Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428514120, 9783428114122


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German Pages 429 [430] Year 2004

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Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428514120, 9783428114122

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A L E X A N D E R HANEBECK

Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 953

Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes

Von

Alexander Hanebeck

Duncker & Humblot • Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort und des Bundesrates

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11412-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706© Internet: http://www.duncker-humblot.de

Fur Kara, Amalberga und Hans

Vorwort Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist gegenwärtig zum wiederholten Male Gegenstand von Reformbestrebungen. Inzwischen haben Bundestag und Bundesrat im Oktober 2003 die „Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung" eingesetzt. Sie soll Ende des Jahres 2004 einen Bericht und gegebenenfalls Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes vorlegen. Ob und wann daraus tatsächlich Änderungen resultieren und welcher Art sie sein werden, ist gegenwärtig nicht absehbar. Die vorliegende Untersuchung hat ihren Ursprung nicht in dieser erneuten Reformdiskussion, sondern in grundsätzlichen Überlegungen zum Zusammenhang von Demokratie und Bundesstaat. Es geht um den Versuch, aus diesem Zusammenhang Erkenntnisse für das Verständnis des grundgesetzlichen Bundesstaats und die Dogmatik des Bundesstaatsrechts zu gewinnen. Auf die Reformüberlegungen konnte in Kapitel 3 noch vereinzelt hingewiesen werden. An dieser Stelle sei die Entwicklungsoffenheit des hier vertretenen Verständnisses betont. Eventuelle Veränderungen der bundesstaatlichen Ordnung können innerhalb des hier entwickelten Modells und mit den vorgeschlagenen Kategorien erfasst und abgebildet werden. Erste Ansätze für diese Arbeit entstanden 1997/98 als Gießen-Fellow an der Law School der University of Wisconsin in Madison. Ermöglicht wurde der Aufenthalt durch ein Stipendium der Erwin-Stein-Stiftung und der Wisconsin-GießenAlumni, wofür ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Wesentliche Teile entstanden in der Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Abgeschlossen war die Untersuchung im Frühjahr 2003. Im Sommersemester 2003 nahm sie der Fachbereich Rechtswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation an. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von Juni 2003, spätere Neuerscheinungen konnten nicht mehr systematisch berücksichtigt werden. Sehr herzlich bedanken möchte ich mich zunächst bei den Betreuern und Gutachtern dieser Arbeit, Herrn Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Brun-Otto Bryde und Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg. Beide haben mich in vielfältiger Weise gefördert und unterstützt. In ihnen hatte ich faktisch zwei Doktorväter. Für ihre Unterstützung, nicht nur durch außergewöhnliche Lese- und Diskussionsbereitschaft in der gemeinsamen Gießener Runde, danke ich herzlich Carola

8

Vorwort

Hausotter, Matthias Mayer, Jörg Mohr, Dr. Wolff-Michael Mors, Steffen Koch und Dr. Astrid Wallrabenstein. Teile der Arbeit gelesen und mir mit vielen Anregungen geholfen haben großzügigerweise Prof. Dr. Michael Bäuerle und Prof. Dr. Gabriele Britz. Die beträchtliche Mühe, das gesamte Manuskript zu lesen, haben Steffen Koch und Dr. Kara Preedy auf sich genommen, und ihren Anmerkungen sind vielfältige Verbesserungen geschuldet. Kara Preedy sowie Amalberga und Hans Hanebeck verdanke ich darüber hinaus Außerordentliches. Frankfurt am Main, Dezember 2003

Alexander Hanebeck

Inhaltsübersicht Einleitung: Zum Zusammenhang von Bundesstaat und Demokratie

21

Erstes Kapitel Bundesstaat und Demokratie A. Bundesstaat

26 27

I. Die existierenden Konzeptionen II. Defizite der Konzeptionen

28 48

III. Fazit/Problemstellung

74

B. Demokratie

76

I. Monistisches Demokratieverständnis II. Offenes/Pluralistisches Demokratieverständnis III. Fazit

78 84 86

C. Bundesstaat und Demokratie. Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung

87

I. Amerikanisches Volk versus Gliedstaatsvölker - Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung der USA

87

II. Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes

97

Zweites Kapitel Der Ursprung demokratischer Legitimation im Bundesstaat A. Der Ursprung demokratischer Legitimation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Staatsrechtslehre I. Das Bundesverfassungsgericht II. Die Staatsrechtslehre III. Fazit: Dominanz der Einheitlichkeit im Bundesstaat

102

102 103 116 135

10

Inhaltsübersicht

B. Entstehung des Bundesstaates - Gründung der Länder und der Bundesrepublik 136 I. Landesexistenz und Landesverfassungen vor Inkrafttreten des Grundgesetzes .. II. Entstehung des Grundgesetzes

136 144

III. Fazit: Gemeinsame Verfassunggebung C. Entscheidungen im Bundesstaat - Die Bundesebene I. Bundestag und Bundesrat - Gesamtvolk und Landes Völker

182 183 184

II. Bundestag und Bundesrat - Der Ursprung demokratischer Legitimation in den verschiedenen Verfahren 197 III. Fazit: Bereichsspezifische Ausprägung von selbständiger Legitimation durch Gesamtvolk und gemeinsamer Legitimation mit den Landesvölkern 204 D. Beitritte zum Bundesstaat

205

I. Beitritt des Saarlandes

205

II. Beitritt der DDR

207

III. Fazit

214

E. Entscheidungen im Bundesstaat - Die Landesebene I. Landesexistenz

215 215

II. Landesverfassungen

229

III. Verfassungsgebundene Gewalt in den Ländern

256

F. Fazit: Ursprung demokratischer Legitimation - Eigenständigkeit und Einordnung im pluralen Bundesstaat 271

Drittes Kapitel Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes A. Grundlagen I. Der Ursprung demokratischer Legitimation - Eine Strukturierung

274 274 274

II. Dreiteiligkeit des demokratischen Bundesstaates - Die Unterscheidung von nationaler und föderaler Bundesebene 277 III. Bundesstaat versus Demokratie - Antinomie des Bundesstaates?

278

IV. Erneut: Keine Souveränität /Staatlichkeit

282

B. Der „ewige" Bundesstaat I. Ausgangspunkt: Bundesstaat allgemein als Schutzgut? II. Annäherungen III. Konkretisierungen

284 284 290 296

Inhaltsübersicht C. Der „gegenwärtige" Bundesstaat I. Grundlinien II. Der Bundesrat als zentrale Schnittstelle von Bund und Ländern

305 305 312

III. Der Finanzausgleich

327

IV. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen

343

Schlussbetrachtung: Der demokratische Bundesstaat jenseits von Staatlichkeitsvorstellungen und Einheitlichkeitsfixierung 356 Literaturverzeichnis

359

Sachregister

425

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Zum Zusammenhang von Bundesstaat und Demokratie

21

Erstes Kapitel Bundesstaat und Demokratie A. Bundesstaat I. Die existierenden Konzeptionen 1. Die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung

26 27 28 28

a) Die Debatte in den Anfangsjahren der Bundesrepublik

28

b) Der unitarische Bundesstaat

31

c) Der kooperative Bundesstaat

33

2. Die Entwicklung seit der Wiedervereinigung

35

a) Gemischte Bundesstaatstheorie und Wettbewerbsföderalismus

37

b) Ansätze einer Neuorientierung

39

3. Begrifflicher Konsens - Doppelstaatlichkeit als Zentralbegriff des Bundesstaatsrechts II. Defizite der Konzeptionen 1. Kritik des Begriffsinstrumentariums

43 48 48

a) Methodische Grundlagen

48

b) Herkunft der verwendeten Begriffe

51

aa) Doppelstaatlichkeit und Wortlaut des Grundgesetzes

51

bb) Begründung der Doppelstaatlichkeit im Rückgriff auf Staatslehre und allgemeines Bundesstaatsverständnis

55

c) Inadäquanz der verwendeten Begriffe

60

aa) Souveränität

60

bb) Staat(lichkeit)

61

2. Unitaristisch-Zentralistische Prägungen a) Besonderer Legitimationsdruck

64 65

14

Inhaltsverzeichnis b) Entstehungsgeschichte

67

c) Vorwurf der Ineffektivität

71

III. Fazit/Problemstellung

74

B. Demokratie

76

I. Monistisches Demokratieverständnis II. Offenes / Pluralistisches Demokratieverständnis III. Fazit

78 84 86

C. Bundesstaat und Demokratie. Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung

87

I. Amerikanisches Volk versus Gliedstaatsvölker - Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung der USA

87

1. Sprachlicher Exkurs

89

2. Das amerikanische Volk als Grundlage des Bundesstaates - Die Mehrheit des Gerichts

91

3. Die Völker der Gliedstaaten als Grundlage - Das Minderheitsvotum

93

4. Das amerikanische Volk und die Landesvölker - Dualer Charakter des Bundesstaates im Sondervotum von Justice Kennedy

93

5. Statt einer Zusammenfassung: Der Ursprung demokratischer Legitimation und die Auseinandersetzung um die bundesstaatliche Ordnung

95

II. Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes

97

Zweites Kapitel Der Ursprung demokratischer Legitimation im Bundesstaat

102

A. Der Ursprung demokratischer Legitimation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in der Staatsrechtslehre 102 I. Das Bundesverfassungsgericht

103

1. Kollektivierungstendenzen - Individuum und „Volk"

104

2. Zentralisierungstendenzen - Landes Völker und „Volk"

106

a) Offener Volksbegriff

106

b) Enger werdender Völksbegriff

107

3. Neuere Ansätze - Öffnung des Demokratieverständnisses

112

Inhaltsverzeichnis 4. Der Bundesrat und das Verhältnis von Landesvolk und Gesamtvolk - Unabhängige Bundeswillensbildung 113 5. Fazit II. Die Staatsrechtslehre 1. Formale Anerkennung der Existenz von Landes Völkern

115 116 116

2. Unitaristisch-zentralistisches Demokratieverständnis in konkreten Zusammenhängen 118 a) Die Lehre vom unitarischen Bundesstaat

118

b) Die Legitimation des Bundesrates

119

c) Zentralistischer Volksbegriff bezüglich der verfassunggebenden Gewalt 125 aa) Das demokratische Defizit

126

bb) Die Rolle der Länder

129

d) Fazit

132

3. Umfassend zentralistisches Demokratieverständnis

132

4. Pluralistisches Demokratieverständnis

135

III. Fazit: Dominanz der Einheitlichkeit im Bundesstaat

135

B. Entstehung des Bundesstaates - Gründung der Länder und der Bundesrepublik

136

I. Landesexistenz und Landesverfassungen vor Inkrafttreten des Grundgesetzes ..

136

1. Länderentstehung

138

2. Landesverfassungen

139

3. Antizipierte deutsche Verfassung

141

4. Tatsächliche Eigenständigkeit und vorausgesetzte Gemeinsamkeit

143

II. Entstehung des Grundgesetzes

144

1. Demokratische Legitimation von Verfassunggebung und Grundgesetz einige Besonderheiten 145 a) Legitimationsbegründung I - Das fortexistierende deutsche Volk

148

b) Legitimationsbegründung I I - Das deutsche Volk unter Einschluss der Ostzone 151 c) Fazit 2. Die Ministerpräsidenten

154 155

a) Die Ministerpräsidenten und Festlegungen über das Verfahren der Grundgesetzentstehung 155 b) Die Ministerpräsidenten und die Grundlagen des Parlamentarischen Rates 157 c) Fazit: Die Ministerpräsidenten und die Verfassung der verfassunggebenden Gewalt

160

16

Inhaltsverzeichnis 3. Der Parlamentarische Rat a) Wahl der Abgeordneten

161 161

aa) Verteilung der Mandate auf die Länder

161

bb) Verteilung der Mandate auf die Parteien

163

cc) Mandatstausch über Ländergrenzen hinweg

165

dd) Fazit: Bedeutung der Länder und einer übergreifenden Gemeinschaft für die Wahl der Abgeordneten

167

b) Die Erwägungen im Parlamentarischen Rat - Selbstverständnis der Abgeordneten und Ursprung demokratischer Legitimation 168 aa) Kein Ausschluss der Länder

168

bb) Ablehnung der Länder als alleiniger Grundlage

169

cc) Bestätigung der Bedeutung der Länder

171

c) Fazit: Die demokratische Legitimation des Parlamentarischen Rates durch Landesvölker und Gesamtvolk 174 4. Inkrafttreten des Grundgesetzes - Annahme in den Landesparlamenten

175

a) Die Repräsentanten der Landesvölker als Handelnde

176

b) Annahmeverfahren und Bezug zum Gesamtvolk

177

5. Formulierung im Grundgesetz

179

III. Fazit: Gemeinsame Verfassunggebung

182

C. Entscheidungen im Bundesstaat - Die Bundesebene

183

I. Bundestag und Bundesrat - Gesamtvolk und Landesvölker

184

1. Bundestag und die Legitimation durch das Gesamtvolk

184

2. Bundesrat und die Legitimation durch die Landesvölker

184

a) Mitwirkung und Mitgliedschaft

185

b) Stimmenverteilung auf die Länder

189

c) Mehrheits- und Abstimmungsregeln

193

aa) Die Bedeutung des Status „Land" trotz Stimmenspreizung

193

bb) Einheitliche Abstimmung

196

d) Fazit: Das Element Land auf Bundesebene - Die Landesvölker als Legitimationssubjekte 196 II. Bundestag und Bundesrat - Der Ursprung demokratischer Legitimation in den verschiedenen Verfahren 197 1. Der gleichberechtigte Bundesrat I - Verfassungsänderung

198

Inhaltsverzeichnis 2. Der gleichberechtigte Bundesrat I I - Zustimmungsbedürftigkeit jenseits der Verfassungsänderung 199 3. Zwangsmaßnahmen des Bundes gegenüber den Ländern

200

4. Weitere Formen der Mitwirkung an der Bundeswillensbildung

202

a) Einspruchsgesetze

202

b) Mitwirkung in Angelegenheiten der EU

202

c) Berufung der Bundes(verfassungs)richter

204

III. Fazit: Bereichsspezifische Ausprägung von selbständiger Legitimation durch Gesamtvolk und gemeinsamer Legitimation mit den Landesvölkern 204 D. Beitritte zum Bundesstaat I. Beitritt des Saarlandes II. Beitritt der DDR

205 205 207

1. Beitritt als Verfassunggebung?

208

2. Vorgeschichte/Währungsunion

209

3. Der Beitritt nach Art. 23 GG a.F.

210

4. Formulierung im Grundgesetz

212

III. Fazit

214

E. Entscheidungen im Bundesstaat - Die Landesebene I. Landesexistenz

215 215

1. Grundgesetz und Existenz der Länder I - Die Situation bei Entstehung des Grundgesetzes 216 a) Neugliederung der Länder allgemein - Ursprungsfassung von Art. 29 GG 216 b) Neugliederung im Südwesten - Art. 118 GG

218

2. Grundgesetz und Existenz der Länder I I - Stabilisierung der bestehenden Länder 220 a) Stabilisierung I - Scheitern der Neugliederungsanliegen

220

b) Stabilisierung II - Sicherung der Länderexistenz

223

c) Stabilisierung III - Vereinigung und neue Länder

224

aa) Länderentstehung auf dem Gebiet der DDR

224

bb) Änderungen des Grundgesetzes

227

3. Fazit II. Landesverfassungen

228 229

1. Entscheidung für das Grundgesetz in den Ländern

229

2. Kompetenz zur Landesverfassunggebung

231

2 Hanebeck

Inhaltsverzeichnis

18

3. Grundgesetzlicher Rahmen für die Landesverfassungen a) Exkurs: Homogenität im Bundesstaat

232 233

b) Vorrang des Bundes Verfassungsrechts

238

c) Kompetenzordnung als Beschränkung?

241

d) Beschränkungen durch das Homogenitätsgebot

243

aa) Weitgefasste Homogenität der Strukturprinzipien

243

bb) Geringe Bedeutung des grundgesetzlichen Homogenitätsgebotes ...

246

cc) Spezielle Ausprägungen

247

e) Beschränkungen durch Grundrechtshomogenität 4. Landesverfassunggebung in den Anfangsjahren der Bundesrepublik

248 249

5. Landesverfassunggebung und Landesverfassungsänderung im Zuge der Vereinigung 251 6. Fazit: Eigenständigkeit und Gemeinsamkeit

256

III. Verfassungsgebundene Gewalt in den Ländern

256

1. Gesetzgebungskompetenzen a) Verteilung

257 257

b) Kooperative Ausübung

260

2. Verwaltungskompetenzen

262

a) Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder I - Verfassungsrechtliche Konstruktion

263

b) Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder I I - Einheitlicher Gesetzesvollzug? 266 c) Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder III - Unitarische Überformung? 268 3. Sonstige Landeskompetenzen

270

4. Fazit: Bereichsspezifische Ausprägungen von Selbständigkeit und Kooperation 271 F. Fazit: Ursprung demokratischer Legitimation - Eigenständigkeit und Einordnung im pluralen Bundesstaat 271

Drittes Kapitel Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes A. Grundlagen I. Der Ursprung demokratischer Legitimation - Eine Strukturierung

274 274 274

II. Dreiteiligkeit des demokratischen Bundesstaates - Die Unterscheidung von nationaler und föderaler Bundesebene 277 III. Bundesstaat versus Demokratie - Antinomie des Bundesstaates?

278

IV. Erneut: Keine Souveränität/Staatlichkeit

282

Inhaltsverzeichnis B. Der „ewige" Bundesstaat I. Ausgangspunkt: Bundesstaat allgemein als Schutzgut? II. Annäherungen 1. Existenzgarantie und Verfahrensposition

19 284 284 290 290

2. Existenzgarantie und „Eigenständigkeit" als grundlegendes Strukturmerkmal 292 3. Prozeduraler Schwerpunkt des „ewigen" Bundesstaates III. Konkretisierungen

295 296

1. Mitwirkung der Länder auf Bundesebene

297

2. Gesetzgebungskompetenzen der Länder

299

3. Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU

302

C. Der „gegenwärtige" Bundesstaat I. Grundlinien

305 305

1. Wandlungsfähigkeit und prozedurales Bundesstaatsverständnis

305

2. Kooperation und Selbständigkeit

306

3. Einheitlichkeit versus Unterschiedlichkeit

308

4. Unterschiedlichkeit und Wettbewerbsföderalismus?

311

II. Der Bundesrat als zentrale Schnittstelle von Bund und Ländern

312

1. Die demokratische Legitimation des Bundesrates

312

2. Der Bundesrat als politisches Organ

314

3. Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen

316

a) Anstieg durch Tausch von Gesetzgebungskompetenzen gegen Mitbestimmungsrechte? 316 b) Art. 84 Abs. 1 GG - Die Verantwortung von Bundesregierung und Bundestag 318 c) Entscheidungsspielraum der nationalen Bundesorgane 4. Bundesrat und Willensbildung auf Landesebene III. Der Finanzausgleich

323 327

1. Prozeduraler Ausgangspunkt

327

2. Annäherung an die Definition eines angemessenen Finanzkraftausgleichs ..

330

3. Das „Maßstäbegesetz" als Versuch einer prozeduralen Lösung

334

a) Das Urteil - Föderatives Gleichbehandlungsgebot als zentraler Grund ..

335

b) Maßstäbegesetz und Spielraum des Finanzausgleichsgesetzgebers

336

c) Vagheit statt Konkretisierung - Das Maßstäbegesetz des Jahres 2001 ....

339

4. Finanzverfassung als Fehlkonstruktion 2*

321

341

20

Inhaltsverzeichnis IV. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen

343

1. Schutz der Landeskompetenzen

344

2. Die Justiziabilität von Art. 72 Abs. 2 GG

347

a) Das Erfordernis hoher Kontrolldichte

348

b) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Altenpflegegesetz - Rechtsprechungsänderung mit unitarischen Öffnungsklauseln .. 351 3. Die Bedeutung der Kompetenzkataloge

353

Schlussbetrachtung: Der demokratische Bundesstaat jenseits von Staatlichkeitsvorstellungen und Einheitlichkeitsfixierung 356 Literaturverzeichnis

359

Sachregister

425

Einleitung: Zum Zusammenhang von Bundesstaat und Demokratie In einem bundesstaatlich organisierten Gemeinwesen gibt es zwei Ebenen, auf denen Entscheidungen getroffen werden. Diese, auf den ersten Blick banale und scheinbar nur Organisatorisches betreffende Feststellung, hat tiefgreifende Konsequenzen für den Inhalt jeder zu treffenden Entscheidung. Die zentrale Bedeutung der Festlegung, auf welcher Ebene welche Entscheidungen getroffen werden, kann auf eine kurze Formel gebracht werden. Danach lautet die „bundesstaatliche Frage": Wer entscheidet? Einen ersten Blick auf diese Frage zu werfen, erhellt den, dieser Arbeit zugrunde liegenden, Zusammenhang zwischen Bundesstaat und Demokratie. Dies soll anhand von einigen Beispielen aus Deutschland und den USA geschehen. Besonders offenkundig wird die Bedeutung der bundesstaatlichen Frage bei Themen, die weltanschauliche Grundsätze berühren und deshalb besonders kontrovers sind, wie z. B. die Zulässigkeit von Abtreibungen oder die rechtliche Behandlung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften bzw. Ehen. In Deutschland sind diese Fragen bundesrechtlich geregelt - würde darüber in den Ländern entschieden, fielen die Regelungen jedoch sehr unterschiedlich aus. Während insbesondere Bayern die Abtreibungsregelung des Jahres 1992 und die Regelungen zur gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft abgelehnt hat, haben andere Bundesländer diese unterstützt bzw. hätten sich sogar weitergehende Regelungen gewünscht1. In Bayern wäre also die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht eingefühlt worden und Abtreibungen wären nur in wesentlich restriktiverem Umfang als gegenwärtig auf der Grundlage des Bundesrechts möglich. Im Gegensatz dazu wären in anderen Ländern die Abtreibungsmöglichkeiten weniger restriktiv als die existierende bundesgesetzliche Regelung und die gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften wären dort der Ehe (fast) vollständig gleichgestellt. Die 1 Im Anschluss an die bundesgesetzliche Neuregelung in der Folge des zweiten Abtreibungsurteils, BVerfGE 88, 203, sah Bayern Bedarf für Nachbesserungen, die vom BVerfG aus kompetenzrechtlichen Gründen für verfassungswidrig erklärt worden sind, vgl. zusammenfassend H.-G. Dederer , in: J. Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 251. Ausführliche Darstellung der bayrischen Regelung in BVerfGE 98, 265 (277 ff.). Auch zu früheren bundesrechtlichen Abtreibungsregelungen gab es sehr unterschiedliche Landesvorschriften, vgl. die Darstellung in BVerfGE 98, 265 (269). Die grundsätzlich von der Auffassung des Bundesgesetzgebers abweichende Position der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen zur rechtlichen Stellung gleichgeschlechtlicher Paare wird in der Darstellung ihrer verfassungsrechtlichen Argumentation durch das Gericht deutlich, BVerfGE 105, 313 (321 f.).

22

Einleitung

Entscheidung auf Bundesebene unterscheidet sich also inhaltlich wesentlich von denen, die in einigen Ländern getroffen worden wären. Ein weiteres, weniger aufgeladenes aber dennoch bedeutsames, Beispiel ist die Verabschiedung von Abfallabgabengesetzen in einigen Ländern Anfang der neunziger Jahre2, für die es auf Bundesebene keine Mehrheit im Parlament gegeben hätte. Während der Bund nicht bereit war, in der Umweltpolitik die Lenkungswirkung von Abgaben3 einzusetzen, war diese Bereitschaft in einigen Ländern vorhanden. Für die USA ist ebenfalls die Abtreibungsfrage ein gutes Beispiel. Dort gab es zunächst in den Gliedstaaten völlig verschiedene, in ihrer Mehrheit sehr restriktive Regelungen. Das in der Supreme Court-Entscheidung Roe v. Wade 4 für verfassungswidrig erklärte Gesetz des Gliedstaates Texas war typisch für die Gesetzgebung der meisten Gliedstaaten auf diesem Gebiet und verbot Abtreibungen vollständig, wenn keine Lebensgefahr für die Frau bestand5. Nach dieser Entscheidung ist eine derartige restriktive Regelung nicht mehr möglich, die Unterschiede zwischen den Gliedstaaten sind aber nach wie vor erheblich. Ohne diese bundesverfassungsrechtliche Grenze wäre zumindest in acht Staaten mit einem praktisch völligen Abtreibungsverbot entsprechend der aufgehobenen texanischen Regelung zu rechnen6. Ein weiteres Beispiel aus den USA ist die Todesstrafe, die es nur in einem Teil der Gliedstaaten gibt, wobei die Zahl der Straftaten, die mit dem Tod bestraft werden können, ebenso stark variiert wie die Vollstreckungspraxis 7. Deutlich wird, dass es für das Ergebnis in einer zu entscheidenden Sachfrage maßgeblich darauf ankommt, auf welcher Ebene einer bundesstaatlichen Ordnung die Entscheidung getroffen wird. Durch die Beantwortung der bundesstaatlichen Frage wird gleichzeitig auch eine demokratietheoretische Frage beantwortet. Diese Frage lautet: Die Mehrheit von welcher Gruppe soll entscheiden? Demokratietheoretisch lassen sich nur Kriterien entwickeln, die Anhaltspunkte für die Beantwor2 Vgl. die Darstellung der Gesetze und Auflistung der relevanten Vorschriften in BVerfGE 98, 83 (84 ff.). Das Gericht hat die landesrechtlichen Regelungen für grundgesetzwidrig erklärt. Positiv zum Urteil etwa H. Sodan, JZ 1999, S. 865; W. Frenz , DÖV 1999, S. 43 f. Berechtigte Kritik an der Entscheidung etwa bei M. Führ , KJ 1998, S. 504 und passim; M. Bothe, NJW 1998, S. 2334 f.; U. Sacksofsky , Umweltschutz, S. 251 f. Insbesondere das vom Gericht verwendete Kriterium „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung" ist abzulehnen, dazu A. Hanebeck , Der Staat 41, S. 429 ff. 3 Vgl. zu dieser Debatte um ökonomische Instrumente U. Sacksofsky , Umweltschutz, S. 5 ff.; dies., NJW 2000, S. 2619 ff.; G. Lübbe-Woljf.\ NVwZ 2001, S. 485 ff.; jeweils m. w. N. 4 410 U.S. 113 (1973). 5 Vgl. zum Urteil wie zur Weiterentwicklung der Rechtsprechung C. Moors , Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 85 ff. 6 C. Moors , Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 197. Moors schildert ausführlich, wie die Gliedstaaten mit der Situation umgehen und welche großen Unterschiede bestehen. 7 Zuletzt hat der Supreme Court die Möglichkeiten, geistig zurückgebliebene Straftäter zum Tode zu verurteilen, eingeschränkt, Atkins v. Virginia , 536 U.S. 304 (2002). Dort finden sich auch Angaben über diesbezügliche Unterschiede zwischen den Gliedstaaten.

Einleitung tung dieser Frage bieten, eine demokratietheoretisch „richtige" Einheit gibt es nicht 8 , allenfalls pragmatisch besser oder schlechter geeignete Einheiten 9 . Damit bekommt die bundesstaatliche Frage aus dem Blickwinkel der Demokratie ebenfalls zentrale Bedeutung: Sie legt fest, ob die Mehrheit auf Landesebene oder die Mehrheit auf Bundesebene die jeweilige Entscheidung trifft. Hier liegt die „Schnittstelle" von Demokratie und Bundesstaat 10 . Ein etwas komplizierteres, aber dafür die Reichweite der Problematik verdeutlichendes, Beispiel ist die juristische Kontroverse um die Nachzählungen von Stimmen in Florida, die den Ausgang der Präsidentschaftswahl des Jahres 1999 in den USA entschied. Das oberste Gericht von Florida kam zu dem Ergebnis, dass einige Stimmen nachgezählt werden müssen. Das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, kam zu dem Ergebnis, dass dies gegen die Bundesverfassung verstößt 11 . M i t der Entscheidung des obersten Gerichts der U S A 1 2 war der Ausgang der Präsidentschaftswahl entschieden 13 . Der Grundsatz, dass Bundesgerichte die Auslegung des

8 Vgl. auch G. Roellecke, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 20, Rn. 160. 9 Ausführlich R. Dahl, Democracy, S. 193-209, insbesondere S. 204 und 207 ff., zu Föderalismus und Demokratie S. 197-204. Vgl. daran anknüpfend B.-O. Bryde, in: Sitter-Liever, Herausgeforderte Verfassung, S. 223, 228 ff.; A. Wallrabenstein, Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 144 f. 10 R. Lhotta, in: Jahrbuch des Föderalismus 2001, S. 36 und 48. 11 Aus deutscher Sicht wirkt dies nicht unmittelbar wie eine den Bundesstaat betreffende Frage, da in Deutschland die Rechtsprechungskompetenzen nicht nach Sachgebieten zwischen Bund und Ländern aufgeteilt sind, sondern organisatorisch nach den herkömmlichen Funktionen der Gerichtsinstanzen. Entsprechend wird aus Art. 95 GG hergeleitet, dass die obersten Bundesgerichte der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung nicht nur unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten dienen, sondern auch im Hinblick auf die Einheit der bundesstaatlichen Rechtsordnung, vgl. H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 95, Rn. 13; W. Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 95, Rn. 3; C. Degenhart, in: HdbStR III, § 75, Rn. 5. Zudem ist nicht nur das Prozessrecht im wesentlichen Bundesrecht, sondern auch das von den Gerichten angewandte materielle Recht, W Blümel, in: HdbStR IV, § 102, Rn. 39. Damit wirft die Frage der Rechtsprechungszuständigkeit in Deutschland keine besonders akuten bundesstaatlichen Probleme auf. 12 Bush v. Gore, 531 U.S. 98 (2000). Die Entscheidung umfasst das Votum der Mehrheit sowie 5 zusätzliche Voten, eines davon zustimmend, die übrigen 4 abweichende Meinungen. Vgl. zum Ganzen auch W. Heun, JZ 2001, S 421 ff.; M.H. Wiegandt, KJ 2001, S. 1 ff.; H.-P. Schneider, NJW 2001, S. 487 ff. 13 Auffällig an der, kaum noch überschaubaren, wissenschaftlichen Reaktion in den USA ist die Härte der Kritik an der Mehrheit des Supreme Court, z. B. J.M. Balkin/S. Levinson, Virginia Law Review 87, S. 1049: „Five members of the United States Supreme Court, confident of their power, and brazen in their authority, engaged in flagrant judicial misconduct that undermined the foundations of constitutional government" und S. 1109 „that five Justices fundamentally betrayed their oaths of office and helped to place in the White House someone who does not deserve the title of President".Vgl. auch M.J. Klarman, California Law Review 89, S. 1723: ,,[I]t will be difficult to find neutral and detached lawyers who believe that Bush v. Gore was „grounded truly in principal" or „in the language or design of the Constitution", rather than in the conservative Justices' preference for George W. Bush in the 2000 presidential election." Ebd., in Fn. 14 werden weitere Kritiker zitiert, z. B. Ronald

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Einleitung

Rechts der Gliedstaaten durch die Gerichte der Gliedstaaten nicht kontrollieren, fand keine Anwendung 14, die Mehrheit der Richterinnen und Richter berief sich vielmehr auf die equal-protection-clause des 14. Zusatzartikels der Bundesverfassung, die sie als verletzt ansahen15. Die weitreichenden Folgen der Antwort auf die bundesstaatliche Frage - Wer entscheidet? - sind hier besonders deutlich und zwar sogar dann, wenn es um die zunächst wenig spektakulär erscheinende Frage geht, welches Gericht entscheidet, das oberste Bundesgericht oder das oberste Gericht des Gliedstaates. Wäre die Frage der Stimmennachzählung auf der Ebene des Gliedstaates abschließend entschieden worden, hätte Al Gore zumindest noch eine realistische Chance gehabt, Präsident der USA zu werden. Die Entscheidung durch den Supreme Court auf Bundesebene hingegen machte effektiv George Bush zum Präsidenten. Offensichtlich ist die Relevanz der Antwort auf die bundesstaatliche Frage - Wer bzw. welches Gericht entscheidet? - für das Ergebnis in diesem Fall, weniger offensichtlich ist die damit verbundene demokratische Komponente, weil es um Gerichtsentscheidungen geht. Sie ist aber dennoch von Bedeutung. Es entscheidet entweder ein Gericht, dessen Einrichtung und Zusammensetzung nach dem Recht des Staates Florida geschah16 und dessen Richterinnen und Richter von dem in Florida gewählten Gouverneur ausgewählt wurden. Die demokratische Legitimation dieses Gremiums geht also vom Volk von Florida aus. Oder es entscheidet ein Gericht, dessen Einrichtung und Zusammensetzung sich nach dem Recht des Bundes richtet und dessen Richterinnen und Richter von dem in den gesamten USA gewählten Präsidenten nominiert werden und von der auf Bundesebene existierenden Mehrheit im Senat akzeptiert werden müssen17. Die demokratische LegiDworkin mit den Worten, die Entscheidung sei „one of the least persuasive Supreme Court opinions that I have ever read". W. Farnsworth , Minnesota Law Review 86, S. 227 ff. geht davon aus, dass die Mehrheitsentscheidung rechtswidrig war und hält darüber hinaus eine pragmatische Begründung des Urteils für nicht möglich, ohne pragmatische Begründungen rechtswidriger Entscheidungen grundsätzlich auszuschließen. Differenzierter ist das Meinungsbild der Beiträge eines Symposiums, abgedruckt in The University of Chicago Law Review 68, kritisch etwa S. Issacharoff,i ebd., S. 637 ff.; DA. Strauss , ebd., S. 737 ff.; C. Sunstein , ebd., S. 757 ff. Moderatere Kritik bei M.W. McConnell , ebd., S. 660. Positiv stehen der Entscheidung gegenüber, insbesondere weil sie die Entscheidung des obersten Gerichtes von Florida für falsch halten, z. B. R.A. Epstein , ebd., S. 613 ff.; J.C. Yoo, ebd., S. 775 ff.; R.A. Posner , ebd., S. 719 ff., sowie deutlicher ders ., in: D. J. Hutchinson / D.OA. Strauss/G. R. Stone (Hrsg.), 2000 Supreme Court Review, insbesondere S. 53 ff. 14 Dazu die dissenting opinion von Justice Ginsburg , Bush v. Gore , 531 U.S. 98 (2000), S. 135 ff. m. w. N., die in diesem Teil von den Justices Souter, Stevens und Breyer ebenfalls unterschrieben wurde. Im Gegensatz zu der üblichen Formel am Ende eines dissents , „ I respectfully dissent" endet Justice Ginsburg mit „ I dissent", ebd. S. 144. 15 Bush v. Gore , 531 U.S. 98 (2000), S. 100 ff. 16 Eine Kommission, deren Mitglieder der Gouverneur von Florida und die Anwaltskammer von Florida auswählen, schlägt drei Personen vor, der Gouverneur wählt eine davon aus. Über ihre Wiederwahl entscheidet das Volk von Florida. Die Richterinnen und Richter müssen sich nach Ablauf ihrer Amtszeit einer sogenannten „retention election" stellen, wenn sie eine weitere Amtszeit anstreben. Auf dem Stimmzettel steht dabei nur die Frage, ob die betreffende Person im Amt bleiben soll.

Einleitung

timation dieses Gremiums wird demnach vom Volk der USA insgesamt vermittelt. Diese verschiedenen Ausgangspunkte der Legitimation haben sich in der Zusammensetzung der Gerichte niedergeschlagen. Während die Richterinnen und Richter in Florida alle von demokratischen Gouverneuren berufen worden sind, wurde die Mehrheit der Mitglieder des Supreme Court von republikanischen Präsidenten ernannt. Damit soll nicht die richterliche Unabhängigkeit der jeweiligen Personen in Frage gestellt werden, aber dass es einen erheblichen Unterschied macht, wer die Richterinnen und Richter auswählt, kann kaum bestritten werden. Damit ist der grundsätzliche Zusammenhang zwischen der bundesstaatlichen Frage und einer grundlegenden demokratischen Frage offenbar geworden. Die Antwort auf die bundesstaatliche Frage - Wer entscheidet? - ist auch die Antwort auf eine demokratische Frage - Die Mehrheit welcher Gruppe entscheidet? Diese Beispiele machen zudem deutlich, dass es für den Inhalt einer Entscheidung in der Sache maßgeblich darauf ankommt, wer in einem Bundesstaat diese Sachentscheidung trifft. Der hier nur schlaglichtartig beleuchtete Zusammenhang von Bundesstaat und Demokratie ist Grundlage dieser Arbeit. Ziel ist es, im Anschluss an eine Analyse und Kritik der existierenden Konzeptionen des grundgesetzlichen Bundesstaates eine Alternative anzubieten, die wesentlich auf dem Zusammenhang zwischen Demokratie und Bundesstaat beruht.

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Vgl. Art. II Section 2 der Bundesverfassung.

Erstes Kapitel

Bundesstaat und Demokratie Demokratie und Bundesstaat als Thema einer Untersuchung scheint angesichts der potentiellen Uferlosigkeit schon fast gar kein Thema mehr zu sein, jedenfalls kein begrenztes oder begrenzbares. Die Rechtsprechung und Literatur zu Demokratie oder Bundesstaat allein füllt ganze Bibliotheken, deren Umfang durch eine, in der Einleitung bereits aufscheinende, rechtsvergleichende Perspektive nicht geringer wird. Aus der Verbindung beider Themen ergeben sich jedoch ganz spezifische Fragestellungen. Die Frage nach Demokratie im Bundesstaat betrifft zweierlei. Zum einen geht es um den Ursprung demokratischer Legitimation in einem bundesstaatlich organisierten Staatswesen. Ausgangspunkt demokratischer Legitimation ist nach dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 2 GG das „Volk". Im Bundesstaat existieren jedoch zwei Gruppen, die „Volk" und damit Legitimationssubjekt sein können, das Landesvolk und das Gesamtvolk. Die Frage lautet also: Wer ist in einem Bundesstaat das Volk? Diese Frage betrifft die Identität des Bundesstaates im Kern. Eine wesentlich auf die Legitimation durch die Landesvölker abstellende Konzeption hätte einen (relativ) länderzentrierten Bundesstaat zur Folge. Hingegen wäre das Ergebnis einer wesentlich auf das Gesamtvolk abstellenden Konzeption ein (relativ) einheitsorientierter Bundesstaat. Beispiele für eine derartige Diskussion außerhalb Deutschlands finden sich für die USA und die EU. Ob die Völker der Gliedstaaten Ursprung demokratischer Legitimation sind oder ob das Volk des Bundes insgesamt Quelle demokratischer Legitimation ist, war in den USA Gegenstand eines Supreme Court-Urteils 1 und die unterschiedliche Beantwortung der Frage durch die Mehrheit des Gerichts einerseits und die dissenting opinion andererseits hat einen Nerv getroffen und dementsprechend heftige Debatten ausgelöst2. Dass der Ausgangspunkt demokratischer Legitimation für die Konstruktion des Gemeinwesens erhebliche Bedeutung hat, wird auch bei der Debatte um die demokratische Legitimation europäischer Entscheidungen deutlich. Den Positionen zur Gestalt der europäischen Integration entsprechen unterschiedliche Konzeptionen der demokratischen Legitimation, die entweder stärker an die Völker der Nationalstaaten anknüpfen oder die Möglichkeit eigenständiger demokratischer Legitimation auf europäischer Ebene eröffnen 3. 1 United States Term Limits, Inc. v. Thornton, 514 U.S. 779 (1995). Vgl. R. F. Nagel , Arizona Law Review 38, S. 844; A. Hanebeck, San Diego Law Review 37, S. 349. Ausführlicher unter Kapitel 1 C I, S. 87 if. 3 Vgl. nur die Zusammenfassung der Diskussion bei A. v.Bogdandy, Der Staat 40, S. 24 ff., insbesondere S. 29. 2

A. Bundesstaat

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Die These dieser Arbeit lautet, dass sich mit Hilfe einer ausführlichen Analyse des Ursprungs demokratischer Legitimation Aussagen über die Konstruktion und Konzeption eines Bundesstaates treffen lassen. Dies ist unter C. näher zu erläutern. Um aus den Erwägungen zum Ursprung demokratischer Legitimation Folgerungen für den Bundesstaat des Grundgesetzes zu ziehen, ist zunächst die Grundlage in Form einer Darstellung und Analyse der bestehenden Konzeptionen von Bundesstaat und Demokratie des Grundgesetzes zu schaffen. Dazu werden unter A. die existierenden Konzeptionen von grundgesetzlicher Bundesstaatlichkeit dargestellt, sowie ihre wesentlichen Defizite und die sich daraus ergebenden Anforderungen an eine Auseinandersetzung mit dem Bundesstaat skizziert. Im Anschluss werden unter B. die existierenden Konzeptionen des Demokratieprinzips zusammengefasst und dargelegt, was die Basis der Untersuchung aus diesem Blickwinkel ist.

A. Bundesstaat Die Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes ist neben Demokratie, Rechtsstaat, Republik und Sozialstaat eines der fünf grundlegenden Verfassungsprinzipien, hat aber bei der Auslegung des Grundgesetzes immer eine Sonderstellung eingenommen. Zum einen ist das Bundesstaatsprinzip, wie der organisatorische Teil des Grundgesetzes insgesamt, verglichen mit der Auslegung der Grundrechte, des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips sehr viel zurückhaltender interpretiert worden4. Grund dafür ist nicht die fehlende Beschäftigung mit dem Bundesstaat, vielmehr sind die bundesstaatlichen Regelungen aufgrund ihres als „unpolitisch" empfundenen Charakters nicht im gleichen Maße in Interpretationskämpfe verwickelt, wie es sie um Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechte gibt 5 : „Verglichen mit dem Glanz und der Faszination von Grundrechtskatalogen, entfachen die organisatorischen Regelungen deutlich weniger interpretativen Enthusiasmus und nur mildere theoretisch-ideologische Debatten"6. Im Folgenden werden zunächst die existierenden Konzeptionen des grundgesetzlichen Bundesstaates dargestellt und der, bei aller Unterschiedlichkeit der Positionen, bestehende begriffliche Konsens beschrieben (I.). In einem zweiten Schritt werden die Defizite dieser Konzeptionen herausgearbeitet (II.), aus denen sich die Problemstellung der Arbeit ergibt (III.).

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H. Schneider, in: FG BVerfG II, S. 391, Fn. 1. Konsequenz ist, dass die bundesstaatliche Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts „im Schatten" der Bedeutung des Gerichts für Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechte steht, J. Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG II, S. 721. 5 J. Isensee, AöR 115, S. 258 f. 6 G. Frankenberg, in: FS J. Habermas, S. 527.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

I. Die existierenden Konzeptionen Der Bundesstaat des Grundgesetzes ist mit vielen unterschiedlichen Bezeichnungen belegt worden, dennoch sind die maßgeblichen Konzeptionen deutlich erkennbar. Die bis zur Wiedervereinigung entstandenen Ansätze sind nach wie vor prägend (1.). Es ist zwar seit dem Ende der achtziger Jahre ein spürbar stärkeres Interesse am Föderalismus erkennbar und in diesem Zusammenhang sind auch einige neuere Ansätze zu verzeichnen (2.). Trotz der unterschiedlichen Akzente in der theoretisch-konstruktiven Erfassung des Bundesstaates zeigt sich jedoch, dass bestimmte Begriffe nach wie vor die Grundlage des Bundesstaatsverständnisses und der Bundesstaatsrechtsdogmatik bilden (3.).

1. Die Entwicklung bis zur Wiedervereinigung Die Entwicklung der Konzeptionen des grundgesetzlichen Bundesstaates bis zur Wiedervereinigung ist, etwas vereinfacht, in drei Phasen vorangegangen. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik wurde um die theoretisch-konstruktive Erfassung des Bundesstaates mit den klassischen Fragen der Bundesstaatstheorie gerungen (a). Die folgenden zwei Einschnitte sind mit den Stichworten „unitarischer Bundesstaat" (b) bzw. „kooperativer Bundesstaat" als dessen Weiterführung (c) verbunden.

a) Die Debatte in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Die Debatte um die theoretisch-konstruktive Erfassung des Bundesstaates beschäftigte sich in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mit den klassischen Fragen der Bundesstaatstheorie, also dem Sitz der Souveränität, der Überordnung oder Gleichordnung von Bund und Ländern sowie der Zwei- oder Dreigliedrigkeit des Bundesstaates7. Geführt wurde der Streit um den Aufbau des Bundesstaates vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren8. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Bundesstaatstheorie systematisch nie geäußert. Eine Rolle hat jedoch in der frühen Rechtsprechung des Gerichts die Unterscheidung zwischen einem zweigliedrigen und einem dreigliedrigen Bundesstaatsmodell gespielt. Diese Modelle beschreiben für den Aufbau eines Bundesstaates und das Verhältnis seiner Teile substantiell verschiedene Positionen. Nach dem zweigliedrigen Modell gibt es zum einen den Bund und zum anderen die Länder als Teile des Bundes. Nach dem dreigliedrigen Modell hingegen sind Bund und Länder gleichgeordnete Teile eines größeren Ganzen, des Gesamtstaates, dem beide untergeordnet sind. In frühen Ent7 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 235 ff. m. w. N. 8 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 385.

A. Bundesstaat

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Scheidungen hat das Bundesverfassungsgericht Formulierungen verwendet, die in Richtung eines dreigliedrigen Modells zu deuten schienen9. Nur wenig später hat das Gericht jedoch klargestellt, dass diesen Formulierungen ein solches Verständnis nicht zu Grunde liegt, sondern dass sie im Sinne eines zweigliedrigen Modells zu interpretieren seien. Nur ein solches Modell entspreche der föderalen Ordnung des Grundgesetzes10. Insbesondere von Hans Nawiasky wurde hingegen vertreten, dass das Grundgesetz drei verschiedene Einheiten benennt. Neben dem Bund und den Ländern werde auch noch die Bundesrepublik Deutschland aufgeführt, was eindeutig für die Verwirklichung des dreigliedrigen Modells spreche, in dem die Bundesrepublik der Gesamtstaat, sowie Bund und Länder dessen gleichberechtigte Teile seien11. Die weit überwiegende Meinung hat sich dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen und geht von der Zweigliedrigkeit des grundgesetzlichen Bundesstaates aus 12 . Die Begründung ist eine formale, orientiert am Begriff des Staates. Der Gesamtstaat sei nicht als Staat organisiert und existiere somit juristisch nicht 13 . Demnach lasse das Grundgesetz für den Gesamtstaat keine Aufgaben und Befugnisse übrig, die Aufteilung zwischen Bund und Ländern sei lückenlos. Da der Gesamtstaat also keine Staatsgewalt besitze, könne er kein Staat sein 14 . Von einem Standpunkt aus, der wesentlich auf die Begriffe Staat bzw. Staatlichkeit bei der Beschreibung des Bundesstaates setzt, ist die Dreigliedrigkeit sicherlich schwer zu begründen, nicht zuletzt aufgrund der unsystematischen Begrifflichkeit des Grundgesetzes15. 9

In der Konkordatsentscheidung - BVerfGE 6, 309, vgl. dazu K. Pabel, in: J. Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 84 ff. - formulierte das Gericht, die „Bundesrepublik Deutschland - das sind verfassungsrechtlich der Bund und die Länder als ein Ganzes", ebd., S. 340. Im Folgenden hieß es, es „wird die staatliche Einheit durch die Bundesrepublik Deutschland verwirklicht, deren Glieder der Bund und die Länder sind", ebd., S. 364. Eine ähnliche Formulierung findet sich in der Entscheidung zum Deutschland-Fernsehen, BVerfGE 12, 205 (254) wo das Gericht auf das „Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den beiden Gliedern" Bezug nahm. Vgl. zur Entscheidung R. Müller-Terpitz, in: J. Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, S. 122 ff. 10 BVerfGE 13, 54 (77 f.). 11 H Nawiasky, Grundgedanken, S. 36; ders. Allgemeine Staatslehre, S. 151 ff. Grundlegend zur Theorie des dreigliedrigen Bundesstaates H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 199 f. 12 H.-J. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 25 f.; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 448; E. Stein, Staatsrecht, § 13 II, S. 114; J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 83; O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26, Rn. 40 f.; K. Stern, Staatsrecht I, § 19 I 3 b und c, S. 651 f.; I. v. Münch, Staatsrecht I, Rn. 486; M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 55. 13 J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 83; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 18 f. 14 Statt aller R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 18 f. 15 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 19; K. Stern, Staatsrecht I, § 19 I 3 b, S. 651; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 385.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Als „herrschend" kann jedoch lediglich die Ablehnung des dreigliedrigen Modells bezeichnet werden, die Schlussfolgerungen variieren, wobei es im wesentlichen um die Frage der Über-/Unterordnung im Verhältnis von Bund und Ländern geht. Eine, die Bedeutung des Bundes betonende, Ansicht sieht den Bund als den Ländern grundsätzlich übergeordnet an, während die Länder untereinander gleichgeordnet seien16. Daneben gibt es eine Vielzahl unterschiedlich akzentuierter Versuche, die Konstruktion des Bundesstaates zu beschreiben. So spricht Roman Herzog von dem richtigen Kern der dreigliedrigen Lehre, dass Gliedstaaten und Zentralstaat eine Summe bilden und somit beide Teile eines „einheitlichen Gemeinwesens" seien17. Vielfach werden deshalb Bund und Länder für prinzipiell gleichgeordnet gehalten, es sei denn, das Grundgesetz schreibt für einen Bereich staatlicher Tätigkeit die Überordnung von Bund oder Land vor 18 . In einer Art Kompromiss zwischen Zwei- und Dreigliedrigkeit bedient sich Walter Schmidt des von Nawiasky benutzten Begriffs „Teilstaat", um damit Bund und Länder zu beschreiben, die demnach beide keine vollständigen Staaten darstellen 19. Dies habe zur Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bund, lediglich völkerrechtlich als einheitlicher Staat auftrete, während innerstaatsrechtlich allein die Teilstaaten Staatscharakter aufweisen würden. Beide zusammen bilden in dieser Konstruktion die Bundesrepublik Deutschland, die aber nicht selbst Staat sei. Demnach gäbe es nach dem Grundgesetz nur Teile eines Staates, das Gesamtgebilde besäße keine Staatsqualität20. Ähnlich charakterisiert Friedrich Schnapp Bund und Länder, deren Zusammenwirken erst das Ganze konstituiere. Er betrachtet dieses Ganze aber als Staat21. Insoweit ist das Bild also vielfältig. Der theoretische Aufbau des Bundesstaates des Grundgesetzes und die Frage der Zwei- oder Dreigliedrigkeit wird inzwischen in der Literatur überwiegend als praktisch bedeutungslos angesehen.22 Dies verkennt die mit dieser Frage bereits getroffene (Vör-)Entscheidung für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern und die damit verbundene Konzeption und Konstruktion des Bundesstaates23.

16 Z. B. J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 83; O. KimminicK in: HdbStR I, § 26, Rn. 40 f.; A. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1457; E. Bauschke, Bundesstaatsprinzip, S. 42. 17 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 22 f. 18 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 57-60; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 387, Fn. 41; HJ. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 29; K. Stern, Staatsrecht I, § 19 I 4, S. 652; E. Stein, Staatsrecht, § 13 II, S. 113 f. 19 W. Schmidt, AöR 87, S. 274. 20 W. Schmidt, AöR 87, S. 294. 21 E Schnapp in: v.Münch / Kunig, GG, Art. 20, Rn. 8. Ähnlich W. HempeU Der demokratische Bundesstaat, S. 182. Ohne explizite Festlegung, aber gegenüber Zwei- und Dreigliedrigkeitslehre kritisch K. Hesse, Grundzüge, Rn. 217, Fn. 1. 22 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 21; F. Schnapp, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 6; Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 83. 23 Vgl. zur Dreiteiligkeit des grundgesetzlichen Bundesstaates unter Kapitel 3 A II, S. 277 ff.

A. Bundesstaat

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b) Der unitarische Bundesstaat Einen auch die Begrifflichkeit bis heute prägenden Einschnitt stellt die Schrift von Konrad Hesse „Der unitarische Bundesstaat" aus dem Jahr 1962 dar. Das Konzept des unitarischen Bundesstaates wird darin zentral aus der Beobachtung der bundesstaatlichen Wirklichkeit abgeleitet. Es ging Hesse dabei wesentlich um die Wirkungen des empirisch festzustellenden Wandels auf die aktuelle Bundesstaatlichkeit 24 . Die Diagnose lautete, der Sozialstaat verlange „gebieterisch" eine weitgehende sachliche Unitarisierung 25, das Schwergewicht der staatlichen Aufgaben sei zunehmend beim Bund konzentriert, im den Ländern verbliebenen Aufgabenbereich vollziehe sich eine ständig fortschreitende Selbstkoordinierung und die politische Wirksamkeit der Länder konzentriere sich auf „ihre Beteiligung an den Angelegenheiten des Bundes in einem Bundesorgan", also dem Bundesrat 26. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Länder durch den Bundesrat schätzte Hesse jedoch äußerst gering ein, denn es habe sich gezeigt, dass er sich, wenn „es um grundlegende politische Entscheidungen geht, kaum wirksam zur Geltung zu bringen" vermöge 27. Von Albert Bleckmann wird dies, nur leicht zugespitzt, als „Theorie des faktischen Einheitsstaats" bezeichnet28. Die Frage, ob seine Diagnose dazu führen müsse, den Bundesstaat als eine dem modernen Staat inadäquate Ordnungsform zu charakterisieren, den Patienten Bundesstaat also für tot zu erklären, beantwortete Hesse mit einem deutlichen Nein 29 . Vielmehr liege die Bedeutung der bundesstaatlichen Struktur in ihrem Einfluss auf die staatliche Willensbildung im Gesamtstaat und dort vor allem im engen Zusammenhang mit der Gewaltenteilung30. Die zentrale Rolle falle dabei den Landesministerialbürokratien zu 3 1 . Aus demokratischer Sicht komme, neben der Aufgliederung von Parteien und Verbänden in regionale Einheiten, die Möglichkeit hinzu, dass auf Bundesebene in der Minderheit befindliche Parteien in den Ländern Re24

Vgl. die Formulierung bei K Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 34, der zusammenfasst, mit der von ihm vorgeschlagenen Deutung der bundesstaatlichen Ordnung seien „die Grundlagen und das Wesen dieser Ordnung nicht eine Sache der Abstraktionen und Illusionen [ . . . ] , sondern ein Kernbestandteil gelebter und darum wirklicher Ordnung heutigen staatlichen Daseins". Zu Hesses Schrift als Teil der Diskussion und Rezeption der Integrationslehre Rudolf Smends vgl. S. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 289 ff. Außerdem S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 254. 25 K Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 13. 26 K Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14. 27 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 28, Fn. 107. 28 A. Bleckmann, Demokratieprinzip, S. 173. Ähnlich C. Vedder, Intraföderale Staats Verträge, S. 34, wonach dieses Modell nicht mehr weit „vom dezentralisierten Einheitsstaat hinter föderaler Fassade entfernt" sei. 29 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 26 mit der beschriebenen Frage als Ausgangspunkt der Überlegungen und mit der Antwort auf S. 31. 30 K Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 26-29. 31 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 27 f.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

gierungserfahrung sammeln32. Nur noch untergeordnete Bedeutung hat in dieser Konzeption die Aufgliederung der Bereiche staatlicher Tätigkeit. Gewisse Vorteile kleinerer staatlicher Einheiten werden zwar konstatiert, sie seien aber nur noch „abgeschwächt" wirksam 33 . Die Auswirkungen des unitarischen Bundesstaates betreffen demnach nicht das innere Verfassungsleben der Länder, „sondern die Wirkungen des bundesstaatlichen Aufbaus für den Gesamtstaat"34, es gehe um die „Zuordnung der gesamtstaatlichen Kräfte" 35 . Zusammenfassend schrieb Hesse, zum „Prinzip" des Bundesstaates sei es unter dem Grundgesetz geworden, dass „der bundesstaatliche Aufbau eine wesentliche Ergänzung der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung" darstelle 36. Dieses Modell hat Josef Isensee zutreffend als „abgemagerte Figur" bezeichnet, weil es dem Bundesstaat lediglich Hilfs- und Zubringerdienste für Demokratie und Rechtsstaat zuschreibt, aber nicht länger Eigenwert und eine ebenbürtige Verfassungsstruktur 37. Erfüllt werden so alle Anforderungen, die Rudolf Smend bereits 1928 in „Verfassung und Verfassungsrecht" an eine Bundesstaatstheorie gestellt hat. Eine solche Theorie habe „darzutun, wieso sinngemäß die Gliedstaaten im Bundesstaat nicht unvermeidliche Hypotheken auf der als Ideal zu wünschenden konsolidierten Einheitsstaatlichkeit des Gesamtstaats" sind 38 . Die fünfziger und frühen sechziger Jahre sind eine Phase der Fortsetzung eher zentralistischer antiföderalistischer Traditionen und die zu dieser Zeit entstandene Konzeption des unitarischen Bundesstaates leistete nicht nur einen Beitrag dazu, sondern fungierte auch als eine „Verschleierung der Abkehr vom Föderalismus" 39. Der Patient Bundesstaat wird in diesem Modell zwar nach wie vor für lebensfähig gehalten, allerdings nicht aus eigener Kraft, sondern nur aufgrund einer Legitimitätstransplantation. Das damit neu geschaffene Paradigma von Bundesstaatlichkeit als einer Variante oder Verstärkung vor allem der Gewaltenteilung gab der Bundesstaatsrechtsdogmatik eine neue Richtung 40 und hat bis heute seine Wirkung nicht verloren 41 .

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K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 29 f. K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 30. 34 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 31. 35 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 32. 36 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 32. 37 J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 303. Kritisch gegenüber der weitgehenden Reduktion auf Gewaltenteilung P. Lerche, VVDStRL 21, S. 78 ff. 38 R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 225. 3 9 G. Püttner, in: K.W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik, S. 74 f. 33

40 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 258. 41 Vgl. zur nach wie vor großen Bedeutung der gewaltenteilenden Funktion des Bundesstaates H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 17; E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, S. 111; C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 107; I. v.Münch, Staatsrecht I, Rn. 514; C. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 34 f.; W.-R. Schenke, JuS 1989, S. 698 ff.;

A. Bundesstaat

33

c) Der kooperative Bundesstaat Die Grundlagen der Kategorie des kooperativen Föderalismus, die sich in der Folge entwickelt hat, sind in der Arbeit von Hesse mit der Betonung von Ländermitwirkung auf Bundesebene und der Selbstkoordinierung der Länder bereits angelegt. Das danach für den Bundesstaat wesentliche Merkmal der Kooperation wurde an vielen verschiedenen Punkten der bundesstaatlichen Ordnung festgestellt42. Dazu gehörte die Diagnose einer Kompetenzverschiebung zugunsten des Bundes und die Diskussion darum, ob eine zumindest partielle Kompensation der Länder für den Kompetenzverlust durch ihre Beteiligung an einer größeren Zahl von Entscheidungen im Bundesrat möglich und tatsächlich geschehen sei 43 . Hinzu kam die Zusammenarbeit der Länder untereinander in den Bereichen, in denen ihnen eigene Kompetenzen verblieben sind. Prominentestes Beispiel hierfür ist nach wie vor die Kultusministerkonferenz. Eine erhebliche Rolle kam schließlich der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu, die sich am deutlichsten in den neugeschaffenen Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a und b GG und den Finanzierungshilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG zeigt. Zusammenfassend wurde die Ersetzung des Kompetenzföderalismus durch den Beteiligungsföderalismus bzw. der Selbstbestimmung der Länder durch Mitbestimmung konstatiert oder beklagt. Das gesamte System wird mit dem Stichwort „Politikverflechtung" beschrieben 44. Zunehmend gerieten dabei auch die negativen Aspekte dieser Entwicklung in den Blick, die insbesondere im hohen Konsensbedarf gesehen wurden, der zu Problemlösungsdefiziten führe 45 . Das in dieser Zeit populär gewordene Stichwort von der „Politikverflechtungsfalle" war Ausdruck dieser Tendenz. Die Politikverflechtung ist seitdem eine zentrale Kategorie bei der Beschreibung des Föderalismus, auch und gerade nach der Wiedervereinigung 46.

T. F. Schodder, Föderative Gewaltenteilung, passim. Skeptisch hingegen H.H. Rupp, in: FG zum 10-jährigen Jubiläum der Gesellschaft für Rechtspolitik, S. 381 f. 42 Ausführliche Darstellung m. w. N. zum folgenden bei S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 259-317. Vgl. auch D. Hanf,i Bundesstaat ohne Bundesrat, S. 43 ff.; W. Rudolf in: HdbStR IV, § 105. Aus der Anfang der 70er Jahre erschienenen Literatur insbesondere die Monographie von G. Kisker, Kooperation im Bundesstaat. 43

Zu dieser Diskussion etwa K. Hesse, AöR 98, S. 35 ff.; G. Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 294 f.; F. Ossenbühl, AöR 99, S. 419 ff. 44 Grundlegend F. W. Scharpf in: F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung, S. 13 ff. Vgl. zum Ganzen die Darstellung bei S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 319 ff. 4 5 B. Reissert/F. Schnabel, in: F. W. Scharpf u. a., Politikverflechtung, S. 218 ff.; vgl. auch K König, Funktionen und Folgen der Politikverflechtung, in: F.W. Scharpf u. a. (Hrsg.), Politikverflechtung II, S. 78 ff.; FW. Scharpf in: Bundesrat (Hrsg.), Vierzig Jahre Bundesrat, S. 121 ff.; J.J. Hesse/T. Ellwein, Regierungssystem, S. 89; U. Münch, in: R.C. Meier-Walser / G. Hirscher (Hrsg.), Krise und Reform, S. 101. 46 Vgl. z. B. G. Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat, S. 89 ff.; T. König, StWStP 8, S. 135 ff.; R. Lhotta, in: U. Männle (Hrsg.), Föderalismus, S. 83 ff.; R.-O. Schutze, StWStP 2, S. 225 ff.

3 Hanebeck

34

1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Zwar ist seit dem Ende der siebziger Jahre zu beobachten, dass eine gewisse Konsolidierung der bundesstaatlichen Ordnung festgestellt 47 und damit dem Bundesstaat auch eine gewisse Kraft oder Wirkung zugestanden wird 4 8 . Diese, zunächst positiv erscheinende Bilanz, muss aber vor dem Hintergrund einer eher negativen Erwartungshaltung gesehen werden. Neben der großen anfänglichen Skepsis gegenüber der Lebensfähigkeit der als Kunstgebilde empfundenen Länder, gab es die vielfach beschworenen Unitarisierungs- bzw. Zentralisierungstendenzen, was insgesamt dem Bundesstaat keine große, wenn überhaupt eine, Zukunft zu versprechen schien. Die positiveren Beurteilungen beruhen im wesentlichen darauf, dass die Zentralisierung nicht so tiefgreifend ausfiel, wie prophezeit worden war 49 . Es wurde also im Ergebnis nur konstatiert, der Bundesstaat sei lebendiger als erwartet, was, in Anbetracht des Erwartungshorizonts, kein ausnehmend positives Urteil ist. Die positivere Wahrnehmung des Föderalismus war in der öffentlichen Meinung wesentlich stärker ausgeprägt als in der juristischen Behandlung des Themas, bezüglich letzterer kann von einem Umschwung kaum gesprochen werden 50. Dies wird deutlich in der anhaltenden Konzentration auf den Trend zur Unitarisierung bzw. Zentralisierung in weiten Teilen der Staatsrechtslehre 51. Gefordert und legitimiert sei dies durch die „Funktionsbedingungen einer entwickelten arbeitsteiligen Industriegesellschaft" sowie „von der sozialstaatlich induzierten Erwartung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse [ . . . ] und der unitarisierenden Wirkung bundesrechtlich gewährleisteter, unmittelbar geltender Grundrechte" 52. Damit ist ein weiterer zentraler Begriff für das Bundesstaatsverständnis genannt, der die Konzentration auf die gesamtstaatliche Ebene zum Ausdruck bringt, die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" 53. Diese Konzentration auf Kooperation und Einheitlichkeit ist einseitig, weil allein auf die Verfahren der bundesstaatlichen Integration abgestellt wird, nicht auf die rechtlich institutionalisierte Pluralität. Geleistet wird damit im wesentlichen eine Beschreibung bestimmter Phänomene, aber nicht deren Rechtfertigung 54. Die beiden Konzeptionen des unitarischen und kooperativen Bundesstaates und die ihnen zugrunde liegenden Diagnosen sind dennoch nach wie vor bestimmend für das Verständnis des Bundesstaates in Deutschland. Dies schlägt sich auch in der 47

Zusammenfassend S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 326 m. w. N. « Vgl. G. Püttner,, in: K.W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik, S. 75 ff. 4 9 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 326 m. w. N. so G. Püttner, in: K.W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik, S. 78. 4

Vgl. die Zusammenfassung bei S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 327 f. 52 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 187. 53 Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse war nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG a.F. ein Kriterium für die Feststellung eines Bedürfnisses nach bundesgesetzlicher Regelung. Inzwischen stellt Art. 72 Abs. 2 GG auf gleichwertige Lebensverhältnisse ab. Im Text des Grundgesetzes ist die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse noch als ein den Finanzausgleich betreffendes Gebot enthalten, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG. 54 J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 304.

A. Bundesstaat

35

Finanzordnung nieder 55 . Es hat zwar seit Beginn der neunziger Jahre einige neuere Ansätze gegeben, auf die sogleich einzugehen sein wird, aber keiner dieser Ansätze hat bislang eine den beschriebenen Konzeptionen vergleichbare Wirkung oder Zustimmung erreicht. Nach wie vor wird im wesentlichen auf die soeben dargelegten Vorstellungen zurückgegriffen, wenn die bundesstaatliche Ordnung erläutert wird 5 6 . Die Staatsrechtslehre ist über Resses Anfang der sechziger Jahre skizzierten unitarischen Bundesstaat und das darin bereits angelegte Konzept des kooperativen Bundesstaates kaum hinausgelangt57. Die bereits angedeutete Einseitigkeit dieser Konzepte und die darin liegende Abwertung des Bundesstaates zum Hilfsprinzip sind also nach wie vor prägend.

2. Die Entwicklung seit der Wiedervereinigung Bereits Ende der achtziger Jahre wurde konstatiert, der Bundesstaat habe im wissenschaftlichen Schrifttum Konjunktur 58 , was jedenfalls bezüglich des Umfangs der Beschäftigung mit ihm eine zutreffende Beschreibung ist. Zudem erhielten die existierenden Reformvorschläge zur Stärkung der Stellung der Länder im Prozess der Wiedervereinigung erhebliche politische Schubkraft 59. Im Zusammenhang mit den Debatten darüber, wie die gesamtdeutsche Verfassung aussehen solle und den Beratungen der gemeinsamen Verfassungskommission wurde auch intensiv über die bundesstaatliche Ordnung und eventuell nötige Reformen diskutiert 60 . Auch die Entwicklung der europäischen Integration hat zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit für bundesstaatliche bzw. föderale Strukturen geführt, sowohl hinsichtlich der Ausbildung solcher Strukturen auf europäischer Ebene61 als auch der 55

I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 131 f. Vgl. die Darstellung in verschiedenen Lehrbüchern: H. Maurer, Staatsrecht, § 10, Rn. 55 ff. und 73 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 223 ff.; A. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1452 ff. und 1490 ff.; C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 107; /. v.MüncK Staatsrecht I, Rn. 598 ff. Ebenso in der Kommentarliteratur: M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 57 f.; K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 31 und 44 ff.; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 18. 57 R. Lhotta, Der Staat 36, S. 199; S. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 255. 56

58

W. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 15. 59 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 362. 60

Vgl. die Zusammenfassung bei S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 363 ff. Vgl. die Beiträge in C. Joerges u. a. (Hrsg.), What kind of Constitution, ein Sammelband als Antwort auf die Rede von Joschka Fischer „Vom Staatenverbund zur Föderation Gedanken über die Finalität der europäischen Integration", die dort ebenfalls abgedruckt ist. Außerdem aus der Literatur seit 1998 etwa S. Oeter, in: A. v.Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 59 ff.; M. Kotzur, JöR 50, S. 263 ff.; M. Zuleeg, NJW 2000, S. 2846 ff.; B. Martenczuk, Europarecht 35, S. 351 ff.; W. Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäischer Föderalismus; A. v.Bogdandy, Supranationaler Föderalismus; H. Laufer/T. Fischer, Föderalismus als Strukturprinzip. Aus der Zeit davor etwa F. W. Scharpf Optionen des Föderalismus; T. Groß, JZ 1994, S. 596 ff.; K. Lenaerts, The American Journal of Comparative Law 38, S. 205 ff. 61

3*

36

1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Auswirkungen auf den Föderalismus in den Mitgliedstaaten62. Zudem ist z. B. in Belgien mit der Verfassung von 1994 ein Bundesstaat geschaffen worden 63 , in Großbritannien gibt es mit der sogenannten „Devolution " eine erhebliche Aufwertung der Regionen, insbesondere Schottlands64, die Vereinbarungen von Dayton für das ehemalige Jugoslawien bemühen föderative Strukturen 65 und schließlich wird erneut 66 über eine „föderale Weltrepublik" 67 oder eine „Weltföderation" 68 nachgedacht. Fortgesetzt und zugespitzt haben sich zudem Ende der neunziger Jahre Konflikte über den Finanzausgleich, die ebenfalls zu einer intensiveren Debatte über Grundsätze des Bundesstaates geführt haben69. Im Ergebnis kann festgestellt werden, das Bundesstaatsprinzip habe am Ende des 20. Jahrhunderts an Ansehen, jedenfalls an Beachtung, gewonnen70. Diese Renaissance des Bundesstaatsprinzips, die jedenfalls eine Renaissance bezogen auf den Umfang der Beschäftigung mit dem Thema ist, hat auch neuere Ansätzen der theoretisch-konstruktiven Erfassung des Bundesstaates hervorgebracht. Dazu gehören zum einen die gemischte Bundesstaatstheorie und die unter dem Stichwort „Wettbewerbsföderalismus" geführte Debatte (a). Zum anderen sind gewisse Tendenzen einer Neuorientierung feststellbar (b).

Zum Verständnis des Europäischen Parlaments im Rahmen des als „Exekutivföderalismus" bezeichneten institutionellen Umfeldes P. Dann, Der Staat 42, S. 355 ff. 62 Vgl. die Referate von M. Hilf, T. Stein, M. Schweitzer und D. Schindler zum Thema: Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz, VVDStRL 53; /. Pernice, DVB1. 1993, S. 909 ff. 63 Vgl. D. Hanf Bundesstaat ohne Bundesrat, S. 95 ff.; D. Kugelmann, in: FS W. Rudolf, S. 158. 64 Dazu C. Jeffery, in: G.-J. Glaeßner u. a. (Hrsg.), Verfassungspolitik, S. 130 ff.; R. Sturm, in: W. Ismayr (Hrsg.), Die politischen Systeme Westeuropas, S. 219 f.; R. Grote, ZaöRV 58, S. 109 ff. 65 Die Republik Bosnien-Herzegowina als Gesamtstaat besteht aus den Gebietsbestandteilen der Föderation Bosnien- Herzegowina und der Republik Serbien, vgl. zum Vertragswerk O. Dörr, AVR 35, S. 129 ff. Zum Föderalismus in Jugoslawien vor dem Auseinanderbrechen vgl. M. Beckmann-Petey, Der jugoslawische Föderalismus. 66 Beispielsweise FA. v.Hayek, Weg zur Knechtschaft, S. 235 f. und 238 f. verweist in dem 1944 entstandenen Buch auf die Vorzüge einer Föderation für die Gestaltung einer internationalen Ordnung. Danach ist der Föderalismus „die einzige bis jetzt gefundene Methode für friedliche internationale Veränderungen", ebd. S. 235. 67 So O. Höffe, Demokratie, im mit „Subsidiäre und föderale Weltrepublik" überschriebenen zweiten Teil des Buches, S. 226 ff. 68 Vgl. S. Oeter, in: H. Brunkhorst/M. Kettner (Hrsg.), Globalisierung und Demokratie, S. 208 ff. 69 Vgl. nur die zu diesem Thema innerhalb weniger Jahre erschienenen Monographien von J. W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich; /. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung; A. Jörg, Finanz Verfassung; S. Korioth, Finanzausgleich; U. Hüde, Finanzausgleich. 70

E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 1.

A. Bundesstaat a) Gemischte Bundesstaatstheorie

37

und Wettbewerbsföderalismus

Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es Versuche, mittels einer sogenannten „gemischten Bundesstaatstheorie" 71 den Bundesstaat nicht auf eine einzige „reine" Theorie festzulegen, sondern mittels einer „Konkordanz der Legitimationstypen" 7 2 verschiedene Aspekte zusammenzuführen. Wesentliche Schwäche ist die daraus resultierende Beliebigkeit. Die Aussagekraft der verschiedenen Theoriekomponenten schwindet mit der Folge, dass zwar insgesamt viel enthalten und angedeutet ist, Schlussfolgerungen aber kaum noch möglich sind 7 3 . Ein zweiter Ansatz ist mit dem Stichwort „Wettbewerbsföderalismus" 74 gekennzeichnet 75 . Die Begründungen sind bisher vor allem ökonomischer bzw. finanzwissenschaftlicher Natur 7 6 , berufen sich i m wesentlichen auf eine überlegene Problemlösungsfähigkeit des Föderalismus 77 bzw. beruhen auf einer Analyse der Defizite des kooperativen Föderalismus 78 . Wo in der Verfassung Anknüpfungspunkte für ein (stärker) wettbewerbsorientiertes Verständnis des Bundesstaates bestehen sollen, wird dabei jedoch nicht angesprochen 79 . Teilweise wird in der 71 So zuerst, noch kurz vor der Wiedervereinigung, P. Häberle, Redebeitrag, in: VVDStRL 46, S. 148 f.; vgl. auch ders., Die Verwaltung 24, S. 183 ff.; ders., AöR 124, S. 553 ff., wo nicht mehr von einer Theorie, sondern von einem gemischten Bundesstaatsverständnis die Rede ist. Zudem wird die kulturelle Vielfalt als Legitimationsgrund des Föderalismus in Deutschland betont, ebd., S. 556 f. 7 2 J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 312. 7 3 Vgl. H Bauer, Bundestreue, S. 227; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 9. 74 Inzwischen wird als Weiterentwicklung in Anlehnung an das Modell der sozialen Marktwirtschaft ein „solidarischer Wettbewerbsföderalismus" vorgeschlagen, Bertelsmann Kommission „Verfassungspolitik und Regierungsfähigkeit", Entflechtung 2005, S. 8. 75 Zur Geschichte des Begriffs Wettbewerbsföderalismus H. Schatz / R.Chr. v.Ooyen / S. Werthes, Wettbewerbsföderalismus, S. 15 ff., zur „Karriere" des Begriffs in der Presse im Vorfeld der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Länderfinanzausgleich - BVerfGE 101, 158 - ebd., S. 22 f.

™ Z. B. A. Ottnad/E. Linnartz, Föderaler Wettbewerb; G.F. Schuppen, StWStP 4, S. 32 f. m. w. N. Zur ökonomischen Theorie des Föderalismus (Fiscal Federalism) vgl. I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 137 ff. und K. Vogel/C Waldhoff\ in: BK, Vörbem. z. Art. 104a - 115, Rn. 24-28. Kritisch zu den ökonomischen Überlegungen H. Schatz/R.Chr. v.Ooyen/S. Werthes, Wettbewerbsföderalismus, S. 41 ff. 77 So C. Callies, DÖV 1997, S. 891 f.; vgl. auch die Argumentationsansätze zur Neubewertung der Subsidiarität bei S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 545 ff. (Chaostheorie und Selbstorganisation komplexer Systeme); S. 549 ff. (Autopoiesis und ,Bounded Rationality'); S. 553 ff. (Hayeks Konzept der 'spontanen Ordnungen' und die Ansätze der Neuen Institutionenökonomik). 78 Vgl. zusammenfassend I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 134; E. SchmidtJortzig, DÖV 1998, S. 746 ff., H. Klatt, Aus Politik und Zeitgeschichte, 31/1982, S. 8 ff.; P. Häberle, AöR 124, S. 536, der aber den Wettbewerb „nicht zu sehr" akzentuiert sehen möchte. 7 9 Vgl. z. B. C. Callies, DÖV 1997, S. 891 f., der zwar nach dem Rechtfertigungsgrund eines Wettbewerbsmodells fragt, den Grund dann aber in einer größeren Problemlösungskompetenz sieht und nicht nachweist, wo in der Verfassung Anknüpfungspunkte für ein solches

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahre 1994 eine Stärkung des Wettbewerbsgedankens gesehen, allerdings nur auf das Kompetenzgefüge bezogen und in die Homogenitätsklausel des Art. 72 Abs. 2 eingebettet80. Konsequenterweise beschränken sich die Forderungen im wesentlichen darauf, dass die Länder ihre bestehenden „Handlungsspielräume innovativ, selbstbewusst und offensiv" nutzen sollen 81 und es werden Änderungen des Verfassungsrechts vorgeschlagen 82 . Als Voraussetzung für Wettbewerb müssten die Verantwortlichkeiten stärker getrennt und die Kooperation verringert werden, sowie die Länder mehr finanzielle Eigenverantwortung bekommen83. Angesichts dieses, vor allem verfassungspolitischen Charakters der mit dem Stichwort Wettbewerbsföderalismus verbundenen Forderungen bereits von einem Wandel des Bundesstaatsverständnisses zu sprechen 84, erscheint, auch angesichts vieler ablehnender Reaktionen85, übertrieben, auch wenn Ansätze zu einem informellen Wandel in Richtung auf mehr Wettbewerb zu verzeichnen sind 86 . Die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung bleibt abzuwarten. Der Wettbewerbsföderalismus ist bisher im wesentlichen Gegenstand einer Debatte um mögliche Reformen des Bundesstaates. Eine am geltenden Verfassungsrecht ansetzende Begründung für ein mehr am Wettbewerb zwischen den Ländern orientiertes Verständnis des grundgesetzlichen Bundesstaates steht hingegen noch aus.

Modell bestehen. Vielmehr bestehen nach seiner Auffassung die für ein Wettbewerbsmodell nötigen verfassungsrechtlichen Handlungsspielräume gerade nicht, ebd., S. 893. so W. Hertel, ZRP 2000, S. 387. 81 E. Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S. 749, der diese Forderung interessanterweise zu seiner Zeit als Bundesminister an die Länder richtete. Ähnlich H. Klatt, Aus Politik und Zeitgeschichte, 31 /1982, S. 22 f. 82 Nach H. Klatt, in: H.-G. Wehling (Hrsg.), Die deutschen Länder, S. 14 setzt Wettbewerbsföderalismus sogar eine „institutionelle Totalreform" voraus. Vorschläge für Verfassungsänderungen auch bei E. Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S. 750; H. Klatt, Aus Politik und Zeitgeschichte, 31 /1982, S. 16 ff.; Reformvorschläge mit Blick auf eine Verbesserung demokratischer Repräsentation im Bundesstaat bei K. Rennert, Der Staat 32, S. 269 ff. Vgl. auch die Nachweise bei H Bauer, DÖV 2002, S. 844. Zu den Vorschlägen zur Änderung der Finanzverfassung im Hinblick auf eine Stärkung der Länderautonomie K. Vogel/C. Waldhoff, in: BK, Vorbem. z. Art. 104a-115, Rn. 263-266 m. w. N. 83

/. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 133. Ähnlich R. Sturm, Föderalismus,

S. 51. 84

So /. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 132 ff. Kritisch z. B. U. Hüde, Finanzausgleich, S. 317 ff.; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 164 ff.; H.-R Bull, DÖV 1999, S. 273 ff.; J-P. Schneider, Der Staat 40, S. 281 ff. und 287 ff. Skeptisch auch C. Heitsch, Ausführung der Bundesgesetze, S. 14 f.; L: Osterloh, EuGRZ 2002, S. 313; H Bauer, in: HdbStR I, § 14, Rn. 114. Vgl. auch die Diskussion zum Steuerwettbewerb in der Schweiz in den bei U. Wagschal /H. Rentsch (Hrsg.), Preis des Föderalismus, erschienenen Beiträgen von K Schiltknecht, S. 119 ff.; R. Strahm, S. 135 ff., L. Feld, S. 151 ff. und R. Eichenberger, S. 177 ff. 86 Vgl. C. Jeffery, in: G.-J. Glaeßner u. a. (Hrsg.), Verfassungspolitik und Verfassungswandel, S. 136 ff. 85

A. Bundesstaat

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b) Ansätze einer Neuorientierung Vor allem in einigen monographischen Bearbeitungen bundesstaatlicher Fragestellungen zeigen sich Tendenzen einer vorsichtigen Hinterfragung und Infragestellung überkommener Kategorien der Beschreibung und Erfassung des Bundesstaates und einer vorsichtigen Neuorientierung. Zu nennen ist zunächst die Arbeit von Hartmut Bauer über die Bundestreue 87. In Anknüpfung an eine Bemerkung von Klaus Stern sieht er die „bundesstaatliche Idee" verwirklicht „in einem Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander, welche die verfehlten Formeln von Gleichordnung, Überordnung und Unterordnung abzulösen" habe88. Geeignet, um dieses Beziehungsgeflecht mittels rechtsdogmatischer Kategorien zu erfassen, sei die Rechtsverhältnislehre 89. Abgelöst werden soll also richtigerweise ein stark auf hierarchische Einordnungen und Strukturen abzielendes Bundesstaatsverständnis. Daneben wird der, insbesondere im Zusammenhang mit der Bundestreue, verbreitete Rückgriff auf ein bündisches Prinzip oder das Wesen des Bündnisses überzeugend kritisiert 90 . An der Doppelstaatlichkeit im Bundesstaat und damit der Staatsqualität der Länder hält Bauer jedoch fest 91 . Bereits die Redeweise von der „bundesstaatlichen Idee" zeigt zudem an, dass hier auf abstrakte Erwägungen zurückgegriffen wird, die nicht hinreichend am geltenden Verfassungsrecht anknüpfen 92. Es lassen sich zwar im Grundgesetz viele Anknüpfungspunkte für ein Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander von Bund und Ländern finden 93 , weshalb darin der entscheidende Grundgedanke der grundgesetzlichen Regelung zu finden sein soll, ist damit aber noch nicht erklärt. Ein Beispiel ist die Formulierung von Bauer, die Normen zur Kompetenzabgrenzung „können als Ausdruck eines Nebeneinander von Bund und Ländern gewertet werden" 94 , in der bereits die eigene Wortwahl zeigt, dass dies lediglich eine Möglichkeit der Weitung ist. Aus dieser Möglichkeit kann jedenfalls nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass dieses Nebeneinander ein wesentlicher Grundgedanke der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes sei. Es fehlt also letztlich die normative Absicherung und Begründung für die Verwendung dieser „bundesstaatlichen Idee". Darüber hinaus mag die Rechtsverhältnislehre als rechtsdogmatische Kategorie für die von Bauer untersuchte Bundestreue Erkenntnis87 Die Bundestreue. Zugleich ein Beitrag zur Dogmatik des Bundesstaatsrechts und zur Rechtsverhältnislehre (1992). 88 H. Bauer, Bundestreue, S. 266. 89 H. Bauer, Bundestreue, S. 269 f. und 278 ff. 90 H. Bauer., Bundestreue, S. 228 ff.

91 H. Bauer, Bundestreue, S. 282. 92 Vgl. die Kritik von S. Korioth, Finanzausgleich, S. 94 f., der Bauer vorwirft, er lasse Theoreme der Staatslehre als „Zauberformer' in rechtsdogmatische Ordnungskategorien einfließen. 93 Vgl. hierzu im einzelnen die Nachweise bei H. Bauer, Bundestreue, S. 266-268. 94 H. Bauer, Bundestreue, S. 266.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

gewinn ermöglichen, weil die Rechte und Pflichten der beteiligten Subjekte Bund und Länder damit beschrieben werden können. Aus der so bezeichneten bundesstaatlichen Idee mehr als sehr abstrakte Beschreibungen zu gewinnen, ist aber kaum möglich, da sie alle Möglichkeiten des gegenseitigen Verhaltens scheinbar gleichberechtigt beinhaltet. Ob es innerhalb des Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander Schwerpunkte gibt, oder ob Kriterien für eine Gewichtung oder Bewertung existieren, bleibt unklar. Bezeichnend ist folgende Beschreibung: „Kooperation, Koordination, solidarische Verbundenheit, ständige Fühlungnahme in wechselseitiger Achtung und Rücksichtnahme, aber auch (temporäre) Bereitschaft zu Konflikt und Konfrontation mit der Perspektive auf eine Streitbeilegung in den hierfür rechtlich vorgesehenen oder zugelassenen Verfahren und die Gewissheit rechtlicher Individualität sowie unabgeleiteter Eigenständigkeit sind wesentliche Merkmale des bundesstaatlichen Grundverhältnisses, die durch den alles überwölbenden Willen zur bundesstaatlichen Gemeinschaft gebündelt werden." 95 . Neben fehlender normativer Grundlage ist also auch die Aussagekraft, jedenfalls über den Bereich der Bundestreue hinaus, gering. Von Edin Sarcevic 96 wird zwischen Bundesstaatsbegriff und Bundesstaatsprinzip getrennt. Der Bundesstaatsbegriff konstituiert demnach keine Rechte und Pflichten, sondern sei vorrangig „erklärende Gedankenhilfe". Das Bundesstaatsprinzip hingegen könne als eine Norm interpretiert werden 97. Er schlägt vor, die Elemente des Bundesstaatsbegriffs aus drei Axiomen zu bilden: Staatseinheit (Homogenitätspostulat), Staatsqualität von Gesamtstaat und Gliedstaat (Doppelstaatlichkeitspostulat) und Nebeneinander von Verfassungsräumen des Bundes und der Länder (Organisationshoheitspostulat)98. Das Bundesstaatsprinzip wird demgegenüber als dem ungeschriebenen Verfassungsrecht angehörig betrachtet 99. Es könne nicht deduktiv aus dem Begriff „Bundesstaat" in Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitet, sondern nur bündelnd als Sammelbezeichnung für das bereits in den einzelnen bundesstaatlichen Geboten Enthaltene verwendet werden 100 . Die von Sarcevic ausgemachten sechs „bundesstaatlichen Verfassungsgebote" sind 101 : Doppelstaatlichkeit 1 0 2 , Mitwirkung der Gliedstaaten an der Willensbildung des Gesamtstaates103, Homogenität im Inneren 104 , Einheit nach außen 105 , ein Rang Verhältnis zwischen 95 H. Bauer, Bundestreue, S. 305. 96 Das Bundesstaatsprinzip. Eine staatsrechtliche Untersuchung zur Dogmatik der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes. 97 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 54 und 256. 98 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 33 und 35. 99 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 130 f. 100 101 102 103 104 105

E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 110 f. und 227. Zusammenfassend E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 251. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 230 ff. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 234 ff. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 237 ff. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 240 ff.

A. Bundesstaat

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Bundes- und Landesrecht 106 und schließlich Kooperation 107 . Dieser Ansatz weist insofern in die richtige Richtung, als nicht allgemein von Begriffen oder Anleihen aus der Staatslehre, sondern von konkreten Regelungen in der Verfassung ausgehend versucht wird, den Bundesstaat zu erfassen. Trotz dieses Ansatzes werden im Ergebnis bundesstaatliche Verfassungsgebote auch hier mehr vorausgesetzt, als dass sie aus dem Grundgesetz gewonnen würden 108 und sie enthalten mit der Doppelstaatlichkeit weiterhin eine der zentralen abstrakten Kategorien des deutschen Bundesstaatsrechts. Inzwischen werden diese Kategorien vereinzelt auch in Frage gestellt. In seiner Arbeit über den Finanzausgleich hält Stefan Korioth 109 die Begriffe Staat(lichkeit), Bund und Souveränität in der Dogmatik des Bundesstaatsrechts für eher störend als weiterführend 110. Ob den Ländern Staatsqualität zukommt, hält er für unklar 111 . Stattdessen sieht er ein „duplex regimen", die Existenz zweier Entscheidungszentren, als Kernpunkt bundesstaatlicher Ordnung, weil dies in allen föderativen Verfassungsordnungen und Bundesstaatslehren seinen Niederschlag gefunden habe 112 . Thema der bundesstaatlichen Verfassung sei, wie sich die Entscheidungszentren zueinander verhalten 113 , und die Strukturelemente bundesstaatlicher Ordnung, die sich nach Korioth in jeder bundesstaatlichen Ordnung nachweisen lassen, werden als bundesstaatliche Freiheit, Gleichheit, Solidarität und kooperative Einheit bezeichnet 114 . Betont wird, dass für die Bestimmung der Ziele und Funktionen des Finanzausgleichs möglichst alle Elemente bundesstaatlicher Ordnung zu berücksichtigen und eine Balance zu ermöglichen sei 115 . Auch dieser Ansatz hat seinen Ausgangspunkt jedoch außerhalb des Grundgesetzes, in dem, was Korioth als allen bundesstaatlichen Ordnungen gemeinsam betrachtet. An die Ablehnung des hierarchisierenden Bundesstaatsverständnisses bei Bauer und die zentrale Rolle des Verhältnisses der beiden Entscheidungszentren bei Korioth knüpft Christian Heitsch in seiner Arbeit über die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder an 1 1 6 . In der Folge werden die fünf Elemente, die für ihn den Bundesstaat charakterisieren 117, unter ausdrücklicher Distanzierung von einer 106

E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 243 ff. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 247 ff. 108 Zur Kritik am Ansatz von Sarcevic vgl. unter Kapitel 1 A II 1 b bb, Text zu Fn. 210-218. 109 Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (1997). no s. Korioth, Finanzausgleich, S. 93 f. Ähnlich bereits U. Scheuner, DÖV 1962, S. 641 f. 107

m S. Korioth, h 2 S. Korioth, 113 5. Korioth, 114 S. Korioth, us S. Korioth, 116 C. Heitsch,

Finanzausgleich, S. 93. Finanzausgleich, S. 96. Finanzausgleich, S. 96. Finanzausgleich, S. 97. Finanzausgleich, S. 98. Ausführung der Bundesgesetze, S. 15 f.

117 Die fünf Elemente sind die territoriale Gliederung des Staates (1), die Autonomie der Glieder (2), die Mitwirkung der Glieder an der Willensbildung des Bundes (3), die Garantie

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Herleitung aus der Staatlichkeit der Länder kurz bestimmten Normen des Grundgesetzes zugeordnet 118. Die Staatlichkeit wird so in den Hintergrund gedrängt, aber noch „ergänzend" herangezogen 119. Bereits früher hat H.J. Pützer eine Landesorganisationshoheit ohne Rückgriff auf die Staatlichkeit aus dem Grundgesetz heraus begründet 120 und die Frage nach der Staatlichkeit der Länder im allgemeinen dahinstehen lassen 121 . Keine neue Bundesstaatslehre entwickeln will Stefan Oeter 122, das Erkenntnisinteresse seiner Arbeit liegt im Herausarbeiten der in großen Teilen unbewussten bzw. unreflektierten bundesstaatstheoretischen Grundannahmen der Bundesstaatsrechtsdogmatik in Deutschland123. Überzeugend wird dargelegt, dass diese Grundannahmen durch ein zutiefst unitarisches, am Ideal der Rechtseinheit orientiertes Vorverständnis geprägt sind, ohne dass über diese Grundannahmen offen diskutiert würde 124 . Deutlich wird dabei eine wesentlich weniger unitarische Position Oeters 125. Kritisiert wird insbesondere, dass die bundesrepublikanische Staatsrechtslehre nach wie vor zu einer theoretischen Ableitung des Bundesstaates aus dem Souveränitätsbegriff tendiert 126 . Der Bundesstaat beruht hingegen nach seiner Ansicht auf der Selbstbestimmung der durch historische Prozesse in staatlichen Einheiten zu eigenen Gemeinwesen verfassten Bevölkerungsgruppen 127. Gemeinsam ist allen diesen Ansätzen eine vorsichtige aber begrüßenswerte Neuorientierung, die bei aller Unterschiedlichkeit weg von einem hierarchischen Bundesstaatsverständnis und der Deduktion aus abstrakten Begriffen 128 , hin zu einer unmittelbareren Orientierung am Grundgesetz geht. Dieser vorsichtigen Neuorientierung steht der nach wie vor fast vollständige Konsens hinsichtlich der zentralen Bedeutung bestimmter abstrakter Begriffe für Konstruktion und Verständnis der der ersten drei Elemente in Art. 79 Abs. 3 (4) und die Existenz eines organisatorischen Konfliktlösungsmechanismus, insbesondere durch gerichtliche Entscheidung föderaler Streitigkeiten (5), C. Heitsch, Ausführung der Bundesgesetze, S. 95. 118 C. Heitsch, Ausführung der Bundesgesetze, S. 94 if. Zur Länderstaatlichkeit etwa C. Heitsch, Ausführung der Bundesgesetze, S. 98 f. 120 HJ. Pützer, Landesorganisationshoheit, zusammenfassend S. 340 und 401, zum Begriff der Landesorganisationshoheit S. 184. 121 H.J. Pützer, Landesorganisationshoheit, S. 263 f. 122 Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht (1998), S. 573. m S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 12. 124 s. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 9, ausführlicher S. 381 ff. und S. 393 ff. 125

Vgl. nur die Kritik an der Rechtseinheit als Leitbild der Bundesstaatslehre, S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 532 ff. Siehe auch die Besprechung der Arbeiten von Oeter und Korioth von S. Ruppert, RJ 18, S. 50 ff. ™ S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 381 ff. * 27 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 574. 128 Grundsätzlich skeptisch gegenüber der Tauglichkeit „hergebrachter Elemente des staatswissenschaftlichen ,Begriffsnetzes' wie Staat, Bundesstaat, Staatenbund, Souveränität" R. Lhotta, Der Staat 36, S. 192 ff. Vgl. auch C. Möllers, Staat als Argument, S. 350 ff.

A. Bundesstaat

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bundesstaatlichen Ordnung gegenüber. Dieser begriffliche Konsens ist i m Folgenden genauer darzulegen.

3. Begrifflicher Konsens - Doppelstaatlichkeit als Zentralbegriff des Bundesstaatsrechts Trotz der geschilderten Tendenzen einer Neuorientierung herrscht über die zentrale Bedeutung bestimmter Begriffe fast völliger Konsens. Die Begriffe „Souverän i t ä t " 1 2 9 und vor allem „Staat(lichkeit)" 1 3 0 spielen für die Interpretation des Bundesstaatsprinzips des Grundgesetzes seit dem Inkrafttreten der Verfassung die entscheidende R o l l e 1 3 1 . Die Begriffe „Staat" und/oder „Staatlichkeit" sind Teil praktisch jeden Versuchs, die konkrete bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zu bestimmen. Der Bundesstaat wird überwiegend erläutert als „eine durch die Verfassung des Gesamtstaates geformte staatsrechtliche Verbindung von Staaten in der Weise, dass die Teilnehmer Staaten bleiben oder sind (Gliedstaaten), aber auch der organisierte Staatenverband selbst (Gesamtstaat) die Qualität eines Staates bes i t z t " 1 3 2 . Diese Charakterisierung erfolgt regelmäßig i m Rahmen oder i m Anschluss an eine Abgrenzung des Bundesstaates zu den Staatstypen des Staatenbun129 Darauf wird wesentlich abgestellt bei A. Jörg, Finanzverfassung, S. 23 ff.; B. Kahl, Der Staat 33, S. 242 f. Nach A. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1467 ist entscheidend, dass „mit der Verleihung der Staatsqualität die aus dem Souveränitätsprinzip fließenden rechtlichen Konsequenzen auf die Gliedstaaten anwendbar werden." Zur zentralen Bedeutung von Souveränität für Bleckmann vgl. auch unten Kapitel 3 B, Text zu Fn. 466-468. Für F. Hufen, BayVBl. 1987, S. 516 f. ist das „Hauptanliegen des Bundesstaats: Herstellung einer geteilten und zugleich gestuften Souveränität". Ebenso hinsichtlich der Souveränität H.-P. Schneider, in: A. Klönne u. a. (Hrsg.), Lebendige Verfassung, S. 94 und 96. Ausführlich erörtert wird die Frage, wer im Bundesstaat souverän ist von O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26, Rn. 15 ff. Zusammenfassend zur nach wie vor verbreiteten Ableitung des Bundesstaates aus dem Souveränitätsbegriff 5. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 381 ff. 130

Dabei geht es um die Staatlichkeit der Länder. Mit ausführlicher Begründung S. Storr, Verfassunggebung in den Ländern, S. 58 ff. Vgl. auch T. Maunz, in: HdbStR IV, § 94, Rn. 1 ff.; H Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 23; M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 65; W. Pauly, Weisungen, S. 69 ff.; U. Barsche/, Staatsqualität, passim. 131 Weitaus weniger bedeutsam ist die Bezugnahme auf „Bund" oder ein „bündisches Prinzip". Das BVerfG spricht teilweise vom „Bündnis", BVerfGE 1, 299 (315) oder vom „bündischen Prinzip", BVerfGE 72, 330 (396). Vgl. auch die Begründung der Bundestreue aus derartigen Erwägungen bei H.-W. Bayer, Bundestreue, S. 45. Grundsätzlicher auf das „bündische Prinzip" zurückgreifend J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 234 ff. Ein „bündisches Prinzip" wird als wesentlicher Teil der Finanzverfassung angesehen von K. Vogel / C. Waldhoff,; in: BK, Vorbem. z. Art. 104a-115, Rn. 60 ff. 132 So zusammenfassend H Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 19, der wiederum auf eine Formulierung von Klaus Stern Bezug nimmt, vgl. K. Stern, Staatsrecht I, § 19 I 1 a, S. 644 f. m. w. N. Praktisch identisch beispielsweise M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 55; HB. Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 20, Rn. 4; O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26, Rn. 5 - 9 ; H.-J. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 2; C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn 99; A. Katz, Staatsrecht, Rn. 243.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

des und des Zentralstaates 133 . Voraussetzung eines Bundesstaates ist demnach also Staatlichkeit sowohl bei den Gliedstaaten als auch beim B u n d 1 3 4 . Dies gilt auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Zentraler Teil des Status der Länder ist danach ihre Staatsqualität 135 . Sie haben, so das Gericht, i m Unterschied zu Gebietskörperschaften dezentraler Einheitsstaaten 136 , eigene, nicht vom Bund abgeleitete, sondern von ihm lediglich anerkannte staatliche Hoheitsm a c h t 1 3 7 . In der Staatsqualität sowohl des Bundes als auch der Länder komme das „Eigentümliche des Bundesstaates" zum A u s d r u c k 1 3 8 . Insgesamt ist die Auseinandersetzung mit dem Bundesstaat in Rechtsprechung und Literatur geprägt von der Eigenstaatlichkeit von Bund und Ländern 1 3 9 . 133

H.J. Boehl, Verfassunggebung im Bundesstaat, S. 135 f. m. w. N.; M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 55; H.-J. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 2; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 4 ff.; T. Maunz, in: HdbStR IV, § 94, Rn. 1; A. Katz, Staatsrecht, Rn. 240; I. v.Münch, Staatsrecht I, Rn. 483 f.; T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 106 f.; E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, § 13 I, S. 107; H. Kremer/A. Leisner, Staatsorganisationsrecht, § 8, Rn. 2 ff.; U. Battis/C. Gusy, Staatsrecht, Rn. 141. Vgl. auch H Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 26. 134 So die ganz herrschende Meinung zusammenfassend C. Möllers, Staat als Argument, S. 350. Ebenso K. Schmalenbach, Föderalismus und Unitarismus, S. 4; P. Unruh, Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, S. 559 ff. Vgl. auch die Feststellung von A. v. Mutius / T. Friedrich, StWStP 2, S. 247, es bestehe „kein Zweifel", dass das Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes von doppelter Staatlichkeit ausgeht. Für J. Isensee, in: FS 50 Jahre BVerfG II, S. 719 ist dies sogar die „begriffliche Gemeinsamkeit", die der deutsche Bundesstaat „mit den übrigen Bundesstaaten der Erde" teilt. Erdumspannende begriffliche Gemeinsamkeiten scheitern jedoch bereits daran, dass, um nur zwei Sprachen zu vergleichen, mit den Worten „Staat" im Deutschen und „State" im Englischen sehr unterschiedliche Verständnisse verbunden sind. Deutlich wird dies etwa daran, dass die deutsche Bezeichnung „Staatslehre" als „political science" übersetzt wird. Die Ausrichtung der politischen Theorie auf den Staat ist ein kontinentaleuropäisches Phänomen, im angloamerikanischen Raum ist eher der Begriff des „government" zentral, vgl. P Zumbansen, Ordnungsmuster, S. 49 mit Fn. 44. „Während in Kontinentaleuropa die Staatszentriertheit auch noch der Gesellschaftstheorie gewissermaßen seit Machiavelli über Hegel bis zu Max Weber ungebrochen sich durchzieht, ist in der angloamerikanischen Tradition der Staat als Gegenstand gesellschaftstheoretischer Analyse nahezu verloren gegangen", H. Willke, Ironie des Staates, S. 120. Ausführlich zur unterschiedlichen Bedeutung von Staat in Kontinentaleuropa und England bereits G. Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, S. 206 ff. Grdsl. zu den Problemen der Rechtsvergleichung, insbesondere der Wahrnehmung fremden Rechts vom eigenen Standpunkt aus, G. Frankenberg, in: ders., Autorität und Integration, S. 299 ff. 135 BVerfGE 87, 181 (196); 86, 148 (214); 81, 310 (334); 72, 330 (385 f.); 60, 175 (207 f.); 36, 342 (360 f.); 34, 9 (19); 14, 221 (324); 12, 205 (255) 6, 309 (346 f.); 1, 14 (34). Vgl. auch J. Aishut, Staat in der Rechtsprechung, S. 128, der vom „stets abgelegten Bekenntnis" des Gerichts zur Staatlichkeit der Länder spricht, aber zu Recht auch darauf verweist, dass die staatliche Einheit von Bund und Ländern in der Rechtsprechung eine wesentliche Rolle spielt, etwa ebd., S. 125. Zu Zentralisierungstendenzen in der Rechtsprechung vgl. auch unter Kapitel 2 A I 2, S. 106 ff. 136 BVerfGE 34, 9 (19). 137 BVerfGE 1, 14 (34); 60, 175 (207). 138 BVerfGE 36, 342 (360 f.). 139 jj. Berlit, Ländervermögen, S. 25.

A. Bundesstaat

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Es ist bisher auch praktisch nicht gelungen, sich von diesen abstrakten Begriffen zu lösen. So wird zwar teilweise der Begriff der Souveränität für nicht entscheidend gehalten, was aber vielfach nur dazu führt, dass mit der Staatlichkeit einer der übrigen aufgeführten Begriffe für maßgeblich erachtet w i r d 1 4 0 . Daneben wird verschiedentlich auch der Begriff der Staatlichkeit modifiziert angewandt, jedoch ebenfalls ohne sich davon zu lösen. Die Länder haben demnach „bei voller Staatlichkeit eine Staatlichkeit besonderer A r t " 1 4 1 . Auch soweit die Schwächen von aus dem Völkerrecht oder der allgemeinen Staatslehre stammenden Begriffen erörtert w e r d e n 1 4 2 , folgt daraus lediglich eine Modifikation des Staatsbegriffs, es gehe um „Staatlichkeit i m Sinne des Grundgesetzes" 143 . Skepsis gegenüber der Staatlichkeit der Länder wird lediglich angedeutet 1 4 4 oder führt zu einer Modifizierung, nicht aber zu einer Verabschiedung 145 des Begriffs „Staat(lichkeit)" 1 4 6 , dem zumindest

140 Beispielsweise hält W. Graf Vitzthum, VVDStRL 46, S. 17, Fn. 37 die Souveränitätsfrage nicht für entscheidend, heute gehe es um die Staatlichkeit der Länder. Ähnlich R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 4 ff. C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 99. Von F. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 10 wird die Souveränität als Kriterium abgelehnt, ebd., Rn. 12 aber auf die Eigenstaatlichkeit der Länder Bezug genommen. Für M. Niedobitek, Recht der grenzüberschreitenden Verträge, S. 179, sind die Länder Staaten im Sinne der Bundesverfassung, nicht aber souveräne Staaten im Sinne des Völkerrechts. G. Roellecke, in: Umbach / Clemens, GG, Art. 20, Rn. 7 hält Souveränität nicht für ein Merkmal der Staatsgewalt und deshalb sei es dem Bundesverfassungsgericht möglich geworden, die Länder als Staaten zu bezeichnen. Deutliche Distanz zu Souveränität und Staatlichkeit bei H. Bauer, Bundestreue, S. 266 ff., der für die Dogmatik des Bundesstaatsrechts entscheidend auf die Rechtsverhältnislehre abstellt, vgl. dazu unter Kapitel 1 A II, S. 39 ff. Zur impliziten Anknüpfung an die Laband-Schule und deren begriffslogische Verortung der Souveränität beim Bund vgl. S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 235. 141 So z. B. W. Graf Vitzthum, VVDStRL 46, S. 26 f. 142 Ohne derartige Erwägungen für eine „Staatsqualität im völkerrechtlichen Sinne" U. Karpen/S Becker, JZ 2001, S. 966. 143 j. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 64 ff., Zitat in Rn. 68; Ähnlich R. Bartlsperger, in: HdbStR IV, § 96, Rn. 3. Daran anschließend W. März, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 31, Rn. 85; J. Kersten, DÖV 1993, S. 896. 144 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 217 in Fn. 1. Von H. Bauer, Bundestreue, S. 282 wird zunächst konstatiert, man müsse es sich versagen, an „einem der Verfassung vorausliegenden oder abstrakten (Bundes-) „Staat" anzuknüpfen". Die konkrete Ausgestaltung der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes manifestiere sich jedoch in „doppelter Staatlichkeit", ebd. 145 Von Skeptikern hinsichtlich der Staatlichkeit der Länder wird teilweise die Bezeichnung Gliedstaat(-lichkeit) verwendet und damit lediglich eine modifizierte Form der Staatlichkeit in Bezug genommen, vgl. W. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 173 ff. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 217 bringt in Fn. 1 Skepsis zum Ausdruck, verwendet im Text aber die Bezeichnung „Gliedstaat". W. Schmidt, AöR 87, S. 294 verwendet die Bezeichnung „Teilstaat". Skeptisch gegenüber der Übertragung von für das Völkerrecht entwickelten Vorstellungen von Staatlichkeit U. Berlit, Ländervermögen, S. 26, der die grundgesetzlich ausgeformte Staatlichkeit aber dennoch als normative Grenze für die von ihm vorgenommene Untersuchung des Ländervermögens ansieht, ebd. Der von C. Möllers, Staat als Argument, S. 350 in Fn. 4 als Skeptiker bezüglich der Staatlichkeit der Länder aufgeführte Ulrich Scheuner sieht die Staatlichkeit der Länder jedenfalls als Schutzgut von Art. 79 Abs. 3 GG an, vgl. U. Scheuner, in: ders.: Staatstheorie, S. 444.

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noch politisch-symbolischer Wert zugesprochen wird 1 4 7 . Diese relativ vereinzelte Zurückhaltung hat sich bislang nicht durchsetzen können 148 . Die allgemeine Diskussion über die Kategorie Staat hat im Zusammenhang mit dem Bundesstaatsprinzip eine, verglichen mit anderen Diskussionszusammenhängen149, nur sehr geringe Wirkung gehabt. Der in anderen Zusammenhängen konstatierte „Abstieg der Kategorie Staat" 150 - der sich auch in der Ikonographie des Staates manifestiert 151 146 Vgl. auch J. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 139 f., der trotz aller Skepsis nicht nur den symbolisch-politischen Wert, sondern auch den Begriffswert als relevantes Faktum ansieht, sich aber gegen einen „Begriffsrigorismus" wendet, vgl. auch ebd., S. 159. 147

C. Möllers, Staat als Argument, S. 373 f., von dem der Länderstaatlichkeit kein bedeutsamer normativer Mehrwert beigemessen wird, ebd., S. 374. Den symbolischen Gehalt hält J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 69 für erheblich, ohne die Bedeutung von Staatlichkeit darauf zu reduzieren. 148 So hat der sich wohl am weitesten von Staat(-lichkeit) lösende Ansatz von W. Hempel, Der demokratische Bundesstaat, keine Veränderung bewirkt. Bei Hempel spielt die Staatlichkeit keine wesentliche Rolle, er argumentierte, die Interpretation des Bundesstaates habe allein nach Funktion und Struktur von Bund und Ländern zu fragen, die das Grundgesetz jedoch „in Übereinstimmung mit der Tradition staatlich geordneter politischer Gemeinwesen als „staatliche" versteht". Jedenfalls für den Gesamtstaat wird der Begriff „Staat" auch von Hempel für anwendbar gehalten, ebd., S. 182; ebenso K. Doehring, Staatsrecht, S. 116 f. 149

Die Debatten um die Rolle des Staates sind unüberschaubar. Ein Beispiel ist die Diskussion um die Steuerungsfähigkeit staatlich gesetzten Rechts, vgl. die Zusammenfassung bei P. Zumbansen, Ordnungsmuster, S. 42 ff. Außerdem etwa A. v.Bogdandy, Gubernative Rechtssetzung, S. 39 ff.; G. Hermes, Infrastrukturverantwortung, S. 128 ff.; U. Di Fabio, Das Recht offener Staaten; ders., VVDStRL 56, S. 235 ff.; M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 160 ff.; H. Willke, Ironie des Staates; D. Grimm, in: ders.: Die Zukunft der Verfassung, S. 159 ff., sowie die Beiträge in C. Gusy (Hrsg.), Privatisierung von Staatsaufgaben; D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben; K König/N. Dose (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns. Auch in internationalen, mit dem Schlagwort Globalisierung verbundenen Zusammenhängen und im Völkerrecht verändert sich die Rolle und Bedeutung des Staates erheblich, ohne dass dies ein von der Diskussion um die Steuerungsfähigkeit des staatlichen Rechts vollständig getrennter Bereich wäre. Hierzu etwa P. Zumbansen, KJ 2001, S. 46 ff.; P. Allott, EJIL 10, S. 31 ff.; S. Hobe, Der offene Verfassungsstaat; M. Zürn, Regieren jenseits des Nationalstaats, sowie die Beiträge in G. Teubner (Hrsg.), Global Law without a State; R. Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors. Zum Einfluß internationaler Gerichtsbarkeit, hier des EuGMR, auf die Rolle nationaler (Verfassungs-)Gerichte im Verhältnis zu anderen nationalen Organen, insbesondere der Legislative W.-M. Mors, Verfassungsgerichtsbarkeit in Dänemark, S. 98 ff. 150 So H. Hofmann, JZ 1999, S. 1065. 151 Vgl. dazu eindrucksvoll H. Bredekamp, KJ 2000, S. 395 ff. mit zahlreichen Abbildungen. Bredekamp zeigt die Veränderungen anhand eines zentralen Bildes vom Staat, dem Frontispiz auf Thomas Hobbes Leviathan. Zu sehen ist auf diesem wirkmächtigen Bild der „Riese des Staates, der sich [ . . . ] über den Horizont erhebt und die Schatten der Werkzeuge seiner Macht über die Erde wirft", ebd. S. 395. Im folgenden wird die Verwendung des LeviathanSymbols nachgezeichnet und die gläserne Kuppel des Reichstags schlüssig als Zeichen der Wandlung des Staatsbegriffs gedeutet: „Wenn die Besucher [ . . . ] die obere Plattform erreicht haben, ist der Plenarsaal in weit entfernter Tiefe zumindest in Sektoren zu überblicken. Eine vergleichbare gestische Ermächtigung durch diejenigen, die in ihm repräsentiert sein sollen, hat es nie zuvor gegeben. Der Kopf des Staates, auf den die Menschen in Thomas Hobbes Leviathan von 1651 ausgerichtet sind, ohne ihn einnehmen zu können, wird in Fosters Kup-

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- hat hier (noch) nicht stattgefunden, deutet sich jedoch in jüngeren Arbeiten ««152 an Der zentrale Charakter von „Staat(lichkeit)" wird bestätigt durch einen Blick auf die Interpretation von Art. 79 Abs. 3 GG. Die Staatlichkeit der Länder wird i m Schrifttum ganz überwiegend als das wesentliche bundesstaatliche Schutzgut von Art. 79 Abs. 3 GG betrachtet 1 5 3 . Auch das Bundesverfassungsgericht knüpft i m Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG an die Staatlichkeit an, wobei es für deren Erhalt entscheidend sei, dass den Ländern ein Kern eigener Aufgaben als sogenanntes „Hausgut" unentziehbar verbleibt 1 5 4 . Dieses Hausgut sei in Art. 79 Abs. 3 GG geschützt und dürfe somit auch durch Verfassungsänderung nicht angetastet werden. Ob das Hausgut noch in einem Umfang vorhanden ist, der es rechtfertige, von den Ländern als Staaten zu sprechen, soll nicht formal bestimmt werden, vielmehr komme es darauf an, dass nicht nur eine „leere Hülse von Eigenstaatlichkeit übrig" b l e i b e 1 5 5 . Die Staatlichkeit der Länder wird folglich als die verfassungsänderungsfeste Kernsubstanz des Bundesstaates angesehen. pel usurpiert. [ . . . ] Die Kuppel erhöht das Parlamentsgebäude, diskreditiert aber das Hobbesche Souveränitätsbild", ebd., S. 407 f. Zum Bild des Leviathan und seiner Entstehung ausführlich H. Bredekamp, Thomas Hobbes visuelle Strategien. Zum Ganzen G. Frankenberg, in: ders., Autorität und Integration, S. 171 ff. 152 Vgl. die unter Kapitel 1 A I 2 b, S. 39 ff, geschilderten Ansätze einer vorsichtigen Neuorientierung. Außerdem C. Möllers, Staat als Argument, S. 350 ff. Deutliche Skepsis bei J. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 140. Hingegen schlägt R. Kaufmann, Bundesstaat und Deutsche Einheit, S. 176 zwar vor, die Länder nicht mehr als Staaten, sondern als Länder zu bezeichnen. Kaufmann will aber das „unverzichtbar Wesentliche" an der Rechtsstellung der Länder „aus einer allgemeinen Definition des Bundesstaates, insbesondere in Abgrenzung zum Einheitsstaat und zum Staatenbund" herleiten, ebd. Damit ist nichts gewonnen, weil nur das Wort „Staat" durch das Wort „Land" ausgetauscht wird, im übrigen aber auf allgemeine Konzeptionen „des" Bundesstaates in Abgrenzung zu anderen allgemeinen Figuren der Staatslehre zurückgegriffen wird. 153 Vgl. K.E. Hain, Grundsätze des Grundgesetzes, S. 402; H Dreier, in: ders., GG, Art. 79 Abs. 3, Rn. 39; J. Lücke, in: Sachs, GG, Art. 79, Rn. 26 f.; K.-P Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 33 f.; /. v.Münch, Staatsrecht I, Rn. 508; R. Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79, Rn. 42; J. Isensee, HdbStR IV, § 98, Rn. 268; H.U. Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3, Rn. 213; T. Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79, Rn 33. Kritisch dazu B.-O. Bryde, in: v.Münch/Kunig, GG, 3. Aufl., Art. 79, Rn. 31; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79, Rn. 8. 154 BVerfGE 34, 9 (20). 155 BVerfGE 34, 9 (20). Eine allgemeine Definition dieses Hausgutes hat das Gericht bisher nicht vorgenommen, aber Teile des Hausguts benannt, die den Ländern jedenfalls nicht entzogen werden dürfen. Dazu gehören die Verfassungsautonomie - BVerfGE 1, 14 (34); 36, 342 (361); 60, 175 (207); 64, 301 (317 f.) - die freie Bestimmung der eigenen Organisation, ferner vom Gericht noch nicht näher definierte legislative, exekutive und judikative Aufgaben und Befugnisse, sowie die Garantie eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen - BVerfGE 34, 9 (20); 87, 181 (196); speziell zur finanziellen Ausstattung der Länder durch den Finanzausgleich BVerfGE 72, 330 (383 ff.), wo das Gericht den Verfassungskompromiss zwischen Eigenstaatlichkeit der Länder auch auf finanzwirtschaftlichem Gebiet und der gemeinschaftlichen Teilhabe an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Gesamt-

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Deutlich wird die Bedeutung dieser Begriffe auch in den Diskussionen über Gefahren für die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes. So knüpfen die Debatten um die Gefahr einer „Entstaatlichung" der Länder durch die Verlagerung von Kompetenzen auf den Bund und auf die europäische Ebene wesentlich an diese Begriffe an 1 5 6 . Auch wenn es nicht um die Existenz der Länder geht, sondern etwa um die Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG, wird die Staatlichkeit der Länder als ein entscheidendes Kriterium herangezogen. Bei der Ausübung von Weisungsbefugnissen stelle das Recht auf Eigenstaatlichkeit der Länder eine Grenze dar 1 5 7 . Als Ergebnis ist festzuhalten, dass „Staat" und „Staatlichkeit", sowie in geringerem Umfang „Souveränität" in praktisch allen, mit der bundesstaatlichen Ordnung in Zusammenhang stehenden Diskussionen eine entscheidende Rolle spielen. Neben der „Souveränität" ist vor allem die „Doppelstaatlichkeit" und damit insbesondere die Staatlichkeit der Länder der Zentralbegriff des deutschen Bundesstaatsrechts.

II. Defizite der Konzeptionen Die beschriebenen Konzeptionen des grundgesetzlichen Bundesstaates weisen unterschiedliche Defizite auf. Zum Teil wurde Kritik bereits in der Darstellung geübt oder angedeutet und auch die beschriebenen Ansätze zu einer Neuorientierung des Bundesstaats Verständnisses zeigen einige Kritikpunkte auf. Im Folgenden soll zum einen das Begriffinstrumentarium einer Kritik unterzogen (1.), zum anderen auf die unitaristisch-zentralistischen Prägungen der Konzeptionen eingegangen werden (2.). 1. Kritik des Begriffsinstrumentariums a) Methodische Grundlagen Der weitgehende Konsens über die zentrale Rolle bestimmter Begriffe, insbesondere von „Staat(lichkeit)", aber auch von „Souveränität" für die Erfassung der bundesstaatlichen Ordnung wurde im vorhergehenden Abschnitt beschrieben. staates beschreibt (ebd., S. 385 f.). Die Eigenstaatlichkeit der Länder und des Bundes hänge von einer hinreichenden Finanzausstattung ab (ebd., S. 388); bestätigt in E 86, 148 (213 ff.). 156 Vgl. z < B. R. Müller-Terpitz, Beteiligung des Bundesrates, S. 354 ff.; R. Halfmann, Entwicklungen des deutschen Staatsorganisationsrechts, S. 170 ff. Zur Debatte um die Staatlichkeit Deutschlands insgesamt im Zusammenhang mit der europäischen Integration vgl. nur A. v.Bogdandy, Der Staat 40, S. 10 f. 157 Vgl. A. Dittmann, in: Sachs, GG, Art. 85, Rn. 24 und 38; K.-P. Sommermann, DVB1. 2001, S. 1549 ff.

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Grundsätzlich skeptisch gegenüber begrifflichen Ableitungen machen die Erkenntnisse der Hermeneutik über die Grenzen von Textinterpretation anhand des Wortlautes und die Rolle des Vorverständnisses in diesem Zusammenhang. Auslegung von Texten und damit auch Normtexten ist der bewusste158 Versuch, eine fremde Textbotschaft zu verstehen. Dabei ist der Interpret darauf angewiesen, sein eigenes Verständnis zu aktivieren, welches durch die Zusammenhänge, in denen der Interpret sich befindet, geprägt ist. Es ist also bei der Textinterpretation notwendig, auf das eigene Vorverständnis zurückzugreifen 159. Dieses Problem und damit die Bedeutung des Vorverständnisses wird bei der Auslegung von Recht größer, vor allem weil es nicht um die möglichst präzise Rekonstruktion des im Zeitpunkt der (Norm-)Textentstehung Gemeinten geht, sondern um die Entscheidung von aktuellen Konflikten mit Hilfe von in der Vergangenheit geschaffenen Normtexten 160 . Für die Interpretation des Grundgesetzes und des Begriffs „Bundesstaat" kommen zu diesen allgemeinen Erwägungen, die gegenüber einer begriffszentrierten Interpretation vorsichtig machen, weitere Gesichtspunkte hinzu. Die Architektonik und strukturelle Gestalt von Verfassungen offenbart konstruktive Spannungen und Kompromisse und die Offenheit und Unbestimmtheit des verfassungsrechtlichen Normprogramms ist ein Ausdruck dieser Spannungen161. Für den Normierungsstil des Grundgesetzes sind allgemein generalklauselartige, weite und elastische Normtexte kennzeichnend162. Das Grundgesetz ist also eine besonders konkretisierungsbedürftige Verfassung 163, und das wiederum gilt ganz besonders für die in Art. 20 GG normierten Verfassungsprinzipien wie den Bundesstaat, deren sprachlicher Gehalt noch offener als der von Generalklauseln ist 1 6 4 . Die daraus folgenden Besonderheiten für die Verfassungsinterpretation sind beschrieben, wenn gefolgert 158 Es wird hier also nicht der weite Interpretationsbegriff verwendet, den insbesondere P. Häberle seinen Ausführungen über die Beteiligten an der Verfassungsinterpretation zugrunde legt, sondern der herkömmliche, engere, wonach es um bewusst und intentional auf das Verstehen und Auslegen der Norm gerichtete Tätigkeit geht. Nur bezogen auf die bewusste Interpretation kann die Frage nach der Methode gestellt werden, eine realistische Untersuchung des Zustandekommens von Verfassungsinterpretation hingegen erfordert einen umfassenderen Blickwinkel, vgl. P. Häberle, JZ 1975, S. 297 f. 159 H.G. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 270 ff., der von „Vorurteilen" spricht. 160 Grundlegend J. Esser, Vörverständnis und Methodenwahl, insbesondere S. 136 ff. Außerdem F. Müller, Juristische Methodik, S. 195 ff.; B. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 787; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 61; H. Ehmke, VVDStRL 20, S. 56. 161 G. Frankenberg, Verfassung der Republik, S. 25. Differenzierend zu den verschiedenen Analysen der Unbestimmtheit von Recht G. Frankenberg, in: ders., Autorität und Integration, S. 263 ff. 162 B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 92; H Ehmke, VVDStRL 20, S. 62 spricht von der „Weite und Unbestimmtheit" der Grundzüge der Verfassung. 163 B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 89; M. Hilf.\ HdbStR VII, § 161, Rn. 58. 164 B.-O. Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 83. Zum Unterschied von Verfassung und sonstigen Gesetzen und der geringeren inhaltlichen Bestimmtheit der Verfassung E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 57 ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 81 ff., insbesondere S. 97 f.; H. Ehmke, VVDStRL 20, S. 62.

4 Hanebeck

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

wird, es bedürfe notwendig „einer nicht nur explikativen, sondern ausfüllenden Interpretation" 1 6 5 oder es bedürfe nicht nur der Auslegung, sondern der Konkretisierung des noch nicht eindeutigen Inhalts der Verfassung 166 . Damit ist die besondere Ausfüllungsbedürftigkeit der meisten Normen des Verfassungsrechts angesprochen. I m Umkehrschluss bedeutet dies eine relativ begrenzte Aussagefähigkeit des Wortlautes a l l e i n 1 6 7 . Eine Überforderung des Wortlauts, ebenso wie der klassischhermeneutischen M e t h o d e 1 6 8 insgesamt führt gerade dazu, das damit angestrebte Ziel, also die methodisch-normative Einbindung der Interpretation, zu unterlauf e n 1 6 9 . Z u hohe Erwartungen an den Wortlaut haben zur Folge, dass aufgrund seiner geringeren realen Leistungsfähigkeit zusätzliche Auslegungsgesichtspunkte eingesetzt werden müssen, die dann nicht thematisiert und damit nicht reflektiert und kontrolliert werden. Geschaffen ist damit eine „Einbruchstelle für (verdeckte) interpretatorische B e l i e b i g k e i t " 1 7 0 , insbesondere für das jeweilige Vorverständnis. Für einen notwendigerweise politisch-ideologisch geprägten Begriff wie den Bundesstaat 171 gelten diese Überlegungen in ganz besonderem Maße: „ Z u zwingenden

165

E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 82. 166 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 60 ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 313 ff. Vgl. auch H Ehmke, VVDStRL 20, S. 61 ff. 167 Vgl. z. B. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 69: „Regelmäßig ermöglicht die bloße Textinterpretation noch keine hinreichend genaue Konkretisierung." Für F. Müller, Juristische Methodik, S. 315 entfaltet der Normtext normalerweise nur „Indizwirkung". Demgegenüber hat E. Forsthoff\ in: ders., Rechtsstaat im Wandel, S. 147 ff. die „Gesetzesform der Verfassung" betont. Vgl. dazu die Kritik an Forsthoff bei A. Hollerbach, AöR 85, S. 241 ff.; E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 56 ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 81 ff.; H. Ehmke, VVDStRL 20, S. 64 bezeichnet die Argumentation Forsthoffs - bei aller Berechtigung der darin enthaltenen Kritik - als den Versuch, sich „wieder in das Wetterhäuschen des Positivismus zurückzuziehen". Ausführlich zu semantischen Spielräumen H.-J. Koch, in: ders. (Hrsg.), Seminar, S. 29 ff. und dazu B. Schlink, Der Staat 19, S. 100 f. Grundsatzkritik an einer, textualism genannten, den Wortlaut in den Mittelpunkt stellenden Auslegung in der amerikanischen Auseinandersetzung über Methodik bei P.E. McGreal, Fordham Law Review 69, S. 2393 ff. Er vergleicht textualism sehr anschaulich mit dem Monster von Loch Ness: „Just as we have grainy pictures of something that could be the fabled sea beast, we have even sketchier theories claiming that meaning resides in the Constitution's text. And in the end, both beliefs are nothing more than a good story passed down from one generation to the next", ebd. Allgemein zur amerikanischen Debatte über Verfassungsauslegung L. Tribe , Constitutional Law, S. 30 ff., ebd., S. 32 ff. die Bedeutung des Textes verteidigend.

Diese Bezeichnung stammt aus der Einordnung der verschiedenen Methodenpositionen bei E.- W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 55 ff. und bezeichnet die Forderung nach der Beschränkung der Methoden auf die vier von F.C. Savigny entwickelten Interpretationsregeln der grammatischen, logischen, histor 169 Zur Bedeutung von realistischer Einschätzung der Leistungsfähigkeit von Wortlautbindung und Methodik insgesamt für die Demokratie vgl. F. Müller, in: H. Brunkhorst/P. Niesen (Hrsg.), Recht der Republik, S. 191 ff. 170 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 60, bezogen auf die klassisch hermeneutische Methode insgesamt. 171 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 16.

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dogmatischen Ableitungen ist er ungeeignet" 172 . Dies gilt ebenso für die nicht weniger politisch-ideologisch geprägte „Staat(lichkeit)". Bereits deshalb ist die Doppelstaatlichkeit als Zentralbegriff des Bundesstaatsrechts nicht geeignet. b) Herkunft

der verwendeten Begriffe

Die Gefahr eines Rückgriffs auf außerhalb der Verfassung liegende, ob aus der allgemeinen Staatslehre oder einer allgemeinen Bundesstaatslehre stammende, Konzepte, wird allgemein gesehen. Dementsprechend ist die Notwendigkeit, die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes nicht mittels irgendeines allgemeinen Modells zu erklären, nicht nur unbestritten, sondern eine Art „Glaubensbekenntnis", welches der Beschäftigung mit dem Bundesstaat regelmäßig voran gestellt wird. Das Grundgesetz übernehme, so wird richtigerweise formuliert, gerade kein allgemeines Modell, sondern stelle ein Unikat dar, welches nur vor dem Hintergrund seiner Historie zu verstehen sei, weshalb es auf die „konkret-geschichtliche Individualität" dieser Ordnung ankomme 173 . Trotz der Konstanz, mit der dies vorgetragen wird, wird ebenso konstant dagegen verstoßen, da die Zentralbegriffe „Souveränität" und insbesondere „Doppelstaatlichkeit" gerade nicht der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes entstammen, sondern im Rückgriff auf allgemeine Staatslehre oder allgemeine Bundesstaatslehre gewonnen werden. Für die „Souveränität" ist dies relativ deutlich, sie findet bereits im Wortlaut des Grundgesetzes keine Erwähnung. Anknüpfungspunkte dafür, dass für die grundgesetzliche bundesstaatliche Ordnung die „Souveränität" in irgendeiner Weise relevant sein sollte, finden sich ebenfalls nicht. Die „Souveränität" ist vielmehr ein an die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes von außen herangetragenes Konzept. Da die Bedeutung der „Souveränität" aus der Staatsqualität der Länder 174 abgeleitet wird, gelten diesbezüglich die folgenden Ausführungen hinsichtlich der Doppelstaatlichkeit ebenfalls. Dabei ist zunächst der Wortlaut des Grundgesetzes zu befragen, inwieweit „Doppelstaatlichkeit" dort vorgegeben ist (aa) und in einem zweiten Schritt ihre Begründung aus allgemeiner Staatslehre bzw. allgemeiner Bundesstaatslehre zu zeigen (bb). aa) Doppelstaatlichkeit und Wortlaut des Grundgesetzes Der Zentralbegriff des deutschen Bundesstaatsrechts, die Doppelstaatlichkeit, schreibt sowohl dem Gesamtstaat als auch den Ländern Staatlichkeit zu. Auf die 172 M. Bothe, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1 -3,1, Rn. 21. 173 Statt aller S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 3; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 217; K. Stern, Staatsrecht I, § 1911 c, S. 648; F. Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1230. 174 Vgl. etwa A. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 1467 wonach „mit der Verleihung der Staatsqualität die aus dem Souveränitätsprinzip fließenden rechtlichen Konsequenzen auf die Gliedstaaten anwendbar werden." 4*

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Staatlichkeit nach außen, insbesondere im völkerrechtlichen Sinn, kommt es hier allerdings nicht an. Für die bundesstaatliche Ordnung und die behauptete Doppelstaatlichkeit ist vielmehr entscheidend, ob die Länder Staaten sind. Die Staatlichkeit der Länder und damit auch die Doppelstaatlichkeit ist jedoch vom Text der Verfassung nicht zwingend gefordert. Ein erster Anknüpfungspunkt könnte der Begriff „Bundesstaat" sein. Das Grundgesetz verwendet diesen nur an einer Stelle, in Art. 20 Abs. 1 GG. Es wäre grundsätzlich möglich, in Anknüpfung an den Wortteil "-Staat" auf eine wesentliche Bedeutung von „Staat(lichkeit)" für den Bundesstaat und damit auch für die Einordnung Länder zu schließen. Mit der Bezeichnung Bundesstaat in Art. 20 Abs. 1 GG ist aber nicht zwingend den Ländern Staatscharakter zugeschrieben, zumindest ebenso gut kann das Gemeinwesen der Bundesrepublik insgesamt beschrieben sein, auf das sich dann auch der Wortteil ,,-staat" bezieht. Für letzteres spricht, dass sich die Bezeichnung „Bundesstaat" in Art. 20 Abs. 1 GG grammatisch auf die Bundesrepublik Deutschland insgesamt und nicht auf die Länder bezieht. „Bundesstaat" ist also die Beschreibung des Ganzen, die Teile sind von dem Wortteil "-Staat" nicht, jedenfalls nicht notwendig, erfasst. Auch im übrigen lässt sich dem Text des Grundgesetzes nicht entnehmen, dass den Ländern Staatsqualität zukommt. Die teilweise zur Begründung von Länderstaatlichkeit angeführten Art. 30 und 33 Abs. 1 G G 1 7 5 sind diesbezüglich keineswegs zwingend. Art. 30 GG, wonach die „Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben" grundsätzlich Sache der Länder ist, lässt sich in zwei Richtungen verstehen. Einerseits könnte der Verweis auf „staatliche" Befugnisse und Aufgaben bedeuten, dass die Länder als Staaten anzusehen sind. Andererseits kann die Vorschrift als reine Kompetenzzuweisung verstanden werden, wonach die Länder die staatlichen Befugnisse und Aufgaben nur übertragen bekommen, also die staatlichen Befugnisse und Aufgaben der Bundesrepublik insgesamt ausüben. Eine Körperschaft, die staatliche Befugnisse ausübt oder staatliche Aufgaben erfüllt, ist jedenfalls nicht notwendig selbst ein Staat, sondern kann diese Aufgaben und Befugnisse ebenso gut nur für eine andere Körperschaft ausüben, der die Staatsqualität zukommt 176 . Dementsprechend erlaubt Art. 7 Abs. 1 GG, der mit der Schulaufsicht das Handeln der Länder regelt und von „Aufsicht des Staates" spricht, ebenfalls keinen zwingenden Schluss auf die Staatlichkeit der Länder, weil auch hier lediglich die Ausübung staatlicher Befugnisse gemeint sein 175 So von E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 12 in Fn. 17; M. Sachs, AöR 108, S. 69 f.; J. Rozek, Landesverfassungsgerichte, S. 29; U. Barschel, Staatsqualität, S. 167. 176 Dies gilt auch für die Auslegung von Art. 24 Abs. la GG, wo ebenfalls die Ausübung staatlicher Befugnisse durch die Länder erwähnt ist. Sich für die Staatlichkeit der Länder auf diese Vorschrift berufend S. Storr, Verfassunggebung in den Ländern, S. 66. Warum Storr, ebd., auch die Erwähnung der gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes in Art. 23 Abs. 5 und 6 GG für eine Bestätigung der Staatlichkeit der Länder hält, bleibt dunkel. Aus der Existenz eines Gesamtstaates ergibt sich nicht, dass die Teile dieses Gesamtstaates notwendig Staaten sein müssen.

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kann 177 . So würde aus Art. 7 Abs. 1 GG auch nicht die Staatlichkeit der Gemeinden folgen, wenn diesen die Schulaufsicht übertragen wäre 178 . Auch für Art. 33 Abs. 1 GG gibt es im Ergebnis dieselben zwei Möglichkeiten der Auslegung wie für Art. 30 GG. Die dort erwähnten „staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten", die jeder Deutsche in jedem Land hat, können ebenso gut die Rechte des Staatsbürgers der Bundesrepublik insgesamt sein, nicht die des Staatsbürgers eines Landes. Die Erwähnung staatlicher Befugnisse, der Staatsaufsicht oder der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten lässt also keinen zwingenden Rückschluss auf die Staatsqualität der Länder zu. Die Formulierung von Art. 34 Satz 1 GG, wonach in Haftungsfragen „die Verantwortlichkeit den Staat oder die Körperschaft" in deren Dienst der Handelnde steht trifft, ist ebenfalls nicht eindeutig, da die Staatseigenschaft keinem Subjekt deutlich zugeordnet wird. Für den Staatscharakter der Länder wird zudem angeführt, dass das Grundgesetz an mehreren Stellen (Art. 29 Abs. 7 Satz 1; Art. 130 Abs. 1, 3 GG) die Verträge zwischen Ländern als „Staatsverträge" bezeichnet179. Dies ist aber nicht konsequent durchgehalten, in Art. 118a GG ist nur von „Vereinbarungen" die Rede, womit nichts anderes als im übrigen mit der Bezeichnung „Staatsvertrag" gemeint ist 1 8 0 . Art. 91b GG benutzt ebenfalls die Bezeichnung „Vereinbarungen", was auch Staatsverträge umfasst 181 . Der Sprachgebrauch des Grundgesetzes ist diesbezüglich also uneinheitlich, was gegen eine grundsätzliche Bedeutung der Bezeichnung „Staatsvertrag" spricht. Im übrigen wäre die Festlegung einer so wesentlichen Frage wie der Länderstaatlichkeit über den Umweg der Bezeichnung „Staatsvertrag" eine Überinterpretation dieser nicht im Zentrum der bundesstaatlichen Regelungen stehenden Vorschriften. Dass die Bezeichnung „Staatsvertrag" allein keine Zuschreibung eines bestimmten Status der Länder zum Inhalt hat, zeigt sich auch daran, dass aus der Bezeichnung als Staatsverträge nicht folgt, dass völkerrechtliche Regelungen anzuwenden sind. Eine Analogie zum Völkerrecht ist nur in dem Maße gemeint, als Bund und Länder als Staaten angesehen werden 182 , es folgt also nicht aus der Bezeichnung als Staats vertrag die Staatlichkeit der Länder. Vielmehr ist umgekehrt die Heranziehung des Völkerrechts nur in dem Umfang möglich, in dem Bund und Ländern nach dem Grundgesetz eine ent177

Sich auf Art. 7 Abs. 1 GG als Beleg für die Staatlichkeit der Länder berufend J. Kersten, DÖV 1993, S. 896. ™ C Möllers, Staat als Argument, S. 360. 179 So bezüglich Art. 130 GG S. Storr, Verfassunggebung in den Ländern, S. 66. Von C. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 122 wird die Staatseigenschaft der Länder als eine Voraussetzung für die Fähigkeit zum Abschluss von Staatsverträgen angesehen. 180 Vgl. die Begründung der Bundesregierung in BT-Drs. 12/7109, S. 12; W. Erbguth, in: Sachs, GG, Art. 118a, Rn. 4; /. Pernice, in: Dreier, GG, Art. 118a, Rn. 11. 181 W. Heun, in: Dreier, GG, Art. 91b, Rn. 7. 182 R. Grawert, Verwaltungsabkommen, S. 32. Zur nur begrenzten Anwendung völkerrechtlicher Erwägungen vgl. auch C. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, S. 240 ff. Zur völkerrechtlichen Vertragsfähigkeit der Länder M. Niedobitek, Recht der grenzüberschreitenden Verträge, S. 179 ff.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

sprechende Rechtsstellung zukommt. Schließlich ist der früher als Beleg für die Staatlichkeit der Länder herangezogene Art. 74 Abs. 1 Nr. 8 GG 1 8 3 , der die Staatsangehörigkeit in den Ländern betraf, 1994 aufgehoben worden. Der Verfassungswortlaut enthält damit im Ergebnis kein zwingendes Argument für die Staatlichkeit der Länder 184 . Im Gegensatz dazu sprechen die übrigen Regelungen des Grundgesetzes, in denen die Länder und die Bezeichnung „Staat" Erwähnung finden, gegen die Einordnung der Länder als Staaten. Das Grundgesetz bezeichnet die Länder an keiner Stelle als Staaten, sondern ausschließlich als Länder. Die Bezeichnung „Staat" hingegen wird vom Grundgesetz mehrfach in eindeutiger Weise verwendet; dies allerdings nur auf ausländische Staaten bezogen. In Art. 28 Abs. 1 GG ist von Personen die Rede, welche die Staatsangehörigkeit eines „Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen". Darüber hinaus werden die „auswärtigen Staaten" in Art. 32 Abs. 1, 3 GG ausdrücklich als Staaten bezeichnet und dies geschieht in Art. 32 Abs. 3 GG in dem selben Satz, in dem auch die Länder Erwähnung finden. Diese werden dort aber gerade nicht als Staaten, sondern als Länder bezeichnet. Auch in Art. 79 Abs. 3 GG, der den verfassungsänderungsfesten Kern der bundesstaatlichen Ordnung benennt, findet sich kein über den Verweis auf Art. 20 Abs. 1 GG hinausgehender Hinweis auf die Relevanz von „Staat(lichkeit)". Im Gegenteil wird ausdrücklich neben der Notwendigkeit der Existenz von Ländern nur die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung erwähnt. Dieser Überblick zeigt, dass sich aus dem Wortlaut des Grundgesetzes und dem darin verwendeten Begriff Bundesstaat die Relevanz der „Staat(lichkeit)" für die Beschreibung der Länder nicht zwingend herleiten lässt. Dieses Ergebnis ist angesichts einer Entstehungsgeschichte ohne konzeptionellen Konsens über die Gestaltung des Bundesstaates und der im Parlamentarischen Rat nur andiskutierten Frage der Länderstaatlichkeit 185, folgerichtig. Bemerkenswerterweise spielen Erwägungen zum Wortlaut in der Interpretation der bundesstaatlichen Ordnung kaum eine Rolle, wenn es um die Begründung der Länderstaatlichkeit geht. Die Staatlichkeit der Länder und die zentrale Rolle der „Staat(lichkeit)" wird weniger aus dem Grundgesetz hergeleitet als vielmehr vorausgesetzt. Dass die Länder vom Grundgesetz an keiner Stelle als Staaten, jedoch durchgängig als Länder bezeichnet werden und dass selbst Art. 79 Abs. 3 GG in den Formulierungen zum veränderungsfesten Kern der bundesstaatlichen Ordnung die Staatlichkeit nicht erwähnt, sondern lediglich die Existenz von Ländern festschreibt, spricht dafür, auf die „Staat(lichkeit)" zu verzichten.

183 Beispielsweise M. Sachs, AöR 108, S. 69; A. Bleckmann, DÖV 1983, S. 134. 184 c. Möllers, Staat als Argument, S. 360. 185 Vgl. J. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 138.

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bb) Begründung der Doppelstaatlichkeit im Rückgriff auf Staatslehre und allgemeines Bundesstaatsverständnis Soweit die Doppelstaatlichkeit als zentrales Merkmal des grundgesetzlichen Bundesstaates überhaupt näher begründet wird, liegen die Anknüpfungspunkte außerhalb des Grundgesetzes, die Doppelstaatlichkeit wird vorausgesetzt, nicht aus dem Grundgesetz hergeleitet. Deutlich wird der außerhalb des Grundgesetzes liegende Anknüpfungspunkt in der üblichen Beschreibung des Bundesstaates als von Staatenbund und Zentralstaat aufgrund der Doppelstaatlichkeit abzugrenzender Staatstypus186. Es wird an die in der Staatslehre entwickelten Staatstypen angeknüpft und von dort aus die „Staat(lichkeit)" in das Grundgesetz transplantiert. So wird zum Beispiel formuliert, die Staatlichkeit von Bund und Ländern sei dem „Begriff des Bundesstaats immanent" 187 . Die vom Grundgesetz ausgehende, umgekehrte interpretatorische Operation, also die Prüfung, ob die grundgesetzliche Konstruktion der bundesstaatlichen Ordnung den Ländern einen Status beimisst, der mit dem Begriff „Staat" adäquat beschrieben ist, erfolgt nicht. Zum Teil werden sogar ausdrücklich gewisse Grundvorstellungen der allgemeinen Staatslehre axiomatisch übernommen 188 oder auf die Grund Vorstellungen der Lehre vom Bundesstaat zurückgegriffen 189. Deutlich nicht am Grundgesetz angeknüpft wird auch mit Formulierungen, wonach zwar Unsicherheit über die Kriterien des Bundesstaates herrsche, aber „jedenfalls die Staatsqualität der Gliedstaaten ein unverzichtbares Begriffsmerkmal bildet" 1 9 0 . Das Tautologische dieser Argumentation zeigt sich in der nicht näher begründeten Bezeichnung der Glieder des Bundesstaates als Gliedstaaten. Natürlich ist die Staatlichkeit der Glieder ein notwendiges Begriffsmerkmal, wenn ein Bundesstaat aus Gliedstaaten zusammengesetzt ist. Die Frage, ob die Glieder des Bundes aber überhaupt Staaten sind oder nicht, ist damit jedoch nicht beantwortet, ihre Staatlichkeit wird im Gegenteil vorausgesetzt. Die Relevanz der „Staat(lichkeit)" wird demnach nicht vom Grundgesetz her begründet, sondern stellt die nicht hinterfragte Anwendung von Kategorien der allgemeinen Staatslehre oder von Vorstellungen über den Bundesstaat im allgemeinen dar. Eine Variante dieser Anknüpfung an allgemeine Modelle ist die rechtsvergleichende Behauptung, eine Gemeinsamkeit aller Erscheinungsformen des Bundesstaates sei die Staatsqualität des Gesamtstaates und seiner Untergliederungen 191.

186 Vgl. Nachweise oben in Fn. 133. 187 c. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 99. iss So R. Herzog, DÖV 1962, S. 81. 189 Ebenfalls R. Herzog, DÖV 1962, S. 83. 190 M Sachs, AöR 108, S. 69. 191 K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 21; H-P. Schneider, in: J. Huhn/P.-C. Witt (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland, S. 244. Ähnlich S. Korioth, Finanzausgleich, S. 96.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Die Doppelstaatlichkeit wird auch als das „Eigentümliche" des Bundesstaates bezeichnet 192 . Die daraus resultierende methodische Problematik wird an folgender Begründung der Staatsqualität deutlich: „Wie in den anderen Bundesstaaten besitzen die Länder in Deutschland Staatsqualität"193. Warum die Situation in anderen Bundesstaaten, selbst wenn es sich um alle anderen Bundesstaaten handeln sollte, für den Bundesstaat des Grundgesetzes zu dieser Schlussfolgerung führt, bedürfte zumindest näherer Begründung. Allein daraus, dass es in anderen Verfassungsordnungen so ist, folgt nicht, dass dies für das Grundgesetz auch gilt. Diese allgemeinen Ausgangs- und dann folgerichtig auch Referenzpunkte führen dazu, dass sich beispielsweise H.-P. Schneider, in Anknüpfung an die Kontroversen um den Staatscharakter des Heiligen Römischen Reiches, in der Versuchung sieht, in Anlehnung an Pufendorf und Hegel zu sagen, die Bundesrepublik Deutschland sei kein Bundesstaat194, obwohl das Grundgesetz dies in Art. 20 GG ausdrücklich anders sieht. Der Bundesstaat des Grundgesetzes wird also an einem allgemeinen Bundesstaats Verständnis gemessen 195 . Von diesem, außerhalb des

Grundgesetzes liegenden, Standpunkt aus kann zwar die Bundesstaatsqualität für die grundgesetzliche Ordnung verneint werden, dies bedeutet aber für das Grundgesetz selbst nur dann etwas, wenn es diese allgemeinen Vorstellungen von Bundesstaatlichkeit übernommen hat. Demgegenüber ist zu Recht vielfach betont worden, dass vom Grundgesetz gerade kein allgemeines Modell übernommen wurde 1 9 6 . Deutlich werden die Defizite auch bei der Begründung der Bundestreue. Zurückgegriffen wird auf das „Wesen" des Bundesstaates oder das föderalistische bzw. bundesstaatliche Prinzip als solches, um daraus die Bundestreue herzuleiten 1 9 7 , was insbesondere das Bundesverfassungsgericht wiederholt getan hat 1 9 8 . Das „Wesen" des Bundesstaates ist nicht nur eine „Leerformel" 199 , die Berufung

192 BVerfGE 36, 342 (360 f.); HB. Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu / Klein, GG, Art. 20, Rn. 7. 193 K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 26. 194 H.-P. Schneider, in: J. Huhn/P.-C. Witt (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland, S. 239. 195 Über den Bereich des Grundgesetzes hinaus geht die Untersuchung von D. Hanf \ Bundesstaat ohne Bundesrat. Fragestellung dieser rechtsvergleichenden Arbeit ist, ob für die Einordnung eines Staatswesens als Bundesstaat Voraussetzung ist, dass die Glieder durch ein besonderes Organ an der gesamtstaatlichen Willensbildung mitwirken, ebd. S. 20. Von Hanf wird also gefragt, was allgemein das Minimum eines Bundesstaates hinsichtlich der Mitwirkung der Glieder auf der Ebene des Gesamtstaates darstellt. Gewonnen werden bei seiner Beantwortung der Frage zwar rechtsvergleichende Erkenntnisse, es werden aber auch hier abstrakte Kriterien aufgestellt, deren verfassungsrechtliche Relevanz für die konkreten Verfassungsordnungen nicht kontrolliert wird. 196 Vgl. unter Kapitel 1 A I I 1 b, S. 51. 197 K. Stern, Staatsrecht I, § 19 I 1 a 6 S. 646 und § 19 III 4 d, S. 701; H Hantke, Bundesstaatliche Fragen, S. 132; J. Schmidt, Bundestreue, S. 119. Weitere Nachweise bei H. Bauer, Bundestreue, S. 230 in Fn. 76. 198 BVerfGE 1, 117 (131); 1, 299 (315); 8, 122 (138); 34, 9 (20); 43, 291 (348). 199 K. Meßerschmidt, Die Verwaltung 23, S. 431; H. Bauer, Bundestreue, S. 230.

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darauf bzw. auf ein föderalistisches oder bundesstaatliches Prinzip verhüllt auch hier den Durchgriff auf außerverfassungsrechtliche Bundesstaatstheorien200. Das Bundesverfassungsgericht hat vereinzelt Zurückhaltung gegenüber dem argumentativen Wert des Bundesstaatsprinzips im allgemeinen bzw. der Staatlichkeit der Länder geäußert 201. In der ganz überwiegenden Mehrheit seiner Entscheidungen aber hat es ohne weiteres darauf zurückgegriffen 202. Diese Schwächen sind selbst bei Autoren festzustellen, die ausdrücklich eine abstrakte Interpretation des Begriffs Bundesstaat ablehnen und ein induktives Vorgehen fordern 203 . So kennzeichnet Roman Herzog zunächst, aufgrund allgemeiner Ausführungen über den Bundesstaat und ohne jede Bezugnahme auf das Grundgesetz, die zwei Ebenen der Staatlichkeit als „primäres Begriffselement" des Bundesstaates, wobei es in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Unabgeleitetheit der Staatsgewalt ankomme 2 0 4 . Ohne dann die Verfassung auszulegen und, wie soeben selbst gefordert, induktiv von den Einzelregelungen her den Bundesstaat zu erläutern, wird aus diesen abstrakten Überlegungen gefolgert, eine entscheidende Festlegung des Grundgesetzes im Hinblick auf die bundesstaatliche Ordnung liege in der Bestimmung, dass die Länder Staatscharakter besitzen sollen 205 . Die, auch in der eigenen Wortwahl ausdrücklich außerhalb des Grundgesetzes anknüpfende Argumentation Herzogs, der eine Ansicht mit der Begründung ablehnt, diese sei „mit dem Bundesstaatsbegriff unvereinbar", denn der „hergebrachte und allgemein anerkannte Bundesstaatsbegriff" fordere die Unabgeleitetheit der Länderstaatsgewalt 206, ist erstaunlich, wenn man im selben Text eine deutliche Warnung vor genau diesem 200 H. Bauer, Bundestreue, S. 230. Kritisch gegenüber Begründungen aus dem „Wesen" des Bundesstaates auch K. Hesse, Grundzüge, Rn. 218; J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 6; E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 259 ff. 201 Z. B. BVerfGE 6, 309 (328 f.) betont die Notwendigkeit der Argumentation aus der „konkreten Ausformung der Bundesstaatlichkeit im Grundgesetz". Weitere Nachweise bei H.-J. Pützer, Landesorganisationshoheit, S. 248. 202 H.-J. Pützer, Landesorganisationshoheit, S. 248 f. mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. Angeführt seien hier nur die Nachweise oben in Fn. 198 zur Berufung des Gerichts auf das „Wesen des Bundesstaates". Kritik am Bundesverfassungsgericht deshalb auch bei K. Hesse, Grundzüge, Rn. 218. 203 So R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 29. 204 R, Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 4-10. 205 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 13. 206 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 26. Diese Argumentation ist zwar noch Teil des Abschnitts A der Kommentierung, der die „Grundlagen der Bundesstaatstheorie" behandelt, sie beziehen sich aber auf einen Streit um die Auslegung des Grundgesetzes. Es geht darum, ob die Landesstaatsgewalten sich auf eine Ermächtigung durch das Verfassungsrecht des Bundes stützen, was Herzog mit der zitierten Argumentation ablehnt. Erstaunlich ist eine Aussage zum Bundesstaat des Grundgesetzes an dieser Stelle der Kommentierung auch deshalb, weil dieser der Überschrift zufolge erst im nächsten Abschnitt unter „B. Der Bundesstaat nach dem GG" behandelt wird. Der fehlenden inhaltlichen Trennung zwischen Bundesstaatstheorie und dem Bundesstaat des Grundgesetzes entspricht also auch die fehlende Trennung im Aufbau der Kommentierung.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Vorgehen liest 207 . An anderer Stelle werden von Herzog ausdrücklich gewisse Grundvorstellungen der Staatslehre axiomatisch übernommen 208. Ein weiteres Beispiel findet sich bei Klaus Stern, der seine auf das Grundgesetz bezogene Feststellung: „Bundesstaatlichkeit zeigt sich in Doppelstaatlichkeit" lediglich mit einem Verweis auf seine Ausführungen zum Bundesstaat im allgemeinen belegt, nicht aber nachweist, warum sich die Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes in Doppelstaatlichkeit zeigt 209 . Auch der jüngst von Edin Sarcevic unternommene Versuch, den Bundesstaatsbegriff aus mehreren Axiomen zu bilden, weist diese Schwächen auf. Der Bundesstaatsbegriff kann danach - und insoweit ist ihm zuzustimmen - nicht Grundlage für die Herleitung von Rechten und Pflichten sein, die Funktion des Begriffs wird etwas kryptisch als „erklärende Gedankenhilfe" bezeichnet210. Da die Doppelstaatlichkeit als ein wesentliches Axiom für die Begriffsbildung angesehen wird 2 1 1 , werden auch hier die Vorstellungen von „Staat(lichkeit)" aus der allgemeinen Staatslehre verwendet 212 . Die methodischen Schwächen werden deutlich, wenn die Axiome zum Teil als den Regelungen des Grundgesetzes zugrunde liegend angesehen werden 213 , es jedoch an einer genauen Klärung, wie diese Axiome gewonnen werden und an einer Begründung ihrer Gültigkeit für das Grundgesetz fehlt. Eine Erläuterung der Herleitung solcher Axiome oder Verfassungsgebote lautet beispielsweise, der Bundesstaatsbegriff werde dogmatisch konkretisiert, wenn „ausgehend von einigen obersten Normbestimmungen (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 30, Art. 32 und Art. 79 Abs. 3 GG), die Begriffseigenschaften axiomatisch, das heißt als allgemeine Sätze, die ohne Begründung vorausgesetzt sind, definiert werden." 214 Inwieweit es möglich ist, Begriffseigenschaften einerseits aus 207 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 29 und 57. Ähnlich stellt U. Scheuner, DOV 1962, S. 642, darauf ab, dass die Teile eines Bundesstaates so viel Selbständigkeit besitzen müssen, dass sie „noch als staatliche Einheiten, als Sitz umfassender Gestaltungsmöglichkeit erscheinen", obwohl auf S. 641 f. zunächst die Konzentration auf rein formale und konstruktive Gesichtspunkte wie Souveränität oder Unabgeleitetheit der Staatsgewalt gerügt wird. 208 R, Herzog, DÖV 1962, S. 81. 209 K. Stern, Staatsrecht I, § 19 III 2, S. 667; ähnlich O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26, Rn. 40, wo die, von Kimminich so bezeichnete „nichtsouveräne Staatlichkeit" der Länder nicht, wie in Rn. 36 noch gefordert, aus dem Grundgesetz begründet, sondern mit Verweis auf die allgemeinen Ausführungen festgestellt wird. 210 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 54 und 256. 211 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 33 und 35. 212 Zu Ansätzen von am Wortlaut anknüpfender Argumentation, allerdings an anderer Stelle und im Zusammenhang mit der Darstellung der Position des Bundesverfassungsgerichts und lediglich in einer Fußnote, E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 12 Fn. 17. 213 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 35. 214 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 53, Hervorhebung im Original. Erneut wird nicht geklärt, mit welchen Methoden diese Begriffseigenschaften gewonnen werden sollen. Die Aussage, dies solle von einigen obersten Normbestimmungen ausgehend geschehen, bleibt damit unklar. An anderer Stelle heißt es, die Begriffskonstruktion beruhe „auf dem ,mit-

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einigen Normen abzuleiten, sie andererseits aber ohne Begründung vorauszusetzen, bleibt offen. Das, nach Sarcevic vom Bundesstaatsbegriff zu trennende Bundesstaatsprinzip, welches Grundlage für die Ableitung von Rechten und Pflichten sein könne 215 , sieht er gebildet aus einzelnen Verfassungsgeboten. Bezüglich des für Sarcevic zentralen Verfassungsgebots der Doppelstaatlichkeit wird festgestellt, dass dies mit „besonderem Nachdruck in Art. 79 III, 1. Alt. GG" zum Ausdruck komme 216 . Als Begründung wird dann lediglich angeführt, dass nach dieser Vorschrift die Bundesrepublik Deutschland in Bund und Länder aufgeteilt sein muss, was als Verfassungsgebot der Doppelstaatlichkeit zu verstehen sei 2 1 7 . Der deutliche Wechsel in der verwendeten Begrifflichkeit - wo das Grundgesetz die „Gliederung des Bundes in Länder" sagt, wird „Doppelstaatlichkeit" verstanden - fällt augenscheinlich gar nicht auf und wird dementsprechend auch nicht für begründungsbedürftig gehalten 218 . Der Eindruck, dass die Auslegung durch das ohne Begründung für den Bundesstaatsbegriff vorausgesetzte Axiom der Doppelstaatlichkeit unausgesprochen aber entscheidend bestimmt wird, drängt sich auf. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die zentrale Rolle der „Staat(lichkeit)" mit einem Rückgriff auf allgemeine Erwägungen aus der allgemeinen Staatslehre oder anderen allgemeinen Überlegungen zum Bundesstaat begründet wird. Teilweise fehlt eine Begründung bei genauer Betrachtung aber auch nahezu vollständig.

gedachten Inhalt4 der ausdrücklichen Regelungen, die durch die Zuhilfenahme einer »positiven Bundesstaatstheorie4 und der verfassungsgerichtlichen Judikatur bestimmt" werde, ebd., S. 44. Im Anschluss daran wird richtig festgestellt, die Judikatur sei zu theoretischen Fragen sehr zurückhaltend. Damit ist aber ihr Wert für die Begriffsbestimmung erheblich eingeschränkt. Zudem wird nicht erläutert, wie der mitgedachte Inhalt der Normen und die dem zugrundeliegende Bundesstaatstheorie aus dem Grundgesetz gewonnen wird. Die sogenannte positive Bundesstaatstheorie wird an anderer Stelle lediglich negativ zu rein theoretischen, an der allgemeinen Staatslehre anknüpfenden Theorien, abgegrenzt, ihre Herleitung aber ebenfalls nicht genauer geklärt, ebd., S. 34 f. Die positive Bundesstaatstheorie soll die Ergebnisse der Auslegung und Anwendung der verfassungsrechtlichen Normen systematisieren, die einzelnen Aussagen des Verfassungsrechts verallgemeinern, ebd., S. 32. Hierin könnte ein Verweis auf den letzten Teil der Arbeit liegen, in dem einzelne bundesstaatliche Verfassungsgebote als Grundlage für eine Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips herangezogen werden. Damit sind aber auch hier die bereits beschriebenen begrifflichen Ableitungen (Doppelstaatlichkeit) und ihre Probleme erneut Grundlage der Konzeption. Zum anderen wäre dieser Zusammenhang zwischen positiver Bundesstaatstheorie und den Verfassungsgeboten zumindest undeutlich gekennzeichnet, da der von Sarcevic geprägte Begriff der positiven Bundesstaatstheorie im letzten Teil des Buches nicht mehr erwähnt wird. 215

E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 54 und 256. E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 230. 217 E. Sarcevic, Bundesstaatsprinzip, S. 230. 21 8 Dies gilt nicht nur für Sarcevic, sondern für die Auslegung von Art. 79 Abs. 3 GG insgesamt. Zur Bedeutung der Staatlichkeit im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG, vgl. unter Kapitel 1 A I 3, S. 43 ff. 216

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

c) Inadäquanz der verwendeten Begriffe Gegen eine auf den Begriffen „Staat(lichkeit)" und „Souveränität" beruhende Konstruktion des Bundesstaates spricht auch, dass die mit diesen transportierten Einheitsvorstellungen, wenn überhaupt, nur schwer mit der gegliederten bundesstaatlichen Organisation zu vereinbaren sind.

aa) Souveränität Die Langlebigkeit der Kategorie „Souveränität" ist, gerade im Zusammenhang mit Staatlichkeit, bereits deshalb erstaunlich, als der Souveränitätsbegriff schon in der Weimarer Republik nicht mehr zum Angelpunkt der Staatlichkeit gemacht wurde 219 . Aber auch für die Bundesrepublik wirft die Beschreibung ihrer Entstehung als Staatsgründung, und dabei insbesondere die Souveränitätsfrage, erhebliche begriffliche Probleme auf. Die Vorgänge nach 1945 werden mit diesen Begriffen nur statisch betrachtet, da die Frage nach dem einen Zeitpunkt der Staatswerdung bzw. Souveränitätserlangung im Mittelpunkt steht. Demgegenüber stellt sich die (Entstehungs-)Geschichte der Bundesrepublik als eine politische Entwicklung dar, in deren Verlauf sich die Beziehungen zwischen Alliierten und Deutschen mehrfach grundlegend verändert haben 220 . Die von Anfang an im Grundgesetz vorgesehene supranationale Öffnung mit Bezug auf Europa lässt den Abschied von nationalstaatlicher Souveränität bereits 1949 beginnen 221 . Ein fruchtbareres Verständnis der Entstehung der Bundesrepublik wird erreicht, wenn der Prozess als „Demokratiegründung" beschrieben wird 2 2 2 . Die Schwierigkeiten, die für das Verständnis der (Entstehungs-)Geschichte der Bundesrepublik durch eine Anwendung der Begriffe „Staatlichkeit" und insbesondere „Souveränität" entstehen, sprechen dafür, sie im Verfassungsrecht der Bundesrepublik nur äußerst vorsichtig zu verwenden 223 . 219 Vgl. M. Stolleis, Geschichte III, S. 119. Ausführlich M.W. Hebeisen, Souveränität in Frage gestellt, passim. 220 K. Niclauß, Weg zum Grundgesetz, S. 15 f. 221 E. Denninger, JZ 2000, S. 1123. Vgl. auch R. Wahl, in: ders., Verfassungsstaat, S. 17 ff. zur „vorbildlosen", zunächst nicht voll wahrgenommenen, Öffnung des Grundgesetzes für den supranationalen und internationalen Bereich. Auch in der historischen Bewertung ist die Bundesrepublik kein klassischer souveräner Nationalstaat mehr wie das Deutsche Reich, sondern a priori in supranationale Gemeinschaften eingebundener postklassischer Nationalstaat, H.A. Winkler, in: ders., Streitfragen der deutschen Geschichte, S. 50. 222 K. Niclauß, Weg zum Grundgesetz, S. 18. Von H.A. Winkler, Der lange Weg nach Westen II, S. 131 ff. wird die Entstehung des Grundgesetzes als „Republikgründung" bezeichnet. 223 Damit ist noch nicht notwendig der allgemeine Verzicht auf die Begriffe begründet. Inwieweit sie noch sinnvoll verwandt werden können, ist jedoch zweifelhaft, vgl. E. Denninger, JZ 2000, S. 1121 ff. Das Zeitalter des souveränen Staates hält für beendet H. Steiger, Der Staat 41, S. 337 ff., der nicht-souveräne Staat hingegen sei weiterhin von zentraler Bedeu-

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Das Konzept der „Souveränität" ist im Verfassungsstaat der Neuzeit grundsätzlich problematisch 224, und dies gilt in einem Bundesstaat ganz besonders 225. Die „Souveränität" bringt die Vorstellung von einem Souverän und damit von Einheitlichkeit mit sich, es wird verwiesen auf eine einheitliche Entscheidungsinstanz. Ein Indiz für die Inadäquanz des Begriffs zur Beschreibung eines Bundesstaates ist die Beobachtung, dass die Lehre von der absoluten und unteilbaren Souveränität die weitgehende Gleichstellung von Bundesstaaten und Einheitsstaaten in der Staatslehre zum Resultat hatte 226 . Es ist vom Ausgangspunkt der Souveränitätslehre auffallend schwierig gewesen, eine in sich gegliederte Staatsorganisation zu denken 227 . Diese Schwierigkeiten zeigen sich aber auch für das Grundgesetz. Bereits die Verteilung von Kompetenzen auf unterschiedliche Ebenen und die Beteiligung der Länder an Verfassungs- und Gesetzgebung sprechen dafür, dass es den einen Souverän unter dem Grundgesetz nicht gibt. Die Komplexität und Pluralität dieser bundesstaatlichen Ordnung sperrt sich also selbst bei einer kursorischen Betrachtung gegen die Verwendung des Begriffs Souveränität 228.

bb) Staat(lichkeit) Die praktisch im Konsens für die Beschreibung des Bundesstaates verwendeten Begriffe „Staat" oder „Staatlichkeit" verweisen auf Definitionen der Staatslehre, die für einen Staat das Vorliegen einer Staatsgewalt, eines Staatsvolkes und eines Staatsgebietes verlangt, was der Komplexität bundesstaatlicher Konstruktionen ebenfalls nicht gerecht wird. Staatlichkeit wird vielfach, nicht nur in den nach wie tung, ebd., S. 347 ff. Für eine nach wie vor wichtige Funktion der Souveränität im Völkerrecht S. Oeter, in: FS Steinberger, S. 283 ff.; C. Hillgruber, JZ 2002, S. 1074 ff. Hingegen betont M. Baldus, Der Staat 36, S. 388 ff., die Bedeutung der Frage nach der Souveränität für die Wissenschaft vom öffentlichen Recht. Skeptisch gegenüber der Notwendigkeit des Abschiedes von der Souveränität auch G.F. Schuppert, Staatswissenschaft, S. 172 ff. 224 Vgl. nur die Kritik bei C. Hillgruber, JZ 2002, S. 1073 f.; F. E. Schnapp, VVDStRL 43, S. 181. Grundlegend M. Kriele, Staatslehre, S. 46 ff., zusammenfassend S. 58: „Der Souverän besitzt die ungeteilte, unbedingte, unbeschränkte Macht, Recht zu schaffen, zu ändern und zu durchbrechen. Dieses Konzept ist in allem das Gegenteil des Verfassungsstaates der Neuzeit." 225 Ausführlich S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 381 ff. Zur Debatte um Souveränität im Hinblick auf die europäische Verfassung ders. in: A. v.Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 76 ff., wo er zu Recht von der „Wiederkehr „Untoter" aus dem Theoriearsenal des späten 19. Jahrhunderts" spricht, ebd. S. 78. 226 T. Fleiner-Gerster, Staatslehre, S. 183. Vgl. auch JA. Frowein, Europarecht 30, S. 316 f., wonach das Abstellen auf Souveränität einen Bundesstaat nicht erklären könne, er kann nur zu einem „verdeckten Einheitsstaat" gemacht werden. 227 G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 349 f. Vgl. zu diesen Schwierigkeiten nur C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 388 f. und dazu /. Pernice, AöR 120, S. 109 ff. 228 Allgemeiner H. Maier, AöR 115, S. 215, der dies auf föderale Ordnungen generell bezieht.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

vor wirkungsmächtigen Schriften von Carl Schmitt 229, als Synonym für Zentralität und Einheitlichkeit benutzt 230 . Den Staat als Einheit zu beschreiben hat sich zu einem zentralen Begriffsmerkmal der grundgesetzlichen Staatstheorie entwickelt 2 3 1 . Die staatstheoretischen Modelle setzen die Einheit des Staates entweder voraus 232 oder sehen diese Einheit als Aufgabe 233 an 2 3 4 . Der Bundesstaat und die Vielheit der politischen Entscheidungsträger ist nur schwer als Konstituierung staatlicher und politischer Einheit zu verstehen 235. Besonders deutlich wird dies, 229

Das Interesse an Schmitt als positivem oder negativem Referenzpunkt ist ungebrochen, vgl. nur die Beiträge im 2001 erschienenen, von R. Voigt herausgegeben Band „Mythos Staat", der sich ausschließlich mit dem Staatsverständnis von Schmitt beschäftigt, sowie die in der Cardozo Law Review 21 aus dem Jahr 2000, S. 1469 ff. veröffentlichten Vorträge. Bedeutsamer für die EinheitsVorstellung als die viel diskutierte Definition der Demokratie durch Carl Schmitt (dazu unten Fn. 337) ist die Annahme, der Staat sei die politische Einheit des Volkes. Dies wird von Schmitt an vielen Stellen der Verfassungslehre angeführt, z. B. bereits zu Beginn, wo das Wort „Verfassung" auf „die Verfassung des Staates, d. h. der politischen Einheit eines Volkes beschränkt" wird, ebd. S. 3, vgl. auch beispielsweise S. 93, 125 oder 235. Dieser Staat, der als Einheit verstanden wird, liegt für Schmitt, ohne dass diese Prämisse weiter begründet wird, der Verfassung voraus, vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, S 351 f. Diese, nicht begründete und auf der Vorstellung vom Staat als politischer Einheit beruhende Prämisse ist das Fundament für die weitere Verwendung der Einheitskonzeptionen bei Schmitt. Die Kategorie der Einheit wird zu einem Dreh- und Angelpunkt seiner Überlegungen, vgl. dazu insbesondere H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 131 ff.; außerdem R. Speth, in: R. Voigt (Hrsg.), Mythos Staat, S. 124 ff.; C. Möllers, Staat als Argument, S. 63 m. w. N. Zur Diskussion über die Einheit des Staates in der Weimarer Republik vgl. M. Stolleis, Geschichte III, S. 101 ff. 2 30 Vgl. H. Lietzmann, in: J. Gebhardt/R. Schmalz-Bruns (Hrsg.), Demokratie, S. 88, der im Untertitel des Aufsatzes eine „Renaissance der Staatsorientierung" ausmacht und polemisch kritisiert, wie die „Staatsmetaphysik" gerade unter den Staatsrechtslehrern seit 1989 wieder „fröhliche Urständ" feiert, S. 86 ff. Ein Beispiel für die neue Bedeutung des Begriffes Staat ist insbesondere die neuere Debatte um den Schutz der Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland durch Art. 79 Abs. 3 GG, z. B. P. Kirchhof in: HdbStR VII, § 183; U. Di Fabio, Der Staat 32, S. 191 ff.; J. Isensee, FS Everling, S. 567 ff. Ausführliche Darstellung dieser Diskussion mit zahlreichen Nachweisen bei C. Möllers, Staat als Argument, S. 376 ff. sowie auf S. 147 ff. zu den unterschiedlichen Wegen, auf denen der Staatsbegriff wieder in den Mittelpunkt gerückt wird. 231

C. Möllers, Staat als Argument, S. 230. Ähnlich die Beschreibung der Einheitsvorstellungen in der Staatslehre von P. Hammans, Das politische Denken, S. 282, wonach es in der juristischen Staatslehre eine ganz spezifische Form der Vereinheitlichung von Handlungssubjekten, also der Bündelung ihres subjektiven Willens, gibt. „Juristische Staatslehre lebt geradezu von der Ideologie der Einheit der Gesellschaft im Staat." 232 Z. B. E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 136; J. Isensee, in: HdbStR I, § 13, Rn. 62 ff. zu den Grundstrukturen staatlicher Einheit. 233 Z. B. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 5 ff.; U. Scheuner, in: ders., Staatstheorie, S. 25 und 77 sieht den Staat als „Wirkungseinheit, der in einem Räume in höchster Instanz die Wahrung von Frieden und Ordnung aufgetragen ist." 234 Zum Ganzen vgl. C. Möllers, Staat als Argument, S. 228 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Kritisch zu diesen Einheitsvorstellungen F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 85 f. Vgl. ausführlich zu den Diskussionen, die sich am Begriff „Staat" entzünden, P Zumbansen, Ordnungsmuster, S. 42 ff. 23 5 J. Isensee, AöR 115, S. 265. Vgl. auch R. Eckertz, in: FS Böckenförde, S. 13 ff.

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wenn der Staat als „Machteinheit" oder „Entscheidungseinheit"236 bezeichnet wird. Von der Entscheidungseinheit zur Vielheit der Entscheidungsträger ist zumindest ein erhebliches Stück argumentativen Weges zurückzulegen. Auch ErnstWolfgang Böckenförde, ein besonders prominenter Verfechter der Einheitsvorstellungen, sieht diese Schwierigkeit, macht dies aber der bundesstaatlichen Ordnung zum Vorwurf. Die von ihr bewirkte Gewaltengliederung liege „zum Prinzip der einheitlichen Herrschaftskonstituierung und -legitimation, das im Begriff der Staatsform enthalten ist, eher quer" 2 3 7 . Diese Formulierung verdeutlich außerdem noch einmal, dass der abstrakte, mit einem nicht begründeten Einheits(vor)verständnis angefüllte Begriff 238 zum Maßstab für die konkrete Verfassungsordnung gemacht wird. Die Vielheit der politischen Entscheidungsträger im grundgesetzlichen Bundesstaat und ihre Erfassung wird ausführlich in Kapitel 2 der Arbeit erörtert. Dabei wird sich eine weitgehende Beschränkung der Staatsrechtslehre auf die Einheitlichkeit im Bundesstaat erweisen, welcher der eigene Versuch einer Analyse dieser Vielheit als Grundlage für ein weniger einseitiges Verständnis des Bundesstaates gegenübergestellt wird. Ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten und das Unbehagen im Umgang mit dem Bundesstaat, die aus der Fixierung auf die Einheitlichkeit resultieren, wirft die Überlegung von H.- P. Schneider, ob die Bundesrepublik überhaupt noch ein Bundesstaat sei, da das wiedervereinigte Land eher Unausgewogenheit und Zerrissenheit Deutschlands und seiner Teile widerspiegele als deren Zusammengehörigkeit und Einheit 239 . Nicht nur die „abstrakte und auf die Realität wenig zugeschnittene Souveränitätslehre" hat also, wie aus der Sicht eines Schweizer Beobachters zutreffend festgestellt wurde, der deutschen Staatsrechtslehre im allgemeinen den Weg zu einem inneren Verständnis des Bundesstaates erschwert 240 , sondern insgesamt die Konzentration auf abstrakte Begriffe, insbesondere „Staat(lichkeit)" 241 . Insofern ist die Beobachtung richtig, dass diese Begriffe die Dogmatik des Bundesstaatsrechts wesentlich mehr gestört als gefördert haben 242 . Sie sind nicht in der Lage, die komplexe bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes adäquat zu beschreiben.

236 So beispielsweise von E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 136; J. Isensee, JZ 1999, S. 272; ders., in: HdbStR I, § 13, Rn. 62 ff.; K. Hesse, DÖV 1975, S. 439; H. Uhlenbrock, Der Staat als juristische Person, S. 167. 237 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 198. Böckenförde sieht dies durch eine unitarische Allparteienregierung relativiert und überdeckt, vgl. ausführlicher unter Kapitel 2 A I I 2 b, S. 119 ff. 238 Von Böckenförde wird der von ihm gebrauchte Begriff der Staatsform in keiner Weise erläutert, er scheint als unstrittig und nicht erklärungsbedürftig vorausgesetzt zu werden.

239 H.-P. Schneider, in: J. Huhn/P.-C. Witt (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland, S. 239. 240 T. Fleiner-Gerster, Staatslehre, S. 183; vgl. auch S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 378. 241 Diese Schwierigkeiten sind nicht auf (verfassungsrechtliche Zusammenhänge beschränkt. Zu den Diskussionen in der Geschichtswissenschaft, die sich an der Beschreibung eines Verbandes als Staat entzünden, in diesem Fall bezüglich der Einordnung des Alten Reiches, vgl. statt vieler W. Reinhard, Zeitschrift für Historische Forschung 29, S. 343 ff.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Für die Beibehaltung des Begriffs „Staatlichkeit" im Bundesstaat ist angeführt worden, dass allein die Eigenständigkeit keinen Unterschied zwischen Ländern und Kommunen begründen könne und dies dann nur noch einheitlich Ausdruck der Dezentralisation sei 2 4 3 . Dies allein wäre jedoch kein Grund, auf der Staatlichkeit der Länder zu bestehen; es ist schließlich möglich, dass eine Verfassung schlicht verschiedene Ebenen und unter ihnen die Landesebene als Mittel der Dezentralisation schafft. Es ist also zunächst am Grundgesetz zu zeigen, dass Länder und Kommunen etwas wesentlich verschiedenes sind. Eine begriffliche Unterscheidung macht das Grundgesetz selbst mit der Bezeichnung als Länder im Gegensatz zu Kreisen und Gemeinden. Darüber hinaus und wesentlich wichtiger haben Länder und Kommunen in der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes eine fundamental andere Rolle. Dies gilt für die Verfassunggebung, an der die Länder wesentlich beteiligt waren, ebenso wie für die Mitwirkung der Länder bei der Willensbildung auf Bundesebene unter dem Grundgesetz. Außerdem ist nur die Existenz der Länder und ihre Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes in Art. 79 Abs. 3 GG geschützt, den Kommunen wird solcher Schutz hingegen nicht gewährt. Die Länder sind deshalb völlig unabhängig von ihrer begrifflichen Einordnung als Staaten etwas grundsätzlich anderes als bloß eine weitere Ebene in einem dezentral organisierten Gemeinwesen. Sie sind eben gerade nicht nur eine Untergliederung, auf die bestimmte Entscheidungen delegiert sind, sondern sie entscheiden auf Bundesebene mit. Insbesondere ist die Änderung der Bundesverfassung nicht ohne die Zustimmung einer großen Ländermehrheit möglich. Da aber das Grundgesetz das Begriffsinstrumentarium für diese Unterscheidung bereits zur Verfügung stellt, indem es zwischen Ländern einerseits und Kommunen andererseits unterscheidet, ist es nicht notwendig, als weitere begriffliche Unterscheidung die Länder als Staaten zu bezeichnen. Die Länder sind vielmehr so zu bezeichnen, wie das Grundgesetz sie bezeichnet: als Länder 244 .

2. Unitaristisch-Zentralistische Prägungen Neben der Kritik des verwendeten Begriffsinstrumentariums gilt es, die unitaristischen bis zentralistischen Prägungen und damit das Vörverständnis der Beschäftigung mit der bundesstaatlichen Ordnung aufzuzeigen 245. Im Folgenden sollen drei 242 So S. Korioth, Finanzausgleich, S. 93 f. Vgl. auch die unter Kapitel 1 A I 2 b, S. 39 ff., geschilderten Ansätze. 243 G. Püttner, Redebeitrag, VVDStRL 46, S. 151. Vgl. auch H. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 413. 244 So im Ergebnis auch R. Kaufmann, Bundesstaat und Deutsche Einheit, S. 176, vgl. dazu aber auch oben in Fn. 152. 245 Grundlegend dazu S. Oeter, Bundesstaatsrecht, passim. Eine einseitige Orientierung der Staatsrechtslehre am ersehnten Nationalstaat gab der Staatsrechtslehre bereits im Deutschen Reich von 1871 ihre betont unitarische Ausrichtung, H. Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 259, ausführlich zum Deutschen Reich als Bundesstaat ebd., S. 128 ff.

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Zusammenhänge, in denen dieses Vorverständnis besonders deutlich wird, näher dargelegt werden. a) Besonderer Legitimationsdruck Zunächst ist der Bundesstaat, im Gegensatz zu anderen Staatsformelementen des Grundgesetzes, einem erheblichen Legitimationsdruck ausgesetzt. Zu Demokratie, Rechtsstaat und Republik gibt es keine positiv besetzten Alternativen, dem Bundesstaat hingegen kann der Zentralstaat als vermeintlich effektivere Form des Staates entgegengehalten werden 246 . In vielen Darstellungen des grundgesetzlichen Bundesstaates gibt es folgerichtig einen Abschnitt zur Rechtfertigung der bundesstaatlichen Ordnung 247 . Ein gutes Beispiel hierfür ist die Darstellung der Gründe für das Bundesstaatsprinzip im 1999 zum ersten Mal erschienen Lehrbuch zum Staatsrecht von Hartmut Maurer, der den Bundesstaat weder für generell besser noch schlechter hält als den Einheitsstaat und dann verschiedene Gründe für die Etablierung und Beibehaltung des Bundesstaates in Deutschland anführt 248 . In diesen Zusammenhang gehört auch, dass Bundesstaatlichkeit vielfach mit Partikularismus und Kleinstaaterei, wie sie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und auch im Deutschen Bund herrschten, gleichgesetzt worden ist 2 4 9 . Insgesamt hat die Deutung des deutschen Föderalismus in der Staatsrechtslehre durchweg apologetischen Charakter 250 . Er wird nicht aus sich heraus gerechtfertigt, sondern aus dem Nutzen, den er für andere Verfassungsfaktoren erbringt. Seine Legitimation wird nur aus seinen Hilfsdiensten für das Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip abgeleitet251. Deutlich wird dies nicht nur an den verbreiteten zweifelnden Überlegungen zur Legitimität des Bundesstaates252, sondern auch an der Bedeutung, die Konrad Hesses Lehre vom unitarischen Bundesstaat erlangt hat. Der Bundesstaat wird von Hesse im wesentlichen aufgrund der Funktionen, die er für den Gesamtstaat erbringt, legitimiert, insbesondere die Gewaltenteilung 246 j, Isensee, AöR 115, S. 248 f. Ähnlich K Stern, in: FS Hans Huber, S. 326. Skeptisch dem Bundesstaat gegenüberstehend auch U. Volkmann, DÖV 1998, S. 613 ff. Vgl. zur Rechtfertigungsdebatte um die bundesstaatliche Ordnung auch K Pabel, Kompetenzordnung im Bereich der Kunst, S. 200 f. 247 Vgl. K. Stern, Staatsrecht I, § 19 II: „Sinn und Rechtfertigung des bundesstaatlichen Prinzips", S. 657-666; E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, § 13 V: „Vor- und Nachteile des Bundesstaatsprinzips", S. 111; O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26 VII: „Rechtfertigung des Bundesstaates", Rn. 22-24. 248 H. Maurer, Staatsrecht, § 10IV: „Zur Rechtfertigung des Föderalismus", Rn. 71-78. 249 R, Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 71; T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 15 II 4, S. 110. 250 j. Isensee, AöR 115, S. 248; R. Lhotta, Der Staat 36, S. 199. 251 J. Isensee, AöR 115, S. 260; R. Lhotta, Der Staat 36, S. 193 und 200. 252 Vgl. neben den soeben in Fn. 247 und 248 genannten z. B. K.E. Hain, Grundsätze des Grundgesetzes, S. 397 ff. 5 Hanebeck

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

wird hervorgehoben 253. Genannt wird ferner die größere Sachnähe der Entscheidungsebene Land, die insbesondere aus der besseren Überschaubarkeit resultiere: der Staat rücke den Menschen und den Sachen, der Einzelne dem Staat näher 254 . Für die Demokratie ergebe sich aus dem Bundesstaatsprinzip vor allem eine Gliederung der Parteien und Verbände in Landesverbände, also eine Föderalisierung der für politische Willensbildung bedeutsamen Organisationen. Oppositionsparteien erhielten zudem die Gelegenheit, Erfahrungen in Regierung und Verwaltung der Länder zu sammeln, wodurch das Gefälle zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien verringert werde 255 . Auch für das Demokratieprinzip wird der Sinn und Zweck der bundesstaatlichen Ordnung also im wesentlichen aus der Perspektive des Bundes wahrgenommen. Wesentlicher Effekt der föderalen Strukturen ist nach diesem Verständnis, dass auf Bundesebene in der Opposition befindliche Parteien nicht völlig ohne Regierungserfahrung bleiben und eine Art Gewaltenteilung innerhalb der Organisationen durch die Gliederung in Landesverbände stattfindet 2 5 6 . Besonders deutlich wird diese Position, wenn im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG verfassungsänderungsfest sein soll, was für die Erfüllung dieser Funktionen für den Gesamtstaat erforderlich ist 2 5 7 . Die Geringschätzung des Bundesstaates wird bei der Rezeption von Resses Schrift grundsätzlich und ausdrücklich formuliert. Bezeichnend ist insoweit die Charakterisierung durch Roman Herzog aus dem Jahre 1967, der Hesse bescheinigt, er habe den Kern der Dinge bei der Deutung des modernen Bundesstaates getroffen, jedenfalls „was die psychologische Erträglichkeit seiner [des Bundesstaates, d. Verf.] von Art. 79 Abs. 3 GG ohnehin verfügten Aufrechterhaltung betrifft" 2 5 8 . Es geht demnach nicht darum, die Unverzichtbarkeit des Bundesstaates zu begründen, sondern seiner „Einzementierung" durch Art. 79 Abs. 3 „einen vernünftigen Geschmack abzugewinnen und aus ihr, mag sie für viele auch eine verfassungsrechtliche Not darstellen, im Rahmen der Möglichkeiten eine verfassungs253

Vgl. zu Hesse unter Kapitel 1 A I 1 b S. 31 ff. Außerdem etwa O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26, Rn. 43-45; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 74 ff.; E.-WBöckenförde, in: ders., Staat, Nation, Europa, S. 194f. Vgl. auch S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 396 m.w.N. 254 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 30 f.; K Stern, Staatsrecht I, § 19 I I 1, S. 658; H.-J. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 12; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 397 m. w. N. 255 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 27 f.; J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 252 ff.; H.-J. Vogel, in: HdbVerfR, § 22, Rn. 15 f.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 84; vgl. S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 397; U. Scheuner, DÖV 1962, S. 646. 256 Dies wird anschaulich z. B. bei K. Hesse, AöR 98, S. 13, wo in einem Halbsatz zunächst davon die Rede ist, der Bundesstaat ermögliche es „regional variierenden Mehrheitsverhältnissen gerecht zu werden" was aber sofort als „von wesentlicher Bedeutung für den Einbau der politischen Opposition in die demokratische Ordnung" eingeordnet wird, „so daß sie, wenn sie einmal im Bunde die Mehrheit gewinnt, über ein hinreichend geschultes politisches Personal verfügt". 257 K. Hesse, AöR 98, S. 15 f. 258 R. Herzog, JuS 1967, S. 194.

A. Bundesstaat

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politische Tugend zu machen" 259 . Die existierende in den Worten von Herzog zum Ausdruck kommende Geringschätzung gegenüber dem Föderalismus ist Ausdruck der unitaristisch-zentralistischen Prägungen aufgrund der Vorstellung, es seien bessere Lösungen als eine bundesstaatliche zu haben. Der Bundesstaat wird also eher als Übel betrachtet 260, welchem es möglichst viel Positives abzuringen gilt. Eine positivere Variante ist es, die Reduktion des Bundesstaates auf seine Hilfsdienste für andere Ziele als etwas Empfehlenswertes zu begreifen und zur Nachahmung zu empfehlen 261. Dies bildet den Hintergrund, vor dem Hesses Schrift entstanden ist und vor dem sie so prägenden Einfluss gewinnen konnte. Ein solches Legitimationsdefizit zeichnet sich jedoch im Verfassungstext gerade nicht ab. Vielmehr sind Elemente des Bundesstaates in Art. 79 Abs. 3 GG normativ besonders abgesichert 262, wo ausdrücklich die Gliederung des Bundes in Länder und die Mitwirkung der Länder bei der Willensbildung des Bundes für verfassungsänderungsfest erklärt wird. Der Text des Grundgesetzes und die Wahrnehmung des Bundesstaates stehen insoweit in einem Spannungsverhältnis.

b) Entstehungsgeschichte Ein weiterer wesentlicher Aspekt für die Analyse des unitaristisch-zentralistischen Vorverständnisses liegt in der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes 263. Bereits der föderalistische Aufbau des Deutschen Reiches von 1871 wurde vielfach als Manko empfunden und lenkte das Denken in eine antiföderalistische Richtung 264 . 259 R. Herzog, JuS 1967, S. 195. 260 Vgl. auch die bei W. Geiger, Missverständnisse, S. 1 ohne Quellenangabe aufgeführten Polemiken gegen den Föderalismus, z. B. „Demontage der Verfassung". 261 Z. B. D. Kugelmann, in: FS W. Rudolf, S. 169: „An erster Stelle kann im Rahmen der europäischen Einigung die Funktionalisierung des Föderalismuskonzeptes übernommen werden. [ . . . ] Ein Wert an sich ist der Föderalismus nur insoweit, als er erwünschten Zielen, zum Beispiel der Freiheitssicherung, besonders förderlich ist. Er dient vielmehr der Verwirklichung anderweitiger politischer und rechtlicher Zielsetzungen." 262 Auf eine besondere normative Absicherung verweisen etwa J. Isensee, AöR 115, S. 249; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rn. 904. Der in Art. 79 Abs. 3 GG neben den ausdrücklich erwähnten bundesstaatlichen Schutzgütern enthaltene Verweis auf Art. 20 Abs. 1 GG und den dort erwähnten „Bundesstaat" hat allerdings keinen eigenen Gehalt, sondern ist lediglich als Wiederholung zu verstehen, dazu ausführlich unter Kapitel 3 B I, S. 284 ff. Insoweit kann nur sehr eingeschränkt von einem doppelten Schutz der bundesstaatlichen Ordnung gesprochen werden. Für eine „Verstärkung" der ausdrücklichen föderalen Garantien durch den Verweis auf Art. 20 GG, C. Visman, in: AK-GG, Art. 79, Rn. 59. 263 Die föderale Ordnung in Deutschland hat sich insgesamt relativ mühselig und langwierig herausgebildet, vgl. H. Maier, AöR 115, S. 220 f. 2 64 G. Püttner, in: K.W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik, S. 72 f. Bereits die nach 1830 vorgeschlagenen Bundesstaatsmodelle waren „durchweg Mittel zur Herstellung eines deutschen Nationalstaates", so zusammenfassend B. Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 296, ausführlich ebd., S. 278 ff. Die bundesstaatliche Organisation des Norddeutschen Bundes fand ebenfalls ihre Legitimation in der Idee des Nationalstaates, H, Holste,

5*

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Für das Grundgesetz selbst wurde, besonders in der Zeit kurz nach seiner Verabschiedung, diskutiert, ob die verfassunggebende Gewalt bei den Alliierten lag oder zumindest teilweise von ihnen ausgeübt wurde, also ob das Grundgesetz auf einem Oktroi der Alliierten beruht 265 . Inzwischen ist im wesentlichen anerkannt, dass die Verfassung zumindest nicht auf einem Diktat der Alliierten beruht 266 . Diese negative Definition, die lediglich ein Diktat verneint, lässt offen, wie die Vorrechte und Vorgaben der Alliierten sowie ihre Einflussnahme auf den Parlamentarischen Rat im Hinblick auf Inhaber und Ausübung verfassunggebender Gewalt zu werten sind. Es bleibt häufig bei Beschreibungen des Geschehens, die eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Parlamentarischem Rat und den Alliierten feststellen und dort, wo Konflikte deutlich zu Tage traten, insbesondere bei Fragen der föderalen Ordnung, Aushandlungsprozesse und Kompromissbildung konstatieren 267. Von anderer Seite wird denn auch nach wie vor bezweifelt, dass die originäre verfassunggebende Gewalt beim deutschen Volk lag 2 6 8 oder der „historisch unrichtigen" Präambel ein vor allem psychologischer Sinn zugesprochen 269 . Zum Teil wird auch eine Schwächung der verfassunggebenden Gewalt angenommen, verursacht durch eine zeitweilige faktische Sperre, welche die Besatzungsmächte unter der Bedingung einer ihnen genehmen Verfassunggebung aufgehoben haben 270 .

Bundesstaat im Wandel, S. 121. Das Deutsche Reich von 1871 ist als Bundesstaat gegründet worden, weil anders der Beitritt der süddeutschen Staaten und damit die nationale Einheit nicht zu haben war, nicht weil es um die Verwirklichung der Ideale des Föderalismus wie der Bewahrung regionaler Besonderheiten oder um die Freiheit des politischen Experimentierens in kleineren politischen Einheiten ging, vgl. F. W. Scharpf \ in: ders., Optionen des Föderalismus, S. 46. Der Bundesstaat war „notwendige Form", um „endlich einen Nationalstaat zu verwirklichen", H. Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 257. Von nationalliberaler Seite wurde ein Einheitsstaat bevorzugt und es gab scharfe Kritik an den in ihrer Bedeutung überschätzten, süddeutschen Staaten gewählten Sonderrechten, H.A. Winkler, Der Lange Weg nach Westen I, S. 209; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918 II, S. 78; G. Mann, Deutsche Geschichte, S. 384. Auch in der Weimarer Republik wurde der Bundesstaat noch teilweise als eine Notwendigkeit deutscher Einheit angesehen, H. Holste, Bundesstaat im Wandel, S. 535 f. 265 Vgl. H. Nawiasky, Grundgedanken , S. 11 f., 79; H.P. Ipsen, in: ders., Über das Grundgesetz, S. 19 f.; H. Schneider, NJW 1954, S. 937; D. Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, S. 92-95. 2 66 H. Dreier, in: ders., GG, Präambel, Rn. 43; P.M. Huber, in: Sachs, GG, Präambel, Rn. 14; I. V.Münch, in: v.Münch/ Kunig, GG, 3. Aufl., Präambel, Rn. 16; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Präambel, Rn. 28. Für von den Besatzungsmächten oktroyiert hält das Grundgesetz hingegen O. Massing, in: H.-P. Schneider, Grundgesetz in interdisziplinärer Betrachtung, S. 71 ff. 2

67 Z. B. H. Dreier, in: ders., GG, Präambel, Rn. 43.

2

*8 H.-P. Schneider, in: HdbStR VII, § 158, Rn. 37.

26

9 D. Murswiek, Verfassunggebende Gewalt, S. 96 f. 70 C. Starck, in: v.Mangoldt / Klein / Starck, GG, Präambel, Rn. 18; M. Kloepfer, 1983, S. 59; W. Henke, Verfassunggebende Gewalt, S. 136. 2

ZRP

A. Bundesstaat

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In diesem Zusammenhang hat die Rolle der Alliierten bezüglich der bundesstaatlichen Ordnung eine wesentliche Bedeutung gehabt. Im Frankfurter Dokument Nr. I, in dem die Militärgouverneure die Ministerpräsidenten ermächtigten, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, war eine Kernforderung für die zu schaffende Verfassung, sie müsse eine „Regierungsform föderalistischen Typs" konstituieren 271. Darin wird kein Oktroi gesehen, weil der Parlamentarische Rat sich auch ohne diese Forderung für einen Bundesstaat entschieden hätte, über die Anknüpfung an die föderalistische Tradition der deutschen Verfassungsgeschichte und ihre Fortsetzung habe Einigkeit bestanden272. Die, verglichen mit der Weimarer Verfassung größere Länderfreundlichkeit des Grundgesetzes sei nicht auf die Alliierten zurückzuführen, sondern habe ihren Grund in der Rücksichtnahme auf die föderalistisch ausgerichteten süddeutschen Länder, ohne deren Zustimmung die Annahme des Grundgesetzes gefährdet gewesen wäre 273 . Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Alliierten in die Verfassungsberatungen hinsichtlich der Gestaltung der bundesstaatlichen Ordnung in nicht nur unerheblichem Maße eingegriffen haben und dass diese Einflussnahme, wie effektiv auch immer sie im Ergebnis gewesen sein mag, antibundesstaatliche Positionen erheblich gefördert hat. Auch wenn man in der Gesamtbetrachtung nicht von einem oktroyierten Bundesstaat sprechen kann, der den neuen deutschen Staat von innen heraus schwächen sollte, so wurde die Bundesstaatlichkeit vielfach so verstanden 274. Eine Folge waren antibundesstaatliche Ressentiments. Besonders akzentuiert kommt dieses Empfinden in der diskreditierenden Bezeichnung als „Besatzungsföderalismus" 275 zum Ausdruck, oder wenn Günter Püttner beschreibt, dass der Föderalismus von den Unitariern vor allem als „Fortsetzung des Morgenthau-Planes mit anderen Mitteln" gesehen wurde 276 . Angesichts einer, vorsichtig formuliert, nicht uneingeschränkt 271

Vgl. zu den Frankfurter Dokumenten zusammenfassend R. Mußgnug, in: HdbStR I, § 8, Rn. 22 ff. 272 R. Mußgnug, in: HdbStR I, § 8, Rn. 71; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 7; J. Isensee, AöR 115, S. 253. Aus amerikanischer Perspektive ebenso B. Ackerman, Harvard Law Review 113, S. 636, für den die deutschen Juristen und Politiker die meisten Entscheidungen trafen. 273 R. Mußgnug, in: HdbStR I, § 8, Rn. 72 f. 274 So die inzwischen verbreitete Zusammenfassung, vgl. J. Isensee, AöR 115, S. 253; H. Maurer, Staatsrecht, § 10, Rn. 71 f.; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 140; F. Ossenbühl, DVB1. 1989, S. 1230; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, IV, Rn. 72. 27 5 Vgl. K. DüwelU in: J. Huhn/P.-C. Witt (Hrsg.), Föderalismus in Deutschland, S. 127. 276 G. Püttner, in: K.W. Nörr (Hrsg.), 40 Jahre Bundesrepublik, S. 73. In seinem Redebeitrag in VVDStRL 58, S. 97 beschreibt Püttner, dass diese Auffassung von seinem akademischen Lehrer, Karl August Bettermann, gelehrt worden ist. Von oktroyierten Elementen des Föderalismus spricht W. Weber, Spannungen, 3. Aufl., S. 83. Vgl. außerdem HP. Ipsen, in seiner 1949 gehaltenen Rede „Über das Grundgesetz", abgedruckt in: ders., Über das Grundgesetz, S. 22, wo er sich bezüglich Art. 79 Abs. 3 GG fragt „ob damit Besatzungsinterventionen über die Besetzung hinaus approbiert werden - ich denke in erster Linie an die Föderalisierung". Es ist also zumindest verkürzend, wenn bezogen auf die Grundgesetzentstehung festgestellt wird, die Bundesstaatlichkeit habe einen allgemein anerkannten und gesicherten

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

als positiv empfundenen bundesstaatlichen Tradition wäre 1948/49 zumindest eine Diskussion über die Entscheidung für einen Bundesstaat geführt worden, was durch die Vorgabe der Alliierten, eine Regierungsform des föderalistischen Typs zu schaffen, verhindert w u r d e 2 7 7 . Dass diese Debatte nicht geführt werden konnte, hat zum Unbehagen gegenüber der bundesstaatlichen Ordnung erheblich beigetragen 2 7 8 . Ferner wäre der Bundesstaat des Grundgesetzes ohne die Einflussnahme der Alliierten in der Tendenz wohl zentralistischer oder unitarischer geworden 2 7 9 , auch wenn der föderal ausgerichtete alliierte Einfluss i m Ergebnis unterschiedlich effektiv w a r 2 8 0 . Die Entscheidung, einen Bundesstaat mit möglichst starken Ländern und einer schwachen Zentralgewalt zu schaffen, haben die Alliierten auf einer Londoner Konferenz 1948 getroffen, wobei vor allem Frankreich auf einem konsequent föderalistischen Staatsaufbau bestand, um eine erneute Machtkonzentration in Deutschland zu verhindern 2 8 1 . Gegenüber dieser föderalen Vorgabe gab es in Deutschland eine verbreitete föderalismuskritische bis föderalismusfeindliche Platz eingenommen, so jedoch etwa H. Schambeck, in: D. Merten (Hrsg.), Bundesrat in Deutschland und Österreich, S. 45. In der jüngeren Literatur hat C. Neumeyer, Weg zur neuen Erforderlichkeitsklausel, S. 53 ff. vertreten, Teile des Föderalismus gingen entscheidend auf die Alliierten zurück. 277 O. Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 615. Vgl. auch die 1947 erschienene Schrift von H. Peters, Deutscher Föderalismus, der einen dezentralisierten Einheitsstaat favorisiert, S. 53 f., aber in Anbetracht der von den Alliierten geschaffenen Länder eine solche Lösung für nicht mehr möglich hält, S. 57 f. Vgl. zudem H. Potthoff/S. Miller, Kleine Geschichte der SPD, S. 197, die etwas verkürzt und zugespitzt von einer „gemeinsamen Front mit der FDP gegen den Föderalismus" sprechen, welche die SPD gebildet habe. 278

Diese Empfindung kommt auch in der pointierteren Formulierung von O. Kimminich, Verfassungsgeschichte, S. 615 zum Ausdruck, wo von der „Unterdrückung dieser Debatte durch den gebieterisch erklärten Willen der Besatzungsmächte" die Rede ist. 279 D. Grimm, in: ders., Zukunft der Verfassung, S. 377. W. Benz, in: L. Herbst (Hrsg.), Westdeutschland, S. 143; T. Nipperdey, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte, S. 100. Vgl. auch K Stern, Staatsrecht V, § 133 I I 11 c ä, S. 1333 f. 280 Bezüglich der Zuständigkeitsverteilung der Gesetzgebung gab es auf ihren Druck hin Änderungen im Text, vgl. K Niclauß, Weg zum Grundgesetz, S. 299 ff. Bezüglich der Finanzverwaltung haben die Alliierten ebenfalls massiv Einfluss genommen, vgl. Niclauß, ebd., S. 303 ff. Vgl. auch M. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat, S. 100 ff., 109 ff., 119 ff. und 148 ff.; H. A. Winkler, Der lange Weg nach Westen II, S. 131 ff.; S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 125 f. und 134 ff.; H. Fenske, Verfassungsgeschichte, S. 96. Verglichen mit ihrem Vorgehen gegenüber Japan haben die USA jedoch zurückhaltend Einfluss genommen, B. Pieroth, NJW 1989, S. 1336 f. 281 HA. Winkler, Der lange Weg nach Westen II, S. 131. Dies wurde auch von den Zeitgenossen so empfunden, vgl. etwa aus dem Jahre 1948, W. Grewe, Antinomien des Föderalismus, S. 26 ff. und im Jahre 1951 W. Weber, Spannungen, 1. Aufl., S. 11 und 67. Auch im Parlamentarischen Rat ist dies zur Sprache gekommen. In seinem Einführungsreferat hat Carlo Schmid darauf hingewiesen, dass der Föderalismus im Rahmen der Sicherheitspolitik auferlegt worden und als Sicherheitsgarantie für die Nachbarn gedacht sei, Parlamentarischer Rat, Sten. Ber., S. 16. Zu den unterschiedlichen deutschlandpolitischen Konzeptionen der Alliierten vgl. ausführlich K. Stern, Staatsrecht V, § 131 III 4, S. 953 ff.

A. Bundesstaat

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öffentliche Meinung 282 . Dass mit dem Grundgesetz ein Bundesstaat geschaffen wurde, ist also nicht mit großem Jubel begrüßt, sondern vielfach eher skeptisch aufgenommen worden. Die Verfassungsentwicklung habe die Aufgabe, so Werner Weber 1951, „die fiktiven und oktroyierten Elemente im Föderalismus zu überwinden" 2 8 3 . Zudem wurde häufig konstatiert, den Ländern fehle es, als größtenteils von den Alliierten geschaffene künstliche Gebilde, an Tradition und konkret-geschichtlicher Eigenständigkeit, weshalb die Bewahrung der Unterschiedlichkeit keine Legitimation für den Bundesstaat des Grundgesetzes mehr darstellen könne 2 8 4 . Die Entscheidung für den Bundesstaat wurde 1949 weniger um der Bewahrung von Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der Länder, sondern eher um der „guten Ordnung des Gesamtverbandes" willen getroffen 285. Es gibt in Deutschland nicht, wie in anderen Bundesstaaten, einen Affekt gegen die Zentralgewalt 286 , vielmehr wird überwiegend eher der Landesgewalt mit Misstrauen begegnet, sie wird als rechtfertigungsbedürftige Partikulargewalt wahrgenommen 287.

c) Vorwurf

der Ineffektivität

Der dritte, für die unitaristisch-zentralistische Prägung des Bundesstaatsrechts bedeutsame, Komplex ist der Vorwurf, die bundesstaatliche Ordnung sei ineffekt i v 2 8 8 . Im Hintergrund dieser Diskussionen stehen die bereits erwähnten Überle282 M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 63. Vgl. dazu auch N. Grube, in: Jahrbuch des Föderalismus 2001, S. 101 ff. mit Nachweisen zu empirischen Untersuchungen des Institutes für Demoskopie Allensbach in den Nachkriegsjahren. Außerdem die Schilderung bei T. Nipperdey, Nachdenken über die deutsche Geschichte, S. 99 f., wo auch die föderalismusfreundlichen Positionen dargestellt werden. Andere Akzentuierung bei M. Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik, S. 115 f., der als Ausgangspunkt eine allgemeine Ablehnung zentralstaatlicher Vorstellungen konstatiert, allerdings auch auf Stimmen verweist, die vor einem Übermaß an Föderalismus und einem Abgleiten in den Partikularismus warnten. 283 W. Weber, Spannungen, 1. Aufl., S. 97. 284 28

K Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 12; M. Bothe, Kompetenzstruktur, S. 64. 5 G. Kisker, Kooperation im Bundesstaat, S. 104; R. Lhotta, Der Staat 36, S. 191.

286 Vgl. etwa für die USA F. Jacobs/K. Karst, in: M. Capelletti u. a. (Hrsg.), Integration through Law Vol. 1-1, S. 201 f., wonach nicht Verfassungsrecht sondern politische Auffassungen über die Aufgaben des Bundes effektiv die Grenze dessen markieren, was auf Bundesebene entschieden wird. Zum historischen Hintergrund dieses Misstrauens gegenüber der Zentralgewalt in den USA zusammenfassend U. Rödel/G. Frankenberg /H. Dubiel, Die demokratische Frage, S. 64 f.; J.J. Ellis, Founding Brothers, S. 7 f. Maßgeblich zur Ideengeschichte der Gründung der USA nach wie vor B. Bailyn, Ideological Origins und G.S. Wood, Creation of the American Republic. 287 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 378. 288 In jüngster Zeit z. B. G. Färber, DÖV 2001, S. 485 ff. Zur bereits zur Zeit der Grundgesetzentstehung verbreiteten Überzeugung, die Bewältigung der Kriegsfolgen und der Wiederaufbau seien nur zentral möglich vgl. T. Nipperdey, Nachdenken über die deutsche Geschichte, S. 100.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

gungen zur Rechtfertigung des Bundesstaates gegenüber der Alternative Zentralstaat, sie betreffen aber ganz spezifische Punkte der grundgesetzlichen Ordnung. So wird angeführt, der i m Sog von Problemen, die nicht mehr an Nationalstaatsgrenzen und erst recht nicht an Ländergrenzen halt machten, entstandene Zentralisierungsdruck habe sich an den Kompetenznormen des Grundgesetzes gebrochen und zu zahlreichen Kompetenzverlagerungen auf den Bund geführt 2 8 9 . Die bundesstaatliche Ordnung in ihrer ursprünglichen, stärker dualistischen Form, wird i m Rückblick als Hindernis für effektives Krisenmanagement gesehen 2 9 0 . Darüber hinaus ist der Vorwurf der Ineffektivität i m wesentlichen Folge der Stellung des Bundesrates und der Entwicklung des Parteiensystems 291 . Die Möglichkeit, der auf Bundesebene in der Opposition befindlichen Partei(en), über eine unter Umständen bestehende Vetoposition i m Bundesrat, Politik auf Bundesebene mitzugestalten oder, j e nach Wahrnehmung, Obstruktion zu betreiben, ist vielfach als undemokratisches Hindernis bei der Durchsetzung der Mehrheitsentscheidung gesehen word e n 2 9 2 . In diesem Zusammenhang ist vom „Bundesoppositionsrat" oder vom „Bundesrat als Bremser" die R e d e 2 9 3 , der Bundesrat habe die Rolle der „Neinsage289 D. Grimm, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, S. 377. In diesem Zusammenhang hat gerade die Ausweitung staatlicher Intervention im Bereich der Wirtschafts- und Ordnungspolitik zu einer Ausweitung der Bundeskompetenzen beigetragen, vgl. zur Entwicklung der Wirtschaftsregulierung zusammenfassend M. Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, S. 182 ff. 290

Vgl. z. B. D. Grimm, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, S. 376. Zu Bundesrat und Parteiensystem G. Lehmbruch, Parteien Wettbewerb im Bundesstaat, S. 31 ff. und 89 ff.; U. Leonardy, ZParl 2002, S. 180 ff.; G. Leibholz/D. Hesselberger, in: Bundesrat (Hrsg.), Bundesrat als Verfassungsorgan, S. 99 ff.; H Laufer, ZParl 1970, S. 327 ff. Außerdem M. Heger, Deutscher Bundesrat, S. 186 ff., unter Einbeziehung des Schweizer Ständerates. Einen Blick aus der Perspektive eines amerikanischen Politikwissenschaftler bietet E. Pinney, Federalism, Bureaucracy and Party Politics, S. 88 ff. 291

292 Z. B. H. Meyer, in: F. Hufen (Hrsg.), Bundesstaat-Parlament-Opposition, S. 33 ff., insbesondere S. 35, der keinen demokratietheoretischen Sinn in der Mitwirkung der Länder zu erkennen vermag und den Bundesrat in seiner existierenden Form für „keine besonders intelligente Erfindung" hält. Ähnlich E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, § 13 III, S. 109, wo kritisiert wird, dass der Bundesrat vom „Sachwalter der Länderinteressen zu einem Sachwalter der Oppositionsinteressen umfunktioniert" werde. Vgl. außerdem die Sondervoten im Schlussbericht der Enquêtekommission Verfassungsreform, BT-Drs. 7/5924 vom 9. 12. 1976: Sondervotum F. Schäfer, S. 109; Sondervotum Heinsen, Rietdorf, Böckenförde u. a., S. 102 ff. Vgl. auch den Bericht von K. Stern, in: Ergebnisse der Enquête-Kommission, S. 51 ff.; W. Fiedler, DÖV 1977, S. 580 ff. Zustimmend zu den Sondervoten beispielsweise R. Wahl, AöR 103, S. 503 ff. m. w. N. 293 I. v.Münch, Staatsrecht I, Rn. 735; T. Maunz/R. Zippelius, Deutsches Staatsrecht, § 15 I I 4, S. 110 f U . Battis /R. Gusy, Staatsrecht, Rn. 174. Vom Bundesrat als taktischem „Blockadeinstrument" spricht H Wilms, ZRP 2003, S. 90. Auch für R. Scholz, in: FS 50 Jahre BVerfG II, S. 686 f. hat sich die Gefahr realisiert, dass der Bundesrat in „rein parteipolitisch motivierte Obstruktions- oder Blockadepolitik verfallen" könne, obwohl er sich nicht als „Ersatz-Opposition im Verhältnis zur Bundestagsmehrheit verstehen" dürfe. Nach A. Rührmair, Bundesrat, S. 54 f. dürfe die Entwicklung nicht dazu führen, dass „parteipolitische Gesichtspunkte die Oberhand über die an der Sache selbst ausgerichteten Erwägungen gewinnen",

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maschine" gegenüber „parlamentarischen Richtungsentscheidungen im Bund" 2 9 4 . Beklagt wird, dass System sei zu schwerfällig und unflexibel und verhindere zum Teil notwendige Entscheidungen295, es ist die Rede vom „immobilen Beteiligungsföderalismus" 296. Kritisiert wird die „unangemessen starke Stellung" des Bundesrates, es handele sich dabei „um einen Fehler, der im Grundgesetz von vornherein angelegt war" 2 9 7 . Im Zusammenhang mit Art. 23 GG wird zudem der Vorwurf erhoben, die bundesstaatlichen Mitwirkungsrechte an der Europapolitik würden zu einer „Partikularisierung und Schwächung der Bundesrepublik" führen 298 . Die bundesstaatliche Ordnung ist also in vielen Fällen als unnötiges Hindernis bei der Durchsetzung notwendiger Entscheidungen angesehen worden, was den Rechtfertigungsdruck für die bundesstaatliche Ordnung im Vergleich mit einer zentralstaatlichen zusätzlich erhöht hat. So konnte auf der Staatsrechtslehrertagung 1998 festgestellt werden, dass „in zunehmendem Maß Einigkeit über einen Reformbedarf des föderativen Systems" bestehe299. Zusammenfassend wird deutlich, dass das Bundesstaatsverständnis sehr weitgehend, wie Stefan Oeter ausführlich herausgearbeitet hat, unitaristisch bis zentralistisch geprägt ist. So geht die Ablehnung des dreigliedrigen Verständnisses jedenfalls auch auf den „unitarischen Affekt" der herrschenden Lehre zurück: Von der Dreigliedrigkeitslehre aus wird die prinzipielle Gleichrangigkeit beider Körperschaften angenommen, wohingegen die Zweigliedrigkeit sehr oft ein hierarchisches Über- Unterordnungsverhältnis mit dem Bund als übergeordneter Körperschaft zur Folge hat 3 0 0 . Das Vorverständnis der Interpreten ist mehrheitohne dass die etwas naive Gegenüberstellung von (schädlicher) Parteipolitik einerseits und (guter) Sachpolitik andererseits näher erläutert würde. Allerdings sei dies eine „eher akademische These", als verfassungsrechtliche Grenze sieht Rührmair wohl nur die Willkürkontrolle an. 294 s. Korioth, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 50, Rn. 32. Ähnlich H.H. v.Arnim, in: ders. u. a. (Hrsg.), Föderalismus, S. 24: „Wir haben ohnehin schon lauter Nein-Sager [ . . . ] und nun auch noch den Bundesrat". 295 Z. B. U. Volkmann, DÖV 1998, S. 618; C. Gramm, AöR 124, S. 212 ff.; R. Dolzer, VVDStRL 58, S. 24. Außerdem die Redebeiträge von K. Stern, VVDStRL 58, S. 87; D. Grimm, VVDStRL 58, S. 90; F. Hufen, VVDStRL 58, S. 117; T. Oppermann, VVDStRL 58, S. 127. 296 R. Lhotta, in: U. Männle (Hrsg.), Föderalismus, S. 86. Vgl. auch die Nachweise zu der mit dem Stichwort „Politikverflechtungsfalle" verbundenen negativen Einschätzung oben in Fn. 45 und 46 sowie die Redebeiträge von K. Vogel, VVDStRL 58, S. 85 f.; H. Meyer, VVDStRL 58, S. 114. 297 R, Herzog, Strukturmängel, S. 109 f.; E. Friesenhahn, VVDStRL 16, S. 50 f., bezeichnet den Bundesrat als „Fehlkonstruktion". Vgl. auch W. Hennis, Regieren, S. 14, der von der „unglücklichen grundgesetzlichen Konstruktion des Bundesrates" spricht bzw. dessen Konstruktion einen „massiven Fehler" nennt, ebd. S. 361, vgl. auch ebd., S. 242 in Fn. 29. 298 So R. Breuer, NVwZ 1994, S. 428. Ähnlich M. Herdegen, EuGRZ 1992, S. 593, der durch den „kuriosen Vertretungsmechanismus" die „Einheit des Bundesstaates nach außen" bedroht sieht. Vgl. auch G.-B. Oschatz/H. Risse, DÖV 1995, S. 437 ff. 299 R. Dolzer, VVDStRL 58, S. 37, Leitsatz 21.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

lieh orientiert an dem Ideal der Rechtseinheit oder, in den Worten des Grundgesetzes, an dem Leitprinzip der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" 301, die gesamtstaatliche Aufgabenerfüllung steht im Mittelpunkt 302 . Zentrale Funktion des Föderalismus ist in der Staatsrechtslehre sein Beitrag zur Wahrung der staatlichen Einheit 303 .

I I I . Fazit /Problemstellung „Die Föderalisten in der Bundesrepublik haben es schwer!" Diese Einschätzung von Willi Geiger aus dem Jahre 1962 304 ist nach wie vor richtig. Mit einem gewissen Recht ist das Verhältnis der deutschen Staatsrechtslehre zum Bundesstaat als „traditionell gestört" 305 bezeichnet worden. Die Theorien zur Analyse und Legitimation des gegenwärtigen Bundesstaates sind bloße „Kompensations- und Trostpflastertheorien" 306. Deutlich ist insgesamt eine konstante Unzufriedenheit, ein beständiges Gefühl, dass es sich um eine irgendwie mangelhafte, jedenfalls erheblich rechtfertigungsbedürftige Ordnung handelt. Der Bundesstaat ist, trotz umfangreicher Beschäftigung mit ihm, das „ungeliebte K i n d " 3 0 7 der Verfassung, nicht nur in der Staatsrechtslehre, sondern auch in der Politik. Besonders prägnant zum Ausdruck gebracht hat dies der damalige (Bundes-)Staatsminister für Kultur und Medien, Michael Naumann, in der Bezeichnung der Kulturhoheit der Länder als „Verfassungsfolklore" in einem Aufsatz mit dem Titel: „Zentralismus schadet nicht" 3 0 8 . Dieses negative Verhältnis erklärt sich zum einen durch das im wesentlichen unitaristisch-zentralistische Vorverständnis der deutschen Staatsrechtslehre. Zudem ringt die Staatsrechtslehre mit den von außen, insbesondere aus der allgemeinen Staatslehre in das Grundgesetz hineingetragenen abstrakten Begriffen, die eine adäquate Beschreibung der komplexen bundesstaatlichen Ordnung nicht ermöglichen. Der Bundesstaat ist treffend als die „Crux aller Versuche, den Staatsbegriff 300 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 386 f., der allerdings zu pauschal von einer bewussten Ausrichtung der Vertreter der Zweigliedrigkeitslehre auf ein Subordinationsverhältnis zwischen Bund und Ländern spricht. Das ist wohl eine Überzeichnung des grundsätzlich richtig beschriebenen „unitarischen Affekts". 3 01 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 9, ausführlicher S. 381 ff. und 393 ff. Ähnlich J. Isensee, AöR 115, S. 260, der die zentrifugalen gegenüber den zentripetalen Kräften von der Staatsrechtslehre bei der Betrachtung des Bundesstaates vernachlässigt sieht; ebenso R. Lhotta, Der Staat 36, S. 199. 3 02 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 398. 3

3 R. Lhotta, in: Jahrbuch des Föderalismus 2001, S. 45. W. Geiger , Missverständnisse, S. 1. 3 05 S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 381. 3 06 j, Isensee, AöR 115, S. 260. 3 07 H. Abromeit, Einheitsstaat, S. 80; R. Lhotta, Der Staat 36, S. 200. 304

3

08 M Naumann, Die Zeit, 45 / 2000. Vgl. dazu T. Assheuer, Die Zeit 47 / 2000.

A. Bundesstaat

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zu bestimmen" und deshalb „ein Problem für sich" beschrieben worden 309 . Ist also der Bundesstaat in dieser Hinsicht ein Problem für sich, dann spricht viel dafür, die für seine Beschreibung nicht adäquate Begrifflichkeit von „Staat,, / „Staatlichkeit" nicht weiter zu verwenden. Im Ergebnis gibt es über den Gehalt von Bundesstaatlichkeit allgemein eine Vielzahl von Modellen. Für den grundgesetzlichen Bundesstaat aber sind die Erklärungsversuche, trotz aller Bemühungen, insgesamt eher fragmentarisch geblieben 3 1 0 . In beiderlei Hinsicht fehlt der Konsens, es gibt weder eine anerkannte Definition des Bundesstaatsbegriffs allgemein, noch eine speziell am Grundgesetz ansetzende und darauf zugeschnittene Theorie oder Lehre des Bundesstaates311. Die vorhandenen Deutungen des grundgesetzlichen Bundesstaates sind gekennzeichnet durch den Versuch, die bundesstaatliche Ordnung zu entschuldigen, also einem Verfassungsprinzip, dem man eher skeptisch bis ablehnend gegenüber steht, positive Seiten abzugewinnen. Es fehlt hingegen ein positives Modell der bundesstaatlichen Ordnung, der Versuch, sie nicht nur notdürftig und notgedrungen in eine noch akzeptable Form zu bringen, sondern sie als einen integralen Bestandteil der Verfassung zu sehen, der nicht entschuldigt werden muss, sondern sich in die grundgesetzliche Ordnung insgesamt nicht nur einfügt, sondern sie auch strukturiert und prägt. Es besteht also auf der Ebene der Theorie erheblicher Bedarf an einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Frage, was die vom Grundgesetz konstituierte Bundesstaatlichkeit ausmacht. Dabei handelt es sich aber nicht um eine ausschließlich theoretisch relevante Frage. Die Auslegung der Normen, die konkrete Fragen der bundesstaatlichen Ordnung regeln, ist angewiesen auf eine solche theoretische Grundlage 312 . Exemplarisch hierfür ist die Diskussion um den Länderfinanzausgleich. Was einen nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG angemessenen Ausgleich der Finanzkraft darstellt, ist hoch umstritten, zumal der Wortlaut der Norm keine konkreten Bezugspunkte für die Beurteilung der Angemessenheit nennt. In dieser Diskussion geht es wesentlich um unterschiedliche Vorstellungen von dem, was die bundesstaatliche Ordnung ausmacht313. Wie viel Wettbewerb im Bundesstaat zu309 M. Kriele, Staatslehre, S. 77. Im Anschluss daran auch R. Lhotta, Der Staat 36, S. 190. 310 S. Korioth, Finanzausgleich S. 92; H. Bauer, Bundestreue, S. 262. 311 S. Korioth, Finanzausgleich, S. 92. H. Bauer, Bundestreue, S. 263; ders., in: Dreier, GG, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 21; W. März, Bundesrecht bricht Landesrecht, S. 15; R. Lhotta, Der Staat 36, S. 200 spricht diesbezüglich von einem „Vakuum" in der deutschen Staatsrechtslehre. 312 So bereits K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 1. Allgemein zur Verfassungsauslegung und für die Notwendigkeit einer Verfassungstheorie als Orientierungspunkt der Interpretation E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 82 ff. 313 Vgl. H.P. Bull, Finanzausgleich im „Wettbewerbsstaat", DÖV 1999, S. 269 ff. Die gegensätzlichen Positionen werden deutlich in neueren Habilitationen und Dissertationen zum Thema. Skeptisch zu den Reformvorschlägen in Richtung auf einen Wettbewerbs- oder Konkurrenzföderalismus S. Korioth, Finanzausgleich, S. 438 ff. m. w. N. und für eine weitgehende Finanzkraftangleichung ebd., S. 637 ff. und vor allem S. 642. Aus rechtsvergleichender

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

lässig oder wie viel Solidarität von ihm gefordert ist, hat entscheidende Bedeutung und dies kann nur beantwortet werden, wenn man sich darüber im klaren ist, was für ein Bundesstaat durch das Grundgesetz konkret geschaffen wurde. Wie viel Unterschiedlichkeit möglich sein oder wie viel Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse angestrebt werden soll, ist abhängig davon, wie unterschiedlich oder einheitlich der Bundesstaat insgesamt konstruiert ist. Dies gilt auch für die Auslegung der Normen, in denen die Kompetenzverteilung geregelt ist. Für die Auslegung des für das Ergebnis der Verteilung der Kompetenzen zentralen Art. 72 Abs. 2 GG ist ebenfalls entscheidend, in welchem Föderalismusmodell sie erfolgt 314 . Noch deutlicher wird die Abhängigkeit konkreter Auslegungsfragen vom Bundesstaats Verständnis des Auslegenden im Rahmen von Art. 79 Abs. 3 GG. Wie weitgehend die „Ewigkeitsgarantie" den Bundesstaat schützt, hängt davon ab, was den geschützten Bundesstaat ausmacht. Andersherum formuliert lautet die Frage, ab wann der Bundesstaat des Grundgesetzes aufhört, Bundesstaat im Sinne des Grundgesetzes zu sein. Eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Bundesstaatsprinzip des Grundgesetzes ist also auch für die Lösung konkreter Probleme der bundesstaatlichen Ordnung notwendig.

B. Demokratie Demokratie ist durch das Grundgesetz als Form der Legitimation staatlicher Herrschaft vorgegeben und es bestanden weder im Zeitpunkt der Verfassunggebung noch jemals später Zweifel an der Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Vorgabe. Im Gegensatz zum Bundesstaatsprinzip gibt es für das Demokratieprinzip also keine ernsthaft diskutablen Alternativen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Auseinandersetzungen zu Demokratie betreffenden Fragen richtigerweise immer innerhalb dieser Vorgabe bewegt haben. Grundsätzliche Debatten über Rechtfertigung und Begründung von Demokratie als ein zentrales Verfassungsprinzip hat es in der Geschichte der Bundesrepublik nicht gegeben. Dies zeigt sich auch an den Streitfällen, die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte. Es ging dabei um die Ausgestaltung der Demokratie, also etwa die Rollen von Parteien, Fraktionen, Abgeordneten und Verbänden, sowie um spezifische Fragen des Wahlrechts 315. Die wesentlichen verSicht ebenfalls ablehnend A. Jörg, Finanzverfassung, S. 300 ff. Im Gegensatz dazu von einem wesentlich föderaler orientierten Standpunkt S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 507 ff., besonders S. 513, S. 520 f. und 528 ff. Für mehr Autonomie der Länder bei der Steuererhebung, eine Entflechtung der Zuständigkeitsbereiche und eine nicht allzu stark sinkende Ausgleichsintensität /. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 393 ff. Mehr Länderautonomie ebenfalls positiv gegenüberstehend U. Hüde, Finanzausgleich, S. 309 ff. Zu den gegensätzlichen Standpunkten in den Arbeiten von Oeter und Korioth vgl. die Besprechung beider Bücher von S. Ruppert, RJ 18, S. 50 ff. 314 C. Callies, DÖV 1997, S. 889. Vgl. auch S. Oeter, Bundesstaatsrecht, S. 576 f. 315 Vgl. die bei M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 und Art. 38 aufgeführten Leitentscheidungen.

B. Demokratie

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fassungsrechtlichen Anknüpfungspunkte dafür lagen nicht im Demokratieprinzip allgemein, sondern in dessen speziellen grundgesetzlichen Ausgestaltungen, also den Rechten der Wähler (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) und Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), der Rolle der Parteien (Art. 21 GG) etc. In den Argumentationen hat natürlich auch das Demokratieverständnis der Beteiligten zum Teil erhebliche Bedeutung erlangt, demokratietheoretische Grundsatzfragen haben aber keine zentrale Rolle gespielt. Dies hat sich seit dem Ende der achtziger Jahre geändert. In den Blick gerückt ist die demokratietheoretisch zentrale Frage nach dem Ausgangspunkt demokratischer Legitimation, nach ihren Subjekt: Welche Gruppe(n) können verfassungskonformer Ausgangspunkt demokratischer Legitimation sein? Die in der Einleitung bereits angesprochene Frage - Wer, also die Mehrheit welcher Gruppe, soll entscheiden? - hat damit entscheidende Bedeutung erlangt. Kristallisationspunkte der Diskussion sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum kommunalen Ausländerwahlrecht 316, die Äußerungen zu Demokratie in Europa im Maastricht-Urteil 317 und die Entscheidung zur Mitbestimmung im öffentlichen Dienst 318 . Im Gefolge der letztgenannten Entscheidung ist die Auseinandersetzung über die demokratische Legitimation von Verwaltungsentscheidungen und Gremien in den Blickpunkt gerückt, deren personelle demokratische Legitimation als mangelhaft empfunden wird 3 1 9 . In diesem Zusammenhang haben die Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts zur Emschergenossenschaft 320 und Lippegenossenschaft 321 ausführliche Diskussionen angestoßen322. Das Bundesverfassungsgericht hat auf diese Vörlagebeschlüsse hin die Mitbestimmungsregeln hinsichtlich dieser Genossenschaften für mit dem Demokratieprinzip für vereinbar erklärt 323 . Nicht nur das Bundesstaatsprinzip, auch das „Demokratieprinzip hat wieder Konjunktur" 324 . Die Bestandsaufnahme zum Demokratieprinzip erfordert erheblich weniger Aufwand als die bezüglich des Bundesstaatsprinzips, weil es hier mit der Frage nach dem Ursprung demokratischer Legitimation einen bestimmten Kristallisationspunkt gibt, der im Mittelpunkt der Diskussion steht und die sich gegenüberstehenden Positionen bereits deutlich herausgearbeitet sind. Es lassen sich zwei Grundkonzeptionen feststellen 325. Auf der einen Seite gibt es ein auf ein einziges Kollektiv, das

316 317 318 319 320

BVerfGE 83, 37 und 83, 60. BVerfGE 89, 155. BVerfGE 93, 37. Vgl. T. Groß, Kollegialprinzip, S. 163 ff.; G. Britz, VerwArch 91, S. 418 ff. BVerwGE 106, 64.

321 BVerwG, NVwZ 1999, 870. 322 Sehr kritisch zu den Beschlüssen T. Blanke, KJ 1998, S. 452 ff.; ders., in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 32 ff. Vgl. zur Diskussion auch die übrigen Beiträge in diesem Band. 323 BVerfGE 107, 59. 324 T. Groß, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 93.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

deutsche Volk, bezogenes monistisches Demokratieverständnis. Dem steht eine offene, pluralistische Interpretation gegenüber. Diese Grundkonzeptionen sind aufgrund des in der Einleitung bereits angedeuteten Zusammenhang von Bundesstaat und Demokratie für die vorliegende Arbeit von erheblicher Bedeutung. Auf die Frage: „Wer entscheidet?", werden von diesen Auffassungen unterschiedliche Antworten gegeben. Zudem ist die monistische Position in ihrer Bezogenheit auf ein einziges Kollektiv der unitaristisch-zentralistischen Prägung und dem entsprechenden Vorverständnis bezüglich des Bundesstaates eng verwandt. Demgemäss geht es im Folgenden nicht um eine Darstellung aller oder auch nur der besonders wichtigen Debatten um das Demokratieprinzip des Grundgesetzes insgesamt, sondern allein um die, im Zusammenhang mit dem Bundesstaat, relevante Diskussion bezüglich des Subjektes demokratischer Legitimation.

I. Monistisches Demokratieverständnis Verbreitet wird in der Lehre ein Kollektiv und die (National-)Staatlichkeit in den Mittelpunkt der Ausführungen zum Subjekt demokratischer Legitimation gestellt. Ausgangspunkt demokratischer Legitimation unter dem Grundgesetz ist danach ein bestimmtes Kollektiv, das Volk. Mit dem Begriff „Volk" in Art. 20 Abs. 2 GG könne nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland gemeint sein 326 . Dieser Befund wird häufig in Abgrenzung von einer Herleitung der Legitimation von den Betroffenen einer Entscheidung begründet, vielfach darüber hinaus ohne auf die bundesstaatliche Gliederung demokratischer Willensbildung in der Bundesrepublik einzugehen327 und teilweise unter Betonung des Nationalstaates als Grundlage für den Volksbegriff 328 . Soweit der Bundesstaat Berücksichtigung findet, werden die neben

325 Die im Folgenden verwendeten Bezeichnungen entstammen der systematischen Darstellung der Demokratiediskussion bei T. Groß, Kollegialprinzip, S. 163 f. 3 26 H. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 83; J. Isensee, in: HdbStR I, § 13, Rn. 109 ff.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 152 ff. Differenzierend für ein an den Rändern des demokratischen Verantwortungszusammenhangs offenes, im Kern aber auf das Staatsvolk bezogenes Demokratieverständnis U. Volkmann, in: Friauf/ Höfling, GG, Art. 20 (II), Rn. 30. Differenzierungen auch bei E.T. Emde, Demokratische Legitimation, der aus Sicht der funktionalen Selbstverwaltung einerseits die Offenheit des Demokratieprinzips betont, ebd., S. 383 ff., am Ende des Abschnitts hingegen einschränkend die dominante Rolle des Staatsvolks hervorhebt. Zulässig sind danach Legitimationsformen, die ihren personalen Bezugspunkt nicht allein im Staatsvolk haben, am Staatsvolk vorbei sei demokratische Legitimation hingegen nicht möglich, ebd., S. 389. Mit Volk in Art. 20 Abs. 2 GG ist für ihn das Staatsvolk insgesamt gemeint, wobei die Frage, ob die Länder Volker in diesem Sinne aufweisen ausgeklammert wird, ebd., S. 322 ff. 3 27 So z. B. K.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20, Rn. 142 ff.; F.E. Schnapp, in: v.Münch/Kunig, GG, Art. 20, Rn. 20 ff.; H. Maurer, Staatsrecht, § 7, Rn. 22 f.; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 4 f.; /. v.Münch, Staatsrecht, Rn. 126; D. Merten, VVDStRL 55, S. 24 ff.

B. Demokratie

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dem Gesamtvolk auch existierenden Landesvölker entweder als teilidentisch mit dem Gesamtvolk betrachtet 3 2 9 , oder lediglich als dessen T e i l e 3 3 0 . Als zur Vermittlung demokratischer Legitimation fähige Kollektive werden zudem die Verbandsvölker in Kreisen und Gemeinden angesehen 331 , strittig ist dies hingegen für die funktionale Selbstverwaltung 3 3 2 . Der Grund für die Anerkennung der Verbandsvölker als ein verfassungsrechtlich taugliches Kollektiv für die Vermittlung demokratischer Legitimation ist ihre strukturelle Analogie zu Bundes- bzw. Landesvolk 3 3 3 . Den referierten Ansichten geht es also um die Suche nach einem Kollektiv als verfassungsrechtlich zulässigem Ursprung demokratischer Legitimation. Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt seit seinen Urteilen zum kommunalen Ausländerwahlrecht eine auf das deutsche Volk als Kollektiv abstellende Position 3 3 4 . Ansatzpunkt der Argumentation ist Satz 1 von Art. 20 Abs. 2 GG: „ A l l e Staatsgewalt geht vom Volke aus,,. Da vom Volk alle Staatsgewalt ausgehe, müsse mittels verschiedener Legitimationsmechanismen jedes staatliche Handeln von diesem Volk legitimiert sein, jede staatliche Handlung also auf dieses Volk zurückgeführt werden k ö n n e n 3 3 5 . Der Volksbegriff des Grundgesetzes wird zum Teil stark natio328 R M. Huber, DÖV 1989, S. 531 ff. erwähnt zwar Art. 28 GG, geht aber nicht darauf ein, ob in den Länder ein Volk existiert und betont ebd., S. 534 ein „nationalstaatliches Verständnis" des Volksbegriffs. Betonung des Nationalstaates als Grundlage für den Volksbegriff auch bei A. Bleckmann, DÖV 1988, S. 437 ff.; M. Kaufmann, Europäische Integration, S. 69 f. 329 Vgl. nur H. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 85; E. Schmidt-Aßmann, AöR 116, S. 348 ff.; W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 356. Vgl. auch C. Degenhard Staatsrecht I, Rn. 12. 330 Z. B. J. Isensee, in: HdbStR IV, § 98, Rn. 61. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 2 A I I 3, S. 132 ff. 331 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 317 f.; H. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 86; E. Schmidt-Aßmann, AöR 116, S. 349 f.; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 212 f. W. Kluth, Funktionale Selbstverwaltung, S. 356.; P. Unruh, VerwArch 92, S. 543. 332 Vgl. nur E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 318 ff., der die autonome Legitimation der funktionalen Selbstverwaltung für undemokratisch hält. E.T. Emde, Demokratische Legitimation, S. 382 ff., sieht in der autonomen Legitimation eine Form kompensatorischer demokratischer Legitimation. J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 87 ff.; D. Ehlers, in: FS E. Stein, S. 132 f., gehen hingegen davon aus, dass auch in der funktionalen Selbstverwaltung Teilvölker existieren. Zum Ganzen zusammenfassend W. Kluth, Die Verwaltung 35, S. 358 ff. 333 Vgl. Nachweise in Fn. 331. 334 Vgl. BVerfGE 83, 73; 83, 60; 93, 37. Ausführlich zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter Kapitel 2 A I, S. 103 ff. Zu den weitgehenden Übereinstimmungen zwischen den Entscheidungen zum kommunalen Ausländerwahlrecht und dem erwähnten Beitrag von Böckenförde, der im Zeitpunkt der Entscheidungen Mitglied des entscheidenden Senats war, vgl. S. Oeter, in: U. Davy (Hrsg.), Politische Integration, S. 38 f. 335 Die drei Legitimationsmechanismen sind die funktionell-institutionelle, organisatorisch-personelle und die sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation, vgl. grundlegend E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 301 ff. Kritik an einer zu mechanistischen und schematischen Anwendung bei H. Dreier, in: ders., GG, Art. 20 (Demokratie), Rn. 108, m. w. N.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

nal aufgeladen und das Volk als deutsches Volk als vom Grundgesetz vorausgesetzt angesehen 336 . Demokratietheoretisch ist aber das zentrale Anliegen der monistischen Position der Gedanke der demokratischen Gleichheit aller Staatsbürger 337 , der nur i m Wahlakt vollständig existiere und somit andere Formen von Partizipation als ungleich und daraus folgend als undemokratisch erscheinen lasse 3 3 8 . „Die spezifische Staatsform der Demokratie kann nur auf einen spezifischen und substanziellen Begriff der Gleichheit begründet w e r d e n . " 3 3 9 Anknüpfungspunkt der demokratischen Gleichheit ist aus dieser Perspektive gerade nicht die allgemeine Gleichheit aller Menschen, sondern die Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft des Volkes. Diese „spezifische Gleichheit" werde maßgebend durch die Staatsangehörigkeit vermittelt und folglich bilden die Staatsangehörigen in ihrer Gesamtheit das politische Volk, wohingegen das Betroffensein von staatlicher Herrschaft nach dieser Konzeption keine Rolle spiele 3 4 0 . Über die formelle Staatsangehörigkeitsgleichheit hinaus wird zudem eine „substanzielle Gleichheit" verlangt, die in der modernen Demokratie bislang „vornehmlich auf nationaler Gleichartigkeit" beruhe und diese voraussetze 341 .

336 A. Bleckmann', Demokratieprinzip, S. 209 ff., bei dem dies auch ausdrücklich auf das Bundesstaatsprinzip und seine Bundesstaatstheorie zurückwirkt, vgl. ebd., S. 174; P. M. Huber, DÖV 1989, S. 534. Vgl. aber auch ders., in: J. Drexl u. a. (Hrsg.), Europäische Demokratie, S. 33, wo Huber sich für die Europäische Union „von dem ohnehin diffusen Begriff des Volkes löst und erkennt, daß der eigentliche Bezugspunkt der Demokratie nicht die kollektive Größe des Volkes ist, sondern der einzelne". Für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik enthalte aber Art. 20 Abs. 2 GG mit der Beschränkung auf das deutsche Volk eine Konkretisierung des demokratischen Prinzips, ebd. in Fn. 28. Zu Veränderungen des verfassungsrechtlichen Staatsvolkbegriffes auch S. Hobe, JZ 1994, S. 193 f. 337 Deutlich bereits bei Carl Schmitt, der in seiner Verfassungslehre in § 17 „Die Lehre von der Demokratie" darstellt und nach einigen Begriffsbestimmungen den Begriff der Gleichheit in den Mittelpunkt stellt und in diesem Zusammenhang erläutert, S. 226 ff. Auf diese Passage bezieht sich E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S 332 in Fn. 87 explizit. Die viel diskutierte Definition der Demokratie durch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234 als „Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten", ergibt „sich aus der substanziellen Gleichheit", wie Schmitt, ebd., S 235 fortfährt. Dieser explizite Rückbezug auf die für Schmitt so wesentliche spezifische demokratische Gleichheit legt ein Verständnis der Definition nahe, wonach es vor allem um die Betonung der qualitativen Gleichheit von Regierenden und Regierten geht, die Regierenden also nicht regieren, weil sie einer „qualitativ besseren Oberschicht gegenüber einer minderwertigen Unterschicht" angehören, so Schmitt, ebd., S. 237. So auch die Interpretation von E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 334 f. Ob damit jedoch tatsächlich alle Facetten dieser Demokratiedefinition eingefangen sind, ist durchaus fraglich. 338 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 328 ff. 339 c. Schmitt, Verfassungslehre, S. 226. 340 E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 332. 341 E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 332 f. Ähnlich W. Loschelder, in: HdbStR III, § 68, Rn. 21; J. Isensee, Volk als Grund der Verfassung, S. 92. Bei Böckenförde ist die nationale Gleichartigkeit keine notwendige Voraussetzung für diese substanzielle Gleichheit, sie kann durch „gemeinsame Religion, gemeinsame Sprache und Kultur, gemeinsames politisches Bekenntnis gegeben sein", vgl. Staat, Verfassung, Demokratie,

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Die Sicherung gleicher Teilhabe am demokratischen Prozess könnte als Bezug zum einzelnen Menschen als dem Ausgangspunkt von demokratischer Selbstbestimmung verstanden werden, ist so aber nicht gemeint. Gerade dieser Rückgriff auf den einzelnen Menschen wird abgelehnt. Böckenförde grenzt in diesem Zusammenhang den kontinentaleuropäischen Demokratiebegriff ausdrücklich vom angloamerikanischen ab. Die liberale, an den Rechten des Individuums orientierte Vorstellung von Demokratie, die in den USA verbreitet ist 3 4 2 , sei nicht ohne weiteres übertragbar 343. Vielmehr sei das Volk - die von den Staatsangehörigen gebildete, mit dem Staat unlöslich verknüpfte politische Schicksalsgemeinschaft - „Ausgangs- und Bezugspunkt demokratischer Legitimation", nur von dieser „Gesamtheit von Menschen" gehe gemäß Art. 20 Abs. 2 GG die Staatsgewalt aus 344 . Bei der Abgrenzung zur sogenannten „Betroffenendemokratie" und zur Selbstverwaltung wird argumentiert, dass Volk nur die Gesamtheit der Bürger meint, aber keine - wie auch immer definierten - Unter- oder Sondergruppen 345. Legitimation, die nicht von der Gesamtheit der Bürger ausgeht, wird folgerichtig als aus demokratischer Sicht bloße „Schein-Legitimation" bezeichnet346 beziehungsweise als bedenkliche Ausgliederung aus der einheitlichen Staatsgewalt347. Für Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG wird die „Einheitlichkeit der demokratischen Legitimationsgrundlage" hervorgehoben 348. Die Freiheit des Einzelnen geht in diesem Konzept in der Freiheit des Kollektivs Volk auf, beschrieben wird die „Metamorphose der individuellen zur demokratiS. 333. Darauf und auf die insbesondere in dem Merkmal eines gemeinsamen politischen Bekenntnisses liegende Offenheit der Homogenitätsanforderungen wird hingewiesen von G. Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, S. 222, die aber ebd. auch zweifelt, ob eine Reduzierung der Homogenitätsüberlegungen von Böckenförde auf dieses Merkmal seinen Überlegungen gerecht wird. Aber auch bei einem solchen Verständnis von Böckenfördes Text ändert sich nichts an der Einheitlichkeit des Legitimationssubjekts, die im Zusammenhang mit dem Bundesstaat besondere Bedeutung hat. 342 Zur US-amerikanischen Vorstellung des Souveräns Volk im Plural als ein Volk von Gleichen und nicht als Einheit U. Rödel/G. Frankenberg/H. Dubiel, Die demokratische Frage, S. 58. Zur menschenrechtlichen Herrschaftsbegründung in den USA H. Hofmann, JZ 1992, S. 168 f. 343

E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 366 f.

344

E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 311 f.

345

E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 312 ffK.-P. Sommermann, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 170 und 172; H. Maurer, Staatsrecht, § 7, Rn. 23; B. Pieroth, in: Jarass /Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 5. Zu Betroffenheit und demokratischer Legitimation von Selbstverwaltung ausführlich aus dieser Sicht M. Jestaedt, Die Verwaltung 35, S. 307 ff. 34 6 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 316. 347

M. Sachs, in: ders., GG, Art. 20, Rn. 44. Zurückhaltender bezüglich der notwendigen Einheit der Verwaltung zur Gewährleistung der Einheit demokratischer Kontrolle für Selbstverwaltung G. Haverkate, VVDStRL 46, S. 237 f. 34 8 M. Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28, Rn. 23. 6 Hanebeck

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

sehen Freiheit" 349 . Zentrales Merkmal des Volksbegriffs sei der „Charakter des über die Summe der Zugehörigen hinausgehenden, rechtlich verselbständigten Verbandes, kurz: der Einheit über der Vielheit" 350 . Eine „menschenrechtliche Auflösung" sei nur unter der utopischen Bedingung möglich - und damit im Ergebnis unmöglich - dass sich eine Menschheitsgesellschaft mit einem Weltstaat bilden würde. Der einzelne Bürger ist dieser Ansicht zufolge nur ein Teil der Gesamtheit und das Wahlrecht ist nicht Menschenrecht, sondern Bürgerrecht 351. Kennzeichnend für dieses Demokratieverständnis ist somit, dass wesentlicher Bezugspunkt nicht der einzelne Mensch, sondern eine ganz bestimmte Gesamtheit von Menschen ist. Die demokratischen Rechte stehen einer Einzelperson damit nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zu. Die Geschlossenheit dieser, auf das Volk als Einheit rekurrierenden Theorie kommt in ihrer Bezeichnung als volksdemokratisch 352 oder monistisch 353 zum Ausdruck. Es gibt danach nur einen verfassungsmäßigen Ausgangspunkt demokratischer Legitimation, das deutsche Volk, welches als Ganzes Legitimationsquelle aller Ausformungen von Staatsgewalt ist. Das wesentliche Merkmal dieses Demokratieverständnisses ist, wenn man nach dem Legitimationssubjekt fragt, die starke Betonung der „Einheit" 354 . So wird das Demokratieprinzip zur Grundlage für Einheitsanforderungen an die Rechtsordnung insgesamt gemacht, es könne „nur einen Willen des einen Volkes geben" und das „Demokratieprinzip vermittelt den konstitutiven Legitimationsgrund und demnach die Einheitsidee der gesamten, vertikal und horizontal differenzierten Rechtsordnung" 3 5 5 . Dies wird auch deutlich an den Folgerungen für den Aufbau der Verwal349

E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 323 ff. Vgl. dazu A. Wallrabenstein, Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 124 f. Die untergeordnete Bedeutung der Freiheit verglichen mit der Gleichheit in diesem Zusammenhang hat bereits Carl Schmitt in seiner Verfassungslehre, S. 224, betont: „Als demokratische Prinzipien werden Gleichheit und Freiheit oft nebeneinander genannt, während in Wahrheit diese beiden Prinzipien in ihren Voraussetzungen, ihrem Inhalt und ihren Wirkungen verschiedenartig und oft entgegengesetzt sind. Richtigerweise kann innerpolitisch nur die Gleichheit als demokratisches Prinzip gelten." 350

M. Jestaedt, Demokratieprinzip und KondominialVerwaltung, S. 208. E.-W. Böckenförde, in: ders.: Staat, Verfassung, Demokratie, S. 312. Vgl. bereits C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 234: „Die demokratische Gleichheit ist wesentlich Gleichartigkeit, und zwar Gleichartigkeit des Volkes. Der zentrale Begriff der Demokratie ist Volk und nicht Menschheit. Es gibt, wenn Demokratie überhaupt eine politische Form sein soll, nur eine Volks- und keine Menschheitsdemokratie." 352 B.O. Bryde, StWStP 5, S. 305 ff. 351

353 T. Groß, Kollegialprinzip, S. 163 ff.; ders. in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 94. 354 Zur Bedeutung der Einheit des Volkes für dieses Modell vgl. auch A. Wallrabenstein, Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 122 ff. Zur Kontinuität dieses Verständnisses insbesondere im Hinblick auf das Staatsverständnis von Carl Schmitt vgl. die Hinweise auf Schmitt in den vorhergehenden Nachweisen sowie E.T. Emde, Demokratische Legitimation, S. 384 f.; J.H.H. Weiler, JöR 44, S. 95; A. Rinken, KritV 79, S. 292; I. Pernice, AöR 120, S. 103 ff. Vgl. auch T. Vesting, Politische Einheitsbildung S. 42 ff. Zu über Schmitt hinausgehenden Kontinuitäten vgl. S. Oeter, ZaöRV 55, S. 664 ff.

B. Demokratie

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tung, die aus diesem monistischen Demokratieverständnis abgeleitet werden. Danach ist nur das Hierarchieprinzip mit dem monokratischen Verwaltungsaufbau und der generellen Weisungsbindung der nachgeordneten Stellen eine adäquate Strukturierung der Verwaltung in der Demokratie 356 . Die Demokratie wird dadurch unitarisiert 357 , das Gesamtvolk als politische Einheit bildet die Basis einer zentralistisch ausgerichteten Staatsorganisation 358. Von dieser Warte aus verlangt die „Einheit des Bundesstaates [ . . . ] ausgehend vom legitimierenden einen Willen des deutschen Volkes" widerspruchsfreie Ausübung staatlicher Gewalt 359 . Dieses Ergebnis einer kurzen Betrachtung der theoretischen Grundlagen des monistischen Demokratieverständnisses wird sich in Kapitel 2 A, bei einer genaueren Analyse der existierenden Ansichten zu den Ausgangspunkten demokratischer Legitimation im Bundesstaat bestätigen. Die Spannung zum Bundesstaatsprinzip und die Konsistenz dieser Betonung der Einheit mit dem unitaristisch-zentralistischen Vorverständnis bezüglich des Bundesstaates wird aber bereits an dieser Stelle deutlich. In den für die Staatstheorie unter dem Grundgesetz zentralen Einheitsvorstellungen und besonders dem Begriff von der „Entscheidungseinheit" des Staates360 kommt die Konsistenz dieser herausragenden Rolle von Einheit sowohl hinsichtlich (Bundes-)Staat als auch Demokratie deutlich zum Ausdruck. Dies gilt jedenfalls für die hier interessierende demokratische Frage nach dem Legitimationssubjekt. Die Verkoppelung des Bundesstaatsprinzips mit einem unitaristisch-demoszentrierten Verständnis des Demokratieprinzips führt dazu, dass der Bundesstaat als Hypothek auf der Einheitsstaatlichkeit des Gesamtstaates aufgefasst wird 3 6 1 .

355 H. Sodan, JZ 1999, S. 869, Hervorhebungen im Original. 356 Vgl. beispielsweise, mit Variationen in Detailfragen E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 300 ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung, S. 121 ff., zusammenfassend S. 305, wonach die hierarchische Verwaltung „eine notwendige Bedingung für die korrekte Umsetzung des im parlamentarischen Gesetz letztverbindlich geformten und ausgestalteten Volkswillens" darstellt; M. Jestaedt, Demokratieprinzip und Kondominialverwaltung, S. 155 ff. und prägnant in These 4, S. 601: „legitimationsmonistische und legitimationshierarchische Ordnung"; J. Oebbecke, Weisungs- und unterrichtungsfreie Räume, S. 67 ff.; K. Waechter, Geminderte demokratische Legitimation, S. 32 ff.; W. Schmitt-Glaeser, VVDStRL 31, S. 214 ff. Kritik am Hierarchiegebot bei V. Mehde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 111 ff. 357 G. Frankenberg, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 179. 358 Vgl. a u c h die Darstellung des monistischen Modells bei T. Groß, Kollegialprinzip, S. 165 f. Auch A. Rinken, KritV 79, S. 292 in Fn. 32 weist daraufhin, dass diese, von ihm etatistisch genannte Demokratietheorie in ihrer Konsequenz zentralistisch ist. 359 H. Sodan, JZ 1999, S. 870. Zur Kritik an derartigen, im Ergebnis die Einheit der Rechtsordnung zum Maßstab erhebenden Anforderungen A. Hanebeck, Der Staat 41, S. 429 ff. 360 Vgl. dazu oben Text zu Fn. 229-236. 361 R. Lhotta, in: Jahrbuch des Föderalismus 2001, S. 47 f. 6*

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

II. Offenes/Pluralistisches Demokratieverständnis Mit der Bezeichnung als „pluralistisch" soll ein Demokratieverständnis beschrieben werden, das nicht entscheidend auf ein bereits definiertes Kollektiv als Legitimationssubjekt abstellt und deshalb aus der Definition eines solchen Kollektivs auch keine Begrenzungen herleitet und insoweit offen ist. Die Prämissen ergeben sich zunächst aus einer zutreffenden und inzwischen weit verbreiteten Krit i k 3 6 2 des monistischen Verständnisses363. Art. 20 Abs. 2 GG und der Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" werden nicht als Vollregel, sondern als Bekenntnis zum Demokratieprinzip mit Hilfe einer traditionellen Formel verstanden 364, womit aber gerade nicht auf eine ganz bestimmte Tradition Bezug genommen ist 3 6 5 . Es gibt mehrere Ansätze, die entweder einzeln oder kumulativ zur Begründung der Fehlerhaftigkeit des monistischen Modells herangezogen werden. So wird die Offenheit des Grundgesetzes für internationale Zusammenarbeit angeführt 366 , eine zweite Begründung bezieht sich auf die Grundrechtsordnung und insbesondere auf die Menschenwürdegarantie, die es verbieten, die Staatsgewalt notwendig in einem Kollektiv zu verankern 367. Bezugspunkt der demokratischen Verfassung sei die grundrechtliche Freiheit, nicht das „kryptomonarchische" Volk 3 6 8 . Hinter der Idee der Volkssouveränität stehe die Idee der freien Selbstbestimmung des einzelnen Menschen 369 . Dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, ist demnach nur eine „metaphorische Redeweise"370, Volk ist somit eine „Kurzformel für Men362 Vgl. neben den in den folgenden Fußnoten genannten R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, S. 179 in Fn. 25; H.-H. Trute, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht, S. 270 f.; H. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 32, S. 256 ff.; D. Zacharias, Jura 2001, S. 447 f.; /. Pernice, AöR 120, S. 103 ff.; A. v.Bogdandy, KritV 83, S. 288; S. Oeter, ZaöRV 55, S. 690 ff.; M. Zuleeg, in: J. Drexl u. a. (Hrsg.), Europäische Demokratie, S. 16 ff.; J.H.H. Weiler, JöR 44, S. 91 ff. 363 T. Groß, Kollegialprinzip, S. 164. 364 B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 61. 365 Vgl. G. Frankenberg, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 180. 366 B.-O. Bryde, StWStP 5, S. 320 f.; T. Groß, Kollegialprinzip, S. 168. 367 B.-O. Bryde, StWStP 5, S. 321 f.; A. Wallrabenstein, Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 124 ff.; G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 330 ff.; A. Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, S. 658 f.; T. Blanke, KJ 1998, S. 456 ff. 368 R Häberle, JZ 1975, S. 302; B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 60. 369 G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 330 ff.; B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 63; G. Lübbe-Wolff; VVDStRL 60, S. 252 f.; H. Steinberger, VVDStRL 50, S. 23; T. Groß, Kollegialprinzip, S. 166; J. Menzel, Landesverfassungsrecht, S. 144 f.; A. Augustin, Volk der Europäischen Union, S. 386 ff.; T. Blanke, KJ 1998, S. 457; E.-T. Emde, Demokratische Legitimation, S. 384 f.; F. Müller, Wer ist das Volk, S. 58 und passim. Vgl. auch BVerfGE 2, 1 (12); 5, 85 (205) und insbesondere 44, 225 (142). Zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. unter Kapitel 2 A I, S. 104 ff. Dies für die Europäische Union akzeptierend, nicht aber für das Grundgesetz P.M. Huber, in: J. Drexl u. a. (Hrsg.), Europäische Demokratie, S. 33 und in Fn. 28. Aus der demokratietheoretischen Diskussion vgl. nur R. Dahl, Democracy, S. 89 ff. und 97 ff.

B. Demokratie

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sehen" 371 . Eine Begrenzung des demokratischen Prinzips auf das deutsche Volk als einzig verfassungsgemäßes Legitimationssubjekt folgt daraus gerade nicht 3 7 2 . Danach setzt zum Beispiel demokratische Legitimation eines verfassunggebenden Aktes nicht notwendig eine vorherige Konstituierung des Legitimationsgebers als Volk oder Nation voraus 373 . Drittens wird auf das republikanische Prinzip des Grundgesetzes verwiesen, welches eine Sperre gegen das monistische Verständnis errichte 374 . Bezug genommen wird viertens auf die gegliederte Demokratie des Grundgesetzes, also darauf, dass sowohl in den Kommunen als auch in den Ländern Völker existieren, was gegen eine Interpretation von „Volk" als einheitliches deutsches Volk spreche 375. Damit ist auch aus dieser Sicht der Zusammenhang von Demokratie und Bundesstaat hergestellt. Inzwischen gibt es neben der negativen Abgrenzung vom monistischen Modell auf der Grundlage der Kritik daran Versuche, die Demokratie des Grundgesetzes positiv zu bestimmen. Demokratie wird als Optimierungsaufgabe konzipiert 376 oder es wird ein pluralistisches Verständnis entwickelt 377 . Diese Konzeptionen nehmen den Einzelnen und seine Betroffenheit von bestimmten Entscheidungen zum Ausgangspunkt378. Für die Vermittlung demokratischer Legitimation weist das Grundgesetz auch aus dieser Sicht dem Parlament die zentrale Rolle zu 3 7 9 . Darüber hinaus wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Wahl der Entscheidungsebene nicht durch logisch „richtige" Deduktion aus dem Demokratieprinzip möglich ist, sondern nur pragmatisch im Sinne einer Optimierungs- bzw. Gestaltungsaufgabe erfolgen kann 380 . Diese Gestaltung ist kein Verfassungsvollzug, der notwendig einem Modell zu folgen hat, sondern eine politische Gestaltungsaufgabe, für die von der Verfassung lediglich der Rahmen vorgegeben ist 3 8 1 . Wesent370

G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 331. 371 B.-O. Bryde, StWStP 5, S. 322. 372 B.-O. Bryde, StWStP 5, S. 324. 373 H. Steinberger, VVDStRL 50, S. 23 unter Hinweis auf die USA, wo sich ein neuer selbständiger pouvoir constituant erst im Akt der Verfassunggebung selbst begründet habe. 374 G. Frankenberg, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1 - 3 1 , Rn. 37. 375 B.-O. Bryde, StWStP 5, S. 318 ff.; T. Groß, Kollegialprinzip, S. 167 f.; N. Engels, Chancengleichheit und Bundesstaatsprinzip, S. 106. 376 B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 59 ff. Ähnlich A. Fisahn, ebd., S. 81, der Demokratie als „von der Verfassung gestellte Aufgabe an Staat und Gesellschaft" bezeichnet. Zur Prinzipienlehre und Prinzipien als Optimierungsgeboten R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff. 377 G. Frankenberg, Verfassung der Republik, S. 94 ff.; T. Groß, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 93 ff. Die Offenheit des Demokratieprinzips wird auch betont von A. Wallrabenstein, Verfassungsrecht der Staatsangehörigkeit, S. 157 ff. 378 B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 63 f.; T. Groß, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 98. 379 B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 70. 380 B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 65. 381 T. Groß, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 100 f.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

liehe verfassungsrechtliche Vorgaben dafür liegen jedoch in der Verteilung der Staatsaufgaben auf Bund, Länder und Gemeinden382. Von einem offenen Demokratieverständnis aus ist es verfassungsrechtlich möglich, neuere Ansätze bezüglich der Herstellung demokratischer Legitimation in den Blick zu nehmen. Sie unterfallen nicht von vornherein dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit, allein weil das deutsche Volk nicht ausschließliches Legitimationssubjekt ist. Wenn Demokratie eine Optimierungsaufgabe ist, dann müssen diese Ansätze im Hinblick auf ihre Eignung für die Optimierung von Demokratie aus verfassungsrechtlicher Sicht betrachtet werden. Eröffnet wird insbesondere die Möglichkeit arbeitsteiliger Legitimationsvermittlung 383. Vor allem in Bezug auf die europäische Ebene gibt es diesbezüglich neuere Ansätze, die aber auch für die nationale Ebene bedeutsam sind, weil es hinsichtlich der Probleme und Möglichkeiten demokratischer Legitimation wesentliche Gemeinsamkeiten beider Ebenen gibt 3 8 4 . Ob und inwieweit es dabei möglich ist, dezentral-demokratische Partizipation 3 8 5 , die Konstitutionalisierung der Komitologie auf europäischer Ebene 386 , output-orientierte Legitimation 387 , Modelle einer Konsensusdemokratie bzw. KonkorOQQ

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danzdemokratie oder die Überlegungen zu „directly-deliberative Polyarchy" - um, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, auf nur einige Ansätze hinzuweisen nutzbar zu machen, kann hier nicht diskutiert werden. Ein offenes Demokratieverständnis ermöglicht aber zumindest die Auseinandersetzung mit diesen Positionen jenseits einer Ablehnung allein aufgrund fehlender Legitimationsherleitung vom Kollektiv „deutsches Volk", zu der die monistische Position gezwungen ist.

III. Fazit Hinsichtlich des Demokratieprinzips gibt es, anders als bezüglich des Bundesstaatsprinzips, zwei grundsätzlich verschiedene Konzeptionen, eine monistische und 382 383 384 385

B.-O. Bryde, in: Redaktion KJ (Hrsg.), Demokratie und Grundgesetz, S. 65. G. Lübbe-Wolff,; VVDStRL 60, S. 281. G. Lübbe-Wolff,, VVDStRL 60, S. 247 f. und 265 ff. Dazu G. Lübbe-Wolff,\ VVDStRL 60, S. 279 ff.

386 Vgl. C. Joerges in: C. Joerges/J. Falke (Hrsg.), Ausschusswesen, S. 17 ff.; J. Falke, ebd., S. 43 ff.; C. Joerges/J. Neyer, in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Regieren, S. 207 ff. 387 Vgl. z. B .F.W. Scharpf, Regieren in Europa, S. 20 ff. 388 Siehe die vergleichende Untersuchung von A. Lijphart, Patterns of Democracy, wo der Typ der Konsensusdemokratie herausgearbeitet wird. Dazu M.G. Schmidt, Demokratietheorien, S. 338 ff. und zur Anwendung des verwandten Modells der Konsoziation auf die EU S. 428 ff. Für eine Legitimitätsvermittlung durch Konsensfindung und nicht aufgrund Mehrheitsentscheidung auch J.A. Froxvein, Europarecht 30, S. 324. 389 Vgl. J. Cohen/C. Säbel, ELJ 3, S. 313 ff. Dies in Bezug auf die europäischen Institutionen anwendend O. Gerstenberg, ELJ 3, S. 343 ff. Vgl. zum Ansatz deliberativer Demokratie auch O. Gerstenberg, Bürgerrechte.

. Bundesstaat und Demokratie

eine offene oder pluralistische. Inhaltlich parallel zum unitaristisch-zentralistisch geprägten Bundesstaatsverständnis liegt das monistische, die Einheit betonende Demokratieverständnis. Deutlich gemacht werden kann zudem der Zusammenhang von Demokratie und Bundesstaat bezüglich der in der Einleitung gestellten Frage: Wer entscheidet? Ein offenes bzw. pluralistisches Verständnis leitet diesbezüglich aus dem Demokratieprinzip keine strikten Festlegungen ab, sondern versteht das Demokratieprinzip als Optimierungs- oder Gestaltungsaufgabe auch hinsichtlich der Wahl der Entscheidungsebenen. Demgegenüber verweist das monistische Demokratieverständnis auf einen, aus dem Demokratieprinzip begründeten, einzigen legitimen Ursprung demokratischer Legitimation, das deutsche Volk als Einheit. Die Entscheidungsebene ist danach vom Demokratieprinzip bereits bestimmt.

C. Bundesstaat und Demokratie. Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung Der Zusammenhang von Demokratie und Bundesstaat ist in der Einleitung bereits angedeutet worden und seine Funktion als Zugang zur bundesstaatlichen Ordnung soll im Folgenden zunächst durch den Blick in die USA erläutert werden. Dort stand die Quelle demokratischer Legitimation im Mittelpunkt einer Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahre 1995, in der die jeweiligen Positionen zu dieser Frage deutlich herausgearbeitet werden. Diese Positionen hinsichtlich des Ursprungs demokratischer Legitimation im Bundesstaat stehen für Grundhaltungen bezüglich des Bundesstaates insgesamt, wie sich an der weiteren Rechtsprechung des Supreme Court zeigen lässt (I.). Neben einer Darlegung des Zusammenhangs von Demokratie und Bundesstaat wird mit dem Blick in die USA auch eine nicht unitaristisch-zentralistisch geprägte bundesstaatliche Tradition eingeführt. Im Anschluss ist der Zusammenhang zwischen den Grundlagen der bundesstaatlichen Ordnung und dem Ursprung demokratischer Legitimation auch für das Grundgesetz zu verifizieren (II.).

I. Amerikanisches Volk versus Gliedstaatsvölker Der Ursprung demokratischer Legitimation und die bundesstaatliche Ordnung der USA Die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Gliedstaaten und dem Bund hat seit der Verabschiedung der Verfassung 1787/88 3 9 0 eine, wenn nicht die zentrale 390 Die Verfassung wurde vom Verfassungskonvent in Philadelphia am 17. September 1787 verabschiedet und trat gemäß Art. V I I der Verfassung mit der Ratifikation durch New Hampshire als neuntem Staat am 20. Juni 1788 in Kraft.

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1. Kap.: Bundesstaat und Demokratie

Rolle in der Auslegung der Verfassung gespielt. Diese Diskussionen beschränkten sich nicht auf die Frage der Kompetenzverteilung, sondern waren immer auch Diskussionen über den grundsätzlichen Charakter der föderalen Ordnung. Das Verständnis dieses föderalen Systems hat sich in den über 200 Jahren seit dem Inkrafttreten der Verfassung stark gewandelt 391 . Als die zwei entscheidenden Umbrüche gelten dabei der Bürgerkrieg (1861 -1865) inklusive der darauffolgenden Periode der Reconstruction, sowie die Ära des New Deal (ca. 1933 -1937) 3 9 2 . Verfassungsrechtliche Debatten über die föderale Ordnung waren zwar weniger wichtig geworden, nachdem der Supreme Court in der Folge seiner Rechtsprechungsänderung in der Ära des New Deal 393 die Befugnisse des Bundesgesetzgebers sehr weit interpretierte und eine Kontrolle praktisch nicht mehr stattfand 394. Im Jahre 1976 machte der Supreme Court den Versuch, Grenzen der Bundesbefugnisse zu definieren 395 , verwarf dies jedoch nur neun Jahre später wieder 396 . Beide Entscheidungen ergingen mit nur knapper 5:4 Mehrheit. Parallel dazu sank jedoch das öffentliche Vertrauen in die Problemlösungskompetenzen der Bundesebene, das Vertrauen in die Fähigkeiten der Gliedstaaten hingegen wuchs 397 . Seit 1994 ist die föderale Ordnung auch wieder in den Mittelpunkt der Rechtsprechung des Supreme Court gerückt 398 und der Föderalismus wurde wieder ein auch verfassungsrechtlich viel und heftig diskutiertes Thema. Dabei ist der Supreme Court in zwei Lager gespalten, die sich recht unversöhnlich gegenüber stehen und zwischen denen sich der Ton deutlich verschärft hat. Die knappe, aber in der seit 1994 unveränderten Zusammensetzung des Gerichts 399 stabile 5:4 Mehrheit des Supreme Court verfolgt

391 Vgl. die Darstellung bei A.B. Gunlicks, in: H.H. v.Arnim u. a. (Hrsg.), Föderalismus, S. 41 ff. 392 Am deutlichsten wird dies bei Bruce Ackerman, der diese Zeitpunkte als constitutional moments bezeichnet und ihnen ähnliche Bedeutung zumisst, wie der Schaffung der Verfassung selbst, da sie die Verfassungsordnung grundlegend verändern, vgl. B. Ackerman, 65 Fordham Law Review 1519-1521. Ausführliche Darstellung seines Konzeptes in: ders. We the People: Foundations und We the People: Transformations. Zu der Interpretationsgeschichte des New Deal vgl. G.E. White, Constitution and the New Deal, S. 16 ff., speziell zu Ackerman S. 25 ff. Von RM. Schwartz , Houston Law Review 31, S. 1027 ff. wird Ackermans Theorie auf die deutsche Wiedervereinigung angewendet. Zu Ackerman in der deutschsprachigen Literatur etwa M. Schef er, Konkretisierung von Grundrechten, S. 270 ff. 393 Dazu R.G. McCloskey, American Supreme Court, S. 91 ff. 394 Vgl. J. Annaheim, Gliedstaaten im amerikanischen Bundesstaat, S. 38 ff. Aus der amerikanischen Literatur zusammenfassend A. Althouse, Arizona Law Review 38, S. 793; E Jacobs/K. Karst, in: M. Capelletti u. a. (Hrsg.), Integration through Law Vol. 1-1, S. 200. Die Position, dass die Kompetenzschranken nicht justitiabel sind, ist insbesondere von J. Choper, Judicial Review, S. 171 ff. ausführlich begründet worden. 39 5 In National League of Cities v. Usery, 426 U.S. 833 (1976). 39 6 In Garcia v. San Antonio Metropolitan Transit Authority, 469 U.S. 528 (1985). 397

D.J. Elazar/I. Greilsammer, in: M. Capelletti u. a. (Hrsg.), Integration through Law Vol. 1-1, S. 145 f. 398 Vgl. nur die Analyse der Rechtsprechung seit 1994 bei Thomas W. Merrill, Saint Louis University Law Journal 47, S. 569 und 580 ff.

. Bundesstaat und Demokratie

dabei eine eindeutige, die Gliedstaaten gegenüber dem Bund stärkende Linie. Eine dieser Entscheidungen beschäftigt sich direkt mit der Frage nach dem Ursprung demokratischer Legitimation im bundesstaatlichen System der USA. An dieser Entscheidung und der durch sie ausgelösten Diskussion zeigt sich, dass die Frage nach dem Ursprung demokratischer Legitimation einen Zugang zur Grundkonzeption des Bundesstaates bietet. Das Gericht hatte in United States Term Limits, Inc. v. Thornton 400 über die Vereinbarkeit eines Zusatzes zur Verfassung des Staates Arkansas, der in einem Volksentscheid verabschiedet worden war, mit der Bundesverfassung zu entscheiden. Dieser Zusatz besagte, dass Kandidaten für die Legislative des Bundes, den Kongress, in Arkansas auf dem Stimmzettel nicht aufgeführt werden dürften, wenn sie bereits eine bestimmte Anzahl von Wahlperioden im Kongress verbracht hatten. Da grundsätzlich auch Personen gewählt werden konnten, die nicht auf dem Stimmzettel standen, war damit keine absolute Begrenzung der Zahl möglicher Amtszeiten gegeben, zumindest war jedoch die Wiederwahl von langjährigen Mitgliedern des Kongresses erheblich erschwert 401. Von der 5:4 Mehrheit des Gerichts wurde diese Regelung für verfassungswidrig gehalten 402 und die demokratische Legitimation der Bundeslegislative auf das amerikanische Volk bezogen. Der von Justice Thomas verfasste dissent 403 stellte hingegen die Völker der Gliedstaaten in den Mittelpunkt. Justice Kennedy stimmte mit der Mehrheit, hob aber in einem eigenen Sondervotum (