelm 123 Ligne, Karl Joseph Fürst de 4 Lips, Michael 157 List, Friedrich 60, 62, 94 Liszt, Franz 33, 124–125 Londoner Konferenzen, Protokolle und Verträge 11, 56, 68, 83, 142–144, 156 Lortzing, Albert 33 Louis-Philippe, König von Frankreich 46, 69, 80 Ludwig I. von Bayern 25, 70, 72, 80 Ludwig II., König von Bayern 125 Luther, Martin 25, 35 Mahmud II., osmanischer Sultan 68 Maistre, Joseph de 28 Malet, Alexander Charles 144 Malmöer Waffenstillstand 83 Manteuffel, Otto Freiherr von 92, 96–98, 103, 108–109 Marmora, Alfonso Marchese La 153–154 Marx, Karl 52, 123 Maximilian I. 32 Mazzini, Guiseppe 57 Mehemed Ali, ägyptischer Pascha 68 Melanchthon, Philipp 25 Mendelssohn Bartholdy, Felix 33–34 Menschikow, Alexander 106 Mensdorff-Pouilly, Alexander Graf 148, 150 Menzel, Adolf 127 Metternich, Klemens Fürst von 7, 8, 10, 13, 18, 21, 37, 40–41, 46, 48, 56–57, 59, 71–72, 75, 80, 84, 108, 158 Mevissen, Gustav 80 Meyendorff, Peter Freiherr von 91, 109 Meyerbeer, Jakob (Giacomo) 33 Moltke, Helmuth von 72, 152 Mommsen, Theodor 124 Montez, Lola 80
Montgelas, Maximilian Graf 40 Mörike, Eduard 31, 126 Motz, Friedrich 62–63 Müller, Adam 28 Münch-Bellinghausen, Joachim Eduard Freiherr von 41 Mundt, Theodor 51 Münster, Ernst Graf 48 Münster-Meinhövel, Hugo Graf zu 115 Musset, Alfred de 70 Nagler, Karl von 41 Napoleon I. (Bonaparte) 6, 69–70, 78 Napoleon III. 110–112, 114–115, 142, 144, 149, 151–152, 155 Nation, Nationalismus 29–30, 68, 70–71, 159–160 Neoabsolutismus, österreichischer 102 Nestroy, Johann 31 Nicht-Interventions-Doktrin 55 Nieper, Ferdinand 143 Nigg, Josef 127 Nikolaus I., Zar von Russland 56, 58, 74, 91, 106 Nikolsburger Vorfrieden 154 Norddeutscher Bund 155 Nostitz, Graf Carl 5 Offenburger Versammlung 79–80 Oktoberdiplom 103 Olmützer Punktation 92, 96–97 Orientalische Frage 4 Overbeck, Johann Friedrich 31 Palacký, František 22, 85 Palmerston, Henry John Lord 57–58, 74–75, 100, 142 Pariser Kongress (Pariser Frieden) 107 Paskjewitsch, Iwan 56 Paulskirche (Nationalversammlung) 87–89, 93–94 Pentarchie 14 Petter, Anton 32 Pfordten, Ludwig Freiherr von der 98, 104, 135 Pforr, Franz 31–32 Pfuel, Ernst von 86 Piret de Bihain, Ludwig Freiherr von 43, 50 Plombières, Treffen von 111 Pontus-Klausel 107 Prager Frieden 154–155 Prokesch-Osten, Anton Freiherr von 91–92, 109 Provinziallandtag 23 Pufendorf, Samuel Freiherr von 13 Quadrupelallianz 14, 56, 68 Raabe, Wilhelm 124, 127 Radetzky, Johann Graf 57, 73, 85, 91, 112
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Personen- und Sachregister Radowitz, Joseph Maria von 72–73, 89–92 Raimund, Ferdinand 31 Ranke, Leopold von 124 Rauch, Christian Daniel 128 Rechberg, Bernhard Graf von 143, 145–146 Renan, Ernest 30 Restauration 4, 18, 23, 27–28, 29, 42–43 Reuter, Fritz 126 Revertera von Salandra, Friedrich Graf 144 Rheinkrise 29, 68–73, 83 Rheinliedbewegung 70–71 Richter, Ludwig 127 Rietschel, Ernst Friedrich 128 Ripener Vertrag 82, 142 Roeder, Eugen von 58 Roggenbach, Franz Freiherr von 104, 132 Romantik 28 Roon, Albrecht von 132 Rothschild, Bankhaus 121 Rotteck, Carl von 17, 29, 62, 157 Rudolf von Habsburg 32 Rühle von Lilienstern, Johann August 58–59 Ruß, Carl 32 Sachs, Hans 25 Sand, Karl Ludwig 36–37 Sartorius, Georg 6 Sayn-Wittgenstein, Ludwig Wilhelm Georg Fürst von 41 Schapper, Karl 52 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 27 Schiller, Friedrich 31–32, 130–131 Schinkel, Karl Friedrich 31 Schleinitz, Alexander Graf von 115 Schlussakte des Wiener Kongresses 4, 12 Schmerling, Anton von 102–103, 133 Schneckenburger, Max 71 Schnorr von Carolsfeld, Ludwig Ferdinand 31–32 Schönbrunner Konvention (Entwurf), preußischösterreichische 145–146 Schopenhauer, Arthur 123–124 Schreyvogel, Joseph 31 Schubert, Franz 33 Schulze-Delitzsch, Hermann 123, 131 Schumann, Robert 33 Schwarzenberg, Felix Fürst (Schwarzenberg-BruckPlan) 67, 88, 91–100, 158 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob 53–54 Sigel, Franz 81 Smidt, Johann 6, 12 Soult, Nicolas 69 Stahl, Friedrich Julius 28, 79 Stein, Reichsfreiherr Karl vom und zum 6, 10, 40, 42, 103
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Steuerverein 67 Stifter, Adalbert 126 Storm, Theodor 127 Strauß, David Friedrich 123 Strauß, Johann (Sohn) 125–126 Strauß, Johann (Vater) 5, 126 Struve, Gustav von 81 Stutterheim, Joseph Freiherr von 57 Sybel, Heinrich von 124, 157 Talleyrand-Périgord, Charles Maurice Prinz von 57 Tegetthof, Wilhelm von 154 Teplitzer Geheimvertrag 139–140 Thiers, Louis-Adolphe 69 Thun-Hohenstein, Leo Graf 126 Treitschke, Heinrich von 49, 60, 157 Trias 37, 40–41, 134 Ultramontanismus 25 Unionspolitik, preußische 72, 88–98, 137 Usedom, Guido von 114–115 Veit, Johann und Philipp 31 Vereinigter Landtag 78–79 Verfassungen 18–19, 20–23, 28 Victor Emanuel II., König von Italien 111, 153 Victoria, Königin von Großbritannien 48, 142 Villafranca, Präliminarfrieden 112, 115 Wagner, Richard 26, 33, 124–125 Waldeck, Franz Benedikt 103–104 Waldmüller, Ferdinand Georg 127 Wangenheim, Karl August Freiherr von 40–41 Wartburgfest 35, 70–71 Weber, Carl Maria von 33–34 Weber, Wilhelm Eduard 49 Weidig, Ludwig 52 Weitling, Wilhelm 52 Welcker, Carl Theodor 29, 62, 157 Werner, Anton von 156 Werther, Karl Freiherr von 148 Wessenberg, Johann Freiherr von 7 Westfälischer Frieden 13 Wiener Kongress 3–5, 7, 13 Wiener Schlussakte 11, 38, 42–44 Wilhelm I., König der Niederlande 56 Wilhelm I., König von Württemberg 40, 73 Wilhelm II., Kurfürst (Kurhessen) 47 Wilhelm III. von Preußen 37 Wilhelm IV. von Großbritannien 48 Wilhelm von Braunschweig-Öls, Herzog 46 Wilhelm, Prinz(-regent) von Preußen (König Wilhelm I.) 72, 104, 108, 114–116, 132, 138, 146, 151–152
Personen- und Sachregister Willisen, Karl Wilhelm von 115 Windischgrätz, Alfred Fürst 85 Wintzingerode, Georg Ernst Graf von 12 Wirth, Johann August 53–54 Wolff, Albert 128 Wolzogen, Ludwig von 54
Wrangel, Ernst von 82, 143 Würzburger Konferenz 135 Zedlitz-Neukirch, Konstantin Freiherr von 144 Zelter, Carl Friedrich 33 Zollgesetzgebung, preußische 7, 23, 62
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