Der jüdische Arbeiter-Bund Russlands im Revolutionsjahr 1917 3203508249, 9783203508245


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Der jüdische Arbeiter-Bund Russlands im Revolutionsjahr 1917
 3203508249, 9783203508245

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LUDWIG BOLTZMANN INSTITUT FÜR

GESCHICHTE

DER ARBEITER-

BEWEGUNG

Arye Gelbard

Der jüdische Arbeiter-Bund

Rußlands

im Revolutionsjahr 1917 Mit einem Vorwort von Reinhard Kannonier

Arye Gelbard

Der jüdische Arbeiter-Bund Rußlands lm Revolutionsjahr 1917

Ludwig Boltzmenn Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung

Materialien zur Arbeiterbewegung Nr. 26

Arye

(ä./elbard

Der jüdische Arbeiter-Bund Rußlands im Revolutionsjahr 1917 Mit einem Vorwort von Reinhard Kennonler

1982

Europaverlag Wien

MATERIALIEN ZUR ARBEITERBEWEGUNG

Herausgegeben von Univ.-Prof. Dr. Karl R. Stadler Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte Universität Linz A-4040 Linz/AUSTRIA

Fachiektorat: Dr. Reinhard Kannonier

Gefördert durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien

Medieninheber Europe Verlag GesmbH Wien 1982 by Dr. Arye Gelben! Umschleggesteltung Willi K6gl Hersteller Pl6chl Freistadt Oö. Verlegsort Wien Herstellungsort Frelstedt Printed in Austrie

©

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3-203-50824-9

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-.n’. -£'3 INHALTSVERZEICHNIS

REINHARD KANNONIER

Vorwort Der 'Dund' ein neues Element in der Geschichte des Ost udentums..............................................VII

-

Danksagung des Autors....................................XVII Der jüdische Ansiedlungsrayon...........................XVIII

ARYE GELBARD Der

deische Arbeiter—Bund Rußlande im

Revolutionsjahr 1917

Einleitung..................................................1

1. Die Errichtung des neuen Regimes nach der Februar...................5 rev6lution......................

......

2. Die 10. 'Bund'-Konferenz................................19 3. Die Stellungnahme des “Bund“ zu den Grundproblemen der Eégche..............................................30

1. Charakter der Revolution und Regierungsfragen........30 2. Krieg und Frieden....................................42 3. Das Nationalitätenproblem und seine Lösung...........48

4. Revolutionskrise und Aufstieg des bolschewistischen .......68 Einflusses.................‚...............

......

5. Der "Bund“ in Weißru81and und in der Ukraine............82 1. Weißrußland..........................................82 2. In der Ukraine...........‚...........................90 6. An der politischen und öffentlichen Front..............112 1. In den Gewerkschaften...... .112 2. An der munizipalen Front............................119 3. In der Wahlkampagne zur Nationalversammlung.........126 7. Unter dem jüdischen Publikum..........................134

........................

.......... ................ ..... .............................

...139 1. Der jüdische all-russische Kongreß..... 2. Jüdische Gemeinde und Sabbatruhe. ...14B ..............156 3. Sprache, Kultur und Erziehung.... .....165 B. Die Oktoberrevolution

9. Der achte Kongreß des "Bund“

........................... 183

-VI-

10. Die Nationalvereunnlun und der Friede von Breet-L towe ..........................................205

1. Die Auflösung der Nationalversammlung...............205 2. Die Friedensverhandlungen...........................211 11. In der Ukraine nach der Oktoberrevolution..:...........216

Nachwort................:..................................235 Anhang.....................................................239

..............................244 ..........................270 Bibliographie........ ..................... .....274

Anmerkungen..................

Namensregister...................

Ausgewählte

.

KARL R

STADLER Zu diesem Euch.................................

Der Autor.....................

............281

............................ ‚283

Publikationen des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung

-

VII

'

REINHARD KANNONIER Vorwort

Der ”Bund“

-

ein neues Element in der Geschichte des

Ostjudentums

Einer, der ihr alles andere als sympathisierend gegenüber-

stand, attestierte der bedeutendsten jüdischen Arbeiterorganisation in Osteuropa: “Bis zum Ersten Weltkrieg war der 'Bund' ein ruhmreiches Kapitel im Kampfe des jüdischen Proletariats

um seine Rechte in Rußland.“ Dies, obwohl der Zionist zVi Rudy,

in den 50er und 60er Jahren nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch im 'Israel Institute of International Affairs“

in Tel Aviv tätig, den “Bund" gleichzeitig mit einer unrühmlichen Bibelstelle bedachte ("Deine Zerstörer und Vernichter werden aus Dir hervorgehen') und ihn des

Renegatentums be-

ziehtigte.1 Ein politischer Gegner von der anderen Seite, Lenin, schloß eine scharfe Polemik gegen den “Bund“ im Jahre 1903 mit der

Hoffnung, daß “die besten Vertreter der sozialdemokratischen

Ideen im jüdischen Proletariat den 'Bund' früher oder später zwingen werden, den Weg der Absonderung aufzugeben und den Weg

der Verschmelzung

einzuschlagen"2

— es

ging u.a.

um die Frage

Föderation oder Autonomie im Rahmen der SDAPR. Den Exponenten dieser Stellungnahmen, die sich beliebig erweitern ließen, ist eines gemeinsam: ihnen machte das

schillernde Kleid des “Bund“ zu schaffen

-

einer Organisation,

der bisher von nicht-jüdischen Historikern der Russischen Revo-

lution viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Ist doch außer Streit zu stellen, daß der “Allgemeine Jüdische Arbeiterbund

1) 2vi Rudy, Die

Juden in der Sowjetunion. Europa Verlag,

Wien 1966, S. 17

2)

Lenin, Die Stellung des 'Bund' in der Partei. Zit.in: Iring Fetscher‚ Harxisten gegen Antisemitismus. Hoffmann und Campe, Hamburg 1974, S. 163

- VIII

'

in Litauen, Polen und Rußland' einen wesentlichen Beitrag zur Konstituierung der osteuropäischen Arbeiterbewegung insgesamt

leistete. Der vorliegende Band von A.Gelbard stößt also in eine

Forschungslücke vor, wobei aus der ohnehin nur ein knappes Vierteljahrhundert währenden Geschichte des 'Bund' ein sehr

kurzer Zeitraum behandelt wird. Allerdings jener Zeitabschnitt, der entscheidende Veränderungen in welthistorischem Maßstab

brachte. Deshalb nehmen die 'großen Probleme“ zu Recht großen Platz ein: der “Bund" erscheint in Gelbards Buch eingebettet

in die revolutionären Ereignisse des Jahres 1917 in Rußland,

reflektiert sie zu allererst in seinen internen Problemen und Diskussionen, gestaltet sie manchmal und vor allem im regionalen Bereich auch mit. Diese Verknüpfung von Welthistorié mit der Geschichte einer Gelbard nennt insgesamt 32.000 relativ kleinen Organisation

Mitglieder

-

-

gelingt eindrucksvoll. Wenn dies so detailliert

wie hier geschieht, wäre es kaum möglich, den Zeitraum eines Jahres zu überschreiten, wollte man nicht den Rahmen eines Buches sprengen. Deshalb konnt die Geschichte des “Bund“ bis

zum Ausbruch der Revolution ein wenig zu kurz. Die erste eigenständige Organisation der jüdischen Arbeiter-

klasse entstand in Warschau. Dort gründeten im Jahre 1896

jüdische Mitglieder der SDK?

(Sozialdemokratie des König-

reiches Polen) den “Verband jüdischer Arbeiter“, der ein Jahr später mit den sozialdemokratischen Komitees des Ansiedlungsrayons fusionierte. So entstand der “Allgemeine Jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen“, dessen Gründungskongreß (mit 13 Delegierten) im September 1897 in

Den sozialen

Wilna

stattfand.3

Hintergrund für die Organisierung des jüdischen

Proletariats bildete die zunehmende Differenzierung innerhalb des osteuropäischen Judentums selbst. Hatte die russische 3) John Bunzl, Klassenkampf in der Diaspora. Schriftenreihe des

Ludwig Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, Europaverlag, Wien 1975, S. 60f.

_Ix_

Volkszählung 1818 noch eine soziale Schichtung aufgezeigt, in

der die Händler bei weitem überwogen (86,5 9 Händler, 11,6 \ Handwerker, 1,9 \

Landwirte‘),

so begann sich in der zweiten

Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor allem aber ab 1880, die soziale Zusammensetzung zu verändern. Zwei Ereignisse leisteten

dieser Entwicklung Vorschub: die massenhaft einsetzende Emigration nach Mitteleuropa, in die damaligen Zentren Berlin, Wien usw.; und die interne Umsiedlungsbewegung in mittlere

und größere Städte in Weißrußland und der Ukraine. “Während der nicht-jüdische Schmied oder Bauer in Fabriken oder Minen Zugang fand, strömte das jüdische Proletariat in die kleinen,

Konsumgüter produzierenden Industrien,“ stellte Abraham Leon

fest5.

Von den 5,6 Millionen Juden, die 1914 in Rußland leb-

ten, waren 33 \ Werktätige; davon 613.000 jüdische Proletarier

und 14.000

Landarbeiter6.

Hand in Hand damit ging eine Zu-

sammenballung der jüdischen Bevölkerung in den städtischen Zentren.

Insofern bedeutete, wie John Bunzl mit Recht betont, die Entstehung des "Bund“ als einer “Bewegung von proletarisierten

-

ökonomisch besonders struknationalen Minderheit-‚"7 tatsächlich einen Bruch in der Geschichte der jüdischen Gesellschaft: sie trug den

Handwerkern einer unterdrückten turierten

-

Klassenkampf in diese Volksgruppe. In den ersten Jahren seines Bestehens expandierte der 'Bund"

aufgrund der oben geschilderten internen Migrationsbewegung in

die wirtschaftlich entwickelteren Gebiete besonders nach Süd-

-

westen. Bis zu seinem 4. Kongreß 1901 konnte er gemeinsam mit und zugleich als allgemein-sozialdemokratische Organisa-

tion

-

in Weißrußland und in der Ukraine starke Bastionen er-

richten. Dieser 4. Kongreß war in vieler Hinsicht bedeutsam. Im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die 'Iskra'-Debatte und

4) Abraham Leon, Judenfrage und Kapitalismus. trikont-Verlag, München 1971, S. 75 S) ebenda, S. 76

6) Zvi Rudy, s.o.,

s.

78

7) John Bunzl, s.o., S. 102

die erste große Diskussion um die nationale Frage. Der zweite

Problemkreis führte zur Herausbildung dreier Strömungen im “Bund“, die die politischen Gewichte innerhalb der Organisation bis zu ihrem Zusammenbruch verteilten (ein Teil der Delegierten erachtete die nationale Frage für unbedeutend; ein anderer

plädierte für ihre ausführliche Berücksichtigung im Programm, ohne daß deshalb die Entwicklung des Klassenbewußtseins im

jüdischen Proletariat hintangestellt werden dürfe; die dritte

Tendenz schließlich räumte dem Nationalitätenproblem absolute Priorität eine). Es ist selbstverständlich, daß die nationale Frage

-

auch,

ja besonders nach der endgültigen Formulierung des Prinzips

der national-kulturellen Autonomie am 6. Kongreß 1905

-

immer wieder Mittelpunkt von Streitigkeiten mit andern jüdischen Organisationen, aber auch intern, war. Die Bundisten griffen

dabei auf Karl Renner zurück, der erstmals die Vorstellung einer nicht territorial definierten Autonomie entwickelte. Er ging davon aus, daß der Staat gleichsam in doppelter Weise ge-

teilt werden müsse: national und

staatlich9.

Am Brünner Partei-

tag der österreichischen Sozialdemokratie im September 1899

forderte die südslawische Delegation aufgrund der 'Streulage der Slowenen (Krain, Steiermark, Kärnten, Küstenland)"10 das Personalprinzip und stellte einen Antrag, der allerdings nicht in der endgültigen Formulierung des Parteitages aufscheint. Dort heißt es nämlich: 'An Stelle der historischen Kronländer werden national abgegrenzte Selbstverwaltungskörper gebildet““.

Das Territorialprinzip, wie es von Karl Kautsky in “klassischer"

Weise abgeleitet wurde, blieb also unangetastet. Die Bundisten, die irrtümlich meinten, der Brünner Parteitag habe die Forderung der südslawischen Delegation unterstützt, nahm also deren Antrag zum Vorbild

für die eigene Problem-

8) ebenda, S. 77

Helmut Konrad, Nationalismus und Internationalismus. Materialien zur Arbeiterbewegung, Europa Verlag, Wien 1976, S. 89

9) Siehe dazu

s.

73

11) Helmut Konrad, s.o.,

s.

10) John Bunzl, s.o.,

65ff. (Hervorhebung von mir)

-

XI

-

stellung. Sie gerieten dadurch in eine Kontroverse mit der SDAPR,

für die Lenin 1903 feststellte: 'Die Idee der jüdischen Nationalität trägt offen reaktionären Charakter nicht nur bei ihren

konsequenten Anhängern (den Zionisten), sondern auch bei denen,

die versuchen, sie mit den Ideen der Sozialdemokratie in Einklang zu bringen (den Bundisten). Die Idee der jüdischen Nationalität

widerspricht den Interessen des jüdischen Proletariats, da sie in ihm unmittelbar und mittelbar eine der Assimilation feind-

liche Stimmung, eine 'Getto'-Stimmung,

erzeugt'12.

Lenin änderte

später seine Position und sprach 1914 davon, daß 'keine einzige Nationalität in Rußland so unterdrückt und verfolgt“ werde wie die jüdische13 Von den Führern der Bolschewisten war er sicher

.

derjenige, der der nationalen Problematik am sensibelsten gegenüberstand, wie auch Gelbard andeutet (siehe S. 50 des vorliegenden Buches). Das hat ihn aber nie dazu veranlaßt, daraus die Notwendigkeit des Personalitätsprinzips abzuleiten. Für ihn und die Bolschewiki, aber auch für Teile des “Bund“ selbst war der Klassenkampf dem Nationalitätenkampf überzuordnen, egal, ob es sich um Völker mit oder ohne geschlossenes Territorium handelte.

Ihnen ging es vor allem um die Verbindung der nationalen mit der Klassenfrage, wie sie in den Leitsätzen der Kommunistischen Internationale auf deren 2. Kongreß 1920 festgelegt wurde: es sei

notwendig, 'die revolutionären

Bewegungen unter den abhän-

gigen und nicht gleichberechtigten Nationen (z.B. Irland, unter

den Negern Amerikas usw.)...zu

-

unterstützen““.

Die angeführten

-

zeigen, Beispiele in der Klammer Irland und Afro-Amerikaner daß von der Frage eines eigenen Territoriums abstrahiert wurde. Daß unter den führenden 'Bund'-Mitgliedern die Definition der national-kulturellen Autonomie häufig mit taktischen, ja

pragmatischen überlegungen der kurzfristigsten Art verbunden waren, vermag Gelbard überzeugend darzustellen. Sie wurde auch

12

Lenin, s.o., S. 161

13) Lenin, Gesetzentwurf über die nationale Gleichberechtigung. In: Fetscher, s.o., S. 164 (Hervorhebung von mir) 14) Leitsätze

der Kommunistischen Internationale‚l. bis IV.

Kongreß, Bd. 2, II. Kongreß (1920). Kübler KG, Mannheim 1972,

s.

25

-XII—

keineswegs als allgemein gültiges Schema verstanden, sondern

nur für die eigene Volksgruppe verlangt. Als Beispiel sei die Haltung des “Bund“ in der Ukraine erwähnt. Er stimmte dort für

das 'Dritte Universal“, in dem die Loslösung von Rußland gefordert wurde, also für die territoriale Autonomie. Der Grund da-

-

für war, daß den ukrainischen Juden von der Rada ebenfalls national-kulturelle Freiheiaus rein taktischen Erwägungen

-

ten versprochen worden waren. Und dies gerade in der Ukraine,

wo sich die nationalistische Bewegung durch ausgeprägten Antisemitismus hervorgetan hatte! Zur Verwirrung mag beigetragen haben, daß sich die Diskussion um die historische Legitimation der national-kulturellen Autonomie um kulturelle, politische und religiöse Kriterien

zentrierte, womit der soziale Aspekt ins Hintertreffen geriet.

Unseres Wissens haben erst Max Weber und dann vor allem Abraham Leon versucht, die verschiedenen Formen jüdischer Existenz als

Sozialgeschichte zu

interpretierenjs‚ Weber hat für die 'Pariakapitalismus'16

ausgestoßenen Händler den Begriff

sozial geprägt,

während Leon in der Kategorie 'Volksklasse' den Schlüssel zur jüdischen Geschichte suchte. Er analysierte die jeweiligen öko-

nomischen Funktionen der Juden in verschiedenen historischen Epochen und kam so zu einer Periodisierung, die sich auf die entscheidenden Schichten des jüdischen Volkes stützt (von der vorkapitalistischen Agrargesellschaft bis zum Imperialismus). Er verstand darunter, meint Nathan Weinstock, 'einen Prozeß der permanenten Selektion, der sich über mehrere Jahrhunderte Und weiter:

streckte'17.

'Das Schicksal der Juden ist nicht völlig einzigartig in

der Geschichte, obwohl die Juden zweifellos das vollendetste Beispiel eines Prozesses sind, den auch viele andere Völker

15) Siehe dazu u.a. Nathan Weinstock, Einführung in Abraham

Leone "Judenfrage und Kapitalismus'. In: Zur jüdischen Frage, Internationale Sozialistische Publikationen, Frankfurt 1977, S. 22 16) Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 2, Tübingen 1923, S. 39

17) Nathan Weinstock, s.o., S. 26

-

XIII

-

erfahren haben. Es würde sicher eine lohnende Aufgabe sein, Leone Theorie der Volksklasse auf eine große Zahl anderer

Gemeinschaften anzuwenden, die inmitten von Gastvölkern ihre spezifischen religiösen, sprachlichen und kulturellen Eigenschaften aufgrund ihrer besonderen sozialen und ökonomischen Funktionen bewahrt haben. Beispiele dafür sind die

Zigeuner, die Armenier im Exil, die chinesischen Kaufleute in Südostasien, die Kopten, die indischen wucherer in Burma, die deutschen Gemeinschaften in den slawischen Gebieten usw. Diese Fälle illustrieren das überleben einer ursprünglich

ausländischen Gruppe in einer vorkapitalistischen Gesell— schaft als Agenten der Geldwirtschaft...möglicherweise könnte ein Studium ihrer Geschichte unter dieser Perspektive unser Verständnis ihrer gegenwärtigen Situation und ihrer Zukunftsaussichten

bereichern."18

Natürlich kann es sich dabei um keine ausschließenden Aus— sagen handeln, sondern 'nur' um das Aufzeigen historischer Darüber hinaus könnte auch die Erklärung des WachsTendenzen tums des modernen westlichen Antisemitismus erleichtert werden,

19.

indem dieser mit der “Unfähigkeit des krisengeschüttelten Kapi-

talismus, die jüdischen Massen aus Osteuropa zu integrieren, die durch die Zersetzung der Feudalwirtschaft ihre traditionel-

len Beschäftigungen verloren hatten“,20 in Verbindung gebracht wird. In jedem Fall ermöglicht es der Begriff der 'Volksklasse', die sozialen und nationalen Aspekte des Problems stärker mit-

einander zu verbinden als andere Versuche. Einig waren sich die Bundisten mit den anderen Strömungen der russischen Arbeiterbewegung in der Ablehnung des Zionis-

mus. Zwei Stellungnahmen können dies verdeutlichen. Der schon erwähnte 2. Kongreß der Komintern hielt fest: “Als ein krasses Beispiel des Betrugs der arbeitenden Klassen jener unterdrück-

18) ebenda, S. 23f.

19) Siehe dazu auch John Bunzl, s.o., S. 16ff. 20) Nathan Weinstock, s.o., S. 22f.

-XIV-

ten Nation, zu dem der Ententeimperialismus und die Bourgeoisie

der betreffenden Nation ihre Bemühungen vereinigen, kann die

Palästinaaffäre der Zionisten bezeichnet werden (wie der Zionismus überhaupt unter dem Deckmantel der Schaffung eines Judenstaates in Palästina tatsächlich die arabische Arbeiterbevölke-

rung Palästinas, wo die werktätigen Juden nur eine kleine Minder—

heit bilden, der Ausbeutung Englands

preisgibt)'21.

Der 'Bund' hatte seine Bedenken gegen die Zionisten um nichts

weniger radikal ausgedrückt. Er sah in der Schaffung eines jüdi-

schen Staates in Palästina ein imperialistisches Projekt, das

mit der Identitätsfindung der jüdischen Massen nichts zu tun

hätte. “Als Nation“.schreibt Gelbard in der Einleitung (8. 3), “erkannte der 'Bund' die Juden der Welt nicht an; er widersetzte sich einer globalen jüdischen Politik." Dies brachte ihn

auch in schärfsten Gegensatz zur britischen Labour Party, die

im Paragraph 12 ihres Friedensprogramms die Errichtung eines

jüdischen Staates in Palästina forderte (siehe S. 65f). Eine der zu Anfang erwähnten schillernden Seiten des 'Bund' war ohne Zweifel seine große Heterogenität in politischer und

regionaler Hinsicht. Gelbard zeichnet ein sehr anschauliches Bild davon. Selbst in sehr wichtigen allgemein-politischen Fragen wurden häufig unterschiedliche Positionen eingenommen (wie übrigens auch bei den Bolschewiki). Etwa bei der Einschätzung

der Staatsberatung Mitte August in Moskau, wo die Jekaterinoslawer 'Bund'-Zeitung als Minderheit offen gegen eine Koalition

war. Nach dem Kornilow-Putschversuch, als die “Internationalisten“ an Einfluß gegenüber den “Verteidigern' gewannen, bezog

dann allerdings die Mehrheit gegen die Koalition Stellung.

Ebenso läßt sich das Verhalten der einzelnen 'Bund‘-Ortsgruppen bei den Munizipalwahlen vom Mai bis August 1917 kaum unterschiedlicher denken. Meist arbeiteten die Bundisten zwar mit den Menschewisten zusammen, es gab aber auch gegen deren Wider-

stand in einigen Orten mit den Bolschewisten oder den Sozialrevolutionären gemeinsame Blöcke. Schon vorher hatte es z.B. in

21)

Leitsätze..., s.o., S. 28

_xv_

Weißrußland bis zum Mai eine einzige sozialistische Organisation gegeben, in der Menschewisten, Bolschewisten und 'Bund' gemeinsam vertreten waren. Wie überhaupt sich die Organisationsfrage als Problem wie ein roter Faden durch die Geschichte des 'Bund' zieht. Sie wurde aber, so weit sich dies der Literatur entnehmen

läßt, niemals ausführlich behandelt und scheintdementsprechend

auch im vorliegenden Buch kaum auf. Das bunte politisch-organisatorische Bild zeigt jedenfalls,

daß vom 'Bund' nicht einfach als von einem bloßen Anhängsel

der Menschewiki gesprochen werden kann. Gelbard macht deutlich,

wie eigenständig die jüdische Arbeiterorganisation auch über

unmittelbar nationale Fragen hinaus war, selbst wenn sie in den grundlegenden strategischen Problemen der Russischen Revolution mehrheitlich menschewistische Positionen vertrat. Aber allein die lange Debatte darüber, wie man sich den Bolschewisten gegenüber verhalten sollte und wie das Verhältnis der klassenbewußten

Proletarier zu diesen einzuschätzen sei, zeigt die elementaren Kräfte, die in der entscheidenden Frage der Regierungsform am “Bund“ zerrten. Und sie wirft gleichzeitig ein Licht auf die Vielfalt und Lebendigkeit der sozialen und politischen Impulse, die das Jahr 1917 prägten, die sich zu diesem Zeitpunkt noch ungehindert entfalten konnten und die im “Bund“ reflektiert wur-

den. Auf zwei besonders anschaulich dargestellte Bereiche des

vorliegenden Buches sollte noch hingewiesen werden. Zu Beginn

wurde angedeutet, daß es sich in erster Linie um eine allgemeinpolitische Geschichte des "Bund“ handelt. Dies ist einleuchtend, geht es doch nur um ein Jahr, noch dazu um das Jahr 1917 in Ruß-

land. Trotzdem gibt Gelbard auch sehr viele Informationen im Detail. Besondere Aufmerksamkeit widmet er der Ukraine, wo er eine Fülle von interessantem Material anzubieten hat. Der Schwerpunkt ergab sich zweifellos nicht zufällig: immerhin waren im

behandelten Zeitraum 6,8 0 der ukrainischen Bevölkerung Juden (ca. 1,7 Millionen), wovon 75 \ in den Städten lebten. Der zweite Aspekt betrifft die alltäglichen Probleme

in der "jüdischen

Gasse“, über die man auch einiges erfährt. Erwähnt seien hier nur die Schulfrage und die Sprachendebatte (Assimilation gegen-

-va—

über dem 'Gastland', Jiddisch, Hebräisch...); Gelbard vermit—

telt also auch ein Bild von den 'kleinen' Problemen, mit denen der 'Bund' tagtäglich zu tun hatte. Als im Jänner 1918 unter Dimansteins Vorsitz das 'Konmissariat für Jüdische Angelegenheiten' als Unterabteilung des von Stalin geleiteten Nationalitätenreferates gegründet wurde,22 war dies der Beginn des Endes vom 'Bund'. “Die jüdischen

Parteien', schreibt John Bunzl, “kamen allmählich zur Einsicht, daß unter der Sowjetmacht wenigstens die Existenz der Juden gesichert sei. Aus diesem Grunde, und im Zuge der bolschewistischen Strategie in der Ukraine, gingen größere Teile der jüdi-

schen sozialistischen Parteien zum Kommunismus über. Die Mehrheit des Bund reorganisierte sich unter Moses Rafes und

Alexander Chemeriskii als 'Kommunistischer

Bund"23.

Gelbard weist darauf hin, daß diese Zeit noch eingehender Forschungsarbeit bedürfte. Man kann sich diesem wunsch nur an-

schließen, nachdem er selbst einen so anregenden Grundstein mit dem vorliegenden Buch geliefert hat. Obwohl er aus seiner Sympathie für die grundlegenden Züge der Politik des 'Bund' kein Hehl macht, ist die faire Behandlung der anderen Strömun—

gen der russischen Arbeiterbewegung, inklusive der Bolschewiki,

immer gewährleistet. Das fiel bestimmt nicht leicht, wenn man den Anhang durchblättert: zahlreiche führende Mitglieder des

'Bund', insbesondere jene, die Kommunisten wurden, fielen später dem stalinistischen Terror zum Opfer. Aus Gelbards leben-

diger Schilderung des Jahres 1917 geht aber gleichzeitig her-

vor, daß sich die neue Regierung erst in einer späteren Phase zu dem verhärtet hat, was als historische Wurzel des Stalinis-

mus bezeichnet werden kann: zu einer Bürokratie, deren Interessen mit denen der Arbeiter- und Bauernmassen in Widerspruch gerieten.

22) John Bunzl, s.o., S. 134

23) ebenda, S. 136

-

XVII ‘

Ob das Buch neben seinem historischen Wert auch aktuelle Bezüge aufweist. ist rasch beantwortet. Es genügt der Hinweis auf zwei in ihm ausführlich behandelte -Problembereichez auf

die Regierungsfrage, die zweifelsohne nicht nur in Ländern der “Dritten Welt“, wie derzeit etwa in Nicaragua, von tagespoli-

tischer Bedeutung ist. Die strukturelle Krise, in der sich das westliche kapitalistische System seit der Mitte der 70er Jahre befindet, legt nahe, daß auch die europäische Arbeiterbewegung in Zukunft deutlicher als in den letzten drei Jahrzehnten damit konfrontiert werden wird. Ebenso wie die polnischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit darauf hindeuten, daß auch

in

den osteuropäischen, “sozialistischen“ Ländern die Ge-

schichte noch nicht das letzte Wort gesprochen hat. Und auf das Nationalitätenproblem, das gerade im Nahen Osten nach wie

vor seiner Lösung harrt.

Danksaggng des Autors Die vorliegende Schrift ist Teil einer ausführlichen Forschungsarbeit über den 'Bund', die größte jüdische sozialistische Partei in Rußland, die bei der Gründung der Sozialdemokratischen Partei Rußlands eine Pionierrolle gespielt hatte. Sie umfaßt die Epoche der zwei Revolutionen von 1917 bis zur deutsch-österreichischen Besetzung der Ukraine im Jahre 1918.

Ich möchte allen jenen danken, die mich in meiner Arbeit unterstützt haben. Dies gilt besonders für das “Diaspora Research Institute“ der Tel-Aviver Universität und dessen Leiter, Prof.S.$imonsohn, der mir in seinem Rahmen die Forschungstätigkeit ermöglichte. Meinen Kollegen, Prof.M.Mintz und Prof. M.Mischkinski, die meine Arbeit mit gutem Rat begleiteten, bin ich ebenfalls zu Dank verpflichtet. Herrn Universitätsprofessor Dr.Karl R.Stadler‚ dem Leiter des “Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung“ in Linz, bin ich für die Veröffentlichung meiner Arbeit zu besonderem Dank verpflichtet. Desgleichen Dr.John Bunzl für die Lektüre des Manuskripte und für seine Hinweise. Mein Dank gilt auch Dr.Reinhard Kannonier, der sich große Mühe mit diesem Buch gemacht hat. Ich verdanke ihm viele wertvolle Anregungen und die deutsche Endfassung des Textes.

Arye Gelbard

Jüdisdner Ansiedlungsrsyon 1908

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Die eingezeiehneten Städte außer Moskau und Petersburg waren Zentren der jüdischen Arbeiterbewegung



Aus: John Bunzl, Klanenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung. Schriftenreihe des LB] 5 Europaweng ) 975.

.

ARYE GELBARD

Einleitung

Mit dem Ausbruch der Februar-Revolution 1917 schien es,

als ob die enormen in der russischen Judenheit aufgespeicherten Energien, die unter dem zaristischen Regime der Unterdrückung und des Antisemitismus kaum zum Ausdruck gekommen waren, auf einmal befreit seien. Die neue Regierung hob die diskriminierenden Gesetze auf und gewährte den Juden volle Gleichberechtigung. Im ganzen Lande spürte man den Hauch der Freiheit, und die Juden, die schwer unter den Verfolgungen gelitten hatten, waren sehr beeindruckt. Zum ersten Mal in der russischen Geschichte wurde ihnen die Möglichkeit gegeben,

sich zu organisieren und nach ihrem Ermessen zu handeln. Ihre geistigen und sozialen Kräfte wurden offenbar. Jüdische Partraten an die öffentteien vor allem die sozialistischen

-

-

lichkeit und begannen eine bedeutende Rolle zu spielen. Hier mit vollem Namen: müssen wir vor allem den 'Bund' erwähnen “Allgemeiner Jüdischer Arbeiterbund in Litauen, Polen und Ruß—

-

land“. Es war dies die größte jüdische Arbeiterorganisation im Ansiedlungsrayon. Unter der Zarenregierung war sie eine der

bedeutendsten Untergrundbewegungen gewesen und hatte es verstanden, trotz der Illegalität den jüdischen Arbeitermassen nahe zu bleiben und den wirtschaftlichen Kampf mit Kultur- und

Bildungstätigkeit, politische Aktion mit menschlich-sozialistischer zu verbinden. Es ist unmöglich, die Geschichte des russischen Judentums oder der sozialistischen Bewegung in Rußland vor 1917 zu stu-

dieren, ohne dem “Bund“ und seiner Geschichte Aufmerksamkeit

zu widmen: er war die erste jüdische Partei, die sich um die Jahrhundertwende unter den Juden bildete. Ihr erster Kongreß fand 1897 in Wilno statt. Diese Gründungstagung legte kein Programm fest. Der Beschluß über die Namensgebung sollte zum Ausdruck bringen, daß die Zielsetzung des “Bund“ die Zusammenfassung des militanten jüdi-

schen Proletariats sei und daß seine Pforten jedem Arbeiter

offenstünden, der am Ringen des Proletariats um ein besseres

Leben teilnehmen wollte. Im Jahre 1898 beteiligte sich der 'Bund' an der Gründungskonferenz der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP) in Minsk und trat dieser als “autonome, selbständige Vereinigung für speziell das jüdische

Proletariat betreffende

Fragen“ bei.

Nachdem die RSDAP auf ihrer zweiten Tagung die Prinzipien der Föderation und der Autonomie in der Parteistruktur abgelehnt und den 'Bund' als alleinigen Vertreter des jüdischen Proletariats nicht anerkannt hatte, verließ dieser die Partei. Im Jahre 1906, nach der Vereinigungstagung in Stockholm (der

vierten der RSDAP)

kehrte er zurück, nachdem ein Beschluß

gefaßt werden war, daß der “Bund“ der Partei als sozialdemokratische Vereinigung des jüdischen Proletariats beitreten solle, deren Tätigkeit keinen territorialen Beschränkungen unterliege. Von Anfang an hatte der “Bund“ schwer mit den zaristischen

Behörden zu kämpfen, die nicht vor Verfolgungen und Massenver-

haftungen zurückschreckten. Durch intensive gewerkschaftliche Tätigkeit in allen Teilen des 'Ansiedlungsrayons' sammelte er Massen jüdischer Arbeiter um sich. Der 'Bund' führte die wirt-

schaftlichen Kämpfe der jüdischen Arbeiter, entwickelte die Sprache und ihre Kultur, förderte die Modernisierung und Demokratisierung der jüdischen öffentlichkeit und errichtete jüdi-

sche Selbstverteidigungs-Organisationen. Am Höhepunkt seiner Entwicklung während des russisch—japani-

schen Krieges und der Revolution des Jahres 1905 zählte er mehr als 30 000 Mitglieder. Mit dem Niedergang der Revolution und den darauffolgenden Wellen der Reaktion (1907-1911), als Terror, Verfolgung, Verzweiflung und Massenemigration die jüdische Straße heimsuchten, lichteten sich seine Reihen. Seine ihm verbliebenen letzten Kräfte verwandte er daher hauptsächlich auf

kulturelle Aktivitäten mit Hilfe der existierenden legalen Kulturvereinigungen. Von 1912 an rührten sich von neuem die revolutionären Kräfte innerhalb der russischen Arbeiterschaft. In dieser Atmosphäre

erwachte auch der 'Bund'. Zwischen 1912 und 1914 sammelten

seine Ortsgruppen neue Stärke und entfalteten weitreichende Aktionen für die bevorstehenden Wahlen zur 4. Duma sowie in der Organisierung zahlreicher Proteststreiks. Der Erste Weltkrieg brachte tiefgehende Veränderungen im Russischen Reich. Der beginnenden Erschütterung der Zarenherr-

schaft folgten der Zusammenbruch der Fronten, fortschreitender

Zerfall der Wirtschaft und neue Leiden und Pogrome für die Juden Rußlands. Die sich verändernde Situation stellte auch

den “Bund“ vor neue Probleme. Verhaftungen oder Einzug zur auch Mitglieder des Zentral-

Armee vieler seiner Funktionäre

-

-, die Kriegsereignisse sowie Deportationen brachten zahlreiche Ortsgruppen zur Auflösung. Erst nach geraumer Zeit gelang es der Partei, die Neuorganisierung und Wiederaufnahme komitees

ihrer Aktivitäten durchzuführen. In all den Jahren seiner Existenz verstand es der 'Bund', das Selbstbewußtsein der jüdischen Arbeiter zu heben. Er machte

sie zu einem entscheidenden Faktor im Prozeß der Entwicklung der national-politischen Identitätsfindung der jüdischen Massen.

Jüdisches Leben und die jiddische Sprache wurden gepflegt und jüdische Literatur und Erziehung gefördert. Man bestand eifersüchtig und hartnäckig auf der Selbständigkeit der jüdischen

Arbeiterbewegung, gleichzeitig knüpfte man aber Hoffnungen an

das gemeinsame Ringen mit den russischen

Arbeitern.‘

Als Nation erkannte der “Bund“ die Juden der Welt nicht an;

er widersetzte sich einer globalen jüdischen Politik. Seine Forderungen galten nur der russischen Judenheit und ihrerAuto-

-

nomie. Man lehnte Zusammenarbeit mit anderen Parteien ab sogar in Fragen der Selbstverteidigung gegen Pogrome. Der “Bund“

stand im schärfsten Gegensatz zum Zionismus, der ihm als bürgerliche oder kleinbürgerliche reaktionäre Bewegung erschien, und auch den sozialistisch-zionistischen Arbeiterparteien ging es nicht besser.

! über

die wichtigsten Etappen des 'Bund' siehe John Bunzl, Klassenkampf in der Diaspora, Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung, Europa Verlag, Wien 1975

In ideologischer Hinsicht schwankte der “Bund“ zwischen

Nationalismus und Internationalismus. Er bemühte sich, eine Brücke zwischen zwei Auffassungen zu finden. Einerseits sah man das jüdische Proletariat als Teil des allrussischen an, anderseits erschien es als Teil der Judenheit. Nationale,

kosmopolitische und quasi assimilatorische Elemente existierten in der Partei nebeneinander. So geschah es denn gar nicht

selten, daß man zu keiner eindeutigen, klaren Stellungnahme

für oder gegen die politischen und kulturellen Rechte der

Juden gelangen konnte. In der Zeit während des Ersten Weltkriegs neigte der “Bund“

zu allgemein-jüdischen Positionen. In einer Geheimzusammenkunft in Charkow (Frühjahr 1916) wurde im Gegensatz zu früheren Stellungnahmen beschlossen, sich an allgemein-jüdischen Hilfsorganisationen, die infolge des Leidens der jüdischen Massen notwendig wurden, zu beteiligen. Das erstreckte sich auf materielle Hilfe, aber auch auf kulturelle und soziale Tätig-

keiten. Gleichzeitig bestand der "Bund“ auf seinem Anteil in der Verwaltung und der Geschäftsführung dieser Organisationen und auf ihrem demokratischen Charakter. Man widersetzte sich den Persönlichkeiten, die versuchten, die Führung an sich zu reißen. Jetzt erkannte man an, daß die jüdische Frage auch einen internationalen Charakter trage. Der “Bund“ veröffent-

lichte auch reichhaltiges Material über Judenverfolgungen in Rußland. Unter den sozialistischen Parteien in Rußland hatte der 'Bund' den Ruf, besonders gut organisiert und diszipliniert im Gegensatz zu anderen seine Einheit trotz zu sein und

-

-

scharfer Meinungsverschiedenheiten, die im Laufe der Jahre auftauchten, zu bewahren. Aber auch für den 'Bund' schlug die Stunde der Entscheidung, als er gezwungen war, nach der Revo— lution in politischen Fragen klare Stellung zu beziehen. Es

war nicht länger möglich, sich mit theoretischen Diskussionen und Kompromiß-Resolutionen zu begnügen. Jetzt mußte man Beschlüsse fassen und den Ortsgruppen und Funktionären, aber auch der öffentlichkeit eindeutige Verhaltensmaßregeln geben.

1. DIE ERRICHTUNG DES NEUEN REGIMES NACH DER FEBRUARREVOLUTION

Rußland war auf einen längeren Krieg nicht vorbereitet gewesen. Der Widerstand gegen die Regierung und das in der Öffentlichkeit herrschende tiefe Mißtrauen gegen sie steiger-

ten und verstärkten sich nach den großen Frontniederlagen. Die

im Volk kursierenden, auf Tatsachen fußenden Gerüchte über einen dem Trunk und der Unzucht ergebenen “heiligen“ Landsmann

(Rasputin), der sich am Zarenhof gewaltigen Einfluß verschafft hatte, trugen zur Untergrabung der höchsten Autorität im Lande bei. Der Unwille der Bevölkerung, den Forderungen der Regierung Folge zu leisten, wuchs mit zunehmender Kriegsmüdigkeit und mit den kriegsbedingten Leiden.

Die Fahnenflucht wuchs

ständig an und die sowieso schon gespannten Beziehungen zwischen den Soldaten und ihren Offizieren verschärften sich. Der lange Krieg erforderte enorme Ausgaben der Regierung, was Inflation und Teuerung zur Folge hatte. Die endlosen Einberufungen entleerten die Dörfer von der männlichen Bevölkerung und störten

die Versorgung der Städte. Neben den bis an die Grenze der Hungerrationen schwindenden Lebensmittelvorräten zwang der

Brennstoffmangel len.

zahlreiche Betriebe, die Produktion einzustel-

Die schon im Januar 1917 ausbrechenden Streiks und Massen-

demonstrationen beleuchteten schlagartig die in der Bevölkerung von Petrograd herrschende Gärung. Von Tag zu Tag wurde

die

Forderung stärker, dem Krieg ein Ende zu setzen und die Zaren-

herrschaft zu stürzen. Immer häufiger liefen ganze Regimenter,

die ja eigentlich die Unruhen unterdrücken sollten, zu den Demonstranten über. Am 23. Februar (8. März) brachen Krawalle

aus, und hunderttausende Industriearbeiter strömten in die Straßen der Hauptstadt. Einheiten der Petrograder Garnison schlossen sich den demonstrierenden Massen an. Zwei Tage später, am Samstag, dem 25. Februar (10. März), wurde der

Generalstreik ausgerufen, und bei den Demonstrationen erschienen

Transparente mit Parolen wie “Nieder mit dem Zar!“ und 'Beendet

den Kriegl', die durch ihre Schärfe hervorstachen. Die revolutionäre Spannung verschärfte sich durch die tags darauf folgen-

de Auflösung der zwei Wochen lang nicht zusammengetretenen Duma durch den Zaren. Mit der Errichtung des “Provisorischen

Rates der Duma“ unter dem Vorsitz des Monarchisten Rodzjanko

begannen konkrete Verhandlungen mit dem Zaren über seine Thron— (15.) März Nikolaus II seine

entsagung. Und so verkündete am 2.

Abdankung zugunsten seines Bruders, der am nächsten Tag eben-

falls zurücktrat. Die Abschaffung der Monarchie wurde von der Einsetzung einer Provisorischen Regierung begleitet, an deren Spitze der Prinz Lwow

stand.2

Wie schon bei der ersten russischen Revolution (1905) ent—

zündeten auch bei der zweiten die Ereignisse in der Hauptstadt die revolutionäre Flame im ganzen Lande. Im Gegensatz zu damals war das zaristische Regime diesmal nicht mehr in der Lage, seine Positionen zu halten, denn weder die Bevölkerung noch die Armee

waren bereit, die Monarchie vor dem Zusammenbruch zu retten. Das Fehlen jeglicher organisierenden Führung durch die Parteileitungen oder -führer verlieh der Revolution in ihren ersten Tagen den Charakter eines völlig unkontrollierbaren Prozesses.

Zwischen dem 23. und dem 25. Februar trafen geheim zwar hier und da Vertreter der sozialistischen Parteien mit linksgerichteten Dumaabgeordneten zusammen, aber diese Zusammenkünfte hatten keinerlei Einfluß auf den Gang der

Ereignisse.3

Erst der Sieg der Revolution in der Hauptstadt führte zur fast gleichzeitigen Entstehung von zwei Zentren mit der Ziel-

setzung, die vorerst spontane Bewegung in organisierte Bahnen

zu lenken: das eine war die Provisorische Regierung mit Kadetten und Oktobristen in der Mehrheit und mit ihren hervorstechend-

sten Vertretern, Außenminister

Gutchkov.5

Justizminister

“Trudowiki',7 war Petrograder Rätekomitees

ter der

Miliukov‘

Karenski,6

- der

und Kriegsminister Mitglied der Duma und Lei-

mit besonderer Genehmigung des

einzige Vertreter der Linken.

Der andere Mittelpunkt war der Arbeiter- und Soldatenrat, der

rasch an Einfluß und Macht gewann. Die Initiative zu seiner Errichtung ging von einer Gruppe von Werktätigen aus, die am

27. Februar (12. März) sozialistische Arbeiter aus den Gefängnissen befreit hatte. Anders als 1905, war der Petrograder Sowjet von Anfang an stark von den sozialistischen Parteien beeinflußt. Unter den Delegierten der Arbeiterschaft hatten die Menschewisten in der ersten Phase der Revolution gegenüber der

schwachen Position der Bolschewisten entscheidendes überge-

wicht. Von Petersburg ausgehend, erreichte der Siegeszug der Revolution die entferntesten Ecken Rußlands und brachte innerhalb

weniger Tage den völligen Zerfall des alten Regimes und seiner Organe mit sich. Gleichzeitig entfaltete sich in allen Schich-

ten der öffentlichkeit eine Welle

revolutionär-organisatorischer

Aktivitäten, die in der Errichtung der Räte in allen Teilen des

Landes, von Finnland bis zum Stillen Ozean, gipfelte. Durch die Revolution wurden die Volkekräfte von ihren Fesseln befreit, Bewegungen und Gruppen des Untergrundes kamen ans Tageslicht, erstürmten den politischen Schauplatz, ergossen sich in die Straßen und strebten nach öffentlich anerkannten Ausdrucksfor-

men. Die Massenerregung, anschwellende Politisierung als natürliche Begleiterscheinungen des Demokratisierungsprozesses all diese Kräfte riesen auch die jüdische Bevölkerung mit den in

-

ihrer Mitte wirkenden politischen Faktoren, den schon lange bestehenden sowie den neu aufkomenden, mit sich. Bis zum Ausbruch der Revolution bestanden die jüdischen

sozialistischen Parteien, einschließlich des 'Bund', aus nur wenigen illegalen Zellen, die noch dazu durch die militärischen

Einberufungen, Verfolgungen und Verhaftungen geschwächt waren. Gleich nach dem Sturz des alten Regimes entstanden jedoch in

ganz Rußland, von Minsk bis Saratov und Irkutsk, von der Krim bis Petrograd und Moskau neue Ortsgruppen. In den neuerrichteten zentralen revolutionären Institutionen von Petrograd waren von Anfang an bekannte Führer des “Bund“ zu finden. Mosche Rafee, aus der Haft befreit, war zusammen mit Henrik Ehrlich unter den ersten, die im Taurischen Palast erschienen. Des-

gleichen befenden sich unter den Funktionären David Saslawski,

Wladimir Kantonadtsch,Cahan-Virgili und Jakob Etkin aus den

jüdischen Institutionen. Zu dieser Gruppe gesellte sich, sich

mit aller Energie in den Dienst des 'Bund', des Sowjets und der menschewistischen Partei stellend, der langjährig tätige

Funktionär Mark Lieber. Einige der Parteiführer weilten im Ausland und nahmen an der Revolution nicht direkt teil. Wladimir Medem, Noah Portnoy,

Bejnisch Michaelovitch hielten sich in Polen und Litauen auf, Wladimir Koeeowsky, Jona Koigen und Franz Kurski in der Schweiz.

Auch Rafael Abramovitsch und A. Litwak fehlten in den ersten Tagen der Revolution. Dagegen kehrten zu öffentlicher Tätigkeit

rasch diejenigen Führer des 'Bund' zurück, die in entfernte

Ortschaften verwiesen worden waren. Unter ihnen: Judin-Eisenstadt, Esther Frumkin, Jerachmiél Weinstein, Goshanski-Lenu‚ Alexander Techemevieki und andere, die sofort nach der Amneetie mit großer Energie in den verschiedenen Ortsgruppen die Arbeit aufnahmen. Die revolutionäre Begeisterung führte viele in die Reihen

der Partei, zu Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen; sie brachte in ihrem Gefolge aber auch solche mit sich, die in der Revolution ein Mittel zu persönlichen Vorteilen und eine Leiter zu politischer Karriere und zu öffentlichen Posten sahen. Die zwei sich im Mittelpunkt der revolutionären Ereignisse

befindenden

Ortsgruppen, Petrograd und Moskau, waren nicht gewöhnlicher Natur. Zwar existierten in beiden Städten auch schon

vorher wichtige Gruppen, wenn sie auch infolge des Fehlens einer jüdischen Arbeiterschaft nicht die größten waren. Aber die Mitglieder des 'Bund', die während des Krieges hinzugezogen waren,

errichteten sie nunmehr von neuem. Sie kamen aus Warschau, Lodz und Bjalietok, von Grodno, Wilna, Minsk, Riga und Kowno; waren

aus den Gefängnieeen befreit worden und von Sibirien zurückgekehrt. Unter ihnen waren Arbeiter mit langjähriger Erfahrung in

Partei und

Gewerkschaften

an ihren Wohnorten; Studenten von den

Hochschulen sowie altgediente, namhafte Parteimitglieder; desgleichen hervorstechende Redner und Schriftsteller, die in den

Kriegsjahren die Parteitätigkeit mit dem Handel vertauscht hatten und jetzt, bei Ausbruch der Revolution, an ihre alten Posten

zurückkehrten und den Wiederaufbau der Partei auch in finanziel-

ler Hinsicht tatkräftig förderten.

In seinem Charakter ein Prozeß jenseits jeder Kontrolle, war der herannahende Sturm und die ihn ankündigenden Anzeichen in

der Oberschicht der politischen Funktionäre trotzdem deutlich

zu spüren. “Schon einen Monat vor der Revolution wurden die Er— wartungen ihres Ausbruches ganz offen in privaten Gesprächen

formuliert und in offiziellen Sitzungen

formuliert.",8

Hervorgerufen durch die zunehmende Verschärfung der Beziehungen zwischen Zarenhof und Regierung einerseits und der Opposi-

tion im Lande anderseits, wurde am 24. Januar (6. Februar) von

der Arbeitervertretung im “Ausschuß der

Kriegsindustrie“9

ein

von H.Ehrlich verfaßter Aufruf veröffentlicht, in welchem die Forderungen der gegenwärtigen Stunde und der Ruf nach revolutionärer Offensive verkündet wurden:

“Die Arbeiterklasse und die Demokratie sind nicht bereit, länger abzuwarten. Jeder vergehende Tag vergrößert die Ge-

fahr. Abechaffung der Alleinherrschaft und Demokratisierung

des Staates sind die vordringlicheten Aufgaben...bas arbei—

-

auf zum Taurischen Palast! Die Stimme der tende Petersburg Arbeiterklasse muß im ganzen Land und in der Armee gehört

werden. Nur die Errichtung einer vom organisierten Volk gestützten Provisorischen Regierung kann den Staat aus der Finsternis der allgemeinen Zerrüttung hinausführen, die po-

litische Freiheit festigen und den Frieden herbeiführen; und dieses den vom Proletariat in Rußland und in anderen Ländern aufgestellten Bedingungen folgend.“10 Demnach war der Führer des “Bund“ der erste, der die Forderungen der Revolution formulierte. Nicht nur das: in den ersten Februartagen kamen in Petrograd verschiedene Zusammen-

künfte von Delegierten von Linksgruppen zustande. Drei dieser Treffen fanden in der Wohnung von Gorki statt und ein weiteres auf Einladung Kerenskis in dessen Wohnung (26. Februar), und an

allen war auch Ehrlich beteiligt. Diese Versammlungen waren

Teilnehmer11

insofern von weittragender Bedeutung, als sich ihre als eine Art “Generalstab der Revolution“ betrachteten. Infolge des Fehlens eines organisierten politischen Organe, das fähig gewesen wäre, in jenen stürmischen Februartagen die Ereignisse beeinflussen und leiten zu können, war diese Einstellung

‚10-

zweifellos berechtigt und entsprach den Notwendigkeiten des Augenblicks. Die im Aufruhr befindlichen Massen erforderten eine Führung, die imstande war, ihre Bestrebungen zu formulieAusdruck zu verleihen, sie anzuleiten und zu ren

und1ähnen

lenken.



Am 27. Februar (12. März) beschlossen die 30 40 Teilnehmer, Ehrlich unter ihnen, einer in den TaurischenPahmt einberufenen Konferenz die Schaffung einer provisorischen Exekutive für den

“Rat (Sowjet) der Arbeiterdelegierten“ vorzuschlagen und an Arbeiterschaft und Soldaten zu appellieren, Delegierte zu wählen und in den Petrograder Sowjet zu

entsenden.13

Ehrlich gehörte zu den drei Mitgliedern der Mandatekommission, die zu prüfen hatte, ob die Wahlen für den Sowjet einwandfrei und Hrostaliow Mitwaren. Außer Ehrlich waren auch Gwosdiew



glieder des Ausschusses. Letzterer hatte zu den zentralen Funktionären des Petrograder Sowjets im Jahre 1905 gehört. Trotzdem wurde gegenüber diesen beiden Komiteemitgliedern von verschiedenen Seiten heftige Kritik laut. Wegen seiner Betätigung

im “Komitee der Kriegsindustrie“ erregte Gwosdiew Mißtrauen; desgleichen Hrostaliow durch seine öffentlichen Aktivitäten in

Paris und seine Beteiligung an der Zeitschrift “Novoje Wremja“.

Schließlich wurde beschlossen, die Mandatekommission erneut zu wählen, vorausgesetzt, daß gegen die Kandidaten keine Einwände geltend gemacht würden. Von den drei zuerst gewählten Mitglie-

dern wurde jedoch nur Ehrlich einstimmig gewählt. Er wurde als Mitglied des Zentralkomitees des “Bund“ und des Organisationsausschusses (Zentralkomitee) des R.S.D.R.P. vorgestellt. Ebenso wurde er in die Exekutive des Sowjets delegiert, während der zweite Bundist, Masche Rafes, seinen Posten daselbst als Delegkrter desselben Zentralkomitees einnahm, jedoch schon nach wenigen Tagen durch Mark Lieber ersetzt wurde. Neben den Bundmitgliedern in der Exekutive repräsentierten die Partei im

Plenum des Sowjets Wladimir Kantcrwitech und David Saslaweki. Auch andere jüdische Arbeiterparteien waren im Sowjet selber vertreten; in der Exekutive waren jedoch nur drei jüdische

Delegierte: zwei vom 'Bund', wie schon angeführt, und L.Bramson

von den

“Trudewiki'.15

-11-

Zweifellos spielte der “Bund“ in der Führung der Revolution eine ansehnliche, vielleicht über das wahre Kräfteverhältnii hinausgehende Rolle. Der Grund dafür mag wahrscheinlich in der Wertschätzung zu suchen sein, die ihm für seine vorherige Tätig-

keit im “Ansiedlungsrayon', in den Städten, in den jüdischen Kleinstädten und in der allgemeinen russischen Arbeiterbewegung zuteil geworden war. Die Betätigung des “Bund“ entfaltete sich in zwei Wirkungskreisen: in der allgemein-politischen und in der spezifisch

jüdischen Arena. Schon von Anfang an sahen die Führer des 'Bund', wie z.B. Saslaweki, auf allgemein-sozialistischem Gebiet den

hauptsächlichen Wirkungskreis für die Aueeinandersetzung. Nach seiner (Saslawekis) Anschauung durften generelle sozialistische

Zielsetzungen nicht um den Preis der Verwirklichung nationaler Thesen zurückgestellt werden. “Das jüdische Proletariat hat sich

zu vergegenwärtigen, daß die Bestrebungen von Einzelgruppen und Nationalitäten den weiterreichenden Zielen der Revolution untergeordnet werden

müssen.“16

Demgegenüber vertreten andere Bundi-

sten die Ansicht, daß in erster Linie spezifisch jüdische For-

derungen aufzustellen und die Erfüllung derselben anzustreben

sei.17

Wie auch immer, der “Bund“ war in der Praxis an beiden Schauplätzen tätig; einerseits nahm er zu allen im Verlauf der

Revolution auftauchenden Problemen Stellung, anderseits wirkte

er in der jüdischen Allgemeinheit und zeichnete sich durch die

Bekundung einer unabhängigen Position und die Zurückweisung jeglicher Zusammenarbeit mit anderen jüdisch-sozialistischen

Parteien aus. Der Ausbruch der Revolution fand den “Bund“ mit den Mensche—

wisten in einem noch vor dem Weltkrieg entstandenen Block verbunden. Nach der Spaltung in der Sozialdemokratischen Partei

Rußlands (1912) schufen die nicht-bolschewistischen Teile ein

“Organisationekomitee', welches im August 1912 eine Konferenz nach Wien einberief, an der der 'Bund', die Menschewisten, die Sozialdemokratische Partei Lettlands, die Gruppe Trotzki und

fraktionsloee Delegierte teilnahmen. Die dort angenommenen Beschlüsse enthielten, einem vom “Bund“ präsentierten Vorschlag entsprechend, u.a. einen Protest gegen die Judenverfolgungen in

-12_

Rußland und die Feststellung, daß die national-kulturelle Autonomie nicht im Widerspruch zu den Parteithesen stehe. In

dem von der Konferenz gewählten Organisationsausschuß war der “Bund“ durch M.Lieber vertreten.

Nach der Februarrevolution wurden die Beziehungen zwischen dem “Bund“ und den Menschewisten enger. Beide Teile präsentierten sich auf allen Betätigungsfeldern in der russischen öffent-

lichkeit als eine einheitliche politische Partei, und einzelne Führer des “Bund“ (Lieber, Ehrlich, Abramowitsch) widmeten sich

hauptsächlich der allgemein-politischen Aktion in Petrograd. Innerhalb des “Bund“

-

wie auch bei den Menschewisten

-

herrschte jedoch keineswegs Meinungeeinheit. Der Krieg hatte in allen sozialistischen Parteien zeitweise heftige Antagonismen

hervorgerufen, in deren Gefolge nun Gruppierungen wie die “Internationalisten' auf der einen und die “Verteidiger“ (Oberonzi) auf der anderen Seite zu finden waren. In den großen Emigrationezentren befanden sich in der Hauptsache Parteigänger

der “Internationalieten”, die zu den Teilnehmern an den Tagungen von Zimmerwald und Kiental gezählt hatten. Auch die sozialdemokratische Dumafraktion, die im August nicht für die Kriegekredite gestimmt hatte, sowie Sibirienverbannte wie Dan und

Zeretelli vertraten diese Anschauung. Dagegen traten “Verteidi— ger“-Tendenzen innerhalb der Petrograder Menschewisten und der Parteiintelligenz in ganz Rußland zutage. Anfang 1917 konnten die Meinungsverschiedenheiten zwischen

den beiden Hauptkontrahenten weitgehend beigelegt werden. Die Februarrevolution brachte ein größeres Maß an Einigkeit, welche in der Annahme der Zimmerwalder Grundsätze durch einen Teil der “Verteidiger“ zum Ausdruck kam: “Frieden ohne Besetzungen und Reparationen“; Anerkennung des “Selbstbeetimmungsrechtes der

Nationalitäten“



während die “Internationalisten' innerhalb

Rußlands die Verteidigung des revolutionären Rußland auf ihr Banner schrieben. Daraufhin kam die Schaffung eines Mittelflü-

gels, der “Revolutionären Verteidiger“, zustande, welchem inner-

halb der Partei zwischen Februar und September 1917 große Bedeutung zukam. In den Sowjets kollaborierten der “Verteidiger“

_13_

Lieber und der “Internationalist' Dan, der nach dem Februar

zum “Revolutionären Verteidiger“ geworden war.

Potressows,18

Rechte von diesem “Zentrum“ standen die Anhänger die die Zeitung “Denj' herauegaben. Diese strebten in Wirklichkeit die Spaltung der Partei an und erschienen später in verschiedenen Orten (Charkov, Petrograd) mit einer selbständigen

Liste zur Nationalvereammlung. Noch weiter rechts standen 19 20 Plechanow, Leo Deutsch und Vera Sassulitsch von den Begründern der russischen Sozialdemokratie an der Spitze der

“Jedinstvo“-Gruppe.21 Die Rückkehr von Axelrod, Martow, Dalin und des “Bund"Führers Abramowitsch nach Rußland im Mai 1917 stärkte die Opposition links der “Revolutionären Verteidiger“.

Hier sei erwähnt, daß links von den Menschewisten-“Inter— nationalieten“ eine weitere Gruppierung von “Internationalisten“ bestand, die zwar offiziell nicht der menschewistischen Partei

angehörte, mit dieser aber Beziehungen unterhielt. Die Gruppe war hauptsächlich um Maxim Gorkis Zeitung “Novaja Zhisn“ geschart, die im April 1917 gegründet worden war und heftige Angriffe gegen die “Revolutionären Verteidiger“ richtete. So wurden die Provisorische Regierung und die Räte nachdrücklich

aufgefordert, einen politischen Weg einzuschlagen, der dem Krieg ein Ende setzen sollte. An der Herausgabe der Zeitschrift

war auch Martow beteiligt. In der Öffentlichkeit war die Gruppe unter dem Namen 'Zentralbüro der Vereinigten Internatio-

nalistischen Sozialdemokraten“ bekannt. Die Schärfe der Auseinandersetzung zwischen den beiden Flügeln der Menschewisten kam auch innerhalb des “Bund' zum

Ausdruck, wenngleich, im Gegensatz zu ihm, bei den Menschewisten der Einfluß der “Internationalieten“ vorherrschend war,

vornehmlich dank des großen persönlichen Einflusses von Führern wie Martow,

Martinow22

und

Samkowski.23

Die zentralen Institutionen des “Bund“ sahen gleich zu Beginn der Revolution die Zusammenarbeit und die organisatori-

echen Beziehungen mit den Menschewisten als vordringlichste Aufgabe an, und schon am 23. April (6. Mai) teilte das Zentral-

_14—

komitee mit, daß bei seiner nächsten Plenarsitzung die Vereinigung der Ortsgruppen des “Bund“ und der Menschewisten behandelt würde. Bis dahin erging die Weisung, durch einstweilige Verein-

bilden.24

barungen gemeinsame Ausschüsse zu Demnach kam in dieser Sitzung des Plenums vom 24.-31.Mai (6.-13.Juni) die Fra-

ge der Vereinigung zur Sprache. Das Resultat der Verhandlungen war der Beschluß, gemeinsame Ausschüsse und leitende Institutionen zu bilden, welche “gemäß dem Prinzip der proportionalen Vertretung, entsprechend der Zahl der organisierten Mitglieder bei-

der Parteien, zusammengesetzt werden eollen'. Ebenso wurde die Vereinigung bestehender Regionalkomitees empfohlen. Auch wurde

beschlossen, die “Jedinstvo“-Gruppe in keine dieser Vereinbarungen

einzubeziehen.25

Dem Beschluß Folge leistend, den Versuch der Wiedererrichtung einer sozialdemokratischen Partei zu unternehmen, riefen die

Menschewisten zu einer Einigungstagung auf und das Zentralkomitee des “Bund“ wies alle seine Ortsgruppen an, an ihr teilzunehmen. Die Gelegenheit wahrnehmend, brachte das Zentralkomitee den Parteimitgliedern die Geschichte der Vereinigung mit den Menschewisten in Erinnerung. Dabei wurde betont, daß schon auf der Tagung der R.S.D.R.P. in Stockholm und auf der 7. Tagung des “Bund“ (1906) die Vereinigung mit der russischen Sozialdemokratie be-

schlossen worden war, und daß in der Praxis der “Bund“ seitdem einen Bestandteil derselben darstellte. Die Bundisten hatten ihre Abgeordneten zusammen mit den (menschewistischen) Parteimitgliedern zu wählen, jedoch in gesonderten Kurien. Zum Zwecke der Wahlen stellte die jeweilige Ortsgruppe des “Bund“ eine

Kurie

dar.26

Die Tagung trat zwischen dem 19. und 26. August

(1.-8.Septem-

ber) in Petrograd zusammen. Außer den Bolschewisten und der

Plechanov-Gruppe waren an ihr alle sozialdemokratischen Strömungen beteiligt. 222 Delegierte von 195 Ortsgruppen repräsentierten etwa 200.000 Parteimitglieder.27 Von den 42 (22.000 “Bund“-

Mitglieder vertretenden) Bundisten waren 35 Delegierte von Orts-

gruppen und 7 von den Zellen der Menschewisten entsandt

werden.28

_15_

Die der 'Bund'-Fraktion vorstehende Leitung bestand aus

M.Lieber, A.Weinstein, R.Abramovitsch, B.Lurie und A.Solotariew. Im Präsidium der Tagung war der “Bund“ durch A.Weinstein, im Sekretariat durch Ch.Rabinovitz, im Mandatsausschuß von A.

Solotariew und in der Kommission für die Nationalvereammlung durch H.Lurie vertraten. M.Lieber begrüßte die Konferenz namens

“Bund“.29

des Plechanow war von vornherein nicht eingeladen worden, und ein Teil der Gruppe “Novaja Zhisn“ verließ die Konferenz noch während der Debatten. Demnach blieb die Aufgabe, die Vereinigung der “Internationalisten', der “Revolutionären

Verteidiger“,des Zentrums und der “Verteidiger“, Anhänger Potressows, in die Wege zu leiten. Trotz der formellen Einigung zeigte sich jedoch sehr bald, daß schon bei der Wahl des Zen-

tralkomitees das Fraktionesystem erhalten blieb. Im Verlauf der hitzigen und zeitweise stürmischen Polemik

zwischen den verschiedenen Richtungen suchte der “Bund“ seinen

ihm

eigenen Weg. Auch blieb schon von Beginn an keine Möglichkeit für ein einheitliches Auftreten. Seine Delegierten vertraten in allgemein-politischen Fragen verschiedenartige Ansichten,

und sie sprachen eigentlich kaum als 'Bund'-Mitglieder, sondern eher als Angehörige der mannigfaltigen Menschewistenfraktionen. In prinzipiellen Fragen kamen nicht der “Bund“ oder Bundisten

zur Stellungnahme, sondern “Internationalisten' und “Verteidiger“. Um diese Erscheinung in der Partei und ihre interne Situation zu kennzeichnen, formulierte Weinstein im Namen des “Bund“ folgende Erklärung:

“Wir kamen mit differenzierten Anschauungen über den gegenwärtigen Zustand und das Problem von Krieg und Frieden. Jeder

unserer Delegierten erhielt das Recht, sich mit der seinen Ansichten nahestehenden Strömung im Rahmen der Partei zu verbinden. Was jedoch die Einheit der Partei angeht, kann es nur

e in e

Meinung und Auffassung geben, begründet auf der rei-

chen, im Laufe von 20 Jahren Existenz unserer Partei

“Bund“

-

- des

gesammelten Erfahrung. Die Partei ist verpflichtet,

jeder Strömung in ihrer Mitte volle Ausdrucksfreiheit für ihre

Ideen zu geben und sich für dieselben einzusetzen. Nach außen

-16-

dagegen

- eine Partei der

einheitlichen Aktion. Alle Beschlüsse

der zentralen Parteiinstitutionen sind für sämtliche Bestand— teile der Partei bindend. Das ist die Nor- unseres Verhaltens, ohne Berücksichtigung der tiefen, uns trennenden Meinungsverschiedenheiten. Bo begreifen wir die Einheit der Partei und werden uns für diese Ansicht auch in Zukunft

einsetzen.“30

Die Perteidisziplin war nur auf zwei Gebieten für die Delegierten des “Bund“ verpflichtend: in der Frage der national-

kulturellen Autonomie und in der Frage der Organisation, womit die selbständige Existenz der lokalen Parteiortsgruppen gemeint

war.31

Die Abstimmungeergebnisse in verschiedenen zur Debatte stehenden Problemen ergaben das folgende Kräfteverhältnis: Anhänger Potressove 5\, “Revolutionäre Verteidiger“ 55 \, Mensche—

wisten-Internationalisten 30 \ (einschließlich 17 \ Anhänger Abramowitschfl die die Partoidisziplin zu akzeptieren‚und 13 \

Gefolgsleute Martowe, die von vornherein absolute Unabhängigkeit forderten), “Vereinigte Intornationalisten“ 10

\.32

16 “Revolutionäre Verteidiger“, M.Lieber unter ihnen, und 8 “Internationalisten' inklusive R.Abramovitsch wurden in das Zentralkomitee gewählt. Dougloichnn gehörten die beiden Bundisten dem “Ausschuß für die Dekhmpfur dor Konterrevolution“ an zu-

sammen mit Dan, Tschehnidzo, Zorutolli und

Martov.“3

-

Der Ausschuß faßte einen dio nationale Frage betreffenden

Beschluß, der nach Ansicht due ““und“ von wesentlicher Bedeu— tung war und der besagte, daß “dio Partei weitgehende territoria— le Autonomie für alle die Guhiutu befürwortete, die in der Zusemmeneeizung ihrer Bevölkerung, ihren wirtschaftlichen Bedin-

gungen und ihrer besonderen Luhonswnino voneinander verschieden

-

onteprochend dem Grundsatz sind“. Gleichzeitig seien jedoch die Rechte der der nationalen und kulturellen Autonomie

-

nationalen Minderheiten gesetzlich zu sichern. Die

Tendenz

der internen Entwicklung in Rußland, dem Nationalitätenetaat. habe nicht zur Bildung einer Reihe voneinander unabhängiger oder gar selbständiger, in tödurniivnm Goiüge verbundener Ge-

biete zu führen.

-

17

-

Wie angeführt, faßte die Tagung einen Beschluß, der die Existenz einer einzigen vereinigten sozialdemokratischen Partei festlegte; tatsächlichbihk$amsich in einigen Orten je—

doch gemeinsame Gruppen mit den Bolschewisten. 3‘ Unter den gegebenen Umständen, gleich nach Beendigung der Tagung, war der Bezeichnung “gemeinsam“ keine wirkliche Bedeutung beizu-

messen, und sie diente nur internen Zwecken und für Verlautbarungen in der Presse. Nachdem die Bolschewisten sich in Kommu-

nistische Partei umbenannt hatten (13. April 1918), nahmen die “Vereinigten“ wieder ohne jeden Zusatz ihren alten Namen R.S.D.R.P.

an.35

Die Einheit zwischen Menschewisten und “Bund“ dauerte an und fand ihren äußeren Ausdruck in der Abänderung der oberhalb

des Namens des Parteiblattes 'Arbeiterstimme“ erscheinenden Überschrift 'Zentralorgan des 'Bund'“ in die Bezeichnung

“Russische Sozialdemokratische Arbeiter-Partei

Arbeiterbund“.36

Jüdischer dem 8. März (21.) 1917. Trotzdem

verzichtete

- Allgemeiner

Das Blatt erschien in Petrograd ab

der 'Bund' nicht auf den Fortbestand

seines selbständigen politischen Rahmens (und nicht nur in der

jüdischen Wirkungssphäre), sogar angesichts des Umstandes, daß seine Vertreter Mitglieder des Zentralrats der Menschewisten

waren. Bei Kongressen und Tagungen der Sowjets gehörten die Mitglieder des “Bund“ der menschewistischen Fraktion an. In

allen Zentren der politischen Betätigung bestanden enge Beziehungen mit den Menschewisten, aber in lokalen

Auseinander-

setzungen kollaborierte der “Bund“ nicht nur mit den Mensche-

wisten, sondern zeitweise auch mit den Sozialrevolutionären.

Als in der Ukraine tiefgehende Meinungsverschiedenheiten mit den Menschewisten zutage treten, machte sich der “Bund“ eine unabhängige Position zu eigen. Auch bei den Wahlen zur National-

vereammlung trat er in einer Reihe von Bezirken mit einer eigenen Liste auf.

Zusammenfassend sei gesagt, daß der “Bund“ von Beginn der

Februarrevolution an zusehends an Einfluß gewann, und zwar nicht nur in den beiden Hauptstädten, dem “Ansiedlungsrayon' der

-13-

Vergangenheit, sondern auch in den entlegenen Gebieten im Innern Bußlands. Bigenständige Ortsgruppen entstanden, deren Mitglieder treue Funktionäre sowohl der Sowjets als auch der allg-sinsn jüdischen Institutionen waren (was später noch be-

.

handelt werden wird) Formell stellte der “Bund“ einen Bestandteil der menschewistischen Partei der, in der Bealität waren die Bundisten jedoch gleichzeitig zwei Parteien zugebörig. In allgemeinen politischen Gefügen zählten sie zur menschewistischen Praktion und einer ihrer Strüungea, und auf der jüdischen Straße, meist in den lokalen Tätigkeitsfeldern, bewabrten sie

ihre Selbständigkeit.

-

19

-

2. DIE 10. 'BUND'-KONFERENZ

Schon am 8. (21.) März 1917 kündigte'das Parteiorgan “Die Arbeiterstimme“ in seiner ersten Nummer an, daß die Parteikonferenz für Anfang April einberufen sei, und veröffentlichte die

Tagesordnung. Es war notwendig geworden, die Parteifunktionäre, die ohne ausreichenden Kontakt über das ganze Land verstreut

waren, zu versammeln, um Meinungen auszutauschen, zu den aktuellen Fragen der stürmischen Zeit Stellung zu nehmen und Richtlinien für das Verhalten der Partei in Fragen der jüdischen Nationalität und des Charakters der jüdischen national-kulturel-

len Autonomie festzulegen. Auch die Möglichkeit zu hternationalen Besprechungen, be-

sonders die mit den jüdischen Arbeitern in Amerika wieder aufzubauen, verlor der “Bund“ nicht aus den Augen. Das bezeugt

u.a. ein Glückwunschtelegramm, das das Zentralkomitee am Eröffnungstag der Konferenz absendte. In diesem Telegramm war die Rede von der internationalen Bedeutung der russischen Revolu-

tion, die den russischen Sozialisten, den jüdischen Arbeitern und dem “Bund“ neue Wege öffne. Die russische Revolution sei des Zarentums Herr geworden und eröffne ein neues Blatt in der jüdischen

Geschichte.1

In feierlicher Stimmung und im Zeichen hoher revolutionärer Hoffnungen wurde die 10. Konferenz am 1. (14.) April 1917 in

Petrograd eröffnet. 65 stimmberechtigte Repräsentanten, ein-

schließlich 5 Mitglieder des Parteivorstandes, nahmen teil (Eisenstadt-Judin, Weinstein-Jerachmiel, Lieber, Ehrlich und Rafes); 56 Delegierte aus 37 Städten und 2 Vertreter des Vor-

standes der Bürstenbinder aus Nischny Nowgorod. 16 Delegierte,

darunter 6 Mitglieder des Zentralkomitees, hatten beratende Die Bühne war mit roten Transparenten geschmückt:

Stimme.2

“Es lebe die Revolution“, “Es lebe die Internationale“, “Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands“, “Der Allgemeine Bund Jüdischer Arbeiter“. Am Präsidiumstisch saßen die alten

Mitglieder des Zentralkomitees, die Gründer und Führer des

_20_

“Bund“: Weinstein, Eisenstadt und Lieber, die aus ihrem Exil direkt zur Konferenz gekommen waren. Daneben saßen jüngere wie z.B. Rafes, den die Revolution aus dem Gefängnis befreit hatte,

und Ehrlich, der Vertreter des “Bund“ in der Leitung des Petrograder Sowjets. Das Wochenblatt der Partei schrieh‚diese Männer personifizierten die Geschichte des

“Bund“.3

Weinstein eröffnete die Konferenz in jiddischer Sprache. Er betonte, daß dies die erste Konferenz der organisierten jüdi-

schen Arbeiter sei und erwähnte die Toten. Nach ihm sprach Lieber. Er sagte, die russische Revolution sei eine kolossale Errungenschaft für die Menschheit. Sie würde eine revolutionäre Welle in ganz Europa auslösen. Er beschrieb den Niedergang der revolutionären Bewegung nach dem Fehlschlag der ersten Revolution. Trotzdem sei es gelungen, revolutionäre Energien und den Kern der Partei zu bewahren. Nationalistische Stimmungen und

andere fremde Einflüsse hätten sich nicht durchgesetzt. Dieser Kern habe den “Bund“ gerettet.4 Er erntete Beifall; danach wurde

“Die Schwur“ gesungen. Im Verlauf der Sitzung wurden Glück-

wünsche von verschiedenen Organisationen und Parteien verlesen. Ins Präsidium wurden Eisenstadt, Weinstein, Lieber, Solotariew, Levin, Rafes und Zalewitsch gewählt. Am nächsten Tag erstattete

Rafes im Namen des Zentralkomitees Bericht. Es stellte sich heraus, daß bis zum Ausbruch der Revolution nur ein Komiteemitglied von den auf der 9. Konferenz 1912 gewählten in Petrograd

geblieben war. Erst nach einigen Tagen kam ein weiterer hinzu. Am 1. (14.) März hatte bereits eine Parteiversammlung in Petro-

grad stattgefunden und man hatte Beziehungen zu den übrigen

revolutionären Parteien angeknüpft. Die Konferenz war einberufen worden, um die Beziehungen zwischen Mitgliedern und Ortegruppen des “Bund“ in ganz Rußland zu regeln. In seinem Bericht über die Tätigkeit des 'Bund'-Delegierten im Sowjetvorstand

stellte Rafes fest, daß die Forderung, die Provisorische Regierung solle religiöse und nationale Beschränkungen aufheben, vom “Bund“ ausgegangen sei. Zwei Themen, die zu dieser Zeit die russischen Arbeiter beschäftigten: die Frage von Krieg und Frieden und die der Regie-

rungsform, standen ebenfalls im Mittelpunkt der

Konferenz.5

Uber das erste Thema sprach Lieber. Er begründete eine Resolution, nach der sich die Provisorische Regierung an die kriegführenden Mächte mit dem Vorschlag eines Friedens ohne Annexion und Entschädigungen wenden sollte; auch das Selbstbestimmungs-

recht der Völker sollte anerkannt werden. Solange aber die

Revolution schwer bedroht sei, seien die Arbeiterklasse und auch andere Bevölkerungsschichten verpflichtet, die Energien

des Staates an der Front und im Hinterland möglichst schnell zu organisieren, um die Revolution und die Heimat gegen Gefahren von außen zu

verteidigen.6

Die “Internationalisten' waren auf der Konferenz kaum vertreten und ihr Führer, Abramowitsch, war noch nicht aus dem Ausland zurückgekehrt. Trotzdem erhoben sich Diskussionen über

Liebers Referat. Manche sahen den Schwerpunkt im Kampf gegen

den Imperialismus

-

von außen und von innen. Verteidigen müsse

man die russische Revolution und nicht das revolutionäre Ruß-

land. Sie betonten, wie dringlich es sei, die Internationale Wieder andere stellten fest, daß sich bei den Juden

aufzubauen.7

die Einstellung zum Krieg geändert habe. Früher waren sie

Defaitisten, d.h. sie hofften auf die Niederlage des zaristischen Rußland; seit sie aber gleichberechtigte Bürger seien, hätte

sich ihre Einstellung geändert und nun seien sie bereit, ihren Teil zum Krieg gegen den äußeren Feind beizutragen. Sie glaubten, ein Sieg der Deutschen bedeute einen Sieg der schwärzesten

Reaktion, also wieder eine Gefahr für das Wohlergehen der Juden. Mit Stimmenmehrheit wurde eine Resolution angenommen, in der

beide Auffassungen, die der “Verteidiger“ und die der “Internationalisten“, zum Ausdruck kamen. Es wurde festgestellt, daß der Krieg imperialistischen Charakter trage. Es liege im Inter-

esse des internationalen Proletariats, ihn durch Druck der Arbeiterklasse auf die kriegführenden Regierungen zu Ende zu bringen. Diese sollten auf ihre Eroberungsgelüste verzichten.

Die Konferenz wandte sich an die sozialistischen Parteien Rußlands: sie sollten die Initiative ergreifen und für die nächste Zukunft einen internationalen Sozialistenkongreß einberufen,

um die internationale Solidarität des Proletariats von neuem zu demonstrieren und die Friedensbedingungen klarzustellen.

-22-

Bis zu diesem Punkt ist der Text “internationalistisch'. Dann

geht er aber auf die Seite der “Verteidiger“ über und besagt: “Gleichzeitig fordert die Konferenz die Arbeiterklasse und

andere Bevölkerungsschichten Rußlands auf, die Energien des Landes an der Front und in der Heimat zum Schutz des revolutionären Staates vor Invasion“

einzusetzen.a

Der zweite Punkt, der auf der Konferenz

-

- allerdings nicht

behandelt wurde, betraf die Beteiligung der so ausführlich Sowjets, d.h. der sozialistischen Parteien, an der Provisorischen Regierung. Es gab scharfe Meinungsunterschiede. Die bei— den 'Bund'-Repräsentanten im Sowjet, Lieber und Ehrlich, waren gegen die Beteiligung sozialistischer Parteien an einer Koalitionsregierung. Der erste stellte fest, daß die Sozialdemokra-

tie aus innenpolitischen Gründen nicht die Verantwortung für

die Taten einer bürgerlichen Regierung übernehmen dürfe. Ehrlich führte außenpolitische Gründe an. Der Staat sei in den Krieg verwickelt und seine Regierung

habe ihre Eroberungsge-

lüste noch keineswegs aufgegeben. Zusammenarbeit mit ihr würde

demnach gleichbedeutend sein mit Verlängerung des Kriegszustan— des und Billigung der imperialistischen Ziele. Hier sehen wir, daß Ehrlich seine Meinung geändert hatte. In einer Sitzung der Sowjetexekutive am 28. Februar (13.März) war er für eine Beteiligung von Sowjetvertretern an der Regierung gewesen.9

M.Rafes sprach sich klar und deutlich für eine Beteiligung der sozialistischen Parteien an der Regierung aus; andernfalls

könnte die Regierung zum Stützpunkt konterrevolutionärer Kräfte werden. 10 Mit 29 Stimmen gegen 19 und 8 Stimmenthaltungen entschied die Konferenz gegen die Teilnahme sozialistischer Parteien an der Regierung. 11 Gleichzeitig stellten die Delegierten

aber fest, daß die Provisorische Regierung ihren politischen Verpflichtungen im großen und ganzen nachkomme. Um den Demokratisierungsprozeß im Lande und die Aktivität

für einen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen auf der

Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu beschleunigen, müßte die revolutionäre Demokratie eine ständige politi-

sche Uberwachung der Provisorischen Regierung und ihrer Organe durchführen. Die Konferenz rief die jüdische Arbeiterklasse

-23-

und die jüdische Demokratie zu aktiver Unterstützung der Provisorischen Regierung auf, vorausgesetzt, daß diese auch weiterhin die Errungenschaften der Revolution stärke und auf Erobe-

rungspläne verzichte. Das jüdische Proletariat wurde auch er— mahnt, sich an den örtlichen und regionalen Sowjets aktiv zu

beteiligen, sowie auch am Zentralkomitee der

Sowjets.12

Die Frage der Beteiligung der Sowjets an der Regierung war

praktisch und aktuell. Man mußte doch im Exekutivkomitee der Sowjets dazu Stellung nehmen. Dagegen nahm die national-kul-

turelle Autonomie den ersten Platz in der Ideologie des “Bund“ ein, und unter den nun obwaltenden Umständen hatte man große Hoffnungen auf ihre Verwirklichung. Nach Ansicht des Referenten (Heilikmann) gab es zwei Lösungsmöglichkeiten der Natio-

nalitätenfrage: eine territoriale, wenn das Volk ein Territorium besitze, und eine exterritoriale, wenn es über das ganze

Land verstreut sei. Territoriale Autonomie müsse sich nicht besonders mit Kulturfragen befassen, denn volle nationale Freiheit würde ja gesichert sein. Jede nationale Minderheit müsse aber Anspruch auf national-kulturelle Autonomie haben. In seiner Darstellung der territorialen Autonomie lehnte

Heilikmann den Gedanken einer Föderativrepublik für Rußland ab.

Dieses Referat löste keine Diskussion aus. Es wurden nur Befürchtungen laut, extrem-nationalistische Bestrebungen, die

bereit seien, das Reich zu zerstückeln, könnten gefährlich werden. Sie könnten u.a. die Revolution und ihre Errungenschaften zugunsten ihrer nationalistisch-separatistischen Bestrebun—

gen opfern. Diese Meinung wurde anscheinend schon als Reaktion

auf die Forderungen der ukrainischen nationalen Bewegung ge-

äußert. Eine lebhafte und manchmal stürmische Diskussion erhob sich

um die Frage der jiddischen Sprache unter den geänderten Bedingungen. Einerseits stützte man sich auf das Argument, daß Jiddisch das klare Kennzeichen der national-kulturellen Auto-

nomie sei. Im Gegensatz dazu wurde gesagt, daß die Autonomie alle Formen der Kulturtätigkeit des jüdischen Volkes ohne

-24-

Rücksicht auf die Sprache umfassen müsse. Die Vertreter der ersten Ansicht legten dar, daß Kulturtätigkeit unter den Mas-

sen nur in jiddischer Sprache möglich sei, denn das sei eben die Sprache dieser Massen, der Ausdruck der Kultur, die das Volk zusammenhalte. Andere einigende Faktoren wie Religion, Unterdrückung, gemeinsame historische Vergangenheit usw. wür— den sich infolge der Revolution verwischen. Der Kampf um die

Sprache habe demnach erstrangige Bedeutung. Jiddisch sei das Hauptkennzeichen der

Nation.13

Im Laufe der Diskussion gab es auch heftige Proteste der

Jiddisch-Patrioten gegen einige, die auf der Konferenz russisch

sprachen.14 Man kritisierte Lieber, der auf einer Versammlung des “Bund“ in Petrograd russisch gesprochen hatte. Nach Liebers Ansicht war dieses eifersüchtige Bestehen auf der jiddischen Sprache vor der Revolution gerechtfertigt gewesen aber nicht

jetzt, da es jedem frei stehe, jiddisch zu

-

sprechen.15

Schließ-

lich einigte man sich folgendermaßen: auch, wenn die Sprache kein ausschließliches Kennzeichen der Nationalität sei, drehte es sich doch im wesentlichen darum, worauf die national-kulturelle Autonomie zu basieren hätte. Heilikmanns Ansicht nach müsse der “Bund“ darum kämpfen, daß Jiddisch die Sprache des jüdischen Auch die Anhänger der anderen Richtung Volkes sein

solle.16

gaben zu, daß die Messen in ihrer Kulturtätigkeit das Jiddische

gebrauchten; damit sei aber der Inhalt der nationalen Existenz keineswegs erschöpft. Das nationale Kulturleben sei umfassender

als der Rahmen der Sprache, und da die Autonomie alle Schichten der Judenheit umfassen solle, sei keine der Umgangssprachen auszuschließen. Im “Bund“ gebe es eine recht beträchtliche Anzahl von Gebildeten, und viele von diesen kämen aus einem

assimilierten Milieu und hätten eine andere Einstellung zur (jiddischen) Sprache. Man solle ein weites Spektrum nationalkultureller Werte ohne enge Sprachbegrenzung pflegen. Auch Rafes wies darauf hin, daß das jüdische Leben “immer

jiddischer“ werde



aber die Bundisten sollten keine “Jiddischi-

sten" sein. Das jüdische Volk bestehe, trotzdem es verschiedene Sprachen spreche. Das Einigende sei nicht die Sprache, sondern

die gemeinsame

Kultur.17

_25_

Im Gegensatz dazu meinte Lieber, man müsse vor allem mit der Parole der national- kulturellen Autonomie arbeiten. Wenn

es richtig sei, daß 98 & aller Juden jiddisch sprächen, dann

drohe der Sprache keine Gefahr und sie habe keine Garantien nötig. Lieber leugnete, daß es die Sprache sei, die eine Nation definiere. Wenn das richtig wäre, dann bestünde ja eine ganze Reihe von jüdischen Nationen, denn es gebe jiddisch,

russisch, polnisch usw. sprechende Juden. Zu den jüdischen Autonomie-Organen könne gehören, wer sich als Jude definiere. Die Formulierung der Resolutionen wurde einem besonderen Aus-

schuß übertragen und das Plenum stimmte nur über einige Richtlinien ab. Man sah davon ab, Entscheidungen zu treffen und die

Resolutionen, die angenommen wurden, zeugen davon, daß es zwei ungefähr gleich starke Strömungen innerhalb der Partei gab. Man wollte deren Einheit am Anfang ihrer Aktivitäten unter den

neuen Bedingungen nicht gefährden. Es wurde einstimmig beschlossen, daß jeder Jude, der sich als Jude bekenne, an der national-kulturellen Autonomie Anteil haben könne.

Meinungsverschiedenheiten in der Partei traten auch in der Frage der Betätigung des “Bund“ in

allgemein-jüdischen Institu-

tionen zutage. Es war wie das Echo eines alten Streites, der

zum ersten Mal auf der Beratung in Charkow im Jahre 1916 entschieden werden war. Als Rafes über die Tätigkeit des “Bund“ in der breiten jüdischen Öffentlichkeit berichtete, erntete er

stürmischen Beifall. Seiner Ansicht nach müßte man sich der

Mehrheit fügen und sich nicht isolieren, wenn einmal die

national-kulturelle Autonomie Tatsache und von der verfassungsgebenden Nationalversammlung bestätigt worden sei. Er war für eine Beteiligung der Partei an der all-russischen jüdischen Konferenz, wollte aber mit der Organisation der lokalen Gemeinden warten, bis ihr demokratischer Charakter gesetzlich festge-

legt

sei.18

Andere wünschten mit der Organisation sofort zu beginnen und kritisierten Lieber, der von einer all-russischen jüdischen Konferenz nichts wissen wollte. Man sagte ihm ins Gesicht, in allgemeinen Fragen sei er Menschewist, aber bei uns benehme er

sich wie ein extremer

Revolutionär.19

-

26

-

Ein Ausschuß präsentierte schließlich eine Resolution, die im Plenum korrigiert wurde. Zum Schluß lautete sie folgendermaßenz 1) Treu ihren auf dem 6. Parteikongreß festgelegten Pro-

gramm20

erhebt die Konferenz die Forderung auf sofortige Ge-

währung der national-kulturellen Autonomie für das jüdische

Volk als praktisch durchführbar. 2) örtliche, regionale und Landesorganisationen mit öffentlich-rechtlichen Status sollen Kraft eines von der Nationalversammlung anzunehmenden Gesetzes errichtet werden. Diese sollen

auf Grund des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes,

ohne Unterschied des Geschlechts, gewählt werden, um das Kulturleben des jüdischen Volkes in Rußland zu organisieren und zu verwalten, und zwar nach den folgenden Grundsätzen: A. Als Angehöriger dieser öffentlich-rechtlichen Körper-

schaft soll jeder gelten, der sich seiner Nationalität nach als Jude erklärt. B. Die national-kulturelle Organisation ist für das gesamte

Kulturleben der Nation zuständig, besonders für Schulen und Bildungsinstitutionen, für die Pflege der Literatur, der Kunst, der Wissenschaft und der Technik. C. Alle Institutionen der national-kulturellen Organisation,

einschließlich der von ihr zu errichtenden Schulen, müssen weltlichen Charakter tragen.

Anmerkung: Der Komplex des religiösen Lebens und des religiösen Brauches fällt nicht in den Rahmen der national-kulturellen Autonomie. Der Teil des jüdischen Volkes, der religiöse Bedürfnisse hat, kann Kultusgemeinden mit privatrechtlichem Status

errichten, die unter dem Schutze der allgemeinen Gesetze der russischen demokratischen Republik stehen sollen. D. Die Sprache der national-kulturellen Organisation ist

jiddisch. E. Die national-kulturelle Organisation ist berechtigt,

einen entsprechenden Anteil ihres Budgets aus Mitteln des Staates und der Lokalbehörden zu erhalten. Sie hat

_2"-

Exekutivgewalt über ihre Mitglieder im Rahmen ihrerBefugnisse,

insbesondere das Recht, sie zu besteuern.

Anmerkung: Die national-kulturelle Organisation wird in ihrem Budget dafür sorgen, daß das Recht jeder Minderheit, weltliche Schulen in anderer Sprache (nicht jiddisch) zu haben,



gewährt bleibt.

Die Konferenz behandelt auchdüe Frage der Beziehungen zu anderen jüdischen Arbeiterparteien, aber die Diskussion ging

weder in die Breite noch in die Tiefe. Es wurde ausdrücklich gesagt, daß dieses Thema eigentlich nicht zur Diskussion stehe,

sondern daß man nur Meinungen austauschen wollte.

Als ein Ver-

treter der SERP (russische Abkürzung; Jüdische Sozialistische

Arbeiterpartei) den wunsch ausdrückte, alle jüdischen prole-

tarischen Parteien zu vereinigen, wurde ihm geantwortet, sein Vorschlag sei fehlerhaft, da er nicht betone, daß diese Einigung unter dem Banner des “Bund“ stattfinden müsse. Man könne

nicht von Einigung reden, denn der “Bund“ sei sozialdemokratisch, während die übrigen jüdischen sozialistischen Parteien eigentlich kleinbürgerlichen Charakter trügen. Ihre Ansichten

über den Klassenkampf seien politischer Betrug, da man durch Klassenkampf kein Territorium erwerben könne. Die anderen Parteien entwickelten eine kleinbürgerliche Ideologie, die Ideologie der Umgebung, aus der die meisten jüdischen Arbeiter

stammten. Die Revolution habe zwar auch den anderen jüdischen

sozialistischen Parteien neue Gedankengänge gegeben, die sie sie schmückten sich aber nur mit

dem “Bund“ genähert hatten

-

revolutionären Federn, während sie in Wirklichkeit blieben,

was sie immer gewesen wären. Diese eindeutig negative Einstellung war nicht allgemein. Es gab auch Mitglieder, die es für angebracht hielten, die Frage der Beziehungen zu anderen jüdischen demokratischen

Parteien offen zu lassen, um demokratische Elemente des jüdi-

schen Publikums an sich zu ziehen. Mit Stimmenmehrheit wurde dann beschlossen, sich in dieser Angelegenheit nicht festzu-

legen.22 Man muß auch feststellen, daß in den Resolutionen nichts über den Zionismus gesagt ist, obwohl sich die ersten

_

23

-

Tage der Revolution gerade durch intensive zionistische

Tätigkeit auszeichneten. Zum Unterschied von sonstigen Zuwurde kein Antrag gegen den Zionissammenkünften des

“Bund“23

mus vorgebracht. Zum Schluß der Konferenz wählte man ein neues Zentralkomitee, darunter einige Genossen, die damals gar nicht in Rußland weilten. Den neuen Umständen entsprechend wurden auch Resolutionen

auf organisatorischem Gebiet angenommen, und zwar: (1) Zwischen den Plenarsitzungen des Zentralkomitees würde ein

Präsidium von 5 Genossen die laufenden Geschäfte führen. (2) Es sollen regionale Komitees gebildet werden: in Minsk für

Nord-West-Rußland, in Kiew für den Süden, in Jekaterinoslaw für die Gouvernements Jekaterinoslaw, Charkow, Taurien und die

Stadt Rostow am Don; in Odessa für die Gouvernements Cherson und Bessarabien. In Moskau wurde ein Komitee für Zentralruß-

land errichtet. (3) Alle Mitglieder sollen 10 \ ihrer Einkommen

als Steuer

abführen.24

In seinem Schlußwort trübte Mark Lieber die festliche Stimmung mit einigen pessimistischen Bemerkungen. Er sprach von den Mächten der Finsternis, mit denen man zu kämpfen haben

würde, und endete mit den Worten: “Ich fürchte, es kommt wieder ein Tag, da ich im Gefängnis sitzen werde und meine Tochter

-

wird mich dort besuchen müssen, wie vor ein paar

Wochen.“25

Später zitierte man Liebers pessimistische Prognose in den

Diskussionen innerhalb der Partei als Beweis für seinen Scharfblick und sein Verständnis für den revolutionären Prozeß. Abramowitsch war anderer Meinung. Er sagte, Lieber habe von einer neuen Haft gesprochen, weil er die Möglichkeit eines Sieges der Reaktion und der Monarchisten über die Revolution

vor Augen sah. Sein Pessimismus kam daher, daß er die Revolution nicht für stark genug hielt, um sich zu halten. Seine Einschätzung der konterrevolutionären Kräfte war

übertrieben.26

Der 10. Konferenz des 'Bund', die kurz nach der Februar-

Revolution in Rußland zusammentrat, kam große Bedeutung zu, besonders in innerpolitischer Hinsicht. Es war ein Versuch, die Reihen zu schließen und die Tätigkeit der Partei wieder

-29-

-

jetzt, da man so große Hoffnungen hegte, ihre Ideen zu verwirklichen. Wir haben aber gesehen, daß man kaum von einheitlichen Auffassungen sprechen kann. Im Laufe der aufzunehmen

Konferenz hörte man auch Beschuldigungen gegen das alte Zentralkomitee, das innerhalb der Partei zwischen “treuen“ und “weniger

treuen“ Genossen zu unterscheiden pflegte. Die ersten waren

solche, die illegal arbeiteten, während die anderen in legalen jüdischen öffentlichen Institutionen waren und die jiddische Sprache pflegten.27 Man kann jedoch mit dem Zentralorgan des “Bund“ einverstan—

den sein, das feststellte, der “Bund“ habe sich trotz aller

Unterschiede der Auffassungen und Meinungen nicht gespalten. Im Gegenteil, er sei aus dieser Konferenz geeint und gestärkt hervorgegangen. Jahrelang waren die Führer nicht zusammengekommen, und doch hatte der “Bund“ seinen Grundcharakter als proletarische Partei bewahrt: “Jeder einzelne ist davon durchdrun— gen, daß er seine private Meinung den Interessen der Bewegung

unterzuordnen

hat...“28

-

30

_

3. DIE STELLUNGNAHME DES “BUND" ZU DEN GRUNDPROBLEHEN

DER EPOCHE

Drei Fragen beschäftigten die sozialdemokratischen Parteien

sofort nach der Februarrevolution, und überall gab es interne Meinungsverschiedenheiten. Es handelte sich (1) um den Charakter der Revolution und die Regierungsform im Staate; (2) um

Krieg und Frieden und (3) um die Nationalitätenfrage. Im Laufe

der Zeit tauchten, den Umständen entsprechend, auch weitere Fragen auf, zu denen man gezwungen war, Stellung zu nehmen. Wir werden später darauf zurückkommen. 1. Charakter der Revolution und Regierungsfragen Das war ein Streitpunkt innerhalb der Arbeiterbewegung. Eine

Doppelherrschaft konnte nicht von Dauer sein. Zwei Autoritäten,

vondenm:keine volle Regierungsgewalt hat, können nicht nebeneinander bestehen. Die Bolschewisten strebten eine radikale Lösung an und stellten die Forderung “Alle Macht den Sowjets“ auf, aber die gemäßigte Mehrheit der Menschewisten und SR

widersetzten sich dem energisch. Die Gründe für diesen Wider-

stand der Mehrheit, die von einer Alleinherrschaft der Sowjets in Rußland nichts wissen wollte, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: (1) die Sowjets sind eine Klassenorganisation,

die nur einen Teil der Bevölkerung umfaßt; wenn sie an die Regierung kämen, würden andere Bevölkerungsschichten, besonders das Bürgertum, der Revolution den Rücken kehren. Aber nicht nur sie, sondern auch Teile des Bauerntums: dann würde das Proletariat, das den Kern der Regierung bildete, allein bleiben. (2) Eine Sowjetregierung wäre nicht imstande, Rußlands ver-

wickelte Probleme besser zu lösen als eine Koalitionsregierung mit der Bourgeoisie, die eine breite Grundlage im Volke haben könnte. (3) Die Errichtung einer Sowjetregierung würde die zentrifugalen Kräfte stärken, an denen es sowieso in den loka-

len Sowjets nicht fehlte. Das würde eine einheitliche Führung der Regierungsgeschäfte erschweren.

-31-

Die Diskussion über den Charakter der Regierung hatte ihre

Wurzeln in den Auffassungen über den Charakter der Revolution, die allen Strömungen russischer Sozialdemokratie gemeinsam

waren. Das Programm, das auf ihrem zweiten Parteikongreß angenomen wurde, besagte, das nächste Ziel der Partei sei der Sturz der Autokratie und die Errichtung einer demokratischen

Republik. In diesem Programm wurde eine Reihe von Forderungen

und Reformen aufgezählt, die die demokratische Republik zu Das war ein Minimalprogramm; erfüllen und durchzuführen

hätte.1

es gab aber auch ein Maximalprogramm von Endzielen der SD: eine

sozialistische Revolution, die nach einer langen Periode der Organisation und Propaganda im Rahmen der

demokratischen

Republik zu verwirklichen sei. Im Jahre 1905 hatte Lenin geäußert, ein voller Sieg der jetzigen Revolution (1905) bedeute das Ende der demokratischen

Umwälzung; jetzt beginne der Entscheidungskampf um die sozia-

Revolution.2

Nach der Februarrevolution war die listische Stellung der bolschewistischen Funktionäre gegenüber der Doppelregierung und der Provisorischen Regierung aber nicht klar; im Grunde war sie von der der Menschewisten nicht ver-

schieden.3

In der offiziellen Geschichte der Kmmmuüetischen

Partei heißt es, eine Anzahl von bolschewistischen Gruppen und

bedeutenden Parteifunktionären hätte zur Uberwachung der Provisorischen Regierung durch die Massen aufgefordert, ohne auf der vollen Machtübertragung an die Sowjets zu bestehen. Das bedeutete, daß die Regierungsgewalt auch weiterhin der

bürgerlichen, provisorischen Regierung überlassen bliebe. Und weiterhin: “Kamenew, der gerade aus der Verbannung zurückgekehrt

war, nahm eine halb-menschewistische Stellung zur Kriegs- und Regierungsfrage ein. Er veröffentlichte in der 'Prawda' einen Artikel, in dem er zur Unterstützung der bürgerlichen provisorischen Regierung aufrief....Ahnlicherweise sprach auch J.Stalin davon, einen Druck auf die provisorische Regierung auszuüben; er war auch dafür, sich mit den Menschewisten zu

vereinigen.“4 Zeretelli war sicher, daß es über den Charakter der Revolution, die jetzt im Gange war, nur eine Meinung gebe. In

_32_

seiner ersten Rede in einer Versammlung der Arbeiter, Vertreter im Petrograder Sowjet, am 19. März 1917, sagte er: “Nicht Vertreter verschiedener Fraktionen stehen vor Euch: in der

Vergangenheit war unsere Partei gespalten; jetzt aber sind wir Delegierte der SD, in der Bolschewisten und Menschewisten ver—

eint sind. Wir schließen uns Euch an, bilden ein Ganzes und

schlagen Euch vor, daß alle revolutionären Kräfte zusammen ein großes Werk

unternehmen.“5

Das änderte sich mit Lenins Rückkehr. Am 20. April veröffent-

lichte er seine Richtlinien (die “April—Thesen“) für das Parteiprogrmum nach der Februar-Revolution. über den Charakter

der Revolution schrieb Lenin, das Besondere und Wesentliche der jetztigen Stunde in Rußland sei der Ubergang von der ersten Phase der Revolution zur zweiten. In der ersten Phase habe sich

die Regierungsgewalt in den Händen der Bourgeoisie befunden, denn das Proletariat sei weder klassenbewußt noch genügend organisiert gewesen; jetzt aber müsse sie in die Hände des Die politische Proletariats und der armen Bauern

übergehen.6

Organisation des Staates sollte nach Lenin folgendermaßen aus-

sehen: “Keine parlamentarische Republik Arbeiterräte wäre das ein Schritt zurück

-

nach Errichtung der

-

sondern eine Sowjet-

regierung von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten im ganzen

Land, von oben bis

unten.“7

Diese Anschauungen deckten sich mehr oder weniger mit der

Linie, die Lenin schon seit Jahren verfolgt hatte. Die Forde-

rung nach der sofortigen sozialistischen Revolution, wenn auch nur in der Form, daß die Sowjets alle Regierungsgewalt erhalten sollten, hätte man aus seinen Äußerungen schon im Jahre

1905 herauslesen können. Allerdings war sie nie so kühn und offen formuliert worden, und in der Parteileitung erregte sie ernste Meinungsverschiedenheiten. Deshalb erfdgte der Umschwung

in der

Haltung

der Bolschewisten nicht sofort, sondern erst

nach Kämpfen in ihrer Leitung. In der Sitzung des Zentralkomitees am 6. (19.) April und in der Sitzung der Partei in Petrograd am 8. (21.) April hatte Lenin nur eine kleine Minder-

heit für sich. Im Petrograder Parteivorstand waren zwei für seinen Vorschlag, einer enthielt sich der Stimme, 13 waren gegen

-

33

-

\

ihn. Auch die Kiewer Parteileitung nahm seine Vorschläge nicht

an.8

Aber sogar in den Richtlinien, die Lenin dem Bolsche-

wistenkongreß vorlegte, schrieb er, die russische Revolution

sollte nicht den Sozialismus einführen, sondern die Aufsicht der Arbeiter über die Industriebetriebe; die Böden sollten an die Bauern verteilt werden, und in jedem Bezirk sei eine Musterwirtschaft zu errichten, die die Bauern selbst leiten

würden.9 Auch die Menschewisten hatten fertige Ansichten. Auf ihrer Konferenz im Jahre 1905 hatten sie beschlossen, daß die SD sich nicht das Ziel setzte, die Regierungsgewalt an sich zu reißen oder sie mit jemandem zu teilen. Sie müsse aber eine Taktik ausarbeiten, die der Partei die Stellung einer energi-

schen revolutionären Opposition den wechselnden Regierungen

sicherte.10

der Revolutionszeit gegenüber Die Errichtung der Regierung sei bis zur sozialistischen Revolution aufzuschie-

ben, wenn die Durchführung des Maximalprogramms der SD möglich sei. Bis dahin habe die bürgerliche Regierung die Aufgabe, der Tyrannei ein Ende zu setzen, mit den Resten des Feudalsystems

aufzuräumen und die Grundlagen zum Aufbau der kapitalistischen Wirtschaft zu legen. Es war die allgemeine Ansicht aller Fraktionen der menschewistischen Partei, daß man sich bis dahin an keiner Regierung beteiligen dürfe. Die russische Arbeiterklas-

se und die sozialistische Partei als ihre Repräsentantin habe nicht das passende und ausreichende Personal, um die Regierung sofort zu übernehmen. Die Beteiligung an der Regierung könnte

bei den Massen Hoffnungen erwecken, die im kapitalistischen Regime nicht zu verwirklichen seien. Das würde einen Riß

zwischen dem Proletariat und den nicht—sozialistischen Gesell-

schaftsschichten herbeiführen und die Freunde der Arbeiterschaft der Reaktion und den Feinden der Revolution in die Arme treiben. Diese Argumente brachten die Menschewistenführer bei

jeder Gelegenheit vor. In der ersten Zeit nach der Revolution klangen sie auch überzeugend und man beteiligte sich nicht an aber nur kurze Zeit. der Regierungsbildung

-

Auch die Ansicht des “Bund“ über den Charakter der Revolution war von Anfang an klar. In der ersten Nummer der “Arbeiter-

-

34

-

stimme“ gibt der Verfasser des Leitartikels (anscheinend M.Rafes) seine Einschätzung

der zweiten russischen Revolution

und schreibt: “Unsere Revolution zeigt zwar proletarische Formen, aber ihrem Inhalt nach ist sie nicht proletarisch. Es ist eine

pglitische und keine soziale Revolution. Sie will das politische Regime stürzen, die Herrschaft des grundbesitzenden Adels, aber nicht die Bourgeoisie. Das Proletariat organisiert sich selbständig; es strebt nach möglichst weitgehenden Errungenschaften, aber vorläufig sind seine Ziele von vornherein begrenzt und zwar freiwillig und mit vollem Bewußtsein. Deshalb

hat die revolutionäre Führung des Proletariats und der Armee die bürgerlich-liberale Regierung anerkannt, selbstverständlich unter

d;r

Bedingung sofortiger Einführung politischer Frei-

heit.“

In der zweiten Nummer der Zeitung erschienen weitere Er-

klärungen über die Einstellung des “Bund“ zum Charakter der

Revolution, sowie die notwendigen Schlußfolgerungen: “Das Proletariat ist eine Minderheit; damit die Revolution Erfolg hat, ist es unumgänglich, die liberal-bürgerliche Regierung anzuerkennen. Die Revolution hat den Anstoß gegeben; die Strömung reißt sie mit und sie geht mit dem Volk zusammen gegen das alte Regime. Das Proletariat unterstützt sie, aber es bewahrt jeden ihrer Schritte...Wir wissen, daß nicht unsere Leute

an der Spitze der Regierung stehen; wir kennen ihre Schwierigkeiten (der Regierung); sie haben Angst vor den Volksmassen, Angst öffentlich aufzutreten, Angst vor revolutionärer Tätig— keit, wir wissen auch, daß nicht sie die Revolution leiten; die Revolution führt sie...Die Freiheit hat noch keine Wurzeln geschlagen und die Revolution braucht noch Einheit. Eine Spaltung jetzt würde nur den Monarchisten und den Anhängern des alten Regimes Nutzen bringen. Darum dürfen wir uns auf keinen Fall den Luxus einer Spaltung gestatten. Wir glauben, daß für

uns die absolute Notwendigkeit besteht, die bürgerlich-liberale unterstützen‚obwohl wir sie kennen und wissen, was

Regierung zu

sie wert ist. Das Proletariat erkennt die Regierung an; es hat

ihr die Zügel übergeben, aber auf sein Recht zu herrschen hat es nicht

verzichtet.“13

-35-

Im Lager des “Bund“ gab es Genossen, die mit diesen Ansich-

ten nicht völlig einverstanden waren und meinten, die

Definition

der Revolution als politisch und nicht sozial sei nur teilweise richtig. Es sei keine soziale Revolution, denn man habe nicht die Absicht, die soziale Ordnung in Rußland zu ändern und an Stelle des Privateigentums und der Lohnarbeit kollektive, sozialistische Produktion einzuführen. Trotzdem verfolge die Revolution Ziele, deren Erreichung die wirtschaftlichen Interessen ganzer Bevölkerungsschichten in Rußland, auch im Ausland, erschüttern würde. “Es ist keine soziale Revolution‚wenn wir

das Wort im engen Sinne gebrauchen, wie es die primitive sozialistische Propaganda bisher zu tun pflegte, als die soziale Entwicklung, wenigstens theoretisch, gewissen Formulierungen

zu entsprechen schien. In jedem anderen Sinn ist die russische Revolution eine soziale; entweder wird sie die bestehenden Beziehungen zwischen den Klassen, zwischen den Massen und denen,

in deren Händen sich der Reichtum des Landes befindet, ändern

oder sie wird fallen. Das ist die innere Logik der Dinge. In

-

dieser Richtung wirken die Kräfte, die das alte Regime des Zaren und der Grundbesitzer gestützt

haben.“14

Mit Stimmenmehrheit nahm die 10. 'Bund'-Konferenz einen Be-

schluß gegen die Beteiligung des Sowjets an der Provisorischen Regierung an; für die Beteiligung stimmte eine ansehnliche Min-

derheit. Daher erhoben sich keine besonderen Schwierigkeiten, als man infolge der Regierungskrise am 18. April (1. Mai) die Stellungnahme änderte. Zu diesem Umschwung führte eine Verkettung von Ereignissen. (19.) März, vier Tage nach der Abdankung des Zaren, erklärte der Fürst Lwow, die Provisorische Regierung wolle alle

Am 6.

Verträge einhalten, die die Zarenregierung während des Krieges

unterzeichnet hatte. Daraufhin erkannten am 11. März alle Verbündeten die Provisorische Regierung an. Die Sowjets waren aber

mit der unbegrenzten Verpflichtung der Regierung, den Krieg bis

zum Endsieg weiter zu führen, nicht einverstanden. Am 14. März veröffentlichte der Petrograder Sowjet sein erstes historisches

Manifest “An die Völker der Welt“. Darin werden die Völker im Namen der russischen Revolution aufgefordert, “sich mit aller

-36-

Energie den Annexionsbestrebungen der Regierungen aller krieg-

führenden Länder zu widersetzen“ und Frieden selbst in die Hand zu

“die

nehmen“.15

Fragen von Krieg und

Auf diese Initiative

des Sowjets reagierte der Außenminister, Pawel Miliukow, am 23. März (5. April) in einem Interview über die Kriegsziele

der Verbündeten. Er erklärte, man müsse österreich-Ungarn dazu zwingen, den Völkern, die danach strebten (z.B. Tschechen, Ungarn und Kroaten), Selbständigkeit zu gewähren. Man müsse

Italien und Rumänien Landesteile zurückgeben, die ihnen früher gehört hätten. Außerdem betonte Miliukow, ein Verzicht auf

Konstantinopel und die Meerengen zu Gunsten Rußlands stelle “keine Verletzung der nationalen Rechte der Türkei der“.

Dieses Interview löste einen Proteststurm von Seiten des Sowjets aus. Unter dem Druck dieser Proteste gab die Regierung

am 27. März (9. April) eine Erklärung über ihre Kriegsziele ab, in der es hieß: “Es ist die erste lebenswichtige Pflicht unserer Soldaten, die die Freiheit des Volkes beschützen, unsere Heimat um jeden Preis zu verteidigen und unser Land vom Feind zu be-

freien, der es besetzt hält.“ Die Erklärung schließt aber mit einer Wiederholung der Zusage, die Verpflichtungen, “die wir

unseren Verbündeten gegenüber eingegangen sind,“ zu

erfüllen.16

Dieses Versprechen ließ sich nicht mit der Stellungnahme der Sowjets vereinbaren. Am 30. März (12. April) beschloß der

all-russische Sowjetkongreß mit 325 Stimmen gegen 57 und 20 Stimmenthaltungen eine Erklärung, in der es heißt: wir wollen

uns mit der Regierung in Verbindung setzen und ihr klar machen, daß das freie Rußland sich unverzüglich und öffentlich von

müsse.172wei

allen Eroberungsplänen des Zarenregimes lossagen Wochen später, am 18. April (1. Mai), beschloß die Provisorische Regierung, die Sowjets zufriedenzustellen und den Ver-

bündeten offiziell das Manifest vom 27. März zu übermitteln. Miliukow fügte aber einen Begleitbrief hinzu, der dem Dokument einen Sinn beimaß, der den Absichten der Sowjets genau zuwider-

lief.18

Dieses “Dokument“ schickte er den Verbündeten und auch der Presse, ohne es vorher seinen Ministerkollegen oder den Sowjets gezeigt zu haben.

_37_

In einer Sitzung am 19. April (2. Mai) verurteilten die

Sowjets Miliukows Schritt einstimmig und beschlossen, Mittel zu ergreifen, die eine Wiederholung unmöglich machten. Am nächsten Morgen meldeten die Zeitungen, die Provisorische Regierung habe beschlossen, den Krieg bis zum Endsieg weiter

zu führen. Daraufhin kam es zu Demonstrationen und Protestversammlungen gegen die Regierung und den Außenminister; man forderte ihren Rücktritt. Es war klar, daß die Regierung Lwow-

Miliukow nicht weitermachen konnte; sie mußte einer neuen Platz machen, zu der die Arbeiter eher Vertrauen haben konnten. Die Regierung versuchte noch am 20. April den Eindruck abzu-

-

sie versprach, es sei ihre Absicht, den Krieg zu schwächen beenden u.a.m.,19 aber am 2. (15.) Mai trat Miliukow zurück; der Kriegsminister Gutschkow hatte schon 2 Tage früher dasselbe getan. Die erste Provisorische Regierung löste sich auf. Im

Sowjet verstärkte sich die Tendenz für eine Beteiligung an der Regierung, aber ein Beschluß war noch nicht gefaßt. Am 28.

April wurde ein dahingehender Antrag mit 24 Stimmen gegen 22 und 8 Stimmenthaltungen abgelehnt. Dem war eine Sitzung des menschewistischen “Organisationsbüros“ unter Beteiligung der

Redaktion der “Rabotschaja Gaseta“ und des Sekretariats der Petrograder Ortsgruppe vorhergegangen. Am 24./25. April hatte man dort beschlossen, sich an der Regierung nicht zu beteili—

gen.20 Am 1. (14.) Mai änderte der Petrograder Sowjet seinen Be-

schluß mit 44 Stimmen gegen 17 und 2 Stimmenthaltungen und war nun bereit, seine Vertreter in die neue Regierung zu entsenden. Am 6. (19.) Mai wurde die neue Ministerliste mit 6

veröffentlicht.21

Sozialisten unter 15 Mitgliedern Schon vor der Sitzung der Exekutive hatte der “Bund“ in einem Leitartikel seines Zentralorgans zu einem Kompromiß geraten. Man müsse die Einheit der Revolution bewahren, allerdings unter 2 Bedingungen: die Bourgeoisie hätte auf ihren Wunsch nach Alleinherrschaft und das Proletariat auf seine Bestrebungen zur Machtergreifung

zu verzichten. Beide entgegengesetzten Klassen müßten sich freiwillig Beschränkungen auferlegen, um die Revolution zu

stärken.22

Nach der Entscheidung billigte die Zeitung diese

-

33

-

geänderte Stellungnahme und schrieb, es sei der einzige Aus-

weg gewesen. Die Errichtung der Koalitionsregierung war eine praktische

Notwendigkeit, aber W.Kantorowitsch

versuchte

sie auch theo-

retisch zu begründen, indem er den Charakter der Revolution

erwähnte. Er zitierte Marx'Bemerkungen über die Revolutionvon Marx hatte gesagt, in allen bürgerlichen Revolutionen 1848.

bilde sich eine zeitweilige Einheitsfront aller Klassen, die am Sturz des alten politischen Regimes interessiert waren. Nach dem Sieg fielen sie aber auseinander und bekämpften sich gegenseitig. In Rußland müsse sich das nicht wiederholen, denn

der Revolution drohe noch eine Niederlage an der Front. Kantorowitsch' Meinung nach war es notwendig, die Einheit aller revolutionären Kräfte im Volk zu bewahren und mit der gemeinohne auf die Klassensamen Aktion aller Klassen fortzufahren

-

interessen des Proletariats und der Bauern zu verzichten. Er gelangte aber zu der Schlußfolgerung, daß das Proletariat auch

auf lange Sicht nicht imstande sein werde, die Revolution allein

zu Ende zu führen. “Nein, absolut Nein! Dazu ist es zu schwach.“ Wäre das Proletariat stark genug und der Kapitalismus mehr ent-

wickelt, dann hätte es eine soziale und keine politische Revolution

gegeben.23

Diese Stellungnahme war damals unter den Führern verbreitet. Einer der Beweggründe war die Angst vor der Bourgeoisie. Als

sich das Zentralbüro des “Bund“ für die Koalition entschied,

erwähnte es zwei Ursachen der Krise zwischen der Provisorischen Regierung und den Sowjets. Einerseits sei es schwierig, das anderneue Regime zu stärken, solange der Krieg weiterging seits verschärften sich die Klassengegensätze. Der Eintritt der

-

sozialistischen Parteien in die Regierung könnte helfen, die politische Krise zu überwinden und die Demokratie zu stärken, und vor allem wenn alle demokratisch-revolutionären Elemente

die Arbeiterklasse

-

-

den sozialistischen Ministern gegen die

Flut der Reaktion den Rücken stärkten.

_39_

Nach Ansicht des Zentralbüros sollte die Koalitionsregierung (1) außenpolitisch aktiv sein, die Alliierten zwingen, auf ihre Politik der Eroberungenund Entschädigungen zu ver-

zichten und den Krieg möglichst schnell zu beenden; (2) sich bemühen, die Nationalversammlung einzuberufen, um dem Volkswillen Ausdruck zu verleihen; (3) Selbstverwaltungsorgane ins

Leben rufen; (4) die Produktion, den Verkehr, die Lebensmittel-

versorgung, die Finanzen und Arbeitsbeziehungen energisch regulieren. Dabei dürfte sie nicht vor radikalen Maßnahmen gegen das egoistische Verhalten der Bourgeoisie zurückschrekken.

aus,

der damals Besonders scharf drückte sich Kantorowitsch die Haltung des “Bund“ zu den Bolschewisten formulierte:

“Was trennt uns von den Bolschewisten? Die Unterschiede

sind nicht nur taktischer Natur. Weit wichtiger sind die Ansichten über die Revolution und die Aufgaben der Arbeiterklasse. Die 'Leninisten' sagen, die Revolution müsse mit einem Sieg des Proletariats enden und sie fordern die Arbeiterklasse aufl‚die Macht zu ergreifen. Sie reden vom Sozialismus, als ob das ein aktuelles Programm wäre das ist Wahnsinnl Es sind blinde

-

Politiker, die nicht wahrnehmen, daß Rußland sich erst am Anfang einer breit angelegten kapitalistischen Entwicklung befindet; der Kapitalismus muß erst die rückständigen Methoden der

Kleinproduktion überwinden und, wenn das Proletariat jetzt die Macht ergreift, dann schafft es eine Kluft zwischen sich und

den übrigen Klassen der Gesellschaft; es wird sie gegen sich aufbringen und in diesem ungleichen Kampf zu Grunde gehen. Auch das feste Bündnis mit den Bauern, das wir heute haben, wird nicht von Dauer sein und die Wege der proletarischen-

und der Bauerndemokratie werden sich bald trennen. Alles in

Allem: die 'Leninisten' sind Feinde der Revolution.“ Weiterhin heißt es, “wir haben Bundesgenossen,um die demokratische Republik zu beherrschen, aber, wenn wir jetzt anfangen,für den Sozialismus zu kämpfen, dann werden wir allein stehen.“ Und

darauf sei die Arbeiterklasse nicht vorbereitet. Darum sei es sinnlos, die Macht zu ergreifen, wenn in kurzer Zeit die Regierung überhaupt verloren sei. Wenn aber das Proletariat doch

-

40

-

an der Macht-bliebe, dann würde es nicht imstande sein, Rußland aus seiner schweren Krise herauszuführen. Der Staat könne nicht ohne Anleihen aus dem Ausland auskommen, und einer LeninRegierung würden die Amerikaner keinen Kredit gewähren. Zu-

sammenfassend sagte Kantorowitsch, die bestehende Gesellschaft sei für den Sozialismus nicht reif. Er warnte vor den Bolsche-

wisten und sagte: “Mit jedem Erfolg des Leninismus rückt der Erfolg der Gegenrevolution

näher.“25

Die manchmal übertriebene Angst vor der Gegenrevolution ließ

viele der Führer des “Bund“ nicht los und beeinflußte ihre Entschlüsse. Gar nicht selten ließen sie sich von dieser Furcht

vor der Möglichkeit der Reaktion beherrschen, statt von der Wirklichkeit und ihren eigenen Plänen. Auch auf dem all-russischen Sowjetkongreß im Juni 1917 gab

es einen Zusammenstoß zwischen Lenin und Lieber, der ihn einen “Anarcho-Syndikalist“ nannte. Er gab zu, daß die Sowjets eine

Reihe von Regierungsfunktionen übernommen hätten, obwohl sie es eigentlich gar nicht wollten. “Es ist klar, daß der Sowjet die Zügel der Regierung nicht in die Hand nimmt, nicht weil er nicht kann, sondern weil er nicht will

-

und er will nicht,

weil er sonst verpflichtet wäre, alle Probleme, die infolge der Revolution aufgetaucht sind, zu lösen und zwar ohne Zustimmung weiter Bevölkerungsschichte:oder sogar gegen ihren

Willen.“26

Auf diesem Sowjetkongreß 27 drückten die SR Zweifel daran

aus, ob die Sowjets auch wirklich als demokratische Regierungsform anzusprechen seien, während Millionen Bauern, deren Stimme doch entscheidend sein müßte, erst angefangen hätten‚sich zu

organisieren.28

Nur eine kleine Gruppe der “Vereinigten Sozial-

demokraten“, deren Wortführer

die

Bolschewisten.30

Lunatscharski29

war, unterstützte

Im Juli traten sie dieser Partei bei. Mit

543 Stimmen gegen 126 und 52 Stimmenthaltungen wurde ein Antrag angenommen, nach dem die Machtergreifung durch die Sowjets der

Arbeiter- und Soldaten-Delegierten in diesem Augenblick die Revolution schwächen und gefährden könnte. Vorzeitige Schritte in dieser Richtung würden Elemente abstoßen, die der Sache der Revolution noch dienen

könnten.31

_41-

Das Kräfteverhältnis zwischen den entgegengesetzten Ansichten über die Regierungsform zeigte sich bei der großen und

eindrucksvollen Demonstration der Petrograder Arbeiter zu Ehren der Revolution, die auf Initiative des Sowjetkongresses am 18. Juni (1. Juli) stattfand. Industriearbeiter und Anhänger politischer Gruppen erschienen mit ihren Fahnen und Parolen, in denen ihre Meinungen in der Zentralfrage der Regierungs-

-

-

zum Ausdruck kam. Die Bolschewisten riefen "Alle Macht den Sowjets“, “Nieder mit den kapitalistischen Ministern“, form

“Schluß mit dem Krieg“, während die Menschewisten und die SR Transparente für die Revolution, für einen demokratischen Frie-

den und für den Sozialismus trugen. Sie forderten die Einheit der Arbeiter, waren gegen Spaltungen und für Unterstützung der Sowjets. Unter den Demonstranten befanden sich auch Mitglieder der Ortsgruppe des “Bund“ in Petrograd, der Kosaken und der “Jedinstwo', und nur diese 3 trugen auch ein Transparent: “Alles Vertrauen der Provisorischen Regierung. “32 Diese Parole führte

zu heftigen Protesten und sogar zu Zusammenstößen. Auch viele Bundisten waren mit ihr nicht zufrieden, und die Parteizeitung erklärte, hierüber hätte der Vorstand der Ortsgruppe beschlos-

sen, nachdem es technisch nicht möglich gewesen wäre, das Plenum

des Zentralbüros einzuberufen. Nach der Demonstration fand im Vorstand eine Diskussion statt und es stellte sich heraus, daß die Meinungen gleich geteilt

waren.33

Auch Abramowitsch stellt in seinen Erinnerungen fest, daß

die Ortsgruppe des “Bund“ in Petrograd ziemlich weit rechts stand. Sie gehörte zu dem äußersten Flügel der “Verteidiger“. Er erzählt auch, man hätte dem Fahnenträger, Virgili-Kahn, die

Fahne des “Bund“ entreißen wollen und dabei hätte man auch

antisemitische Bemerkungen hören

können.34

Es ist auf alle Fälle sicher, daß damals die große Mehrheit

der Arbeiter hinter dem Beschluß stand, eine Koalitionsregierung unter Beteiligung der Sowjets zu bilden. “Nicht als

Geiseln der Bourgeoisie, sondern als Vertreter einer starken

volkstümlichen Organisation, um einen Platz in der Frontlinie Nicht ohne Grund gab Miliukow

der Revolution

einzunehmen."35

dem dritten Kapitel seines Buches über die Geschichte der

-42-

Revolution den Titel: “Sozialisten verteidigen die bürgerliche Revolution gegen den Sozialismus.“ Aus der historischen Perspektive stellt er am Anfang seiner Darstellung fest: je mehr die

gemäßigten Elemente der Sowjets die Bourgeoisie unterstützten,

destoschneller verloren sie ihren Einfluß auf die

Massen.36

2. Krieg und Frieden

Die russische Revolution brach hauptsächlich infolge des Krieges aus, und die revolutionären Massen erwarteten von ihr,

daß sie dem Mangel und den Leiden des Volkes ein schnelles Ende bereite. Wie schon erwähnt, hatte sich die russische SD in ihrer großen Mehrheit um das Zinnerwalder Programm geschart, d.h. wollte einen demokratischen Frieden. In einer Sitzung er-

klärte der Bolschewistenführer Sinowiew,37 es sei “eine Lüge zu behaupten, die Bolschewisten wollten einen Separatfrieden“.38

Am Anfang der Revolution waren sich alle sozialistischen Partei-

en in der Ablehnung eines Separatfriedens mit Deutschland einig, der die Revolution gefährden könnte. Deutschlands Hilfsquellen seien unerschöpflich; sie könnten die Westmächte besiegen und

dann all ihre Kräfte gegen die russische Revolution wenden. Als man jedoch zu überlegen begann, welche Mittel anzuwenden seien, um den allgemeinen demokratischen Frieden möglichst bald zu erreichen, waren die Meinungen darüber geteilt. Die “Revo—

lutionären Verteidiger“, die im Petrograder Sowjet die Mehrheit hatten, sahen zwei Möglichkeiten: diplomatische Tätigkeit der Provisorischen Regierung; diese sollte zu einem Einverständnis mit den Alliierten über die Grundlagen des demokratischen Friedens gelangen (“ohne Annexionen und ohne Entschädigungen“);

dann wäre die Friedenskonferenz möglichst bald einzuberufen. Der zweite Weg wäre die Hilfe des internationalen Proletariats.

Dieses sollte einen Druck auf die kriegführenden Mächte zur

Beendigung des Krieges ausüben. Daher die Initiative des Petrograder Sowjets zur Einberufung einer Konferenz der sozialistischen Parteien der kriegführenden und neutralen Länder in Stockholm

- doch davon

später. Solange beide Wege noch kein

-

43

-

Resultat gezeitigt hätten, würden die Sowjets für die Verteidigung der Heimat sorgen.

Diesem Aktionsprogramm

widersetzten sich die “Internatio-

nalisten“ unter den Menschewisten und im 'Bund'. Mit der Rückkehr ihrer Führer (Martow, Abramowitsch) aus dem Ausland wuchs ihr Einfluß und sie bildeten mehr oder weniger eine Fraktion für sich, brachen aber ihre Beziehungen zur Partei nicht ab und fuhren mit den internen Diskussionen fort. Die “Internationa-

listen“ glaubten, die russische Revolution würde überall eine revolutionäre Bewegung auslösen; sie würde der Beginn der Welt-

revolution sein. Sie schätzten die internationale Situation folgendermaßen ein: nach Rußlands Ausscheiden würden die Alliierten nicht imstande sein, weiter zu machen, und auch Deutschland würde nicht siegen können. Dann würden die Kriegführenden gezwungen sein, Frieden zu schließen, nachdem beide Seiten endgültig eingesehen hätten, daß sie nicht siegen könnten. Dann würde es den Frieden ohne Sieg geben, ohne Annexionen

und Entschädigungen

-

den Frieden, den die russische Revolu-

tion brauchte.

Die Bemühungen der “Internationalisten' waren auf eines ge-

richtet: die russische revolutionäre Regierung sollte England und Frankreich zwingen, gemeinsam Deutschland Frieden vorzuschlagen. Zu diesem Zweck sollte sie eine Konferenz der alliierten Regierungen einberufen; der Sowjet würde eine internationale Sozialistenkonferenz organisieren. Die “Internationalisten' meinten, es müsse möglich sein, einen demokratischen Frieden durch weltweite sozialistische Propaganda herbeizuführen. Dazu müßte die russische revolutionäre Regierung erklären, daß sie mit imperialistischen Kriegs-

zielen nichts zu tun habe. Hieraus folgte, daß man eine Regierung von Vertretern sozialistischer Parteien zu bilden habe ohne Beteiligung kapitalistischer

Elemente.39

-

Unter den Führern der “Internationalisten“ in- und außer-

halb des “Bund“ befand sich Abramowitsch. Er wandte sich mit großer Heftigkeit gegen Zeretelli, der dazu aufforderte,

Klasseninteressen zu vergessen und Opfer zu bringen. “Das ist

-44-

keine neue Erfindung, Genosse Zeretelli; in Deutschland nennt man das Burgfrieded und

in

Frankreich die Heilige Allianz'. Man

verlangt von den Arbeitern, sie sollen ihre Klasseninteressen aufgeben, um das Vaterland zu retten. Im vierten Kriegsjahr ist das unmöglich,“ sagte Abramowitsch. denn die Volksmassen

forderten den Ausbau und die Vertiefung der Revolution, während die Bourgeoisie sie aufhalten wolle. Im Namen der “nationalen Einheit“ solle das Volk auf den Fortschritt der Revolution verzichten. Wenn der Krieg weitergeht, “muß er die

Revolution verschlingen! Man muß wohl Opfer bringen, um den Staat zu retten. Aber militärisch gesprochen heißt das Siegen,

den Kampf auf dem Schlachtfeld zu Ende führen, nicht durch Friedensverhandlungen, sondern mit Kanonen. Wenn man die Dinge in Rußland objektiv betrachtet, dann wird es einem klar, daß

keine Hoffnung auf eine militärische Lösung besteht.“

Abramowitsch' Freund und Gesinnungsgenosse Nachimson fand an den “Verteidigern' auch auf dem Gebiet der Innenpolitik etwas auszusetzen. Die Koalitionsregierung bedeute Zusammenarbeit

der Klassen, d.h. Verzicht auf Klassenkampf. Anfangs standen

unter der Kontrolle der Sowjets, allmählich versuchten sie aber, sich davon frei zu machen und entschuldigten sogar den Klassenterror der Regierung gegen die

die sozialistischen Minister

Bolschewisten, das Verbot ihrer Zeitungen, die Aufhebung der Versammlungsfreiheit der Soldaten usw. “Die Verteidiger werden

zu Anwälten der Bourgeoisie gegenüber den Volksmassen,“ unterstrich Nachimson. Die “Internationalisten' müßten die Ideologie

der Verteidigung des Vaterlands mit aller Energie bekämpfen. Sie seien für “den Sieg des Klassenkampfprinzips in allen Ländern, gegen Klassenzusammenarbeit, gegen die Bourgeoisie in allen Ländern, für den

Internationalismus.“‘0

Für die “Verteidiger“ im “Bund“ sprach Lieber (auf der Eini-

gungskonferenz der Menschewisten, Ende August 1917). Die einzi-

ge Hoffnung auf ein Ende des Krieges läge in einem Meinungsumschwung der Arbeitermassen in Westeuropa unter dem Einfluß der russischen Revolutionsbewegung. Nur in Rußland mache aber der Prozeß schnelle Fortschritte; in Europa dagegen nur sehr ge-

ringe. Es sei eine Illusion zu glauben, daß ein Separatfrieden

-

45

-

den Krieg beenden würde. Der einzige Ausweg sei internationales Ringen für den Frieden. Eine Offensive sei, seiner Ansicht nach,

kein Hindernis für Friedensverhandlungen mit dem Proletariat im Ausland. Gerade eine Offensive würde Deutschland einer Krise und Niederlage näher bringen. “Die Verteidigung unseres Landes ist für uns Vorbedingung des Ringens um den Frieden. "41 Lieber schloß sich auch David Saslawski an, der annahm, es sei alles

geschehen, um die Friedensbewegung im Ausland zu stärken, und doch ginge der Krieg weiter. Rußlands Bemühungen um den Frie-

den erschienen als Zeichen der Schwäche. Die Unterbrechung der Kämpfe an der Front hätte der Friedensbewegung geschadet, denn die Deutschen hätten die Ruhe an der russischen Front ausgenutzt, um ihren Druck auf die Franzosen und Engländer zu ver-



stärken. Deshalb sei Rußland verpflichtet anzugreifen andernfalls würde es einfach den Deutschen helfen; “deshalb sind wir für die

Offensive.“42

Noch radikaler sprach sich Esther Frumkin

aus, besonders über die Disziplinlosigkeit in der Armee. Im Namen der Revolution und des Friedens müsse man den deutschen

Militarismus

bekämpfen.43

Abramowitsch teilte dem 'Bund' ein Ereignis mit, das geeig— net war, einen Wendepunkt in der internationalen Politik zu bezeichnen: österreich-Ungarn sei bereit, mit Rußland und mit

allen Ländern einen Frieden ohne Annexionen und Entschädigungen

zu schließen. Abramowitsch war dafür, aber Frankreich und England wollten vorläufig noch keinen Frieden, denn ihr Ziel sei die Vernichtung des "deutschen Militarismus“ und der deutschen wirtschaft. Österreich und die Türkei wollten sie aufteilen

und Italien würde sich Albanien nehmen. Nach Abramowitsch’ auch Rußland wollte

Meinung wollten die Mittelmächte Frieden

-

das, um die Revolution zu retten; der französische, britische und italienische Imperialismus wolle aber keinen Frieden. Des-

halb müsse Rußland seine 'Freunde' und 'Verbündeten' zwingen,

ihre Einstellung zu ändern. Man müsse Verhandlungen eröffnen und Deutschlands Ansichten hören, um herauszufinden, ob sie ernst gemeint seien. Man müsse die Kämpfe unterbrechen, einen Vorfrieden an allen Fronten schließen und mit ernsthaften detaillierten Verhandlungen über die Friedensbedingungen beginnen.

-46-

“Diese Gelegenheit zu verpassen, wäre ein Verbrechen gegen

Menschheit und

Kultur."“

Diese Einstellung von Abramowitsch verrät die Bereitschaft

zu einem Separatfrieden. Als die Menschewisten einsehen, daß keine Aussicht bestand, über die Regierung zu Friedensverhandlungen zu gelangen, glaubten sie, man müsse sich mit den sozialistischen Parteien in den kriegführenden Ländern in Verbindung setzen, damit diese einen Druck auf ihre Regierungen ausübten.

Diesem Zwang würde eine internationale Sozialistenkonferenz

dienen. Der Petrograder Sowjet beschloß, die Initiative zu eres sei

greifen; die 'Bund'-Zeitung begrüßte diesen Beschluß

der erste Schritt zu einem internationalen

-

Einverständnis.45

In ihrem Leitartikel betonte die 'Arbeiterstimme“ den Unter-

schied zwischen dieser und früheren Sozialistenkonferenzen. Bisher habe es sich um Konferenzen einer kriegführenden Partei ge-

-

handelt

oder um Splittergruppen, die sich von ihren Parteien

getrennt hatten. Das waren Vorbereitungen für Friedensverhand-

lungen gewesen, aber in der Tagespolitik hätten sie wenig zu

sagen gehabt. Es waren Zusammenkünfte von Führern ohne Anhängerschaft gewesen. Jetzt sehe es anders aus: die russische Revolution habe die Grundlage für die Einheit der Arbeiter aller Länder geschaffen. Auf der Stockholmer Konferenz würden sich Vertreter von Millionen Arbeitern aus aller Welt treffen und es bestehe Hoffnung, eine gemeinsame Sprache zu

finden.46

Zur selben Zeit war in Bern auch das Komitee der Zimmerwalder

ferenz

-

-

nämlich einer dritten Zimmerwalder Kontätig. Der Zusammentritt der Stockholmer Konferenz war

in derselben Richtung

auf den 8. Juli festgesetzt. In ihrer Einschätzung der Einwirkung der russischen Revolu-

tion auf die sozialistischen Parteien Europas hatten sich die Menschewisten geirrt. Sie hatten sich geirrt, aber es war keine Uberraschung. Schon einige Zeit vorher hatten sich die Mitglie-

der des Zentralkomitees der Menschewisten in einem Brief an Tscheheidze über die französischemund englischen Sozialisten

beschwert, die versucht hätten, das russische Proletariat von seinem Kampf um den Frieden abzubringen und die auf eine eigene

_47-

Außenpolitik verzichteten, die sich auf das Prinzip der internationalen Solidarität und des Klassenkampfes gründen sollte. Sie hatten verlangt, das russische volk solle seine Freiheit engen, nationalistischeiZiele10pfern. “Erst Siegen und dann

die Republik,“ sagte Jules

Guesde.47

Danach handelte er auch

in seinem eigenen Land. “Noch nie ist an der revolutionären

Erhebung eines Volkes ein solcher Verrat begangen werden, von Seiten derer von denen man Sympathie und Unterstützung hätte er-

warten könnenl“ Am Schluß des Briefes heißt es, die geplante Delegation von drei französischen Parlamentsmitgliedern solle gar nicht erst nach Rußland

kommen.48

Mitte Juni fuhr eine Menschewistendelegation nach Stockholm. Eines ihrer Mitglieder war der Bundist H.Ehrlich, eine der

treibenden Kräfte der Konferenz. Die Bolschewisten weigerten sich mitzumachen, weil sie die Haltung des Sowjets in politischen Fragen nicht billigten. Von Stockholm fuhren die Menschewisten nach London und Paris, um die sozialistischen Parteien dort zu überreden, an der Konferenz teilzunehmen. Die französische Regierung gaU ihren Delegierten aber keine Ausreiseerlaub-

nis und wandte sich deswegen auch an die anderen verbündeten Regierungen, die daraufhin das gleiche taten. Damit war dem

Plan der russischen Sozialisten, durch die Arbeiterbewegung einen Druck auf die Kriegführenden auszuüben, ein Ende gesetzt. Auf das Schicksal der Februarrevolution hatte das großen Einfluß. Das Zentralkomitee des 'Bund' beschloß, sich an beiden Konferenzen zu beteiligen; allerdings unter der Bedingung, daß

Zimmerwald der Stockholmer Konferenz als Vorspiel dienen sollte. Die Vertreter des 'Bund' sollten sich um einen Kompromiß zwischen

den verschiedenen Teilen der Zimmerwaldkonferenz bemühen und eine gemeinsame Taktik für Stockholm ausarbeiten. Das Zentral-

komitee legte fest, daß Beschlüsse gegen den Willen der “Bund“Delegation für den 'Bund' nicht bindend sein

Beschluß fand keine allgemeine Zustimmung

sollten.49

- die

Dieser

“Internatio-

nalisten' übten Kritik daran. Z.B. das Parteiorgan in Jekaterinoslaw: sollte die Zimmerwaldkonferenz nur als Informationsbüro gelten, um die Leute zu überreden, nach Stockholm zu fahren? Der Verfasser (M.Sakin) erinnerte an die wichtige

-4a-

Rolle, die Zimmerwald am Anfang des Krieges nach dem Zusammen-

bruch der Internationale gespielt habe. Seiner Meinung nach sei das die Grundsteinlegung zur Erneuerung der Internationale gewesen. Das konnte geschehen, wenn sich alle_Sozialisten zum

Internationalismus bekehren würden. Der “Bund“ müsse sich an dieser dritten Zimmerwalder-Konferenz voll und ganz beteiligen, ebenso wie an den beiden ersten. Der Stockholmer Konferenz gegenüber bestünden Zweifel, denn die Sozialdemokraten in den kriegführenden Ländern dächten gar nicht daran, ihren Kurs zu

ändern. Solche Parteien seien unfähig, eine proletarische

Internationale zu errichten. Die Konferenz sei eine Gelegenheit zum Meinungsaustausch über Krieg und Frieden, aber großen Nutzen könne man nicht von ihr

erwarten.so

3. Das Nationalitätenproblem und seine Lösung

Viel Kopfzerbrechen bereitete der russischen Revolution im Jahre 1917 die Nationalitätenfrage. Das große russische Reich umfaßte Dutzende von Völkern, Rassen und Sprachen mit ganz verschiedenem historischen und kulturellen Niveau. Das Bild des

Reiches war in dieser Beziehung kompliziert, verwickelt und ver-

wirrt. Schon in ihrem ersten Manifest am 3. (16.) März versprach die Provisorische Regierung, alle Benachteiligungen infolge der Zugehörigkeit zu einer Klasse, einer Religion oder Am 20. März (2.April) veröffentlichte

Nationalität

aufzuheben.51

die Provisorische Regierung ein Gesetz, das nationale und religiöse Beschränkungen aufhob. In der Präambel heißt es: “In der

unerschütterlichen Erkenntnis, daß in einem freien Lande alle Bürger vor dem Gesetz gleich sein müssen, und daß Rechtsbeschränkungen der Bürger aus Gründen der Religion oder der Her-

-

kunft für das Gewissen des Volkes unerträglich sind hat die Provisorische Regierung beschlossen: alle gesetzlichen Beschränkungen der Bürger Rußlands aus Gründen der Zugehörigkeit zu irgend einer Religion oder Nationalität

aufzuheben.“52

Beide Erklärungen enthalten keine Antwort an die erwachenden Nationalbewegungen, die nicht bereit waren, sich mit der bür—

-49-

gerlichen Rechtsgleichheit zu begnügen und politische, soziale und kulturelle Lösungen forderten. Dank der objektiven Bedingungen fanden zwei Fragen ihraLösung. Finnland gehörte zum

russischen Reich, aber schon vorher war das finnische Volk eigenständig und hatte seine politische Organisation, seine eigene Sprache und Kultur, sein Parlament und ein.gewisses Maß von Autonomie unter der Oberhoheit des Zaren. Am 6. (19.) März wurde die finnische Verfassung, die Nikolaus II eingeführt

hatte, um Finnland zu russifizieren, zurückgenommen und volle Autonomie versprochen, die die all-russische Nationalversamm-

lung ratifizieren sollte. Auch Polen war ein Teil des russischen Reiches mit staatlichen Attributen wie Sprache, Kultur, historische Tradition.

Infolge der internationalen Situation stand Polens.Unabhängigkeit jetzt auf der Tagesordnung. Am 19. März (1. April) er-

kannte die Provisorische Regierung die Unabhängigkeit Polens an, das von den Mittelmächten besetzt war; deshalb hatte dieser Akt nur formelle Bedeutung

-

vielleicht bestand auch Hoffnung,

daß die Unabhängigkeitserklärung zum Widerstand gegen die Besatzungsmächte beitragen könnte. Die Regierung zeigte sich unentschlossen und unfähig, für

die Frage der Nationalitäten eine Antwort zu finden. Das kam zum guten Teil daher, daß die russische SD, deren Einfluß am

Anfang der Revolution entscheidend war, dem Problem der nationalen Minderheiten im russischen Reich nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Auf dem Brünner Parteitag der österreichi-

schen SD (1899) wurde gegenüber dem Standpunkt der territorialen Autonomie ein Resolutionsvorschlag eingebracht, der dem Gesichts-

punkt des Personalitätsprinzips folgte. Gemeint ist damit jene nationalen Minderheiten gewährte Autonomie, die nicht auf territorialen Prinzipien, sondern auf personaler Zugehörigkeit beruht. Erstmalig wurde diese Auffassung gegen Ende des 19. Jahrhunderts von Karl Renner (1870-1950) zur Lösung der nationalen Frage innerhalb der nationalitätenreichen österreich-Ungari-

schen Monarchie geäußert. Er behauptete, daß die Nation nicht die auf einem Territorium lebende Bevölkerung sei, sondern die

-

50

-

Summe all jener Menschen, die sich zu einer Nation bekennen.

Jedes in einem Nationalitätenstsat lebende Volk sei, ohne

Rücksicht auf die von seinen Mitgliedern bewohnten Territorien, eine autonome Gruppe. welche all ihre sprachlichen und kultu-

rellen Angelegenheiten selbständig regelte. Territoriale Gebiete hätten lediglich administrative Funktionen und seien ohne Einfluß auf nationale Verhältnisse. Otto Bauer (1881-1930) hat diese Auffassung in seinem Werk 'Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie'(1907) weiter besprochen und entwickelt. Die russische SD war zu keiner prinzipiell positiven Ein— stellung diesen Forderungen gegenüber gelangt, konnte sie aber

nicht weiter ignorieren. Die Bolschewisten und besonders ihr Führer, Lenin, versuchten zwar potentiell revolutionäre Ten-

denzen

-

-

die Arbeiterbewegung und die nationalen Bewegungen zu verbinden, um dadurch die sozialistische Revolution zu fördern. Manchmal liefen die Wege der beiden Bewegungen parallel manchmal kreuzten sie sich auch. Lenin hatte erkannt, daß die nationale Frage in Rußland

-

und in Osteuropa überhaupt

-

-

eine

überragende Stelle einnahm. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs schrieb er, es wäre nicht richtig, die Bedeutung der

nationalen Frage zu übersehen. Er warf seinen Parteigenossen vor, sie hätten kein Verständnis für den historischen Charakter

der

Völker53

und verlangte von seiner Partei, in allen Teilen 54

Rußlands der nationalen Frage mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Lenin lehnte den Gedanken der national-kulturellen Autonomie ab, den Otto Bauer und Karl Renner, die Führer der östereichi-

schen SD, aufgebracht hatten. Seiner Ansicht nach bedeutete der Plan der exterritorialen Autonomie praktisch, daß jedes Volk seine eigenen Schulen haben sollte, d.h. die Einführung getrennter Kurien. Er stellte verachtungsvoll fest, der Gedanke der

national—kulturellen Autonomie sei in Rußland “von allen jüdischen bürgerlichen Parteien” sowie von einigen kleinbürgerlichen Elementen verschiedener Völker aufgegriffen werden, wie z.B. den Bundisten und russisch-nationalen Parteien, die den linken

Narodniki

nachliefen.55

_51-

Stalin beschäftigte sich schon am Anfang seiner Laufbahn mit der Nationalitätenfrage und maß ihr große Bedeutung bei. Seine Auffassung legte er in der Schrift “Der Marxismus und Anfang

die nationale Frage“ nieder, die er in Wien Ende f912

-

1913 verfaßte. Er war gegen national-kulturelle Autonomie (zum Unterschied von regionaler), denn sie wolle die Stelle der nationalen Selbstbestimmung Besonders gab er dieser ablehnenden Haltung in seiner Diskussion mit dem 'Bund'

einnehmen.56

Ausdruck (er widmet ihm ein ganzes Kapitel). Er war einer Meinung mit Bauer: die Juden hätten aufgehört zu existieren, es wäre niemand mehr da, für den man nationale Autonomie fordern könnte. Die Juden assimilierten sich. Und weiterhin: “Die Aufhebung des Ansiedlungsraums kann die Assimilation

nigen.57

nur

beschleuDeshalb sieht das Problem der nationalen Autonomie für

die Juden Rußlands etwas merkwürdig aus: es wird vorgeschlagen einer Nation Autonomie zu gewähren, an deren Zukunft man nicht glaubt und deren Existenz überhaupt erst zu beweisen

istl'ss

Vor der Revolution lehnte Lenin den Gedanken der

Föderation

ab, war für den nationalen Staat und rechtfertigte die Bestre-

bungen aller nationalen Bewegungen, die auf die Errichtung eines

Nationalstaats

abzielten.59

Er war gegen eine Dezentralisierung des Staates, denn der Föderalismus würde nur die großen Staaten zerstückeln, die Arbeiterklasse verschiedener Nationen trennen

und den politisch-revolutionären Kampf des geeinten Proletariats

aufhalten. Er war gegen die Errichtung souveräner Staaten der nicht-russischen Völker ohne Verbindung mit dem

Gesamtreich.60

Nach der Februar-Revolution änderte Lenin seine Einstellung

zum Föderalismus. Er zog die Tatsache in Betracht, daß die vom Zarenregime unterdrückten Völker keinen Teil eines zentralistisch regierten russischen Staates bilden wollten; anderseits wollte er aber auch die territoriale Integrität Rußlands bewahren. In

Verfolgung dieser beiden Grundsätze stimmte Lenin dem Föderativ-

prinzip zu und war der Ansicht, man müsse dem Volk auch das

Recht zugestehen, sich nach eigenem freien Entschluß der Föderation anzuschließen oder sich von ihr loszulösen. Gleichzeitig

wollte er aber sein Bestes tun, damit die nicht-russischen Völker von diesem Recht keinen Gebrauch machten und es vorzögen,

_52-

innerhalb der russischen Föderation zu verbleiben. Auch Stalin meinte, die Nation müsse sich nicht unbedingt loslösen. Auto-

nomie und Loslösung lehnten sich für das Volk nicht, wenigstens nicht für seine Mehrheit, die Werktätigen.61 Die Menschewisten befaßten sich kaum mit dem Nationalitäten-

problem und legten ihre Stellungnahme erst nach der FebruarRevolution fest. Bis 1912 lehnten sie beide Lösungen der Frage

ab, sowohl den Föderalismus wie die kulturelle Autonomie. Der

Föderalismus galt als reaktionär

-

weil er das Reich zerstückel-

te und den Prozeß der wirtschaftlichen Integrierung erschwerte.

Die kulturelle Autonomie, weil sie Schranken zwischen den Prole—

tariern verschiedener Völker errichtete und es der Beurgeoisie

ermöglichte, entscheidenden Einfluß auf die Kultur der Völker

zu

gewinnen.62

Den Nationalismus in jeder Form hielt man für

eine kleinbürgerliche Erscheinung, die dem Interesse des Sozia-

lismus nur schaden könnte. Für die Menschewisten lag der Schwerpunkt im Kampf um Klasseninteressen innerhalb Rußlands: bürgerliche Gleichberechtigung und Sturz des Zarenregimes.63 Bei die—

sem Kampf um die Rechtsgleichheit verloren sie die Gleichbe-

rechtigung der Nationalitäten aus den Augen.

Als die Minderheiten wie z.B. die Georgier und die Juden an Bedeutung gewannen, wichen die Menschewisten von ihrer star— ren Haltung innerhalb der Partei ab. Dem Föderalismus widersetzten sie sich auch weiterhin, gewöhnten sich aber allmählich

an den Gedanken der national-kulturellen Autonomie. Auf ihrer Konferenz in Wien (August 1912) taten sie die ersten Schritte

zu einem Nationalitätenprogramm. Eine Resolution dieser Konferenz besagte, daß die national-kulturelle Autonomie zum Parteiprogramm nicht im Gegensatz stehe. Im Januar 1917 wurde

sie in das Parteiprogramm

aufgenommen.64

Das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung lehnten die

Menschewisten noch Anfang 1916 ab, und ihr Führer Martow mein— te, die Art, wie eine der Parteien versuchen würde, das Prinzip

zu verwirklichen, könnte der sozialen Entwicklung und den Inter-

essen des Proletariats schaden. Es sei nicht notwendig, das Recht.jedes Volkes auf einen eigenen Staat mit eigenem Militär

_53_

und Zollgrenzen anzuerkennen. So ein Staat könnte auch keine

ausreichende wirtschaftliche Grundlage haben, und das wäre gegen die Interessen der

Arbeiter.65

Auch nach der Februar-Revolution stellte

Kantorowitsch

mit

Recht fest: “In der Nationalitätenfrage schwankt die Sozialdemokratie (Menschewiken) zwischen Ignorierung und Nachlässig-

keit und der Einstellung des Liberalismus.“ Sie habe keine eigene Klasseneinstellung und komme nicht dazu, eine selbständige Rol-

le zu spielen. Sie habe das Nationalitätenproblem aus ihrem Interessenbereich ausgeschlossen und dadurch seien ihre Engstirnigkeit und ihre Armut an politischen Denken ans Licht geIn bezug auf die nationale Existenz der Völker mit

kommen.66

einem Territorium waren die Menschewisten für Zentralismus,

gleichzeitig wollte man die Assimilation der Völker ohne Territorium besonders die Integration der Juden. Den jüdischen

-

Nationalismus bezeichneten sie als reaktionär. Der “Bund“ bekämpfte die Gleichgültigkeit der Menschewisten in der Nationalitätenfrage.

Gemeinhin sprach die national-personale Autonomie hauptsäch— lich die jüdische öffentlichkeit an, die infolge der exterritoria-

len Lage des jüdischen Volkes besonders aufnahmebereit dafür war. Die Autonomiebewegung im jüdischen Publikum nahm zu Beginn des

20. Jahrhunderts Gestalt an. Ihr ideologischer Schöpfer war Schimon Dubnow (1860-1914), der in

der nationalen Existenz des

jüdischen Volkes mittels national-kultureller Selbstverwaltung

keine zeitweilige Lösung der völkischen Problematik, sondern die höchste Stufe seines Bestehens sah. Die Idee Dubnows_war die Grundlage des volkstümlichen Autonomismus, der die Konzentrierung des Volkes um den Gedanken der Selbstverwaltung als einzig mögliche Lösung für die nationale Existenz anstrebte. Der poli-

tische Träger dieser Strömung war die Partei der sogenannten

'Volkisten'. Eine ungleich weiterreichende Entwicklungsstufe erlangte

der proletarische Autonomismus, der sich als der Bannerträger der jüdischen arbeitenden Klasse betrachtete. Gemeinsam'war ihnen, daß sie die jüdische Frage unter sozio-ökonomischen Aspekten analysierten und zum Ergebnis gelangten, daß mangels eines

-g4-

Territoriums die nationale Entwicklung des jüdischen Proletariats

unmöglich und sein Klassenkampf ineffektiv sei. Das Prinzip der national-personalen Autonomie machte sich die “Jüdische Sozia-

listische Arbeiterpartei“, JS oder SERP (russische Abkürzung). zu eigen. Diese verlangte die Errichtung von Nationalparlamenten, die nicht auf die national—territorialen Regionen inner-

halb des Nationalitätenstaates beschränkt und mit staatlicher Autorität in jenen politischen und wirtschaftlichen Fragen ausgestattet werden sollten, die diese Nationalitäten betrafen.

Die Partei nahm an, daß sich der national—jüdische “Sejm' (Landtag

-

daher die Bezeichnung “Sejmisten“) mit der Zusammenfassung

der jüdischen Emigration in ein zukünftiges freies, jüdisches Territorium befassen und daß die örtliche jüdische Gemeinde die

Grundzelle der Autonomie darstellen würde. Auch die zionistischen Arbeiterparteien unterstützten die Idee der jüdischen Autonomie in den Ländern der Diaspora, sahen in ihr jedoch nicht die umfassende Lösung der Judenfrage. Die

“Zionistische Sozialistische Arbeiterpartei“ (kurz SS-Abkürzung

-

einer Analyse der eines eigenvon Sionisti Sozialisti) betonte ständigen Wirtschaftsgefüges entbehrenden jüdischen wirtschaft-

lichen Realität folgend

-

die Lage des jüdischen Arbeiters, der

zwangsläufig in die rümumänügsuEi Produktionszweige abgedrängt

worden war. In ihren Augen war der Massenemigrationsprozeß als die jüdische Hauptproblematik anzusehen. Zur Überzeugung gelangt, daß ein dürftiges Palästina unter der Herrschaft des ottomanischen Reiches die Massenemigration der Juden und ihre territoria-

le Zusammenfassung nicht meistern konnte, verließ die Partei die zionistische Organisation und konzentrierte sich auf das Bestreben nach territorialen Lösungen außerhalb Palästinas. Nach der Februarrevolution 1917 vereinigte sich die SS mit

den “Sejmisten' und es entstand die “Vereinigte Sozialistische Jüdische Arbeiterpartei“ (kurz: “Vereinigte“)‚ die die territoriale Konzentration der Juden und das Erlangen politischnationaler Selbstbestimmung zum Vorsatz hatte. Die Idee der national-personalen Autonomie wurde von der zionistisch-sozialistischen Arbeiterpartei “Poale Zion' (PZ)

-55_

unterstützt. Diese Partei war gegen Ende des 19. Jahrhunderts gegründet werden und sah ihre Hauptaufgabe in der “Gegenwarts-

arbeit“, d.h. in der Betätigung in den jüdischen Gemeinden der

Diasporaländer. Gleichzeitig vertrat sie jedoch die Ansicht, daß nur das unterentwickelte und rückständige Palästina imstande sei, den jüdischen Immigranten die Schaffung einer eigenen

nationalen Wirtschaftsstruktur zu ermöglichen. Nur dort konnten die Grundbedingungen für einen regelrechten Klassenkampf heran-

reifen, und der jüdische Arbeiter werde seine Aufgabe bei der Klassenbefreiung in die Tat umsetzen können. Der “Bund“ begnügte sich mit der Forderung nach national-

kultureller Autonomie, während die anderen

jüdischen

Arbeiter-

parteien eine umfassende national-piitische Autonomie anstrebten. Er hatte einen weiten Weg zurückgelegt, bis er zu seiner

Stellungnahme gelangte. Auf dem 3. Kongreß (Ende 1899) erwähnte John Mill die Frage

der nationalen Gleichberechtigung und wollte sie in das Parteiprogramm aufgenommen sehen. Er fand aber wenig Unterstützung. Man fürchtete, diese neue Forderung könnte die Aufmerksamkeit

von den Klasseninteressen ablenken, das Klassenbewußtsein ver-

führen.67

Erst auf dem 4. Kongreß nebeln und zum Chauvinismus (Mai 1901) wurde die nationale Frage zum Brennpunkt der Dis-

kussion. Eine von Lieber abgefaßte Resolution wurde angenommen, die besagte: “Der Kongreß erkennt an, daß ein Staat wie Rußland, mit einer großen Anzahl von Nationalitäten‚in Zukunft die Gestalt einer Föderation von völlig autonomen Nationen annehmen muß, unabhängig von dem Territorium,wo sie wohnen. Der Kongreß

erkennt an, daß der Begriff 'Nation' auch auf das jüdische Volk zutrifft. Unter den obwaltenden Umständen ist es aber verfrühä

die Forderung der nationalen Autonomie der Juden

aufzustellen.68

Die Resolution galt als Kompromiß zwischen verschiedenen Anschauungen. John Mill erklärte das aus der im “Bund“ herrschenden Atmosphäre. Es war ein Sprung von einer negativen Feststel-

lung zu einem positiven Programm. Es bestand die Gefahr eines Konflikts mit der russischen SD und man fürchtete die Unzufriedenheit unter den Bundisten, die zur Assimilation neigten. All

das hing damals wie ein Damoklesschwert über dem “Bund“ und

-56-

bestümnte den Charakter der Resolutionen, die man auf dem 4. Kongreß

annahm.69

Erst auf dem 6. Kongreß (Lwow, 24. Oktober/4. November 1905) tat man den entscheidenden Schritt zur Formulierung einen

Nationalitätenprogramms. Auf diesem Kongreß nahm der “Bund“ den Plan der national-kulturellen Autonomie an. Danach sollten

alle Kulturfunktionen (Volksbildung usw.) dem Staate und den Munizipal- und Provinzorganen entzogen und der Nation und ihren zentralen und örtlichen Organen übergeben werden. Diese Organe

sollten von allen Mitgliedern in allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen gewählt

werden.70

Die 7. Konferenz (April 1906) und der 7. Kongreß (September 1907) hatten sich hauptsächlich mit dem Wiederanschluß an die russische SD befaßt, aber auf der 8. Konferenz im Herbst 1910

stand die nationale Frage wieder auf der Tagesordnung. Hier kristallisierte sich das Nationalitätenprogramm des “Bund“ endgültig heraus. Man diskutierte nicht mehr über die Notwendig-

keit der national-kulturellen Autonomie oder über die Einstellung des “Bund“ zu nationalen Fragen, sondern über praktische Vorschläge: die jiddische Sprache, die Festigung der Stellung

des “Bund“ im Publikum und seine kulturellen Aufgaben. “Vor

der Errichtung der national-kulturellen Autonomie müssen wir staatliche Schulen in der Muttersprache haben. Alle Beschränkungen des Gebrauchs der Muttersprache im öffentlichen Leben

müssen aufgehoben werden...Die jüdische SD muß sowohl die

Assimilation wie die Hebräisten bekämpfen, damit die jiddische Sprache den ihr zukommenden Platz im öffentlichen Leben als „71 Zum Nationalsprache der jüdischen Bevölkerung einnimmt. ersten Mal war Jiddisch auch offizielle Konferenzsprache und

die Tagesordnung war jüdischen Dingen

gewidmet.72

Seit 1910 erschien der Programmpunkt der nationdrkulturellen

Autonomie als konkrete Forderung mit praktischen Aktionsplänen. Als man auf dem 4. Kongreß die Autonomieresolution annahm, glaubten nur wenige, daß sie in absehbarer Zeit zu verwirklichen sei. Diese Forderung sah eher wie ein Maximalprogramm für die

ferne Zukunft aus. Man konnte sich kaum vorstellen, daß Rußland

_57-

binnen kurzem eine demokratische Republik werden könnte, so Aber der 'Bund' wartete nicht

daß diese Frage aktuell

würde.73

bis zur Demokratisierung des Staates, um die national-kulturelle Autonomie der Juden ganz durchzuführen, und er begnügte sich nicht mit der Aufstellung von Forderungen und Propaganda. Er bemühte sich, den Beweis zu liefern, daß die jüdische Bevölkerung eine nationale Kultur brauche‚und wandte legale und illegale Mittel an, um die kulturellen Bedürfnisse der jüdischen Massen zu befriedigen. Seine Tätigkeit begann in den Gemeinden, in

der “Gesellschaft zur Bildungsverbreitung“; man gründete Abend— kurse und eröffnete Schulen und Volksuniversitäten, einen Verlag “Die Welt“ der nicht nur Parteiliteratur herausgab, son-

-

dern auch Belletristik, Poesie, sozialwissenschaftliche Werke

usw. Nach der Februar-Revolution schien es, als ob neue politischsoziale Bedingungen im Entstehen seien. Daraufhin widmete sich der “Bund“ ernsthaft den Vorbereitungen zur Lösung der Nationalitätenfrage und zur vollen Verwirklichung der Autonomie. Schon auf der ersten Parteizusammenkunft, der 10. Konferenz (April 1917), behandelte man die nationale Frage in der Hoffnung, sie praktisch lösen zu können. Die Resolutionen des 6. Kongres-

ses dienten der Konferenz als programmatische

Grundlage.74

Auch später kam der “Bund“ auf diese Kongreßresolutionen zurück,

und zwar in dem Nationalitätenprogramm, das das Zentralbüro veröffentlichte (ohne genaues Datum). Drei Hauptpunkte werden erwähnt: (1) volle bürgerliche und politische Gleichberechtigung; (2) das gesetzlich festgelegte Recht, sich im Verkehr mit Regierungs- und Munizipalbehörden der jiddischen Sprache zu bedienen;

(3) national-kulturelle

Autonomie.75

Mit Recht behauptete der “Bund“, sein Druck (abgesehen von

der objektiven Notwendigkeit, sich mit den Problemen, die das Publikum bewegten, zu beschäftigen) hätte die Menschewisten ge-

zwungen, auf die äußerst verwickelten nationalen Fragen der

Nach-Revolutionszeit eine Antwort zu geben. In allgemeinen Ausdrücken hatte die Partei das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannt, hatte aber nicht darauf hingewiesen, wie man das Problem in Rußland praktisch lösen sollte. Alle praktischen

-

5a

_

Fragen wurden bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung

aufgeschoben. Das beruhigte die verschiedenen Völker nicht, die

die Tyrannei abgeschüttelt hatten und jetzt das Recht forderten, ihr Leben selbst zu zimmern. Die Vertreter der verschieden-

sprachigen sozialistischen Parteien traten sofort nach der Revolution zu einer gemeinsamen Beratung über ihre nationalen Pro-

bleme zusammen. Solch eine Beratung hatte auch in der Vergangenheit stattgefunden nach dem Fehlschlag der Revolution im

-

Jahre 1905, als die revolutionären Parteien der nationalen Minderheiten versuchten, wieder auf die Beine zu kommen, ihre Stellungen zu festigen und sich auf die Erneuerung ihres Kampfes vorzubereiten. Die Zusammenkunft hatte im April 1907 auf Initiative der SR in Trioki stattgefunden. Unter den Teilnehmern

befanden sich auch Vertreter der jüdischen sozialistischen Par— tei SERP, die der SR programmatisch nahe stand. Bei dieser Zu-

samenkunft wurde an den kosmopolitischen Träumen des Sozialis-

mus,an dem

Glauben, die Nationen stünden auf dem Aussterbeetat,

Kritik geübt. Liebknecht hatte z.B. einst gesagt, es gebe nur zwei Völker: das des Proletariats und das der Bourgeoisie. Auch bei dieser Zusammenkunft konnte man ähnliche Meinungen hören,

aber die Resolutionen sprachen von der Notwendigkeit, die Rechte nationaler Minderheiten zu schützen, von Autonomie und von der Errichtung exterritorialer Verbände mit öffentlich-rechtlichem

Status.76 Auch am 6. (19.) März 1917 versammelten sich Vertreter der

sozialistischen Parteien verschiedener Nationalitäten in Petrograd, um Vorbereitungen zu einer gemeinsamen Aktion für ihre

nationalen Rechte zu treffen. An dieser Zusamenkunft nahmen Vertreter der folgenden sozialistischen Parteien teil: Litauer,

Poale Zion, SS, Ukrainische SD und Ukrainische Sozialisten. Man beschloß, ein provisorisches Organisationsbüro einzurichten,

das Beziehungen mit den Parteien aufrechterhalten, einen Kongreß vorbereiten und ein Manifest mit den Zielen und dem Programm

veröffentlichen

sollte.77

Der Formulierungsausschuß unterbrei—

tete seinen Programmvorschlag dem Organisationsbüro, das am 2. (15.) Mai in ein Komitee umgewandelt wurde. Dieses bestätigte

das Programm am 29. Mai. Es hieß darin, der Bund der soziali-

-59_

stischen Parteien aller Völker strebe nach Lebensformen

zwischen den Nationen, die in Zukunft nationale Unterdrückung jeder Art unmöglich machten. Es sei die Pflicht der sozia-

listischen Parteien, nationalen Hertschaftsgelüsten von Parteien, die die Solidarität zwischen den Nationen und dem Proletariat verhinderten, entgegen zu arbeiten. Besonders erwähnt wurde das Recht der Minderheiten, ihre eigene Sprache

zu gebrauchen, und zwar auf Grund der Gleichheit zwischen den unter den russischen Massen geläufigen Sprachen. In dem Programm war auch von dem Selbstbestimmungsrecht aller Völker die Rede, sowie von der Pflicht der sozialistischen Parteien, (a) für die national—territoriale und (b) für

die national-persönliche (exterritoriale) Autonomie einzustehen. Zum Schluß wurde die internationale sozialistische Solidarität

angesprochen. Auch der Modus der Repräsentation auf dem Kongreß

der Sozialistischen Internationale sollte geändert werden, d.h. nicht nur die Landespartei, sondern auch die sozialistischen

Parteien der nationalen Minderheiten in dem Lande sollten das Recht auf Repräsentation ben 12

Parteien;79

haben.78

Dieses Programm unterschrie-

durch Abwesenheit glänzte der 'Bund', der

auch am Kongreß der sozialistischen Parteien (20.—23.) August in Petrograd nicht

vom 7.—10.

teilnahm.80

Die einzige Reaktion des “Bund“ auf diese Zusammenkünfte

der nationalen Arbeiterparteien finden wir in einem Artikel des zentralen Parteiorgans in russischer$prache, gezeichnet

von Bogrow (ein Pseudonym für D.Saslawski), der damals öfter zur nationalen Frage Stellung nahm. Er stellte fest, daß Zu-

sammenkünfte dieser Art die Aufmerksamkeit der seriösen Presse nicht auf sich gezogen hätten. Saslawski war halb verärgert, halb verächtlich. Warum verärgert? Weil die Repräsentation bei der Internationale nach dem nationalen Prinzip festgesetzt werden sollte. “Die sozialistischen Gefühle sind durch den

Bund der nationalen sozialistischen Parteien verletzt,“ denn es befänden sich dort “fiktive und Schwindelorganisationen,

Kleinbürger, Bauern und Spießbürger verschiedener

Nationen“.

Als Beispiel dafür führte er die weißrussische sozialistische Hromada, die russischen Trudoviki und die litauischen Sozia—

-50-

listen an. "Das ist ein ganz origineller national-kleinbürgerlicher Salat (Die Ukrainer werden in dem “Salat“ nicht erwähnt, A.G.). Sie

sind alle Föderalisten aus Prinzip und in ihren

Augen ist der Föderalismus nicht eine bürgerliche Methode, den

Staat aufzubauen, sondern ein Wert an

erzdemokratisches Prinzip, ein

sich.“81

Nicht nur dieser letzte Punkt, über den im “Bund“ absolute Unklarheit herrschte, war die Ursache seines Fernbleibens von

diesem Forum. Unserer Meinung nach lehnte man auch die nationalpersönliche Autonomie der exterritorialen Völker (auch der Juden)

-

jedenfalls im weiteren Sinne, wo dann von einer Nationalversammlung jedes Volkes die Rede gewesen wäre, wie es die

ab

übrigen sozialistischen Parteien verlangten. Der “Bund“ wollte

die nationale Autonomie nur auf Sprache und Kultur der Juden

beschränkt sehen. Er setzte sein Vertrauen in die allgemeinen Einrichtungen der revolutionären Demokratie, wie den Sowjetkongreß und vor allem die Menschewisten-Partei, die ihn als

alleinigen Vertreter des jüdischen Proletariats anerkannte. Im Rat und bei Zusammenkünften der nationalen sozialistischen Parteien würde der “Bund“ als einer von vielen auftreten müssen,

zusammen mit den PZ, JS und SS. Dabei war der “Bund“ aber pragmatisch, und es kam gar nicht selten vor, daß er auf prinzipielle Stellungnahmen zugunsten praktischer Vorteile verzichtete. Das geschah auch hier: das Büro der nationalen sozialistischen Parteien wollte sich an die

Provisorische Regierung und an den Sowjet mit der Forderung wenden, zwei Vertreter jeder Nation an dem Ausschuß zur Vorbereitung des Wahlstatuts für die Nationalversammlung zu beteiligen (einen Sozialisten und einen Vertreter anderer Parteien).

Hierüber fand eine Sitzung statt, an der der “Bund“ teilnahm. Er unterzeichnete auch zusammen mit den anderen das Memorandum,

das der Regierung vorgelegt werden

sollte.82

Es ist klar, daß

der “Bund“ diesen Schritt tat, weil er “überzeugt“ war, es sei seine “Pflicht“, das jüdische Proletariat zu repräsentieren, und darauf dürfe man nicht verzichten.

-61-

Die Stellungnahme des “Bund“ zur Lösung der Nationalitäten-

frage nach der Februar-Revolution kam auch auf dem 1. Sowjetkongreß im Juni 1917 zum Ausdruck. Die Bundfraktion zählte 17

Mitglieder,83

und bei den Beratungen über diesen Punkt spielte

sie die Hauptrolle. Vorsitzender der Sektion über National-

fragen war R.Abramowitsch. In seinen Memoiren erzählt er, wie

viel er hätte vortragen und diskutieren müssen, besonders wegen

der Schwierigkeit, “die die Bolschewisten, die Ukrainer und die jüdisch-sozialistisch-zionistischen Gruppen gemacht

hatten.“84

Er glaubte, seine Stellung sei klar gewesen: jede Nation habe das Selbstbestimmungsrecht und überall sollten die sozialisti-

schen und revolutionären Elemente ihre Nation nicht zum Separatismus drängen, sondern zur Errichtung einer allrussischen, demo-

kratischen Föderativrepublik mit voller Garantie für die ver-

schiedenen Nationalkulturen. 85 Man darf bezweifeln, ob Abramowitsch seine Stellungnahme damals wirklich so formulierte, oder ob sich hier seine Gedanken aus den 40er Jahren widerspiegeln,

als er sein Buch schrieb. Die Zweifel verdichten sich angesichts seiner Aussprüche und Handlungen nach dem Sowjetkongreß

ber weiter unten.

-

darü-

Das zentrale Referat über die Nationalitätenfrage hielt Mark

Lieber (am 20. Juni/3. Juli): die Revolution habe allen Völkern Rußlands die Freiheit gebracht und man habe jetzt zwei Aufgaben zu erfüllen: erstens müsse man die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um allen Völkern Rußlands freie Entwicklungsmöglichkeiten

zu garantieren, damit sie als Gleichberechtigung die Freiheit in einem demokratischen Staate genießen könnten; zweitens müsse die Revolution den Massen der Werktätigen aller Völker die Mög-

lichkeit sichern, gemeinsam den Klassenkampf zur Verbesserung ihrer sozialen Lage zu führen und damit bis zur völligen sozialen Befreiung fortzufahren.

Lieber sprach auch davon, daß die Revolution unter den erschwerenden Bedingungen des Krieges stattfinde, sodaß eine Reihe

von Problemen augenblicklich unlösbar seien, obwohl sie eine Lösung forderten. Deshalb sei es nötig, ein umfassendes Programm für die Nationalversammlung vorzubereiten und unterdessen unverzüglich die Dinge in Angriff zu nehmen, die keinen Aufschub dul-

daten.

-62-

Er forderte das Selbstbestimmungsrecht für alle Völker, legte

aber dar, daß praktisch zwei Arten nationaler Frag81bestünden. Es gebe Völker, die in gewissen Landesteilen die Mehrheit bil-

deten und die demnach ein Recht auf territoriale Autonomie hätten, wie z.B. die Ukrainer, die Litauer, die Kaukasbchen Völker etc. Diese könnten dann selbst ihre inneren Angelegenheiten regeln. Der zweite Fall wären die über verschiedene Teile Ruß-

lands und der Ukraine verstreuten Nationalitäten, deren Rechte ebenfalls zu garantieren seien. Lieber definierte auch Einzelheiten des Selbstbestimmungsrechts und sagte: “Wir sagen es klar

und unmißverständlich: die Regierung muß eine Verordnung ver— öffentlichen, die allen Völkern Rußlands das Selbstbestimmungsrecht garantiert, einschließlich das Recht, sich von Rußland

zu trennen. Unserer Ansicht nach bedeutet das aber keineswegs, daß sich heute eine, morgen eine andere und übermorgen eine dritte Nation einfach von Rußland loslöst. Bis zum heutigen Tage

haben wir geglaubt, daß die internationale Sozialdemokratie mit dieser Parole einen organisierten Akt in einer bestimmten politischen Situation gemeint hat, deshalb verbinden wir diesen Akt mit der Verfassunggebenden Nationalversammlung. Nur durch sie

kann er

erfolgen.86

In der Diskussion fügte Lieber hinzu, daß die Stellungnahme

der sozialistischen Parteien eindeutig sei; wenn die Frage der Selbstbestimmung aktuell würde, könnte es keine Kampagne für die Loslösung geben. Die Partei der Arbeiterklasse würde sich

je nach den konkreten Interessen, je nach der augenblicklichen Situation so oder so verhalten. Nicht durch Zwang, sondern nach

dem freien Willen des Volkes müßte die Lösung gefunden

werden.87

Hier gab Lieber den Befürchtungen des “Bund“ vor einer Zersplitterung Rußlands in eine Reihe von selbständigen Republiken Ausdruck. Das wäre für die Einheit der demokratischen Kräfte nicht zuträglich und würde auch die jüdische Bevölkerung auseinander-

reißen. In diesem Sinne wurde eine Resolution verfaßt, deren Ausführung aber bis zur Nationalversammlung aufgeschoben wurde.

Sie besagt u.a., das revolutionäre Rußland sollte von der Nationalversammlung weitgehende politische Autonomie für die Landes—

teile mit ethnographischer oder sozial-wirtschaftlicher Besonder-

_63_

heit verlangen, gleichzeitig mit einer Garantie der Minderheitenrechte durch Errichtung besonderer staatlicher und lokaler repräsentativer Organe. Bis zum Zusammentritt der Nationalversamm-

lung sei die Provisorische Regierung verpflichtet, (a) zu erklären, daß alle Nationalitäten das Recht der Selbstbestimmung einschließlich des Rechtes auf Loslösung hätten je nach den

-

Beschlüssen der Nationalversammlung; (b) eine Verordnung betreffs Gleichberechtigung aller Sprachen zu veröffentlichen (Russisch

sollte die offizielle Sprache bleiben) und (c) ein Forum für nationale Angelegenheiten zu errichten, in dem alle Völker Ruß-

lands vertreten sein

sollten.88

Im Namen der Bundfraktion erklärte Abramowitsch; diese Reso-

lution entspreche im wesentlichen der Einstellung seiner Partei

zur nationalen Frage. “Sie enthält eine Reihe von Grundauffassungen, die unsere Partei im Laufe ihrer Geschichte immer geleitet haben. Wir haben für sie gestimmt, weil sie einen Rahmen dar-

stellt, den wir mit unseren Vorstellungen in der Nationalitätenfrage ausfüllen können.In den Reihen der russischen SD waren wir die ersten, die von der Nationalitätenfrage im all-russischen

Maßstab gesprochen haben. Für uns war es nie eine Frage der Nation, sondern eine Frage der Arbeiterklasse, des Proletariats.“ Nach Abramowitsch' Meinung dürfe die nationale Frage die des

Klassenkampfes nicht verwischen. Das Proletariat müsse die Mög-

lichkeit haben, seine national-proletarische Kultur ungestört zu

entwickeln.89

Der Kongreß behandelte zwei nationale Probleme für sich:

Finnland und die Ukraine. Abramowitsch referierte über Finnland, das einen besonderen Platz einnahm. Im Sinne seiner Worte wurde ein Vorschlag angenommen, der Finnland die volle Anerkennung

seiner Unabhängigkeit versprach. Solange aber der Krieg dauere

und der Feind sich an Finnlands Küste mit der Absicht befinde,

Rußland von dort anzugreifen, müßten das finnische Außen- und Kriegsministerium mit den entsprechenden Stellen der russischen

Revolution in Verbindung stehen, um gemeinsam die Verteidigung gegen Angriffe von außen zu

sichern.90

über die Ukraine referier-

te Lieber. In der Resolution heißt es: nach der Grundauffassung in der Nationalitätenfrage hätten alle Völker Rußlands das Recht

-64-

auf freie Entwicklung; deshalb sei der Sowjetkongreß für die Verwirklichung der Autonomie der demokratischen Ukraine

-

unter

Wahrung der Minoritätenrechte. Weiterhin heißt es, der Kongreß schlage der Provisorischen Regierung vor, mit den revolutionärdemokratischen Institutionen der Ukraine zu einem Einverständnis über eine provisorische Körperschaft zu gelangen, die die nötigen Maßnahmen ergreifen sollte, um die nationalen Bedürfnisse des ukrainischen Volkes zu

befriedigen.91

Alle Resolutionen in der Nationalitätenfrage wurden mit Stimmenmehrheit angenommen, einstimmdg nur die über die Bekämpfung des Antisemitismus, die der Vertreter der Bolschewisten, Preobrazhenski, vorbrachte. Sie lautete: “Der all-russische Kongreß der Sowjets der Arbeiter- und Soldatenräte wendet sich

an alle lokalen Sowjets und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit antisemitischer Gruppen und Propagandisten. Die Sowjets

sollen eine konsequente Propaganda- und Aufklärungsarbeit unter den breiten Volksmassen durchführen und die anti-jüdische Hetze

bekämpfen. Der Kongreß begrüßt als Brüder die jüdische Arbeiter-

klasse, die in den Reihen der Revolution mitkämpft. Diese soll

die Volksmassen versichern, daß die organisierte, revolutionäre Demokratie des Staates ihnen zur Seite steht und sie vor allen Versuchen der Gewaltanwendung gegen die Juden schützen

wird.“92

Im Sinne seiner Erklärung auf dem Sowjetkongreß behauptete

Abramowitsch auch in einem späteren Artikel (Ende September 1917), das theoretische und allgemeine Nationalitätenprogramm des “Bund"

bedeute national-kulturelle Autonomie und sei für Rußland über— haupt und für die Juden besonders geeignet

-

dies im Gegensatz

zu den Assimilanten und Zionisten, die behaupteten, die Juden seien als Nation anderen Nationen nicht vergleichbar. “Ein

Nationalitätenprogramm, das allen paßt, paßt auch den

Juden.“93

Eine realistische proletarische Partei könne sich aber mit einem

bloßen Programm nicht begnügen. Es komme darauf an, wie man es verwirkliche, was für eine nationale Taktik man anwende. Und das Prinzip der Taktik sei, daß man nationale Freiheiten und Rechte nicht auf dem Wege der nationalen Einheit erreiche, son—

dern durch Vielfältigkeit, durch den Klassenkampf.

-55-

Es blieb den Funktionären natürlich nicht verborgen, daß es

der Stellungnahme der Partei in der Nationalitätenfrage zu dieser Zeit an Klarheit mangelte. So behauptete z.B. M.Weinreich

(1894-1969),"

es sei nicht klar, ob das Programm des “Bund“

nur auf die Juden gemünzt sei oder ob es eine umfassende Antwort auf das Nationalitätenproblem darstelle. Auf den ersten Blick sei es ein universales Programm “ohne jüdische Besonderheiten“, aber dann erwähnt es gerade die Judenfrage. Weinreich glaubte, die Unklarheit rühre daher, daß es im “Bund“ Universalisten gebe, die glaubten, die Nationen würden sich auch heute mit national-kultureller Autonomie begnügen. Eier kämen die Sentimente des “Bund“

- oder

besser gesagt die jüdischen Sentimente

zum Ausdruck. Alles würde mit dem jüdischen Maßstab gemessen.

-

Aber das Leben vertrage keine mechanischen Vergleiche. Theoretisch gesehen sei es möglich, daß eine territoriale Lösung Trennungsmauern zwischen den Völkern errichten könne; man müsse aber mit der Tatsache rechnen, daß alle Völker territoriale und

nicht persönliche Autonomie forderten, und dabei handle es sich nicht nur um die Polen, sondern auch um die Ukrainer, Letten, Litauer und

Esten.95

Lange Zeit widersetzte sich der “Bund“ einer territorialen

Lösung der Nationalitätenfrage, obwohl er schon zur Zeit der ersten Revolution mit der territorialen Autonomie einverstanden

gewesen war. Noch nach der zweiten Revolution, im Mai 1917, bezeichnete er die nationalen Bewegungen in der Ukraine und in Litauen als nationalistisch; an ihrer Spitze stünde die

Bourgeoisie, das Proletariat folge ihr im Schlepptau nach und

das sei eine Gefahr für die

Revolution.96

“Nationalistisch' war für ihn damals auch der Zionismus. Im Laufe seiner Mission zu den westeuropäischen sozialistischen Parteien traf Ehrlich in London Vertreter der Labour—Partei und

protestierte heftig gegen den Paragraph 12 ihres Friedenspro-

gramms, der Rechtsgleichheit für die Juden in allen Ländern forderte und der der Hoffnung Ausdruck gab, daß einem inter-

nationalen Ubereinkommen folgend im vom türkischen Joche befreiten Palästina ein Staat errichtet werde, in den jene Juden,

die es wünschten, zurückkehren

könnten.97

_

66

“Bund“,98

Hierzu bemerkte Ehrlich im Namen des er begrüße den ersten Teil über die Rechtsgleichheit, nur müsse man die Forderung nach national-kultureller Entwicklungsfreiheit hin-

zufügen. Der Forderung nach Errichtung eines jüdischen Staates

in Palästina widersetzte er sich unbedingt. Hinter dieser For-

-

derung stünde nur die reaktionäre Partei die Zionisten. Die Juden wären nur eine verschwindende Minderheit unter der arabi-

schen Mehrheit der Bevölkerung. In Palästina einen Staat errichten, das bedeute, die dortige Bevölkerung der Herrschaft einer Handvoll jüdischer Chauvinisten auszuliefern. Ehrlich

schloß mit der Bemerkung, das Program der Labour-Partei rieche nach Imperialismus. Im Petrograder “Togblatt“ (jiddisch), dessen Redakteur

I.Grünbaum war, erschien hierauf eine sehr scharfe Kritik unter

Schande“.99

der Uberschrift “Die Ehrlich antwortete darauf, die Errichtung eines jüdischen Staates gefährde den Kampf um die Gleichberechtigung der

Juden.100

Auch Kantorowitsch war wütend über den Beschluß der Labour-

Partei.101

Palästina habe eine überwiegend arabische Bevölkerung und deshalb sei die ganze Sache lächerlich. Die britische LabourPartei sei nicht imstande, von der bürgerlichen Ideologie loszukommen; er schimpfte sie opportunistisch: den Marxismus und

den Sozialismus hätten sie nie richtig verstanden. Auch auf dem Menschewisten-Kongreß (dem sogenannten “Eini-

gungskongreß“) am 19./26. August (1./8.8eptember) war der “Bund“ die treibende Kraft in der Nationalitätenfrage. In jenen Tagen herrschte in dieser Frage eine Atmosphäre des Separatismus und

die Resolutionen, die angenommen wurden, zeigen das. Dort heißt

es, die SD-Partei Rußlands strebe nach weitgehender territorialer Autonomie in denjenigen Landesteilen, deren Bevölkerung in ihrer nationalen Zusammensetzung, in ihrem wirtschaftlichen Leben und in ihrem Milieu verschieden seien. Gleichzeitig müsse man die national-kulturelle Autonomie der nationalen Minderheiten sichern. Der Kongreß glaube, die Entwicklungstendenz Ruß-

lands als eines Nationalitätenstaates führe nicht notwendigerweise zur Zersplitterung in eine Reihe von unabhängigen oder

-57-

selbständigen Gebilden, die nur föderativ miteinander verbunden seien. Im Gegenteil: unabhängig von der nationalen Zugehörig-

keit der Einwohner, würde und müßte die Entwicklung zur Entstehung und zum Ausbau enger wirtschaftlicher, politischer und kultureller Beziehungen

führen.102

-68-

4. REVOLUTIONSKRISE UND AUFSTIEG DES BOLSCHEWISTISCHEN EINFLUSSES

Der Petrograder Sowjet hatte sich an die internationale Arbeiterbewegung gewandt und vorgeschlagen, gemeinsam für den

Frieden und die Rettung der Revolution zu wirken. Die Antwort darauf war nichtssagend gewesen und die Stockholmer Konferenz wurde immer wieder verschoben. Die Provisorische Regierung hatte auf ihre Alliierten kaum Einfluß, während sich die Wirt-

schaftslage im Inneren dem Chaos näherte. So verbreitete sich unter den Massen immer mehr Unzufriedenheit, Ungeduld und Ent-

täuschung; es kam zu Demonstrationen und Aufständen, die Bol-

schewisten verstärkten ihren Einfluß. Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb der sozia-

listischen Parteien zeigte sich deutlich, wenn man sich einige Daten vor Augen hält. Am 18. April (1. Mai)

1917 veröffentlich—

te der Außenminister Miljukow (Mitglied der KD-Partei) ein

Schreiben über Rußlands Kriegsziele und löste damit in der Haupt-

stadt wütende Demonstrationen mit der Parole: “Nieder mit der lbgie-

rung“1

aus. Für den 10. (23.) Juni hatten die Bolschewisten

-

-

sehr zögernd eine Demonstration anberaumt, unterwarfen sich aber der Autorität des all-russischen Sowjetkongresses und be-

schlossen, sie abzusagen. Acht Tage später billigte der Sowjetkongreß eine Demonstration, die den Sowjet unterstützen sollte

-

stattdessen zeigte sie nur den wachsenden Einfluß der Bolschewisten. Nur eine Minderheit der drei- oder vierhunderttausend Demonstranten erschien mit Transparenten im Sinne des Kongres-

ses, wie etwa: “Demokratische Republik“

oder “Friede für alle".

Die meisten trugen die Plakate, die die Bolschewisten für die Demonstration am 10. Juni vorbereitet hatten. Nur 3 Gruppen: Der “Bund“, die extrem rechts-sozialistische Gruppe 'Jedinstwo“ (Einheit) und die Kosaken trugen Transparente, die zum Vertrauen

in die Provisorische Regierung aufriefen bald zerrissen oder weggeworfen.

-

und diese wurden sehr

_69_

Der Niedergang der Regierung und der gemäßigten sozialisti-

schen Parteien kam

klar in den Juli-Unruhen zum Ausdruck. Die

Gründe dafür sind nicht nur in der wirtschaftlichen Lage der

Arbeiter zu suchen, die immer schwieriger wurde, sondern auch in dem Mißerfolg der am 18. Juni (1. Juli) begonnenen Offensive. Regierung und Sowjets wußten keinen Ausweg und die Massen waren

des ewigen Predigens zum Durchhalten müde.

Abramowitsch meinte, die Offensive am 18. Juni sei der Wendepunkt, der Beginn des Abgleitens der Revolution. “Es mag sein, daß auch ohne diesen Fehler die Revolution das gleiche Schick-

sal hätte, aber die Regierungskreise waren mit Blindheit geschlagen und weigerten sich geradezu, den wahren Charakter der

Revolution zu verstehen. Und dieser Umstand beschleunigte und

verschärfte den Prozeß der

Konterrevolution.“3

Die Bolschewisten hatten Verständnis für die wachsende Erbitterung des Volkes und riefen zu Straßendemonstrationen auf;

gleichzeitig waren aber auch Soldaten und Matrosen auf eigene Faust aktiv, und es kam zu gewalttätigen Demonstrationen mit Schüssen, Verwundeten und Toten. An der Demonstration am 4.

(17.) Juli beteiligten sich Tau-

sende von Kronstädter Matrosen. Zwei Tage lang konnte man in den Straßen von Petrograd Parolen gegen die Provisorische Regierung und für die Sowjetherrschaft hören. Im Augenblick lehnten die Bolschewisten die Verantwortung

für die Juli-Unruhen ab, aber es war klar, daß sie dabei eine

recht bedeutende Rolle gespielt hatten. Die Provisorische Regierung ergriff Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Bolschewisten. Es kam zu blutigen Zusammenstößen in den Straßen der Hauptstadt.

Viele Aktivisten wurden verhaftet, andere verschwanden von der unter diesen befanden sich auch Lenin und Sinowjew. Bildfläche

-

Die Juli-Unruhen und die Beschuldigung, sie ständen im Solde

der

Deutschen,4

schadeten den Bolschewisten. Ihre Stellung war

geschwächt und ihre Popularität im

Schwinden.5

Aber sehr bald

drehte sich das Rad und sie waren wieder cbenauf

-

ebenso

schnell, wie sie nach den Juli-Unruhen heruntergekommen waren: das war das Resultat des Kornilow-Putsches.

-70-

Der “Bund“ war sich in seiner Reaktion auf die Juli-Unruhen

einig. Man tadelte die Bolschewisten, die die Herrschaft an

sich reißen wollten. Man verurteilte die blutigen Unruhen, weil sie die Revolution gefährdeten. Die Kiewer 'Bund'-Zeitung beschuldigte die Bolschewisten, sie trügen dazu bei, die Arbeiter-

klasse zu isolieren und Teile der Bourgeoisie, die anfangs die Revolution unterstützt hatten, abzustoßen. Man erhob die Forde-

rung nach Erweiterung der sozialen Basis: die Revolution sollte alle Teile der Bourgeoisie an sich ziehen, die bereit waren, sich an dem Kampf für eine demokratische Regierungsform zu be-

teiligen. Den Ausweg sah man in einer

Koalitionsregierung.6

Inzwischen brach eine Krise in der Koalitionsregierung aus: die KD-Minister und der Premierminister Lwow traten wegen der ukrainischen Frage zurück. Drei Minister: Tereschtschenko,

Nekrassow und Zeretelli, waren mit der ukrainischen Rada zu einem Kompromiß betreffend die Beziehungen zwischen Rußland und der Ukraine gelangt. Ein paar Wochen lang gab es Unterhandlun-

gen zwischen Sozialisten und bürgerlichen Parteien mit der Ab-

sicht, Grundlagen für eine neue Koalitionsregierung zu finden. Unterdessen fungierte die Kerenski-Regierung, aber mehrere Ministerposten blieben unbesetzt.

Wieder erhoben sich Meinungsverschiedenheiten über den Charakter des Regimes. Die “Internationalisten' übten an der

Koalitionsregierung die schärfste Kritik. In einem seiner Leitartikel forderte Abramowitsch die Arbeiter und Bauern auf, die Zügel in die Hand zu nehmen. Ihre Organe, d.h. die Sowjets (Räte) der Arbeiter- und Bauerndelegierten, sollten die neue

Regierung bilden. An dieser Regierung sollten nur die Vertreter der revolutionären Demokratie beteiligt sein. Dann bestünde keine Gefahr konterrevolutionärer Sabotage von innen, und die

Regierung könnte das Land der Konstituierenden Nationalversammlung entgegen

führen.8

Das Plenum des Zentralkomitees trat unter Beteiligung des

Exekutivkomitees im Petrograder Sowjet zusammen. Etwa 70 Arbeiter- und Soldatendelegierte und 60 Bauernvertreter aus den verschiedenen Provinzen waren anwesend. Man beschloß, ein

_ Uhereinkommen

zwischen

71

-

der “revolutionären

Demokratie

und der

organisierten Bourgeoisie“ zustande zu bringen und eine neue Koalitionsregierung zu errichten. Bei den Verhandlungen wurde

klar, daß die KD darauf bestanden, alle Reformen bis zum Zusammentreten der Verfassunggebenden Nationalversammlung aufzu-

schieben. Der Sowjet sollte sich der Einmischung in Regierungsangelegenheiten enthalten; in der Armee sollte straffere

Dis-

ziplin eingeführt und in der Außenpolitik die gemeinsame Linie mit den Alliierten voll bewahrt werden. Die KD wünschten auch, Tschernow und Zeretelli los zu Plechanow in das Kabinett

werden,und

schlugen vor,

aufzunehmen.9

Die Bedingungen der KD wurden nicht en bloc angenommen. Trotzdem hielt das Organ des “Bund“ das Uhereinkommen für einen weitgehenden Verzicht der revolutionären Demokratie, die keinen

rechten Glauben an ihre eigene Kraft und an ihre Fähigkeit hätte, das Land ohne Beihilfe der Bourgeoisie aus seiner tragischen Situation zu befreien. Tschernow wurde zwar nicht ausgebootet, wohl aber Zeretelli, und die Regierung sollte dem Sowjet keine Rechenschaft schuldig

sein.10

Abramowitsch' Kritik

an

den Zugeständnissen, die die Sowjets

den KD gemacht hatten, war weitgehend. Er erklärte: “Die Revolution hat jetzt nur einen Weg: die Diktatur, die Herrschaft der Arbeiterklasse, zusammen mit revolutionären Schichten des städtischen und ländlichen Kleinbürgertumsl In Rußland muß die bürgerlich-demokratische Revolution ohne Hilfe und sogar gegen

den Willen der mittleren oder der Großbourgeoisie aufgebaut werden!“ Dieser Weg hätte wohl seine Gefahren, aber man müßte es eben wagen, und dazu gehöre der Mut, die Revolution zu

retten.11

Am 24. Juli (6.August) wurde dann die zweite Koalitions-

regierung errichtet. Partner waren die KD und die Sozialisten, die eine kleine Mehrheit bildeten; meistens kamen sie vom rechten Flügel ihrer Parteien. Nach Schätzung des KD-Führers

Miliukow lag “die Leitung der Dinge letzten Endes in den Händen der Anhänger der bürgerlichen

Demokratie.“12

-

72

-

Um die Geister zu beruhigen und als Ausdruck der Eintracht

und Zusammenarbeit zwischen den Kreisen der Industrie und Finanz und der revolutionären Demokratie in Fragen der politischen und sozialen Reformen



-

noch vor dem Zusammentreten der National-

berief die neue Regierung eine Staatsberatung ein: nicht in dem stürmischen Petrograd, sondern in Moskau.

versammlung

Die Sitzungen dauerten von 12.-14. (25.-27.) August unter Beteiligung von 2414 Abgeordneten, die die verschiedenen poli— tischen, öffentlichen und wirtschaftlichen Faktoren im Lande vertraten, so wie auch die verschiedenen Nationalitäten. Die

Bolschewisten verweigerten die Teilnahme und es gelang ihnen, am Tage der Eröffnung in Moskau einen Proteststreik zu organi-

sieren. Der Führer der Menschewisten im Moskauer Sowjet, Davinow, bezeugte, “daß ganz Moskau stillgelegt war: keine Elektrizität, keine Trambahnen, es streikten die Angestellten in Cafes und Restaurants, viele Demonstranten gingen auf die Straßen mit

-

ihren Fahnen als Protest gegen das staatliche Beratungsforum und gegen die 'Wegbereiter' der Gegenrevolution. “13 An der Beratung nahmen 18 Bundisten teil, und zwar als Vertreter ver-

schiedener öffentlicher Körperschaften 14 scher Parteien.

-

nicht gerade jüdi-

Der “Bund“ sah es nicht gern, daß Abgeordnete der Nationali-

täten ihren Platz in der Staatsberatung fanden, daß jeder Nationalität eine Anzahl von Mandaten zugeteilt wurde und die Verteilung unter den verschiedenen politischen und sonstigen Gruppierungen jeder Nationalität überlassen blieb. Die Staatsberatung war nicht als Ersatz für die Nationalversammlung ge-

dacht, die über prinzipielle Fragen von Staat und Verfassung beraten sollte. Sie sollte sich mit einer aktuellen politischen Frage befassen: Erneuerung der Beziehungen zwischen dem demokra-

tischen Bürgertum und den Sozialisten. Deshalb hätten die Delegierten nach politischen und nicht nach nationalen Gesichtspunkten gewählt werden sollen. Aber, wie die Dinge eben lagen,

hatte die Partei drei Möglichkeiten vor sich: (1) die Beteili-

-

gung abzulehnen das hätte das Auftreten anderer jüdischer Parteien ermöglicht. (2) Der Staatsberatung eine Erklärung im Namen aller dort vertretenen jüdischen Faktoren vorzulegen

-

-73_

unter der Bedingung, daß in dieser Erklärung nur von den Be-

ziehungen zwischen Nationalitäten die Rede sein sollte und nicht

von allgemeiner Politik. (3) Sich mit der Abgabe von zwei Erklärungen abzufinden: eine im Namen der bürgerlichen Parteien

und die andere im Namen der jüdischen Arbeiterparteien. Für die erste Möglichkeit war niemand. Dagegen bestand ein



-

unter Lieber auf der Notwendigkeit eines Teil der Bundisten Ubereinkommens mit anderen jüdischen Gruppierungen zwecks Ab-

fassung einer gemeinsamen politischen Erklärung. Hierüber fanden

Verhandlungen mit anderen politischen Parteien statt. Als jedoflldie 'Bund'-Delegation zusammentrat, wurde klar, daß die Mehrheit zwei getrennte Erklärungen vorzog. Im Namen der jüdi-

schen Arbeiterparteien ('Bund', Vereinigte“, Poale Zion) gab Abramowitsch die Erklärung ab, im Namen der übrigen jüdischen Parteien

Grusenberg.15

Im Laufe der Beratung selbst kam es zu heftigen Zusammen-

stößen zwischen KD und verschiedenen reaktionären Elementen einerseits, die dafür waren, die Sowjets lahmzulegen und die

Politik der revolutionären Demokratie zu tadeln, und den Vertretern der Sowjets, an deren Spitze Zeretelli und Tscheheidze

standen, anderseits. In seiner Erklärung betonte Tscheheidze

die schwierige innere und äußere Lage des Reiches. Als einzigen Ausweg sah er die Einheitsfront aller demokratischen Elemente.

Die Regierung müsse allen imperialistischen Zielen entgegentreten und einen Frieden auf demokratischer Grundlage an-

streben.16 Im Namen der jüdischen sozialistischen Parteien sprach

Abramowitsch. Das Zentralproblem der Beratung: die Frage der Beziehungen zwischen Bourgeoisie und Arbeitern und der Zusammen-

arbeit im Rahmen der Koalitionsregierung, berührte er gar nicht. Denn in diesem Punkte gab es Meinungsverschiedenheiten. Nicht nur zwischen den Parteien, die er repräsentierte, sondern auch

innerhalb jeder dieser Parteien. Dagegen beschrieb er ausführ— lich das schwere Los der Juden unter dem Zaren. Kein Volk war so unterdrückt und so rechtlos gewesen wie die Juden. Sie hatleiden‚und vor allem waren die be-

ten unter Verfolgungen zu

sitzlosen Massen betroffen. Die jüdische Arbeiterklasse hatte

-

74

-

Widerstand geleistet und im Rahmen der russischen Arbeitsfim Glauben, daß klasse ihre revolutionären Kämpfe bestanden

-

der Sieg der russischen Revolution allen unterdrückten Nationalitäten die Freiheit garantieren würde. Diese Hoffnung habe sich erfüllt. Die Revolution hatte dem jüdischen Volk Freiheit gegeben und dieses hatte seinen gebührenden Platz unter den

Völkern eingenommen. Aber noch standen der Revolution schwere Prüfungen bevor: militärischer Zusammenbruch an der Front und

Konterrevolution im Hinterland. Die Reaktion erhebe ihr Haupt und wieder würden antisemitische Tendenzen ihre Schatten vorauswerfen. Die Stärkung der Revolution und die volle Demokratisierung des Lebens im Staate würden der Unterdrückung des jüdi-

schen Volkes in Rußland ein Ende bereiten und den Juden politische und bürgerliche Gleichberechtigung- sowie die nationale

Selbstverwaltung sichern, die sie so nötig hatten. Das Ergebnis der Staatsberatung war keineswegs das erhoffte.

Weit davon entfernt, die Gemüter zu beruhigen und ein überein-

kommen zwischen dem bürgerlich-demokratischen Lager und den sozialistischen Parteien herbeizuführen, diente sie den streitenden Parteien nur als Kampfplatz. Trotzdem bestand innerhalb des “Bund“ keine einheitliche Einschätzung dieses Ereignisses. Die Wochenschrift des Parteizentrums (in russischer Sprache)

stellte fest, daß zwar keine Koalition zustande gekommen sei,

denn es gebe auch weiterhin kein Zentrum und man stehe einander gegenüber wie vorher. Trotzdem sei die Regierung aus dieser Beratung gestärkt hervorgegangen und die Pläne der Konterrevo-

lution seien

vereitelt.17

Die 'Bund'-Zeitung in Jekaterinoslaw war anderer Ansicht. Die Regierung hatte gehofft, die öffentliche Meinung zu hören und Einigkeit herzustellen, die ihr eine normale Tätigkeit er-

möglichen würde. Was sie statt dessen zu hören bekam, war allseitige Unzufriedenheit. “Was nicht zur Einheit

eben nicht

taugt‚kann

man

einigen.“18

Die Staatsberatung brachte die Polarisierung des politischen Lebens aus Licht. Die Regierung versuchte zwar, zu einem Ausgleich der Kräfte zu gelangen, aber die Rechte war zu keiner

-

75

-

Aussöhnung bereit und befaßte sich mit Vorbereitungen zu einem Militärputsch. Enttäuschte Liberale, Frontkommandanten und konservative Elemente scharten sich um General Kornilow, der

wieder das Oberkommando der russischen Armee übernommen hatte. Als der General bei der Staatsberatung erschien, wurde ihm zu Ehren eine Demonstration veranstaltet und am 26. August (8. September) überreichte er Kerenski ein Ultimatum mit der Forderung, ihm die Regierungsgewalt sofort zu übergeben.

Kerenski wies dieses Ultimatum zurück und setzte Kornilow als Oberbefehlshaber der Armee ab. Daraufhin befahl Kornilow den Truppen, die ihm ergeben geblieben waren, Petrograd anzugreifen. Dieser Kornilowputsch löste in weiten Kreisen Wut und aud:$orge aus. Die Sowjets, mehrere Arbeiterorganisationen und

auch einige Militärverbände erklärten sich bereit, Kornilow mit

der Waffe in der Hand entgegenzutreten. Es gelang mehreren Gruppen von Arbeitern, Soldaten und Sowjetmitgliedern, sich in

Kornilows Lager einzuschleichen und infolge ihrer Propaganda begannen viele Soldaten gegen ihre Offiziere zu murren.

Damit brach der Putschversuch zusammen. Kornilow wurde abgesetzt, verhaftet und vor Gericht gestellt. Dieser konterrevolutionäre Putschversuch empörte und einigte die Linke einschließ-



lich der Bolschewisten, die die Situation benutzten, um ihr Ansehen zu stärken, ihre Organisation zu befestigen und ihren Einfluß zu vermehren. Der Putschversuch eines Generals, den die Regierung doch selbst zum Oberkomandierenden ernannt hatte, erschütterte zudem das Verhalten der Arbeiter zu dieser Regierung. Die KD-Partei, selbst Koalitionspartner, war in den

Putsch verwickelt. All diese Ereignisse trugen dazu bei, die Stellung der “Verteidiger“ unter den Menschewisten und im “Bund“ schwer zu erschüttern. Das Zentralkomitee, das auf dem Einigungs-Kongreß der

Menschewisten gewählt wurde, erklärte schon am 31. August, daß 19 ein weiteres Verbleiben der KD in der Regierung unmöglich sei. Auch das Zentralkomitee der SR beschloß, Kerenski die Forderung

-

zu stellen, keine Koalition mit den KD zu bilden andernfalls 20 könnte er nicht mehr auf ihre Unterstützung zählen.

-

76

_

In ihrem Leitartikel wies die “Arbeiterstimme' (“Bund“)

darauf hin, daß Kornilow nur ein Werkzeug der Konterrevolution gewesen sei, die ihr Netz über das ganze Reich ausbreite. Eine Vereinigung von reaktionären Kräften, von den “Schwarzen

Hundert“ bis zu den KD, deren Vertreter ja in der Regierung saßen, haben diese Pläne ausgeheckt. Sie hätten geglaubt, daß

die revolutionäre Demokratie bereits müde und ihr Geist gebrochen sei. Die Reaktion hätte die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der revolutionären Demokratie für so tiefgehend und bitter ge-

halten, daß ein ernsthafter Widerstand gar nicht möglich sein würde. Diese Rechnung sei aber falsch gewesen. Es bestehe zwar Müdigkeit im Volk; gleichzeitig sei man sich aber bewußt, was

die Alternative bedeuten würde: ein Versinken im Sumpf der Reaktion. Es gäbe zwar Uneinigkeit unter den Revolutionären

besonders nach den Juli-Unruhen

-



aber in der Stunde der Gefahr,

die ja alle bedrohte, Bolschewisten ebenso wie Menschewisten, hätte sich eine Einheitsfront gegen die Konterrevolution gebildet und der Putsch sei gescheitert. Gleichzeitig warnte das Organ des 'Bund', daß die Gefahr

nicht vorüber sei. Man müsse Konsequenzen ziehen, und zwar (1) die KD, die in die Verschwörung gegen die Revolution verwickelt waren, aus der Regierung entfernen; (2) keinen Kompromiß mit

der Gegenrevolution eingehen, sondern sie aufs Schärfste bekämpfen; (3) die Einheit der revolutionären Front bewahren, sowie die Einheit im Kampf, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten

im Inneren gebe.21 Die Zeitung forderte auch von den Juden, von denen manche mit den KD sympathisierten, sie sollten sich daran erinnern, daß die Revolution ihnen Gleichberechtigung zugesagt

habe und jeder Schritt zur Gegenrevolution ein Schritt zum

Antisemitismus sei. Der Widerstand gegen eine Koalition mit der Bourgeoisie ge-

wann unter den Arbeitern immer mehr an Boden. In den 14 Tagen

zwischen der Errichtung des

Direktoriums22

und der Eröffnung

der Demokratischen Beratung kristallisierten sich die Meinungen

in beiden Lagern für und gegen die Koalition heraus. Zeretelli, Dan und Lieber, die Führer der “Verteidiger“, blieben im

Zentralkomitee in der Minderheit, gaben aber ihre Meinung nicht

-77-

auf, nach der Kerenski ohne Beihilfe einer nicht-sozialisti-

schen Partei, um die sich die erfahrenen Führer Rußlands scharen könnten, handlungsunfähig sein würde. Sie hielten anscheinend noch an der traditionellen Auffassung der Sozialdemokratie fest, wonach die russische Revolution bürgerlichen Charakters sei.

Nach der Kornilow-Affäre erwartete man allgemein eine Reak-

tion von Seiten der Regierung. Es war gerade das Zentralkomitee der Sowjets, das den Beschluß faßte, eine Zusammenkunft der

demokratischen Kräfte in Rußland zu organisieren. Man faßte eine Beratung von Vertretern der Linken und liberalen Mitte unter Ausschluß der Rechtsparteien und ihrer Organisationen ins Auge.

bei der die Zusammensetzung des neuen Kabinetts endgültig fest-

gelegt werden sollte. An dieser Beratung beteiligten sich außer den Vertretern des “Bund“-Zentralkomitees auch solche Bundisten, die verschiedene andere Organisationen vertraten. Die Anzahl Vor der Erder Bundisten in der Beratung belief sich auf

19.23

öffnung fand eine Sitzung der Menschewisten-Fraktion statt (einschließlich 'Bund'-Mitglieder), in der man für oder gegen

eine Koalition debattierte. Zeretellis Antrag zugunsten der Koalition erhielt 81 Stimmen, seine Gegner 77. Gleich darauf ging aber eine weitere Resolution durch (86 gegen 51), und diese besagte, daß eine Koalition mit den KD nicht in Frage komme. Es wurden also zwei Resolutionen angenommen, die sich gegenseitig

aufhoben. In der Nacht fand eine weitere Abstimmung statt (73 gegen 65), wonach die Fraktion das Prinzip der Koalition

ablehnte. Auch im Laufe der Beratung selbst diskutierte man über die Zusammensetzung des neuen Kabinetts und über das Problem der

Koalition. Die Bolschewisten forderten dringend, alle Autorität in die Hände der Sowjets zu legen es sei das der einzige Ausweg. Anderseits glaubten die “Verteidiger“ auch weiterhin

-

an die Möglichkeit einer Koalition mit der demokratischen Bourgeoisie. Die Zusammenkunft ging auseinander, ohne einen Beschluß über die Regierung gefaßt zu haben. Die bestehenden

Gegensätze machten die Errichtung einer neuen Regierung unmöglich. Erst nach Kerenskis Verhandlungen mit dem Zentralkomitee

_7a_

der KD und mit den Befürwortern der Koalition unter den Menschewisten wurde schließlich am 25. September (8. Oktober)

die neue Regierung gebildet. Einen Monat hatte die Krise gedauert, und genau einen Monat lang hielt sich die neue Regie-

saßen24

(zusammen mit einigen KDrung, in der 4 Menschewisten Leuten, die allerdings als Private erschienen). All das im

flagranten Gegensatz zu den Beschlüssen des menschewistischen Zentralkomitees und der menschewistischen Fraktion auf der

Demokratischen Beratung, nicht mit den KD zusammenzugehen. Die Regierungskrise, die Demokratische Beratung und die Errichtung der neuen Regierung fanden ihr Echo in den “Bund“Zeitungen. Wie in allen politischen Fragen kam der “Bund“ auch

hier zu keiner einheitlichen und natürlich auch zu keiner ver-

pflichtenden Stellungnahme. “Der International“ (Jekaterinoslaw) lehnte die Koalitionsregierung kategorisch ab. “Der Wecker“ (Minsk) war weniger definitiv, bezweifelte aber, “ob diese

Regierung den schweren Aufgaben, die augenblicklich vor ihr

standen, gewachsen sein könnte.“ Es wurde gezeigt, daß das Programm der neuen Regierung nicht

revolutionär-demokratisch

sei, da es ja im Einverständnis mit den KD festgelegt worden

sei. Trotzdem bestehe ein Unterschied zu der vorigen RegieMit besonderer Schärfe rung: die Kontrolle des

Vorparlaments.25

verurteilte Abramowitsch die Geschehnisse. Die Demokratie hätte

einfach “Angst vor der Herrschaft“ (von A. selbst unterstrichen). Sie begriffe wohl, daß die Koalition ein Übel darstelle, aber sie hätte Angst, wenn sie die Alleinherrschaft an sich reiße, könne es noch schlimmer kommen. Er gab zu, daß die Übernahme der Regierungsgewalt mit Gefahren verbunden sei denn damit

-

übernehme die Demokratie die Verantwortung für den Krieg und die Revolution. Die Bourgeoisie würde eine revolutionäre Regierung boykottieren und Sabotage betreiben- Das sei aber unvergleichlich weniger gefährlich für den Staat als eine handlungsunfäüge,gelähmte Regierung. “Was kann schlimmer sein, als eine Regierung, deren Autorität nicht allgemein anerkannt wird, eine Regierung von Nullen, ein lebender Leichnam?“_sieben Monate Revolution hätten bewiesen, daß man im Bunde mit der Bourgeoisie zu nichts kommen könne: nicht in der Wirtschaft,

_79-

nicht im Krieg und in der Reorganisation der Armee, nicht in

der Agrarfrage und nicht in Fragen des Friedens. Zusammen mit den Vertretern der russischen Bourgeoisie könne kein demokra-

tisches Ringen um den Frieden stattfinden. “Es ist lächerlich anzunehmen, daß die Bourgeoisie ein Koalitionsabkommen ehrlich einhalten wird, wenn die Hegemonie in Händen der Demokratie liegt und ihr selbst nur eine bescheidene Rolle als Helfer zu-

kommt.“ Wer ein revolutionäres Programm

-

und nicht das der KD

-

verwirklichen wolle, müsse die “Herrschaft an sich reißen“ und eine Regierung bilden, deren Mitglieder an einem demokratischen Programm interessiert seien und die danach strebten, ein revo-

lutionäres Programm zu verwirklichen. Er forderte Mut seinem Leidwesen einem Teil der russischen SD

- der

fehlte.26

zu

Das

Schlagwort der Bolschewisten, “alle Macht den Sowjets“, machte

-

aber seinem Inhalt näherte er sich. er sich nicht zu eigen Trotzdem lehnte er den Gedanken eines bewaffneten Aufstands nach dem Rezept der Bolschewisten ab, ebenso wie die Möglichkeit der

bolschewistischen Alleinherrschaft. Abramowitsch war aber auch Redakteur des Zentralorgans seiner Partei und mußte ihre offizielle Position berücksichtigen, die mit seiner und der der “Internationalisten' keineswegs identisch war. So kam er überraschenderweise zu einer beruhigenden Formel und sagte: “Es ist zwar nicht 'unsere' Regierung, aber wir müssen manche ihrer Schritte unterstützen,insoweit sie auf die Verwirklichung eines revolutionären Programms

hinzielen.“27

Aufgrund seiner Beratungen nahm das Zentralkomitee Beschlüsse

an, die seine Einstellung gegenüber der neuen Regierung umrissen. In diesen wurde eindeutig festgestellt, daß die Verhandlungen, die mit den Kadetten und den ihnen nahestehenden industriel-

len und kommerziellen Kreisen geführt worden waren, sowie die

mit diesen Gruppen nach der Demokratischen Beratung getroffenen Vereinbarungen, eine Verwirklichung des Programms der Provisori-

schen Regierung, wie es in der Deklaration auf der Staatlichen Beratung von Tscheheidze zum Ausdruck gekommen war, nicht zulas-

sen würden. Der Ausweg aus dieser Situation wäre in der Bildung einer Regierung zu suchen, die aus den auf der Demokratischen Beratung vertretenen Elementen, d.h. ohne die Kadetten, bestehe.

_80_

Die Bolschewisten forderten auch weiterhin die Übergabe der Regierungsgewalt an die Sowjets. Die Menschewisten, unter ihnen

der 'Bund', wagten nicht, sich von den Kadetten zu trennen, und die “Internationalisten' in beiden Parteien konnten keine annehnrbare Lösung für eine Regierungsordnung finden. Nur der ablehnen-

-

-

de Teil war eindeutig und klar. Der'Widerstand kritisierende gegen die Teilnahme kapitalistischer Elemente an der Regierung war gut begründet. Der feste Wille zur Herrschaft revolutionärer

Demokratie war vorhanden, aber nicht der Weg, den Willen in die Tat umzusetzen.

Indessen verschlimmerte sich die Lage im Lande. Vier Regierungen nacheinander hatten sich als machtlos und untätig erwie-

sen. Der Krieg ging weiter. In der Armee herrschte Disziplinlosigkeit. Bauern in Uniform hatten genug vom Krieg und gingen

einfach nach Hause. Die Front löste sich auf. Nach dem Kornilowputsch liefen auch Frontoffiziere davon. Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung ließ viel zu wünschen übrig, und der

Verkehr kam beinahe zum Stillstand. Das zeitlose Verlangen der Bauern nach Land blieb unbefriedigt. In vielen Gegenden waren die Gutsbesitzer geflohen und hatten ihre Güter aufgegeben. Die Bauern steckten die Herrenhäuser in Brand, plünderten ihre Be-

sitztümer und verteilten das Land unter sich. Viele Fabriken lagen wegen Rohstoffmangels still, und die Arbeiter erhielten keinen Lohn. Mit einem Wort: die beiden Hauptparolen der Revolution, Frieden und Brot, blieben unverwirklicht und die Ent—

täuschung war groß. In der Politik führte dieser Zustand einerseits zu einer Schwächung der Menschewisten und ihres Einflusses, anderseits

ermöglichte er es den Bolschewisten, als Vertreter der öffent-

lichen Meinung zu erscheinen, denn diese war ja gegen die verfehlte Politik der Koalitionsregierung. Der Meinungsumschwung trat klar zutage, als Bolschewisten zu Vorsitzenden sowohl des

Petrograder wie auch des Moskauer Sowjets gewählt wurden.

Angesichts dieser Schwächung der Menschewisten und des

gleichzeitigen Anwachsens der Bolschewisten rief die “Bund“Zeitung dazu auf, “der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. In Petrograd gehen Soldaten und Arbeiter in immer größerer Anzahl zu

_ _ 31

den Bolschewisten

über.“28

Man

darf

annehmen, daß der Einfluß

der Bolschewisten auch innerhalb des “Bund“

anwuchs‚und man

kann bezweifeln, ob dh Verfasser der offiziellen Geschichte der Partei mit ihrer Feststellung, daß “bis zur bolschewistischen Revolution im “Bund“ niemand Sympathie für die Bolschewisten

hatten.29

Weit überzeugender ist es, daß Wiktor zeigte,“ Recht Alter, der damals zu den 'Internationalisten“ gehörte, in einem Artikel mit der Überschrift “Ist der Bund in Gefahr?“ seinen Befürchtungen Ausdruck gab. Er stellte fest, daß die offizielle Politik der Partei bei einem Teil der Mitglieder wachsende Unzufriedenheit hervorriefe, die mit der Zeit ernste Folgen für die

jüdische Arbeiterbewegung haben könnte. Er erinnerte daran, daß die Partei einmal dem Zimmerwald-Programm treu gewesen wer;und

stellte fest, daß in der offiziellen Politik der Partei vom

Internationalismus nur leere Phrasen übrig geblieben seien. Der jüdische Arbeiter sei auf dem Boden des kompromißlosen Klassenkampfes groß geworden. Heute erschiene ihm der Weg der Partei als schädlich. Meinungsverschiedenheiten und Diskussionen inner-

Partei seien legitim, aber die “Internationalisten' sollten ihre Tätigkeit im Inneren verstärken und den “Bund“ zu

halb der

seinen alten Fahnen

zurückführen.30

-82-

5. DER “BUND“ IN NEISBRUBBLAND UND IN DER UIRAIN!

Petrograd und Moskau waren die Zentren der revolutionären Ereignisse in der Politik. Die Nachricht von der Revolution verbreitete sich verhältnismäßig langsam, und auch die zweite Revolution erfolgte nicht allerorts automatisch, wie mit einem

Zauberstab. Die Abschaffung des alten Regimes und die Errichtung des neuen erfolgte unter ständigen Kämpfen zwischen den

verschiedenen

Gesellschaftsfaktoren,1

aber doch meist weniger

gewalttätig als in den Hauptstädten. Die Entscheidung fiel, als

die Revolution in Petrograd siegte. Nach dem Sturz des Zaren wagte es in der örtlichen Verwaltung niemand mehr, den erhitzten

Volksmassen offen Widerstand zu leisten. Die revolutionäre Bewegung verbreitete sich überall und im Laufe des Monats März entstanden in allen Landesteilen etwa 600 Sowjets von Arbeiter-

und 485 von Soldatendelegierten, einschließlich regionaler und

Provinz-Sowjets.2 Jüdische Arbeiterparteien

- v.a. der

“Bund“

- nahmen am Laufe

der Ereignisse in den Provinzstädten aktiven Anteil, sowohl innerhalb des “Ansiedlungsrayons', wo die Juden schon seit Jahr-

hunderten ansässig waren, wie auch außerhalb. Bedeutenden Einfluß erreichte der 'Bund' in zwei besonders wichtigen Landesteilen, nämlich in Bjelorußland (Weißrußland oder NW-Rußland) und in der Ukraine im Südwesten des Landes. 1. Weißrußland

Vor dem Ersten Weltkrieg lebten in Weißrußland über 1 Million

Juden. Von jeher hatte es in den Städten und Städtchen, wo die

Juden die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, viel Armut und Elend gegeben. Auch den Bauern ging es schlecht. Die Böden waren arm,

dichte Wälder und Sümpfe bedeckten ganze Landstriche, die den polnischen Großgrundbesitzern gehörten. Das Land ist reich an

Flüssen, die den Bewohnern hätten Segen bringen können; sie

wurden aber nur wenig ausgenutzt. Erst kurze Zeit vor dem Krieg

_

33

-

war Weißrußland aus seinem Schlummnr erwacht. An vielen Orten wurden Fabriken errichtet und die Städte und Flecken an der Beresina entwickelten sich zusehends. dem größten Fluß

-

-

Wälder und Holzhandel beschäftigten

viele

Einwohner, darun-

ter auch viele Juden. Dieser Handel trug zur Hebung der Lage der Bauern bei. Jetzt hatten sie stetige Arbeit auch in den langen Wintermonaten. Infolgedessen besserte sich auch die Lage im Handwerk und im Handel. Da brach der Weltkrieg aus und

brachte Erschütterungen des Wirtschaftslebens mit sich. Axte und Sägen kamen zum Stillstand, die ganze Gegend befand sich in einer Krise. Viele junge Leute wurden einberufen, aber anfangs hatten die Einwohner nicht direkt unter den Kriegshandlungen zu leiden. Minsk und Umgebung waren weit vom Kriegsschauplatz, aber schon 3 Monate nach Kriegsausbruch erschienen in

der Stadt Flüchtlinge aus Grodno, unter ihnen Frauen und Kinder. Sie blieben 2 Monate lang in Minsk, dann bekamen sie die Erlaubnis, in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Aber bald darauf kam

die zweite Vertreibungswelle, und in Minsk erschienen etwa 6000 Flüchtlinge. Viele gingen weiter nach Bobrujsk und Umgebung, aber dann erfolgte die Vertreibung aus Kowno und aus Polen. Im Herbst 1915 rückte der Kriegsschauplatz Weißrußlands immer

näher. Städte und Städtchen wurden zerstört und die Einwohner

verloren ihre Habe und blieben nackt und bloß. Tausende von

Juden mußten die Grenzgebiete verlassen und strömten nach Innerrußland und nach Sibirien. Die Nachricht von der Februar-Revolution in Petrograd kam für die Bevölkerung Weißrußlands überraschend; statt freudiger Erregung verbreiteten sich Zweifel und Furcht. Die Juden hatten Angst vor Pogromen, die ausbrechen konnten, ehe das revolutionäre Regime die Provinzialverwaltung

erreichte.3

Es vergingen einige Tage, bis sich überall die demokratischen

-

und sozialistischen Kräfte organisieren konnten zur Beruhigung der Geister und zur Zerstreuung der Befürchtungen. Die Arbeiterparteien, vor allem der “Bund“, begannen sich zu organisieren.

Außer ihm auch die Zionisten, SS und Poale Zion, Menschewisten

und Bolschewisten. Die letzteren waren in Weißrußland nicht sehr

-

34

_

stark. Sie hatten wenig Anhang unter der Ortsbevölkerung und hatten auch wenig Selbstvertrauen, wie ein moderner sowjetischer

Historiker zugibt. Daher dachten sie, es würde leichter sein, den Kampf zusammen mit anderen sozialistischen Parteien zu Sie errichteten also eine gemeinsame Ortsgruppe mit

führen.‘

den Menschewisten und dem “Bund“ und bildeten auch im Sowjet eine einheitliche sozialistische Fraktion. Einen Kräftezuwachs

erhielten die Bolschewisten hauptsächlich von den Angehörigen Erst der Militärverbände, die in der Gegend stationiert

waren.5

am 19. Mai (1. Juni) 1917 spalteten sich die Bolschewisten ab und gründeten ihre eigene Ortsgruppe. Viel Aufmerksamkeit wurde

der Organisation der Gewerkschaften gewidmet. Bis zum 1. (14.) Juni zählte man in Minsk 20 Gewerkschaften mit 6000 Mitgliedern. Am einflußreichsten unter diesen war der 'Bund', der sich be-

sonders um eine weltliche, nicht religiöse Gemeindeform bemühte. Diese erschien ihm als Kern der national-kulturellen Autonomie

der

Zukunft.6 Das bedeutendste jüdische Zentrum Weißrußlands war damals

Witebsk, wo 60.000 Juden wohnten, davon 9000 jüdische

Arbeiter.7

Auch hier herrschte der “Hund“, an dessen Spitze Gregor Aronson stand. Als erste vor allen Witebsker Parteien erklärte der “Bund“ öffentlich seine Bereitschaft, der Revolution zu

dienen.9

Auch in anderen Städten wie Homel und Bobrujsk hatte der “Bund“ bedeutenden Einfluß. An beiden Orten zählte er mehrere Fraktionsmitglieder in den Arbeiter- und Soldatenräten. In Homel hatte die 'Bund'-Fraktion 5 Mitglieder, und einer von diesen stand an der Spitze der Wirtschaftskomnussion des Sowjets. Ein

Mitglied der Ortsgruppe gehörte dem Stadtrat an. Auch nach Bobrujsk gelangte die Nachricht, daß die Revolution

ausgebrochen sei, mit Verspätung. Sie kam völlig überraschend. (17.) März fand eine große öffentliche Versammlung

Erst am 4.

statt, in der vom Sieg der Revolution berichtet wurde. Als erster

Redner trat der Bundist Noach'ke Jochwid auf. Am 12. (25.) März legten die Soldaten der Bobrujsker Garnison der Provisorischen Regierung den Treueid ab. Es ist eine pikante Tatsache, daß die jüdischen Soldaten, an ihrer Spitze ein SR-Hitqlied und ein

_ _ 35

Bundist, zur Synagoge marschierten, um dort den Eid abzulegen. Zum Abschluß der Zeremonie wurde die Marseillaise

gesungen.9

Allmählich organisierten sich die politischen Parteien in Weißrußland. Der “Bund“ genoß den Vorteil einer langjährigen

Tradition unter den jüdischen Arbeitern. Andere Parteien, auch die jüdischen, brauchten länger und stießen auch auf größere Schwierigkeiten. Im Zentrum der weißrussischen Nationalbewegung (und auch der Konferenz) stand die “Sozialistische Weißrussische Hromada“, die

1902 gegründet wurde. Sie riß die Herrschaft im 'Weißrussischen

Nationalrat“ an sich und machte ihn zum “Zentralrat“, der die “fortschrittlichsten und demokratischsten Parteien repräsen-

tierte“.10

Dieser Rat gab der Provisorischen Regierung und ihren

Bemühungen, das neue Regime zu festigen, seine Unterstützung. Man forderte die Einführung der Verfassunggebenden Nationalver-

sammlung, die Errichtung einer föderativen Republik und territoriale Autonomie für Weißrußland; den 8-Stundentag, die Festlegung eines Mindestlohns und volle Rechte für alle Nationali-

täten.11

Anfang Mai begann das 'Bund'-Komitee für Weißrußland

zu funktionieren, zu dessen Vorsitzenden A.Weinstein gewählt wurde. Man beschloß, ein eigenes Organ herauszugeben, “Der

Wecker“.12

In den Monaten Mai und Juni fanden Provinzkonferen-

zen in Witebsk, Homel, Minsk und Mohilew statt, an denen Dele-

gierte von 51 Ortsgruppen teilnahmen. Das Provinzkomitee sowie die Kreis- und Ortsgruppenkomitees legten Berichte ab. Dann bepolitische Probleme, Fragen der allrussihandelte man

aktuelle

schen jüdischen Konferenz, Gemeindeorganisation, Schulfragen, Gewerkschafts- und Kooperativangelegenheiten usw. Viel Zeit

widmete man dem Wahlkampf zur Nationalversammlung und zu den Stadtverwaltungen. Für die Wahlen zur Nationalversammlung wurde beschlossen, einen “Block“ mit den Menschewisten zu

bilden.13

Vom 2. bis zum 6. (15.-19.) Juni 1917 tagte die erste “Weiß-

russische Konferenz“ unter Beteiligung von 38 Delegierten aus 26 Ortsgruppen der Kreise Minsk, Mohilew, Witebsk, Smolensk und auch aus dem Gouvernement Tschernigow das eigentlich zur Ukraine gehört. Die Delegierten repräsentierten 7656 Mitglieder.

-

_

-

35

Aus den Berichten, die der Konferenz vorgelegt wurden, erhellt,

daß 20 von den 26 Ortsgruppen Vertreter in den Arbeiter- und

Soldatenräten hatten, eine (Homel) auch in dem Bauernrat. 13 Ortsgruppen hatten Vertreter in den lokalen Selbstverwaltungen:

6 unterhielten Beziehungen zur

so

und eine mit den SR. Zwei

hatten Beziehungen sowohl mit der SD wie mit den SR. An sechs Orten unterhielt man gemeinsame Ortsgruppen mit der SD. An diesen 26 Orten existierten 126 Gewerkschaften mit 35.000 Mit-

gliedern, und in den meisten hatte auch der “Bund“ seinen Platz. In 13 Städten fanden Wahlkämpfe zur Stadtverwaltung statt. In 7

war man zu einem schriftlichen Übereinkommen mit der SD gelangt, an einem Ort mit den SR. In 4 Städten trat der “Bund“ gemeinsam mit SD und SR auf.1‘ In der politischen Diskussion, die den Hauptinhalt der Kon-

ferenz ausmachte, kamen “alle Schattierungen der russischen Sozialdemokratie zum Ausdruck, mit Ausnahme von Plechanow“. Es wurde eine Resolution angenommen, in der man die Koalitionsregierung unterstützte und den sozialistischen Ministern Ver-

trauen aussprach. Gleichzeitig betonte man aber, daß sich die sozialistischen Minister an die Anweisungen des Sowjet-Exekutiv-

komitees zu halten hätten und daß sie ihm und den Parteien ver-

antwortlich seien. Eine andere Resolution betonte die Notwendigkeit, Frieden “ohne Annexionen und ohne Entschädigungen“ zu schließen. Man hörte auch die Forderung, eine internationale Sozialistenkonferenz

anzuberaumen.15

Sowohl in der Provinzkonferenz wie in den Kreisversammlungen und in verschiedenen Parteiversmmmlungen sprach man über die aktuellen Fragen der Munizipalwahlen den ersten Prüfstein der

-

Politik nach der Revolution. Im Laufe dieser Diskussionen wurde es klar, daß in erster Linie der “Hund“ den Wahlkampf zu den Stadtverwaltungen für die gemeinsame Liste mit den Menschewisten

zu führen haben würde; sogar unter der nicht-jüdischen Bevölkerung. Das

Provinzkomitee

trat am 4.

(17.) September

zu einer Bera-

tung über die Lage zusammen. Man faßte dfe Diskussion in einer Resolution zur Frage der Koalitionsregierung und anderen aktuel-

len Problemen im Sinne der “Verteidiger“ zusammen, deren Einfluß

_ _ 37

bisher entscheidend gewesen war. Trotzdem zeugt der Wortlaut der Resolution von gewissen Zweifeln und von Unsicherheit, ob das auch wirklich der richtige Weg sei. Unter anderem beschuldigte man die KD, daß sie zur Konterrevolution abgeschwenkt seien, daß sie die revolutionäre Demokratie nicht unterstützten,

sondern sie bekämpften. Das Komitee rückte von dem Gedanken ab, eine Regierung nur aus den im Sowjet organisierten Elementen

zu bilden. Man wollte sich auch auf das städtische Kleinbürgertum und auf die Intelligenz stützen, sowie auf die nicht-sozia-

listischen Elemente der Bauernschaft, die an der Revolution interessiert waren und nicht den KD nachliefen. Die neue Regierung müsse dem politischen und sozialen Programm des all-russi-

schen Sowjet-Kongresses treu sein. Sie müsse den Alliierten absolut klar machen, daß die Kriegsziele sofort zu überprüfen seien und daß Friedensverhandlungen auf Grund der Prinzipien, die die revolutionäre Demokratie festgelegt hatte, begonnen

werden sollten. Solange nicht Friede sei, müsse der Staat mit aller Energie verteidigt werden. Die Armee müsse “kampffähig und diszipliniert sein, damit sie ihre Pflicht in der Verteidigung der russischen Revolution gegen alle Gefahren von außen erfüllen“

könne.16

Nach dem Kornilowputsch wuchs der Einfluß der “Internationalisten' zusehends. Das zeigte sich besonders in Witebsk. Ein offener Zusammenstoß zwischen “Verteidigern' und “Internatio-

nalisten“ ereignete sich in einer großen Versammlung von Gewerkschaftsmitgliedern, die als Auftakt zu der “Demokratischen Beratung“ abgehalten wurde. Die Zahl der Teilnehmer belief sich auf 600 und auf der Tagesordnung stand die Wahl eines Delegierten zur “Beratung“. Das war der Anlaß zu einer weitschweifenden

politischen Diskussion in einer geladenen Atmosphäre. Es ging darum, welche Ansicht siegen sollte: die breite Koalition mit

den KD, richtiger gesagt, der status quo in der Regierung

-

oder die der “Internationalisten', die von einer “inner-demokratischen“ Koalition sprachen, d.h. zwischen den sozialistischen Parteien, von den Bolschewisten bis zu den “Trudowiki'. Um den “Verteidigern' den Sieg zu sichern, schickte man einen Vertreter des Zentralkomitees zur Versammlung (A.Braun

-

Sergei). In

einer langen Rede versuchte dieser, die Anwesenden zu überzeugen, aber es gelang ihm nicht. Nur 10 stimmten für den Antrag

der “Verteidiger“; der der “Internationalisten' wurde mit einer Mehrheit von Hunderten angenommen. Zum Delegierten wurde G.Aronson

gewählt.17

Im Jahre 1917 feierte der “Bund“ 20 Jahre seit seiner Grün-

dung. Es versteht sich, daß man dieses Datum feierlich begehen wollte. Zu Ehren des Tages wurde eine Extraausgabe der “Arbei-

terstimme“ in großer Auflage gedruckt (No. 47-48), ebenso eine des “Golos Bunda“ (No. 6-7). Wilna, wo die Wiege der Bewegung gestanden hatte, war von den Deutschen besetzt, ebenso Warschau.

Daher beschloß man, die Festlichkeiten in dem jüdischen Zentrum Minsk abzuhalten. Die ganze Stadt nahm am Feste des “Bund“ teil, schreibt Abramowitsch. Große Straßendemonstrationen, kolossale Massen-

versanmlungen im Stadttheater, Jubiläumsvorführungen, Sonderausgaben der Zeitungen, Glückwünsche der Behörden und aller Parteien (mit Ausnahme der Bolschewisten) und selbstverständlich fest-

liche Zusammenkünfte der Nahestehenden. Es war ein Feiertag in der Stadt, die Begeisterung war echt und

allgemein.18

Am 26. September (9. Oktober) wurde eine festliche, öffent-

liche Jubiläumssitzung des Zentralkomitees im Stadttheater abgehalten. Lieber betonte in seiner Festrede, daß der “Hund“ auch unter den schwierigen Bedingungen der Illegalität immer eine durchaus demokratische Partei gewesen sei. Zwischen den Führern und der Masse der Anhänger klaffte kein Abgrund. Die

Führer lebten mit dem Volk, und trotz der durch die Illegalität geschaffenen Bedingungen hatte es nie Fraktionen gegeben, die einander bekämpften. Immer hatte in den Reihen Einheit geherrscht. Es hatte Diskussionen über das Verhältnis der Partei zur russi-

schen SD gegeben, aber die Meinungsverschiedenheiten waren nie zu einer Fraktionsbildung ausgeartet. Die Einheit der Partei ging über alles. Damit verwandt war auch der “Bund-Patriotismus“. Was in dem “Schwur' ('Bund'-Hymne) gesagt wird: “Wir schwören

-

sei kein leeres Wort. “Unser dem 'Bund' unbedingte Treue“ Privatleben mag uns hierhin oder dorthin vorschlagen; die

'

_89_

Politik mag uns weite Perspektiven eröffnen

-

aber unsere Ver-

gangenheit im 'Bund' ist ein unvergeßliches Gut. Sie ist das Schönste, das Größte und das Beste, was wir haben“

Liebers Schlußworte.

- das waren

Allerdings gab es auch Befürchtungen um die Zukunft dieser Einigkeit. Nach Lieber erhielt Abramowitsch das Wort, der sich”

über den Einfluß verbreitete, den der “Bund“ auf die Ansichten der russischen SD in der Nationalitätenfrage ausgeübt hatte. Seiner Meinung nach sei die jüdische SD gleich am Anfang ihres Weges auf das Problem der jiddischen Sprache und auf die Be-

sonderheiten einer jüdischen Arbeiterpartei gestoßen. Esther (Frumkina) sprach mit dem ihr eigenen Pathos von der Rolle, die der “Bund“ in der “jiddischen Gasse" erfüllt habe. Er habe Feindschaft erfahren von Seiten der jüdischen Bourgeoisie, habe sich aber auch treue Freunde erworben unter der jüdischen Armut. Durch wirtschaftliches und soziales Ringen sei es ihm gelungen, die physische und geistige Lage der jüdischen Massen zu heben und sie vor dem Untergang zu retten. Besonders wertvoll sei die Arbeit auf dem Gebiet der jüdischen Kultur. Der “Bund“ lehrte die jüdischen Massen zu kämpfen. Nie verleugnete er das Banner

der Klasse; er zog nicht aus, um die Nation zu retten

-

und

tat doch mehr für sie als ihre selbsternannten Vormünder. Das

sei die Quelle der Ehre und der Liebe, die ihm von Seiten der Armen und Erniedriqten zuteil

wird.19

Wie es bei feierlichen Gelegenheiten üblich ist, enthielt man sich der Kontroverse und des Meinungskampfes, aber Abramowitsch hatte wohl Recht mit seiner Einschätzung. Er fand, daß “die Reaktion des Publikums auf die Worte der verschiedenen

-

je nach der politialten Führer durchaus nicht gleich war schen Einstellung“. Im Rückblick schreibt Abramowitsch:

“Das Jubiläum war ein Abschiedsfest des alten Bundes, denn

damals waren die alten Führer noch gute Kameraden und Freunde. Sie sprachen noch dieselbe Sprache und hatte noch dasselbe Programm, dieselben Ziele und die gleiche Taktik. Alle splteren Bundkonferenzen waren bereits von bitteren inneren Kämpfen erfüllt und endeten in Spaltungen. Damals waren wir

noch eine einige

Familie."20

- 90 2. In der Ukraine

Sowohl auf dem Gebiet der allgemeinen Politik wie auf dem der Tätigkeit unter den Volksmassen war die Ukraine das wichtigste Arbeitsfeld für den 'Bund'. Dort bildeten die Juden die stärkste nationale Minderheit, die auch territorial am konzentriertesten war. Die Ukraine umfaßte bei Ausbruch der Revolution 9 Gouvernements: Kiew, Wolhynien, Podolien, Poltawa, Tschernigow,

Jekaterinoslaw, Cherson, Charkow und Taurien. Wir haben Bevöl— kerungsziffern aus einer etwas späteren Periode: von der Volkszählung 1920 (die Zahlen waren ziemlich lückenhaft). Danach

hatte die Ukraine 26 Millionen Einwohner, darunter 1.772.479 Juden (einschließlich der Krim, die früher zum Gouvernement Taurien gehört hatte, 1.821.883), d.h. 6,8 \ der Bevölkerung, 64,6 6 aller Juden

Rußlands.21

Die Ukrainer waren ein Volk von Bauern. 90,4 \ der Bevölke-

rung wohnten in Dörfern und nur 9,6 \ in Städten. Die Ukrainer machten 87,7 6 der ländlichen Bevölkerung, aber nur 40 \ der

städtischen aus. Die Mehrheit bildeten hier die Juden (75 6

aller Juden lebten in der Stadt), die Russen und die Polen. In den Großstädten mit über 100.000 Einwohnern, den bedeutenden politischen und kulturellen Zentren, machten die Ukrainer nur

aus.22

In manchen Städten bildeten die Juden die Mehrheit, 22 \ wie z.B. in Berditschew (75 \), Oman (576) Bielozerkow (73 8),

Boguslaw (63 8), Radomisl (52 \) und Lipowetz (50 \). Die wirt-

schaftlichen und sozialen Verhältnisse waren in der Ukraine unvergleichlich schwieriger als anderswo in Rußland. Einerseits

gab es blühende Güter der Großgrundbesitzer, anderseits Bodenmangel mehr als in anderen Gegenden.23

-

Vor der Revolution gehörte zwar ein Fünftel des Ackerbodens

-

den Großgrundbesitzern darunter vielen Polen. Die Juden waren meistens Händler, manche auch Handwerker. Die Russen waren Beamte oder auch Arbeiter. Die ukrainische Bevölkerung war

-

dank der langjährigen Unterdrückungspolitik des zaristischen Regimes, die auf Russifizierung abzielte. Diese

rückständig

Russifizierung war vor allem in den Städten erfolgreich, und

auch die jüdische Bourgeoisie war von ihr beeinflußt. Sie gab

-91_

ihr Jiddisch auf und eignete sich nicht.etwa die Sprache des ukrainischen Volkes an, sondern die der herrschenden Kultur. In den Dörfern, wo sie Kontakt mit den Ukrainern hatte, konnte sie auch ukrainisch, das als Idiom einer rückständigen Kultur galt. Gar nicht selten standen die Juden vor der Frage, ob sie Russen oder Ukrainer seien. Gegen die “Herrschaft“ der Juden

auf wirtschaftlichen und kulturellem Gebiet ließ man eine wilde Hetze los. In den ukrainischen Dörfern haßte man die Städte, wo. wie gesagt, vorwiegend Juden, Russen und Polen wohnten, und die-

ser Haß fand seinen Ausdruck oft im Nationalitätenkampf. Die Februarrevolution 1917 brachte ein Erwachen latenter Kräfte mit sich. Das geschah bei allen unterdrückten Nationalitäten, und auch bei den Ukrainern wuchs sehr bald eine nationale Bewegung. Es dauerte nicht lange. bis sie sich zu einem politischen Faktor ersten Ranges entwickelte. In den “kleinrussischen' Gouvernements und an den Ufern des Don entstand sowohl unter den Gebil-

deten wie unter den Volksmassen eine rege Tätigkeit mit dem Ziel, alle Kräfte unter der Parole: 'Die Ukraine ist selbständig“ zu sammeln, unter der‘siCh alle Strömungen und Parteien zu gemeinsamen Aktionen zusammenfanden. Schon am 4. (17.) März versammelten sich in Kiew die Vertreter der ukrainischen Organisationen und errichteten eine “Zentrale Ukrainische Rada“ (Rat), an deren

Spitze der Historiker Hruschewski stand. Man begrüßte die Spitze

der Provisorischen Regierung, Lwow und Kerenski, und sprach die Hoffnung aus, daß die Rechte des ukrainischen Volkes Anerkennung

finden

würden.24

Vom 5.-8. (18.-21.) Mai 1917 trat in Kiew eine von der Rada geplante all-ukrainische Konferenz zusammen, die im Namen von

994.300 Soldaten beschloß, von der Provisorischen Regierung und von den Sowjets die Anerkennung des Prinzips der territorialen Autonomie der Ukrainer zu fordern; das wäre die beste Garantie für den Bestand der nationalen und politischen Rechte des ukrainischen Volkes. Als Beweis, daß die Zentralregierung diesen

Beschluß tatsächlich verwirklichte, wünschte man die sofortige Ernennung eines Ministers für die Ukraine.

-92-

Hier wurde zum ersten Mal klar formuliert, was die Ukraine

von der Provisorischen Regierung erwartete: eine autonome Verwaltung sowie das Recht innerhalb der russischen Armee, an der Front und in der Heimat besondere ukrainische Verbände zu or-

ganisieren. In den ersten Monaten nach der Revolution zeigten

-

die russischen Parteien die sozialistischen ebenso wie die nicht-sozialistischen-wenig Lust, diesen weitgehenden Forderungen nach nationaler Autonomie nachzukoumen. Viele lehnten sie

prinzipiell ab und wollten nichts von einer föderativen Struk— tur Rußlands hören. Auf alle Fälle wollte man die Entscheidung in dieser Frage bis zum Zusammentreten der all-russischen Verfassunggebenden Nationalversammlung aufschieben. Auch die russischen Parteien in der Ukraine hatten wenig für die Forderungen

nach weitgehender nationaler Autonomie übrig. Absolut negierend verhielten sich die KD. Die sozialistischen Parteien waren an und für sich bereit, das Selbstbestimmungsrecht anzuerkennen. stellten aber die Bedingung, daß der Beschluß in der Nationalversamlung gefaßt werden müsse. Das Verhalten der Bolschewisten war anders. Der Hauptpunkt

in der Resolution, die sie auf ihrer 7. Konferenz annahmen (Petrograd 24.-29. April) besagte, daß man das Recht aller

Nationalitäten Rußlands, sich vom Reiche loszusagen und ihren eigenen Staat zu errichten, anerkennen müsse. Nur diese Anerkennung würde ihrer Ansicht nach die Solidarität der Arbeiter der

verschiedenen Nationalitäten sichern. “Vorenthaltung dieses Rechtes und Nichtergreifung von Maßregeln, die seine Verwirklichung gewährleisten sollen, ist gleich bedeutend mit Verfolgung der alten Eroberungs- und Annexionspolitik.“ So die Resolu-

tion.25

Etwas später, am 15. (28.) Juni 1917, nahm Lenin in der “Prawda' ausdrücklich zur ukrainischen Frage Stellung. Er be-

hauptete, daß kein Demokrat das Recht der Ukraine, sich von Rußland zu trennen, ableugnen könne. “Wir sind keine begeisterten Anhänger kleiner Staaten. Wir sind für enges Bündnis der

Arbeiter aller Länder gegen den Kapitalismus

-

gegen unsern

eigenen, wie gegen den Kapitalismus in aller Welt. Aber dieses

Bündnis muß freiem Willen entspringen, und darum müssen die

-93-

Arbeiter Rußlands, die nicht bereit

-

sind,der

russischen

-

oder

Bourgeoisie auch nur ein Wort zu glauben, das ukrainischen Recht der Ukraine, sich von uns zu trennen, anerkennen und ihnen unsere Freundschaft nicht aufzwingen. Dann werden wir

sie als gleichberechtigte Bundesgenossen im Kampf um den Sozia-

lismus gewinnen.“

(Betonungen im

Original)26

Die Bolschewisten-Konferenz lehnte den Gedanken der natio-

nal-kulturellen Autonomie nach der Formel der Menschewisten und Bundisten ab, weil diese eine Scheidewand zwischen Arbeitern, die zusammen wohnten oder sogar in der selben Fabrik arbeiteten, errichte; weil sie die Bindungen zwischen den Arbeitern und der bürgerlichen Kultur der verschiedenen Völker stärke. Das

Klasseninteresse der Arbeiter verlangte eine Verschmelzung der Arbeiter aller Nationalitäten in einheitlichen proletarischen Organisationen. Nur so könne das Proletariat einen siegreichen

Kampf gegen das internationale Kapital und den bürgerlichen Chauvinismus

führen.27

In der ukrainischen Frage machte sich die Provisorische

Regierung die Ansichten der meisten russischen Parteien zueigen. Man erkennt besonders den Einfluß der KD. Das Recht auf Autono-

mie, das die Führer der Ukrainer gefordert hatten, lehnte man

ab, ebenso wie die Errichtung besonderer ukrainischer Einheiten in der russischen Armee. Infolgedessen verschärften sich die Be-

ziehungen zwischen Petrograd und Kiew. Die Existenz getrennter

ukrainischer Militäreinheiten wurde zur Tatsache. Am 16. (29.) Mai sandte die Rede eine Delegation,28 die der Provisorischen Regierung und dem Petrograder Sowjet ein detail-

liertes Memorandum überreichte. Dieses enthielt die

Forderung

nach weitgehender nationaler Autonomie, Ernennung eines Kommis-

sars für die Angelegenheiten der Ukraine im Rahmen der Regie-

rung und Geldforderungen zur Befriedigung der nationalen Bedürfnisse der Ukraine. Unter dem Einfluß der KD wurden diese Forderungen abgelehnt, was natürlich zur Verbitterung unter den

ukrainischen Politikern

beitrug.29

_94-

In häufigen Zusammenkünften von Bauern und Soldaten reifte

der Gedanke

der völligen Unabhängigkeit der Ukraine. Als erster

Universal“30

Schritt dazu wurde ein Vorschlag im “Ersten formuliert (veröffentlicht am 10. L}3;7 Juni), mit der Uberschrift

“An das ukrainische Volk, das Volk der Bauern, Arbeiter und des Proletariats“. Dort heißt es: da die Provisorische Regierung Rußlands die Forderungen der Rada abgelehnt hat, “ist sie nicht im Stande,hier Recht und Ordnung herzustellen, es bleibt uns nichts übrig, als die Aufgabe auf uns selbst zu nehmen. Hiermit erklären wir, daß wir unsere Angelegenheiten von jetzt ab selbst in die Hand

nehmen.“31

Das “Erste Universal“ stellte einen Wendepunkt in dem Kampf

um die Herrschaft in der Ukraine dar. Der Provisorischen Regie-

rung blieb nichts übrig, als sich mit dem Bestehen der ukraini-

schen Einheiten in der russischen Armee abzufinden; sie ent-

sandte drei ihrer wichtigsten Minister nach Kiew: Kerenski, Zeretelli und Tereschtschenko, die mit den Ukrainern verhandeln sollten. Man kam auch zu einer Verständigung, deren Text die Rada im “Zweiten Universal“ am 3. (16.) Juli veröffentlichte. Danach erkannte die Regierung das “Generalsekretariat' an (das Exekutivorgan der Rada

-

sozusagen eine Regierung), das für die lokalen Angelegenheiten der Ukraine die höchste Instanz dar-

stellen sollte. Dieses Sekretariat sollte von der Regierung im Einverständnis mit der Rada ernannt werden. Ein wichtiger Paragraph des übereinkomens besagte, daß Vertreter der Sowjets in die Rada aufgenommen werden sollten (damit wollte man der

Existenz zweier revolutionärer Autoritäten ein Ende setzen). Die Mitglieder des Sowjets waren zumeist nicht Ukrainer. Auch Vertreter anderer in der Ukraine seßhafter Nationalitäten sollten

finden.32

Der “Bund“ war mit diesem Friedensschluß zufrieden, glaubte aber nicht daran, daß das Ubereinkomen von

ihren Platz

Dauer sein würde. Die Juden erschienen als Vertreter verschiedener politischer Organisationen, alles in allem etwa 50. Der

“Bund“ bekam 13 Plätze, so auch die Zionisten und die “Vereinigte“; Poale Zion 10, Volkisten

1.33

Wie verhielten sich die Juden

zu der ukrainischen nationalen Bewegung? Wer in keiner Partei organisiert war und auch keine festen politischen Anschauungen

_95-

hatte, empfand für sie keine besondere Sympathie. Man erinnerte sich noch an die Drohungen, die man zu hören bekommen hatte.

Wie schon erwähnt, wohnten die Juden meistens in den Städten und Städtchen und sprachen jiddisch oder russisch. In den

meisten Fällen hatten sie keinerlei Sentimente für die ukrainische Spracheund Kultur. Außerdem waren sie in Sprache und Kultur mit den Juden im übrigen Rußland verbunden und hatten gar

kein Interesse an der Errichtung von Barrieren. “Je größer und ein desto besseRußland ist, desto mehr Handelsfreiheit

-

-

haben.“34

können wir Anders verhielten sich die res Leben jüdischen politischen Parteien, besonders nachdem die ukraini-

sche nationale Bewegung zu einem Machtfaktor

geworden

war

-

die Zentrale Rada -, wo auch die jüdischen Parteien ihre Vertreter hatten. Hier muß bemerkt werden, daß die Ukrainer auf die Unterstützung der Minderheiten

-

auch der Juden

-

angewie-

sen waren, um ihre nationalen Forderungen durchzusetzen. Des-

halb waren sie auch bereit, Zugeständnisse zu machen, um die Minderheiten für sich zu gewinnen. “Ohne sie hätten wir ja nicht als Regierung der ganzen Bevölkerung auftreten können,“ schrieb Winitschenko, “in den Städten hätte man uns kein Vertrauen geschenkt und uns hätte die notwendige Autorität ge-

fehlt. Die Provisorische Regierung hätte uns ihre Anerkennung versagt; ohne die Minderheiten hätten wir auch kein Geld ge-

habt

-

und ohne das kann niemand erfolgreich

regieren.“35

N.S.Sirkin, einer der Zionistenführer der Ukraine, begrüßte

die erwachende nationale Bewegung mit großem Pathos. “Das

Leben des Volkes schäumt und stürmt,“ schrieb er. “Nach jahrhundertelanger Unterdrückung, nach endloser politisch-nationaler Knechtschaft spürt man wieder Freiheit, und vulkanische

Kräfte begrüßen das Fest der

Erlösung.“36

Die zionistische

Zeitung schrieb folgendes: “Die gerechte Forderung des ukraini-

schen Volkes, das nach voller, nationaler Erneuerung strebt, wird ihren Weg auch zu den Herzen der Juden finden. Alle nationalgesinnten Juden der Ukraine müssen es als ihre menschliche

und nationale Pflicht betrachten, eine Bewegung zu unterstützen, die die volle Befreiung des Volkes anstrebt, in dessen Mitte

wir

leben.“37

-gs-

Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen und vor allem

wegen des nationalen Aspekte war man auf sionistischer Seite

nicht so begeistert von dem Gedanken der Föderation. Die Zeitung meinte, eine solche würde die Kräfte des jüdischen Volkes schwächen und verzetteln. Anderseits dürften die Juden aus

moralischen Gründen den kleinen Nationen, die ihre Auferstehung feiern wollten und das SelbstbestUImungsrecht für sich forderten, keine Hindernisse in den Weg legen. Den Ausweg sah der Verfasser darin, daß die Föderation nicht auf territorialer

Grenzziehung aufgebaut sein sollte, sondern auf nationaler Aberfordern müßte. grenzung, die keine geographischen

Grenzen38

Aus demselben Grunde übte auch Sirkin Kritik an dem “Zweiten

Universal“.39 Die Poale Zion waren für eine föderativ-republikanische Struktur Rußlands, die die Ukraine als autonomen Teil der Föderativrepublik umfassen sollte. Sie unterstützten “die Forderung

nach einer national-territorialen Ukraine in ihren ethnographi—

schen Grenzen“ unter Sicherung der persönlichen Autonomie für

nationale Minderheiten, die das Recht haben sollten, ihre Nationalsprachen in allen Regierungsstellen zu gebrauchen. Die PZ begrüßten das Abkommen zwischen der Provisorischen Regierung und der Rada vom 3. Auch die “Vereinigten“ forderten die Errichtung einer Föderativrepublik, deren Teile nach ethni-

Juli.40

schen Prinzipien bestimt werden sollten, unter Wahrung der Rechte nationaler Minderheiten und entsprechend dem Gedanken

der persönlich-nationalen Autonomie. In den Bereich der jüdischen nationalen Autonomie sollten gehören: nationale Kultur und Erziehung, Berufs- und technische Ausbildung, Auswanderung

und Kolonisation und auch

Nationalversicherung.‘1

In der Ukraine war der “Bund“ die bedeutendste jüdisch-sozia-

listische Partei, und unter den Juden überhaupt die zweit-bedeutendste (nach den Zionisten‘2) mit etwa 16.000 Mitgliedern43 rund die Hälfte seiner Genossen in ganz

Rußland.“

-

Am Anfang der Revolution legte der “Bund“ seine Stellungnahme zur ukrainischen Bewegung eindeutig fest: er konstatierte,

daß kleinbürgerliche Chauvinisten an ihrer Spitze stünden, die

-97-

im Lande eine aktiv nationalistische Atmosphäre geschaffen hätten. “Die allgemeinen Interessen der Revolution sind in Vergessenheit geraten, und die Einheit der revolutionären Demokratie ist Damals herrschten im “Bund“ ähnliche

erschüttert.“5

Ansichten wie bei den Menschewisten. Auch letztere hatten die Idee der Reichseinheit nicht aufgegeben, und die ukrainische Bewegung erregte bei ihnen Unwillen und Befürchtungen. Beide Parteien waren hauptsächlich in den Städten und unter Industriearbeitern tätig, und diese Bevölkerung war russisch und zum

Teil jüdisch. Auch die Anhänger der ukrainischen Nationalbewegung sahen die Menschewisten als russische Partei an, die die Ukraine verabscheute und nichts mit ihr zu tun haben wollte



nicht so sehr aus ideologischen Gründen, sondern vielmehr aus

nationalen. Anfang Mai fand in Kiew eine Konferenz der Menschewisten statt. Dort wurde eine Resolution angenommen, die ein föderati-

ves Regime für Rußland ablehnte. Es dauerte nicht lange, bis im Gegen— der “Bund“ zu einer eigenen Stellungnahme gelangte

-

satz zu den Menschewisten. Die ukrainische Nationalbewegung wuchs und hielt Konferenzen ab. Die Rede wurde zum Machtfaktor

und wollte als provisorische Regierung der Ukraine anerkannt sein

-

noch vor dem Zusammentreten der all—russischen National-

versamuflung. Der “Bund“ beklagte, daß man in Petrograd der ukrainischen Nationalbewegung mit Furcht und Mißtrauen begegnete und für das Geschehen dort kein Verständnis zeige. Der

1Mnd“ war auch bereit, seine Einschätzung, daß die

ukrainische

Nationalbewegung nationalistisch sei, zu modifizieren und sich mit der Feststellung zu begnügen, daß es in dieser Bewegung

nationalistische Tendenzen gäbe und daß dieser Chauvinismus nur eine äußere Erscheinung sei, während es sich in Wahrheit um einen enormen Erneuerungsprozeß eines Volkes handle, dem man beinahe 300 Jahre lang die Assimilation aufgezwungen habe. Die Bewegung sei ernst zu nehmen, sie sei volkstümlich geworden, breite sich aus und wollte anerkannt sein. Die Provisorische

Regierung wiederhole die Fehler der zentralistischen Büro-

kratie.46

-

98

-

Beim Erscheinen des “Ersten Universal“ stellte der “Bund“ klar und deutlich fest, daß dieses Dokument die Bestrebungen

des ukrainischen Volkes nach selbständiger nationaler Existenz ausdrücke, ohne sich von der russischen Republik abzulösen oder die Beziehungen mit ihr abzubrechen. Das ukrainische Volk sei zwar heute in Rußland gleichberechtigt, aber “es gäbe kein Zurück“, stand im Zentralorgan des 'Bund'. Hier finden wir auch

zum ersten Mal eine positive Einstellung zu einer Föderation der Völker Rußlands. Man spürt auch den Ton der Entschuldigung, weil man seine Ansicht geändert habe. “Die historische Entwicklung folgt nicht immer den Richtlinien, die die Parteien die Regierung

-

-

und

festgelegt haben. Die Nationen Rußlands sprechen

laut und deutlich von ihren Rechten. Eins von beiden: entweder man wählt den Weg des Kompromisses oder den des Kampfes.“47 Im Juni 1917 fiel dem “Bund“ wirklich die Aufgabe zu, einen

Kompromiß zwischen der “Zentral Rada“ und der Provisorischen Regierung einzuleiten. Der Gedanke, alle wichtigen Probleme bis zum Zusammentreten der Nationalversammlung aufzuschieben, war

nicht zu halten. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, sprach der “Bund“ von der Möglichkeit, in der Ukraine auf Grund eines übereinkommens mit der Provisorischen Regierung eine nationale Institution zu schaffen. In dieser Körperschaft sollten alle

demokratischen Kräfte vereinigt werden

-

damit waren auch nicht-

ukrainische Gruppen und Parteien gemeint. In dieser Bemühung war der “Bund“ ohne Zweifel von der Be-

fürchtung geleitet, es könnte zu einer Majorisierung durch die

Ukrainer und zu einer Beeinträchtigung der Minderheitenrechte kommen vor allem von denen der Juden. Rafes schrieb folgendes:

-

“In der ukrainischen Zentral Rada übten die ukrainischen Parteien eine diktatorische Herrschaft aus. Alle politischen Fragen wurden im vorhinein in Beratungen der ukrainischen Fraktion entschieden und kamen erst dann vor das öffentliche

Forum des Zentralrats, wo den nicht-ukrainischen Parteien

Gelegenheit gegeben wurde, Oppositionsreden zu halten...Wenn die ukrainische Mehrheit es aus irgend einem Grunde für richtig hielt, berief sie eine besondere Vorberatung ein und verlangte von den Nicht-Ukrainern in ultimativer Form Unterwerfung

-99-

unter die Beschlüsse der Mehrheit, die bereits fertig

vorla-

gen. Die nationalen Minderheiten waren einfach Gefangene der

Zentral-Rada.“‘° In der Diskussion über die Errichtung einer Rada, die die

Gesamtbevölkerung repräsentieren sollte, kamen die Befürchtun-

gen zum Ausdruck, daß die Rechte der Juden als nationale Minderheit beeinträchtigt würden, aber auch die Angst vor Verfolgungen. Die Beschlüsse, die die Bund“-Organisation in Süd-West-Ruß-

land angenommen hatte

-

territoriale ukrainische Institutionen

unter Beteiligung der SD und des “Bund“ zu schaffen -, wurden vom Zentralkomitee gebilligt und waren somit als offizielle

Stellungnahme der ganzen Partei anzusehen. In einer Sitzung des Zentralkomitees Anfang Juli faßte man die Dinge folgendermaßen zusammen: In Anbetracht der in der Ukraine herrschenden

Zustände und in Anbetracht der Krise der russischen Revolution erkennt der “Bund“ die Notwendigkeit des Bestehens von Exekutivorganen, einschließlich des Zentralrates, in diesem Landes-

-

mit Einteil an, die Regierungsfunktionen zu erfüllen hatten verständnis der Provisorischen Regierung. Der “Bund“ ist für unter der Voraussetzung, die Beteiligung an solchen Organen daß sie allgemein-revolutionäre Aufgabenerfüllen und die Grund-

-

lagen für eine Lösung der nationalen Frage in der Ukraine legen;

dabei sei die Integrität der russischen Republik zu bewahren und die Rechte der nationalen Minderheiten müßten gesichert sein. ‘9 Eine ähnliche Resolution wurde, mit einer Reihe von Vorbehalten, einen Monat später von der Konferenz des “Bund“

.

im Südbezirk angenomen

Das Übereinkommen vom 3. Juli

zwischen

Petrograd und Kiew

führte, wie gesagt, zu einer inneren Krise der Provisorischen Regierung. Die KD-Minister traten zurück und die Koalitionsregierung annuflierte das Ubereinkommen unter dem Druck der KDPartner. Anstatt der Ratifizierung schickte man dem General-

sekretariat eine “zeitweilige Instruktion“, geschrieben am 4. (18.). Diese Instruktion ent-

August und veröffentlicht am 5.

hielt (1) eine Klarstellung, wonach das Recht der Selbstverwal—

_1w_

tung der Ukraine eingeschränkt wurde;

(2) eine Beschränkung des

ukrainischen Territoriums auf 5 Gouvernements (Kiew, Podolien, Wolhynien, Poltawa und Tschernigowz (3) die Forderung, ein

Generalsekretariat von 9 Mitgliedern einzusetzen, von denen 4 Nicht-Ukrainer sein sollten. Dieser “Instruktion' war ein Dokument von großer Bedeutung für die nationalen Minderheiten, einschließlich der Juden, beigegeben. Es handelte sich um die Ernennung eines Generalsekre-

tärs für nationale Fragen und um die Aufzählung seiner Befugnisse betreffend den Schutz der nationalen Interessen der Nicht-

Ukrainer, sowie der Grundlagen, nach denen das Sekretariat aufgebaut sein Eine besondere Stelle dieses Sekretariats

sollte.50

für jüdische Angelegenheiten sollte drei Abteilungen haben: für Erziehung, für Gemeindeangelegenheiten und für alles, was nicht in den Bereich der beiden ersten fiel.

Als Vizesekretär amtierte M.Silberfarb von den “Vereinigten“. Die Erziehungsabteilung befaßte sich mit dem gesamten jüdischen Schulnetz einschließlich der Lehrerausbildung. An ihrer Spitze stand der Bundist Abraham Straschun. Die Gemeindeabteilung leitete I. Churgin von den “Vereinigten“, und als Kanzleileiter

fungierte A.Rewutzki von den Poale

Zion.51

Als beratendes Organ des Vizesekretariats gab es einen Nationalrat, 52 der zum ersten Mal am 1. (14.) Oktober zusammentrat, um über seine Aufgaben und Pläne zu beraten. In diesem Rat saßen 5 Vertreter 5 jüdischer Parteien: die Zionisten, der

“Bund“, die “Vereinigten“, Poale Zion und die

“Folkisten”.53

Später wurde der Rat auf 50 Mitglieder erweitert.

Diese “Instruktion' rief Erregung und Ärger unter den Ukrai-

nern hervor, und die Beziehungen zur Provisorischen Regierung waren gespannt. Die “Rada' beschloß, eine Delegation von 3 Mitgliedern nach Petrograd zu entsenden: Winitschenko, Baranowski

und den Bundisten Rafes. Sie sollten über zwei strittige Punkte Verhandlungen führen: (1) über Rechte und Umfang der ukrainischen Autonomie, die sich auf Verkehr, Nachrichtendienst und

Handel erstrecken sollten und (2) über die territorialen Be-

dingungen. Man forderte alle 9 Gouvernements, nicht nur 5.

-101-

Die Menschewisten waren noch immer gegen eine weitgehende

Autonomie, die praktisch auf eine Föderation hinauslief. Auch

der “Bund“ war bereit, die Einführung der vollen Autonomie aufzuschieben und die von der Regierung vorgeschlagene Autonomie als den Keim der zukünftigen Besonders scharf war

anzusehen.54

der Streit mit der Regierung um die territorialen Grenzen der

Ukraine. Die Vertreter der Regierung brachten vor, daß es in den von Kiew entfernten Gouvernements kaum eine ukrainische Bevölkerung gebe und daß man den Einwohnern dort keine ukraini-

sche Verwaltung aufzwingen dürfe. Nachdem aber auch Vertreter der nicht-ukrainischen Bevölkerung in der Rada sitzen sollten,

entfiel dieses Argument. Die ukrainische Frage war sicher äußerst verwickelt. Das Land

war mit der russischen Wirtschaft viel mehr verbunden als etwa Finnland oder Polen. Ukrainisches Getreide war ein Hauptexportartikel in der russischen Handelsbilanz. Die ukrainischen Berg— werke lieferten der russischen Industrie einen großen Teil ihrer

Rohstoffe und der bequemste Zugang zum Schwarzen Meer und zur Ausbreitung des russischen Einflusses auf dem Balkan und im

-

solange Rußland dort herrschNahen Osten ging über die Ukraine te. Ukrainische Städte waren bedeutende Zentren russischer Kultur

(Kiew, Charkow, Odessa). So waren denn die Verhandlungen mit

der Regierung nicht leicht, denn diese war von den KD beeinflußt und versteckte sich hinter dem Argument der “Nationalver-

sammflung“, die noch einmal zusammentreten und die Nationalitätenfrage prinzipiell behandeln würde. Nach Einschätzung der ukrainischen Rada bestand keine Aussicht auf ein besseres Übereinkommen mit der Regierung. Die Fortdauer des Konflikts hätte die Gefahr eines Bruches mit sich ge-

bracht, der auch die Revolution selbst gefährdet hätte. So waren auch die beiden Vorsitzenden des “Bund“ aus denselben

-

-

für eine Bestätigung der “Instruktion'. Sie sahen in ihr die Grundlage zu künftigen Errungenschaften. Unter den obwaltenden Umständen müsse man in erster Linie an die Interessen der revolutionären Demokratie denken. Die Vertreter der ukrainiGründen

schen und russischen SR sowie die ukrainischen SD waren gegen die “Instruktion'. Die jüdischen Parteien übten an ihr Kritik,

schlugen aber vor, sie

102

-

anzunehmen.55

Am Ende kam auch die Rada

mit Stimmenmehrheit zu diesem Entschluß; man wollte keinen Weg betreten, der den Bestand des Staatswesens hätte gefährden kön-

nen.56 Die nationalen Bestrebungen der Ukraine kamen besonders in der Völkerkonferenz zum Ausdruck. Den Anordnungen des ukrainischen Kongresses (April 1917) folgend, wonach die Ukraine Ver-

handlungen mit anderen Völkerschaften des Reiches anknüpfen sollte, die die nationale Frage auch auf föderativer Grundlage lö-

sen wollten, beschloß die ukrainische Zentral-Rada, eine Völkerkonferenz anzuberaumen. Diese fand dann auch zwischen dem 8. und dem 14. (21.-27.) September 1917 in Kiew statt. Praktische

Bedeutung für die weitere Entwicklung der russischen Revolution und der Ukraine hatte diese Konferenz kaum, aber, nach den Worten eines Historikers, der damals die ukrainische SR in der Nationalbewegung repräsentierte, stellte sie eines der markan-

testen Ereignisse jener Tage

dar.57

Das Ziel war, Rußland aus

einem “Zuchthaus der Völker“ zu einem “Tempel der Völkerfreiheit“

machen.58

Die Ukrainer ergriffen diese Initiative, um sich zu der russischen Provisorischen Regierung gegenüber den Rücken zu stärken. Ihre politischen Ambitionen glichen weitgehend den übrigen Nationalbewegungen, die auf der Konferenz zum Ausdruck

kamen. Es war gewissermaßen ein Ubereinkommen zwischen Völkern auf der Grundlage eines Programms, wenn es auch ein Minimal-

programm war; das bedeutete einen gewissen Druck auf die Russen, den Forderungen nachzugeben. An dieser Konferenz nahmen Vertreter der Ukrainer, der Tataren, der Grusinier, Letten, Litauer, Weißrussen, Esten, der Moldauer, der Don-Kosaken, Polen und

Türken, der russischen SR und der Juden teil; auch ein Repräsentant der Provisorischen Regierung, Maxim Slawinski, war anwesend. Die Beteiligung der Juden war besonders wichtig, denn damit wur-

den sie als nationale Minderheit im russischen Reich anerkannt

-

eine Errungenschaft in dem langen Kampf der Juden um ihren Platz unter den Nationen. Hier hatten sie auch Gelegenheit, ihre Forderung nach nationaler Autonomie einem öffentlichen Forum vorzulegen.

-

103

Die Delegierten jedes Volkes

-

- zumeist Sozialisten - bilde-

ten Gruppen für sich und jede entsandte eines ihrer Mitglieder als Bevollmächtigten in das Präsidium und in den permanenten

Ausschuß. Alle Erklärungen wurden in ihrem Namen abgegeben. Nicht so die Juden, die als Vertreter von 3 Parteien auftreten: Zionisten, Poale Zion und “Vereinigte“.59 Wir werden noch sehen,

daß diese Vertreter der Parteien keine einheitliche nationale

Gruppierung bildeten.

Die zentrale Persönlichkeit der Konferenz war Bruschewski, der Vorsitzende der National-Rada, der in seiner Rede hervorhob, wie tief die Idee des Föderalismus im Bewußtsein des ukrai-

nischen Volkes verwurzelt sei. Die Forderung war in allen

Bauern-Zusammenkünften als Zeugnis für den Willen des Volkes

laut geworden. Das Mißtrauen, mit dem die russische Demokratie dem Föderationsgedanken begegnete, war seiner Ansicht nach eine Erbschaft des Zentralismus, an den die Russen gewöhnt wa-

ren. Aber nur das föderative Regime könne den Staat vor dem völligen Zusa1maenbruch retten

.

Auf dieser Konferenz hielt auch der Führer der Poale Zion, Der Borochow, eine Rede über Föderation, vor allem von der ökoEr sprach über eine Stunde lang und nomischen Seite

gesehen.60

fesselte die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Zahlen und Tatsachen, Er wies auf die die Borochow anführte, waren den Leuten

neu.61

Ausbeutungserscheinungen in einem zentralisierten Staat mit

vielen Nationalitäten hin. Der Staat brauche seine Autorität, um Gewinne einzunehmen. Er meinte, alle Völker müßten sich auf nationalen und wirtschaftlichem Gebiet so organisieren, wie es die Ukraine getan habe. So würde es möglich sein, den wirtschaft—

lichen Verfall aufzuhalten. Des weiteren sprach Borochow über das Problem der Loslösung vom russischen Reich und bewies mit großem Scharfsinn, wieviel Schaden der Partikularismus verur-

sachen könne. Im Namen der PZ befürwortete Borochow eine Föderation der Völker

-

auch der Ukraine

-, und forderte nationale

Souveränität im Rahmen einer föderativen, sozialen Republik für alle Nationalitäten des ehemaligen russischen Reiches.

-

104

-

Auch die Sprachenfrage berührte Borochow. Er bemühte sich, die Notwendigkeit der russischen Sprache als Sprache der Föde-

-

ration zu beweisen dies im Gegensatz zu den Meinungen einiger Teilnehmer an der Konferenz, die diese Frage offen lassen woll— ten. Unter anderem sagte er, daß Russisch auch weiterhin die

Sprache des ganzen Reiches bleiben müsse; sie

müsse

in allen

Schulen unterrichtet werden. Selbstverständlich verteidigte Borochow das Recht jeder Nation und jeder nationalen Minderheit, ihre Muttersprache zu gebrauchen, auch vor Gericht und vor den

staatlichen

Verwaltungsorganen.62

Die Ansichten der “Vereinigten“ erläuterte Schatz-Amin. Sei-

ner Meinung nach würde die national-territoriale Autonomie keine vollständige Lösung des Nationalitätenproblems darstellen. Es wäre notwendig, für nationale Minderheiten ohne territoriale Konzentration (z.B. für die Juden) besondere Organisationsbedingungen zu schaffen, eine Art national-persönliche Organisation. Hier würden alle unterkommen können, die ihre Zugehörigkeit zur jüdischen Nation erklären würden. Diese Organisation

würde ihren Sejm (Volksvertretung) wählen, der gesetzgebende Gewalt haben sollte, sowie eine Exekutive, die Kontakt mit der

Zentralregierung und mit den Organisationen anderer Völker des Staates halten

sollte.63

Die Zionisten begrüßten in ihrer Deklaration die Schritte.

die die Völker Rußlands getan hatten, um ihre nationalen Frei-

heiten und ihre Selbstbestimmung voll zu verwirklichen. Die End— lösung des nationalen Problems der Juden könne nur durch Ansiedlung auf einem national—politischen Halt für ihre freie

Entwicklung und ihr nationales Schaffen finden. Dieses Territorium sei Palästina. Weiterhin heißt es, daß die Bemühungen

der Völker Rußlands um territoriale Autonomie ihre Befriedigung finden müßten. In den autonomen Gebieten wären die Rechte der

nationalen Minderheiten zu sichern. Sie müßten das Recht haben: sich auf Grund des Prinzips der persönlichen Nationalzugehörigkeit zusammenzuschließen und sich mit Gruppen ihrer Völker

außerhalb des engen Autonomiebereiches zu vereinen. Der Bereich der persönlichen Nationalzugehörigkeit, der für alle Juden der russischen Republik gelten sollte, würde Erziehung, Bildung und

-

105

-

kulturelle Tätigkeit, gegenseitige Hilfe, sozialen Schutz, Regelung der Auswanderung und der nationalen Ansiedlung, Gesundheitsangelegenheiten etc.

umfassen.64

Auf Grund der Gleichheit der Ansichten über eine territoriale Lösung der Nationalitätenfrage

nationalen Autonomie

- wurde

-

unter Sicherung der persönlichder Versuch gemacht, eine gemein-

same Deklaration der jüdischen Vertretung einzureichen. Der Palästinaparagraph verärgerte aber die “Vereinigten“ und verursachte heftigen Streit, der zur Einmischung der Vertreter anderer Nationalitäten führte. Diese versuchten, eine Spaltung zu verhindern, aber vergebene. Das Resultat war, daß überhaupt keine Resolution über jüdische Dinge durchging. Dagegen wurden Reso-

lutionen über weißrussische, lettische und litauische nationale Fragen gefaßt und es wurde eine Erklärung der

(linken) polnischen

sozialistischen Partei verlesen. Juden wurden in dem ersten Abschnitt der Resolutionen erwähnt, der von der “föderativen Struktur der russischen Republik“ handelte. In Paragraph 14 heißt es:

Nationalitäten, wie z.B. “die Juden, die über das ganze Reich zerstreut sind und kein eigenes Territorium besitzen, haben das

Recht, ihren Anspruch auf exterritoriale, persönliche Autonomie

auszuüben.“65 Der “Bund“ nahm an der Konferenz der Völker nich:teil, und zwar aus denselben Gründen, aus denen er sich auch bisher von

den Zusammenkünften nationaler,

sozialistischer

Parteien fern-

gehalten hatte. Man wollte nicht zusammen mit anderen jüdischen Parteien auftreten (hier und da gab es trotzdem gemeinsames Auf-

treten, wie z.B. in der “Demokratischen Beratung“). Man war gegen Lösungen des Minoritätenproblems (einschließlich der Juden),

wenn diese über den Bereich der national-kulturellen Autonomie

hinausgingen. Der “Bund“ beschloß, die Konferenz einfach totzuschweigen. Sie wurde in der Parteipresse weder in jiddischer noch in russischer Sprache erwähnt. Eine Zeitung teilte zwar mit, daß 'Bund'-Funktionäre versucht hätten, als Nichtteilnehmer ein Memorandum zu unterbreiten, daß die Konferenz dieses aber zurückgewiesen habe. 66 Die Geschichtsschreiber der Partei (Rafes und später Herz) erwähnen das Ereignis überhaupt nicht.

-

106

-

Unterdessen organisierten sich die ukrainischen territorialen Institutionen. 58 Mitglieder hatte die “Kleine Rada“, die der “Zentral Rada“ als Exekutivkomitee diente, 18 von diesen

waren Nicht-Ukrainer, unter ihnen 5

Juden.67

Die Zionisten, die “Vereinigten“ und PZ forderten eine Ver-

sammlung aller jüdischen Parteien, um eine gemeinsame Stellungnahme der jüdischen Minderheit festzulegen. Der “Bund“ war

dagegen und verlangte 2 Sitze für sich selbst, einen für die

“Vereinigten“ und einen für die Demokratische

Vereinigung.

Dieser Vorschlag wurde nicht angenommen und der “Bund“, die

“Vereinigte“, PZ, die Zionisten und die Demokratische Vereinigung erhielten je einen

Vertreter.68

Jetzt, als der Aufschub in der Verwirklichung der nationalen

Forderungen der Ukraine die chauvinistischen und separatistischen Leidenschaften aufgepeitscht hatte, erkannte der “Bund“ an, daß es unumgänglich sei, die ukrainische Frage nach dem Prinzip der national-territorialen Autonomie zu lösen. Rafes

erklärte ausdrücklich, daß die Funktionäre des “Bund“ unter dem

Eindruck der realen Bedingungen des politischen Kampfes beschlossen hatten, “die national-kulturelle Autonomie nicht als Gegenzur national-territorialen hinzustellen. Sie wollen die

satz

letztere anerkennen, um dann, in ihrem Rahmen, Formen zum Schutz der Nationalität der Minderheiten zu finden“ (im Urtext unterstrichen). Heutzutage, schrieb Rafes, sei eine

national-kulturel-

le Autonomie nicht imstande, alle nationalen Probleme zu lösen.

Die Bindungen zwischen Volk und Raum seien zu stark. Nur das jüdische Volk könne sich mit dieser Forderung (national-kulturelle Autonomie) begnügen. Die praktische Stellungnahme des “Bund“ in der Ukraine bestätige die Annahme, daß das Prinzip der natio-

nal-kulturellen Autonomie nicht allgemeingültig sei. Rafes wollte nichts von einem “extremen Föderalismus“ wissen und war nicht

bereit, eine Erweiterung der Kompetenzen zu unterstützen, die die Einheit des Wirtschaftslebens gefährden könnte. Er hatte aber auch nichts für den Zentralismus der russischen und jüdischen Liberalen

übrig.69

-107-

Das ukrainische Problem stand auch im Mittelpunkt der Diskussionen der Südrussischen Konferenz vom 5.-10. (18.-23.) August. Das war die erste Landeskonferenz, und außer dem Reprä-

sentanten des Zentralkomitees der Partei und der Provinzexekutive nahmen an ihr 82 Delegierte und 62 Ortsgruppen

teil.70

Infolge der Entfernungen und der gleichzeitigen Munizipalwahlen

waren viele Ortsgruppen nicht vertreten. Wie schon erwähnt, wurde die Zahl der 'Bund'—Mitglieder in der Ukraine auf 16.000 geschätzt (vor der Revolution waren es nur 3-4

Tausend).71

In

den Resolutionen der Konferenz heißt es, daß infolge der Revolution breite Massen des ukrainischen Volkes zu politischem Leben erwacht seien. Ihr Ziel sei die Demokratisierung des Regimes in Rußland, gleichzeitig mit dem Kampf um nationalterritoriale Autonomie. Der “Bund“ unterstütze das Streben der

Ukraine nach territorialer Autonomie. Gleichzeitig sei er von der Notwendigkeit durchdrungen, eine Lösung für die nationale Frage überhaupt und für die jüdische im besonderen zu finden. In diesem Sinne müsse den nationalen Minderheiten der Gebrauch

ihrer Sprache auf allen Gebieten des öffentlichen und des poli-

tischen Lebens zugesichert sein, ebenso wie die

freie

Entfaltung

ihrer Kultur. Für die jüdische Bevölkerung müsse in der auto-

namen Ukraine eine öffentlich-rechtliche Instanz der nationalkulturellen Autonomie geschaffen werden. Die 'Bund'-Konferenz bestätigte die Stellungnahme des Landesrates in der ukrainischen Frage. Man übersah aber keineswegs die nationalistischen Erscheinungen in der ukrainischen natio-

nalen Bewegung und die Gefahr eines Konflikte mit den nicht-

ukrainichen Demokraten. Die Konferenz verpflichtete die Vertreter der Partei in den ukrainischen Institutionen, nach “dem Prinzip der Interessengemeinschaft zwischen dem ukrainischen Volk und der all-russischen Revolution zu handeln“ und dafür zu sorgen, daß “bei der Ausarbeitung der allgemeinen Autonomiebe-

stimmungen für die Ukraine das Prinzip der Selbstbestimmung des jüdischen Volkes gesichert

werde“72 -

mit anderen Worten die

national-kulturelle Autonomie. Eine Minderheit der Konferenz-

teilnehmer war gegen die Beteiligung des “Bund“ am Generalsekretariat. Es sei gefährlich, Verantwortung für die Regierung auf

-

108

-

sich zu nehmen, denn diese würde die sozialen Interessen der ukrainischen Bauern

vertreten.73

Die Konferenz war für die Annahme der “Instruktion' der

Provisorischen Regierung, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Sie sah in dem Dokument einen ersten Schritt zur zukünftigen Autonomie. Sie befaßte sich auch mit allgemeinen politischen

Problemen. Man stritt sich über Krieg und Frieden und über die Koalitionsregierung. Die “Internationalisten“ waren stark vertreten. Außer Abramowitsch, der im Namen des Parteivorstandes auftrat, waren Wiktor Alter aus Jekaterinoslaw und Abraham Chejfetz (Benjamin), der Odessa repräsentierte, besonders aktiv (dieser trat ein

Jahr später der Kommunistischen Partei bei).

Außerdem zählte man noch eine Reihe von lokalen Funktionären. An der Spitze der “Verteidiger“ standen Rafes und Alexander

Solotariew. Diese beiden gingen später zu den Kommunisten über. Auch A.Litwak gehörte mehr oder weniger zu dieser Gruppe.74 Rafes war als Führer des “Bund“ in Südrußland anerkannt. Er war

auch einer der Hauptredner auf der Konferenz. In der Frage des Krieges waren die Stimmen beinahe gleich verteilt. Mit 34 gegen

27 bei 16 Enthaltungen ging eine von Abramowitsch vorgeschlage— ne Resolution durch. Die Parteiorgane in Jekaterinoslaw und Charkow bemerkten dazu, daß dies eine Reaktion auf die ungewisse Haltung der Zentralorgane der revolutionären Demokratie sei. Der geriebene Taktiker Rafes wußte aber viele “Korrekturen“

anzubringen. sodaß zum Schluß von der Klarheit und Prägnanz der Resolution nicht viel übrig blieb. Deswegen enthielten sich auch so viele Delegierte der Stimme. Die Resolution, die schließlich angenommen wurde, war zwar im Sinne der “Internationalisten' formuliert, erwähnte aber die Notwendigkeit einer disziplinierten Armee, die fähig sein müßte, das Land und die Revolution zu verteidigen. Beobachter geben hierfür zweierlei Gründe an: (1)

die Mehrheit der “Internationalisten' war nicht stark genug, um eine eindeutige Resolution durchzudrücken; (2) als gesunde poli-

tische Körperschaft wünschte der “Bund“ keine Krisen. Seine politischen Richtlinien pflegte er schrittweise zu ändern, um

die Einheit seiner Handlungen nicht zu

stören.75

-109-

Bezüglich der Regierung hieß es, die Errichtung einer revo-

lutionär—demokratischen Regierung sei unumgänglich notwendig

-

d.h. nur die Sowjets sollten sie bilden. Sogar Rafes sprach in

seinen Thesen davon, daß es notwendig werden könnte, eine Sowjetregierung zu errichten. Aber die Resolution, die ange-

nommen wurde, forderte nicht den Sturz der Koalitionsregierung; im Gegenteil: sie erwähnte Klassen- und Bevölkerungsschichten,

die geeignet sein könnten, zusammen mit dem Proletariat das Programm vom 8. Juli zu

verwirklichen.76

Infolge der Ereignisse, die sich um diese Zeit im Lande zu— trugen, war im “Bund“ eine Stimmungsänderung zugunsten der

“Internationalisten' spürbar, aber das Zentralorgan der Partei stellte fest, daß die Mehrheit gefühlsmäßig zu den “Internationalisten“ neigte, während die Politik der Partei den “Verteidigern“ näher

stünde.77

Von der radikalen Stimmung im “Bund“ zeugt auch eine Resolution der Charkower Ortsgruppe aus derselben Zeit (11./24.August 1917): sie protestierte gegen die Bolschewistenverfolgungen

durch die Regierung nach den Juliunruhen. Das Exekutivkomitee

der Sowjets wird aufgefordert, sich energisch einzumischen, da der Feldzug gegen die Bolschewisten eine Gefahr für die revo— lutionäre Demokratie darstelle. Die Exekutive wird aufgefordert,

“die Konterrevolution zu bekämpfen, die ihr Haupt erhebt.“ 78 Eine weitere Resolution sprach von der Unmöglichkeit, die Kultusgemeinde wieder aufzubauen, und forderte ihre Umwandlung

in nicht-religiöse Körperschaften. Und wieder eine verpflichtete

die Delegation des “Bund“ und der RSDPR, dafür zu sorgen, daß

man auf der Stockholmer Konferenz von den politischen und nationalen Rechten der Juden in denjenigen Ländern spreche, wo sie benachteiligt Abschließend kann man sagen, daß die jüdischen Parteien mit der “Rada' gemeinsame Sache machten, so-

seien.79

lange deren Politik auf die Autonomie der Ukraine im Rahmen einer

russischen Föderation gerichtet war. Als man im ukrainischen Lager immer mehr der Loslösung von Rußland zuneigte, wurden die Beziehungen getrübt. Die Dinge wurden klar, als die Forderung erhoben wurde, eine souveräne ukrainische Nationalversammlung

-

110

-

einzuberufen, d.h. mit der all-russischen zu

brechen.80

Der

“Bund“, aber auch die Menschewisten und die SR, widersetzten sich einer ukrainischen Nationalversammlung nicht, aber sie er-

strebten einen ausdrücklichen Beschluß, daß man die Souveränität der all-russischen Versammlung anerkenne. Eine Erklärung

in diesem Sinne gab der Vertreter des “Bund“ in einer Sitzung der “Kleinen Rada“ Als die Ukrainer jedoch immer deut-

ab.81

bestanden,82

licher auf ihrem Separatismus wandte sich der “Bund“ mit aller Kraft, aber erfolglos, gegen sie. 83 Die ukrainischen Sozialisten waren nicht zu Kompromissen geneigt, und die ukrainische Bewegung ging den Weg der Unabhängigkeit, der völlgen Loslösung von Rußland. Das “Dritte Universal“ vom 25. Oktober (7. November) gab das Signal

dazu.°‘

Es ist nun angebracht festzustellen, daß in einem Paragraph

des “Universal“ von persönlich-nationaler Autonomie die Rede

war. Sie wurde “allen Nationalitäten der Ukraine versprochen: den Großrussen, den Juden, den Polen und anderen Nationen“. Dank dieses Paragraphen begrüßten die jüdischen Repräsentanten das “Universal“ und stimmten der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine

zu. Damals erklärte der Repräsentant des “Bund“, Solotariew: “Wir sehen, daß das befreite ukrainische Volk auch unserem Volk

Freiheit gewährt, darum sind wir bereit unser Teil an der Verantwortung mit zu tragen und unterzeichnen das 'Universal' mit ganzem

Herzen.“85

Dieses pragmatische Verhalten des “Bund“ zeugte wieder von seiner Anpassungsfähigkeit. Gleichzeitig war er aber wegen des

Antisemitismus, der sich in der ukrainischen Nationalbewegung

ausbreitete, beunruhigt. In derselben Nummer seiner Zeitung, in

der der “Bund“ das “Universal“ begrüßte, erschien auch ein anderer Artikel, der folgendermaßen begann: “Es dringen Gerüchte zu uns, daß ukrainische militärische Kreis Maßnahmen getroffen haben, um die ‘Fremden' aus den Truppenteilen und den Offiziere-

schulen zu entfernen. Wenn das wahr ist, haben wir hier die ersten Schritte eines ukrainischen Chauvinismus, der sich das

Schlagzort:

hat.“

'die Ukraine nur den Ukrainern' zu eigen gemacht

-

111

-

Rafes schreibt über seine Eindrücke in dieser Periode: “Damals zeigte sich die ukrainische Bewegung immer mehr von

ihrer nationalistischen und beinahe antisemitischen Seite. Die bemühte sich das Sekretariat und die Zentral Rada

Leitung

-

-

nach außen hin den Anschein der Anständigkeit zu wahren, aber auch hier stieß man auf Anzeichen. In den Bezirken begannen Pogrome und im Zentrum schwieg man dazu mit ihren eigenen Leuten

streiten.“87

-

sie wollten sich nicht

-

112

-

6. AN DER POLITISCHEN UND ÖFFENTLICHEN FRONT

Bisher war unsere Darstellung der Tätigkeit und den Stellungnahmen des “Bund“ in der Reichspolitik gewidmet. Er war aber auch auf anderen Gebieten des öffentlichen Lebens aktiv, z.B. in den Gewerkschaften, bei den Munizipalwahlen und bei denen

zur Nationalversammlung.

1. In

den Gewerkschaften

In der Frühzeit seines Auftretens kann man keinen klaren

Trennungsstrich zwischen der gewerkschaftlichen und der politischen Tätigkeit des “Bund“ ziehen. Sie war voll und ganz der

Organisation der jüdischen Arbeiter gewidmet, die über eine

Unmenge kleiner Handwerks- und Industriebetriebe verstreut waren. Bestimmend waren ihre beruflichen und wirtschaftlichen Interessen. Der “Bund“ mußte ihren Zustand kennenlernen und

ihnen Wege zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zeigen. Wie die Dinge damals in Rußland lagen, kann man kaum in den Begriffen der modernen Gewerkschaftsbewegung denken, obwohl

es manchmal möglich war, Streiks auf wirtschaftlicher Grundlage zu organisieren. Diese waren nicht nur gegen die Arbeitgeber, sondern auch gegen die staatlichen Organe gerichtet, tru-

Charakter.1

In jenen Tagen waren gen also auch politischen wirtschaftliches und politisches Ringen miteinander verknüpft. In den Augen des “Bund“ war der Kampf um wirtschaftliche

Dinge eines der Mittel, das Selbstbewußtsein der Arbeiter zu

entwickeln. Man achtete auf das Band zwischen gewerkschaftlicher und politischer Tätigkeit, zwischen Gewerkschaft und Partei, und bestand darauf, daß erstere die Autorität und

Führung der letzteren anerkannte. Viele Jahre lang waren die

Beziehungen zwischen den beiden Gegenstand von Diskussionen Die Organiund Meinungsverschiedenheiten innerhalb der

Partei.2

sationsprinzipien der Gewerkschaften kristallisierten sich im

-

113

-

“Bund“ während des Ersten Weltkriegs heraus, vor dem Ausbruch

der Februarrevolution 1917. Danach sollte eine Gewerkschaft alle Arbeiter eines bestimmten Produktionszweige umfassen, z.B. alle Lederarbeiter (Schuhmacher, Sattler) oder alle Konfektions-

.

arbeiter (Schneider und Näherinnen) Es wurde angenosnen, daß die Arbeitsbedingungen in einem gewissen Produktionszweig für alle Beschäftigten gleich seien, obwohl sie verschiedenartige Arbeit verrichteten. Demnach hätte es keinen Sinn gehabt, zerstreute Facharbeitergewerkschaften aufzubauen; das hätte die Arbeiter in ihrem Kampf nur geschwächt. Alle Gewerkschaften einer Stadt sollten eine Dachorganisation haben, ein Zentral-

büro und Informations- und Exekutivabteilungen. Die Organisationen der verschiedenen Städte waren dann in einem Provinzialausschuß oder sogar einem Landesausschuß zusammengefaßt. Mehr

als das: da bekanntlich das internationale Kapital Arbeiter in verschiedenen Ländern in gleicher Weise ausnutzt, müsse auch die Gewerkschaftsbewegung international

sein.3

Kurz vor Ausbruch der Revolution gab M.Wilner (Rafes) seiner

Meinung über die Gewerkschaften und die nationale Frage Ausdruck.

Angesichts der vielen Flüchtlinge, die verschiedenen Nationalitäten angehörten, sollten die Gewerkschaften allen Arbeitern gewissermaßen als Schule dienen; d.h. sie sollten offen und keiner Partei angegliedert sein. In wirtschaftlichen Fragen

müsse man die Einheit der Gewerkschaften bewahren, die eine

einheitliche Leitung, eine Generalversammlung der Mitglieder und einheitliche Institutionen haben sollten. Bei den Wahlen zu diesen Institutionen sollte man vom nationalen Kriterium absehen. Doch sollte die Gewerkschaft keine “trade union“ des

alten Typs sein, in der die Funktionäre und der Kassenwart die Herrschaft ausübten. Die Gewerkschaften müßten sich mit Kulturtätigkeit, mit Erziehung und Volksaufklärung befassen. Es han-

delte sich nicht nur um die Sprache; die nationale Tätigkeit

sollte sich in den Rahmen einer nationalen Zelle einfügen. Solche Zellen, national-kulturelle Sektionen innerhalb der Gewerkschaft, seien eine lebenswichtige Aufgabe der

Zeit.4

”7 t

-

114

-

Nach Ansicht des Verfassers dürften sich diese Zellen nicht

mit wirtschaftlichen Dingen befassen, denn es seien KulturSektionen, d.h. Zellen nationalen Charakters zum Unterschied

von Kulturkomitees. Es gebe Dinge, an denen nur die jüdischen Arbeiter Interesse hätten, wie z.B. die Frage der Umgangssprache, wo Reibungen unter den jüdischen Arbeitern existierten. Eine jüdisch—nationale Sektion, die alle Juden umfaßt, müsse keine Sprachsektion sein. Rafes fand zwar, daß die Bauptsprache der jüdischen Sektion zweifellos jiddisch sein müsse; aber denen gegenüber, die sich aus historischen Gründen dieser Sprache nicht bedienten, müsse Toleranz geübt

werden.5

Auf der 10. 'Bund'-Konferenz im April 1917 wurden detaillier-

te Beschlüsse über Gewerkschaftsfragen gefaßt. Es wurde gesagt,

daß die neuen politischen Bedingungen es ermöglichten, die Gewerkschaftstätigkeit auf alle Beschäftigten auszudehnen, und

zwar nach Arbeitszweigen, ohne nationale und Parteiunterschiede. Gleichzeitig wurde aber die Notwendigkeit betont, innerhalb der

Gewerkschaften nationale Sektionen zu errichten, um den Kulturund Bildungsbedürfnissen der Mitglieder gerecht zu werden. Darüber hinaus beschloß der “Bund“ auch die Errichtung von

“Bundisten-Sektionen“, um die geistigen Beziehungen zur Partei aufrecht zu

erhalten.6

Der “Bund“ tat viel zum Aufbau der Gewerkschaften, besonders

in Städten und Städtchen mit jüdischer Arbeiterbevölkerung. Die

Zentrale hatte eine besondere Abteilung hierfür, an deren Spitze der alterprobte Funktionär Goshanski (Lenu) stand. Auch

eine Zeitschrift

“Gewerkschaftsleben' wurde herausgegeben.

anfangs als Beilage zur “Arbeiterstimme' und später als selb-

ständige Wochenschrift. Die Bürstenbinder, die immer schon zum

“Bund“ gehört hatten, waren unter den ersten, die ihre Tätig— keit ausbreiteten. Sie hatten die erste Gewerkschaft jüdischer Arbeiter unter dem Zaren gebildet und waren schon in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zu ihrer ersten (geheimen) Konferenz zusammengetreten. Ihre wirtschaftlichen Kämpfe führten

sie von Anfang an unter der Fahne des 'Bund'.

-

115

-

Der “Bund“ war auf mehreren Gewerkschaftszusammenkünften vertreten. Die bedeutendste von diesen war die 3. all-russische

Konferenz, die vom 20.-27. Juni (3.-10. Juli) in Petrograd tagte. Sie zählte 211 Delegierte, darunter 12 Bundisten und

4

“Vereinigte“.7

In den Diskussionen standen sich zwei Blocks

gegenüber: einerseits Bolschewisten und “Internationalistische

Menschewisten“, anderseits Menschewisten, “Bund“ und SR. Bei den Abstinmmngen hatten die Menschewisten kleine Minderheiten

von 5-13

Stimmen.8

Der bolschewistische Block brachte strittige politische Fra-

gen auf die Tagesordnung, wie z.B. die von Krieg und Frieden,

der Koalitionsregierung, die Nationalversammlung usw. Die Mehrheit lehnte das ab und wollte praktische Gewerkschaftsfragen behandeln. Die Diskussionen fanden

-

wenigstens am Anfang

einer ruhigen, kameradschaftlichen Atmosphäre

statt.9

-

in

Man war geteilter Meinung in bezug auf die Bindungen zwischen Gewerkschaften und politischen Parteien. Die Bolschewisten ver-

langten, daß die Gewerkschaften die Autorität der Parteikomitees

anerkennen sollten. Auf diese Weise gedachten sie, ihren Einfluß zu verstärken. Aber dank der menschewistischen Mehrheit bewahrte man das Prinzip der gewerkschaftlichen Selbständigkeit unter Betonung ihres sozialistischen

Charakters.10

Was die 'Bund'-Delegation auf dieser Konferenz mehr als alles

andere interessierte, war der Paragraph über die Kulturtätigkeit, der ja auch die nationale Frage berührte. Die Diskussion fand in

einer Kommission und nicht im Plenum statt. Der Vortragende war

der Menschewist Meiski-Liachowski, der als Beispiel die weitverzweigte Kulturtätigkeit der deutschen Gewerkschaften anführte, während in England eine absolute Leere herrschte. Der Referent

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tution. Lenu-Goshanski, der Vertreter des “Bund“, schlug vor,

national-kulturelle Sektionen innerhalb der allgemeinen, multinationalen Gewerkschaften aufzubauen. Diese Sektionen würden

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war für Kultur und Aufklärungsarbeit in jeder Gewerkschaft für sich, wie auch von Seiten einer zentralen all-russischen Insti-

von den Mitgliedern aus den verschiedenen Nationalitäten innerhalb der Gewerkschaft gewählt werden und sollten ihre Tätigkeit

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in der Sprache ihrer Mitglieder abhalten. Der “Bund“ maß der

-

116

-

Kulturtätigkeit innerhalb der Gewerkschaften großen Wert bei, besonders, weil die Arbeiter in Rußland auf einer recht niedrigen Stufe ständen. Anderseits schien es ihm, daß der jüdischen

Arbeiter weit schwierigere Aufgaben harrten. “Keine Kultur ist so erstickt worden wie die jüdische,“ sagte Goshanski. “Seine Erziehung hat der jüdische Arbeiter großenteils im 'Cheder' er-

halten. Ihm fehlte sogar die Allgemeinbildung der Elementarschule. Er ist in Kleinbetrieben beschäftigt und lebt in kleinen

Städten.“11

Deshalb haben die Gewerkschaften, in denen die jü-

dischen Arbeiter organisiert sind, ein weites Arbeitsfeld vor sich. Sie haben nationalistische und religiöse Einflüsse zu bekämpfen und bei den Arbeitern Klassenbewußtsein und Verständnis ihrer Arbeit zu wecken. Deshalb ist es so wichtig, Schulen zu

eröffnen und für die jüdischen Arbeiter Kurse zu organisieren. Ähnliche Ansichten äußerten auch die “Vereinigten“. Sie gingen

noch weiter und forderten die Errichtung von Sektionen, die sie “national“ und nicht wie der “Bund“ “national-kulturell“ nannten. Sie wollten für die Gewerkschaften neue Anhänger werben und unter ihren Mitgliedern Bildung verbreiten: auch unter Arbeitergruppen verschiedener Nationen Forschungsarbeiten durchführen, Gewerk-

schaftszeitungen in der Sprache des Volkes herausgeben. Aufrufe

des Gewerkschaftsvorstandes übersetzen, um sie den Mitgliedern verschiedener Nationalität näher zu bringen.12 Bolschewisten wie Menschewisten lehnten den Gedanken an nationale Sektionen ab. Sie sahen darin eine nationalistische Forderung bzw. Separatismus. Vor das Plenum gelangte die Angelegenheit erst in der Schlußsitzung. Es wurden ihr nur 5 Minuten gewidmet, und der Antrag des “Bund“ wurde nicht

angenommen.13

Der Historiker des “Bund“ glaubt, darin einen Kompromiß zu Aber in Wirklichkeit wurden alle wesentlichen Elemente

sehen.1‘

-

des vom “Bund“ vorgelegten Antrags abgelehnt dieser hatte den jüdischen Gewerkschaftsleuten kulturelle Autonomie sichern

wollen. Man beschloß zwar, Kulturausschüsse einzusetzen, die unter den verschiedenen Sprachgruppen Aufklärungsarbeit in ihrer Nationalsprache leisten sollten, aber unter Aufsicht des

Obersten Kulturausschusses. Der entscheidende Vorschlag, nach

-

117

-

dem die Sektionen von den nationalen Gruppen gewählt werden

sollten, fiel durch. In der Resolution war nur von der Möglic die Rede, Sektionen aufzubauen, nicht aber von einer Ver-

keit

-

pflichtung, und jede Gewerkschaft sollte darüber zu bestimmen haben. Kein Wort über ihre Organisation oder die Gegenstände ihrer Tätigkeit.

Diese Konferenz bedeutete einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der russischen Gewerkschaftsbewegung. Es ist beachtenswert, daß eine vereinigte, wohlorganisierte Bewegung errichtet wurde, die alle Beschäftigten nach Produktionszweigen

umfaßte. Man wählte eine oberste Instanz, die mit allen örtlichen Gewerkschaften und Provinzorganisationen in Kontakt ste-

hen sollte. Sie sollte auch die Interessen der Bewegung vor Regierungsstellen und öffentlichen Körperschaften vertreten. Goshanski, der die “Verteidiger“, die Mehrheit im “Bund“, vertrat, hat folgendes über die Konferenz zu sagen: die Diskussio-

nen spiegelten die Meinungsverschiedenheiten in der Grundfrage

jener Tage wider. Was ist eigentlich die Revolution? Ist sie eine politische oder eine soziale? Räumt sie die Hindernisse fort, die die Zarenregierung dem Kapitalismus in den Weg gelegt hatte, oder ist sie der Weg zum Aufbau einer neuen Gesellschaft

noch kein Sozialismus, aber doch kein Kapitalismus mehr? Die

-

Mehrheit auf der Konferenz war der Meinung, daß Rußland in wirtschaftlicher Hinsicht rückständig sei und deshalb nicht den Weg der sozialen Revolution gehen könne. Im befreiten Rußland

würde sich der Kapitalismus in einer Weise entfalten können, wie er es sich zur Zeit der Zarenregierung nicht hätte träumen lassen.

Wir haben bereits gesehen, daß die Anhänger dieser Ansichten in der Konferenz eine kleine Mehrheit hatten, die aber immer

mehr zusammenschmolz, während der Einfluß der Bolschewisten in den Gewerkschaften zusehends wuchs. Zur Zeit der “Demokratischen

Beratung“ im September stimmten 73 von 81 Gewerkschaftsdelegierten gegen eine

Koalitionsregierung.15

-

118

-

Die Gewerkschaften waren in vielen Teilen des Landes, auch

in vielen Berufszweigen tätig, und fast überall war auch der “Bund“ spürbar. Beinahe gleichzeitig mit der 3. all-russischen

Konferenz fand auch eine Konferenz der Gewerkschaften ineinh;m Gouvernements Südwestrußlands statt (Kiew, Poltawa, Podolien und Tschernigow). Unter den 95 Delegierten waren 26

Bundisten.16

Zum Vorsitzenden wurde Rafes gewählt, obwohl die bolschewisti-

sche Fraktion die größte war. Die “Vereinigten“ beklagten sich

anscheinend mit Recht

-

über die Bundisten, weil sie ihre Stel-

-

lung ausnutzten, um mit ihren Konkurrenten unter den Juden abzurechnen, ihnen auch nicht ihren Platz im Präsidium zukommen

ließen: dabei hatten die “Vereinigten“ 11

Repräsentanten und

die SR nur 9 und bekamen doch 2 Sitze. Sie sagten, Rafes wolle die “Vereinigten“ gar nicht als sozialistische Partei anerken-

nen.17 Man hörte viel Lob über die Tätigkeit des “Bund“ in den Ge-

werkschaften,18

es gab aber auch abweichende Meinungen. Im

Zentralblatt der Partei schrieb z.B. ein alter Gewerkschaftsfunktionär des “Bund“ noch aus dem ersten Jahrzehnt des Jahr-

hunderts, daß die Partei in den Gewerkschaften, die die breiten Massen der Arbeiter hätten organisieren sollen, ihre Aufgabe

in keiner Weise erfüllt habe. Er beschwert sich darüber, daß bis jetzt noch keine jüdische Gewerkschaftskonferenz einberufen

worden sei, auch nicht in den Landesteilen, wo es bedeutende

Gewerkschaften und zahlreiche jüdische Arbeiter gebe. Das Zentralkomitee hätte zwar einen Ausschuß für Gewerkschaftsangelegenheiten gegründet, aber dieser säße in Petrograd, ohne jeden Kontakt mit den jüdischen Arbeitermassen. Sein Blatt “Das schen Proletariats. Der Verfasser war anscheinend unzufrieden mit den Beschlüssen der 3. Konferenz, die den Vorschlag des

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Er war für eine Organisation des jüdischen Proletariats zum

'Bund', nationale Sektionen ins Leben zu rufen, abgelehnt hatten.



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professionelle Leben“ gebe kein Bild von dem Ringen des jüdi-

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Zwecke des wirtschaftlichen Kampfes, so wie es eine autonome

politische Organisation der jüdischen Arbeiter gebe. Der “Bund“

behandle die Gewerkschaften mit

Geringschätzung.19

-

119

-

2. An der munizipglen Front Unter dem Zarenregime waren die lokalen Behörden weit davon

entfernt, die Bevölkerung zu repräsentieren. Es waren undemokratische Körperschaften, gewählt nur von den Besitzenden. Die

jüdische Bevölkerung hatte überhaupt nicht das Recht, sich an

den Wahlen zu beteiligen. Hier und da ernannte ein Gouverneur zwei oder drei wohlhabende Juden zu Stadträten. Nach der FebruarRevolution wurden die Lokalbehörden erweitert, indem man Vertreter auch aus Arbeiterschichten kooptierte; das war eine provisorische Maßnahme bis zu den Wahlen, die demokratisch, d.h. allgemein, gleich, geheim, direkt und nach dem Proporzprinzip abgehalten werden sollten. Solche Wahlen fanden tatsächlich in ganz Rußland in den Monaten Mai bis August 1917 statt.

Alle Parteien bereiteten sich auf diese Wahlen vor. Die sozialistischen Parteien und darunter der “Bund“ forderten weitgehende Befugnisse für die lokalen Behörden sowie die Förderung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit. Die Wahlprogramme der Parteien enthielten detaillierte Forderungen. Der “Bund“ veröffentlichte sein Munizipalprogramm in großen Zügen schon Anfang Mai. Da die darstellte. forderte

Ernährung der Bevölkerung ein Hauptproblem

die Partei in ihrem Programm vor allem die Organisation des Lebensmittelmarktes, die Kontrolle des Handels und der privaten Produktion, sowie die Festsetzung einer erträglichen-Gewinn-

spanne, aber auch Errichtung stadteigener Betriebe wie z.B. Mühlen und Bäckereien. Wenn nötig, sollte die Stadtverwaltung auch Waren beschlagnahmen können. Der “Bund“ forderte ein Ver-

bot, Böden, die der Stadt gehörten, zu verkaufen: auch Fürsor-

-

ge für die bisher vernachlässigten Vorstädte man hätte nur für die Stadtzentren gesorgt. In Gesundheitsangelegenheiten

forderte man sanitäre Uberwachung des Lebensmittelhandels, der

Handwerks- und Industriebetriebe und der Arbeiterwohnungen. Die Stadtverwaltungen sollten auch unentgeltlichen Gesundheitsdienst einführen. Eine städtische Miliz sollte für Ordnung sorgen, Richter und Gefängnisinspektoren wählbar sein.

-

120

-

Auf dem Gebiet von Kultur und Unterricht formulierte der “Bund“ seine Forderungen gemäß dem Prinzip der national-kulturel-

len Autonomie. Wie alle sozialistischen Parteien war er für un-

entgeltlichen Unterricht in nicht-religiösen Schulen. Minder—

bemittelte sollten Schulbücher und Schreibmaterial bekamen, die lokalen Behörden sollten für Schulmahlzeiten aufkomén. Es war die Rede von Bibliotheken, Leseräumen, Abendschulen, Kursen und Volksuniversitäten. Für nationale Minderheiten forderte der

“Bund“ Kultur-Autonomie. Danach würde die Stadtverwaltung die Mittel hergeben, sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten

der autonomen Kulturinstitutionen einmischen, die jede Nationalität frei wählen würde. Je nach der nationalen und religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung würden in den Krankenhäusern jiddisch sprechende Ärzte beschäftigt werden. Wer koscheres

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Essen verlange, werde es

bekommen.20 Auf

der 'Bund'-Konferenz

in Südrußland (3.-5. August 1917) wurden die national-kulturellen Forderungen in allen Einzelheiten formuliert. Die Vertreter

des "Bund“ in den Stadtverwaltungen sollten darauf bestehen, daß alle national-kulturellen Angelegenheiten der Autorität der

Munizipalitäten entzogen und den lokalen autonomen Institutionen übertragen werden sollten, die die Juden errichten würden. Die Konferenz lehnte einen Antrag ab, wonach man sich mit einer

besonderen Schulkommission begnügen sollte. Die Resolution, die angenommen wurde, besagt ausdrücklich, daß unter national-kul-

tureller Autonomie weit mehr zu verstehen sei als eine Schul-

kommission.21 Der “Bund“ bestand also auf autonomen Kultur- und Bildungs-

institutionen für jede Nationalität. Das führte zu Meinungsver-

schiedenheiten mit den menschewistischen Partnern, mit denen der “Bund“ den Wahlkampf gewöhnlich gemeinsam führte. Die Menschewisten betonten zwar, daß jede nationale Minderheit das Recht habe, den Schulunterricht in der Muttersprache der Kinder

zu erteilen, sie lehnten aber den Vorschlag des “Bund“ ab und waren gegen nationale Absonderung. Die Zeiten forderten ihrer Ansicht nach die Einheit der Arbeiterbewegung ohne Unterschied

der Nationalität. Von Seiten des “Bund“ brachte man vor, daß die Forderung nach national-kultureller Autonomie den Interessen

-

121

-

des Klassenkampfes entspreche. Denn auf diese Weise würde es weniger Zusammenstöße zwischen den Angehörigen verschiedener Völker geben; diese könnten das Klassenbewußtsein trüben und

das Proletariat der Bourgeoisie näher bringen, die ja überhaupt einen Kampf um nationale Forderungen führe. Man gelangte zu einem Kompromiß: “Nationale Schulen in der Muttersprache sind ein Teil des allgemeinen Schulnetzes. Sie

müssen demokratisch gewählten Körperschaften der entsprechenden Nationalitäten unterstehen, unter oberster Aufsicht der Stadt-

verwaltung.“22 Um die Ziele des Programms zu verwirklichen, mußte man um

die Herrschaft in den Stadtverwaltungen kämpfen; darum erwogen die Parteien gemeinsames Auftreten in Blocks. Der “Bund“ wandte sich sofort gegen Bündnisse mit anderen jüdischen Parteien,

“All-russische Komitees“ erschienen ihm als ein “Zusammenschluß der jüdischen Bourgeoisie, der jüdisch-nationalistischen Par-

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tun, um das Volk und die Armen besser zu betrügen und um die wahren Freunde der Massen, die organisierten und klassenbewuß-

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teien und Gruppen“; diese hätten beschlossen, sich zusammenzu-

ten jüdischen Arbeiter, umso wirksamer zu bekämpfen. “In den

alljüdischen Komitees findet man Rabbiner, Schächter, Zionisten

aller Schattierungen, sogar die proletarischen. “23 In einer Plenarsitzung seines Zentralkomitees beschloß der “Bund“, mit wem man zusammen auftreten dürfe und mit wem nicht. Die Ortsgruppen erhielten dementsprechende klare Anweisungen. In dem Beschluß heißt es,24 daß der “Bund“ zu den Munizipalwahlen mit den Ortsgruppen der RSDRP zusammen arbeiten sollte, vorausgesetzt, daß es ihm erlaubt sei, seine eigene Propaganda für sein national-kulturelles Autonomieprogramm zu betreiben. Wenn

ihm das nicht zugesichert würde, könnte man eben nur mit den Menschewisten zu einem Einverständnis gelangen. Wenn es aus örtlichem Erwägen für richtig erscheinen sollte, mit den SR zusammenzugehen, sei dazu eine spezielle Bestätigung des Zentralkomitees oder der Landesverwaltung einzuholen. In jedem Falle

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der Zusanrnenarbeit mit den SR müsse man ihnen klar machen, daß sie dann mit keiner anderen Partei zusammengehen dürften. Damit

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waren die “Vereinigten“ gemeint, die an vielen Orten mit den SR gemeinsame Sache machten. Das Zentralkomitee verbot jede

-

122

-

Verbindung mit anderen jüdischen sozialistischen Parteien. Das galt auch für Plechanows “Jedinstwofl-Gruppe. Der “Bund“ hielt sich für den einzigen Repräsentanten des jüdischen Proletariats; da aber auch andere jüdische sozialistische Parteien existierten, behauptete er, nur ggig Sozia-

lismus sei echt, während man allen anderen dieses Prädikat absprechen müßte, da sie eigentlich nationalistisch seien. Abramowitsch nimmt es mit der Wahrheit nicht allzu genau, wenn er von einem Bündnis mit den SR nur “in seltenen Ausnahmefällen“ spricht. Tatsächlich trat ein Dreiblock: Menschewisten, “Bund“ und SR in einer Reihe von Städten Westrußlands und der Ukraine auf. 25 Dies, obwohl die SR nicht nur keine Marxisten waren, sondern auch der Gedankenwelt der “Narodniki' nahestanden. Für sie war der Sozialismus eher eine Art Glauben an das

russische Volk, an sein Schicksal, an die Gerechtigkeit seines

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Wollens. Zum Unterschied von der Sozialdemokratie sahen sie als soziale Grundlage ihrer Partei nicht die Industriearbeiter an, sondern Arbeiter, Bauern und Intelligenz zusammen. Warum sollte es erlaubt sein, mit den SR zusammenzugehen.

in voller Kenntnis der Tatsache, daß die Programme grundver-

schieden waren, und warum war es dann verboten, sich mit den

-

Parteien und Bundesgenossen der SR einzulassen den “Vereinigten“, die vielerorts in Rußland mit den SR einen Wahlblock bildeten?

Die Antwort darauf finden wir vielleicht bei

A.Litwak; er meint, der “Bund“ fürchte, überhaupt zu weit zu gehen und nationalistisch zu werden. Darum neige er dazu, in

jüdischen Dingen noch weiter “links“ zu stehen als in allgemein-politischen Fragen.26

Manchmal herrschten pragmatische Erwägungen vor: die Abschätzung der Kräfteverhältnisse an einem Ort, oder Druck von Seiten der Arbeiterorganisationen, z.B. des örtlichen Sowjets

oder der Gewerkschaften. Dann kam es vor, daß der “Bund“ bereit war, einem allgemein-sozialistischen Block beizutreten,

manchmal auch mit den Bolschewisten (z.B. in Minsk und in Slawiansk im Charkower Gouvernement) oder mit den “Vereinigten“ und PZ. In Woronesh war der “Bund“ für die Errichtung eines

-123-

einigen Blocks aller Sozialisten einschließlich der Bolschewisten. Dh Menschewisten waren dagegen, aber die Ortsgruppe des “Bund“ fand, daß es sich nicht lohnte, nur mit ihnen (den Menschewisten) zusammen aufzutreten, da ihr Einfluß in der

Stadt sehr gering war. Es wurde ein Block mit den SR, den “Vereinigten“ und PZ gebildet.27 In Reshitze (im Witebsker Gouvernement) ging der “Bund“ mit

allen sozialistischen Parteien einschließlich der “Vereinigten“ zu den Wahlen. Die Ortsgruppe erhielt einen Tadel, weil sie sich mit “sozialistischen“ Parteien verbündet hatte. “Es ist

klar, daß unsere Genossen einen schweren Fehler begangen haben.“ schrieb das Zentralorgan der

Partei.28

Aus örtlichen, praktischen Erwägungen ging der “Bund“ auch anderwärts mit den “Vereinigten“ (einschließlich Menschewisten

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nicht teilhaben wollte. In Poltawa sollte solch ein Block errichtet werden. Der “Bund“ weigerte sich, mit anderen jüdischen

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und SR) zusammen. Manchmal stellte der “Bund“ auch eine eigene Liste auf, weil er an einem einheitlichen sozialistischen Block

sozialistischen Parteien zusammenzugehen. Das Resultat waren 2 Blocks: einerseits Bolschewisten und Menschewisten; anderseits die russischen und ukrainischen SR, die ukrainischen SD, die “Vereinigten“ und PZ. Der “Bund“ stellte, wie gesagt, seine eigene Liste auf, unabhängig von beiden

Blocks.29

Die Erfolge der verschiedenen Parteien lassen sich schwer

in Ziffern zusammenfassen, und zwar aus zwei Gründen: (1) die Resultate in all ihren Einzelheiten für ganz Rußland wurden nie veröffentlicht. Die Informationsquellen aus Zeitungen sind

nicht vollständig und auch nicht immer genau. (2) Zu den Wahlen präsentierten sich wie gesagt gemeinsame Listen, deren Zusammensetzung vor den Wahlen festgelegt wurde

-

je nachdem man die Stärke der einzelnen Parteien einschätzte. Auf diese Weise ist es natürlich unmöglich festzustellen, wieviele Stimmen jeder einzelne Partner bekam. In seiner “Geschichte des Bund“ über-

geht Rafes den Wahlkampf zu den Munizipalitäten und seine Ergebnisse. Bier und da zitiert er Resultate von einigen Städten, meistens gibt er aber keinerlei Daten über andere jüdische

v m .s n

mr u

-

124

-

Parteien. Er stellt mit großer Befriedigung fest, daß über 500

wurden.30

Aus dieser Zahl kann man natürlich Bundisten gewählt in keiner Weise auf die Stärke des “Bund“ schließen.

Zusammenfassend kann man folgendes feststellen: (1) die SR

schnitten recht gut ab (In Petrograd, Moskau, Odessa, Charkow, Jekaterinoslaw usw.). Ihre Erfolge kamen manchmal auch den Partnern, den “Vereinigtenfl zugute;

(2) der “Bund“

und die

Menschewisten, die an den meisten Orten zusammengearbeitet hatten, waren noch ziemlich einflußreich; (3) die Bolschewisten

konnten nur wenige Erfolge aufweisen, mit Ausnahme einiger Städte wie z.B. Riga, Jekaterinoslaw und Zaritzin, wo sie den Sieg davontrugen; (4) unter den jüdischen Nicht-Arbeiterpartei-

en hatten die Zionisten Erfolge zu verzeichnen.

I]

Die Funktionäre des “Bund“ waren mit den Wahlresultaten trotz gewisser Errungenschaften

-

-

nicht besonders zufrieden.

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W.Schulmann ist der Meinung, daß der “Bund“ mit einer eigenen Liste, ohne sich einem Block anzuschließen, bedeutend mehr Man-

hätte.31

Partei32 -

Im Zentralorgan der date erhalten in ihrer Wochenschrift in russischer Sprache33

“ il

n i s '\e ‘

Hetze

-

und auch

ist von der

die Rede, unter der die Partei zu leiden hatte, von Ver-

folgungen und von ihrer Isolierung. In einem Artikel mit der

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f' s “

Uberschrift “Die Hetze“ heißt es, daß die Plakate der Partei abgerissen wurden und daß man sie an der Verbreitung ihrer Zeitungen behinderte. Die Synagogen und Lehrhäuser seien zu Festungen der bürgerlichen Parteien geworden und seien dem

“Bund“ verschlossen geblieben. Den Kampf gegen den “Bund“ führten alle jüdischen Parteien mit gemeinsamen Kräften.

Aber auch die Bundisten waren keine Unschuldslämmer. In der “Arbeiterstimme' gab der Redakteur (R.Abramowitsch) seiner Ab-

scheu gegenüber den anderen jüdischen Parteien Ausdruck, wobei er das Wort “Parteien“ in Anführungsstriche setzte. Seiner Mei-

;-

1

.‘'mi

i.“ ;.

.-

nung nach handelte es sich hier um “Parteidiplomatie', die

Trugbilder vorbrächte

und “Weltprobleme“ erörterte, nur um

Zeit in “Dieputationen' zu vergeuden (alle Anführungsstriche im Original). Sie seien nun “isten“ (Zionisten, Sozialisten), die mit Problemen und Plänen Schaum schlügen.



-

125

-

Wer diese Art von Wörterbuch benutzt

-

hier und anderwärts

-

kann natürlich nicht erwarten, daß ihm in anständiger Weise geantwortet wird. Politische Kämpfe unter Juden zeichneten sich

gewöhnlich nicht durch Zartheit der Gefühle oder einfach Anstand aus der “Bund“ stand nicht zurück. Er goß seinen Zorn

-

über die übrigen jüdischen Parteien nicht nur in Kampfeshitze aus, sondern bei jeder Gelegenheit. So zum Beispiel in einer Sitzung des Stadtrates in Homel (wo die Juden die Mehrheit hatten), als die finanzielle Unterstützung der jüdischen Schulen

auf der Tagesordnung stand. Die Bundisten erklärten, die Stadt dürfe nur jene Schulen unterstützen, die keinen jüdischen Religionsunterricht erteilten. Sie wollten auch den Unterricht der hebräischen Sprache aus dem Lehrplan streichen, denn diese diene der Aristokratie und man benutze sie, um das Bewußtsein der jüdischen Massen zu verwirren. Als es zur Abstimmung darüber kam, ob die Prüfung der Lehrpläne der jüdischen Gemeinde über-

geben werden sollte, vereitelten die Bundisten diesen Vorschlag, indem sie mit den nicht-jüdischen Rechtsparteien stimmten (35 25). geggg PZ.

Zur Minderheit gehörten auch die “Vereinigten“ und

Einige Wochen nach den Wahlen gab es bereits Anzeichen dafür, daß die Popularität des “Bund“ unter den Juden im Absinken war,

besonders da, wo er vorher gewissen Einfluß gehabt hatte und wo er die Verantwortung für die Stadtverwaltung trug. So z.B.

in Minsk, Bobrujsk, Homel und Mosyr, in Witebsk und Orscha und

vielen kleinen Städten Weißrußlands, wo die Bundisten die wichtigsten Posten ausfüllten. Sie waren wenig erfolgreich, natürlich auch wegen der objektiv schwierigen Bedingungen. Aber der große Widerspruch zwischen den Versprechungen vor den Wahlen und der Unfähigkeit, sie zu erfüllen, gab Anlaß zu Unzufriedenheit und Enttäuschung. In seinen Memoiren beschreibt ein

'Bund'-Funktionär die Dinge folgendermaßen: “Damals gab es in den Massenversammlungen des Bunds in Minsk etwas zu sehen. Die Kinosäle waren schon eine Stunde vor dem Anfang voll besetzt. Der Gegenstand der Diskussion war unwichtig: politisch oder kulturell, Literatur oder Theater; ganz gleich. Es verging kaum eine Minute und schon war das ganze Publikum auf den Beinen,

-

126

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ein Sturm brach los und der Redner wurde mit Forderungen über— schüttet, wie mit Und der Verfasser schreibt zum

Steinen.“36

Schluß, daß die Propagandisten des “Bund“ in den Monaten April und Mai mit Versprechungen sehr freigiebig gewesen wären; jetzt, im September, würden sie zur Rechenschaft gezogen.

3. In der Wahlkampagne zur Nationalversammlung Die Forderung nach einer Verfassunggebenden Nationalversamm-

lung war in der russischen revolutionären Bewegung tief verwurzelt. Sie erscheint in den Programmen aller sozialistischen Parteien, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ge-

gflhdet wurden. Der bolschewistische wie auch der menschewistische Flügel der SD, die SR und die “Narodniki', die Gemäßigten

- alle

und die liberalen Demokraten

waren dafür, daß die Errun-

genschaften der Revolution nach ihrem Sieg von der all-russischen Nationalversammlung formuliert und gesetzlich festgelegt

werden müßten. Die Februar-Revolution setzte der Monarchie ein Ende und erschütterte die Grundlagen der alten Staatsordnung. In der neuen Situation wurde der Zusammentritt der Nationalversammlung gleich-

bedeutend mit der Wiederherstellung eines geordneten Staatswesens. Und doch, bei aller Hochachtung, die die Demokratie dieser Nationalversammlung erwies, fand man immer wieder Ausreden, um die Wahlen hinauszuschieben nicht inner wegen technischer

Schwierigkeiten.37

-

Die Provisorische Regierung hatte versprochen, die Nationalversammlung sofort einzuberufen,38 aber die Wahlen

-

-

wurden immer wieder aufgeschoben. Zeretelli bezeugt, daß die Rechtsparteien, vor allem die KD,

und damit auch die Eröffnung

immer von°der Notwendigkeit der Wahlen sprachen; wenn es aber dazu kam, praktische Schritte zur Verwirklichung zu unternehmen,

“widersetzten sie sich mit allen Kräften,“ da sie glaubten, die Sozialisten würden die Mehrheit der Stimmen Schließ-

erhalten.39

lich wurden die Wahlen auf den 17. (30.) September und der Zusammentritt der Versammlung auf den 30. September (13. Oktober) festgesetzt. Nach der Regierungskrise im Juli verstärkte sich

-

127

-

neuen

Koalitionsregierung, und aber der Eihlfuß der KD in der die Wahlen wurden bis zum 12. (25.) November verschoben. Die neue Versammlung sollte am 28. November (11. Dezember) zusammentreten. Miliukow bezeichnet diesen Aufschubbeschluß als Sieg

des gesunden Menschenverstandes. “Eine Korrektur der politischen

Koalition.“40

Im historischen Rückblick glaubt Sünde der ersten Zeretelli, es wäre vielleicht möglich gewesen, das demokratische

Regime in Rußland zu retten, wenn an Stelle der handlungsunfähigen Provisorischen Regierung sofort die Nationalversammlung getreten wäre, die ohne Zögern dem Willen der großen Mehrheit nach änderungen im Innern und in den Beziehungen zu den Alliierten gefolgt

wäre.“

Die Wahlen am 12. November fanden bereits unter neuen politi-

schen Bedingungen statt. Es waren schon mehr als zwei Wochen seit der Machtergreifung durch die Bolschewisten in Petrograd

und der Ausrufung der Rätemacht vergangen. Unter diesen Umständen hatten die Wahlen einen einzigartigen Charakter, obwohl die breiten Massen noch gar keinen klaren Begriff von der Umwälzung

hatten, die sie erlebten. Sie verstanden auch nicht den Unter-

schied zwischen der Nationalversammlung und der Sowjetherrschaft. In der politischen Atmosphäre war ein Umschwung schon vor der Oktoberrevolution spürbar. Das zeigte sich in dem wachsenden

Einfluß der Bolschewisten in den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendelegierten und in der Stärkung des linken Flügels der SR in den Dörfern. Auf die technische Seite des Wahlprozesses wirkte sich das nicht aus. Mitte Juni sprach der “Bund“ sein Bedauern über die Verzö-

gerung der Wahlen zur Nationalversammlung aus. Er sah einen schweren Fehler der revolutionären Demokratie darin, daß noch

keine rechtmäßige Regierung errichtet werden konnte. Grundprobleme des Staates wie die nationale oder die agrarische Frage blieben ohne Lösung, und der Krieg fand kein Ende. Nach Meinung des “Bund“ konnte nur die Nationalversammlung einen Aus-

weg aus dem wirtschaftlichen Durcheinander finden und den Ursachen allen Unglücks auf den Grund gehen.42

-

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Es wurde versucht, für die Wahlen eine gemeinsame jüdische Liste aller Strömungen aufzustellen. Man wollte den Juden die ihnen zukommende Repräsentation sichern, besonders da ja die

nationale Frage in der Nationalversammlung auf der Tagesordnung stehen würde und dabei auch die Dinge behandelt werden müßten, die die Juden direkt angingen. Bei einer Abstimmung über Listen

des ganzen Reichs hätte eine gemeinsame Liste der Juden entsprechend ihrem Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung 32-33 etwa 4 Prozent von 800 Sitzen. Da aber die Mandate erhalten Abstimmung nach Gouvernements stattfand, konnte man nur auf

-

rechnen.43

16-17 Abgeordnete

Ohne gemeinsame Liste, glaubte man

im Juli 1917, würden nicht mehr als 7 oder 8 Juden gewählt

“-

werden

eine Schätzung, die sich als richtig erwies.

Der

Versuch, eine gemeinsame Liste aufzustellen, scheiterte. Der “Bund“ lehnte den Gedanken unter wüsten Beschimpfungen ab. Er beschloß,den Wahlkampf unter der Parole des Siege der demokrati-

schen und sozialistischen Idee zu führen. Leider legt die Spaltung innerhalb der SD “ihre Kräfte lahm und bedroht auch uns“.

Bogrow (Saslaweki) schrieb: “Auch in unserer Mitte streiten gegensätzliche Tendenzen, die sich gegenseitig neutralisieren

und uns alle im Wahlkampf neutralisieren können. .45 Der Verfasser sah schon den Verlauf der Dinge voraus. Der Einfluß der

Bolschewisten im Lande war im Wachsen. Unter den Massen der Dorfbevölkerung waren die SR populär, unter den Juden der vereinigte jüdische Block. Das Programm des “Bund“ glich mehr oder weniger dem der Menschewisten. Es hieß darin, daß das russische Regime nach der Revolution republikanisch-demokratisch sein müßte. Die Verfassunggebende Nationalversammlung sollte sich auf alle Klassen und Gruppen erstrecken. Der “Bund“ rechnete aufs Schärfste mit den religiösen und

assimilatorischen jüdischen Parteien ab, aber auch mit den “proletarischen“ dieses Wort erschien bei ihm wie gewöhnlich

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in Anführungsstrichen. Den Wählern stellte er sich als jüdische SD-Partei vor, als Partei des jüdischen Proletariats, die für seine Rechte als Bürger, als Arbeiter und als Juden kämpfe. In der Nationalversammlung wollte der “Bund“ dieselben Forderun-

gen vertreten wie die Menschewisten. Ein Unterschied bestehe

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129

-

nur in der jüdischen Frage, mit der sich das menschewistische Programm nicht befasse, und hier wolle der “Bund“ auf den folgenden Forderungen bestehen: (1) ein republikanisches Regime mit nur einer gesetzgebenden Körperschaft, vor der die Regierung verantwortlich ist; (2) für die demokratisch gewählten

Munizipalitäten und für Autonomie in deren inneren Angelegenheiten; (3) ein einziges, ungeteiltes Rußland, wo jeder Nationali-

tät die freie Entwicklung ihrer kulturellen Eigenart gesichert sein solle. Damit waren Gleichberechtigung der Sprachen, Autono-

mie für die Ukraine, für Lettland, Finnland usw. und Schutz der Rechte der nationalen Minderheiten gemeint; (4) Freiheit des Gewissens, der Rede, der Presse, der Versammlung, der Organisation und Streikfreiheit; (5) jeder Grundbesitz der Regierung,

der Kirche und der Großgrundbesitzer ist entschädigungslos zu enteignen; (6) acht-stündiger Arbeitstag und ein Ruhetag in der Woche (die Juden sollten das Recht haben, den Samstag als Ruhe(7) besondere Kapitalbesteuerung; (8) in der Friedensfrage: die Nationalversamm-

tag zu wählen), sowie Arbeiterschutzgesetze;

lung müsse einerseits für die Verteidigung des Staates und der

Revolution gegen die Imperialisten sorgen, anderseits müsse sie die Kriegführenden auffordern, einen Waffenstillstand zu schliessen und Friedensverhandlungen auf Grund des Prinzips “ohne Annexionen und ohne Entschädigungen“ einzuleiten

-

unter Siche-

rung des nationalen Selbstbestimmungsrechts. Anstatt der Armee Errichtung einer

Nationalmiliz.46

-

Dieses Programm enthält keinerlei Neuerungen in bezug auf die

wesentlichen Zeitprobleme im Vergleich mit den oben besprochenen Auffassungen des “Bund“. Hier geschah dasselbe wie bei den Munizipalwahlen: aus Prestige- und Utilitätsgründen trat der “Bund“ nicht überall gemeinsam mit den Menschewisten auf. In drei Gouvernements (Kiew, Podolien und Jekaterinoslaw) hatte er seine eigene Liste. Der Geschichtsschreiber der Partei sieht hierin zwar ein Anzeichen der Selbständigkeit (bei aller engen Bindung an die

Menschewisten47),

aber das Zentralorgan der Par-

tei teilte klar und deutlich mit, daß man in Kiew zu keinem Ein-

verständnis mit den Menschewisten über die Einordnung der “Bund“Kandidaten an den vier ersten Plätzen gelangen konnte; deshalb

. u m r .> l n

-

130

-

habe man beschlossen, eine eigene Liste

Nach einer Beratung

veröffentlichten

aufzustellen.‘° beide Parteien ein

Communiqué. Dort heißt es, die Tatsache, daß man keine gemeinsame Liste aufgestellt habe, habe ihren Grund in zufälligen Erscheinungen; u.a. darin, daß die russische SD-Partei nicht ausreichend organisiert sei. Manche Gruppen wären in ihr noch

nicht so fest verankert, daß sie imstande gewesen wären, lokale Konflikte im Rahmen einer einigen Partei mit wirksamen Zentralorganen zu lösen. Beide Parteien forderten die Ortsgruppen

‘:

der RSDRP und des “Bund“ im Gouvernement Kiew auf, sich gegenseitig in den Vorbereitungen zu den Wahlen zu unterstützen und

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sich jeder Polemik zu enthalten.

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4:

Ähnliche Communiqués wurden in Podolien veröffentlicht. Auch im Gouvernement Jekaterinoslaw gelangte der “Bund“ zu keinem

Einverständnis mit den Menschewisten und stellte eine eigene Liste auf. “Schuld daran ist der Auflösungsprozeß bei den Men-

schewisten“, schrieb'die Wochenschrift des 'Bund'. Sie sind keine Parteidisziplin gewöhnt und wollen ihrem Parteivorstand nicht gehorchen, obwohl dieser erst neuerdings auf ihrem Kongreß

gewählt

wurde.“so

Es ist pikant festzustellen, daß auf der selbständigen Liste

des “Bund“, die der Parteivorstand für Jekaterinoslaw aufstellte,

die zwei markantesten lokalen Funktionäre fehlten

- Alter

und

Chejfetz.Wahrscheinlich‚ weil sie damals den Bolschewisten zu viel Sympathie entgegengebracht hatten. An der Spitze der Liste stand der “Internationalist' Abramowitsch, um den “linken Neigun-

gen“ der Genossen Rechnung zu tragen. Die Wahlen fanden am 12.

November statt, an manchen Orten aber erst am 19. und

29.51

Insgesamt wurden 41.678.876 Stimmen abgegeben.52 Die Wahlen verliefen nach allen Regeln der Demokratie und in voller politi-

scher Freiheit

-

trotz Krieg und Revolution. Die Propaganda-

freiheit blieb auch nach dem bolschewistischen Umsturz bestehen,

schreibt Abramowitsch. “Wenn sich jemand über gewisse Störungen beklagen konnte, dann waren es gerade Elemente der Rechten, die bürgerlichen Parteien. Alle Linksströmungen, Revolutionäre und

Sozialisten, genossen volle Propagandafreiheit und je weiter

-

131

-

links man stand, desto freier und mutiger konnte man sich am Vorabend der Wahlen

benehmen.53

Die Resultate zeigen eine

schen Parteien

-

4/5 Mehrheit für die sozialisti-

die Hälfte davon erhielten die SR. Dieser Er-

folg war vorauszusehen, da ja die Bauern ihre Hoffnungen in eine Lösung der Agrarfrage durch die Nationalversammlung setzten.

Alle anderen Punkte der Tagesordnung interessierten sie weit weniger. Die Bolschewisten erhielten etwa 10 Millionen Stimmen,

ungefähr 1/4 aller abgegebenen; ein Beweis, daß im Vergleich zu den Munizipalwahlen ihr Einfluß in der öffentlichkeit, beson-

ders bei den Arbeitern, im Wachsen war. Menschewisten und “Bund“ zusammen bekamen weniger als eineinhalb Millionen Stimmen, d.h. “sie wurden bei den Wahlen zur Nationalversammlung eigentlich

aufgerieben.‘54

Auf den ersten Blick scheint es, daß 498.198

wurden.55

Aber diese Zahl ist irreführend, denn viele gaben ihre Stimme nicht-jüdischen Listen jüdische Stimmen abgegeben

oder solchen, in denen Juden und Nicht-Juden gemeinsam auftraten. Man schätzt die Zahl der Juden, die sich an der Abstimmung

700.000.56

Der jüdisch-nationale Block erhielt beteiligten, auf 417.215 Stimmen. Von den jüdischen Stimmen erhielt der “Bund“

31.123, PZ 20.538 und “andere jüdische Sozialisten“

- 29.322.57

- die

“Vereinigten“ Die letzten Ziffern beziehen sich nur auf die Stimmen, die für die getrennten Listen abgegeben wurden,

während doch auch die gemeinsamen Listen eine Anzahl von Stimmen bekamen: “Bund“ und Menschewisten, die “Vereinigten“ und SR (nur in den Wahlkreisen Witebsk und Cherson). Nach ihrer Schätzung erhielten die “Vereinigten“ insgesamt etwa 50.000

Stimmen.58 Der “Bund“ hatte sehr intensive Wahlpropaganda

getrieben;59

einerseits gegen die “Nur-Judenfi anderseits gegen die Bolschewisten, die ihren Anhang auch unter dem jüdischen Kleinbürgertum fanden. Wegen der Friedensfrage gebärdete sich dieses noch

revolutionärer als die organisierten jüdischen

Arbeiter.60

Manche glaubten, der “Bund“ habe in Rußland 150.000 Stimmen er-

halten.61

Diese Zahl erscheint übertrieben, wenn wir die detaillierten Ergebnisse in den großen jüdischen Zentren in Betracht ziehen, darunter solche, die als Hochburgen des “Bund“

-

132

-

galten. In Weißrußland z.B. erhielten die Bolschewisten (ohne Gouvernement Mohilew) mehr als 1,2 Millionen im Vergleich zu

37.000 für “Bund“ und Menschewisten

zusammen.62

Auch in der

Ukraine ging es dem “Bund“ nicht besser. In drei Gouvernements stellte er eigene Listen auf: in Podolien erhielt er 6.667

-

Stimmen,63 in Kiew 20.410 gegenüber 90.704 des jüdisch-natioIm nalen Blocks, 4992 der “Vereinigten“ und 4065 der Gouvernement Jekaterinoslaw kam der “Bund“ auf 4046 gegen 30.954 des Blocks, 4.777 der “Vereinigten“ und 8.282 der PZ. Gleich-

PZ.64

zeitig erhielten die Menschewisten 26.909 Stimmen und die Bol—

schewisten

213.163.65

Am deutlichsten kam die Niederlage der Menschewisten in den

beiden Hauptstädten zum Ausdruck: in Petrograd hatten sie 29.000 gegen 424.000 der Bolschewisten, und in Moskau 21.500 gegen

366.000.66

In den ersten Monaten nach der Februar-Revolution hatte der

“Bund“ unter den Juden recht bedeutenden Einfluß gehabt, besonders, weil er mit den Menschewisten zusammenging, die in jener Zeit im Staat und in der Arbeiterschaft wichtige Funktionen ausfüllten. Dadurch stand der “Bund“ den regierenden Kreisen nahe. Jetzt, bei den Wahlen zur Nationalversammlung, war dieses

treue Zusamenhalten den Menschewisten, die ihren Einfluß eingebüßt hatten und die von den Bolschewisten geschlagen werden wa-

ren, ein Nachteil. Der Niedergang der Menschewisten und des “Bund“ kam parallel mit dem siegreichen Aufstieg der Bolschewisten. So geschah es in Weißrußland, in den Gouvernements der Ukraine, in den großen Städten und in der Armee. Abramovitsch

hat mit seiner Feststellung, daß viele für die Bolschewisten sthmmten, weil sie glaubten, damit “dem langen Krieg ein Ende

zu setzen“,durchaus recht. Dieser Zusammenbruch der Menschewisten kam nur wenige Wochen nach ihren großen Erfolgen bei den Munizipalwahlen. Auch das selbständige Auftreten des “Bund“ in der “Judengasse“ war nicht-von Erfolg gekrönt. Hier stieß er mit dem Programm des jüdisch-nationalen Blocks zusammen, das gar nicht so

ausgesprochen zionistisch klang, obwohl die Zionisten den Block

-

133

-

geplant und organisiert hatten. Dieses Programm war den Problemen des russischen Judentums und seiner wirtschaftlichen Lage angepaßt, die es zu verbessern strebte. Man forderte weitgehende innerjüdische Autonomie, und in der Frage von “Krieg und Frieden“ heißt es, daß das historische Problem des jüdischen

Volkes, das überall zerstreut sei, zusammen mit dem Geschick aller Völker behandelt werden müsse. Das sei eine Forderung,

gegen die kein jüdischer Sozialist etwas haben

könne.67

7 Abgeordnete erhielt der jüdisch-nationale Block, darunter 6, die sich offen zum Zionismus bekannten‚und einen, der mit ihm sympathisierte. Außerdem wurde in Bessarabien ein einziger Bundist gewählt und einer von den “Vereinigten“ Kandidat einer gemeinsamen Liste mit den SR im Gouvernement

-

Cherson.68

Auch

sonst wurden Juden in die Nationalversammlung gewählt, aber

diese repräsentierten verschiedene russische Parteien.

un

-

134

-

7. UNTER DEM JUDISCHEN PUBLIKUM

Die dreihundert Jahre alte Romanow-Monarchie war mit einem Mal zusammengebrochen. Die unterdrückten Bürger und Nationen

Rußlands sahen eine neue Ära der Freiheit und Demokratie vor sich. In ihrem ersten Manifest hob die Provisorische Regierung

alle Beschränkungen auf, denen die Juden bisher unterworfen waren. Am 20. März wurde ein besonderes Gesetz erlassen (veröffentlicht am 21. März), das den Juden Gleichberechtigung gewährte. Es gab keinen “Ansiedlungsrayon' und keine diskrimi-

nierenden Gesetze mehr, die den Juden ihr Leben verbittert hatten

-

von der antisemitischen Praxis der zaristischen Verwal-

tungsorgane ganz zu schweigen.

Die Verordnung der Provisorischen Regierung hob alle Beschrän-

kungen auf, unter denen die Juden gelitten hatten, aber der Text sprach nicht nur von den Juden. In der Präambel heißt es:

“In einem freien Lande müssen alle Bürger vor dem Gesetz gleich sein, und dem Bewußtsein des Volkes ist es unerträglich, daß

die Rechte mancher Bürger wegen ihrer Rasse oder Religion beeinträchtigt werden.“ Mit dieser Begründung verordnete die

Provisorische Regierung, daß “alle gesetzlichen Beschränkungen der Staatsbürger wegen ihrer Zugehörigkeit zu irgend einer Religion oder Nationalität, die augenblicklich in Kraft sind, hiermit aufgehoben sind.“

In 9 Unterparagraphen des ersten Satzes

wurden die Beschränkungen aufgezählt, die nunmehr aufgehoben wurden sowohl solche, die für das ganze Reich galten, wie

-

auch solche, die nur in gewissen Bezirken oder Orten anwendbar

waren. Der Paragraph 8 legte das Datum fest, an dem die Verordnungen und administrativen Bestimmungen außer Kraft gesetzt wurden, die bisher von den zivilen oder militärischen Behörden erlassen worden waren, soweit diese Rechtsbeschränkungen auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Nationalität eingeführt

wurden.1

-

135

'

Man kann sagen, daß die Juden die Revolution mit noch

größerer Begeisterung und Hingabe begrüßten, als andere Nationen des russischen Reiches. Alle jüdischen Parteien veröffent-

lichten Erklärungen, in denen sie die Aufhebung der Beschränkungen begrüßten. Die jüdischen Abgeordneten in der Duma stellten freudig fest, daß diese Last nun von ihren Schultern genommen sei:“Das Ringen mit dem alten Regime um die Ehre des Volkes und um seine Rechte“..“Die Gewähr für unsern Erfolg und unser Glück

in dem Kampfe um die Freiheit ein neues Leben aufzubauen liegt Es sah in der Zusammenarbeit mit allen Einwohnern

Rußlands.“2

so aus, als ob die große Zeit für die Juden angebrochen sei: von nun an würden sie gleichberechtigte Bürger sein. Das große Hindernis, das es bis dahin den Juden unmöglich gemacht hatte, mit ihrer Umgebung eins zu werden sche Zarenregime

-

-

das reaktionäre antisemiti-

existierte nicht mehr.

Amin, einer der Führer der “Vereinigten“, stellt fest: “Der

Lauf der Geschichte hat gewollt, daß Rußland, das reaktionärste Staatswesen der Welt, nun auf einmal an der Spitze der internationalen Demokratie steht. Die Französische Revolution hat den Grundstein für bürgerliche Gleichberechtigung der Juden ge-

-

legt die große russische Revolution hat die Gleichberechtigung des jüdischen Volkes als Nation

anerkannt.“3

Die “Poale Zion“ erklärten: “Es ist uns vergönnt gewesen den Tag zu erleben, da wir, die Blenden und Unterdrückten, frei

atmen können, Stolz fühlen wir uns als gleichberechtigte Bür-

ger.“‘_ Es war der “Bund“ gewesen, der vom Tage seiner Gründung an

einen schweren Kampf gegen das Zarenregime geführt hatte, als

dieses versuchte, ihm durch Massenverhaftungen und Verfolgungen

beizukommen. Jetzt glaubte der 'Bund', das Fest gelte ihm, und in der ersten Nummer seines Zentralorgans, gleich nach dem Sieg der Revolution, hieß es, ein neues Lebensalter sei für alle

-

und auch für die jüdische Klassen der Bevölkerung angebrochen Arbeiterklasse. “Der Sieg der Revolution und die Macht des Proletariats werden dem jüdischen Volk Freiheit bringen und in dem neuen, freien Rußland wird das jüdische Proletariat alle poli-

U !” ’ £ q ) " l

n l . ! ) I ' M .,— ‚

-

136

°

tischen, bürgerlichen und nationalen Rechte

genießen.“5

Der

“Bund“ war die einzige jüdische Partei, die in der Entwicklung der politischen Ereignisse im Staat eine Rolle spielte, und zwar sowohl in den Zentren der Revolution wie auch sonst im ganzen Lande. Männer wie Henrik Ehrlich, Mark Lieber, Raphael

Abramowitsch, Mosche Rafes und andere, die in Petrograd wirkten, waren im ganzen Lande auch außerhalb des “Bund“ wohl bekannt. Jetzt, zum Unterschied von der vorrevolutionären

-

-

Periode, hatte der “Bund“ enge, organische Beziehungen mit der

menschewistischen Partei: gemeinsame Ortsgruppen, gemeinsames Auftreten bei den Wahlen, gemeinsame Fraktionen in Konferenzen und Körperschaften. Die Führer des “Bund“ gehörten zu den her-

vorragendsten Rednern der russischen Menschewisten. Meistens konnte man kaum feststellen, in wessen Namen sie auftraten. Es bestand eine Art Personalunion und sie sahen sich als Beauftragte beider Parteien.

In späteren Jahren sagte Grigori Aronson von Ehrlich: “In

jenen Jahren lag der Schwerpunkt von Ehrlichs Tätigkeit nicht

in jüdischen- oder Bundangelegenheiten; er befaßte sich mit Das galt nicht nur

allgemeinen Dingen der

Sozialdemokratie.“6

für Ehrlich, sondern für viele der besten und bestbekannten Führer des “Bund“ in jenen Tagen. “Lenu' (Goshanski) war damals der Meinung, man müsse bei den Juden gerade das bürgerliche Verständnis wecken und die allgemein-bürgerliche Tätigkeit verstärken.

Allerdings sagte er, man müsse dabei unter eigenem (jüdischem) Namen auftreten und

die Stellungen festigen, die man errungen habe. Er schrieb: “Jetzt hat die russische Revolution im Kampf um die Freiheit gesiegt. Alle gesetzlichen Beschränkungen sind beseitigt. Wir

rufen alle dazu

auf,in die Regierungsstellen,

in leitende Stel-

len und Gesellschaften einzutreten. Wir müssen überall das Gefühl des gutbürgerlichen Verhaltens wecken. Wir müssen überall in die Verwaltung und die Munizipalitäten eindringen. Erst,

wenn wir als Staatsbürger aktiv sind, können wir den einseitigen wirtschaftlichen Aufbau und die wirtschaftliche Rückständigkeit überwinden. Die Juden müssen die Stellungen befestigen,

die ihnen die Revolution gegeben hat. Gleichzeitig mit der

-137-

Demokratisierung des Staates muß sich die Arbeiterklasse aktiv

am Staatsleben beteiligen, in alle Amter eindringen, eine Vorhut des jüdischen Volkes sein, im Ringen um die Befestigung der

revolutionären

Errungenschaften.“7

In der Presse des “Bund“ kam diese Betonung der allgemein-

politischen Fragen klar zum Ausdruck. Nehmen wir nur die Leitartikel der 50 Nummern des Jahrgangs 1917 des Zentralorgans “Die Arbeiterstimme“, die auf der ersten Seite erschienen. 47

von ihnen waren allgemeinen Problemen der russischen Revolution gewidmet und nur drei jüdischen Dingen, davon einer der 10. Konferenz. Das gleiche gilt für die Wochenschrift des “Bund“ in

russischer Sprache, “Golos Bunda“; auch hier nur wenige Leitartikel über jüdische Dinge, sogar in der Nummer 6-7, die dem 20jährigen Bestehen der Partei gewidmet war. Die Tagesordnung des 8. Kongresses wurde im Juli festgelegt und enthielt 11 Punkte. Nur einer von ihnen hatte der achte

-

-

jüdische Dinge zum Gegenstand. Alle anderen befaßten sich mit

Problemen des Regimes, mit Krieg und Frieden, mit sozialistischer Taktik, Sozialgesetzgebung

usw.8

Das muß uns nicht Wunder nehmen. Es war eine stürmische Zeit. Einerseits setzte man große Hoffnungen auf die Errichtung eines

demokratischen Regimes, auf Freiheit und Selbstbestimmung aller Völker. Anderseits hatte man Befürchtungen um das Los der Revolution in einem kriegführenden Land, dessen Wirtschaft erschüttert war, während konterrevolutionäre Kräfte versuchten, den Lauf der Geschichte umzukehren. Unter diesen Umständen ist es verständlich, daß man vor allem um die Existenz der Revolution besorgt war und sich für ihren Verlauf und

die

Lösung ihrer

Probleme interessierte. Es blieb den Parteimitgliedern nicht verborgen, daß die Führer des “Bund“ sich von der Tätigkeit unter den jüdischen Massen entfernten und sich stattdessen allgemein-revolutionärer Arbeit widmeten. Es gab auch Anzeichen der

Schwäche im Inneren der Partei. “Die große Revolution hat bei uns viele mit Blindheit geschlagen,“ schrieb jemand in der Wochenschrift des “Bund“ in russischer

Sprache.9

Manche Genos-

sen wollten an den großen Ereignissen unmittelbaren Anteil

!l L

-

138

-

nehmen. Jüdische Dinge befriedigten ihren Tätigkeitsdrang nicht,

und viele Genossen traten zu allgemeinen Organisationen über, wo sie ein weiterer Horizont lockte. Zum Schluß warnt der Verfasser: “Es gibt bereits Anzeichen dafür, daß wir unsere Position unter den Juden einbüßen und daß andere unseren Platz einnehmen. Wir müssen zum alten Bund zurückkehren, das jüdische Proletariat organisieren. Genossen! Zurück zum Bund!“ Es ist kein Zufall, daß auch die “Arbeiterstimme' einen Beitrag aus New York brachte, der feststellte, daß der “Bund“ eine

Mission unter Juden hätte. Der Verfasser erinnerte daran, daß der “Bund“ nicht nur soziale Fragen lösen wollte. Sein Sozialis-

mus war umfassend. “Unter den jüdischen Arbeitern und der jüdischen Intelligenz gab es nicht nur irgend eine Neltanschauung, sondern eine jüdisch-sozialistische. Er lehrte sie nicht nur gute Sozialisten, sondern auch stolze Juden zu sein, stärkte dem jüdischen Arbeiter den Rücken in seinem Kampf nicht nur als Sozialist, sondern auch als Jude. Er lehrte ihn, den Kopf hoch

zu tragen nichtnur als Arbeiter, sondern auch als Etwas später schrieb einer der

Jude.“10

Redakteure

der 'Arbeiterstimme“, David Saslaweki, Lieber und Abramowitsch wäre es nur unter Juden

langweilig geworden, langweilig in dem Sinne, daß ihnen ein weiter politischer Horizont fehlte. Der nationale Maßstab war

zu klein und eng. Die besten Köpfe der jüdischen Intelligenz seien in den allgemein-politischen Organisationen zu finden, dort repräsentierten sie nicht nur die jüdische Arbeiterklasse, sondern auch sich

selbst.11

mnr-uwWÜ'DLNH r n rm

Es wäre verfehlt und übereilt hieraus zu folgern, daß der "Brfl'und alle seine Führer die spezifischen Probleme der jüdi-

schen Öffentlichkeit aus den Augen verloren hätten. Eine Partei,

die derart im jüdischen Leben verwurzelt war, konnte sich gerade zur Zeit, als man so große Hoffnung auf die Errichtung der national-kulturellen Autonomie setzte, nicht vor den Problemen der Juden verschließen. Im Parteivorstand und in den Ortsgruppen widmeten sich viele der Tätigkeit unter den jüdischen Arbeitermassen, denn die jüdische albrussische Konferenz stand

vor der Tür; man mußte neue jüdische Gemeinden errichten und sich mit jüdischer Kultur und Erziehung befassen.

1. Der

139

°

üdische all-russische Kon reß

In den Jahren der Reaktion seit 1907 waren die jüdischen Parteien in ihrer Tätigkeit schwer behindert gewesen; manche

waren völlig lahmgelegt. Jetzt erwachten sie, wurden aktiv und

suchten Einfluß im Publikum. Eines der ersten Ziele der jüdischen Parteien war es, eine

all-russische repräsentative Körperschaft zu errichten, die die Forderungen der Juden vor der Friedenskonferenz nach dem Weltkrieg und vor der Nationalversammlung vertreten sollte, die ja die Grundlagen für eine Lösung des Nationalitätenproblems

in Rußland zu legen hätte. Sie würde die Grenzen und Befugnisse ihrer Autonomie festlegen, darunter auch der jüdischen. Um diese

Forderungen zu formulieren und eine repräsentative Körperschaft zu wählen, tauchte der Gedanke auf, einen all-russischen Kongreß der Juden einzuberufen. Von solch einem Kongreß war schon zur Zeit der ersten russischen Revolution im Jahre 1905 die Rede

gewesen.12

Schon damals erkannte man, wie wichtig so eine Zusamenkunft für die Bestimmung des jüdischen Schicksale wäre.

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Jüdische Massen gab es im Jahre 1917 in Petrograd, dem Zentrum der Revolution, nicht, wohl aber eine Reihe von Führern

aller Richtungen. Diese nahmen es auf sich, jüdische Politik zu machen. Es entstand eine Körperschaft, eine Art Repräsentanz

Parteien.13

Es war im Grunde nicht mehr als ein Debattieraller klub. Auf seiner Tagesordnung stand die Frage, wie sich die

Juden im Reich organisieren sollten und, abgesehen von dem Problem der Gemeinden und ihrer Befugnisse, die Einberufung des jüdischen Kongresses.

Am 11. März fand in Moskau eine große Volksversammlung statt, an der wohl 10.000 Menschen teilnahmen. Die Vertreter aller

Parteien hielten ihre Reden, manche Russisch und manche Jiddisch: die Zionisten, der 'Bund', Poale Zion, die Sejmisten (Jüdische Sozialisten) und die Territorialisten-Sozialisten (SS). Im Namen des “Bund“ sprach jiddisch Lurie.

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-

140

-

Auch die jüdisch-sozialistischen Parteien erkannten die Notwendigkeit dieses Kongresses und in einer Konferenz, die wenige Wochen nach der Februar-Revolution stattfand, faßten sie

eine Resolution in diesem Sinne. Auf seiner 10. Konferenz, die Anfang April zusammentrat, erklärte der “Bund“ seine Bereitschaft, an dem jüdischen Kongreß teilzunehmen, um dort das

Problem der national-kulturellen Autonomie zu erörtern, gleichzeitig aber auch zu verhindern, daß sogenannte all-jüdische 14 oder politische Themen anderer Art auf die Tagesordnung kämen. Trotz dieser zurückhaltenden Stellungnahme der Partei beteiligten sich die Funktionäre äußerst aktiv an den Vorbereitungen zum Kongreß und an seiner Organisation. Die jüdischen Parteien waren sich darin einig, daß man einen Kongreß einberufen müsse, daß dieser die Organisationsform der

jüdischen nationalen Autonomie und ihren Rahmen festlegen

solle

sowie die der Nationalversammlung vorzulegenden Forderungen.

Als man aber daran ging, die Tagesordnung festzusetzen, ergaben sich sofort Meinungsverschiedenheiten. Mit Ausnahme des “Bund“ wollten alle Parteien auch das Problem der jüdischen nationalen Minderheiten außerhalb Rußlands und deren Rechte erörtern. Die Zionisten wollten einenParagraphen über die Rechte des jüdischen Volkes auf Palästina auf die Tagesordnung setzen. Diese zwei Punkte erregten im “Bund“ heftigen Widerstand. Das Zentralbüro hielt eine Plenarsitzung ab (B.—16./21.-29.

April), in der von einer Zusammenkunft aller jüdischen Parteien

und Organisationen berichtet wurde. Danach beschloß man, daß der 'Bund' sich an dem Kongreß nicht beteiligen würde, wenn die Tagesordnung einen Paragraphen über die Bürgerrechte der Juden

außerhalb Rußlands enthielte. Die Vertreter der Partei waren bereit, sich weiterhin an den Arbeiten des vorbereitenden Komitees zu beteiligen, aber nur, wenn dieses sich nur mit Der “Bund“ wurde beschuldigt, technischen Fragen

befaßte.15

daß ihn das Schicksal der verfolgten Juden in Rumänien nicht interessiere. D.Saslawski antwortete den Kritikern und erklärte die Einstellung seiner Partei, die den weltweiten Charakter des

jüdischen Volkes negierte. Er fand, der Weg der Arbeiterklasse sei nicht all-jüdisch, sondern der des Klassenkampfes, der

-

141

-

internationalen Einheit der Arbeiterklasse und der Demokratisierung des Staates. Das Problem der jüdischen Gleichberechti-

gung in Rumänien würde seine Lösung finden, wenn dort ein demokratisches Regime zur Herrschaft gelangte, gleichzeitig mit einer Stärkung der sozialistischen Bewegung. In der Psychologie, die sich in einer all-jüdischen Politik ausdrückte, sah

Saslawski eine Gefahr für die Arbeiterklasse. Das jüdische

Proletariat würde die Frage der Benachteiligung der Juden und ihrer Rechte auf einer internationalen Sozialisten-Konferenz zur Sprache bringen passende Ort

-

eine jüdische Konferenz sei nicht der

dafür.16

Es ist aber unzutreffend, daß der 'Bund' Judenverfolgungen

in Rumänien gegenüber gleichgültig gewesen wäre. Seine großen Ortsgruppen in Odessa und Kiew beriefen Protestversammlungen

. ‚ o e af g .

ein, in denen scharfe Resolutionen gegen die rumänische Regie-

spe

rung angenomen wurden,- gleichzeitig betonte man, daß nur eine Änderung des sozialpolitischen Regimes eine Änderung in der Be-

handlung der Juden nach sich ziehen könnte. Es wurde auch be-

schlossen, sich an die rumänischen Sozialdemokraten und die

rumänische Arbeiterklasse zu wenden und ihnen Erfolg in ihrem Kampf gegen die Unterdrückung der Juden zu wünschen. Auch das

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russische Proletariat wurde aufgefordert, seine Stimme zum

-

zu

erheben.17

-

und besonders der

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Schutz der unterdrückten Massen Rumäniens

Juden

Abramowitsch protestierte gegen die Behauptung, daß dem “Bund“ die Leiden der Juden im Ausland gleichgültig seien. Er

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in

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Judenhetze

Rumänien protestiert habe; man hatte sich auch wegen der Lage der Juden in Finnland an die finnische SD gewandt.18 Die süd-

"l.\

wies darauf hin, daß man nicht nur gegen die

russische 'Bund'-Konferenz Anfang August 1917 beschloß, die

Delegation des 'Bund' und der RSDRP zur Stockholmer Konferenz

Nach

Ansicht

des “Bund“ war es zwecklos, die Frage der jüdi-

schen Gleichberechtigung vor irgend ein Forum außerhalb der

|.“

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bringen.19

'

zu verpflichten, die Frage der politischen und nationalen Rechte der Juden in mehreren Ländern zur Sprache zu

l.

-

Arbeiterklasse oder der sozialistischen Parteien zu bringen sei es ein innerrussisches oder internationales oder sogar die

-

142

-

Friedenskonferenz selbst. Das sei eine Frage der Kräfteverhältnisse in dem Kampf, der innerhalb jedes Landes vor sich ging. Einen gewissen Einfluß könnten die Juden auf die Friedens-

konferenz ausüben, aber nur durch die Delegationen ihrer Wirtsländer. Zu diesem Zweck müsse man diese Regierungen dazu bringen, auf einer Gleichberechtigungsklausel für die Juden in

allen Ländern zu bestehen. Im neuen Rußland lägen die Dinge anders. Hier müsse man in der Nationalversammlung operieren. Aber auch in dieser Nationalversammlung würden die Juden nicht als geschlossene jüdische Delegation auftreten. Der “Bund“ wür-

de mit der russischen SD zusammengehen und mit ihnen zusammen dafür wirken, daß die Frage der Gleichberechtigung in allen Ländern auf der Friedenskonferenz nicht vergessen werde. Jede jüdische Partei für sich solle ihr Bestes tun, “aber Zusammenarbeit ist nicht angebracht, und es ist überflüssig, diesen Punkt auf die Tagesordnung eines jüdischen Kongresses zu setzen. Das wäre nur eine Demonstration von Chauvinismus und dazu geben

wir uns nicht

her."20

Das Problem des jüdischen Volkes als Weltphänomen beschäftigte die Funktionäre des 'Bund' nicht nur im Zusammenhang mit dem jüdischen Kongreß. Im Laufe seiner Geschichte erfuhr seine

Einstellung zur nationalen Frage verschiedene Handlungen, aber lange hielt er an seiner ablehnenden Haltung zu dem Gedanken

fest, daß das jüdische Volk ein Weltvolk sei. Auch als der Erste Weltkrieg Rußland zerstückelte und die Parteimitglieder

sich über verschiedene Länder zerstreuten, gab man die theoretische Auffassung nicht auf, nach der die Juden in den Ländern der Diaspora Gruppen seien, deren wirtschaftliche, soziale und politische Probleme einander nicht glichen. Im Gegenteil: sie

seien grundverschieden, da jedes Land sich auf seine Weise entwickle und mit seinen Realitäten zu kämpfen habe. Die sozialen

und politischen Interessen hätten ihren Ursprung in der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung verschiedener Gruppierungen in der Gesellschaft und im Staate, und dieser habe eben seine physischen Grenzen.

Es gebe keinen einheitlichen Organis-

mus mit einer einheitlichen Politik, sondern mehrere mit verschiedenen sozialen und politischen Zielen und Aufgaben. Nun

-

143

-

war aber eine neue Situation entstanden und der “Bund“ konnte der Frage nicht ausweichen, ob es denn jetzt ein besonderes jüdisches Volk in Polen und in Litauen gebe und ein anderes in

Rußland. Diese Frage beschäftigte den “Bund“ auf seiner Beratung in Charkow im Mai 1916. Auf der 10. Konferenz im April 1917 er-

schien ein Antrag, eine Zusammenkunft der jüdischen sozialdemo— kratischen Organisationen in Osteuropa und Amerika abzuhalten, um die Probleme, die neuerdings aufgetaucht seien, gemeinsam zu

behandeln und Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu

untersuchen.21

Zuerst zog Saslawski die Einheit der jüdischen Nation ins Lächer-

liche22

und wies nach, daß sich die Juden nach Marx parallel mit dem Zersplitterungsprozeß des Kapitalismus zersplittert hatten

und daß die jüdischen Gruppen in allen Weltteilen nichts Gemeinsames miteinander hätten; zum Schluß war er dann dafür, einen Neltkongreß jüdischer Arbeiter und Demokraten aus Rußland, Polen,

Galizien und Amerika einzuberufen, um innere Angelegenheiten

diskutieren.23

Noch der jüdischen Existenz in diesen Ländern zu weiter ging der Kiewer Korrespondent der “Volkszeitung“. In der

Diskussion über die Tagesordnung des jüdischen Kongresses sagte er: “Wir leugnen keineswegs die Tatsache, daß die Juden in Amerika, in Rußland und überall sonst, Juden sind, ein Volk, eine

nationale Einheit“ (im Original betont). Er war gegen die pglitigghg Einheit. Seiner Meinung nach bildete das jüdische Volk in

den verschiedenen Ländern keine politische

Gruppierung. Das

politische Leben der Juden, ihre Bestrebungen, ihre Arbeit und ihre Kämpfe spielten sich innerhalb der Landesgrenzen ab. Eine interstaatliche jüdische Politik als Realität wäre

Unsinn.24

Um die ultimative Forderung des 'Bund', den Punkt über die

Rechte der Juden in anderen Ländern, einschließlich der zionistischen Forderung,die Palästinafrage zu behandeln, entspann sich eine endlose Diskussion, so daß man beinahe die Hauptsache: die

Einberufung des Kongresses, vergessen hatte. Um ihn zu retten, wurde vorgeschlagen, eine Konferenz abzuhalten, die die Tagesordnung des Kongresses bestimmen sollte. Am 16. (31.) Juli wurde die Konferenz in Anwesenheit von et-

eröffnet.25

Es begann die Diskussion über 4 wa 60 Delegierten Punkte, die auf der Tagesordnung des jüdischen Kongresses stehen

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-

144

-

sollten: (1) Ausarbeitung der Prinzipien für die nationale

Selbstbestimmung der Juden Rußlands; (2) Festlegung des

Charakters der Garantien für die Rechte der jüdischen nationalen Minderheit; (3) Festlegung der Art und des Charakters der Änderungen in dem Aufbau der Gemeinden; (4) Garantien für die

Rechte der Juden in anderen Ländern. In der Diskussion über die 3 ersten Punkte sprach Rafes gegen die weitgehende Aus-

dehnung der Selbstverwaltung auf das Gebiet der Zuständigkeit für Sozialunterstützung und Gesundheit. Der “Bund“ war gegen

solche Tendenzen und wollte die Organisation der jüdischen Auto-

beschränken.26

nomie auf kulturelle Dinge Abramowitsch betonte immer wieder, der “Bund“ würde sich an keinem Kongreß beteiligen,

der einer nationalistischen Politik zum Werkzeug dienen könnte. Ein anderer Vertreter des 'Bund', Lipetz, war aber entgegenkommender und sagte, der “Bund“ stelle keine ultimativen

Forderungen.27

Um den vierten Punkt erhob sich ein heftiger Streit. Die

Zionisten wollten aus der Palästina-Frage einen besonderen Programmpunkt machen; angesichts des energischen Widerstands der

nicht-zionistischen Parteien waren sie gezwungen, darauf zu verzichten, forderten aber, daß Palästina auf der Tagesordnung den ersten Platz unter den Ländern einnehmen solle. Auch diese For-

derung ging nicht durch, und zum Schluß lautete der Text folgendermaßen: “Die Frage der Garantien für die bürgerlichen und

nationalen Rechte der Juden in dem neuerdings selbständigen Polen, in Palästina und in Rumänien wird auf der Tagesordnung des Kongresses stehen.“

Rafes erschien der Beschluß in seiner endgültigen Form als das kleinere übel: man konnte zum Aufbau der jüdischen Existenz

schreiten.28

U L! I M H V Ü ‘ F N “

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Abramowitsch glaubte sich rechtfertigen zu müssen,

weil er auf seine Forderung verzichtet hatte, sich nicht mit den

Problemen der Juden außerhalb Rußlands zu befassen. Er stellte fest, daß der “Bund“ unter Protest zugestimmt habe; da aber der Kongreß einen ersten praktischen Schritt zur Verwirklichung einer

national-kulturellen Autonomie der Juden in Rußland darstelle, wäre es unklug gewesen, die Konferenz wegen Punkt 4 zu verlassen, “in dem nur in allgemeiner Form (im Original unterstrichen) da-

von die Rede ist‚die Juden in ihren Rechten in den Ländern zu unterstützen, wo sie keine

haben.“29

-145-

Es wurde ein Büro von 3 Mitgliedern gewählt: ein Zionist, ein Bundist und ein Folkist. Das Hindernis des vierten Punktes

war aus dem Wege geräumt, aber bei den Vorbereitungen zum Kongreß erhob sich ein weiterer Streit um die Frage “Wer ist Jude?“ Der Regulierungsausschuß, der aus Vertretern aller Parteien bestand, wollte das aktive und passive Wahlrecht allen Juden über 20 ohne Unterschied des Geschlechts erteilen. Darauf erhob sich die Frage, wer nun zum jüdischen Volk gehöre. Die Orthodoxen behaupteten, die Zugehörigkeit sei nach der Religion zu bestimmen. Hiernach würden Proselyten das Wahlrecht

haben, nicht aber getaufte Juden. Der “Bund“ und auch die PZ

widersetzten sich diesem religiösen Kriterium und wollten das Wahlrecht jedem zubilligen, der sich als Jude erkläre, auch

den getauften. Sie brachten vor, daß manche Juden sich wegen ihrer Karriere hätten taufen lassen; das sei vielleicht moralisch tadelnswert, aber doch kein Grund, ihnen das Wahlrecht

abzusprechen.30

Wieder mußte man zwischen den Streitenden ver—

mitteln, bis man endlich eine Formel fand, die alle Einwände und Erklärungen beiseite ließ: “Das aktive und passive WahlMännern und Frauen zu, die am Wahltag ihr 20. Lebensjahr voll-

haben.“31

l fl.

I‘l"

endet

.!

recht zum all-russischen Kongreß der Juden steht allen Juden,

Auch nach Wegräumung aller Hindernisse und Meinungsverschiedenheiten, die die Vorbereitungen zum Kongreß begleitet hatten, war allen klar, daß es auf dem Kongreß selbst ein schweres Ringen geben würde. Nach der Schätzung des “Bund“ würden die bürgerlichen Parteien im Kongreß die Mehrheit haben: darum teilte er von vornherein mit, daß die Beschlüsse, insoweit sie seinem Programm und den Interessen des Proletariats, die er repräsen-

tierte, entgegengesetzt sein würden, für den “Bund“ nicht bin—

der all-russischen Demokratie wollten die Bundisten Forderungen und Beschlüsse bekämpfen, die ihrer Meinung nach den Interessen

des Proletariats nicht

entsprächen.32

O. —

slnm

dend sein könnten. Einige Genossen drohten auch, den Kongreß zu verlassen, aber sie blieben in der Minderheit. Zusammen mit

-

146

-

Im Oktober 1917 resümierte der Vorstand des Zentralkomitees nach langen Besprechungen und Diskussionen seine Stellungnahme

zum jüdischen Kongreß. Er betonte dessen politische Bedeutung,

denn es sei das erste Mal, “daß die Juden Rußlands ihren Willen zu nationaler Selbstverwaltung öffentlich, klar und deutlich Ausdruck geben.“

Auf dem Kongreß würde es Kämpfe um die 4 Punkte der Tagesordnung geben, die die vorbereitende Konferenz vorgeschlagen habe. Die Delegation des “Bund“ würde die drei ersten Punkte als Garantie für die Gleichberechtigung der jiddischen Sprache und der national-kulturellen Autonomie auslegen. Gleichzeitig

-

würde man dafür sorgen, daß der vierte Punkt die Rechte der Juden im Ausland nicht “zu einer Demonstration für Territo-

-

rialismus und Zionismus, oder für eine weltumfassende Organisation, mit jüdischer Weltpolitik und Diplomatie“

ausgenutzt

werde. Schließlich wurden die Ortsgruppen der Partei zu aktiver Beteiligung an den Kongreßwahlen aufgerufen. Sie sollten ihre eigene Liste aufstellen, ohne Partnerschaft.mit anderen Partei-

en.33

In einem Aufruf “An Genossen und Bürger“ heißt es, der

jüdische Kongreß werde bestimmen, wer im Leben der Juden Herr

im Hause sein solle und wer etwas in Gemeindeangelegenheiten zu sagen haben sollte. Der Kongreß werde sich mit der Kinder-

erziehung und ihrem Niveau, mit Bildung und mit der Sprache zu

befassen haben. Auf dem Kongreß werde man von der Fürsorge für Kranke, Alte und jüdische Weisen sprechen. Der Kongreß müsse laut und deutlich erklären: die Juden sind eine Nation; nur sie haben das Recht, national-jüdische Angelegenheiten zu be— handeln. Die Juden müssen erhalten, was man 'nationale Autono-

mie'

nennt.34

Dem “Bund“ war nicht klar, ob sich die nationale Autonomie

auf Kulturangelegenheiten beschränken sollte, während Sozialunterstützung und Gesundheitsangelegenheiten

-

über die es den staat-

innerhalb des “Bund“ Meinungsverschiedenheiten gab

-

lichen oder Munizipalbehörden überlassen bleiben sollten,oder

ob diese Dinge dem Bereich der jüdischen nationalen Autonomie angehörten.

-147-

Inzwischen kam die Oktoberrevolution und warf den Zeitplan über den Haufen, ja der Kongreß selbst war in Frage gestellt.

Die Wahlen wurden zeitweilig bis Ende Januar verschoben und der Kongreß selbst bis zum 17. Februar 1918. Man hoffte, daß die Umstände eine Massenbeteiligung an den Wahlen ermöglichen würden. Man nahm mit Recht an, daß eine Massenbeteiligung von

mehreren hunderttausend Juden, Männen1und Frauen, die in voller Erkenntnis der Dinge ihre Abgeordneten zum Kongreß schicken würden, um ihren nationalen Forderungen Ausdruck zu verleihen, in der Welt draußen und innerhalb des Judentums großen Eindruck

machen

würde.35

Die Umstände waren einer Massenbeteiligung nicht günstig;

schätzungsweise gingen nur 120.000 zu den Wahlen.

Abramowitsch

findet, daß nur ein verhältnismäßig niedriger Prozentsatz der

jüdischen Wähler für den “Bund“ und die übrigen jüdisch-sozia-

listischen Parteien stimmte. Die große Mehrheit der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Bevölkerung folgte den nationalen und religiösen Parteien, besonders was innerjüdische Angelegenheiten betraf. Das wurde deutlich,als die Juden ihre Selbstver-

wdtungsorgane in der Form demokratischer Gemeinden errichteten

-

einer Art und als der Plan eines all-jüdischen Kongresses Parlament der gesamten jüdischen Bevölkerung Rußlands, das ihr



aufs Tapet national-kulturelles Leben organisieren sollte Es wäre verfehlt, den Grund für die geringe Wahlbeteili-

kam.37

gung in politischer Gleichgültigkeit des Publikums zu suchen. Erst Wochen zuvor hatte sich ein verhältnismäßig hoher Prozentsatz der Juden an den Munizipalwahlen und an denen zu:National-

versammlung beteiligt. Der Grund liegt vielmehr in einem Gefühl der Unsicherheit über die Zweckmäßigkeit des Kongresses über—

haupt, jetzt, da alles ins Wanken kam, nachdem man die Nationalversammlung auseinandergejagt hatte. In den Wahlen siegten die Zionisten, die 2/3 der Stimmen erhielten. Jüdisch—sozialistische Arbeiterparteien bekamen 22 l

und die Orthodoxen 12

\.38

Nach einer anderen

Quelle

bekam der

“Bund“ 18.000 Stimmen, die Poale Zion 12.000 und die “Vereinigten“ demnach hätte der “Bund“ die Hälfte aller Stimmen erhalten, die für jüdische Arbeiterparteien abgegeben wurden.

7000139

. - P .' L H < ‚ ‘ I

. v .! ’

-

148

-

Eine der Ursachen des Sieges der Zionisten war die Balfour-

Deklaration: die Nachricht verbreitete sich in Rußland gerade zur Zeit der Wahlen und stärkte die Position der Zionisten. Gleichzeitig erschien das Programm der britischen Labour-Partei und gab der Hoffnung Ausdruck, in Palästina würde ein jüdischer Staat unter internationaler Kontrolle errichtet werden. Kein

Wunder, daß Kantorowitsch sich darüber

ärgerte.40

Er schrieb,

daß ein solcher Beschluß über Palästina, wo Araber wohnten, nur lächerlich“ zu nennen sei. Seiner Meinung nach wäre die

britische Arbeiterbewegung nicht imstande, sich der Fesseln der bürgerlichen Ideologie zu entledigen. Er nannte sie opportuni-

stisch, unfähig, den Marxismus und den wahren Sozialismus in ihrer Tiefe zu erfassen. Der Kongreß trat gar nicht zusamen, denn die Regierung

hatte ihn verboten. Am 6. Januar 1918 fand in Petrograd eine Versammlung jüdischer Bolschewisten und linker SR statt, an der der Kommissar für jüdische Angelegenheiten, Dimanstein, teil-

nahm. Nach Ansicht der Teilnehmer konnte der Kongreß jetzt nach der bolschewistischen Revolution

-

-

die Kräfteverhältnisse

und die im Judentum vorherrschenden Meinungen gar nicht zum

Ausdruck bringen, denn er würde die Interessen des Groß- und Kleinbürgertums vertreten, während man die Stimme des jüdischen Proletariats gar nicht hören würde. Dieser Kongreß könnte nur

der Gegenrevolution dienen; an seiner statt sollte man eine Konferenz von Vertretern der jüdischen arbeitenden Schichten

einberufen.“ 2. Jüdische Gemeinde und Sabbatruhe Im Jahre 1844 hatte das Zarenregime die jüdischen Gemeinden

im Russischen Reiche aufgelöst, aber de facto funktionierten

sie weiter. Formell wurde die Verantwortung für die jüdischen

Gemeinden auf die Polizei und die lokalen Verwaltungsorgane übertragen, aber Su;nmedriung und Aushebung des Militärkontingents blieben Sache der Gemeinden. Für Erziehungs-,

soziale

und Religionsangelegenheiten sorgten privatrechtliche Körper-

schaften und nicht von der Regierung ernannte Rabbiner. Im

-

149

-

Laufe des Ersten Weltkrieges hatten diese Körperschaften ihr Tätigkeitsfeld erweitert. Auf diese Weise wurden alle Gemeinde-

und öffentlichen Angelegenheiten nach dem Willen von 20 oder 30 Reichen entschieden, zumeist solchen, die sich völlig vom Judentum entfernt hatten und einigen, die zwar recht aktiv waren, deren Geburt und Erziehung aber in die Zeit der “Haskala“

(Aufklärung) fiel, als Assimilation Trumpf

war.42

Jetzt gab es Bestrebungen zur Demokratisierung der Gemeindestruktur. Man wollte sie von Elementen befreien, die wie Nota-

beln nach veralteten philantropischen Rezepten operierten. Des-

halb waren die Parteien zu dem Einverständnis gelangt, daß die Ubergangsformen der jüdischen Gemeindeorganisation in Rußland

sollten.43

In auf dem all-russischen Kongreß festgelegt werden der Öffentlichkeit begann eine Diskussion über den Charakter

und die Befugnisse der jüdischen Gemeinde in ihrer neuen Form: in Versammlungen, Zusammenkünften, Konferenzen und in der Presse aller sozialen und politischen Richtungen im Judentum. Die Stellungnahme des “Bund“ kristallisierte sich erst all-

mählich im Laufe vieler Jahre heraus. Dabei gab es Meinungsver-

schiedenheiten sowohl über die Struktur der Gemeinden, wie auch über ihre Aufgaben. Jahrelang stritt man sich um zwei Grundauffassungen. Die einen behaupteten, der einfache jüdische Arbeitsmann könne gar nicht davon träumen, daß er je zu Einfluß in der

Gemeinde gelangen könne, in der ja bekanntlich die Reichen und das religiöse “establishment' herrschten. Deshalb sei die Ge-

meinde zu negieren. Das Argument der anderen besagte, daß ja der “Bund“ nach national-jüdischer Autonomie strebe. Trotz ihres vorwiegend religiösen Charakters müsse man sich deshalb zu den

Gemeinden positiv verhalten, sich an ihnen aktiv beteiligen und in ihrem Rahmen für die erwünschte Autonomie kämpfen. Meden war sogar dafür, die Juden zur Mitgliedschaft in der Gemeinde zu verpflichten. Er meinte, die Zugehörigkeit eines Einwohners zu seiner Stadt oder zu seinem Bezirk sei selbstverständlich; jeder

sei an einen gewissen Platz gebunden. Man müsse sich daran gewöhnen, daß jedermann auch von Staats wegen zu einer gewissen Nationalität gehöre. Medem forderte, auch Angehörige anderer

-150-

Religionen als zur Gemeinde gehörig zu betrachten, wenn sie

ihre Zugehörigkeit zum jüdischen Volk

erklärten.“

Unter den sozialen und politischen Bedingungen nach der Februar-Revolution tauchte in der russischen Judenheit das

Problem, wie man sich umorganisieren sollte, wie die Gemeinden

wieder aufzubauen seien, was ihr Charakter und ihre Befugnisse sein sollten, als praktische Frage auf. In Städten und Städtchen entstanden Komitees zur Erneuerung der Gemeinden auf Grund Das war eine aktuelle Frage, und als

demokratischer

Wahlen.45

zweitstärkste Partei im jüdischen Publikum war der “Bund“ gezwungen, sofort Stellung zu beziehen. Bekanntlich sollte seiner

Ansicht nach alle Bildungs- und Kulturtätigkeit unter Juden ihren national—kulturellen Instanzen übertragen werden. Die Religion, als Privatsache, fiel in den Bereich privatrechtlicher Körperschaften. Nach Ansicht des “Bund“ waren die Dinge

jetzt reif zur Einführung der national-kulturellen

Autonomie.‘6

Er glaubte, die Nationalversammlung werde in diesem Sinne be-

schließen, sobald sie zusammenträte. Demnach erschienen ihm die Gemeinden als zeitweilige Einrichtungen, Erbstücke der Vergangenheit. Trotzdem dürfe man sich nicht absondern und müsse an ihren Wahlen teilnehmen. In der Forderung nach Verweltlichung

der Gemeinden waren sich nicht nur der “Bund“ und die jüdischen Arbeiterparteien einig. Sie wurde auch auf der 7. Zionisten-

Konferenz laut. Im Wahlprogramm des “Bund“ sind die Grundlagen des Aufbaus der neuen Gemeinden klar hervorgehoben. Sie besagen: (1) die

jüdische Gemeinde muß weltlich sein. Die Juden sind eine Nation, ein Volk. Nicht der Glaube erhält das Volk, sondern seine

nationale Existenz. Zur jüdischen Gemeinde gehört jeder, der sich für einen Juden hält. Niemand soll nach seinem Glauben

gefragt werden oder danach, ob er die religiösen Vorschriften einhält. Die Gemeinde soll national und nicht religiös sein. (2) Die Juden brauchen Sozialhilfe, aber keine Wohltätigkeit.

“Wohltätigkeitsinstitutionen sollen Munizipalbehörden übergeben

werden...es ist nicht notwendig sie sofort zu Institutionen der Allgemeinheit zu machen. Die jüdischen Belegschaften können

-

151

-

weiterhin beschäftigt werden. Aber ihre Vorgesetzten sind von

nun ab die Stadtverwaltungen. Sozialhilfe gehört zum Bereich der lokalen Behörden.“ (3) Die Juden brauchen Wirtschaftshilfe, aber die Spar- und Leihkassen, Kooperativen, Arbeitsämter, Arbeitslosenunterstützung usw. sind Sache des Staates und der

Stadtverwaltung. Dasselbe gilt auch für die Regelung der Auswanderung.

(4) Wenn die Gemeinde sich nicht mit all den oben

erwähnten Dingen abgibt, “wird sie den breiten jüdischen Massen wirklich dienen und für ihre wahren nationalen Interessen sorgen können. Sie wird sich mit Bildung und Kultur befassen, denn diese haben die Massen so nötig wie das liebe Brot.“ Sie wird für weltliche Schulen und für technische- und Berufsausbildung

sorgen, für Abendkurse, für gute und preiswerte Bücher, Biblio-

theken, Verlagshäuser, Museen und Theater, auch für die jüdische Wissenschaft und Literatur, für Sprache, Kultur und Kunst. All das soll der Staat finanzieren. Die Gemeinde soll ihren Mitgliedern progressive Steuern auferlegen können und ihre Be-

schlüsse sollen für ihre Mitglieder bindend

sein.47

Diejenigen Bundfunktionäre, die dazu neigten. die Zuständigkeit der Gemeinden auf Gebiete außerhalb des Komplexes von Bil-

dung, Erziehung und Kultur auszudehnen, näherten sich damit den “Vereinigten“, die eine lange Liste von Aufgaben zusammenstellten, welche die Gemeinden erfüllen sollten: es wäre ihre Sache, alle sozialen Bedürfnisse zu befriedigen, geistige und materielle, kulturelle wie Auch die PZ be-

sozial-wirtschaftliche.48

trachteten die Gemeinde als wesentliche Kleinzelle der persön-

lich-nationalen Autonomie und, abgesehen von Kultur- und Bildungsangelegenheiten, forderten sie auch Sozialhilfe da, wo es “infolge der besonderen Wirtschaftsbedingungen der Juden notwendig erscheint“. Die Gemeinden sollten sich auch mit Auswanderungen und der Einwanderung nach Palästina befassen

-

das

war der Punkt, in dem die Poale Zion sich von anderen unter-

schied.‘9

Trotz der Meinungsverschiedenheiten innerhalb des “Bund“ blieb die offizielle Stellungnahme der Partei in Gemeindeange-

legenheiten

- nämlich ausschließlich Kultur und Bildung - an-

scheinend unverändert. Tatsächlich gab es aber weitgehende

-

152

-

Kompromisse, wenn es die Umstände nach Ansicht des Parteivorstands erforderten. Das galt sogar für den religiösen Charakter der Gemeinde. In den Beschlüssen der 'Bund'-Konferenz in

Weißrußland (Mai 1917) heißt es: “Wenn der Kampf gegen den religiösen Charakter der Gemeinden nicht von Erfolg gekrönt ist, muß man wenigstens erreichen, daß Religionsangelegenheiten einem besonderen Ausschuß übertragen werden und, wenn die Insti-

tutionen der Sozialhilfe, trotz aller Bemühungen der Partei,

in den Händen der Gemeinden belassen werden, dann muß man wenigstens ihre Demokratisierung erreichen, so daß sie wirklich nur

die wahren Bedürfnisse der breiten Massen

befriedigen.“so

Dieser

Kampf des “Bund“ um den Inhalt der neu zu organisierenden Ge-

meinden wurde nicht nur in der Presse und sonstigen gedruckten Meinungsäußerungen geführt: es gab auch öffentliche Versammlun-

gen und Beratungen im städtischen und Bezirksbereich. Gar nicht

selten kam es dabei zu heftigem Streit und zu ernsten Zusammen-

stößen. besonders mit den Zionisten. Die jüdischen bürgerlichen Parteien nutzten die Synagogen und Lehrhäuser zu Propagandareden und politischen Predigten

aus. Diese Gelegenheiten waren dem “Bund“ verschlossen, da er der Ketzerei beschuldigt wurde; man sagte, er wolle die Religion abschaffen. In verschiedenen Ortsgruppen versuchte er,

bei Versammlungen in der Synagoge aufzutreten. Man ließ das aber nicht zu, und es kam zu Zusammenstößen und Unruhen, die

ihr Echo auch im Zentralorgan der Partei

fanden.51

Der heftige inner-jüdische Disput um den Charakter der Ge-

meinden und ihre Befugnisse begleitete auch die Wahlkampagne zum jüdischen Kongreß und zur Nationalversammlung Ende 1917,in der Ukraine etwas später. Der “Bund“ begann eine energische

Aufklärungskampagne im jüdischen Publikum; vor allem wollte er den weltlichen, fortschrittlichen Charakter der Gemeinden garantiert sehen. Auch die Menschewisten veröffentlichten hier und da Flugschriften, die die jüdische Bevölkerung aufforderten,

für den “Bund“ zu

stimmen.52

Auch über diese Wahlen in die Gemeindeverwaltungen besitzen wir kein offizielles Zahlenmaterial für alle Bezirke und Städte

-

153

-

Rußlands. Aber aus Daten, die wir in der jüdischen Presse finden konnten, und offiziellen Ziffern in einer Anzahl von Gouvernements lassen sich doch Folgerungen über die Kräftever-

hältnisse im jüdischen Publikum ziehen. Die Wahlbeteiligung war schwach. Unserer Ansicht nach waren die verwirrte politische Situation und die Unsicherheit um die Zukunft nach dem

bolschewistischen Umsturz schuld daran. Aus Weißrußland haben wir nicht viele Daten, aber aus der

Ukraine. Ihre Stimme haben dort 272.694 Personen abgegeben, bestätigt wurden

250.207.53

Wahleroebnisse in der Partei

Ukraine54

Stimmenanzahl

(in 190 Gemeinden)

Prozentsatz

Zionisten

81.722

Bund

36.541

14,6

Orthodoxe

25.098

10,0

Vereinigte

32,7

18.004

7,2

Poale Zion

15.092

6,0

Folkisten

5.767

2,3

Zeire Zion

5.261

2,1

Gemeinsame und lokale Listen Insgesamt

62.722

25,1

250.207

100,0

In manchen Orten kandidierte der “Bund“ in gemeinsamen

Listen mit anderen jüdischen sozialistischen Parteien. Man

schätzt, daß zusammen mit der Stimmenanzahl, die diese gemeinsama1Listen erhielten, der “Bund“ 36.000 Stimmen bekam, d.h. 17,2 %; die “Vereinigten“ 17.800, d.h. 8,1 t, und PZ 15.800,

d.h. 7,5 % aller

Stimmen.55

Vom 11.-13. August 1918 wählten die neukonstituierten Gemein-

den auf Grund des Proporzwahlrechts die Provisorische Nationalversanmlung der Juden; der “Bund“ erhielt 18,4 % der Sitze. Das gibt ein richtigeres Bild von den Kräfteverhältnissen inner-

halb des jüdischen Publikums als die Wahlen zum jüdischen

-

154

-

Kongreß: diese fanden zu einer Zeit statt, als man bereits be-

zweifelte, ob er je zusansentreten würde. Damals war der

“'Bund'

ebenso stark wie die anderen Arbeiterparteien zusammen. In den Wahlkampagnen zu den

Gemeindewahlen

pflegten die

Gegner des “Bund“ besonders von seiner Einstellung zur Sabbatruhe zu sprechen. In Versammlungen, in den Schulen und auf der

Straße konnte man hören, der “Bund“ wolle den jüdischen Glauben zerstören, die jüdischen Massen zu Renegaten machen: er wolle 56 alle jüdischen Bräuche abschaffen, darunter auch die Sabbatruhe.

Alle Erklärungen, daß seine Forderung nach Verweltlichung der

Gemeinden niemandem den Glauben nehme, halfen nichts. Die Frage der Sabbatruhe hatte aber nicht nur mit der Religion zu tun: auch Freidenker hielten sie für einen historischen alten Volksbrauch. Das hatte der “Bund“ schon früher zu spüren

bekommen.57

Der “Bund“ näherte sich der Ansicht, daß die Entwicklung der

Wirtschaft einen einheitlichen Ruhetag für alle Arbeitenden notwendig mache. Das Plenum des Zentralkomitees beschloß zwar, daß die lokale Gesetzgebung in dem Nationalitätenstaat Rußland

Gewissensfreiheit in bezug auf den Ruhetag garantieren müsse, was besonders für die Sabbatruhe des

jüdischen

Proletariats zu-

treffe; in der Fortsetzung der Resolution heißt es aber, daß die wirtschaftliche Entwicklung objektiv zur Einführung eines

einheitlichen Ruhetags führe, denn die Sabbatruhe erschwere die Eingliederung des jüdischen Proletariats in das Wirtschaftsleben des Landes und würde seine Stellung als Klasse schwächen. Auf Grund der Entscheidungen der 8. Konferenz beschloß das Zentralkomitee, “innerhalb des jüdischen Proletariats einen energischen Kampf gegen die Sabbatruhe zu führen und zwar überall da, wo ihre Beachtung die Beteiligung jüdischer Arbeiter

erschwert.“58

Praktisch an Produktion und Austausch von Gütern gesprochen hieß dies, daß das Zentralbüro zwar vom Sabbat als Ruhetag gesprochen und auch das Recht gefordert hatte, ihn zu daß es aber in Wirklichkeit damit anders aussah. halten

-

Diese Resolution und besonders die Worte “energischer Kampf“

gegen die Sabbatruhe führten zu heftigem Streit in der Partei, der auch in der “Arbeiterstimme“ zum Ausdruck kam.

-

155

-

Auch einige Führer des “Bund“ wandten sich gegen die Resolution des

Zentralbüros.sg.fle

politische Partei sei der “Bund“

verpflichtet dafür zu sorgen, daß das jüdische Proletariat dieselben Rechte genieße wie andere Nationen. Die Stellungnahme des “Bund“ hätte sich in einer politischen Resolution ausdrük-

ken müssen, wonach die Partei in der Aufzwingung eines bestimmten Ruhetags eine Verletzung der Gewissensfreiheit sehe. In

seiner Aufklärungsarbeit stoße der “Bund“ im jüdischen Publikum auf viele Vorurteile, z.B. erschwere die Kaschrut (Speisegesetze) den Verkehr des jüdischen Arbeiters mit seinen christlichen

Kollegen. Trotzdem wäre es dem “Bund“ nicht eingefallen, einen “energischen Kampf“ gegen die Kaschrut zu führen. Es gebe eine ganze Anzahl von Problemen dieser Art und das wäre kein Grund, eine Resolution gegen die Sabbatruhe in dieser Fassung anzunehmen.

Abramowitsch (Pseudonym Malkiel) stimmte mit der Resolution Ihre Formulierung sei nicht beson-

des Zentralbüros

überein.60

ders glücklich und auch nicht überall genau zutreffend, aber im wesentlichen doch richtig. Der Ausdruck "die Sabbatruhe bekämpfen“ sei zwar unangebracht, aber der Kern der Sache sei,

daß diese die Eingliederung jüdischer Arbeiter in Industrieunternehmungen erschwere. Sie sei der Entwicklung und der Organisation der Klasse hinderlich und daher müsse man den

Arbeitern beibringen, daß der Sabbat für die jüdische Arbeiterbewegung nicht das Höchste sei. Die sozialistische Bewegung sei wichtiger und man müsse eben auf die Sabbatruhe verzichten, wie es hunderttausende jüdische Arbeiter in Amerika, in London

usw. täten. Zwei Probleme tauchten im Zusammenhang mit dem Sabbat auf,

ein internes und ein externes. Das letztere hatte mit dem Staat

und der allgemeinen Gesetzgebung zu tun. Hier müsse man darauf bestehen, daß jeder einzelne das Recht habe, am Freitag, Sabbat

-

oder Sonntag zu ruhen ganz nach seinem Wunsch. Es gebe aber auch ein internes Problem, und hier müsse klar und deutlich erklärt werden: “Haltet den Sabbat, wo es die wirtschaftlichen Umstände und die Klassenbeziehungen ermöglichen! Wo aber der Sabbat der wirtschaftlichen Entwicklung und der Organisation

-

156

-

der Klasse hinderlich ist, muß man ihn opfern und am Sonntag ruhen!“

Zusammenfassend kann man sagen, daß der “Bund“ bereit war, seinen Segen zur Festlegung des Sonntags als Ruhetag aller Arbeiter zu geben. Man müsse aber Fälle in Betracht ziehen, wo jüdische Arbeiter bei einem jüdischen Arbeitgeber beschäftigt

sind. In solchen Fällen würde der Sabbat Ruhetag bleiben. Dieses Prinzip bedeutete eine Trennung der jüdischen Arbeiter zwischen jenen, die den Sabbat‚und jenen, die den Sonntag als Ruhetag

haben. In den jüdischen Wohnvierteln gab es merkwürdige Erscheinungen, und ohne Zweifel hatte die Harmonie der jüdischen Fami-

lie und der jüdischen Gemeinde darunter zu leiden, denn diese hatten doch gemeinsame kulturelle Zielsetzungen. Der “Bund“ ver-

wickelte sich in einen Widerspruch zwischen seinen Grundansichten über die wirtschaftliche Entwicklung und die Möglichkeiten

des Kontakts und der Annäherung zum nicht-jüdischen Proletariat einerseits seits.

-

und Rücksicht auf die jüdische Wirklichkeit ander-

3. Sprache, Kultur und Erziehung

Die Sprachenfrage hatte in der jüdischen öffentlichkeit schon seit Jahren Wellen geschlagen, und der Streit ging nicht nur um

die Unterrichtssprache. Das Problem beschäftigte die jüdischrussische Intelligenz schon lange vor der Revolution. In einer gewissen Periode des 19. Jahrhunderts gab es unter den gebil-

deten Juden manche, die glaubten, die Umgangssprache der russischen Juden (Jiddisch) wäre am aussterben. Hebräisch hätte sei-

nen Platz als Sprache der Religion, der Literatur und der Forschung. Dieser Ansicht nach würde Russisch zur Umgangs- und auch zur Schriftsprache aller Juden werden. Die Zionisten betonten zwar, es sei notwendig, Hebräisch zu lehren, glaubten

aber nicht, daß es in der Diaspora zur Umgangssprache werden könne. Im Laufe der Zeit entwickelten die Zionisten einen hebräischen Journalismus, hebräische Literatur und auch hebräische Schulen.

>

-

157

-

Am Ende des 19. Jahrhunderts und am Anfang des 20. trat ein

tiefgehender Wandel ein. Die weltliche jiddische Literatur, Dichtung und Prosa zeigte große Errungenschaften und es gab jetzt auch jiddische Tageszeitungen. Beide Erscheinungen übten einen mächtigen erzieherischen Einfluß auf die Massen aus. In

der Volkszählung (1897) gaben 96,9 \ der Juden Jiddisch als Muttersprache an. über das Hebräische fehlen Daten, aber nur 1,3 \ der Juden Rußlands gaben Russisch, Ukrainisch oder Bjelo-

russisch an, obwohl schon damals 31,2 \ Männer und 16,5 \ der Frauen Russisch lesen konnten. 61 Jiddische Zeitungen und Bücher

hatten ein enormes potentielles Publikum und die Gebildeten, die unter den Massen tätig waren, mußten sich den Tatsachen anpassen. Im Laufe der Zeit entstanden Gruppen, die Jiddisch als einen Wert an sich betrachteten und es in den Mittelpunkt ihrer

nationalen Weltanschauung stellten. Zu diesen Kreisen gehörten die Führer des “Bund“. Hebräisch war ihnen eine Sprache, die mit dem jüdischen Klerikalismus

zusammenhing.62

Zu den Führern des “Bund“ gehörte aber auch ein Mann wie Lenu (Goshanski). Im Jahre 1903 schrieb dieser eine Broschüre

mit dem Titel “Der Zionismus“. Er behandelte die Frage der national-kulturellen Autonomie und der jiddischen Sprache und

schrieb u.a. folgendes: “Was die Sprache angeht, in der sich die politische Kultur in Rußland entwickeln wird so scheint es, daß es weiterhin so sein wird wie bisher, d.h. in allen

-

Sprachen, die den Juden Rußlands geläufig sind: Jiddisch, :Russisch, Polnisch und Deutsch. Der Leser kann hieraus ersehen,

daß es uns gleich ist, in welcher Sprache ein Werk geschrieben wird. Ein künstlerischer Roman aus dem jüdischen Leben gehört

zu unserer Nationalliteratur, ob er nun jiddisch oder hebräisch, russisch oder polnisch geschrieben

ist.“63

Lenu war nicht der einzige, der der Neutralität in der

Sprachenfrage das Wort redete. Auch John Mill glaubte, daß der

“Bund“ der jiddischen Sprache und Literatur und sogar der jüdischen Kultur nur relativen Wert beimesse, und daß diese ihm nie Selbstzweck waren. Die kulturellen Werte waren nur ein Mittel,

um die Massen der internationalen sozialistischen Bewegung näher zu

bringen.64

-

158

-

Als der “Bund“ im Jahre 1916 anfing, eine Wochenschrift in russischer Sprache herauszugeben, fand die Redaktion es für nötig, sich deswegen zu entschuldigen: der “Bund“ hatte auch in

der Vergangenheit Zeitungen in russischer und polnischer Sprache herausgegeben, aber diese Tatsache sowie auch das offizielle Verbot, Zeitungen auf Jiddisch zu verbreiten, schien kein genügender Grund zu sein. Man erklärte: “Solange es im jüdischen

Volk eine recht ansehnliche Schicht gibt, der die russische Sprache als politisches Kampfmittel dient, solange die russi-

sche Presse für viele Gebildete den einzigen Wegweiser im jüdischen Leben darstellt

berechtigung.“65

-

hat unsere Zeitung eine Existenz-

Anderseits entwickelte man in einer ganzen Artikelserie den Gedanken, daß der Jiddischismus der Mittelpunkt des gesellschaftlichen und nationalen Lebens der Juden in Rußland sei. Die verachtete Sprache der Massen, in der sich alltägliche Streitereien, Feilschen im Handel, Schimpfereien und Weiberklatsch abgespielt hatten, sei nun zu einer Waffe im Kampf um

soziale Errungenschaften geworden. Sie helfe den zerstreuten Individuen, sich zu kristallisieren und ihren Bestrebungen Form

zu geben, einen festen kollektiven Willen zu

bilden.66

Da die

bürgerlichen und zionistischen Kreise Jiddisch nicht als ihre Sprache anerkannten, wurde es nach Ansicht des “Bund“ zum

Scheidewasser, das die Judenheit nach sozialen Prinzipien trennte. Um das Jiddische scharten sich die progressiven Elemente,

dagegen die antidemokratischen

Gruppen.67

“Jiddisch ist auch das Zentrum unserer Gedankenwelt, um das sich unsere Außenpolitik dreht,“ heißt es im Organ des

'Bund'.6

Hierauf beruhe der Bau der jüdischen Selbstbestimmung und der

Schutz der nationalen Rechte der Juden in der Diaspora. Jiddisch sei die Grundlage der nationalen Existenz. Der Kampf dafür dürfe nicht nur die Angelegenheit einer Klasse sein: man müsse mit allen zusammengehen, die Jiddisch als Nationalsprache anerkennen, damit es im Leben des jüdischen Volkes zur herrschenden

werde. Das Argument, der Jiddischismus würde zum trennenden Moment im jüdischen Volke werden und es von seiner historischen Vergangenheit loslösen, wurde zurückgewiesen. Die meisten Juden

-

159

-

der Welt sprechen Jiddisch und mit Hilfe dieser Sprache würden

die Werte der Vergangenheit zu den Massen gelangen. Nach der Februar-Revolution meinten manche Führer des “Bund“ wie z.B. Lieber, die Frage des Gebrauchs der Sprache sei jetzt nicht mehr so brennend wie vor der Revolution. “Heute haben wir das

Recht,Jiddisch zu sprechen,und deshalb sind wir nicht.mehr gezwungen‚es zu tun.“ Das war Liebers Antwort, als man ihm auf der 10. Konferenz vorwarf, er habe in einer öffentlichen Versammlung Russisch und nicht Jiddisch gesprochen.69 Der “Bund“ verzichtete nicht auf seine Tätigkeit unter der

russischsprechenda1Bevölkerung. Anfang August 1917 erschien gleichzeitig mit der jiddischen Presse, vor allem der “Arbeiterstimme“, eine Wochenschrift in russischer Sprache: “Golos Bunda“ (Die Stimme des 'Bund'). In der Zeit nach der Revolution ver-

schärfte sich der Sprachenkampf wieder, besonders, weil man jetzt Hoffnung hatte, die jüdische Autonomie zu verwirklichen. An vielen Orten kam es zu Zusammenstößen. Je nach der Stärke der

Parteien faßte man Beschlüsse, die eine oder die andere Sprache

zu gebrauchen. In Moskau versuchte man zu einem Kompromiß zu gelangen. Mit Unterstützung der PZ forderte der 'Bund', daß die Gemeindetätigkeit nur auf Jiddisch geführt werden solle. Es wurde aber beschlossen, daß sich die jüdische Bevölkerung in einer

von 3 Sprachen an die Gemeinde wenden könne: Hebräisch, Jiddisch oder Russisch. Briefe würden in der Sprache beantwortet werden,

in der sie geschrieben waren. Protokolle der Sitzungen sollten in 2 Sprachen geführt

werden.70

Der Sprachenstreit war ein wichtiger Bestandteil der Aus-

einandersetzungen zwischen den politischen Parteien. Gewöhnlich standen auf einer Seite die Zionisten, auf der anderen der 'Bund'. Poale Zion erkannten die nationale Zukunft und den kulturellen Wert des Jiddischen und des Hebräischen an. Praktisch unterstützten sie die Kulturarbeit in beiden

Sprachen.71

Im Laufe des Ersten Weltkriegs hätte die kulturelle Arbeit

der Juden im Russischen Reich Einschränkungen erfahren. Schuld

daran waren nicht nur die Schwierigkeiten der Kriegsjahre, sondern auch die Judenverfolgungen und die Zensur, die viel jüdi-

-

160

-

sches Material verbot. Trotzdem war es unumgänglich, den drin-

genden Anforderungen der Flüchtlingsmassen gerecht zu werden. Es wurden Schulen und Volksbildungsinstitute gegründet, in jiddischer, hebräischer und russischer Sprache. Mit der Februarrevolution wurden jene Kräfte, die vor dem Kriege auf dem Gebiet der jiddischen Kultur tätig gewesen waren,

wieder aktiv. In den großen Städten entstanden ein neues Schulnetz und Verlagsanstalten, die die Nachfrage nach Zeitungen,

suchten.72

Auch die Zeitschriften und Büchern zu befriedigen jüdischen Parteien, die jetzt keine illegale Existenz mehr zu

führen hatten, begannen mit intensiver Kulturtätigkeit. Es herrschte ein allgemeines Gefühl, daß sich jetzt, nach dem Sturz des Zarenregimes und der Beseitigung der Einschränkungen, die Entwicklung der jüdischen Kultur frei vollziehen könnte.

Gleichzeitig erneuerten sich auch die innerjüdischen Diskussionen und die Gegensätze zwischen den verschiedenen Meinungen

vertieften sich. Jeder hatte seine Ideologie und seine Einstellung zur Kulturtradition und richtete seine Tätigkeit danach aus. Vom Beginn an hatte sich der “Bund“ außer mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kämpfen auch mit seiner kul-

turellen Mission befaßt. Ehe er sich noch mit einem sozialistischen Programm an die jüdischen Arbeitermassen wandte, hielt

er es für wichtig, auch von den Strömungen der menschlichen Zivilisation überhaupt zu sprechen, ein geistiges Band zur großen modernen Welt herzustellen, sie durch die Schätzader

jüdischen und der allgemeinen Kultur und Literatur zu bereichern. Im Leben der russischen Judenheit war der “Bund“ ein sehr wich-

tiger Kulturträger.

Auf seinem ganzen Wege befaßte sich der “Bund“ mit einer weitverzweigten Kultur-, Bildungs- und Erziehungstätigkeit, trotz aller Not und trotz aller politischen Schwierigkeiten. So eröffnete er tausenden jüdischen Arbeitern eine neue Welt,

die ihnen bisher verschlossen gewesen war. Jetzt, nach der Revolution, war das Herz von Hoffnungen auf die Verwirklichung der

national-kulturellen Autonomie geschwellt, und der “Bund“ stürzte sich voller Begeisterung in die Arbeit. Diese wurde nicht nur von den großen politischen Problemen der Epoche beherrscht;

-

161

-

man befaßte sich auch mit praktischen Alltagsangelegenheiten, wo immer es jüdisches Leben gab. Die Parteiorgane legten auf diese Kulturtätigkeit keinen besonderen Wert und widmeten ihr im Vergleich zu den großen weltbewegenden Problemen wenig Raum;

aber die Arbeit ging weiter und hatte ihren Einfluß. Im Mai

befaßte sich das Plenum des Zentralkomitees mit der Frage der Kindererziehung und beschloß, was die Partei zur Durchführung ihres Programms auf dem Gebiete der Schule zu tun habe. In der

Resolution hieß es, der Erziehungsausschuß des Zentralkomitees und die Ortsgruppenvorstände sollten für die Gründung jüdischer, vom jüdischen Volk geleiteter Schulen sorgen. Gleichzeitig sollte weitgehende Propaganda für das Erziehungsprogramm des

“Bund“ gemacht werden; die jüdischen Lehrer sollten um die Forderungen der Partei organisiert

werden.73

Der Ausschuß des Zentralkomitees für Schulen und Erziehung

gab eine besondere Zeitschrift für Erziehungs- und Bildungsfragen unter dem Titel “Schulfragen“ heraus. Die erste Nummer

erschien am 1. Juni 1917. Inzwischen hatte am 10. Mai in Moskau eine Zusammenkunft jüdischer Lehrer stattgefunden, an der 135 Lehrer teilnahmen. Auf der Tagesordnung standen Erziehungsprobleme unter den veränderten Umständen, und in ihrem Mittelpunkt

die Elementarschulen. Zwei entgegengesetzt:Strömungen waren auf dieser Zusammen-

kunft erkennbar und nach der Natur der Dinge bildete sich auch eine dritte: ein Zentrum, das sich bemühte, eine Vermittler-

rolle zu spielen. Die Zionisten, 33 Mann stark, wollten eine Schule in der Muttersprache und in der nationalen Hebräisch.

-

Die andere Strömung bildeten hauptsächlich die sozialistischen

-

Parteien und an ihrer Spitze der Bund 75 Mann. Sie forderten Jiddisch als Unterrichtssprache. Die Diskussion über den welt-

lichen Charakter der Schule war eher taktisch als prinzipiell. Niemand verlangtaeine religiöse Schule. Es ging darum, wie man den weltlichen Charakter der Schule formulieren sollte, damit

es nicht so aussehe, als wolle man die Religion bekämpfen. Pädagogische Fragen wurden in Ruhe behandelt, nicht aber die Frage der hebräischen Sprache. Hier gab es wieder 3 Strömungen:

-

162

-

(1) die Zionisten, die eine zweisprachige Schule

forderten;

- an ihrer Spitze der “Bund“ - waren behebräischen Sprache einen gewissen Platz in der Ele-

(2) die Jiddischisten

reit, der mentarschule einzuräumen, wollten sich aber nicht auf den Um-

fang der Studien oder das Alter, in dem sie beginnen sollten, festlegen. Ihrer Ansicht nach sollte Hebräisch eines von vielen Lehrfächern sein, das keine besondere Aufmerksamkeit erfordere; (3) das Zentrum fand, daß das Hebräische ein wichtiges Element

der jüdischen Kultur darstelle und daß es demnach einen entsprechenden Platz im Lehrplan der Elementarschule einnehmen müsse. In diesem Sinne wurde auch eine Resolution angenommen, in der es hieß, es müsse Schulpflicht für alle geben. Der Unter-

richt

-

8 Schuljahre

- müsse unentgeltlich sein.

Die Schule sei

weltlich, Religionsunterricht sei Sache jener Eltern, die daran interessiert seien und würde auf ihre Kosten erteilt werden. Unterrichtssprache sollte die Sprache jedes Volkes sein. Die Schulen sollten der Autorität der Autonomie-Institutionen

unterstehen, d.h. in den jüdischen Schulen sollte Jiddisch die Unterrichtssprache sein. Dank der Initiative des “Bund“ wurde in Kiew ein Verband

jüdisch-demokratischer Lehrer gegründet, dem Mitglieder und Anhänger der jüdischen sozialistischen Parteien angehörten. In seinem Programm stand: (1) dem Volke müssen alle Bildungswege offenstehen; (2) die jüdische Schule muß obligatorisch,

unentgeltlich, einheitlich und weltlich sein. Als Unterrichtssprache soll die Muttersprache der Kinder dienen. Alle Kosten

soll der Staat tragen. Die Leitung der jüdischen Schulen sowie alle Angelegenheiten des Elementarunterrichts sollen der Autorität der jüdischen Autonomie-Behörden unterstehen; (3) um dieses Programm zu verwirklichen, organisiera1sich in dem Verband die jüdischen Lehrer und alle, die sich mit den jüdischen Elementarschulen befassen. Der Verband wird seine Ansichten über sein Erziehungsideal unter den jüdischen Massen verbreiten

und Beziehungen zu den demokratischen Lehrern Rußlands an-

knüpfen.74

-

163

-

Nach einer Reihe von Regionalkonferenzen trat am 11. (24.) Juni in Petrograd der erste all-rusische Kongreß jüdischer Lehrer zusammen. Hauptpunkt der Diskussion war die Unterrichtssprache. Wieder gab es zwei wesentliche Fraktionen: die Jiddi-

schisten und die Hebräisten. Die ersten wollten Jiddisch als Unterrichtssprache und als Lehrgegenstände hauptsächlich jüdische Literatur, jüdische Geschichte und allgemeine, nicht reli-

giöse Fächer. Die Hebräisten bestanden dagegen darauf, daß Hebräisch die Sprache jüdischer Bildung sei und daß der Inhalt

des Unterrichts vor allem auf dem Erbteil der hebräischen Kultur in ihrer Gesamtheit aufzubauen

sei.75

Man konnte auch hier eine dritte Gruppe unterscheiden, die

-

-

in verschiedenen Nuancen der Meinung war, daß die Grundlage der Schule wohl das Erbteil der Kultur d.h. Hebräisch zu

-

-

sein habe, daß aber der Unterricht in der Muttersprache erteilt werden solle. Die Eltern würden bestimmen, welche das

sei.76

An der Konferenz nahmen 120 Delegierte teil, die 1400 Lehrer

repräsentierten.77

Die Fraktion des “Bund“ zählte 25 Mitglieder.

Mit großer Mehrheit wurde beschlossen, daß die Muttersprache,

Jiddisch, Unterrichtssprache sein solle. Weiters wurde gesagt, daß das Hebräische und die hebräische Literatur wichtige Be-

Bestandteikader jüdischen Kultur seien und dementsprechend, von der Elementarschule an, ihren Platz im Lehrplan finden müßten. Nicht alle stimmten für diese Resolution, aber niemand

war

dagegen.78 Die Bundisten waren mit den Ergebnissen der Konferenz nicht

zufrieden. Der Beschluß, einen hämemnmhmfi ohne ideologisches Programm zu gründen, wurde in der “Arbeitsstimme“ scharf kri-

tisiert und man fand, die Delegierten des “Bund“ seien schuld

daran, daß es dort eine “nationale Harmonie“ ohne Zielsetzun-

habe.79

Am Ende kam es im jüdischen Lehrerverband gen gegeben zur Spaltung und man sagte, vor allem sei es die Schuld der

Hebräisten

gewesen.80

Mit beträchtlicher Beihilfe des “Bund“ wurde parallel zu

dem “Jüdisch-Demokratischen Lehrerverband“ eine Volksbildungsliga gegründet, die Lehrmittel für die neuen Schulen, Schul-

-

164

-

bücher, eine pädagogische Zeitschrift usw. schaffen sollte. Der

“Bund“ war für die Spaltung. Er glaubte, der “Jüdisch-Demokra-

tische Lehrerverband“ garantiere den Fortschritt der jüdischen Erziehung. Vor und nach den Munizipalwahlen forderte der Erziehungs-

ausschuß des Zentralkomitees die Verwirklichung der allgemeinen

Schulpflicht und die Errichtung nationaler Behörden für Bildung und Kultur, die jedes Volk demokratisch wählen sollte. Diesen

Behörden sollte dann die Verwaltung aller örtlichen Kulturund Unterrichtsangelegenheiten übertragen

werden.81

Wo der

“Bund“ einflußreich war, wurden solche nationalen Behörden tatsächlich

errichtet.82

Der “Bund“ versuchte, Kultur- und Erziehungsfragen in den

Mittelpunkt zu stellen. Er hatte große Verdienste um die Förderung und Entwicklung von kulturellen Bildungs- und Erziehungsbestrebungen unter den jüdischen Arbeitern. Er versuchte, die

Idee eines nicht-religiösen, jüdischen Erziehungssystems zu verbreiten. Sein Ringen darum verquickte er mit dem allgemeinen sozialistischen Kampf.

-

165

-

8. DIE OKTOBERREVOLUTION

Die Zustände im Lande verschlimmerten sich zusehends. Die

Koalitionsregierungen waren machtlos und taten nichts. Der Krieg ging weiter

-

trotz aller Forderungen des Volkes, ihm

ein Ende zu setzen. Frontsoldaten desertierten. Den Bauern war

der Krieg zu viel geworden und sie gingen einfach nach Hause. In vielen Gegenden des Landes herrschte Hunger. Das Transport-

wesen war lahmgelegt. Die Städte erhielten keine Nahrungsmittel. Der Winter war kalt und Heizmaterial fehlte. Man kann also verstehen, daß die Volksmassen immer mehr den Bolschewisten und ihren Forderungen zuneigten: alle Macht den Sowjets und um jeden Preis keinen Krieg mehr. Seit der Februar-

-

Revolution und besonders nach der Julikrise diskutierte man

innerhalb der sozialistischen Parteien über die zerrütteten Zustände. Martow war für eine demokratisch gebildete Regierung aus allen Parteien, die in den Sowjets vertreten waren. Er schlug eine Koalition aller Kräfte von den “Trudowiki' bis zu den Bolschewisten vor, da er ein selbständiges Handeln der

Bolschewisten unterbinden

wollte.1

Auch in der Zeitung des “Bund“ kam Abramowitsch, Wochen vor der Oktoberrevolution, auf

diese Frage zurück. Er war sich der Gefahren wohl bewußt, die eine Machtergreifung durch die Sowjets mit sich bringen würde, hielt sie aber für geringer als die Impotenz der Koalitionsregierung. Die sieben verflossenen Monate hatten zur Genüge

bewiesen, daß mit der Bourgeoisie nichts anzufangen war: nicht auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Kriegsführung oder der Reor-

ganisierung der Armee: nicht in der Agrarfrage und nicht in

der des Friedens. Gutwillig würde die Bourgeoisie ihren Platz der Demokratie nicht überlassen. “Sie wird auch mit keiner Koalition einverstanden sein, in der die Demokratie die Zügel in der Hand hält, während die Bourgeoisie nur die Funktion

erfüllt.“2

Weiterhin der gehorsamen, bescheidenen Dienstmagd meint “Wenn wir nicht auf das Programm der revo-

Abramowitsch:

lutionären Demokratie, d.h. auf die Revolution verzichten wol-

-

166

-

len, müssen wir selbst die Regierung in die Hand nehmen. Wir

dürfen keine Angst haben! Die russische Demokratie steht dem Problem der Herrschaft gegenüber und so wird es sein‚solange die Revolution

dauert."3

Aber auch in jenen Tagen fanden sich

unter

den Führern des

“Bund“ Gegner der Sowjetherrschaft. In einer Sitzung des Petrograder Sowjets teilte Trotzki mit, daß die Bolschewisten wegen

der Anwesenheit von Vertretern der Bourgeoisie das Vorparlament der Republik verlassen hätten, und überhaupt wollten sie die

Ubergabe der Regierungsgewalt an die Sowjets fordern. Darauf Gewissen und

antwortete der Vertreter des “Bund“, Lieber, sein

sein Verantwortungsgefühl dem Staate gegenüber erlaubten es ihm nicht, die Macht zu ergreifen. “Nie waren wir Demagogen;

es war uns immer klar, daß man Versprechungen zu halten hat. Da wir überzeugt sind, daß man in einem bürgerlichen SGufi:keine sozhr

listisches Regime errichten kann, haben wir beschlossen, dem Volk wenigstens teilweise zu geben, was es wünscht. Nur so haben wir uns unsere Beteiligung am Vorparlament

vorgestellt.“‘

In Weißrußland warnte der “Bund“ vor den Bolschewisten, die

eine neue Regierung errichten wollten: man war für Gewaltanwendung gegen sie, wenn es notwendig sein sollte. Die Massen

sind erbittert und müde und das ist Wasser auf die Mühle der bolschewistischen Propaganda. Man muß sich ihren Plänen aber mit aller Energie widersetzen. “Nicht nur das Bürgertum, nicht

nur die gemäßigten Elemente der Demokratie sind heute gegen sie, sondern beinahe alle Strömungen der revolutionären Demokrasoweit die Bundeszeitung.5

tie'-

Die Parole “Alle Macht den Sowjets“ wurde aber immer populärer,

während der Einfluß der Menschewisten im Schwinden war. Innerhalb der entscheidenden Sowjets verschob sich das Kräfteverhältnis. In einem Rat nach dem anderen verloren die Sozial-Revolu-

tionäre (SR) und die Menschewisten die Mehrheit zugunsten der

Bolschewisten und ihrer Bundesgenossen, der linken

SR.6

Dieser

Prozeß spiegelte sich auch in den Resultaten der beiden Wahlen

wider, die damals in Rußland stattfanden. In den Munizipalwahlen in den Monaten Mai

- August

konnten die Listen der Menschewisten

-

167

-

und des “Bund“ auf bedeutende Erfolge

hinweisen.7

In den Wahlen

zur Nationalversammlung im November erhielten Menschewisten und “Bund“ zusammen nur 1 1/2 Millionen Stimmen, gegen 10 Millionen der

Bolschewisten.8 Die Wogen der politischen und sozialen Erbitterung trugen

zum

zweiten die Bolschewisten auch während der Vorbereitungen Sowjetkongreß, dessen Eröffnung für den 25. Oktober geplant war. Schon mehrere Tage vorher hörten Kreise der Regierung und der sozialistischen Parteien Gerüchte, daß die Bolschewisten einen Umsturz vorbereiteten. Am 10. Oktober trat das Zentralkomitee

der Bolschewisten zu einer Sitzung zusammen, an der sich auch Lenin und Sinowjew beteiligten. Diese waren heimlich erschienen, denn nach den Juli-Unruhen waren sie untergetaucht. In dieser Sitzung wurde besprochen, ob man die Macht durch einen bewaffneten Aufstand an sich reißen sollte. Die Meinungen waren geteilt: Kamenew, Rykow, Sinowjew, Rjasanow und Lunatscharski

waren dagegen, aber die Mehrheit und an ihrer Spitze Lenin setzten einen positiven Beschluß durch und man wählte einen militärisch-revolutionären Ausschuß von 5 Mitgliedern mit Trotzki als

Vorsitzendems?

Die Radikalisierung der Arbeitermassen machte sich auch in den sozialistischen Parteien fühlbar. Von den SR spalteten sich

die linken SR ab, und unter den Menschewisten und im “Bund“ verstärkte sich der Einfluß der “Internationalisten' so sehr, daß auch das Zentralkomitee seine Stellung änderte, woraufhin mehrere

Menschewistenführer, darunter Lieber, zurücktreten. Die Dinge entwickelten sich sehr schnell: in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober (6.-7.November) besetzten Soldaten den

Petrograder Bahnhof, die Brücken, die Plätze im

Stadtzentrum,

und am 25. schlossen sie den Winterpalast, den Sitz der Provisorischen Regierung, ein. Kerenski verließ Petrograd; es kam zu Zusammenstößen, aus denen die Bolschewisten siegreich hervorgingen. Gleichzeitig (am 25. Oktober/7.November) trat der zweite Sowjetkongreß zusammen. Er stand bereits vor der Tatsache

der Machtergreifung durch die Bolschewisten. Einer der Menschewistenführer, Dan, eröffnete den Kongreß im Namen der bisherigen

-

168

-

Exekutive, gleich nach ihm übernahm aber der Bolschewik Kamenew

den Vorsitz. Insgesamt waren die Repräsentanten von 402 Arbeiter- und Soldatenräten anwesend. Es ist nicht so leicht, die genaue Anzahl der Delegierten und die Stärke der verschiedenen Fraktionen zu bestimmen, denn im Laufe der Sitzungen gab es

-

Änderungen und Kombinationen. Gegen Ende des Kongresses verfüg-

-

ten die Bolschewisten über eine nicht sehr große Mehrheit unter den ungefähr 650 Delegierten. Man weiß, daß 255 von den

366 Sowjets für die Parole “Alle Macht den Sowjets“ waren (69,6 \), während 82 (22 !) Parolen wie “Alle Macht der Demo-

kratie“, “Für eine Koalition ohne KD“ und ähnliche bevorzugten.

30 Sowjets (8,3 \) hatten keine feste

Meinung.10

Als die Diskussion über die Hauptfrage, die bolschewistische Erhebung und die Zukunft der Revolution, begann, war die

Atmosphäre geladen. Im Namen der “Internationalistischen Menschewisten“ sprach Martow. Er wandte sich mit aller Schärfe gegen die Machtergreifung am Vorabend des Kongresses und schlug

vor, sofort die Errichtung einer neuen Regierung zu besprechen, mit der alle revolutionären Parteien einverstanden sein könnten. Man sollte ein Komitee wählen, das die Verhandlungen mit den Parteien führen sollte. Es wurde auch eine Erklärung der

verlesen.11 an.12

“Internationalisten' im Sinne von Martows Worten Auch die PZ schlossen sich dieser Erklärung

Martows Vorschlag fand Unterstützung bei Abramowitsch (im

Namen der “Internationalisten' im 'Bund') und auch bei den

linken SR. In den letzten Petrograder Ereignissen sah Abramowitsch ein Unglück für die ganze Revolution. Seiner Meinung nach lag der einzige Ausweg in einem Übereinkommen mit allen

sozialistischen

Parteien.13

Die Bolschewisten nahmen diesen

Vorschlag an und er wurde bestätigt, aber die schärfsten Gegner unter den “Menschewisten-Verteidigern“ und dem rechten Flügel

der SR erklärten, der Kongreß könne nicht unter der Drohung von Bajonetten tagen. “Dieser Putsch führt zum Bürgerkrieg, er be-

deutet das Ende der Nationalversammlung, es droht ein militärischer Zusammenbruch und zum Schluß der Sieg der Gegenrevolu-

tion.“14

Die Menschewisten erklärten, daß sie jede Verantwor-

tung für die Aktion der Bolschewisten ablehnten. Zum Protest

verließen sie den die SR an.

169

Sitzungssaal.15

Ihnen schlossen sich auch

Im Namen der “Verteidiger“ im “Bund“ sprach H. Ehrlich, der sich mit dem Beschluß, den Kongreß zu verlassen, identifizier-

te. Er rief die sozialdemokratischen Delegierten dazu auf, dasselbe zu tun und zum Rathaussaal zu ziehen, wo die demokrati-

schen Gegner der Bolschewisten sich versammelten, um einen “Ausschuß zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution“ zu gründen. 16 Die “Menschewisten-Verteidiger“, der 'Bund', die SR, PZ und die “Vereinigten“ verließen den Kongreß. Das er-

möglichte Trotzki, der vorher für Martows Vorschlag gestimmt hatte, zu erklären, der Aufstand habe gesiegt und ein überein17 Damit kommen sei nicht länger am Platz. war allen Verhandlungen zwischen den Parteien Tür und Tor verschlossen und auch Martow und die “Internationalisten' verließen den Kongreß.

Daraufhin bestätigte der Kongreß den Rat der Volkskommissare (Sownarkom) unter Lenins Vorsitz und das Zentralkomitee der

Sowjets mit 62 Bolschewisten, 29 linken SR und 10 anderen

Sozialisten.18 Im Volk erregte der Austritt der verschiedenen Parteien und

die Errichtung der neuen Regierung stürmische Proteste und Erbitterung. Die Menschewisten-Internationalisten, die linken SR,

die “Vereinigten-Internationalisten“, die linke PPS (Polen) und die PZ wandten sich in einem Manifest “An die Arbeiter,

Soldaten und Bauern“: Die Revolution ist in Gefahr! Sie riefen zur Vermeidung des Bürgerkriegs und zu einer revolutionären

Einheitsfront auf. Eine homogene Regierung sollte errichtet werden, um der Gegenrevolution Widerstand zu

leisten.19

Da die Bolschewisten unter den Arbeitern sehr bedeutenden

Anhang hatten, bestand

die Gefahr blutiger Zusammenstöße. In

einer geschlossenen Sitzung des Zentralkomitees gab Zeretelli der Meinung Ausdruck, die Unterdrückung des bolschewistischen

Aufstands sei gleichbedeutend mit einem “Massaker des Proletariats“. Hieraus folgerte er, es sei “die Hauptaufgabe der

Demokratie ihre Reihen zu schließen nicht um die Bolschewisten zu bekämpfen [Im Original unterstricheg7, sondern um ihre

Kräfte zu stärken und die Revolution zu

retten.“20

-170-

Hier gab Zeretelli einem Meinungsumschwung unter den Menschewisten Ausdruck. Sie standen vor einer Entscheidung: sollten

sie mit den Bolschewisten über die Errichtung einer Zentralregierung im Staate verhandeln oder sollten sie das Sownarkom einfach ignorieren, zuwarten, bis es gescheitert sei

-

denn

das schien nicht zweifelhaft -, bis auch innerhalb der Bolschewisten und ihrer Anhänger die Opposition gewachsen

sei.21 “Bund“.22

Hierüber debattierte man bei den Menschewisten und im

Der Wunsch, den Bürgerkrieg zu vermeiden, sprach für das erstere:

friedliche Verhandlungen, um der Alleinherrschaft der Bolschewisten ein Ende zu setzen. Um den Beschluß, eine all-sozialisti-

sche Regierung zu bilden, in die Tat umzusetzen, beschlossen die “Internationalisten', mit den Bolschewisten Verhandlungen

zu führen und sich zu diesem Zweck der Vermittlung des Zentralkomitees der Eisenbahner (Vikzhel) zu bedienen. Das Zentralkomitee der Menschewisten beschloß, sich an den Verhandlungen

zu beteiligen, jedoch ohne Verpflichtungen. Einen ähnlichen Beschluß nahmen auch die SR

an.23

Das Zentralkomitee der Bolschewisten beschloß (in Abwesen-

heit Lenins, Trotzkis und Sinowjews), daß es erwünscht sei,

andere sozialistische Parteien an der Regierung zu beteiligen. Es würde eine Delegation zum Zweck der Verhandlungen unter der

Agide von “Vikzhel“

gewählt.24

Die erste Zusammenkunft fand schon am 29. November statt. Im Namen der Bolschewisten nahmen Kamenew und Sokolnikow daran

teil; im Namen des “Bund“ und der Menschewisten Dan und Ehrlich, von ihrem internationalistischen Flügel Martow, Martinow und Senkowski und von den “Bund“-Internationalisten Abramowitsch. Außer diesen erschienen auch Vertreter der rechten und der

linken SR, der PZ, der PPS, der “Vereinigten Internationalisten“, des Sowjets, der Stadt Petrograd und andere: insgesamt 20, abgesehen von den

Eisenbahnern.25

Der Gang der Verhandlungen war langsam und ermüdend. Die

sozialistische Rechte wollte keine Regierung zusammen mit den Bolschewisten, gaben aber schließlich unter dem Druck der Ar-

beiter ihre Zustimmung, als die Bolschewisten sich einverstanden

-

171

-

erklärten, eine sozialistische Regierung zu bilden. Die

Rechte stellte aber die Bedingung, daß Lenin und Trotzki nicht Regierungsmitglieder sein dürften

-

sie wurden beschul-

digt, mit den Deutschen unter einer Decke zu stecken. Die Bolschewisten ihrerseits waren nicht einverstanden, die Kämpfe in

Moskau und anderswo unverzüglich

einzustellen.26

Der Bundist

Abramowitsch erfüllte eine wichtige Vermittlerrolle in den “Vikzhel“-Verhandlungen und auch in dem Subkomitee, das sich

mit den praktischen Fragen der Regierungsbildung befaßte. Die “Verteidiger“ unter den Menschewisten

-



und auch im “Bund“

hatten aber auch weiterhin ihre Vorbehalte und wollten die

Bolschewisten eigentlich gar nicht in der Regierung haben. In ihrem Aufruf an die Arbeiter, Soldaten und Bauern mit der

Schlagzeile “Die Revolution in Gefahr“ forderten die “Inter-

nationalisten“ dringend, man müsse einen Weg finden, eine

demokratische Einheitsregierung zu bilden, die imstande sei, die gegenrevolutionäre Koalition der besitzenden Klassen zu-

rückzuwerfen und zu verhindern, daß Blut von Arbeitern, Soldaten und Bauern vergossen

werde.27

Der “Vikzhel“-Plan fand weitgehende Unterstützung unter

den Arbeitern. Ein Subkomitee befaßte sich mit der persönlichen

Zusammenstellung der all-sozialistischen

Ministerliste.28

In

seiner Sitzung am 31. Oktober (13. November) beschloß dieses

mit 12 Stimmen gegen

11,29 mit

dem Versuch fortzufahren, eine

Einheitsregierung unter Beteiligung aller sozialistischen Par-

bilden.30

Unter den “Verteidigern', die für weitere teien zu 31 Verhandlungen stimmten, befand sich auch der Bundist Ehrlich.

Andere, z.B. Lieber, beschlossen daraufhin, von dem Komitee zurückzutreten. 32 Sie veröffentlichten eine Erklärung, in der sie ihrer Meinung Ausdruck gaben, dieser Beschluß des mensche-

wistischen Zentralkomitees sei “unheilverkündend für die Arbeiterklasse, für die Revolution und für unsere Auch dieser Erklärung gab Lieber seinen Namen.

Partei.“33

Die “Vikzhel'-Bemühungen, das Ubereinkommen über eine allsozialistische Regierung in die Tat umzusetzen, waren vergebens. Unter Lenins Einfluß brachten die Bolschewisten den Plan zum

Scheitern. Die Unterhandlungen wurden unterbrochen und der

-172-

Plan, eine Regierung aller Parteien zu bilden, fiel ins Wasser.

Außerhalb Petrograds fand der Plan viele Anhänger. Trotz der Feindschaft gegen die Bolschewisten gewann er an Populari-

tät. Das zeigte sich auf einem außerordentlichen Kongreß der Menschewisten, der am 28. November (11. Dezember) in Petrograd zusammentrat. 100 Delegierte waren

anwesend.34

Die Extremisten

unter Potressow und Lieber lehnten jedes Ubereinkommen mit den

Bolschewisten

ab.35

Angesichts der politischen Lage rief der Menschewisten-Kongreß zu einem Ubereinkommen zwischen allen sozialistischen und

demokratischen Parteien auf, mit der Absicht, eine revolutionäre Regierung zu bilden. Die Grundlagen dieses Ubereinkommens sollten die folgenden sein: (a) Souveränität der Nationalversamm-

lung; (b) Wiederherstellung aller politischen Rechte. Beendi-

gung des Terrors und Errichtung eines republikanisch-demokratischen Regimes; (c) sofortige Einleitung von Verhandlungen für einen allgemeinen, demokratischen Frieden; (d) sofortige Uber-

gabe der Böden an die Landkomitees und Durchführung einer demo-

kratischen Agrarreform; (e) Regierungskontrolle und Regelung

von Industrie und Handel unter Beteiligung der Arbeiterorganisationen; (f) eine Verfassung, die den 8-Stundentag garantiert,

Arbeitslosenversicherung einführt

und für die Arbeitslosen

öffentliche Arbeiten organisiert. Was Frieden und Waffenstillstand anging, wandte sich der Kongreß an die Nationalversammlung und verlangte von ihr, sie

solle die Verantwortung für die Friedensverhandlungen auf sich nehmen. Diese sollten im Einverständnis mit den Alliierten ge-

führt werden, die das zwingende Bedürfnis Rußlands nach sofortigem Friedensschluß anerkennen müßten. Wenn die Alliierten einem demokratischen Frieden Hindernisse in den Weg legen wür-

den, müßte man eben auf das Einverständnis mit ihnen verzichten. Die Menschewisten sollten die Initiative zu einer inter-

nationalen Konferenz ergreifen, um das Weltproletariat zu veranlassen, bei der Errichtung des Friedens hilfreich zu sein. Der außerordentliche Kongreß wählte auch ein neues Zentral-

komitee, dem zwei Bundmitglieder, Abramowitsch und Ehrlich,

angehörten.36

-

173

-

Alle Versuche, die Alleinherrschaft der Bolschewisten zu vereiteln und eine Regierung von Repräsentanten der sozialistischen Parteien zu errichten, führten zu nichts. Die bolschewistische Revolution war zur Tatsache geworden. Der Großteil der

Juden lehnte sie ab. Nur ein kleiner Teil der jüdischen Arbeiter

-

in den Großstädten

-

war für die

Bolschewisten.

Die

meisten standen damals unter dem Einfluß der jüdischen sozia-

listischen Parteien und vor allem des

“Bund“.37

In “Bund“ selbst gab es wegen der Einschätzung der bolschewistischen Umwälzung keine Meinungsverschiedenheiten, wohl aber in der Beurteilung ihrer Ursachen, ihres Hintergrunds und vor allem in der Frage der Zusammenarbeit mit ihnen in den verschie-

denen Amtern. In der ersten Nummer des Zentralorgans nach dem Umsturz hatte die Redaktion folgendes zu sagen: “Uns erscheint der bolschewistische Umsturz als Wahnsinn...Es ist eitel Wahn-

sinn, wenn man glaubt daß das wirtschaftlich

rückständige

Ruß-

land der sozialistischen Weltrevolution voranschreiten kann. In unsern Tagen ist aber das bolschewistische Abenteuer ein

Verbrechen gegen die Freiheit und gegen die Revolution. Sie haben ihre Tat vor dem Zusammentritt der Nationalversammlung begangen. Nur wer das Volk im Tiefsten verachtet einen Umsturz gerade in diesem Augenblick zu

ist im

Stande,

vollziehen.“38

In seinem zweiten Artikel weist Saslawski nach, daß der

bolschewistische Umsturz gar keine soziale Revolution war, sondern ein Militärputsch von seiten derer, “die vom Krieg genug haben“. Die Bolschewisten haben die Freiheit unterdrückt, sie haben im Lande ein Blutbad angerichtet, die Demokratie ge-

schändet. Die Nationalversammlung haben sie aufgeschoben. Ein Kompromiß mit ihnen wäre zwecklos und würde auch nicht den

Bürgerkrieg vermeiden. Um die Revolution zu retten, gibt es nur ein Mittel: alle Beziehungen zu den Bolschewisten abzu-

brechen.39 In anderer Weise schreibt Abramowitsch über den Charakter

der

Oktoberrevolution.40

Seiner Meinung nach war sie “ein furchtbares Unglück für die wahre Revolution und für

die Arbeiterklasse. Manche Genossen glauben,der bolsche-

.

l



\I

-4

wistische Aufstand sei nichts als

ein

Militärputsch, eine

Revolte der Soldateska, der Petrograder Garniscn, die sich weigert an die Front zu gehen. Nichts verkehrter als das. Man darf die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, daß

die bolschewistische Revolution nur möglich war, weil sie sich auf den Willen, oder zum Mindesten d;e Svmpathie breiter Arbeiter- und Soldatenmassen stützte Original unter-

stricheg7.

L2m

Der Bolschewismus ist zu einem 'Massenglauben'

großer Teile des Proletariats und des Halbprcletariats ge-

worden. Ihrer Meinung nach ist er die einzig mögliche Form der Revolution und des Sozialismus...oas ist traurig, aber was kann man tun? Eine unterdrückte Klasse‚und besonders die Arbeiterklasse, neigt zum 'Maximalismus', d.h. dazu alles

zu fordern was man braucht, ohne die realen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. So ist es eben in einer Revolution... In allen früheren Revolutionen hat das Proletariat sein

'Lehrgeld' mit Blut gezahlt. Es stellte seine maximalistischen Forderungen und kämpfte

dafür‚bis ihm

der Kapitalismus

mit eiserner Faust den Schädel einschlug...wir hatten gehofft, der Marxismus würde der russischen Arbeiterklasse die

maximalistischen Träume und die blutigen Enttäuschungen er—

sparen; leider haben wir uns geirrt. Es stellt sich heraus, daß der marxistische, klassenbewußte Teil des russischen

Proletariats zu klein und zu schwach war, um die Führung der Klasse zu übernehmen...lm Bolschewismus drückt sich die Unüberlegtheit der revolutionären und sozialistischen Massen aus, die weder reif noch genügend klassenbewußt sind. Objektiv gesehen ist der Bolschewismus eine Klassenbewegung un-

reifer und nicht genügend entwickelter Arbeiter.“

Abramowitsch wagte es zu prophezeien, daß die Regierung der Bolschewisten in 2-3 Wochen bankrott sein müsse, da sie ja ihre Versprechungen nicht wahr machen könne. Getreu der Auffassung

der “Internationalisten', wie sie auf dem zweiten Sowjetkongreß

zum Ausdruck kam, behauptete er, das Ziel dürfe nicht die Unterdrückung der Bolschewisten sein, sondern die Einigung aller

Kräfte der Arbeiter und der Revolution. Kein Bruderkrieg mit der Waffe in der Hand, sondern ein freies Ubereinkommen. Wenn

-

175

-

die Bolschewisten zu keinem Entgegenkommen bereit wären, dann glaubte er würden sie die Massen der naiven, ehrlichen und

-

-

einfachen Arbeiter und Soldaten, die von wahrem Revolutionsgeist erfüllt sind, dazu zwingen. Es gebe kein anderes Mittel als die Bildung einer sozialistischen Regierung aller Parteien, einschließlich der Bolschewisten. Abramowitsch wollte nichts

von einer Konzentrierung konterrevolutionärer Kräfte wissen,

die sich unter der Parole “Nieder mit dem Bolschewismus“ sammelten. Er distanzierte sich auch von einigen seiner Kollegen und

beendete seinen Artikel mit den Worten: “Es ist ein betrübendes Mißverständnis, das einige unserer Genossen irre geführt hat,

so daß sie sich um diese gefährliche Fahne geschart haben.“ Schon in einer Versammlung der Petrograder Ortsgruppe des

“Bund“ am 8. November 1917 sagte Abramowitsch, es sei ein großer Irrtum zu glauben, die Bolschewisten seien eine Handvoll

Abenteurer, denen es gelungen sei, eine große Anzahl von Arbeitern und Soldaten zu betrügen. Der Lauf der Ereignisse beweise,

daß sie den spontanen Bestrebungen der Arbeiter-, Soldatenund vielleicht auch Bauernmassen Ausdruck geben würden. Mit den

Bolschewisten

educannskm

Krieg führen, das hieße im Augen-

blick, Krieg gegen die Arbeiterklasse und gegen das Gros der Soldaten zu führen. Die andere Seite wären die Rechte und die Bourgeoisie, die große und die kleine. Wenn die Sozialdemokraten hierbei mitmachten, dann wäre ihre Rolle der des Cavaignac

41

zu vergleichen, in dem die französischen Arbeiter bis heute den Unterdrücker der Arbeiterklasse sehen. “Das russische Proletariat wird den Bolschewisten verzeihen, nicht aber uns, den diese Warnung äußerte der Führardes internatioUnterdrückern“

-

nalen Flügels im “Bund“. Während der zwei ersten Tage des Aufstands hatten sich die

Arbeiter von Petrograd neutral verhalten, als aber die Kosaken erschienen und verwundete Arbeiter in die Fabriken gebracht

wurden, sahen sie, daß der Aufstand ihre Sache sei. Wenn man den Bolschewismus mit Gewalt unterdrücke, würde das eine Demo-

ralisierung innerhalb der Arbeiterklasse zur Folge haben. Das Ringen mit den Bolschewisten müsse auf dem Wege des Ubereinkommens mit ihnen geführt werden; sollen die Arbeiter nur sehen,

-

176

-

wer nicht zu Kompromissen bereit sei, dann würden sie schon

abfallen.42

In derselben Versammlung sprach auch von ihnen Ehrlich davon, daß er zu einer Verständigung mit den Bolsche-

wisten bereit

sei.43

Es ist interessant und überraschend festzustellen, daß auch Rafes, der zum extremsten Flügel der “Verteidiger“ gehörte,

eine ähnliche, wohlausgewogene Meinung äußerte, die der der “Internationalisten' seiner Partei nahe stand. Er meinte, es sei nicht damit getan, daß man sich von den Bolschewisten distanzierte. “Ihr Sieg kann schädliche Folgen haben daran

-

besteht kein Zweifel. Man muß sich aber fragen, wohin ein Sieg der Provisorischen Regierung führt. Was in diesem Falle der

revolutionären Arbeiterklasse geschieht?...Alle Feinde der Revolution werden sich jetzt um die Provisorische Regierung

scharen, da sie gegen den Aufstand kämpft. Diese dunklen Elemente werden die Regierung an sich binden und zum Lohn werden

sie alle möglichen Privilegien auf Kosten der Arbeiter erhalten...Vergessen wir nicht,wer die Straßenkämpfe in Petrograd führt. Es ist ein Teil der Lirbeiter7klasse, der sich von Bol-

schewisten hat irre führen lassen. Wenn man den Aufstand aber heute liquidiert, dann bedeutet das die Abschaffung vieler Arbeiterräte und vieler Gewerkschaften, in denen die Bolschewisten großen Einfluß besitzen...“ Unter den heutigen Umstän-

den der Provisorischen Regierung Vertrauen zu schenken

-

“das

führt zum Krieg gegen die Bolschewisten und dann fallen wir in

die Arme der Bourgeoisie und verlieren das Vertrauen der Arbei— ter.“ Zum Schluß forderte Rafes die Errichtung einer neuen Regierung, denn die Koalition mit der Bourgeoisie sei bankrott.

“Es lebe die demokratische Regierungl“, rief er

aus.44

Alter, einer der Führer des “Bund“ in Jekaterinoslaw, übte

scharfe Kritik am Starrsinn der sozialistischen Parteien, die zu keinem Kompromiß bereit seien. Die Bolschewisten zeigten zwar keinerlei Anzeichen guten Willens, aber die Schuld einer Seite befreite die andere nicht von Verantwortung. Er klagte die Menschewisten und die SR an, die bereit gewesen waren, sich mit bürgerlichen

Elementen und Klassenfeinden zu vertragen

und auf eine Reihe von Prinzipien zu verzichten; wenn es aber

-177-

um einen Kompromiß mit den Volksmassen geht, deren Wille in

den Bolschewisten verkörpert sei, dann seien sie

unnachgiebig

und hart wie Stahl. Sie zögen den Block mit der Rechten dem mit der Linken vor. Alter glaubte, in den ersten Monaten nach

der Februarrevolution hätte man einen linken Block aller revolutionär-demokratischen Parteien bilden können, aber diese Möglichkeit hätte man verpaßt. Er tadelte die bolschewistische Erhebung, die den Keim des Bürgerkriegs in sich trage. Die

Bolschewisten täten anderen an, was die anderen ihnen antun. Ein Sozialist, der nicht so denke wie sie, sei eh1“Konterrevolutionär“; genau das war die Meinung der “Verteidiger“ über

die

Bolschewisten.45

In dem oben zitierten Artikel wird kein Versuch gemacht,

die in den acht Monaten der Revolution geschaffene Situation gründlich zu untersuchen. Kossowski behauptete, eine der Ursachen, die die Bolschewisten zum Sieg geführt hatten, wäre in der zaudernden, ziellosen Politik der Provisorischen Regierung

zu suchen. Diese hätte sich bemüht, Gleichgewicht zwischen den

sozialistischen und den bürgerlichen Elementen zu bewahren; dabei wäre sie aber der Behandlung der Zehtralfragen, die die Revolution aufgeworfen hatte, ausgewichen. Seiner Ansicht nach hätte sie nicht richtig auf das Verhalten der Bourgeoisie reagiert, die auch weiterhin ihre wirtschaftlichen Privilegien genießen konnte und deren enger Klassenegoismus die Arbeiter-

massen bis ins Tiefste verärgerte. So habe sich die Regierung auch den imperialistischen Plänen der Kapitalisten gegenüber

verhalten: sie hätte es nie fertig gebracht, auf die Alliierten Druck auszuüben, damit diese Friedensverhandlungen einleiteten. Die Hauptsorge der Regierung sei gewesen, wie man das Schiff des Staates zwischen den Wellen des stürmischen Meeres bis zur

Eröffnung der Nationalversammlung zu steuern habe. Diese würde

dann wie “der Erlöser alle

Probleme und alle Zweifel

lösen.“46

Medem, ein populärer und einflußreicher Führer des “Bund“,

hielt sich damals in Polen auf. Auch er hatte harte Worte für die Machtergreifung durch die Bolschewisten. Er distanzierte sich von ihr und nannte sie die Diktatur einer Minderheit, eine Diktatur des bolschewistischen Zentralkomitees. Diktatur führe

-

178

-

zum Terror. Aber: “Man muß zugeben, daß unter der häßlichen Schale der Leichtfertigkeit ein tiefer und ernster Kern steckt. Der bolschewistische Aufstand war ein Akt der Hoheit, aber der

Umsturz selbst, oder richtiger gesagt, die Idee einer Regie-

rung ohne KD, ohne Bourgeoisie, einer reinen Arbeiter- und Bauernregierung

- das

ist unter den obwaltenden Umständen eine

Idee von tiefster historischer Bedeutung. Vielleicht ist es der einzige Weg zur Rettung des Staates und der Revolution.“ Es sei das Verbrechen der Bolschewisten, daß sie statt einer

Volksbefragung die Diktatur einer Partei und den Bürgerkrieg gebracht hätten. “Aber die Idee selbst ist einer ernsthaften

und genauen Untersuchung wert.“ Medem ersparte auch den Menschewisten keine Kritik

-

damit meinte er natürlich auch seine

eigene Partei, den “Bund“, der sich acht Monate lang von dem

Gedanken eines Kompromisses zwischen der fortschrittlichen Bourgeoisie, der revolutionären Arbeiterschaft und den Bauern

habe leiten lassen. Der Ausgangspunkt wäre richtig. Medems Ansicht nach sei das Proletariat noch nicht imstande, den Staatsapparat in die Hand zu

nehmen,und die russische Revolution sei

ihrer Natur nach eine bürgerliche. Daher könne von einem direkten Ubergang zu einem sozialistischen Regime keine Rede sein. Das Ziel sei demnach die Errichtung einer möglichst vollkommenen

Demokratie

-

im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaft. Um die

Revolution zu schützen, bedürfe es eines Kompromisses. Diese Auffassung der Menschewisten wäre theoretisch richtig, aber praktisch nicht durchführbar. Acht Monate lang hätten die Menschewisten das und an ihrer Spitze Zeretelli, Dan und Lieber

-

-

Ziel mit der größten Hartnäckigkeit verfolgt, aber das Resultat sei nicht befriedigend gewesen. Medem glaubte, daß die Mehrheit der revolutionären Demokratie früher oder später die Notwendig-

keit eingesehen hätte, die Macht zu übernehmen. Die Bolschewisten hätten zu früh gehandelt; die Gefahr sei jetzt groß und Medem sah den Ausweg, wie viele überall in Rußland, in einer Regierung aller sozialistischen

Parteien.47

'

Nach dem Oktoberumsturz änderte sich die Stimmung in den

breiten Schichten der Arbeiterschaft, und als das Zentralkomitee

der Menschewisten seine Stellung änderte, fand ein ähnlicher

-

179

-

Prozeß auch im 'Bund'-Publikum und seinem Zentralbüro statt, wo bisher die Ansichten der “Verteidiger“ vorherrschend gewesen

waren. Das Zentralbüro gab den Ortsgruppen die Anweisung, ausdrücklich von der bolschewistischen Diktatur Abstand zu nehmen

und eine revolutionär-demokratische Regierungsform zu verlangen,

die sich auf alle sozialistischen Parteien stützen sollte ohne Koalition mit den KD und dem

Großbürgertum.48

-

Vom 7.-9. (20.-22.) November fand in Minsk eine Zusammenkunft

des Zentralbüros statt, an der 5 Mitglieder des Zentralkomitees, Vertreter Nord-Westrußlands, Süd-Westrußlands, und Repräsentanten der großen Ortsgruppen teilnahmen. ‘9 Die Resolution, die

angenommen wurde, spiegelte die offizielle Stellungnahme des “Bund“ zu den Tagesereignissen wider. Sie besagte, der bolsche-

wistische Aufstand sei der Ausdruck langaufgespeicherter Erbitterung in der Arbeiterklasse und in der Armee. Die Ursachen da-

für seien der endlose Krieg, die ewigen Regierungskrisen, die

egoistische Politik der Bourgeoisie, die sich mit gegenrevolutionären Kräften verbündet hatte. Die Erbitterung im Publikum

würde auch von der schwankenden, undemokratischen Politik der Provisorischen Regierung genährt. Infolgedessen habe die Regierung ihre Anhänger unter der revolutionären Demokratie eingebüßt; die Autorität und der Einfluß der Sowjetexekutive sei

untergraben und all das habe zum Erfolg der Bolschewisten beigetragen. Die Bolschewisten seien eine:der bestorganisierten

Sektoren der Demokratie; darum fiele auf sie die Verantwortung für den Aufstand, für den Bürgerkrieg und seine Folgen. Weiter

heißt es in der Resolution, die Zustände in Rußland verpflichteten zu einer Konzentration von Kräften um die Sozialdemokrati-

sche Partei, zur Zusammenarbeit aller revolutionär-demokratischen Kräfte, Organisation der Wahlen zur Nationalversammlung und Errichtung einer Regierung der demokratischen Einheit unter

Beteiligung aller sozialistischen Parteien, und zwar einschließlich der Bolschewisten. Zum Schluß wird festgestellt, daß es, solange die Bolschewisten ein Abkommen mit den anderen Teilen der revolutionären Demokratie ablehnten und an der Macht fest— hielten, notwendig sein würde, sich um die Idee der Nichtaner-

kennung des Regimes zu scharen und es zu

isolieren.50

-180-

Die Resolution, die sich mit der allgemeinen Einschätzung der Situation befaßte, wurde auf dieser Sitzung einstimmig (mit 2 Stimmenthaltungen) angenommen. Die Resolution über die Errichtung einer all-sozialistischen Zentralregierung erhielt

14 Stimmen gegen 5 bei 3 Stimmenthaltungen.51 In den Beschlüssen beider Zentralkomitees dem der Menschewisten und dem der

-

-

wird die Forderung erhoben, ein Ubereinkomuen zwischen allen sozialistischen Parteien einschließlich der

Bundisten

Bolschewisten zu schließen, mit der Absicht, eine revolutionär-

demokratische Regierung zu bilden und den Bürgerkrieg zu vermeiden. Die Frage der Zusammenarbeit mit den Bolschewisten

oder ihre Achtung und Isolierung

-

-

erhob sich nicht nur im Zu-

sammenhang mit der Zentralgewalt, sondern auch in sehr praktischer Weise an vielen Orten. Es handelte sich um die Zusammensetzung der lokalen Sowjets und anderer Behörden, da die Bol-

schewisten vielerorts einen großen oder sogar entscheidenden Einfluß hatten. Die Ortsgruppen des “Bund“ hatten über ihre

Taktik zu entscheiden, ohne auf die Entwicklung der Dinge in Petrograd zu warten. Auch in Petrograd gab es natürlich Meinungs-

verschiedenheiten innerhalb der Partei. Unter den extremsten Gegnern befanden sich einige, die später in die bolschewisti-

sche Partei eintraten, wie z.B. David Saslawski und Esther Frumkin. In dem oben erwähnten Artikel schrieb Saslawski weiterhin:

“Wer ihnen die Hand

entgegenstreckt‚wird damit niemand

retten

-

nicht die Bolschewisten und nicht die Revolution. Die Kompromiß-

ler werden sich nur ihr eigenes Grab graben. Sie geben ihren Namen zu allerhand Verbrechen her und es wird nichts Gutes dabei herauskomen. Sie sind mit einem sozialen Kampf einverstanden, der mit Sozialismus nichts zu tun hat, dem jede Uberlegung fehlt und der zu einem blinden und grausamen Krieg aller gegen

alle führen wird. Sie verhelfen der Bourgeoisie zum Sieg.“ Er forderte dazu auf, alle Kontakte mit den Bolschewisten abzu-

brechen.52

Ähnlich äußerte sich Esther Frumkin.

Auch Lieber sagte auf dem 8. Kongreß des “Bund“, man dürfe nicht länger an den Sowjets teilnehmen, da die Bevölkerung in

ihrem Namen vergewaltigt werde. “Wir müssen uns weigern, bei

-

181

-

der Organisation des Regimes mitzuwirken. Die Gegenrevolution ist schon im Anmarsch und wir müssen über jeden Vorwurf erhaben sein. Mit der Partei, die diesen gegenrevolutionären Schritt getan hat, dürfen wir kein Ubereinkommen schließen. Ein Kompro-

miß mit den Bolschewisten mag uns Vorteile bringen, aber nur für kurze Zeit. Uns kommt es nicht auf zeitweilige Erfolge,

sondern auf die Reinheit unserer Parteigrundsätze an. “53 Zu den Ortsgruppen, die anderer Meinung waren und die beschlossen, mit

den Bolschewisten zusammenzuarbeiten, gehörten die in Odessa und Jekaterinoslaw. In Jekaterinoslaw errichtete man einen revolutionären Provinzialrat, an dem sich alle Arbeiterparteien mit .Ausnahme der Poale Zion 54 und “Jedinstwo“ beteiligten. Es wurde ein auf Parität basierendes Büro gewählt: die Bolschewisten und

ihre Anhänger erhielten 7 Sitze und alle anderen Parteien zu-

sammen auch 7. Es ist klar, schrieb das lokale Organ des “Bund“, daß diese Körperschaft nur funktionieren kann, wenn man in Petrograd zu einem Einverständnis gelangt.55

Abgesehen von Bobrujsk wissen wir aus diesen Tagen von keiner Austrittsbewegung aus dem “Bund“ wegen seiner Einstellung zu

den Bolschewisten. In einer Mitgliederversammlung der Bobrujsker Ortsgruppe am 23. November teilten 50 Mitglieder mit, daß sie

den “Bund“ verlassen und zu den Bolschewisten übergehen würden. Sie forderten auch dazu auf, bei den Wahlen zur Nationalversammlung für sie zu

stimmen.56

Sympathieerklärungen für die Bolschewisten konnte man auch für den 8. Parteikongreß hören. In dem Bericht über sie heißt

es: “Ein Genosse stand den Bolschewisten sehr nahe. Er sagte: wenn die Nationalversammlung nicht ein bestimmtes Programm durchführt, wenn sie unserer Revolution nicht als Brennpunkt

dient

-

kann man sie nach Hause schicken. Er und noch ein Genosse teilten kategorisch und mit aller Schärfe mit, daß Selbst-

verwaltungsorgane nicht imstande seien, in einer revolutionären

Epoche große revolutionäre Aufgaben zu erfüllen. Das sei die Aufgabe der Sowjets. Von links konnte man schwere Anschuldigungen gegen die Rechte hören. Ihr habt die Massen anarchisiert.

Ihr habt die Massen mit der Wirtschaftspolitik der Koalitionsregierung verärgert. Die Regierungsparteien haben das Staats-

.‘51' Die Resolution, die sic

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-

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.e Kritik an der Haltung der ;egenüber der Provisorischen .d ihrer Politik. Man war gegen g des bolschewistischen Aufstands.

eine all-sozialistische Regierung iensverhandlungen einleiten, die !ationalversammlung einberufen würde. und“ hatten die “Internationalisten' war der letzte Kongreß vor der Partei-

-

183

-

9. DER ACBTE KONSRESS DES “BUND“

Der 8. Parteikongreß hätte schon Anfang August 1917 zusammentreten sollen, um Antworten auf die wichtigen Fragen der Innen-

und Außenpolitik zu finden, besonders im Hinblick auf den baldigen Zusammentritt der Nationalversammlung.1 Aber 10 Tage nach der Ankündigung des Datums beschloß das Zentralkomitee, die Er-

öffnung infolge der Juliunruhen

-

und auch wegen der Vorberei-

tungen zu den Munizipalwahlen, mit denen die Ortsgruppen beschäftigt waren‚hinauszuschieben. Der neue Termin wurde auf

Ende September festgelegt lung, jedoch vor ihrem

-

nach den Wahlen zur Nationalversamm-

Zusammentritt.2

Auch die Tagesordnung des

Kongresses und das Wahlstatut der Delegierten wurden veröffent-

licht.3

Nach der Verzögerung der Wahlen zur Nationalversammlung wurde auch der Kongreß aufgeschoben, so daß er schließlich erst nach der Oktoberrevolution am 8. (21.) Dezember in Petrograd

eröffnet wurde. Er dauerte eine Woche lang. Es gab 74 Abgeordnete mit beschließender und weitere 40 mit beratender Stimme, die etwa 30.000 Genossen (von ca. 40.000)

repräsentierten. Ein Teil der Abgeordneten konnte wegen Trans-

portschwierigkeiten den Kongreß nicht

erreichen.‘

Die “Inter-

nationalisten“ bildeten die stärkste Fraktion; nach ihnen die “Linke Mitte“. Am wenigsten zahlreich waren die “Verteidiger“ unter

Lieber.5

Die Diskussionen des Kongresses drehten sich um einige Hauptpunkte: die Regierungsform, das Verhältnis zu den Bolschewisten, die nationale Autonomie usw.

-

auf Kosten anderer Punkte

der Tagesordnung, bei denen die Resolutionen ohne Diskussion im

Plenum angenommen wurden. Eine Reihe von Fragen, die wir in den vorhergehenden Kapiteln behandelt haben, wurden auf dem Kongreß

offiziell verabschiedet. Im Namen des Zentralkomitees berichtete A. Weinstein (Jerachmiel) über seine Tätigkeit. Er betonte,

daß sich der politische Kurs des Zentralkomitees im Laufe der Revolution mit dem der RSDRP gedeckt hatte. Aus verschiedenen

Gründen mnflen manche Funktionen des Zentralkomitees von den

Provinzkomitees

-

184

-

und sogar von den großen Ortsgruppen

-

übernommen. Das Zentralkomitee habe nur allgemeine Anweisungen

gegeben und die Vertretung der Partei in verschiedenen Aus-

schüssen organisiert. Der Referent erwähnte die wichtigen Beschlüsse des Zentralkomitees zu den Fragen der Provisorischen Regierung, der Außenpolitik, der Friedensbemühungen, der Regierungsanleihen, der

Munizipalitäten und der Nationalversammlung; auch zur Beteiligung an der Koalitionsregierung. In diesem Punkt habe die 10.

Parteikonferenz einen negativen Beschluß gefaßt, aber infolge der geänderten Umstände wäre man im Einverständnis mit dem Zentralkomitee der Menschewisten und ihrer Vertreter Zeretelli

und Gwozdiew zu einem positiven Entschluß gekommen. Danach wurde über die Phasen der Einstellung des Zentralkomitees und der Partei zur Frage der Koalitionsregierung berichtet, bis

man letztlich dazu gekommen sei, sie total abzulehnen und sich nach der bolschewistischen Umwälzung für eine homogene demo-

kratische

Regierung auszusprechen.

In bezug auf jüdische Fragen

-

jüdischen Kongreß, die Sabbatruhe

wie z.B. die Gemeinden, den bemerkte Weinstein, daß

-

sich das Zentralkomitee für eine Verschiebung der Gemeindewahlen bis nach den Munizipalwahlen eingesetzt habe, um eine

klare Definition der Befugnisse der Gemeinden zu ermöglichen. Das Zentralkomitee war der Ansicht, es sei Aufgabe der Lokalbehörden, für Sozialunterstützung und Arbeitsämter zu sorgen;

die Gemeinden sollten weltlich sein und als Organe der nationalkulturellen Autonomie fungieren. In bezug auf die Sabbatruhe

das bestätigte (1910).

Zentralkomitee die Beschlüsse der 8. Konferenz

Esther Frumkin berichtete über die Tätigkeit des Nord-WestRussischen Büros. Hier habe der “Bund“ 120 Ortsgruppen mit

13.700 Mitgliedern, und in den Munizipalitäten der Region 180 Vertreter. 120 öffentliche Versammlungen hatten vor den Muni-

zipalwahlen stattgefunden, an denen 127.000 Leute teilgenommen hatten. Seit 8 Monaten erscheine das Parteiorgan “Der Wecker“ in der Redaktion sitze auch A.Litwak. Die Referentin beklagte,

-

-

185

-

daß es infolge der allgemein-politischen Umstände unmöglich gewesen sei, sich der kulturellen Tätigkeit zu widmen. obwohl

diese unter den jüdischen Arbeitern besonders notwendig sei. In letzter Zeit hätte sich das gebessert. Man habe Volksuniver-

sitäten gegründet und mit Aktivitäten unter der arbeitenden Jugend begonnen; der “Jugend Bund“ schlage Wurzeln.

Die politische Linie des Regionalbüros habe dem'Linken Zen-

trmfl nahe gestanden. Das sei beim letzten Kongreß der RSDRP zum Ausdruck gekommen. Dementsprechend habe man die Notwendigkeit einer energischen Aktion für den Frieden betont und sich der Propaganda für eine “Offensive“ widersetzt. Gleichzeitig habe man die Verbesserung der Disziplin, der Kampfbereitschaft und eine militärische Organisation zum Schutz der Revolution gefordert. Nach dem Kornilow-Putsch habe das Regionalbüro einen

Beschluß gegen die Beteiligung der KD und der Großbourgeoisie an der Regierung gefaßt und sei für die Errichtung einer einheitlichen, demokratischen Regierung eingetreten. Nach dem bolschewistischen Umsturz hatten sich die Ortsgruppen des “Bund“ gegen ihn erklärt

-

aber auch gegen den Bürgerkrieg und für die

Errichtung eines homogenen sozialistischen

Regimes.

Nach Esthers

Einschätzung würden sich die jüdischen Massen den Bolschewisten nicht anschließen. In bezug auf jüdische Probleme war die Mehr-

heit im Regionalbüro für die Betonung des internationalen Elements im Kampf gegen die Bourgeoisie

-

als Gegengewicht zu dem

internationalen Charakter der bürgerlichen Interessen. Man hörte Forderungen nach Verweltlichung, nach der jiddischen Sprache. Man stützte sich auf die revolutionären Demokraten, wollte den

Klerikalismus bekämpfen und die Rechte der Minderheiten

sichern.7

Uber den “Bund“ in Süd-West-Rußland berichtete Rafes. Seiner Ansicht nach war der Zustand dort nicht befriedigend. Die Ortsgruppen der Partei seien verhältnismäßig neu. In einer Reihe von Städten gebe es Reibungen über den Kurs der Politik, und das

schwäche die Aktion. Rafes berichtete Einzelheiten über die Einstellung des “Bund“ zur ukrainischen Frage und betonte, daß der Partei gerade hier eine große Rolle zukomme, weil sie ja in den

offiziellen ukrainischen Körperschaften die Interessen der Mino-

ritäten der Exterritorialen vertrete. In der Frage der Unabhängig

-

186

-

keitserklärung der Ukraine durch den Ukrainischen Zentralrat

-

-

(Rada) im “Dritten Universal“ war die Taktik des “Bund“ von der der Menschewisten und der SR verschieden. Der “Bund“ hatte für das “Universal“ gesthmnt, die Menschewisten und SR hatten sich der Stimme enthalten. Im allgemeinen sei der “Bund“

für eine weitere Beteiligung an der Rada ohne Rücksicht auf

extrem-föderalistische Tendenzen. Zum Punkt “Regime“ und zur Nationalitätenfrage gab es 3

Referate: von M.Rafes, R.Abramowitsch und D.Saslawski. Im Brennpunkt der Ausführungen und der anschließenden Diskussionen stan-

den die Fragen des Separatismus und des Föderalismus. Rafes sagte, die föderalistischen Tendenzen vieler nationa-

ler Gruppen seien das natürliche Resultat der kapitalistischen Entwicklung. Die föderalistische Bewegung sei in erster Linie kleinbürgerlicher Natur, aber als realistischer Politiker glaube er nicht, daß man sich ihr widersetzen könne. Unter den

obwaltenden Umständen sei die föderative Struktur des Staates die einzig passende, und unter diesem Gesichtspunkt müsse man die ablehnende Stellung des “Bund“ prüfen. Es sei schwierig,

einen

Trennstrich zwischen Föderation und Autonomie zu ziehen,

und man müsse ein für allemal erklären, daß der “Bund“ für Föderation Hier ging der Führer des “Bund“ in der Ukraine

sei.9

einen pragmatischen Kompromiß mit den Tatsachen ein. Das zeigte sich klar in der Resolution des südrussischen Regionalbüros, die vor einem Abgleiten zum Separatismus warnte. Hier hieß es: die SD verteidige das Prinzip der Einheit Rußlands und müsse

demnach jeden Separatismus bekämpfen, wie er seinen Ausdruck in dem Bestreben finde, die Ukraine zu einem selbständigen Staatswesen mit eigener Wirtschafts- und Außenpolitik zu machen, das auch die Friedensverhandlungen für sich allein führen

würde.10

Der nächste Referent, Abramowitsch, war anderer Meinung. Die

Partei der Arbeiterklasse, die SD, müsse für Dezentralisation des Regimes sein, für weitgehende regionale Autonomie, eine

Autonomie ohne separatistische

Tendenzen.11

-

187

-

Abramowitsch meinte, die föderalistischen Neigungen seien ein Ausdruck der Ideologie kleinbürgerlicher Gruppen, die Angst vor dem Tempo der kapitalistischen Entwicklung hätten.

Jede von ihnen versuche, in ihrem Winkel Schutz vor dem historischen Prozeß zu finden. Nationale Besonderheiten und staatliche Absonderung seien dazu angetan, die Einheitsfront der revolutionären Kräfte zu brechen. Sie würden die gesellschaft-

liche Grundlage des russischen Proletariats im Klassenkampf

verengen.12

Eine Föderation sei ein Fortschritt, wenn sie vorher selbständige Staaten vereinige. Es gäbe mehrere solcher

Föderationen und ihre wirtschaftliche Entwicklung habe zur Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls und zur Erweiterung der Kompetenz des Bundesparlaments beigetragen. In der Geschichte sei demnach die Föderation ein Durchgangsstadium von der

Unabhängigkeit zur Autonomie. Rafes, sagte Abramowitsch, schlage aber das genaue Gegenteil vor: aus einem Land, das vorher geeint und im Innern fest geschlossen war, einem föderativen Staat zu machen. Das gehe gegen die Logik der Geschichte.

Der Referent sprach sich für Territorialautonomie aus. Die

autonomen Landesteile müßten Rechte

und Befugnisse erhalten,

soweit das dem Staat und seiner Einheit nicht schadete. An den Friedensverhandlungen dürfe man sie nicht beteiligen, und sie hätten auch keine eigene Wirtschaftspolitik zu betreiben. In der Ukraine drängten seiner Ansicht nach bäuerliche Interessen und die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes gleichzeitig mit politischen Interessen zur Föderalisierung. Abramowitsch

analysierte die Faktoren, die dafür sprächen, und fand, sie seien eher reaktionär als fortschrittlich; darum kam er zu einem umgekehrten Schluß wie Rafes, der die Föderation bejahte.

“Natürlich würde ich kein Militär

schicken,um die Ukrainer

an

der Verwirklichung ihrer Bestrebungen zu hindern, aber meine Meinung muß ich sagen. Für das Proletariat ist die Föderation reaktionär und schädlich. Jedes Territorium soll so viel Selbständigkeit erhaltcn‚wie der Entwicklung des Proletariats von Nutzen ist.“ Zum Schluß seines Referats sagte Abramowitsch,

die Partei solle weder für die Fö deration noch für den Zentra-

lismus Stellung nehmen. “Wir müssen nur absolut klar machen,

-

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-

daß wir für volle Rechtsgleichheit aller Völker Rußlands sind; wir sind auch von der Notwendigkeit durchdrungen, die Einheit

Rußlands zu

bewahren.“13

Der dritte Referent war Saslawski, der zum Abwarten riet.

In manchen Gegenden Rußlands sei man augenblicklich für den

Föderalismus begeistert. Man würde ja sehen, ob das eine vorüber-

gehende Mode sei oder ein tiefes, verankertes Streben. Danach müßte die Partei dann handeln. In der Diskussion, die diesen Referaten folgte, konnte man sehen, daß die politischen Er-

fahrungen der letzten Monate auf den “Bund“ großen Einfluß gehabt hatten. Viele Genossen schlossen sich Rafes'Meinung an, wenn auch nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern nur aus tak-

tischen. Man glaubte, die ukrainischen Föderalisten seien stark und einflußreich, und das könnte sich als entscheidender Faktor im Kampf gegen Bolschewismus und Anarchie erweisen. Der Föderalismus könne zwar zur Zerstückelung Rußlands führen, aber

dieser Umstand könne es gerade vor der Anarchie bewahren. Man-

che fanden auch, es sei nicht richtig, daß die neuen Grenzen der Föderation sich störend auf die wirtschaftliche Einheit auswirken müßten. Als Beispiel wurde angeführt, wie der Imperialismus viele Länder in wirtschaftlicher Beziehung zusammenschließt;

der Föderalismus sei kein Hindernis für die kapitalistische Entwicklung Britanniens. Auch Amerika sei eine Föderation, und doch sei dort der Kapitalismus stärker als im monolithischen

Frankreich. Die Gegner wiesen nach, daß gerade in Amerika die zentrali-

stischen Tendenzen im Wachsen seien, weil der Föderalismus die Entwicklung der Wirtschaft störe.

Wer wirtschaftliche Einheit

wolle, müsse die Konsequenzen ziehen. Wirtschaftlichkeit for-

dert Rechtseinheit. überall muß der Staat die Handelsbeziehungen regeln. Einheit verlangt ein einheitliches Finanzsystem, denn die fiskale- und Zollpolitik ist ein enorm wirksames Werkzeug im Kampf zwischen Agrarstaaten und Industrieländern. Außenpolitik, Handelsverträge, Reaktion auf die Zollpolitik anderer

Länder

-

all das muß einheitlich sein. Auch die Arbeitsgesetz-

gebung spielt nicht nur im Klassenkampf eine große Rolle, sie ist auch ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor. Wer Wirt-

-189'

schaftseinheit will, muß auch für die Einheit auf vielen anderen Gebieten sorgen. Man wiederholte Abramowitsch' Argument, daß eine Föderation fortschrittlich sei, wenn sie vorher selb-

ständige Länder vereinige; wenn sie aber ein Land zersplittere, Ein siebenköpfiger was vorher ging war, sei sie

reaktionär.14

Ausschuß wurde gewählt, der dem Plenum einen Resolutionsvorschlag vorlegen sollte. Es handelte sich um 2 Fragen: Zentralisation oder Dezentralisation und das Problem des Föderalismus

und der Autonomie. In der ersten Frage gab es keine Meinungs-

verschiedenheiten, um so mehr aber bezüglich der zweiten. Die meisten Abgeordneten wollten den Föderalismus nicht, fanden

aber, man müsse die föderalistischen Bestrebungen mit Vorsicht behandeln und dürfe sie nicht unterschätzen. Ihre Ursachen lägen nicht nur in kleinbürgerlichen Interessen, sondern in dem allgemeinen Auflösungsprozeß der Wirtschaft und Politik und in

der zentralistischen Unterdrückungspolitik des Zarenregimes. Da der Föderalismus aber gefährlich sei, müsse man ihm das

Prinzip der territorialen Autonomie gegenüberstellen. Der Vorschlag von Rafes, Rußland als Föderativstaat anzu-

erkennen. wurde

abgelehnt.15

Die Resolution, die schließlich

angenommen wurde, sprach von weitgehender Dezentralisation,

aber auch von Bewahrung der Wirtschaftseinheit und von der Ein-

heit des Klassenkampfes in Rußland. Föderalistische Tendenzen, die zum Separatismus führen könnten, wurden getadelt, und man verlangte Wachsamkeit zur-Bewahrung des parlamentarisch-demokratischen Systems. Der nächste Punkt der Tagesordnung war: “Probleme des jüdischen Publikums.“ Im Mittelpunkt stand die Frage der Durchfüh-

rung der national-kulturellen Autonomie. Man sprach von programmtischen Fragen und Befugnissen der Autonomie, aber mehr von der taktischen als von der theoretischen Seite. Niemand leugnete die Notwendigkeit, sich an der Tätigkeit der jüdischen

Gemeinden und ihrer Reorganisation zu beteiligen. Geteilt waren die Meinungen in der Frage, welchen Wert man jedem der

beiden Faktoren beimessen sollte. Wieder eröffneten drei Referenten die Diskussion. Der erste war Rafes: er forderte Antworten auf alle praktischen Fragen, die aus dem nationalen

-

190

-

Programm herrührten. Eine Minderheit wolle der Mehrheit ihren

Willen aufzwingen. Eine demokratisch gewählte, politische Körperschaft müsse das jüdische Volk vertreten; die Minderheit müsse sich der Entscheidung der Mehrheit unterwerfen. Er meinte damit die jüdische Gemeinde und die Gemeindewahlen. Er war

gegen die Ubertragung von Funktionen der national-kulturellen Autonomie an die Munizipalitäten. Nur Juden könnten ein natio—

nales Programm durchführen. Zum Programm selbst meinte er, das Prinzip der national-kulturellen Autonomie beziehe sich auf

Juden, die ein bestimmtes Territorium bewohnten. Auf wirtschaftlichem Gebiet dürften aber keine trennenden Barrieren zwischen den Juden und ihrer Umgebung geschaffen werden.

Nichts,

was zum

Wirtschaftsleben gehöre, dürfe in den Zuständigkeitsbereich der national-kulturellen Autonomie fallen. Rafes hatte nichts gegen jüdische Krankenhäuser. Ihr materieller Unterhalt sollte aber

Angelegenheit der Stadtverwaltung sein

-

nicht die der Gemeinde.

Rafes glaubte nicht, daß sich am jüdischen Kongreß eine Mehrheit für die Trennung von Religion und Gemeinde finden würde. Trotzdem widersetzte er sich mit aller Schärfe der Tendenz, ihn

deswegen zu boykottieren. Er hoffte, die Nationalversammlung

werde die Trennung von Staat und Religion beschließen. Die Beschlüsse des jüdischen Kongresses würden die Partei zwar nicht verpflichten, aber “wir dürfen die Fäden, die uns mit der Umwelt

verknüpfen, nicht zerreißen. Wir sind die Partei, die ein nationales Programm für das ganze Volk entwickelte; wir halten unter

allen Umständen daran fest, daß die Juden ein Volk sind; wir wollen die Gemeinde nicht spalten;für uns ist der jüdische Kongreß eine Tatsache, mit der wir uns abfinden müssen. Indem wir hingehen, müssen wir vor allem unsere positiven Antworten auf

alle Fragen dem Publikum vorlegen. Wir dürfen uns nicht auf eine negative Taktik

einlassen.“16

Zum Schluß behandelte der Referent noch die Frage des jüdi-

schen Volkes a1s Weltvolk. Er bestritt diesen Begriff, wie ihn

die Zionisten gebrauchten, betonte aber die Gemeinsamkeit der

Kultur der jüdischen Massen. Deshalb bestünde die Möglichkeit gewisser Beziehungen zwischen jüdisch-sozialistischen Parteien

und den Behörden der national-kulturellen

Autonomie.17

Es

ist

-

191

-

klar, daß Rafes den großen Wert der Gemeinden und des jüdischen Kongresses im Leben der jüdischen Massen

erkannte: darum forder-

te er die aktive Teilnahme des “Bund“ an ihnen

Vorbehalte

-,

-

trotz aller

um den Massen verbunden zu bleiben.

Einen anderen Ton schlug Esther Frumkin an. Sie war absolut

-

dagegen, daß die Gemeinden für alle Bedürfnisse der Juden und nicht nur die kulturellen sorgen sollten. Das würde sie

-

zu einer Art Selbstschutzorganisation im Kampfe aller Juden gegen andere Völker machen. Es würde ihnen das Recht geben, die

Juden in allen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen zu vertreten. Das würde zu nationalen Konflikten mit allen

allgemeinen Behörden führen, und dies sei genau das Gegenteil “Wenn von dem, was der “Bund“ mit der Autonomie man jetzt auf dem Gebiet der Sozialhilfe eine Scheidewand

anstrebe.18

zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Arbeitern errichten will, soll das dann zur Trennung in allen Dingen führen?“, fragte Esther in sarkastischem Ton. “Vielleicht führen wir getrennte Eisenbahnwagen ein, wo die Juden beten und die Christen

sich bekreuzigen können? Die meisten jüdischen Arbeiter hassen treifes [nicht koschereg7 Essen und wollen jüdische Gerichte. Sollen wir deshalb besondere jüdische Arbeiterküchen einrich-

ten?“19

Nur auf die Nationalversamlung und die Munizipalbehör-

den solle man sich verlassen, nicht aber auf die Gemeinden. Die bestehende Gemeinde müsse von Grund auf zerstört werden, sie

sei ein Abgrund von Schmutz, aus dem nichts Gutes kommen könnte. Auch in der kulturellen Tätigkeit sollte man sich hauptsächlich auf die demokratischen Stadtverwaltungen verlassen

Gemeinden.20

Wenn man sich darüber einig sei, und nicht auf die daß es in kulturellen Dingen eine nationale Eigenart gebe, dann

müsse es auch möglich sein, auf diesem Gebiet mit anderen Nationen zusammen zu arbeiten. Sollten objektive Bedingungen es unmöglich machen, Befugnisse und Institutionen der Autorität der Munizipalitäten zu übergeben, so daß die Gemeinden sie weiter zu verwalten hätten, dann dürfe man sie eben nicht mit sie müßten aber unter Gewalt auflösen, sondern nur allmählich

-

der Aufsicht der Stadtverwaltung stehen. Das waren Esthers

Schlußworte.21

-

192

-

Der dritte Referent war A.Litwak. Er setzte sich vor allem mit Esthers Meinungen auseinander, die den Umfang der jüdischen Institutionen möglichst beschränken wollte, um alles

den allgemeinen Behörden zu überlassen. Er verlangte die Ausdehnung der Gemeindefunktionen. Man müsse nicht über die Einzel-

heiten der Befugnisse diskutieren, sondern über das Prinzip, nach dem sie festzusetzen seien. In zwei Fällen müsse man die Funktionen den nationalen Institutionen überlassen: (a) wenn die Bedürfnisse auf diese Weise besser und rationeller befriedigt würden; (b) wenn dadurch nationale Reibungsflächen zugunsten des Klassenkampfes verringert würden. Demnach sollten

die Befugnisse der Autonomie sich nicht erstrecken: auf Kredit, Kooperation, Ein- und Verkauf im kleinbürgerlichen- und Hand-

werkssektor. Denn das würde bedeuten, daß jede Nation ihren Krämern und Handwerkern helfen müsse, um sie den Krämern und

Handwerkern anderer Nationen gegefiker konkurrenzfähig zu machen. Auch mit Arbeitsämtern dürfe sich die nationale Autonomie nicht

befassen. Das sei nicht rationell, ebensowenig wie die Auswandererhilfe. Dagegen sollte sie Sozialunterstützung und Ge-

sundheitsdienst umfassen. Ein Kranker fühle sich besser in der Umgebung von Leuten, die seine Sprache sprechen und ihm auch sonst nahe stehen. Deshalb müsse man jüdische Krankenhäuser

bauen. Wenn das in einer kleinen Stadt mit nur einem Krankenhaus nicht möglich sei, sollte die Mehrheit entscheiden. Wo

die Juden die Mehrheit seien, sollte dann das Krankenhaus der jüdischen Gemeinde unterstehen. Auch Rechtsbeistand gehöre zum Bereich der Autonomie. Litwak schloß sich Rafes' Meinung an,

daß die Gemeinde die Funktion einer Repräsentanz zu erfüllen habe, aber nur im Bereich ihrer

Zuständigkeit.22

Die Generaldebatte befaßte sich mit den Befugnissen und dem Umfang der Tätigkeit der Gemeinde als eines Organe der national-

kulturellen Autonomie. Diejenigen, die eine Ausdehnung der Befugnisse befürworteten, argumentierten positiv: je besser begründet die Kultur eines Volkes ist, desto besser geht es auch dem Proletariat dieses Volkes, das einen festen, nationalkulturellen Halt hat. Sie wollten das Problem nicht theoretisch untersuchen, sondern verfolgen, wohin die Praxis führt.

-

193

-

Man müsse sich für Demokratisierung der Gemeinden einsetzen. Wenn das praktische Leben eine Erweiterung ihrer

Befugnihse

erfordere, sollte man sich dem nicht widersetzen. Esther wurde heftig kritisiert. Man sagte, dies sei die Einstellung der

Assimilanten im 'Bund', die der national-kulturellen Autonomie nur gezwungen zugestimmt hätten und die immer versuchten, sie möglichst einzuschränken. Je reicher die nationale Kultur sei, desto besser ginge es dem Proletariat deshalb müsse man die

-

Autonomie ausdehnen. 23 Auch wegen ihrer Annahme, daß eine Zusammzmrbeit mit national-kultureller Autonomie anderer Völker

möglich sei und daß man sogar

gemeinsame_1nstitutionen errich-

ten könne, ;eriet Esther unter Beschuß. “an nannte das “Iskris-

mus“

-

Assimilationstendenz.

Es gab auch Delegierte, die ganz offen erklärten, die natio-

nal-kulturelle Autonomie sei für sie kein Fetisch. “Die Erfahrungen der Revolution haben es uns gelehrt: Wenn die Leitung der Dinge in demokratische Hände [Munizipalitäten7 übergeht,

schränken sich die Funktionen der Gemeinde ein. Wir möchten sie sogar nur auf die Schulen beschränkt sehen...Wenn wir erst werden, wollen wir volle demokratische Selbstverwaltung

haben

ihnen gern die Sorge für die Interessen der jüdischen Arbeiter

-

anstatt den undemokratischen Gemeinden. Auch zwei überlassen jüdische Gemeinden sind möglich.“ Die Bundzeitung, die dieses Zitat aus dem Munde eines Delegierten anführte, bemerkte dazu, daß diese extreme Ansicht kein Echo gefunden habe. Dagegen erweckte Rafes' Vorschlag (Repräsen-

tationsrecht der Gemeinden) Sympathie bei einer Anzahl von Delegierten, allerdings nur in bezug auf kulturelle

Angelegenheiten.24

Er wurde mit 22 gegen 21 Stimmen abgelehnt. Die gesamte Resolu-

tion erhielt 40 Stimmen gegen eine, bei 16 Stimmenthaltungen.25 Sie besagte, die Revolution habe sowohl territorial-föderali-

stische Tendenzen zur Lösung der Nationalitätenfrage in Rußland erzeugt, wie auch dem Prinzip der persönlichen Autonomie zum Siege verhelfen. Dieses führe das Problem der nationalen Minderheiten und auch des jüdischen Volkes einer Lösung zu. Die

-

-

Autonomie werde dazu dienen, die Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen. Der Kongreß bejahte die Beteiligung der Ortsgruppen

-

194

-

an den Wahlen zu den Gemeinderäten. Sie sollten sich für den

weltlichen, demokratischen Charakter der Gemeinden einsetzen,

und diese sollten ausschließlich kulturelle Befugnisse haben. Die soziale Unterstützung sollte den Stadtverwaltungen über-

geben werden. Der Antrag, den jüdischen Kongreß zu verlassen, wenn es sich

herausstellen sollte, daß er zu einer zionistischen Demonstration mißbraucht werde, wurde abgelehnt.26 Eine spezielle Resolution über die Schulen wurde angenommen. Es war darin von den großen Möglichkeiten freier Kulturentwicklung die Rede, die

den Volksmassen jetzt, nach dem Umsturz des alten Regimes, offenstünden. Bildungs- und Kulturbestrebungen der Arbeitermassen und der demokratischen Intelligenz stießen von Seiten der reaktionären Kräfte im jüdischen Volk auf Hindernisse. Diese weigerten sich, eine nicht-religiöse Erziehung zu ermöglichen und Jiddisch als Unterrichtssprache zu gebrauchen. Der “Bund“ müsse

alle Möglichkeiten der demokratischen Institutionen der Lokalbehörden ausnutzen, um sein Erziehungsprogramm zu verwirklichen. Von den Munizipalbehörden müsse man weltliche Pflichtschulen

mit unentgeltlichem Unterricht in der Muttersprache fordern,

sowie Lehrmittel, Schulkleider und Schulspeisung. Das allgemeine

Schulnetz sollte sich auch auf die jüdischen Schulen erstrecken

und für sie aufkommen. Mit der Errichtung demokratischer, weltlicher jüdischer Gemeinden sollten diese die jüdischen Schulen

übernehmen.27 Auf der Tagesordnung stand auch ein Punkt über die Beziehungen des “Bund“ zu anderen jüdischen politischen Parteien. Man

behandelte aber nur die Beziehungen zu den “Vereinigten“, nachdem jemand vorgeschlagen hatte, mit ihnen zu fusionieren. Sie hätten das territoriale Prinzip aufgegeben und wären jetzt für die nationale Autonomie; demnach hätten sich die Unterschiede

zwischen den beiden Parteien verwischt. Tatsächlich waren Anderungen in der Ideologie der “Vereinigten“ zu spüren. Schon

auf dem 6. Kongreß der ZS (Zionisten-Sozialisten) Anfang April hatte ihr Führer Litwakow gesagt, man brauche das Territorium

in der Resolution nicht mehr zu erwähnen. Man müsse die Stellungnahme der Zionisten bekämpfen und auf die Territorial-Phraseolo-

-

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-

gie verzichten. Es hätte einmal ein territorialistisches Abenteuer gegeben. An seine Stelle sei jetzt ein autonomistisches getreten. Um das zu bekämpfen, brauche man jetzt die national-

politische Autonomie, aber nur im Bereich der

Kultur.28

Das Wort “Territorialismus“ war nicht ganz aus den Resolutionen des Parteikongresses gestrichen: nach der Enttäuschung,

die man mit dem Abenteuer erlebt hatte, das dem Auswanderer-

volk ein territoriales Zentrum hätte geben sollen, hätten die ZS den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in die Länder der Diaspora

verlegt und hätten den Territorialismus nach und nach aufgegeben, der früher ein Streitpunkt mit den zionistisch-sozialisti-

schen Parteien

-

und auch mit dem “Bund“

-

gewesen sei. Der

Territorialismus war jetzt kein Ziel und keine absolute Weltanschauung mehr. Deshalb war die Vereinigung mit der “Jüdi-

schen Sozialistischen Partei“ (JS) möglich gewesen und man hatte die “Vereinigte Jüdisch-Sozialistische Partei (ZS und JS)“

gegründet

- die

“Vereinigten“, wie sie im Volksmund

hießen.29

Die “Vereinigten“ hatten eine breitere Auffassung vom Autonomiebegriff als der 'Bund'. Darum waren für die Einigungsbestrebung diejenigen Delegierten des 8. Kongresses, die sowieso

weitere Befugnisse bejahten, und dagegen die, die sie einschränder anführte, nach der Einigung ken wollten. Dafür war

Rafes,30

würde man den Chauvinismus im jüdischen Publikum besser bekämpfen können; außerdem müsse man mit dem bedeutenden Einfluß

der “Vereinigten“ in der Ukraine und im ukrainischen Zentralrat (Rada) rechnen. Die Mehrheit der Delegierten, und an ihrer

dem.31

Man beschloß aber, das Spitze Esther, widersetzten sich Zentralkomitee dazu zu ermächtigen, begrenzte Abmachungen mit den “Vereinigten“ zu

treffen.32

Im Juli hatte man davon gesprochen, den Punkt aber nicht

auf die Tagesordnung gesetzt: die Pogrome. Das war ein ständiger Alptraum, besonders jetzt, nach der Oktoberrevolution, und

er kam auch auf dem Kongreß zum Ausdruck. Schon in den ersten Wochen nad1der Februar-Revolution konnte man hier und da eine Pogromstimmung wahrnehmen und es gab auch Versuche, Gewalt anzuwenden. Eine Hetze gegen die Juden war unter den Soldaten

-196-

spürbar, während sich das Heer immer mehr auflöste und demoralisierte. Ein ernstes Warnungssignal war ein Pogrom der russischen Soldaten in dem Städtchen Kaluscbin am 28. Juli

1917.33

Aber die Bundzeitungen geben sich noch Illusionen hin. “Trotz aller Befürchtungen sind die revolutionären Massen keine Träger einer Pogromstimmung. Die zionistische Legende, als ob

bei allen Völkern und besonders bei den Russen ein naturgegebener Judenhaß esistiere, hat sich seit der ersten Revolution

als falsch herausgestellt. Bis heute gibt es keine organisierte antisemitische Bewegung, auch keine besondere antisemitische

Partei.“"

Im Laufe der Zeit wurde es aber unmöglich, die antisemiti-

sche Welle zu ignorieren. Das Zentralorgan des “Bund“ in russischer Sprache fand, die Bolschewisten seien an allem

schuld.35

Die Judenhetze hatte an mehreren Orten bedrohliche Formen angenommen. Pogrome hatten besonders im Süden, in der Ukraine, in

den Gouvernements Kiew und Poltawa

stattgefunden.36

Aber das

übel war nicht auf die Ukraine beschränkt und die “Helden“ waren nicht nur Soldaten. Das Organ des “Bund“ stelle fest, daß es auch außerhalb der Armee in Rußland eine Propaganda im Stil der “Schwarzen Hundert“ gebe. Diese hatte den Mangel an Lebens-

mittel und die dadurch hervorgerufene Erbitterung ausgenutzt; ebenso die Tatsache, daß Juden zu Vorsitzenden der Stadträte

waren.37

Auf Abramovon Petrograd und Moskau gewählt worden witsch' Initiative hin beschloß die Sowjet-Exekutive, sich an wenden; lokalen Arbeiterund Soldatenräte zu alle diese sollten die schärfsten Mittel (auch Waffengewalt) anwenden, um

Pogromversuche zu unterdrücken. Sie sollten sie als konterrevolutionäre Akte

behandeln.38

Nach der Oktoberrevolution verschlimmerte sich die Lage. Um

die Revolution zu bekämpfen, machte man die Bolschewisten und die Juden selbst verantwortlich. Das bolschewistische Regime bezeichnete man als Judenherrschaft. Diese Identifizierung von Juden und Bolschewisten wurde zum populären Schlagwort. Es war

bequem und zweckdienlich. Die Teilnahme der Juden war offensichtlich. Viele der alten Beamten betrieben Sabotage.39

-

197

-

In den politischen Körperschaften waren die Meinungen über

die Organisierung eines Selbstschutzes geteilt. Das kam auch auf dem Kongreß des “Bund“ zum Ausdruck. Die Befürworter des Selbstschutzes sagten, es sei ein Schutz der Demokratie, da

die Pogromisten Konterrevolutionäre seien. Ein Delegierter aus Poltawa, der für den Selbstschutz sprach, erzählte, in

seiner Stadt sei es gelungen, einen Pogrom von Soldaten mit bolschewistischen Anschauungen und unterstützt von Junkern zu verhindern. Auch ukrainische Arbeiter machten bei Judenpogromen mit. Dagegen sprachen solche, die glaubten, daß man Pogrome ebenso wie die Konterrevolution durch die Sowjets oder spezielle Sowjetkonmissionen bekämpfen müsse. Rafes war ein begeisterter Anhänger des Selbstschutzes. Aber er widersetzte sich der zionistischen Forderung, man solle die Juden in der Armee zusammenfassen und jüdische Einheiten im

ukrainischen Militär

organisieren. Wenn der “Bund“ die Selbst-

schutzparole nicht aufgreife, meinte Rafes, wäre das eine Schande für die revolutionäre Atmosphäre selbst. Wo immer möglich

sollte man einen örtlichen, allgemeinen Selbstschutz organi-

-

sieren wo nicht, müßte es eben ein jüdischer sein. Auf Hilfe von außen dürfe man nicht warten. Einzelheiten würde man lokal bestimmen. Beide Teile waren für einen Kompromiß und der Kongreß faßte keinen eindeutigen

Beschluß.40

Eines der Hauptthemen war natürlich die politische Lage. Der “Bund“ war immer stolz darauf gewesen, daß es bei ihm keine

streitenden Fraktionen gab wie z.B. bei der russischen SD. Noch auf dem Fragebogen vor dem Kongreß vermerkten alle Ortsgruppen, daß es bei ihnen keine Fraktionen gebe. Und doch bewirkten die

stürmischen politischen Ereignisse tiefgehende Meinungsverschie-

denheiten. Es gab zwar keine organisierten Fraktionen, aber man kann nicht ignorieren, daß es innerhalb der Partei Strömungen gab, die sich deutlich und scharf unterschieden. Zur Zeit der

Februar-Revolution hatta1die “Internationalisten' in der Partei kaum Bedeutung, aber sie verstärkten ihren Einfluß zusehends, und auf dem 8. Kongreß waren sie dominant. Das äußerte sich in der Ablehnung der Regierungskoalition mit der Bourgeoisie, in

der Bejahung der revolutionären Demokratie aller Parteien und in der Diskussion über die politische Lage.

-

198

-

Auch hier wurde die Diskussion von 3 Referenten eröffnet. Abramowitsch sprach zunächst über den Charakter der Revolution, wiederholte, es sei seiner Meinung nach keine sozialistische

Revolution. Ihre Aufgaben wären schon 1905 aktuell gewesen, und zwar die Agrarfrage, die Schaffung erträglicher Lebensbedingungen für das Proletariat

Revolution

-, die

- im Rahmen einer bürgerlichen

Errichtung einer demokratischen Republik,

eine Lösung des Nationalitätenproblems und der Krieg. Abramo-

witsch analysierte die Einstellung der verschiedenen politi-

schen Faktoren zu diesen Fragen und folgerte daraus: vor der Revolution war auch die Bourgeoisie bis zu einem gewissen Grade an der Revolution interessiert. Man hatte Angst vor dem Proletariat, gleichzeitig haßte man die Autokratie. Die Bolschewisten hatten das nicht zugegeben und die Menschewisten glaubten, die Bourgeoisie würde zwischen zwei feindlichen Kräften balancieren, um die Autokratie zu stürzen und ihren Platz ein-

zunehmen. Als es klar wurde, daß die Gefahr einer Restauration

der Monarchie nicht bestand, konnte die Revolution ihren nächsten Schritt nicht im Hunde mit dem kapitalistischen Bürgertum tun, sondern nur im Kampf

dagegen.41

Abramowitsch gab eine Reihe von Beispielen und wies nach, daß die Koalition den Tod in sich trug. Sie war tauglich nur als Werkzeug zur Unterdrückung der Revolution. Keines der Probleme habe die Revolution gelöst; das Volk habe die Geduld verloren und damit war der Boden für die Demagogie geschaffen: die Umstände hätten die objektiven Bedingungen zum Erfolg der bol-

schewistischen Propaganda vorbereitet. Jetzt sei der Moment gekommen, die Idee einer homogenen sozialistischen Regierung vorzuschlagen

-

von den Volkssozialisten bis zu den Bolsche-

wisten. Der Bolschewismus habe zwar die revolutionäre Einheits-

front zerstört, aber die meisten Arbeiter seien ihm ohne viel

zu denken nachgelaufen. Abramowitsch schloß mit den Worten, im Kampf gegen die Bolschewisten müsse eine Tür offen bleiben, um

die Massen zu

retten.42

-

199

-

Lieber gab in seinem Referat der Meinung der “Verteidiger“

Ausdruck. Er verbreitete sich über die Bedingungen, unter denen die Revolution stattgefunden habe und wiederholte, es sei eine bürgerliche Revolution und die Bourgeoisie sei an ihren Errungenschaften interessiert. Am Zerfall der Revolution sei der

Krieg schuld, der Ungeduld, Unzufriedenheit und sogar Feindschaft erzeugt habe. Lieber bestand darauf, daß er immer gegen

die Beteiligung der SD an der Koalition gewesen sei. Prinzipiell

sei er für eine nationale Regierung als Exekutivorgan und zur Vorbereitung der Nationalversammlung. Die Koalition sei das Resultat der Doppelherrschaft gewesen. Es gehe nicht an, die Zügel nur der Regierung in die Hand zu geben aber auch nicht

-

den Sowjets. Zwei Elemente habe die Oktoberrevolution ans Licht gebracht: das anarcho-syndikalistische und das konterrevolutionäre. Er bestritt, daß die Sowjets eine höhere Stufe der Demo-

kratie darstellten als aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Institutionen. In den Sowjets, die die Macht ergriffen haben, habe der “Bund“ nichts mehr zu suchen; auch an der Organisation der Regierung solle man sich nicht beteiligen. “Die Konterrevolution ist im Anmarsch und wir müssen über jeden Vorwurf erhaben sein. Mit einer Partei, die diesen konterrevolutionären Schritt getan hat, können wir kein übereinkommen schließen. Einen Kompromiß mit den Bolschewisten könnten wir als Erfolg

-

aber nur für kurze Zeit. Uns kommt es nicht auf kurzbuchen lebige Erfolge, sondern auf die Reinheit unserer Parteiprinzipien

an.“43

Der dritte Referent war A.Weinstein. Er wandte sich gegen Abramowitsch und Lieber, die mit ihren starren Schemen immer

Recht haben wollten. Weinstein, der Mann der sogenannten “Linken Mitte“, übte auch Kritik an der Vergangenheit, besonders an dem Lauf der Ereignisse in der Zeit vom Februar bis zum Oktober; er lehnte aber Liebers Meinung, die SD sollte auch in der Nationalversammlung auf eine Beteiligung an der Regierung verzichten, ab. In einer revolutionären Epoche sei die Regierungsgewalt die Hauptsache und man dürfe das Proletariat nicht seines Einflusses auf das Schicksal der Revolution berauben. Die Nationalversamm-

lung könne vor zwei Möglichkeiten stehen: einer linken Mehrheit

-

200

-

(von den Volkssozialisten bis zu den Bolschewisten) oder einer rechten. Man müsse sich darüber klar werden, was man wolle:

eine demokratische Regierung, gestützt auf eine linke Mehrheit,

oder eine Koalitionsregierung mit einer rechten Mehrheit. Mit seinem Vorschlag nach einer nationalen Regierung versuche Lieber

den Grundfragen der Zeit auszuweichen. Weinstein war für die von den “Internationalisten' vorgeschlagene Lösung einer sozialistischen Regierung, bezweifelte aber, ob die Bolschewisten bereit seien. Man dürfe die Verbindung mit den Massen nicht verlieren. Die Bolschewisten müsse man vor die einzig mögliche Wahl stellen. Die Beteiligung des “Bund“ an den Sowjets war für Weinstein keine Prinzipienfrage. Wo der “Bund“ sie verlassen

habe, hätte er den Kontakt mit den Arbeitermassen verloren. Man müsse drin bleiben und, wo man ausgetreten sei, zurückkehren. Unter gewissen Bedingungen sei es sogar besser, in der Zentral-

Exekutive zu

sitzen.“

Die Diskussion über die aktuellen Fragen der Politik war nicht lang. In den Ortsgruppen war ihr ein reger Meinungsaustausch vorangegangen‚und die drei Referenten vertraten jene

Strömungen in der Partei, die sich dabei herausgebildet hatten. übrigens stellte es sich in der Debatte heraus, daß es in der Partei Genossen gab, die noch weiter links standen als Abramowitsch und die

“Internationalisten'.45

In der Debatte befaßten sich viele Delegierte mit der Ge-

schichte und brachten schwere Beschuldigungen gegen die Koalitionsregierung vor. Redner des rechten Flügels antworteten, man dürfe die objektiven Bedingungen nicht außer Acht lassen. Man

könne die Verantwortung für alles Unglück nicht den Parteien und ihren Führern anlasten. Die Frage der Mittel im Kampf gegen

die Bolschewisten war auch im Fall der Ukraine aktuell. Die Bundisten aus der Ukraine waren überzeugt, man müsse alle Kräfte anstrengen, um den Konflikt zwischen der Ukraine und den Bolsche—

wisten nur auf friedlichen Wege zu lösen. Es gab Meinungsverschiedenheiten über die Kampfmittel, wenn die Bemühungen, zu

einer Lösung zu gelangen, scheitern sollten. Manche meinten,

man müsse die Ukraine gegen die Bolschewisten mit der Waffe in

der Hand verteidigen. Andere behaupteten, das bedeute eine Wahl

-

201

-

zwischen Kaledin und den Sowjets. Die jüdischen Arbeiter müß— ten den Sowjets, den Arbeitern, Soldaten und Matrosen zur-

Seite

stehen.‘6

Dem Plenum wurden drei Resolutionen der drei Strömungen

vorgelegt. Abramowitsch schlug vor, der Kongreß sollte die Resolution des Menschewisten-Kongresses bestätigen (siehe oben).

Hiernach sollte man zu einem Ubereinkommen aller sozialistischen und demokratischen Parteien gelangen und eine revolutionäre Regierung von den Volkssozialisten bis zu den Bolsche-

wisten errichten. Der Unterschied zwischen der “Linken Mitte“ (Weinstein) und

den “Internationalisten' lag in der Einschätzung der Vergangenheit, während man sich in der Frage der Regierungsbildung nach der Oktoberrevolution beinahe einig war. Beide wollten die Ein— heit der revolutionären Demokratie und die Errichtung einer sozialistischen Regierung unter Beteiligung der Bolschewisten. Da zwischen den beiden Anträgen kein wesentlicher Unterschied

bestand, schlug Abramowitsch vor, sie zu vereinigen und Liebers Antrag gegenüberzustellen. Sein Vorschlag wurde aber nicht angenommen, weil man in der Partei das Kräfteverhältnis zwischen den Strömungen kennen wollte so das Parteiorgan. Es stellte sich heraus, daß, einschließlich der Delegierten mit beratender Stimme, die “Internationalisten' 43 Personen stark waren, die

-

“Linke Mitte“ 31 und Liebers Leute 14. Zum Schluß kam der Vorschlag des Formulierungsausschusses, den der Kongreß vorher gewählt hatte und in dem alle 3 Strömungen vertreten waren, zur

Abstinmung, in dem es hieß: “Von den Volkssozialisten bis zu

den Bolschewisten.“ Die Abstimmung war namentlich: 48 dafür, 8 dagegen und 10 Stimenthaltungen. Später stimmten noch einige Delegierte ab, die vorher abwesend waren: 3 dagegen und einer dafür. Die lange, eingehende Resolution über die politische Lage

und die Beziehungen zu den Bolschewisten enthält 13 Paragraphen

und 5 Unterparagraphen. Unter anderem wurde folgendes gesagt: wegen der Rückständigkeit Rußlands hätte die Revolution kein

sozialistisches Regime errichten können. Sie sei demokratisch

-202-

und müsse die Grundlagen für eine allseitige kapitalistische Entwicklung schaffen, die für den Sozialismus unentbehrlich sei. Die Bedürfnisse des Volkes seien nicht befriedigt werden,

teils aus objektiven Gründen (Kriegszustand), teils wegen der Fehler der Provisorischen Regierung. Unzufriedenheit, Verzweiflung und die Verschärfung der Klassengegensätze hätten der Machtergreifung durch die bolschewistische Minderheit den Bo-

den bereitet. Um einen Bürgerkrieg und den Zerfall des Staates zu vermeiden, schlug der “Bund“ die Bildung einer Regierung auf Grund eines übereinkommens zwischen den sozialistischen Parteien vor (von den Volkssozialisten bis zu den Bolschewisten). Diese eingehende Resolution faßte sozusagen die Stellungnahme des “Bund“ zur russischen Revolution, ihrem Charakter und ihren Aufgaben zusammen. Sie enthält eine Analyse der Ursachen und

Beweggründe und legt die Haltung der Partei zum Bolschewismus und die wege zu seiner Bekämpfung fest. Ein Vorschlag zur Regierungsbildung und zu einem politischen Programm wurde formu-

liert. Der Ausschuß behandelte auch das Verhältnis des 'Bund'

zu den Sowjets. Einige waren der Ansicht, ihre Zeit sei vorbei aber die meisten waren anderer Meinung. Der Kongreß billigte

-

die Taktik des Rückzugs aus den Sowjets, die an der Machtergreifung beteiligt waren, nicht. Man beschloß, die Exekutivorgane der Sowjets zu verlassen und nur in den Sowjets selbst zu bleiben, um die terroristische und anarchistische Politik der Bolschewisten zu

bekämpfen.47

In anderen Punkten der Tagesordnung wurden die Beschlüsse

ohne Diskussion gefaßt. In der Frage des Krieges bestätigte

der Kongreß die Beschlüsse des Menschewisten-Kongresses. Hiernach sollte die Nationalversammlung für die Friedensverhandlungen verantwortlich sein, die sofort beginnen müßten, sogar unter Verzicht auf Einverständnis der Verbündeten, wenn diese

versuchen sollten, dem Frieden Hindernisse in den Weg zu legen.48 In bezug auf die Munizipalitäten wurde beschlossen: (1) die Abgeordneten des “Bund“ sollten eine autonome Gruppe innerhalb der sozialistischen Fraktion bilden; (2) die SD-Fraktionen

sollten ihre Arbeit den allgemeinen Richtlinien der Partei anpassen und den Beschlüssen, die die Ortsgruppenversammlungen

-

203

-

fassen würden, folgen. Das gelte auch für die Abgeordneten des

'Bund', soweit sie autonom seien; (3) wenn die SD-Fraktion Aktionen anderer Fraktionen der revolutionären Demokratie miß—

billige, würde sie selbständig handeln, aber zugleich versuchen, mit ihnen im Kampf gegen bürgerliche Elemente zu einem Einverständnis zu gelangen; (4) wo die Sozialisten in einer Stadtverwaltung die Mehrheit bildeten, sollten sie auch auf einer Mehrheit in allen Ausschüssen und Behörden, die für die Stadtverwaltung arbeiten, bestehen.

Die Resolution über die Wirtschaftspolitik und die Gewerk-

schaften enthielt eine scharfe Kritik an den “utopistischen träumenden" Bolschewisten, die und anarcho-syndikalistisch eine Überwachung der Betriebe durch die Arbeiter wollten, an— statt durch die Regierung. Das hieße die Arbeiter dazu ermuti-

gen, die Leitung der Fabriken in die Hand zu nehmen. Die Bolschewisten wurden beschuldigt, die Gewerkschaften zu zerrütten; an Stelle organisierter Formen des Klassenkampfes wendeten sie wirtschaftliche Terrormethoden an. Der Kongreß rief zur Stärkung der Gewerkschaften und zur Verwirklichung des Minimalprogramms

der SD auf, die in der Nationalversammlung einen Kampf für weit— gehende Sozialgesetzgebung führen sollte. Man protestierte auch dagegen, daß die Gewerkschaften beaufsichtigende Funktionen erfüllen sollten; das sei eine Verfälschung ihres Charakters als kämpferische Organe des

Proletariats.49

Die Resolution über die Kulturtätigkeit wurde von A.Litwak eingebracht. Der Zweck dieser Tätigkeit sei es, das kulturelle Niveau der jüdischen Massen zu heben und ihnen eine proletari-

sche Weltanschauung beizubringen. Man sollte das Entstehen einer Schicht von gebildeten jüdischen Arbeitern fördern, die der Be-

wegung als Führer dienen könnte. Zu diesem Zweck sollte dem

Zentralkomitee eine Kulturstelle angegliedert werden; dasselbe treffe auch auf die Regionalbüros zu. Jedes Regionalbüro soll— te dann eine Reihe von Nachbarstädten versorgen.

Die Resolution über die Jugend betonte die Bedeutung des

Aktivität.50

Am Ende der “Jugend-Bund“, seiner Organisation und Debatten und nach Annahme der Resolutionen schritt man zur

Wahl des Zentralkomitees. Es war merkwürdig, daß die “Inter-

-204-

nationalisten“, die stärkste Gruppe im Kongreß, im Zentralkomitee die Minderheit bildeten. Manche sahen die Ursache hier-

für darin, daß die “Internationalisten“ keine geeigneten Kandidaten mit ausreichender Autorität in der Partei hatten, die

man in das Zentralkomitee hätte wählen

können.51

Die Zusamensetzung des Zentralkomitees war nicht wesentlich

von der im April 1917 auf der zehnten Konferenz gewählten verStattdessen Nicht wiedergewählt wurde wurde Wiktor Alter neugewählt.

schieden.52

D.Saslawski.53

“Die Internationalisten haben gesiegt,“ so faßte Alter die Ergebnisse des Kongresses zusammen. Er bezeugt, daß es hauptsächlich ein Ringen zwischen ihnen und der “Linken Mitte“ war

und zum guten Teil ein Streit um die Vergangenheit. Der Bankrott der bisherigen Politik, die direkt zum Sieg der Bolsche-

wisten geführt hatte, zwang die Genossen der “Linken Mitte“, sich dem praktischen Vorschlag der “Internationalisten“ anzuschließen. Aber Alter hatte seine Befürchtungen: die beiden Gruppen seien zwar zu einer gemeinsamen praktischen Folgerung

gelangt, aber auf Grund verschiedener Auffassungen. Daher sei es möglich, daß unter geänderten politischen Umständen wieder Meinungsverschiedenheiten und Reibungen auftauchen

könnten.54

Und zum Schluß: der 8. Parteikongreß zeugte von einem ideologischen Umbruch im “Bund“ während dieses an stürmischen Ereignissen reichen Jahres 1917. Die "Internationalisten“ waren

wie gesagt am Anfang eine Minderheit gewesen

-

nun waren sie

dominierend. Es war der letzte Kongreß, auf dem trotz aller Gegensätze die Einheit der Partei gewahrt blieb, obwohl schon

vor der Eröffnung Gerüchte über klare bolschewistische Neigungen einiger Ortsgruppen bekannt geworden waren.

-

205

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10. DIE NATIONALVERSAHHLUNG UND DER FRIEDE VON BREST-LITOWSK

1. Die Auflösungfder Nationalversammlung Die revolutionär—demokratischen Parteien knüpften große

Hoffnungen an die Eröffnung der Nationalversammlung, obwohl

es nach der Oktoberrevolution zweifelhaft geworden war, ob sie überhaupt zusammentreten könnte. Auch beim 8. Kongreß des “Bund“ waren diese Zweifel laut geworden. Nach dem Fehlschlagen des Vikzhel-Plans waren die Bolschewisten vor allem bemüht, eine stabile Regierung zu errichten.

Nach einem vorherigen Übereinkommen kam es am 15. (28.) November zu einer gemeinsamen Sitzung der Zentralexekutive der Sowjets, des Petrograder Sowjets und der Exekutive der BauernSowjets; es wurde ein Komitee von Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndelegierten mit über 350 Mitgliedern gewählt.1 Die Linken SR hatten auch am “Rat der Volkskommissare“ Anteil (d.h. an

der Regierung)

. Damit erreichten die Bolschewisten zweierlei:

es sah so aus, als ob es nicht die Regierung einer Partei sei, und gleichzeitig sicherte es ihnen die Mehrheit in der Zentral-

exekutive der Sowjets. Die SR sahen in ihrem Eintritt in die Regierung die Verwirklichung der Einheit des Proletariats nach dem “Vikzhel“—Programm.

-

Die Bolschewisten hatten gehofft, zusammen mit den Linken SR eine Stimmenmehrheit zu erhalten. Sie erlebten eine Enttäuschung. Die Mehrheit blieb in den Händen der SR, auch nach-

dem ihr linker Flügel zu den Bolschewisten übergegangen war.

Daraufhin wurde es zweifelhaft, ob die Nationalversammlung überhaupt eröffnet werden könnte. In anti-bolschewistischen Arbeiter- und Parteikreisen entstanden “Komitees zum Schutze der Nationalversammlung“, die an vielen Orten Demonstrationen veranstalteten. In Petrograd kam es vor ihrer Eröffnung sogar

zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Militär.

-

206

-

An vielen Plätzen beteiligte sich der “Bund“ an den Demonstrationen; besonders in Weißrußland

Witebsk



-

Minsk, Bobrujsk und

waren die Ortsgruppen aktiv, spielten eine wichtige

Rolle in den “Komitees zum Schutz der Nationalversamlung“ und beteiligten sich an ihren öffentlichen

Versammlungen.2

Die Kiewer Ortsgruppe war umsichtiger. Sie nahm eine Reso-

lution an, in der es hieß, es bestehe Gefahr, daß die Bolschewisten die Eröffnung der Nationalversammlung aufschieben wollten. Man widersetzte sich aber einer Einheitsfront von revo-

lutionären Klassenorganisationen der Arbeiter und Bauern mit

bürgerlichen Elementen und Feinden der Revolution,.die die Nationalversammlung als Zentrum gegenrevolutionärer Kräfte ausnutzen wollten. Beide Teile wünschten den Zusammentritt,

aber zu verschiedenen und entgegengesetzten

Zwecken.3

Die Versammlung wurde am 5. (18.) Januar 1918 nachmittags eröffnet. Gleich danach kam es zu einem Zusammenstoß zwischen

den Bolschewisten und ihren Anhängern und der SR-Mehrheit und der Rechten. Der Führer der SR, Tschernow, wurde mit 244 Stim— men gegen 151 zum Vorsitzenden gewählt.4 Die Entscheidung fiel,

als die Bolschewisten die Abstimmung über ihre Deklaration verlangten, die mit 237 Stimmen gegen 138 abgelehnt

wurde.5

Daraufhin verließen die Bolschewisten und Linken SR den Saal. Die Sitzung ging weiter und man nahm Anträge über die Aufhe-

bung des privaten Bodenbesitzes und über eine internationale

sozialistische Friedenskonferenz an. Diese Verordnungen wurden

feierlich bestätigt und Rußland wurde zur demokratischen föderativen Republik

erklärt.6

Die Sitzung dauerte 12 Stunden. Gegen Morgen wurde sie auf

Befehl der Regierung durch Soldaten und Matrosen auseinandergetrieben. In dem Regierungsdekret über die Auflösung hieß es:

“Die Oktoberrevolution bedeutet den Anfang der Verwirklichung des Sozialismus. Der Widerstand der besitzenden Klassen kann allgemein nationale Institutionen wie die Sowjets nicht besie-

gen. Die Nationalversammlung wurde aufgelöst, weil sie auf Seiten der Ausbeuter stand und die Ubergabe des Bodens und der

Fabriken an die Arbeiter verhindern

wollte.“7

-

207

-

Dieser Akt war ein schwerer Schlag für die Gebildeten und die revolutionär-demokratischen Parteien. Sie sahen darin eine Schändung ihrer Ideale, eine Verletzung der Hoffnungen, die man auf die russische revolutionäre Bewegung gesetzt hatte.

los,8

Aber ein Sturm im Lande brach nicht und zwar aus zwei Gründen: die Bolschewisten hatten die Macht ergriffen und sofort beschlossen, die Agrarfrage und die Friedensfrage zu lö-

sen

-

die beiden Fragen, die die öffentlichkeit vor allem be-

schäftigten. Damit war der Nationalversammlung der Wind aus den Segeln genommen. Auch sie hatte zwar Beschlüsse zu beiden

Punkten angenommen, aber erst nachdem die Regierung bereits gehandelt hatte. Ein zweiter Grund war, daß Rußland keine

parlamentarische Tradition besaß: die Massen hatten wenig Verständnis für das Stimmrecht, für Parlamentsdebatten

usw.9

Es gab aber Proteste von Seiten radikaler Kreise der Intelligenz und der revolutionär-demokratischen Parteien. Am Tage nach der Auflösung der Versammlung erschien im Parteiorgan des

“Bund“ ein energischer Artikel gegen das Verhalten der bolschewistischen Regierung und gegen das Blutvergießen. “Sie haben die Nationalversammlung auseinander getrieben, sie wenden alle

Mittel der Alleinherrschaft an, alle Mittel die das Zarenregime in seinem Kampf gegen das Volk zu brauchen pflegte.“ Weiterhin

wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Millionen Arbeiter und Soldaten, die den Bolschewisten ihre Stimme gegeben hatten, etwas lernen und sich von ihnen abwenden würden. Mit der Auf-

lösung der Nationalversammlung hätten sie ihr eigenes Urteil

gesprochen.10 Nach dem 5. Januar mehrten sich die 'Bund'-Demonstrationen,

und in Versammlungen der Ortsgruppen wurden anti-bolschewistische Resolutionen angenommen. In Witebsk z.B. verbreitete die Ortsgruppe nach einer Generalversammlung der Mitglieder ein

illegales Manifest folgenden Inhalts:

“In der Erkenntnis, daß die russische Revolution sich die sofortige Verwirklichung des Sozialismus nicht zum Ziel setzen kann, daß ihre Aufgaben auf Demokratisierung der

politischen Einrichtungen und auf Erreichung möglichst

-

208

-

weitgehender Errungenschaften für die arbeitenden Klassen

beschränkt sind, weist die Versammlung mit Entrüstung die Gründe zurück, die der Rat der Volkskommissare zur Auflösung der Nationalversammlung angeführt hat. Das war ein Gewaltakt gegen die Vertretung der ganzen Nation, in der die Sozialisten die Mehrheit hatten. Der Bund fordert alle Arbeiter auf, die anarchistischen Illusionen, die die

Bolschewisten unter den Arbeitermassen verbreiten, zurückzuweisen. Der Bund erklärt, daß die jüdische Arbeiterklasse im weiteren Kampf für die Nationalversammlung und für eine demokratische Regierung mit der gesamten revolutionären

Demokratie Hand in Hand gehen

wird.'11

Dieselbe Versammlung nahm auch eine Protestresolution gegen die Auflösung einer Versammlung des “Bund“ am 4. Januar auf Befehl des örtlichen “Revolutionären flilitärischen Rats“

-

-

und

gegen die Beschlagnahme von Druckschriften (über die Nationalversammlung) und die Verhaftung von Genossen der Ortsgruppe

an.12 Mit großer Entrüstung protestierte M.Rafes gegen die Bolschewisten. “Sie wollen im Staate ein Terrorregime errichtedß be-

schuldigte er sie. Die Arbeiterschaft schweigt, sie ist hoffnungsleer und gleichgültig, “hat allen Mut und allen Willen

die Revolution zu stützen“ verloren (im Original unterstrichen). So hätten die Bolschewisten durch die Auflösung der Nationalversammlung mit ihren eigenen Händen die Konterrevolution ge-

schmiedet.13

Der linke Flügel des “Bund“ hatte auch jetzt noch

nicht die Hoffnung auf eine Einigung aller revolutionär-demo-

kratischen Kräfte, einschließlich der Bolschewisten, aufgegeben. In einem polemischen Artikel schrieb Wiktor Alter, trotz des Verhaltens der Bolschewisten sei eben die Not das oberste Gesetz. Im Interesse der Arbeiterklasse müsse man zusammen-

gehen. “Die revolutionäre Einheitsfront ist der einzige Aus-

weg.“ Die Bedingungen seien nicht günstig und es wäre möglich, daß die revolutionäre Demokratie nicht genug politisches Ver-

ständnis

-

und auch Mut

-

finden könne, um mit aller Energie

zur gemeinsamen Aktion zu schreiten. Dann würde die Revolution versinken und es gebe Anzeichen dafür, daß sie bereits am

'

209

-

Versinken sei. “Das legt uns nur doppelte Verantwortung auf, alles zu tun‚um sie zu retten.“ Alter forderte Anstrengungen zur Befestigung der revolutionär-demokratischen Einheit. “Wir müssen bis zum Ende

gehen!“14

Am Tage der Auflösung der Nationalversammlung

1918

-

-

6. Januar

ist ein Ereignis von historischer Bedeutung für die

Juden der Räterepublik zu verzeichnen. In Petrograd fand eine öffentliche Versammlung von jüdischen Bolschewisten und Anhängern der Linken SR statt. Der Hauptredner war Schimon Dimanstein,

der später zum Kommissar für jüdische Angelegenheiten ernannt

wurde.15

Er wandte sich gegen den all-russischen jüdischen Kon-

greß und schlug vor, eine “Konferenz der wahren Vertreter der

jüdischen werktätigen Massen“ einzuberufen. Am 21. Januar veröffentlichte die Sowjetregierung eine Verordnung über die Errichtung eines Kommissariats für jüdische

Angelegenheiten.16

Anfang Februar fand eine Begegnung der Vertreter des Kommissa— riats, Dimansteins und seines Stellvertreters Dubkowski von

den

SR‚mit

teien

-

Repräsentanten der jüdischen sozialistischen Par-

'Bund', PZ und “Vereinigte“

-

statt. Dubkowski sprach

über die Aufgaben des Kommissariats im

Rahmen des

jüdischen

Lebens. Es entspann sich eine Diskussion zwischen den Bolschewisten und den SR einerseits und den Bundisten und “Vereinigten“

anderseits. Die letzteren fragten, warum die Bolschewisten die Herrschaft an sich gerissen hätten, ohne die Arbeiter zu befragen; warum sie die Nationalversammlung und am 6. Januar

eine Protestdemonstration gegen diese illegale Aktion mit Ge-

walt auseinandergejagt hätten. Im Namen der PZ betonte Nir, nicht von oben bestellte Kommissare würden den jüdischen Massen den Kommunismus beibringen.17

Nir berichtete später, wie der “Bund“ seine Opposition begründet habe, aber sein Bericht war wohl nicht völlig zutreffend. Es

waren nicht nur Gründe allgemeiner Natur, wie die Verachtung der Bolschewisten für alle Prinzipien und Regeln der Demokratie. Auch jüdisch-nationale Erwägungen hatten ihr Gewicht; das zeigt z.B. die Antwort, die das Zentralkomitee des “Bund“ in Moskau

veröffentlichte, als es vom “Kommissariat für jüdische Angelegenheiten“ aufgefordert wurde, Vertreter in das Kommissariat

-

210

-

zu entsenden. In dieser Antwort heißt es, eine der wichtigsten Aufgaben der Revolution sei es, die Nationalitätenfrage zu lösen. Das jüdische Volk sei von politischer und bürgerlicher Unterdrückung befreit, aber seine nationalen Rechte habe es bis jetzt nicht erhalten. Um den Klassenkampf im jüdischen

Publikum erfolgreich zu führen, um nationale Reibungen zu verringern und um die kulturellen Bedürfnisse der breiten jüdi-

schen Massen zu befriedigen, hätte der “Bund“ sich dafür ein— gesetzt, die Kulturangelegenheiten der Zuständigkeit der Staats-

organe zu entziehen und sie den demokratisch zu wählenden

Selbstverwaltungsorganen der nationalen Autonomie zu übertragen. Eine Beteiligung des “Bund“ und anderer sozialistischer Parteien

an der Arbeit des Kommissariats wäre nur ein Ersatz für eine demokratische Vertretung; sie würde unter den jüdischen Arbeitern schädliche Illusionen erwecken, als ob es möglich sei, Staatsprobleme durch von oben eingesetzte Körperschaften zu lö— sen. Das wäre eine Schwächung der proletarischen Aktion und des

Willens zu selbständiger politischer

Tätigkeit.18

Auch der Rah-

men der Tätigkeit des Kommissariats wurde abgelehnt. Der “Bund“

blieb seiner Auffassung treu, wonach sich die jüdischen Institutionen nur mit Kultur- und Erziehungsfragen befassen sollten, alles andere sollte den staatlichen und Munizipalorganen überlassen bleiben. Das jüdische Kommissariat sollte alle jüdischen Dinge umfassen: kulturelle wie soziale und wirtschaftliche. Zu diesem Zwecke errichtete man besondere Abteilungen für Kul-

tur und Bildung, einen Verlag, eine zur Verbindung mit der Pro-

vinz, eine für Kriegsflüchtlinge, zur Bekämpfung des Antisemi-

tismus und für wirtschaftliche

Tätigkeit.19

Der “Bund“ meinte,

in dieser Liste erschienen Dinge, die mit jüdischer Kultur

nichts zu tun hätten und die deshalb nur mit den vereinten demo— kratischen Kräften aller Nationen zu lösen seien. Wenn sich das Kommissariat mit ihnen abgebe, könnte das zu nationaler Absonderung und zur Stärkung nationalistischer Strömungen führen.

Die Entwicklung des Klassenbewußtseins im jüdischen Proletariat und seinen Kampf gegen die Bourgeoisie würde das

aufhalten.20



211



2. Die Friedensverhandlungen Ebenso wie in der Frage der Nationalversammlung und ihrer

Auflösung gab es im “Bund“ (und bei den Menschewisten) auch

keine Meinungsverschiedenheiten über die bolschewistische Poli-

tik in der Friedensfrage. Die Unterschiede zwischen “Verteidigern“ und “Internationalisten“ waren gegenstandslos geworden. Die ganze Partei einschließlich ihrer beiden Flügel war sich

in ihrem Protest gegen einen Separatfrieden und gegen die An-

nahme der deutschen Bedingungen einig. Ehe wir auf die Reaktion der Partei zu den Verhandlungen und die Unterzeichnung des Friedensvertrages eingehen, müssen wir kurz den Verlauf der Ereignisse skizzieren. Das neue Regime sah klar, daß sich das ganze Land nach Frie-

den sehnte. Abgesehen von einigen Rechtskreisen glaubte niemand, daß es möglich sei, weiter zu kämpfen. Die bolschewistische Parole “Ende dem Krieg“ war

überzeugend.21

Am 7. (20.) November

befahl der Rat der Volkskommissare dem Generalstab, den Mittel-

mächten eine sofortige Einstellung der Kämpfe

vorzuschlagen.22

Am 14. (27.) November teilte die deutsche Regierung ihr Einver-

ständnis zu Verhandlungen mit. Am 20. November (3. Dezember) einigte man sich auf einen vierwöchigen Waffenstillstand, um während dieser Zeit Friedensverhandlungen zu führen. Diese be-

gannen am 9. (22.) Dezember 1917. Das war der Anfang der Tragödie, schreibt Abramowitsch in

seinen Erinnerungen.23 Unter dem Vorwand “nationaler Unabhängigkeit“ der Ukrainer und der baltischen Länder forderten die Deutschen de facto die Abtretung dieser Landesteile. Für die Russen wurde die Situation besonders schwierig, als in BrestLitowsk eine Delegation des Ukrainischen Zentralrates (Rada)

erschien und einen Separatfrieden mit den Deutschen unterzeichnete. Die russische Armee befand sich in Auflösung, absolut

unfähig, weiter zu kämpfen, während die Deutschen zur Offensive und wirklich griffen sie an der ganzen Front an.

bereit waren

-

Die “Verteidiger“ nannten diese Verhandlungen 'Hochverrat“ und

forderten mit großer Begeisterung zum Gegenangriff auf. Auch der “Bund“ war gegen eine Unterzeichnung des Vertrags von

-

212

Brest-Litowsk, und Abramowitsch

schrieb: “Zu einem schändli-

chen Separatfrieden mit dem deutschen Kaiser waren wir nie bereit. Vielleicht mehr als anderen Genossen ist es mir bekannt, daß Rußland praktisch unfähig ist, weiter zu kämpfen; auch ich



-

noch mehr als andere dafür‚eine neue Front am Ural zu errichten und den Krieg unter einer sozialistischen Einheitsregierung zu führen...Das hätte nicht nur russischen,

war immer

sondern auch internationalen sozialistischen Interessen ent— sprochen. Diesen Frieden durfte man nicht unterzeichnen und

wer sich nicht unterwerfen will, muß eben weiter kämpfen, wenn die Chancen des Sieges auch noch so gering

sind.“24 unterzeichnet.25

Am 3. März (neuen Datums) wurde der Frieden

Der 4. Sowjetkongreß in Moskau ratifizierte ihn am 14. März

1918.26

Auf diesem Kongreß vertraten die “Internationalisten“

die Meinung der Mehrheit des 'Bund', wie sie auf dem 8. Parteikongreß festgelegt worden war. Sie verlasen eine Erklärung

auch im Namen der PZ

-, in der

sie die Ratifizierung des

-

Friedensvertrags mit den Mittelmächten ablehnten, da er Rußland in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht knechte. Die Anerkennung des Separatfriedens mit der Ukraine bedeute praktisch

den Verzicht auf die Sowjetherrschaft in diesem Lande und die Abschaffung der meisten Errungenschaften der Revolution. Nach

Ansicht der Verfasser dieser Erklärung sei der einzige Ausweg organisierter Widerstand gegen die Mittelmächte. Das sei nur möglich durch die Einheit aller Landesteile und die Errichtung einer Regierung, die fähig wäre, dem Bürgerkrieg in den Reihen

der Demokratie ein Ende zu setzen. Die Sowjetherrschaft repräsentierte nur einen Teil der Bevölkerung und sei deshalb nicht imstande, den Widerstand gegen den Feind von außen und die

Gegenrevolution zu orgaxisieren. Die SR lehnten den Vertrag ab. Als er trotzdem mit großer Mehrheit angenommen wurde, verließen sie die Regierung und teilten mit, daß sie sie mit allen Mit-

teln bekämpfen würden. Die meisten jüdischen Parteien waren gegen den Frieden. Sie fürchteten, er würde die russische Judenheit infolge der Errichtung von Kleinstaaten zersplittern. Auch in wirtschaft-

licher Binsicht wäre dieser Vertrag ein Unglück für Handel und

-

213

-

Industrie der Juden. Eine Teilung Rußlands bedeute eine Teilung des Marktes. Es bestehe auch die Gefahr der Assimilation, denn in den verschiedenen selbständigen Staaten würden sich

die Juden den lokalen Kulturen

anpassen.27

Der “Bund“ beteilig-

te sich an Demonstrationen gegen den Brester Frieden und gegen

die Sowjetregierung. Die Bolschewisten hätten keine Verbindung zum Weltproletariat gefunden und wären deshalb nicht imstande, einen Frieden auf internationaler Grundlage herbeizuführen.

Sie hätten gehofft, das deutsche Proletariat, das ja auch ein

lebenswichtiges Interesse an einem sofortigen Frieden hatte, würde einen Druck auf die deutsche Regierung ausüben und sie

zu einem Kompromiß mit Rußland veranlassen. Das sei nicht geschehen, und diejenigen, die immer gesagt hatten,

die

Friedens-

frage sei nur im internationalen Maßstab zu lösen, hätten Recht

behalten.28

Eine tiefschürfende, zusammenfassende Darstellung, wie der

“Bund“ auf die politischen Ereignisse in den ersten Monaten der Bolschewistenherrschaft reagierte, finden wir in dem Partei-

organ, das in Warschau erschien und das laufend Informationen

aus Rußland

empfing.29

Hier wurde der Versuch gemacht, das

Wesen und die Aufgaben der bolschewistischen Bewegung etwas



sowohl ihre aus der Distanz und ohne Vorurteile zu erkennen positiven wie auch schädlichen Seiten. Der Verfasser stellte fest, daß in der Nationalversammlung die SR eine Mehrheit ge-

habt hatten. Das hätte jedoch ihren sozialistischen Charakter nicht beeinträchtigt, was sich zeigte, als sie das Gesetz über die Enteignung des Grundbesitzes annahm. Es gab also gar keinen

formellen Vorwand zur Auflösung der Nationalversammlung. Das

Verhalten der Bolschewisten hätte seinen Grund in enger Parteipolitik, in der Behauptung, sie allein repräsentierten das arbeitende Volk, wozu sie gar kein Recht hätten. Der Verfasser wiederholte die im “Bund“ herrschende Meinung, die Diktatur des

Proletariats müsse die Diktatur der Mehrheit sein. Wenn man einden Weg, den die Bolschewisten eingeschlagen hatten, be-

mal

trete, gebe es kein Halten mehr. Erst würde die Presse mundtot gemacht, dann würden Versammlungen verboten, dann die Genossen,

die diese Methoden ablehnten, beiseite geschoben werden und

-

214

-

zum Schluß jage man dann die Nationalversammlung auseinander. Anderseits müsse man aber folgendes feststellen: die übrigen sozialistischen Parteien waren mit internen Disputationen über eine Regierungskoalition mit der Bourgeoisie beschäftigt. Den Geist der Zeit verstanden nur die Bolschewisten, und sie trieben proletarische Politik und handelten offen und energisch. In ihrem fanatischen Bestreben, alle Spuren der feudalbürgerlichen Vergangenheit Rußlands auszulöschen, hätten sie nicht gesehen, daß sie dadurch in Widerspruch mit den realen Tat-

sachen gerieten. Sie hätten die Stimmung der Volksmassen erkannt und die Parole “Ende dem Krieg“ ausgegeben. Statt aber eine sozialisti-

-

sche Einheitsregierung zu errichten was die Zeit erforderte hätten sie hartnäckig alle sozialistischen Parteien abgestos-

-,

sen. Dieser Fehler zeigte sich auch bei den Verhandlungen in Brest, die den Riß zwischen den verschiedenen Richtungen im

Land noch vertieft hätten. Der Artikel schließt mit einer

Mahnung an die Bolschewisten. Sie dürften nie vergessen, daß sie mit der Regierungsgewalt auch die Verantwortung für die internationale sozialistische Bewegung auf sich genommen hät-

ten.30

Infolge der Auflösung der Nationalversammlung und des

Brester Friedens sei das Volk enttäuscht und erbittert: der

Mangel an Lebensmittel habe die Lage noch verschlimmert, und

an vielen Arbeitsplätzen sei es zu Zusammenstößen zwischen Arbeitern und kommunistischen Fabriksleitern, sowie auch zwischen dem Volk und den Sowjetbehörden gekommen. Die Regierung hatte dann zu scharfen Maßnahmen gegen Demonstrationen und Aufstände auch der “Bund“ sei nicht verschont geblieben. Zwei

gegriffen

-

seiner Führer, Abramowitsch und Alter, seien verhaftet und erst nach der Novemberrevolution in Deutschland (1918) wieder freigelassen worden. Damals habe der bolschewistische Terror etwas

nachgelassen, weil man hoffte, die deutsche Revolution werde sich ausbreiten. Ein anonymer Führer des “Bund“ faßte die Dinge mit Empörung

zusammen: “Niemand hat den Sozialismus so schwer getroffen, wie die Bolschewisten mit ihren tragi-komischen Experimenten. Man

-215-

muß den Verbrecher-Sozialismus der Soldaten und Bauern ge-

sehen haben; man konnte die wilde Zügellosigkeit mit Händen stützen‚um ihr wahres Angesicht zu

greifen, auf die sie sich

verbergen. Wir haben genug davon; wir haben's am eigenen

Leibe

gespürt.“31

Danach versank das Land in den Bürgerkrieg.

-

216

-

11. IN DER UKRAINE NACH DER OKTOBERREVOLUTION

Im fünften Kapitel beschrieben wir, wie verärgert man in ukrainischen Kreisen über die “Instruktion' der Provisorischen Regierung war. Trotzdem unterwarf sich die “Rada' und es ist

gut möglich, daß sich die Beziehungen zwischen Kiew und Petro-

grad auf dieser Grundlage eingespielt hätten

-

wenn nicht die

Oktoberrevolution und der Regierungswechsel in Rußland dazwischen gekommen wären. Die Beziehungen spitzten sich zu, als

der “Kleine Rat“, der vom 8. (21.) bis 18. (31.) Oktober tagte, beschloß, eine ukrainische Nationalversammlung einzuberufen. Die Provisorische Regierung sah darin einen klaren Beweis für

separatistische Absichten, bis zur Trennung von Rußland. Sepa— ratistische Neigungen im Volk waren tatsächlich vorhanden, aber die Politiker hielten nach wie vor an dem Gedanken der all-russi—

schen revolutionären Front fest. Als die Bolschewisten an die Macht kamen, ereignete sich ein sehr ernster bewaffneter Zusammenstoß. Nun änderte sich plötzlich die Einstellung der ukraini-

schen Politiker, und zwar ganz radikal. Das Resultat war die Loslösung der Ukraine von Rußland. Gleich nach der Oktoberrevolution war in der “Rada“ kein Haß gegen die Bolschewisten spür-

bar, obwohl sie eine Resolution gegen den Umsturz faßte. Der Grund dafür war die radikale Einstellung der Bolschewisten zur

ukrainischen Frage vor dem Umsturz. Damals erklärten sie, das Recht der nationalen Selbstbestimmung bedeute auch das Recht, Sowie aber die Bolschewisten die sich von Rußland zu Macht ergriffen hatten, kam es zu einem heftigen Konflikt zwischen ihnen und der “Rada”. Einige Tage danach beklagte sich

trennen.1

einer der Führer der ukrainischen SD (M.Tkatschenko): “Neun Monate lang haben wir, zusammen mit den Bolschewisten, Kerenski und das bürgerliche Regime bekämpft und jetzt stehen wir uns

mit der Waffe in der Hand gegenüber!“ Anfang Dezember sagte Winitschenko im engeren Rat: “Die Bolschewisten wollen die ukrainische Bewegung mit den Füßen treten und uns in den Morast

der Petrograder Korruption

stoßen.“2

-217-

Der Konflikt dauerte den ganzen Monat November und im Dezember unterbreitete der Rat der Volkskommissare (Sownarkom) der

Rada ein ultimatives Memorandum. In diesem Memorandum erkannten die Bolschewisten zwar die ukrainische Volksrepublik an

und ihr Recht, sich völlig von Rußland zu trennen. Gleichzeitig forderten sie aber, mit der Entwaffnung der Soldaten, die

zu den Bolschewisten übergegangen waren, aufzuhören, und es vor allem der Roten Armee zu ermöglichen, nach dem Don zu marschieren, um den Aufstand des Hetmans Kaledin zu unter-

drücken.3

In ihrer Antwort auf dieses Ultimatum schrieb die

Rada, die russische Regierung habe kein Recht, sich in ihre (der Rada) Angelegenheiten einzumischen. Die Rada sei

neutral,

und um sich nicht in einen Bruderkrieg am Don zu verwickeln,

würde sie dem sowjetischen Militär den Durchmarsch nicht gestatten. Das Sownarkom fand diese Antwort nicht befriedigend und erklärte der Ukraine am 5. (18.) Dezember den Krieg.4 Der “Bund“

teien

-

-

und die übrigen jüdisch-sozialistischen Par-

hatten ihre Vertreter in der Rada. Diese distanzierten

sich von der immer mehr erkennbaren separatistischen Tendenz

der ukrainischen Parteien. Sie waren prinzipiell gegen eine Zersplitterung des russischen Reiches, das eine WirtschaftsMan hegte auch Befürchtungen, daß in

einheit gebildet hatte.

der ukrainischen Nationalbewegung antisemitische Tendenzen die

Oberhand gewinnen könnten. Rafes hatte schon im August 1917 geschrieben, in der ukrainischen Bewegung existiere eine chauvinistische Strömung. Die Ukrainer waren vorwiegend ein Volk von Bauern, aber in den letzten Jahren hatte sich hier ein Klein-

bürgertum und auch eine mittlere Bourgeoisie entwickelt. Eben-

so wie in Polen waren diese Bevölkerungskreise durch und durch antisemitisch und von Fremdenhaß erfüllt. Sie wollten das ganze öffentliche Leben ukrainisieren, Juden, Russen und Polen verdrängen und deren Platz in der Wirtschaft einnehmen. Ihre geistigen Führer stammten aus dem Bürgertum, d.h. aus der

Intelligenz, und sie waren noch kriegerischer gestimmt als die Bourgeoisie

selbst.5

-

218

-

Der “Bund“ und die übrigen jüdischen Parteien wollten auch

die Einheit der großen jüdischen Bevölkerung vor einer Zer-

-

einer unausbleiblichen Folge der Entsplitterung bewahren wicklung selbständiger, unabhängiger Staatsgebilde. Sie stimmten für die Errichtung der ukrainischen Volksrepublik, aber

es gelang ihnen, darauf zu bestehen, daß in der Unabhängigkeitserklärung gesagt wurde, die Ukrainische Republik würde

die föderative Einheit mit Rußland bewahren. Solotariew erklärte im Namen des “Bund“, seine Partei habe immer für “weitgehende territoriale Autonomie im Rahmen eines

Einheitsstaates“ gekämpft; wegen der föderativen Tendenzen habe man Bedenken gehabt, würde aber jetzt nicht mehr dagegen sein, nachdem beinahe alle Parteien eine föderative Struktur

wünschten. Es komme darauf an, daß die Erklärung der Ukraini-

schen Republik kein Akt der Trennung von Rußland sei, sondern im Gegenteil, ein Akt, der die Einheit des Reiches auf neue Grundlagen stelle. Der “Bund“ und auch die übrigen jüdischen

-

-

sorgten dafür, daß man die Rechte der nationalen Minderheiten garantierte (einschließlich des Rechts der Bürger,

‚Parteien

sich im Verkehr mit den Behörden ihrer eigenen Sprache zu bedienen). Man bestand darauf, daß Großrussen, Juden, Polen und

andere das Recht auf persönlich-nationale Autonomie hatten, sodaß sie ihre nationalen Angelegenheiten selbst verwalten

könnten.6 Am 9.

(22.) Januar 1918 wurde wirklich eine Gesetzesvor-

lage eingebracht, wonach alle in der Ukraine ansässigen Völker

das Recht auf persönlich-nationale Autonomie haben sollten: sie sollten die Möglichkeit haben, ihre nationale Existenz zu organisieren und ihre eigenen Institutionen mit Autorität über

alle ihre Angehörigen im Bereich der Ukrainischen Republik zu errichten. Die Nationalversammlung sollte den Rahmen der Tätigkeit und der Befugnisse dieser nationalen Organisationen fest-

legen. Jede Nation sollte ihre demokratisch gewählte Nationalversammlung haben und diese würde auch eine Exekutive errich-

ten.7

-

219

-

Über diesen Gesetzesvorschlag referierte in der Rede M.

Schatz von den “Vereinigten“. Rafes widersprach ihm, da er

befürchtete, es könnte ein nationaler Rahmen mit weiten Befugnissen und einem breiten Betätigungsfeld entstehen. Er nannte

diesen Gesetzesvorschlag einen reaktionären Versuch, sich in den Klassenkampf einzumischen. Für den Vorschlag sprachen Sirkin (von den Zionisten) und Litwakow (von den “Vereinigten“); am 11. (24.) Februar 1918 wurde er angenommen.8 Ihm folgend

wurden Ministerien für die nationalen Minderheiten errichtet, davon eines für jüdische Angelegenheiten unter M.Silberfarb

“Vereinigten“,9 an dessen Stelle am 10. April W.Latzki von den “Folkisten“ trat. Diese Ministerien übernahmen die von den

Aufgaben der Vizeministerien, die der “Ukrainische Zentralrat“

schon am 1. Juli 1917

ernannt10

und die das Generalsekretariat

am 29. Juli bestätigt hatte. Sie hatten ihre Tätigkeit Anfang September aufgenommen. Die wichtigste Aufgabe des jüdischen Vizeministeriums war die Ausarbeitung eines Statuts für die jüdische nationale Autonomie, das eine aus demokratischen Wahlen hervorgegangene jüdische Nationalversammlung bestätigen

sollte. Da die jüdischen Gemeinden den Grundstein zur jüdi-

schen Autonomie bilden würden, begann das Vizeministerium auch einen Gesetzesvorschlag über die Gemeinden und ein Wahlstatut für die Gemeinderäte auszuarbeiten. An der Spitze der Abteilung für Erziehung und Bildung im

Vizeministerium stand ein Vertreter des 'Bund', Straschun. Er interessierte sich vor allem für Erziehungsfragen innerhalb und außerhalb der Schule und wünschte alles nach den Prinzipien moderner Pädagogik einzurichten. Das Schulnetz war ausreichend,

um die allgemeine Schulpflicht durchzuführen. Die Abteilung befaßte sich auch mit der Herausgabe von Schulbüchern und der Errichtung von Seminaren und Kursen zur Lehrerausbildung. Straschun und seine Parteikollegen maßen auch der gesetzlichen Verankerung des Rechts, sich der jiddischen Sprache im öffentlichen und politischen Leben zu bedienen, große Bedeutung bei. Das Ministerium setzte die Tätigkeit des Vizeministeriums zur praktischen Verwirklichung des Prinzips der nationalen

Autonomie, das im Gesetz festgelegt war, weiter fort. Jetzt

-

220

-

befaßte man sich mit der Errichtung der Zentralbehörden, und

zu diesem Zwecke mußte die jüdische Nationalversammlung einberufen werden. Bis dahin gründete man einen Nationalrat von 50

Mitgliedern, in dem jede der 5 Parteien die gleiche Anzahl von Vertretern erhielt; vorläufig diente dieser Nationalrat als

oberste Instanz. Das Ministerium händigte ihm ein Aktionspro-

gramm aus, nach dem er die Gemeindewahlen durchführen und für jüdische Kultur und Erziehung sorgen

sollte.11

Die schwierigen politischen Verhältnisse des Bürgerkriegs machten die Einberufung der Nationalversammlung unmöglich, und

man mußte sich mit einer provisorischen Körperschaft

parlament

-

-

Vor—

begnügen. Alle politischen Parteien waren dafür,

aber zwei Fragen lösten Meinungsverschiedenheiten aus: seine Zusammensetzung und seine Befugnisse. Anfangs dachte man daran, das Vorparlament aus Vertretern der Gemeinden zu bilden; nach

den Ergebnissen der Gemeindewahlen hätte das aber zu einer Mehrheit von Zionisten und Orthodoxen geführt. Darin sahen die

sozialistischen Parteien eine Gefahr für die Prinzipien und die Praxis, die das Ministerium für jüdische Angelegenheiten bisher geleistet hatte. Daher schlug man vor, am Vorparlament außer 75 Gemeindevertretern auch 50 Mitglieder des National-

rats zu beteiligen. Gemäß seinem Nationalprogramm forderte der “Bund“ die Beschränkung der Befugnisse auf kulturelle Angelegen-

heiten. Die übrigen Parteien waren dagegen, und man kam zu einem Kompromiß: bis zur Bestätigung der Befugnisse der jüdisch-

nationalen Körperschaft hat das Ministerium für Erziehung und nationale Kultur zu sorgen, sowie für Sozialversicherung und Statistik, soweit sie die jüdische Nation im Rahmen der Ukraini-

schen Volksrepublik

angingen.12

Trotz der komplizierten politischen Bedingungen und obwohl es noch keine Zentralorgane der Autonomie gab, gelang es dem

Ministerium für jüdische Angelegenheiten, eine weitverzweigte praktische Tätigkeit zu entwickeln: hauptsächlich auf den Gebieten Erziehung, Bildung und Kultur. Das Ministerium drang in alle

Sphären des jüdischen Lebens ein und schuf Kontakte mit den

abgelegensten Gemeinden der Ukraine. Diese segensreiche Tätigkeit hörte aber am 8. Juli 1918 auf, als das Regime des Hetmans,

-

221

-

das die deutsche Besatzungsmacht dem Lande aufzwang, beschloß, das Autonomiegesetz aufzuheben und die nationalen Ministerien abzuschaffen. Das “Universal“, in dem die Errichtung der Ukrainischen

Volksrepublik verkündet wurde, war von den jüdischen Parteien des Landes nicht einstimmig angenonmen werden. Im “Kleinen Rat“ stimmten zwar 42 dafür und niemand dagegen, aber 4 Russen von den Menschewisten, die SR und die Volkssozialisten sowie der Vertreter der Polen hatten sich der Stimme

enthalten.13

Der

Vertreter der Menschewisten erklärte, seine Partei sei zwar

für nationale Selbstbestimmung, fürchte aber, die Erklärung im “Universal“ könnte der revolutionären Einheitsfront schaden. Nach Ansicht der Menschewisten hätte nur die all-russische

Nationalversammlung das Recht, über die Form dieser Selbstbestimmung zu

entscheiden.“

Der Kurs des “Bund“ war klar definiert: Unterstützung einer

starken ukrainischen Demokratie und Verteidigung der Errungenschaften der Revolution. Gleichzeitig war er aber überzeugt, die ukrainische Demokratie würde nur revolutionär bleiben, wenn sie auch weiter eng mit dem revolutionären Rußland verbunden

bliebe. Eine Unabhängigkeitserklärung könnte auch der nationalistischen Reaktion des Kleinbürgertums Tür und Tor öffnen. Sie würde auch den Einfluß der nationalen Minderheiten schwächen. Der “Bund“ könne sich mit der Errichtung eines föderativen

Regimes in Rußland zufrieden geben, aber eine russisch-ukraini-

sche Föderation nach der Oktoberrevolution bedeute eine Verbindung mit der Herrschaft der Bolschewisten und die Anerkennung

ihres Regimes und der Oktoberrevolution. Hier verstrickte sich der “Bund“ in innere Widersprüche, denen mit bloßen Formulierungen nicht beizukommen war. Jemand versuchte z.B. zu argumentieren, es handle sich gar nicht um einen Konflikt zwischen Rußland und der Ukraine, sondern zwischen der ukrainischen

Demokratie und einer Bande von anarchistischen

Abenteurern.15

Am 29. Oktober (11.November), vier Tage nach dem bolschewi-

stischen Putschversuch in Kiew, sandte das regionale Büm>des “Bund“ ein Rundtelegramm an alle seine Ortsgruppen in der

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222

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Ukraine, in dem es hieß, nach der Unterdrückung des bolschewistischen Aufstands in Kiew sei die Regierungsgewalt-auf das Generalsekretariat übergegangen; dieses habe seinen Personal-

bestand jetzt komplettiert und A. Solotariew sei dort Mitglied als Vertreter des 'Bund'. Die Ortsgruppen wurden aufgefordert, sich klar und eindeutig von der bolschewistischen Diktatur zu

distanzieren, sowohl im Zentrum, wie in der Provinz. Die Zentralgewalt müsse alle Vertreter der revolutionären Demokratie umfassen, von den Bolschewisten bis zu den Volkssozialisten, aber ohne Koalition mit den KD und der Großbourgeoisie. In der

Ukraine müsse man die Regierung des Generalsekretariats und der Zentralen Rada unterstützen. Das Regionalbüro war der Ansicht, in allen Städten müßten die Stadtverwaltungen die Zügel in die Hand nehmen und diese sollten

tionären60rganisationen bilden.

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im Einvernehmen mit den revolu-

ein besonderes revolutionäres Komitee

Dieses Rundtelegramm gab dem Wunsch Ausdruck, die Zentralregierung aus Vertretern aller sozialistischen Parteien, einschließlich der Bolschewisten, zusammenzusetzen, mawiees kurz

danach auch der B. Kongreß des “Bund“ beschloß. Am 18. November (1. Dezember) hielt das Regionalbüro eine Beratung mit den Vertretern der Ortsgruppen ab. Auf der Tagesordnung stand: (1) die politische Lage; (2) die Politik der Ukraine; (3) die

persönlich-nationale Autonomie. Zum ersten Punkt wurde eine

Resolution angenommen, die mit der am 7.-8. (20.-22.) November in Minsk angenommen identisch war 17 und die zur Isolation des bolschewistischen Regimes aufrief (das war eine Sitzung des

Zentralbüros des “Bund“ mit den Vertretern der Regionalbüros in Nord-und Südwestrußland gewesen). Die Taktik der Vertreter

des “Bund“ in der Zentral-Rada wurde gebilligt, die u.a. “die Beziehungen zwischen der ukrainischen Demokratie und dem bolschewistischen Abenteuer zum Gegenstand hat“. Die Vertreter

der Ortsgruppen Jekaterinoslaw und Odessa protestierten dagegen, daß man gewisse Landesteile der Ukraine zugesprochen habe, ohne die Einwohner nach ihrer Meinung zu fragen.

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223

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Die Teilnehmer der Beratung glaubten, die Autonomie der

Ukraine fange an, sich zu Gunsten des Klassenkampfes, zum Schutz der Interessen der Arbeiterklasse und zur Entschärfung der nationalen Konflikte auszuwirken. Unter diesen Umständen sei es die Pflicht der SD und besonders des “Bund“, einen konsequenten Kampf für die Demokratisierung des inneren Regi-

mes der ukrainischen autonomen Republik zu führen. Gleichzeitig müsse man sich den chauvinistischen Tendenzen der kleinbürgerlichen Schichten im ukrainischen Volk widersetzen, denn

diese fachten die nationalen Konflikte

an.18

Um diese Zeit mehrten sich aber in der ukrainischen Natio-

nalbewegung die Anzeichen von Chauvinismus und auch von kaum Die Zentral-Rada und das Generalverdeckten

Antisemitismus.19

sekretariat versuchten, ihren guten Namen zu wahren, aber es gelang ihnen nicht. An verschiedenen Orten brachen Pogrome aus und die Zentralinstanzen drückten ein Auge zu, um es sich mit niemandem zu verderben. Inzwischen wütete der Bürgerkrieg im ganzen Lande, stärkte jedoch die Bande zwischen “Bund“ und Menschewisten einerseits und den ukrainischen Parteien ander— seits. In der Kiewer Bundzeitung lesen wir: “Angesichts der Gefahren des neuen Bürgerkriegs muß der Bund erklären, daß er

sich, trotz aller Meinungsunterschiede, mit den ukrainischen Parteien auf die Seite der Zentral-Rada und des Generalsekretariats stellt. Er wird sich bemühen das Blutvergießen zu ver-

hindern, das sich, infolge der Entwaffnung der Heereseinheiten, die vom Anarchismus angesteckt waren, mit Windeseile aus-

gebreitet

hat.“20

Immer wieder kam der “Bund“ auf seine Definition des Bürger-

kriegs zwischen der Rada und dem Sownarkom zurück und nannte

ihn ein Ringen zwischen der Demokratie und einer Minderheit mit anarchistischen Neigungen. Er nahm für die Rada und gegen die Bolschewisten Stellung, obwohl er sich einige Tage nach

der Oktoberrevolution einer Unterdrückung der Bolschewisten Auch jetzt noch wandten

mit Waffengewalt widersetzt

hatte.21

sich einige Parteifunktionäre energisch gegen den Bürgerkrieg und schlugen vor, man solle das Generalsekretariat verlassen. Dieser Antrag wurde im Plenum des Zentralkomitees abgelehnt,

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als es nach dem Parteikongreß am 16./17. (29./30.) Dezember zusammentrat. In den Resolutionen dieses Plenums heißt es, (a)

es sei möglich, einen Bürgerkrieg zu vermeiden, indem man einen Termin zur Eröffnung der ukrainischen Nationalversammlung festsetze, die dann eine Regierung der autonomen Ukraine ernennen (b) die Ortsgruppen der Partei sollten die ukrainische

würde;

Rede in ihrem Kampf gegen das Sownarkom unterstützen. Sollten aber die kriegführenden Parteien in der Ukraine, d.h. das in den Sowjets organisierte ukrainische Proletariat und die ukrainische Regierung, zu keinem Einverständnis gelangen, dann wäre

der “Bund“ gezwungen, vom Generalsekretariat zurückzutreten. Augenblicklich sei dieser Schritt nicht notwendig. Ein dritter Paragraph besagte, bei der Errichtung der neuen

Regierungsbehörden müsse die Einheit des ukrainischen Proleta-

riats gewahrt bleiben. Zu diesem Zwecke sei eine gemeinsame Parteileitung der

Menschewisten

(RSDRP) und des “Bund“ einzu-

setzen, die ein Kongreß aller Ortsgruppen beider Parteien wählen

sollte. Diese Parteileitung sollte dann Verhandlungen über die

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Vereinigung der gesamten SD in der Ukraine führen damit waren die ukrainische SD und die SD-Parteien der übrigen Nationali-

täten

gemeint.22

Als die Friedensverhandlungen aktuell wurden, beschloß die

nach

Brest zu Radd'eine Delegation entsenden;23 diese sollte unabhängig von der bolschewistischen Delegation handeln,

“Kleine

die bereits mit ihrer Arbeit begonnen hatte. Separatistische Neigungen und die Friedensverhandlungen bildeten Streitpunkte zwischen dem “Bund“ und der Rede. Dem gab Solotariew in einem

Artikel vor einer Sitzung der Rede Ausdruck (18.Dezember): “Im allgemeinen sind wir mit der Haltung der Rede und des General-

sekretariats einverstanden, aber da, wo es Streitpunkte zwischen uns gegeben hat, bestehen wir absolut auf unserer Meinung.“ Solotariew riet der “Bund"-Fraktion in der Rede, gerade jene Punkte zu betonen, in denen man geteilter Meinung sei. Nur so könne man endlich klare Antworten erhalten. Und Solotariew warnte: sollten sich in der Ukraine die separatistischen Ten-

denzen mehren, sollten die Führer der Ukraine dem Drängen der

aufgepeitschten Nationalisten nachgeben und versuchen, die

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Möglichkeit eines Separatfriedens auszunutzen, um den Krieg

als selbständige Nation zu beenden, wäre das der Anfang der Scheidung zwischen der ukrainischen und der nicht-ukrainischen Demokratie. Denn die Unabhängigkeit der Ukraine sei eine Wahnvorstellung. Eine ukrainische Republik wäre militärisch, wirt-

schaftlich und finanziell zu schwach, um ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Druck der Mittelmächte zu behaupten. Praktisch bedeute also die Unabhängigkeitserklärung, daß sich die Ukraine vom Lager der russischen Revolution entferne und sich dem imperialistischen Protektorat österreichs und Deutschlands unterstelle, d.h. daß die ukrainische Demokratie aufgehört habe, revolutionär zu

sein.24

Auch dieser Artikel Solotariews zeigt die Unsicherheit im Verhalten des “Bund“ zur ukrainischen Rede. Einerseits unterstützte er sie in ihrem Kampf gegen die Bolschewisten, anderseits rückte man klar und deutlich von ihrer Haltung in zwei

Kardinalfragen ab, so daß man sogar daran dachte, zu demissionieren. Die Haltung der Menschewisten machte es dem “Bund“ nicht leichter. Denn diese lehnten jede Ahwandlung von Eigenbrötelei ab und hatten sich geweigert, für das 'Dritte Univer-

sal“ zu stimmen, obwohl in diesem noch von der Einheit Rußlands die Rede war.

Ende Dezember entstanden Gerüchte über ein neues “Universal“, in dem die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklären würde,

während sich der Ring der Sowjetarmee um Kiew immer enger

schloß. Daraufhin beschloß Solotariew, vom Generalsekretariat zurückzutreten. Am 10. (23.) Januar wurde der Vorsitzende des Generalsekretariats, Winitschenko, offiziell

benachrichtigt.25

Am 17. März 1918 ratifizierte die Rede in ihrer Sitzung in

Kiew den Friedensvertrag. Vertreter aller Parteien, mit Aus-

nahme der Bolschewisten, waren anwesend. 7 stimmten in der “Kleinen Rede“ gegen die Ratifizierung: die Menschewisten, die russischen SR, der “Bund“ und das Polnische Demokratische Zentrum. Bei dieser Gelegenheit sagte Rafes, hier seien das russische Volk und alle angrenzenden Nationen verkauft wor-

den.26

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226

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Ein offener Riß zwischen der ukrainischen Nationalbewegung und den sozialistischen Bewegungen der Minderheiten entstand

bei der Abstimmung über das “Vierte Universal“ am 9. (22.) Januar

1918.27

Alle ukrainischen Parteien, Sozialisten und

Bürgerliche, stimmten dafür, während die jüdischen Parteien

absolut dagegen waren. Sie meinten, daß dieses Dokument Ruß-

land zerrisse und die Judenheit Rußlands teile. Trotzdem konnten die PZ und die “Vereinigten“ zu keinem klaren Entschluß

konnen und enthielten sich der Stinme. Nur der “Bund“

mal zusaumen mit den russischen Menschewisten

-

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dies-

stimte offen

gegen das “Universal“. Die PZ erklärten, sie stünden vor einer Tatsache: die Ukrainische Republik existiere und sie (die PZ) hätten weder die Kraft noch das Recht, das ukrai-

vollzogenen

nische Volk auf seinem Weg zur ersehnten Selbständigkeit auf-

zuhalten. Sie würden aber nicht aufhören, nach

föderativer

Einheit gleichberechtigter Völker in Rußland zu streben: für

einen allgemeinen demokratischen Frieden, für die Wiederherstellung der

Internationale.28

Im Namen des

“Bund“ und

der Menschewisten verlas Lieber eine

Erklärung gegen das “Universal“. Bisher hatte Lieber mit der ukranischen Politik des “Bund“ nicht viel zu tun gehabt. Jetzt

erschien er in Kiew und schloß sich der “Bund“-Frektion in der Zentral-Rede an. Seine Parteitätigkeit in Petrograd hatte er aufgegeben, nachdem die “Internationalisten“ beim Kongreß der Menschewisten die Mehrheit gewonnen hatten. Diese

Erklärung29

ist ein wichtiges Dokument, das die Stellungnahme des “Bund“

in der ukrainischen Zentral-Rede und seine politischen Erwägungen im Januar 1918 widerspiegelt

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kurz vor dem Einmarsch der

Bolschewisten in Kiew. In der Erklärung heißt es, des “Vierte Universal“ stärke das Bestreben der Ukraine, sich von Rußland loszulösen. Der Grund sei die verräterische Politik der Bolschewisten-Regierung, die Rußland der Anarchie in die Arme getrieben habe. Sie diertm aber auch den imperialistischen Absichten der Deutschen und österreicher, die die Ukraine

knechten und ihre Reichtümer ausbeuten wollten. Dieser räuberischen Politik der Imperialisten würde die Ukraine nicht widerstehen können. Der Masse des ukrainischen Volkes würde die

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Unabhängigkeitserklärung keinerlei Nutzen bringen. Im “Vierten

Universal“ sei zwar von freundlichen Beziehungen zu den Nachbarländern und von der Zurückweisung der Einmischung Fremder in die inneren Angelegenheiten der Ukraine die Rede. Der

deutsch-österreichische Imperialismus werde darauf aber keine

Rücksicht nehmen. Die Interessen der Großgrundbesitzer lägen ihm mehr am Herzen als die der Bauern, und er würde keine Agrarreform zulassen. Die Regierungskontrolle über die Banken würde dem Finanzkapital dienen,und das Handelsmonopol ein Mittel sein, um Österreich und Deutschland mit Lebensmittel und Rohstoffen zu versorgen. Die ukrainische Demokratie unterzeichne einen Separatfrieden, indem sie sich in einer tragischen

Epoche der russischen Revolution von der russischen Demokratie und ihrem Streben nach einem allgemeinen Frieden loslöse. Trotz

aller anarchistischen Erscheinungen und trotz der Gefahren, die ihr drohten, werde die russische Revolution im Innern Kräfte finden, um den Sieg der Konterrevolution zu verhindern. “Wir

glauben“. heißt es dann, “daß die ukrainischen Arbeitermassen ihre Interessen einsehen und die Verbindung mit dem arbeitenden Volk Rußlands nicht aufgeben werden. Dann wird sich die Ukraine mit Rußland auf neuer Grundlage wieder vereinigen und die poli-

tische und national-kulturelle Entwicklung der Völker wird garantiert sein.“

Weiters sprach die Deklaration von den Rechten der Minderheiten, die im “Dritten Universal“ und dem Gesetz über die per-

sönlich-nationale Autonomie festgelegt waren. Man verlangte die Beachtung dieses Gesetzes und widersetzte sich einer er-

zwungenen Ukrainisierung.

“Wir stimmen gegen das 'Universal' und zeigen damit dem internationalen Proletariat, daß wir unsern Idealen treu geblieben sind. Wir werden auch weiter die Solidarität

zwischen dem ukrainischen und dem russischen Proletariat stärken, damit endlich der Tag anbricht, da die Loslösung der Ukraine von Rußland nur noch eine tragische Episode

in Leben der Brudervölker darstellen wird.“

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Wieder verstrickte sich der “Bund“ in einen Widerspruch, der ihn von den beiden großen Strömungen, die es damals in der Ukraine gab, isolierte. Die ukrainischen Parteien verdächtigten ihn, weil er die Unabhängigkeitserklärung abgelehnt

hatte.30

Aber auch die Bolschewisten haßten ihn, weil er sie mit aller Energie bekämpfte. Man konnte einer Entscheidung nich:ausweichen. Mitte Januar belagerten die Bolschewisten die Hauptstadt der Ukraine und es wurde zum Sympathiestreik aufgerufen. Da mußte sich der “Bund“ nun entscheiden: für die Bolschewisten oder für die Rede. Elf Tage lang bombardierten die bolschewistischen Truppen Kiew, und am 26. Januar (8. Februar) nahmen sie die Stadt. Die ukrainische Regierung und ein Teil der Rede entkemen nach shitomir. Als sich die Rote Armee näherte, schlu-

gen die örtlichen Bolschewisten vor, zum Zeichen der Sympathie den Generalstreik zu erklären. Der Vorschlag wurde im Sowjet angenommen. Der Ortsgruppenvorstand des “Bund“ hielt eine getrennte Beratung ab (es fehlten manche Genossen) und beschloß,

den Streik zu unterstützen. Gleichzeitig wies er die Anschuldigung zurück, er habe Sympathie für die Bolschewisten und begründete seine Stellung zum Streik mit der Ablehnung des “Univer-

sal“.31 Dieses Verhalten der Ortsgruppe provozierte einen Streit zwischen den Führern des “Bund“ und den Genossen, von denen manche für die Bolschewisten Sympathie bezeugten

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nicht zuletzt

infolge der Pogromstimmung, die damals in Kiew und auch in Odessa herrschte. Gegen den Beschluß des Kiewer Vorstands, am

Streik teilzunehmen, wandte sich der Vorsitzende, Rafes, und

drohte mit seinem Rücktritt; aber er erkannte die gesetzten Tatsachen: praktisch hatte die Ortsgruppe am Streik und auch am

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Aufstand teilgenommen ebenso wie die Messen der Arbeiter. Nur die Führer des “Bund“ blieben ihrem antibolschewistischen

Rede.32

Das Regio— Schema treu und kamen zu ihrer Arbeit in die nalbüro veröffentlichte einen an die jüdischen Arbei-

Aufruf33

ter mit dem Titel “Vorsicht“, in dem sie aufgefordert wurden,

der Rede in ihrem Kampf für die Demokratie zu helfen.

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Aber alle Kritik am Bolschewismus und alle Sympathieerklärungen für die ukrainische nationale Bewegung hinderten die

ukrainischebemokratie nicht, schwere Beschuldigungen gegen den

“Bund“ (und die russischen Menschewisten und SR) vorzubringen. “Sie haben gänzlich bei Seite gestanden und gar nicht daran

gedacht‚der ukrainischen Regierung bei der Verteidigung von Kiew zu helfen.“ Und der ukrainische Historiker dieser Tage

schreibt: “Als die ukrainische Regierung nach dem Fall Kiews floh, schloß sich ihr kein Vertreter der Minderheiten Am 26. Januar

(8. Februar)

an.“34

1918 eroberte die Sowjetarmee

Kiew und hielt sich dort 3 Wochen

lang,35

bis zum 16. Februar

(1. März). Während dieser Tage gab es viel Kritik und Ableh-

nung, gleichzeitig sah man aber ein, daß es nicht leicht sein würde, die Bolschewisten in Rußland zu stürzen, was viele in

der ersten Zeit nach der Oktoberrevolution gehofft hatten. Hier und da kamen im “Bund“ (und auch bei den “Vereinigten“)

kleine Gruppen zum Schluß, daß die Herrschaft der Bolschewisten in Kiew eine Tatsache sei, mit der man sich abfinden müsse. Das zeigte sich bei einer Generalversammlung der Kiewer Orts-

gruppe, an der 400 Mitglieder

teilnehmen36

(an den Abstimmun-

gen beteiligten sich nur etwa 200). Man besprach aktuelle

politische Fragen und die Taktik des 'Bund'. Die Hauptredner

waren Rafes und Chejfetz. Zunächst diskutierte man über die Haltung der Partei während des Aufstandes, und in einer Reso-

lution (100 gegen 50 und 30 Stimmenthaltungen) hieß es, daß der Vorstand zur Zeit des Bolschewistenaufstandes in Kiew richtig gehandelt habe; das gelte auch für den Streik, und

die Ortsgruppe sprach dem Vorstand ihr Vertrauen aus. Der nächste Punkt behandelte die Beteiligung des Vorstands an der Sowjetexekutive. Fast alle waren dafür (nur 13 dagegen;

19 enthielten sich der Stimme). Dagegen erhielt der Antrag,

die Sowjetherrschaft anzuerkennen, nur 11 Stimmen (7 enthiel— ten sich). In der Resolution über die Beteiligung der Parteivertreter an der Exekutive des Sowjets hieß es, daß die Sowjets

immer schon die Avantgarde der revolutionären Demokratie um sich geschart hätten und jetzt, da die Konterrevolution ihr Haupt erhebe, verdopple sich ihre Bedeutung. Der Eintritt des

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“Bund“ in die Sowjetexekutive würde es ihm ermöglichen, nicht für die Politik der Sowjetregierung verantwortlich zu sein und doch den Sowjet in seinem Kampf gegen die Konterrevolution zu

unterstützen.37 Unter den sozialistischen Parteien herrschte große Verwirrung,

nachdem sich die Rede am 20. Februar 1918 an die Deutschen gewandt hatte. “In unserem schweren Existenzkampf suchen wir Hilfe und Unterstützung. Wir sind tiefstens überzeugt, daß das

Deutsche Volk, das je Ordnung und Friede liebt, nicht beiseite stehen kann, wenn es unsere Not erkennt. Die deutsche Armee steht an den Grenzen unseres Feindes im Osten. Sie'ist stark genug und imstande‚uns zu Hilfe zu kommen und durch ihre Ein-

mischung feindliche Angriffe auf unsere

Ostgrenze zu verhin-

dern.“38

Diese Bitte paßte genau in die Pläne der Deutschen, die die Ukraine zum Sprungbrett für ihren Vormarsch nach Osten

machen wollten. Auf diese Weise konnten sie die Bodenschätze der Ukraine ausbeuten und sie zum Lieferanten von Lebensmitteln, Getreide und Rohstoffen machen. Auf die Einladung der Rede hin setzten sich das deutsche, österreichische und ukrainische Mili-

Bolschewisten Kiew weg. Jetzt hörte man wieder von der Stadtverwaltung, die unter der Sowjetherrschaft nur ein schettenheftes Dasein geführt hatte. tär in Marsch und nahm den

Der Eroberungszug nach Kiew war von Judenpogromen und Ver—

folgungen organisierter Arbeiter begleitet. Um die Zügellosig— keit der ukrainischen Armee einzudämmen, dachte man daran, eine Delegation an das Militär zu entsenden. Die Vertreter des Sowjetregimes waren natürlich dagegen sie sehen darin eine Verbin-

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dung mit dem Feind, der sich im Vormarsch auf Kiew befand. Man beschloß, es trotzdem zu versuchen. An der Delegation beteiligte sich auch Rafes, der darüber im Stadtrat eine Erklärung eb-

gab. Hier zeigte sich wieder die StUmmung im Hard“.ünter den

obwaltenden komplizierten Umständen, wurde

in der Deklaration

gesagt, könnte man die Entsendung dieser Delegation verschieden

auffassen und falsch ausdeuten, was zu Mißverständnissen führen könnte. Man hätte keineswegs eine feierliche Zusammenkunft zwischen der ukrainischen und der deutschen Regierung geplant. Die Bolschewisten zögen unter so schwierigen inneren und äußeren

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politischen Umständen ab, daß es gar keinen Grund gäbe, die

ukrainische Regierung, die ja nicht nur an der Spitze einer ukrainischen, sondern auch einer fremden Armee einziehe, feierlich zu begrüßen. Nach der Veröffentlichung des “Vierten Universal“ hätte sich der “Bund“ als linke Opposition der Zentralen Reda'angeschlos-

sen und sich nicht mit der damaligen ukrainischen Politik identifiziert. “Soweit es in unseren Kräften steht,“ sagte Rafes, “wollen wir verhindern, daß sich jemand an der Bevölkerung rächt.“ Die Arbeitermassen wendeten sich von den Bolschewisten ab. Darum müsse die Regierung die passenden Maßnahmen ergreifen, um

die Bevölkerung zu beruhigen, um den Frieden zu wahren. Die Unterdrückung eines Aufstendes müsse nicht immer von einer Rechtswendung begleitet sein. Da der Bolschewismus mit vielen Arbeiterorganisationen zusammengearbeitet hätte, müsse man

Racheakte, die viel Schaden stiften konnten,

vermeiden.39

Pogrome verhinderte die Delegation nicht. In seinem Bericht

erzählte Refes über die Stimmung in der ukrainischen Armee auf

dem Mersch von Shitomir nach Kiew. Soldaten und auch Offiziere verbergen ihren Judenhaß keineswegs. Als die Delegation bat,

man solle von Pogromen Abstand nehmen, antworteten die Soldeten wütend: “Wir werden mit ihnen abrechnen, ohne Erbarmen...

Ich selbst will mindestens 50 Juden umbringen...bie halbe Stadt, alle Shiden muß man

abschlechten.“40

Und ein anderer

sagte: “Wir haben mit den Juden in Frieden und Freundschaft

gelebt. Wir haben ihnen Gleichberechtigung gewährt, persönlich-

nationele Autonomie

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aber des war ihnen nicht genug: die ganze Ukraine wollten sie für sich. Der Shid Trotzki überzieht die Ukraine mit Krieg und alle jüdischen Kapitalisten unterstützen ihn. Ein Land haben sie schon zu Grunde gerichtet

und nun wollen sie der Ukraine dasselbe

antun.“41

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Rußland

Auch sonst

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fehlte es nicht an aus der Luft gegriffenen Anklagen. An einem Ort wurde erzählt: “Als wir nach Podol in Kiew einmarschierten, fand man in jedem jüdischen Haus ein Maschinengewehr, aus dem

hatte.“42

“Die ganzen drei Millionen man auf uns geschossen Juden muß man aus der Ukraine vertreiben ganz egal wo sie hingehen...Die Ukraine den Geschrei und Drohungen,

Ukrainernl“43

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'

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die die Delegation überall zu hören bekam, überzeugte sie, daß sich das ukrainische Militär auf Pogrome

vorbereite.“

Gleich nach der Eroberung von Kiew am 1. März begann eine

Judenhetze. Man beschuldigte sie, den Bolschewisten geholfen Besonders der “Bund“ diente als Zielscheibe. Men zu vergaß ihm seine Abstimmung gegen das “Vierte Universal“ nicht,

haben.‘5

das die völlige Loslösung der Ukraine vom russischen Reich erklärt hatte. Zwei Mitglieder des 'Bund', Gutkin und Lindermenn, wurden erschossen. Rafes mußte sich 3 Wochen lang versteckt

halten. Die Haidameken hatten ganz offen gedroht, sich an ihm als Bolschewisten zu

rächen.46

Während dieser Zeit blieb der “Bund“ wie gesagt als Linksopposition in der Zentral-Rede. Eine Bundkonferenz der Ukraine

fand vom 31. März-3. April 1918 statt, mit 47 stimmberechtigten Delegierten und 10 mit beratender Stimme. Men stellte fest, daß die Einschätzung des “Vierten Universal“ durch den “Bund“ (daß die Ukraine ihre Unabhängigkeit unter den internationalen

Kräfteverhältnissen nicht würde behaupten können, sondern daß sie vielmehr den Mittelmächten als militärisch-wirtscheftliche Basis dienen würde) richtig gewesen war. Die Konferenz befaßte

sich besonders mit den Ursachen des Chauvinismus unter der ukrainischen Bevölkerung. Man betonte, daß der Krieg mit Ruß-

land nationalistische Gefühle gefördert und den Einfluß der

chauvinistisch—reaktionären russischen Gruppen gestärkt habe, die danach strebten, die Einheit Rußlands mit Waffengewalt

wiederherzustellen. Die Konferenz legte großes Gewicht auf die Idee eines sofortigen Friedensschlusses mit Sowjetrußland als Schritt zur Erneuerung der föderativen Bindung. Eine Resolution

hierüber wurde mit 14 gegen 11 Stimmen

engenonnnen.‘7

Das bedeu-

tete keine ideologische Annäherung an die Bolschewisten. Es

war eine realistische Beurteilung der Situation, die die Hoffnung stärkte, Rußlands Einheit zu bewahren. Die Konferenz wählte 5 Repräsentanten zur Rede. Acht weitere sollten von den Orts-

gruppen direkt gewählt werden. Die 5 waren: Rafes, Solotariew, Chejfetz, Lurie und Sarah

Fuchs.48

Den Funktionären des “Bund“

war es klar, daß die Deutschen die Rede und die ukrainische Regierung absolut beherrschen wollten. Das zeigte sich z.B. in

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dem Manifest zum 1. Mai, das der “Bund“ am 18. April

herausgab.

Die Arbeiter wurden aufgefordert, für internationale Einheit

und die Beendigung des Krieges zu demonstrieren. Um dieses Ziel zu erreichen und um dem Imperialismus und dem Volkshaß Widerstand zu leisten, müßte man eine internationale Sozialistenkonferenz einberufen und die Internationale erneuern. Im Land

selbst müßte man die Errungenschaften der Revolution verteidigen und die Restauration des Zarenregimes verhindern. Man soll— te die ukrainische Nationalversammlung einberufen, die die

Regierungsform bestimmen und föderative Beziehungen zu den übrigen Teilen Rußlands herstellen

sollte.49

Sowohl in den Resolutionen der Konferenz wie in dem Manifest kommt die Sorge um die Zukunft der Zentralrada zum Ausdruck.

Und wirklich wollte es das Schicksal, daß sie gerade mitten in einer Rede von Rafes aufgelöst wurde. Das geschah am 28. April.

Rafes rief in seiner Rede die Arbeiter aller Nationen der Ukraine dazu auf, die souveränen Rechte der Ukrainischen Volksrepublik gegen den deutschen Imperialismus zu verteidigen. 5° Die Tätigkeit des “Bund“ in der Zentralrada

zusammenfassend,

ver-

sprach er der ukrainischen Demokratie wieder Unterstützung im Kampf gegen ihre Feinde.

Damit endete ein ganzes Zeitalter der ukrainischen Revolution, ein Zeitalter reich an Kämpfen und Hoffnungen. An Stelle der Rede ernannten die Deutschen Skoropadski zum Hetman und setzten eine willfährige Regierung ein. Ganz offen wurden alle politischen und noch mehr die sozialen Errungenschaften abgeschafft. Die Hilflosigkeit der demokratischen Kräfte innerhalb der ukrai-

nischen Nationalbewegung war offenbar. Es gab keinen Widerstand gegen die Herrschaft der Rechten. Einige Kreise im “Bund“ kamen

zu der Schlußfolgerung, daß man wohl oder übel mit den Bolschewisten zusammenarbeiten müsse. Schon am 9. (22.) Februar 1918 beklagte das Organ des “Bund“ eine Tendenz unter den Kiewer Arbeitern, sich dem Bolschewismus psychologisch zu nähern und

die Verbindung mit den Bolschewisten nicht

ebzubrechen.51

“Natürlich muß man diese Tendenz bekämpfen,“ schrieb die Zeitung, “bei uns ist kein Platz für Bolschewismus“. Aber in einer

Beratung des ukrainischen “Bund“ am 12. Mai erschien ein linker

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Flügel, der forderte, mit der Waffe in der Hand und zusammen mit den Bolschewisten gegen die Regierung vorzugehen. Die Bol-

schewisten waren damals in den Dörfern

tätig.52

In dieser Zeit war noch nicht von einem Austritt aus der

Partei und vom Anschluß an die Konnmnisten die Rede. Aber es

gab bereits Anzeichen der Erbitterung und eine Annäherung an die Bolschewisten unter den Mitgliedern, welche dann zur Spaltung und zur Verschmelzung mit der “Jüdischen Sektion der

Kommunistischen Partei“ (Jewsekzia)

führte.53

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NACHWORT

Diese Abhandlung erstreckt sich nur über den Zeitraum eines

Jahres, aber es war ein Jahr der Entscheidungen für den “Bund“ und auch für das gesamte Judentum Rußlands. Die Prozesse, die

hier zum Ausbruch kamen, hatten ihren Ursprung in der Vergangenheit, aber sie wirkten sich noch in späteren Jahren aus. Wir wflüten die Ereignisse und ideologischen Diskussionen in der

bedeutendsten jüdischen Arbeiterpartei aus verschiedenen Aspekten darstellen. Wir sind der Problematik und der Herausarbeitung ihrer Stellungnahmen, ihrer praktischen Tätigkeit und

ihrer Kämpfe im jüdischen Publikum und in der allgemein-russischen Politik nechgegengen; wir haben die Tätigkeit des “Bund“ in der russischen sozialistischen Bewegung und besonders inner-

halb der Menschewistenpartei ebenso wie die Diskussionen zwischen den verschiedenen Fraktionen bis zum Beginn der Austrittsbewegung verfolgt. Sehr bald vertieften sich die Risse in der Partei, es kam zur Spaltung und der “Bund“ verlor seine politi-

sche Stellung im jüdischen und im allgemein-russischen Publikum. Er hörte auf, ein selbständiger Faktor zu sein, und schloß sich

der Kommunistischen Partei an. Diese Periode der Spaltung und Auflösung erfordert weitere eingehende Forschungsarbeiten, wir glauben aber, wir sollten

das Schicksal der Partei wenigstens mit einigen Worten behan-

deln. Als die Deutschen die Ukraine besetzten, wurden die Beziehungen zum übrigen Rußland unterbrochen und der “Bund“ war gezwungen, Politik auf eigene Faust zu betreiben. Der demokratische Flügel der ukrainischen Nationalbewegung zeigte sich unfähig,

der Herrschaft des von den Deutschen eingesetzten Hetmans Skoropadski Widerstand zu leisten, und ein nicht sehr großer

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Teil des “Bund“ kam zu der Folgerung, man müsse mit den Bolschewisten zusammengehen. Die Partei verlor die grundlegenden ideo-

logischen Unterschiede zu den Bolschewisten nicht aus den Augen; dann kam aber der Zusammenbruch Deutschlands und öster-

reichs und es sah so aus, als hätten die Bolschewisten mit

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ihrer Annahme, die russische Revolution sei der Anfang der

Weltrevolution, Recht gehabt und es läge in der Macht des Weltproletariats, die Herrschaft zu ergreifen. Dazu kam die Pogromwelle und der offene Haß der Ukrainer unter Petlura, so daß

schließlich die Juden die Rote Armee als ihren Beschützer ansehen, besonders, nachdem diese sich mit aller Schärfe gegen die Pogrome gewandt hatte. Unter den Ukrainern verstärkten sich radikal die anti-demokratischen Strömungen. Demzufolge wuchsen die pro-bolschewistischen Neigungen unter den jüdischsozialistischen Parteien und besonders im 'Bund', dessen Führung sich in 3 Richtungen spaltete. Die sogenannten Linken unter

Chejfetz identifizierten sich mit Ideologie und Taktik der Kommunisten und wollten eine jüdisch-kommunistische Organisa-

tion gründen. Besonders stark war diese Fraktion in der Kiewer

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einer der größten der Ukraine. Sie war auch sehr einflußreich, da sie sich im Mittelpunkt der politischen Ereig-

Ortsgruppe

nisse befand. Am stärksten war die mittlere Fraktion unter Rafes, die zwar an den Terrorakten der Bolschewisten Kritik übte, aber mit ihren

Grundauffassungen einverstanden war. Im Laufe der Zeit verwischten sich die Unterschiede zwischen dieser Fraktion und der

Linken, so daß einer weiteren Annäherung an die Kommunisten der Weg gebahnt war.

Die dritte Fraktion, die “Rechte“ unter Litwak und Lieber,

widersetzte sich den Bolschewisten und wollte von ihren Auffassungen nichts wissen. Am 28. Februar 1919 wurde eine Konferenz des ukrainischen “Bund“ eröffnet. Es war aber nur mehr ein Forum, um die Erklärun-

gen der beiden Fraktionen zu verlesen. die eigentlich bereits getrennte Parteien darstellten: der Bruch war unheilbar und

die sozialdemokratische Fraktion

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die Rechte

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verließ die

Konferenz. Die übrigen beschlossen, einen Kommunistischen

Bund

“Kombund' zu gründen. Damit war der Weg zur Vereinigung mit der “Vereinigten jüdisch-sozialistischen Partei“ (die “Vereinigten“) frei, bei denen sich die Dinge ähnlich wie beim “Bund“ entwikkelt hatten. Nach dem Ubereinkommen zwischen den beiden gründete “Komverband“ man den “Jüdisch-Kommunistischen Verband der Ukraine“

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Ähnlich war der Lauf der Dinge in Weißrußland. Pogrome waren

hier nicht so häufig wie in der Ukraine, aber Not und Hunger herrschten nicht weniger. Einen Monat nach der Spaltung des

ukrainischen “Bund“ trat in Minsk die 11. Konferenz zusammen. Auch hier gab es 3 Strömungen: an der Spitze der Linken stand

Jankel Levin, im Zentrum waren es Esther Frumkin und Weinstein, und im rechten Flügel Judin-Eisenstadt. Es gelang noch, die

Einheit zu bewahren. Man fand eine Formel, in der von der Unterstützung der sozialistischen Revolution in der ganzen Welt und des Sowjetregimes in Rußland die Rede war. Gleichzeitig tadelte man die Enteignungspolitik der Bolschewisten, von der besonders die jüdische Bevölkerung betroffen war. Die meisten Resolutionen der Konferenz waren zweideutig formuliert. Der linke Flügel des

“Bund“ war noch nicht zur Spaltung und zum Anschluß an die Kommunisten bereit. Im Frühjahr 1920 brach die polnische Armee in Weißrußland

ein und identifizierte Juden und Bolschewisten; demgemäß wurden

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verfolgt und ermordet. Diese sie ebenso wie in der Ukraine Grausamkeiten trieben auch hier die Juden den Bolschewisten in

die Arme. Als die Russen dann wiederkamen, übten sie großen Druck auf den “Bund“ aus und forderten ihn auf, die Jewsekzia der Kommunistischen Partei zu verstärken. Auf der 12. Konferenz im April 1920 fiel dann die Entscheidung zwischen den Strömungen. Die Linke sprach davon, daß man die Diktatur des Proletariats auch auf die Judengasse ausdehnen müsse, allerdings mit dem Vor-

behalt der Selbständigkeit auf dem Gebiet der Organisation, der Propaganda und Aufklärung, sowie der Autonomie von Erziehung und Kultur. Man versuchte wohl, die Spaltung zu verhindern, aber als

die Anträge der Linken angenommen wurden, verließ die Rechte die Konferenz und machte sich selbständig. Dem “Kombund' stand nun

der “Sozialdemokratische Bund“ gegenüber, der ebenso wie die

Menschewisten Verfolgungen ausgesetzt war. Er setzte noch ein paar Jahre seine illegale Tätigkeit fort und verschwand dann völlig.

Nicht jüdisch-nationale Fragen und auch nicht Probleme der allgemeinen Politik führten zu den Spaltungen im 'Bund'. Es wäre irrig, einem Teil der Mitglieder assimilatorische Tendenzen

-

238

'

zuzuschreiben, während ein anderer Teil der jüdischen Natio-

nalität treu geblieben sei. Nicht wegen der Einstellung zur nationalen Frage kam es zur Spaltung. Der Krieg, die Pogrome

und das ewige Hin und Her hatten die jüdische Arbeiterschaft müde gemacht. Die Sowjetherrschaft und die Rote Armee erschie-

-

den ukrainischen Nationen ihnen als Retter vor den “Weißen“ nalisten und den polnischen Legionären. Sie glaubten, es sei nur natürlich, daß nun die Kommunistische Partei ans Ruder komme, und diese würde sie beim Aufbau einer neuen jüdischen Kultur unterstützen. Die Enttäuschung ließ nicht lange auf sich warten. Die Kommunistische Partei weigerte sich, eine autonome Organisation

anzuerkennen,und bestand darauf, daß jeder individuell Parteimitglied werde. Von Propaganda, Aufklärungs- und Organisations-

freiheit war nicht die Rede. Man konnte keine eigenen Ortsgrup— pen und Institutionen haben, keine Beratungen und Konferenzen und auch keine organisatorischen Beziehungen zum Ausland. Der

“Bund“ unterwarf sich und wurde von der Jewsekzia aufgesogen. Nach 25 Jahren hörte die erste und größte jüdische Arbeiterpartei mit ihrer reichen Geschichte der politischen Kämpfe in

Rußland auf zu existieren.

-

239

-

ANHANG

Kurze biographische Notizen

über

die Führer des “Bund“

Abramowitsch Raphael (eigentlich Rein), (1880-1963). Eine

der zentralen Persönlichkeiten im “Bund“ und bei den Menschewisten. Führer

des “Internationalistischen Flügels“. Nach der

Oktoberrevolution versuchte er, zu einem Kompromiß mit den Bolschewisten zu gelangen. Verließ Rußland (1920) und war danach unter den Menschewisten im Ausland tätig. Veröffentlich— te zweibändige Memoiren und eine Geschichte der russischen Revolution.

Alter Wiktor (1890-1941). Während des Ersten Weltkriegs war er in England und kehrte beim Ausbruch der Revolution (Februar 1917) nach Rußland zurück. Gehörte zu den “Internationalisten“ und war in der Ukraine tätig. Gegner der Oktoberrevolution und

des Bolschewismus. Blieb nach der Spaltung der Partei bei den Sozialdemokraten, verließ Rußland und ging nach Polen, wo er wichtige Funktionen erfüllte. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ging er nach Rußland, wurde zusammen mit Ehrlich ver-

haftet und der Spionege beschuldigt. Zum Tode verurteilt, aber

zu 10 Jahren Gefängnis begnadigt. September 1941 in Freiheit gesetzt, aber im Dezember wieder verhaftet und erschossen.

Chejfetz Abraham.1917 in der Ukraine tätig. Mitglied des regionalen Komitees im “Bund“. Auf dem achten Kongreß in den Vorstand gewählt, schloß sich aber nach der Spaltung den

Kommunisten an. Ehrlich Henryk (1882-1941). Trat dem “Bund“ als Student in

Warschau bei. Heiratete (1911) die Tochter des jüdischen Historikers Simon Dubnow (Sophie). Beteiligte sich an der illegalen Zusammenkunft in Charkow (1916). Beim Ausbruch der Februar-

revolution war er unter den Gründern des Petrograder Sowjets und gehörte zum Exekutivkomitee. War Vertreter der Partei beim all-nssischen Sowjetkongreß. Ging nach Warschau (Oktober 1918) und stand an der Spitze des polnischen “Bund“. Nach Ausbruch

des Zweiten Weltkriegs teilte er das Schicksal Wiktor Alters.

-

240

-

Eisenstadt Jeseias (1867-1937). Seit 1905 eine der zentralen Persönlichkeiten im “Bund“. 1906-1912 Redakteur des ersten

legalen Parteiorgans. 1917 Mitglied des Zentralkomitees. Nach der Oktoberrevolution Gegner der Bolschewisten, durfte aber

Rußland 1922 verlassen. Gehörte zur Vertretung der Menschewisten in Berlin. Frumkin Esther (eigentlich Melka Lifschitz), (1880-1943).

Lehrerin, Bundmitglied seit 1901. Erfüllte zentrale Parteifunktion seit der Revolution 1905. Mitglied des Zentralkomitees. Segensreiche Tätigkeit auf dem Gebiet der Erziehung und der

jiddischen Schulen. Nach der Spaltung führend im “Kombund'. Seit März 1921 Kommunistin. Auch hier erfüllte sie verschiedene

Funktionen, u.a. Rektor der kam. Merchlewski Universität in

Moskau. 1937 verhaftet und zum Tode verurteilt.

Hersch Liebman (1882—1955). Statistiker und Demograph, Professor an der Universität Genf. Trat

dem “Bund“ 1905 bei

und war seitdem in der Partei als Auslandsmitglied des Vorstands tätig. Als Bundist war er Gegner des Zionismus, begrüßte aber

die Errichtung des Staates Israel.

Koigen Fischel (1870-1933). Mitglied des Zentralkomitees bis 1910. Vor dem Ersten Weltkrieg Repräsentant der Partei bei der russischen SD und auf Kongressen der Internationale. 1917 kehrte

er nach Rußland zurück und schloß sich bei der Spaltung den Kommunisten an. Mitglied der sowjetischen diplomatischen Delegation in Berlin

Anfang der 20er Jahre. In verschiedenen Sowjet-

Institutionen bis zu seinem Tode tätig. Kossowski Wladimir (eigentlich Nechum Mendel Lewinsohn), (1867—1941). Einer der Gründer des “Bund“. Mußte fliehen und

war Mitglied des Vorstands der Partei im Ausland. Nahm Anteil an der Ausarbeitung des Programms der nationalen Autonomie. Weigerte sich im Jahre 1917, über Deutschland nach Rußland zurück-

zukehren. Lebte bis 1930 in der Schweiz und in Berlin und schrieb Artikel für die Presse des 'Bund'. Zog nach Warschau. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gelang es ihm, nach New York zu entkommen.

. 241 Lieber Mark (eigentlich Michael Goldmann), (1880-1937). Von

Jugend an Mitglied sozialistischer Kreise. Seit 1900 Mitglied

des “Bund“. Einer seiner begebtesten Funktionäre. Nach der Februarrevolution kehrte er aus der Verbannung zurück und war im “Bund“ und in der menschewistischen Partei tätig. Mitglied in beiden Zentralkomitees. Einer der führenden “Verteidiger“. Auf dem all-russischen Sowjetkongreß (Juni 1917) referierte er über die Nationalitätenfrage und wurde in die Zentrelexekutive

der Sowjets gewählt. Kam anscheinend zur Zeit der großen Säuberungen um.

Litwak A. (eigentlich Chaim Jakob Helfand), (1874—1932). In jüdisch-sozialistischen Kreisen in Wilna tätig. Vertrat den

“Bund“ auf internationalen Kongressen. Nach der Februarrevolution Mitglied der regionalen Komitees der Ukraine. Befaßte sich

mit jüdischen Kulturangelegenheiten. Nach der Spaltung des “Bund“ blieb er Sozialdemokrat. Gegner der Bolschewistenherr-

schaft, ging 1920 nach Polen und später in die USA.

Medem Wladimir

(1879-1923). Sohn eines Militärarztes (eines

getauften Juden). Trat dem “Bund“ bei, noch.ehe er Jiddisch

konnte. 1901 ins Zentralkomitee gewählt; referierte auf dem

fünften Kongreß (1903) über die nationale Frage und nationalkulturelle Autonomie. 1904: sein Artikel “Die Sozialdemokratie und die Nationale Frage“ (später russisch und jiddisch als

Broschüre veröffentlicht); wurde 1923 in der USSR neu gedruckt (teilweise sogar noch 1931), obwohl Medem als Gegner des Bolschewismus bekannt war. Medem vertrat die Partei auf internatio-

nalen Kongressen. 1913 in Warschau verhaftet; von den Deutschen nach der Besetzung befreit. Seither ständig als einer der Führer der Partei in Polen tätig. Wanderte 1921 nach Amerika aus und

starb nach schwerer Krankheit.

Rafes Moses (1883-1942). Von Jugend an aktiv im “Bund“ in Homel und in Wilna. Gehörte zu denen, die Kurt Lekerts Attentat auf den Gouverneur planten. Seit 1912 Mitglied des Zentralkomitees der Partei. Während des Ersten Weltkriegs gehörte er zu den “Verteidigern', nahm an der geheimen Zusammenkunft in Charkow teil (1916). Nach der Revolution repräsentierte er den

-

242

-

“Bund“ im Petrograder Sowjet, war aber hauptsächlich in der Ukraine tätig. Gehörte zu den aktivsten Mitgliedern der “Ukrainischen Zentral-Rede“, Mitglied ihres Generalsekretariats (zusammen mit Solotariew). Heftiger Gegner der Bolschewisten,

wechselte aber 1919 zum linken Flügel über und gehörte zu den Gründern des “Kombund', der sich dann den Kommunisten an-

schloß. 1924 verhaftet, starb noch im selben Jahr. Schrieb zahlreiche Artikel und eine Geschichte des 'Bund'.

Rosenthal

Paul£

Dr. (1872-1924). In Bialistok und nach 1905

in Wilne tätig. Auf dem achten Kongreß in des Zentralkomitee gewählt. Nach dem Jahre 1919 als Arzt zur Roten Armee einberu-

fen. Kehrte nach seiner Entlassung nach Wilne zurück

und war

weiterhin in der Partei tätig. Saslawski David (1871-1965). War im “Bund“ seit 1903 tätig. Hervorragender Redner und Propagandist. Nach der Februarrevolu— tion Mitglied des Petrograder Sowjets. Bis 1918 entschiedener Gegner der Bolschewisten. 1920 verleugnete er seine bisherige

politische Stellungnahme und schloß sich der Konmunistischen Partei an.

Solotariew Alexander (1880- ? ). Schloß sich dem “Bund“

1902 an. Erfüllte Aufträge der Partei und veröffentlichte

Artikel. Auf der zehnten Konferenz (Anfang April 1917) in den Parteivorstand gewählt und nach Kiew delegiert. Zusammen mit Rafes Mitglied des regionalen Komitees und Vertreter des “Bund“ in der Ukrainischen Zentralrada. Schloß sich 1919 der Kommunistischen Partei an.

Tschemeriski Alexander (1880- ? ). Mitglied des “Bund“ von Jugend an. Mehrmals verhaftet und in die Verbannung geschickt. Erst nach dem Februar 1917 befreit. Seit 1919 Kommunist. Sekretär des Zentralkomitees der Jewsektie. Befaßte sich mit der

Organisation der Juden in Rußland und verfaßte Artikel über

jüdische und Parteithemen. Um 1930 verhaftet und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt, weil er früher der Subetowbewegung angehört hatte. Ende unbekannt.

-

243

-

Weinstein Ahron (Rachmiel), (1877-1938). Mitglied des Zen-

tralkomitees nach 1905. Vertreter der Partei bei mehreren Kongressen der russischen SD vor dem Ersten Weltkrieg. Nach der Februarrevolution wurde er auf dem Menschewisten-Kongreß (August 1917) in das Präsidium gewählt. Gehörte zum rechten Flügel der Partei, ging dann zu den Linken über. Führte 1921 einen Teil des “Bund“ zur Kommunistischen Partei. Mitglied der

Zentrelexekutive der weißrussischen Sowjets und Mitglied des örtlichen Vorstands in Minsk. 1937 verhaftet, beging im Gefäng-

nis Selbstmord.

-

244

-

ANMERKUNGEN

zu den Seiten 5

-

10

Kapitel 1 Vgl. Krassnyj Archiv, 1925, S. 69-86 Lwow, Georgi (1861-1925). Staatsmenn, Sohn einer Adelsfamilie. Wurde nach der bolschewistischen Revolution verhaftet. Flüchtete nach Paris. Smilg-Benerio M., Der Zusammenbruch der Zarenmonarchie, Wien 1918, S. 137

Miliukov, P.N. (1859-1943). Historiker und russischer Staatsmenn. Führer der Kadetten-Partei. Nach der OktoberRevolution in der russischen Emigration tätig.

Gutschkov Alexander (1862-1936). Liberaler Staatsmenn. Einer Gründer der Oktobristen. Emigrierte nach Paris. Kerenski Alexander (1881-1970). Rechtsanwalt, Mitglied der Trudowiki. Zwischen Februar und Oktober Mitglied der Provisorischen Regierung. Trudowiki Trudowaja Gruppe, gegründet in der ersten Duma. Vereinigten sich 1917 mit den Volkssozialisten, die zwischen den Kadetten und Sozialdemokraten ihren Platz suchten.

der



Refes M., Otscherki po istorii Bunde, Moskau 1923, S. 255 Gegründet durch Gutschkov. Ihr Ziel: Vereinigung der Industriellen, Arbeiter und Regierungsbeamten, um die Kriegsindustrie zu fördern. Diese Institution hat eine Polemik in der Arbeiterbewegung hervorgerufen. 10

Aronson G., Russisch-jüdische Intelligenz (jid.), Buenos Aires 1962, S. 157

11

Unter den Teilnehmern waren auch: Sokolow (Unparteiisch), Kerenski, Skoblew (Menschewiken). Jurniew (Anhänger der Bolschewisten), Alexandrowitsch (SR), Schliapnikow (Zentralkomitee der Bolschewisten), Fischonow (Volks-Soz.)‚ Sensinow (SR), Griniewitsch (Menschewik-Internationalist), Suchanow (Unparteiisch), Jermanski (Menschewik-Internetionalist), Beresin und Snamenski (Trudowiki).

12

Vgl. Sensinow B., “Fevralskie dni“, Nogyj Zhurnal, 1953, S. 34f.

13

Anin D., Rewolutsija 1917 godagglasami jejo rukovoditelej, Roma 1971, S. 215ff.

14

Gwozdiew K., Petrograder Arbeiter, aktiv im Ausschuß der

15

Kriegsindustrie.

Petrogradski Sowiet Rabotschich i Soldatskich Deputatow,

Protokoly zasedenii, Moskau 1925, S. 361

Anmerkungen zu den Seiten 11

245

-

-

17

16

Arbeiterstimme (jid.); (hinfort abgekürzt: Ag), Nr. 11-12, 21.725.Mai 1917.

17

Vgl. Olgin M., “Zu wos darfn die Jiden fun Russland nationale Recht“, 55, Nr. 30, 16./29.Juli 1917.

18

Potressow Alexander (1869-1934). In den 90er Jahren gehörte er zu den marxistischen Kreisen. Mitbegründer von “Iskra' und “Serie“. Auf dem zweiten Kongreß der SD (1903) stand er mit Martow an der Spitze der menschewistischen Fraktion. Während des Ersten Weltkrieges extremer “Verteidiger“. Nach dem Oktober 1917 ins Ausland emigriert.

19

Deutsch Leo (Lew), russischer Revolutionär, Jude, MitbeArrest und in der Verbennung.

gründer der SD in Rußland. Oft im

20

Sessulitsch Vera (1851-1919). Revolutionärin, Mitbegründerin der russischen SD.

21

Martow J., Dan Th., Geschichte der russischen Sozialdemokratie, Berlin 1926, S. 294f. Martinow Alexander (1865-1935). Mitglied der Narodnaja Wolie, dann Sozialdemokret und Menschewik-Internationalist. Nach der Oktober-Revolution verließ er die Menschewisten und erbeitete im Marx—Engels Institut.

22

-

23

Senkowski S.M. eigentlich Bernstein (1882- ? ). Menschewik— Internationalist, Mitglied des Petrograder Sowjets. 1920 verließ er die menschewistische Partei und wurde Professor in den sowjetischen Hochschulen in der Ukraine.

24

AS, Nr. 6, 23. April/6. Mai 1917 Ebd. Nr. 21, 15./28. Juni 1917

25

26

27

Ebd. Nr. 31, 20. Juli/2. August 1917 Rabotschaja Gazeta, Nr. 139, 22. August 1917. Nr. 144, 27.

August 1917

gg,

2./15. September

28

Golos Bunde, hinfort abgekürzt 1917, S. 10

29 30

Ebd. Nr. 3, 2./15. September 1917, S. 9ff. Lebensfragen (jüd.; hinfort abgekürzt gg), Nr. 45/93, Nov er 1917

31

93, Nr. 3, 2./15. September 1917, S. 11

Nr. 3,

.

32

Haimson L. (Ed.), The Mensheviks from the Revolution of 1917 to the second World War, Chicago and London 19747 s.3mo

33

95, Nr. 3, 2./15. September 1917, S. 9ff.

34

Erst kurz

vor der Oktober-Revolution haben die Bolschewisten in Odessa, Riesen und Pensa die vereinigten Ortsgruppen verlassen und selbständige Gruppen organisiert. Vgl. V Borbe za Oktjabr, Odessa 1957, S. 313. Morozov B.F.‚ Penses£aje

Anmerkungen zu den Seiten 17

246

-

-

25

pp%gotowki

i riod or anizats a bolschewikow v enia We o 0 t e rs o Sotsia istitsc esko r Aue in Mogi ev beschlosRevoliutsii, Pensa 1 , S. 4 sen die Bolschewisten, die vereinigten Ortsgruppen nicht zu spalten. Die Spaltung kam erst nach der Oktober-Revolution. Vgl. Bugejew E., Vozniknovenie bolschewitskoj i obrazovanje kompartji Belorussji, Moskau , S. 10 , 171

.

organizatsji 35

Vpgriod, Moskau, Nr. 310, 16. April 1918

36

Die erste Nummer mit der neuen Anschrift erschien am 30. April/13. Mai 1917

Kapitel 2 Szajkowski, Z., Jews, Wars ang;Communism‚ New York 1972, Bd. 1, S. 123, zitiert nach “Forwerts” (jid.), 29. März 1917‚und “New York Times“, 21. April 1917

A.Solotariew. “x-ja Konferenzia Bunde“, Nascha Tribuna, sbornik, Moskau 1917, S. 55

kg, 12. Oktober 1917

Jewrejskaja Nedelja S.

(hinfort

JN), Nr. 14-15, 15. April 1917,

Uber die Zentralprobleme in dem nächsten Kapitel Solotariew, Nascha Tribuna, 8.56; Nogzj Put, Nr. 13-15, 23.April 191

Ebd. Ebd. S. 31f; Ag, 18. April 1917; Nascha Tribuna, S. 65f. M.Rafes, “Di erschte teg fun der revolutie im jor 1917“, Rojter Pinkes, Kiew 1917, S. 77 10

Im Laufe der Zeit versuchte Rafes seine opportunistische Stellung in der Frage der Koalition zu verwischen. Er verschweigt die Tatsache, daß er selbst Führer der “Verteidiger“ war. Vgl. Rafes, Otscherki..., a.e.0., S. 256

11

12

55, 18. April 1917; Solotariew, Nascha Tribuna, S. 58 &, Ebd.

13

JN, 23. April 1917, s. 18

14 15

Ebd., S. 20

16

Em. Ebd.

17

AS, 18. April 1917

18

Ebd.

Anmerkungen zu den Seiten 25

247

-

-

34

19

gg.

20

Vgl. J.S.Hertz u.a., Di eschichte fun Bund (4 Bde.; hinfort: Geschichte), New York 1960-1972,53. 2,5. 254

21

22 23

24 25

26

23. April 1917, S. 18

AS, 18. April 1917; Di x Konferenz (jid. ), S. 2f; Nascha

Tribuna,

S. 67; C. N. Dimenstein

(Hrsg. ). Revolutia

nationalnyj vopros, Moskau 1930, S. 270f JN, 23. April 1917, S. 20f. Vgl. Refes, Otscherki..., a.e.0., S. 408

.

AS, 23. April 1917 Aronson, Russisch—jüdische..., a.e.0., S. 148,

27

R.Abramowitsch, n zwaj revoluties (2 Bde.), New York 1944, Bd. 2. S. 47 gg, 15. April 1917, S. 30

28

55.

23. April 1917

Kapitel 3 KPPS w resolutiach sjesdow, konferenzii i plenumow Z.K., Bd. 1, Moskau 1953, S. 37ff.

W.I.Lenin, Polno e sobranje sotschinenii, (hinfort: Werke), Moskau 1958-196 Bd. 11, S. 120

,

H.Zand, “Bolszewicy a blok mienszewicko-eserowski w 1917 r.“, Z Pole Walki, Nr. 3(39), 1967, S. 83 Hehistorja schel hamiflaga hakomunistit schel brit hamoazot, Tel Aviv 1963, s. 177f.

Isvestja, 21. März

1917

Lenin, Werke, Bd. 24, S. 4 Ebd. S. 5

B.Nikolajewskij, “I.Zeretelli i jego vospominanja 0 1917 godu“, Sozialistitscheskij Vestnik, Nr. 7-8, 1962, S. 132; E. N. Bur za ow, 0 t ti e sc ewikow w merte-aprele 1917 godu“, Vo--ros Istorii, Nr. 4, 1956, S. 52; le-aln bolschewikow w 1 1 g., ' S. Moskau-Leningra-

m komitet ,

Peggy;

Lenin, Werke, Bd. 31, S. 166, 168

10

F.Dan, Proischozhdenie bolschewisma, New York 1946, S. 37

11 12

Rabotschaja Gaseta, 22. April 1917 AS, 8. März 1917

13

Ebd., 17. März 1917

Anmerkungen zu den Seiten 35

248

-

-

40

14

J.B.Saluzki, “Acht monaten revolutie“ (jid.). in A.Litwak, J.B.Saluzki, Dos revolutionere russland (Hsg.), New York 1917, S. 7f.

15

M.Ferro, The Russian Revolution_of February 1917, London 1972, S. 353f.; Isvest_g, 15. März 1917; R.P.Browder, A.F.Kerensky‚ The Russian Provigional Government 1917, Stanford 1961, Bd. 2, S. 1077f.

16

Browder, Kerensky, a.e.0., Bd. 2, S. 1045f.; W.H.Chamberlin, The Russian Revolution, New York 1965, Bd. 1, S. 440f.

17

Isvestäa,f. 21.

18

F.A.Golder, Documents of Russian History 1914—1917, Gloucester Mass. 1964, S. 333f.

S. 10

März 1917; Browder, Kerensky, a.e.0., Bd. 2,

19

Ebd. S. 336

20

R.Abramowitsch, Hamahapejcha hasowietit 1917-1939, Tel Aviv 1966. S. 45

21

Kriegsminister, P. Die Sozialisten sind: F.Kerensky Justizminister, M.Skobliew Pierbiersiew (Trudowik) (Menschewik) Arbeitsminister, A.Pieschechonow (Volkssozialist) PostMinister für Sozialhilfe, I.Zeretelli und Telegraphminister. Vgl. Velikaja oktiabrskaja sozialistitcheska a revolutie chronika sob tii, Moskau S. 1957-1959, Bd. 1, 674

-

-

22

AS, 27. April 1917

23

Ebd. 11.-12. Mai 1917

-

-

-

24

Ebd. 8. Juni 1917

25

Ebd. 25. Mai 1817

26

Pegpyj vserossyjskij sjesd sowietow rabotschich i soldatskich de utatow 191 , Moskau-Leningrad 1930-19 1, S. 2 9; B.H. Frejdlin, Otscherki istorii rabotschggo dwizhenje w roseii w 1917 s., Moskau 1967, S. 50

27

Der Kongreß wurde am 1. (14.) Juni eröffnet. 1100 Delegierte nahmen an ihm teil. 822 von ihnen hatten Stimmrecht und 248 Beratungsrecht. Die Anteile der Parteien waren folgend: SR 105; 45 wa285; Menschewisten 248; Bolschewisten ren unperteiisch und 145 repräsentierten kleine Gruppen. Vgl. E.H.Cerr, The Bolshevik Revolution 1917-1923, New York 1965, Bd. 1, S. 100. Unter den Menschewisten waren 17 Bundisten. In das Zentral-Exekutivkomitee wurden 104 Men— schewisten, 100 SR, 35 Bolschewisten, 4 Bundisten, 3 Volkssozialisten und einer von den “Vereinigten“ gewählt.



-

-

28

Perwyj sjesd..., a.e.0., S. 237

29

Anetol Lunatscharski (1875-1933), Literat und Staatsmenn. Mitglied der russischen SD seit 1898. Gründete 1907 zusammen mit Bogdanow und Gorki die Fraktion “Vperiod“. Wurde einige

Anmerkungen zu den Seiten 40

249

-

-

50

Male verhaftet. Kam 1917 vom Ausland nach Rußland zurück, war Mitglied der Bolschewisten. Nach der Oktoberrevolution Kommissar für Kultur und Erziehung bis 1929. Im Sommer dieses Jahres wurde er zum Botschafter in Spanien ernannt. Starb nach einigen Wochen.

30

Peggyj sjesd..., a.e.0., S. 283

31

Ebd. S. 286

32

Isvestja, 20. Juni 1917

33

gg,

34

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 84f. Zeretelli, a.e.0., Bd. 1, S. 165

35

Nr. 4, 9. August 1917

36

P.N.Miljukow, Istorja wtoroj russkoj revolutii, Sofia 1921, Bd. 1, S. 119

37

Grigori Sinowiew, eigentlich Radomisselski, (1883-1936). Mitg ie er russischen SD seit 1901. Im Jahre 1903 schloß er sich den Bolschewisten an. Nach Lenins Tod stand er mit Kamenew und Stalin an der Spitze der Sowjetmacht. 1926 aus der Partei ausgeschlossen, 1935 zum Tode verurteilt.

38

Martow Dan, a.e.0., S. 295

39

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 53ff. AS, 23. Juli 1917

40 41

42

43

Isvestja, 24. August 1917 Naje welt (jid.), New York, 17. Oktober 1917

44

Ebd. Abramowitsch, Hamahapgjcha...‚ a.e.0., S. 46ff.

45

AS, 21. Mai 1917

46

Ebd., 28. Mai 1917

47

49

Jules Guesde (1845-1922), französischer Sozialist. Gründete 1902 die Sozialistische Partei Frankreichs. Während des Ersten Weltkriegs war er Mitglied der Koalitionsregierung. Der Brief wurde in “Der jüdischer kempfer“ (jid) am 11. Mai 1917 veröffentlicht. 55, 4. Juni 1917

50

Der International (jid.), 23. August 1917

48

51

Isvestja, 3. März 1917

52

J.Frumkin, G.J.Aronson, A.A.Goldenweiser (Hsg.), Kniga o russkom Jevrejstwie 1917-1967, New York 1968, S. 2

53

Lenin, Werke, a.e.0., Bd. 26, S. 107

54

Ebd. “Thesen zur Nationalitätenfrage“, Bd. 23, S. 322

55

Ebd. “über national-kulturelle Autonomie“, Bd. 24, 5.174f.

Anmerkungen zu den Seiten 51

250

-

-

59

56

J.W.Stelin, Haschejla haleumit we hakolonjalit, Tel Aviv 1953, S. 53

57 58

Ebd. S. 57f.

59

Ebd. S. 58 Lenin, “über das Selbstbestimmungsrecht der Nation“, Werke,

a.e.0., Bd. 25, S. 259

60

Vgl. Brief von Lenin an Schaumian, Werke, a.e.0., Bd. 48, S. 233ff.

61

J.W.Stelin, Sotschinenja (hinfort: Werke), Moskau 1946-1952, Bd. 3. S. 31

Soviet

62

R.Pipes, The Formation of the 1964, S. 33

63

Vgl. Artikel von Abramowitsch in

64

Pipes, a.e.0., S. 34 Ebd., S. 47f.

65

66 67

gg, Nr. 4, 9. August 1917 _B.Frumkin erinnert daran,

550

Union, Cambridge Mass.

27. September 1917

siehe Ag, 27. September 1917

Material;

68

“Der Vierte Kongreß des Bund“, k'istorii jewrejskago rabotschego dwizhenja, St. Petersburg 1 O , S. 11

69

John Mill, Pionern un bojer (jid.), New York 1946, 1949, Bd. 2, s. 8

70 71

.

Bund, Zentralkomitee, Di program fun Bund, 1. 1917, S. 8 Sophie Dubnow-Ehrlich, “Di jorn fun reaktie“, Geschichte...,

a.e.0., Bd. 2, S. 579

72 73

Ebd., S. 576f. Ziwion, “Fufzig jor Bund“, Unser Zeit (jid.), Nr.

74

siehe das vorige Kapitel

3-4, 1947

75

Bund, Di program..., a.e.0., S. 7f.

76

M.Silberfarb, Gesamelte schriftn (jid.), Warschau-Paris, Bd. 1, S. 284ff.

77

N.Nir-Rafalkes, Pirkej Tchaim, Tel Aviv, S. 184 Jewrejskaje rabotschaje kronika, 7. Juni 1917; Jewrejskaja

78

Zhisn,

28.

Juni 1917.

79

Armenische SR “Dasehkenzition', Sozialistische Weißrussische Hromeda (SD, SR), Sozialistische Grusinische Partei, Poale Zion, “Vereinigte“, Lettische Soz. Partei (SD, SR), Litwische Sozialistische Partei (SR und Volkssoz.), Musulmenische Partei (SD), Trudowiki, Ukrainische Partei, Esthonosche Partei

80

Es wurde beschlossen, an dem Kongreß in Stockholm teilzunehmen.

.

Anmerkungen zu den Seiten

81

so

251

-

-

67

92, Nr. 3, 2. September 1917

82

Der Sozialdemokret (jid.), 3. Juni 1917

83 84

AS, 18. Juni 1917

85

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 68 Ebd.

86

Dimanstein, a.e.0., S. 106ff.

87

Ebd., S. 113

88 89

Ebd., S. 114f nach Isvestja, 23. Juni 1917 Ebd., S. 110

90

es,

91

Revolutionnoje dwizhenje w Rossii posle swerzhenja samoderzhagy (Dokumenty). Moskau 1957, Mei-Juni, S. 200

92

55, 25. Juni 1917

93

94 95

29. Juni 1917

R. Abramowitsch, “Der bund, di nationale frage un di iden“,

AS, 27. September 1917

M.Weinreich, “Wegn unser nationaler program“, AS, 5. Oktober 1917 Rafes meint, daß nach der Revolution eine Tendenz bestand, die nationale Frage territorial zu lösen. “Es war klar,“ sagte er, “daß in den gegebenen konkreten Umständen des revolutionären Rußlands es nicht gelingen wird, die Nationalitätenfrage mit der Parole der national-kulturellen Autonomie zu lösen.“ Vgl. Rafes, Otscherki..., a.e.0., 5.277

96

D.S.Saslawski, “Di revolutie un die nationale bewegung“, Ag, 12. Mai 1917.

97

“Labour Peace Aims“, The Times, August 11, 1917, S. 4. Hier Paragraph XII: “The Conference demands for the Jews of all countries the same elementary rights of tolerance, freedom of residence and trade, and equal citizenship that ought to be extended to all the inhabitants of every nation. But the conference further expressed the hope that it may be practicable by agreement among all the nations to set free Palestine from the harsh and oppressive government of the Turk, in order that this country may form a free state under international guarantee, to which auch of the Jewish people es desire to do so may return, and may work out their own salvation free from interference by those of alien race or religion.“

98 99

“Wegn palestina“ (jid.),

AS, 13. November 1917

101

gg,

102

gg,

13. November 1917

Togblat (jid.), 12. September 1917

100

Nr. S, 16. September 1917, S. 7 Dimanstein, a.e.0., S. 96

Anmerkungen zu den Seiten 68

252

-

-

81

Kapitel 4

nu — -

Suchanow, a.e.0., Bd. 3, S. 293ff. Chemberlin, a.a.0.‚ Bd. 1, S. 162f. Abramowitsch, Zwej revoluties...‚ a.a.0.‚ Bd. 2, s. 89 Diese Beschuldigung wurde niemals aufgeklärt und ist bis heute strittig.

Chemberlin, a.a.0.‚ Bd. 1, S. 178f.

Folkszeitung (jid.), hinfort abgekürzt FZ, 8. 55, 9. Juli 1917

August

1917

Ebd., 6. Juli 1917 Ebd., 27. Juli 1917

Ebd.

55, 23. Juli 1917

12

Miliukow, a.e.0., Bd. 1, S. 44f.

13

P.Dwinow‚ Moskowskijsowietrabotschich deputatog 1917-1922, Wospgminani_g. Inter-University project on the History of the Menshevik Movement, Paper 1, New York 1961, S. 27

14 15

95, Nr. 2, 19. August 1917; Nr. 3; 2. September 1917 55, 20. August 1917

16

Browder, Kerensky, a.a.0.‚ Bd. 3, S. 1480ff.

17

Nasch Golos, Nr. 2, 19. August 1917 Der International (jid.), Nr. 3, 23. August 1917

Q\IOU‘

11

18 19

20

Rabotscheja Gaseta, 1. September 1917 N.Awdejew (Red.) Revolutia 1917 goda, Petrograd, 1923-1930,

21

AS, 3. September 1917

Bd. 4, S. 148

22

Statt der Regierung wurde ein Direktorium von 5 Ministern gegründet.

23

Vgl. Geschichte.-., a.a.0.‚ Bd. 3, S. 153, nach “Iskra”, Nr. 3, haben 29 Bundisten teilgenommen.

24 25

Gwosdiew, Maliantowitsch, Nikitin und Prokopowitsch. Weker (jid.), 29. September 1917

26

AS, 5. Oktober 1917

27

Ebd.

28

Ag, 10. September 1917

(Leitartikel)

29

Geschichte..., a.a.0.‚ Bd. 3, S. 171

30

ng,

3. August 1917

Anmerkungen zu den Seiten 82

-

253

-

91

Kapitel 5 E.N.Burdzhalow, “Taktika bolschewikow w marte-aprele 1918 goda“, Voprossy Istorii, Nr. 6, 1958, S. 161

.

I.I.Minz, “obrasowanie sowietow (Fewral-mart 1917 g.)“, Nr. 1, 1967, S. 3ff.

Istorja SSS

Gr. Aronson, Revoliutionnaja junost. Wospominanja 1903-1917, New York 1961, S. 126

E.Bugajew, Wosniknowenie bolschewizkoj organisatii i obrasowanie kompartji Bi€lorussji, Moskau 1959, S. 97 Vgl. Einleitung von Agurski zu W.Knorin, 1917 jor in wiessrussland un ofn meirew-front, Minsk 192 , S. 1 Ebd. S. 6f. Sch.Agurski, Der idischer arbeiter in der komunistischer bewegung (1917:1921), Minsk 1927, S. 34 Aronson, Witebsk..., a.e.0., S. 554

A.Filmen, “Der jor 1917 in Bobrujsk“, Sch.Agurski, Di oktiebr revolutie in Weissrussland, Minsk 1917, S. 78 10

Ebd. S. 97

11

Revolutionngje dwizhenie...‚ a.a.0. Dok.712,

12

AS, 21. Mai 1917

13

s.

735

Geschichte..., a.e.0., Bd. 3, S. 130; AS, 25. Mai 1917; Nr. 2, 19. August 1917.

gg,

14 15

AS, 18. Juni 1917

16

A.Kirzhnitz‚ Der idischer arbeiter. Chrestomatie zu der geschichte fun der idischer arbeiter, revolutionerer un sozialistischer bewegung in russland, Moskau 1927, Bd. 4, S. 121, nach Weker, 8. September 1917

17

Aronson,

18 19

Ebd. 11. Juni 1917; 18. Juni 1917

Revoliutionnaja junost..., a.a.0.‚ S. 188ff. Abramowitsch, wej revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 140f. AS, 13. November 1917; Weker, 28. September 1917

20

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 142

21

22

J.Koralnik, “Di idn in ukraine“, Bleter fir idischer demggrafie, statistik un ekonomik, Berlin, 3. August 1923, S. 127 Di rojte welt (jid.), Nr. 8-9, August-September 1917, S. 94

23

E.Tscherikower, Jehudim beitot mahapejcha, Tel Aviv 1957,

24

Revoliutionnoje dwizhenie...‚ a.a.0.‚ Dok. 713, S. 690

S. 424

Anmerkungen zu den Seiten 92

25

-

254

-

99

KPPS..., a.e.0., Bd. 1, S. 345

26

Lenin, Werke..., a.e.0., Bd. 32, S. 341f.

27

KPPS..., a.e.0., S. 346

28

29

Die Delegation nannte 10 Mann. Es war kein Jude unter ihnen. Vgl. P.Christiuk‚ Sa iski i material do istorii ukrainsko' revolutii 1917-1920, New York 1969, 1, S. 55 AS, 27. August 1917

30

“Universal“

31

Die russische Revolution 1917, Dokumente, München 1964, Dok. “A, s. 239; Öhristiuk, a.e.0., Bd. ;, s. 72ff.; V.Manilow (Red.), 1917 god ne kiewschtschinie, chronika sobytji, Kiew 1928, S. 482f1

32

Russische Revolution..., a.e.0., Dok. 69D, S. 242f.; 69F, ; C ristiu , a.e.0., Bd. 1, S. 92f.; Manilow, a.e.0., S. 491f. A.Solotariew, God w zentralnoj ukrainskoj rede (Positia Bunde w rede), Tscheri ower-Arc iv, F e 1 , Folio 1241512585.

93.

schen Rede.

33

-

öffentliche Deklaration der Zentralen Ukraini-

.

34

A.Rewutzki, In die schwere tag gjf ukraine, Berlin 1924,S.16

35

37

Sch.Goldelmen, In golus baj di ukrainer, Wien 1920, S. 29 Im Artikel, der im April 1917 geschrieben wurde. Vgl. N.S. Syrkin, K ukainskomu voprossu, Kiew 1917, S. 54 Haan (heb.), 17. April 1917

38

Artikel von Mosche Kleinmann, Heem, 5. Mai 1917

36

39

Syrkin, a.e.0., S. 10

40

14. rabotschaie der Parteikonferenz in Kiew, . Besch sse 1917. Vgl. Haweida — haschlischit schel Poale Zion berussia 1917 (teudot), Tel

Jevrejskaja September 26. August

41

42 43

44

chronika, Petrograd, Nr. 11,

1. September

M. Hinz,

Aviv 1976, S. 72f. Idischer roletarier, Sammelbuch (jid.), Warschau 1918, S.

58, 66

Vgl. Kirzhnitz, a.a.0.‚ Bd. 4, S. 219 AS, 20. August 1917 Rafes, Otscherki..., a.e.0., S. 258

45

AS, 12. Mai 1917

46

47

Vgl. D.Saslawski, “Di ukrainische frage“, Ag, 15. Juni 1917. Auch Nasch Golos, Nr. 2, 25. Juni 1917 55, 22. Juni 1917

48

Emes (jid.), 25. und 26. August 1917

Anmerkungen zu den Seiten 99

-

255

-

109

49

AS, 16. Juli 1917; Refes, Dwa goda..., a.a.0.‚ S. 44

50

Silberfarb, Schriftn..., a.e.0., Anhang 1, S.'3ff.

s. 22

51

Ebd.

52

Ebd. m.Anhang 3, S. 16f.

53

Ebd. S. 23

54

AS, 3. August 1917

55

56

Christiuk, a.e.0., Bd. 1. S. 142ff. Den Beschluß siehe in: Dimanstein, a.a.0.‚ S. 149ff.

57

Christiuk, a.a.0.‚ Bd. 2, S. 20f.

58

J.S.Reshetar, The 1952. S. 82

59

Swobodnyj Sojus, Kiew, Oktober 1917, S. 14f.; Dimanstein,

Ukrainian

Revolution 1917—1920, Princeton

a.e.0., S. 443

60

61

62

Swobodnyj Sojus, a.a.0.‚ S. 2ff. Vgl. M.Minz‚ “Ber Borochow we heukrainim beschnat 1917“, Schwut, Tel Aviv, Nr. 4, 1976, S. 53ff. Togblat (jid.), 28. September 1917 Borochow auf der Völker-Konferenz, vgl. Togblat, 28. und 29. September 1917; Naje Zajt (jid.), 23. September 1917

63

Swobodn

64

So us, a.a.0.‚ S. 20f.; Togblat, 29. September 1917

65

Rasswiet, Nr. 13, 4. Oktober 1917, S. 16ff. Swobodnyj Sojus, a.e.0., S. 9; Dimanstein, a.a.0.‚ S. 443ff.

66

Rasswiet, Nr. 13, 4. Oktober 1917, S.

67

Syrkin, a.a.0.‚ S. 23 Togblat, 26. Juli 1917

68 69

16. Bemerkung.

Ebd.

70

Ebd. S. 6

71

Vgl. Der International (jid.), Nr. 3, 23. August 1917 AS, 10. September 1917; 92, Nr. 3, 2. September 1917, S. 12

72

73

Der International, Nr. 3, 23. August 1917

74

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.a.0.‚ Bd. 2, S. 126

75 76

Der International, Nr. 3, 23. August 1917 AS, 20. August 1917; 3. September 1917. Das Programm des gemeint ist die Deklaration von Seiten der “Regierung zur Rettung der Revolution“ nach den Juliereignissen. Gemäß dieser Deklaration sei Frieden ohne Annexion und Entschädigung anzustreben; gleichzeitig eine Verstärkung der Kräfte zur Verteidigung des Staates gegen den äußeren Feind; zur gegebenen Zeit ist die Nationalversammlung einzuberufen;

87 Juli:

Anmerkungen zu den Seiten 109

77

256

-



117

die Errichtung der Selbstverwaltung in Stadt und Dorf sei zu beschleunigen; die gesetzliche Einrichtung von Arbeits— ämtern, Schiedsgerichten, 8-Stundentag, Sozialversicherung usw. seien zur Durchführung zu bringen; die bisherige alte Agrarpolitik solle abgestellt und die Bodenangelegenheiten auf gesetzlicher Grundlage reguliert werden. AS, 3. September 1917

78

Vgl. Kirzhnitz, a.e.0., Bd. 4, S. 66

79

EE!

80 81

Christiuk, a.a.0.‚ Bd. 2, S. 18 Refes, Dwa goda..., a.e.0., s. 20

2. November 1917

82

Christiuk, a.e.0., Bd. 2, S. 20

83

EZ, 20. Oktober 1917

84 86

Menilow, a.e.0., S. 528f. E.Tscherikower, Jehudim..., a.e.0., S. 463 Artikel von Epstein, FZ, 10. November 1917

87

Refes, Dwa goda..., a.e.0., S. 61

85

Kapitel 6 Refes, Otscherki..., a.a.0.‚ S. 18 Vgl. 25 jor (1922-1927), Sammelbuch (jid.), Warschau, S. 82ff; Geschichte, a.e.0., Bd. 2, S. 424ff.

95, 4. Februar 1916 Jewrejskija westi, Nr. 5 (14), 2. Februar 1917, S. 14 Ebd. Nascha tribuna, 1, S. 69f., Anhang 1 Der idischer proletarier (jid.), Nr. 6-7, 7. August 1917

a O \D I U A

Wolin, a.e.0., S. 2 Ebd. S. 13 Sch.Gozhanski, “Kulturarbet un professionele fanfinen",

naje welt (jid.), 7. Dezember 1917“ N

.a-s

_a

Frejdlin, a.e.0., S. 184

_s e U 1 h u

93

Der idischer pgoletarier, Nr. 1—2, 16. Juni 1917; Nr. 6-7, 7. August 1917

Ebd. Nr. 6—7, 7. August 1917 Geschichte, a.e.0., Bd. 3, S. 114

Antaschkin, a.e.0., S. 133

Anmerkungen zu den Seiten

16

257

118

-

-

128

Die Ziffern, die Hertz in der Geschichte, a.e.0., Bd. 3, S. 114, bringt, sind wahrscheinlich übertrieben. Das Orgen der “Vereinigten“ (Der idischer roletarier, Nr. 3, 1. Juli 1917) nennt 19 Bun isten. Demzu olge war die Zusammensetzung der Konferenz folgend: 40 Bolschewisten, 15 Menschewisten, 19 Bundisten, 9 SR und 11 “Vereinigte“.

idischer

17

Der

18

Geschichte, a.a.0.‚ Bd. 3, S. 114f.

19

B.B-ski, Ag, 15. Oktober 1917

20

AS, 4. Mai 1917; 12. Mai 1917

21

Ebd. 3. September 1917

proletarier, Nr. 3, 1. Juli 1917

22

Nascha tribuna, 1, S. 36

23

A.Kirzhnitz‚ Wemen darf men kleiben in di schtod-dumes, Minsk 1917, S. 9

24

AS, 4. Juni 1917

25

Refes, Otscherki..., a.a.0.‚ S. 261

26

A.Litwek, Ma scheheje, Tel Aviv 1965, S. 116 AS, 10. September 1917

27

28

Ebd. 6. Juli 1917

29

Der sozialdemokrat (jid.), Nr. 9, 28. Juli 1917; Arbeiter zejtung (jid.), Nr. 3, 2. August 1917

30

Geschichte, a.e.0., Bd. 3, S. 109

31

Unser schtime (jid.), Nr. 1, S. 79 Artikel von Sakin, Ag, 3. August 1917

32

33 34 35 36

gg,

Nr. 1, 8. August 1917

&, Ebd. Rasswiet, Nr. 10-11, 20. September 1917, S. 36

J.Harlesch, “Fun 1917 in russland (fragmentn)“‚ Unser cajt,

Nr. 3, März 1957

37

Zeretelli schätzte, daß man 3-4 Monate für die Vorbereitung der Wahlen brauche. Siehe Zeretelli, a.a.0.‚ Bd. 1,

s. 477 38 39 40

Iswestje, 3. März 1917 Zeretelli, a.e.0., Bd. 1, S. 482f. Miljukow, a.e.0., Bd. 1, S. 91

41

Zeretelli, a.e.0., Bd. 1, S. 477f.

42

Ag, 18.Juni 1917

43

Rasswiet, 16. August 1917, S. 6f. Ebd.

44

-

258

Anmerkungen zu den Seiten 128

45 46

47 48 49 50 51

-

133

GB, Nr. 8, 15. Oktober 1917, S. 3 Das menschewistische Programm, vgl. AS, 3. August 1917; -11; DasProgramm des “Bund“ GB, Nr. 1, August 1917, S. 8Bogrow,

vgl. Rafes, Otscherki..., a.a. O., Anhang, S. 412ff. Refes, Otscherki..., a.e.0., S. 261f.

-

AS, 13. November 1917 {Z, 20. Oktober 1917 Der international, Nr. 9, 23. Oktober 1917 M.B.Wischniak, “Sosiw i rassgon utschreditelnogo sobranija“, Anin, a.a.0.‚ S. 90 '

52

Vgl. O.H.Radkey, The election to the Russian Constituent Assembly of 1917, Cambridge Mass. 1950

53

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.a.0.‚ Bd. 2, S. 197. Auch Radke glaubt, aß e Wahlen ordentlich durchgeführt S. 46f., 50 wurden. Abramowitsch ebd. In Petrograd und in Moskau bekamen die Bolschewisten etwa die Hälfte aller Stimmen (Radkey, a.a.0.‚ S. 30). In verschiedenen Industriezentren bekamen sie absolute Mehrheit. (Radkey, a.a.0.‚ S. 25, 31)

54

Vgä.

55

Radkey, a.e.0., S. 17

56

J.Slutzki, “Jahadut russia beschnat hamahapejcha 1917“, Haawar, Nr. 16. S. 45

57

Radkey, a.e.0., S. 17

58

gg; idischer

59

In unser schtime, Nr, 1, S. 87, erzählt Schulmann, daß der 'Bund' In Weißrußland 200 Wahlversammlungen organisierte, an denen sich 127.000 Personen beteiligt hatten. In der Ukraine wurden 2-3 Versammlungen in jeder Woche veranstaltet.

60

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 198

61

proletarier, 1918, S. 54

Unser schtime, S. 84

62

Radkey, a.e.0., S. 78

63

64

Diese Ziffer haben wir bekommen, nachdem wir von den 31.123 Stimmen, die der “Bund“ bekommen hatte, die Zahlen aus Kiew und Jekaterinoslaw abgezogen haben. Kirzhnitz, a.e.0., Bd. 4, S. 164

65

Hezefira, Nr. 4, 17. Januar 1918; Radkey, a.a.0.‚ S. 79

66

Haimson, a.a. O., S. 108

67

M. Zipin, “Dos naje russland un di idische pertajen“ Zukunft (jid. ), Nr. 11, November 1918, S. 655f.

68

Rasswiet, Nr. 1, 15. Januar 1918

, Di

Anmerkungen zu den Seiten 134

259

-

-

143

Kapitel 7 Siehe J.Frumkin, G.J.Aronson, A.A.Goldenweiser (Hsg.), Knige o russkom jewrejstwe ot 1860-ch godow do revoliutii 1917, New York 1960, S. 139ff.

Heem, 17. April 1917 Der jidischergproletarjer, Sammelbuch, S. 33

Nir, a.e.0., S. 185 AS, 8. März 1917 Aronson,

ht 1 0 —

Russisch-jüdische..., a.a.0.‚ s. 156

Lenu, “Ahin', AS, 25. Mai 1917

AS, 23. Juli 1917

95, Nr. 4, 9. September 1917, S. 7

10

Ziwion, “Sich farbenkt nochn Bund“, AS, 6. Juli 1917 Jewrejskij rabotschi, Nr. 10, 31. Juli 1917

13

&, 27. April 1917

M.Zipin, “Der jidischer kongress in russland“, Zukunft (jid.), Nr. 1, Januar 1919, S. 29

14

Siehe Kapitel 2

15

Ebd.

16

“Idn fun andere lender un sajere recht“, Ag, 30. April 1917 &, 18. Mai 1917

17 18

Ebd. 6. August 1917 2. November 1917

19

gg,

20

Muk (Litwak), “Notizen“, 55, 20. Juli 1917

21

Es wurde kein Beschluß gefaßt.

22

“Wsemirnaja jewrejskaja natia“,

23

Ebd.

24

gg,

gg,

Nr. 4, 9. September 1917

26. Oktober 1917. Im Verlauf der Jahre und nach dem 2. Weltkrieg verenlaßte die Wirklichkeit den “Bund“ zu erneutem Nachdenken über des weltumfassende Wesen des Judentums bis zur vorbehaltlosen Befürwortung desselben. Einer der alten Wortführer der Partei verlieh dem Gedanken mit folgenden Worten Ausdruck: “Nach dem Aufkommen des Antisemitismus und seiner organisatorischen interstaatlichen und internationalen Zusammenfassung wurde seine Bekämpfung zu unserer nationalen Aufgabe, die nur auf länderumfassender Grundlage durchzuführen ist, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Die Probleme der Emigration haben einen offensichtlich nationalen Charakter angenommen und ihre Lösung kann nur

-

Anmerkungen zu den Seiten 143

260

-



152

unter diesem Gesichtspunkt und auf interstaatlichen Wege gefunden werden...bazu kommt, daß die Palästinafrage zu einem jüdisch-nationalen und alle Länder angehenden Problem von außergewöhnlicher Bedeutung geworden ist, und an welchem jetzt das jüdische Volk und die nichtjüdische Welt, jeder von seiner spezifischen Einstellung her, Interesse an den Tag legen.“ Liebmen Hersch, “Die ideologische evolution fun bund“, Zukunft (jid.), Nr. 5, Mei-Juni 1947

25 26

Rasswiet, Nr. 3, 23. Juli 1917

27

Ebd. S. 16 Ebd. S. 17

28

Ebd.

29

es,

30 31

5. August 1917 Ebd. 3. September 1917; Unser leben, 20. November 1917 Di klolim fun di wehlepfzum alrussischen jidischen zusamenfor, Petrograd 1917, S. 2; 92, Nr. 4, 9. September 1917, s. 15

32

M.Zipin, “Der idischer kongres in russland“, Zukunft (jid.), Nr. 1, Januar 1919, S. 2ff.

33

Der Beschluß erschien in Weker, Nr. 104, 19. Oktober 1917; {Z, 24. Oktober 1917

34 35

Weker, Nr. 4, 5. Oktober 1918

36

Nir, a.e.0., S. 253

37

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., Bd. 2, S. 121 Zipin, a.e.0., S. 32

38

Sch.K.$chneifol, Wegn jidischn zusamenfor, Petrograd 1917, S. 5

39

Nir, a.a.0.‚ S. 253

40

gg,

41

Z.Rab, Swiesda, Minsk, Nr. 23 (128), 30. Januar 1918. Vgl. Kirshnltz, a.e.0., Bd. 4, S. 175f. Heem, Nr. 18, 12. Mai 1917, S. 14

42

Nr. 5, 16. September 1917, S. 5

43

Punkt 3 auf der Tagesordnung des Kongresses.

44

Jewrejskij Mir, Nr. 10, 1910; Nr. 13, 1910

45

B.Gergel, Di lage fun di jiden in russland, Warschau 1929, S. 157

46

Siehe Kap. 2, Beschluß der zehnten Konferenz

47 48

Di jidigghe kehile un der Bund, Warschau 1918 Ben Adir' (A.Rasin), Kehile fragn, 1917, s. 20

49

Nir, a.a.0.‚ S. 256f.

50

Kirzhnitz, a.a.0.‚ Bd. 4, S. 221

Anmerkungen zu den Seiten 152

261



-

163

51

Vgl. 95, Nr. 5, 16. September 1917

52

Unser schtime (jid.), Nr. 1, S. 83

53

Ebd. S. 204, 212 Ebd. S. 210, 212

54 55

Archiv von E.Tscherikover, “Yivo“ Institut, New York, File 154, Pol. 12800-12821

56

57

Knorin, a.e.0., S. 8 Eine rege Diskussion über die Sabatruhe wurde auf der achten Konferenz in Lwow, am 19. Oktober 1910, geführt. Siehe Beschlüsse: Refes, Otscherki..., a.e.0., Anhang, S. 393f.

58

95, Nr. 1, 8. August 1917

59

Vgl. Laser Epstein, “Noch a mol schabat-ruh“, 55, 25. Juni 1917

60

richtiger gedenk“, Ag, 29. Juni 1917 “Schlechte form Alle Ziffern laut S.M.Schwarz, The Jews in the Soviet Union, Syracuse 1951, S. 11ff. Der najer weg, Nr. 16. 1917

61 62

-

63

Naje zeit, Nr. 9, September 1960, S. 29f.

64

J.Mill, Fun an altn bundist zu an altn bundist“, Zukunft (jid.), Nr. 4, April 1919, S. 254

65

Jewrejskija westi, Nr. 1, 9. Oktober 1916

66

Ebd.

67

Ebd.

68

Ebd. Nr. 3, 2. November 1916

69

gg,

70

Hezefira, Nr. 25 (69), 20. Juni 1918, S. 16

71

B.Borochow, Ktawim, Bd. 3, Tel Aviv 1966, S. 510f.

Nr. 14-15, 15. April 1917

72

In den Jahren 1917-1918 erschienen 81 Veröffentlichungen in jiddisch und 10 in hebräisch.

73

55, 15. Juni 1917

74

Ebd. 13. Mai 1917

75

B-Z.Dinur, Beimej milchama we mahapejcha mderech Chaim, Jerusalem 1960, S. 185

76

Ebd. S. 186 55, 15. Juni 1917

77

78 79

80

-

sichronot

Arbeiterzajtung (jid.), Nr. 2, 21. Juli 1917 Sch.Goldin, “Wegn idischen lerer-ferejn“, AS, 2. Juli 1917 L.Falk-Segal‚ “Wegn idischen demokratischn lerer-farajn“,

55, 3. August 1917

Anmerkungen zu den Seiten 164

262

-

-

170

81

Ag, 2. Juli 1917; 3. September 1917

82

Ebd. 6. August 1917

Kapitel 8 Der Menschewisten-Kongreß Ende November 1917 hat die Stellung Martows angenommen. Vgl. I.Getzler, Martov: A Political Bi ra h of a Russian Social-Democrat, Cambridge 1967,

S.

1555f.

R.Abramowitsch, “Di naje regirung“, AS, 5. Oktober 1917

Ebd.

Iswestija, 10. Oktober 1917 Weker, 18. Oktober 1917

Abramowitsch, Hamahapgjcha...‚ a.a.0.‚ S. 76 Siehe Kap. 7

Ebd. Chemberlin, a.e.0., Bd. 1, S. 292

am

-J

_.

_a

m 4in N

(»e\ 0

12

Wtoroj wseroseijskij‚sjesd sowietow rabotschich i soldatzkich däputatow, Moskau-Leningrad 1928, S. 144ff.

B.I.Nikolajewskij‚ Menschewiki w dni oktjabrskogo pereworote (Dokumenty), Inter-university project on the History of the Menshevik Movement, Paper 8, New York 1962, Dok. 3, S. 24f. Ebd.

13

Abramowitsch, Hemahapejcha..., a.e.0., S. 98

14

A.Juditzki, Oktjabr-tegl meterjaln zu der geschichte fun der Oktjabr-revolutie, Kiew 1927, S. 117f. Nikolajewskij, Menschwiki..., a.e.0., Dok. 2, S. 22f.

15 16

17

18

Abramowitsch, Hamahapgjcha..., a.a.0.‚ S. 99 L.Trotzki‚ The History of the Russian Revolution, New York 1932, Bd. 3, S. I.Ljubimow,

Revolutia 1917

oda, Moskau 1930, Bd. 6, S. 2;

120), 4. November 1917 Menschewiki..., Dok. 18, S. 59f.

Rabotschaja Kronike, Nr. 14 19 20

Nikolajewskij,

21

Haimson, a.e.0., S. 55 Ebd. S. 56

22

Außer der Fraktion von Potressow, die 1918 die Partei ver-

23

Abramowitsch, Hamahapgjcha..., a.a.0.‚ S. 101

lassen hat.

— Anmerkungen zu den Seiten 170

263

-

-

179

%gmghgpgjgäg...,

24

a.a.0.‚ S. 102. über Abramowitsch, Vikzhel“ und d e Verhand ungen siehe R.Abramowitsch, “Vikzhel (Nojabr 1917)“, Sozialistitscheskij Vestnik, Nr. 5 (741), Mai 1960; Nr. 6 (742), Juni 1960

25

Abramowitsch, Hamahapgjcha..., a.a.O., S. 102

26

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.a. O., Bd. 2, S. 182 Nikolajewskij, Menschewiki..., a. a. O., Dok. 18, S. 59f.

27 28 29 30

Abramowitsch, Hamahapgjcha..., a.a. O., S.104f. Nikolajewskij, Menschewiki..., a.e.0., S. 7

Ebd. Dok. 11, S. 42

31

Ebd. S. 7

32

Ebd. Dok. 12,

33

Ebd. Dok. 13, S. 44ff.

s.

43

34

Haimson, a. a.0., S. 94-III

35

B. J. Nikolajewskij, RSDRP (Menschewiki) w perwyje ody revolutii (1917-1918), N. v., s. 1

36

94-IV; Uber den Kongreß siehe Haimson, a.e.0., S. 94-III Getzler, a.e.0., S. 170f. Vgl. M.Kiper, “Jubflej notizn“, Rojte welt, Nr. 10, Oktober 1917, S. 211

37

-

38

“Der ojfstand“, Ag, 13. November 1917

39

D.Saslawski, “Nit mit Leninen, nit mit Kaledinen“, ebd.

40

“Unser positie“, Ag, 13. November 1917

41

Cavaignac (1802—1857), General während der Revolution 1848, hat den Arbeiter-Aufstand grausam unterdrückt.

42

ngblat (jid.), 10. November 1917

43

Ebd.

44

M.Rafes, “Wos weiter“, FZ, 28. Oktober 1917, auch Refes, Dwa oda..., a.e.0., s.'34. über die Geschehnisse in der siehe weiter unten.

Ukraine

45

Weker, 22. Januar 1918

46

Wl.Kossowsky, Das bolschewistische Regime in Rußland, Olten 1918, S. 26

47 48

W. Medem, “Notizn wegn di russische geschehenissn“, LF 28. Dezember 1917; 4. Januar 1918; 11. Januar 1918 {Z, 3. November 1917

49

Geschichte, a.a.O., Bd. 3, S. 172

50

Weker, 7. November 1917; FZ, 14. November 1917; Refes, a.a.O., Anhang, S. 421f.

Otscherki...,

-

264

-

-

193

Anmerkungen zu den Seiten 180 51 52

Refes, Dwa goda..., a.a.0.‚ S. 50f. 55, 13. November 1917

53

Weker, 16. Januar 1918

54

Im Januar 1918 beschlossen die Poale Zion, sich zu beteiligen. Nir, a.e.0., S. 222 Der International (jid.), Nr. 11, 10. November 1917

55 56

57

Kirzhnitz, a.a.0.‚ Bd. 4, S. 163 Weker, 23. Januar 1918

Kapitel 9 Der Beschluß des Zentralkomitees wurde im Ag, 6. Juli 1917, veröffentlicht.

Ebd. 16. Juli 1917 Ebd. 23. Juli 1917

fi lm - ) “

Ch.Sch.Kasdan, Mentschn fun geist un mut, Buenos Aires 1962, S. 97; Kirzhnitz, a.e.0., Bd. 4, S. 274 LF, 25. Januar 1918 Siehe Kap. 7

LF, 22. Februar 1918

O \I U ‘

10

Ebd. 25. Januar 1918 Weker, 15. Dezember 1917

FZ, 21. November 1917

11

Ebd.

12

LF, 25. Januar 1918

13

Weker, 1. Januar 1918

14

Vgl. Weker, 3. Januar 1918 Ebd.

15 16

Ebd.

17

Ebd.

18

Weker, 9. Januar 1918

19

Siehe Tscherikower, in: Der idischer kempfer (jid.), 13. April 1918

20

Ebd.

21

22

Weker, 9. Januar 1918 Ebd. 9. Januar 1918

23

Naje Zeit, Nr. 81, 19. Dezember 1917, S. 2

Anmerkungen zu den Seiten 193

24

265

-

-

199

Weker, 11. Januar 1918

25

Ebd. 12. Januar 1918

26

Weker, 12. Januar 1918

27

Ebd. 1. Januar 1918

28

Jewrejskaja Nedelja, 23. April 1917, S. 23

29

2. Juni) traten Zwischen 17. und 20. Mai 1917 (30. Mai die beiden Zentralkomitees zu einer gemeinsamen Konferenz zusammen, bei deren Abschluß ein Vereinigungskomitee veröffentlicht wurde, in dem es u.a. hieß: “Der revolutionäre Prozeß der Wiedererrichtung des allgemeinen Lebens in Rußland, einschließlich des jüdischen Lebens, stellte dem russischen Proletariat in seiner Gesamtheit und dem jüdischen im einzelnen die vordringliche Aufgabe, diejenigen politischen Parteien zu vereinigen, die dieselben Endziele anstreben und deren Programm und Strategie sich nahestehen. Vor allen proletarischen Parteien waren sich die Jüdische Territorialpartei und die Jüdisch-sozialistische Arbeiterpartei am ähnlichsten...bie Revolution verursachte sofort die große Beschleunigung des Prozesses, der sich bis dahin langsam und stufenweise abgewickelt hatte. Die während der ersten Wochen der Revolution stattgefundenen Konferenzen beider Parteien bezeigten, daß in den die Realität innerhalb der jüdischen Arbeiterbewegung betreffenden Grundfragen keine Meinungsverschiedenheiten bestanden.“ Der jidischer proletarier, Nr. 1-2, 16. Juni 1917

30

Abramowitsch in Naje Zeit, Nr. 81, 19. Dezember 1917 Tcherikower in Der idischer kem fer, 13. April 1918 und auch Rasswiet, 28. Dezember 1917

31 32

-

Geschichte, a.a.0.‚ Bd. 3, S. 183 Nr. 1, 8. August 1917, S. 14

33

gg,

34

A.Liutow (D.Saslawski), “Tiomnyja Meni“, 93, Nr. 4, 9. September 1917

s.

35

Ebd. Nr. 8, 15. Oktober 1917,

36

Tscherikowe, Jehudim..., a.a.0.‚ S. 430f. Schrider in Petrograd und Miron in Moskau. 99, Nr. 1, 9. September 1917, S. 6 55, 15. Oktober 1917

37 38

2

39

Dinur, a.e.0., S. 263

40

Vgl. To blet, 17. Dezember 1917; Rasswiet, Nr. 22-23, 28. 1917

41

Weker, 14. Januar 1918

42

Die Rede von Abramowitsch, ebd.

43

Das Referat von Lieber, Weker, 16. Januar 1918

Dezäfiber

Anmerkungen zu den Seiten

-

266



zoo

-

208

44

Siehe das Referat von Weinstein, Weker, 17. Januar 1918

45

Ebd. 23. Januar 1918

46

Ebd. Ebd.

47 48

Ebd.

49 50

Geschichte..., a.e.0., Bd. 3,

51

Kasdan, a.e.0., S. 97

52

Auf der zehnten Konferenz wurden folgende Personen ins Zentralkomitee gewählt: Wl.Medem, R.Abramowitsch, Esther Frumkin, M.Lieber, A.Weinstein, H.Ehrlich, A.Eisenstadt, M.Rafes, Wl.Kossowski, Sch.Weissenblum, A.Litwak. A.Solotariew, L.Bermenn, L.Epstein, H.Lurie; später wurden kooptiert: D.Saslawski und A.Rosenthal.

53

Abramowitsch bezeugt, daß Saslawski vom Zentralkomitee wegen “Abenteuerlust, Verbindung mit bürgerlichen Parteien und andere schöne Taten (besonders später in Kiew)“ ausge— schlossen wurde. Siehe: R.Abramowitsch, “Mein nessie kein Moskwe“, Unser gedank (jid.), Nr. 1, 1931, S. 66

54

EZ, 4. Januar 1918

s. 181

Ebd.

Kapitel 10 Carr, a.e.0., Bd. 1, S. 121

e u ro -

Kirzhnitz, a.a.0.‚ Bd. 4, S. 165 Fußnote

EZ, 20. Dezember 1917 M.W.Wischnjak, “Sosyw i rasgon utschreditelnogo sobranija“, Anin, a.e.0., S. 460f. Cerr, a.e.0., Bd. 1, S. 129; G.Rauch, Geschichte der Sowjetunion, Stuttgart 1969, s. 80

Chemberlin, a.e.0., Bd. 1, S. 370 Dos naje lebn, Nr. 6, 11. Januar 1918 L.Schapiro, Hemifla a hakomunistit hasowietit, Tel Aviv a.e.0., Ed. 1, S. 370 1961, S. 160;

CEEEE%rIIn,

Chemberlin, a.e.0., Bd. 1, S. 370f. 10

Weker, 8. Januar 1918

11

Bei Kirzhnitz, a.a.0.‚ Bd. 4, S. 168

12

Ebd.

13

M.Rafes, “Di letzte scho“, revolutie, publizistik un r

schwel fun der kontrOäfn aterinos aw es, , S.5ff. Je

Anmerkungen zu den Seiten 209 14 15 16

219

Kirzhnitz, a.e.0., Bd. 4, S. 175f. 4 Vol, Moskau 1959-1968, Vol.1,

%g!ä;£*_gggig£gkpj_glgg£i, . 0.

17

Nir, a.a.0.‚

EK!

19

-

-

“Zu unser taktik“, Weker, 23. Januar 1918

18 20

267

s.

262f.

21. Juni 1918

Agurski, Di oktjabr revolutie..., a.e.0., S. 304 21. Juni 1918

EZ!

21

J.Degras (ed.), Soviet Documents of Foreign Policy, Oxford 1951, Bd. 1, S. 1

22

A.Juditzki, a.e.0., S. 338f.

23

24

Abramowitsch, Zwaj revoluties...‚ a.e.0., S. 209 Ebd. S. 212f.

25

Degras, a.e.0., S. 50

26

27 28

Siehe Juditzki, a.e.0., S. 369ff; auch L.Schapiro, The the Communist Autocracy, Cambridge Mass. 1955,

grigig of

JN, 19. April 1918 FZ, 22. Februar 1918

29

Der Verfasser des Artikels ist wahrscheinlich der Redakteur Wl.Medem.

30

“Di inere un ojssere politik fun di bolschewikes“, LE, 8. Februar 1918 “Fun a brif“, LF, 21. Juni 1918

31

Kapitel 11 Siehe Lenin über Ukraine, Werke, Bd. 32, S. 341f. Christiuk, a.e.0., Bd. 2, S. 72f.

O.S.Pidhainy, The Formation of the Ukrainian Republic, Toronto-New York 19667 S. 415f.

Ebd. S. 423

EZ, 23. August 1917 A.Solotariew, “Der driter universal un unsere positie“, EZ, 10. November 1917 Voller Text des Gesetzes: Di idische awtonomie..., a.e.0., S. 65ff. H.Jablonski, Polska autonomia narodowa na Ukrainie, Warschau 1948, S. 92

Anmerkungen zu den Seiten 219

268

-

-

228

M.Silberfarb, Dos idisghe ministerium un di awtonomie in ukraine, Kiew (1918), 8.469

10 11

idische

Siehe Kap. 5

Silberfarb, Dos idische ministerium..., a.a.0.‚ S. 83ff.,

12

Anhang 15 Ebd. S. 72f.

13

Jablonski, a.e.0., S. 67

14

Refes, Dwa oda..., a.e.0., S. 58. Gerechterweise sei hinzugefügt, daß das “Universal“ ein umfangreiches Programm sozialer und politischer Reformen vertrat, das weitgehende Agrar- und Bodenreform, 8-Stundentag, staatliche Aufsicht über die Produktion, Abschaffung der Todesstrafe, Amnestie für politische Häftlinge und sofortigen Friedensschluß enthielt. FZ, 7. Oktober 1917

15

16 17

18

Ebd. 3. November 1917 Siehe Kap. 8

...,

19

Rafes, Dwa god Ebd.

20

FZ, 4. Dezember 1917

a.a.0.‚

s. 59

21

Artikel von Rafes in {Z, 28. Oktober 1917

22

Weker, 8. Januar 1918

23

In der Delegation: W.Holubowitsch, M.dezhow, A.Sewriuk, M.Lewitowski und M.Dubinski. Jablonski, a.e.0., S. 89

24

EZ, 13. Dezember 1917

25

Der

26

Pidhainy, a.e.0., S. 646. Voller Text des Friedensvertrages: O.S.Fedyshyn, Germany's Drive to the East and the Ukrainian Revolution, New Brunswidk, New Jersey 1971, S. 271ff.

"Bund hat das Sekretariat verlassen, blieb aber in der Zentral-Rede.

27

Voller Text des Vierten Universals: Fedyshyn, a.e.0., S. 266ff.

28

Jewrejskaje rabotschaja kronika, Nr. 3-4, März 1918

29

Der Verfasser der Deklaration war Rafes. Siehe Refes, Ojfn schwel..., a.a.0.‚ S. 17ff; Refes, Otscherki..., a.e.0., Anhang 19, S. 423ff.

30

Tscherikower, Jehudim..., a.e.0., S. 466

31

32

Refes, Dwa goda..., a.a.0.‚ S. 78f. M.Rafes, “Dos 1918 jor in lager fun kleinbirgelehen sozialism in ukraine“, Emes, 26. August 1927

33

Refes, Dwa goda..., a.e.0., S. 79

Anmerkungen zu den Seiten 229

269

-

-

234

34

Christiuk, a.e.0., Bd. 2, S. 126

35

Im Monat Februar wurde der neue Kalender (Gregorianische) eingeführt.

36

Refes, Dwa goda..., a.e.0., S. 82, spricht von 780 Teilnehmern.

37

“Algemeine Versammlung fun Bund“, 25, 19. Februar 1918

38

Christiuk, a.e.0., Bd. 2, S. 139; J.Bunyen and H.Fisher, The Bolshevik Revolution, Documents and Materials, Stanford 1934, S. 451

39

Refes, Ojfn schwel..., a.e.0., S. 59f.

40

Ebd. s. 75 Ebd. S. 91

41 42

Ebd. S. 88 s. 92

43

Ebd.

44

Ebd. S. 93 Christiuk, a.a.0.‚ Bd. 3, S. 66f.

45 46

47

Refes, Dwa goda..., a.e.0., S. 84 Der Beschluß in: Zeitfra n (jid.), Nr. 1, 15. April 1918; S. 206f. Geschichte, a.a.0.‚ Ed.

48

Hezefira, Nr. 18(62)‚ 2. Mai 1918

49

Zeitfragn, Nr. 1, 15. April 1918

3,

50

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51

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52

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53

B.Goldstein, 20 jor in warschawer “Bund“, New York 1960, S. 2

-

270



NAMENSREGISTER

AbramowitBCh, Rafael

8, 12, 15, 16, 21, 41, 43-46, 61, 63, 64, 69-71, 73, 78, 79, 88, 89, 108, 122, 124, 130, 132, 136, 138, 141, 144, 147, 155, 165, 168, 170-175, 186‚-187, 189, 196, 198, 201, 211, 212, 214

81, 108, 130, 176, 177, 204, 208, 209, 214

Alter, Wiktor 135

Anin, D.

Aronson, Gregori

84, 88, 136

Axelrod, Paul B.

13

Baranowski

100 50, 51

Bauer, Otto

Bejnisch, Micheelowitsch

Borochow, Ber Branson

L.

Braun, Sergej

87

Cahan-Virgili

7

Cavaignac

175

Chejfetz, Abraham

Churgin, J. Dalin

108, 130, 229, 232, 236

100

13

Den, Theodor Davinow

8

103, 104 10

12, 13, 16, 76, 167, 170, 178

72

Deutsch, Leo 13 Dimanstein, Schimon

Dubkowski 209 Dubnow, Schimon Ehrlich, Henryk

148, 209

53

7, 9, 10, 12, 19, 20, 22, 47, 65, 66, 136, 169, 170-172

Eisenstadt-Juolin, Gesaias Frumkin, Esther Fuchs, Sarah

232

Gorki, Maxim

9, 13

Goshanski (Lenu) Grünbaum, J.

66

8, 19, 20, 237

8, 45, 89, 180, 184, 191, 237

8, 114-117, 136, 157

-

-

73

Grusenberg

Guesde, Jules

47

232

Gutkin

Gutschkow, Alexander

Heilikmann

6, 37

10, 184

Gwosdiew, K.

Herz

271

23

105

Hrostaliow

10

91, 103

Hruschewski

Jochwid, Noach'ke Kaledin

85

201, 217 31, 167, 168, 170 7, 10, 38, 39, 53, 66, 148

Kamenew, Leo B.

Kantorowitsch, Wladimir

6, 9, 70, 75, 76, 91, 94, 167

Kerenski, Alexander Koigen, Jona 8

Kornilow

69, 75, 76, 80, 87

Kossowsky, Wladimir Kurski, Franz

8, 177

8

219

Letzki, W.

Lenin, Wladimir J.

Levin, Jankel

Lieber, Mark

58

Liebknecht, Karl

Lindermann

31-33, 40, 50, 51, 69, 92, 167, 169-171

20, 237 8, 10, 12, 13, 15, 16, 19-22, 24, 25, 28, 40, 44, 45, 55, 61-63, 76, 88, 89, 1136, 138, 159, 166, 167, 171, 172, 178, 180, 183, 199-201, 226, 236

232

Litwak, A.. 8, 108, 122, 184, 192, 203, 236

Litwakow

194, 219

40, 167

Lunatscharski, Anatol Lurie, H.

15, 139, 232

Lwow, Georgi

6, 35, 37, 70, 91

Martinow, Alexander Martow, Julius

13, 170

13, 16, 43, 52, 165, 168-170

38, 143 Medem, Wladimir 8, 149, 177, 178

Marx, Karl

Meiski—Liachowski

272

-

115

6, 36, 37, 41, 68, 71, 127

Miliukow, Pawel

55, 157

Mill, John

44 70

Nachimson Nekrassow

Nikolaus II

6, 49

Nir-Refalkes, N.

209

Plechanow, Georg W. Portnoy, Noah 8

13, 15, 16, 71, 86, 122

Potressow, Alexander

13, 15, 172 64

Preobrazkenski, Jewgeni

Rabinowitz, Chaim 15 Refes, Masche 7, 10, 19, 20, 22, 24, 25, 34, 98, 100, 105, 106, 108, 109, 113, 114, 118, 136, 144, 176, 185-193, 197, 208, 217, 219, 225, 228-233, 236 Rasputin

5

Renner, Karl

49, 50

Rewutzki, A.

100

167

Rjasanow

Rodzjanko, Michail

Rykow

6

134

Romanow

167

Sakin, M.

47

Senkowski, S.M.

13

Saslawski, David

7, 10, 11, 45, 59, 128, 138, 140, 141, 143, 173, 180, 186, 188, 204

Sassulitsch, Vera

124

Schulmann, W.

Senkowski

13

104, 219

Schatz, M.

170

Silberfarb, M.

100, 219

Sinowjew, Grigorij Sirkin, N.S.

42, 69, 167, 170

95, 96, 219

Skoropadski 233, 235 Slawinski, Maxim 102

Sokolonikow

170

Solotariew, Alexander

15, 20, 108, 110, 218, 222, 224, 225, 232

Stalin, Josef W.

273

-

31, 51, 52

Straschun, Abraham

100, 219

Tereschtschenko

70, 94

Tkatschenko, M.

216

Trotzki, Leo D.

11, 166, 167, 169-171, 231

Tschebeidze, Nikolai

16, 73

Tschemeriski, Alexander 8 Tschernow, Viktor M. 71, 206 Virgili-Kahn

41

Weinreich, M.

65 Weinstein, Ahron (Jerachmiel)

Winitschenko Zalewitsch

8, 15, 19, 20, 85, 183, 184, 199—201, 237

95, 100, 216, 225

20

Zeretelli, Irkalij

12, 16, 31, 44, 70, 71, 73, 76, 94, 126, 127, 169, 170, 178, 184

-

274



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281

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Zu diesem Buch

Als das Ludwig Boltzmann Institut vor acht Jahren John Bunzls Beitrag zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung,

Klassenkampf in der Diaspora, veröffentlichte, haben wir in einem Vorwort darauf bestanden, daß die Befassung mit dieser Thematik weder einem rein antiquarischen Interesse entsprang, noch auch einen bloßen Akt der Pietät darstellte. wie angebracht ein solcher auch sein mochte. Es war auch nicht bloße Anerkennung all dessen, was die Gesamtbewegung in der Entwicklung der sozialistischen Theorie und der Erfahrung im politischen Kampf ihren jüdischen Genossen verdankte, sondern die Erkenntnis, daß wir es bei den jüdischen Sozialismus mit einer einzigartigen Verflechtung von sozialem Befreiungskampf

und nationaler Eigenständigkeit zu tun haben. Der beklagenswerte Mangel an einschlägigen Studien hinder-

te uns daran, diese These mit weiteren Beispielen zu belegen,

bis uns Arye Gelbard bei einer Tagung der Arbeiterhistoriker in Linz (ITH) von seiner Forschungstätigkeit berichtete und sich bereit erklärte, uns den vielleicht dramatischesten Teil seiner Arbeit, die Rolle des “Bund“ im russischen Revolutionsjahr 1917, zur Publikation zur Verfügung zu stellen. Diese Studie liegt nun vor, und der Leser kann selbst beurteilen,

ob sie den Anforderungen gerecht wird, die wir an eine derartige Untersuchung stellen müssen.

Sie ist, bei allem persönlichen Engagement des Autors, ein

sehr sachlicher und streng wissenschaftlicher Beitrag zur Geschichte eines Ereignisses, das sich nur in der Vielfalt seiner Facetten erfassen läßt. Wenn manche Aspekte vielleicht in zu großem Detail geschildert erscheinen, so ist das für die Authentizität erforderlich gewesen: dies schon in Hinblick auf

die reichliche Literatur zum Revolutionsjahr 1917, die bisher den Anteil der jüdischen Arbeiterschaft und ihre Zielsetzungen weitgehend vernachlässigt hat.

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282

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Entgegen dem Wort des englischen Historikers, die Ge-

schichtsschreibung sei in der Regel die Geschichte der Sieger,

handelt dieses Buch von einer Bewegung, die bald nach 1917 zu den Unterlegenen gehörte. Unter gänzlich geänderten Umständen aber wirken manche ihrer Ideen noch heute fort, in Israel wie in der Diaspora, und tragen bei zur Erkenntnis und Bestimmung

der jüdischen Identität.

Karl R. Stadler

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283

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Der Autor Arye Gelbard wurde 1910 in Sosnowitz (Oberschlesien, Polen) geboren. Er beendete das Staatsgymnasium in Kalisch, war in der jüdischen Jugendbewegung “Haschomer Hazair“ tätig und auch

Mitglied ihrer Leitung. Er wanderte 1933 nach Palästina aus

und wurde Mitbegründer eines Kibbuz. Ende 1937 nach Westeuropa zur Arbeit in der jüdischen Jugend entsandt, studierte er Philosophie, Geschichte und ökonomie an der Zürcher Universität. Er kehrte Mitte 1940 nach Palästina zurück und arbeitete in ver—

schiedenen Zweigen der Landwirtschaft und gleichzeitig betätigte er sich in der Haschomer Hazair Arbeiterpartei (später Vereinigte Arbeiterpartei Mapam). Nach dem Ende des Weltkrieges war er in der jüdischen Untergrundorganisation “Haganah“ (Verteidigung)

und später in der Armee. Arye Gelbard war von 1954 bis 1969 Leitungsmitglied und

Dozent für Probleme des Marxismus, Geschichte und ökonomie der

Sowjetunion und der kommunistischen Länder am Institut “Givat

Haviva“ der Kibbuzbewegung und der Partei. Er veröffentlichte

zahlreiche Artikel in verschiedenen Zeitschriften, einige Broschüren und zwei Bücher: eines über den Lebensstandard in Sowjetrußland im Vergleich zu anderen Ländern, das andere über die Sowjetökonomie in Theorie und Praxis. Er wurde

1960/61 von Prof.0scar

Lange (damals Vizepräsident

Polens) nach Warschau eingeladen und arbeitete an der

Polni-

schen Akademie der Wissenschaften und machte Studienreisen in die Sowjetunion und nach Jugoslawien.

Gelbard erlangte 1970 den Master-titel summa cum laude an der Tel-Aviv Universität und wurde in des Diaspora Research Institute derselben Universität aufgenommen. Er widmete sich

der Erforschung der Jüdischen Arbeiterpartei “Bund“ in Rußland und dissertierte 1978 über das Thema “Der russische Bund im Jahre 1917“. In Druck befindet sich eine Sammlung von Dokumenten und Beschlüssen des “Bund“ in Rußland. Ein ausführliches Werk

in hebräischer Sprache über den “Bund“ ist in Vorbereitung.

Publikationen des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte der Arbeiterbewegung

Anton Pelinka Stand oder Klasse? Die christliche Arbeiterbewegung

Österreiclu 1933 bis 1938. Vorwort von Karl R. Stadler. 1972, 334 Seiten, Leinen, 15 x 22 an, DM 40‚—‚ sfr 46‚—‚ S 280,—

Hcrbcrt Steiner Käthe Leichter. Leben und Werk Vorwort von Bundesminister Dr. Hcrtha Funbcrg, 1973, 528 Seiten. Leinen, 15.x 22 cm, DM 35,—, str 40‚-‚ S 248,—

Karl R. Stadler Opfer verlorener Zeiten Geschichte der Schutzbund-Ernigretion 1934. Vorwort von Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky, 1974, 400 Seiten, Leinen. 13 x 21 cm, DM 28,—, str 33‚-‚ S 198.-

»Geschichte und Gesellschaft.: Fesechfift für Karl R. Stadler

Hrsg. Gerhard Boa. Hans Hautrnann und Helmut Konrad. Vorwort von Bundesminister Dr. Christian Broda, 1974.581 Scitcn‚Lcincn‚ 15 x 22 cm. DM 45,-, sfr 50,-. S 320,—

Wofgang Neugebaucr Bauvolk der kommenden Welt Geschichte der sozialistischen Jugendbcwcgung in Österreich. Vorwort von Bundeskanzler Dr. Bruno Kre'mky. 1975,496 Seiten und 16 Seiten Bildtcil, Leinen, 15 x 22 cm, DM 65,-, str 78,-, S 468.-

Inez Kykal/Karl R. Stadler Richard Bernaschck - Odyssee

eines Rebellen

1976, 320 Seiten (mit Namcnrcgistcr)‚ Leinen, 13 x 21 cm, DM 28.-, sfr 30,—. S 198,—

Erwin Weisscl Die Ohnmacht des Sieges Arbeiterschaft und Sozialisicrung nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich, 1976, 468 Seiten. Leinen, 15 x 8 cm, DM 38,—, sfr 38,—. S 268.—

Ludgcr Rape Die österreichischen Heimwehren und die bayen'sche' Rechte 192(F1923 Vorwort von Ludwig lcdlicka 1’, 1977, 460 Seiten und 8 Seiten Bildtcil, Leinen, 13 x 21 cm, DM 92,—‚- sfr 92,—. S 712.-

Fricdrich Scheu Humor als Waffe

Politisches Kabarett in der Ersten Republik-. Vorwort von Bundesminister Dr. Hertha Firnbcrg. 1978, Leinen. 13 x 21 cm, 304 Seiten Text und 16 Seiten Bildtcil, DM 32,—, str 32,—, S 228.—

Gerhard Bot:]Hans Hauptmann/Helmut Konrad/Josef Weidcnholzcr (Hrsg.)

Bewegung und Klasse Studien zur österreichischen Arbeitergeschichtc. 10 Jahre Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der

Arbeiterbewegung. Vorwort von Bundesminister Dr. Hertha Funberg. 1978. Leinen. 15 x 22 an, 848 Seiten. DM 93‚—‚ sfr 81,15. S 650.-

Karl Schneller Gefangenschaft Ein Buch Sonette. Vorwort von Franz Taucher, 1978, gebunden mit Umschlag. 13 X 21 cm, 211) Seiten, DM 21,-. sfr 18,50. S 148,—

Emst Hanisch Der kranke Mann an der Donau Marx und Engels über Österreich. Vorwort von Eduard März. 1978, Leinen, 15 x 22 cm, 440 Seiten. DM 52,—, str 52,—, S 368.-

ZUSAMMEN MIT DEMVEREIN FÜR GESCHICHTE DER

ARBEITERBEWEGUNG Karl Renner: Eine Bibliographie

Zusammengestellt von Hans Schroth, unter Mitarbeit von Elisabeth Spiehnann, Gerhard Silvestri und Ernst K. Heritzka. Mit einem Geleitwort von Bundespräsident sz Jonas ? und eher Einleitung von Karl R. Stadler: ‚Kari Renner: der Mann und sein Werk“, 1970. 152 Seiten. gebunden. 15 x 22,5 cm. DM 40‚—. str 45,-, S 260,-

Helrnut Konrad Widerstand an Donau und Moldau

KPÖ und KSC zur Zeit des Hitler-StalinPakts. Vorwort von Karl R. Stadler, 1978, Leinen. 13 x 21 an, 352 Seiten. DM 38,—. str 38,—. S 268.—

Michacl Genner Mein Vater Laurenz Genner Ein Sozialist im Dorf. Nachwort von Karl R. Stadler, 1979. Leinen. 15 x 22 cm. 328 Seiten, DM 38,-. sfr 33,50, S 270.—

Emst Papanek Die Kinder von Monunorency

1980. Leinen 13 x 21 cm. 224 Seiten und 8 Seiten Bildteil, DM 28.—. sfr 26,50. S 198.— Helmut Konrad Das Entstehen der Arbeiterklasse in Oberösterreich 1981, Leinen 15 X 22 cm, 520 Seiten. DM 65,-, sfr 60,-‚ S 450,-

Emst Glaser _ Im Umfeld des Austromarxismus

Ein Beitrag zur Geistesgeschichtc des österreichischen Sozialismus. 1981, Leinen, 15 x 22 cm, 592 Seiten. DM 68,50, sfr 68,50, S 480.—

SCHRIFTENREIHE DES LUDWIG BOL'I'ZMANN INSTITUTSNR GESCHICHTE DER

ARBEITERBEWEGUNG Band 1:

Gerhard Botz Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich . Planung und Verwirklichung des

politisch-administrativen Anschlu.es 1938-1940. 1972, 196 Seiten. Pqerback, 13 x 23,8 cm. zweite erglnzte Aufhge 1976, DM 21.-. str 21‚-‚ S 148,—

Band 2:

Hans Schroth/Herbert Exenbcrger Max Adler. Eine Bibliographie Geleitwort von Bundesmin‘nter Dr. Hertha Funberg, 1973.64 Seiten, Paperback, 13 x 20,8 cm. DM 19,-. str I).-. S 13,-

Bud 3: Otto Staininger (Hrsg.)

Ferdinand Hanusch

Ein Leben für den sozialen Aufstieg (1866bis 198). Mit Bengm von Bundespr1sidut FranzJonas 1. Anton Beuys, Rudolf Häuser, Wilhelm Hrdlitschka, Gerhard Betz, Hans Hautmann und Helmut Konrad, 1973, 112 Seiten, Paperback, 13 x 20.8 cm, DM 14.-. Sfi' 14.—. S 98.—

Band 4:

Hans Hautmann/Rudolf Kropf Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vomtär2 bis 1945 Sozialökonomische Ursprünge ihrer

Ideologie und Politik. Vorwort von Karl R. Stadler, 1974, 220 Seiten. Paperback. 13 x 20,8 an. 2. korrigierte und erglnzte Auflage, 1976, 3. unverlnderte Auflage, 1978, DM 21,-, str 21,-. S 148,-

Band 5:

John Bunzl Klassenkampf ‚',. der Diaspora Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung Vorwort von Karl R. Stadler, 1975. 2. Auflage, 184 Seiten, Paperback, 13 x 20,8 cm, DM 18,—. sfr 19,50, S 128,-

Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky‚1977, 64 Seiten, Paperback, 13 x 20,8 cm, DM 19,80, str 19,80, S 128.— Band 32 Franz West Die Linke im Ständestaat Österreich Revolutionäre Sozialisten und Kommunisten 1934-1938. Vorwort von Karl R. Stadler, 1978, 356 Seiten,

Paperback, 13)-< 20,8 cm. DM 32,—, str 32,—, S 228,Band 91

Helmut Konrad (Hrsg.) Sozialdemokratie und »Anschluß«

Historische Wurzeln — Anschluß 1918 und 1938- Nachwirkungen, 1978. 152 Seiten, Paperback, 13 x 20.8 cm, DM 21,-. str 21.—, S 148.—

Band 10:

Josef Außennair Kirche und Sozialdemokratie

Der Bund der religiösen Sozialisten 1926-1934. Mit einem Nachwort von Josef Weidenholzer, 1979. Paperback, 238 Seiten, DM 27.-, sfr 23,75, S 188,-

Band 11:

rtrich ndst n / g°rideotzlG ra ° " Pollak ° ° er Michael Im Schatten der Arbeiterbewegung

Zur Geschichte des Anarchismus in Österreich und Deutschland. Vorwort von Karl R. Stadler, 1977, 192 Seiten und 16 Seiten Bildteil. Paperback, 13 x 20,8 cm. DM 26,-, str 26,—, S 198,-

_

Band 7'

Hans Schroth Verlag der Wiener Volksbuchhandlung 1894-1934 Eine Bibliographie. Geleitwort von

L°°“ K°“° Robert Danneberg Ein pragrnatischer Idealist Geleitwort von Bruno Kreisky, 1980, Paperback, 196 Seiten, DM 26,—, sfr 23,50, S 188.— Band 12:

Josef Weidenholzer Auf dem Weg zum »Neuen Menschen« Bildungs- und Kulturarbeit der österreichischen Sozialdemokratie in der

Ersten Republik. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Karl R. Stadler, 1981, Paperback, 304 Seiten, DM 42.50, sfr 42,50, S 298,—

MATERIALIEN ZUR ARBEITERBEWEGUNG Band 1:

Karl Planner Die Anfänge der Wiener Neustädter Arbeiterbewegung 1865 bis 1868 Eingeleitet von Eduard März. 1975. 160 Seiten. Paperback. DM II.-. str 12,—, S &).— Barfl 2:

Robert Schwarz »Sozialismus- der Propaganda Das Werben des -Völkischen Beobachtcrs- um die österreichische Arbeiterschaft 1939 39. Einleitung von Gerhard Botz. 1975. 160 Seiten, Paperback, DM 11‚—‚ str 12,-, S 80,— Band 3:

Marie Ttdl Die Roten Studenten Dokumente und Erinnerungen 1938 bis 1945. Vorwort von Karl R. Stadler, 1976, Paperback. DM 24.—, sfr 24.—. S 168,-

Band 4:

Helmut Konrad Nationalismus und Intemationalismus Die österreichische Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg. Vorwort von Karl R. Stadler, 1976, 216 Seiten,

Paperback. DM 14.-. sfr 14.—, S 98.— Band 5:

Roman Rosdolsky Die Bauemabgeordneten im Konstituierenden Österreichischen Reichstag [848/49 Einleitung von Eduard März, 1976, Paperback. 234 Seiten, DM 18.—, sfr 18,-, S 128,—

Band 6:

Henriette Kotlan-Wcmer

Kunst und Volk. DavidJasef Bach, 1874—1947 Vorwort von Bundesmin'ster Dr. Hertha anberg. 1977. Paperback. 174 Seiten. DM 18.—. str 18.—. S 128.51!“ 7:

Friedrich Vod Widerstand im Wafl'enrock

Österreichische Freiheitskinrpfer in der Deutschen Wehrmacht 1938 bis 1945. Mit einem Geleitwort von Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschlägcr‚ 1977. Paperback, 261 Seiten. DM 21.-. str 21.-. S 148.—

Band 82

Karl Planner Die Revoluu'on von [848 in Wiener Neustadt Einleng von Wolfgang Häusler, 1978. Paperback, 330 Seiten. illustriert. DM 24.-, str 24.-. S 168,— Band 9:

Gmtav Otmba Wiener Flugschriften zur Sozialen Frage [848

l— Arbeiterschaft. Handwerk und Handel. 1978. Paperback. 245 Seiten. illustriert. DM 24.-. str 21.-. S 168.-

Band 10:

Fritz Keller Gegen den Strom



Fraktionskimpfe in der KPÖ Trotzk'ßten und andere Gruppen 1919 bis 1945. Einleitung von Helmut Konrad. 1978, Paperback, 3(B Seiten. DM 24,—, str 21.—, S 168,Band 11:

Franz Seibert Die Kornumgenossenschaften in Österreich



Geschichte Wirtschaftlidrc undsodale Funktion Perspektiven. Einleitung von Josef Weidenholzer. 1978, Paperback, 202 Seiten, DM 14.—, sfr 12.5. S 98,-



Band 12:

Karl R. Stadler Rückblick und Ausschau 10 Jahre Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung. 1978. Paperback. 140 Seiten. DM 10,-, sfr 8,50, S 68,—

Band 13:

Gerhard Oberkoflcr Die Tiroler Arbeiterbewegung Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg. Vorwort von Karl R. Stadler. 1979. Paperback, 313 Seiten, DM 24,-, sfr 21,—, S 168,—

Band 14:

Peretz Merchav Linkssoziah'smus in Europa zwischen den Weltkriegen Mit einer Einleitung von Helmut Konrad, 1979. Paperback, 130 Seiten, DM 14.—, sfr 12,25‚—‚ S 98,Band 15:

Raimund Löw Otto Bauer unddie russische Revoan Mit einem Vorwort von Eduard März, 1980, Paperback. 320 Seiten, DM 24,-, sfr 21,—, S 168.— Band 16:

Gustav Otruba Wiener Flugschriften zur Sozialen Frage 1848 II- Hof und Adel/Klerus und Kirchen! Bürokratie/Militärs/Bürger und Nationalgarde/Studenten und Universitäten/Bauem/Frauen/Juden‚ 1980, Paperback, 388 Seiten, DM 24,-, sfr 21,—, S 168,Band 17:

Reinhard Krammer Arbeitersport in Österreich 1981, Paperback. 292 Seiten, DM 24.—. sfr 21,-, S 168,-

Band 18:

Wilhelm Filla Zwischen Integration und Klassenkampf

.

Sozialgeschichte der betrieblichen Mitbestimmung in Österreich. 1981 Paperback, 332 Seiten, DM 24,-, sfr 24.-, S 168.Band 19:

Reinhard Kannonier Zwischen Beethoven und Eisler Zur Arbeitennusikbewegung in Österreich‚l981‚ Paperback, 168 Seiten, DM 14.-, sfr 14‚-‚ S 98.-

Band 20:

Peter Pelinka Erbe und Neubeginn Zur Geschichte der Revolutionären Sozialisten 1934-1938. Nachwort von Manfred Ackermann. 1981. Paperback

Band 21: Henriette Kotlan-Wemer O. F. Kanitz undder Schönbrunner Kreis Geleitworte von Hertha Ftrnberg und Hans Matzenauer, Paperback, 370 Seiten. S 188.-

Band 2:

Brigitte Perfahl Marx oder Lassalle? Zur ideologischen Position der österreichischen Arbeiterbewegung 1869-1889. Beiträge von Helmut Konrad und Hermann Kepplinger, 1982. Paperback, 327 Seiten. S 188.—

Band 23:

Gerhard Oberkofler Der 15. Juli 1927 in Tirol Regionale Bürokratie und

Arbeiterbewegung. Mit einem Vorwort von Helmut Konrad, 1982, Paperback, 182 Seiten, S 128.—

Band 24:

Helmut Konrad (Hrsg.) Die deutsche und dle österreichische Arbelterbewegung zur Zeit der Zweiten Innnnnlonale Protokoll des bilateralen Symposiums DDR—Österreich vom so. 9. bis

Band 25:

Erich Wittmann Zwischen Faschismus und Krieg Die Sozialistische Jugendintemationale 1932—1940. Mit einem Vorwort von R'im“"d Lö“'- '”2— "°P°"”°'k 207 Seile". 5

3. IO. 1981 in Linz, 1982. Paperback. 154 Seiten, S l28.—

Karl R. Stadler

Adolf Schärf

Mensch - Politiker - Staatsrnann

Vorwort von Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky, 1982. Leinen. 567 Seiten. 15 x 22 cm, 5 520,—

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