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German Pages 534 Year 2010
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1158
Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise Ein Beitrag zur Reform der deutschen Finanz- und Haushaltsordnung (Föderalismusreform) Von
Daniel Buscher
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
DANIEL BUSCHER
Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1158
Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise Ein Beitrag zur Reform der deutschen Finanz- und Haushaltsordnung (Föderalismusreform)
Von
Daniel Buscher
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Bremen hat diese Arbeit im Jahre 2009 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-13166-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für Marion & Frederik
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2009 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bremen als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum Juni 2009 berücksichtigt werden. Die Veröffentlichung umfasst in ihrer überarbeiteten Fassung die Ergebnisse der Föderalismusreform II. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A. für die exzellente Betreuung der Promotion, die hilfreichen Diskussionen und Anregungen sowie für das jederzeit entgegengebrachte Interesse an meiner Arbeit. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Matthias Rossi für seine freundliche Unterstützung und die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ich danke meinen Freunden Jan Messer, Rike Krämer und Jennifer Uhlig für ihre umfassenden Korrekturhilfen, Anregungen und ihre Ermunterungen zur Fertigstellung der Arbeit. Ein Glück, wer solche Freunde sein Eigen nennen darf. Dank gebührt Esther Buscher, Nora Klimitz, Stephan Seitz sowie meinen hier nicht namentlich erwähnten Freunden für ihre stetige Unterstützung meines Projektes. Ferner möchte ich meinen Lehrstuhlkollegen danken, wobei ich insbesondere Davor Šušnjar wegen seiner wertvollen Hinweise und Hilfeleistungen zur Formatierung der Dissertation namentlich hervorheben möchte. Danken möchte ich außerdem Frau Dr. Angelina Sörgel, die mir während meiner die Dissertation begleitenden Tätigkeit in der Senatskanzlei Bremen wertvolle Einblicke in die praktische Arbeit mit der Materie der Finanz- und Haushaltsordnung gewährte. Besonders herzlicher Dank steht meinen Eltern zu, denen ich diese Arbeit widme. Ihre uneingeschränkte Förderung meiner Ausbildung und ihre liebevolle Unterstützung hat die Anfertigung der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht. Bremen, den 31. Juli 2009
Daniel Buscher
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
A.
Krise der öffentlichen Haushalte in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
B.
Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
C.
Begriffssystematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
I.
Finanzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
II.
Finanz- und Haushaltsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
III.
Finanzwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
IV.
Finanz- und Haushaltsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
Erster Teil
A.
B.
C.
Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
43
Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
I.
Föderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
II.
Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
Entwicklung des Föderalismus in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
I.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
II.
Deutscher Bund von 1815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
III.
Deutsches Reich von 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
IV.
Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
V.
Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
VI.
Gründung der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
VII. Gründung der Deutschen Demokratischen Republik und Wiederherstellung der Deutschen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
VIII. Europäischer Einigungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
I.
Das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1. Verfassungsrechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
2. Prinzip der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
a) Bundestreue als besondere Ausprägung des Bundesstaatsprinzips
63
10
Inhaltsverzeichnis
II.
III. D.
65 66
1. Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
2. Neugliederungsregelungen (Art. 29, 118, 118a GG) . . . . . . . . . . . . .
67
3. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 30, 70 ff., 83 ff., 92 ff., 104a ff. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
Ewigkeitsgarantie der föderalen Gliederung (Art. 79 Abs. 3 GG) . . . . . .
69
Bundesstaatstheorien im Kontext der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung
70
I.
71
II.
E.
b) Ausgestaltung der Bundestreue im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Ausprägungen des Bundesstaatsprinzips im Grundgesetz . . . .
Erörterung der Bundesstaatstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Bundesstaatstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
a) Bundesstaatstheorien zur Mehrgliedrigkeit des Staates . . . . . . . .
72
b) Legitimatorische und zweckgerichtete Bundesstaatstheorien . . . .
73
c) Gemischte Bundesstaatstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
2. Besondere Bundesstaatstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
a) Theorie vom unitarischen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
b) Theorie vom experimentellen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
c) Theorie vom kooperativen Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
d) Theorie vom kompetitiven Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Relevanz der Bundesstaatstheorien für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
1. Zunehmende Verdrängung kooperativer durch kompetitive Elemente
78
2. Synthese aus kooperativen und kompetitiven Elementen . . . . . . . . . .
80
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
Zweiter Teil
A.
Finanzordnung und Reform
84
Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
I.
Bundesstaatliche Bedeutung der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
II.
Rechtsgeschichtliche Entwicklung der bundesstaatlichen Finanzordnung
86
1. Erlass des Grundgesetzes (1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
2. Erste Finanzreform (1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
3. Zweite umfassende Finanzreform (1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
III.
4. Übergangsregelungen durch die Deutsche Wiedervereinigung . . . . .
89
5. Föderalismusreform I (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
Reformrelevante Rechtsquellen der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . .
92
1. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
Inhaltsverzeichnis
11
a) Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
aa) Funktion der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
bb) Inhalt der Finanzverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
α) Staatliche Ausgabenkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
β) Staatliche Einnahmekompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
(1) Gesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
(2) Verwaltungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
(3) Ertragskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
b) Andere verfassungsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
2. Einfachgesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
a) Solidarpakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
b) Maßstäbegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
c) Finanzausgleichsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Zerlegungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 B.
Das gegenwärtige System der bundesstaatlichen Finanzordnung . . . . . . . . . . . 102 I.
Staatliche Ausgabenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Verteilung der Ausgabenkompetenz für Zweckausgaben . . . . . . . . . . 102 a) Allgemeiner Grundsatz der Lastenverteilung (Art. 104a Abs. 1 GG) 102 b) Ausnahmen vom Lastenverteilungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Divergierende Regelung der Ausgabenzuständigkeit . . . . . . 105 α) Auftragsverwaltung der Länder (Art. 104a Abs. 2 GG) . 105 β) Personennahverkehrsausgleich (Art. 106a GG) . . . . . . . 106 γ) Kriegsfolge- und Sozialversicherungslasten (Art. 120 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Mischfinanzierungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 α) Gesetze über Geldleistungen (Art. 104a Abs. 3 GG) und Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 104a Abs. 4 GG) . . . . . 108 β) Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und Art. 91b GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 (1) Gemeinschaftsaufgaben im „engeren Sinn“ (Art. 91a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 (2) Gemeinschaftsaufgaben im „weiteren Sinn“ (Art. 91b GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 (a) Wissenschaftsförderung (Art. 91b Abs. 1 GG) . 117 (b) Bildungsförderung (Art. 91b Abs. 2 GG) . . . . . 121 (c) Kostentragung (Art. 91b Abs. 3 GG) . . . . . . . . . 122 γ) Finanzhilfen des Bundes (Art. 104b GG) . . . . . . . . . . . . 122 δ) Ausgleich für Sonderbelastungen (Art. 106 Abs. 8 GG) . 128
12
Inhaltsverzeichnis cc) Ungeschriebene (Mit-)Finanzierungszuständigkeiten des Bundes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2. Verteilung der Ausgabenkompetenz für die Verwaltungsausgaben (Art. 104a Abs. 5 S. 1 1. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei gemeinschaftsrechtlichen Zahlungsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Allgemeine Ausgabenregelungen im Zusammenhang mit der EG
132
aa) Innerstaatliche Lastentragung des Bundes für die Finanzierung der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Lastentragung bei Ausführung von Gemeinschaftsrecht . . . . 134 b) Allgemeine Lastentragung bei Verletzung supranationaler oder internationaler Pflichten (Art. 104a Abs. 6 GG) . . . . . . . . . . . . . . 136 c) Lastentragung von Sanktionszahlungen nach Art. 104 EGV (Art. 109 Abs. 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 II.
Staatliche Einnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1. Steuergesetzgebungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Bundeskompetenzen (Art. 105 Abs. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . . . . . 143 b) Länderkompetenzen (Art. 105 Abs. 2 und 2a GG) . . . . . . . . . . . . 144 c) Eingeschränktes Steuerfindungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Finanzausgleich – Ertragsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Leitentscheidungen des BVerfG zum Finanzausgleich . . . . . . . . . 147 aa) BVerfGE 1, 117 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 α) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 β) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 γ) Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) BVerfGE 72, 330 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 α) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 β) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (1) Allgemeine verfassungsrechtliche Vorgaben zum Finanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (a) Bundesstaatliche Bedeutung des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (b) Zum Begriff der „Finanzkraft“ . . . . . . . . . . . . . 153 (2) Beurteilung der einfachgesetzlichen Vorschriften . . 154 (a) Lohnsteuerzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (b) Einnahmen der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (c) Einwohnerwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (d) Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
Inhaltsverzeichnis
13
(e) Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . . . . . . 156 γ) Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) BVerfGE 86, 148 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 α) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 β) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 (1) Art der Einbeziehung der Gemeindefinanzen in den Länderfinanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (2) Hafenlasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (3) Einwohnerwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (4) Berücksichtigung der Sozialhilfelasten . . . . . . . . . . 163 (5) Ländersteuergarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (6) Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . 164 γ) Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) BVerfGE 101, 158 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 α) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 β) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (1) Grundlagen für die Finanzaufkommensverteilung im Bundesstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (2) Finanzverfassungsrechtliche Vorgaben für die einfachgesetzlich ausgestaltete Finanzverteilung . . . . . 170 (3) Abwickelung des Fonds „Deutsche Einheit“ . . . . . . 171 γ) Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 ee) BVerfGE 116, 327 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 α) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 β) Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (1) Von der „extremen Haushaltsnotlage“ zum „bundesstaatlichen Notstand“ – Voraussetzungen eines Sanierungshilfeanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (a) Einordnung der Sanierungshilfen in das System des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (b) Sanierungshilfen als „ultima ratio“ – „Bundesstaatlicher Notstand“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (c) Darlegungs- und Begründungslast des Klägers
179
(2) Subsumtion der Situation Berlins unter die Anspruchsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (a) Aussagekräftige Indikatoren zur Feststellung der Finanzlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (b) Anwendung der Indikatoren auf Berlin . . . . . . . 181 (c) Mögliche Eigenanstrengungen . . . . . . . . . . . . . 183
14
Inhaltsverzeichnis (3) Länderneugliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 γ) Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (1) Der bundesstaatliche Notstand im System des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (2) Konkrete Bedeutung für Sanierungshilfen begehrende Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 ff) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) System des gegenwärtigen Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . 192 aa) Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 106 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 α) Das Trennsystem (Art. 106 Abs. 1 und 2 GG) . . . . . . . . . 194 β) Das Verbundsystem – Aufteilung der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 3 und 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (1) Verteilung von Einkommens- und Körperschaftssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Flexibles Element der Umsatzsteuerverteilung . . . . 196 γ) Sonderfall der Gemeindesteuern (Art. 106 Abs. 5 bis 7 und 9 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 bb) Horizontale Steuerverteilung (Art. 107 Abs. 1 GG) . . . . . . . 199 α) Landessteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 β) Länderanteil an der Lohn- und Einkommenssteuer . . . . 200 γ) Länderanteil an der Körperschaftssteuer . . . . . . . . . . . . . 201 δ) Länderanteil an der Gewerbesteuerumlage . . . . . . . . . . . 201 α) Länderanteil an der Umsatzsteuer (Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Finanzkraftausgleich auf Länderebene (Art. 107 Abs. 2 S. 1, 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 α) Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Länderfinanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 β) Einfachgesetzliche Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (1) Finanzkraftmesszahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (2) Ausgleichsmesszahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (3) Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 dd) Bundesergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) . . 207 α) Allgemeine Bundesergänzungszuweisungen (§ 11 MaßstG, § 11 Abs. 2 FAG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 β) Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . 209
Inhaltsverzeichnis
15
(1) Zuweisungen zum Ausgleich teilungsbedingter Sonderlasten (§ 12 Abs. 5 MaßstG, § 11 Abs. 3 FAG) . . 210 (2) Zuweisungen zum Ausgleich von Lasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit (§ 11 Abs. 3a FAG) . . . . . . . 211 (3) Zuweisungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung (§ 12 Abs. 6 MaßstG, § 11 Abs. 4 FAG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 (4) Keine Zuweisungen zur Behebung einer „extremen Haushaltsnotlage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 C.
Reformbedürftigkeit und Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung . . . . . 212 I.
Reformbedürftigkeit der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Faktische Reformbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Freiheits- und Bundesstaatsprinzip als Gebot für eine Reform der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
II.
Vorgaben für künftige Reformen der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . 218 1. Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 220 a) Aufgabenadäquate Finanzausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche und Stärkung der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Schaffung von Anreizen zum effizienten Einsatz von Finanzmitteln 223 d) Fairer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
III. D.
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
Ansätze für eine Reform der Finanzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I.
Staatliche Ausgabenregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Kein Übergang von der Vollzugs- zur Gesetzeskausalität . . . . . . . . . 228 2. Weiterer Abbau der Mischfinanzierungstatbestände . . . . . . . . . . . . . 230 a) Änderungen des Art. 104a Abs. 3 und 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Überarbeitung der Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 104a Abs. 4 GG) und Normierung einer obligatorischen Bundesbeteiligung des Bundes bei Bundesgesetzen über Geldleistungen (Art. 104a Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Einführung eines grundgesetzlichen Abweichungsrechts bzw. einer einfachgesetzlichen Öffnungsklausel? . . . . . . . . . . . . . 233 b) Nachbesserung bei der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und Art. 91b GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 c) Der zukünftige Umgang mit dem Instrument der Bundesfinanzhilfen (Art. 104b GG) und dem Hafenlastenausgleich . . . . . . . . . . . 236
16
Inhaltsverzeichnis aa) Keine Überarbeitung des Instruments der Bundesfinanzhilfen (Art. 104b GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Das Problem der Seehafenlasten und vergleichbarer Fälle der strukturell bedingten Sonderbedarfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Abschaffung der Regelung über den Familienleistungsausgleich (Art. 106 Abs. 3 S. 5 u. 6 GG) und den Länderanteil für den Personennahverkehr (Art. 106a GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Weitergehende Regelung der Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei Zahlungsverpflichtungen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 II.
Staatliche Einnahmeregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Steuergesetzgebungskompetenzen – Stärkung der Länderautonomie
244
a) Einführung der ausschließlichen Ertragskompetenzen nach Art. 106 Abs. 2 GG folgenden Steuergesetzgebungskompetenzen . . . . 246 b) Steuerzuschlagsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Finanzausgleich – Ertragsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Grundlegende Änderungen des Finanzausgleichsystems . . . . . . . 251 aa) Keine Einführung eines Trennsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) „Optionsmodell“ als Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 cc) Einbeziehung von nichtsteuerlichen Abgaben in das System des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 dd) Grundsätzlich keine Berücksichtigung struktureller Unterschiede über Sonderbedarfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Punktuell notwendige Veränderungen des Finanzausgleichsystems 257 aa) Neuordnung der vertikalen Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 106 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 α) Veränderung der rechtlichen Vorgaben für die Verteilung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern . . 257 (1) Keine weitere Aufnahme von Motiven für bestimmte Quotierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Streichung der Verteilungsgrundsätze bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse (Art.106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 1., 2. u. 3. Alt. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 β) Streichung von Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG . . . . . . . . . . . . . 259 γ) Verfassungsrechtliche Einbindung der Kommunen in die vertikale Ertragsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 bb) Änderung der horizontalen Steuerverteilung (Art. 107 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Inhaltsverzeichnis
17
α) Änderung der Lohnsteuerzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . 261 β) Umsatzsteuerverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (1) Abschaffung des Instrumentes der Ergänzungsanteile (Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG) . . . . . . . . . . . . . . . . 263 (2) Keine Verteilung der Umsatzsteueranteile der Länder nach der Wirtschaftskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (3) Keine Sonderregel für Stadtstaaten bei der Umsatzsteuerverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 cc) Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs (Art. 107 Abs. 2 S. 1, 2 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 α) Volle Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft (§ 8 Abs. 3 FAG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 β) Keine Abschaffung der Einwohnerwertung (§ 9 FAG) . . 266 γ) Absenkung des Ausgleichstarifs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 dd) Rückführung des Einsatzes des Finanzierungsinstruments der Bundesergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) . . 268 α) Abschaffung der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 β) Reduzierung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
Dritter Teil Staatsschuldenrecht und Reform A.
272
Grundlagen des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I.
Verschuldung von Bund und Ländern als rechtliches Problem . . . . . . . . 273
II.
Rechtsgeschichtliche Entwicklung der Staatsschuldenregelungen . . . . . 275 1. Entwicklungen im Staatsschuldenrecht vor Erlass des Grundgesetzes 275 2. Regelung der Staatsverschuldung bei Erlass des Grundgesetzes (1949) 278 3. Umfassende Reform der Haushaltsordnung (1967 –1969) . . . . . . . . . 279 4. Keine grundlegenden Änderungen bis zum Jahr 2009 . . . . . . . . . . . . 282 5. Föderalismusreform II (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
III.
Reformrelevante Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 2. Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 a) Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Bundesstaatliche Haushaltswirtschaft (Art. 109 GG) . . . . . . 286
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Inhaltsverzeichnis bb) Vermeidung von Haushaltsnotlagen (Art. 109a GG) . . . . . . 289 cc) Haushaltsverfassung (Art. 110 – 115 GG) . . . . . . . . . . . . . . . 289 α) Funktion der Haushaltsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 β) Inhalt der Haushaltsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (1) Haushaltskreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 (a) Haushaltsgrundsätze und Aufstellung des Haushaltsplans (Art. 110 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (b) Nothaushaltsrecht (Art. 111 GG) . . . . . . . . . . . 293 (c) Über- und außerplanmäßige Ausgaben (Art. 112 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 (d) Mitwirkungsrechte der Bundesregierung (Art. 113 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (e) Haushaltskontrolle (Art. 114 GG) . . . . . . . . . . . 295 (2) Staatliche Kreditaufnahme (Art. 115 GG) . . . . . . . . 296 (a) Art. 115 GG (a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (b) Art. 115 GG (n.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Landesverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3. Einfachgesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 c) Bundeshaushaltsordnung und Landeshaushaltsordnungen . . . . . . 300 d) Haushaltsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 e) Stabilitätsratsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 f) Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 g) Konsolidierungshilfengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 4. Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
B.
Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis einschließlich zum Haushaltsjahr 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 I.
Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 1. Vorgaben des Europarechts zur Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 304 2. Vorgaben des bundesdeutschen Verfassungsrechts zur Kreditaufnahme bis zum Haushaltsjahr 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Vorbehalt gesetzlicher Ermächtigung (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) . 307 b) Materielle Grenzen der Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 aa) Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 α) Einnahmen aus Krediten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
Inhaltsverzeichnis
19
β) Investitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 γ) Veranschlagte Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Art. 109 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Ausnahmen von den materiellen Kreditaufnahmegrenzen . . . . . . 315 aa) Ausnahme des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) . . . . . . 315 α) Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts . . . 316 β) Geeignete Störungsabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 γ) Einschätzungs- und Beuteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers und Darlegungslasten . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 bb) Ausnahme über den Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 II.
Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 1. Vorgaben des Grundgesetzes für die Kreditaufnahme der Länder . . . 319 2. Vorgaben des Landesverfassungsrechts zur Kreditaufnahme . . . . . . . 321 a) Kreditaufnahmegrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 b) Ausnahmen von den materiellen Kreditaufnahmegrenzen . . . . . . 322 aa) Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und landesverfassungsrechtliche Abweichungen . . . . 323 bb) Keine Zulässigkeit der erhöhten Kreditaufnahme zur Bewältigung einer „extremen Haushaltsnotlage“ . . . . . . . . . . . . . . 324 c) Neuverschuldungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3. Konsequenzen für die Länder durch die Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG im Kontext des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
C.
Reformbedürftigkeit und Vorgaben für Reformen des Staatsschuldenrechts . . 330 I.
Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Faktische Reformbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Nachhaltigkeitserwägungen als Grund für die Notwendigkeit einer Reform des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 aa) Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ . . . . . . . . . . . . . . . 338 bb) Begriff der „Nachhaltigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 b) Nachhaltigkeit und Reform des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . 343 c) Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
II.
Vorgaben für künftige Reformen des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . 349 1. Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Stärkung der Eigenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
20
Inhaltsverzeichnis b) Weiterentwicklung von Mechanismen zur wirksamen Begrenzung der Staatsverschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Beachtung der Länderautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 d) Beseitigung von Verschuldungsfehlanreizen und Schaffung von Anreizen zum Schuldenabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 III.
D.
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II und Ansätze für zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I.
Schuldenbegrenzungsregel – Einführung einer neuen Kreditaufnahmeregelung für Bund und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 1. Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 aa) Absolutes Verschuldungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 bb) Verschärfung des Investitionsbegriffs in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 cc) Einführung einer „Schuldenbremse“ – Adaption der Schweizer Kreditaufnahmegrenze des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 dd) Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 ee) Vorschlag des Bundesministeriums der Finanzen . . . . . . . . . 365 b) Umsetzung durch Föderalismusreform II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 aa) Einführung einer „Schuldenbremse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Bewertung der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 2. Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 a) Kompetenzgrundlage für den Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Reformvorschläge für eine Begrenzungsregel der Länderschulden 375 aa) Absolutes Verschuldungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 bb) Übertragung der vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Bundesregelung auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 cc) Übernahme der europäischen Stabilitätskriterien . . . . . . . . . 378 dd) Eigenständige Länderregelungen – Orientierung an kantonalen Schuldenbremsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 c) Umsetzung durch Föderalismusreform II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 aa) Modifizierte Übernahme der Bundesregelung . . . . . . . . . . . 382 bb) Bewertung der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Inhaltsverzeichnis II.
21
Einführung eines präventiven Begleitsystems zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1. Handlungsbedarf trotz fehlender Handlungsverpflichtung des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 2. Ausgestaltung eines Haushaltsnotlageregimes (Präventions- und Sanktionssystem) zur Vermeidung künftiger Haushaltsnotlagen . . . . . . . . 387 a) Indikatorenauswahl und Festlegung von Grenzwerten . . . . . . . . . 388 b) Zuständiges Kontrollorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 c) Haushaltssanierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 d) Sanktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 3. Umsetzung durch Föderalismusreform II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 a) Einführung eines Stabilitätsrates zur Überwachung der Haushalte 396 b) Bewertung der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
III.
Entschuldung der Haushalte – Umgang mit der bestehenden Verschuldung 400 1. Notwendigkeit vergleichbarer Startbedingungen für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 2. Reformvorschläge zur Entschuldung der Länderhaushalte . . . . . . . . . 402 a) Einrichtung eines Entschuldungsfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 aa) Teilentschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 bb) Vollentschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 b) Insolvenzrecht für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften . . 408 3. Umsetzung durch Föderalismusreform II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 a) Einführung von temporären Konsolidierungshilfen . . . . . . . . . . . 411 b) Bewertung der Neuregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
IV.
Erfordernis der Systemkonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
Vierter Teil Neugliederung des Bundesgebietes A.
417
Grundlagen der Neugliederung des Bundesgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I.
Bundesstaat und Neugliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418
II.
Neugliederung des Bundesgebietes seit Erlass des Grundgesetzes . . . . . 420 1. Neugliederungsregelungen bei Erlass des Grundgesetzes 1949 . . . . . 421 2. Revision der Neugliederungsregelung 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 3. Revision der Neugliederungsregelung 1976 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 4. Revision der Neugliederungsregelung 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
22 B.
Inhaltsverzeichnis Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . 429 I.
Allgemeine Verfahren der Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 1. Neugliederungsbefugnis (Art. 29 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 a) Zielvorgabe für die Neugliederung (Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG) . . . . 430 b) Konkretisierende Richtbegriffe (Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG) . . . . . . . 431 2. Neugliederungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 a) Allgemeines Neugliederungsverfahren (Art. 29 Abs. 2 und 3 GG) 433 b) Neugliederung durch Bevölkerungsinitiative (Art. 29 Abs. 4 und 5 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 c) Kleinere Grenzkorrekturen (Art. 29 Abs. 7 GG) . . . . . . . . . . . . . . 437 d) Neugliederung durch Staatsvertrag (Art. 29 Abs. 8 GG) . . . . . . . 438
II.
Grundgesetzliche Spezialregelungen zur Neugliederung des Bundesgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 1. Neugliederung nach Art. 118 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 2. Neugliederung nach Art. 118a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 3. Neugliederung nach Art. 146 GG i.V. m. Art. 79 GG . . . . . . . . . . . . . 441
C.
D.
Notwendigkeit der Neugliederung und Verknüpfung mit einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 I.
Keine Notwendigkeit einer Neugliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
II.
Neugliederung des Bundesgebietes und Reform der Finanz- und Haushaltsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen im Grundgesetz . . . . 449 I.
Möglichkeit der Neufassung des Art. 29 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 1. Keine Änderung der grundlegenden Funktion des Art. 29 GG . . . . . 449 2. Mögliche Änderungen des Neugliederungsverfahrens . . . . . . . . . . . . 450 3. Einführung von Anreizen zur Neugliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 4. Aufnahme des Alternativziels der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
E.
II.
Aufhebung der verfassungsrechtlichen Neugliederungsregeln . . . . . . . . 455
III.
Keine Erweiterung der Spezialregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456
Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
Fünfter Teil Ergebnis
459
A.
Erster Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 459
B.
Zweiter Teil: Finanzordnung und Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
Inhaltsverzeichnis
23
C.
Dritter Teil: Staatsschuldenrecht und Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
D.
Vierter Teil: Neugliederung des Bundesgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. EG ABl. EU Abs. a.F. AK Alt. AO AöR Art. BAnz. BauGB BayLHO BayVBl. BayVerf BbgVerf BbgVerfG BBodSchG
andere Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz alte Fassung Alternativ-Kommentar Alternative Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Bundesanzeiger Baugesetzbuch Bayrische Landeshaushaltsordnung Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayrische Landesverfassung Brandenburgische Landesverfassung Brandenburgisches Verfassungsgericht Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten Bd. Band BerlVerf Berliner Landesverfassung BerlVerfGH Berliner Verfassungsgerichtshof BFinG Bundesfinanzgericht BFinHBRuaG Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für Seehäfen BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BHO Bundeshaushaltsordnung BIP Bruttoinlandsprodukt BK Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) BMF Bundesministerium der Finanzen BR Bundesrat BRD Bundesrepublik Deutschland BremVerf Bremer Landesverfassung
Abkürzungsverzeichnis BSGE BSP bspw. BT BV BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BWVBl. BWVerf bzgl. bzw. ca. DDR DEFG ders. d. h. DJT DM DÖV Drs. DV DVBl. Ecofin EG EGV ELFG ENeuOG EStG EU EuGH EuGRZ EuR EUV FAG FasS FAZ f. / ff. FHG FinArch
25
Entscheidung des Bundessozialgerichts Bruttosozialprodukt beispielsweise Bundestag Schweizer Bundesverfassung Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württembergische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Landesverfassung Baden-Württembergs bezüglich beziehungsweise circa Deutsche Demokratische Republik Gesetz über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit“ derselbe dass heißt Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drucksache Die Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt Rat für Wirtschaft und Finanzen bei der EU Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über die Errichtung eines Erblastentilgungsfonds Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens Einkommensteuergesetz Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Zeitschrift) Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Gesetz über den Finanzausgleich von Bund und Ländern Forum für angewandtes systemisches Stoffstrommanagement (Zeitschrift) Frankfurter Allgemeine Zeitung folgende Schweizer Finanzhaushaltsgesetz Finanzarchiv (Zeitschrift)
26 Fn. FS FVG GBl. gem. GFRG GG GGK HbgLHO HbgVerf HdbStR HessLHO HessStGH HessVerf HGrG h.L. h.M. Hrsg. Hs. i. d. F. i. d. S. insbes. InsO i. R. d. i.V. m. JA Jh. JR Jura JuS JZ Kap. Kom.-Drs. KritV LastG
lit.
Abkürzungsverzeichnis Fußnote Festschrift Finanzverwaltungsgesetz Gesetzblatt gemäß Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) Grundgesetz Grundgesetzkommentar Hamburger Landeshaushaltsordnung Hamburger Landesverfassung Handbuch des Staatsrechts Hessische Landeshaushaltsordnung Hessischer Staatsgerichtshof Hessische Landesverfassung Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz in der Fassung in diesem Sinn insbesondere Insolvenzordnung im Rahmen der in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jahrhundert Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Kommissions-Drucksache Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Zeitschrift) Gesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzungen von supranationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen (Lastentragungsgesetz) litera / -ae (Buchstabe(n))
Abkürzungsverzeichnis LKV LT LVerfG LVerfGE LVerfG SAn MaßstG
max. Mio. MP Mrd. MVVerf MVVerfG m.w. Nw. NdsStGH NdsVBl. NdsVerf n.F. NJ NJW NordÖR Nr. NVwZ Nw. NWLHO NWVerf OECD p.a. Prot. PVS RGBl. RGZ RL Rn. RPVerf RuP S. s. s. a. SachVerf
27
Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Landtag Landesverfassungsgericht Landesverfassungsgerichtsentscheidung Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen maximal Millionen Ministerpräsident(in) Milliarden Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommerns Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommerns mit weiteren Nachweisen Niedersächsischer Staatsgerichtshof Niedersächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Niedersächsische Landesverfassung neue Fassung Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland (Zeitschrift) Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Nachweis Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalens Landesverfassung Nordrhein-Westfalens Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung pro anno Protokoll Politische Vierteljahresschrift (Zeitschrift) Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richtlinie Randnummer(n) Landesverfassung Rheinland-Pfalz Recht und Politik (Zeitschrift) Satz / Seite siehe siehe auch Landesverfassung Sachsens
28 SAnLHO SAnVerf SchuldMitüG
SFG
SGB II SHVerf SLVerf sog. SPD StabG StabiRatG StuW SuS SZAG
THVerf u. u. a. UNO UTR u.U. v. v. a. Verf VerwArch vgl. VM VO Vol. Vorb. VR VVDStRL WD WM WRV
Abkürzungsverzeichnis Landeshaushaltsordnung Sachsen-Anhalts Landesverfassung Sachsen-Anhalts Gesetz zur Mitübernahme der Schulden des Erblastentilgungsfonds, des Bundeseisenbahnvermögens sowie des Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes in die Bundesschuld Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) Sozialgesetzbuch – Zweites Buch Landesverfassung Schleswig-Holsteins Landesverfassung des Saarlands sogenannte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrates und zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Staatswissenschaften und Staatspraxis (Zeitschrift) Gesetz zur innerstaatlichen Aufteilung von unverzinslichen Einlagen und Geldbußen gemäß Artikel 104 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Sanktionszahlungs-Aufteilungsgesetz) Landesverfassung Thüringens und unter anderem United Nations Organisation (Vereinte Nationen) Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts unter Umständen von vor allem Verfassung Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) vergleiche Verwaltung und Management (Zeitschrift) Verordnung Volume Vorbemerkung(en) Verwaltungsrundschau (Früher SKV = Staats- und Kommunalverwaltung) (Zeitschrift) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wirtschaftsdienst (Zeitschrift) Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung
Abkürzungsverzeichnis z. B. ZerlG ZG Ziff. zit. ZÖR ZParl ZRP zutr. z.T.
29
zum Beispiel Zerlegungsgesetz Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer zitiert Zeitschrift für öffentliches Recht (Zeitschrift) Zeitschrift für Parlamentsfragen (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) zutreffend zum Teil
Die weiteren Abkürzungen folgen Kirchner, Hildebert / Butz, Cornelie: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Auflage, Berlin 2003
Einleitung A. Krise der öffentlichen Haushalte in Deutschland Das System der Finanz- und Haushaltsordnung Deutschlands basiert auch nach der erfolgten Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland auf dem Konzept einer Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts festgelegten relativen Gleichheit der Wirtschafts- und Finanzkraft der westdeutschen Länder. Betrachtet man die aus diesem System resultierende Einnahme- und Ausgabenentwicklung sowie die Entwicklung der Staatsschulden im Zeitraum der vergangenen 15 Jahre, lässt dies nur einen möglichen Rückschluss zu: Deutschland befindet sich in einer ernst zu nehmenden Finanzkrise mit möglicherweise existentiellen Auswirkungen auf die derzeitige föderale Verfasstheit der Republik mit seinen 16 Bundesländern. Bis zum Jahr 1990 hatte Deutschland bedingt durch die Währungsumstellung nach Beendigung des 2. Weltkriegs eine nahezu stetig ansteigende, aber im Vergleich deutlich unter dem Durchschnitt der europäischen Länder liegende Schuldenstandsquote. Dies änderte sich grundlegend in der Phase unmittelbar nach der Deutschen Wiedervereinigung. Betrug die explizite Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte 1991 noch 595,92 Mrd. €, waren es Ende 2006 schon ca. 1,48 Billionen €. Hiervon entfiel ein Großteil der Schulden auf den Bund mit einem Anteil von ungefähr 902,05 Mrd. €, gefolgt von den Ländern mit einem Gesamtverschuldungsanteil von ca. 479,48 Mrd. € und den Kommunen mit ca. 81,88 Mrd. €. 1 Die Zinslasten des Bundes sind hierbei mit ca. 40 Mrd. € der zweitgrößte Bundeshaushaltseinzelposten. Bis zum Jahr 2005 war es Deutschland daher vier Mal in Folge nicht gelungen, die im Europäischen Gemeinschaftsvertrag in Art. 104 Abs. 2 EGV und dem Protokoll Nr. 20 festgelegten Stabilitätskriterien einzuhalten. 2 Obwohl die Verschuldung durch die Kopplung an das Investitionsvolumen im Haushalt grundsätzlich begrenzt ist, haben sich die Haushalte der Mehrzahl der Bundesländer in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Sechs Bundesländer haben 2005, soweit man die 1 Hinzu treten noch 7,47 Mrd. € Schulden der Zweckverbände sowie ca. 15,37 Mrd. € einstellungspflichtige Schulden im Sondervermögen des Bundes, vgl. Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2007, S. 589. 2 Eurostat, Euro-Indikatoren, Pressemitteilung, 48/2006 v. 24. April 2006, S. 4; vgl. Berechnungen in der Stellungnahme des Rates v. 14. März 2006 zum Stabilitätsprogramm Deutschlands für 2005 – 2009, ABl. EU 2006, Nr. C 82, S. 6 (9).
32
Einleitung
vorläufigen Berechnungen zugrunde legt, keinen verfassungskonformen Haushalt aufstellen können und vier weitere Bundesländer konnten die geforderten Kriterien nur durch beachtliche Einmalerlöse aus Immobilienverkäufen erfüllen. 3 Die Schulden der Bundesländer sind zwischen 1991 und 2004 im Durchschnitt um 20 % p.a. angewachsen. 4 Das Urteil des BVerfG zur Klage Berlins auf Sanierungshilfen, welches auf die allgemein schlechten Haushaltsdaten mit einer Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen reagierte, verdeutlicht die prekäre Situation. 5 Die Bundesländer Bremen 6 und Saarland 7 klagten vor dem BVerfG auf eine Teilentschuldung, da sie sich in einer „extremen Haushaltsnotlage“ sahen. Die Verabschiedung der Föderalismusreform II führte jedoch dazu, dass sie die Verfahren nicht mehr weiter betrieben. Der Umstand, dass durch die wirtschaftliche Globalisierung, eine veränderte Steuergesetzgebung, eine verschärfte soziale Lage, aber auch gewachsene Ansprüche der Bürger die Staatsfinanzen immer mehr unter Druck geraten, ist im Kern dafür verantwortlich, dass offenkundig konstant mehr ausgegeben als eingenommen wird. Desorganisation, Misswirtschaft und strukturelles Fehlverhalten der Politik sind darüber hinaus mitursächlich für die Finanzkrise. 8 Die seit dem September 2008 eskalierende globale Finanz- und Wirtschaftskrise erhöht den Druck auf das deutsche Finanzsystem. 9 Dass der Haushalt des Bundes sich im Jahr 2007 positiv entwickelt hat und somit zumindest einen der beiden gemeinschaftsrechtlichen Referenzwerte zur Feststellung eines übermäßigen Defizits (zulässige jährliche Neuverschuldung von maximal 3 % des BIP) nicht überschritten hat, ändert nichts an der Tatsache, dass die Lage aufgrund des hohen Schuldensockels dramatisch ist. Ein nachhaltiger Abbau der Staatsverschuldung erscheint vor dem Hintergrund der seit dem Jahr 2007 sich auswirkenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise kurz- bis mittelfristig nicht zu erwarten zu sein, was insbesondere vor dem Hintergrund der Auswirkungen der demographischen Entwicklung der Bevölkerungsstruktur (Anhebung des Durchschnittsalters und Bevölkerungsrückgang) in 3
Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht, 58. Jahrgang, Juli 2006, S. 45 ff. J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G.F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 26. 5 BVerfGE 116, 327 ff. 6 Vgl. J. Hellermann, Antragschrift des Landes Bremen v. 07. April 2006. 7 Vgl. R. Wendt, Antragschrift des Landes Saarland v. 10. September 2005. 8 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 188. 9 Der starke Rückgang des BIP im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise und die schlechten Konjunkturprognosen haben den Bund dazu veranlasst kurzfristig kostenintensive Gesetzesvorhaben zur Belebung der Konjunktur zu beschließen, vgl. u. a. Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG, vom 17. Oktober 2008, BGBl. 2008 I, S. 1982 ff. („Konjunkturpaket I“) und das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland vom 02. März 2009, BGBl. 2009 I, S. 416 ff, („Konjunkturpaket II“). 4
A. Krise der öffentlichen Haushalte in Deutschland
33
den kommenden Jahrzehnten fatale Folgen für die Staatsfinanzen haben dürfte. Sollte sich die aktuelle Entwicklung fortschreiben, dann wird die Zahl der Erwerbstätigen bei einer weiter rückläufigen Bevölkerungszahl bis 2050 von 50,1 Mio. auf ca. 35,5 – 39,1 Mio. zurückgehen. 10 Die Zahl der über 65-jährigen wird hingegen – einhergehend mit den damit verbundenen Kosten im Gesundheitsund Sozialbereich – dramatisch ansteigen. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass die Finanz- und Haushaltsordnung der stetig wachsenden Schuldenlast der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern und der damit verbundenen Bindung von öffentlichen Mitteln durch steigende Zinslasten in der Gegenwart und für die Zukunft nicht mehr gewachsen ist. Die Zunahme der Staatsverschuldung bedroht inzwischen die Handlungs- und Gestaltungsfreiheit unserer Demokratie. Freilich sind viele Experten – zu Recht oder zu Unrecht – der Meinung, dass die Finanzknappheit in besonderem Maße die Länder und Kommunen (und weniger den Bund) in unterschiedlicher Intensität trifft. Die damit angesprochene Verteilung der Geldmittel zwischen den Staatsebenen ergibt sich aus den Regelungen der Finanzordnung. Die Finanz- und Haushaltsverfassung bildet ein Kernstück der bundesstaatlichen Ordnung. 11 Sie soll den vorhandenen Gebietskörperschaften, also insbesondere dem Bund und den Ländern, im Rahmen der vorhandenen Finanzmittel eine adäquate Finanzausstattung gewährleisten. 12 Hierbei gibt die Verfassung nach gängiger Ansicht vor, dass jede Ebene mit den Finanzmitteln auszustatten ist, die den ihr zugewiesenen Aufgaben entsprechen. 13 Dieses Prinzip der aufgabengerechten Finanzausstattung ist offensichtlich schwer in die Praxis umzusetzen – denn solange z. B. in einem Landeshaushalt noch eine wie auch immer geartete Kürzungsmöglichkeit besteht, lässt sich u.U. noch darüber streiten, ob die Ausstattung nicht bereits „aufgabengerecht“ ist. Zudem ist Aufgabengerechtigkeit dann schwer einzuhalten, wenn insgesamt wenig Geld zu verteilen ist. Die bisher aufgezeigten Fakten sind ein Indiz dafür, dass die Finanz- und Haushaltsordnung eine adäquate Finanzausstattung der Gebietskörperschaften in Form einer gerechten Einnahmen- und Ausgabenverteilung nicht mehr zu gewährleisten vermag bzw. ein nachhaltiger Weg aus der bestehenden Situation der Staatsverschuldung auch nach der Föderalismusreform II unklar ist. Dem 10
Statistisches Bundesamt, Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, S. 17 ff.; M. Schuler-Harms, DVBl. 2008, S. 1090. 11 BVerfGE 55, 274 (300); H.-G. Henneke, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofman / A. Hopfauf, GGK, Vorb. Art. 104a Rn. 5; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 44. 12 K.-A. Schwarz, ZG 2004, S. 268 (270); i. d. S. auch H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 3. 13 U. Häde, Finanzausgleich, S. 183; J. Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 44; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 100 f.
34
Einleitung
Staat stehen grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten offen, der Finanzkrise zu begegnen. Aus ökonomischer Sicht ließe sich die finanzielle Schieflage der öffentlichen Haushalte unter Maßgabe geringfügiger Modifizierungen der Finanzund Haushaltsordnung durch eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung erreichen. 14 Bund und Länder müssten über die Vermeidung von weiterer Nettoverschuldung und einer Einnahmeverbesserung die öffentliche Gesamtverschuldung zurückführen. Dies könnte über Abgabenerhöhungen, d. h. durch die Anhebung der Steuersätze und Ausgabenminderungen z. B. in Form von Subventions- und Personalabbau wie auch durch die Ausnutzung der Inflation geschehen. Doch inzwischen hat auch die Politik erkannt, dass die Probleme schwerwiegender sind und eine nachhaltige Konsolidierung des Staatshaushaltes unter den Vorgaben des Regimes der aktuellen Finanz- und Haushaltsordnung selbst in Zeiten des Konjunkturaufschwunges nicht zu erwarten ist. Die zuletzt in den Jahren 1969/70 grundlegend überarbeitete Finanz- und Haushaltsordnung hält mit den vielschichtigen Veränderungen im bundesdeutschen Föderalstaat nicht mehr mit. Tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur 15, die Wiedervereinigung Deutschlands und der Prozess der fortschreitenden Europäisierung bzw. der Globalisierung haben dazu geführt, dass die Regelungsdefizite im öffentlichen Finanzsystem den Bürgern inzwischen zunehmend in Form von auftretenden Schwierigkeiten bei der Organisation des öffentlichen Lebens sichtbar werden. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis beschlossen Bundestag und Bundesrat in Anknüpfung an die im Sommer 2006 verabschiedete Reform „zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“ 16 im Dezember desselben Jahres die Einsetzung einer gemeinsamen „Kommission zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen“ 17. Die Kommission 18 sollte angesichts der „veränderten Rahmenbedingungen inner- und außerhalb Deutschlands“ Vorschläge zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sowie des Staatsschuldenrechts erarbeiten. Die Kommission stellte ihre abschließenden Beschlüsse zur Modernisierung der Finanz- und Haushaltsordnung (Föderalismusreform II) am 14
C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 190; T. Sarrazin, VM 1996, S. 260 ff. Zu nennen sind hier bspw. die demographische Bevölkerungsentwicklung, die veränderten Familienstrukturen, die Emanzipation der Frau sowie die zunehmende Mobilität der Bevölkerung. 16 Sog. „Föderalismusreform I“, vgl. BT-Drs. 16/813 u. BT-Drs. 16/814; BR-Drs. 462/ 06 u. BR-Drs. 463/06. 17 Vgl. BT-Drs. 16/3885 u. BT-Prot. 16/74, S. 7393 ff.; BR-Drs. 913/06 u. BR-Prot. 2006, S. 397 ff. 18 Die Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen bestand aus insgesamt 32 Mitgliedern. Bundestag und Bundesrat entsendeten jeweils 16 Mitglieder (auf Seiten des Bundestages sind hiervon vier Mitglieder der Bundesregierung) und wählten aus ihrer Mitte je ein vom Bundestag und Bundesrat entsandtes Mitglied zu den Vorsitzenden der Kommission. Zu den Kommissionsvorsitzenden wurden der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Peter Struck (Bundestag) und MP Günther Oettinger (Bundesrat) gewählt. 15
B. Gang der Untersuchung
35
5. März 2009 der Öffentlichkeit vor. 19 Vergleicht man die dem Einsetzungsantrag als Anlage beigefügte „offene Themensammlung“ 20 mit den Gesetzesänderungen im Rahmen der Föderalismusreform II, dann zeigt sich, dass die Neujustierung des Systems der Haushaltsordnung bzw. dessen Ergänzung um neue Instrumente von Beginn an im Zentrum der Reformpläne stand. Eine umfassende Reform der Finanzordnung ist nicht erfolgt.
B. Gang der Untersuchung In der Literatur anzutreffende Aussagen, nach denen die Finanzverfassung ein „Kernproblem des Bundesstaates“ 21 bildet und sich im Finanzwesen „der ganze Staat“ 22 spiegelt, verdeutlichen den herausragenden Rang, den die Finanz- und 19
Vgl. Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, KOM 174, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen. 20 Vgl. BT-Drs. 16/3885, S. 1 (3): Offene Themensammlung zu einer Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (2. Föderalismusreformstufe) 1. Haushaltswirtschaft; Vorbeugung von Haushaltskrisen – Etablierung eines Frühwarnsystems (z. B. Aufwertung Finanzplanungsrat) zur Erkennung und Bekämpfung von Haushaltskrisen, – Entwicklung materieller Kriterien zulässiger Verschuldung (Einführung von Verschuldungsgrenzen und „Schuldenbremsen“), Änderung von Art. 115 und Art. 109 GG zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen, – Instrumentarium zur Durchsetzung dieser Kriterien (Anreizsysteme, Sanktionen, Gläubigerbeteiligung an Kosten einer Finanzkrise), – Strukturunterschiede zwischen den Ländern, – Vergleichbare Datengrundlagen. 2. Bewältigung bestehender Haushaltskrisen – Konzepte zur Sanierung, Konzepte erweiterter Autonomie – (insbesondere unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG). 3. Aufgabenkritik und Standardsetzung. 4. Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung – Aufgabenentflechtungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung, – Ebenenübergreifende Bündelung von Verwaltungsaufgaben, – Einführung von IT-Standards und -systemen / Vereinfachung länderübergreifender Regelungen. 5. Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung u. a. Abarbeitung Prüfauftrag für 2008 aus Finanzausgleichsgesetz. 6. Stärkung der Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften. 7. Verstärkte Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses von Ländern. 8. Bündelung fachpolitischer Leistungen und Auswirkungen auf die Bund-LänderFinanzbeziehungen. 9. Sonstiges. 21 W. Gerloff, Die Finanzgewalt im Bundesstaat, S. 28.
36
Einleitung
Haushaltsordnung im demokratisch organisierten Föderalstaat Deutschlands einnimmt. Die im Sommer des Jahres 2006 verabschiedete Föderalismusreform I hat zu einer deutlichen Abgrenzung der Aufgabenverantwortung geführt und somit den Weg für einen zweiten Reformschritt geebnet. In diesem Sinn ist es Ziel der vorliegenden Untersuchung, über die Ergebnisse der Föderalismusreform I und II hinausgehend eine zeitgemäße Reform der Finanz- und Haushaltsordnung unter rechtlichen Aspekten zu erörtern. Dieser Ansatz erscheint notwendig, da Aufgaben- und Ausgabenverantwortung nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Vielmehr sind die Finanz- und Haushaltsverfassung als eine Art Folgeverfassung anzusehen. 23 Diese komplexe Materie ist mit vielerlei Problemen behaftet. Da Geld grundsätzlich nicht einfach gedruckt und vermehrt werden kann, läuft jede Veränderung des Zustands öffentlicher Haushalte darauf hinaus, entweder (a) bestimmten öffentlichen Haushalten und damit bisher begünstigten Bürgern Gelder zugunsten anderer Haushalte und Bürger zu entziehen und Ausgabenkürzungen vorzunehmen, oder (b) die Bürger insgesamt mit höheren Abgaben zu belasten oder (c) über den Umweg der Verschuldung eine Umverteilung zu Lasten künftiger Generationen von Bürgern vorzunehmen. Ob die Politik zu einer solchen Umverteilung bzw. Neubesteuerung verfassungsrechtlich verpflichtet ist, darf man vor aller Prüfung durchaus bezweifeln. Dies gilt auch deshalb, weil alle Reformvorschläge in einem gegenseitigen Konflikt stehen dürften. Gemeint ist die Schwierigkeit, in einer Finanz- und Haushaltsordnung einerseits eine möglichst weitreichende Entfaltung für die Leistungsstarken (hinter den Ländern und Kommunen stehen ja konkrete Menschen als Steuerzahler, Leistungsempfänger) und anderseits möglichst annährend gleiche Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Auch nach den Beschlüssen der Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen im Jahr 2009 und deren Umsetzung wird das Thema zukünftig aktuell sein. In Anknüpfung an die bereits auf dem Gebiet der Bundesstaatlichkeit sowie auf dem Gebiet der Finanz- und Haushaltsordnung in der Literatur vorhandenen Werke 24 ist es daher das Ziel der vorliegenden Ausführungen, die Finanz- und Haushaltsordnung im bundesstaatlichen Kontext vor dem Hintergrund der in der z.T. jüngsten Vergangenheit erfolgten legislativen Änderungen und der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG, sowie im Vorgriff auf zukünftige Reformen der Bund-Länder-Finanzbe22
D. Katzenstein, Die föderale Struktur der Schweiz, S. 7 ff. M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 28; H.G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 124; ähnlich F. Kirchhof, ZG 2004, S. 209 (213). 24 U.a. H. Bauer, Die Bundestreue; C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform; U. Häde, Finanzausgleich; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen; J. Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland; W. Höfling, Staatsschuldenrecht; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung; J. Sanden, Die Weiterentwicklung der föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland; E. Sarcevic, Das Bundesstaatsprinzip. 23
B. Gang der Untersuchung
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ziehungen zu untersuchen. Die aktuell ebenfalls diskutierten und z.T. im Rahmen der Föderalismusreform II verwirklichten Reformbestrebungen zur Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung durch Aufgabenentflechtungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung, der ebenenübergreifenden Bündelung von Verwaltungsaufgaben, der Einführung von IT-Standards und -Systemen, der Vereinfachung länderübergreifender Regelungen und der Bündelung fachpolitischer Leistungen sowie deren Auswirkungen auf die Bund-Länder-Finanzbeziehungen sind nicht Gegenstand der Bearbeitung. Die vorliegende Arbeit befasst sich ausschließlich mit der Bundesstaatlichkeit, der Reform der Finanzordnung, der Reform der Haushaltsordnung in Bezug auf den Umgang mit der Staatsverschuldung und der Frage der Neugliederung des Bundesgebietes. Methodisch ist für die umfassende Bearbeitung dieser Thematik neben der im Vordergrund stehenden normativen Betrachtungsweise ein Rückgriff auf finanzwissenschaftliche und anderer volkswirtschaftliche Erkenntnisse unabdingbar. Im Einzelnen schließt sich an die im direkten Anschluss erfolgende Begriffssystematisierung der erste Teil der Arbeit mit einer einleitenden Einordnung der Stellung von Bund und Ländern in Deutschland anhand der Begriffe „Föderalismus“ und „Bundesstaat“ an. Im Mittelpunkt dieses Teils stehen neben der Darstellung der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland und der Verankerung des Bundesstaates über das Bundesstaatsprinzip im Grundgesetz vor allem die Bundesstaatstheorien und ihre Relevanz für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung. Der zweite Teil der Ausführungen behandelt die Finanzordnung. Die Darstellung der gegenwärtigen Finanzordnung fokussiert insbesondere die infolge der 2006 verabschiedeten Föderalismusreform I eingeführten Neuerungen im Bereich der staatlichen Ausgabenreglungen und Steuergesetzgebungskompetenzen sowie punktueller Änderungen bzw. Nachbesserungen im Rahmen der Föderalismusreform II. Darüber hinaus ist es Ziel dieser Arbeit, die Anfang 2005 in Kraft getretene Neuregelung des Finanzausgleichsystems vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG zum Finanzausgleich darzustellen und zu bewerten. Anschließend werden nach der Herleitung der Reformbedürftigkeit mögliche Ansätze zur Reform der Finanzordnung als rechtspolitische Vorschläge analysiert und bewertet. Der dritte Teil der Untersuchung befasst sich mit dem Problem der Staatsverschuldung. Nach einer Einführung in die Haushaltsordnung werden insbesondere die im Rahmen der Föderalismusreform II geänderten Kreditaufnahmeregelungen im Bundes- sowie im jeweiligen Landesrecht auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und mögliche Änderungsvorschläge diskutiert. Der vierte Teil widmet sich dem oft im Zusammenhang mit einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung in Verbindung gebrachten Thema der Neugliederung des Bundesgebietes. Ziel ist es hierbei, die Grundlagen und gegenwär-
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Einleitung
tigen Möglichkeiten der Neugliederung des Bundesgebietes dazustellen, um im Anschluss Ansätze für eine mögliche Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen aufzuzeigen. Die Untersuchung soll darüber hinaus einen Beitrag zu der Beantwortung der Frage leisten, ob die Thematiken der Neugliederung des Bundesgebietes und einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung zwingend miteinander verknüpft sind.
C. Begriffssystematisierung Zunächst sind einige begriffliche Grundlagen zu klären. Das Schrifttum zeichnet sich insbesondere im Bereich des öffentlichen Finanzrechts durch eine extrem heterogene Verwendung von Begriffsdefinitionen aus. Dies führt dazu, dass auf den ersten Blick einheitliche Begriffe unterschiedliche Normenkreise eingrenzen oder verschiedene Begriffe den gleichen Normenkreis umschreiben. Beispielhaft lässt sich diese uneinheitliche Verwendung an dem Begriff der „Finanzverfassung“ verdeutlichen. 25 So sollen nach einer materiellen und extrem extensiven Auslegung sowohl positivrechtliche Normierungen durch den ordentlichen und den Verfassungsgesetzgeber, als auch überpositives Verfassungsrecht unter den Begriff der „Finanzverfassung“ fallen. 26 Andere definieren den Begriff der „Finanzverfassung“ formal als die Vorschriften in der Verfassung, die sich auf das staatliche Finanzwesen beziehen und den verfassungsrechtlichen Kern der Finanzordnung bilden. 27 Demnach wären alle, die Finanzhoheit betreffenden Regelungen in der Verfassung (neben den Art. 104a ff. GG z. B. die Art. 91a, 91b, 115c Abs. 3, 120, 120a, 134, 135, 140 GG) mit Ausnahme der Regelungen zur Verteilung der einzelnen aus der Finanzhoheit fließenden Befugnisse 28 vom Begriff der Finanzverfassung umfasst. 29 Wiederum andere setzen den Begriff der Finanzverfassung mit dem der Finanzordnung gleich 30, oder verwenden ihn synonym mit dem Begriff des Finanzausgleichs 31. Die Verwirrung gipfelt in der Erkenntnis, dass der X. Abschnitt des Grundgesetzes eben nicht die Überschrift „Finanzverfassung“ trägt, sondern unter dem Titel „Finanzwesen“ zu finden ist. 25 Ausführlich K. Ulsenheimer, Untersuchungen zum Begriff „Finanzverfassung“; vgl. auch H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Vorb. Art. 104a Rn. 4 ff. 26 G. Strickrodt, JZ 1955, S. 129 (135). 27 K. Stern, Staatsrecht II, S. 1056 ff. 28 Z. B. Vorschriften der Haushaltsordnung und das Verhältnis des Einzelnen zur Finanzgewalt. 29 K. Vogel, in: HdbStR IV (1. Auflage) § 30 Rn. 3 f.; anders K. Stern, Staatsrecht II, S. 1050, 1060 ff., der zwischen der Finanzverfassung „im weiteren Sinn“ und der Finanzverfassung „im engeren Sinn“ sowie der Haushaltsverfassung unterscheidet. 30 So offenbar J. Katz, Staatsrecht, Rn. 484. 31 R. Probst, Finanzausgleich, S. 17, 49 ff.; zutr. Nw. bei A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und der Schweiz, S. 30.
C. Begriffssystematisierung
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Damit stellt sich die Herausforderung, die Begriffe Finanzrecht, Finanz- bzw. Haushaltsordnung, Finanzwesen und Finanz- bzw. Haushaltsverfassung zu systematisieren, um hierauf bei den weiteren Ausführungen aufbauen zu können.
I. Finanzrecht Der Begriff des „(öffentlichen) Finanzrechts“ ist der allgemeinste, von dem alle anderen hier aufgeführten Begriffe mit umfasst sind. Er ist eng mit den Begriffen der öffentlichen Finanz- bzw. Haushaltswirtschaft verknüpft. Gegenstand des (öffentlichen) Finanzrechts sind alle Rechtsvorschriften über die Finanz- und Haushaltswirtschaft, wobei sich die haushaltsrechtlichen Normen in das (öffentliche) Finanzrecht einordnen lassen. 32 Unter „(öffentlicher) Finanzwirtschaft“ versteht man die Finanzwirtschaft des Staates und der sonstigen öffentlichen Gemeinwesen, deren Inhalt es ist, die für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben erforderlichen Finanzmittel aufzubringen, zu verwalten und einzusetzen. 33 Unter den Begriff der „Haushaltswirtschaft“ fallen somit alle auf die staatlichen Einnahmen und Ausgaben bezogenen Vorgänge. 34 Die Einnahmegewinnung durch Abgaben, deren interföderale Verteilung sowie auf der Ausgabenseite die Zuteilung der Finanzierungslasten fallen aber nicht in den Bereich der Haushaltswirtschaft. Die Themengebiete der Finanz- sowie der Haushaltswirtschaft sind insoweit konzentrisch, wobei die Haushaltswirtschaft den engeren und die Finanzwirtschaft den weiteren Kreis bildet. 35 Das (öffentliche) Finanzrecht umfasst daher alle Rechtssätze, die für den Bereich der öffentlichen Finanz- und Haushaltswirtschaft Regelungen beinhalten.
II. Finanz- und Haushaltsordnung Aufgrund der Tatsache, dass für das hier gewählte Thema Bereiche wie beispielsweise das öffentliche Subventionsrecht als Rechtssätze des öffentlichen Finanzrechts irrelevant sind, muss ein weiter eingrenzender Begriff definiert werden. Hier kommt der Begriff der „Finanzordnung“ in Betracht. Dabei ist zunächst fraglich, ob Haushaltsvorschriften auch unter den Begriff der „Finanzordnung“ fallen oder ob aufgrund des eigenständigen Charakters eher eine Unterteilung 32
C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 9. H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 1 ff.; F. Klein, in: F. Klein, Finanzrecht, S. 3. 34 H. Jarass, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 109 Rn. 1; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 109 Rn. 3; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 4 f. 35 BVerfGE 1, 117 (131); 101, 158 (220); C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 9; S. Korioth, KritV 2008, S. 187 (195). 33
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Einleitung
in Finanz- und Haushaltsordnung angebracht wäre. Grundsätzlich stehen Einnahme- und Ausgabenseite in einem funktionellen Zusammenhang, da Letztere in der Regel durch die Einnahmenseite determiniert ist. Andererseits darf sich das Ausgabeverhalten grundsätzlich nicht auf die Einnahmeverteilung auswirken. Im Ergebnis ist daher von einer Selbstständigkeit der Haushaltsregelungen gegenüber den Finanzregelungen auszugehen. 36 Von dieser Maßgabe ausgehend umfasst die Finanzordnung alle verfassungsrechtlichen (Bundes- oder Landesverfassung) und einfachgesetzlichen Bestimmungen sowie untergesetzliche Normen, die die Regelung der öffentlichen Finanzen zum Gegenstand haben. Hierzu zählen u. a. die Art. 104a GG bis Art. 108 GG, die sich außerhalb des X. Abschnittes des Grundgesetzes befindenden Regelungen der Art. 91a, 91b, 115c Abs. 3, 120, 120a, 134, 135, 140 GG sowie alle aus diesen Verfassungsnormen abgeleiteten einfach- und untergesetzlichen Normen 37. Als Teil der Haushaltsordnung 38 (im weiteren Sinn) gelten im Folgenden alle verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen sowie untergesetzlichen Bestimmungen, die die Regelung öffentlicher Haushalte im Sinne der Haushaltswirtschaft zum Gegenstand haben. Die Grundbestimmungen finden sich in Art. 110 GG bis 115 GG sowie in den Landesverfassungen, auf deren Grundlage diverse einfachgesetzliche und untergesetzliche Ausgestaltungen erfolgt sind. 39
III. Finanzwesen Der X. Abschnitt des Grundgesetzes trägt die Überschrift „Finanzwesen“ und weist somit auf die Nähe zur Finanzwissenschaft hin. 40 Fraglich ist, was unter diesem Begriff zu verstehen ist, da der häufig in diesem Zusammenhang synonym verwendete Begriff der „Finanzverfassung“ nicht im Grundgesetz zu finden ist. 41 Man könnte den X. Abschnitt des Grundgesetzes aufgrund seines Regelungsgehaltes als „Finanzverfassung im weiteren Sinne“ bezeichnen. Da der Wortlaut und die Systematik jedoch eindeutig sind, bietet es sich im Wege 36 A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und der Schweiz, S. 31; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 5; vgl. Argumentation für die Unterscheidung von Finanz- und Haushaltsverfassung, K. Stern, Staatsrecht II, S. 1050, 1060. 37 Z. B. FAG, MaßstG, ZerlG. 38 Diese ist nicht zu verwechseln mit der Bundeshaushaltsordnung bzw. den Landeshaushaltsordnungen, die lediglich ein Teilbereich der deutschen Haushaltsordnung bilden. 39 Z. B. HGrG, StabG. 40 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 3. 41 K. Bräuer, DÖV 1955, S. 584 ff.; G. Strickrodt, Die Finanzverfassung des Bundes als politisches Problem, S. 6 ff; G. Wacke, Das Finanzwesen der Bundesrepublik, S. 11; ders., DÖV 1955, S. 577 ff.
C. Begriffssystematisierung
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der Auslegung an, die in der Verfassung vorgegebene Einteilung zu akzeptieren. Demnach sind als „Finanzwesen“ ausschließlich die sich unter diesem Titel normierten Art. 104a GG bis einschließlich Art. 115 GG zu bezeichnen. Diese Betrachtung hat den Vorteil, dass man in Abgrenzung zu den Begriffen der Finanz- und Haushaltsverfassung einen eigenen Oberbegriff für beide Bereiche hat, durch den sprachliche Klarheit entsteht. Der Begriff des Haushaltswesens findet sich dementsprechend auch nicht im Grundgesetz wieder und hat keinen eigenen Aussage- bzw. Erkenntniswert. Er ist daher aus rechtwissenschaftlicher Perspektive nicht von Bedeutung. 42
IV. Finanz- und Haushaltsverfassung Die Finanz- und die Haushaltsverfassung bilden mit den außerhalb des X. Abschnittes des Grundgesetzes liegenden Verfassungsnormen mit Finanz- und Haushaltsbezug in der Normenhierarchie die höchste Stufe des Finanzrechts. Der Begriff der „Finanz-“ bzw. „Haushaltsverfassung“ ist im Kontext mit dem X. Abschnitt des Grundgesetzes in einem formellen Zusammenhang zu verstehen. Aufgrund des bereits festgestellten, selbstständigen Charakters der Haushaltvorschriften soll hier zwischen Finanz- und Haushaltsverfassung unterschieden werden. 43 Die bundesstaatliche Finanzverfassung ist demnach als die im Grundgesetz in Art. 104a GG bis Art. 108 GG geregelte Grundordnung des Steuerwesens und der staatlichen Finanzhoheit, ausgeübt durch die drei Staatsgewalten, ihrer bundsstaatlichen Aufteilung und ihrer kommunalen Gewährleistungen sowie des Steuerwesens zu definieren. 44 Als bundesstaatliche Haushaltsverfassung bezeichnet man die durch Art. 110 GG bis Art. 115 GG vorgegebene Grundordnung der staatlichen und para-staatlichen Haushalte einschließlich der Vermögens- und Schuldenwirtschaft sowie ihrer Kontrolle und der Einbeziehung des Haushaltsgebarens in das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. 45 Hinzu kommen die z.T. den Bundesregelungen entsprechenden Haushaltsregelungen in den Länderverfassungen. 42
So auch C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 27. J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 1; A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und der Schweiz, S. 31; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 5; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1050. 44 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 1; H.G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 42. 45 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 1; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 1; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1061. 43
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Einleitung
Art. 109 GG und Art. 109a GG nehmen systematisch eine Sonderstellung ein. 46 Sie sind als bundesstaatlich geprägtes Bindeglied zwischen dem Finanzund Haushaltsverfassungsrecht einzuordnen. 47 Über die einnahme- und ausgabebezogenen Normen der Finanzverfassung wird die in Art. 109 Abs. 1 GG normierte prinzipielle Autonomie der Haushaltswirtschaft verfassungsimmanent eingeschränkt.
46
Vgl. zu Art. 109 GG auch Dritter Teil Kap. A.III.2.a)aa). C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 4; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1052. 47
Erster Teil
Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland Im ersten Teil der Bearbeitung steht die Beantwortung der Frage im Vordergrund, ob und wenn ja, inwieweit Deutschlands Verfassungswirklichkeit mit den Begriffen „Föderalismus“ und „Bundesstaat“ verknüpft ist. Nach einer rechtstheoretischen Definition der Begriffe (A.) wird zunächst die rechtshistorische Entwicklung des Föderalismus in Deutschland nachgezeichnet (B.), um anschließend die Verankerung des Bundesstaatsprinzips (C.) im bundesdeutschen Verfassungsrecht zu erörtern. Abschließend werden verschiedene Bundesstaatstheorien und ihre Bedeutung für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung in Deutschland herausgearbeitet (D.)
A. Terminologie Zunächst erfolgt eine Definition der Begriffe „Föderalismus“ und „Bundesstaat“. Diese begriffliche Abgrenzung ist aufgrund der inhaltlichen Nähe der Ausdrücke zueinander und teilweise vorhandener Querschnittsmengen für die weitere Bearbeitung von grundlegender Bedeutung.
I. Föderalismus Der Begriff des „Föderalismus“ bezeichnet eine bestimmte Form des menschlichen Zusammenlebens. Grundsätzlich lässt sich ein System als föderal bezeichnen, wenn sich ein Verband aus territorial gebundenen Gruppen zusammensetzt, die jeweils eine verhältnismäßig große Eigenständigkeit untereinander besitzen. 1 Im engeren staatsorganisationsrechtlichen Sinn bezieht sich der Föderalismusbegriff nur auf das Verhältnis zwischen Zentralgewalt und Gliedstaaten, sowie der Gliedstaaten untereinander. Die eigenständigen Glieder sind grundsätzlich gleichberechtigt und haben sich zu einer übergreifenden politischen Gesamtheit zusammengeschlossen. 2 Im Unterschied zum Begriff des „Bundesstaates“ ist der 1
M. Frenkel, Föderalismus und Bundesstaat I, Rn. 210; A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 23.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
Begriff des „Föderalismus“ 3 weiter gefasst, indem er auch den Zusammenschluss zu einem Staatenbund als Vorstufe zum Bundesstaat umschreibt. Er ist somit nicht unmittelbar mit Staaten verknüpft. 4 Daher muss zwischen Föderalismus und Bundesstaatlichkeit unterschieden werden. 5 Unter dem Begriff des „Föderalismus“ werden insoweit die verfassungspolitischen Bemühungen verstanden, die historisch-politische, die weltanschaulich-kulturelle, die sozio-ökonomische und ethnische Vielfalt eines Gemeinwesens im Einzelnen und seinen Anspruch als Staatsganzes auszubalancieren und gegenseitig zu sichern. Somit zielt der Föderalismus als politisches Prinzip auf die Schaffung einer rechtlichen Struktur in Form des Bundesstaates ab, welcher eine Erscheinungsform des Föderalismus ist. 6 Hierbei gilt es die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen eines Staates zu integrieren und die Auffächerung der Machtbefugnisse durch eine vertikale Gewaltenteilung im Staat zu sichern. Im staatsrechtlichen Sinn findet die angesprochene Ausbalancierung Ausdruck in der jeweiligen Bundesverfassung, wie z. B. in den Art. 30, 70 ff. GG hinsichtlich der Kompetenzverteilung. Der Integrationsgedanke des Föderalismus wurde in der Zeit der Aufklärung im 19. Jh. entwickelt. Er geht von einer historisch gewachsenen Eigenart ursprünglich selbstständiger, dann aber in einem größeren Ganzen eingegliederter Gebiete aus. Hierbei will er einen Ausgleich zwischen der Gleichheit der Lebensbedingungen aller Bewohner des Gesamtstaates und dem Recht der ehemals selbstständigen Regionen und seiner Bewohner auf ihre geschichtliche Identität schaffen.
II. Bundesstaat Der Bergriff des „Bundesstaates“ bezeichnet im Unterschied zum Föderalismusbegriff, der ein Ordnungsprinzip beschreibt, die staatliche Gliederung als solche. Als Bundesstaat (Föderation) bezeichnet man daher nach gängiger Definition einen Staat, der sich aus mehreren Staaten zusammensetzt, d. h. sowohl der Bund als auch seine Glieder besitzen nach der Bundesverfassung jeweils Staatscharakter. 7 Die völkerrechtliche Souveränität liegt jedoch grundsätzlich alleine beim Zentralstaat. Entsprechend der h.L. 8 und der Rechtsprechung 9 wird 2
H. Laufer / U. Münch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, S. 15. Von lat. foedus = Bund, Bündnis; die Abwandlung foedeati, bezeichnete im Römischen Reich die Stammeseinheiten fremder Völker, die mit Rom Bündnisse schließen konnten, vgl. B. Grzeszick, Vom Reich zur Bundesstaatsidee, S. 21 f. 4 H. Schambeck, Vom Wesen und Wert des Föderalismus heute, in: D. Merten, Föderalismus und Europäische Gemeinschaften, S. 26 (27 f.). 5 R. Herzog, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK III, Art. 20 Abs. 4 Rn. 14; M. Seybold, Finanzausgleich, S. 107. 6 Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 24; K. Stern, Staatsrecht I, S. 660. 3
A. Terminologie
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von einer Zweigliedrigkeit des Bundesstaates ausgegangen. 10 Hierbei sind Bund und Länder zwar jeweils eigenständige Staaten mit einer eigenen staatlichen Organisation; sie existieren aber nicht voneinander losgelöst nebeneinander, sondern sind vielmehr einander zugeordnet. Charakteristisch ist, dass der Bund im Rahmen seiner Kompetenzen den Gliedstaaten übergeordnet ist und ihm somit Einfluss auf die Gliedstaaten eingeräumt wird. 11 Dieser wird durch Mitwirkungsrechte der Gliedstaaten bei der Willensbildung des Bundes ausgeglichen. 12 Eine alleinige Kompetenz-Kompetenz kommt sowohl dem Bund als auch den Ländern nicht zu. 13 Demnach hat keine der beiden Gliederungsebenen alleine die Kompetenz, die eigenen Kompetenzen bzw. die der anderen Ebene auszuweiten oder einzuschränken. Der Bundesstaat ist grundsätzlich keine unveränderbare Staatsform, sondern durch zentrifugale und zentripedale Kräfte stets im Wandel. Er ist ein dynamisches Phänomen 14, das in der Staatsrechtslehre begrifflich der typologischen Zuordnung realer Staaten dient. 15 Dennoch müssen bestimmte Grundvoraussetzungen vorliegen, damit man von einem Bundesstaat sprechen kann. Hierzu zählt, dass die Gliedstaaten die verfassungsrechtlich abgesicherte Möglichkeit haben müssen, an der Willensbildung des Bundes mitzuwirken. Ferner müssen den Gliedstaaten bestimmte Entscheidungskompetenzen zuteil werden und sie müssen in einem gewissen Umfang finanzielle Selbständigkeit besitzen. Der Bundesstaat ist einerseits vom dezentralisierten Einheitsstaat (bestehende Untergliederung besitzen keine Staatsqualität), dem Staatenbund (Einzelstaaten bilden zusammen keinen neuen Staat) und supranationalen Einrichtungen (einzelne Staaten gründen eine Organisation, der Hoheitsrechte übertragen werden; sie sind aber wegen ihrer beschränkten Organisation und beschränkten Zuständigkeiten noch kein Bundesstaat) abzugrenzen. 16 Ein Bundesstaat ist nicht not-
7
H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 1; Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 21; R. Zippelius / T. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 126. 8 H. Hofmann, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, Art. 20 Rn. 9; J. Katz, Staatsrecht, Rn. 68; H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 5; F. E. Schnapp, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II Art. 20 Rn. 14. 9 Vgl. BVerfGE 13, 54 (77 f.). 10 A. A. H. Kelsen, Allgemeine Staatsrechtlehre, S. 199 f.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatsrechtlehre, 3. Teil, S. 151 ff., die von der Dreigliedrigkeit des Bundesstaates ausgehen (Bund / Länder / Gesamtstaat). 11 H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 1, 4. 12 K. Stern, Staatsrecht I, S. 645. 13 H. Laufer / U. Münch, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, S. 16. 14 J. Isensee, in: HdbStR VI, § 126 Rn. 11. 15 A. Benz, Föderalismus als dynamisches System, S. 246 ff.; K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 21.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
wendigerweise von einer bestimmten Regierungsform abhängig. In Deutschland findet sich der Begriff des „Bundesstaates“ explizit in Art. 20 Abs. 1 GG wieder.
B. Entwicklung des Föderalismus in Deutschland Das hinter dem Föderalismus stehende Ideal der Vielfalt in der Einheit, das foedus mit dem Ziel der unitas, ist bisher unerreicht. Ein Zeugnis hierfür ist die Entwicklung der deutschen Verfassungsgeschichte bis hin zur Gegenwart. Im Folgenden soll ergründet werden, wie in den letzten Jahrhunderten in Deutschland nach einem föderativen Ausgleich gesucht wurde. Ein vollständiges Bild der Entwicklung in Deutschland sowie eine vertiefte Darstellung der Anfänge föderaler Strukturen in der griechischen Inselwelt der Antike oder des Imperium Romanum kann aufgrund der mit dem Thema gewählten Schwerpunktsetzung nicht gegeben werden. Die getroffene Auswahl zeichnet daher nur den groben Verlauf der Entwicklung nach. Die Betrachtung der Entwicklungslinien des bundesdeutschen Föderalismus erleichtert das Verständnis der gegenwärtigen föderalen Ordnung Deutschlands. Nur über die Einordnung föderaler Elemente in ihre historischen Ursprünge erschließt sich einem der Föderalismus als ein durchgehender Wesenszug deutscher Verfassungsentwicklung in Staat und Gesellschaft. 17
I. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation Will man sich der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland zuwenden, stellt sich zunächst die Frage, an welcher Stelle der Historie mit der Betrachtung anzusetzen ist. Auf die dahinter verborgene Frage nach der Entstehung des Deutschen Reiches und somit dem Beginn der Deutschen Verfassungsgeschichte gibt es keine abschließende Antwort. Für viele Historiker stellt das Jahr 800 n. Chr., in dem Karl der Große durch die Krönung zum Kaiser den Zenit seines politischen Wirkens erreichte, den Beginn der deutschen Verfassungsgeschichte dar. 18 Spätestens in der im Jahr 921 abgeschlossenen Trennung des Westfran16 M. Sachs, in: M. Sachs, GGK, Art. 20 Rn. 55 f.; K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 22; die EG wird vom BVerfG aufgrund der Einordnungsprobleme als „Staatenverbund“ bezeichnet, vgl. BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 17 F. Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, Länderbericht Bundesrepublik Deutschland, in: F. Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 120. 18 O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 13; a. A. K. Stern, Staatsrecht V, S. 12, der zu Recht darauf hinweist, dass das Reich der Karolinger zu diesem Zeitpunkt noch weite Teile des heutigen Frankreichs umfasste.
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kenreiches und des Ostfrankenreiches und der Königskrönung Ottos des Großen im Jahr 936 ist der Entstehungszeitpunkt des Deutschen Reiches zeitlich zu verorten. 19 Wie sich bei genauerer Betrachtung der Rechtsgeschichte zeigt, gibt es keine eindeutige Zäsur, kein äußeres Ereignis, welches deutlich den Zeitpunkt einer neuen verfassungsgeschichtlichen Epoche anzeigt. 20 Die Entstehung des Deutschen Reiches ist vielmehr die Geschichte eines zwischen dem neunten und 11. Jh. stattfinden Wandels des Selbstverständnisses und einer beginnenden politisch-historischen Reflexion. Für die Darstellung der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland kommt es auf die Festlegung eines genauen Entstehungszeitpunktes nicht an. Der mit Beginn des neunten Jh. einsetzende Zusammenschluss deutscher Stämme 21, einhergehend mit einer entstehenden, stämmeübergreifenden politischen Organisation, hatte noch keinen bundesstaatlichen Charakter. Wie das Wort „Bundsstaat“ schon nahe legt, fehlte es den sich organisierenden Stämmen weniger an einem Bund als vielmehr an der Staatsqualität. Gewichtige föderale Elemente fanden sich aber z. B. in der „Goldenen Bulle“ von 1356, welche den dort genannten Kurfürsten das Wahlrecht bei der Kaiserwahl zugestand. Erst mit Zusammenbrechen der mittelalterlichen Lehnsordnung und dem Beginn der Neuzeit begann sich eine Staatsbegrifflichkeit zu entwickeln. Diese Feststellung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation auch schon vor Beginn der Neuzeit Ansätze föderaler Strukturen erkennen ließen. Hervorzuheben ist hier insbesondere das damals außerhalb der Lehnsordnung stehende Städtewesen. 22 Zum Schutz der zunehmend mobiler werdenden Händler, welche sich auf ihren Handelsrouten stetig der Gefahr von Überfällen ausgesetzt sahen, schlossen sich die Städte zu Verbünden zusammen. Zunächst dienten diese Bündnisse der Organisation präventiver und repressiver polizeilicher Maßnahmen, um dem Raubrittertum Einhalt zu gebieten. Mit dem Erfolg der friedenssichernden Maßnahmen gingen die Städte aber dazu über, sich auch in anderen Bereichen wie der Wirtschafts- und Handelspolitik abzustimmen und für alle Beteiligten verbindliche Regelungen zu erlassen. Der wohl mächtigste Städtebund war die in der zweiten Hälfte des 13. Jh. gegründete Deutsche Hanse. 23 Obwohl sie als Bund eigenständig Kriege wie z. B. gegen die Kalmarer 19
So etwa U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 9. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 50; K. Stern, Staatsrecht V, S. 15 f. 21 Bei den aus der Retrospektive als „deutsche“ Stämme bezeichneten Völkern, handelte es sich v. a. um Franken, Sachsen, Bayern, Alemannen; vgl. O. Kimminich, Historische Grundlagen des Föderalismus in Deutschland, in: E. Benda, Probleme des Föderalismus, S. 1. 22 O. Kimminich, Historische Grundlagen des Föderalismus in Deutschland, in: E. Benda, Probleme des Föderalismus, S. 1; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (56). 20
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Union 24 führte, handelte es sich bei der Hanse aber aufgrund des noch nicht existierenden Staatsbegriffs um keinen Bundesstaat. Der Übergang von der Lehnsherrschaft zum modernen Staat vollzog sich mit Beginn der Neuzeit. Das im Frühmittelalter vorherrschende System des Personenverbandes, bestehend aus dem gegenseitigen Treueverhältnis zwischen Lehnsmann und Lehnsherren, erodierte zusehends durch das Streben der Fürsten nach Souveränität. 25 Die Auflösung des Systems der Lehnsherrschaft fand ihren Ausklang im Westfälischen Frieden von 1648, der die gegenüber Kaiser und Papst unabhängige Herrschaftsgewalt der Fürsten auf Basis einer Landesherrschaft festschrieb. Der Übergang vom Stammesprinzip zum Territorialprinzip war somit vollzogen. 26 Hierbei ist zu beachten, dass sich der moderne Staat auf der Ebene der neu entstandenen Fürstentümer herausbildete und noch nicht auf der gesamtdeutschen Ebene des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation in Erscheinung trat. Im Verlauf dieses Prozesses verlor auch der Großteil der Städte seine politische und rechtliche Unabhängigkeit an die Landesfürsten, dadurch verschwanden die Städtebünde. Die mit dem Westfälischen Frieden erfolgte Einordnung souveräner Staaten in ein gesamtdeutsches Reich war somit die erste ausgeprägte föderale Struktur Deutschlands. Dennoch fällt die Kategorisierung aus staatsrechtlicher Perspektive schwer. Wurde Deutschland in der damals zeitgenössischen Verfassungsphilosophie als „ein unregelmäßiges Gebilde und einem Monstrum ähnlich, das durch den fahrlässigen Leichtsinn der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und die Unruhe der Geistlichen aus einem normalen Königreich in eine so wenig kunstgerechte Form umgewandelt worden ist, dass es weder eine auch nur beschränkte Monarchie ist – wenn auch die äußeren Erscheinungsformen eine solche andeuten – noch, genau genommen, irgendeine Körperschaft oder ein System von mehreren, durch ein Bündnis verknüpfte Staaten darstellt, sondern eher ein Mittelding zwischen Beidem ist“ 27
umschrieben, ist es aus heutiger Sicht vielmehr als ein „atypischer Staatenbund“ 28 im Sinne einer partikularen Völkerrechtsordnung zu charakterisieren. 23 Hanse = Bund, Genossenschaft; K. Friedland, Die Hanse, S. 1 ff.; K. Pagel, Die Hanse. 24 Die Kalmarer Union bestand aus einem Verbund von Dänemark, Norwegen und Schweden; vgl. vertiefend hierzu A. v. Brandt, Die Hanse und die nordischen Mächte im Mittelalter. 25 F. A. v. der Heydte, Die Geburtsstunde des souveränen Staates, S. 1 ff.; O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 113. 26 H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, S. 309; O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 113. 27 S. Pufendorf, De statu Imperii Germanici, in der Ausgabe von F. Salomon, S. 126 f. 28 O. Kimminich, Historische Grundlagen des Föderalismus in Deutschland, in: E. Benda, Probleme des Föderalismus, S. 1.; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Am-
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Die vom Geist der Aufklärung getragene Französische Revolution und die sich anschließenden Revolutionskriege gingen auch am Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nicht spurlos vorüber. Mit den Reformen im Zuge des Reichdeputationshauptbeschlusses von 1803 wurde versucht, dem nahenden Zerfall des Reiches entgegenzuwirken. Nachdem sich jedoch 16 deutsche Fürsten zum Rheinbund, einer Konföderation souveräner Einzelstaaten, vereinigt hatten, forderte ihr neuer Schirmherr Napoleon Bonaparte die Abdankung des Kaisers. 29 Die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. führte am 6. August 1806 schließlich zur endgültigen Auflösung des Reiches.
II. Deutscher Bund von 1815 Erst wenige Jahre später wurde mit der Verabschiedung der Deutschen Bundesakte von 1815 und der diese ergänzenden und erläuternden Wiener Schlussakte wieder eine einheitliche föderative Ordnung in Deutschland geschaffen. 30 Der durch Bundesvertrag gegründete Deutsche Bund von 1815 war aus staatrechtlicher Sicht ein Staatenbund. 31 Die sich vereinigenden Staaten begegneten sich bei dem Zusammenschluss auf der Ebene des Völkerrechts. Der hieraus gleichzeitig resultierende Verfassungsvertrag bewirkte eine innere staatsrechtliche Ordnung des föderativen Gesamtverbandes. 32 Insgesamt wurden 41 deutsche Staaten Mitglied des Bundes, von denen 37 die Staatsform der Monarchie besaßen. Hinzukamen die vier Stadtrepubliken Hamburg, Bremen, Frankfurt und Lübeck. 33 Die Verfassung des Deutschen Bundes von 1815 war geprägt durch zwei zu jener Zeit vorherrschende politische Bewegungen. Die Einheitsbewegung verfolgte das Ziel, einen deutschen Einheitsstaat zu errichten. Die Verfassungsbewegung hingegen strebte nach der Abschaffung der Monarchie und der Einführung eimon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (56); A. Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, S. 199. 29 U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 399 ff.; W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 180; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 71. 30 H. Hoppenstedt, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zwischen Föderalismus und Unitarismus, S. 23. 31 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 236; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (57); K. Stern, Staatsrecht V, S. 193; kritisch A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 219 f. 32 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 663 ff. 33 O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 321.
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nes Bundesstaates. Die Feststellung, dass die Einheitsbewegung nach föderalen Strukturen strebte, ist aus heutiger Perspektive kein Widerspruch. Da die führenden europäischen Mächte auf dem Wiener Kongress ihr Unbehagen gegenüber der Gründung eines starken, potentiell hegemonialen deutschen Bundesstaates im Herzen Europas bekundet hatten, war die Einführung einer föderativen Struktur für die Einheitsbewegung eine akzeptable Zwischenlösung auf dem Weg zum Nationalstaat. 34 Der hinzutretende Dualismus zwischen Preußen und Österreich sowie der Souveränitätsanspruch der deutschen Fürsten verhinderten im Ergebnis die Entstehung eines Bundesstaates. Der 1815 entstandene Staatenbund besaß mit der in Frankfurt tagenden Bundesversammlung nur ein einziges Bundesorgan, welches aufgrund des nach Größe abgestuften, einzelstaatlichen Stimmrechts der Delegierten an die im Grundgesetz verankerte Konzeption des Bundesrates erinnert. Betrachtet man die Entwicklung nach dem Beschluss der Verfassung des Deutschen Bundes von 1815, werden die Schwächen des Zusammenschlusses deutlich. Anstatt sich aufeinander zu zubewegen, verfolgten viele Staaten weiterhin vehement Partikularinteressen. Diese Bestrebungen manifestierten sich in unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Entwicklungen innerhalb des Deutschen Bundes. Insbesondere die norddeutschen Monarchien weigerten sich, freiheitliche Rechte in ihre Verfassungen aufzunehmen. Die Einzelverfassungen der Mitgliedstaaten divergierten immer mehr, womit die gegenüber dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gewonnene Einheit sukzessive wieder abnahm. Die erneuten Versuche der nationalen Einheitsbewegung, die Verfassungsstruktur Deutschlands zu festigen, scheiterten. Die nach der erfolglosen Märzrevolution 1848 von der Bundesversammlung eingesetzte Kommission zur Reform der Bundesverfassung blieb erfolglos. Der von der Bundesversammlung angefertigte Revisionsentwurf der Bundesverfassung, die Paulskirchenverfassung, sah neben einem Grundrechtekatalog auch die Etablierung einer bundesstaatlichen Ordnung vor. 35 Da der preußische König Friedrich Wilhelm der IV. aber die Kaiserkrone ablehnte, war der Umbruch gescheitert und die Paulskirchenverfassung trat nie in Kraft. 36 Aufgrund der zunehmenden Probleme und dem Sieg Preußens über Österreich im Jahr 1866, nahte unaufhaltsam das Ende des Deutschen Bundes von 1815. Österreich wurde nach seiner Niederlage aus dem Bund ausgeschlossen; Preußen gründete mit den anderen norddeutschen Staaten 1867 den Norddeutschen Bund. Von Bedeutung erscheint auch die Gründung des 34 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 231; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (57); M. Salewski, Deutschland eine politische Geschichte, Bd. 2, S. 10 ff. 35 O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 358. 36 U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 510.
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deutschen Zollvereins 1834 unter der Leitung Preußens, welcher im Juli 1867 reformiert wurde und so den späteren Weg zur Bundesstaatlichkeit mit ebnete. Ausschlaggebend für die folgende Konstitution des Deutschen Reiches unter der Führung Preußens war jedoch der Beginn des deutsch-französischen Krieges, welcher die süddeutschen Länder über die bestehende Bündnisverpflichtung dem Norddeutschen Bund annährte.
III. Deutsches Reich von 1871 Am 16. April 1871 wurde die Verfassung des Deutschen Reiches mit großer Mehrheit im Reichstag angenommen und trat rückwirkend zum 1. Januar 1871 in Kraft. 37 Ebenso wie die in der Paulskirchenverfassung vorgesehene Staatsstruktur war das Deutsche Reich von 1871 ein Bundesstaat in Form einer konstitutionellen Monarchie, der aus 22 monarchischen Gliedstaaten und drei Stadtrepubliken bestand. 38 Die Möglichkeit der Gliedstaaten, ihre eigene Staatsform wählen zu können und die Tatsache, dass eine Neugliederung des Staatsgebietes gem. Art. 78 Abs. 2 der Verfassung nur mit Zustimmung von ihnen, nicht aber allein von den Organen des Reichs beschlossen werden konnte, zeigt, dass sie eine starke Stellung im Reich einnahmen. In der ausgeprägten föderalen Struktur der Verfassung findet sich in Art. 4 auch ein Zuständigkeitenkatalog wieder, der bereits viele der Materien benennt, die auch heute zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 73 GG u. Art. 74 GG gehören. 39 Eine Differenzierung zwischen ausschließlicher und konkurrierender Gesetzgebung gab es hingegen noch nicht. Organisationsrechtlich war der Bundesrat das höchste Reichsorgan. In ihm formierten sich die Bevollmächtigen der Bundesfürsten. Als zentrales Steuerungsorgan sollte der Reichsrat die politischen Vorrechte der Fürsten und des Monarchen gegenüber dem demokratisch legitimierten Reichstag sichern. 40 Der Bundesrat hatte sowohl gem. Art. 5 Abs. 1 der Verfassung die Aufgabe, Gesetze zu beschließen, die noch der Zustimmung des Reichstages bedurften, als auch gem. Art. 7 die Befugnis, die zur Gesetzesausführung erforderlichen Verwal37
E. Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, S. 149; A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 306. 38 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 385; R. Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, S. 420. 39 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 386. 40 T. Nipperdey, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: T. Nipperdey, Nachdenken über die deutsche Geschichte, S. 100; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (59).
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tungsvorschriften zu erlassen. Ihm wurden somit durch die unter der Regie von Otto von Bismarck ausgearbeitete Verfassung von 1871 exekutive und legislative Aufgaben übertragen. Unter den im Bundesrat vertretenen Ländern nahm Preußen aufgrund seiner Größe mit 17 von insgesamt 58 Stimmen eine dominierende Stellung ein. 41 Der Reichstag ging nach Art. 20 Abs. 1 der Verfassung aus allgemeinen, direkten und geheimen Wahlen hervor. Er stellte somit das demokratisch-unitarische Organ im Verfassungsgefüge dar. 42 Die bedeutendsten Kompetenzen des Reichstages waren die in Art. 5 vorgesehene Mitwirkung an der Gesetzgebung und die Verabschiedung des Reichshaushaltes gem. Art. 69 durch Gesetz. Diese Rechte dürfen aber nicht über elementare Defizite in der Ausgestaltung der Rechte des Reichsrates in der Verfassung hinwegtäuschen. Neben der für ein effektives Organhandeln hinderlichen Parteienzersplitterung in extrem viele kleine Parteien sah die Verfassung von 1871 z. B. keine Beteiligung des Reichsrates an der Wahl und Zusammensetzung der Reichsregierung vor. Hierzu muss erwähnt werden, dass eine Regierung nach heutigem Verständnis in der Verfassung gar nicht vorgesehen war. Die Präsidialgewalt stand laut Art. 11 der Verfassung dem König von Preußen zu, der in dieser Eigenschaft den Titel „Deutscher Kaiser“ trug. Er hatte nach Art. 15 das Recht, den Reichskanzler zu ernennen und entlassen. 43 Der Reichskanzler, welcher die Richtlinien der Reichpolitik vorgab, war somit der einzige Minister des Reichs. 44 Er ließ sich in den einzelnen Ressorts durch Staatssekretäre vertreten. Der Verfassungsvertrag von 1871 enthielt auch Regelungen über die Verteilung der öffentlichen Finanzmittel, welche die starke Stellung der Gliedstaaten widerspiegelten. 45 Ein Blick auf die Finanzverfassung des Deutschen Reiches macht deutlich, dass die gerade neu eingeführte Bundesebene nur sehr schwach bei der Einnahmenverteilung berücksichtigt wurde. Im Gegensatz zur heutigen Bundesebene hatte das Reich noch weniger kostenintensive Aufgaben, primär im militärischen Bereich, zu finanzieren. Ihm standen lediglich die Zolleinnahmen und einige indirekte Steuern zu. Da die ertragreichen Steuern auf Einkommen und Besitz weiterhin den Gliedstaaten zustanden, mussten sie zur Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben an der Einwohnerzahl ausgerichtete Umlagen (Matrikularbeiträge) an das Reich leisten. 46 41
H. Hoppenstedt, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zwischen Föderalismus und Unitarismus, S. 27. 42 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 400. 43 O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 431; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 333. 44 U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 561; R. Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, S. 421. 45 Finanzverfassungsrechtliche Regelungen finden sich in Art. 4 Ziff. 2, 35, 36, 38 und 70 der Reichsverfassung von 1871. 46 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 69.
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Es lässt sich feststellen, dass die föderalen Elemente der Verfassung von 1871 wie beispielsweise die Ausgestaltung des Reichsrates oder die ersten Ansätze, die Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Reich und Gliedstaaten aufzuteilen und verfassungsrechtlich zu normieren, prägend für die gegenwärtige föderale Ordnung Deutschlands waren. Nicht ohne Grund werden Ministerpräsidenten aufgrund ihres Einflusses über den Bundesrat noch heute umgangsprachig als „Landesfürsten“ bezeichnet. Die in der Verfassung von 1871 dominanten monarchischen Elementen, die sehr schwach ausgebildeten Rechte des Parlaments und die insbesondere durch die Vormachtstellung Preußens offenkundige Heterogenität der Gliedstaaten, sind jedoch Ausdruck ihrer Unausgewogenheit. Das 19. Jh. fand sein Ende erst mit dem Beginn des 1. Weltkriegs 1914. Nach fast vier Jahren im Kriegszustand war der im Europa des ausklingenden 19. Jh. noch vorherrschende Glaube an Frieden, Fortschritt, Wohlstand, Sicherheit, Ordnung und Humanität in den Köpfen der Menschen, den Verletzungen durch Tod und Zerstörung des Krieges gewichen. Auf diesem Fundament der Verletzungen wurde versucht, an das alte Weltbild anzuknüpfen.
IV. Weimarer Republik Die am 31. Juli 1919 beschlossene Weimarer Reichsverfassung war geprägt durch die Erfahrungen aus dem 1. Weltkrieg. Dies schlug sich vor allem in einer Stärkung des Zentralstaates nieder. 47 In Art. 1 WRV fanden sich die Festlegung auf eine republikanische Staats- und Regierungsform sowie die Verankerung des Prinzips der Volkssouveränität wieder. Wie auch das Deutsche Reich von 1871 war die Weimarer Republik ein Bundesstaat. 48 Durch die von den Siegermächten oktroyierte Abschaffung der Monarchie entschied man sich in Weimar für das Staatssystem der parlamentarischen Demokratie. Terminologisch drückten sich die vorhandenen Unitarisierungstendenzen darin aus, dass die Gliedstaaten in der Verfassung nicht mehr als Staaten, sondern fortan als Länder bezeichnet wurden. Zu Beginn der Republik existierten 24 Länder. Durch den Zusammenschluss einiger Länder verringerte sich die Anzahl über die Jahre auf 17 Länder. 49 Da gegenüber der alten Reichsverfassung die Kompetenzen der Länder eingeschränkt 47
U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (61); T. Nipperdey, Der Föderalismus in der deutschen Geschichte, in: T. Nipperdey, Nachdenken über die deutsche Geschichte, S. 105. 48 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 483; O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 488. 49 A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 351; zu den einzelnen Zusammenschlüssen K. Stern, Staatsrecht V, S. 577 f.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
waren, wurde in der zeitgenössischen Staatsrechtlehre die These vertreten, die Weimarer Republik sei lediglich ein dezentralisierter Einheitsstaat. 50 Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da sie der Verfassung offenkundig widersprach. 51 Die damals herrschende Lehre betrachtete die Länder auch weiterhin als Staaten, wobei auch nichtsouveräne Staaten als Staaten angesehen wurden. 52 Insgesamt unterschied sich die neue Verfassung erheblich von der vorherigen. Das Reich war den nichtsouveränen Ländern jetzt übergeordnet. 53 Preußen als immer noch größtes Land verlor seine in der Verfassung von 1871 noch verankerte Hegemonialstellung, wodurch die Mitspracherechte der Länder untereinander ausgewogener verteilt waren. 54 Im Reichsrat, welcher an die Stelle des Bundesrates des Kaiserreichs getreten war, existierte eine unterschiedliche Stimmengewichtung entsprechend der Größe der Länder. In Art. 61 WRV wurde aber festgelegt, dass kein Land mehr als 2/5 aller Stimmen haben durfte, womit einer Vormachtstellung Preußens entgegengewirkt wurde. Der Machtverlust der Länder wurde auch in der Finanzverfassung deutlich. 55 Durch die Erzbergersche Finanzreform im Oktober 1919 kam es im Vergleich zur vorherigen Verfassung zu einer Umkehrung der Verhältnisse. Als Folge des Krieges und den in den Friedensverträgen auferlegten finanziellen Belastungen entschied man sich, dem Reich weitreichende Kompetenzen im Bereich der Finanzpolitik zu übertragen. 56 Es wurde ein umfassendes Reichssteuersystem aufgebaut, nach dem die Einkommens-, Körperschafts-, Kapitalertrags-, Umsatz-, Erbschafts- und Grundsteuer umfassend durch das Reich wahrgenommen wurden. Die Weimarer Verfassung übertrug unter diesen Voraussetzungen auch die Gesamtzuständigkeit für die Finanzplanung, die Finanzgesetzgebung und die Finanzverwaltung dem Reich. 57 Die Länder bekamen somit nur noch Zuweisungen der Reichsfinanzverwaltung und bestimmte festgelegte Steueranteile. Einen verfassungsrechtlich geregelten bundesstaatlichen Finanzausgleich gab es 50 E. Jacobi, Einheitsstaat oder Bundesstaat, S. 1 ff.; F. Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, S. 74 ff.; L. Wittmeyer, Die Weimarer Reichsverfassung, S. 102 ff. 51 Vgl. u. a. Art. 5 WRV. 52 G. Anschütz, in: G. Anschütz / R. Thoma, Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 1, S. 175. 53 M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, S. 119. 54 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 483; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 62 ff. 55 Finanzverfassungsrechtliche Regelungen finden sich in Art. 8, 11, 14, 83 und 84 der WRV. 56 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 488. 57 H. Hoppenstedt, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zwischen Unitarismus und Föderalismus, S. 27; W. Renzsch, Historische Grundlagen deutscher Bundesstaatlichkeit – Föderalismus als Ersatz eines einheitlichen Nationalstaates, in: A. Gunlicks / R. Voigt, Die Bundesrepublik in den 90iger Jahren, S. 31 (39 ff.).
B. Entwicklung des Föderalismus in Deutschland
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noch nicht. 58 Ein Ausgleich erfolgte aber durch das Landessteuergesetz 59 vom 30. März 1920 in einfachgesetzlicher Form. Die bundesstaatliche Struktur der Weimarer Reichsverfassung war eine klare Abkehr vom obrigkeitlich-konstitutionellen Föderalismus hin zur Demokratie. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte Deutschland eine demokratische Verfassung. Begünstigt durch verschiedene Faktoren wie die eintretende Wirtschaftskrise Ende der 20er Jahre und Konstruktionsmängel der Verfassung 60 hielt diese Phase jedoch nicht lange an. Die demokratische Ordnung der Weimarer Republik fand ihr jähes Ende im aufkommenden Nationalsozialismus.
V. Zeit des Nationalsozialismus In den Jahren 1932/33 nahm die unglückselige historische Entwicklung ihren Lauf. Innerhalb weniger Monate gelang es der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei die politische Macht in Deutschland auf sich zu vereinigen. Die vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 andauernde Herrschaft der Nationalsozialisten führte zur vollständigen Beseitigung der Demokratie, an deren Stelle sukzessive eine, in ihrer unmenschlichen Handlungsweise kaum zu überbietende Diktatur installiert wurde. Zentrale Elemente der Demokratie wie der Parteienpluralismus, die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Reich und Ländern sowie letztendlich die Gewaltenteilung im Ganzen wurden abgeschafft. 61 Die bundesstaatliche Ordnung der Weimarer Republik wurde durch die Gleichschaltung der Länder aufgelöst. Dieser Auflösungsprozess begann schon vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, indem in Preußen die von den Sozialdemokraten angeführte Landesregierung am 20. Juli 1932 durch eine von Reichspräsident Hindenburg auf Art. 48 Abs. 2 WRV gestützte Notverordnung abgesetzt wurde (Preußenschlag). 62 Durch zwei weitere Verordnungen wurde die Stellung des Reichskommissars in Preußen gefestigt. 63 Nach Ernennung Hit58
H.-G. Henneke, Öffentlichen Finanzwesen, Rn. 79. RGBl. 1920 I, S. 402 ff. 60 Vgl. ausführlich zu den wesentlichen Konstruktionsmängeln der Weimarer Reichsverfassung O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 495 ff.; K. Stern, Staatsrecht V, S. 742 ff. 61 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 552. 62 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 518 ff.; U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (62). 63 Vgl. Verordnung des Reichspräsidenten v. 31. Januar 1933, RGBl. 1933 I, S. 33; Notverordnung „zur Herstellung geordneter Regierungsverhältnisse in Preußen“ v. 6. Febru59
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
lers zum Reichskanzler wurde in der Notverordnung 64 vom 28. Februar 1933 in „Reaktion“ auf den Reichstagsbrand u. a. festgelegt, dass die Reichsregierung vorübergehend in allen Ländern die Befugnisse der obersten Landesbehörden wahrnehmen durfte. 65 Den Nationalsozialisten war es fortan möglich, in den von ihnen nicht beherrschten Ländern kommissarisch die Leitung zu übernehmen. Anfang März 1933 wurden daraufhin in allen Ländern Reichskommissare mit der Wahrnehmung polizeilicher Befugnisse beauftragt. An die Verordnung knüpfte das vorläufige Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich 66 vom 31. März 1933 an. In dem Gesetz wurde normiert, dass die Volksvertretungen der Länder sowie der kommunale Selbstverwaltungskörper nach den Ergebnissen der Reichstagswahl zu besetzen seien. Ferner wurde den Landesregierungen auch die Gesetzgebung übertragen. Im zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich 67 vom 7. April 1933 wurde das Amt des Reichsstadthalters in Ablösung des nur vorübergehend eingesetzten Reichskommissars eingeführt. Diesem wurde die Aufgabe übertragen, den Vorsitzenden der Landesregierung zu bestimmen, sowie die Politik des Reichskanzlers in den Ländern durchzusetzen. Abgeschlossen wurde die „Gleichschaltung der Länder“ durch das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs 68 vom 30. Januar 1934. Dieses vom Reichstag beschlossene Gesetz führte zur Auflösung der funktionslos gewordenen Länderparlamente, deren Hoheitsrechte auf das Reich übertragen wurden. Die Landesregierungen blieben als oberste Verwaltungsbehörden bestehen. Der nun ebenfalls bedeutungslos gewordene Reichsrat wurde durch die Reichsregierung am 14. Februar desselben Jahres aufgelöst. Im Ergebnis hatte Adolf Hitler durch die faktische Beseitigung der Länderebene seine Macht gesichert, obwohl die Länder formal nie aufgelöst wurden. Auch die Finanzwirtschaft wurde unter den Nationalsozialisten zentralisiert. Die Länder verloren ihre Finanzhoheit sowie ihre Steuergesetzgebungs- und Ertragskompetenzen. Die einzelnen Landeshaushalte bedurften der Genehmigung, womit sie auf Finanzzuweisungen des Reiches angewiesen waren. 69 Im Zuge der kompletten Abschaffung der föderativen Ordnung durch die Nationalsozialisten ar 1933, RGBl. 1933 I, S. 43; vgl. zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Verordnungen auch RGZ 138, Anh. S. 1 (21, 35 ff.). 64 Vgl. Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat v. 28. Februar 1933, RGBl. 1933 I, S. 83, insbes. § 2 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat v. 28. Februar 1933: „Werden in einem Land die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die Reichsregierung insoweit die Befugnisse der obersten Landesbehörden vorübergehend wahrnehmen.“ 65 A. Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, S. 384 f.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 388. 66 Vgl. RGBl. 1933 I, S. 153; von Münch, Gesetze des NS-Staates, Nr. 11. 67 Vgl. RGBl. 1933 I, S. 173; von Münch, Gesetze des NS-Staates, Nr. 12. 68 Vgl. RGBl. 1934 I, S. 75; von Münch, Gesetze des NS-Staates, Nr. 13.
B. Entwicklung des Föderalismus in Deutschland
57
war Deutschland von dem sich in der vorherigen historischen Entwicklung abzeichnenden Weg hin zu einem gefestigten Bundesstaat abgekommen. Eine neue Chance diesen Weg weiter zu beschreiten, ergab sich erst wieder nachdem die Alliierten das nationalsozialistische Regime am Ende des 2. Weltkriegs beseitigt hatten.
VI. Gründung der Bundesrepublik Deutschland In der Besatzungszeit zwischen 1945 und 1949 entschied sich die Frage, welche staatliche Ordnung Deutschland zukünftig bekommen sollte. Die Entscheidung zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland war nicht selbstverständlich. Getragen von der gemeinsamen Überzeugung der alliierten Siegermächte, dass eine erneute Machtkonzentration in Deutschland für die Zukunft ausgeschlossen werden sollte, divergierten ihre Vorschläge zur Erreichung dieses Ziels erheblich. Frankreich plädierte für eine radikale Dezentralisierung Deutschlands und die Gründung eines Staatenbundes. 70 Die USA bevorzugten vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Spannungen der westlichen Alliierten mit der Sowjetunion die Schaffung eines engeren Verbundes in Form eines Bundesstaatenmodells. 71 Aufgrund der sich abzeichnenden Uneinigkeit der Alliierten in Bezug auf das weitere Vorgehen gegenüber Deutschland setzten sich die Besatzer der drei Westzonen Frankreich, Großbritannien und die USA mit den Außenministern der Beneluxstaaten zusammen und arbeiteten im Juni 1948 in London einen gemeinsamen Plan für eine Reorganisation Deutschlands aus. Das Ergebnis waren die Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948. In ihnen wurden die Länderchefs aufgefordert bis zum 1. September 1948 eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Die auszuarbeitende Verfassung sollte föderalistisch und demokratisch sein, sowie individuelle Rechte und Freiheiten garantieren. 72 Die Entscheidung zur Schaffung eines Bundesstaates war auch durch die bis dahin positiv verlaufene Entwicklung der Länder begründet. Im Jahr 1948 funktionierten die Länder weitgehend wieder als Verwaltungseinheit und es entwickelte sich langsam eine politische Kultur. Nach Vorstellung der westlichen Alliierten sollte die Verfassung zwar eine Zentralinstanz vorsehen, die Rechte der Länder sollten aber hinreichend geschützt werden. Der Inhalt der Dokumente 69 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 82; J. Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland, S. 319 ff. 70 R. Mußgnug, in: HdbStR I, § 6 Rn. 12 ff.; J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (418). 71 U. Münch, Ergebnis deutscher Geschichte und mögliches Modell für Europa – Der bundesrepublikanische Föderalismus, in: G. Ammon / M. Fischer / T. Hickmann / K. Stemmermann, Föderalismus und Zentralismus: Europas Zukunft zwischen dem deutschen und französischen Modell, S. 54 (63); J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (418). 72 U. Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 718; O. Kimminich, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 615; J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (419).
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
fand bei den Ländern wenig Zustimmung, da sie befürchteten, mit der Schaffung einer Verfassung für einen westdeutschen Teilstaat durch einen deutschen Verfassungsgeber die Verantwortung für eine dauerhafte Teilung Deutschlands übernehmen zu müssen. 73 Zur Vorbereitung der verfassungsgebenden Versammlung wurde vom 10. – 23. August 1948 ein Sachverständigenausschuss für Verfassungsfragen, der Herrenchiemseer Konvent, einberufen. Dieser legte dem ab dem 1. September 1948 tagenden Parlamentarischen Rat einen richtungweisenden Verfassungsentwurf vor. 74 Auf Grundlage der Vorschläge des Herrenchiemseer Konvents arbeitete der Parlamentarische Rat als verfassungsgebende Versammlung bestehend aus 65 Mitgliedern der Länderparlamente einen Grundgesetzentwurf aus. Die Ausarbeitung des Grundgesetzes war geprägt von den Erinnerungen an das Versagen des Weimarer Verfassungssystems und an die desaströsen Erfahrungen unter der Diktatur der Nationalsozialisten. Neben der Einführung eines Grundrechtekatalogs einigte man sich im Rahmen der durch die Alliierten vorgegebenen föderalen Struktur auf ein „abgeschwächtes“ Bundesratsmodell. Die gefundene Lösung war ein Kompromiss zwischen der Ausgestaltung der föderativen Kammer als Senat nach Vorbild des amerikanischen Modells und einer strikten Bundesratslösung. 75 Im Endeffekt obsiegte somit ein Modell, bei dem der Bundesrat sich aus den Mitgliedern der Landesregierungen zusammensetzt und dem Bundestag nicht vollends gleichberechtigt gegenüber steht. Ausdruck dieses mehrheitlich gewollten Ungleichgewichts ist die noch heute gültige Differenzierung zwischen Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen. Bei den Gesetzgebungskompetenzen einigte man sich auf die Erstellung eines umfassenden Kompetenzenkatalogs in Art. 70 bis 75 GG. In Abweichung zur grundsätzlichen Kompetenz der Länder gem. Art. 70 GG hatte der Bund fortan in einigen Bereichen die ausschließliche, die konkurrierende bzw. eine (inzwischen wieder abgeschaffte) Rahmengesetzgebungskompetenz. Auch hinsichtlich der Finanzverfassung kam es zu Kontroversen. Im Anschluss an zähe Verhandlungen einigten sich der Parlamentarische Rat und die Alliierten auf einen ausgewogenen Verfassungsentwurf. Nach erfolgreicher Abstimmung im Parlamentarischen Rat, der Genehmigung durch die Besatzungsmächte und der anschließenden Zustimmung der Länderparlamente 76 wurde das Grundgesetz im Bundesgesetzblatt am 23. Mai 1949 verkündet und trat am darauf folgenden Tag in Kraft. 77 Somit war in Westdeutschland eine aus Bund und 11 Ländern 73 M. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, S. 20 ff.; J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (419). 74 Parlamentarischer Rat, Bd. 2, S. 505 ff.; K. Stern, Staatsrecht V, S. 1246 ff. 75 Hierzu ausführlich K. Niclauß, Der Weg zum Grundgesetz, S. 221 f. 76 Mit Ausnahme Bayerns nahmen alle Länderparlamente das Grundgesetz an; R. Mußgnung, in: HdbStR I, § 8 Rn. 86. 77 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. Mai 1949, BGBl. 1949, S. 1 ff.
B. Entwicklung des Föderalismus in Deutschland
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bestehende föderale Ordnung entstanden. In Reaktion auf den Erlass des Grundgesetzes wurde am 7. Oktober 1949 in der sowjetischen Besatzungszone die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 78 in Kraft gesetzt. 79 Aufgrund ihrer gesamtdeutschen Bedeutung als Hafenstandort und ihrer historisch gewachsenen Tradition der Unabhängigkeit erhielten im Westteil Deutschlands neben Flächenländern auch die Städte Hamburg und Bremen den Länderstatus. Hinzu trat später (West-)Berlin, welches als Brennpunkt der aufkommenden Ost- / Westspannungen trotz seiner Lage inmitten der sowjetischen Besatzungszone von den Alliierten nicht aufgegeben wurde. 80 Der Länderstatus der drei Stadtstaaten hatte den positiven Nebeneffekt, dass nun auch städtespezifische Probleme im bundesstaatlichen Rahmen thematisiert werden konnten. Die Länder besitzen in Deutschland Staatsqualität, wobei es sich hierbei nur um eine Staatsqualität im staatsrechtlichen Sinne handelt, da sie nach außen nicht unabhängig sind. 81 Die 1949 gefundene Ordnung hat inzwischen seit über 60 Jahren Bestand, wurde aber vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung und der damit verbundenen Integration fünf neuer Länder, des fortschreitenden Prozesses der Europäisierung bzw. Globalisierung, sowie anderer bedeutender Veränderungen immer wieder reformiert. 82 In der Gesamtschau lässt sich sagen, dass sich die föderale Ordnung auch vor dem Hintergrund stetiger Verschiebungen im Machtgefüge zwischen Bund und Ländern als ein integraler Bestandteil des Grundgesetzes und somit auch als ein Garant für ein friedliches Zusammenleben in der bundesdeutschen Demokratie erwiesen hat. Ihre Vorteile liegen neben der Förderung der Fülle der Lebensweisen in Deutschland, welche sich in der Vielfältigkeit regionaler Kulturen ausdrückt, in einer verbesserten Machtkontrolle im Sinne der klassischen Gewaltenteilungslehre Charles Montesquieus und in der Austarierung der Kompetenzen zwischen dem Zentralstaat und den dezentralen Gliedstaaten. Dies führt im Ergebnis zu einer Machtsteigerung des gesamten Verbundes. 83
VII. Gründung der Deutschen Demokratischen Republik und Wiederherstellung der Deutschen Einheit Die Deutsche Demokratische Republik wurde durch die Annahme der Verfassung vom 7. Oktober 1949 in der Volkskammer gegründet. 84 In Art. 1 und 78
Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1974 I, S. 432 ff. R. Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, S. 509. 80 H. Mitteis / H. Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 500. 81 K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 26. 82 Ausführlicher Überblick über die wichtigsten Grundgesetzänderungen seit 1949 in: K. Stern, Staatsrecht V, S. 1436 ff. 83 I. Härtel, JZ 2008, S. 437. 79
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
3 der Verfassung zeigt sich, dass die Deutsche Demokratische Republik zunächst (zumindest formal) ein Bundesstaat mit einer Länderkammer war. Die Bundesländer 85 hatten aber relativ wenig eigene Kompetenzen und waren der Bundesebene über die Generalklausel des Art. 111 der Verfassung nahezu in allen Bereichen ausgeliefert. Eine Art. 79 Abs. 3 GG entsprechende Schutzgarantie für die Gliedstaaten gab es nicht. 86 Die Entscheidungsträger des neu gegründeten Staats forcierten mit zwei Gesetzgebungsakten die Umwandlung vom Bundesstaat zu einem Einheitsstaat. Durch das Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR vom 23. Juli 1952 87 wurden die Landtage, Landesregierungen und die kommunale Selbstverwaltung im Zuge der Neugliederung des Staatsgebiets aufgehoben. 88 Die Länderkammer wurde in einem zweiten Gesetzgebungsakt 1958 abgeschafft, womit die Entwicklung zum Einheitsstaat abgeschlossen war. 89 Die grundlegenden Verfassungsänderungen in den Jahren 1968 90 und 1974 91 führten keine neuen föderalen Elemente in den Normenbestand der DDR ein. Die Reföderalisierung des Staatsgebietes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erfolgte im Zuge der Wiedervereinigung durch das Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990. 92 Nach § 25 Abs. 2 des Gesetzes wurde die Abschaffung der Länder und der kommunalen Selbstverwaltung durch das Gesetz vom 23. Juli 1952 aufgehoben und die bis zum Jahr 1945 noch bestehenden Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen wiederhergestellt. Ost-Berlin wurde mit dem Westteil zu einem Bundesland zusammengefügt. Am 3. Oktober 1990 trat die Deutsche Demokratische Republik mit den genannten fünf Bundesländern und dem Ostteil Berlins gem. Art. 1 des Einigungsvertrages mit konstituierender Wirkung der Bundesrepublik Deutschland bei. Die Reföderalisierung Ostdeutschlands fand somit ihren Abschluss.
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Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1949 I, S. 5 ff. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen (Ost-Berlin hatte den Status eines selbstständigen Bezirks). 86 K. Stern, Staatsrecht V, S. 1629. 87 Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1952 I, S. 613 f. 88 W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 752; R. Kaufmann, Bundesstaat und Deutsche Einheit, S. 58 ff.; K. Stern, Staatsrecht V, S. 1636. 89 Vgl. das Gesetz über die Vervollkommung und Vereinfachung der Arbeit des Staatsapparates in der Deutschen Demokratischen Republik v. 8. Dezember 1958, Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1958 I, S. 867 f. 90 Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1968 I, S. 199 ff. 91 Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1974 I, S. 425 ff. 92 Vgl. Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik 1990 I, S. 955 ff. 85
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz
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VIII. Europäischer Einigungsprozess Parallel zur Entwicklung des deutschen Föderalismus der Nachkriegszeit begann der Prozess der Europäischen Integration. Seit der Unterzeichung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl am 18. April 1951 bis zum heutigen Tag ist dieser Prozess gekennzeichnet durch eine stetige Übertragung staatlicher Kompetenzen in den Bereich des Gemeinschaftsrechts. 93 Diese fortschreitende Stärkung der supranationalen Ebene ist innerstaatlich mit dem Problem des Substanzverlustes für die deutsche Bundesstaatlichkeit verbunden. Dieser Entwicklung sind aber auch Grenzen gesetzt. Die in Art. 23 GG zum Ausdruck kommende Integrationsfreundlichkeit des Grundgesetzes hat ihre Grenzen in Art. 79 Abs. 3 GG. Demnach gehört die deutsche Bundesstaatlichkeit zum festen, unabänderbaren Bestand der Verfassung und darf nicht im weiteren Verlauf des Integrationsprozesses aufgegeben werden. 94 Bisher wird der durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaften eingetretene Substanzverlust auf Seiten der Länder durch die Mitwirkung über den Bundesrat kompensiert. Sollte es in ferner Zukunft zu einer Entscheidung über den Zusammenschluss der Mitgliedstaaten zu einem Europäischen Bundesstaat kommen, müsste der Garantiegehalt des Art. 79 Abs. 3 GG in die europäische Verfassung aufgenommen und gegen Veränderungen geschützt werden. In der Umsetzung könnte es sich hierbei um ein dreigliedriges Staatsgebilde handeln, womit in Deutschland die Beibehaltung von zwei staatlichen Ebenen möglich wäre. 95 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass für die Zukunft bei Reformen föderaler Regeln der Deutschen Rechtsordnung darauf zu achten sein wird, Änderungen möglichst konform zu den Anforderungen der Mitwirkung der EG durchzuführen, um sich nicht von den Entwicklungen auf europäischer Ebene abzukoppeln. 96
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz Der Bundesstaat ist in verschiedenen Normen des Grundgesetzes in Form des Bundesstaatsprinzips und seiner speziellen Ausprägungen verankert. Im Zentrum der Betrachtung steht hier das Bundesstaatsprinzip, welches im Grundgesetz 93
Vgl. R. Streinz, Europarecht, Rn. 9 ff. G. Konow, DÖV 1996, S. 845 (848); K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 58. 95 S. Magiera, Jura 1994, S. 1 (8); K. Stern, Staatsrecht I, S. 520 ff. 96 P.-C. Müller-Graff, Die Europatauglichkeit der grundgesetzlichen Föderalismusreform, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 705 (714 f.). 94
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
nicht definiert ist. Seine Existenz ist jedoch sowohl in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 97 als auch in der Literatur 98 unzweifelhaft anerkannt. Der Bundesstaat als eine Verbindung mehrer Gliedstaaten zu einem Gesamtstaat durch den Erlass einer Bundesverfassung, zeichnet sich durch die Gewährleistung der Staatlichkeit von Bund und Ländern über die Schaffung einer genauen Kompetenzverteilung sowie durch die Ausgestaltung der Beziehungen der verschiedenen Ebenen zueinander zur Schaffung einer gewissen gesamtstaatlichen Homogenität aus. Hierzu bedarf es gegenseitiger Einwirkungsrechte und der Rechtspflicht zu gegenseitiger Rücksichtsnahme („Bundestreue“). Erörterungsbedürftig erscheint die Frage, aus welchen Normen des Grundgesetzes das Bundesstaatsprinzip abzuleiten bzw. in welchen Normen des Grundgesetzes der Bundesstaat als solcher zu verorten ist.
I. Das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) Das Bundesstaatsprinzip ist über den Begriff des „Bundesstaates“ in Art. 20 Abs. 1 GG fest im Grundgesetz verankert. Dieser Grundsatz sowie die Bundestreue, als dessen wichtigste Emanation, sind zunächst Gegenstand der Betrachtung. 1. Verfassungsrechtliche Bedeutung Der Begriff „Bundesstaat“ findet explizit nur in Art. 20 Abs. 1 GG Erwähnung. 99 Der Name „Bundesrepublik Deutschland“ sowie dessen ausdrückliche Kennzeichnung als Bundesstaat zeigen hierbei, dass das Bundesstaatsprinzip zu den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen gehört. 100 In Deutschland wurde der Bundesstaat nach der nicht in Kraft getretenen Paulskirchen Verfassung, welche ein geschlossenes Bundesstaatskonzept vorsah, erstmalig mit dem Beschluss der Verfassung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1867 eingeführt. 101 Mit Ausnahme der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1949 war Deutschland fortan durchgehend bundesstaatlich organisiert. Das Bundesstaatsprinzip des Art. 20 GG gründet somit inzwischen auf einer gefestigten 97
BVerfGE 1, 14 (34); 1, 117 (131); 34, 9 (20). K. Stern, Staatsrecht I, S. 663; E. Stein / G. Frank, Staatsrecht, S. 108 ff.; D. Schmalz, Staatsrecht, Rn. 221 ff. 99 Vgl. den Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. 100 H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 12; M. Seybold, Finanzausgleich, S. 111; K.P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 20. 101 Abgedruckt in: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 272 ff. 98
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz
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staatsrechtlichen Tradition. Nach ganz überwiegender Auffassung hat das Bundesstaatsprinzip einen eigenständigen normativen Gehalt. 102 Hierbei gilt es zu bedenken, dass ihm, wie auch den anderen in Art. 20 GG verankerten Staatsprinzipen, aus normativer Sicht eine Art Auffangcharakter im Sinne eines lex generalis zukommt. In der Regel finden die spezielleren, das Bundesstaatsprinzip konkretisierenden bundesstaatlichen Einzelregelungen Anwendung (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 30, 70 ff., 83, ff., 92 ff., 104a ff. GG und Art. 79 Abs. 3 GG). Einzig die ungeschriebenen Bundeszuständigkeiten und der im Folgenden noch ausführlich zu behandelnde Grundsatz der Bundestreue wurden bisher unmittelbar über das allgemeine Bundesstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG begründet. 103 Darüber hinaus dient das Bundesstaatsprinzip vorwiegend als Auslegungsrichtlinie. 2. Prinzip der Bundestreue Das Bundesstaatsprinzip wurde insbesondere durch die Rechtsprechung konkretisiert. Hieraus resultierende Ausprägungen des Bundesstaatsprinzips sind u. a. der Grundsatz der Uneinschränkbarkeit der Länderkompetenzen 104, die Selbstständigkeit der Verfassungsräume 105, das föderative Gleichbehandlungsgebot 106, das Prinzip der Freiheit in der Ausgestaltung der Länderverfassungen und das Mindestmaß an Homogenität 107, die föderalistische Auslegung 108 und das aufgrund seiner Relevanz für die Reform der Finanz- und Haushaltsordnung hier eingehender zu betrachtende Prinzip der Bundestreue 109. a) Bundestreue als besondere Ausprägung des Bundesstaatsprinzips Die Bundestreue – synonym auch als Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens bezeichnet – ist die wichtigste Emanation des Bundesstaatsprinzips. Ob102 C. Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 100, 104; M. Jestaedt, in: HdbStR II, § 29 Rn. 47; H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 14; a. A. E. Sarcevic, Das Bundesstaatsprinzip, S. 64 ff., 132, demnach soll das Bundesstaatsprinzip nur eine Sammelbezeichnung für die änderungsfähigen bundesstaatlichen Verfassungsbestimmungen sein und keinen eigenständigen normativen Gehalt haben. 103 H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 14. 104 BVerfGE 11, 77 (88). 105 BVerfGE 4, 178 (189); 22, 267 (270); 64, 301 (317). 106 BVerfGE 72, 330 (404 ff.); 86, 148 (272, 275 f.). 107 BVerfGE 36, 342 (360 f.). 108 BVerfGE 11, 77 (85 f.). 109 BVerfGE 1, 299 (315); 13, 54 (75); richtungweisend hierbei die erstmals im Jahr 1916 veröffentlichte Abhandlung von R. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 39 ff.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
wohl das vom Staatsrechtler Rudolf Smend entwickelte Konzept der Bundestreue nicht ganz unumstritten ist 110, gehört sie inzwischen zum festen Bestand der im Grundgesetz verankerten bundesstaatlichen Ordnung. 111 Der ungeschriebene Verfassungsgrundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens ist ein föderatives Prinzip. Er verpflichtet den Bund und die Länder (auch untereinander) „bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gemeininteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder zu nehmen“. 112
Auf nicht am Bundesstaatsrechtverhältnis beteiligte Dritte (z. B. die Gemeinden) findet er dagegen keine Anwendung. 113 Der Grundsatz der Bundestreue ist sehr allgemein gehalten und bedarf daher der Konkretisierung im Einzelfall. Um eine solche Einzelfallkonkretisierung überhaupt erst zu ermöglichen, ist er an bestimmte Vorrausetzungen gekoppelt. Zunächst setzt der Grundsatz der Bundestreue als akzessorisches Prinzip ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen Bunde und Ländern voraus. 114 Die Bundestreue begründet daher kein selbständiges Rechtsverhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern konstituiert oder begrenzt vielmehr Rechte und Pflichten in einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis im Sinne einer Kompetenzausübungsschranke. 115 Des Weiteren findet das Bundestreueprinzip aufgrund seiner normativen Verortung im allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben nur subsidiär Anwendung. 116 Ein Rückgriff auf die Bundestreue ist daher nur zulässig, sofern keine spezielleren verfassungsrechtlichen Normen zur Beseitigung bundsstaatlicher Konflikte bereitstehen. Bei der Bundestreue handelt es sich ferner um eine objektive Rechtspflicht; subjektive Komponenten sind ihr fremd. 117 Hieraus folgt, dass es zur Feststellung einer Pflichtverletzung des Nachweises ei110 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 6 ff; P. Lerche, in: VVDStRL 21 (1964), S. 66 (88 ff.); kritisch auch S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 480 ff. 111 P. Badura, Staatsrecht, S. 352 f.; H. Bauer, Die Bundestreue, S. 1 ff.; H.-W. Bayer, Die Bundestreue, S. 14 ff.; A. Bleckmann, JZ 1991, S. 900 ff.; W. Geiger, Die wechselseitige Treuepflicht von Bund und Ländern, in: A. Süsterhenn, Föderalistische Ordnung, S. 113 ff.; C. Heitsch, Die Ausführung der Bundesgesetze durch die Länder, S. 101 ff.; W. Heun, The Evolution of Federalism, in: C. Starck, Studies in German Constitutionalism, S. 167 (175); J. Lücke, Der Staat 17 (1978), S. 341 ff.; U. Müller / K.-G. Meyer / L. Wagner, VerwArch. 94 (2003), S. 295 (303 ff.); P. Unruh, EuR 37 (2002), S. 41 (47 ff.). 112 BVerfGE 92, 203 (230). 113 H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 40; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 20 Rn. 20; a. A. BVerwG, DVBl. 1990, S. 46 (47). 114 BVerfGE 13, 54 (75 f.); 21, 312 (326); 42, 103 (117); 104, 238 (248). 115 BVerfGE 13, 54 (75); 81, 310 (337); K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 37. 116 H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 39; K. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 270; M. Sachs, in: M. Sachs, GGK, Art. 20 Rn. 69. 117 J. Isensee, in: HdbStR VI, § 126 Rn. 160 ff.
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz
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ner Treulosigkeit nicht bedarf. 118 Die Behauptung von Bund oder Ländern, dass der jeweils andere Teil seiner eigenen Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht nachgekommen sei (tu quoque – Einwand), ist hierbei ausgeschlossen. 119 b) Ausgestaltung der Bundestreue im Einzelfall Der Verfassungsgrundsatz der Bundestreue ist, wie aufgezeigt, eine Ausprägung des Bundesstaatsprinzips. Er bedarf aufgrund seines hohen Abstraktionsgrades weiterer Präzisierungen. Die Rechtsprechung hat daher aus dem Prinzip der Bundestreue konkrete Rechtpflichten entwickelt. 120 Systematisch lassen sich diese Konkretisierungen in verschiedene Gruppen einteilen. Aus der Bundestreue werden somit u. a. ergänzende Regelungen für das intraföderative Vertragsrecht abgeleitet. 121 Zu ihnen zählt der Grundsatz pacta sunt servanda und die clausula rebus sic stantibus. 122 Weiterhin werden über die Bundestreue bestimmte Rechte beschränkt. Bedeutende Beispiele solcher Beschränkungen sind das Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung 123 und das Verbot widersprüchlichen Verhaltens 124. Für die vorliegende Ausarbeitung ist jedoch aufgrund des hier auftretenden Bezugs zum Finanzrecht, die Tatsache hervorzuheben, dass über die Bundestreue auch bestimmte Pflichten begründet werden können. 125 Zu diesen aus der Bundestreue entwickelten Pflichten gehören Informations- und Konsultationspflichten 126, Abstimmungs- und Zusammenarbeitsgebote 127, Verfahrenspflichten 128 sowie die Verpflichtung zu Hilfs- und Unterstützungsleistungen 129. 118
BVerfGE 8, 122 (140). M. Seybold, Finanzausgleich, S. 130 f.; K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 38. 120 Erstmalig hierzu BVerfGE 1, 117 (130 ff.). 121 H. Bauer, Bundestreue, S. 359; J. Kölble, DÖV 1960, S. 650 (655, 659 f.); H. Schneider, DÖV 1957, S. 644 (647, 650). 122 H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 44. 123 BVerfGE 4, 115 (140); 8, 122 (138); 104, 249 (269 f.); 110, 33 (52). 124 H. Bauer, Bundestreue, S. 358. 125 F. Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: F. Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, S. 137, M. Seybold, Finanzausgleich, S. 132. 126 BVerfGE 12, 205 (255 f.); 92, 203 (235). 127 Vgl. Nw. bei H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 42; BVerfGE 73, 118 (196 f.) im Medienrecht; BVerfGE 98, 106 (118 ff.) im Bereich der Umweltabgaben; 86, 148 (265) im Finanzverfassungsrecht. 128 H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 42; P. Lerche, VVDStRL 21 (1964), S. 66 (69). 129 BVerfGE 72, 330 (395 ff.); 86, 148 (263 ff.); 101, 158 (221 f.); vgl. ausführliche Besprechung der Urteile Zweiter Teil Kap. B.II.2 a). 119
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
Insgesamt lässt sich feststellen, dass das BVerfG den ungeschriebenen Verfassungsbegriff der Bundestreue im Laufe der Zeit immer weiter ausgelegt hat, bis er auch die Schuldenauslösung der Länder durch den Bund umfasste. 130 Gerade im Bereich der Finanzverfassung finden sich daher wichtige Beispiele für Hilfs- und Unterstützungsleistungen. Das als Gebot zu Hilfs- und Unterstützungsleistungen aus der Bundestreue entwickelte bündische Prinzip des Einstehens füreinander wird später anhand der dazugehörigen Rechtsprechung noch genauer betrachtet werden. Vorweg sei festzuhalten, dass nach diesem Prinzip der Bund und die Länder unter bestimmten Voraussetzungen zu Hilfeleistungen an finanziell leistungsschwache Länder verpflichtet werden können. 131 Im Grundgesetz findet sich eine Umsetzung dieses Grundsatzes im Länderfinanzausgleich gem. Art. 107 Abs. 2 GG wieder. Dieser solidarischen Einstandspflicht sind aber auch Grenzen gesetzt. Grundsätzlich darf die Ländereigenverantwortung für das eigene Finanzgebaren nicht aufgehoben werden. Die Rechtsprechung hat bisher entschieden, dass die Leistungsfähigkeit der hilfeleistenden Länder überschritten ist, wenn sie hierdurch nachhaltig geschwächt würden (Schwächungsverbot) 132 oder die Ausgleichspflicht zu einer Steuergleichheit führen würde (Nivellierungsverbot).
II. Spezielle Ausprägungen des Bundesstaatsprinzips im Grundgesetz Spezielle Ausprägungen des Bundesstaatsprinzips finden sich in den Art. 21 – 37 GG und den weiteren Regelungen über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Neben den hier aufgrund der fehlenden Relevanz für die Themenbearbeitung nicht zu behandelnden Bereiche der Kollisionsklauseln gem. Art. 31, 142 GG, der Amts-, Katastrophen- und Polizeihilferegelungen nach Art. 35, 91 Abs. 1 GG und der Mitwirkung der Länder an der Willensbildung des Bundes durch den Bundesrat gem. Art. 50 GG, soll folgend vor allem auf das Homogenitätsgebot in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG, die Neugliederungsregeln gem. Art. 29, 118, 118a GG sowie Normen über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach Art. 30, 70 ff., 83 ff., 92 ff., 104a ff. GG eingegangen werden.
130 C. Blankart, Föderalismus in Deutschland und in Europa, S. 143; S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 213 ff. 131 BVerfGE 72, 330 (386 f.). 132 BVerfGE 72, 330 (387); 86, 148 (215); 101, 158 (221); J. Hidien, DÖV 1998, S. 501 ff.; K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 41.
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz
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1. Homogenitätsgebot (Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG) Vielfach wird das Homogenitätsgebot gem. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG als eine spezielle Ausprägung des Bundesstaatsprinzips angesehen. 133 Folgt man dem Wortlaut der Norm, fällt auf, dass das Bundesstaatsprinzip im Gegensatz zu den anderen in Art. 20 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen keine Erwähnung findet. Die Nichtbeachtung ist vom Verfassungsgesetzgeber wohl bedacht, da den Ländern somit die Möglichkeit der Bildung eigener Bundesländer auf ihrem Landesterritorium verwehrt bleibt. Die Intention des Homogenitätsgebots ist es, die Ausgestaltung der Länderverfassungen in Anlehnung an das Grundgesetz an bestimmte verfassungsrechtliche Leitprinzipien zu binden. 134 Grundsätzlich lässt der Grundsatz der Homogenität den Ländern jedoch einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum bei der Ausübung ihrer Verfassungsautonomie und beschränkt sie über Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG nur auf ein Mindestmaß an Übereinstimmungen der Landesverfassungen mit dem Grundgesetz. 135 Solange die Grundsätze des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates gewahrt werden, steht es den Ländern daher frei, Normen in ihre Verfassung aufzunehmen, die vom Grundgesetz abweichen. Indem Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zentrale Vorgaben für das rechtliche Verhältnis von Bund und Ländern vorgibt, stellt das Homogenitätsgebot eine wichtige Ausprägung des Bundesstaatsprinzips dar und verankert den Bundesstaat somit im Grundgesetz. 2. Neugliederungsregelungen (Art. 29, 118, 118a GG) Die Neugliederungsregelungen der Art. 29, 118, 118a GG sind ein Beispiel für gegenseitige Einwirkungsrechte von Bund und Ländern. 136 Als spezielle Ausprägung des Bundesstaatsprinzips sichern sie dem Bund in unterschiedlicher Intensität Einflussmöglichkeiten auf die Neugliederungen des Bundesgebietes und konkretisieren somit das bundesstaatliche Verhältnis. 137 Ein bestimmter Bestand an Bundesländern wird im Grundgesetz nicht garantiert. 138 Jedem Land muss zudem ein Mindestmaß an Eigenständigkeit verbleiben, wobei die freie 133 H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 12; P. J. Tettinger, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 28 Rn. 1; J. Rozek, Das Grundgesetz als Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab der Landesverfassungsgerichte, S. 27; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, Art. 28 Rn. 1; a. A. E. Sarcevic, Das Bundesstaatsprinzip, S. 64 ff., 132. 134 R. Zippelius / T. Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 134. 135 BVerfGE 36, 342 (360 ff.); 60, 175 (209); 90, 60 (84 ff.). 136 J. Katz, Staatsrecht, Rn. 245. 137 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 1. 138 In der Literatur wird mit unterschiedlichen Begründungen ein Mindestbestand von zwei, drei bzw. mehr als drei Bundesländern vertreten, vgl. R. Sannwald, in: B. SchmidtBleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, GGK, Art. 79 Rn. 41.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
Bestimmung über seine Organisation einschließlich der in der Landesverfassung enthaltenen organisatorischen Grundentscheidungen sowie die Garantie der verfassungskräftigen Zuweisung eines angemessenen Anteils am Gesamtsteueraufkommen im Bundesstaat gewährleistet sein muss. 139 3. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 30, 70 ff., 83 ff., 92 ff., 104a ff. GG) Die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern ist eines der zentralen Probleme im Bundesstaat. Folgt man der Rechtsprechung des BVerfG, findet sich eine Konkretisierung des Bundesstaatsprinzip neben Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auch in Art. 30 GG wieder. 140 Nach Art. 30 GG ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben grundsätzlich Sache der Länder, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt. Solche von Art. 30 GG abweichenden Kompetenzregelungen finden sich im Grundgesetz an verschiedenen Stellen. So knüpft Art. 70 Abs. 1 GG im Bereich der Gesetzgebung an die Regelung des Art. 30 GG an, indem er die Gesetzgebungskompetenz grundsätzlich bei den Ländern verortet. Entgegen den allgemeinen Regelungen sind aber in den Art. 71 bis Art. 74 GG verschiedenste Vorbehalte des Bundes vorgesehen, die faktisch zu einer Umkehr des beschriebenen Verhältnisses führen. Das Schwergewicht der Gesetzgebungskompetenz liegt inzwischen beim Bund. Im Bereich der Verwaltungskompetenzen finden sich in den Art. 83 ff. GG ebenfalls Spezialregelungen zu Art. 30 GG. Im Gegensatz zu den Gesetzgebungskompetenzen ist der Vollzug der Bundesgesetze aufgrund der wenigen Ausnahmen zu Gunsten des Bundes hauptsächlich Sache der Länder. 141 Ferner finden sich für die Rechtsprechung in den Art. 92 ff. GG spezielle Kompetenzregelungen. In Anlehnung an Art. 30 GG darf der Bund nur bestimmte oberste Gerichte einrichten. Im Rückschluss liegt die übrige Gerichtsbarkeit in der Kompetenz der Länder. Als letztes Beispiel für die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz soll die Finanzverfassung in Art. 104a ff. GG dienen. Nach Art. 105 GG liegt die Steuergesetzgebungskompetenz in Abweichung zu Art. 30 GG fast ausschließlich beim Bund. Die Ertragskompetenzen in Art. 106, 106a und Art. 107 GG sowie die Finanzverwaltungskompetenzen gem. Art. 108 GG sind hingegen – wie sich später noch zeigen wird – zwischen Bund und Ländern verteilt. 142 Art. 109 Abs. 1 GG ge139 Vgl. zu Art. 79 Abs. 3 GG Erster Teil Kap. C.III.; zu den Neugliederungsregelungen Vierter Teil. 140 BVerfGE 1, 14 (34). 141 Nach Art. 83 GG führen die Länder Bundesgesetze grundsätzlich als eigene Angelegenheiten aus. Hiervon finden sich insbesondere in Art. 86 GG eng umgrenzte Ausnahmen. 142 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.b).
C. Verankerung des Bundesstaats im Grundgesetz
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währleistet den Ländern die Selbstständigkeit der Haushaltswirtschaft und ist somit Ausdruck des föderativen Staatsaufbaus. 143 Festzustellen bleibt, dass in dem Zusammenspiel zwischen der allgemeinen Regel des Art. 30 GG und den hier beispielhaft vorgestellten Spezialregelungen der Art. 70 ff., 83 ff., 92 ff, 104a ff. GG für jede auch in Zukunft hinzutretende staatliche Aufgabe und Befugnis eine bundesstaatliche Zuordnung erfolgt, da bei fehlender Bundeskompetenz immer die Länder zuständig sind.
III. Ewigkeitsgarantie der föderalen Gliederung (Art. 79 Abs. 3 GG) Die Revisionssperrklausel des Art. 79 Abs. 3 GG umschreibt einen Bestand sachlicher Grundlagen, der nicht zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers steht. 144 Im Rahmen dieser Bindungsklausel gehört der Bundesstaat über den Verweis auf Art. 20 GG und die Garantie der Gliederung in Bund und Länder zum Bestand unabänderlicher verfassungsrechtlicher Bestimmungen. Er gewährleistet den Bestand der Bundesstaatlichkeit im Ganzen, womit gerade nicht die Bestandsgarantie einzelner Bundesländer gemeint ist. 145 Die in Art. 29 GG normierte Möglichkeit der Neugliederung verdeutlicht, dass eine Veränderung der Länderanzahl möglich ist. Im Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 GG findet sich die Bestätigung des Bundesstaatsprinzips an zwei Stellen wieder. Zum einen wird die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung garantiert und zusätzlich die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze, zu denen auch das Bundesstaatsprinzip zählt, für unabänderlich erklärt. Aufgrund dieser Doppelung wird z.T. vertreten, dass dem Bundesstaatsprinzip im Gegensatz zu den anderen in Art. 20 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen hinausgehender Schutz zukommt. 146 Andere versuchen rechtshistorisch zu begründen, dass Art. 79 Abs. 3 GG überhaupt keine positive Aussage über das Bundesstaatsprinzip trifft. 147 Die vorgebrachten Einwände überzeugen nicht. Dem Bundesstaatsprinzip kommt im Vergleich zu den anderen Verfassungsgrundsätzen des Art. 20 GG 143 BVerfGE 1, 117 (131); C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 1 f. 144 BVerfGE 30, 1 (24 f.); K. Hesse, Bundesstaatsreform und Grenzen der Verfassungsänderung, AöR 98 (1973), S. 1 ff. 145 BVerfGE 1, 14 (47 f.); K.-E. Hain, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 79 Rn. 131; H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 18; M. Seybold, Finanzausgleich, S. 111. 146 O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26 Rn. 39 (1. Auflage); H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 16. 147 E. Sarcevic, Das Bundesstaatsprinzip, S. 76.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
kein gesonderter Schutz zu. Alle von Art. 79 Abs. 3 umfassten Grundsätze sind gegenüber Verfassungsänderungen geschützt. Eine Steigerung dieses Schutzniveaus ist nicht möglich. 148 Ferner bedeutet die doppelte Bezugnahme auf das Bundesstaatsprinzip in Art. 79 Abs. 3 GG auch keinen normativen Mehrwert, da ein Bundesstaat ohne eine Gliederung des Bundes in Länder nicht denkbar wäre, es sich bei der gewählten Formulierung mithin um eine nicht unbedingt notwendige Beschreibung von der Charakteristik der Bundesstaatlichkeit handelt. 149 Die mit der rechtshistorischen Argumentation intendierte Behauptung, das Bundesstaatsprinzip sei reversibel, stützt sich auf die Art. 107 und 108 des Verfassungsentwurfes des Herrenchiemseer Konventes, welche gegenständlich nichts mit dem Bundesstaat zu tun haben sollen. 150 Da die beiden Artikel als Vorlage für den heutigen Art. 79 Abs. 3 GG dienten, soll das Bundesstaatsprinzip auch dort nicht verortet werden können. 151 Da der parlamentarische Rat jedoch entgegen diesen Vorschlägen explizit alle in Art. 20 GG verankerten Grundsätze als irreversible Regelungen in Art. 79 Abs. 3 GG aufgenommen hat, vermag der rechtshistorische Ansatz wegen des klaren Wortlauts der bestehenden Norm nicht zu überzeugen. 152 Im Ergebnis ist die Formulierung des Art. 79 Abs. 3 GG abgesehen von der Revisionssperrklausel in Relation zu Art. 20 Abs. 1 GG vom Regelungsgehalt ohne normativen Mehrwert. Die Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 79 Abs. 3 GG sind als einheitliche Absicherung der Bundesstaatlichkeit anzusehen. 153 Das Bundesstaatsprinzip ist somit auch in Art. 79 Abs. 3 GG angelegt.
D. Bundesstaatstheorien im Kontext der Reform der Finanzund Haushaltsordnung Welchen Beitrag können die Bundesstaatstheorien zur Reform der bundesdeutschen Finanz- und Haushaltsordnung vor dem Hintergrund verschiedener Interessen von Bund und Ländern und von den Ländern untereinander leisten? Grundsätzliche Intention der Bundesstaatstheorien ist es, die bundesstaatliche Ordnung in ihrer systematischen Gesamtheit, der normativen Zielrichtung und der inhaltlichen Ausgestaltung zu erklären. In der Vielzahl der bereits existierenden Erklärungsmodelle finden sich jedoch häufig spezifische Theorien, die sich 148 149 150 151 152 153
P. Kirchhof, in: HdbStR II, § 21 Rn. 93. K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 431. H. Ridder, in: AK II, Art. 79 Rn. 30. E. Sarcevic, Das Bundesstaatsprinzip, S. 76. Ausführliche Darstellung bei H. Dreier, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 79 Rn. 47. K.-E. Hain, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 79 Rn. 119.
D. Bundesstaatstheorien
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lediglich dadurch auszeichnen, dass sie den Charakter von typologischen Ausdifferenzierungen 154 bzw. „deskriptiven Tendenzbegriffen“ 155 haben. 156 Eines der grundlegenden Defizite der Bundesstaatstheorien ist, dass sie z.T. die Unterscheidung zwischen faktischen („sein“) und normativen („sollen“) nicht konsequent berücksichtigen. Bundesstaatstheorien können sowohl eine faktische Staatspraxis beschreiben und erklären – oder sie können normativ (sei es freischwebend oder als rechtstheoretische Grundlage, etwa der bundesrepublikanischen Ordnung) begründen, warum die Ordnung richtigerweise in einer bestimmten Weise gestaltet sein – bzw. interpretiert werden – sollte. Da diese Trennlinie oft nicht eingehalten wird, ist der den Bundesstaatstheorien gemachte Vorwurf, sie seien aus wissenschaftlicher Sicht nicht wirklich weiterführend und in Relation zur tatsächlichen Verankerung im geltenden Verfassungsrecht in der verfassungsrechtlichen Dogmatik in ihrer Bedeutung überbewertet, nicht ganz von der Hand zu weisen. 157 Die Bundesstaatstheorien haben bisher keine umfassende Analyse und Legitimation des gegenwärtigen Bundesstaates liefern können. Abgesehen von der Tatsache, dass es eine das föderative System in allen Einzelheiten erfassende (allgemeine) Theorie aufgrund der ihm innewohnenden Dynamik bis heute nicht gibt, trifft der Vorwurf nicht im Ganzen auf die Bundesstaatstheorien zu. 158 Sie sind ein wichtiger Indikator für (sich abzeichnende oder bereits eingetretene) Veränderungen des Bundesstaats(-verständnisses) und können dies für abgrenzbare Teilbereiche des Bundesstaates faktisch erklären bzw. geben aufgrund der bereits nachweislich eingetretenen Veränderungen oder vermuteter zukünftiger Veränderungen normative Vorgaben zur Umstrukturierung der föderalen Ordnung vor. Im Folgenden sollen daher einige, für die hier zu bearbeitende Frage der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung interessante Bundesstaatstheorien erörtert werden, um anschließend deren konkrete Relevanz für anstehende Reformprojekte zu hinterfragen.
I. Erörterung der Bundesstaatstheorien In Anlehnung an die bereits erwähnte Bedeutungsvielfalt und die unterschiedlichen Anwendungsbereiche der Bundesstaatstheorien wird einführend kurz auf einige ihrer prägnanten Funktionen eingegangen werden. Zunächst sind viele Bundesstaatstheorien darauf ausgelegt, das Phänomen des Bundesstaates in seiner 154
P. Häberle, DV 24 (1991), S. 169 (183 f.); W. Thieme, DÖV 1989, S. 499 (508). H. Bauer, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 22. 156 Vgl. hierzu weiterführend H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (648 f.). 157 A. Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, S. 37 ff. 158 Vgl. A. Benz, Föderalismus als dynamisches System; P. Häberle, ZÖR 2007, S. 38 (46). 155
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
spezifischen Eigenart zu beschreiben und dienen somit der Begriffsbildung. 159 Aufgrund dieser sich durch die Beschreibung und Begriffsbildung herausbildenden Dogmatik kann mit den Bundesstaatstheorien der Bundesstaat vom Staatenbund sowie der Föderalismus vom Regionalismus abgegrenzt werden. Ferner dienen die Bundesstaatstheorien einhergehend mit der Rechtfertigung des föderativen Prinzips der allgemeinen Legitimation des Bundesstaates. 160 Für die Reform der Finanz- und Haushaltsordnung ist insbesondere die rechtspolitische sowie heuristische Dimension der Bundesstaatstheorien von Bedeutung. 1. Allgemeine Bundesstaatstheorien Als allgemeine Bundesstaatstheorien bezeichnet man Hypothesen, die Phänomene beschreiben, die für alle Bundesstaaten Geltungsanspruch erheben. a) Bundesstaatstheorien zur Mehrgliedrigkeit des Staates Die Bundesstaatstheorien zur Mehrgliedrigkeit des Staates sind schon im Zusammenhang mit der Definition des Begriffs „Bundesstaat“ thematisiert worden. 161 Diese Theorien befassen sich hauptsächlich mit der begrifflichen Erfassung des Bundesstaates sowie mit Fragen der Souveränität der einzelnen Ebenen im Bundesstaat. 162 Zentrale Frage ist hierbei, ob ein Bundesstaat eine zwei- (Zentralstaat / Gliedstaaten) 163 oder dreigliedrige (Gesamtstaat / Zentralstaat / Gliedstaaten) 164 Ordnung darstellt. Hinter diesem Einordnungsproblem verbirgt sich die Frage, in welchem Rang insbesondere der Zentralstaat (Bund) zu den Gliedstaaten (Länder) steht. Nach der Lehre von der Dreigliederigkeit stünden Zentralstaat und Gliedstaaten gleich geordnet nebeneinander, während bei dem vorherrschenden Zweigliedrigkeitsmodell dem Zentralstaat eine übergeordnete Stellung gegenüber den Gliedstaaten zukommt. Die Frage, ob der Bund den Ländern zumindest in Teilbereichen übergeordnet ist oder ob beide gleichberechtigt nebeneinander stehen, ist daher Gegenstand eigenständiger Bundsstaatstheorien. 165 Im Ergebnis tragen die Bundesstaatstheorien zur Mehrgliederigkeit 159
L. Michael, JZ 2006, S. 884; H. Nawiasky, „Bundesstaat“ als Rechtsbegriff. G. Kisker, Ideologische und theoretische Grundlage der bundesstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, in: I. v. Münch, Probleme des Föderalismus, S. 23 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 647. 161 Vgl. Erster Teil Kap. A.II. 162 O. Kimminich, in: HdbStR I, § 26 Rn. 11 ff. (1. Auflage), 15 ff.; K. Stern, Staatsrecht I, S. 650 ff. 163 BVerfGE 13, 54 (77 f.); J. Katz, Staatsrecht, Rn. 68; H. Maurer, Staatsrecht I, § 10 Rn. 5; F. E. Schnapp, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II Art. 20 Rn. 14. 164 H. Kelsen, Allgemeine Staatsrechtlehre, S. 199 f.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatsrechtlehre, Teil 3, S. 151 ff. 160
D. Bundesstaatstheorien
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des Staates dazu bei festzulegen, unter welchen Voraussetzungen eine Ebene im staatlichen Sinne souverän ist und wie diese souveränen Ebenen einander zugeordnet sind. Daher leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Abgrenzung des Bundesstaates vom Regionalismus (der unteren Ebene fehlt die Staatsqualität) und zum Staatenbund (der oberen Ebene fehlt die Staatsqualität). 166 b) Legitimatorische und zweckgerichtete Bundesstaatstheorien Einige Bundesstaatstheorien versuchen den Bundesstaat über seinen Zweck sowie seine Legitimationsgründe zu definieren. Als Beispiel kann hier der Kulturföderalismus oder der für die Reform der Finanz- und Haushaltsordnung relevante Wettbewerbsföderalismus dienen. Indem die Bundesstaatstheorien in diesem Bereich z. B. an die kulturelle Vielfalt oder den wirtschaftlichen Wettbewerb anknüpfen, liefern sie z.T. wertvolle Argumente für eine Neuausrichtung des Bundesstaates auf dem jeweiligen Themengebiet. 167 Diese Art der Bundesstaatstheorien zeichnet sich daher insbesondere durch ihren rechtpolitischen Charakter aus. c) Gemischte Bundesstaatstheorien Den gemischten Bundesstaatstheorien liegt die grundsätzlich zu unterstützende Auffassung zugrunde, dass sie versuchen, einzelne, singulär betrachtet zu kurz greifende Bundesstaatstheorien zu einer komplexen Theorie zusammenzufügen. 168 Die gemischte Bundesstaatslehre „ermöglicht eine pragmatische Integration von Theorieelementen und läuft nicht Gefahr, im Interesse einer Theorie die Wirklichkeit zu vergewaltigen und wissenschaftliche Wahrheitsansprüche einseitig durchzusetzen“. 169
Dem wird vereinzelt entgegnet, dass die gemischten Bundesstaatstheorien durch die willkürliche Kombination einzelner Elemente Gefahr laufen, keine zweifelsfreien Aussagen mehr liefern zu können, womit ihr Nutzen für die Erklärung des gegenwärtigen und die Weiterentwicklung des zukünftigen positiven Bundesstaatsrechts eingeschränkt wird. 170 Dem ist entgegenzuhalten, dass, wie sich im weiteren Verlauf der Abhandlung noch genauer zeigen wird, gerade im 165
Vgl. R. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, S. 223. L. Michael, JZ 2006, S. 884 (885 f.). 167 L. Michael, JZ 2006, S. 884 (886). 168 B.-C. Funk, in: VVDStRL 46 (1988), S. 172 (173); P. Häberle, in: VVDStRL 46 (1988), S. 149; ders., Kulturhoheit im Bundesstaat – Entwicklungen und Perspektiven, AöR 124 (1999), S. 549 (553); F. Kirchhof, in: VVDStRL 52 (1993), 71 (81); L. Michael, JZ 2006, S. 884 (886). 169 P. Häberle, DV 24 (1991), S. 169 (186). 166
74
1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
Bereich der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung die gemischten Bundesstaatstheorien durchaus überzeugen. 171 So vermag diese Mischtheorie extreme Ansätze wie den Wettbewerbsföderalismus mit dem des starren kooperativen Ansatzes zusammenzuführen und könnte somit die Einführung einzelner kompetitiver Elemente in das System der Finanz- und Haushaltsordnung erklären, ohne einen kompletten Systemwechsel vollziehen zu müssen. Somit gilt es im Sinne einer Differenzierung zu fragen, in welchen Bereichen die gemischten Bundesstaatstheorien zu einer Verbesserung des Bundesstaatsverständnisses beitragen können. 2. Besondere Bundesstaatstheorien Die besonderen Bundesstaatstheorien befassen sich in Abgrenzung zu den allgemeinen Theorien ausschließlich mit dem Modell des deutschen Bundesstaates. Diese Differenzierung trägt der Tatsache Rechnung, dass jeder Bundesstaat in seiner Verfasstheit, beruhend auf einem staatsrechtlichen Verständnis des Föderalismusbegriffs 172, spezifische Eigenarten aufweist. Im Folgenden sollen die für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung bedeutsamen besonderen Bundesstaatstheorien dargestellt werden. a) Theorie vom unitarischen Bundesstaat Die Theorie vom unitarischen Bundesstaat galt lange Zeit als die Theorie, welche den deutschen Bundesstaat in seinem Wesen am präzisesten erfasst. 173 Sie baut auf der Erkenntnis auf, dass das im Grundgesetz scheinbar länderfreundliche, in den Art. 30, 70 ff. GG verankerte „Trennsystem“ durch eine stetig fortschreitende Kompetenzverlagerung auf den Bund über die Auslegung von Normen wie Art. 72 Abs. 2 GG (a.F.) ausgehebelt wurde und zum Ausgleich die Mitwirkungsrechte der Länder, insbesondere über Art. 84 Abs. 1 GG, in großem Umfang ausgeweitet wurden. 174 Diese Entwicklung diente der Rechts170 H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (675 f.); A. Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, S. 37; S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 9. 171 P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat – Entwicklungen und Perspektiven, AöR 124 (1999), S. 549 (555 f.). 172 Aus staatsrechtlicher Perspektive bezeichnet der Föderalismusbegriff die konkrete Ausgestaltung der Bundesstaatlichkeit und die föderale Austarierung der Gewalten in der jeweiligen Bundesverfassung, vgl. hierzu: J. Isensee, in: HdbStR VI, § 126 Rn. 8; K.P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 25. 173 K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 1 ff. 174 R. Dolzer, VVDStRL 58 (1999), S. 7 (16 ff.); A. Hanebeck, Der demokratische Bundesstaat des Grundgesetzes, S. 37; K. Hesse, Der unitarische Bundesstaat, S. 14; L. Michael, JZ 2006, 884 (886 f.).
D. Bundesstaatstheorien
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einheit und der Gewaltenteilung. Die Bundesländer haben somit weniger Gesetzgebungskompetenzen, dafür aber über den Bundesrat in Form von grundgesetzlich verankerten Mitwirkungsrechten viel Einfluss auf die Gesetzgebung. Genau an diesem Punkt ist es aber mit Beschluss der Föderalismusreform I zu gravierenden Änderungen im Grundgesetz gekommen. 175 Neben der Abschaffung der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes wurden die Kompetenzen der Art. 73 GG und 74 GG zwischen Bund und Ländern neu geordnet, um zu einer klareren Kompetenzabgrenzung zu gelangen. 176 Im Gegenzug wurde die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen durch Änderung des Art. 84 Abs. 1 GG eingeschränkt, womit die Anzahl zustimmungsbedürftiger Gesetze deutlich abnehmen dürfte. 177 Ein Novum ist hierbei die Einführung eines Abweichungsrechts der Länder gem. Art. 72 Abs. 3 S. 1 GG bzw. Art. 84 Abs. 1 S. 2 GG. Diese Abweichungen sollen frühestens sechs Monate nach Einführung in Kraft treten. Durch die Aufnahme der lex posterior-Kollisionsregel in das Grundgesetz gilt jetzt in bestimmten Bereichen ein Anwendungsvorrang des später erlassenen, abweichenden Gesetzes gem. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG bzw. Art. 84 Abs. 1 S. 4 GG. 178 Dieser tritt dem in Art. 31 GG verankerten Geltungsvorrang des Bundesrechtes gegenüber dem Landesrecht, welcher Ausdruck des unitarischen Bundesstaatsverständnis ist, entgegen. Bisher wurde an der unitarischen Theorie kritisiert, dass sie die Stellung der Länder zu wenig würdigt und sie der Politikverflechtung Vorschub leistet. 179 Die dargestellten Änderungen und die Einführung neuer Rechtsinstitute entkräften die bisher geäußerte Kritik jedoch zum Teil und verstärken die bereits vor Beschluss der Föderalismusreform I vorhandenen Vorbehalte gegenüber der Theorie vom unitarischen Bundesstaat. b) Theorie vom experimentellen Bundesstaat Einen neuen Ansatz stellt die Theorie vom experimentellen Bundesstaat dar. 180 Sie versucht, die Theorie vom unitarischen Bundesstaat aufgrund der erfolgten Neuerungen zu ergänzen und in Teilbereichen zu ersetzen. Aufbauend auf der Feststellung, dass durch die Einführung von Abweichungsrechten im Rahmen der Föderalismusreform I ein ideeller, politischer und wirtschaftlicher Wettbewerb in Teilbereichen einen Bedeutungszuwachs erfährt und kooperative Elemente durch die Modifikationen der Gemeinschaftsaufgaben und die Streichung der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes schwinden, modifiziert die Theorie des 175
Vgl. BGBl. 2006 I, S. 2034 ff. U. Häde, JZ 2006, S. 930 (931 ff.); I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (148 ff.). 177 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (934); J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2805). 178 J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2803 ff.); L. Michael, JZ 2006, S. 884 (887). 179 Zur Politikverflechtung F. Scharpf, Föderale Politikverflechtung, in: K. Morath, Reform des Föderalismus, S. 23 ff. 180 L. Michael, JZ 2006, S. 884 ff. 176
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
experimentellen Bundesstaates den Ansatz des unitarischen Bundesstaates. 181 Sie gelangt zu der richtigen Erkenntnis, dass durch die Föderalismusreform I viele Elemente der unitarischen Bundesstaatstheorie weiterhin gültig sind, sie aber aufgrund der bereits dargestellten Änderungen des Grundgesetzes und der damit einhergehenden Zurückgewinnung politischer Entscheidungsräume und abnehmender Blockademöglichkeiten abgeändert und zum Teil ersetzt werden müssen. c) Theorie vom kooperativen Bundesstaat Die Theorie vom kooperativen Föderalismus hat ihren Ursprung in dem Konzept des co-operativ federalism, welcher im US-amerikanischen Bundesstaatssystem während der Zeit des New Deal entwickelt wurde. 182 Dieser eng mit dem Prinzip der Bundestreue verknüpfte Ansatz, der den zweckgerichteten Bundesstaatstheorien zuzuordnen ist 183, hat das Grundgesetz insbesondere im Bereich der finanz- und haushaltsverfassungsrechtlichen Vorschriften geprägt. Er ist insofern von elementarer Bedeutung für die Frage der Neuausrichtung der Finanzund Haushaltsordnung. In Deutschland wurde der Ansatz vom kooperativen Bundesstaat erstmalig im Gutachten der Kommission für die Finanzreform 184 im Jahr 1966, dem sog. Troeger-Gutachten 185, umfassend diskutiert. 186 Ausgangspunkt für die Erstellung des Gutachtens war der Befund, dass die Nachkriegsverfassung den Bedürfnissen von Bund und Ländern nach Abstimmung und Koordination in der Praxis nicht mehr gerecht wurde. Zwar waren Kooperationen schon im Bereich der Rechts- und Amtshilfe gem. Art. 35 GG und bei Vorliegen eines inneren Notstandes gem. Art. 91 GG möglich, doch machte die Tatsache, dass der Bund über die Wahrnehmung von konkurrierender Kompetenzen stark an Gewicht gewonnen hatte, ohne dass seine finanzielle Ausstattung hierfür gesichert war, weitere Änderungen notwendig. Ferner war das über Art. 30 GG früher stärker vorgegebene Trennsystem auf verschiedenste Weise durch Kooperationen aufgeweicht worden, womit die Ordnung der föderalen Aufgabenerfüllung und die einst darauf abgestimmten Finanzbeziehungen in ein Ungleichgewicht gerieten. 187 Rechtspolitisch 181
L. Michael, JZ 2006, S. 884 (890). A. Gunlicks, Prinzipien des amerikanischen Föderalismus, in: P. Kirchhof / D. Kommers, Deutschland und sein Grundgesetz, S. 99 (110 ff.); W. Kewenig, Kooperativer Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung, AöR 93 (1968), S. 433 ff. 183 Vgl. Erster Teil Kap. D.I.1.b). 184 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1 ff. 185 Heinrich Troeger wurde als ehemaliger hessischer Finanzminister und zur damaligen Zeit amtierender Vizepräsident der Bundesbank zum Vorsitzenden der Kommission für die Finanzreform berufen. 186 S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 266. 182
D. Bundesstaatstheorien
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wurde diesen defizitären Strukturen die Theorie vom kooperativen Bundesstaat entgegen gestellt. Die Intention dieses Ansatzes ist es, ein ausgewogenes und bewegliches System der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu schaffen. Erreicht werden soll dies durch die Errichtung neuer Institutionen der Zusammenarbeit, welche den Ausgleich zwischen einer klaren Aufgabenabgrenzung und der bundesstaatlichen Kräftekonzentration ermöglichen. Aufgrund des Troeger-Gutachtens, welches den kooperativen Föderalismus zu einem „aktiven Staatsprinzip“ 188 stilisierte, kam es im Zuge der letzten großen Reform der Finanz- und Haushaltsordnung im Jahr 1969 zu bedeutenden Änderungen des Grundgesetzes. Kooperative Elemente wurden vor allem im Bereich des Finanzrechts eingeführt. Als Beispiele für die Integration kooperativer Elemente in das Grundgesetz seien hier die Vereinnahmung der ertragsreichsten Steuern als Gemeinschaftssteuern, die Einführung von Art. 104a Abs. 2 und 3 GG sowie die gemeinsame Finanzierungspflicht und Planungsverantwortung bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG und Art. 91b GG, welche durch die Föderalismusreform I abgeändert wurden 189, genannt. 190 Inzwischen gibt es viele Erscheinungsformen vertikaler und horizontaler Kooperationen in Deutschland. 191 d) Theorie vom kompetitiven Bundesstaat Die Lehre vom kompetitiven Föderalismus (auch Wettbewerbs- oder Konkurrenzföderalismus genannt) ist als Gegenbewegung zur Theorie des kooperativen Bundesstaates zu verstehen. 192 Es ist ihr erklärtes Ziel, den Schwächen des kooperativen Bundesstaates mit einem auf Wettbewerb zwischen den Ländern ausgerichteten Modell entgegenzutreten. Die vom Bundesstaatsprinzip umfassten Prinzipien der Kooperation und Solidarität bilden hierbei die natürlichen Grenzen dieses Ansatzes, der sich gegen die Schaffung von Ergebnisgleichheit wendet und für mehr Vielfalt und Eigenverantwortung durch Steigerung der 187 D. Fricke, Zum kooperativen Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 91 (98). 188 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 77; vereinzelt wird zu Recht auf die Unklarheiten des Begriffs „aktives Staatsprinzip“ hingewiesen, welcher in der Staatsrechtslehre nicht geläufig ist, vgl. hierzu S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 267. 189 BGBl. 2006 I, S. 2034 (2036). 190 D. Fricke, Zum kooperativen Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 91 (99 f.). 191 Konferenzen, Ausschüsse, gemeinsame Einrichtungen etc., vgl. Darstellung bei H. Maurer, § 10 Rn. 57 ff. 192 Vgl. H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (671); T. Lenk, Kooperativer Föderalismus – Wettbewerbsorientierter Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 31 ff.; E. Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S. 746 ff.
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
Innovationskraft der bundesstaatlichen Ordnung eintritt. 193 Umgesetzt werden soll dies hauptsächlich durch die Einführung von mehr Wettbewerb zwischen den Ländern im Sinne eines Ideenwettbewerbs, der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes sowie der Herstellung von mehr Transparenz, um Vergleichsmöglichkeiten zu schaffen. 194 Im Rahmen der Föderalismusreform I hat sich in Teilbereichen eine Verschiebung vom kooperativen, unitarischen Bundesstaat hin zu einem immer mehr auf kompetitive Elemente zurückgreifenden Ansatz vollzogen. So wurde wie bereits erwähnt neben der grundsätzlichen Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern die Rahmenkompetenz des Bundes abgeschafft, ein Abweichungsrecht der Länder in Art. 72 Abs. 3 GG und Art. 84 Abs. 1 GG eingeführt sowie die Mischfinanzierungstatbestände abgebaut. Auch im Zusammenhang mit der geplanten Reform der Finanz- und Haushaltsordnung diskutiert man intensiv die Einführung weiterer kompetitiver Elemente. 195 Ein aus dem Bundesstaatsprinzip und den finanzverfassungsrechtlichen Regeln abgeleitetes verfassungsrechtliches „Gebot des föderalen Wettbewerbs“, aus dem man Vorgaben für die Verteilung der Finanzmittel herleiten könnte, gibt es jedoch bisher auch nach Ansicht des BVerfG nicht. 196
II. Relevanz der Bundesstaatstheorien für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung Nach der Darstellung einiger ausgewählter Bundesstaatstheorien, stellt sich die Frage ihrer Relevanz für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung. 1. Zunehmende Verdrängung kooperativer durch kompetitive Elemente Betrachtet man speziell die Debatte zur Reform der Finanz- und Haushaltsordnung, lässt sich feststellen, dass im Zusammenhang mit den besonderen Bundesstaatstheorien fast ausschließlich die Theorien des kooperativen und des kompetitiven Bundesstaates als voneinander getrennt zu betrachtende, sich gegen193
K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 55. B. Stamm / G. Merkl, ZRP 1998, S. 467 (468 f.). 195 Z. B. wird die Einführung eines Steuerzuschlagsrechts auf die Einkommensbzw. Körperschaftssteuer diskutiert, vgl. S. Franke, VerwArch 82 (1991), S. 526 (541); R. Hendler, DÖV 1993, S. 292 (298); K.-D. Henke / G. F. Schuppert, Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 94; H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 139 f.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Länderfinanzausgleich, S. 99 ff.; vgl. auch Zweiter Teil Kap. D.II.1.b). 196 BVerfGE 101, 158 (198 f.). 194
D. Bundesstaatstheorien
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überstehende Theorien diskutiert werden. 197 War die Theorie des kooperativen Bundesstaats, wie bereits beschrieben, das Leitmotiv für die Große Finanzreform 1969, stößt er seit Jahren zunehmend auf Kritik. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, was die Ursachen für den Wandel vom kooperativen Bundesstaatsverständnis hin zu der Forderung nach mehr Länderautonomie, Eigenverantwortung und Wettbewerb unter den Ländern sind. Eine Ursache für den Wandel sind sicherlich die in der praktischen Umsetzung sichtbar gewordenen Schwächen des kooperativen Bundesstaatsmodells. Hierzu zählt insbesondere das mit diesem Ansatz verbundene Steuerungs- und Rationalitätsdefizit, welches u. a. in den jetzt zum Teil geänderten Mischfinanzierungstatbeständen zu verorten ist. 198 Ausdruck dieses Defizits ist der erforderliche Konsens für Entscheidungen zwischen Bund und Ländern in den verflochtenen Politikbereichen, der aufgrund zum Teil zuwiderlaufender Interessen nur schwer zu finden ist. Entscheidungsprozesse werden durch diese Verflechtung strategieanfällig, wodurch optimale, auf das bundesstaatliche System abgestimmte Lösungen, oftmals nicht zustande kommen. 199 Die Kooperation findet im Schwerpunkt in der Abstimmung zwischen den Regierungen statt, womit ebenfalls eine eklatante Schwächung der Parlamente einhergeht. 200 Eine weitere Begründung für den Wandel hin zu einem kompetitiven Föderalismus findet sich in einer ökonomischen Betrachtung der Problematik. 201 Der Bundesstaat hat die Aufgabe aus den gesamtwirtschaftlichen Zielen der Wirtschafts- und Finanzpolitik Kriterien für eine zweckmäßige Verteilung der öffentlichen Aufgaben (unter Beachtung der Kostenfolge) auf die verschiedenen Ebenen des Gemeinwesens zu entwickeln. Ging man in den 1960er und 1970er Jahren noch davon aus, die Konjunkturentwicklung durch eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik steuern zu können, hat man jetzt erkannt, dass eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik effizienter ist. 202 Eine dezentralisierte Versorgung mit öffentlichen Gütern und Leistungen senkt 197
H.-W. Arndt, Erneuerter Föderalismus – Thesen zu einer veränderten Balance zwischen Bund und Ländern, in: U. Männle, Föderalismus zwischen Konsens und Konkurrenz, S. 31 f.; H. Bauer, DÖV 2002, S. 837 (842 ff.); M. Nettesheim, Wettbewerbsföderalismus und Grundgesetz, in: M. Brenner, FS für Peter Badura, S. 363 ff. 198 T. Lenk, Kooperativer Föderalismus – Wettbewerbsorientierter Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 31 (40 f.); F. Scharpf, Die Politikverpflechtungsfalle, PVS 26 (1985), S. 323 ff. 199 J. Hesse / W. Renzsch, SuS 1991, S. 562 (564); R. Jochimsen, SuS 1993, S. 118 (132); I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 135; G. Schwarzner, Öffentliche Haushalts- und Finanzplanung bei Finanzierungsengpässen, S. 101 ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Länderfinanzausgleich, S. 17 ff. 200 G. Kisker, Der Staat 14 (1975), S. 169 (182); H. Liesegang / R. Plöger, DÖV 1991, S. 228 (232 ff.). 201 G. F. Schuppert, SuS 1993, S. 26 (32). 202 T. Lenk, Kooperativer Föderalismus – Wettbewerbsorientierter Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 31 (41); kritisch hierzu U. Münch, Konkurrenzföderalismus für die Bundesrepublik, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusfor-
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland
durch die Nähe der Beteiligten die Kosten der Informations- und Entscheidungsfindung und erhöht die Befriedigung der Präferenzen der Bürger. 203 Ein weiterer Vorwurf richtet sich gegen den Finanzausgleich, der als kooperatives Element der Finanzordnung durch seinen hohen Umverteilungseffekt eine zu hohe Nivellierungswirkung hat, die weder den Empfängerländern noch den Geberländern einen Anreiz gibt, die eigenen Steuerquellen effizient zu nutzen. 204 Schließlich wird noch die Stärkung der Regionen im europäischen Kontext als Motiv für den Ruf nach mehr Wettbewerb unter den Ländern als Argument angeführt. 205 Im Zuge der fortschreitenden Vergemeinschaftung auf europäischer Ebene werden die Regionen immer mehr aufgewertet, was dazu führt, dass in vielen europäischen Staaten Dezentralisierungstendenzen sichtbar werden. Auch für Deutschland hat diese Entwicklung Konsequenzen, indem die innerstaatliche Tendenz zur Unitarisierung auf die Regionalisierungstendenzen auf europäischer Ebene trifft. Nach Jahrzehnten fortschreitender Unitarisierungstendenzen, sichtbar beispielsweise durch die zunehmende Ausschöpfung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen, wird der bundesdeutsche Föderalstaat zum Teil durch die europäische Entwicklung eingeholt. Ein erstes Zeichen für die Auflösung dieses Konfliktes ist die im Rahmen der Föderalismusreform I erfolgt Rückverlagerung zahlreicher Kompetenzen auf die Länder. Doch auch die Theorie vom kompetitiven Bundesstaat hat ihre Schwächen. Eine Umstellung auf eine präferenzorientierte Aufgabenwahrnehmung erfordert annährend gleiche Startbedingungen für die in einen Wettbewerb tretenden Länder, was vor dem Hintergrund der Eingangs angedeuteten Haushaltslage der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften problematisch erscheint. Hierzu gehört auch, dass in einer Finanzordnung verteilungspolitische Aspekte berücksichtigt werden müssen. Ausgaben der Daseinsvorsorge wie z. B. Sozialausgaben sind grundsätzlich wegen der Gefahr der Vernachlässigung bzw. nichtvertretbaren Rückführung für einen Wettbewerb ungeeignet. 2. Synthese aus kooperativen und kompetitiven Elementen Die auf einem kooperativen Föderalismusansatz gründende, gegenwärtige Finanz- und Haushaltsordnung stößt zunehmend auf Kritik. Vielfach wird daher ein schung Tübingen, Jahrbuch des Föderalismus 2001, S. 115 (126), die zu Recht darauf hinweist, dass Nationalstaaten nicht exakt das gleiche tun wie private Firmen, wenn sie dort tätig werden, wo der Markt z. T schon versagt hat. 203 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 138 f.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Länderfinanzausgleich, S. 42. 204 T. Lenk, Kooperativer Föderalismus – Wettbewerbsorientierter Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 31 (41 f.). 205 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 133 f.; K.-P. Sommermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20 Rn. 57.
D. Bundesstaatstheorien
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Wechsel von einem kooperativen zu einem kompetitiven Föderalismus gefordert, welcher seinerseits auch nicht widerspruchsfrei ist. 206 Wie aufgezeigt, sind die Ursachen für das veränderte Bundesstaatsverständnis vielfältig. Begründet durch die Stärkung des Regionalismus und des Föderalismus, durch den Europäischen Einigungsprozess, welcher Autonomie- und Konkurrenzbestrebungen selbst in Zentralstaaten wie Spanien und Frankreich befördert, Steuerungs- und Rationalitätsdefiziten, Fehlentwicklungen im kooperativen Föderalismus und veränderten ökonomischen Erwägungen, stellt sich die Frage, welche Relevanz diesen Beschreibungen des Bundesstaates zukommt. Besteht eine Alternität zwischen den Theorien, d. h. kann die Rechtsordnung nur dem einen oder dem anderen Modell folgen oder können beide Ansätze, in ihrer Bedeutung relativiert, in einer Mischform vereinigt werden? Die Bundesstaatstheorien haben im Kontext der Debatte um eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung primär rechtspolitische und heuristische Bedeutung. Rechtspolitisch treten Sie in Form von Leitbildern als Impulsgeber für Reformen in Erscheinung. Im Rahmen der Diskussion um eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung werden wie aufgezeigt insbesondere die Theorien des kooperativen und des kompetitiven Bundesstaates gegenübergestellt. Sie dienen somit als Ansatzpunkt für die Grundsatzdiskussion, ob das kooperativ ausgerichtete System der Finanz- und Haushaltsordnung von einem kompetitiven, d. h. wettbewerbsföderalistischen Bundsstaatsmodell abgelöst werden soll. Der heuristische Wert der Bundesstaatstheorien besteht in diesem Zusammenhang in der beschreibenden, analysierenden Erfassung von Funktionsveränderungen in der Verfassungswirklichkeit des Bundesstaates, der Verfolgung interdisziplinärer Ansätze wie z. B. der Finanzwissenschaft sowie der Bereitstellung von Modellentwürfen für eine Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung. 207 Im Ergebnis geht es daher im Rahmen der Finanz- und Haushaltsordnung nicht um einen strikten Wechsel von einem kooperativen hin zu einem kompetitiven Ansatz. Reformüberlegungen anhand eines solchen prinzipiellen Streites sind nicht weiterführend. 208 Vielmehr gilt es beide Ansätze im Sinne eines gemischten Bundesstaatsverständnisses zu kombinieren und „die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemein206 H. Bauer, Zustand und Perspektiven des deutschen Föderalismus aus Sicht der Wissenschaft, in: M. Kloepfer, Umweltföderalismus, S. 31 (50 ff.); A. Ottnad / E. Linnartz, Föderaler Wettbewerb statt Verteilungsstreit, S. 164 ff.; E. Schmidt-Jortzig, DÖV 1998, S. 746 ff. 207 Vgl. hierzu weiterführend H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (648 f.). 208 So auch H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (677 ff.); J. Hellermann, Vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus?, in: G. Dannemann / S. Luft, Die Zukunft der Stadtstaaten, S. 174 (190).
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1. Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland schaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite“. 209
Die Bedeutung der Bundesstaatstheorien für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung liegt daher nicht in der Ideologisierung durch eine Gegenüberstellung der verschiedenen Modelle, sondern in der Entwicklung und Begründung von verschiedenen Optionen, die bei einer Modernisierung der betreffenden Regelung zumindest zum Teil zusammengeführt werden können. Über eine solche Mischtheorie können daher in einem sinnvollen Maße Defizite aufgezeigt sowie wettbewerbsorientierte Regelungen vorgeschlagen werden, die in das zu verändernde System aufgenommen werden könnten, ohne dass hierfür ausschließlich eine monofunktionale Ausrichtung des Bundes auf Wettbewerb erforderlich wäre. 210 Insbesondere gilt es, eine aufgabengerechte Finanzausstattung der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften zu gewährleisten. In der Praxis wird die beschriebene Synthese aus kooperativen und kompetitiven Elementen in Teilbereichen schon durch die Verabschiedung der Föderalismusreform I sichtbar. Einige der zuvor beschriebenen Defizite wurden hierdurch abgemildert, jedoch nicht vollständig beseitigt. Beispielhaft soll hier auf das reformierte Instrument der Gemeinschaftsaufgaben gem. Art. 91a GG und Art. 91b GG verwiesen werden, welches als klassisches kooperatives Element der Verfassung im Anwendungsbereich zugunsten einer Stärkung der Länderautonomie und somit auch von mehr Wettbewerb eingeschränkt wurde. 211
E. Zwischenergebnis Im ersten Teil der Bearbeitung hat sich gezeigt, dass Föderalismus und Bundesstaatlichkeit integraler Bestandteil der deutschen Verfassungswirklichkeit sind. Bei der Abgrenzung der Begrifflichkeiten wurde deutlich, dass der Begriff des „Föderalismus“ trotz weitreichender Überschneidungen mit dem Begriff des „Bundesstaates“ sich auch von ihm unterscheidet. Im Unterschied zum Begriff des „Bundesstaates“ umfasst der Begriff des „Föderalismus“ den Zusammenschluss zu einem Staatenbund als Vorstufe zum Bundesstaat und ist somit wegen der nicht erforderlichen Verknüpfung mit Staaten insgesamt weiter zu verstehen. Betrachtet man die rechtshistorische Entwicklung des Föderalismus in Deutschland unter Vernachlässigung erster rudimentärer Ansätze zur Her209 BVerfGE 72, 330 (398); J. Hellermann, Vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus?, in: G. Dannemann / S. Luft, Die Zukunft der Stadtstaaten, S. 174 (190). 210 H. Bauer, Bundesstaatstheorien und Grundgesetz, in: A. Blankenagel / I. Pernice / H. Schulze-Fielitz, Verfassung im Diskurs, S. 645 (676); P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat – Entwicklungen und Perspektiven, AöR 124 (1999), S. 549 (556). 211 Vgl. zu den Gemeinschaftsaufgaben ausführlich Zweiter Teil Kap. B.I.1.b)bb)β).
E. Zwischenergebnis
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ausbildung der föderalen Strukturen im Mittelalter, dann fällt der Beginn der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland ungefähr mit dem Zusammenbrechen der mittelalterlichen Lehnsordnung und dem damit verbundenen Übergang vom Stammesprinzip zum Territorialprinzip durch den Westfälischen Frieden von 1648 zusammen. Der Föderalismus entwickelte sich seit der Mitte des 17. Jh. (über die Einführung der Bundesstaatlichkeit) – mit Ausnahme der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur – als fester Bestandteil des deutschen Staatswesens unter verschiedensten Regierungsformen weiter und gewinnt darüber hinaus zunehmend an Bedeutung im Europäischen Einigungsprozess. Ferner zeigte sich, dass der Bundesstaat an mehreren Stellen in der deutschen Verfassung abgesichert wird. Hierbei ist der Bundesstaat seit Erlass des Grundgesetzes fest in der bundesdeutschen Verfassung verankert. Das Bundesstaatsprinzip erfordert hierbei keine fest vorgegebene Form des Föderalismus, was eine gewisse Entwicklungsoffenheit impliziert. Diese Gestaltungsmöglichkeit findet ihre Grenzen in der Wesensgehaltsgarantie gem. Art. 79 Abs. 3 GG. Impulsgeber für Veränderungen des Föderalismuskonzeptes sind die Bundesstaatstheorien, welche somit von Bedeutung für eine Reform der bundesdeutschen Finanz- und Haushaltsordnung sind. Die Bundesstaatstheorien dienen dazu, die bundesstaatliche Ordnung in ihrer systematischen Gesamtheit, der normativen Zielrichtung und der inhaltlichen Ausgestaltung zu erklären, wobei es eine das föderative System in allen Einzelheiten erfassende Theorie aufgrund seiner ihm innewohnenden Dynamik bis heute nicht gibt und in Zukunft wahrscheinlich auch nicht geben wird. Im Zusammenhang mit der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung kommt den Bundesstaatstheorien vor allem eine rechtspolitische und heuristische Bedeutung zu. Im Prinzip geht es im Zusammenhang mit der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung nicht um einen strikten Wechsel von einem kooperativen hin zu einem kompetitiven Bundesstaatsmodell, sondern vielmehr darum, die Stärken beider Ansätze im Sinne eines gemischten Bundesstaatsverständnisses zu kombinieren. Nur über eine Kombination beider Ansätze lässt sich ein ausgewogenes Ergebnis zwischen der Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite erzielen. Bei Verfassungsreformen hat der Verfassungsgesetzgeber gem. Art. 79 Abs. 3 GG ausschließlich die in Art. 1 GG und 20 GG niedergelegten Grundsätze zu beachten.
Zweiter Teil
Finanzordnung und Reform Welche konkreten Reformen im Bereich der Finanzordnung bei der Finanzverteilung und Lastentragung sind nötig, um der eingangs aufgezeigten Krise der öffentlichen Haushalte in der Zukunft entgegentreten zu können? Antworten auf diese zentrale Frage soll der folgende Abschnitt geben. Hierzu werden zunächst die Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung dargestellt (A.). Im Folgenden wird das gegenwärtige System der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen vor dem Hintergrund der erfolgten Föderalismusreform I unter Einbeziehung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG erörtert (B.). Im Anschluss wird die Frage der Reformbedürftigkeit gestellt (C.) und mögliche Reformperspektiven für die Zukunft aufgezeigt (D.).
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung Die modernen Staaten sind Finanzstaaten. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Finanzmittel beschaffen, verwalten und verwenden. Eingangs soll die rechtliche Seite der öffentlichen Finanzwirtschaft 1 im Zusammenhang mit der Bedeutung und Entwicklung der bundesdeutschen Finanzordnung sowie deren Rechtsquellen betrachten werden.
I. Bundesstaatliche Bedeutung der Finanzordnung Welche Bedeutung kommt der Finanzordnung im Bundesstaat eigentlich zu? Schon Mitte des 17. Jh. wurde gemutmaßt, dass die öffentlichen Finanzen die „Nerven des Staates“ seien. 2 Nach der Verdrängung merkantiler Systeme kann der moderne Staat die Gewährleistung von Freiheit, Sicherheit und sozialen Ausgleich ohne Finanzmittel nicht mehr gewährleisten. Ausgehend hiervon stellt sich die Frage nach der Organisation des Finanzstaates. Die Finanzmittelbeschaffung 1 2
Vgl. Einführung Kap. C. J. Bodin, De Republica Libri sex, S. 997.
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung
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erfolgt derzeit vorwiegend über die Erhebung von Abgaben im weiteren Sinn, die erwerbswirtschaftliche Betätigung des Staates, die Aufnahme von Krediten und die Geldschöpfung. 3 Im Steuer- und Abgabenstaat der Gegenwart sind Staat und Wirtschaft grundsätzlich voneinander getrennt. Im Rahmen der vom Grundgesetz vorgegebenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung steuert sich die Wirtschaft in weiten Teilen selbst. Der Staat partizipiert mit Ausnahme eigener erwerbswirtschaftlicher Betätigung daher nur mittelbar über Steuern und Abgaben am Ertrag der Wirtschaftsproduktion. 4 In einem Bundesstaat kommt erschwerend hinzu, dass mit Bund und Ländern zwei unterschiedliche Ebenen mit eigener staatlicher Gewalt, d. h. auch mit eigener Finanzhoheit und Finanzmitteln, nebeneinander bestehen. 5 Unter Finanzhoheit versteht man die aus der allgemeinen Staatshoheit resultierende Befugnis der Gebietskörperschaft, das eigene Finanzrecht zu ordnen und zu gestalten, womit die föderative Finanzhoheit auch ein Wesenselement der Eigenstaatlichkeit der Länder ist. 6 Durch die autonome Haushaltsführung und die jeweils eigenen Finanzbefugnisse des Gesamtstaates und der Gliedstaaten lässt sich das finanzrelevante Handeln des Bundesstaates im Vergleich zum Einheitsstaat schwerer vorausberechnen. Eine zentrale Lenkung der öffentlichen Finanzwirtschaft ist daher kaum möglich. Auf der anderen Seite finanzieren sich sowohl der Bund als auch die Länder überwiegend aus Steuern. Da beide Ebenen überwiegend auf die gleiche Finanzquelle zur Finanzierung ihrer Aufgaben angewiesen sind, besteht die Notwendigkeit der genauen Abstimmung über die Verteilung der Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und Ertragskompetenzen zwischen Bund und Ländern. Die der Bundesstaatlichkeit inhärente Aufteilung der Finanzhoheit zwischen diesen beiden Ebenen prägt somit die bestehende bundesrepublikanische Finanzordnung. Sie ist Ergebnis einer Abwägung, bei der Unstimmigkeiten dezentraler Lenkung für den Zugewinn an politischen und finanzwirtschaftlichen Vorteilen z. B. in Form von Reibungsverlusten durch komplizierte und kostenintensive Systeme der Steuervereinnahmung und -verteilung in Kauf genommen werden. Neben der Erschließung und Verteilung von Finanzmitteln zwischen Bund und Ländern kommt der Finanzordnung eine weitere elementare staatsorganisationsrechtliche Funktion zu. Als Kernstück der bundesstaatlichen Ordnung ist sie Garant für das Gleichgewicht der Kräfte im Bundesstaat. 7 Sie verhindert durch 3
Unter den weiten Abgabenbegriff fallen u. a. Steuern, Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben; vgl. zu den einzelnen Einnahmearten des Staates und den Verwendungsbedingungen den umfassenden Überblick bei L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 376 ff. 4 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 24. 5 BVerfGE 1, 14 (34); I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 35; H. Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 43. 6 H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 12. 7 C. Waldhoff, HdbStR V, § 116 Rn. 57.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
ausdifferenzierte Regelungen in der Verfassung und die daran anknüpfenden einfachgesetzlichen Normierungen, dass einzelnen Beteiligten eine besondere, unangemessene Vormachtstellung zukommen kann. Hegemonialen Bestrebungen durch Zentralisierung oder Partikularisierung wird somit über die Regulierung der öffentlichen Finanzen von vornherein entgegengetreten.
II. Rechtsgeschichtliche Entwicklung der bundesstaatlichen Finanzordnung Die Grundstruktur der Finanzordnung besteht seit der großen Finanzreform aus dem Jahre 1969. Sie ist von ihrer Konzeption zwischen der streng föderalistischen Finanzordnung des Kaiserreichs und der zentralistischen Finanzverfassung der Weimarer Reichsverfassung einzuordnen. Die Finanzordnung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wird größten Teils nicht in die Betrachtung mit einbezogen, da sie als Einheitsstaat keine komplexe Finanzordnung vorsah. 8 Im Folgenden wird in groben Zügen die Entwicklung der bundesstaatlichen Finanzordnung dargestellt. 1. Erlass des Grundgesetzes (1949) Die Besatzungsmächte sahen sich während der Beratungen des Parlamentarischen Rates insbesondere bei den Beratungen über die zukünftige Finanzverfassung zu Interventionen gezwungen. Die Vorstellung der Alliierten wich bzgl. einiger Bestimmungen noch bis kurz vor Erlass des Grundgesetzes, von denen der parlamentarischen Reformkommission ab. Dies führte zu einem sehr unübersichtlichen Kompromiss, der in bedeutenden Teilen nur vorläufigen Charakter hatte. 9 Die Steuergesetzgebungskompetenzen waren ähnlich der heutigen Regelung zentralistisch konzipiert. 10 Nach Art. 105 GG (a.F.) hatte der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für Zölle und Finanzmonopole. Für die Verbrauchs- und Verkehrssteuern, mit Ausnahme der Steuern mit örtlichem Wirkungskreis, hatte der Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Die 8
In der Verfassung von 1949 wurde in Art. 113 lediglich festgelegt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Ländern, Kreisen und Gemeinden gewährleistet wird, vgl. Verfassung der DDR von 1949 abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 314. In der Verfassung von 1974 wurde in Art. 9 Abs. 4 festgelegt, dass die Festlegung des Währungs- und Finanzsystems Sache des sozialistischen Staates ist, vgl. Verfassung der DDR von 1974 abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 329. 9 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 86. 10 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 32.
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung
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Verteilung der Steuerbeiträge auf Bund und Länder sollte zunächst über drei „Töpfe“ realisiert werden. Der ertragsreichste Topf aus Einkommens- und Umsatzsteuer sollte über ein flexibles Verbundsystem auf Bund und Länder aufgeteilt werden. 11 Auf Einwand der Alliierten setzte sich dann ein klares Trennsystem durch, wonach die Steuererträge dem Bund oder den Ländern zugeteilt wurden. Der Bund erhielt den größten Teil seiner Erträge durch die Umsatzsteuer und die Verbrauchssteuern mit Ausnahme der Biersteuer, Zölle und Finanzmonopole. Die Länder bekamen die Erträge der übrigen Steuern, zu denen auch die Einnahmen aus der Einkommens- und Körperschaftssteuer zählten. Der Bund konnte aber durch Gesetz und mit Zustimmung des Bundesrates nach Art. 106 Abs. 3 GG (a.F.) Anteile, der damals eigentlich den Ländern zustehenden Erträge aus Einkommens- und Körperschaftssteuer zur Deckung seiner, durch eigene Einkünfte nicht gedeckten Ausgaben in Anspruch nehmen. Ein weiterer Streitpunkt war die Organisation der Finanzverwaltung. Der Vorschlag, die Steuerverwaltung einheitlich dem Bund zu überlassen und den Ländern die Möglichkeit zu erhalten, Zuschläge auf bestimmte Steuern zu erheben, wurde verworfen. 12 Stattdessen wurde nach dem Veto der Alliierten die Vereinnahmung der Steuern dezentralisiert. Sie erfolgte fortan gem. Art. 108 GG durch die Bundes- bzw. Landesfinanzbehörden. 13 Nach dem bei der Einkommensund Körperschaftssteuer noch heute gültigen Prinzip des örtlichen Aufkommens gehörte den Ländern zunächst das in ihrem Hoheitsgebiet vereinnahmte Steueraufkommen, welches dann über eine Steuerzerlegung zugeteilt wurde. Da die Ansichten des Parlamentarischen Rates hinsichtlich der Ertragskompetenzenverteilung mit denen der Alliierten divergierten, sollten die betreffenden Regelungen nur vorläufig gelten. Im Jahr 1955 kam es zu einer Reform der betreffenden Regelungen. Ferner wurde bereits im Jahr 1951 ein erstes Finanzausgleichsgesetz erlassen. 14 2. Erste Finanzreform (1955) Mit dem Finanzverfassungsgesetz 15 vom 23. Dezember 1955 kam es zu einer Neugestaltung der Ertragsverteilungsregeln in Art. 106 und 107 GG. Kern der Reform war die verfassungsrechtlich verankerte Aufteilung der Einkommens11
J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (422). M. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948 – 1949, S. 134 ff.; J. Ziekow, JuS 1999, S. 417 (422). 13 C. Blankart, Föderalismus in Deutschland und in Europa, S. 134. 14 Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern v. 16. März 1951, BGBl. 1951 I, S. 198 ff. 15 Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) v. 23. Dezember 1955, BGBl. 1955 I, S. 817 f. 12
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
und Körperschafssteuer gem. Art. 106 Abs. 3 GG (a.F.) auf Bund und Länder. 16 Nach drei Übergangsjahren erhielt der Bund ab dem Jahr 1958 35 % und die Länder 65 % der Steuern. 17 Ähnlich wie heute bei der Umsatzsteuer, sah das Grundgesetz in Art. 106 Abs. 4 (a.F.) ein flexibles Element für die Verteilung der Einkommens- und Körperschaftssteuererträge vor. Die dort verankerte Revisionsklausel ermöglichte alle zwei Jahre eine Anpassung der Beteilungsverhältnisse am Ertragsaufkommen. 18 Ferner wurden zwei noch in der heutigen Finanzverfassung zentrale Elemente des Finanzausgleichs normiert. Der Länderfinanzausgleich wurde in Art. 107 Abs. 2 GG als ein Umverteilungsinstrument zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern durch Bundesgesetz verpflichtend eingeführt. Dem Bund wurde zudem die Möglichkeit der Leistung von Bundesergänzungszuweisungen an einzelne Länder eingeräumt. 3. Zweite umfassende Finanzreform (1969) Anfang der 60er Jahre wurde deutlich, dass die bis dahin geltenden finanzverfassungsrechtlichen Regelungen unzureichend waren. Entgegen den damals geltenden Regelungen entwickelte sich aufgrund der sich abzeichnenden Überforderung der Länder eine in der damaligen Finanzordnung nicht vorgesehene Ausweitung der Mischfinanzierung. Diese war teilweise bedingt durch die unterschiedliche Konjunkturabhängigkeit der Steuern und die gemeindliche Unterfinanzierung. Anstatt die zunehmende Mischfinanzierung zu stoppen und wieder zurückzuführen, entschied man sich dem Verbunds- und Kooperationsprinzip in der Finanzordnung stärkere Geltung zu verschaffen. 19 Die sich in der Praxis herausgebildeten Strukturen des föderalen Zusammenwirkens zwischen Bund, Ländern und Kommunen sollten institutionalisiert und somit in geordnete Bahnen gelenkt werden. Hierzu wurde im März 1964 eine „Kommission für die Finanzreform“ (Troeger-Kommission) eingesetzt. Sie legte unter den gemachten Zielvorgaben im Februar 1966 ihr „Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland“ 20 vor. Das Gutachten enthielt eine umfassende Analyse der Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern sowie der sog. „Fondwirt16
H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 87. H. Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 179 f. 18 Hierzu wurden drei Kriterien in der Verfassung für eine Revision festgelegt: (1) Bund und Länder sollen gesondert die Ausgaben tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. (2) Beide haben einen gleichmäßigen Anspruch auf Deckung ihrer Ausgaben. (3) Beide Bedürfnisse sind so aufeinander abzustimmen, dass ein Ausgleich erzielt, die Steuerpflichtigen nicht überbelastet werden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse gewahrt bleibt, vgl. Darstellung bei H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 87. 19 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 33. 20 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 1 ff. 17
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schaft“, auf deren Grundlage umfassende, vom Kooperationsgedanken geleitete Änderungen des Grundgesetzes vorgeschlagen wurden. Auf Grundlage des Gutachtens der Kommission für die Finanzreform kam es am 12. Mai 1969 zur Verabschiedung der großen Finanzreform, welche zur bisher bedeutendsten Veränderung der Finanzordnung führte. 21 Durch sie bekam die Finanzverfassung ihre noch heute in weiten Teilen gültige Gestalt. 22 Die Art. 105 bis 108 GG wurden neu gefasst und die Lastenverteilungsregelung des Art. 104a GG eingefügt. In Folge der Umgestaltung manifestierte sich ein Mischsystem bestehend aus Elementen des Trenn- und des Verbundsystems. Der Verbund der Einkommens- und Körperschaftssteuer wurde um die Umsatzsteuer erweitert. Ferner wurde der Finanzausgleich überarbeitet. Neben den finanzverfassungsrechtlichen Regelungen wurden die Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a und 91b GG verankert. Einfachgesetzlich wurde ein Teil der verfassungsrechtlichen Regelungen im Finanzausgleichsgesetz 23 und in dem im Dezember 1970 geänderten Zerlegungsgesetz 24 präzisiert. Insbesondere die in der großen Finanzreform erfolgte Einführung kooperativer Elemente in den Finanzausgleich führte dazu, dass die Einnahmen und Ausgaben eines durchschnittlichen Bundeslandes zum größten Teil durch Bundesrecht bestimmt werden, womit die Kreditaufnahme zum bestimmenden, autonom gestaltbaren Einnahmeposten der Länder wurde. 25 In den folgenden Jahrzehnten kam es zu keinen größeren Veränderungen der Finanzordnung. Der 1976 gemachte Vorschlag der Enquête-Kommission zur Verfassungsreform, insbesondere Änderungen im Bereich der Finanzierungskompetenzen bei Geldleistungsgesetzen vorzunehmen, wurde bisher nicht umgesetzt. 26 4. Übergangsregelungen durch die Deutsche Wiedervereinigung Auch die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, welche anlässlich der Wiedervereinigung eingesetzt wurde, führte nur mittelbar 21 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) v. 12. Mai 1969, BGBl. 1969 I, S. 359 ff. 22 Es erfolgten seit dem nur geringfügige Veränderungen wie z. B. die Ergänzung durch Art. 104b; Art. 106 Abs. 3, 4, 5a, 6; Art. 106a GG. 23 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern v. 28. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1432 ff. 24 Gesetz zur Änderung des Zerlegungsgesetzes v. 17. Dezember 1970, BGBl. 1970 I, S. 1727 ff. 25 C. Blankart, Föderalismus in Deutschland und in Europa, S. 140. 26 Abschlussbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drs. VII/5924, Kap. 12.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
zu Umgestaltungen der Finanzordnung, da die Finanzverfassung im Vorhinein ausdrücklich aus den Beratungen ausgeschlossen wurde. 27 Anstatt Veränderungen im Grundgesetz vorzunehmen, wurde die Geltung der Finanzverfassung nach Art. 7 Abs. 1 des Einigungsvertrages auf das Beitrittsgebiet ausgeweitet, wobei die folgenden Absätze des Art. 7 befristete Ausnahmen für die Steuerverteilung von Bund und Ländern und für den Finanzausgleich vorsahen. 28 Nachdem für einen bestimmten Übergangszeitraum ein Finanzausgleich nur getrennt unter den west- bzw. ostdeutschen Bundesländern erfolgte, fand ein gesamtdeutscher Länderfinanzausgleich erst ab dem Jahr 1995 statt. 29 Zur Finanzierung der vereinigungsbedingten Kosten wurde der Fonds „Deutsche Einheit“ errichtet. 30 Er wurde im Verlauf des Einigungsprozesses durch mehrere Gesetzesänderungen zu einem zentralen Finanzierungsinstrument der ostdeutschen Länder entwickelt und war somit eine Kompensation für den übergangsweise ausgesetzten gesamtdeutschen Finanzausgleich. 31 Hinsichtlich der Umsatzsteuerverteilung einigte man sich darauf, den Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG zum Schutz der alten Bundesländer auszusetzen, da sonst schlagartig die Ergänzungsanteile im Ganzen an die beigetretenen Länder geflossen wären. 32 Zum 1. Januar 1995 wurde die zwischenzeitig gefundene Übergangsregelung, welche die Aufteilung des Länderanteils der Umsatzsteuer in einen West- und einen Ostteil vorsah, wieder aufgehoben. Dies hatte zur Folge, dass es zu einer enormen Mittelumverteilung zu Gunsten der neuen Länder kam. Diese Umverteilung hat heute noch Bestand. Insgesamt lässt sich in der Rückschau festhalten, dass die Wiedervereinigung im Normengefüge der Finanzverfassung zu keinen tiefergreifenden Veränderungen geführt hat. Nachdem die Übergangsbestimmungen des Einheitsvertrages ausgelaufen waren, erfolgte die gesonderte Unterstützung der ostdeutschen Länder über einfachgesetzliche Regelungen. 33 Zu Veränderungen kam es erst wieder im Zusammenhang mit dem Urteil des BVerfG zu der von Baden-Württemberg, Bayern und Hessen initiierten abstrakten Normenkontrolle im November 27 Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 114 f.; vgl. Art. 5 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) v. 31. August 1990, BGBl. 1990 II, S. 889 (891). 28 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 37. 29 Eine Ausnahme bestand für das Land Berlin, welches bis auf weiteres nicht am Länderfinanzausgleich teilnahm. 30 Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 25. Juni 1990, BGBl. 1990 II, S. 518 (533). 31 H. Bauer, in: HdbStR I, § 14 Rn. 21; B.-H. Moon, Reform des Finanzausgleichs, S. 35. 32 Vgl. zu den Ergänzungsanteilen Zweiter Teil Kap. B.II.2.b)bb)ε). 33 Vgl. FAG 2001; MaßstG; Gesetz über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit“.
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1999. 34 Das Gericht machte dem Bundesgesetzgeber die Vorgabe, Maßstäbe für die Regelung des bundesstaatlichen Finanzausgleiches festzulegen. In Reaktion auf das Urteil verabschiedeten der Bundestag und Bundesrat im Juli 2001 das Maßstäbegesetz, welches die Grundlage für die darauf folgende Neuregelung des Finanzausgleichsgesetzes durch das Solidarpaktfortführungsgesetz bildete. 35 5. Föderalismusreform I (2006) Die bisher letzte bedeutende Änderung der Finanzverfassung erfolgte Ende 2006 im Zuge der Föderalismusreform I. 36 Die Änderungen im Bereich der Finanzverfassung orientierten sich an den Zielen der Entflechtung, Verantwortungsklarheit und Handlungsautonomie. Sie sind hierbei auf die Regelung einiger wesentlicher Teilaspekte beschränkt worden. 37 Ein wichtiges Ergebnis der Reform war der weitgehende Abbau und die Modifizierung der Mischfinanzierungstatbestände. 38 Das Finanzierungsinstrument der Mischfinanzierung dient dem gesamtstaatlichen Interesse, bestimmte Bereiche stärker und gleichmäßiger zu fördern als dies im Hinblick auf die jeweils unterschiedliche Problembelastung, die finanzielle Leistungsfähigkeit und die landespolitischen Prioritäten der Länder möglich ist. Ein genereller Verzicht auf das planerische und finanzielle Zusammenwirken von Bund und Ländern durch einen vollständigen Abbau von Mischfinanzierungen, kam aufgrund fehlender umsetzbarer Finanzierungsalternativen nicht in Betracht. Als Kompensation für die wegfallenden Bundeszahlungen stehen den Ländern gem. Art. 143c GG von 2007 bis 2019 für die beendeten Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen jährlich ergänzende Mittel aus dem Bundeshaushalt zu. Weiterhin ist es auf Grundlage des geltenden Verfassungsrechts im Rahmen der Reform auch zu einigen bedeutsamen einfachgesetzlichen Maßnahmen der Effizienzverbesserung der Steuerverwaltung gekommen. Nach Art. 108 Abs. 3 GG ist für alle von den Ländern verwalteten Steuern, die dem Bund ganz oder teilweise zufließen, die Bundesauftragsverwaltung vorgesehen. Der von der Bundesregierung ursprünglich im Rahmen der Reformverhandlungen gemachte Vorschlag, eine Bundessteuerverwaltung für die Gemeinschaftssteuern einzuführen und einhergehend die Verwaltungskompetenz für Einkommens-, Körperschafts34
BVerfGE 101, 158 ff.; hierzu ausführlich Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)dd). Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 (3956 ff.). 36 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28. August 2006, BGBl. 2006 I, S. 2034 ff. 37 Kritisch hierzu C. Waldhoff, DV 39 (2006), S. 155 (166). 38 H.-J. Papier, NJW 2007, S. 2145 (2148); vgl. Zweiter Teil Kap. B.I.b)bb). 35
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
und Umsatzsteuer auf den Bund zu übertragen, scheiterte an den gegenläufigen Länderinteressen. Stattdessen wurde über einfachgesetzliche Regelungen die Grundlage für die Einführung eines bundesweiten Verwaltungscontrollings und den Einsatz bundeseinheitlicher Informationstechnologie im Steuerbereich geschaffen. Abschließend wurde die Steuerautonomie der Länder gestärkt. Durch die Einfügung eines neuen S. 2 in Art. 105 Abs. 2a GG wurde die Steuergesetzgebungskompetenz der Länder um die Befugnis zur Bestimmung der Steuersätze bei der Grunderwerbsteuer ergänzt. 39 Die Begrenzung der Föderalismusreform I auf die Erneuerung einzelner Teilaspekte der Finanzordnung erfolgte somit durch die vorgegebene Zielsetzung der Entflechtung und klaren Verantwortungszuweisung. Aus finanzverfassungsrechtlicher Perspektive verwundert es daher nicht, dass gerade die Mischfinanzierungstatbestände, als Ausdruck des kooperativen Föderalismus, Gegenstand von Neureglungen wurden. 40 Die Chancen den gerade erst bis zum Jahr 2019 beschlossenen Länder-Finanzausgleich erneut zum Gegenstand weiterer Reformbemühungen zu machen, wurden schon zu Beginn der Reformbemühungen als gering eingeschätzt. 41 Er wurde daher frühzeitig aus dem Reformvorhaben ausgeklammert. Im Zuge der im Jahr 2009 beschlossenen Föderalismusreform II kam es nur zu geringfügigen Veränderungen der Finanzordnung. 42
III. Reformrelevante Rechtsquellen der Finanzordnung Die einzelnen Regelungen der bundesdeutschen Finanzordnung finden sich in ganz unterschiedlichen Rechtsquellen wieder. Für zukünftige Reformen soll hier ein Überblick über die bedeutsamsten Rechtsquellen gegeben werden. 1. Grundgesetz In der Finanzordnung nehmen die grundgesetzlichen Regeln eine übergeordnete Position ein, in deren Zentrum die Finanzverfassung steht. 39
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28. August 2006, BGBl. 2006 I, S. 2034 (2037). 40 Vgl. zu den Mischfinanzierungstatbeständen ausführlich Zweiter Teil Kap. B.I.1.b) bb). 41 V. Kröning, RuP 2006, S. 9 (13). 42 Vgl. Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, KOM 174, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen, S. 109 f.
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a) Finanzverfassung Die bundesstaatliche Finanzordnung wird maßgeblich durch die Finanzverfassung in Art. 104a – Art. 108 GG geprägt. Dieser Teil des X. Abschnitt des Grundgesetzes zeichnet sich dadurch aus, dass er neben der sich anschließenden Haushaltsverfassung der einzige Abschnitt der Verfassung ist, der ausschließlich einem bestimmten staatlichen Handeln gewidmet ist und nicht vorzugsweise an das Organ oder an die Funktion anknüpft. 43 Diese systematische Durchbrechung beruht auf der staatspolitischen Bedeutung des Finanzwesens und seiner Besonderheit im Vergleich zu den anderen staatlichen Aufgaben und Befugnissen. 44 aa) Funktion der Finanzverfassung Die Finanzverfassung ist ein Kernelement der im Grundgesetz verankerten bundesstaatlichen Ordnung. 45 Die ihr zugehörigen Normen „sollen insgesamt eine Ordnung herstellen, die Bund und Länder am Finanzaufkommen sachgerecht beteiligt und finanziell in die Lage versetzt, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch wahrzunehmen“ 46.
Die Finanzverfassung bildet somit den Rahmen für die gesamte Finanzordnung. 47 Sie hat eine vergleichsweise hohe Regelungsdichte, welche den Findungsprozess des Finanzausgleichs inhaltlich entlasten und zum Teil begrenzen soll. 48 Indem die Finanzverfassung den Bund und die Länder zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs auf Steuern als primäre Einnahmequelle verweist und andere Abgaben nur ausnahmsweise, unter strengen Voraussetzungen zulässt, kommt ihr eine grundrechtesichernde Funktion zu. 49 Laut BVerfG lässt die Finanzverfassung als Rahmenordnung keine Analogien zu. 50 Aufgrund der vielen unbestimmten Rechtsbegriffe im Finanzausgleichsystem des Grundgesetzes hat das Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe für diesen Ausgleich festzulegen. 51 Der Vorrang der Verfassung gilt 43
K. Stern, Staatsrecht II, S. 1049. H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 38. 45 BVerfGE 55, 274 (300); 72, 330 (388); 108, 186 (214); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1054. 46 BVerfGE 86, 148 (264). 47 BVerfGE 39, 96 (114 f.); 67, 256 (288 f.); 72, 330 (390); J. Wieland, Jura 1988, S. 410 (418). 48 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 21. 49 BVerfGE 274 (300 f.); 67, 256 (286 ff.); 91, 186 (201); 93, 319 (342 f.); H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 59. 50 BVerfGE 67, 256 (288 f.). 51 BVerfGE 101, 158; hierzu ausführlicher Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)dd). 44
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
auch für die Finanzordnung, womit die verfassungsrechtlichen Regelungen nicht zur freien Disposition der Beteiligten stehen. Die Finanzverfassung ist klassisches Staatsorganisationsrecht und entfaltet eine Begrenzungs- und Schutzfunktion gegenüber dem Bürger. 52 Von ihrem Charakter her wird sie treffend als Folgeverfassung bezeichnet. 53 Als Folgeverfassung knüpft die Finanzverfassung konkretisierend für den Bereich der öffentlichen Finanzen an die allgemeinen Regeln der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern an, ohne die Aufteilung grundlegend zu ändern. Das bedeutet nicht, dass ihr als Folgeverfassung eine geringere normative Bedeutung zukommt; aus dem Charakter der Finanzverfassung als Folgverfassung resultiert ein Gebot der Rechtsverbindlichkeit und strikter Anwendung der finanzverfassungsrechtlichen Regelungen. 54 bb) Inhalt der Finanzverfassung Die Art. 104a – 108 GG normieren die Aufteilung der Ausgaben-, Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen im öffentlichen Finanzrecht. α) Staatliche Ausgabenkompetenzen Die in Art. 104a und 104b GG normierten Zuweisungen der Ausgabenkompetenzen verfolgen den Zweck, die Verantwortung für die mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben verbundenen Kosten festzulegen. 55 Grundsätzlich haben der Bund und die Länder die Ausgaben für die Wahrnehmung ihrer Aufgaben gesondert zu tragen. 56 Ein unmittelbares Einwirken des Bundes in den Kompetenzbereich der Länder ist daher grundsätzlich untersagt. Ausnahmen von diesem Grundsatz befinden sich u. a. in Art. 91a, 91b und Art. 104b GG. Die Regelung des Art. 104a GG ist somit – als finanzverfassungsrechtliches Komplementär zu Art. 109 Abs. 1 GG – Ausdruck der haushaltswirtschaftlichen Unabhängigkeit von Bund und Ländern.
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M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 26. M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 28; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 4. 54 S. Korioth, DVBl. 1993, S. 356 (360); P. Selmer, Finanzordnung und Grundgesetz, AöR 101 (1976), S. 238 (240). 55 Vgl. zu den staatlichen Ausgabenregelungen Zweiter Teil Kap. B.I.1. 56 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 6, W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 10; G. F. Schuppert, in: D. Umbach / T. Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. II, Art. 104a Rn. 11. 53
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung
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β) Staatliche Einnahmekompetenzen Die staatlichen Einnahmekompetenzen sind in der Finanzverfassung ausführlich geregelt. Dies erklärt sich aus der im Grundgesetz in Art. 105 – 108, Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 getroffenen Grundsatzentscheidung, dass der Staat sich überwiegend über eine Abschöpfung des Erfolgs privaten Wirtschaftens in Form von Steuern finanziert und somit massiv in die Grundfreiheiten seiner Bürger eingreift. 57 (1) Gesetzgebungskompetenzen In Art. 105 GG sind die Steuergesetzgebungskompetenzen geregelt. 58 Nichtsteuerliche Abgaben werden hingegen nach Maßgabe der Art. 70 ff. GG erhoben. 59 Steuern sind mit Abstand die bedeutendste Einnahmequelle des Staates. Der Aufkommensanteil von Gebühren, Beiträgen und gegenleistungsfreien, aber gruppenbezogenen Sonderabgaben 60 am Gesamtaufkommen der öffentlichen Finanzmittel ist dagegen eher gering. 61 Zur Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder legt die Finanzverfassung fest, wer die Entscheidungsbefugnis über die Erhebung (Objektkompetenz) und Ausgestaltung (Gestaltungskompetenz) der Steuern hat. Die Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Steuern führt aber nicht notwendigerweise zur Erschließung eigener Finanzmittel, da die Verteilung des Aufkommens über die Ertragskompetenzen geregelt wird. (2) Verwaltungskompetenzen Die Steuerverwaltungskompetenzen umfassen das Recht zum Vollzug der Steuer- und Abgabengesetze. 62 Die in Art. 108 GG festgelegte Regelung ist lex specialis zur allgemeinen Regelung der Verwaltungskompetenzen in Art. 30, 83 ff. GG. 63 Mit Ausnahme der Kirchensteuer 64 ist die Verteilung der Verwaltungskompetenzen in Art. 108 GG für Steuern, Zölle und Finanzmonopole ab57 BVerfGE 78, 249 (266 f.); K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (120); M. Wienbracke, StuW 2005, S. 81 ff. 58 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.1. 59 M. Jachmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 105 Rn. 24. 60 Vgl. ausführlich zu der Problematik der Sonderlasten BVerfGE 110, 370; T. v. Danwitz, NVwZ 2000, S. 615 (619 ff.); S. Mückl, DÖV 2006, S. 797 (800 ff.); W. Richter, Zur Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben, S. 75 ff.; U. Sacksofsky, Umweltschutz durch nicht-steuerliche Abgaben, S. 55 ff.; W. Schmidt, NVwZ 1991, S. 36 ff. 61 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 47. 62 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (120). 63 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 806.
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schließend geregelt. Die Verwaltungszuständigkeit des Bundes ergibt sich aus Art. 108 Abs. 1 GG. Die Verwaltungskompetenz für die „übrigen“ Steuern liegt gem. Art. 108 Abs. 2 GG bei den Landesfinanzbehörden, wobei es unerheblich ist, ob sie aufgrund bundes- oder landesrechtlicher Normen erhoben werden. Über Art. 108 Abs. 2 S. 2 und 3, Abs. 3 und Abs. 5 GG hat der Bund jedoch die Möglichkeit, in verschiedener Form auf die Landesfinanzbehörden einzuwirken. Der Regelung der Verwaltungskompetenzen wird inzwischen, insbesondere aus Gründen der Steuergerechtigkeit, erhebliche Bedeutung zugemessen. 65 Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass über ihre Ausgestaltung unmittelbar eine gleichmäßige Besteuerung im gesamten Bundesgebiet gewährleistet und somit bei konsequenter Anwendung der Regelungen, Wettbewerbsverzerrungen und Verzerrungen bei der Steuerverteilung sowie beim Finanzausgleich begegnet werden kann. 66 Es wird deutlich, dass das reale Aufkommen einer Steuer zudem von der Frage abhängt, welcher öffentliche Verband sie in welcher Art und Weise verwaltet. 67 Die Verwaltungskompetenz ist daher auch Ausdruck der Eigenständigkeit der Gliedstaaten im Bundesstaat. Seine nähere Ausgestaltung erfährt Art. 108 GG durch das Finanzverwaltungsgesetz 68. (3) Ertragskompetenzen Die Ertragskompetenzen sind in den Art. 106 und 107 GG geregelt. Sie regeln die staatsorganisationsrechtliche Befugnis von Bund, Ländern und Gemeinden, selbst vereinnahmte Steuern behalten zu dürfen bzw. von anderen Hoheitsträgern eingezogene Steuern überwiesen zu bekommen. 69 Die Ertragskompetenzen schließen somit unmittelbar an die Verwaltungskompetenzen, d. h. an die Befugnis zur Einziehung der Steuern an. Ziel der dort vorgenommen Verteilung des Steueraufkommens ist insbesondere die Versorgung von Bund und Ländern mit einer, gemessen an ihrer Ausgabenbelastung, angemessenen Finanzausstattung. 70 Die Ertragskompetenzen umfassen alle Fragen des Finanzausgleichs. 71 Das Finanzausgleichsystem der Art. 106 und 107 GG regelt somit die Verteilung 64 Für die Kirchensteuer gibt es in Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 6 und Abs. 8 WRV eine Sonderregelung. 65 V. Schlette, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 108 Rn. 2; R. Seer, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 108 Rn. 1; a. A. wohl I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 49. 66 A. Dittmann, Gleichheitssatz und Gesetzesvollzug in Deutschland, in: H. Maurer, FS für G. Dürig, S. 221 (227 ff.); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 108 Rn. 3. 67 V. Schlette, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 108 Rn. 2. 68 Neufassung des Finanzverwaltungsgesetzes v. 4. April 2006, BGBl. 2006 I, S. 846 f. u. 1202. 69 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (121). 70 BVerfGE 72, 330 (383); D. Birk, Steuerrecht, Rn. 127.
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung
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der insgesamt zur Verfügung stehenden öffentlichen Finanzmittel auf die in einem Staat vorhandenen Gebietskörperschaften. 72 Die Kommunen werden, da das Grundgesetz von einem zweistufigen Staatsaufbau (Bund / Länder) und nicht von einem dreistufigen Verwaltungsaufbau (Bund / Länder / Kommunen) ausgeht, in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht als Teile der Länder betrachtet. Die Aufgabenverteilung ist nach h.M. nicht Regelungsgegenstand des Finanzausgleichs, sondern diesem als Bestimmungsgröße vorgeschaltet. 73 Das Grundgesetz regelt „die Verteilung des Finanzaufkommens in verschiedenen, aufeinander aufbauenden und aufeinander bezogenen Stufen, wobei jeder Stufe bestimmte Verteilungs- und Ausgleichsziele zugeordnet sind“ 74.
b) Andere verfassungsrechtliche Regelungen Außerhalb des X. Abschnittes des Grundgesetzes finden sich mit den Gemeinschaftsaufgaben gem. Art. 91a, 91b GG, den Kriegsfolgenlastenregelungen gem. Art. 120, Art. 120a GG als spezielle Regelungen der Lastenverteilung und den hier aufgrund ihrer geringen Bedeutung nicht weitergehend zu behandelnden Sonderbestimmungen über die Geld- und Währungsordnung gem. Art. 73 Abs. 1 Ziff. 4, 88 GG sowie den Bestimmungen über das ehemalige Reichs- und Ländervermögen gem. Art. 134, 135 GG, weitere Regelungen der Finanzordnung wieder. Sie bilden zusammen mit Art. 104a ff. GG in ihrer Funktion als finanzielles Grundgerüst ein Kernstück der bundesstaatlichen Ordnung. 75 2. Einfachgesetzliche Regelungen Die Vorgaben durch das Grundgesetz, insbesondere in Bezug auf die Finanzverfassung, werden in verschiedenen einfachgesetzlichen Regelungen ausgestaltet und präzisiert. Die wichtigsten Gesetze sind hierbei das Maßstäbegesetz, das Finanzausgleichsgesetz, das Zerlegungsgesetz sowie die hier nicht eingehender zu betrachtenden Gesetze zu den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG und den Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104b GG. Darüber hinaus kommt insbesondere der Rechtsprechung des BVerfG eine besondere Bedeutung bei der Präzisierung und Weiterentwicklung des Systems der Finanzverfassung zu. 76 71 Eine ausführliche Darstellung des Finanzausgleichsystems folgt im Zweiten Teil Kap. B.II.2. 72 S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 409; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1149. 73 K. Stern, Staatsrecht II, S. 1128 f.; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 687. 74 BVerfGE 72, 330 (383). 75 K. Stern, Staatsrecht II, S. 1054. 76 Vgl. BVerfGE 1, 97 ff.; 39, 96 ff.; 72, 330 ff.; 86, 148 ff.; 101, 158 ff.; 116, 327 ff.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Durch das im Dezember 2001 verkündete Solidarpaktfortführungsgesetz 77 wurden einige, für eine Reform der Finanzordnung wichtige Gesetze überarbeitet. a) Solidarpakt Die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland stellt Bund und Länder vor große finanzielle Herausforderungen. Die Finanzierung der deutschen Einheit wurde erstmals umfassend 1993 bei den Gesprächen zum Föderalen Konsolidierungsprogramm erörtert. 78 Das Ergebnis der Beratungen zwischen Bund und den Gliedstaaten war die Verabschiedung des Solidarpaktes I 79. Das Gesetzeswerk sah eine Änderung zahlreicher Einzelgesetze vor. Die Wiedervereinigung sollte ab 1995 insbesondere über drei neu geregelte Instrumente finanziert werden. Hierzu gehörte vor allem (a) die Integration der neuen Länder und des geeinten Berlins in das System der Umsatzsteuerverteilung, wodurch die Finanzkraftunterschiede zwischen den Ländern erheblich reduziert werden sollten. Ferner wurden (b) Berlin und die neuen Länder auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs voll in den Länderfinanzausgleich einbezogen. Schließlich sah die Vereinbarung (c) vertikale Transferleistungen des Bundes in Höhe von ca. 7,2 Mrd. € in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen vor und ca. 3,4 Mrd. € Finanzhilfen für Investitionen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft sowie zur Förderung des Wachstums der neuen Länder und Berlins. 80 Die ostdeutschen Bundesländer blieben aber auch nach ihrer Integration in den Finanzausgleich und der gesonderten Förderung durch den Bund unterfinanziert. Die schwache Wirtschaftskraft und ausbleibende Steuereinnahmen erforderten daher eine über das Jahr 2004 hinausgehende finanzielle Unterstützung Berlins und der ostdeutschen Länder. 81 Vor diesem Hintergrund verständigten sich der Bund und die Länder im Juni 2001 auf die Fortführung des Ende 2004 auslaufenden Solidarpaktes I. Dieser Solidarpakt II beinhaltete neben weiteren 77 Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 ff. 78 A. Fugmann-Heesing, Finanzen – Wirtschaft – Föderalismus, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 111 (114); B.-H. Moon, Reform des Finanzausgleichs, S. 58 f. 79 Gesetz über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 ff. 80 Bundesministerium der Finanzen, Die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, S. 57; B.-H. Moon, Reform des Finanzausgleichs, S. 59. 81 Bundesministerium der Finanzen, Die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, S. 57 f.
A. Grundlagen der bundesdeutschen Finanzordnung
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Änderungen 82 als Kernelement eine Reform des FAG. 83 Das Solidarpaktfortführungsgesetz trägt, indem es den Aufbau Ost langfristig durch Sonderregelungen in den maßgeblichen Gesetzen der Finanz- und Haushaltsordnung berücksichtigt, der noch nicht vollendeten Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland Rechnung. Hauptbestandteil dieses Förderprogramms ist ein Betrag von ca. 105 Mrd. €, der den ostdeutschen Bundesländern und Berlin im Zeitraum zwischen 2005 und 2019 in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen bereitgestellt wird. 84 Ferner wurde der Bund im Rahmen des Solidarpaktes II verpflichtet, Berlin und den fünf neuen Ländern zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 51 Mrd. € in Form von überproportionalen Leistungen für Gemeinschaftsaufgaben, Finanzhilfen, EG-Strukturfondmitteln und Investitionszulagen zu gewähren. 85 b) Maßstäbegesetz Die finanzverfassungsrechtlichen Regelungen über den Finanzausgleich werden durch das sog. „Maßstäbegesetz“ 86 ergänzt. Aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils 87 vom 11. November 1999 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, das durch unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichnete Steuerverteilungsund Ausgleichssystem der Art. 106 und Art. 107 GG durch die Festlegung ihn selbst bindender Maßstäbe zu präzisieren. 88 Das aus dem Gesetzgebungsauftrag resultierende MaßstG bildet seit seiner Verkündung am 9. September 2001 den „Überbau“ für das Finanzausgleichsgesetz. Durch die bundesverfassungsgerichtlich vorgegebene normative Abstufung der beiden Gesetze ist der Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des Finanzausgleichsgesetzes somit vorab an seine eigenen Maßstäbe gebunden. 89 Diese Konzeption des Gerichts ist vielfach auf Kritik gestoßen. 90
82 Änderungen u. a. des Gemeindereformgesetzes, des Gesetzes über die Errichtung eines Fonds“ Deutsche Einheit“, des HGrG, des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost und des Körperschaftssteuergesetzes. 83 Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 ff. 84 A. Fuchs, LKV 2001, S. 538 (542). 85 Vgl. § 11 Abs. 4 FAG. 86 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen v. 9. September 2001, BGBl. 2001 I, S. 2302 ff. 87 BVerfGE 101, 158 ff. 88 BVerfGE 101, 158 (226 ff.). 89 BVerfGE 101, 158 (218).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Inhaltlich benennt das Gesetz in verfassungskonkretisierender Weise Maßstäbe für die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer (vertikale Umsatzsteuerverteilung) nach Art. 106 Abs. 3 S. 4 und Abs. 4 S. 1 GG, für die Vergabe von Ergänzungsanteilen der Länder an der Umsatzsteuer (horizontale Umsatzsteuerverteilung) nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG, für die Voraussetzungen und die Höhe der Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten (Länderfinanzausgleich) gem. Art. 107 Abs. 2 S. 1 und 2 GG sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Hierdurch soll gem. § 1 Abs. 2 MaßstG in erster Linie sichergestellt werden, dass Bund und Länder die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ausgangstatbestände in gleicher Weise interpretieren und ihnen dieselben Indikatoren zugrunde legen. c) Finanzausgleichsgesetz Seit 1951 wurde die Ausgestaltung des finanzverfassungsrechtlichen Finanzausgleichs durch einfachgesetzliche Regelungen im Finanzausgleichsgesetz konkretisiert. 91 Der Erlass des MaßstG führt jedoch zu der Frage, wie die Inhalte des neuen Gesetzes mit dem des Finanzausgleichgesetzes abgestimmt werden müssen, damit dem FAG noch ein eigener Regelungsbereich verbleibt. 92 Nach den Vorgaben des BVerfG sollte das MaßstG Art. 106 und Art. 107 GG konkretisieren und zugleich selbst konkretisierungsfähig bleiben. Aufgrund der auftretenden Abstimmungsfragen entschloss man sich daher, auch das FAG grundlegend zu überarbeiten. Das reformierte FAG 93, welches am 1. Januar 2005 in Kraft trat, regelt in Abgrenzung zu den abstrakten Regelungen des MaßstG konkret die bund- / länderübergreifenden Finanztransfers im Finanzausgleichsystem. Im Einzelnen ist das FAG wie folgt strukturiert: Nach § 1 des FAG wird die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 3 und Abs. 4 GG präzisiert; § 2 FAG regelt die Verteilung der Umsatzsteuer unter den Ländern einschließlich des Umsatzsteuervorwegausgleichs 94; die §§ 4 ff. FAG enthalten ausführliche Regelungen des Länderfinanzausgleichs, wobei insbesondere die Berechnung der Finanzkraft der Länder vorgegeben wird. Die 90 H.-P. Bull / V. Mehde, DÖV 2000, S. 305 (308); T. Christmann, DÖV 2000, S. 315 (324); J. Linck, DÖV 2000, S. 325 (329); vgl. hierzu ausführlich Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)dd)γ). 91 Vgl. Zweiter Teil Kap. A.II.1. 92 H. H. Rupp, JZ 2000, S. 269 (270). 93 Vgl. Art. 33 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 (977). 94 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.b)bb)ε).
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§§ 11 ff. FAG beinhalten Regelungen über möglicherweise zu gewährende Bundesergänzungszuweisungen. Das Finanzausgleichgesetz regelt somit das Maß der zu erfolgenden Angleichung im Länderfinanzausgleich sowie die Frage, ob und in welcher Höhe Bundesergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG gewährt werden. d) Zerlegungsgesetz Die jeweilige Finanzausstattung der einzelnen Länder bemisst sich vor allem nach der real entstandenen Steuerkraft, die in ihrem eigenen Hoheitsgebiet anfällt. 95 Daher gibt Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG vor, dass das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil an der Einkommens- und Körperschaftssteuer den einzelnen Ländern insoweit zusteht, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (örtliches Aufkommen). 96 Von Vereinnahmung spricht man hierbei, wenn ein Geldbetrag freiwillig oder im Wege der Verwaltungsvollstreckung in den Verfügungsbereich der Finanzbehörde gelangt. 97 Durch die Erhebungstechnik der ausschließlichen Bestimmung des örtlichen Aufkommens nach der Vereinnahmungszuständigkeit der Finanzbehörden kommt es zu einer erheblichen Verzerrung 98 des Prinzips der Steuerverteilung nach der „wirklichen“ 99 Steuerkraft eines Landes. Um diese Verzerrungen zu minimieren, sieht Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG einen Regelungsauftrag des Bundesgesetzgebers vor, nähere Bestimmungen über die Abgrenzung sowie über Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen Aufkommens für die Körperschaftsund Lohnsteuer in Form eines Bundesgesetzes zu treffen. Die Zerlegung anderer Steuern liegt gem. Art. 107 Abs. 1 S. 3 GG im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzgebungsauftrags hat der Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates das Zerlegungsgesetz 100 erlassen. Es zerlegt die Körperschaftssteuer gem. §§ 2 –6 ZerlG nach dem Betriebsstättenprinzip, die Lohnsteuer gem. § 7 ZerlG nach dem Wohnsitzprinzip und den Zinsabschlag 101 entsprechend der Höhe des auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer angerechnete Zinsabschlags gem. § 8 ZerlG. 102 95
BVerfGE 101, 158 (221). S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 510 f. 97 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 107 Rn. 6. 98 Die Verzerrungen resultieren u. a. aus Konzentrationstendenzen durch Konzernbildung, Ländergrenzen überschreitende Pendler, der Einrichtung zentraler Lohnbüros etc. 99 BVerfGE 72, 330 (392). 100 Vgl. zum Zerlegungsgesetz Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Zerlegungsrechts und zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts Zerlegungs- und Kraftfahrzeugsteueränderunggsgesetz) v. 6. August 1998, BGBl. 1998 I, S. 1998 ff., zuletzt geändert durch Gesetz v. 15. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, S. 2645. 101 Fakultative Zerlegungsmöglichkeit gem. Art. 107 Abs. 1 S. 3 GG. 102 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.b)bb). 96
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
B. Das gegenwärtige System der bundesstaatlichen Finanzordnung Die bundesstaatliche Finanzordnung gründet sich, wie aufgezeigt wurde, auf verschiedenen Rechtsquellen. Die Finanzverfassung gibt hierbei den Rahmen vor und wird durch verschiedene einfachgesetzliche Regelungen konkretisiert. Die Kommunen werden in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich als Teil der Länder betrachtet. 103 Dementsprechend wird die Stellung der Kommunen im Folgenden nur dann thematisiert werden, wenn diese von Interesse für das Verhältnis des Bundes zu den Ländern und den Ländern untereinander ist. Die folgenden Ausführungen zum gegenwärtigen System der bundesstaatlichen Finanzverfassung bilden die Grundlage für die abschließenden Reformüberlegungen. Im Zentrum der Betrachtung stehen die mit der Föderalismusreform I neu eingeführten Regelungen sowie die grundsätzliche Funktionsweise des geltenden Systems.
I. Staatliche Ausgabenregelungen Bei den staatlichen Ausgabenregelungen ist grundsätzlich zwischen Verwaltungs- und Zweckausgaben zu unterscheiden. Während die Verantwortung für die Verwaltungsaufgaben immer mit der Verwaltungszuständigkeit korrespondiert, verhält es sich bei der finanziellen Verantwortung für die Erledigung der Sachaufgaben anders. Neben einer vertiefenden Betrachtung insbesondere der Verteilung der Ausgabenkompetenzen für die Sachaufgaben gilt es, die neuen Lastentragungsregelungen bei Verletzung supra- oder internationaler Verpflichtungen genauer zu betrachten. 1. Verteilung der Ausgabenkompetenz für Zweckausgaben Zunächst ist der allgemeine Grundsatz der Lastenverteilung zu betrachten, um anschließend die im Grundgesetz verankerten Ausnahmen vom Lastenverteilungsgrundsatz zu erörtern. a) Allgemeiner Grundsatz der Lastenverteilung (Art. 104a Abs. 1 GG) Im Zuge der großen Finanzreform 1969 wurde der Art. 104a in das Grundgesetz integriert. 104 Dies geschah mit dem Ziel, übersichtliche Verantwortlichkeiten 103
Vgl. BVerfGE 86, 148 (215, 219).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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zwischen Bund und Ländern zu schaffen. Bund und Länder tragen fortan nach dem in Art. 104a Abs. 1 GG formulierten Grundsatz der Lastenverteilung die Ausgaben gesondert, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit sich aus dem Grundgesetz nichts anderes ergibt. 105 Diesem als Konnexitätsprinzip bezeichneten Grundsatz folgend bestimmt der Aufgabenbestand einer Gebietskörperschaft die Finanzverantwortung sowie seine Finanzausstattung. 106 Die im Grundgesetz in Art. 70 ff. verankerte Aufgabentrennung soll durch die in Art. 104a Abs. 1 GG normierte Trennung der Ausgabenverantwortung gestützt werden. Das Konnexitätsprinzip garantiert im Sinne eines strikten Trennsystems, dass grundsätzlich Bund und Länder keine Aufgaben anderer hoheitlicher Gebietskörperschaften finanzieren und auch nicht indirekt auf die Aufgabenwahrnehmung anderer Gebietskörperschaften Einfluss nehmen können. Art. 104 Abs. 1 GG gewährleistet somit im Zusammenspiel mit der in Art. 109 Abs. 1 GG garantierten Haushaltsautonomie die staatliche Eigenständigkeit von Bund und Ländern. 107 Inwieweit die Länder in die Lage versetzt werden, ihre Finanzierungsverantwortung wahrzunehmen, ist nicht Aufgabe von Art. 104a GG, sondern erfolgt über die bundesstaatlichen Einnahmeregelungen. Art. 104a stellt lediglich eine Kongruenz zwischen der Aufgabenverantwortung und der Finanzierungslast her. 108 Im Einzelnen ist die Regelung des Art. 104a Abs. 1 GG unproblematisch, wenn die Gesetzgebung und der Gesetzesvollzug durch die Verwaltung ausschließlich beim Bund oder den Ländern liegen. 109 Schwierigkeiten bereitet jedoch der eigentliche Regelfall, wenn der Bund Gesetze erlässt und die Länder diese gem. Art. 83, 84 GG als eigene Angelegenheiten oder gem. Art. 85 GG im Auftrag des Bundes auszuführen haben, d. h. Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz auseinander fallen. 110 In diesem Fall ist zu fragen, was in Art. 104a Abs. 1 GG unter „Aufgaben“ zu verstehen ist, d. h. ob die Finanzierungskompetenz an die Gesetzgebungs- oder an die Verwaltungskompetenz geknüpft ist. 104 Vgl. 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12. Mai 1969, BGBl. 1969 I, S. 359; eine Vorgängerregelung befand sich seit dem Jahr 1955 in Art. 106 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 GG (a.F.); vgl. L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 110. 105 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 6; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 10; G. F. Schuppert, in: D. Umbach / T. Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. II, Art. 104a Rn. 11. 106 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 189. 107 A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 238 f.; J. Karstendiek, ZRP 1995, S. 49; C. Starck, StuW 1974, S. 271 (272). 108 F. Schoch, ZG 1994, S. 246 (257). 109 Gemeint sind hier die Fälle der Bundeseigenverwaltung, der Landesgesetzgebungskompetenz und der nicht wahrgenommenen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund. 110 Vgl. H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 7.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Bei der angesprochenen Verwaltungskompetenz handelt es sich ausschließlich um die Kompetenzen gem. Art. 83 ff. GG, womit Justiz- und Legislativverwaltung von diesem Problemkreis ausgeschlossen sind. Nach einhelliger Meinung bestimmt sich die Finanzierungsverantwortung hierbei nicht nach der Gesetzgebungs- sondern nach der Verwaltungskompetenz. 111 Somit trägt die Finanzierungslasten eines Gesetzesvorhabens nicht, wer das Gesetz erlässt und damit die Aufgaben veranlasst (Gesetzeskausalität), sondern wer das Gesetz ausführt (Vollzugskausalität). 112 Obwohl somit der originäre Kostenverursacher die Ausgabenlast vielfach nicht spürt, spricht für diese Konzeption vor allem, dass die Ausgaben für ein Gesetzesvorhaben grundsätzlich nicht aus der Gesetzgebung, sondern vielmehr aus der Gesetzesausführung resultieren. 113 Hiervon ausgehend findet Art. 104a Abs. 1 GG nach Maßgabe der innerstaatlichen Verwaltungszuständigkeit auch uneingeschränkt auf den Vollzug von EG-Rechtsakten Anwendung. Die strittige Frage, ob die Lastenverteilungsregelungen auch horizontal im Verhältnis unter den Ländern anwendbar sind oder nur vertikal im Bund-Länder-Verhältnis, scheint durch die Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform I entschieden worden zu sein. Zuvor wurde die Mitfinanzierung von Landesaufgaben durch andere Länder mehrheitlich u. a. mit der Begründung abgelehnt, die Länder bedürften keines besonderen Schutzes vor gegenseitigen Kompetenzübergriffen. 114 Dem wurde richtigerweise entgegnet, dass insbesondere der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Art. 104a GG sowie ein bestehendes Schutzinteresse der Länder vor Übergriffen für eine horizontale Anwendbarkeit sprechen. 115 Mit der Aufnahme des Art. 104a Abs. 6 111 BVerfGE 26, 338 (390); H.-G. Henneke, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, GGK, Art. 104a Rn. 7; H.-U. Erichsen, Die Konnexität von Aufgabe und Finanzierungskompetenz im Bund-Länderverhältnis, S. 37; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 13; W. Heun, in: H. Dreier, GGKK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 10; S. Korioth, NVwZ 2005, S. 503 ff.; G. F. Schuppert, in: D. Umbach / T. Clemens, Grundgesetz, Mitarbeiterkommentar, Bd. II, Art. 104a Rn. 13; a. A. F. Schoch, ZRP 1995, S. 387 (391). 112 BVerfGE 26, 338 (390); BVerwGE 44, 351 (364); 98, 18 (21 f.); H. H. v. Arnim, in: HdbStR VI, § 138 Rn. 11; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 13; J. Karstendiek, ZRP 1995, S. 49 (50); F. Schoch, ZRP 1995, S. 387 (388); P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2063); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1137 f.; K. Waechter, VerwArch 85 (1994), S. 208 (212). 113 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 199; G. Trapp, Veranlassungsprinzip, S. 88 ff. 114 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 44; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 22; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 133 f.; S. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 79; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 104a Rn. 26; B. Pieroth / K. Haghgu, DVBl. 2007, S. 1 (5 ff.); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1146.
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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in das Grundgesetz, der eine Lastentragungsregelung bei Verletzung supranationaler und völkerrechtlicher Pflichten auch im horizontalen Verhältnis vorsieht, ist nun klar, dass Art. 104a GG im Sinne des Gesetzgebers auch zwischen den Ländern gilt. 116 b) Ausnahmen vom Lastenverteilungsgrundsatz Ausnahmen vom Lastenverteilungsgrundsatz finden sich im deutschen Recht sowohl in Form von divergierenden Regelungen als auch in Form von Mischfinanzierungstatbeständen wieder. aa) Divergierende Regelung der Ausgabenzuständigkeit Nicht immer ergibt sich die Aufgabenverantwortung automatisch aus der Aufgabenzuständigkeit. In diesen Sonderfällen übernimmt der Bund abweichend vom allgemeinen Konnexitätsprinzip ausschließlich die Kosten, die ansonsten bei den Ländern anfallen würden. α) Auftragsverwaltung der Länder (Art. 104a Abs. 2 GG) Art. 104a Abs. 2 GG bestimmt, dass bei der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung der Bund die Last für Zweckausgaben zu tragen hat. Ob und inwieweit Art. 104a Abs. 2 GG als Durchbrechung oder als Bestätigung des Konnexitätsprinzips aus Abs. 1 anzusehen ist, wird im Einzelnen unterschiedlich beurteilt. 117 Der verfassungsändernde Gesetzgeber 118 und Teile der Literatur 119 gehen davon aus, dass es sich trotz der Aufgabenwahrnehmung durch die Länder um eine Aufgabe des Bundes handelt. Als Begründung für diese Auffassung wird vorgebracht, dass die Länder konträr zum Vollzug von Bundesgesetzen als eigene Angelegenheiten gem. Art. 83 GG und 84 GG eben keine eigenen, sondern Bundesaufgaben wahrnehmen und die eigentliche Sachverantwortung für den 115 U. Häde, Finanzausgleich, S. 49 f.; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 79 ff.; H. Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, S. 182 f.; P. Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (36). 116 So jetzt auch J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 337. 117 Vgl. A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 247 f.; G. Trapp, Veranlassungsprinzip, S. 152 ff. 118 Vgl. Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 205; BT-Drs. 5/2861, Tz. 116, 290. 119 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 205; F. Sturm, DÖV 1968, S. 466, (474 f.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Aufgabenvollzug aufgrund der umfassenden Aufsichtsbefugnisse beim Bund liegt. 120 Dem ist entgegen zu halten, dass die Verwaltungsaufgabe durch die unmittelbar kostenverursachende Tätigkeit bestimmt wird. Demnach sind auch die im Rahmen der Auftragsverwaltung wahrgenommenen Verwaltungsaufgaben als Länderaufgaben zu qualifizieren, da Art. 85 GG ungeachtet des u. a. dort eingeräumten Weisungsrechtes des Bundes im Außenverhältnis die Verwaltungskompetenz des Landes unberührt lässt. 121 Da Art. 104a Abs. 2 GG die Ausgabenlast dem Bund auferlegt und dadurch die Finanzierungsverantwortung nicht mehr unmittelbar der Verwaltungskompetenz folgen lässt, ist er richtigerweise in Anwendung des Veranlassungsprinzips eine Ausnahme zum Konnexitätsprinzip. 122 Problematisch war bislang die Tatsache, dass bundesgesetzlich begründete Pflichtaufgaben der Gemeinden und Kreise mangels Zuordenbarkeit als Auftragsverwaltung nicht unter die Erstattungsregel des Art. 104a Abs. 2 GG fielen. 123 Anstatt die Lastentragungsregelung zugunsten der Kommunen abzuändern, wurde die Problematik im Zuge der Föderalismusreform I durch die Einführung eines Durchgriffsverbots in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG und Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG gelöst. Der Bund ist jetzt nicht mehr befugt, Aufgaben an die Gemeinden und Gemeindeverbände zu übertragen. Problematisch ist aber weiterhin der Fall, dass der Bund durch Gesetz die Leistungsstandards in einem Gesetz erhöht, für deren Ausführung die Kommunen schon vor Einführung der Neuregelung zuständig waren. 124 Im Ergebnis ist ein solches Modifikationsrecht des Bundes trotz des Durchgriffsverbots und der den Ländern in Art. 125a Abs. 1 S. 2 GG eingeräumten Ersetzungsbefugnis gegeben. 125 β) Personennahverkehrsausgleich (Art. 106a GG) Art. 106a GG stellt nach überwiegender Auffassung trotz der systematischen Einordnung als Element der Steuerertragsverteilung ebenfalls eine Durchbrechung des in Art. 104a Abs. 1 GG verankerten Konnexitätsprinzips dar. 126 Der 120
H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 205. BVerfGE 81, 310 (331); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 70. 122 D. Birk, in: AK II, Art. 104a Rn. 11; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 70; C. Starck, StuW 1974, S. 271 (273). 123 J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2805); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 104a Rn. 22. 124 Zu dieser Problematik und deren Verbindung mit den landesverfassungsrechtlichen Konnexitätsprinzipien ausführlich G. Macht / A. Scharrer, DVBl. 2008, S. 1150 ff. 125 P. Huber, DÖV 2008, S. 844 (850). 126 U. Häde, Finanzausgleich, S. 80; H.-G. Henneke, ZG 1999, 1 (5); A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 247 f.; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 106a Rn. 1; a. A. F. Kirchhof, DJT-Gutachten, S. D 38. 121
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Bund wird durch diese Regelung zur Leistung zweckgebundener Zuweisungen verpflichtet, die den Mehrbedarf der Länder aufgrund der Übernahme des regionalen Personenverkehrs ausgleichen sollen. 127 Die Bedeutung des Art. 106a GG liegt vor allem in der Steuerertragsverteilung und deren Korrektur. 128 Gem. Art. 106a S. 2 GG ist der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates dazu verpflichtet, die Details der Sonderzahlungen in einem Bundesgesetz zu regeln. 129 γ) Kriegsfolge- und Sozialversicherungslasten (Art. 120 Abs. 1 GG) Eine weitere Sonderregelung befindet sich mit Art. 120 GG in den Übergangsund Schlussbestimmungen des Grundgesetzes. Regelungsgegenstand der Norm ist die grundsätzliche Zuweisung der Aufwendungslasten für Kriegsfolgen an den Bund sowie das Tragen des Zuschusses zur Sozialversicherung gem. Art. 120 Abs. 1 S. 4 GG durch eben diesen. 130 Art. 120 Abs. 1 GG weicht somit vom Konnexitätsgrundsatz ab und ist hinsichtlich der Zweckausgaben lex specialis zu Art. 104a Abs. 1 GG. 131 Der Zweck der Regelungen ist die gleichmäßige Belastung der Bevölkerung des gesamten Bundesgebietes im Bereich der genannten Materien. 132 Sie gilt ausschließlich im Verhältnis zwischen Bund und Ländern und begründet keine Ansprüche Dritter. 133 Damit den Ländern durch die Lastentragung des Bundes keine finanziellen Vorteile erwachsen, werden die aus Art. 120 GG resultierenden Ausgaben des Bundes bei der Verteilung der Steuereinnahmen auf Bund und Länder berücksichtigt. 134 bb) Mischfinanzierungstatbestände Weitere Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip finden sich im Grundgesetz in Form von Mischfinanzierungstatbeständen wieder. Im Zuge der Föderalismusreform I wurde insbesondere in diesem Bereich ein Abbau der Finanzverflechtungen von Bund und Ländern vollzogen, wobei auffälligerweise die mit über 127 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 106a Rn. 1; L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 213. 128 U. Häde, Finanzausgleich, S. 80. 129 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz) nach Art. 4 des Gesetzes zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz v. 27. Dezember 1993, BGBl. 1993 I, S. 2378 (2395 f.). 130 S. Muckel, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 120 Rn. 1. 131 P. Axer, in: Berliner Kommentar, GGK, Art. 120 Rn. 1; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 256. 132 BSGE 47, 148 (154), K. H. Schaefer, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 120 Rn. 2; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 120 Rn. 4. 133 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 256. 134 Vgl. S. Muckel, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 120 Rn. 7.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
50 Mrd. € Gesamtvolumen bedeutendste Mischfinanzierung, die Grundsicherung für Arbeitssuchende („Harz IV“) 135, nicht behandelt wurde. 136 α) Gesetze über Geldleistungen (Art. 104a Abs. 3 GG) und Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 104a Abs. 4 GG) Als eine Durchbrechung des Konnexitätsgrundsatzes eröffnet Art. 104a Abs. 3 GG dem Bund die Möglichkeit, Zweckausgaben für von den Ländern als eigene Angelegenheiten auszuführende Geldleistungsgesetze des Bundes ganz oder teilweise zu übernehmen. 137 Historisch gesehen ist die Einführung von Art. 104a Abs. 3 GG im Jahr 1969 im Rahmen der großen Finanzreform als Rechtsgrundlage für die zuvor ohne verfassungsrechtliche Absicherung in der Finanzverfassung durchgeführte staatlichen Praxis zahlreicher Finanzierungs- und Subventionsleistungen gedacht gewesen. 138 Die Lastenübernahme des Bundes mittels Geldleistungsgesetz dient nach teleologischer Betrachtung nicht der allgemeinen Verbesserung der Länderfinanzen, sondern ist als Ausgleich für spezifische ausgabenträchtige Aufgaben gedacht. 139 Systematisch ist diese Regelung (obgleich ihrer Ähnlichkeit zum sekundären Finanzausgleich) nicht dem auf allgemeine Verbesserung der Länderfinanzen abzielenden Finanzausgleich zuzuordnen, sondern als eine von Art. 104a Abs. 1 GG abweichende Lastenverteilungsregelung zu charakterisieren. 140 Art. 104a Abs. 3 GG knüpft in Abweichung zu Abs. 1 und 2 für die Festlegung der Ausgabenverantwortung an die gesetzgeberische Verursachung oder Veranlassung von Zweckaufgaben an. 141 Die Begründung für diese Verschiebung des Anknüpfungspunktes liegt in der Eigenart von Geldleistungsgesetzen, die der Verwaltung durch präzise Regelung des Empfängerkreises, der Anspruchvoraussetzungen sowie der Art und Höhe der Geldleistungen typischerweise keinen großen Ermessensspielraum zugestehen. 142 135
Vgl. §§ 41 ff. SGB II. So auch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (6), der ausgehend von der Feststellung, dass eine bundesstaatliche Ordnung nicht ohne Mischfinanzierung auskommt, eine über die abgeschlossene partielle Neuregelung i. R. d. Föderalismusreform I weiterführende Verfassungsdebatte zu diesem Themenkomplex anregt. 137 G. Trapp, Veranlassungsprinzip, S. 157. 138 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 82; Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 124 ff.; S. Luther, Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern nach der Finanzreform, S. 91 f.; F.-J. Strauß, Die Finanzverfassung, S. 109 f. 139 F. Kirchhof, Finanztransfers aus Separathaushalten im Bundesstaat, in: H. Maurer, FS für G. Dürig, S. 447 (448 f.). 140 BVerfGE 101, 158 (225 f.); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 76. 141 H.-G. Sokolish, DVBl. 1977, S. 848 (850). 142 BT-Drs. 5/2861, Rn. 124 f.; Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 124 ff.; M. Heintzen, in: I. v. 136
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Der Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 3 GG hat sich durch die Föderalismusreform I auf den ersten Blick nicht geändert. Geldleistungsgesetze sind wie bisher Gesetze, die einem bestimmten Empfängerkreis bei Vorliegen der vorgegebenen Voraussetzungen, Geldleistungen gewähren. 143 Geldleistungen werden hierbei als einmalige oder laufende geldliche Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln an Private oder ihnen gleichgestellte, öffentliche Empfangsberechtigte definiert. 144 Ob solche Geldleistungen erfolgen sollen und in welcher Höhe sich der Bund hieran prozentual beteiligt, liegt im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Darüber hinaus gelten Einzelvorschriften über Geldleistungen in umfangreichen Gesetzeswerken als Gesetze im Sinne von Art. 104a Abs. 3 GG, da ansonsten eine Umgehung u. a. der Zustimmungspflicht des Art. 104a Abs. 4 GG durch den Bund möglich wäre. 145 Ferner stellt Art. 104a Abs. 3 GG eine Durchbrechung des Abs. 2 dar, indem er für Geldleistungsgesetze, bei denen der Bund die Hälfte der Ausgaben oder mehr trägt eine Bundesauftragsverwaltung vorsieht, die nach Abs. 2 ansonsten nur bei der vollen Kostentragung des Bundes vorgesehen ist. 146 Aktuelle Beispiele für Geldleistungsgesetze sind u. a. das Wohngeldgesetz 147 und das Bundesausbildungsförderungsgesetz 148. Nach der umgesetzten ersten Stufe der Föderalismusreform ist vor allem unklar, wie weitreichend der sachliche Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 3 GG ist. Aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit Art. 104a Abs. 4 GG stellt sich die Frage, ob der Bund bereits nach der aktuellen Regelung einen finanziellen Ausgleich für geldwerte Sachleistungen oder vergleichbare Dienstleistungen bereitstellen kann. Obgleich ein weiterer Abbau der Mischfinanzierung aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht grundsätzlich erstrebenswert ist, wird die Beschränkung des Art. 104a Abs. 3 GG auf Geldleistungsgesetze schon seit langem als willkürliche Festlegung kritisiert. Die Belastung der Länder mit Kosten für Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen ist mindestens genauso schwierig wie die durch Geldleistungsgesetze. Eine getrennte Behandlung erscheint gerade vor dem Hintergrund der Sozialrechtsgesetzgebung unverständlich. Durch die Neuregelung der Abs. 3 und 4 könnte der Bund jetzt auch (neben Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 41; W. Henle, Finanzpolitik und Finanzverfassung, S. 261; kritisch C. Starck, StuW 1974, S. 271 (273). 143 U. Häde, Finanzausgleich, S. 68; A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 250. 144 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 42; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 24. 145 A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 251; F. Schoch / J. Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgerberisch veranlasste kommunale Abgaben, S. 135. 146 G. Trapp, Veranlassungsprinzip, S. 165. 147 BGBl. 2005 I, S. 2029 ff. 148 BGBl. 1983 I, S. 645 ff.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Geldleistungsgesetzen) berechtigt sein, die durch die Bundesgesetzgebung anfallenden Kosten der Länder für geldwerte Sachleistungen und vergleichbare Dienstleistungen auszugleichen. Sinn und Zweck der neu gefassten Lastentragungsregel sowie die Systematik des Art. 104a GG lassen Abs. 3 als eine Ausnahme mit einem über Abs. 4 erweiterten sachlichen Anwendungsbereich im Vergleich zum allgemeinen Grundsatz des Art. 104a Abs. 1 GG erscheinen. 149 Im Zusammenhang mit dem Zustimmungsvorbehalt in Art. 104a Abs. 4 GG, der die geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen im Wortlaut explizit mit umfasst, werden die früher schon geäußerten Bedenken, dass durch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Art. 104a Abs. 3 GG schwierige Probleme und Verhandlungen erforderlich werden würden, möglicherweise obsolet, da sie schon durch die neu verankerte Zustimmungspflicht anfallen. Trotz der aufgezeigten Argumente ist aber weiterhin davon auszugehen, dass der Bund über Art. 104a Abs. 3 GG nur bei Geldleistungsgesetzen und nicht bei Gesetzen über geldwerte Sachleistungen oder vergleichbare Dienstleistungen ein Mitfinanzierungsrecht hat. 150 Die Länder wollten bei der Formulierung des Abs. 3 ganz bewusst verhindern, dass der Bund bei Sachleistungsgesetzen bzw. Gesetzen über vergleichbare Dienstleistungen die Kosten mit der möglichen Folge des Übergangs in die Bundesverwaltung übernehmen kann. Weiterhin könnte der Bund sich bei einer Kostenbeteiligung von mehr als 75 % der ansonsten erforderlichen Zustimmungspflicht der Länder entledigen. 151 Aus Gründen des Schutzes der Länderkompetenzen ist daher in Art. 104a Abs. 3 GG weiterhin von einer Ungleichbehandlung der Geldleistungsgesetze zu den Gesetzen über Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen auszugehen. Im Rahmen der Föderalismusreform I ist ferner die alte Zustimmungsregelung gem. Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG weggefallen und in dem neuen Abs. 4 durch eine umfassende Zustimmungspflicht der Länder für Gesetze zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen ersetzt worden. 152 Vergleicht man den Tatbestand des Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG (a.F.) mit dem des neuen Art. 104a Abs. 4 GG, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Neufassung trotz leichter Abweichungen im Wortlaut zumindest hinsichtlich der Geldleistungsgesetze eine direkte Fortführung der alten Regel ist. 153 Lediglich die tatbestandliche Erweiterung der Zustimmungspflicht 149
Vgl. R. Holtschneider, Zu den Kostenfolgen von Bundesgesetzen, in: R. Holtschneider / W. Schön, Die Reform des Bundesstaates, S. 53 (72). 150 So auch H.-G. Henneke, NdsVBl. 2008, S. 1 (5); W. Schön, Zu den Kostenfolgen von Bundesgesetzen, in: R. Holtschneider / W. Schön, Die Reform des Bundesstaates, S. 73 (85 f.). 151 W. Schön, Zu den Kostenfolgen von Bundesgesetzen, in: R. Holtschneider / W. Schön, Die Reform des Bundesstaates, S. 73 (86). 152 Vgl. BGBl. 2006, S. 2034 (2036). 153 BT-Drs. 16/813, S. 18.
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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bei durch Bundesgesetz begründeten Länderpflichten in Form von geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten wurde durch die Reform neu eingeführt. 154 Die Erweiterung der Zustimmung als Schutzrecht vor kostenbelastenden Bundesgesetzen war ein wesentliches Interesse der Länder, die sich durch die Finanzierung von politischen Zielen des Bundes aus den Länderhaushalten zusehends in ihrer Autonomie bedroht sahen. 155 Die Zustimmungsnorm gilt bei Bundesgesetzen, die von den Ländern als eigene Angelegenheit nach Art. 84 Abs. 1 GG ausgeführt werden. Die Fälle der Bundesauftragsverwaltung sind hiervon nicht erfasst, da gem. Art. 104a Abs. 2 GG der Bund die sich daraus ergebenden (Zweck-)Ausgaben trägt. Etwas anderes gilt für die Fälle der Auftragsverwaltung aufgrund von Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG, die infolge einer mindestens hälftigen Kostenbeteiligung des Bundes bei Geldleistungsgesetzen angeordnet ist. Solche Geldleistungsgesetze sollen laut Gesetzesbegründung wegen der verbleibenden Kostenfolgen für die Länder ebenfalls zustimmungsbedürftig sein. 156 Die vorgeschriebene Zustimmung entfällt, wenn der Bund die Ausgaben gem. Art. 104a Abs. 3 S. 1 GG vollständig übernimmt oder das Gesetz die Länder nicht als staatliches Organ, sondern wie einen privaten Dritten betrifft, etwa als Betreiber einer Einrichtung oder Anlage. Inhaltlich fallen unter den neu eingefügten Begriff der „Sachleistungen“ laut Gesetzesbegründung insbesondere keine reinen Genehmigungen, Erlaubnisse oder sonstige Verwaltungsakte, die keine darüber hinausgehenden Leistungen bestimmen, sondern nur die, die eine Vereinbarkeit mit materiellen Vorschriften feststellen. Die Vergleichbarkeit einer Dienstleistung mit Geld- und geldwerten Sachleistungen im Sinne des neuen Zustimmungstatbestandes ist laut Gesetzesbegründung dann gegeben, wenn sie unter vergleichbar engen Voraussetzungen wie dies bei Geldund Sachleistungen der Fall ist, einem Dritten Vorteile gewährt oder sonstige Maßnahmen gegenüber Dritten veranlasst, die zu einer erheblichen Kostenbelastung der Länder führen. 157 Da die Gesetzesbegründung keine verbindliche Quelle zur Auslegung des Grundgesetzes ist, wird es hier aber insgesamt noch zu Problemen bei der Interpretation kommen. 158
154
W. Kluth, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 104a Rn. 10. BT-Drs. 16/813, S. 18; J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 321; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 82 f. 156 BT-Drs. 16/813, S. 18. 157 Laut Gesetzesbegründung fällt unter fehlenden landeseigenen Gestaltungsspielraum z. B. die Verpflichtung der Länder zur Schaffung und Unterhaltung von Aufnahmeeinrichtungen für die Unterbringung von Asylbegehrenden grundsätzlich unter den Begriff der Sachleistungen. Gleiches gilt z. B. für die Verpflichtung der Länder zur Erbringung von Schuldnerberatungen oder zur Bereitstellung von Tagesbetreuungsplätzen, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 18. 158 F. Kirchhof, Die Beeinflussung der Organisationsautonomie der Länder durch Gesetze des Bundes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 637 (644 f.). 155
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Die Neuregelung des Art. 104a Abs. 4 GG beinhaltet neben der Erweiterung der Zustimmungspflicht auch eine Abkehr von der Koppelung der Zustimmungspflicht bzgl. eines bestimmten Prozentteils der Lastentragung durch die Länder. Stattdessen besteht nun eine umfassende Zustimmungspflicht, die das Ausmaß der neuen Zustimmungsfälle noch nicht abschließend erkennen lässt. 159 Sie ist dem Umstand geschuldet, dass die bisherigen Probleme hinsichtlich der Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 84 Abs. 1 und Art. 85 Abs. 1 GG ihre Ursache eigentlich in der Auswirkung bundespolitischer Vorhaben auf die Länderhaushalte hatte. 160 Der schon vor der Föderalismusreform I scheinbar bestehende Widerspruch, wonach ein Geldleistungsgesetz ohne Beteiligung des Bundes keiner Zustimmung des Bundesrates bedarf, eine freiwillige Beteiligung des Bundes an den anfallenden Kosten aber die Zustimmung des Bundesrates erfordert, wurde aufrechterhalten. Diese auf den ersten Blick unlogische Regelung basiert auf der Prämisse, dass Mischfinanzierungen im föderalen Bundesstaat mit autonomen Gliedstaaten die Ausnahme bilden sollen. β) Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und Art. 91b GG) Art. 91a GG und Art. 91b GG beteiligen den Bund weiterhin an der Finanzierung Gemeinschaftsaufgaben. Der verfassungsändernde Gesetzgeber schuf mit der Institutionalisierung einer gemeinsamen Aufgabenplanung von Bund und Ländern ein neues staatliches Handlungsinstrument. 161 Dieses neue Finanzierungsinstrument wurde im Rahmen der großen Finanzreform 1969 in Reaktion auf die vorher gängige Praxis der Mischfinanzierung über die Bundesfondsverwaltung, welche damals ohne Verfassungsgrundlage praktiziert wurde, im Abschnitt VIIIa. des Grundgesetzes für bestimmte Aufgaben normiert. 162 Änderungen erfuhren die Regelungen nur im Jahr 1970 durch eine Erweiterung des Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG (a.F.) 163 sowie aktuell durch die Föderalismusre159 So auch kritisch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (4); bisher hat der neu eingefügte Zustimmungstatbestand zu keiner nennenswerten Erhöhung der Zustimmungsquote geführt, vgl. BT-Drs. 16/6499; H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (836). 160 P. Huber, Deutschland nach der Föderalismusreform – in besserer Verfassung, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 595 (603). 161 R. Breuer, Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung – eine Crux des Bundesstaates, in: M. Wallerath, FS für Peter Krause, S. 325 (332 f.); R. Goroncy, DÖV 1970, S. 109; U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91a Rn. 2. 162 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 84; U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91a Rn. 1; H. Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 199 ff.; F.-J. Strauß, Die Finanzverfassung, S. 71 ff. 163 Art. I Nr. 2 des 27. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes v. 31. Juli 1970, BGBl. 1970 I, S. 359.
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form I. Unbeschadet der zum Teil erheblichen Änderungen von Art. 91a GG und Art. 91b GG insbesondere der verfahrensmäßigen Ausgestaltung im Bereich der Wissenschaft und im Bildungswesen, blieb das Finanzierungsinstrument der Gemeinschaftsaufgaben auch nach der Reform in seiner grundlegenden Struktur erhalten. 164 Die Regelungen über die Gemeinschaftsaufgaben sind aufgrund der Möglichkeit der finanziellen Beteiligung des Bundes an Projekten im Bereich der Länderkompetenzen als ein kooperativ-föderalistisches Element des Grundgesetzes zu charakterisieren. Über die in Art. 91a GG und Art. 91b GG erfolgte Eingrenzung in verschiedene Tatbestände sollte eine übermäßige Ausdehnung der Mischfinanzierung zum Schutz der Länder verhindert werden. 165 Probleme bereitet die Uneinheitlichkeit der Verwendung des Begriffs der „Gemeinschaftsaufgaben“. Nach der Legaldefinition des Art. 91a Abs. 1 GG handelt es sich um Gemeinschaftsaufgaben, wenn der Bund unter der Voraussetzung, dass diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist, auf dem Gebiet der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, der Verbesserung der Agrarstruktur oder des Küstenschutzes bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mitwirkt. Nach der systematischen Auslegung der Überschrift des Abschnittes VIIIa. des Grundgesetzes, welcher Art. 91a GG und Art. 91b GG mit der Überschrift „Gemeinschaftsaufgaben“ (und „Verwaltungszusammenarbeit“ bzgl. Art. 91c und Art. 91d GG) betitelt, müsste man den Begriff der „Gemeinschaftsaufgaben“ viel unspezifischer als jede Mitwirkung des Bundes oder der Länder bei Erfüllung der Aufgaben der jeweils anderen Seite begreifen. 166 Zur Klarstellung der weiteren Erörterungen bietet sich eine Unterscheidung zwischen „echten“ und „unechten“ bzw. wie hier im Weiteren verwendet zwischen Gemeinschaftsaufgaben im „engeren Sinn“ und Gemeinschaftsaufgaben im „weiteren Sinn“ an. Unter Gemeinschaftsaufgaben im „engeren Sinn“ versteht man nur die in Art. 91a GG bezeichneten Aufgaben, welche sich durch eine gesetzlich konkret ausgestaltete Mitwirkung des Bundes an Länderaufgaben auf der Basis gemeinsamer Finanzierungsverantwortung und verfassungsrechtlich angeordneter Koordinierung auszeichnen. 167 Im Unterschied dazu ist die Beteiligung an Aufgaben nach Art. 91b GG im „weiteren Sinn“ fakultativ und wechselseitig 164
BT-Drs. 16/813, S. 15. Die Troeger-Kommission schlug in ihrem Gutachten interessanterweise die Einführung einer die Finanzierungskompetenzen des Bundes noch weitreichender stärkende Generalklausel vor, vgl. Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 139. 166 U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91a Rn. 1; B. Tiemann, DÖV 1970, S. 725 (728 f.); U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 1. 167 T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 91a Rn. 4; B. Tiemann, DÖV 1970, S. 725 (728 f.); U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 1. 165
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möglich, womit sich ein weiterer Verhandlungsspielraum für Bund und Länder eröffnet. (1) Gemeinschaftsaufgaben im „engeren Sinn“ (Art. 91a GG) Der Bund wirkt unter bestimmten Voraussetzungen über Art. 91a GG bei der Finanzierung von Länderaufgaben zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, der Agrarstruktur oder des Küstenschutzes mit. Als Voraussetzung für eine Bundesbeteiligung in den genannten Bereichen gilt, dass „diese Aufgabe für die Gesamtheit bedeutsam“ und „die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich“ ist. Diese beiden Anforderungen müssen kumulativ vorliegen. Eine Aufgabe ist für die Gesamtheit bedeutsam, wenn mehrere Länder betroffen sind und die Erfüllung der Aufgabe vordringlich ist. 168 Ein Mitwirkungsbedürfnis des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse ist erforderlich, wenn ohne die Zusammenarbeit von Bund und Ländern eine Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht erreicht werden kann. 169 Bei der genauen Betrachtung des Wortlautes zeigt sich, dass dieser noch große Interpretationsspielräume zulässt und sich ein Fehlen der Vorraussetzungen objektiv kaum nachweisen lässt. 170 Sollten die Voraussetzungen tatsächlich vorliegen, müssen die Gemeinschaftsaufgaben sowie Einzelheiten der Koordinierung gem. Art. 91a Abs. 2 GG durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates näher bestimmt werden. 171 Hierbei sind die in Abs. 3 festgelegten obligatorischen Beteiligungsquoten des Bundes zu beachten, nach denen der Bund in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 (regionale Wirtschaftsstruktur) 50% der Ausgaben in jedem Land und in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 (Agrarstruktur und Küstenschutz) mindestens die Hälfte der Ausgaben zu tragen hat. Ferner ist die Beteiligung für alle Länder einheitlich festzusetzen. Unter Kosten fallen nach überwiegender Auffassung nur die Investitionskosten oder Zweckausgaben; nicht jedoch die Verwaltungskosten. 172 Später anfallende Folgekosten durch die Unterhaltung der Projekte müssen die Länder alleine tragen. 173 168
BT-Drs. V / 2861, Rn. 262; U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91a
Rn. 8. 169
T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 91a Rn. 22. J. A. Frowein, VVDStRL 31 (1973), S. 13 (24); I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 84; K. Stern, Staatsrecht II, S. 837. 171 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAKG) v. 21. Juli 1988, BGBl. 1988 I, S. 1055, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung GAKG v. 2. Mai 2002, BGBl. 2002 I, S. 1527; Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur v. 6. Oktober 1969, BGBl. 1969 I, S. 1861, zuletzt geändert durch Art. 137 der Verordnung v. 31. Oktober 2006, BGBl. 2006 I, S. 2407. 172 W. Blümel, HdbStR IV, § 101 Rn. 153; U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91a Rn. 52; mit leichten Bedenken U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 33. 170
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Im Zuge der Föderalismusreform I ist Art. 91a GG z.T. geändert worden. 174 Die bisherige Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken“ wurde im Hinblick auf die Entflechtung von Zuständigkeiten abgeschafft und zur Länderaufgabe. Laut Gesetzesbegründung handelt es sich dabei zugleich um einen Beitrag zum Abbau von Mischfinanzierungen und zur Stärkung der Länder. 175 Hintergrund der Regelung war die in den 60er und 70er Jahren des 20. Jh. durch demographische und gesellschaftliche Entwicklungen begründete Notwendigkeit der Errichtung neuer und Erweiterung bestehender Hochschulen. Diese Notwendigkeit besteht in den alten wie auch in den neuen Bundesländern in der Form nur noch bedingt fort. 176 Daher ist der Wegfall der Hochschulbauförderung als Entflechtungsmaßnahme im Ergebnis plausibel auch wenn eine höhere finanzielle Ausstattung der Bildungseinrichtungen wünschenswert wäre. 177 Als Übergangsregelung wurde in Art. 125c Abs. 1 GG festgelegt, dass das aufgrund des bisherigen Art. 91a Abs. 2 GG i.V. m. Abs. 1 Nr. 1 erlassene Recht bis zum 31. Dezember 2006 Gültigkeit hatte. Ferner besagt Art. 143c Abs. 1 GG, dass die durch die Abschaffung dieser Gemeinschaftsaufgabe frei werdenden Finanzierungsanteile des Bundes bis Ende 2019 den Ländern zustehen. Bis zum 31. Dezember 2013 werden diese Beträge aus dem Durchschnitt der Finanzierungsanteile des Bundes im Referenzzeitraum der Jahre 2000 bis 2008 ermittelt. Die nähere Verteilung ist nach Art. 143c Abs. 4 GG durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen. Hinsichtlich der Vorgaben für die Durchführung der verbleibenden Gemeinschaftsaufgaben haben sich durch die Streichung des Art. 91a Abs. 2 S. 2, Abs. 3 und 5 GG sowie durch die Neufassung des Abs. 2 bzgl. der Ausführungsgesetzgebung weitere Änderungen ergeben. Infolge der Streichung von Abs. 3 rückt Abs. 4 (a.F.) auf. Die Neufassung des Art. 91a GG bezweckt, den Regelungsspielraum der Ausführungsgesetzgebung bei den fortbestehenden Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sowie „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu erweitern. Gleichzeitig sollen die Voraussetzungen für eine Entbürokratisierung und Erleichterung der Bund-Länder-Zusammenarbeit geschaffen werden. 178 Inhaltlich ist durch die Streichung des Abs. 3 das Instrument der Rahmenplanung, welches früher als zentrales 173
D. Frey, Die Finanzverfassung des Grundgesetzes, in: Bundesministerium der Finanzen, Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern Gemeinden aus finanzverfassungsrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht, S. 14 (35); I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 84 f. 174 BT-Drs. 16/813, S. 15 f.; vgl. auch Überblick R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91a Rn. 1 f. 175 BT-Drs. 16/813, S. 15. 176 J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 283. 177 So auch J. Ipsen, NJW 2006, S. 2801 (2806). 178 BT-Drs. 16/813, S. 15.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Steuerungselement für das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei den Gemeinschafsaufgaben im „engeren Sinn“ angesehen wurde 179, nicht mehr zwingend vorgeschrieben. Ferner stellt sich durch die Streichung des Art. 91a Abs. 3 S. 2 GG die Frage, ob im Koordinierungsausschuss noch Mehrheitsbeschlüsse zulässig sind oder ob jetzt das Prinzip der Einstimmigkeit gilt. 180 Mit dem Wegfall des Zustimmungserfordernisses hat sich der Verfassungsgesetzgeber eindeutig für die Abschaffung der Mehrheitsbeschlüsse entschieden. Mehrheitsentscheidungen bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG, bei denen es sich um originäre Aufgaben der Länder handelt, sind fortan unzulässige Eingriffe in die Eigenstaatlichkeit der Länder. Ferner entfällt durch die Streichung des Abs. 5 die verfassungsrechtliche Verankerung der Unterrichtungsansprüche von Bundesregierung und Bundesrat. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine Kontrollmöglichkeit mehr gibt oder dem anderen Extrem folgend, nun eine strikte Bundesaufsicht besteht. 181 Zukünftig sollen die Einzelheiten der Koordinierung nach der neuen Formulierung des Art. 91a Abs. 2 GG über die einfachgesetzliche Ausführungsgesetzgebung geregelt werden, die die etwaige Festlegung von Unterrichtungs- und Kontrollrechten mit umfasst. Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit fällt hierbei dem Bund zu, dem somit auch die Pflicht obliegt, die Gemeinschaftsaufgaben inhaltlich zu präzisieren. Im Sinne einer Bewertung der erfolgten Änderungen in Art. 91a GG wird man die durch die Reform verfolgten Entflechtungsbestrebungen grundsätzlich befürworten können, da die Schutzbedürfnisse von Bund und Ländern, über die konkrete Ausgestaltung der Finanzierungsbeteiligung in Form eines zustimmungspflichtigen Bundesgesetzes nach Abs. 2 hinreichend berücksichtigt wurden. Das gerade die Hochschulbauförderung weggefallen ist und an den anderen drei Bereichen festgehalten wurde, scheint eine ausschließlich politisch motivierte Entscheidung gewesen zu sein, für die eine genaue Rechtfertigung noch aus steht. Bedenken bestehen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Hochschulbauförderung gegenüber der Übergangsregelung des Art. 143c Abs. 3 S. 2 GG. Diese sieht vor, dass die Zweckbindung der Kompensationszahlungen für den Wegfall der Hochschulbauförderung schon zum 31. Dezember 2013 endet, d. h. die später bis Ende 2019 zu erwartenden Zahlungen müssen von den Ländern nicht mehr in diesem Bereich eingesetzt werden. 182 In Kombination mit der wegfallenden Pflicht von Bund und Ländern zur Finanzierung der Vorhaben zu gleichen Teilen, ist für die deutschen Hochschulen, bei 179 BT-Drs. 5/2861, Rn. 271; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 91a Rn. 26; S. Marnitz, Die Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91a GG, S. 17; B. Tiemann, DÖV 1970, S. 161 (163). 180 R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91a Rn. 11 ff. 181 So auch R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91a Rn. 13. 182 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (935).
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ausbleibendem Umdenken in der Bildungspolitik, in mittlerer Zukunft mit einer Unterfinanzierung hinsichtlich größerer Bauvorhaben zu rechnen. Ferner wird in den verbleibenden Regelungsbereichen des Art. 91a GG auch zukünftig mit einer steigenden Überlagerung durch europäische Regelungen zu rechnen sein, was entsprechende Angleichungen des nationalen Rechts erwarten lässt. 183 (2) Gemeinschaftsaufgaben im „weiteren Sinn“ (Art. 91b GG) Art. 91b GG sichert die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in den Bereichen von Wissenschaft und Bildung mit einem Schwerpunkt in der Forschungsförderung verfassungsrechtlich ab. Im Gegensatz zu Art. 91a GG, der eine integrative Form der föderalen Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbindlich regelt, eröffnet Art. 91b GG fakultativ die Möglichkeit der Kooperation der Beteiligten in Form von Vereinbarungen. 184 Er sieht somit die traditionelle vertragliche Form der föderalen Zusammenarbeit als Abstimmungsinstrument vor. 185 Im Zuge der Föderalismusreform I kam es zu einer umfangreichen Novellierung des Art. 91b GG, in deren Folge die Zuständigkeiten und Kooperationsmöglichkeiten in den Bereichen von Wissenschaft und Bildung neu definiert wurden. 186 (a) Wissenschaftsförderung (Art. 91b Abs. 1 GG) Der Normengehalt des neuen Art. 91b Abs. 1 GG umfasst in materieller Hinsicht ausschließlich die Wissenschaftsförderung. Nach der Gesetzesbegründung verfolgen die Änderungen in Abs. 1 vor allem das Ziel, die Möglichkeit des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Förderung überregional bedeutsamer wissenschaftlicher Forschung beizubehalten. Im Hinblick auf das Zusammenwirken gilt es bzgl. der Fördergegenstände und Adressaten zu differenzieren, wobei die gesamtstaatliche Aufgabe der Forschungsförderung weiterhin im Schwerpunkt gemeinsam durch Bund und Länder erfolgen soll. 187 Unter „Förderung“ ist die finanzielle Unterstützung und Subventionierung zu verste183 Hierzu ausführliche Darstellung bei U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 9 ff. 184 U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91b Rn. 2; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 91b Rn. 1. 185 I. Richter / H. Faber, in: AK II, Art. 91a/91b Rn. 6b. 186 Vgl. Überblick bei R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91b Rn. 1. 187 BT-Drs. 16/813, S. 16, als Bsp. für eine Vereinbarung von Bund und Ländern auf der Grundlage von Art. 91b GG, wird in der Gesetzesbegründung auf die sog. „Exzellenzinitiative“ hingewiesen. „Die in der Sache nötige Transparenz und gegenseitige Unterrichtung bei Projektförderungen des Bundes und der einzelnen Länder ist durch die dazu bestehende und insoweit unberührt bleibende Bund-Länder-Zusammenarbeit gewährleistet (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 nebst zugehöriger Protokollnotiz)
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hen, wobei die begrenzte Möglichkeit zur Planung zwecks genauer Abstimmung notwendigerweise mit unter den Begriff fallen muss. 188 Wie schon bei der Regelung des Art. 91b GG (a.F.) geht es der Novellierung allein um die Förderung wissenschaftlicher Forschung von „überregionaler Bedeutung“. Demnach muss es sich um eine Förderung handeln, die laut Gesetzesbegründung „Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus hat und bedeutend ist im nationalen oder internationalen Kontext“. 189 Weiterführende Hinweise hinsichtlich der Frage, ab wann eine solche „überregionale Bedeutung“ vorliegt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht auf der Verfassungsebene geben wollen, da eine weitere Konkretisierung des Begriffs nach seiner Maßgabe besser im Rahmen der Bund-LänderVereinbarung, als dem zentralen Gestaltungsinstrument, erfolgen soll. Bund und Ländern wird vom Verfassungsgesetzgeber somit ausdrücklich ein weiter Beurteilungsspielraum im Bereich der Wissenschaftsförderung zugestanden. Im Einzelnen werden in Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 –3 GG drei Bereiche des Zusammenwirkens von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung verfassungsrechtlich festgelegt. Nach Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GG besteht explizit die Möglichkeit der Forschungsförderung außerhalb von Hochschulen. Da der Hochschulbegriff 190 gemeinhin alle wissenschaftlichen Hochschulen, Hochschulkliniken, Kunst-, Musik-, Sport-, Gesamthochschulen und Fachhochschulen umfasst, fallen unter die Förderung von Nr. 1 in Abgrenzung zu Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 GG alle außerhalb des Hochschulbegriffs liegenden Einrichtungen wissenschaftlicher Forschung. Die Begriffskette „Förderung der wissenschaftlichen Forschung“ ist vor dem Hintergrund von Art. 5 Abs. 3 GG extensiv auszulegen. 191 Laut Gesetzesbegründung ist die Zusammenarbeit von Bund und Ländern hierbei nicht auf bestimmte Förderarten beschränkt und umfasst sowohl die institutionelle Förderungen außerhochschulischer Einrichtungen als auch die gezielte Förderung von und Art. 3 der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91b GG – v. 28. November 1975 (BAnz. Nr. 240 v. 30. Dezember 1975, S. 4), zuletzt geändert durch Vereinbarung v. 25. Oktober 2001 (BAnz. S. 25218); eine Zustimmung der Länderseite“ ist laut Gesetzesbegründung nicht erforderlich. Die Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung nach Art. 91b GG – Rahmenvereinbarung Forschungsförderung – v. 28. November 1975 (BAnz. Nr. 240 v. 30. Dezember 1975, S. 4), zuletzt geändert durch Vereinbarung v. 25. Oktober 2001 (BAnz. S. 25218) sowie hierzu ergangene Ausführungsvereinbarungen sind nach Maßgabe der Eckpunkte des Begleittextes zu Art. 91b Abs. 1 anzupassen. Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Förderung der angewandten Forschung und Entwicklung an Fachhochschulen nach Art. 91b des Grundgesetzes v. 3. November 2003 (BAnz. S. 24921) gilt fort. 188 J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 293; U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91b Rn. 8. 189 BT-Drs. 16/813, S. 16. 190 U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 16. 191 BT-Drs. 16/813, S. 16.
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einzelnen Projekten außerhalb der Hochschulen. 192 Es können somit sowohl Einrichtungen gefördert werden, die selbst forschen, als auch solche, deren Aufgabe in der Forschungsförderung an sich besteht. 193 Als zweiten Fall der Wissenschaftsförderung sieht Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG die Möglichkeit einer gemeinsamen Finanzierung von „Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen“ durch Bund und Länder vor. Von der Tatbestandsseite aus betrachtet beschränkt sich diese zweite Form der Wissenschaftsförderung im Gegensatz zu Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GG ausschließlich auf Hochschulen. 194 Vor dem Hintergrund des Wegfalls der Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus gem. Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG (a.F.) und dem Wortlaut des Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG, der für Bund und Länder im Zusammenwirken nur „Vorhaben“ 195 als förderfähig betrachtet, ist der Neu- und Ausbau von Einrichtungen der Hochschulen fortan alleinige Aufgabe der Länder. Für den Wegfall der gemeinsamen Förderungsmöglichkeit erhalten die Länder bis Ende 2019 nach Art. 143c GG Ausgleichszahlungen. Probleme ergeben sich jedoch aus der wenig gelungenen Formulierung des Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG. Dieser sieht eine Fördermöglichkeit für „Wissenschaft und Forschung“ vor. Fraglich ist, ob neben der hochschulischen Forschungsförderung auch die Lehre förderungsfähig ist, was insbesondere vor dem Hintergrund eines zu erwartenden Anstiegs der Studienplatzbewerber zukünftig von Bedeutung werden könnte. Der Wortlaut entspricht nicht der in Art. 5 Abs. 3 GG gewählten Wortsystematik, nach welcher der Begriff der „Wissenschaft“ den Oberbegriff zu dem sich ergänzenden Begriffspaar „Forschung und Lehre“ bildet. 196 Dennoch wird gerade über die Verwendung des Oberbegriffs der „Wissenschaft“ deutlich, dass über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG auch die Lehre gefördert werden kann. 197 Als erschwerende Voraussetzung für eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Förderung von Wissenschaft und Forschung an Hoch192 BT-Drs. 16/813, S. 16; U. Mager, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 91b Rn. 17. 193 Daher können auch weiterhin außerhochschulische Einrichtungen wie bspw. die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Frauenhofergesellschaft oder die Max-Plank-Gesellschaft über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GG gefördert werden; vgl. hierzu auch J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 295; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 91b Rn. 30. 194 Auch hier gilt der weite Hochschulbegriff, vgl. U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91a Rn. 16. 195 Unter „Vorhaben“ versteht man abgegrenzte Sachaufgaben, die von konkreten wissenschaftlichen Zielen geleitet sind, vgl. R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91b Rn. 8; H. Ruhe, in: D. Hömig, GGK, Art. 91b Rn. 4. 196 BVerfGE 35, 79 (113); J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 300; J. Ipsen, Staatsrecht II, Rn. 528; M. Sachs, Verfassungsrecht II, S. 319 (Rn. 109), E. Stein / G. Frank, Staatsrecht, S. 393.
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schulen sieht Art. 91b Abs. 1 S. 2 GG ein Zustimmungserfordernis aller Länder vor, welche als Kompensation für die Erweiterung der Fördermöglichkeiten auf die Lehre zu verstehen ist. Inwieweit ein solches Vetorecht eine gemeinsame Förderung über das Instrument der Gemeinschaftsaufgaben der Wissenschaftsförderung an Hochschulen überhaupt noch möglich macht, wird die Zukunft zeigen. Ländern mit Einzelinteressen, wie beispielsweise den Stadtstaaten mit ihren überproportionalen Hochschullasten, ist damit ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel an die Hand gegeben worden. Über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG können Bund und Länder weiterhin die Finanzierung von „Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich von Großgeräten“ finanzieren. Nach dem die Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus gem. Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG (a.F.) weggefallen ist, liegt die Verantwortung in diesem Bereich wieder bei den Länderparlamenten. Wie fortan die genaue Abgrenzung von förderungsfähigen Forschungsbauten zu „normalen“ Hochschulbauten vorgenommen werden soll, bleibt jedoch unklar. 198 Eine eindeutige Widmung von Gebäuden als Forschungsgebäude ohne Lehrbezug geht an der Hochschulrealität vorbei. Labore, Spezialbibliotheken und Konferenzräume werden immer auch zu Lehrzwecken benutzt werden, womit man aber nicht den Gegenschluss ziehen darf, dass ihre Bauförderung über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG von vornherein unzulässig ist. Vielmehr wird man den eindeutigen Schwerpunkt der geplanten Gebäudenutzung ermitteln müssen. Wenn das Ergebnis der Prüfung ergibt, dass der geplante Bau weit überwiegend zum Zwecke der Forschung gebaut werden soll, müssen eventuell später anfallende Nutzungen der Forschungseinrichtung zu Lehrzwecken als unvermeidliche Begleiterscheinung in Kauf genommen werden. Hinsichtlich der Förderungsmöglichkeit bei der Anschaffung von Großgeräten ist mit Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG eine eindeutige Rechtsgrundlage im Rahmen der Föderalismusreform I geschaffen worden. Laut Gesetzesbegründung soll im Wege der weiteren Präzisierung der Regelung für die Beschaffung von Großgeräten eine „Bagatellgrenze“, bei einer Orientierungsgröße von 5 Mio. €, festgelegt werden. 199 Insgesamt wird man trotz aller Eingrenzung der Mischfinanzierung in der Wissenschaftsförderung festhalten müssen, dass der Bund auch weiterhin vielerlei Möglichkeiten der Einflussnahme hat. Neben den beschriebenen Möglichkeiten über Art. 91b Abs. 1 GG kann er auch weiterhin über seine Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 13 und 33 GG Verwaltungs- und Finanzierungskompetenzen des Bundes herleiten sowie in bestimmten Bereichen Investitionshilfen gem. Art. 104b GG leisten. 200 197 So auch U. Häde, JZ 2006, S. 930 (936); J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 300; L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 171. 198 R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91b Rn. 12. 199 BT-Drs. 16/813, S. 17.
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(b) Bildungsförderung (Art. 91b Abs. 2 GG) Die im Rahmen der letzten großen Finanzreform im Jahr 1969 eingeführte, aber nicht realisierte Gemeinschaftsaufgabe gesamtstaatlicher „Bildungsplanung“ gem. Art. 91b GG (a.F.) wurde gestrichen. Dem Bund sind durch diese Streichung in Kombination mit der Beschränkung der Finanzhilfen nach Art. 104b GG auf Bereiche, für die dem Bund die Gesetzgebung zukommt, jegliche finanzielle Einflussmöglichkeiten auf die Schulen genommen worden. 201 Einzig die Mitwirkung des Bundes bei der zukunftsorientierten gemeinsamen Evaluation und Bildungsberichterstattung zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich wurde in Art. 91b Abs. 2 GG normiert. 202 Demnach sind jetzt im Schulbereich gemeinsame Feststellungen, gemeinsame Berichterstattungen und die Abgabe von gemeinsamen Empfehlungen von Bund und Ländern möglich, mit deren Hilfe laut Gesetzesbegründung Grundinformationen für die Gewährleistung der internationalen Gleichwertigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungswesens erhoben werden sollen. 203 Die Ergebnisse des Zusammenwirkens sind unverbindlich, daher bleiben – unbeschadet eventueller gemeinsamer Empfehlungen – grundsätzlich allein die Länder für diesen Bereich zuständig. Insgesamt handelt es sich bei dieser Novellierung um eine massive Rückverlagerung von Kompetenzen im Bildungsbereich auf die Länder, die ideologisch motivierten Regierungsprogrammen ihre Rechtsgrundlage entzieht. 204 Für die wegfallenden Mittel der Bildungsplanung werden gem. Art. 143c GG Kompensationszahlungen vom Bund an die Länder geleistet.
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Vgl. zu Art. 104b GG Zweiter Teil Kap. B.I.1.b) bb)γ). U. Häde, JZ 2006, S. 930 (936). 202 Hierunter fällt z. B. die sog. „PISA-Studie“. 203 BT-Drs. 16/813, S. 17. 204 Daher entfällt fortan die „Rahmenvereinbarung zur koordinierten Vorbereitung, Durchführung und wissenschaftlichen Begleitung von Modellversuchen im Bildungswesen“ (Rahmenvereinbarung Modellversuche v. 7. Mai 1971 bzw. 17. / 21. Dezember 1990); ferner sind aufgrund des bisherigen Art. 91b eine Reihe von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern abgeschlossen worden, zu welchen auch das Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern über die Errichtung einer gemeinsamen Kommission für Bildungsplanung (BLK-Abkommen) v. 25. Juni 1970 i. d. F. v. 17. / 21. Dezember 1990 (BAnz. 1991 S. 683) gehört. Dieses Abkommen ist nach den Maßgaben des Begleittextes zu Art. 91b wegen der in der Neufassung von Art. 91b wegfallenden bisherigen Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und der neuen Gemeinschaftsaufgabe Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich und diesbezüglichen Berichten und Empfehlungen (Art. 91b Abs. 2) anzupassen, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 17. 201
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
(c) Kostentragung (Art. 91b Abs. 3 GG) Der neue Art. 91b Abs. 3 GG sieht vor, dass die Kostentragung in der jeweiligen Vereinbarung über die Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern geregelt wird. Im Vergleich mit der Vorgängerregelung des Art. 91b S. 2 (a.F.) unterscheidet er sich im Wortlaut insoweit, dass jetzt die „Kostentragung“ und nicht mehr wie früher die „Aufteilung der Kosten“ in der Vereinbarung über eine Zusammenarbeit zu regeln ist. Durch den Begriff „Kostentragung“ wird klargestellt, dass der Bund im Rahmen der Vereinbarung grundsätzlich mit der Zustimmung aller Länder auch alleine fördern darf. 205 Die Frage, ob Abs. 3 über die Zweckausgaben auch die Verwaltungsausgaben mit umfasst, ist zu verneinen, da Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG als lex specialis eine Anwendung des Art. 91b Abs. 3 GG ausschließt. 206 γ) Finanzhilfen des Bundes (Art. 104b GG) Eine weitere Möglichkeit, vom Konnexitätsprinzip abzuweichen, eröffnet Art. 104b GG. Die Folgeregelung des Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) ermöglicht dem Bund, sich über Finanzhilfen an den Aufgaben der Länder einschließlich der Gemeinden und Gemeindeverbände zu beteiligen. 207 Seinen historischen Hintergrund hat Art. 104b GG, wie die anderen Mischfinanzierungstatbestände auch, in der Fondswirtschaft des Bundes vor der großen Finanzreform im Jahr 1969. Die bis heute nur unwesentlich veränderte Regelung sollte die Praxis der Bundesfondsverwaltung zum einen rechtlich im Sinne eines kooperativen Föderalismus absichern 208, andererseits die Einflussnahme des Bundes auf die Länder und Gemeinden bei Investitionstätigkeiten begrenzen. 209 Von seinem Regelungscharakter gehört Art. 104b GG systematisch keineswegs, wie vereinzelt behauptet, zum System des Finanzausgleichs. 210 Da er gerade nicht die Verteilung der Finanzmittel zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs, sondern zweckgebundene Zuwendungen im Hinblick auf bestimmte Aufgaben vorsieht, ist er eindeutig als eine dem Finanzausgleich vorgeschaltete Lastenverteilungs205 BT-Drs. 16/813, S. 16; R. Schmidt-De Caluwe, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 91b Rn. 15. 206 W. Blümel, HdbStR IV, § 101 Rn. 153 (1. Auflage); T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 91b Rn. 42; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 91b Rn. 4; kritisch U. Volkmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 91b Rn. 13. 207 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (220). 208 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 73 ff. 209 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 87; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 149. 210 So K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 59.
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regelung zu qualifizieren. 211 Aus teleologischer Sicht dient das Finanzierungsinstrument der Bundesfinanzhilfen hauptsächlich zwei Zwecken: Zum einen sollen Investitionen in Ländern ermöglicht werden, die vom Bund im gesamtstaatlichen Interesse für erforderlich gehalten werden 212; zum anderen ist es ein Ausgleich für durch Investitionen der Länder verursachte externe Effekte, d. h. dass getätigte Investitionen auch anderen Ländern bzw. dem Gesamtstaat zugute kommen können 213. Das im Ermessen des Bundes liegende Instrument der Finanzhilfen unterscheidet sich von Art. 104a Abs. 3 GG durch seine Projektbezogenheit. Finanzhilfen nach Art. 104b GG sind für bestimmte Investitionen zweckgebundene Zuwendungen des Bundes. 214 Der Bund ist hierbei einzig zur finanziellen Mitwirkung an dem für förderungswürdig erachteten Projekt befugt. 215 Gem. Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG ist die Finanzierungskompetenz des Bundes jedoch grundsätzlich auf drei Förderziele begrenzt. Problematisch ist hierbei der weite Interpretationsspielraum der genannten Förderziele. Ist die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts als Voraussetzung für die Gewährung von Bundesfinanzhilfen noch eingrenzbar 216, verhält es sich mit den anderen beiden Alternativen, dem Ausgleichs der unterschiedlichen Wirtschaftskraft im Bundesgebiet und der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums genau umgekehrt. 217 Das BVerfG sah sich deshalb dazu veranlasst klarzustellen, dass Finanzhilfen des Bundes für Länderaufgaben in einer bundesstaatlichen Finanzordnung die Ausnahme darstellen und somit strikt zu begrenzen sind. 218 Bei einer „extremen Haushaltsnotlage“ eines Landes sollten die Finanzhilfen als ein adäquates Mittel der Hilfeleistung einsetzbar sein. 219 Von weiteren inhaltlichen Vorgaben für eine solche Begrenzung hat das Gericht damals jedoch Abstand genommen. In der Literatur setzte sich 211 BVerfGE 39, 96 (112); K. H. Friauf, JA 1984, S. 618 (622); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 103. 212 J. Wieland, Neugestaltung der Finanzbeziehungen, in: Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern, S. 161 (223). 213 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 103. 214 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (220). 215 F. Klein, Die Ausgabenbegrenzung zwischen Bund und Ländern nach Art. 104a GG, in: H. J. Faller / P. Kirchhof / E. Träger, FS für Willi Geiger, S. 501 (514 f.). 216 Der Begriff der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ist hier wie in Art. 109 Abs. 2 und Abs. 4 S. 1, Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG in der Fassung vor der Föderalismusreform II sowie in § 1 S. 2 StabG als konjunkturelle Krise zu verstehen; vgl. hierzu BVerfGE 79, 311 (338 f.); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 109 Rn. 11 ff. 217 BVerfGE 39, 96 (114); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 57; W. Henle, Finanzpolitik und Finanzverfassung, S. 264; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 87; R. Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 201 ff. 218 BVerfGE 39, 96 (110, 114 f.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
die Auffassung durch, dass Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) als eine Art Auffangkompetenz zu interpretieren sei, die die Ertragsverteilung durch den Finanzausgleich grundsätzlich nicht verfälschen dürfe. 220 Die aufgezeigten Eingrenzungsbestrebungen des Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) sind im Zuge seiner Neugestaltung durch die Föderalismusreform I materiell-rechtlich in den Tatbestand des Art. 104b GG aufgenommen worden. In der neu gestalteten Nachfolgeregelung wurde in Abs. 1 festgelegt, dass der Bund grundsätzlich nur noch Finanzhilfen in den Bereichen gewähren darf, in welchen er die Gesetzgebungszuständigkeit hat. 221 Die (Mit-)Finanzierungskompetenz des Bundes ist somit durch seine Gesetzgebungskompetenz beschränkt. 222 Es wird sich zukünftig zeigen, inwieweit sich diese Grenzziehung vor dem Hintergrund einzelner kostenintensiver Aufgaben im ausschließlichen Bereich der Länderkompetenzen durchhalten lässt. Während der sich im Jahr 2008 abzeichnenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wurde aber schon für solche Notlagekonstellationen über eine Suspensionsregelung von der Koppelung an die Gesetzgebungskompetenzen nachgedacht. Infolgedessen normierte der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Föderalismusreform II in Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG einen Aufhebungstatbestand für die Beschränkung der Gewährung von Finanzhilfen auf Bereiche, in denen dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht. 223 Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht es dem Bund im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen im Sinne des Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG (n.F.) und Art. 115 Abs. 2 S. 6 (n.F.), d. h. insbesondere bei einer schwerwiegenden Finanz- und Wirtschaftskrise, auch in Bereichen, in denen er keine eigene Gesetzgebungskompetenz hat, den Ländern Investitionshilfen gewähren zu können. Hinsichtlich der Reichweite der Regelung stellt sich die Frage, ob für die Gewährung von Bundesfinanzhilfen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gem. Art. 74 GG im Regelfall auch die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen müssen. Teilweise wird die Meinung vertreten, dass sich hierfür keine Hinweise in der Gesetzesbegründung fänden. Vielmehr würde es bei Finanzhilfen, die durch unterschiedliche Zielsetzungen auf mehreren Kompetenzgrundlagen gründen, zu komplizierten Abgrenzungsschwierigkeiten kommen. 224 219 BVerfGE 86, 148 (269) = NJW 1992, S. 2279; Diese Aussage dürfte auch weiterhin im Zusammenhang mit dem bundesstaatliche Notstand gelten; vgl. BVerfGE, 116, 327 (377 ff.). 220 R. Prokisch, Die Justiziabilität der Finanzverfassung, S. 198 f.; H.-G. Sokolish, DVBl. 1977, S. 848 (849 f.); C. Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 273; a. A. u. a. H. H. v. Arnim, in: HdbStR IV, § 103 Rn. 50 ff. (1. Auflage). 221 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (935); J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 350; H. Butzer, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 104b Rn. 19. 222 J. Müller-Volbehr, Fonds- und Investitionshilfekompetenz des Bundes, S. 32 f. 223 Vgl. BR-Drs. 262/09; Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, KOM 174, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 109 f.
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
125
Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. 225 Sie gründet sich noch auf der im Verfassungsänderungsentwurf vorgesehenen Einschränkung, nach welcher Bundesinvestitionen gem. Art. 104b GG nicht im Rahmen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder in Betracht kamen. 226 Nach dieser am Schluss der Beratungen noch abgeänderten Fassung wäre es nicht auf die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG angekommen, da den Länder keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zukommt, über die der Bund grundsätzlich entscheiden kann. 227 Nach der gegenwärtigen Fassung des Art. 104b Abs. 1 GG ist jedoch das Vorliegen einer Bundeskompetenz maßgeblich, womit auch Art. 72 Abs. 2 GG beachtet werden muss. In den Bereichen, in denen der Bund Kompetenzen im Bildungsbereich hat (nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG – Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse), bleibt die Förderungsmöglichkeit nach Art. 104b GG bestehen. Weitere Veränderungen ergeben sich durch eine Konkretisierung der verfassungsrechtlich verbindlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der Finanzhilfen. Nach Art. 104b Abs. 2 S. 2 und 3 GG müssen Finanzhilfen nun befristet werden und dürfen nur noch degressiv ausgestaltet sein. 228 Hierbei stehen die Einschränkungen in der Ausgestaltung der Finanzhilfen mit ihrer Intention, der Verfestigung von Bundesförderungen entgegenzutreten, in einem gewissen Wertungswiderspruch zu den in Art. 104b Abs. 1 GG genannten Förderzielen, die mitunter auch längerfristige Finanzhilfen erfordern. 229 Es erscheint im Ergebnis zweifelhaft, ob die durch die Befristung und degressive Ausgestaltung der Finanzhilfen bezweckte Begrenzungsfunktion in letzter Konsequenz greift. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Regelung des Art. 104b GG bei Auslaufen von Finanzhilfen einer erneuten Gewährung unter den beiden Einschränkungen nicht entgegensteht. 230 Reformbedingte verfahrensrechtliche Änderungen zur Gewährung von Finanzhilfen ergeben sich aus Art. 104b Abs. 2 S. 2 2. Hs. und Abs. 3 GG. Zur Durchfüh224 J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 352; I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (152). 225 So auch zutr. H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 31. 226 Vgl. BT-Drs. 16/813, S. 4 u. 19. 227 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 31. 228 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (935); K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (220 Fn. 13). 229 J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 355; H. Meyer, in: Gemeinsame Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform, Stenographischer Bericht, 18. Sitzung, 31. Mai 2006, S. 12 (D). 230 So auch I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (152).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
rung der finanziellen Hilfeleistung ist wie bisher grundsätzlich nach Art. 104b Abs. 2 S. 1 GG ein Gesetz zu erlassen, dem die Länder im Bundesrat zustimmen müssen. Neu ist die in Art. 104b Abs. 2 S. 2 2. Hs. GG vorgesehene Überprüfungspflicht, nach der die gewährten Finanzhilfen in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen sind. Laut der Gesetzesbegründung soll über das vorgesehene Überprüfungsinstrumentarium anhand von zu formulierenden Zielvorgaben insbesondere die vorgesehene Inanspruchnahme und zweckmäßig Verwendung der Bundesmittel kontrolliert werden. 231 Da dem Wortlaut der Regelung nicht zu entnehmen ist, wer für die Überprüfung zuständig ist, kann man davon ausgehen, dass es sich nach Sinn und Zweck der Regelung hierbei einzig um die die Bundesfinanzhilfen gewährende Stelle handeln muss. Weiterhin sieht Art. 104b Abs. 3 GG zur Durchsetzung der Überprüfungspflicht ein umfassendes Unterrichtungsrecht von Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat gegenüber den Empfängerländern vor. Fraglich ist, wer den in der Norm genannten Bundesorganen zur Unterrichtung verpflichtet ist? 232 Folgt man dem BVerfG, ist ausschließlich das Land als Empfänger von Bundesfinanzhilfen und somit nicht die angeschlossene mittelbare und unmittelbare Landesverwaltung hierzu verpflichtet. 233 Unter Einhaltung dieser Vorgaben ist ausschließlich das Land bzw. seine Regierung als Adressat des Unterrichtungsanspruches der in Art. 104b Abs. 3 GG bezeichneten Bundesorgane anzusehen. 234 Die bislang gängigen Beispiele, in denen Bundesfinanzhilfen geleistet werden 235, müssen daher nach Maßgabe der erfolgten Eingrenzung auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Nach Art. 125c Abs. 2 S. 1 GG galten die in den Bereichen der Gemeindeverkehrsfinanzierung und der sozialen Wohnraumförderung geschaffenen Regelungen nach Art. 104a Abs. 4 (a.F.) bis zum 31. Dezember 2006 fort. Im Bereich der Gemeindeverkehrsfinanzierung für die besonderen Programme nach § 6 Abs. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, für die sonstigen nach Art. 104a Abs. 4 GG in der bis zum 1. September 2006 geltenden Fassung geschaffenen Regelungen sowie für die bereits erwähnte Regelung der Hafenlasten 236 gelten die bisher getroffenen gesetzlichen Regelungen nach Art. 125c Abs. 2 S. 2 GG 231
BT-Drs. 16/813, S. 19. H. Butzer, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 104b Rn. 29. 233 BVerfGE 39, 96 (122); 41, 291 (313). 234 So auch J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 362. 235 U.a. die Finanzierung der Seehäfen, Programme zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus sowie Bildungsförderungsprogramme. 236 Vgl. Art. 9 (Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für Seehäfen) des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 (3962). 232
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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bis zum 31. Dezember 2019 fort, soweit nicht ein früherer Zeitpunkt für das Außerkrafttreten festgelegt ist oder wird. Für eine Beteiligung des Bundes an der Seehafenfinanzierung nach Art. 104b GG könnte entgegen einem realen gesamtstaatlichen Investitionsinteresse nach dem Jahr 2019 kein Raum mehr bestehen, wenn man der Auffassung folgt, der Betrieb der Häfen läge in der ausschließlichen Kompetenz der Länder. Zu einer tief greifenden Veränderung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern wird es durch den neu gefassten Art. 104b GG in absehbarer Zeit vor allem im Kulturbereich und im Bereich der schulischen Bildung kommen. Nach der Neuregelung ist z. B. die Auflage eines neuen Ganztagsschul-Investitionsprogramms grundsätzlich nicht mehr zulässig, weil das Schulwesen Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder ist. Die bestehende Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung über ein Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ vom 29. April 2003 soll laut Gesetzesbegründung aufgrund der Übergangsregelung des Art. 125c Abs. 2 S. 2 GG weiter gelten. Dort, wo der Bund im Bildungsbereich Kompetenzen hat (außerschulische berufliche Bildung und Weiterbildung, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse), sind unter den Voraussetzungen des Art. 104b GG Finanzhilfen weiterhin zulässig, weil in diesen Bereichen keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht. Auch die gemeinsame Kulturförderung von Bund und Ländern soll von einer Neuregelung unberührt bleiben. Im Ergebnis ist es dem Bund, vorbehaltlich der Ausnahme in Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG, untersagt, über Finanzhilfen nach Art. 104b GG allgemeine wirtschafts-, raumordnungs- oder strukturpolitische Ziele insbesondere im Bereich der Länderkompetenzen durchzusetzen. 237 Die Neugestaltung des Art. 104b GG wirkt im Besonderen durch die verschärften Anforderungen an die Zahlung von Finanzhilfen einseitig zu Lasten der Länder. 238 Dennoch ist es durch die Neuregelung, abgesehen von den erwähnten Bedenken, gelungen, die Bundesfinanzhilfen über das Mittel der Befristung und der Pflicht zur degressiven Ausgestaltung auf ihre zugedachte Funktion als eine nicht in Konkurrenz zum Finanzausgleich stehende, zeitlich begrenzte Hilfe zurückzuführen. 239 Die nach Art. 79 Abs. 3 GG vor Veränderungen geschützten Grundsätze des Art. 20 GG werden durch die Änderung des Art. 104b GG nicht berührt. Allein aus verfassungspolitischer Sicht ist nicht verständlich, warum der Gesetzgeber keine Alternative zur Intranzparenz des Instruments der Mischfinanzierung gewählt hat und insoweit eine Finanzierung der Bundesländern gemessen an vorab zu definierenden Aufgaben ohne Finanzhilfen oder zusätzliche Schulden determiniert.
237 238 239
BVerfGE 39, 96 (111 ff.) = NJW 1975, S. 19. So auch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (6). Hierzu schon BVerfGE 39, 96 (111 f.); C. Starck, JZ 1975, S. 363 (364).
128
2. Teil: Finanzordnung und Reform
δ) Ausgleich für Sonderbelastungen (Art. 106 Abs. 8 GG) Art. 106 Abs. 8 GG gewährt einzelnen Ländern und Gemeinden oder Gemeindeverbänden einen Anspruch gegen den Bund auf Ausgleich von Sonderbelastungen, die dort unmittelbar aus einer vom Bund veranlassten besonderen Einrichtung resultieren. 240 Eine weitere Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch ist, dass den Anspruchsstellern nicht zugemutet werden kann, diese Sonderbelastung selbst zu tragen. 241 Gegenstand der Ausgleichsverpflichtung sind die Ausgaben, die ein anderer Verwaltungsträger durch die vom Bund veranlasste Einrichtung zu tragen hat. Indem ein Hoheitsträger (Bund) die finanzielle Verantwortung für die Ausgabentragung eines anderen Hoheitsträgers (Länder, Gemeinden) übernimmt, stellt sich Art. 106 Abs. 8 GG gleichfalls als Ausnahme vom Konnexitätsprinzip in Art. 104a Abs. 1 GG dar. 242 Hierbei ist zu beachten, dass die Regelung nur einen Ausgleich der Mehrbelastung vorsieht. Der Bund ist demnach u.U. nicht zur vollen Kostenübernahme verpflichtet. Die Regelung ist somit als Mischfinanzierungstatbestand zu qualifizieren. Ferner ist Art. 106 Abs. 8 GG insbesondere für die Gemeinden von Bedeutung, da er ihnen in Abweichung der grundsätzlichen Zweistufigkeit der Finanzordnung einen unmittelbaren Anspruch gegen den Bund zugesteht. 243 cc) Ungeschriebene (Mit-)Finanzierungszuständigkeiten des Bundes? In Art. 104a Abs. 1 GG wird die Finanzierungszuständigkeit der Kostentragungslast und die Aufgabenfinanzierungsbefugnis geregelt. 244 Im Zusammenhang mit den im Grundgesetz ausdrücklich normierten besonderen Finanzierungsbefugnissen der Art. 91a, Art. 91b und Art. 104b GG stellt sich die Frage, ob und inwieweit es darüber hinaus auch ungeschriebene (Mit-)Finanzierungszuständigkeiten des Bundes für bestimmte Aufgaben geben kann. 240 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 106 Rn. 55; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 147; ausführlich zu dieser durch die Föderalismusreform I unverändert gebliebenen Regelung L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 203 ff. 241 U. Häde, Finanzausgleich, S. 81; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 153 ff. 242 U. Häde, Finanzausgleich, S. 81; A. Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, S. 259 f.; C. Meis, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden, S. 106 f.; a. A. I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 90 f.; S. Luther, Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, S 127, die in Art. 106 Abs. 8 GG eine Regelung der Einnahmeverteilung sehen. 243 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 91; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 106 Rn. 95; C. Meis, Verfassungsrechtliche Beziehungen zwischen Bund und Gemeinden, S. 110. 244 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 20.
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
129
Die angesprochene Problematik hat ihren Ursprung in der sich in der Nachkriegszeit aufgrund fehlender verfassungsrechtlicher Regelungen und real bestehender Finanzierungsbedarfe zügellos entwickelnden Mischfinanzierung und Bundesfondsverwaltung. Im Vorfeld der letzten großen Finanzreform 1969 schlug die Troeger-Kommission vor, die bestehenden Unklarheiten hinsichtlich der (Mit-)Finanzierungskompetenzen durch eine Verwaltungsvereinbarung über die Finanzierung öffentlicher Aufgaben von Bund und Ländern auszuräumen. 245 Diese über das Ausarbeitungsstadium nie herausgekommene Vereinbarung definierte sechs Bereiche, in denen dem Bund eine (Mit-)Finanzierungskompetenz zukommen sollte. 246 Ferner wurden die Instrumentarien der Art. 91a, 91b und Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) zur Regelung der Problematik 1969 im Grundgesetz verankert. Die Tatsache, dass es dem Bund über die Grundgesetzänderung in Teilbereichen gestattet wurde, bestimmte Länderaufgaben mitzufinanzieren, hielt ihn nicht davon ab, auch weiterhin Aufgaben ohne geschriebene Kompetenzgrundlage in großem Umfang zu bezuschussen. De facto finanziert der Bund bis heute jährlich immer noch Länderaufgaben in Höhe mehrerer Milliarden €, ohne hierfür ausdrücklich durch das Grundgesetz ermächtigt zu sein. Seine weitreichenden Fördertätigkeiten erstrecken sich u. a. auf die Bereiche Kunst- 247, Kultur-, Sport-, sektorale Wirtschafts- 248 und Forschungsförderung. 249 Verfassungsrechtlich ist die Zulässigkeit ungeschriebener (Mit-)Finanzierungskompetenzen des Bundes umstritten. Hierbei ist zunächst die Finanzierungsverantwortung kraft ungeschriebener Verwaltungszuständigkeit von der Problematik der ungeschriebenen Finanzierungszuständigkeiten abzugrenzen. Besteht eine geschriebene oder auch ungeschriebene Verwaltungszuständigkeit des Bundes, bedarf es keiner Finanzierungszuständigkeitsregelung mehr, da sich die Finanzierungszuständigkeit nach Art. 104a Abs. 1 GG richtet. 250 Grundsätz245 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 85 ff. u. Anlage 2, Rn. 178 f. 246 Sog. „Flurbereinigungsabkommen“, abgedruckt in: D. Frey, Die Finanzverfassung des Grundgesetzes, in: Bundesministerium der Finanzen, Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern Gemeinden aus finanzverfassungsrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht, S. 14 (75 ff.). 247 Förderung von Museen, Festspielen etc. 248 Förderung der Werftenindustrie, Steinkohlebergbau, Fischerei etc. 249 H. B. Brockmeyer, Ungeschriebene Finanzierungszuständigkeiten des Bundes, in: P. Kirchhof / K. Offerhaus / H. Schöberle, FS für Franz Klein, S. 633 (643 ff.); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 144; H. Siekmann, DÖV 2002, S. 629 (630); J. Wieland, Ungeschriebene Ausgabenkompetenzen des Bundes in der geschriebenen Verfassung des Grundgesetzes?, in: J. Brink, Aktuelle Fragen der Finanzordnung im internationalen und nationalen Recht, S. 129 (130 ff.). 250 H. B. Brockmeyer, Ungeschriebene Finanzierungszuständigkeiten des Bundes, in: P. Kirchhof / K. Offerhaus / H. Schöberle, FS für Franz Klein, S. 633 (636 f.); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 146; G. Trapp, Veranlassungsprinzip, S. 52; a. A. wohl H. Siekmann, DÖV 2002, S. 629 (635).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
lich hat der Bund die Verwaltungskompetenz gem. Art. 30 GG nur, soweit das Grundgesetz dies vorsieht. 251 Darüber hinaus sind aber auch ungeschriebene Verwaltungskompetenzen (Bundskompetenz kraft Sachzusammenhang, Annexkompetenz und Bundeskompetenz kraft Natur der Sache) überwiegend anerkannt. 252 Im Zusammenhang mit den damit einhergehenden Unklarheiten finden sie nur restriktiv Anwendung und können daher den Großteil der getätigten Fördermaßnahmen, insbesondere in den Bereichen der Bildungs-, Kultur-, Film- und sektoralen Wirtschaftsförderung, als Bundeskompetenz nicht abdecken. 253 Somit könnte der Bund seine Zuständigkeit, in den außerhalb der Verwaltungskompetenz liegenden Bereichen, nur über ungeschriebene (Mit-)Finanzierungszuständigkeiten herleiten. Unter einer ungeschriebenen Finanzierungszuständigkeit versteht man eine Kompetenz, die im Verwaltungsbereich der Länder unter Durchbrechung des Konnexitätsprinzips gem. Art. 104a Abs. 1 GG besteht, ohne dass im Grundgesetz explizit eine normierte Ausnahme greift. 254 Waren ungeschriebene (Mit-) Finanzierungszuständigkeiten bis zur Finanzreform 1969 in Anbetracht fehlender Regelungen allgemein anerkannt, werden sie heute zu Recht überwiegend als legitime Kompetenzgrundlage des Bundes abgelehnt. 255 Insbesondere durch die 1969 erfolgte Normierung der Art. 91a, Art. 91b und Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) sind dem Bund als abschließend zu betrachtende Instrumentarien zur Umsetzung gesamtstaatlicher Interessen eingerichtet worden. 256 Für die Richtigkeit dieser Sichtweise spricht auch der Wortlaut des im Rahmen der Föderalismusreform I neu gefassten Art. 104b Abs. 1 GG. Demnach sind Finanzhilfen des Bundes nur zulässig „soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Verfassungsgesetzgeber über die im Grundgesetz normierten Finanzierungszuständigkeiten des Bundes hinaus keine weiteren ungeschriebenen Kompetenzen vorsieht. Überdies wür251
Vgl. Erster Teil Kap. C.II.3. BVerfGE 4, 74 (84); 8, 143 (149 f.); 12, 205 (137, 251); 98, 265 (299); K. Stern, Staatsrecht I, S. 676. 253 U. Häde, Finanzausgleich, S. 106, 109 f.; J. Wieland, Ungeschriebene Ausgabenkompetenzen des Bundes in der geschriebenen Verfassung des Grundgesetzes?, in: J. Brink, Aktuelle Fragen der Finanzordnung im internationalen und nationalen Recht, S. 129 (145 ff.). 254 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 149; U. Kirste, Die Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder nach Art. 104a Absatz 4 Grundgesetz, S. 59. 255 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 149; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 12; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 104a Rn. 4; ders., DÖV 2002, S. 629 (639); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1138, 1141; J. Wieland, Ungeschriebene Ausgabenkompetenzen des Bundes in der geschriebenen Verfassung des Grundgesetzes?, in: J. Brink, Aktuelle Fragen der Finanzordnung im internationalen und nationalen Recht, S. 129 (144 ff.). 256 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 267; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 104a Rn. 4. 252
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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de mit ansonsten auftretenden ungeregelten Doppelkompetenzen eine Einbuße an Rechtsklarheit und Rechtsicherheit in der sonst so präzise ausformulierten Finanzverfassung einhergehen, welche gerade die Länder in ihrer Autonomie unverhältnismäßig schwächen würde. 257 Im Ergebnis sind ungeschriebene (Mit-) Finanzierungszuständigkeiten des Bundes daher abzulehnen. 2. Verteilung der Ausgabenkompetenz für die Verwaltungsausgaben (Art. 104a Abs. 5 S. 1 1. Alt. GG) Für die von den Zweckausgaben zu unterscheidenden Verwaltungsaufgaben wird die Ausgabenkompetenz für Personal- und Sachkosten gem. Art. 104a Abs. 5 S. 1 1. Alt. GG an die Einrichtungsverantwortung der Verwaltungsbehörden gekoppelt. 258 Insoweit folgt die Finanzierungsverantwortung entsprechend dem Konnexitätsprinzip aus Art. 104a Abs. 1 GG der Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten. 259 Die Regelung ist zwingend. Die Länder haben somit auch bei den im Grundgesetz normierten Ausnahmen 260 von Art. 104a Abs. 1 GG die entstehenden Verwaltungskosten zu tragen. 261 Hintergrund dieser Kostentragungslösung ist, dass letztendlich jeder mit einer Aufgabe betraute Verwaltungsträger grundsätzlich auch die Gestaltungsmacht und die Verantwortung für die Arbeitsabläufe hat. 262 Darüber hinaus werden durch die eindeutige Zuordnung der Kosten komplizierte Entscheidungen über Kostenerstattungen nach Verursachungsbeiträgen des Normengebers und der Vollzugsbehörde vermieden. 3. Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei gemeinschaftsrechtlichen Zahlungsverpflichtungen Die Verteilung der Ausgabenkompetenzen für Zahlungsverpflichtungen gegenüber der EG war bisher nicht explizit im Grundgesetz geregelt. Mit Art. 104a Abs. 6 GG und Art. 109 Abs. 5 GG wurden im Rahmen der Föderalismusreform I zwei sich ergänzende Regelungen eingeführt, deren Ziel es ist, anfallende gemeinschaftsrechtliche Zahlungsverpflichtungen zumindest in Teilbereichen den verschiedenen Ebenen im Bundesstaat klar zuzuordnen. Es finden sich seitdem im Grundgesetz erstmalig Regelungen, die vorgeben, wer innerstaatlich für Zahlungsverpflichtungen Deutschlands gegenüber der EG einzustehen hat. 257
H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 267. H. H. v. Arnim, in: HdbStR VI, § 138 Rn. 21; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 93. 259 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 67; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 170. 260 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.I.1.b). 261 W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 14. 262 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 196. 258
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
a) Allgemeine Ausgabenregelungen im Zusammenhang mit der EG Im Kontext mit der Frage der innerstaatlichen Lastentragung für Kosten im Zusammenhang mit der EG gilt es zu differenzieren. Zum einen ist zu klären, wer innerstaatlich die Lasten zur Finanzierung der Gemeinschaft zu tragen hat, zum anderen, wer die eventuell entstehenden Kosten beim innerstaatlichen Vollzug sekundären Gemeinschaftsrechts trägt. aa) Innerstaatliche Lastentragung des Bundes für die Finanzierung der EG Die Beantwortung der Frage nach der innerstaatlichen Lastentragung bei der Finanzierung der EG bedarf zunächst der Erörterung einiger spezifischer Vorgaben des europäischen Primärrechts. 263 Hinsichtlich der EG findet sich die zentrale Norm zur Haushaltsfinanzierung in Art. 269 EGV. Demnach finanziert sich der Haushalt der EG nach Abs. 1 vollständig aus Eigenmitteln der EG. Der Wortlaut der Norm könnte den Rückschluss zulassen, dass eine innerstaatliche Lastentragung überhaupt nicht in Betracht kommt, da die EG sich anscheinend autark finanziert. Betrachtet man den normativen Gehalt des Begriffs der „Eigenmittel“, zeigt sich, dass diese Vermutung unzutreffend ist. Eigenmittel sind allgemein Mittel, die durch Gemeinschaftsrecht bestimmt sind und daher nicht mehr der Autonomie der Mitgliedstaaten unterliegen, wobei es sich aber nicht um eigene Abgaben der Gemeinschaft handeln muss. 264 Den Mitgliedstaaten kommt in diesem Finanzierungssystem die letztendlich entscheidende Aufgabe der Mittelbereitstellung zu, auf deren Grundlage die Gemeinschaft im Haushaltsverfahren autonom entscheidet. 265 Einer Bewilligung der nationalen Parlamente bedarf es nach Gemeinschaftsrecht nicht. Die Entwicklung von Finanzbeiträgen 263 Für die EU findet sich in Art. 6 Abs. 4 EUV eine Bestimmung, die es der Europäischen Union dem Wortlaut nach gestattet, sich mit den notwendigen Mitteln für die Erreichung ihrer Ziele auszustatten, vgl. Gesetz zum Vertrag v. 7. Februar 1992 über die Europäische Union v. 28. Dezember 1992, BGBl. 1992 II, S. 1251 (1253 ff.), zuletzt geändert durch den Beitrittsvertrag v. 16. April 2003, BGBl. 2003 II, S. 1408 ff.; entgegen der gewählten Formulierung hat Art. 6 Abs. 4 EUV jedoch nur den Charakter einer politischen Absichtserklärung, vgl. BVerfGE 89, 155 (194 f.); U. Everling, DVBl. 1993, 936 (941); M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 6 EUV Rn. 59; M. Schröder, DVBl. 1994, S. 316 (322); C. Tomuschat, EuGRZ 1993, S. 489 (492). Die Europäische Union hat keinen eigenständigen Haushalt. Vielmehr wird an allen Stellen im EUVertrag, wo Lasten entstehen können auf eine Finanzierungskompetenz der Gemeinschaft(en) oder der Mitgliedstaaten verwiesen, vgl. Art. 28 Abs. 2 und 3, Art. 41 Abs. 2 und 3, Art. 44a EUV. Im Ergebnis begründet Art. 6 Abs. 4 EUV somit keine Zuständigkeit der Europäischen Union, sich eigene Finanzmittel zu beschaffen. 264 B. Meermagen, Beitrags- und Eigenmittelsystem, S. 91 ff.; C. Waldhoff, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 269 Rn. 4.
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der Mitgliedstaaten zu den Eigenmitteln der Gemeinschaft erfolgte in verschiedenen Etappen. Insgesamt gab es seit 1970 fünf Eigenmittelbeschlüsse, wobei der letzte am 1. März 2002 in Kraft getreten ist. 266 Der Rat hat die Kommission Ende 2006 beauftragt, einen neuen Eigenmittelbeschluss auszuarbeiten, welcher inzwischen beschlossen wurde, aber noch der Ratifizierung der Mitgliedstaaten bedarf. 267 Nach dem aktuell gültigen Eigenmittelbeschluss zählen zu den Eigenmitteln Agrarabschöpfungen, Zölle, ein Anteil an der Mehrwertsteuer der Mitgliedstaaten, Eigenmittel auf Grundlage des Bruttosozialproduktes und sonstige Einnahmen 268. 269 Insbesondere bei den Eigenmitteln auf Grundlage des Bruttosozialproduktes handelt es sich aber eigentlich um verdeckte Mitgliederbeiträge. 270 Im Jahr 2008 werden den Europäischen Gemeinschaften ca. 116,86 Mrd. € durch die Eigenmittelbeiträge zur Verfügung stehen, wovon Deutschland voraussichtlich für einen Anteil in Höhe von ca. 23,265 Mrd. € aufkommen muss. 271 Bei der Festsetzung der Beträge muss die Europäische Union mit Hilfe des Europäischen Statistikamtes „Eurostat“ auf Basis von jährlichen Meldungen der 27 Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das jeweilige Bruttonationaleinkommen nach den gleichen Kriterien kalkuliert wird. Die jeweils pro Mitgliedsstaat festgesetzten Eigenmittel werden auf monatlicher Basis an Brüssel abgeführt. In Bundesstaaten wie Deutschland wirft dies die Frage auf, wie der Finanzierungsbeitrag zwischen der Bundesebene und den Gliedstaaten aufgeteilt wird. Folgt man Art. 32 Abs. 1 GG, ist für die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten grundsätzlich allein der Bund zuständig. Ihm gegenüber enthält Art. 23 GG eine Spezialregelung für die Mitwirkung Deutschlands an der Europäischen Union. 272 Nach dieser ist ebenfalls der Bund hauptsächlich für die Mitwirkung an der 265 Europäische Kommission, Die Finanzverfassung der Europäischen Union, S. 110; C. Waldhoff, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 269 Rn. 4. 266 ABl. EG 1970, Nr. L 94, S. 19; ABl. EG 1985, Nr. L 128, S. 15; ABl. EG 1988, Nr. L 185, S. 24; ABl. EG 1994, Nr. L 293, S. 9; ABl. EG 2000, Nr. L 253, S. 42. 267 Vgl. KOM (2006) 99 (endg.), Beschluß des Rates v. 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (2007/436/EG, Euratom), ABl. EU 2007, L 163, S. 17 ff. 268 U.a. die direkten Steuern der Bediensteten der Gemeinschaften, Verwaltungseinnahmen etc. 269 Anteil der verschiedenen Arten von Eigenmitteln an der Finanzierung des Haushalts 2006: Zölle und Abschöpfungen 12,7 %, Mehrwertsteueranteile 14,2%, Eigenmittel auf Grundlage des BSP 71,9 % und sonstige Einnahmen 1,2%, vgl. J. Inghelram / A. Hecker, in: C. O. Lenz / K.-D. Borchardt, EUV / EGV, Art. 269 Rn. 4. 270 R. Bieber, in: H. v. der Groeben / J. Thiesing / C.-D. Ehlermann, EU- / EGV IV, Art. 201 Rn. 8; M. Niedobitek, in: R. Streinz, EUV / EGV, Art. 269 Rn. 6; C. Waldhoff, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 269 Rn. 4. 271 Vgl. Schätzungen der Kommission in KOM (2008), 381 (endg.). 272 B. Kempen, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 32 Rn. 14; I. Winkelmann, DVBl. 1993, S. 1128 (1132).
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Europäischen Union zuständig. Die Betrachtung beider Normen führt zu dem Ergebnis, dass die innerstaatliche Finanzierungskompetenz zur Finanzierung der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 104a Abs. 1 GG beim Bund liegt. 273 Versuche des Bundes, eine Länderbeteiligung durchzusetzen, sind bisher mit dem Hinweis, dass diese Haushaltsbelastung indirekt über die Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt wird, gescheitert. bb) Lastentragung bei Ausführung von Gemeinschaftsrecht Keine größeren Probleme bereitet die innerstaatliche Zuordnung der Lastentragung beim mittelbaren Vollzug des sekundären Gemeinschaftsrechts. 274 Hier bedarf der Gemeinschaftsrechtsakt immer noch eines nationalen Umsetzungsrechtsaktes, womit die allgemeine Regeln der Art. 30, 83 ff. GG Anwendung finden. Da es sich somit um den Vollzug deutschen Rechts handelt, regelt sich die Lastentragungspflicht grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Art. 104a GG. 275 Die Frage, wer bei unmittelbar geltendem sekundärem Gemeinschaftsrecht innerstaatlich zur Lastentragung der Vollzugskosten verpflichtet ist, wird im Grundgesetz bisher nicht geregelt. Tatsache ist, dass der Rechtsgrund der Zweckausgaben auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene liegt, auf welcher hauptsächlich der Bund normativ über den Rat tätig wird. In der geringen Partizipationsmöglichkeit der Bundesländer bei unmittelbaren Rechtsakten der Gemeinschaft könnte eine Rechtfertigung für eine Lastentragung ausschließlich durch den Bund liegen. 276 Die Länder würden somit insbesondere vor von ihnen kaum zu beeinflussenden EG-Geldleistungsregeln geschützt werden. Zur Beantwortung dieser umstrittenen Frage ist zunächst die Verwaltungszuständigkeit zu ermitteln. 277 Als Anknüpfungspunkt für den unmittelbaren Vollzug des Gemeinschaftsrechts 273
U. Häde, Finanzausgleich, S. 124; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 127. 274 Bei den mittelbaren Rechtsakten der EG handelt es sich vorwiegend um Richtlinien gem. Art. 249 Abs. 2 EGV. 275 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 34; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 151. 276 Die Stellung der Länder bei der Zusammenarbeit mit dem Bund in Angelegenheiten der Europäischen Union ist i. R. d. Föderalismusreform I in den Bereichen ihrer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen partiell gestärkt worden, vgl. Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union, Art. 2 des Föderalismusreform Begleitgesetzes v. 5. September 2006, BGBl. 2006 I, S. 2098 (2104 f.). 277 Bei unmittelbar geltenden Rechtsakten der EG wird es sich vorwiegend um Verordnungen nach Art. 249 Abs. 1 EGV handeln. Ausnahmsweise kann aber auch einer Richtlinie unmittelbare Wirkung zukommen, vgl. hierzu ausführlich M. Ruffert, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 249 Rn. 73 ff.
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bieten sich zunächst die Art. 83 ff. GG an. Bei genauerer Betrachtung des Wortlautes der Art. 83 ff. GG gelten diese aber explizit nur für die Ausführung von Bundesgesetzen, womit eine direkte Anwendung auf unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht auszuschließen ist. Als Schlussfolgerung müsste man eigentlich nach der Systematik des Grundgesetzes die Grundregel des Art. 30 GG anwenden. 278 Überwiegend wird dies jedoch richtigerweise abgelehnt und eine analoge Anwendung der Art. 83 ff. GG auf den innerstaatlichen Vollzug von unmittelbarem Gemeinschaftsrecht aufgrund der Tatsache, dass beim Vollzug unmittelbar wirkenden Gemeinschaftsrechts nicht Bundesrecht im Sinne der Art. 83 ff. GG vollzogen wird, bevorzugt. 279 Im Ergebnis liegt die Verwaltungskompetenz nach beiden Ansätzen grundsätzlich bei den Ländern. Fraglich ist jedoch, wem im Anschluss an die Verwaltungskompetenz die Finanzierungskompetenz zukommt. Folgt man der Ansicht, dass sich der innerstaatliche Vollzug unmittelbaren Gemeinschaftsrechts analog nach den Art. 83 ff. GG richtet, gilt für die Lastentragung grundsätzlich das Konnexitätsprinzip gem. Art. 104a Abs. 1 GG, soweit nicht eine abweichende Lastenverteilung nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 GG greift. 280 Schwieriger verhält es sich dagegen bei unmittelbar zu vollziehenden Gemeinschaftsrechtsakten, die die Gewährung von Geldleistungen vorschreiben. Ein direkter Rückgriff auf Art. 104a Abs. 3 GG ist nicht möglich, da dieser nur für Bundesgesetze gilt. 281 Daher wird vertreten, Art. 104a Abs. 3 GG analog anzuwenden. 282 Ein solcher Lösungsansatz ist jedoch abzulehnen, weil die Entscheidungskompetenz für die Gewährung von Geldleistungen durch unmittelbar zu vollziehendes Gemeinschaftsrecht eben nicht beim Bund, sondern bei den EG liegt. 283 Art. 104a Abs. 3 GG betrifft aber die Interessenkollision zwischen Bund und Ländern bei der Gewährung von Geldleistungen, womit die Anwendung auf das Gemeinschaftsrecht keine Analogie, sondern ein Aliud wäre. 284 In Anbetracht der Tatsache, dass es an einer spezifischen verfassungsrechtlichen bzw. gesetzlichen Regelung bislang fehlt, bleibt 278 F. Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, S. 103 f.; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 104a Rn. 6; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1147. 279 So auch BVerfGE 109, 1 (7); A. Dittmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 83 Rn. 20; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 153; P. Lerche, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 83 Rn. 51; R. Streinz, in: HdbStR VII, § 182 Rn. 59 (1. Auflage). 280 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 50. 281 D. Carl, NVwZ, 1994, S. 947 (949); U. Häde, Finanzausgleich, S. 127; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 50; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 156. 282 K. Stern, Staatsrecht II, S. 1147 f. 283 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 156; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 104a Rn. 22. 284 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 50.
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es beim unmittelbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht nach Art. 104a Abs. 1 GG bei der vollen Lastentragung durch die Länder, soweit nicht der Bund für den Verwaltungsvollzug zuständig ist. 285 Dieses Ergebnis ist unbefriedigend. 286 b) Allgemeine Lastentragung bei Verletzung supranationaler oder internationaler Pflichten (Art. 104a Abs. 6 GG) Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland stellt sich die Frage, wie die durch die Verletzung von supra- bzw. internationalen Pflichten entstehenden Lasten zwischen Bund und Ländern gerecht aufgeteilt werden können. 287 Probleme bereitete die für Bundesstaaten bisher übliche Praxis, dass der Bund – unabhängig von der konkreten Verantwortlichkeit für die Pflichtverletzung – im Außenverhältnis zu Internationalen Organisationen und der EG grundsätzlich zur Begleichung bestehender Zahlungspflichten verpflichtet ist, ohne hierfür jedoch einen verfassungsrechtlich verankerten Ersatz- bzw. Erstattungsanspruch gegen mitverantwortliche Länder zu haben. Dieser Regelungslücke wurde jetzt mit der Einführung von Art. 104a Abs. 6 GG, welcher die innerstaatliche Lastentragung bei der Verletzung supranationaler oder völkerrechtlicher Pflichten regelt, entgegengetreten. Das Nähere wurde gem. S. 3 durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates bestimmt. 288 Der Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 6 GG ist weit gefasst. Jegliches Handeln von Bund und Ländern, d. h. exekutives, legislatives und judikatives Handeln, welches gegen supra- oder völkerrechtliche Verpflichtungen verstößt, wird von der neuen Regelung erfasst. 289 Verletzungshandlungen können somit Entscheidungen und Maßnahmen der Bundes- und Landesgerichte, Regierungsakte, Verwaltungsmaßnahmen jeglicher Hoheitsträger, Bundes- und Landesgesetze sowie Rechtsverordnungen und nicht rechtsetzende Parlamentsakte sein. Konnten zuvor Verstöße durch Regierungs- und Parlamentshandeln, wie zum 285 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 50; J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 157. 286 So auch H. H. v. Arnim, in: HdbStR VI, § 138 Rn. 31; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 5. 287 Vgl. zur Rechtslage vor der Reform BVerfGE 109, 1 ff.; BVerwGE 104, 29 ff.; A. Hatje, NJ 1997, S. 285 (287); M. Kaufmann, NVwZ 2004, S. 438 ff.; F. Littwin, DVBl. 1997, S. 151 (156); F. Nopper, Bund-Länder-Haftung beim fehlerhaften Verwaltungsvollzug von Gemeinschaftsrecht durch die deutschen Länder, S. 1 ff. 288 Gesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzungen von supranationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen (Lastentragungsgesetz – LastG) in Art. 15 des Föderalismusreform Begleitgesetzes v. 5. September 2006, BGBl. 2006 I, S. 2098 (2105 f.). 289 Vgl. § 1 Abs. 1 LastG; J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 335.
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Beispiel die durch den EuGH sanktionierte, aber im Verantwortungsbereich der Länder liegende Nichtumsetzung von Richtlinien nicht den Ländern zugeordnet werden, können Zuwiderhandlungen jetzt einen innerstaatlichen Regressanspruch des Bundes auslösen. 290 Die innerstaatliche Haftungsverantwortung liegt gem. Art. 104a Abs. 6 S. 1 GG fortan grundsätzlich bei derjenigen Gebietskörperschaft, die supra- oder internationale Verpflichtungen verletzt, womit die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander dem Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung folgt. 291 Sie bestimmt sich vor allem nach den Art. 30, 70 ff., 83 ff. GG, welche die Kompetenz für die innerstaatliche Umsetzung des Völker- und Europarechts geben. Die Folgen einer Pflichtverletzung treffen, aufbauend auf dem Gedanken des Verursacherprinzips, somit grundsätzlich diejenige Körperschaft, in deren Verantwortungsbereich sich der Verstoß ereignet hat. 292 Ein Verschulden seitens der betroffenen Gebietskörperschaft (Bund oder Länder) ist für die innerstaatliche Haftungsverantwortung nicht erforderlich. Das Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Aufgabenverteilung gilt laut Gesetzesbegründung explizit vertikal und horizontal für alle Fälle legislativen, judikativen und exekutiven Fehlverhaltens, womit Art. 104a GG nicht nur im Bund-Länder-Verhältnis gilt. 293 Eine Ausnahme von der Lastentragungsregelung, nach der grundsätzlich derjenige allein den vollständigen Betrag der Sanktionszahlungen zu tragen hat, der für ihre Verursachung verantwortlich ist, wurde in Art. 104a Abs. 6 S. 2 u. 3 GG normiert. Bei Fällen länderübergreifender Finanzkorrekturen durch die EG greift nach S. 2 und 3 als Ausnahme vom Verursacherprinzip eine Solidarhaftung 294. Von einer länderübergreifenden Finanzkorrektur spricht man hierbei, wenn die Europäische Kommission eine Finanzkorrektur aufgrund eines Fehlers identischer Verwaltungs- und Kontrollsysteme aller durchführenden Länder verhängt: 290 Beispiele für Sanktionslasten resultierend aus der Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Pflichten sind die Verhängung von Zwangsgeldern oder Pauschalbeträgen durch die Europäische Union, Finanzkorrekturen durch die Europäische Union aufgrund fehlerhafter Verausgabung von EU-Mitteln (Anlastungen) oder Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 19. 291 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (937). 292 BT-Drs. 16/813, S. 19; J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 337; allgemeine Gedanken zum Verursacherprinzip bei F. Ekardt, UTR 2006, S. 63 ff. 293 BT-Drs. 16/813, S. 19; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 104a Rn. 19. 294 Der Bund trägt 15 % der Gesamtlasten; die Ländergesamtheit trägt in diesen Fällen solidarisch einen Anteil in Höhe von 35 % der Gesamtlasten nach einem gesondert festzulegenden Schlüssel (gem. § 2 Abs. 2 S. 2 u. § 3 LastG nach dem sog. „Königsteiner Schlüssel“); die restliche 50 % der Gesamtlasten tragen die Länder, die die Lasten verursacht haben, anteilig entsprechend der Höhe der erhaltenen Mittel, vgl. BT-Drs. 16/813, S. 19; W. Kluth, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 104a Rn. 27; P.-C. MüllerGraff, Die Europatauglichkeit der grundgesetzlichen Föderalismusreform, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 705 (725).
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„Der Fehler wird nach konkreter Feststellung der Kommission in einem oder mehreren Ländern ohne weitere Prüfung in anderen Ländern auf die Gesamtheit der die Regelung durchführenden Länder erstreckt“. 295
Diese unpräzise Vorgehensweise der EG bei Fällen von Fehlverhalten ausschließlich auf Ebene der Bundesländer rechtfertigt eine Ausnahme vom Verursacherprinzip. Erfolgt hingegen eine spezifische Finanzkorrektur zu Lasten eines bestimmten Landes, dann hat das betroffene Land nach dem allgemeinen Grundsatz gem. Art. 104a Abs. 6 S. 1 GG die Lasten alleine zu tragen. 296 Ihre Bewährungsprobe wird die Regelung haben, wenn mehre Gebietskörperschaften für die Verletzung supra- oder internationaler Verpflichtungen verantwortlich sind. Hier wird über die einfachgesetzlichen Regelungen eine möglichst gerechte Methode der Ermittlung sowie der innerstaatlichen Zuordnung der Verursachungsbeiträge normiert werden müssen, um größeren Konflikten unter den Beteiligten vorzubeugen. Als problematisch könnte sich weiterhin das Verhältnis von Art. 104a Abs. 6 GG zu anderen Normen erweisen. Gegenüber Art. 104a Abs. 5 S. 1 2. Alt. GG, über den z.T. vor der Föderalismusreform I versucht wurde, eine Haftungsgrundlage für die Lastentragung aufgrund gemeinschaftsrechts- oder völkerrechtswidrigen Verwaltungshandeln zu begründen, ist Art. 104a Abs. 6 GG jetzt lex specialis. Ferner bedarf Art. 104a Abs. 6 GG der Abgrenzung gegenüber Art. 109 Abs. 5 GG, welcher die Verteilung von Sanktionslasten nach Art. 104 Abs. 11 EGV regelt. 297 Grundsätzlich würde Art. 104a Abs. 6 GG von seinem Anwendungsbereich eine Verletzung der Pflichten aus Art. 104 Abs. 11 EGV mit abdecken. Da Art. 109 Abs. 5 GG aber vor dem Hintergrund der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern eine Sonderregelung für diesen Fall vorsieht, ist er wiederum lex specialis gegenüber Art. 104a Abs. 6 GG. c) Lastentragung von Sanktionszahlungen nach Art. 104 EGV (Art. 109 Abs. 5 GG) Einen neuen Ansatz der Lastentragung hinsichtlich der innerstaatlichen Wirkung der Maastricht-Kriterien (Art. 104 EGV und die dazu ergangenen Rechtsakte) sieht Art. 109 Abs. 5 GG vor. 298 Nach Art. 104 EGV und dessen Konkretisierung durch die sekundärrechtlichen Vorschriften des Stabilitäts- und Wachs295
BT-Drs. 16/813, S. 19. I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (156). 297 Vgl. zu Art. 109 Abs. 5 GG ausführlich Zweiter Teil Kap. B.I.3.c). 298 C. Gaitanides, NJW 2007, S. 3112 (3113); I. Kemmler, LKV 2006, 529 ff.; P.C. Müller-Graff, Die Europatauglichkeit der grundgesetzlichen Föderalismusreform, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 705 (721 ff.); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 52 ff. 296
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tumspakts 299 sind die Mitgliedstaaten der EG dazu verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden, was anhand bestimmter Richtwerte konkretisiert wird. 300 Bei Nichteinhaltung der Vorgaben ist der Rat nach Art. 104 Abs. 11 EGV berechtigt, eine oder mehrere der dort aufgelisteten vier Sanktionsmöglichkeiten zu verhängen. Da ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 104 Abs. 10 EGV explizit ausgeschlossen ist und die Regierungen der Mitgliedstaaten gegenüber der EG gem. Art. 3 des Begleitprotokolls 301 verantwortlich auch für die Defizite ihrer lokalen und regionalen Ebenen sind, stellt sich für Deutschland die Frage, wie eventuell anfallende Sanktionszahlungen (unverzinsliche Einlagen oder Geldbußen) gem. Art. 104 Abs. 11 S. 1 lit. 3 und 4 EGV innerstaatlich zwischen Bund und Ländern aufzuteilen sind. Der im Zuge der Föderalismusreform I neu eingefügte Art. 109 Abs. 5 GG knüpft genau an diesen bisher in der deutschen Rechtsordnung ungeregelten Punkt an. 302 Er regelt auch nach seiner Änderung im Rahmen der Föderalismusreform II die innerstaatliche Verteilung möglicher Sanktionslasten zwischen Bund und Ländern vor dem Hintergrund der aus dem Europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin resultierenden Verpflichtungen Deutschlands. 303 Das Nähere regelt nach Art. 109 Abs. 5 S. 3 GG (n.F.) ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 304 Die Länder (einschließlich der Gemeinden, Gemeindeverbände und Zweckverbände) sind im Föderalstaat ein wesentlicher Bestandteil des Staatssektors und tragen mittels autonomer Entscheidungsbefugnisse im Haushaltsbereich substanziell zum gesamtstaatlichen Defizit bei. Zurzeit entfallen ca. 40 % der Gesamtverschuldung auf die Länder. Diese Tatsache in Kombination mit der einfachgesetzlich 299 Der Stabilitäts- und Wachstumspakt umfasst drei Sekundärrechtsakte: eine Ratsentschließung v. 17. Juni 1997, ABl. EG 1997, Nr. C 236, S. 1 f.; VO 1466/97 (präventive Regeln zur Haushaltsüberwachung), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 1 ff. zuletzt geändert durch VO 1055/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 1 ff. und VO 1467/97 (repressive Regeln kommen zur Geltung bei Vorliegen eines übermäßigen Defizits), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 6 ff. zuletzt geändert durch VO 1056/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 5 ff.; zum bisherigen Meinungsstand zum „nationalen Stabilitätspakt“ S. Bredt, EuR 40 (2005), S. 104 ff. 300 Vgl. ausführlich zur gemeinschaftsrechtlichen Verschuldungsbegrenzungsregel des Art. 104 EGV und den Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspaktes Dritter Teil, Kap. A.III.1. 301 ABl. EG 1992, Nr. C 191, S. 84. 302 Vereinzelt wurde versucht eine Haftung über Art. 104a GG herzuleiten, vgl. U. Häde, Die innerstaatliche Verteilung gemeinschaftsrechtlicher Zahlungspflichten, S. 40 ff. 303 BT-Drs. 16/813, S. 20; die neue Fassung des Art. 109 Abs. 5 GG gilt gem. der Übergangsregelung des Art. 143d Abs. 1 S. 1 GG erst ab dem Haushaltsjahr 2011. 304 Gesetz zur innerstaatlichen Aufteilung von unverzinslichen Einlagen und Geldbußen gemäß Artikel 104 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Sanktionszahlungs-Aufteilungsgesetz – SZAG) in Art. 14 des Föderalismusreform Begleitgesetzes v. 5. September 2006, BGBl. 2006 I, S. 2098 (2104 f.).
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in § 51a HGrG für Bund und Länder normierten Verpflichtung, die Haushaltsdisziplin im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion einzuhalten, rechtfertigt eine Beteiligung der Länder an möglicherweise anfallende Lasten durch EGSanktionen nach Art. 104 Abs. 11 S. 1 lit. 3 und 4 EGV. Im Einzelnen ist in Art. 109 Abs. 5 S. 1 GG (n.F.) als Folge von Art. 109 Abs. 2 GG (n.F.) festgelegt, dass Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der EG auf Grund von Art. 104 EGV von Bund und Ländern gemeinsam zu erfüllen sind. In Abs. 5 S. 1 und 2 (n.F.) enthält die Regelung insbesondere durch Aufführung einer anteiligen Verteilung von Sanktionszahlungen auf Bund und Länder verfassungsrechtliche Vorgaben des gem. Art. 109 Abs. 5 S. 3 GG (n.F.) zu erlassenden Ausführungsgesetzes. Mögliche Sanktionsmaßnahmen der EG tragen Bund und Länder demnach im Verhältnis 65 % zu 35 %, was ungefähr dem Anteil beider Ebenen an der Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte beim Jahresabschluss 2005 entsprach. 305 Die Ländergesamtheit trägt von ihrem 35 %-Anteil wiederum 35% der auf die Länder entfallenden Lasten solidarisch 306, entsprechend ihrer Einwohnerzahl. Der Verteilungsmaßstab der Einwohnerzahl findet sich in der Finanzordnung an verschiedensten Stellen wieder, was grundsätzlich für seine Anwendbarkeit auch im Rahmen der Verteilung der Lasten im Rahmen der solidarischen Haftung spricht. 307 Die restlichen 65 % der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Der relativ hohe, an den Verursachungsbeitrag gekoppelte Eigenanteil, ist ein negativer Anreiz für die Länder, Defizite zu vermeiden; bei einer vollständigen Solidarhaftung der Ländergemeinschaft wäre es möglich, dass sich einzelne Länder bewusst für die Fortführung einer Haushaltspolitik der übermäßigen Defizite entscheiden. Betrachtet man den Wortlaut von Art. 109 Abs. 5 S. 2 2. Hs. GG (n.F.), dann ist jedoch fraglich, was genau unter einer Verursachung zu verstehen ist. Im Vergleich zwischen der europarechtlichen Regelung des Art. 104 EGV und der einfachgesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 S. 3 SZAG besteht eine Divergenz zwischen der Bedeutung des Verursachungsbegriffs. 308 Liegt im Gemeinschaftsrecht eine zur Verhängung von Sanktionen berechtigende Verursachung grundsätzlich vor, wenn ein Mitgliedstaat die vom Rat vorgegebenen Maßnahmen zur Beseitigung eines übermäßigen Defizits in letzter Konsequenz nicht umgesetzt hat, reicht innerstaatlich gem. § 2 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 SZAG fortan allein das Vorliegen eines Haushaltsdefizits auf Länderseite für eine erhöhte Beteiligung der Länder an den Sanktionslasten aus. Es bedarf also vieler Faktoren, damit ein Mitgliedstaat überhaupt Sanktionen gem. Art. 104 Abs. 11 EGV ausgesetzt 305 306 307 308
C. Gaitanides, NJW 2007, S. 3112 (3115); H. Wilms, Staatsrecht I, Rn. 1034. Das sind 12,25 % der gesamten Sanktionslasten. Vgl. etwa Art. 107 Abs. 1 S. 4 1. HS GG; § 8 Abs. 1 S. 1 MaßstG; § 9 FAG. So auch C. D. Classen, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 264 f.
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wird. Sollten aber Sanktionen gegen Deutschland verhängt werden, dann können die Länder relativ schnell in die erhöhte Lastenbeteiligung nach Art. 109 Abs. 5 S. 2 2. Hs. GG (n.F.) geraten. Die Intention des einfachen Gesetzgebers, durch die Verwendung eines vom EG-Recht abweichenden Verursachungsbegriffs die Länder anzuhalten ihrerseits Defizite zu vermeiden, ist eine zulässige Konkretisierung von Art. 109 Abs. 5 GG. Sollte ein Sanktionsbeschluss aufgehoben werden, erfolgt die Rückerstattung der Einlagen nach § 4 SZAG entsprechend dem eben vorgestellten Beteiligungsschlüssel. Dennoch ist die horizontale Verteilung der Lasten unter den Ländern im Detail nicht unproblematisch. 309 Wendet man § 2 Abs. 1 S. 3 SZAG in der jetzigen Fassung auf eine Situation an, in der nur noch eines der 16 Länder ein Haushaltsdefizit aufweist, müsste es alleine die verursachungsabhängigen 65 % des 35 %igen Länderanteils an den Sanktionslasten tragen. Eine hieraus resultierende Finanzkraftverschiebung zwischen den Ländern ist unter systematischen Aspekten grundsätzlich inakzeptabel, da die Lastenverteilung als staatliche Ausgabenregelung keinen direkten Einfluss auf den zu den Einnahmeregelungen gehörenden horizontalen Finanzausgleich haben darf. 310 Inhaltliche Abhilfe könnte nur durch eine weitere Ausdifferenzierung der Regelung bei gleichzeitig abnehmender Zahl von Ländern mit Haushaltsdefizit geschaffen werden. Hierbei müsste der nach der Verursachung ermittelte Länderanteil gemessen an der Relation zum Gesamtdefizit gegebenenfalls zu Lasten des Bundes reduziert werden. Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Sonderregelung des § 2 Abs. 3 SZAG für Länder in Haushaltsnotlage. Demnach werden die Zahlungsverpflichtungen eines Landes „für die Dauer einer vom BVerfG festgestellten extremen Haushaltsnotlage im Rahmen eines abgestimmten Sanierungskonzeptes vom Bund gestundet“. Erst nach Abschluss des Sanierungsprozesses sind die Sanktionslasten einschließlich der Verzinsung dem Bund zu erstatten. Hier trägt das Gesetz der faktischen Überschuldung einiger Bundesländer Rechnung, indem es ihnen zugesteht, die Sanktionslasten (in diesem Fall immer der Anteil der Solidarhaftung addiert mit dem verursachungsabhängigen Anteil) über einen bestimmten Zeitraum noch nicht leisten zu müssen. Durch die Aufnahme dieser Ausnahmeregelung verfehlt der Gesetzgeber sein Ziel, Anreize zur Defizitvermeidung zu schaffen. Inwieweit diese Ausnahmeregelung Anwendung findet, bleibt vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung des BVerfG zum Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ abzuwarten. Die erfolgte erhebliche Verschärfung der erforderlichen Kriterien zur Feststellung einer „extremen Haushaltsnotlage“ (dieser wird jetzt als „bundesstaatlicher Notstand“ bezeichnet), macht eine Anwendung der Ausnahme des § 2 Abs. 3 SZAG fast unmöglich. 309 S. Korioth, Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen?, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 677 (687). 310 So auch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (8).
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Abschließend bleibt zu Art. 109 Abs. 5 GG noch festzuhalten, dass er im Verhältnis zu Art. 104a Abs. 6 GG wegen seiner gesonderten Vorgaben für Verpflichtungen aus Rechtsakten der EG nach Art. 104 EGV lex specialis ist. In einer allgemeinen Bewertung der Neuregelung des Art. 109 Abs. 5 GG kann festgestellt werden, dass die Umsetzung nur teilweise geglückt ist. 311 Die oft im Zusammenhang mit der Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG verwendete Bezeichnung als „Nationaler Stabilitätspakt“ war bisher irreführend, da im Vergleich mit den europäischen Regelungen ein Präventionssystem fehlte. 312 Bei Art. 109 Abs. 5 GG handelt es sich ausschließlich um eine innerstaatlich wirkende, repressive Lastentragungsregelung hinsichtlich anfallender Sanktionszahlungen. Die Fragen der Umsetzung der Haushaltsdisziplin nach innen sowie die der Normierung eines sanktionsbewährten Präventionssystems bleiben auch nach der Föderalismusreform II z.T. ungeklärt und bedürfen weiterer Regelungen im Rahmen zukünftiger Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung. 313 Gemessen an den geringen Möglichkeiten der Länder, sich eigenständig Einnahmen zu verschaffen, ist die unflexible Quotenregelung der Norm ein Hinweis darauf, dass die Möglichkeit der Schuldenaufnahme in Zukunft nahezu ausschließlich dem Bund zu übertragen ist. 314 Obwohl die Regelung mit ihrem Anreiz zur Defizitsvermeidung eine richtige Richtung einschlägt, ist der gefundene Kompromiss zu Lasten der Länder inkonsistent.
II. Staatliche Einnahmeregelungen Die Regelungen über die staatlichen Einnahmen bilden einen wichtigen Eckpfeiler der bundesstaatlichen Finanzverfassung. Die Steuergesetzgebungskompetenzen und das Finanzausgleichsystem bedürfen als Gegenstand verfassungspolitischer Reformüberlegungen daher einer genaueren Betrachtung. 1. Steuergesetzgebungskompetenzen Die Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen ist fast ausschließlich in Art. 105 GG geregelt. Er ist lex specialis im Verhältnis zum Kompetenzkatalog der Art. 70 ff. GG. 315 Art. 105 GG bestimmt die finanzielle Eigenständigkeit der 311
U. Häde, JZ 2006, S. 930 (937); S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (7 ff.). C. Gaitanides, NJW 2007, S. 3112 (3115); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 61. 313 Vgl. zu ausführlichen Reformvorschlägen Dritter Teil Kap. D. 314 So auch S. Korioth, Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen?, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 677 (688). 315 D. Birk, in: W. Hübschmann / E. Hepp / A. Spitaler / A. Söhn, Bd. 1, § 4 AO Rn. 373; M. Jachmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 105 Rn. 24; A. Korte, 312
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Glieder des Bundesstaates sowie den Grad der Einheitlichkeit des Steuerrechts und der Steuerbelastung. 316 a) Bundeskompetenzen (Art. 105 Abs. 1 und 2 GG) Nach Art. 105 Abs. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über Zölle und Finanzmonopole. Zölle sind zwangsweise erhobene Einmalabgaben ohne Gegenleistungscharakter, die, nach den für sie geltenden Tarifen, von der Warenbewegung über die Zollgrenzen erhoben werden. 317 Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 105 Abs. 2 GG ergibt („übrigen Steuern“), fallen Zölle unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff. Als Finanzmonopole bezeichnet man Rechte des Staates, mit denen zur Erzielung von Einnahmen bestimmte Wirtschaftsgüter unter Ausschluss Dritter hergestellt, bezogen oder vertrieben werden können. 318 Den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes in Art. 105 Abs. 1 GG kommt aber keine große Bedeutung mehr zu. 319 Das Zollrecht unterliegt im Wege der fortschreitenden Europäischen Integration inzwischen ausnahmslos der unmittelbaren Rechtssetzung durch EGVerordnungen und bedarf somit nicht einmal mehr eines nationalen Umsetzungsaktes, um Geltung zu erlangen. Zölle werden nur noch an den Außengrenzen der EG gegenüber Drittstaaten erhoben. Auch hinsichtlich der Finanzmonopole ist ein Bedeutungsverlust eingetreten, da lediglich das Branntweinmonopol 320 noch Bestand hat. Nach Art. 105 Abs. 2 GG unterliegt dem Bund ebenfalls die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm die Ertragskompetenz dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. 321 Im Gegensatz zur Dogmatik der Art. 72 Abs. 2 GG i.V. m. Art. 74 GG müssen bei Art. 105 Abs. 2 GG die Ertragskompetenz und die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht kumulativ vorliegen; es reicht vielmehr, wenn alternativ eines der beiden Kriterien erfüllt ist. 322 Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung, S. 42 ff. 316 Vgl. W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 105 Rn. 8. 317 BVerfGE 8, 260 (269 f.); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 105 Rn. 15; K. Tipke, Steuerrechtsordnung III, S. 1068. 318 M. Jachmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 105 Rn. 44; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1115 f. 319 J. Lang, in: K. Tipke / J. Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 28. 320 Gesetz über das Branntweinmonopol v. 8.April 1922, RGBl. 1922 I, S. 335 (405); zuletzt geändert durch Gesetz v. 22. Dezember 1999, BGBl. 1999 I, S. 2534. 321 J. Lang, in: K. Tipke / J. Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 29; K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (123). 322 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 661; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 105 Rn. 19.
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Somit hat der Bund, ohne Rückgriff auf Art. 72 Abs. 2 GG nehmen zu müssen, die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Bundessteuern und die ertragreichen Gemeinschaftssteuern nach Art. 106 Abs. 1 und Abs. 3 GG. Relevant wird Art. 72 Abs. 2 GG in diesem Zusammenhang also nur für die reinen Landessteuern 323. Die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG gelten insoweit uneingeschränkt. Eine Normenkontrolle ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG möglich. 324 Wendet man Art. 72 Abs. 2 GG auf Steuergesetze an, ist vor allem die Wahrung der Wirtschaftseinheit zentraler Anknüpfungspunkt für die Herleitung einer Bundeskompetenz. Hinsichtlich der 1994 in das Grundgesetz aufgenommenen erhöhten Anforderungen an die Annahme einer Bundeskompetenz, dürften diese auch für die Steuergesetzgebung gelten. 325 Zum Ausgleich für die weitgehenden Kompetenzen des Bundes hat der Bundesrat ein Zustimmungsrecht gem. Art. 105 Abs. 3 GG. Mit dieser Organkompetenz des Bundesrates soll der durch die Dominanz des Bundes in der Steuergesetzgebung bedingten Gefahr einer Aushöhlung der Ertragshoheit der Länder begegnet werden. b) Länderkompetenzen (Art. 105 Abs. 2 und 2a GG) Nach Art. 105 Abs. 2 GG haben die Länder das Gesetzgebungsrecht über die „übrigen Steuern“, soweit der Bund im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keine Regelungen getroffen hat. Hierbei gilt der Grundsatz, dass die Existenz eines Bundesgesetzes ein gleichartiges landesrechtliches Steuergesetz nicht zulässt (Gleichartigkeitsverbot 326). Da der Bund von seinem Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung umfassend Gebrauch gemacht hat und die Länder in dem Bereich wegen des Gleichartigkeitsverbots nicht mehr tätig werden dürfen, bleiben ihnen vor allem die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern, für welche die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2a GG haben, soweit sie in ihrer ökonomischen Wirkung bundesgesetzlichen Regelungen nicht gleichartig sind. 327 Verbrauchssteuern sind Steuern auf den Endverbrauch von Waren, d. h. auf den Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs. 328 Aufwandssteuern hingegen sind Steuern, die auf den Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen gerichtet sind. 329 Bei dieser Ein323 Erbschaftsteuer, Biersteuer, Abgaben von Spielbanken, Vermögenssteuer (wird momentan nicht erhoben) und sonstige Verkehrssteuern (z. B. Grunderwerbsteuer). 324 M. Jachmann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 105 Rn. 47. 325 K. Vogel / Walter, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 105 Rn. 68. 326 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 667 ff.; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 157 ff. 327 U. Häde, Finanzausgleich, S. 180; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 21.
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kommensverwendung auf den persönlichen Lebensbedarf muss eine besondere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommen. 330 Örtlich sind die Verbrauchs- und Aufwandsteuern, wenn ihr Wirkungskreis örtlich bedingt und begrenzt ist. 331 Neben den in Art. 105 Abs. 2a GG erwähnten Steuern haben die Länder noch gem. Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 Abs. 6 WRV die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Kirchensteuer. Im Rahmen der Föderalismusreform I wurde den Ländern in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG die Ertragskompetenz zur Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom Bund übertragen. Ziel dieser Maßnahme ist eine Stärkung der regionalen Steuerautonomie, welche am bisherigen Steueraufkommen gemessen eher experimentellen Charakter haben dürfte. 332 Bedenklich ist hierbei, dass es nun in einem weiteren Bereich zu einem Steuerwettbewerb kommt, ohne zuvor vergleichbare Ausgangsbedingungen geschaffen zu haben. Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Teilbereich in einem aufeinander abgestimmten Rahmen einer umfassenden Reform der Finanz- und Haushaltsordnung zu regeln. Ferner ist an der Neuregelung problematisch, dass sie nicht auf das Verfahren nach Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG abgestimmt worden ist. 333 Der Wortlaut des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG lässt den Umkehrschluss zu, dass das Verfahren nach Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG nicht zur Verfügung stand. Dieser Umkehrschluss lag sicherlich nicht im Sinne des Verfassungsgesetzgebers, womit auch weiterhin davon auszugehen ist, dass die volle Gesetzgebungskompetenz über die Grunderwerbsteuer gem. Art. 125 Abs. 2a S. 2 GG durch einfaches Bundesgesetz auf die Länder übertragen werden kann. 334 Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 GG wird teilweise vertreten, dass sich die ausschließlichen Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder subsidiär auch aus der Grundverteilungsregel des Art. 70 GG ergeben können. 335 Dies hätte zur Folge, dass Art. 105 Abs. 2a GG keine 328 BVerfGE 96, 272 (281); 98, 106 (123 f.); J. Lang, in: K. Tipke / J. Lang, Steuerrecht, § 3 Rn. 33; Beispiele für Verbrauchssteuern sind die Mineralöl-, Strom-, Tabak-, Kaffeesowie verschieden Alkoholsteuern. 329 D. Birk, Steuerrecht, Rn. 93; M. Jachmann, Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung, S. 69 f.; W. Jakob, BayVBl. 1971, S. 249 (251); Beispiele für Aufwandssteuern sind die Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer, Kraftfahrzeugssteuer (als einzige bundesgesetzlich geregelt). 330 BVerfGE 16, 64 (74); 49, 343 (354); 65, 325 (345 ff.). 331 BVerfGE 16, 306 (327); 40, 56 (60 f.). 332 W. Kluth, in: Gemeinsame Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages und des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates zur Föderalismusreform, Stenographischer Bericht, 18. Sitzung, 31. Mai 2006, S. 140; K.-A. Schwarz, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 386. 333 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (124). 334 H. Meyer, Die Föderalismusreform 2006, S. 315. 335 In diesem Sinne wohl K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (124).
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Kompetenzen mehr begründen würde, sondern vielmehr als kompetenzbegrenzende Norm anzusehen wäre. Diese Ansicht widerspricht jedoch der Systematik des Grundgesetzes, da mit Art. 105 Abs. 2a GG gerade eine eigenständige Regelung für die ausschließlichen Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder besteht. Art. 105 GG i.V. m Art. 106 GG sind daher abschließende Regelungen. Ein Rückgriff auf Art. 70 GG ist somit ausgeschlossen. 336 Die Finanzverfassung sieht entgegen ihrer grundsätzlichen Zweistufigkeit auch Rechtssetzungsbefugnisse der Gemeinden vor. 337 Über Art. 28 Abs. 2 S. 3 2. Hs. GG und Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG wird ihnen das Recht garantiert, die Hebesätze der Grund- und Gewerbesteuer autonom festzusetzen. Diese Hebesatzgarantien sind gesetzesmediadisiert, d. h. den Gemeinden wird nicht unmittelbar eine Steuergesetzgebungskompetenz übertragen, sondern sie erhalten einen Anspruch auf einfachgesetzliche Delegation bestimmter Rechtssetzungskompetenzen. 338 Ferner besteht gem. Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG die Möglichkeit, dass den Gemeinden das Recht eingeräumt wird, ihren momentan bei 15 % liegenden Anteil an der Einkommenssteuer selbst im Rahmen eines Hebesatzrechtes festzulegen. Von der Umsetzung dieser Möglichkeit hat der Bundesgesetzgeber bisher abgesehen. Außerhalb der Finanzverfassung steht es den Ländern offen, ob und inwieweit sie die Steuersatzungshoheit für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern auf die Gemeinden übertragen. c) Eingeschränktes Steuerfindungsrecht Schließlich stellt sich noch die Frage, ob Bund, Länder und Gemeinden ein Steuerfindungsrecht haben. Können sie also unabhängig von der bereits behandelten Kompetenzverteilung neue Steuern einführen? Im Ergebnis wird ein solches Steuerfindungsrecht der unterschiedlichen Verbände abgelehnt. 339 Bund, Länder und Gemeinden dürfen keine Steuern einführen, die weder in Art. 105 oder Art. 106 GG explizit genannt sind noch einer der genannten Steuergruppen angehören. Hierfür spricht die Systematik der Finanzverfassung. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben über die Ertragsverteilung gem. Art. 106 GG sind als Schranken des Steuergesetzgebers in Art. 105 GG anzusehen. 340 Somit darf das verfassungsrechtlich festgelegte System der Ertragsverteilung nicht durch 336
D. Böckelmann, DÖV 1973, S. 631 (633); W. Richter, Zur Verfassungsmäßigkeit von Sonderabgaben, S. 112; K. Vogel / Walter, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 105 Rn. 66 ff. 337 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 96. 338 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 105 Rn. 62. 339 Anderer Ansicht A. Korte, Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung, S. 49 ff. 340 K.-A. Schwarz, Finanzverfassung, S. 49 ff.; C. Starck, StuW 1974, S. 71 (278); K. Vogel, JA 1980, S. 577 (579).
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die einfachgesetzliche Einführung neuer Steuern, die nicht in Art. 106 GG aufgeführt sind, unterlaufen werden. Ferner spricht das Gleichgewichtsargument gegen das Bestehen eines Steuerfindungsrechts. Demnach errichten die Ertragsverteilungsregeln des Grundgesetzes ein System ausgewogener Bund-LänderFinanzbeziehungen. Die Erschließung neuer Steuerquellen würde Lücken im Verteilungssystem entstehen lassen und den Ertrag der bestehenden Steuerquellen minimieren. 341 Dieser Rückgang lässt sich durch die zu erwartende Abnahme des Grenznutzens der wirtschaftlichen Betätigungen bzw. des privaten Aufwandes erklären. Das Gleichgewichtsargument überzeugt aber nur begrenzt, da einer Aufkommensverschiebung durch ein Steuerfindungsrecht der Länder über das flexible Instrument der Umsatzsteueraufkommensverteilung durch Bundesgesetz entgegengewirkt werden könnte. Ein unechtes Steuerfindungsrecht besteht hingegen. Bund, Länder und Gemeinden dürfen die in Art. 105 und Art. 106 GG genannten Steuern ausfüllen und konkretisieren. 2. Finanzausgleich – Ertragsverteilung Neben den Lastenverteilungsregeln und Steuergesetzgebungskompetenzen ist das System des Finanzausgleichs die dritte wichtige Stellschraube in der bundesrepublikanischen Finanzordnung. Unter dem sehr uneinheitlich verwendeten Begriff des „Finanzausgleichs“ wird in der juristischen Terminologie in enger Auslegung mehrheitlich ausschließlich die Einnahmeverteilung verstanden. 342 Die Verteilung der Erträge aus öffentlichen Einnahmen auf die verschiedenen Körperschaften ist verfassungsrechtlich in den Art. 106 und 107 GG normiert. Sie werden vor allem durch Regelungen im MaßstG, FAG und ZerlG einfachgesetzlich konkretisiert. Von besonderer Bedeutung für das Verständnis des gegenwärtigen Finanzausgleichsystems ist die Rechtsprechung des BVerfG, welche in der Vergangenheit immer wieder neue Impulse zur Korrektur des Systems gesetzt hat und auch noch in Zukunft setzen wird. a) Leitentscheidungen des BVerfG zum Finanzausgleich Das BVerfG hat sich in bisher fünf Urteilen eingehend zum Finanzausgleich geäußert. Diese in der Gesamtschau z.T. ambivalenten Urteile sind elementar für die Entwicklung des Systems des Finanzausgleichs, sowie zum Verständnis der aktuellen Regelungen unentbehrlich. 341 K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (125); K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 68. 342 H. Donner, ZRP 1985, S. 327 (328); U. Häde, Finanzausgleich, S. 5 f.; T. Maunz, BayVBl. 1993, S. 449.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
aa) BVerfGE 1, 117 ff. In seinem Urteil vom 20. Februar 1952 befasste sich das BVerfG erstmalig mit dem Finanzausgleichsystem der Bundesrepublik Deutschland. 343 α) Sachverhalt Der Normenkontrollantrag Baden-Württembergs und der Freien und Hansestadt Hamburg richtete sich gegen verschiedene Vorschriften des Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950. 344 Der Antragsschrift nach habe der Bundesgesetzgeber nach Ansicht Baden-Württembergs, indem er einen allgemeinen horizontalen Finanzausgleich zwischen den Ländern vorschreibt, die Grenzen der lediglich „Zuschüsse“ ermöglichenden Ermächtigungsgrundlage des Art. 106 Abs. 4 GG (a.F.) 345 überschritten. 346 Zugleich verstoße das Gesetz gegen das in Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 79 Abs. 3 GG verankerte Bundesstaatsprinzip sowie gegen das Prinzip der autonomen Haushaltswirtschaft der Länder nach Art. 109 Abs. 1 GG, da es keine Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder nehme. 347 Auch die Realsteuern dürften nicht in das horizontale Ausgleichsystem einbezogen werden, da dies ausschließlich eine Materie des kommunalen Finanzausgleichs zwischen den Ländern und ihren Gemeinden sei. Darüber hinaus waren die Länder BadenWürttemberg und Hamburg der Ansicht, dass durch das FAG leistungsunfähige Länder künstlich am Leben erhalten würden, was einen Verstoß gegen das damalig noch im Grundgesetz in Art. 29 Abs. 1 GG (a.F.) 348 verankerte Neugliederungsgebot darstelle. Schließlich rügten sie einen Verstoß gegen Art. 3 343
BVerfGE 1, 117 ff. Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950 v. 16. März 1951, BGBl. 1951 I, S. 198 ff.; s. hierzu auch die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1959 v. 26. Juni 1951, BGBl. 1951 I, S. 408 f. 345 Art. 106 Abs. 4 GG (a.F.) lautete: „Um die Leistungsfähigkeit auch der steuerschwachen Länder zu sichern und eine unterschiedliche Belastung der Länder mit Ausgaben auszugleichen, kann der Bund Zuschüsse gewähren und die Mittel hierfür bestimmten den Ländern zufließenden Steuern entnehmen. Durch Bundesgesetz, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf, wird bestimmt, welche Steuern hierbei herangezogen werden und mit welchen Beträgen und nach welchem Schlüssel die Zuschüsse an die ausgleichsberechtigten Länder verteilt werden; die Zuschüsse sind den Ländern unmittelbar zu überweisen.“, abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 272. 346 BVerfGE 1, 117 (123 f.). 347 BVerfGE 1, 117 (124). 348 Art. 29 Abs. 1 GG (a.F.) lautete: „Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bun344
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GG (Gleichheitsgrundsatz) i.V. m Art. 19 Abs. 3 GG aufgrund einer vermuteten Ungleichgewichtung bei der Beitragsheranziehung und einen Verstoß gegen die Präambel des Grundgesetzes und Art. 23 GG (a.F.), da das FAG über § 19 Lindau den Ländern gleichstelle. 349 β) Entscheidungsgründe Das BVerfG hielt die Anträge Baden-Württembergs und Hamburgs für zulässig, aber unbegründet. Nach Feststellung der Zulässigkeit der Klage nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG widmete sich das Gericht zunächst der Frage, ob der Bundesgesetzgeber mit dem Erlass des FAG die Ermächtigungsgrundlage des Art. 106 Abs. 4 GG (a.F.) überschritten habe und das Finanzsystem somit insgesamt mit dem bundesstaatlichen Aufbau unvereinbar sei. 350 Mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte und den Wortlaut des Art. 106 Abs. 4 GG (a.F.) stellte das BVerfG in seiner Entscheidung fest, dass die Norm grundsätzlich die Grundlage für die Gestaltung eines Finanzausgleichs unter den Ländern ist. 351 Den Vorhalt der klagenden Länder, das System des Finanzausgleichs sei u. a. wegen Art. 20 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 und Art. 109 GG nicht mit der Struktur Deutschlands vereinbar, wies das Gericht zurück. Es stellte fest, dass insbesondere aus dem in Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Bundesstaatsprinzip nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten zwischen Bund und Länder sowie zwischen den Ländern untereinander begründet werden. 352 Zu diesen Pflichten gehört nach Ansicht des Gerichts auch, dass Länder mit einer hohen Finanzkraft schwächeren Ländern zu gewissen Hilfeleistungen verpflichtet sind. Eine einhergehende partielle Einschränkung der Finanzautonomie der Länder durch einen bundesgesetzlich normierten horizontalen Länderfinanzausgleich ist als Ergebnis einer Abwägung des Art. 109 Abs. 1 GG mit dem Bundesstaatsprinzip von den Ländern grundsätzlich hinzunehmen. 353 Das Urteil grenzt die Leistungspflicht der Länder aber auch ein. Die Grenze der Unzumutbarkeit eines solchen Ausgleichs soll demnach überschritten sein, wenn eine Regelung die finanzielle Leistungsfähigkeit der abgebenden Länder entscheidend schwächt oder es durch sie zu einer vollkommenen Nivellierung der Länderfinanzen kommt. 354 Im Übridesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.“, abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 236. 349 BVerfGE 1, 117 (124 f.). 350 BVerfGE 1, 117 (126 ff.). 351 BVerfGE 1, 117 (127 ff.). 352 BVerfGE 1, 117 (131); O.-E. Geske, Der Staat 46 (2007), S. 203 (205). 353 BVerfGE 1, 117 (131). 354 BVerfGE 1, 117 (131); B.-H. Moon, Reform des Finanzausgleichs, S. 71.
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gen ist die Festlegung der Ausgleichsintensität innerhalb der gesetzten Grenzen eine finanzpolitische und keine verfassungsrechtliche Frage. Mit Bezugnahme auf die in §§ 14, 15 FAG (a.F.) geregelten Ausgleichsanteile sieht das Gericht diese Grenze daher als nicht überschritten an. Hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen das damals noch in Art. 29 Abs. 1 GG (a.F.) geregelte Neugliederungsgebot führte das Gericht in seiner Urteilsbegründung aus, dass „lebensunfähige“ Länder grundsätzlich nicht „künstlich“ am Leben zu erhalten seien. 355 Da die vorgesehene Neugliederung aber zurzeit der Urteilsverkündung durch ein Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 untersagt war, kommt ein Verstoß gegen Art. 29 GG (a.F.) nicht in Betracht. 356 Die Methode zur Berechnung der Finanzkraftmesszahl, die nach §§ 3 und 4 FAG (a.F.) eine Einbeziehung der Gemeindesteuern vorsieht, ist dem Urteil nach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da nur so eine genaue Berechnung der Finanzkraft eines Landes möglich ist. 357 In der Begründung des Urteils geht das Gericht von der Annahme aus, dass die Gemeinden in allen Ländern zuzüglich ihrer originären Einnahmen auf Landeszuweisungen angewiesen sind, wobei die Höhe der Zuwendungen von den Einnahmen der Gemeinden abhängt. Schließlich liegt nach Ansicht des Gerichtes auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, da kein Ermessensmissbrauch des Gesetzgebers bei der Festlegung der einzelnen Länderbeiträge ersichtlich ist. Eine Gleichstellung Lindaus nach § 19 FAG (a.F.) war wegen der von den Besatzungsmächten auferlegten Pflicht zur eigenen Haushaltführung unausweichlich. γ) Bewertung des Urteils Dem ersten Urteil des BVerfG zum horizontalen Finanzausgleich kommt grundlegende Bedeutung zu. In seiner Entscheidung bestätigt das BVerfG erstmalig die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit des im FAG (a.F.) normierten Systems des Länderfinanzausgleichs. 358 Die Rechtspflicht zur Solidarität unter den Ländern in Form der Umverteilung von Finanzmitteln wird vom Gericht aus dem Bundesstaatsprinzip hergeleitet, wobei es dort, in Verbindung mit der Haushaltsautonomie der Länder nach Art. 109 Abs. 1 GG, auch deren Grenzen verortet. Folgt man der Urteilsbegründung, setzt sich das BVerfG im Kern mit dem Problem der Bundestreue 359 auseinander, ohne diese als solche zu bezeich355
BVerfGE 1, 117 (134). E. R. Huber, Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, S. 209. 357 BVerfGE 1, 117 (137). 358 S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 198; H. Ridder, Finanzausgleich und Grundgesetz, AöR 78 (1952/53), S. 237 ff. 359 Vgl. hierzu ausführlich Erster Teil Kap. C.I.2. 356
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nen. 360 Erwähnenswert ist auch die Bestätigung wichtiger Einzelelemente des Finanzausgleichsystems, wie beispielsweise die Notwendigkeit der Einbeziehung des Gemeindeanteils bei der Berechnung der Finanzkraftmesszahl. Insgesamt weist das Urteil durch die Bestätigung des horizontalen Ausgleichsystems klar unitarische Züge auf. 361 Im Ergebnis hat das BVerfG mit seiner Leitentscheidung aus dem Jahr 1952 den Weg für die Weiterentwicklung eines immer ausgleichsintensiveren Länderfinanzausgleich geebnet, wichtige Einzelelemente bestätigt, sowie einige unstimmige Vorgaben der Besatzungsmächte korrigiert. 362 bb) BVerfGE 72, 330 ff. Das BVerfG befasste sich in seinem Urteil vom 24. Juni 1986 erst 30 Jahre nach der ersten Entscheidung zum System des Finanzausgleichs wieder intensiv mit dieser Thematik. 363 α) Sachverhalt Die Senate der Freien Hansestadt Bremen und der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Regierungen von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und des Saarlandes hatten im Wege des Normenkontrollverfahrens gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG verschiedene Vorschriften des Zerlegungsgesetzes 364 und des Finanzausgleichgesetzes 365 für unvereinbar mit dem Grundgesetz gehalten und begehrten daher, diese für verfassungswidrig und nichtig zu erklären. 366 Im Einzelnen hielt der Senat der Feien und Hansestadt Hamburg die §§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 S. 4 ZerlG (a.F.) und § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) für verfassungs360 S. Korioth, Integration und Bundesstaat, S. 258; B.-H. Moon, Reform des Finanzausgleichs, S. 73. 361 Dies könnte u. a. auch an der Besetzung des entscheidenden Ersten Senats des BVerfG gelegen haben. Der Vorsitzende des Senats war zurzeit der Entscheidung Hermann Höpker-Aschoff, der schon als preußischer Finanzminister unter Otto Braun für eine unitarische Reichsreform in der Weimarer Republik eingetreten war. 362 S. Oeter, Integration und Subsidiarität, S. 198. 363 BVerfGE 72, 330 ff. 364 Gesetz über die Steuerberechtigung und die Zerlegung der Einkommenssteuer und der Körperschaftssteuer (Zerlegungsgesetz) v. 25. Februar 1971, BGBl. 1971 I, S. 146 ff. zuletzt geändert vor dem Urteil durch das Steuerbereinigungsgesetz 1985 v. 14. Dezember 1984, BGBl. 1984 I, S. 1493 ff. 365 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern v. 28. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1432 ff. zuletzt geändert vor dem Urteil durch Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern v. 19. Dezember 1985, BGBl. 1985 I, S. 2354. 366 BVerfGE 72, 330 (339 ff.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
widrig. Die Regierungen Hessens und Nordrhein-Westfalens gingen gegen die Vorschrift des § 7 Abs. 2 FAG (a.F.) vor, wobei die Landesregierung NordrheinWestfalens sich darüber hinaus auch gegen § 7 Abs. 1, 3 und 4 FAG (a.F.) und § 11a Abs. 1 und 2 FAG (a.F.) wendete. Die Regierungen Baden-Württembergs und des Saarlandes beanstandeten ferner die Bestimmungen der §§ 7 Abs. 4, 9 Abs. 2 FAG (a.F.), sowie Baden-Württemberg alleine §§ 7 Abs. 3 sowie § 10 Abs. 2 S. 2 und Abs. 4 –7 FAG (a.F.). Das Saarland und der Senat der Freien Hansestadt Bremen hielten den § 11a Abs. 2 FAG (a.F.) für verfassungswidrig. β) Entscheidungsgründe Das BVerfG befand die Normenkontrollanträge der Antragsteller für zulässig und in Teilen für begründet. (1) Allgemeine verfassungsrechtliche Vorgaben zum Finanzausgleich Zu Beginn seiner Ausführungen traf das BVerfG allgemeine Aussagen zum System des Finanzausgleichs und leitete somit sehr ausführlich in die eigentlichen Streitfragen zum horizontalen Ausgleich ein. 367 (a) Bundesstaatliche Bedeutung des Finanzausgleichs Die staatliche Selbstständigkeit von Bund und Ländern kann nach Ansicht des Gerichts nur realisiert werden, wenn beide Ebenen finanziell in die Lage versetzt werden, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben wirklich wahrnehmen zu können. 368 Um die Bedeutung des Art. 107 GG sowie die der übrigen finanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes als tragende Pfeiler der bundesstaatlichen Ordnung hervorzuheben, erfolgte im Urteil zunächst eine Erläuterung des vierstufigen Systems des Finanzausgleichs. 369 Der Finanzverfassung kommt im Bundesstaat demnach eine Ordnungsfunktion zu, womit sie kein Recht von minderer Geltungskraft darstellt. 370 In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass die Normen der Finanzverfassung z.T. inhaltlich unbestimmt ausgestaltet sind. 371 Durch unbestimmte Rechtsbe-
367 Vgl. hierzu auch R. Mußgnug, JuS 1986, S. 872 ff.; F. Voss, Betriebs-Berater 1986, S. 1581 ff. 368 BVerfGE 72, 330 (383). 369 BVerfGE 72, 330 (383 ff.). 370 BVerfGE 72, 330 (388). 371 BVerfGE 72, 330 (390).
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griffe werden somit bewusst Beurteilungs- oder auch Entscheidungsspielräume geschaffen, die nur bedingt verfassungsgerichtlich überprüfbar sind. Im weiteren Verlauf äußerte sich das BVerfG ausführlicher zur Funktion des Art. 107 GG. In dessen Abs. 1 sei festgelegt, was den Ländern als eigene Finanzausstattung zukomme. Charakteristikum dieser primären Aufteilung des Steueraufkommens sei das Prinzip der örtlichen Vereinnahmung, korrigiert durch die Steuerzerlegung sowie die grundsätzliche Bemessung der Aufteilung anhand der Einwohnerzahl bei der Umsatzsteuer. 372 Art. 107 Abs. 2 GG korrigiere das Ergebnis der primären Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern, indem der Bund verpflichtet sei, „durch Gesetz sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird“ 373 und ihm zusätzlich die Möglichkeit einräume, leistungsschwachen Ländern nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG Ergänzungszuweisungen zukommen zu lassen. 374 Nach Auffassung des BVerfG verwirkliche sich in Art. 107 Abs. 2 GG „ein bündisches Prinzip des Einstehens füreinander“ 375, welches einzelne Länder ungeachtet ihrer Autonomie zu finanziellen Hilfeleistungen an leistungsschwache Länder verpflichtet. Die Regelung dieses bündischen Ausgleichs obliegt dem Bundesgesetzgeber, wobei dieser an die Vorgaben des Art. 107 Abs. 2 GG gebunden ist. (b) Zum Begriff der „Finanzkraft“ Zum unbestimmten Rechtsbegriff der „Finanzkraft“ in Art. 107Abs. 2 S. 1 GG, führte das Gericht in seiner Entscheidung aus, dass dieser nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Norm umfassend zu verstehen sei. 376 Er könne daher nicht allein auf die Steuerkraft reduziert werden, was den bisherigen Regelungen im Finanzausgleichsgesetz weitgehend entspricht. Folglich können Solidarleistungen anderer Länder nur durch eine allgemeine Finanzschwäche und nicht allein durch ein niedriges Steueraufkommen begründet werden. Der Bundesgesetzgeber ist aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs der „Finanzkraft“ zu seiner Konkretisierung befugt. Nach Auffassung des BVerfG könne der Gesetzgeber die Finanzkraft anhand von verlässlichen Indikatoren ermitteln, zu denen auch die Steuerkraft zähle. Hierbei müssen aber grundsätzlich alle Steuern und ausgleichsrelevanten Abgaben in die Berechnung der Finanzkraft einbezogen werden. 377 372
BVerfGE 72, 330 (385). BVerfGE 72, 330 (395). 374 U. Häde, Finanzausgleich, S. 348 ff.; R. Mußgnug, JuS 1986, S. 872 (874 ff.); W. Patzig, DÖV 1986, S. 1037 (1038 f.). 375 BVerfGE 72, 330 (386). 376 BVerfGE 72, 330 (397); vgl. hierzu das abweichende Votum des Bundesverfassungsrichters E. Niebler, 330 (424 ff.). 377 BVerfGE 72, 330 (400). 373
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Außer Betracht dürften nur Einnahmen bleiben, die vom Aufkommen her nicht ausgleichsrelevant sind und in allen Ländern verhältnismäßig gleich anfallen oder die, bei denen der Aufwand zu deren Ermittlung unverhältnismäßig hoch im Vergleich zu einem potentiellen Ausgleichseffekt wäre. 378 (2) Beurteilung der einfachgesetzlichen Vorschriften Das BVerfG äußerte sich ferner konkret zu den mit den Normenkontrollanträgen angegriffenen Normen des Zerlegungs- und Finanzausgleichsgesetzes. (a) Lohnsteuerzerlegung Hinsichtlich der auf der zweiten Stufe des Finanzausgleichsystems zu verortenden Steuerzerlegung der Lohnsteuer hatte das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit von zwei Regelungen zu beurteilen. Das BVerfG folgte nicht der Auffassung der Länder Bremen und Hamburg, nach der sich in der Lohnsteuer die Steuerkraft der Länder widerspiegele. Somit war die in § 5 Abs. 1 ZerlG angeordnete Verteilung der Lohnsteuer nach dem Wohnsitz des Steuerschuldners mit Art. 107 Abs. 1 S. 1 – 3 GG vereinbar, weil diese offen lässt, ob die Steuerkraft am Arbeitsplatz oder am Wohnsitz des Steuerpflichtigen entsteht. 379 Da der Steuerstaat sowohl Personenverband (Wohnsitzprinzip) als auch Gebietskörperschaft (Betriebsstättenprinzip) ist, liegt es in seinem Beurteilungsspielraum, welchen der beiden Aspekte er stärker gewichtet. Da er nach Auffassung des Gerichts beides berücksichtigt, wie die Geltung des Betriebsstättenprinzips bei der Körperschaftssteuer zeigt, verstößt § 5 Abs. 1 ZerlG nicht gegen Verfassungsrecht. Anders verhielt es sich hingegen nach Meinung des Gerichts bei § 5 Abs. 2 S. 4 ZerlG (a.F.). Die Regelung, dass nach der Zusammenrechnung der Lohnsteuer bei zusammenlebenden, berufstätigen Ehegatten nur die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Mannes maßgebend seien, verstoße gegen Art. 107 Abs. 1 S. 2 und Art. 3 Abs. 1 GG. (b) Einnahmen der Länder Die Regelungen über die in den Länderfinanzausgleich einzubeziehenden Einnahmen der Länder gem. § 7 FAG (a.F.) waren in vielfacher Hinsicht problematisch. Bzgl. der in § 7 Abs. 1 FAG (a.F.) einzubeziehenden Steuereinnahmen hielt das BVerfG die Norm insoweit für nicht mit Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG vereinbar, 378 379
BVerfGE 72, 330 (400, 410 f.). BVerfGE 72, 330 (406 f.).
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als bestimmte Steuern bei der Rechnung nicht berücksichtigt worden waren. 380 Anhand der für die Finanzkraftermittlung aufgestellten Kriterien sind diese Einnahmen von ihrem Aufkommen ausgleichsrelevant, die Erträge in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich und ihre Erhebung erfordere auch aufgrund der allgemeinen Verfügbarkeit der Daten keinen unverhältnismäßigen Aufwand. Ein weiteres Problem stellte der Umgang mit den bergrechtlichen Förderabgaben in § 7 Abs. 2 FAG (a.F.) dar. Hierzu stellte das BVerfG fest, dass diese grundsätzlich ausgleichsrelevant sind und somit die gesamten Erträge aus den bergrechtlichen Förderabgaben in die Berechnung der Einnahmen der Länder für künftig aufzustellende Haushalte einbezogen werden müssen. 381 Schließlich befasste sich das Gericht noch mit der Frage, ob und inwieweit Sonderlasten im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zur Ermittlung der Ländereinnahmen berücksichtigt werden dürfen. 382 § 7 Abs. 3 FAG (a.F.) sah vor, dass von den Steuereinnahmen der Länder Bremen, Hamburg und Niedersachsen bestimmte Beträge zur Abgeltung anfallender Sonderbelastungen durch die Erhaltung und Erneuerung der Seehäfen abgesetzt wurden. Nach § 7 Abs. 4 FAG (a.F.) wurden darüber hinaus Beträge zur Abgeltung übermäßiger, nicht näher bestimmter Belastungen des Saarlandes, Schleswig-Holsteins und RheinlandPfalz abgesetzt. Nach Auffassung des BVerfG sind Sonderlasten zur Ermittlung der Finanzkraft, die sich nicht von Sonderlasten anderer im FAG unberücksichtigter Länder unterscheiden, mit Art. 107 Abs. 2 GG unvereinbar und müssen grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. 383 Die Finanzkraft eines Landes ist nach Auffassung des BVerfG primär als Finanzaufkommen und nicht als Relation von Finanzaufkommen und besonderer Ausgabenlast zu verstehen. Demnach war § 7 Abs. 4 FAG (a.F.) nicht mit Art. 107 Abs. 2 GG vereinbar, wobei der Gesetzgeber schon bei der großen Finanzreform 1969 davon ausgegangen sei, dass der Sinn und Zweck der Regelung nach einer Übergangszeit obsolet sein würde. Eine Ausnahme von der grundsätzliche Unvereinbarkeit der Abgeltung von Sonderlasten bei der Ermittlung der unterschiedlichen Länderfinanzkraft macht das BVerfG bei der Berücksichtigung der Seehäfensonderlasten gem. § 7 Abs. 3 FAG (a.F.). Diese hielt das Gericht in seiner Entscheidung als traditionellen Bestandteil der Regelungen des Finanzausgleichs für verfassungskonform. Die damals über 60jährige Tradition der Berücksichtigung von „Hafenlasten im Länderfinanzausgleich erlaubt es dem Gesetzgeber, im Rahmen seiner Gestaltungs- und Abgrenzungsbefugnis bei der Bestimmung der Finanzkraft gemäß Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG die Belastungen der Länder aus der Unterhaltung und Erneue380 Im Einzelnen handelte es sich um die Grunderwerbs-, Feuerschutzsteuer sowie die Spielbankabgaben. 381 BVerfGE 72, 330 (410 ff.). 382 BVerfGE 72, 330 (413 ff.). 383 BVerfGE 72, 330 (413 f.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
rung der Seehäfen anders als die sonstigen Sonderbedarfe einzelner Länder jeweils angemessen zu berücksichtigen“ 384.
(c) Einwohnerwertung Die Einwohnerwertung nach § 9 Abs. 2 FAG (a.F.), welche die Einwohnerzahl zur Erhöhung der Ausgleichsmesszahl Hamburgs und Bremens bei der Finanzkraftberechnung im Länderfinanzausgleich pauschal mit dem Faktor 1,35 multipliziert, ist nach Auffassung des BVerfG nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. 385 Mit dieser Regelung kompensiert das FAG in zulässiger Weise Benachteiligungen, die den beiden Ländern aus ihrer Eigenart als Stadtstaaten mit einem gesteigerten Ausgabenbedarf erwachsen. Für die genaue Bestimmung der Mehrbedarfe der Stadtstaaten gegenüber den Flächenländern kann ein Großstadtvergleich als Indikator dienen. 386 (d) Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeiträge Ferner hatte das Gericht zu entscheiden, ob bei der Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeträge auf der dritten Stufe des Finanzausgleichsystems für einige Länder eine bestimmte „Mindest“-Finanzkraft gesetzlich festgelegt werden kann. Nach Ansicht des BVerfG war § 10 Abs. 4 – 7 FAG (a.F.) verfassungswidrig. Er verstieß nach Auffassung des Gerichts gegen Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG, da das bündische Prinzip des Einstehens füreinander einzelnen Ländern keine Garantie ihrer Finanzkraft vermittelt. Die bundesstaatliche Hilfeleistungspflicht finanzstarker Länder gegenüber finanzschwachen Ländern finde hier ihre Grenzen, da ansonsten einige Länder „ein Stück weit aus der politischen Schicksalsgemeinschaft des Bundesstaates“ entlassen werden würden. 387 (e) Bundesergänzungszuweisungen Abschließend befasste sich das BVerfG noch mit der vierten Stufe des Finanzausgleichs, wonach der Bund die Möglichkeit hat, Ergänzungszuweisungen an die Länder zu leisten. Bundesergänzungszuweisungen dienten laut Urteil nicht dazu, in politischer Eigenverantwortung gefällte Entscheidungen der Länder, die zu selbstverschuldeten finanziellen Schwächen führen, von Bundesseite aus zu kompensieren. Allgemein bezeichne der Begriff der „Leistungsschwäche“ in 384 385 386 387
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
72, 72, 72, 72,
330 330 330 330
(414). (415 ff.). (416). (419).
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Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG vielmehr eine Relation zwischen Finanzaufkommen und Ausgabenlast der Länder, womit auf dieser letzten Stufe des Finanzausgleichsystems im Gegensatz zu Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG auch Sonderlasten einzelner Länder berücksichtigt werden können. Nach Auffassung des BVerfG stehe es dem Bundesgesetzgeber grundsätzlich frei, die Finanzkraft der leistungsschwachen Länder durch die Leistung von Ergänzungszuweisungen allgemein anzuheben oder nur einzelne Sonderlasten zu berücksichtigen. Ferner bestehe auch die Möglichkeit, beide Varianten dieser vertikalen Umverteilung zu kombinieren. § 11a Abs. 1 FAG (a.F.), der die Höhe der Bundesergänzungszuweisungen mit 1,5 % des Umsatzsteueraufkommens festlegte, war nach Ansicht des BVerfG nicht verfassungswidrig, weil das Grundgesetz keine volumenmäßige Begrenzung für Bundesergänzungszuweisungen enthält. 388 Anders beurteilte das Gericht hingegen die Regelung des § 11a Abs. 2 FAG (a.F.), welcher den nach der Höhe in Abs. 1 festgelegten Anteil der Bundesergänzungszuweisungen auf bestimmte ausgleichsberechtigte Länder verteilt. Indem die Regelung nicht die Finanzkraft der finanzschwachen Länder allgemein anhob oder alternativ einzelne Sonderlasten nach den verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien berücksichtigte, verstieß sie gegen Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Das föderative Gleichbehandlungsgebot verpflichtet den Gesetzgeber, die berücksichtigten Sonderlasten ausdrücklich zu benennen, hinreichend zu begründen sowie in angemessenen Abständen auf ihren Fortbestand hin zu überprüfen. Das Land Bremen hätte daher schon vor dem Jahr 1986 in den Kreis der Empfänger von Bundesergänzungszuweisungen aufgenommen werden müssen. 389 γ) Bewertung des Urteils In seinem Urteil vom 24. Juni 1986 nutzte das BVerfG die Möglichkeit, die Bedeutung des Finanzausgleichs für die bundesstaatliche Ordnung Deutschlands über eine Konkretisierung der vorhandenen normativen Vorgaben hervorzuheben. Das Gericht entzog den Finanzausgleich der bisher ausschließlich politischen Ausgestaltung durch Bund und Länder und legte bestimmte, allgemeine rechtliche Maßstäbe für seine zukünftige Ausgestaltung fest. Zur Bestätigung der These des Gerichts, dass das Finanzverfassungsrecht kein minderes Recht sei, erfolgen im einleitenden Teil des Urteils generelle Ausführungen zur verbindlichen Stufenfolge des Finanzausgleichsystems, zum Begriff der „Finanzkraft“, zu der Bedeutung der aus dem Bundesstaatsprinzip (präzisiert als bündisches Prinzip des Einstehens füreinander und als föderatives Gleichbehandlungsgebot) hergeleiteten Umverteilungsmechanismen des Länderfinanzausgleichs sowie den Bun-
388 389
BVerfGE 72, 330 (419 f.). BVerfGE 72, 330 (420).
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desergänzungszuweisungen. Diese grundsätzlichen Ausführungen bilden seither das Fundament für die Ausgestaltung der Gesetzgebung zum Finanzausgleich. In Bezug auf die von den Antragstellern angegriffenen einfachgesetzlichen Normen des FAG und des ZerlG erklärte das Gericht den gesamten zweiten Abschnitt des damals geltenden Finanzausgleichgesetzes aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs der Normen für verfassungswidrig. Eine Neuregelung sollte spätestens bis zum Haushaltsjahr 1988 erfolgt sein; wobei den Ländern ab dem Haushaltsjahr 1987 die gegenüber einem verfassungsgemäßen Zustand erlittenen Nachteile auszugleichen sein sollten. 390 Das Urteil hat jedoch, wie aufgezeigt, nicht alle angegriffenen Normen des Finanzausgleichsgesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt. Durch die z.T. sehr ausführliche Urteilsbegründung wurden einige Elemente als feste Bestandteile des Finanzausgleichsystems bestätigt, andere hingegen verworfen. Beispielsweise stellte, die vom Gericht mit Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG für vereinbar erklärte Lohnsteuerzerlegung nach dem Wohnsitzprinzip, eine wichtige Weichenstellung für die Finanzausstattung der Stadtstaaten dar. 391 Die in den Stadtstaaten arbeitenden Pendler haben demnach ihre Lohnsteuer in ihren Wohnsitzländern zu entrichten, was die Steuerkraft der Länder, in denen sich die Arbeitsstätte befindet, schmälert. Auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs wurde die Einwohnerwertung bei der Finanzkraftberechnung der Länder gem. § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) vom Gericht bestätigt, wohingegen Sonderlasten im Länderfinanzausgleich mit Ausnahme der Seehafenlasten grundsätzlich unberücksichtigt bleiben müssen. Sie dürfen nur auf der vierten Stufe des Ausgleichssystems einbezogen werden. Mit seinem Urteil vom 24. Juni 1986 widersprach das BVerfG der zuvor verbreiteten Auffassung, dass die Finanzverfassung bis zur Willkürgrenze dem politischen Kompromiss zugänglich sei. Ferner schuf es in dem Geflecht der für den Finanzausgleich relevanten Normen erstmalig eine nachvollziehbare, systematisch aufgebaute Struktur. cc) BVerfGE 86, 148 ff. Das dritte Urteil des BVerfG zum bundesstaatlichen Finanzausgleich erging am 27. Mai 1992. 392
390 391 392
BVerfGE 72, 330 (422 f.). H.-G. Henneke, Jura 1993, S. 129 (136). BVerfGE 86, 148 ff.
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α) Sachverhalt Bei der Umgestaltung der im letzten Urteil für nichtig erklärten Normen kam es erneut zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ländern untereinander bzw. zwischen Bund und Ländern. Nur kurze Zeit nach der Bekanntgabe des überarbeiteten Finanzausgleichsgesetzes riefen einige Länder erneut das BVerfG an. Der Normenkontrollantrag der Senate der Freien Hansestadt Bremen, der Freien und Hansestadt Hamburg sowie der Regierungen des Saarlandes und Schleswig-Holsteins richtete sich nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG ausschließlich gegen verschiedene Normen des gerade im Rahmen der vorherigen Klage geänderten Finanzausgleichgesetzes 393, die ihrer Ansicht nicht mit Art. 107 Abs. 2 GG vereinbar seien. 394 Der Senat der Freien Hansestadt Bremen wendete sich hierbei vor allem gegen die unzureichende Abgeltung der Hafenlasten nach § 7 Abs. 3 FAG (a.F.), die zu niedrige Einwohnerwertung gem. § 9 Abs. 2 FAG (a.F.), die zu geringe Höhe des Nachteilausgleiches gem. § 11a Abs. 2 FAG (a.F.) sowie die zu niedrige Ansetzung der Bundeszuweisungen für die Kosten politischer Führung und der Haushaltsnotlage Bremens nach § 11a Abs. 3 FAG (a.F.). Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hielt dieselben Normen wie der Senat Bremens mit z.T. abweichender Begründung für verfassungswidrig und griff darüber hinaus den zweiten Abschnitt des FAG insoweit an, als die Kosten der Sozialhilfe weder in § 7 FAG (a.F.) noch in § 8 Abs. 5 FAG (a.F.) für abzugsfähig erklärt worden waren und auch bei der Einwohnerwertung gem. § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) unberücksichtigt blieben. Die Landesregierung Schleswig-Holsteins wendete sich gegen §§ 6 und 8 Abs. 1 FAG (a.F.) und soweit bestimmte Finanzmittel der Gemeinden bisher nicht in die Berechnung der Finanzkraftmesszahl einberechnet werden, gegen §§ 8 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5, § 9 Abs. 3 und § 10 Abs. 3 FAG (a.F.). Die Regierung des Saarlandes hielt ebenfalls die hälftige Kürzung der Gemeindeeinnahmen nach § 8 Abs. 5 FAG (a.F.) für verfassungswidrig. Ferner richtete sie sich insoweit gegen § 9 Abs. 2 FAG (a.F.), als dass dieser bisher keine Einwohnerwertung für das Saarland vorsah und gegen § 11a Abs. 3 FAG (a.F.) hinsichtlich des unzureichenden Vorbetrages wegen der Haushaltsnotlage. β) Entscheidungsgründe Das BVerfG befand die gestellten Normenkontrollanträge für zulässig und in Teilen für begründet. 393 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern i. d. F. v. 28. Januar 1988, BGBl. 1988 I, S. 94 ff., geändert durch Gesetz v. 20. Dezember 1988, BGBl. 1988 I, S. 2358 und Gesetz v. 26. April 1990, BGBl. 1990 I, S. 822. 394 BVerfGE 86, 148 (161 f.).
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(1) Art der Einbeziehung der Gemeindefinanzen in den Länderfinanzausgleich Das BVerfG widmete sich zu Beginn seiner Entscheidungsbegründung der Art der Einbeziehung der Gemeindefinanzen in den Länderfinanzausgleich. Seiner Ansicht nach ist die Art der Einbeziehung der Gemeindefinanzen in den horizontalen Finanzausgleich gem. § 6 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 1, § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V. m § 8 Abs. 5, § 8 Abs. 5 und § 9 Abs. 3 FAG (a.F.) mit der Verfassung vereinbar. 395 Die kommunalen Finanzen sind im Finanzausgleichsystem sowohl in Art. 106 Abs. 5 – 7, 9 und in Art. 107 Abs. 2 S. 1 2. Hs. GG verankert. Die Kommunen selbst sind nach Auffassung des Gerichtes staatsorganisationsrechtlich den Ländern eingegliedert, was der grundsätzlich zweigliedrigen Konzeption des Grundgesetzes entspricht und für die Finanzverfassung im speziellen im allgemeinen Lastenverteilungsgrundsatz nach Art. 104a Abs. 1 GG zum Ausdruck kommt. 396 Das Gebot, die Finanzkraft und den Finanzbedarf der Gemeinden gem. Art. 107 Abs. 2 S. 1 2. Hs. GG zu berücksichtigen, ist dem Ziel eines angemessenen Ausgleichs der Finanzkraft der Länder zu- und untergeordnet. 397 Der Gesetzgeber sei verpflichtet, die Finanzkraft der Gemeinden einzubeziehen, soweit dem keine spezifischen Gründe aus den Verhältnissen der Gemeinden entgegenstehen. Auf diese allgemeinen Aussagen zum Verfassungsrecht aufbauend, befasste sich das BVerfG zunächst mit der Einbeziehung der örtlichen Verbrauchsund Aufwandsteuern und der Konzessionsabgaben in den Länderfinanzausgleich. Hierbei beurteilte das Gericht die kommunalen Einnahmequellen nach Maßgabe der schon in der vorherigen Entscheidung für den Begriff der „Finanzkraft“ im Zusammenhang mit den bergrechtlichen Förderabgaben festgelegten Kriterien. 398 Laut Urteil sei der Gesetzgeber weder verpflichtet, die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern noch die Konzessionsabgaben in den Länderfinanzausgleich einzubeziehen. 399 § 6 Abs. 1 i.V. m. § 8 Abs. 1 FAG (a.F.) verstieß somit nicht gegen das Grundgesetz, soweit er nur die Gemeindeanteile an der Einkommenssteuer sowie die Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuer der kommunalen Finanzkraft zugerechnet hat. Das BVerfG begründet seine Entscheidung damit, dass die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern, von ihrem Volumen her betrachtet, keine Ausgleichsrelevanz besitzen. 400 Konzessionsabgaben sind hingegen aus395
BVerfGE 86, 148 (213). BVerfGE 86, 148 (215). 397 BVerfGE 86, 148 (216). 398 BVerfGE 72, 330 (400, 410 f.). 399 BVerfGE 72, 330 (409); 86, 148 (225). 400 Für das Jahr 1989 veranschlagte das Gericht für die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern ein Gesamtvolumen von ca. 300 Mio. DM (ca. 153,39 Mio. €). 396
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gleichsrelevant, können aber aufgrund der zur Urteilsverkündung bestehenden Rechtslage (insbesondere existierte kein bundesrechtlicher Maßstab für die mögliche Erhebung der Konzessionsabgaben) nicht in den Länderfinanzausgleich mit einbezogen werden. 401 Weiterhin stellte das BVerfG in seiner Entscheidung in Form einer Vertretbarkeitskontrolle fest, dass die Berechnung des Realsteueraufkommens nach einem fiktiven, für alle Länder einheitlichen Hebesatz gem. § 8 Abs. 5 FAG (a.F.) verfassungskonform war. Eine pauschale Kürzung des Gemeindeanteils an der Einkommenssteuer lässt sich durch die Berücksichtigung des Finanzbedarfs der Gemeinden rechtfertigen, da die Realsteuern als Objektsteuern die in den Gemeinden gelegenen Grundstücke und Gewerbebetriebe belasten, deren Ertrag wiederum nicht unwesentlich von den Verhältnissen in der Gemeinde abhängt. 402 Somit sind die durch das Steuerobjekt verursachten Lasten und das Steueraufkommen eng mit einander verwoben. Abschließend erklärte das Gericht auch § 9 Abs. 3 FAG (a.F.) für mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber wurde aber verpflichtet, die Regelung der Einwohnerwertung der Gemeinden unter Bedarfsgesichtspunkten zu überprüfen. 403 (2) Hafenlasten Hinsichtlich der Abgeltung von Hafenlasten im Länderfinanzausgleich knüpfte das BVerfG mit seinem Urteil auch an die letzte Entscheidung an und präzisierte seine dort geäußerte Auffassung. Demnach müssen Sonderlasten auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs mit Ausnahme der Sonderbelastungen aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen weiterhin unberücksichtigt bleiben. 404 § 7 Abs. 3 FAG (a.F.) selber war daher verfassungskonform. Einschränkend fügte das Gericht in seiner Entscheidung hinzu, dass der Gesetzgeber aber nicht zu einer gesonderten Berücksichtigung der Seehafenlasten verpflichtet ist. 405 Wenn er sich jedoch für eine Berücksichtigung entscheidet, dann ist weder eine genaue Berechnung der Lasten noch ihre volle Abgeltung nach Art. 107 Abs. 2 GG erforderlich. Das Gericht überprüfte im Rahmen seiner Entscheidung nur, ob sich Art und Höhe der Abgeltung durch Sachgründe rechtfertigen lässt und das föderative Gleichbehandlungsgebot gewahrt wurde. Konkret kann der Ge401 Für das Jahr 1988 veranschlagte das Gericht auf Grundlage einer Regierungsmitteilung für die Konzessionsabgaben ein Gesamtvolumen von ca. 4,1 Mrd. DM (ca. 2,1 Mrd. €). 402 BVerfGE 86, 148 (231 ff.). 403 BVerfGE 86, 148 (233 ff.). 404 BVerfGE 72, 330 (413 f.); 86, 148 (236). 405 BVerfGE 86, 148 (236).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
setzgeber seine Berechnung der abgeltungsfähigen Hafenlasten auch auf einen groben Billigkeitsmaßstab stützen, solange eine Gleichbehandlung aller Länder mit relevanten Häfen gewährleistet ist. Ferner besteht nach Ansicht des BVerfG keine Verpflichtung des Gesetzgebers, die Hafenlasten in einer Weise zu berücksichtigen, dass die Länder mit Seehäfen nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleiches um die Höhe des Ansatzes der Seehafenlasten besser gestellt werden. 406 Abschließend wies das Gericht den Gesetzgeber darauf hin, dass eine Abgeltung der Hafenlasten auch an anderer Stelle im Länderfinanzausgleich beispielsweise nach Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeträge gem. § 10 FAG (a.F.) erfolgen kann. (3) Einwohnerwertung Nach Ansicht des BVerfG ist die Einwohnerwertung nach § 9 Abs. 2 FAG mit dem Grundgesetz vereinbar. In Anlehnung an die vorherige Entscheidung zum Finanzausgleich führte das Gericht aus, dass eine Gewichtung grundsätzlich insoweit zulässig ist, als die Stadtstaaten Bremen und Hamburg aufgrund ihrer strukturellen Eigenart (Haupt- und Großstadtfunktion, Erfüllung von Länderaufgaben, fehlendes Umland) einen Mehrbedarf gegenüber den Flächenländern aufweisen. 407 Angemessenes Kriterium zum Ausgleich der strukturellen Eigenart der Stadtstaaten ist die Erhöhung der Einwohnerzahl bei der Errechnung der Ausgleichsmesszahl im Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Einzig der Umfang und die Höhe der Gewichtung stehen nicht zur freien Disposition des Gesetzgebers. Nach Ansicht des Gerichtes muss er seine Entscheidung auf Grundlage objektivierbarer Indikatoren treffen. Das zu diesem Zwecke durch das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Bundesregierung erstellte finanzwissenschaftliche Gutachten 408, welches dem Gesetzgeber in Auszügen als Entscheidungsgrundlage für die Normierung der Einwohnergewichtung in § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) diente, genügte diesen Anforderungen und war daher nicht zu beanstanden. Die für die Gewichtung der Einwohnerzahl erforderliche normative Wertung auf Grundlage der objektivierbaren Indikatoren hat nach Auffassung des Gerichts allein der Gesetzgeber vorzunehmen. Dieser ist nicht dazu verpflichtet, die Gründe für die Wahl der konkreten Einwohnerwertung dazulegen, da es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung des Gesetzgebers handelt. Abschließend stellte das BVerfG noch fest, dass eine gesonderte Einwohnerwertung für das Saarland nicht in Betracht komme, da seine Situation als Flächenland nicht mit denen der Stadtstaaten vergleichbar sei. 409 406 407 408 409
BVerfGE 86, 148 (237). BVerfGE 86, 148 (240). M. Hummel / W. Leibfritz, Die Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich. BVerfGE 86, 148 (247 f.).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
163
(4) Berücksichtigung der Sozialhilfelasten Nach dem Normenkontrollantrag des Hamburger Senats seien die §§ 7, 8 Abs. 5 und 9 Abs. 2 FAG (a.F.) mit Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar, da die Sozialhilfelasten sowohl bei den Ländereinnahmen als auch bei den Steuereinnahmen der Gemeinden nicht abgezogen würden und ferner bei der Einwohnerwertung unberücksichtigt blieben. Dieser Ansicht ist das BVerfG in seinem Urteil nicht gefolgt. Seiner Ansicht nach sind die §§ 7, 8 Abs. 5 und 9 Abs. 2 FAG (a.F.) mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit sie die Sozialhilfelasten nicht besonders berücksichtigen. 410 Eine Abgeltung der Sozialhilfekosten in Form einer Sonderlast in § 7 FAG (a.F.) ist in Anlehnung an das vorherige Urteil nicht möglich, da außer bei dem Ausnahmefall der Hafenlasten Sonderbelastungen in den Länderfinanzausgleich nicht einzubeziehen sind. Die Berücksichtigung der Sozialhilfe bei der Einwohnerwertung in § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) verbiete sich, da typischerweise alle Großstädte relativ hohe Sozialhilfekosten haben und insoweit eine Sonderbehandlung der Stadtstaaten nicht zu rechtfertigen ist. Schließlich ist auch eine Berücksichtigung der gemeindlichen Sozialhilfekosten bei § 8 Abs. 5 FAG (a.F.) nach Meinung des Gerichts abzulehnen, da der gemeindliche Finanzbedarf im Sinne von Art. 107 Abs. 2 S. 1 2. Hs. GG als abstrakter Bedarf nur den generellen Mehrbedarf der Gemeinden, aus den ihnen obliegenden Aufgaben, erfasst. 411 Einzig im Rahmen von § 9 Abs. 3 FAG (a.F.) ist nach Ansicht des BVerfG eine mittelbare Berücksichtigung der Sozialhilfelasten denkbar. (5) Ländersteuergarantie In ihren Anträgen bezweifelten die Landesregierung Schleswig-Holstein und der Hamburger Senat die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 3 FAG (a.F.). 412 § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) enthielt eine Ländersteuergarantie, nach der jedes ausgleichsberechtigte Land am Ende des Länderfinanzausgleichs mindestens 95 % der durchschnittlichen Steuereinnahmen erhalten müsse. Die ausgleichspflichtigen Länder durften nach dieser Reglung nicht unter 100 % des Länderdurchschnitts der Einnahmen fallen. Nach Auffassung des BVerfG war § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) mit Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG i.V. m. dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar, soweit er bei der Berechnung der Fehlbeträge bzgl. der Staatstaaten die Steuereinnahmen und die Einnahmen aus der bergrechtlichen Förderabgabe je Einwohner ohne Berücksichtigung der Abzugsbeträge der Hafenlasten nach § 7 Abs. 3 FAG (a.F.) und die Einwohnerwertung gem. § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) er410 411 412
BVerfGE 86, 148 (248). BVerfGE 86, 148 (249). BVerfGE 86, 148 (192 ff.).
164
2. Teil: Finanzordnung und Reform
mittelt und die Aufbringung der Fehlbeträge regelt. 413 Solange § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) nicht die Gemeindeeinnahmen einbezieht, sondern sich nur auf die Ländereinnahmen stützt, ist er nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Seine Entscheidung begründete das Gericht damit, dass sowohl die Nichtberücksichtigung der Hafenlasten als auch die der Einwohnerwertung im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber vorgenommen Bemessung der Finanzkraft steht und somit willkürlich war. 414 Es ist dem Gesetzgeber dem Grundgesetz nach nicht von vornherein verwehrt, das Ergebnis des von ihm normierten Verfahrens, das auf einen angemessenen Ausgleich zielt, aus besonderen Gründen noch einmal zu korrigieren. Würde jedoch z. B. ein Stadtstaat nach der Regelung des § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) ausgleichspflichtig sein, zöge man ihn zur Auffüllung der Fehlbeträge ohne die ihn begünstigende Einbeziehung der Hafenlasten und der Einwohnerwertung heran (bis maximal 100% des Durchschnitts der Ländereinnahmen). Der Stadtstaat würde somit zu außerordentlich hohen Leistungen verpflichtet werden, die nicht mit dem Sinn und Zweck des § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) vereinbar sind. (6) Bundesergänzungszuweisungen Weiterführende Ausführungen machte das Gericht zu den Bundesergänzungszuweisungen. Seiner Ansicht nach war der nach § 11a Abs. 3 FAG (a.F.) festgelegte Vorbetrag zur Unterstützung des sich zu der Zeit in einer Haushaltsnotlage befindenden Saarlandes mit Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG vereinbar. Soweit jedoch dem Bundesland Bremen für die Jahre 1987 und 1988 ein Vorbetrag wegen einer vorliegenden Haushaltsnotlage nicht gewährt wurde und für die Anschlussjahre ein solcher Vorbetrag nur in Höhe von 50 Mio. DM (ca. 25,56 Mio. €) vorgesehen war, war die Regelung verfassungswidrig. 415 In diesem Rahmen bestätigte das Gericht noch einmal, dass die Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung ein nachgeordnetes vertikales Finanzierungsmittel des Finanzausgleichsystems sind. 416 Ferner befänden sich die Bundesländer Saarland und Bremen explizit in einer Haushaltsnotlage. Diese Annahme stützte das BVerfG auf zwei Indikatoren – die Kreditfinanzierungsquote und die ZinsSteuer-Quote –, die für die Feststellung einer Haushaltsnotlage jeweils einen bestimmten Grenzwert überschreiten müssen. Die Kreditfinanzierungsquote drückt das Verhältnis zwischen Netto-Kreditaufnahme und den Einnahmen bzw. Ausgaben aus. 417 Nach Ansicht des Gerichts lag jedenfalls dann eine Haushaltsnotlage vor, wenn die Kreditfinanzierungsquote in einem Bundesland ohne Einrechnung 413 414 415 416 417
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
86, 86, 86, 86, 86,
148 148 148 148 148
(250). (252 f.). (258). (261). (258).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
165
der Kommunen im Vergleich mit dem Durchschnitt der Bundesländer mehr als doppelt so hoch ist. 418 Für die Zins-Steuer-Quote, nach der die Zinsausgaben ins Verhältnis zu Einnahmen und Ausgaben des Haushalts gesetzt werden, sei eine Haushaltsnotlage anzunehmen, wenn diese über einen gewissen Zeitraum weit über dem Durchschnitt der Bundesländer liegt. 419 Ferner bescheinigte das Gericht aufgrund der über 10-jährigen erheblichen Unterdeckung der Haushalte von Bremen und dem Saarland den beiden Ländern eine Haushaltsnotlage extremen Ausmaßes („extreme Haushaltsnotlage“), nach der es sich nicht mehr nur um Hilfe zur Selbsthilfe gehandelt habe. 420 Aus einer extremen Haushaltsnotlage erwachse für die anderen Glieder der bundesstaatlichen Gemeinschaft die Pflicht, den betroffenen Ländern mit konzeptionell aufeinander abgestimmten Maßnahmen beizustehen, wobei auch über das normale Maß hinausgehende Bundesergänzungszuweisungen (in Form von Sonderzuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung) geleistet werden können. 421 Das Gericht betonte hierzu in seiner Urteilsbegründung, dass diese Verpflichtung entsprechend der Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips in Form des bündische Prinzip des Einstehens füreinander Bund und Länder grundsätzlich gleichermaßen betrifft. 422 Dem Bund kommt hierbei aber wegen der ihm im Grundgesetz zahlreich zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Steuer-, Finanzausgleichs- und Haushaltsgrundsätzegesetzgebung eine gewisse Erstverpflichtung zum Handeln zu. 423 Im Ergebnis musste sich die extreme Haushaltsnotlage nach Auffassung des BVerfG in einer der Situation angemessenen Erhöhung der konkreten Zahlungen an das Bundesland Bremen ausdrücken, wobei vor allem der Bund neben Bundesergänzungszuweisungen auch auf andere in der Verfassung vorgesehene Finanzierungsinstrumente zurückgreifen konnte. Hinsichtlich der gewährten Bundesergänzungszuweisungen für Kosten politischer Führung stellte das BVerfG fest, dass § 11a Abs. 3 S. 1 FAG (a.F.) mit Art. 107 Abs. 3 S. 2 GG unvereinbar war, insoweit er dem Bundesland Bremen als Vorbetrag einen Betrag zuwies, der 50% unter dem für das Saarland ausgewiesenen Betrag lag und der Gesetzgeber diese Ungleichbehandlung nicht 418
BVerfGE 86, 148 (259). BVerfGE 86, 148 (259). 420 Die Gesamtlast für eine Haushaltsstabilisierung wurde in dem Urteil für das Saarland mit über 6 Mrd. DM (3,07 Mrd. €) und für Bremen mit über 8,5 Mrd. DM (ca. 4,35 Mrd. €) beziffert, vgl. hierzu BVerfGE 86, 148 (263). 421 BVerfGE 86, 148 (263 f.). 422 BVerfGE 86, 148 (265). 423 Als Handlungsmöglichkeiten des Bundes wird in dem Urteil neben den Bundesergänzungszuweisungen insbes. auf die Einführung eines Haushaltsnotlagegesetzes gem. Art. 109 Abs. 3 GG, den verstärkten Einsatz des Instrumentes der Gemeinschaftsaufgaben gem. Art. 91a, b GG, auf den Lastenausgleich nach Art. 106 Abs. 8 GG, die Bevorzugung bei Standortentscheidungen sowie eine Neugliederung des Bundesgebietes gem. Art. 29 GG verwiesen, vgl. hierzu BVerfGE 86, 148 (266 ff.). 419
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
hinreichend zu begründen vermochte. 424 In dieser ungerechtfertigten Ungleichbehandlung lag daher ein Verstoß gegen das föderative Gleichbehandlungsgebot. Eine Nichtberücksichtigung Hamburgs bei den Bundesergänzungszuweisungen für Kosten der politischen Führung rechtfertige sich durch dessen fehlende Leistungsschwäche. Schließlich befasste sich das BVerfG in seinem Urteil noch mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 11a Abs. 2 GG (a.F.). Dieser sah eine Kürzung des nach dem vorherigen Urteil zu gewährenden Nachteilsausgleichs der Länder Bremen und Nordrhein-Westfalen von pauschal 30% vor. Diese Kürzung verstieß nach Ansicht des BVerfG gegen die sich aus Art. 107 Abs. 3 S. 2 GG ergebende Verpflichtung, die durch die verfassungswidrige Nichtbeteiligung an den Bundesergänzungszuweisungen erlittenen Nachteile angemessen auszugleichen. 425 γ) Bewertung des Urteils Es fällt auf, dass das BVerfG sich in seinem Urteil vom 27. Mai 1992 im Vergleich zur vorherigen Entscheidung mit speziellen materiell-rechtlichen Fragen des Finanzausgleichs zu befassen hatte. 426 Hierbei äußerte sich das Gericht sehr detailliert zu den einzelnen Punkten der zu einem Verfahren verbundenen Normenkontrollanträge. Der vereinzelt geäußerte Vorwurf, das Gericht habe mit dieser Entscheidung den juristischen Kontrollmaßstab überdehnt, ist daher nicht ganz von der Hand zu weisen. 427 Im Einzelnen hat das Gericht nur wenige der angegriffenen Normen des FAG für verfassungswidrig erklärt und somit grundsätzlich das System des Finanzausgleichs mit seiner Entscheidung als solches bestätigt. Die Einbeziehung der Gemeindefinanzen (mit einigen Präzisierungen) in die Berechnung der Finanzkraftmesszahl, die Einbeziehung der Hafenlasten, die Einwohnerwertung sowie die Nichtberücksichtung der Sozialhilfelasten wurden auf der dritten Stufe des Finanzausgleiches durch das Urteil grundsätzlich bestätigt. Nur hinsichtlich der Einwohnerwertung bei der Berechnung der kommunalen Finanzkraft gem. § 9 Abs. 3 FAG (a.F.) meldete das BVerfG Bedenken an, die jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit der Norm führten. Hingegen führte die Nichtberücksichtigung der Abzugsbeträge für die Hafenlasten und die Einwohnerwertung bei der Berechnung der auszugleichenden Fehlbeträge zur Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 3 FAG (a.F.). Von besonderer Bedeutung im Kontext mit den noch folgenden Entscheidungen erscheinen jedoch die Ausführungen des Gerichts zur Feststellung einer 424 425 426 427
BVerfGE 86, 148 (274). BVerfGE 72, 330 (423); 86, 148 (276 ff.). So auch U. Häde, Finanzausgleich, S. 351. Vgl. H.-W. Arndt, JZ 1992, S. 962 (971 ff.).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlands und die damit einhergehende Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 11a Abs. 2 und 3 FAG (a.F.). Indem das Gericht mit seinem Urteil eine Haushaltsnotlage der beiden Länder von extremem Ausmaß anerkannte, hat es den Bund und die übrigen Länder in sehr weitem Maße zur Solidarität in der Form verpflichtet, die Notlage zu beseitigen. Hierbei leitet das BVerfG erstmalig unter zur Hilfenahme der Kreditfinanzierungsquote und der Zins-Steuer-Quote ab, wann ein solcher Zustand der Haushaltsnotlage erreicht ist. Der Entscheidung folgend, erfordert die extreme Situation der Haushaltsnotlage (welche sich scheinbar aus einer zeitlichen Betrachtung – Haushaltsnotlage über mehrere Jahre – ergibt) neben dem Rückgriff auf die Bundesergänzungszuweisungen einen Einsatz weiterer Finanzierungsinstrumente. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen sind bei Hauhaltsnotlagen daher grundsätzlich nicht als vorrangiges Hilfsinstrument anzusehen. Auch gibt es grundsätzlich keinen Anspruch der Not leidenden Länder auf für die Stabilisierung ihres Haushaltes ausreichende Bundesergänzungszueisungen. Einzig das föderative Gleichbehandlungsverbot darf nicht verletzt werden. Das BVerfG fordert in dieser Entscheidung insoweit zum ersten Mal die Einführung einer einfachgesetzlichen Regelung von Haushaltsnotlagen und weist darüber hinaus ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Länderneugliederung nach Art. 29 GG hin. dd) BVerfGE 101, 158 ff. Am 11. November 1999 fällte das BVerfG eine weitere Grundsatzentscheidung zum Finanzausgleichsystem. 428 α) Sachverhalt Gegenstand der zusammengefassten Normenkontrollanträge war die in kürzester Zeit zum wiederholten Male auftretende Frage nach der Vereinbarkeit diverser Regelungen des Finanzausgleichgesetzes 429 mit der Verfassung. Die Gruppe der Antragsteller war extrem inhomogen, da sich in zwei Lagern Geberländer und Nehmerländer des Länderfinanzausgleichs gegenüberstanden. Konkret beantragte auf Seiten der Geberländer die Regierung des Landes Baden-Württemberg, in 428
BVerfGE 101, 158 ff. Vgl. Art. 33 (Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern) des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 (977 ff.), zuletzt geändert durch Gesetz v. 16. Juni 1998, BGBl. 1998 I, S. 1290 ff. 429
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
den Verfahren über die Anträge festzustellen, dass § 1 Abs. 2 und 3, § 2 Abs. 1 und 2, §§ 4 bis 10, § 11 Abs. 1, 2, 3, 5, 7 und 8, §§ 12 bis 15 FAG mit Art. 107 Abs. 1 und 2 GG i.V. m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar sind. Die Bayerische Staatsregierung war in ihrer Antragsschrift der Auffassung, dass § 1 Abs. 2 und 3, § 2 Abs. 2, § 7 Abs. 1 letzter Satz und Abs. 3, § 9 Abs. 2 und 3, § 10, § 11 Abs. 2, 3 und 5 FAG mit dem Grundgesetz, insbesondere dessen Art. 107, unvereinbar sind. Diese Auffassung deckte sich in weiten Teilen mit dem Antrag der Hessischen Landesregierung. Sie vertrat die Ansicht, dass § 1 Abs. 3, § 7 Abs. 1 S. 3 und Abs. 3, § 9 Abs. 2 und 3, § 10, § 11 Abs. 2, 3 und 5 FAG mit dem Grundgesetz, insbesondere Art. 107 und Art. 20 Abs. 1 GG, unvereinbar sind. Gegen diesen Vorstoß der Geberländer wandten sich der Senat der Freien Hansestadt Bremen, die Niedersächsische Landesregierung und die Landesregierung Schleswig-Holsteins. Sie vertraten in ihren Anträgen den Standpunkt, dass § 1 Abs. 2 und 3, § 2 Abs. 1 und 2, §§ 4 bis 10, § 11 Abs. 1, 2, 3, 5, 7 und 8 und §§ 12 bis 15 FAG mit dem Grundgesetz vereinbar sind. β) Entscheidungsgründe Das BVerfG hielt die Normenkontrollanträge der Antragsteller für zulässig und in Teilen für begründet. Der Zulässigkeit der Anträge stand nach Ansicht des Gerichtes nicht entgegen, dass die Antragsteller dem Finanzausgleichsgesetz im Jahr 1993 im Bundesrat zugestimmt hatten, da sie als Garant der verfassungsmäßigen Rechtsordnung auch im späteren Vollzug des Rechts die Auffassung der Verfassungswidrigkeit von Normen bekommen können. 430 Materiell-rechtlich war das Finanzausgleichgesetz nach Auffassung des Gerichtes im Ganzen verfassungswidrig, wobei eine abschließende Würdigung einzelner Regelungen seiner Meinung nach nicht in Betracht kam. 431 Das FAG in seiner damaligen Fassung habe insbesondere die in Art. 106 GG und Art. 107 GG vorgegebenen Maßstäbe nicht mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt. 432 Das bis dahin normierte Finanzausgleichsgesetz galt nach dem Ausspruch der Richter nur noch als Übergangsrecht bis längstens zum 31. Dezember 2004 fort, soweit bis zum 1. Januar 2003 in einem Gesetz die allgemeinen Maßstäbe für die Finanzverteilung festgelegt worden sind. 433
430 431 432 433
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
101, 101, 101, 101,
158 158 158 158
(213). (238). (214). (238).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
169
(1) Grundlagen für die Finanzaufkommensverteilung im Bundesstaat Die bundesstaatliche Finanzaufkommensverteilung soll nach Auffassung des BVerfG idealerweise auf der Grundlage eines normativ wie zeitlich abgestuften Regelwerkes mit drei Rechtsquellen erfolgen. 434 Auf der ersten Ebene steht demnach das Grundgesetz, welches die allgemeinen Vorgaben für die Steuerertragszuteilung und den Finanzausgleich enthält. Die Finanzverfassung verlangt nach Ansicht des Gerichts gem. Art. 106 Abs. 3 und 4 GG, Art. 107 Abs. 2 GG auf einer zweiten Ebene eine einfachgesetzliche Maßstabgebung, die den rechtlichen Auftrag für die Zukunft in der Weise erfüllt, dass die Maßstäbe der Steuerertragszuteilung und des Finanzausgleichs zur Schaffung von mehr Transparenz bereits gebildet werden, bevor deren spätere Wirkung konkret bekannt geworden ist. 435 Diese Begründung erfolgte aufgrund einer Bezugnahme auf rechtsphilosophische Ausführungen von Gerhart Husserl und John Rawls. 436 Der Gesetzgeber muss nach Ansicht der Richter „bevor ihm die Finanzierungsinteressen des Bundes und der einzelnen Länder in den jährlich sich verändernden Aufkommen und Finanzbedürfnissen bekannt“ 437
sind, ein Maßstäbegesetz erlassen. Somit wird gewährleistet, dass Maßstäbe und Indikatoren vor aktuellen Finanzinteressen, Besitzständen und Privilegien der am Finanzausgleich Beteiligten geschützt werden. Im Ergebnis schaffe eine Maßstäbegesetzgebung „abstrakte Kriterien für konkrete Finanzfolgen, in denen der Gesetzgeber sich selbst und der Öffentlichkeit Rechenschaft gibt, die rechtstaatliche Transparenz der Mittelverteilung sichert und die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit und Voraussehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Autonomiegrundlagen für den Bund und die Länder gewährleistet“ 438.
Das Finanzausgleichsgesetz bildet nach Auffassung des BVerfG die dritte, dem Maßstabsgesetz nachgeordnete Rechtsquelle des Finanzausgleichsystems. 439 Hier sind die konkreten finanzrechtlichen Folgerungen aus den vorherigen Quellen für die z.T. kurzfristige Festlegung der Einzelheiten des Finanzausgleiches zu treffen.
434 435 436 437 438 439
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
101, 101, 101, 101, 101, 101,
158 158 158 158 158 158
(214 ff.). (217). (217 f.). (218). (219). (219).
170
2. Teil: Finanzordnung und Reform
(2) Finanzverfassungsrechtliche Vorgaben für die einfachgesetzlich ausgestaltete Finanzverteilung Das BVerfG arbeitete in seiner Entscheidung weiterhin bestimmte, für Bund und Länder gleichermaßen geltende, finanzverfassungsrechtliche Maximen heraus, die in einem zukünftig zu erlassenden Maßstäbegesetz und dem darauf aufbauenden Finanzausgleichsgesetz zu berücksichtigen sind. 440 Hierbei machte es Vorgaben für die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer nach Art. 106 Abs. 3 S. 4 und Abs. 4 S. 1 GG, für die Vergabe von Ergänzungsanteilen der Länder an der Umsatzsteuer nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG, für die Voraussetzungen und die Höhe der Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten nach Art. 107 Abs. 2 S. 1 und 2 GG sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Im Einzelnen führte das Gericht aus, dass der dem Stufensystem der Finanzverteilung folgende Gesetzgeber im Bereich der vertikalen Steuerverteilung Leitlinien für die Umsatzsteuerverteilung festzulegen hat, um vor allem die Begriffe der „laufenden Einnahmen“ und der „notwendigen Ausgaben“ näher zu bestimmen. Zur Ermittlung der Verteilungsquote für das Umsatzsteueraufkommen ist nach Auffassung des Gerichts ein Deckungsquotenverfahren, das allein nach den in den jeweiligen Haushalten veranschlagten Einnahmen und Ausgaben bemessen ist, unzureichend. 441 Daher muss nach Ansicht des BVerfG für die Beurteilung, „ob durch ein bestimmtes Ergebnis der Umsatzsteuerverteilung ein „billiger Ausgleich“ erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt“ 442 wird, in einem Maßstäbegesetz eindeutige, den Anforderungen des Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 1 und 2 GG genügende Vorgaben für die Berechnung der Deckungsquote verankert werden. Auf der zweiten Stufe des Finanzausgleichsystems ist der Gesetzgeber ferner befähigt, die Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG in Zahlen nachvollziehbar zu definieren, sowie den Gesamtumfang der Ergänzungsanteile zu konkretisieren. 443 Weiterhin bedürfen nach Ansicht des Gerichts die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Länderfinanzausgleichs gesetzlicher Maßstäbe. 444 Speziell der Begriff der „Finanzkraft“ in Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG bedarf der Konkretisierung anhand nachvollziehbarer Indikatoren durch den Gesetzgeber, um die Einnahmen der Länder besser vergleichen zu können. Sollte sich der Gesetzgeber weiterhin dafür entscheiden, Sonderlasten für Seehä440 441 442 443 444
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
101, 101, 101, 101, 101,
158 158 158 158 158
(219 ff.). (220). (227 f.). (215). (228 ff.).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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fen im Länderfinanzausgleich zu berücksichtigen, verlangt dies eine gesonderte Rechtfertigung. Hinsichtlich der Einbeziehung der Finanzkraft der Gemeinden in den horizontalen Finanzausgleich ist der Gesetzgeber dazu aufgefordert, mittels allgemeiner Maßstäbe festzulegen, ab wann Einnahmen ausgleichserheblich sind. Ferner hat er festzulegen, in welcher Höhe die gemeindlichen Einnahmen in die Berechnung der Finanzkraft vor dem Hintergrund der finanzwirtschaftlichen Unabhängigkeit der Kommunen einzubeziehen sind. 445 Die Einwohnerwertung erfordert ebenfalls eine Bindung ihrer Bemessungsgrundlage an objektivierbare Indikatoren. Die abschließende Bemessung der Ausgleichbeträge darf nach Auffassung des BVerfG in keinem Widerspruch zu den selbst gesetzten Maßstäben und Ausgleichschritten stehen, weshalb § 10 Abs. 3 FAG (a.F.) nicht den Anforderungen des Art. 107 Abs. 2 S. 2 GG genügt. 446 Zur letzen Stufe im Finanzausgleichsystem, der Ermächtigung des Bundes zur Leistung von Ergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG, stellte das Gericht fest, der Gesetzgeber muss deren ergänzende Funktion im Anschluss an den Länderfinanzausgleich hervorheben. 447 Dies hat sich auch bei der Bemessung des Gesamtumfangs der Bundesergänzungszuweisungen widerzuspiegeln. Abweichungen von Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG sind nur aus besonderen Gründen vorübergehend zulässig. Die Vergabe von Bundesergänzungszuweisungen setzt demnach eine Leistungsschwäche des Empfängerlandes voraus, der eine eigenständige Bedeutung gegenüber dem horizontalen Ausgleich zukommt. Ferner muss in einem Maßstäbegesetz festgelegt werden, dass der Bund die Finanzkraft leistungsschwacher Länder allgemein anheben (allgemeine Bundesergänzungszuweisungen) und Sonderlasten leistungsschwacher Länder mitfinanzieren (Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen) kann. Hinsichtlich der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich hoher Kosten der politischen Führung besteht allgemeiner Begründungsbedarf sowie das Erfordernis der Einführung eines Maßstabes für die Höhe der Leistungen. Die Sonderzuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung müssen nach Ansicht des Gerichtes aufgrund ihres Charakters als vorübergehende Hilfe weiterhin degressiv ausgestaltet sein. 448 (3) Abwickelung des Fonds „Deutsche Einheit“ Abschließend äußerte sich das BVerfG noch zu den Regelungen der Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“. 449 Hierzu erörterte das Gericht zunächst 445 446 447 448 449
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
101, 101, 101, 101, 101,
158 158 158 158 158
(230). (231 f.). (232). (235). (236 f.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
dessen rechtliche Konzeption. Demnach war der Fonds 1990 geschaffen worden, um als Sondervermögen des Bundes Finanzzuweisungen an die Deutsche Demokratische Republik zum Haushaltsausgleich leisten zu können. 450 Da der Prozess der Deutschen Wiedervereinigung als gesamtstaatlicher Prozess begriffen wurde, sollten die Lasten auf Bund, Länder und Kommunen verteilt werden. Gespeist wurde der Fonds „Deutsche Einheit“ über Kredite und Bundeszuschüsse, wobei die alten Länder dem Bund 50% dieser Zuschüsse nach § 1 Abs. 2 FAG (a.F.) erstatten mussten. Nach der erfolgten Wiedervereinigung kam dem Fonds eine neue Aufgabe zu. Zwischen 1990 bis Ende 1994 sollte der Fonds in Form jährlicher Leistungen den allgemeinen Finanzbedarf der neuen Länder zu weiten Teilen bzw. später vollständig abdecken. 451 In diesem Zeitraum wurde zunächst gem. Art. 7 Abs. 3 des Einigungsvertrages und Art. 143 Abs. 2 GG auf die Durchführung eines gesamtdeutschen Länderfinanzausgleichs verzichtet. Im Jahre 1995 wurden die neuen Länder in den Länderfinanzausgleich integriert, womit der Fonds seine Zahlungen an sie einstellte und fortan nur noch der Abwicklung der entstandenen Kredite diente. Die Verteilung der Abwicklungslasten des als eine Art „Nebenfinanzausgleich“ wirkenden Fonds „Deutsche Einheit“ erfolgte aber weiterhin nach den alten Maßstäben ohne Einbeziehung der neuen Länder. Hinsichtlich der verbleibenden Abwicklungslasten entschied das BVerfG daher, dass der Gesetzgeber für die Zeit nach dem 31. Dezember 2004 den Grundsatz der föderativen Gleichbehandlung zu beachten hat. 452 Dies sollte durch Integration der Lasten in den allgemeinen Finanzausgleich oder durch eine Abstimmung mit dem Finanzausgleichsystem erfolgen. Im Einzelnen musste die Lastenverteilung unter Einbeziehung der neuen Länder nach sachgerechten Kriterien erfolgen, zu denen die Einwohnerzahl oder das absolute Finanzaufkommen als Verteilungsmaßstäbe wegen fehlenden Bezugs zur Finanzkraft und zur Leistungsstärke der einzelnen Länder nicht in Betracht kamen. Gleiches galt auch für die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 Abs. 5 FAG (a.F.). γ) Bewertung des Urteils Die Entscheidung des BVerfG vom 11. November 1999 divergiert in Methodik und Inhalt von den vorherigen Urteilen zum bundesstaatlichen Finanzaus450 BVerfGE 101, 158 (236); die rechtliche Grundlage für die Einführung des Fonds „Deutsche Einheit“ war der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 18. Mai 1990, BGBl. 1990 II, S. 537. 451 Vgl. hierzu Art. 7 Abs. 5 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands v. 31. August 1990 (Einigungsvertrag), BGBl. 1990 II, S. 889 (892). 452 BVerfGE 101, 158 (237).
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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gleich. 453 In den relativ kurz gehaltenen Entscheidungsgründen befindet das Gericht die bisherige Regelung des Finanzausgleichs wegen ihrer Unbestimmtheit im Ganzen für überprüfungswürdig. Die zentrale Aussage des Urteils ist, dass das Finanzausgleichsgesetz die in Art. 106 und Art. 107 GG vorgegebenen Maßstäbe bis dahin nicht mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt hatte und sie daher nur noch als Übergangsrecht anwendbar waren. 454 Zur Abhilfe der Probleme entwickelt das BVerfG ein eigenes Modell, bestehend aus drei aufeinander aufbauenden Rechtsquellen. Zwischen dem Grundgesetz und dem Finanzausgleichsgesetz soll eine rechtliche Ebene geschaffen werden, die bestimmte Maßstäbe des Finanzausgleichs längerfristig festschreibt. Auffällig ist hierbei, dass das Gericht bei den einzelnen Vorgaben für ein solches Maßstäbegesetz fast ausschließlich auf seine Aussagen zum Finanzausgleichsystem in den beiden vorherigen Entscheidungen verweist und somit den Weg zu deren Normierung zu ebnen versucht. Dieses aufgrund seiner Andersartigkeit zunächst fortschrittlich anmutende Urteil ist in der Literatur berechtigt auf erhebliche Kritik gestoßen. 455 Dem Ansatz des Gerichts, ein normativ und zeitlich abgestuftes Regelwerk auf drei Ebenen zu installieren, wurde vor allem entgegnet, dass eine Selbstbindung des Gesetzgebers dem Demokratieprinzip zu wider laufen würde, weil das Gesetz jeder Zeit durch neue parlamentarische Mehrheiten abänderbar sein müsse. 456 Ferner sieht der dem Grundgesetz zu entnehmende Teil der Normenhierarchie zwischen Gesetzen mit Verfassungsrang und einfachen Gesetzen keine weitere Kategorie von „Supergesetzen“ vor. 457 Entgegen Art. 109 Abs. 3 GG, welcher es dem Gesetzgeber ermöglicht, Gesetze wie das Haushaltsgrundsätzegesetz zu erlassen, ist eine vergleichbare grundgesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines solchen Grundlagengesetzes im Bereich des Finanzausgleichs nicht ersichtlich. Schließlich scheint überhaupt die Berechtigung des BVerfG, per Urteil dem Maßstäbegesetz einen Vorrang vor dem Finanzausgleichsgesetz einräumen zu können, zweifelhaft. 458 Die berechtigte Kritik an dem Urteil verdeutlicht, dass eine normative Abstufung fern der gängigen Normenhierarchie problematisch ist. Dennoch 453
H.-P. Bull / V. Mehde, DÖV 2000, S. 305. T. Christmann, DÖV 2000, S. 315 (323). 455 T. Christmann, DÖV 2000, S. 315 ff.; S. Korioth, ZG 2002, S. 335 (345 ff.); B. Pieroth, NJW 2000, S. 1086; H. H. Rupp, JZ 2000, S. 269 (271). 456 S. Korioth, ZG 2002, 335 (352); B. Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1087); a. A. C. Degenhart, ZG 2000, S. 79 (80), der aus dem angeblich höheren Verfassungsbezug des Maßstabsgesetzes eine gesteigerte Verbindlichkeit des Gesetzes gegenüber dem Finanzausgleichgesetz herleitet. 457 B. Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1087); H. H. Rupp, JZ 2000, S. 269 (271); a. A. K. Vogel, Maßstäbegesetze, Rückwirkungsverbote und Völkerrechtliche Verträge – Ausnahmen von der „lex-posterior“-Regel, in: D. Dörr, FS für Hartmut Schiedermair, S. 113 ff. 458 J. A. Kämmerer, JuS 2003, S. 214 (216); J. Linck, DÖV 2000, S. 325 (328). 454
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
ist die hinter der wenig geglückten Herleitung einer erweiterten Normenhierarchie liegende Intention des BVerfG, die Steuerfunktion des Gesetzes für den Bereich des Finanzausgleichs zu reaktivieren, insgesamt begrüßenswert. 459 Der Vorwurf, eine Festlegung von Maßstäben im Bereich des Finanzausgleichs sei aufgrund der hoch politischen Materie insgesamt unmöglich, wird durch einige in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelte Grundsätze zum Finanzausgleich widerlegt. In einem zweiten Schritt versucht das BVerfG unter Rückgriff auf rechtsphilosophische Ansätze von John Rawls 460 und Gerhart Husserl 461 eine zeitliche Trennung von einer vorgelagerten Maßstabsbildung und der erst im Anschluss daran zu erfolgenden Verteilungsentscheidung nachzuweisen. 462 Die sich schon aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebenden Grundsätze des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes führen jedoch zu keinem strikten verfassungsrechtlichen Gebot, d. h. zwischen der Änderung des Maßstäbegesetzes und einer darauf aufbauenden Veränderung des Finanzausgleichgesetzes muss kein zeitlicher Abstand liegen. 463 Insgesamt erscheint der vom BVerfG vorgenommene rechtsphilosophische Begründungsversuch daher missglückt. 464 Ein weiteres Problem stellt die vom Gericht vorgegebene Befristung des Finanzausgleichgesetzes in Kombination mit einem bedingten Übergangsrecht dar. Nach dieser Konstruktion sollte das verfassungswidrige Gesetz länger gültig sein (31. Dezember 2004), wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Maßstäbegesetz erlassen wurde (31. Dezember 2002). Ohne den Bedingungseintritt sollte das Finanzausgleichgesetz zum 1. Januar 2003 außer Kraft treten. Mit Recht wird kritisch darauf hingewiesen, dass das Verfassungsprozessrecht eine solche Anordnungsmöglichkeit des Gerichtes nicht vorsieht. 465 Im Ergebnis hat das Gericht mit seiner Entscheidung vom 11. November 1999 durch die Auferlegung von Vorgaben den „Spielball“ an die Politik bzw. den Gesetzgeber zurückgegeben. Aus heutiger Perspektive zeigt sich, dass das Maßstäbegesetz bisher rechtlich nahezu wirkungslos geblieben ist. 466 Da der Gesetzestext 459 H.-P. Bull / V. Mehde, DÖV 2000, S. 305 (306); P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 49. 460 J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 29 ff, 159 ff. („Schleier des Nichtwissens“); kritisch zur Anwendung des Zitats durch das BVerfG J. F. Lindner, NJW 2000, S. 3757 (3759). 461 G. Husserl, Recht und Zeit, S. 27 ff. 462 BVerfGE 101, 158 (217 f.); J. Wieland, DVBl. 2000, S. 1310 (1312). 463 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 41; S. Korioth, ZG 2002, S. 335 (352 f.); J. Wieland, DVBl. 2000, S. 1310 ff.; a. A. H. H. Rupp, JZ 2000, S. 269 (270 f.). 464 Hierzu ausführlich Lidner, NJW 2000, S. 3757 ff. 465 Vgl. § 78 BVerfGG; H. H. Rupp, JZ 2000, S. 269 f.
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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auf die bloße Wiedergabe der einschlägigen Normen des Grundgesetzes und der Rechtsprechung reduziert wurde, wirkt er beliebig und bietet aufgrund der fehlenden Ausführung der maßstabsbedingten Konsequenzen keinen Anreiz für die Ländervertreter, sich auf die Vorgaben einzulassen. Hierbei ist anzumerken, dass durch eine Normierung eines, nicht kurzfristigen Änderungen unterliegenden, allgemeinen Teils im Finanzausgleichsgesetzes die wenig geglückten Ausführungen des BVerfG zu einem normativ und zeitlich abgestuften Regelwerk mit drei Rechtsquellen außerhalb der gängigen Normenhierarchie hätten vermieden werden können. ee) BVerfGE 116, 327 ff. Am 19. Oktober 2006 fällte das BVerfG sein bislang letztes Urteil zum Finanzausgleich. 467 α) Sachverhalt Der Senat des Landes Berlin machte mit seinem Normenkontrollantrag gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i.V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG geltend, dass auch dem Land Berlin für die Jahre seit 2002 zum Zwecke der Haushaltssanierung Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen hätten gewährt werden müssen. Der Antrag richtete sich gegen die Vereinbarkeit von § 11 Abs. 6 FAG 468 sowie Art. 5 § 11 SFG mit Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Hinsichtlich Art. 5 § 11 SFG rügte Berlin auch für die Zeit ab 2005 kein Unterlassen des Haushaltsgesetzgebers, sondern eine verfassungswidrige Ausgestaltung der Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, die eine Verletzung des föderalen Gleich466
P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 55; J. A. Kämmerer, JuS 2003, S. 214 (215 ff.); S. Korioth, ZG 2002, S. 335 (343 ff.). 467 BVerfGE 116, 327 ff.; vgl. hierzu u. a. auch F. Ekardt / D. Buscher, NJ 2008, S. 102 ff.; J. Eschenbach, NdsVBl. 2007, S. 177 ff.; O.-E. Geske, Der Staat 46 (2007), S. 203 (219 ff.); M. Kerber, Der Staat 46 (2007), S. Korioth, WD 2007, S. 182 ff.; S. 229 ff.; M. Rossi, JZ 2007, S. 394 ff.; P. Selmer, Zum Verhältnis von finanzieller Eigenverantwortung und bündischen Solidarpflichten – Schlussfolgerungen aus dem Berlin-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, in: Junkernheinrich, Martin / Scheller, Henrik / Woisin, Matthias (Hrsg.), Zwischen Reformidee und Funktionsanspruch – Konzeptionen und Positionen zur deutschen Finanzverfassung, S. 253 ff.; ders., KritV 2008, S. 171 (172 ff.). 468 Vgl. Art. 33 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 (977), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 ff.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
behandlungsgebots darstellen soll. Der Bundesgesetzgeber, der im Fall einer extremen Haushaltsnotlage durch das Grundgesetz zu einer Regelung verpflichtet ist, hatte sich nach Ansicht des Berliner Senats durch die Regelung in § 12 Abs. 4 MaßstG selbst daran gebunden, dass Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen als ein Instrument zur Sanierung des Haushalts eines Landes in einer solchen Situation in Betracht kämen. β) Entscheidungsgründe Am 19. Oktober 2006 ist das Urteil des BVerfG zur Klage des Landes Berlins auf die Zahlung von Sanierungshilfen in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen verkündet worden. Berlin wurde trotz seiner damaligen Schulden i. H.v. ca. 60 Mrd. € ein Anspruch auf Sanierungszahlungen durch eine vertikale Umverteilung im Finanzausgleich verwehrt. 469 Die einstimmig ergangene Entscheidung des 2. Senats ist ein markantes Signal in Richtung auf mehr Eigenverantwortung der Bundesländer, was zugleich das aus dem Bundesstaatsprinzip entwickelte bündische Prinzip des Einstehens füreinander relativiert. Im Einzelnen befand das BVerfG den Normenkontrollantrag des Landes Berlin zwar gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 76 Nr. 1 BVerfGG für zulässig, versagte den möglichen Anspruch auf Sanierungshilfen letztendlich aber in der Sache als unbegründet. Die angegriffenen Regelungen in § 11 Abs. 6 FAG und Art. 5 § 11 SFG sind mit der Verfassung (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG und dem Bundesstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG) vereinbar, soweit für Berlin für die Jahre ab 2002 zum Zweck der Haushaltssanierung keine Bundesergänzungszuweisungen gewährt wurden. Zu dem Anspruch auf Sanierungshilfen gibt das BVerfG im Urteil folgende, z.T. neue Leitlinie vor: „Sanierungshilfen des Bundes in Gestalt von Bundesergänzungszuweisungen im Sinne des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG ... unterliegen einem strengen Ultima-Ratio-Prinzip und sind nur dann verfassungsrechtlich zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes nicht nur relativ – im Verhältnis zu den übrigen Ländern – als extrem zu werten ist, sondern wenn sie auch absolut – nach dem Maßstab der dem Land verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben – ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein bundesstaatlicher Notstand im Sinne einer nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung des Landes als verfassungsgerecht handlungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben eingetreten ist. Dies setzt voraus, dass das Land alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der Abhilfe erschöpft hat, so dass sich eine Bundeshilfe als einzig verbliebener Ausweg darstellt. Das Land trägt insoweit die Darlegungs- und Begründungslast. Das geltende positive Recht ist nur unzureichend auf die Bewältigung auftretender extremer Haushaltsnotlagen eingestellt.“ 470
469 470
C. Seiferth, Die Rechtsstellung der Bundeshauptstadt Berlin, S. 103. BVerfGE 116, 327 (377).
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Der Auszug aus dem Urteil verdeutlicht, dass der Anspruch auf Sanierung in formeller und materieller Hinsicht erheblich verschärft wurde. Eine „extreme Haushaltsnotlage“ im Vergleich zu den anderen Ländern reicht für einen Anspruch auf Sanierungshilfen nicht mehr aus. Erforderlich ist nunmehr ein „bundesstaatlicher Notstand“, der zu einer Existenzbedrohung des betroffenen Landes führt. Wann besteht also überhaupt noch ein Anspruch auf Sanierungshilfen in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen? (1) Von der „extremen Haushaltsnotlage“ zum „bundesstaatlichen Notstand“ – Voraussetzungen eines Sanierungshilfeanspruchs Durch das Urteil des BVerfG haben sich die Voraussetzungen eines Sanierungshilfeanspruchs geändert. (a) Einordnung der Sanierungshilfen in das System des Finanzausgleichs Das BVerfG charakterisiert die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung in seinem Urteil nach Zweck und Systematik sowie vor dem Hintergrund der verstärkten Eigenverantwortlichkeit der Bundesländer als einen Fremdkörper in einem bereits sehr differenzierten Finanzausgleich, welche zudem notwendige Neujustierungen im System des Finanzausgleichs verzögern bzw. unsinnige Ausgabenanreize schaffen. 471 Dem vorgeschaltet, erfolgt die Einordnung der Sanierungshilfen in das vierstufige System des Finanzausgleichs in Bezugnahme auf die bereits ergangenen Urteile zu diesem Themenkomplex. 472 Diese präzise Verortung der Sanierungshilfen auf der vierten und somit letzten Stufe des Finanzausgleichs ist ein erster klarer Hinweis des BVerfG, dass die Lösung der Finanzproblematik prinzipiell auf den ersten drei Stufen des Verteilungs- und Ausgleichssystems der Finanzverfassung gefunden werden sollte und Bundesergänzungszuweisungen nur in Ausnahmen zu leisten sind. Dennoch stellt das BVerfG zunächst fest, dass es Sanierungshilfen weiterhin grundsätzlich für ein geeignetes Instrument hält, Not leidende Länder zu unterstützen. 473 Anknüpfungspunkt ist der zentrale Begriff der Leistungsschwäche im Sinne des Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Nach Ansicht des Gerichts bringen es die Eigenständigkeit und politische Autonomie der Länder mit sich, dass sie für die haushaltspolitischen Folgen solcher Entscheidungen grundsätzlich selbst einzustehen haben. 474 Diese Bedenken gegen die Sonderbedarfs471 472 473
BVerfGE 116, 327 (384). BVerfGE 72, 330; 86, 148; 101, 158. BVerfGE 116, 327 (386 ff.).
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Bundesergänzungszuweisungen versucht das Gericht durch Äußerungen in den bereits ergangenen Urteilen zu belegen. 475 Zur Konkretisierung seiner Judikatur definiert es den Begriff der „Leistungsschwäche“ als die mangelnde Fähigkeit eines Landes, mit den nach dem horizontalen Finanzausgleich vorhandenen Mitteln die von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen. 476 Gründe für eine Leistungsschwäche sollen demnach eine unterdurchschnittliche Finanzkraft nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleichs oder auch Sonderbedarfe bzw. Sonderlasten aus außerhalb der autonomen landespolitischen Gestaltungsmöglichkeit liegenden Ursachen, die nicht alle Länder gleichermaßen betreffen, sein. 477 Ferner dürfen sie nicht schon auf einer der vorherigen Stufen des Finanzausgleichs Berücksichtigung gefunden haben. Lägen die formellen und (verschärften) materiellen Voraussetzungen jedoch vor, dann besteht dem Urteil nach für den Bund dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander folgend sogar die Pflicht, Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung zu leisten. 478 (b) Sanierungshilfen als „ultima ratio“ – „Bundesstaatlicher Notstand“ Der Anspruch auf Sanierungshilfe nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG unterliegt nach dem aktuellen Urteil des BVerfG einem strengen Ultima-Ratio-Prinzip. 479 Den Maßstab für den Anspruch bildet das Bundesstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 1 GG, welches keine eigenständige Kompetenz begründet, sondern nur dazu verpflichtet, bereits vorhandene verfassungsgesetzlich begründete Befugnisse auszuschöpfen. Unter dieser Prämisse hat das Gericht den Anspruch auf Sanierungshilfen erheblich verschärft. Demnach müssen nun für das Vorliegen eines „bundesstaatlichen Notstands“ in materieller Hinsicht kumulativ die Voraussetzungen einer relativen, auf das Verhältnis zu den anderen Ländern bezogenen und einer absoluten, auf die Fähigkeit zur Erfüllung der verfassungsmäßig vorgegebenen Aufgaben bezogenen Haushaltsnotlage erfüllt sein. 480 Die Relativität des Anspruchs zeigt sich, sobald absolute, existenzbedrohende Haushaltsnotlagen in größerer Zahl zu verzeichnen sind. Dann sinkt automatisch der Durchschnitt der 474
BVerfGE 72, 330 (405). BVerfGE 116, 327 (383). 476 BVerfGE 72, 330 (403); 101, 158 (224); 116, 327 (384). 477 BVerfGE 116, 327 (384); vgl. ferner J. Hidien, Ergänzungszuweisungen des Bundes gemäß Art. 107 Abs. 2 S. 3 des Grundgesetzes, S. 43 ff.; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 137. 478 BVerfGE 116, 327 (386). 479 BVerfGE 116, 327 (390 ff.); R. Seer, Zukunft des Steuerföderalismus, in: H. Butzer / M. Kaltenborn / W. Meyer, FS für Friedrich Schnapp, S. 303 (309). 480 BVerfGE 116, 327 (388 f.). 475
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Haushalte auf ein geringeres Niveau, so dass es trotz Existenzbedrohung an einer relativen Haushaltsnotlage der bedrohten Länder fortan fehlen kann. Nach Auffassung des BVerfG lässt sich eine relative Notlage verfassungsrechtlich nicht generell-abstrakt bestimmen. Ein Indiz hierfür kann eine vergleichende Gesamtbewertung der Finanzlage in der bundesstaatlichen Gemeinschaft sein. 481 Das Gericht stellte ferner fest, dass die quantitativen Elemente, die der Senat in seiner Entscheidung im Jahr 1992 für die Bestimmung „einfacher“ und „extremer“ Haushaltsnotlagen herangezogen hat 482, in Zukunft weiter verschärfend zu ergänzen sind. 483 In der Konstellation, in der sich Berlin zum Zeitpunkt des Urteils befand, sind Sanierungshilfen durch Bundesergänzungszuweisungen danach ausgeschlossen, so wie auch der Anspruch auf Hilfe bei relativ großem Abstand zum Länderdurchschnitt bei gleichzeitiger absoluter akzeptabler Finanzlage ausgeschlossen ist. Dem kann nach Ansicht des BVerfG nur eine Föderalismusreform II mit geänderten Finanzausgleichsregeln bzw. Aufgabenkatalogen für die Länder abhelfen. Eine weitere Vorraussetzung für einen Anspruch auf Sanierungshilfen in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen ist nach Ansicht des Gerichts die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Danach kommt z. B. Leistungen aus den vorhandenen Mischfinanzierungstatbeständen gegenüber Sanierungsleistungen ein Vorrang zu. 484 Nach Ansicht des Gerichts scheinen jene Tatbestände in extremen Notlagen für Haushaltssanierungen kaum noch ein geeignetes Mittel zu sein. Dennoch gibt die Stufenfolge des Finanzausgleichs jenen Ultimaratio-Gedanken letztlich bereits vor. 485 Im Urteil erging noch der Hinweis an die Adresse Berlins, dass anfallende Hauptstadtlasten nicht auf dem Umweg des Sanierungsfalls eingefordert werden können, sondern im Rahmen des Art. 106 Abs. 8 GG gesondert geltend gemacht werden müssen. 486 (c) Darlegungs- und Begründungslast des Klägers Hinsichtlich der absolut erforderlichen Existenzbedrohung und der nicht mehr vorhandenen eigenen Handlungsmöglichkeiten trägt das Notlageland nach Auffassung des Gerichts als formelle Verpflichtung weiterhin eine Darlegungs- und 481
BVerfGE 116, 327 (389). BVerfGE 86, 148 (258 ff., 262 f.); S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 666 f. 483 BVerfGE 116, 327 (389). 484 BVerfGE 116, 327 (389 f.). 485 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Finanzverfassung, Rn. 689 ff.; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 98 f.; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 3. 486 BVerfGE 116, 327 (390). 482
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Begründungslast. Dabei kann die Betrachtung des Verhaltens des Notlagenlandes in der Vergangenheit im Vergleich mit anderen Ländern zu dem Ergebnis führen, dass erhebliche Handlungs-, insbesondere Veräußerungs- und Sparmöglichkeiten in der Vergangenheit nicht ausgeschöpft wurden, was das Nichtvorliegen eines bundesstaatlichen Notstandes indizieren würde. 487 (2) Subsumtion der Situation Berlins unter die Anspruchsvoraussetzungen Das BVerfG entschied nach Feststellung der konkreten Haushaltslage Berlins anhand der gemachten Vorgaben, dass sich ein „bundesstaatlicher Notstand“ für das Land Berlin nicht feststellen lässt. 488 (a) Aussagekräftige Indikatoren zur Feststellung der Finanzlage Zuerst befasste sich das BVerfG damit, welche Indikatoren einen Rückschluss auf die aktuelle haushaltswirtschaftliche Lage von Gliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft zulassen. Dafür kommt nach Auffassung des Gerichts zunächst die Finanzierungsquote der einzelnen Haushalte, die das Verhältnis zwischen Netto-Kreditaufnahme und den Einnahmen und Ausgaben des Haushalts ausweist (Kreditfinanzierungsquote), in Betracht. Sie kann trotz der politischen Beeinflussbarkeit der Netto-Kreditaufnahme und ihres fehlenden Ursachenbezugs erste Hinweise für eine übermäßige Zinsausgabenlast des betroffenen Landes geben, die die haushaltswirtschaftliche Handlungsfähigkeit beeinträchtigt oder gar zur Leistungsunfähigkeit des Not leidenden Landes führt. 489 Eine noch höhere Aussagekraft lässt das Gericht Belastungsquoten zukommen, die die Zinsausgaben ins Verhältnis zu Einnahmen und Ausgaben des Haushalts setzen (Zins-Steuer-Quote). 490 Mit der Zins-Steuer-Quote lässt sich abbilden, welcher Teil der Steuereinnahmen von vornherein nicht zur Finanzierung von Aufgaben zur Verfügung steht, da er für Zinsausgaben anzusetzen ist, soweit deren Deckung nicht einer entsprechend erhöhten Nettoneuverschuldung zugeordnet werden soll. Inwieweit durch die in dem Urteil geänderte Errechnung der Einnahmebasis der Zins-Steuer-Quote eine Verschärfung der für die Anspruchsfeststellung relevanten Indikatoren eingetreten ist, wird nachfolgend noch zu klären sein. Die Primärüberschuss- bzw. Primärdefizitbetrachtung ist dem Urteil nach ein weiteres geeignetes Hilfsmittel, um die Leistungsfähigkeit einer Haushaltswirt487 488 489 490
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
116, 327 (390 ff.). 116, 327 (394 ff.). 86, 148 (258 f.); 116, 327 (394). 116, 327 (394).
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schaft zu beurteilen. 491 Nach dieser durch die Entscheidung neu in den Indikatorenkatalog aufgenommenen Berechnung werden zunächst die Primärausgaben und die Primäreinnahmen ermittelt. Die Primärausgaben setzen sich aus den (bereinigten) Ausgaben abzüglich der Zinsausgaben zusammen; damit werden die sog. „Kernausgaben“ eines Landes dargestellt, die den Personal-, Sach- (ohne Zinsausgaben) und Investitionsaufwand abbilden. Die Primäreinnahmen sind bei dieser Darstellung als (bereinigte) Einnahmen zu verstehen, die um die Erlöse aus der Veräußerung von Vermögen und um die Nettokreditaufnahme vermindert werden. Die Differenz aus Primäreinnahmen und Primärausgaben ist der Primärsaldo. Bei einer positiven Differenz liegt ein Primärüberschuss vor, im entgegengesetzten Fall ein Primärdefizit. Je größer der Primärüberschuss ist, umso mehr haushaltswirtschaftliche Spielräume bestehen, da die „Kernausgaben“ von den Primäreinnahmen zunehmend überkompensiert werden. Bemerkenswert ist die ausdrückliche Feststellung des Gerichts, dass der Katalog der aussagekräftigen Indikatoren zur Ermittlung eines bundesstaatlichen Notstandes nicht abschließend sei. 492 Auch andere Indikatoren wie das Finanzierungsdefizit, der Schuldenstand sowie die Zinsausgaben ins Verhältnis gesetzt zum Bruttoinlandsprodukt, sind nach Auffassung des BVerfG geeignet, Rückschlüsse auf die aktuelle haushaltswirtschaftliche Lage von Gliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft zuzulassen. Die im Vorfeld oft diskutierten Ansätze zur Prüfung der Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzwirtschaften 493 lehnte das BVerfG in seiner Entscheidung als grundsätzlich ungeeignetes Analyseinstrument zur Feststellung absoluter und relativer extremer Haushaltsnotlagen ab. Diese Ansätze sind eher für eine Langfristbetrachtung interessant. 494 (b) Anwendung der Indikatoren auf Berlin In Anwendung der genannten Indikatoren auf Berlin kommt das Gericht zu dem Schluss, dass sich Berlin nicht in einem bundesstaatlichen Notstand befand. Die Betrachtung der Kreditfinanzierungsquote Berlins im Zeitraum von 1995 bis 2004 stütze dabei zunächst noch das Berliner Anliegen auf Sanierungshilfen. 495 Die Berliner Nettokreditaufnahme bewegte sich in dieser Zeit zwischen dem 2,79 bis 5,6-fachen des Länderdurchschnitts. Das im Jahr 1992 vom BVerfG 491
BVerfGE 116, 327 (395). BVerfGE 116, 327 (396). 493 O. Blanchard, The Sustainability of Fiscal Policy – New Answers to an Old Question, OECD Economic Studies, 15 (1990) S. 7 ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, „Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik – Konzepte für eine langfristige Orientierung der Haushalte“. 494 BVerfGE 116, 327 (394). 495 BVerfGE 116, 327 (399 f.). 492
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beispielhaft für eine (einfache) Haushaltsnotlage herangezogene Indiz des „Doppelten über der länderdurchschnittlichen Kreditfinanzierungsquote“ 496 war für den genannten Zeitraum erfüllt. Da die Kreditfinanzierungsquote jedoch starken Schwankungen unterliegt, reichte sie allein nicht aus, um eine extreme Haushaltsnotlage im absoluten Sinne festzustellen. Als zweites Kriterium wurde daher die Zins-Steuer-Quote Berlins vom Gericht betrachtet. In Abweichung zu seinen bisherigen Urteilen 497 hat das Gericht die Berechnungsgrundlage durch die geänderte Berechnung der Einnahmebasis deutlich verschärft. Neben der bisher gültigen Rechenweise, bei der allein die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen zur Ermittlung der Zins-SteuerQuote hinzugerechnet wurden, soll zukünftig alternativ eine Betrachtung aufgestellt werden, bei der zu den Steuer und steuerähnlichen Einnahmen auch die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (ohne die Sanierungshilfen) zusätzlich mit in die Rechnung einfließen. 498 Zur Erläuterung des neuen Berechnungsansatzes führte das Gericht aus, dass sämtliche Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen 499 gem. § 11 Abs. 3 –5 FAG in der Fassung vom 17. Juni 1999 zu berücksichtigen sind. Das Gericht begründete diese Änderung der Bemessungsgrundlage mit dem Sinn und Zweck der einzurechnenden Zahlungen. 500 Durch das Mitte der 90er Jahre ausgehandelte föderale Konsolidierungsprogramm wollte der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Steuerschwäche der begünstigten Länder deren Einnahmebasis aufstocken. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zu Sanierungszwecken sollten dagegen wegen ihrer konkreten Zweckbindung und haushaltswirtschaftlich einschränkenden Wirkung nicht zu berücksichtigen sein. Ferner wiesen sie eine größere Nähe zu Investitionshilfen gem. Art. 104b GG (ex. Art. 104a Abs. 4 GG) auf. Nach der bisher gültigen Berechnungsgrundlage stieg die Zins-Steuer-Quote von 1995 – 2004 stetig von 98 % auf 176 % an. Ab dem Jahr 2002 hatte Berlin den Länderdurchschnitt bei der Zins-Steuer-Quote um zumindest 71,7% überschritten. Dies war bisher der entscheidende Schwellenwert zur Feststellung einer (extremen) Haushaltsnotlage in zwei konkreten Einzelfällen gewesen – wie das Gericht in seinem Urteil ausdrücklich betonte. 501 Da jedoch in der aktuellen Lage mehr als die Hälfte 496
BVerfGE 86, 148 (259 f.). BVerfGE 86, 148 (258 f.). 498 BVerfGE 116, 327 (400). 499 Bundesergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung, zum Abbau teilungsbedingter Sonderbelastungen, zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft und die Übergangs-Bundesergänzungszuweisungen. 500 Vgl. BVerfGE 116, 327 (401): „Übergreifendes Ziel dieser Zuweisungen ist damit, die (noch) mangelhafte Steuerkraft in einigen Ländern zu verbessern; um den für angezeigt gehaltenen Umfang der Transfers zu kanalisieren, tatbestandlich zu umreißen, zu begründen und zu begrenzen, hat der Gesetzgeber entschieden, Sonderbedarfe anzuerkennen.“ 497
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der Länder eine ähnliche Quote aufweisen können und Bremen und das Saarland schon wesentlich länger den Schwellenwert überschritten haben, liege nach Betrachtung der Zins-Steuer-Quote für Berlin kein bundesstaatlicher Notstand vor. Mit Einrechnung der Sonderbundesergänzungszuweisungen liegt zudem die Überschreitung nur noch bei 56%. Aus der neu eingeführten Betrachtung der Primärsalden im Zeitraum von 1995 – 2004 konnte das BVerfG ebenfalls keinen Rückschluss auf eine sich von den anderen Ländern stark unterscheidende Notlage Berlins ziehen. Nach Auswertung der Daten ist es Berlin zwar von 1995 an in keinem Jahr gelungen, einen Primärüberschuss zu erzielen; hierin liegt aber keine deutlich negative Abweichung vom Länderdurchschnitt. Vielmehr wird auf die im Vergleich zum Länderdurchschnitt zwischen 26,1% und 35% und zu Hamburg um bis zu 14 % höheren Primäreinnahmen pro Einwohner hingewiesen. Berlin hat insoweit keinen Sanierungshilfeanspruch. (c) Mögliche Eigenanstrengungen Das BVerfG stellte in seinem Urteil ferner fest, dass Berlin seiner Ansicht nach nicht hinreichend plausibel dargestellt hat, dass bereits alle Möglichkeiten genutzt worden sind, die angespannte Haushaltssituation aus eigener Kraft zu überwinden. 502 Dies ergebe ein Vergleich der haushaltswirtschaftlichen Kennzahlen Berlins mit dem Länderdurchschnitt und insbesondere mit einem Stadtstaatenvergleich zu Hamburg, dessen Ausgabenniveau Berlin in jedem Fall nicht überschreiten dürfe, sondern vielmehr unterschreiten müsse. 503 Anhand eines solchen allgemeinen Vergleichs werden im Urteil zunächst vorhandene Einsparpotenziale im Berliner Haushalt aufgezeigt. Dabei wird insbesondere auf die sehr hohen konsumtiven Primärausgaben Berlins verwiesen. 504 In dem Betrachtungszeitraum zwischen 1995 und 2004 sei diesbzgl. der Länderdurchschnitt um bis zu 70 % übertroffen. Die konsumtiven Primärausgaben Hamburgs pro Einwohner liegen durchweg niedriger als die Berliner Werte; indes sei ab 2003 eine Tendenz der Annäherung der Berliner an die Hamburger Werte zu beobachten. Bei den bereinigten Ausgaben lagen die Berliner Pro-Kopf-Werte mit Ausnahme der Jahre 2003 und 2004 deutlich, d. h. bis zu 26 %, über denen Hamburgs; 2003/2004 lagen die bereinigten Ausgaben pro Einwohner beider Stadtstaaten indes recht nah beieinander. Der Vergleich mit den Zahlen der Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen offenbart nach Ansicht des Gerichts ein Berliner Ausgabeverhalten, das mindestens 31% und bis zu 84 % über dem der Ver501 502 503 504
BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE
86, 148 (259 f.). 116, 327 (405 ff.). 116, 327 (405). 116, 327 (406).
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gleichsländer liegt. Die Berliner Werte seien zum Länderdurchschnitt gesehen zwischen dem 1,38-fachen und dem 1,59-fachen höher. Den Einwurf Berlins, dass es durch den einigungsbedingten Zusammenschluss mit Ost-Berlin teilweise einer eigenständigen, den besonderen Verhältnissen angepassten Betrachtung zu unterliegen hätte, ließ das Gericht bei der Berechnung nicht gelten. Diese Analyse ergänzte das BVerfG noch durch eine Betrachtung einzelner Ausgabenblöcke im Vergleich zu Hamburg. Hierbei wurden für den Vergleich mit Hamburg als Referenz die Jahre 2001 –2003 herangezogen. Angegeben wurden die Salden der bereinigten Ausgaben abzüglich der unmittelbaren Einnahmen in der vom Statistischen Bundesamt vorgenommenen Abgrenzung. 505 Somit wurden die Ausgaben in den einzelnen Aufgabenbereichen mit den bereichsspezifischen Einnahmen verrechnet. Auf diese Weise sollte nach Ansicht des BVerfG dokumentiert werden, welchen finanziellen Aufwand ein Land zur Bewältigung einer Aufgabe betreibt. In ausgewählten Bereichen wurde ferner die Differenz der ProKopf-Ausgaben Berlins gegenüber Hamburg ermittelt. Auf der Ausgabenseite sah das Gericht z.T. erhebliche Konsolidierungspotentiale, insbesondere im Bereich des Wohnungswesens mit Mehrbeträgen von jeweils deutlich über einer Milliarde Euro, was einer jährlichen Differenz der Ausgaben pro Kopf gegenüber Hamburg von nahezu 400 € entspricht und bei kulturellen Angelegenheiten mit Mehrausgaben gegenüber Hamburg von 362 Mio. € im Jahr 2001 und immerhin noch 132 Mio. € im Jahr 2003. 506 Auch auf der Einnahmeseite verortete das Gericht Möglichkeiten, die Haushaltslage zu verbessern. 507 Bevor bundesstaatliche Solidarität in Anspruch genommen werden kann, müssen nach Ansicht des BVerfG alle Einnahmenerhöhungs- und Ausgabenreduzierungsoptionen vollständig umgesetzt worden sein. Hierbei soll u. a. die Erhöhung des Gewerbesteuersatzes auf das Hamburger Niveau, nach Ansicht des Gerichtes ein probates, aber aufgrund des eher geringen Aufkommens der Steuer, nur flankierendes Mittel, zur Konsolidierung sein. Ein weitaus größerer, eigenständiger Beitrag kann dem Urteil nach durch Privatisierungserlöse oder Vermögensaktivierung erfolgen. Hierbei gab das Gericht die Leitlinie vor, dass bevor bundesstaatliche Solidarität in Anspruch genommen werden kann, neben der Nutzung aller Möglichkeiten der Ausgabenreduzierung, alle bestehenden Optionen zur Erzielung sonstiger erheblicher Einnahmen vollständig umgesetzt sein müssen. Auch bei bereits in der Vergangenheit erfolgter erheblicher Aktivierung von landeseigenem Vermögen ist eine Fortführung dem505 Statistisches Bundesamt, Fachserie 14/Reihe 3.1, Rechnungsergebnisse des öffentlichen Gesamthaushalts, 2003, unter „Methodische Erläuterungen“, Punkt 8: „Finanzwirtschaftliche Darstellung“. 506 Vgl. die Aufstellung BVerfGE 116, 327 (407 f.), m.w. Konsolidierungspotenzialen in den Bereichen Hochschulen und Wissenschaft, Gesundheit, Umwelt, Sport und Erholung sowie im Sektor der sozialen Sicherung. 507 BVerfGE 116, 327 (410).
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nach zumutbar. 508 Zu diesem Zweck erfolgte eine Betrachtung der Berliner Finanzplanung bis 2007. Für Berlin wurde im Urteil explizit auf die Aktivierung im Bereich des landeseigenen Wohnungsbestandes verwiesen. Abschließend stellte das Gericht fest, dass selbst der Berliner Senat für das Jahr 2003 saldierte Mehrausgaben in Höhe von 1,6 Mrd. € bzw. 1,5 Mrd. € errechnete und somit hinreichend Einsparungspotenzial bestehe. (3) Länderneugliederung Das BVerfG griff in seinem aktuellen Urteil zum wiederholten Mal das Thema der Neugliederung im Zusammenhang mit dem Thema des Finanzausgleiches auf. 509 Es führte in seinen Entscheidungsgründen aus, dass, solange der verfassungsrechtlich eröffnete Weg einer Neugliederung des Bundesgebiets nicht beschritten worden ist, ein bundesstaatliches Gebot besteht, die Existenz des Not leidenden Landes als eines handlungsfähigen Adressaten verfassungsrechtlicher Pflichten und als eines Trägers verfassungsrechtlicher Aufgaben, auch finanziell zu gewährleisten. 510 Von einer Länderneugliederung über Art. 29 GG als ultima ratio ist nicht die Rede. γ) Bewertung des Urteils Das BVerfG knüpft mit seiner Entscheidung an seine vorherigen Urteile zum Finanzausgleich an. Im Kern der Entscheidung wird dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander eine Grenze in der Länderselbstverantwortung aufgezeigt, womit das BVerfG seine zuvor von einem kooperativen Bundesstaatsmodell geprägten Entscheidungen hin zu mehr Länderautonomie und Eigenverantwortung korrigiert hat (kompetitiver Ansatz). 511 Der Zustand der Überschuldung ist nach Ansicht des Gerichtes ein Ergebnis langwierigen Haushaltens der Länder und kommt daher nicht unbedingt überraschend. 512 Dennoch weist das Gericht darauf hin, dass die unzureichende, nicht aufgabenadäquate Finanzausstattung der 508 Vgl. BVerfGE 116, 327 (411): „Eine derartige Einmaleinnahme auf Grund von Veräußerungen bedeutete ... eine dauerhafte Entlastung, wenn der Erlös in die Schuldentilgung flösse und die hierdurch eintretende Reduzierung der Zinslast die Nettoeinnahmen aus der Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes überstiege.“ 509 BVerfGE 86, 148 (270). 510 BVerfGE 116, 327 (386 f.); H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 149; F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (80). 511 So auch M. Rossi, JZ 2007, S. 394 (396). 512 BVerfGE 116, 327 (391); in diesem Zusammenhang weist M. Rossi, JZ 2007, S. 394 (395) zurecht darauf hin, dass es das BVerfG an dieser Stelle versäumt hat deutlicher auf den Zusammenhang der Verschuldungshöhe mit den Verstößen gegen die landesverfassungsrechtlichen Verschuldungsregelungen hinzuweisen.
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Länder zumindest mitursächlich für diese prekäre Lage ist und eine übermäßige Verschuldung nicht ausschließlich auf autonome Landesentscheidungen und wirtschaftliche Strukturschwäche zurückzuführen ist. 513 Die festgestellte Eigenverantwortung der Länder für ihre Schulden darf fortan nur noch unter extrem eingegrenzten Voraussetzungen durch Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG abgemildert werden. 514 Das Gericht hat dieser neuen Prämisse folgend, die Klage Berlins zielgeleitet im Ganzen verworfen und äußert sich darüber hinaus nur sehr zurückhaltend zu möglichen Veränderungen der komplexen Regelungen der Finanzordnung. Die in der Entscheidung erkennbare Zurückhaltung des Gerichtes gegenüber Neuregelungsvorschlägen dürfte u. a. auch der Komplexität der Finanzordnung geschuldet sein. Lastenverteilung, Steuerautonomie, Finanzausgleich, Verschuldungsbegrenzungen, Haushaltsnotlageregime und mögliche Entschuldungsvarianten sind mannigfaltige Themenkomplexe, die fein verwobene Querschnittsmengen bilden bzw. in Zukunft bilden müssen. Verbindliche Vorgaben des Gerichts nur in Teilbereichen hätten bei der Findung eines aufeinander abgestimmten Systems im Rahmen des im Urteil erwähnten parallel zum Urteil laufenden Prozesses der Föderalismusreform II bzw. anderer zukünftiger Reformvorhaben im Bereich der Finanz- und Haushaltsordnung nicht weitergeholfen. Das Gericht wäre mit der Ausführung komplexer Vorgaben Gefahr gelaufen, den Gewaltenteilungsgrundsatz zu unterlaufen, da die Ausarbeitung und der Beschluss so weitreichender Reformgesetze originäre Aufgabe der Legislative (und teilweise der Exekutive) von Bund und Ländern ist. Es hat in seiner Urteilsbegründung den verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen insofern konsequent ausgeschöpft. Im Kern hat das BVerfG an der bundesstaatlichen Einstandsverpflichtung in extremen Haushaltsnotlagen festgehalten. Allerdings wurden die rechtlichen Maßstäbe für die Gewährung bundesstaatlicher Hilfeleistungen, wie oben ausgeführt, erheblich verschärft. 515 Man muss sich der vom Gericht angestellten Analyse der gegenwärtigen Finanzordnung im Allgemeinen und der Effektivität der SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung im Speziellen in weiten Teilen anschließen. Das System des Finanzausgleichs ist in der jetzigen Fassung nicht auf die Bewältigung von Aufgaben der Haushaltssanierung angelegt und somit in Zeiten der dramatischen Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte maßlos überfordert. Der Einsatz des Instruments der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen war auch unter Berücksichtigung des Einmaleffektes der Wiedervereinigung und einer Zeit des konjunkturellen Abschwungs nicht in der Lage, die Situation der Haushaltsnotlageländer nachhaltig 513 514 515
BVerfGE 116, 327 (385). So auch M. Rossi, JZ 2007, S. 394 (395). So auch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (9); M. Rossi, JZ 2007, S. 394 (395).
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zu verbessern. Notwendige verfahrensrechtliche wie auch inhaltliche, handlungsleitende Regelungen zum Umgang mit potentiellen und gegenwärtigen Sanierungsfällen fehlen, was das Gericht in seinem Urteil zu einem erneuten Hinweis auf die Regelungskompetenz des Art. 109 Abs. 3 GG zum Erlass eines Haushaltsnotlagen(rahmen)gesetzes veranlasste. 516 Die Aufstellung der Haushalte ist aufgrund unterschiedlicher, nicht aufeinander abgestimmter Haushaltssystematiken intransparent, was durch eine Vereinheitlichung der Standards zu überwinden ist. Aufgrund dieser Befunde verweist das BVerfG in seinem Urteil zu Recht auf die politische und wissenschaftliche Diskussion über den Staatsbankrott und die Möglichkeit, im Rahmen einer zweiten Stufe der Föderalismusreform, einfachgesetzliche und verfassungsgesetzlich über Art. 109 Abs. 3 GG hinausgehende, fundierte Lösungskonzepte zur Vorbeugung und Bewältigung von Haushaltskrisen zu konzipieren. Die weitreichende Bedeutung der Entscheidung verdeutlicht die Ankündigung des Senatsvorsitzenden Winfried Hassemer bei der Urteilsverkündung, nach der die vorgegebenen Maßstäbe auch für zukünftig noch zu fällenden Urteile Anwendung finden sollen. (1) Der bundesstaatliche Notstand im System des Finanzausgleichs Im Urteil vom 19. Oktober 2006 stellt das BVerfG vor allem den Ausnahmecharakter von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG in das Zentrum seiner Entscheidung. Hierzu führt das Gericht aus, dass Bundesergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG eigentlich kein spezielles Instrument zur Sanierung Not leidender Haushalte sind. Das gesamte System des Finanzausgleichs sei mit der Bewältigung von Haushaltsnotlagen überfordert. 517 Nur im Ausnahmefall nach Maßgabe eines strengen ultima-ratio-Prinzips kommen solche Leistungen des Bundes in Betracht. Sollten die Voraussetzungen vorliegen (was unter den verschärften Bedingungen nahezu unmöglich sein dürfte), dann ist der Bund zur Bereitstellung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung verpflichtet. Bereits der durch das Urteil neu eingeführte Begriff des „bundesstaatlichen Notstands“ dokumentiert sprachlich ein deutliches Anheben der Hürden beim Einklagen von Sanierungshilfen: Nur wenn ein Land in seiner Existenz als verfassungsgerecht, handlungsfähiger Träger staatlicher Aufgaben gefährdet ist, sind fremde Hilfen überhaupt noch denkbar. Aufgrund einer fehlenden Eingrenzung des Begriffs fällt eine Abgrenzung zum bisher verwendeten Ausdruck der „ex516 517
(222).
BVerfGE 116, 327 (393). Vgl. hierzu auch P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (873), ders., NordÖR 2006, S. 221
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tremen Haushaltsnotlage“ schwer. Die spärlichen Ausführungen des Gerichtes zum Begriff des „bundesstaatlichen Notstandes“ lassen den Verdacht aufkommen, dass das Gericht sich selbst und dem Gesetzgeber mit dem Urteil ganz bewusst Spielräume für weitere Konkretisierungen offen halten will. Gerade die (potentiell) Sanierungshilfe begehrenden Länder werden hierdurch in eine missliche Lage gebracht, da sie bis auf weiteres nicht eindeutig anhand von Zahlen darlegen können, ob sie sich in einem „bundesstaatlichen Notstand“ befinden. Als Nebeneffekt der gesteigerten Eigenverantwortung wird zu erwarten sein, dass sich mögliche Klagekandidaten aufgrund der Ungewissheit des Prozessausganges verstärkt der eigenen Haushaltskonsolidierung widmen. 518 Dennoch wird man zugeben müssen, dass ein Zustand der Ungewissheit in einem solch zentralen Punkt des Zusammenwirkens von Bund und Ländern in der bundesstaatlichen Ordnung auf Dauer nicht tragbar ist. Rein materiell-rechtlich sind Sanierungshilfen nach dem Urteil als ultima ratio nur noch zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes relativ – im Verhältnis zu den übrigen Ländern – als extrem zu werten ist, und (zumindest in dieser Form weitgehend neu und deshalb zu einer neuen rechtlichen Bewertung zwingend) absolut – nach dem Maßstab der dem Land verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben – ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein „bundesstaatlicher Notstand“ eingetreten ist. Offen bleibt jedoch, wie eine „relative“ Notlage im Einzelnen zu bestimmen ist. Nach Auffassung des BVerfG lässt sich dies verfassungsrechtlich nicht generell-abstrakt bestimmen. Ein Indiz hierfür könnte eine vergleichende Gesamtbewertung der Finanzlage in der bundesstaatlichen Gemeinschaft sein. 519 Feststehende Ziel- oder Schwellenwerte gibt es nach Ansicht des Gerichts nicht. Vielmehr stellt es fest, dass die quantitativen Elemente, die der Senat in seiner Entscheidung im Jahr 1992 für die Bestimmung so genannter einfacher und so genannter extremer Haushaltsnotlagen herangezogen hat 520, nicht mehr ohne weiteres fortzuschreiben, sondern in Zukunft weiter verschärfend zu ergänzen sind. 521 Dieser Hinweis dürfte auf die noch anhängigen Klagen gerichtet sein. Er steht somit im Widerspruch zu der Aussage des Senatsvorsitzenden Winfried Hassemer bei der Verkündung des Urteils, als dieser einleitend feststellte, dass die im aktuellen Urteil gefundenen Maßstäbe auch für weitere Klagen zur Geltung kommen werden. Neben den materiellen Voraussetzungen der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung äußert sich das BVerfG in seinem Urteil auch zu deren Grenzen. 522 Diese liegen nach Auffassung des 518 519 520 521 522
M. Rossi, JZ 2007, S. 394 (397). BVerfGE 116, 327 (389). BVerfGE 86, 148 (258 ff., 262 f.); S. Korioth, Finanzausgleich, S. 666 f. BVerfGE 116, 327 (389). BVerfGE 116, 327 (391).
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Gerichts abgesehen von den „normalen“ rechtfertigenden Gründen insbesondere im Gleichbehandlungsgebot 523 und im Nivellierungsgebot 524. Mit dieser Feststellung adaptiert das BVerfG die Grenzen des alten Tatbestandes der „extremen Haushaltsnotlage“ auch für die ihn ablösende materielle Voraussetzung des „bundesstaatlichen Notstandes“. Wie bereits erwähnt wird dem auf Sanierungsleistungen klagenden Land formell eine Darlegungs- und Begründungslast hinsichtlich seines Begehrens auferlegt. Darüber hinaus ist auffällig, dass der Bund und die anderen äußerungsberechtigten Länder in dem Urteil explizit dazu aufgefordert werden, den Berechnungen des Klägers überzeugungskräftig mit eigenem Material entgegenzutreten. Somit werden Stellungnahmen 525 über die konkrete Verwendung von Haushaltmitteln des Klagelandes, wie z. B. im Verfahren des Saarlandes geschehen, fester Bestandteil zukünftiger Verfahren werden. Seine eigene Aufgabe definiert das BVerfG in der Aussonderung evident fehlerhafter Einschätzungen der Verfahrensbeteiligten und in der anschließenden Entscheidung, ob ein Anspruch berechtigt ist. (2) Konkrete Bedeutung für Sanierungshilfen begehrende Länder Hinsichtlich der Indikatoren zur Feststellung der Finanzlage der Länder hält das BVerfG die Kreditfinanzierungsquote grundsätzlich für ein geeignetes Instrument, um eine Aussage über die haushaltspolitische Lage eines Landes zu treffen. Da die Kreditfinanzierungsquote jedoch starken Schwankungen unterliegen kann, reicht sie allein nicht aus, um eine extreme Haushaltsnotlage im absoluten Sinne festzustellen. Das Gericht relativiert somit ausdrücklich die Bedeutung der Kreditfinanzierungsquote in der Einzelbetrachtung. Als zweites Kriterium wird daher die Zins-Steuer-Quote begutachtet. In Abweichung zu seinen bisherigen Urteilen 526 hat das Gericht die Berechnungsgrundlage für das Kriterium der Zins-Steuer-Quote durch die geänderte Errechnung der Einnahmebasis deutlich verschärft. 527 Wurden vor dem Urteil SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen nicht zur Ermittlung der Zins-Steuer-Quote hinzugerechnet, wird nun alternativ eine Betrachtung aufgestellt, bei der zu den Steuer- und steuerähnlichen Einnahmen auch die Sonderbedarfszuweisungen 523
BVerfGE 72, 330 (404). BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (398); 101, 158 (222). 525 L. Feld, (Extreme) Haushaltsnotlage im Saarland?, Finanzwissenschaftliches Gutachten im Auftrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Schlussbericht v. 19. Juni 2005, S. 1 ff. 526 BVerfGE 86, 148 (258 f.). 527 F. Ekardt / D. Buscher, NJ 2008, S. 102 (104). 524
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(ohne die Sanierungshilfen) zusätzlich mit in die Rechnung einfließen. Nach Ansicht des BVerfG hat dieser verschärfte Maßstab eine größere Aussagekraft. 528 Ferner präzisierte das Gericht mit seinem Urteil den Aspekt der Eigenanstrengungen. 529 Das Gericht gibt die Leitlinie vor, dass, bevor bundesstaatliche Solidarität in Anspruch genommen werden kann, neben der Nutzung aller Möglichkeiten der Ausgabenreduzierung alle bestehenden Optionen zur Erzielung sonstiger erheblicher Einnahmen vollständig umgesetzt werden müssen. Hierbei wurde im Urteil für Berlin explizit auf die Aktivierung von Einnahmen im Bereich des landeseigenen Wohnungsbestandes verwiesen. Zusammenfassend stellte das Gericht fest, dass selbst der Berliner Senat für das Jahr 2003 saldierte Mehrausgaben in Höhe von 1,6 Mrd. € bzw. 1,5 Mrd. € errechnete und somit hinreichend Einsparungspotenzial besteht. Der letztgenannte Punkt erscheint freilich wenig überzeugend. So kritisiert der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Jahresgutachten zu Recht, dass in Berlin der Wohnungsverkauf zu keiner nachhaltigen Entlastung der Haushaltslage führen würde. 530 Bei einem umfangreichen Verkauf landeseigener Wohnungsbestände wäre mit einem beträchtlichen Preisverfall zu rechnen, welcher darüber hinaus für die Restbestände zu verminderten Mieteinnahmen führen würde. Somit würden sich jene Effekte in der Summe aufheben. 531 Der Urteilsspruch zur Berliner Klage auf Sanierungshilfen hat gezeigt, dass es keinen leichten Weg aus der Schuldenfalle gibt. Das Gericht hat mit der klaren Zurückweisung der Berliner Klage auf Sanierungshilfen nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG den Druck auf die Politik erhöht, dringend notwendige Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung anzugehen. Letztendlich haben die Not leidenden Länder nur die Wahl, einen „bundesstaatlichen Notstand“ zu provozieren oder den Weg der Haushaltskonsolidierung zu beschreiten. Faktisch scheinen die Vorrausetzungen des Anspruchs auf Bundesergänzungszuweisungen wegen einer extremen Haushaltsnotlage für die Länder nicht mehr erfüllbar zu sein. 532 Insbesondere der Nachweis für das Vorliegen einer relativen Haushaltsnotlage sowie die Darlegung der Ausschöpfung der eigenen Einsparungspotentiale wird den hilfebegehrenden Ländern mangels Festlegung nachvollziehbarer Kriterien zur Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen durch das BVerfG nicht mehr
528
BVerfGE 116, 327 (400 ff.). BVerfGE 116, 327 (405 ff.). 530 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/07, S. 22 Rn. 41. 531 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/07, S. 22 Rn. 41. 532 J. Eschenbach, NdsVBl. 2007, S. 177 (184). 529
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gelingen. 533 Einzig der allgemeine Hinweis des BVerfG, wonach SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen nur für „Sonderlasten aufgrund verfassungsrechtlich vorgegebener Aufgaben außerhalb des landespolitischen Geltungsraumes in Betracht kommen“,
könnte einzelnen Länder die Möglichkeit eröffnen, nur z.T. oder bisher gar nicht abgedeckte Sonderlasten wie beispielsweise die früher schon anerkannten Hafenlasten 534 oder Ausgaben für Großflughäfen in Form von SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen einzufordern. Nach Vorgabe des Gerichts gilt dies ausschließlich, wenn sie „nicht in ähnlicher Höhe oder überhaupt nicht in allen Ländern zu leisten sind, sondern nur in einem Länd oder einer Gruppe von Ländern anfallen und nicht auf den vorhergegangenen Stufen des Finanzausgleichs zu berücksichtigen waren“ 535.
ff) Zwischenergebnis In der Abfolge der Urteile hat das Gericht versucht die Finanzordnung zu ordnen und eine Systematik herauszubilden. 536 Im Zentrum der bisherigen Entscheidungen steht die Abwägung zwischen der solidarischen Verantwortung von Bund und Ländern füreinander und der Autonomie der Gliedstaaten. Das BVerfG hat vor dem Hintergrund der über die Jahrzehnte beachtlich gestiegenen Einnahmevolumina aus Steuern und anderen Abgaben vor allem mit seinen Urteilen 1986 und 1992 versucht, einzelne Elemente des Finanzausgleichs nach diesem Maßstab zu bewerten und in das Gesamtsystem der zu anderen Rechtsgebieten differenziert ausformulierten Finanzordnung z.T. neu einzuordnen. Der Begründungszwang für einzelne legislatorische Maßnahmen wurde somit sukzessive erhöht. Eine Ausnahme stellt insoweit das erste Urteil des BVerfG unter Einbeziehung der ostdeutschen Bundesländer aus dem Jahr 1999 dar, welches aufgrund des daraus hervorgegangenen MaßstG in der Nachschau als wirkungslos bezeichnet werden kann und keine Fortentwicklung für den Finanzausgleich gebracht hat. Mit seiner aktuellen Rechtsprechung knüpft das BVerfG wieder an seine Urteile von 1986 und 1992 an. Unter Beachtung der sich verschlechternden Haushaltslage von Bund und Ländern hat das Gericht insbesondere die Hürde für die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für die Sanierung von Länderhaushalten erheblich verschärft. 533 Im Zweifelsfall kann im Wege der Relativität auf Einsparungspotentiale anderer Länder in unbestimmter Höhe verwiesen werden. 534 Vgl. BVerfGE 72, 330 (413 f.); 86, 148 236 ff.; Ausgleichsleistungen durch das Seehäfenfinanzierungsgesetz müssten bei der Einrechnung solcher Sonderlasten abgezogen werden. 535 BVerfGE 116, 327 (384). 536 O.-E. Geske, Der Staat 46 (2007), S. 203 (222).
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b) System des gegenwärtigen Finanzausgleichs Der Bund-Länder-Finanzausgleich ist allein Aufgabe der Bundesgesetzgebung. Die Verteilungs- und Umverteilungsprozesse des Finanzausgleichsystems erfolgen mit dem Ziel, den Bund und die Gliedstaaten in die Lage zu versetzen, die ihnen vom Grundgesetz zugedachten Aufgaben auch finanziell eigenständig umsetzen zu können. 537 Die Kommunen werden dabei in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht als Teile der Länder betrachtet, da das Grundgesetz von einem zweistufigen Staatsaufbau (Bund-Länder) ausgeht. 538 Die Aufgabenverteilung ist nach h.M. nicht Regelungsgegenstand des Finanzausgleichs, sondern diesem als Bestimmungsgröße vorgeschaltet. 539 Konkret erfolgt die Verteilung der Finanzmittel in vier Stufen. 540 Auf der ersten Stufe wird das Steueraufkommen zwischen dem Bund und Gesamtheit der Länder (sowie in eingeschränktem Maße auf die Kommunen) verteilt. Daran anknüpfend wird auf der zweiten Stufe das den Ländern insgesamt zustehende Steueraufkommen auf die einzelnen Länder verteilt. In einem dritten Schritt wird im Rahmen des eigentlichen Länderfinanzausgleichs das gefundene Ergebnis korrigiert, indem eine Umverteilung unter den Ländern stattfindet. Auf der letzten Stufe dieses Systems hat der Bund im Ausnahmefall die Möglichkeit, einzelnen Ländern Ergänzungszuweisungen zukommen zu lassen. Das System des Finanzausgleichs wurde zuletzt im Jahr 2001 auf einfachgesetzlicher Ebene reformiert. Das zu Beginn des Jahres 2005 in Kraft getretene Finanzausgleichsgesetz 541 bringt eine Reihe Veränderungen im Vergleich zu den Vorgängerregelungen mit sich. aa) Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 106 GG) Die erste Stufe bezeichnet man als primär-vertikalen Finanzausgleich. 542 Art. 106 GG zählt hierzu einzelne Steuerarten oder Gruppen von Steuerarten 537 BVerfGE 32 333 (338); 55, 274 (300); 72, 330 (383); U. Häde, Finanzausgleich, S. 183; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 100 f. 538 F. Schoch / J. Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgerberisch veranlasste kommunale Abgaben, S. 64 ff. 539 H.-G. Henneke, Finanzwesen, Rn. 687; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1128 f. 540 Vgl. H.-G. Henneke, Finanzwesen, Rn. 689 ff.; I. Kesper, Finanzordnung, S. 99; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 419 f.; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 3. 541 Gesetz zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz) v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 ff., geändert durch Art. 30 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, S. 2954. 542 Vgl. D. Birk, Steuerrecht, Rn. 128.
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auf und weist deren Erträge Bund, Ländern und Kommunen zu. 543 Er umfasst das gesamte Steueraufkommen des Staates und gilt daher als abschließende Regelung über die Zuweisung der Ertragzuständigkeiten. 544 In seiner Bedeutung für die Finanzordnung ist Art. 106 GG nicht zu unterschätzen; er wird zu Recht als „tragender Pfeiler der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung“ 545 bezeichnet. Für die konkrete Verteilung der Erträge sind verschiedene Systeme denkbar. 546 Eine Möglichkeit ist die Verteilung der Steuererträge nach einem Trennsystem, wobei man zwischen einem ungebundenen und einem gebunden Ansatz unterscheiden kann. Ein ungebundenes Trennsystem zeichnet sich durch die Schaffung uneingeschränkter finanzwirtschaftlicher Autonomie der staatlichen Gebietskörperschaften aus. 547 Demnach könnte jede öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft selbstständig jede Art der Steuer und ihre Ausgestaltung frei bestimmen und deren Erträge vereinnahmen, ohne sich mit anderen abstimmen zu müssen. Im Unterschied hierzu werden den einzelnen Gebietskörperschaften in einem gebunden Trennsystem jeweils bestimmte Steuern zugewiesen, womit u. a. das in ungebundenen Trennsystemen auftretende Problem der Mehrfachbesteuerungen umgangen wird. 548 Im Allgemeinen dienen Trennsysteme der Transparenz, da eine klare Zuordnung der Steuern zu den einzelnen Ebenen im Bundesstaat erfolgt. Im Gegensatz zum Trennsystem werden die Steuererträge im Verbundsystem nach bestimmten Quoten auf die verschiedenen Ebenen aufgeteilt. 549 Effekt eines solchen Systems ist, dass sich Veränderungen des Steueraufkommens nicht einseitig zu Lasten ausschließlich einer der beteiligten Ebenen auswirken können. 550 Veränderungen des Steueraufkommens wirken sich demnach immer gleichmäßig positiv bzw. negativ auf die Beteiligten aus. Der Verfassungsgesetzgeber hat in Art. 106 GG beide Systeme, das Trennund das Verbundsystem zu einem Mischsystem kombiniert. 551 Ziel dieses Misch543 U. Häde, Finanzausgleich, S. 182 f.; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 704; K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (122). 544 S. Korioth, Finanzausgleich, S. 125; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 5. 545 S. Korioth, Finanzausgleich, S. 58. 546 Ausführliche Darstellung der verschiedenen Verteilungssysteme: S. Korioth, Finanzausgleich, S. 295 ff.; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 106 Rn. 16 f.; K. Tipke, Steuerrechtsordnung III, S. 1079 f. 547 S. Franke, Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 34 (1989), S. 65 (67). 548 J. Hinnendahl, Die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, S. 97; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 306; T. Lenk, Reformbedarf und Reformmöglichkeiten des deutschen Finanzausgleichs, S. 74. 549 K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 23. 550 H.-G. Henneke, Die Kommune in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, S. 101; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 23.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
systems ist es, die Vorteile beider Systeme bei Umgehung der Nachteile zu nutzen. Im Einzelnen erfolgt die Aufteilung des gesamten Steueraufkommens nach Art. 106 GG in vier Steuermassen 552, wobei die aufkommensstärksten Steuern innerhalb des Mischsystems über ein Verbundsystem verteilt werden. Innerhalb des Mischsystems ist das Verbundsystem von den zu verteilenden Erträgen aus betrachtet übergewichtet. α) Das Trennsystem (Art. 106 Abs. 1 und 2 GG) Art. 106 Abs. 1 und Abs. 2 GG ist Ausdruck des Trennsystems, nach dem das Steueraufkommen je nach Steuerart entweder dem Bund oder der Ländergesamtheit zugeteilt wird. Der Ertrag der Finanzmonopole und das Aufkommen diverser Steuern stehen gem. Art. 106 Abs. 1 GG dem Bund zu. Hierzu zählen die Zölle, die Verbrauchssteuern 553, soweit sie nicht nach Abs. 2 den Ländern, nach Abs. 3 Bund und Ländern gemeinsam oder nach Abs. 6 den Gemeinden zustehen, die Straßengüterverkehrs- 554, die Kapitalverkehrs-, die Versicherungsund die Wechselsteuer, die einmaligen Vermögensabgaben und die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben, die Ergänzungsabgabe zur Einkommenssteuer und zur Körperschaftssteuer sowie Abgaben im Rahmen der EG. Die Ertragskompetenz für Zölle bleibt jedoch bedeutungslos, da jegliche Erträge an die EG abzutreten sind. 555 Seit dem Jahr 2009 hat der Bund gem. Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 GG auch die Kompetenz für die Kraftfahrzeugsteuer und sonstige auf motorisierte Verkehrsmittel bezogene Verkehrssteuern. 556 Entsprechend wurde ihm auch nach Art. 108 Abs. 1 S. 1 GG die Verwaltungskompetenz für die Kraftfahrzeugsteuer übertragen. Den Ländern stehen gem. Art. 106 Abs. 2 GG das Aufkommen der Vermögens- 557, der Erbschafts-, der Bier-, der Verkehrssteuer 558, soweit sie nicht nach Abs. 1 dem Bund oder nach Abs. 3 Bund und Ländern gemeinsam zu551 U. Häde, JA 1994, S. 1 (10); H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 705; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 106 Rn. 11; R. Seer, Zukunft des Steuerföderalismus, in: H. Butzer / M. Kaltenborn / W. Meyer, FS für Friedrich Schnapp, S. 303 (307); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1153. 552 Bundessteuern, Landessteuern, Gemeinschaftssteuern und Gemeindesteuern. 553 Vom finanzwirtschaftlichen Aufkommen sind hierbei insbes. die Mineralöl-, Tabakund die Stromsteuer von Bedeutung. 554 Wegen Bedenken gegen die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit wird diese Steuer seit dem 1. Januar 1972 nicht mehr erhoben. 555 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 106 Rn. 14, 17. 556 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 25. März 2009, BGBl. 2009 I, S. 606. 557 Die Vermögenssteuer wird derzeit nicht erhoben. 558 Hierzu zählen die Grunderwerbs-, die Feuerschutz sowie die Rennwett- und Lotteriesteuer.
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stehen, sowie die Abgaben von Spielbanken zu. Ferner steht den Ländern gem. Art. 106b GG seit dem 1. Juli 2009 infolge der Übertragung der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund ein Betrag aus dem Steueraufkommen des Bundes zu. Die genaue Höhe des Betrages wird durch ein Bundesgesetz geregelt. 559 β) Das Verbundsystem – Aufteilung der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 3 und 4 GG) Art. 106 Abs. 3 und 4 GG folgen gegenüber den vorhergehenden Absätzen für bestimmte Steuerarten einem anderen Verteilungsansatz. Nach Art. 106 Abs. 3 GG als verfassungsrechtlicher Konkretisierung des Verbundssystem wird das Aufkommen der Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer dem Bund, den Ländern und z.T. den Kommunen gemeinsam zugewiesen. 560 (1) Verteilung von Einkommens- und Körperschaftssteuer Die in Art. 106 Abs. 3 GG aufgeführte Einkommenssteuer dient der individuellen Besteuerung natürlicher Personen nach ihrer Leistungsfähigkeit. 561 Die Körperschaftssteuer erfasst hingegen als ein selbstständiger Spezialfall der Einkommenssteuer die Besteuerung des Einkommens juristischer Personen des Privatrechts. 562 Am Aufkommen der Einkommens- und der Körperschaftssteuer sind Bund und Länder nach Art. 106 Abs. 3 S. 2 GG je zur Hälfte beteiligt. Diese Aufteilung gilt nur, soweit das Aufkommen der Einkommenssteuer (nicht der Körperschaftssteuer) nicht nach Art. 106 Abs. 5 GG den Gemeinden zugewiesen wird. Diese Verknüpfung der verschiedenen Ebenen bei der Ertragszuweisung führt dazu, dass alle Beteiligten ein Eigeninteresse an einer funktionierenden Wirtschaftsstruktur haben. 563 Im Einzelnen erhalten die Gemeinden momentan nach Abs. 5 i.V. m. § 1 GFRG 15% des Aufkommens der Lohnsteuer sowie 12 % des Aufkommens aus dem Zinsabschlag. 564 Bund und Länder stehen nach Abzug 559
Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 25. März 2009, BGBl. 2009 I, S. 606. K. H. Friauf, JA 1984, S. 618 (620); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1057 f.; K. Vogel, JA 1980, S. 577 (580). 561 BVerfGE 6, 55 (67); 81, 228 (236); 89, 346 (352); 93, 121 (135 f.); D. Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, S. 165 ff.; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 61. 562 W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 106 Rn. 17; K. Tipke, Steuerrechtsordnung II, S. 1164. 563 K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 61; R. Wendt, in: HdbStR IV, § 104 Rn. 53 (1. Auflage). 564 Siebentes Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes v. 26. April 2006, BGBl. 2006 I, S. 1090 zuletzt geändert durch Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen v. 20. März 2009, BGBl. 2009 I, S. 503 ff. 560
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dieses Voraus an die Gemeinden die restlichen 85% je zur Hälfte, d. h. jeweils 42,5 % am Aufkommen der vereinnahmten Einkommenssteuer zu. (2) Flexibles Element der Umsatzsteuerverteilung Die Verteilung der Umsatzsteuer, der derzeit ertragreichsten Steuer vor der Lohnsteuer 565, erfolgt im Gegensatz zur Einkommens- und Körperschaftssteuer gem. Art. 106 Abs. 3 S. 3 –5 GG nach einem anderen Modus. Die Aufkommensverteilung ist nicht verfassungsrechtlich geregelt, sondern kann durch einfachgesetzliche Ausgestaltung festgelegt werden. 566 Sie ist ein relativ flexibel einsetzbares Instrument, um Einbußen im Finanzaufkommen, bedingt durch einseitige Ausgabensteigerungen, entgegenzutreten. Die einfachgesetzliche Festlegung der Ertragsverteilung bei der Umsatzsteuer kompensiert somit z.T. die mit der Gefahr erheblicher Konjunkturschwankungen behaftete unflexible Verteilung der Einkommens- und Körperschaftssteuererträge. 567 Wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich verändert, haben sowohl der Bund als auch die Länder gem. Art. 106 Abs. 4 S. 1 GG einen Anspruch auf Neufestsetzung der Verteilungsquoten. Nach Art. 106 Abs. 3 S. 4 GG sind bei der Verteilung des Umsatzsteueraufkommens bestimmte Grundsätze zu beachten, wodurch die vertikale Steueraufteilung einen ausgaben- und bedarfsorientierten Charakter erhält. 568 Zweck dieser Grundsätze ist es, die Ertragsaufteilung der Umsatzsteuer zu versachlichen. Dem Finanzausgleichsgesetzgeber steht insoweit ein weiter Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zu. 569 Der Bund und die Ländergesamtheit haben einen gleichmäßigen Anspruch auf die Deckung ihrer „notwendigen Ausgaben“, welche unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung zu ermitteln sind. Hierbei ist ein billiger Ausgleich zu erzielen, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen zu vermeiden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse zu wahren. Da bei der Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern die „laufenden Einnahmen“ den „notwendigen Ausgaben“ zur Ermittlung der jeweiligen Anteile gegenüber gestellt werden sollen, stellt sich vielfach die Frage, was unter diese weiten Formulierungen zu subsumieren ist. 570 Obgleich diese 565
Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, S. 576. J. Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 123; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 67. 567 K. H. Friauf, JA 1984, S. 618 (620); W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 106 Rn. 18. 568 BVerfGE 72, 330 (384); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 106 Rn. 29. 569 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 240 ff.; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 106 Rn. 16; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1159; a. A. J. Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 134 ff. 566
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Frage in den Einzelheiten sehr umstritten ist, versteht man unter „laufenden Einnahmen“ grundsätzlich alle einer Gebietskörperschaft zufließenden Einnahmen, die eine gewisse Kontinuität und Vorhersehbarkeit aufweisen. 571 Noch schwieriger ist die Bestimmung des Begriffs der „notwendigen Ausgaben“. Abgesehen davon, dass man von einem Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit der Ausgaben und der Notwendigkeit der Aufgaben ausgehen kann, ist nicht geklärt, an welchem Maßstab die Notwendigkeit einer Ausgabe zu ermitteln ist. 572 Aufgrund dieser tatbestandlichen Unbestimmtheit des Art. 106 Abs. 3 S. 4 GG hat das BVerfG dem Bundesgesetzgeber aufgetragen, für Bund und Länder einheitlich geltende Maßstäbe zur Ermittlung von Deckungsbedürfnissen festzulegen. 573 Der Gesetzgeber erließ daraufhin das Maßstäbegesetz. 574 Nach Art. 106 Abs. 3 S. 5 GG und § 4 Abs. 2 MaßstG müssen demnach zusätzlich die Steuermindereinnahmen, die den Ländern ab 1. Januar 1996 aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht entstehen, in die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer einbezogen werden. Ferner ist bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse von Bund und Ländern sowie der Gestaltung der öffentlichen Haushalte über die Bestimmungen des Art. 106 Abs. 3 S. 4 und 5 GG hinaus sicherzustellen, dass durch eine gemeinsame Ausgabenlinie die Bestimmungen des Maastricht-Vertrages und die des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Begrenzung des gesamtstaatlichen Defizits umgesetzt werden. Betrachtet man die Normen des MaßstG hat sich, trotz der Vorgaben des BVerfG für die Ermittlung der Grundsätze des Art. 106 Abs. 3 S. 4 GG nichts grundlegend geändert. 575 Mit Ausnahme der Aufnahme der Problematik zur Umsetzung der Stabilitätskriterien der europäischen Wirtschaftsund Währungsunion bestehen die Regelungen nur aus einer Wiederholung des Verfassungswortlautes. In der Praxis erfolgt die Berechnung der Ertragsquoten durch das auch in § 4 Abs. 1 MaßstG vorgesehene Verfahren der Deckungsquotenberechnung. 576 Hierbei wird, ausgehend von der jeweiligen Finanzplanung von Bund und Ländern, weiterhin vor dem Hintergrund der beschriebenen Probleme das Verhältnis 570 Vgl. M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 106 Rn. 33; K.A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 72 ff. 571 J. Hidien, Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 240 ff. 572 S. Korioth, Finanzausgleich, S. 488; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 75 f. 573 BVerfGE 101, 158 (217 f.). 574 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen v. 9. September 2001, BGBl. 2001 I, S. 2302 ff.; vgl. Zweiter Teil Kap. A.III.2.b). 575 I. Kesper, NdsVBl. 2002, S. 1 (4). 576 P. Badura, Staatsrecht, S. 758; U. Häde, Finanzausgleich, S. 198; J. Hidien, Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, S. 143 f.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
der Ausgaben zu den laufenden Einnahmen ohne Kredite ermittelt. 577 Auf der Landesebene werden in die Rechnung die Kommunen einbezogen, wobei die Finanzströme zwischen Land und Kommunen (insbesondere der kommunale Finanzausgleich) auf der Ausgaben- und Einnahmenseite abgesetzt werden. Bund und Länder errechnen regelmäßig unterschiedliche Deckungsquoten mit erheblichen Differenzen, was im Endeffekt nur zu einer Einigung durch politische Kompromisse führen kann. Das Ergebnis der gefundenen Aufteilung der Umsatzsteueranteile wird einfachgesetzlich fixiert. 578 Hierbei ist zu beachten, dass auch den Gemeinden über Art. 106 Abs. 5a GG ein Anteil am Aufkommen der Umsatzsteuer zusteht. Unter Berücksichtigung aller Vorgaben gem. Art. 106 Abs. 3, 4 und 5a GG i.V. m. § 1 FAG erhielt der Bund im Jahr 2005 53,8 %, die Länder 44,0 % und die Kommunen 2,2% der Umsatzsteuererträge. 579 γ) Sonderfall der Gemeindesteuern (Art. 106 Abs. 5 bis 7 und 9 GG) Die Gemeinden nehmen bei der Ertragsverteilung eine Sonderstellung ein. Art. 109 Abs. 9 GG stellt klar, dass die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände den Ländern zuzurechnen sind, womit das Prinzip der Zweistufigkeit der Kompetenzverteilung im Grundgesetz auch für die Verteilung der Erträge gilt. Dennoch ergibt sich aus dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG und den jeweiligen Landesverfassungen die kommunale Finanzhoheit. 580 Hiervon umfasst ist auch das in Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG zum Ausdruck kommende Recht der Gemeinden auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. 581 Der Zweistufigkeit des Grundgesetzes folgend trifft die Finanzierungspflicht für die Gemeinden und Gemeindeverbände überwiegend die Länder. 582 Diese Gewichtung der Finanzierungsverantwortung findet sich insbesondere in Art. 106 Abs. 7 GG wieder, welcher die verfassungsrechtliche Grundlage des kommunalen Finanzausgleichs ist. 583 Nach Art. 106 Abs. 7 S. 1 GG steht den Gemeinden und Gemeindeverbänden hiernach obligatorisch ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Betrag vom Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuer zu. 584 Fakultativ sieht S. 2 darüber 577
I. Kesper, NdsVBl. 2002, S. 1 (3); R. Peffekoven, WD 2001, S. 206 (211 ff.). Vgl. § 1 FAG. 579 Vgl. Tabelle bei K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (122). 580 BVerfGE 52, 95 (117); 71, 25 (36); U. Häde, Finanzausgleich, S. 188 f. 581 BbgVerfG, LVerfGE 10, 237 (240); LVerfG SAn., LVerfGE 10, 440 (463 f.); NdsStGH, DÖV 1998, S. 382; offen gelassen in BVerfGE 71, 25, (36 f.); 83, 363 (386). 582 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 914; P. Kirchhof, DVBl. 1980, S. 711 ff. 583 H.-G. Henneke, Jura 1986, S. 568 (572); W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 106 Rn. 40; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1165. 578
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hinaus die Möglichkeit vor, dass die Länder die Kommunen am Aufkommen der Landessteuern beteiligen. Neben der Finanzierung durch die Länder stehen den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Erträge bestimmter Steuern zu. Abgesehen von den bereits erwähnten einfachgesetzlich festzulegenden Anteilen an der Einkommensbzw. Umsatzsteuer gem. Art. 106 Abs. 5 und 5a GG steht ihnen nach Abs. 6 das Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer sowie das der örtlichen Verbrauchsund Aufwandssteuern 585 zu. Hinsichtlich der Grund- und Gewerbesteuer haben die Gemeinden bzw. die Gemeindeverbände das Recht, die Hebesätze festzulegen. Bei der Gewerbesteuer ist ferner eine Beteiligung von Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 6 S. 4 GG vorgesehen, welche in den §§ 6 f. des Gemeindefinanzreformgesetzes konkretisiert wird. bb) Horizontale Steuerverteilung (Art. 107 Abs. 1 GG) Art. 107 Abs. 1 GG regelt für alle Steuern, deren Erträge ganz oder teilweise den Ländern zustehen, die Steuerertragsverteilung untereinander (horizontal), und zwar zunächst ohne Korrekturen oder Umverteilungen (primär). Der primärhorizontale Ausgleich stellt somit die zweite Stufe des Bund-Länder-Finanzausgleichs dar. Art. 107 Abs. 1 GG bestimmt „was den Ländern als eigene Finanzausstattung zusteht“ 586. Die konkrete Verteilung richtet sich grundsätzlich nach dem örtlichen Aufkommen, orientiert sich also an der Entstehung der Steuerkraft im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Bundeslandes. 587 Das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteile am Aufkommen der Einkommenssteuer, der Körperschaftssteuer sowie dem Länderanteil an der Gewerbesteuerumlage steht den Ländern gem. Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG zu, soweit die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Hoheitsgebiet vereinnahmt wurden. Hiermit wird gewährleistet, dass die Länder an den Effekten ihrer Wirtschaftspolitik teilhaben. 588 Einzig bei der horizontalen Umsatzsteuerverteilung wird vom Prinzip des örtlichen Aufkommens abgewichen.
584
H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 914 f.; ders., Jura 1987, S. 393
(394). 585
Z. B. Hunde-, Vergnügungs- und Zweitwohnungsteuer. BVerfGE 72, 330 (385); 86, 148 (214). 587 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 65; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 510 f. 588 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 65; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 107 Rn. 5. 586
200
2. Teil: Finanzordnung und Reform
α) Landessteuern Die Landessteuern werden bisher ausschließlich nach dem Prinzip des örtlichen Aufkommens verteilt. Fraglich ist nur, was passiert, wenn es bei der horizontalen Steueraufteilung zu Verzerrungen kommt, d. h. die örtliche Steuerkraft aufgrund bestimmter Effekte nicht exakt widergespiegelt wird? Art. 107 Abs. 1 S. 3 GG sieht für diesen Fall eine Ermächtigung des Bundesgesetzgebers vor, nach der er für alle bundesgesetzlichen Steuern, mit Ausnahme der spezielleren Regelungen in S. 2, Normen erlassen kann, die möglichen Verzerrungen entgegenwirken. Bei den Landessteuern handelt es sich gem. Art. 106 Abs. 2 GG um bundesgesetzlich geregelte Steuern. Der Gesetzgeber hat bisher keine Veranlassung gesehen, diese Ermächtigung zu nutzen. β) Länderanteil an der Lohn- und Einkommenssteuer Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG weist den Ländern grundsätzlich die Einkommenssteuer nach dem örtlichen Aufkommen zu. Hiervon wird nach Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG eine Ausnahme für die Lohnsteuer angeordnet, indem durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, nähere Bestimmungen über die Abgrenzung sowie über Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen Aufkommens zu treffen sind. Die Lohnsteuer ist eine spezielle Erhebungsform der Einkommenssteuer auf Einkünfte aus nichtselbstständigen Tätigkeiten. 589 Bei einer Erhebung nach dem örtlichen Aufkommen würde es aufgrund von Regelungen des Einkommensteuergesetzes zu Verzerrungen kommen, die einer Verteilung der Steuern nach „der wirklichen (regionalen) Steuerkraft“ 590 nicht entsprechen würden. 591 Daher hat der Bundesgesetzgeber zur Korrektur dieser Verzerrungen das Zerlegungsgesetz erlassen. 592 Nach § 7 Abs. 2 S. 2 ZerlG wird 589
D. Birk, Steuerrecht, Rn. 82. BVerfGE 72, 330 (384). 591 Die Verzerrungen entstehen dadurch, dass die eigentlich von den Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer gem. §§ 38, 41a EStG direkt von den Arbeitgebern einbehalten wird, um sie an das zuständige Finanzamt abzuführen. Somit erfolgt die Lohnsteuerzahlung nur in dem Sitzland des Unternehmens und nicht unbedingt in den Ländern, in denen die Arbeitnehmer tatsächlich arbeiten und ihren Wohnsitz haben. Die Einführung zentraler Lohnbüros sowie die Pendlerproblematik (Wirtschaftsäume werden durch Ländergrenzen getrennt, wodurch die Arbeitnehmer z.T. täglich zu ihrer Arbeitsstätte in ein anderes Bundesland pendeln – typisches Phänomen insbes. bei Stadtstaaten), führen ebenfalls zu einer Verstärkung der Verzerrung; vgl. auch H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 737. 592 Vgl. zum Zerlegungsgesetz Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Zerlegungsrechts und zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuerrechts Zerlegungs- und Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz) v. 6. August 1998, BGBl. 1998 I, S. 1998 ff., zuletzt geändert durch Gesetz v. 15. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, S. 2645; vgl. auch Zweiter Teil Kap. A.III.2.d). 590
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die Lohnsteuer in Abkehr vom Prinzip des örtlichen Aufkommens grundsätzlich dem Wohnsitzland des Arbeitnehmers zugewiesen. Der Länder- und Gemeindeanteil am Aufkommen des Zinsabschlags, der Einkommenssteuer auf die meisten Einkünfte aus Kapitalvermögen, wird gem. § 8 ZerlG zerlegt. Die jährlichen Zerlegungsanteile bemessen sich nach § 8 Abs. 1 S. 1 ZerlG Vomhundertsätzen entsprechend der Höhe des auf die Einkommensund Körperschaftssteuer angerechneten Zinsabschlags. γ) Länderanteil an der Körperschaftssteuer Auch bei der Körperschaftssteuer kann es zu korrekturbedürftigen Verzerrungen kommen. Die Körperschaftssteuer ist von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen gem. § 20 AO an das Finanzamt zu entrichten, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet. Dies würde insbesondere bei größeren Unternehmen mit vielen Filialen dazu führen, dass die steuerpflichtigen Einkünfte ausschließlich am Sitz der Geschäftsleitung zu vereinnahmen wären. Diesem Konzentrationseffekt wird in den §§ 2 –6 ZerlG entgegengewirkt. § 2 Abs. 1 ZerlG legt fest, dass Körperschaftssteuerträge bei Vorliegen mehrer Betriebsstätten nach dem Betriebsstättenprinzip erfolgt, d. h. die Erträge dem Land zugeführt werden, in dem die Betriebsstätte liegt. Eine Zerlegung findet jedoch nur statt, wenn das für die Veranlagung zuständige Finanzamt einen absoluten Körperschaftssteuerbetrag von mindestens 500.000 € von einer Körperschaft, einer Personenvereinigung oder einer Vermögensmasse zugeführt bekommt. δ) Länderanteil an der Gewerbesteuerumlage Die Gewerbesteuerumlage steht den Ländern gem. § 3 FAG insoweit zu, als die Gewerbesteuer in dem Gebiet des einzelnen Landes vereinnahmt wird. Ihre Verteilung richtet sich somit auch nach dem örtlichen Aufkommen. ) Länderanteil an der Umsatzsteuer (Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG) Bei der Umsatzsteuerverteilung orientiert sich der Gesetzgeber im Unterschied zu den anderen Gemeinschaftssteuern nicht am örtlichen Aufkommen. Nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG i.V. m. § 2 Abs. 1 FAG sind mindestens 75 % der Umsatzsteuererträge des Länderanteils nach der Einwohnerzahl auf die einzelnen Länder zu verteilen. 593 Da die Umsatzsteuer ihrer Art nach oft nicht dort erhoben wird, wo sie vom Endverbraucher wirtschaftlich erbracht wird und somit die 593
U. Häde, Finanzausgleich, S. 211 f.; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 79.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
wirkliche Steuerkraft nicht abgebildet werden würde und über die Einwohnerzahl grundsätzlich eine hinreichende Rückkoppelung an den regionalen Konsum vorliegt, scheint ein Maßstabswechsel hier angebracht. Für die Berechnung der Anteile der einzelnen Länder an der Umsatzsteuer ist nach § 2 Abs. 3 FAG die Einwohnerzahl maßgebend, die das Statistische Bundesamt zum 30. Juni des Ausgleichsjahres festgestellt hat. Die Verteilung der Umsatzsteuer am Maßstab der Einwohnerzahl erfährt allerdings gem. Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG i.V. m § 5 MaßstG eine wichtige Durchbrechung. Demnach ist der Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates berechtigt, bis zu 25% des Länderanteils am Aufkommen der Umsatzsteueranteile als Ergänzungsanteile für die Länder vorzusehen, deren Einnahmen aus Landessteuern, der veranlagten Einkommens-, Körperschaftssteuer und nach Art. 106b GG je Einwohner unter dem Durchschnitt der Länder liegen (Umsatzsteuervorausgleich). 594 Im Rahmen der Föderalismusreform I ist es zu einer Änderung des Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG gekommen. Im Zuge der erfolgten Übertragung der Ertragskompetenz zur Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom Bund auf die Länder gem. Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG muss bei der Festsetzung der Ergänzungsanteile nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG für die Grunderwerbsteuer die Steuerkraft einbezogen werden. 595 Hintergrund der Verfassungsänderung ist die Vermeidung von Fehlanreizen. 596 Würde man im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs weiterhin auf die tatsächlichen Einnahmen der Grunderwerbsteuer abstellen, wäre damit zu rechnen, dass die Länder die neue Kompetenz in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG dahingehend nutzen, dass sie den Steuersatz der Grunderwerbsteuer zum Standortvorteil senken. Ohne die erfolgte Änderung in Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG würden die zu erwartenden Ausfälle infolge einer Absenkung der Grunderwerbsteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer in den allermeisten Fällen nahezu ausgeglichen werden. 597 Zur Vermeidung solcher Fehlanreize ist die Grunderwerbsteuer in den bundesstaatlichen Finanzausgleich auf Basis einer gegebenen Größe, der Steuerkraft, einzubeziehen. Die Einzelheiten zur Ermittlung dieser normierten Einnahmen ergeben sich aus dem ebenfalls geänderten § 5 Abs. 1 MaßstG und § 7 Abs. 1 und 3 FAG. 598 Der Bundesgesetzgeber macht über § 2 Abs. 1 FAG von der Möglichkeit der Umverteilung über Ergänzungsanteile zurzeit in vollem Umfang Gebrauch. Seit dem Jahr 2005 erfolgt die Verteilung der Ergänzungsanteile an steuerkraftschwa594
U. Häde, Finanzausgleich, S. 212 f.; I. Kesper, NdsVBl 2002, S. 1 (5). BT-Drs. 16/813, S. 20. 596 R. Seer / K.-D. Drüen, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 107 Rn. 3. 597 BT-Drs. 16/813, S. 20; R. Seer / Drüen, in: W. Kluth, Föderalismusreformgesetz, Art. 107 Rn. 3. 598 Vgl. zur Änderung des MaßstG und des FAG Art. 16 und 17 des Föderalismusreform Begleitgesetzes v. 5. September 2006, BGBl. 2006 I, S. 2098 (2106). 595
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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che Länder nach einem Tarif, der auf Vollauffüllung verzichtet und zugleich eine anteilige Auffüllung bis zur durchschnittlichen Steuerkraft vorsieht. 599 Es kommt bei einer bis zu 50%-igen Steuerkraft vor Verteilung der Umsatzsteuerergänzungsanteile fortan zu einer 95% bis 97%-igen Auffüllung des Länderdurchschnitts im Rahmen des Umsatzsteuervorausgleichs. Wenn die Steuereinnahmen des Landes nach § 2 Abs. 1 S. 1 FAG je Einwohner jedoch mindestens 97 % der Ländergesamtheit betragen, erfolgt eine Auffüllung nur noch nach einem linear stetig fallenden Satz von 95% bis 60%. 600 In seiner jetzigen Konzeption kommt der Umsatzsteuervorausgleich vor allem den finanzschwachen ostdeutschen Ländern zu Gute, indem er ihre originäre Steuerkraft anhebt. cc) Finanzkraftausgleich auf Länderebene (Art. 107 Abs. 2 S. 1, 2 GG) Der in Art. 107 Abs. 2 S. 1 und 2 GG geregelte Länderfinanzausgleich (auch Finanzausgleich im engeren Sinn genannt) gleicht die unterschiedliche Finanzkraft der Länder aus, soweit die aus der vorherigen Verteilung resultierenden Unterschiede in Bezug auf die zu bewältigenden Aufgaben unangemessen erscheinen. 601 Der Begriff der Finanzkraft bestimmt sich durch das gesamte Finanzaufkommen. Indem zur Ermittlung der Finanzkraft grundsätzlich alle Finanzmittel (auch Gebühren, Beiträge etc.) heranzuziehen sind, unterscheidet er sich vom engeren Begriff der Steuerkraft. 602 α) Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Länderfinanzausgleich Die dritte Stufe des Finanzausgleichs führt zu einer Korrektur der Ergebnisse der primären Steuerverteilung des Art. 107 Abs. 1 GG, obgleich bereits die Umsatzsteuerverteilung insbesondere durch die Ergänzungsanteile gem. Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG, Finanzkraftunterschiede, soweit sie sich auch in Steuerkraftunterschieden messen lassen, reduziert. 603 Auf dieser Ebene des Finanzausgleichs erfolgt im Anschluss an die primären Zuweisungen im Rahmen des sekundären 599
I. Kesper, NdsVBl 2002, S. 1 (5). S. Klusewitz, Finanzbericht Bremen 01/2005, S. 1 f. 601 P. Badura, Staatsrecht, S. 760; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 694; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 49. 602 BVerfGE 101, 158 (222); U. Häde, Finanzausgleich, S. 231; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 107 Rn. 21; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 94; a. A. von einer Kongruenz der beiden Begriffe ausgehend W. Patzig, Gegenwartsfragen des Finanzverfassungsrechts, AöR 92 (1967), S. 297 (308); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1171. 603 BVerfGE 72, 330 (386); 86, 148 (214 f.); 101, 158 (221); 116, 327 (380); S. Korioth, Finanzausgleich, S. 542. 600
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Ausgleichs eine horizontale Umverteilung von regionaler Finanzkraft aus den „eigenen“ Mitteln der Länder. 604 Grundlage hierfür ist der in Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG verankerte Angleichungsauftrag hinsichtlich der Finanzkraft der Länder. 605 Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es nicht Ziel des Länderfinanzausgleichs, eine Nivellierung der Finanzausstattung oder noch weitergehender, die finanzielle Gleichheit der Länder herzustellen. 606 Angestrebt ist vielmehr „die Verwirklichung des bundesstaatlichen Prinzips des Einstehens füreinander auch im Verhältnis der Länder untereinander unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Eigenstaatlichkeit und finanziellen Selbstständigkeit“ 607
durchzusetzen. Es soll lediglich eine Annährung der finanzschwachen Länder an die durchschnittlich verfügbare Finanzkraft erreicht werden, d. h. Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG erfordert keine Startgleichheit, sondern lediglich eine relative Angleichung der Finanzkraft der Länder. 608 Hierbei darf die Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern nicht geändert werden und nach Art. 107 Abs. 2 S. 1 und 2 GG nur insoweit eine zum primären Ausgleich subsidiäre Korrektur stattfinden, als es unter der Berücksichtigung der Eigenständigkeit der Länder aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft angemessen erscheint. 609 β) Einfachgesetzliche Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs Die Vorraussetzungen für die konkreten Ausgleichsansprüche der ausgleichsberechtigten Länder sowie die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleichsverbindlichkeiten sind nach Art. 107 Abs. 2 S. 2 GG einfachgesetzlich zu normieren. Hierfür sind gem. §§ 6 ff. MaßstG und §§ 5 ff. FAG die ausgleichsberechtigten und die ausgleichspflichtigen Länder anhand zweier zueinander in Bezug zu setzender Kennzahlen, der Finanzkraftmesszahl und der Ausgleichsmesszahl, zu ermitteln. Vereinfacht gesagt wird hierbei die tatsächliche Einnahmesituation eines Landes mit der durchschnittlichen Einnahmesituation aller Länder verglichen. Bei einer festgestellten Ausgleichsberechtigung erfolgt dann ein „angemessener Ausgleich“ in Form einer Auffüllung der Finanzkraft nach gestuften Tarifquoten. 610 Im Einzelnen handelt es sich bei der Ausgleichsanspruchermittlung um ein sehr komplexes, mehrstufiges Rechenverfahren. 604
Vgl. P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 88. A. Jung, Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich, S. 39. 606 BVerfGE 72, 330 (386 f.); 101, 158 (222). 607 BVerfGE 116, 327 (380). 608 BVerfGE 101, 158 (222); D. Birk / R. Wernsmann, DÖV 2004, 868 (870); A. Jung, Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich, S. 58. 609 BVerfGE 86, 148 (250); 101, 158 (222); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 107 Rn. 19. 610 I. Kesper, NdsVBl. 2002, S. 1 (5 ff.); S. Klusewitz, Finanzbericht Bremen 01/2005, S. 1 (3 f.). 605
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(1) Finanzkraftmesszahl Zur Errechnung der Finanzkraftmesszahl gem. 6 Abs. 1 FAG sind die Summe der Einnahmen eines Landes nach § 7 FAG und die Steuereinnahmen seiner Gemeinden nach § 8 FAG zu addieren. Zu den zu berücksichtigenden Steuereinnahmen gem. § 7 Abs. 1 FAG ist das Aufkommen aus den Förderabgaben nach § 31 des Bundesberggesetzes 611 hinzuzufügen. Ein Abzug der Hafenlasten von der Finanzkraft ist seit dem Jahr 2005 nicht mehr möglich. 612 Die Einnahmen nach § 7 Abs. 1 und 2 FAG werden in einem nächsten Schritt in den Ländern gekürzt, in denen die Veränderungsrate der Steuereinnahmen nach Abs. 1 S. 1 je Einwohner die entsprechende Veränderungsrate der Ländergesamtheit im Ausgleichsjahr gegenüber dem Ausgleichsjahr vorausgehenden Kalenderjahr übersteigt. Anknüpfungspunkt sind auch hier die Einwohnerzahlen, die das Statistische Bundesamt jeweils zum 30. Juni des Ausgleichsjahres und des dem Ausgleichsjahr vorausgehenden Kalenderjahres festgestellt hat. Seit 2005 gibt es nach § 7 Abs. 3 S. 3 FAG eine Anreizprämie für überproportionale Steuereinnahmen gegenüber dem Vorjahr. Somit bleiben für jedes Land 12% der überproportionalen Steuereinnahmen je Einwohner gegenüber dem Vorjahr bei der Errechnung der Finanzkraftmesszahl unberücksichtig. Weiterhin sind die Kommunalsteuern nach § 8 FAG zur Errechnung der Finanzkraftmesszahl zu berücksichtigen. Die Regelung folgt der zweistufigen Gliederung der Finanzverfassung, nach der überwiegend die Länder die Verantwortung für die finanzielle Ausstattung der Gemeinden tragen. Konkret sind die Steuereinnahmen der Gemeinden gem. § 8 Abs. 1 FAG nach Maßgabe von Abs. 2 einzubeziehen. Die über die Gemeindesteuern und die Gemeindeanteile an den Gemeinschaftssteuern ermittelte Steuerkraft ist jedoch gem. § 8 Abs. 3 FAG nur zu 64% bei der Berechnung der Finanzkraftmesszahl zu berücksichtigen. 613 (2) Ausgleichsmesszahl Die zweite Kennziffer zur Ermittlung etwaiger Ansprüche bzw. Zahlungspflichten im Länderfinanzausgleich ist die Ausgleichsmesszahl eines Landes, welche in der Gesamtrechnung den Bezug zum bundesdurchschnittlichen Fi611
Bundesberggesetz v. 13. August 1980, BGBl. 1980 I, S. 1310 ff., zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes v. 9. Dezember 2006, BGBl. 2006 I, S. 2833. 612 Vgl. § 7 Abs. 3 FAG (a.F.) in Art. 33 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 (977). 613 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 98.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
nanzaufkommen herstellt. Sie ist gem. § 6 Abs. 2 FAG die Summe der beiden Messzahlen, die zum Ausgleich der Einnahmen der Länder nach § 7 FAG und zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden nach § 8 FAG getrennt festgestellt werden. Hierbei ergeben sich die Messzahlen aus den auszugleichenden Einnahmen je Einwohner der Ländergesamtheit multipliziert mit der Einwohnerzahl des Landes, wobei die nach § 9 FAG gewerteten Einwohnerzahlen zugrunde zu legen sind (sog. „Einwohnerveredelung“) 614. Demnach werden nach § 9 Abs. 2 FAG für die Ermittlung der Messzahlen zum Ausgleich der Einnahmen der Länder die Einwohnerzahlen der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg mit 135 % und die Einwohnerzahlen der übrigen Länder mit 100 % gewertet. Die Erhöhung der Stadtstaatenwertung auf 135 % wurde anhand der Auswertungen eines Vergleichs der Stadtstaaten mit der finanziellen Situation vergleichbarer Großstädte ermittelt und letztendlich vom BVerfG in ihrer Methodik bestätigt. 615 Im Ergebnis sprechen die strukturelle Eigenart der Stadtstaaten als (wirtschaftliche und infrastrukturelle) Oberzentren für Ländergrenzen überschreitende Regionen und ihre Funktion als Landeshauptstadt für eine solche Aufwertung, um somit überhaupt erst einen angemessenen Finanzkraftvergleich mit Flächenländern zu ermöglichen. 616 Bei der Ermittlung der Messzahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Gemeinden nach § 8 FAG werden die Einwohnerzahlen hingegen gem. § 9 Abs. 3 FAG anders gewertet. Für die Berechnung der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ändert sich zunächst nichts, indem die Einwohnerzahl, wie bei der Ermittlung der Messzahlen zum Ausgleich der Steuereinnahmen der Länder in Abs. 2, mit 135% gewertet wird. Nach § 8 Abs. 3 S. 2 MaßstG kann aber auch die Berücksichtigung abstrakter Mehrbedarfe besonders dünn besiedelter Flächenländer notwendig werden. 617 Diese Vorgabe greift § 9 Abs. 3 FAG auf, wonach die Einwohnerzahl des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit 105 %, die Einwohnerzahl des Landes Brandenburg mit 103 % und die Einwohnerzahl des Landes Sachsen-Anhalt mit 102% gewertet werden. Die Einwohnerzahlen der übrigen Länder werden mit 100% veranlagt. (3) Bemessung der Ausgleichszuweisungen und Ausgleichsbeiträge Sind alle dargestellten Rechenwege vollzogen worden, stehen die Finanzkraftund Ausgleichsmesszahl fest und können in Relation zueinander gesetzt werden. 614
BVerfGE 72, 330 (415). M. Hummel / W. Leibfritz, Die Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich, S. 1 ff.; bestätigt durch BVerfGE 86, 148 (239 ff.). 616 BVerfGE 72, 330 (415 ff.); I. Kesper, NdsVBl 2002, S. 1 (7). 617 Vgl. hierzu auch BVerfGE, 158 (229 f.). 615
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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Nach § 5 Abs. 1 FAG sind alle Länder, deren Finanzkraftmesszahl in dem Kalenderjahr, für das der Ausgleich durchgeführt wird (Ausgleichsjahr), ihre Ausgleichsmesszahl übersteigt, ausgleichspflichtig. Ausgleichsberechtigt sind nach Abs. 2 die Länder, deren Finanzkraftmesszahl im Ausgleichsjahr ihre Ausgleichsmesszahl nicht erreicht, was sie zu Nehmerländern im Länderfinanzausgleich macht. Die Bemessung der Ausgleichzuweisungen und Ausgleichbeiträge im Länderfinanzausgleich erfolgt abschließend nach Maßgabe von § 10 FAG. Er folgt bei der Umverteilung einem solidarischen Prinzip, nach dem eine geringe Finanzkraft eines Landes verstärkt aufgefüllt wird, bzw. eine hohe Finanzkraft stärker zur Deckung des Ausgleichs herangezogen wird. 618 Bestehende Fehlbeträge von „Nehmerländern“ werden nach dem seit dem Jahr 2005 geltenden Recht nur noch zu höchstens 75% aufgefüllt, wobei dies nur bei einer Ausgleichsmesszahl von bis zu 80 % möglich ist. Mit steigender Ausgleichsmesszahl sinkt der Grenzausgleichsatz stetig bis zu 44% (bei einer Ausgleichsmesszahl von 93 % bis 100 %). dd) Bundesergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) Auf der vierten und damit letzten Stufe des Finanzausgleichsystems ermächtigt Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG den Bund zur Zahlung von Ergänzungszuweisungen an leistungsschwache Länder. 619 Diese sind strikt von den Ergänzungsanteilen der zweiten Stufe des Finanzausgleiches nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG zu unterscheiden. Die einfachgesetzliche Ausgestaltung der Bundesergänzungszuweisungen ist in den §§ 10 –12 MaßstG und § 11 FAG ausführlich geregelt. Sinn und Zweck der Bundesergänzungszuweisungen ist es, Defizite in der Finanzausstattung der Länder, die auf den vorherigen Stufen noch nicht ausgeglichen wurden, zu verringern oder zu beseitigen. 620 Hierbei ist zu beachten, dass eine für solche Zuweisungen tatbestandlich erforderliche „Leistungsschwäche“ des betroffenen Landes nicht automatisch einen Anspruch gegen den Bund auslöst, da Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG dem Bundesgesetzgeber grundsätzlich ein Ermessen bei der Bewilligung solcher Leistungen gewährt. 621 Die Leistungsschwäche eines Landes erschließt sich aus der Relation seines Finanzaufkommens zu seinen 618
I. Kesper, NdsVBl 2002, S. 1 (8). D. Birk, Steuerrecht, Rn. 133; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 134; K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 119 (123); S. v. Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 304. 620 P. Badura, Staatsrecht, S. 760; D. Birk / R. Wernsmann, DÖV 2004, S. 868 (870); I. Kesper, NdsVBl. 2002, S. 1 (8 f.). 621 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 134; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 645. 619
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Ausgabenlasten 622, wobei bei der Vergabe der Bundesergänzungszuweisungen auch Sonderlasten einzelner Länder berücksichtigt werden können. 623 Eine den Anwendungsbereich des Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG eröffnende Leistungsschwäche kann auch bei einem Land vorliegen, das nach den Ergebnissen des horizontalen Finanzausgleichs keine unterdurchschnittliche Finanzausstattung aufweist, das aber wegen besonderer, im Regelfall nicht gegebener Ausgabenlasten als leistungsschwach zu bewerten ist. Es steht dem Bundesgesetzgeber nach § 10 Abs. 2 MaßstG frei, entweder die Finanzkraft der leistungsschwachen Länder allgemein anzuheben oder einzelne Sonderlasten von Ländern zu berücksichtigen oder beides miteinander zu verbinden, solange die Bundesergänzungszuweisungen als bloße Ergänzung und nicht als Ersatz oder Fortsetzung des horizontalen Finanzausgleichs angelegt sind. 624 Freilich geht die zuletzt geübte Praxis über den vom BVerfG ausgesprochenen Charakter der Ergänzungszuweisungen als besonders begründungsbedürftige, subsidiäre, den sonstigen Finanzausgleich nicht überlagernde Zahlungen zunehmend hinweg, indem ihr Volumen im Jahre 2004 mit ca. 15,04 Mrd. € 625 mehr als doppelt so hoch war wie das des Länderfinanzausgleichs, was allerdings auch an den Folgen der deutschen Wiedervereinigung liegt. 626 Durch das Auslaufen der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Sanierung Not leidender Haushalte ist das Gesamtvolumen im Jahr 2006 auf 14,68 Mrd. € reduziert worden. α) Allgemeine Bundesergänzungszuweisungen (§ 11 MaßstG, § 11 Abs. 2 FAG) Dem BVerfG folgend kann der Bund durch die Gewährung allgemeiner Bundesergänzungszuweisungen 627 die Finanzkraft leistungsschwacher Länder anheben. 628 Die allgemeinen Zuweisungen waren lange Zeit die einzige Form der Bundesergänzungszuweisungen. 629 Der Bund ist bei ihrer Gewährung gem. § 11 Abs. 1 MaßstG im Wesentlichen an die Maßstäbe des horizontalen Finanzaus622 BVerfGE 72, 330 (403); 101, 158 (223); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 107 Rn. 35; I. Kesper, Finanzordnung, S. 118 f.; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 107 Rn. 11. 623 BVerfGE 72, 330 (403, 419 f.); 101, 158 (234). 624 BVerfGE 72, 330 (404 f.); 86, 148 (260); 101, 158 (224 f.); 116, 327 (380 f.). 625 Statistisches Bundesamt, Die Bundesländer – Strukturen und Entwicklungen, S. 116. 626 BVerfGE 101, 158 (225); 86, 148 (261); 72, 330 (402); D. Birk / R. Wernsmann, DÖV 2004, S. 868 (870); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 107 Rn. 36; S. Korioth, Finanzausgleich, S. 645. 627 Sie werden wahlweise auch als Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen bezeichnet. 628 BVerfGE 72, 330 (404); U. Häde, Finanzausgleich, S. 242; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 143.
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gleichs gebunden, nach denen nur solche Länder als Empfänger allgemeiner Bundesergänzungszuweisungen in Betracht kommen, deren Finanzausstattung nach den Ergebnissen des horizontalen Finanzausgleichs in einem Maße unter dem Länderdurchschnitt geblieben ist, das unangemessen erscheint und aus den Mitteln der übrigen Länder jedoch nicht ausgeglichen werden konnte. 630 Somit hat der Gesetzgeber bei der Gewährung der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen das Nivellierungsverbot zu beachten und darf die Finanzkraftreihenfolge unter den Geberländern nicht verändern, d. h. insbesondere leistungsschwachen Ländern keine überdurchschnittliche Finanzkraft verschaffen. Schließlich muss er das föderative Gebot der Gleichbehandlung aller Länder beachten. 631 Im Einzelnen liegt gem. § 11 Abs. 2 FAG eine für den Erhalt von allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen erforderliche Leistungsschwäche vor, wenn die Finanzkraft eines Landes nach dem Länderfinanzausgleich unter 99,5 % des Länderdurchschnittes liegt und es somit noch erhebliche Fehlbeträge aufweist. Sollte dies der Fall sein, werden 77,5% dieser Fehlbeträge durch allgemeine Bundesergänzungszuweisungen aufgefüllt. 632 β) Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen Der Gesetzgeber hat über § 12 MaßstG i.V. m. § 11 Abs. 2 – 4 FAG ferner die Möglichkeit geschaffen, Sonderlasten einzelner Länder mit SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen zumindest teilweise mit abzudecken. 633 Solche Zuweisungen finden in Sonderlasten ihre rechtfertigenden Gründe und Grenzen, wobei die Bindungen an die Maßstäbe des horizontalen Finanzausgleichs im Vergleich zu den allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen deutlich gelockert sind. 634 Dies zeigt sich z. B. darin, dass gem. § 12 Abs. 2 MaßstG unter erhöhter Begründungspflicht leistungsschwachen Ländern im Ausnahmefall Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen auch bei überdurchschnittlicher Finanzkraft gewährt werden können oder ihnen eine überdurchschnittliche Finanzkraft verschafft werden kann, welche die Finanzkraftreihenfolge der Länder verändert. Nach § 12 Abs. 1 MaßstG dürfen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen ausdrücklich nicht dazu eingesetzt werden, augenblicksbedingte finanzielle Not629
U. Häde, Finanzausgleich, S. 242; P. Ingenlath, Die Ergänzungszuweisungen des Bundes gem. Art. 107 II 3 GG, S. 165 f. 630 BVerfGE 101, 158 (224); 116, 327 (381). 631 BVerfGE 72, 330 (404); 101, 158 (224). 632 Die bis Ende 2004 gültige Vorgängerregelung des § 11 Abs. 2 FAG sah noch eine Auffüllung von 90 % des nach dem Länderfinanzausgleich verbleibenden Unterschiedes zum Finanzbedarf vor. Somit ist das Gesamtvolumen der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen seit der Neuregelung gesunken. 633 P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 145. 634 BVerfGE 72, 330 (404 ff.); 101, 158 (224 f., 234 f.); 116, 327 (382).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
stände zu beheben, aktuelle Projekte zu finanzieren oder finanziellen Schwächen abzuhelfen, die eine direkte und vorhersehbare Folge von politischen Entscheidungen eines Landes bilden. Die Kehrseite der Länderautonomie bringt es nach gefestigter Rechtsprechung des BVerfG mit sich, dass die Länder grundsätzlich für die haushaltspolitischen Folgen autonomer Entscheidungen finanziell eigenständig einzustehen haben. 635 Wie auch bei den allgemeinen Zuweisungen ist ferner das föderative Gleichbehandlungsgebot zu beachten, bei dessen Realisierung der Gesetzgeber verpflichtet ist, die Sonderlasten zu benennen und zu begründen. Nach § 12 Abs. 3 MaßstG müssen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zudem befristet sein, degressiv ausgestaltet werden und einer grundsätzlichen Überprüfung in angemessenen Zeitabständen unterliegen. Zurzeit sieht § 11 FAG Bundesergänzungszuweisungen für drei Sonderlasten vor. (1) Zuweisungen zum Ausgleich teilungsbedingter Sonderlasten (§ 12 Abs. 5 MaßstG, § 11 Abs. 3 FAG) Gem. § 12 Abs. 5 MaßstG und § 11 Abs. 3 FAG erhalten die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft. Diese Zahlungen sind immer noch erforderlich, da die Finanzkraft der neuen Länder nach dem Länderfinanzausgleich deutlich unter der durchschnittlichen Finanzkraft aller Länder liegt. 636 Die degressiv ausgestalteten Zuweisungen erfolgen in den Jahren 2005 bis 2019, wobei das Gesamtvolumen über die Jahre von 10,532613 Mrd. € (2005) auf 2,096297 Mrd. € (2019) abschmilzt. Der jährliche Gesamtbetrag wird nach festgelegten Quoten auf die empfangsberechtigten Länder aufgeteilt. Die Länder sind gem. § 11 Abs. 3 S. 3 FAG dazu angehalten „dem Finanzplanungsrat jährlich im Rahmen von Fortschrittsberichten „Aufbau Ost“ über ihre jeweiligen Fortschritte bei der Schließung der Infrastrukturlücke, über die Verwendung der erhaltenen Mittel zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten und über die finanzwirtschaftliche Entwicklung der Länder- und Kommunalhaushalte einschließlich der Begrenzung der Nettoneuverschuldung“
zu berichten.
635
BVerfGE 72, 330 (405); 86, 148 (260); 101, 158 (225); 116, 327 (382). Vgl. die aktuellen Zahlen für das Jahr 2005, in: Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder Finanzbeziehungen auf der Grundlage der geltenden Finanzverfassungsordnung, S. 52; P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 149; P. Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (55). 636
B. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung
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(2) Zuweisungen zum Ausgleich von Lasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit (§ 11 Abs. 3a FAG) Die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erhalten gem. § 11 Abs. 3a FAG im Zeitraum von 2005 bis 2009 Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und die daraus entstehenden überproportionalen Lasten bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige in Höhe von 128 Mio. € bis 319 Mio. € jährlich. Inwieweit sie darüber hinaus gewährt werden und in welcher Höhe die Sonderlasten dieser Länder ab dem Jahr 2011 auszugleichen sind, wird gem. § 11 Abs. 3a S. 2 FAG im Jahr 2010 überprüft. (3) Zuweisungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung (§ 12 Abs. 6 MaßstG, § 11 Abs. 4 FAG) Der Bund gewährt ferner gem. § 12 Abs. 6 MaßstG und § 11 Abs. 4 FAG Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen wegen der Kosten politischer Führung, sofern ein Land im Hinblick auf seine Einwohnerzahl mit solchen Kosten überproportional belastet ist. Die Zahlungen des Bundes, sind ihrem Umfang nach auf eine Art ergänzende Mischfinanzierung zu beschränken. 637 Es können nur Länder mit schwacher Finanzkraft zu dem Empfängerkreis dieser Zuweisungen gehören, was erklärt, warum der Stadtstaat Hamburg mit ebenfalls überdurchschnittlich hohen Kosten politischer Führung nicht an den Leistungen des Bundes partizipieren kann. Im Ergebnis erhalten die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, MecklenburgVorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, SchleswigHolstein und Thüringen jährliche Zahlungen zwischen 25,6 Mio. € (Sachsen) und 63,4 Mio. € (Saarland). Nach § 12 Abs. 6 S. 2 MaßstG gilt für die Zahlung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher politischer Kosten grundsätzlich keine Befristung nach § 12 Abs. 3 S. 1 MaßstG. Dennoch sind Bund und Länder dazu angehalten, die Voraussetzungen der Vergabe in einem Abstand von fünf Jahren, erstmals im Jahr 2008, im Hinblick auf die Vergabe im jeweils übernächsten Jahr gemeinsam zu überprüfen.
637
BVerfGE 101, 158 (235).
212
2. Teil: Finanzordnung und Reform
(4) Keine Zuweisungen zur Behebung einer „extremen Haushaltsnotlage“ Die einst in § 11 Abs. 6 FAG (a.F.) für das Saarland und Bremen vorgesehenen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Behebung einer extremen Haushaltsnotlage sind Ende 2004 ausgelaufen. Sollten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zukünftig für ein Land wieder als Haushaltssanierungsinstrument aufgrund einer „extremen Haushaltsnotlage“ in Betracht kommen, setzt ihre Bewilligung angesichts der nur in Ausnahmefällen gegebenen Hilfeleistungspflicht der bundesstaatlichen Gemeinschaft nach § 12 Abs. 4 MaßstG zusätzlich voraus, „dass das betreffende Land ausreichende Eigenanstrengungen unternommen hat, um eine drohende Haushaltsnotlage abzuwenden oder sich aus ihr zu befreien“. Ferner ist es für das betroffene Land nicht möglich, ausgabenseitige Sonderlasten als Ursache für eine Haushaltsnotsituation geltend zu machen, die bereits durch andere Hilfen abgegolten worden sind. Darüber hinaus sind Haushaltssanierungshilfen nach dem Gesetz mit strengen Auflagen und einem verbindlichen Sanierungsprogramm zu verknüpfen. Inwieweit die Maßstäbe des § 12 Abs. 4 MaßstG für Zuweisungen zur Behebung einer extremen Haushaltsnotlage jedoch noch Gültigkeit beanspruchen können, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG fraglich und bedarf einer eingehenden Prüfung. 638
C. Reformbedürftigkeit und Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung Das gegenwärtige System der Finanzordnung weist z.T. erhebliche Mängel auf. Erörterungsbedürftig ist daher zunächst, woher sich die Reformbedürftigkeit ergibt und welche Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung zu beachten sind.
I. Reformbedürftigkeit der Finanzordnung Gradmesser für die Reformbedürftigkeit ist in erster Linie die faktische Haushaltslage von Bund und Ländern und deren finanzielle Möglichkeiten zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben. Aus dem Freiheits- und Bundesstaatsprinzip lassen sich darüber hinaus abstrakte Maßstäbe für eine Reform der Finanzordnung entnehmen.
638
Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.a.ee).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
213
1. Faktische Reformbedürftigkeit Die Ausgaben der öffentlichen Haushalte erhöhten sich im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr um 0,4% auf 1016,3 Mrd. €. Der Einnahmenzuwachs der öffentlichen Haushalte fiel in Relation zum Ausgabenanstieg hingegen mit einem Anstieg von 3,4 % auf 1026,8 Mrd. € eindeutig höher aus. 639 Die positive Entwicklung der öffentlichen Einnahmen beruht vor allem auf Mehreinnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben, wobei ein Großteil auf die Anhebung der Umsatzsteuer zum 1. Januar 2007 von 16% auf 19% und den gesamtstaatlichen konjunkturellen Aufschwung vor Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise zurückzuführen war. 640 Betrachtet man die Einnahmen und Ausgaben für den öffentlichen Gesamthaushalt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2007 erstmals seit 1969 wieder ein Finanzierungsüberschuss von 11,3 Mrd. € erwirtschaftet wurde. Im Einzelnen erwirtschafteten die Bundesländer, die Gemeinden bzw. Gemeindeverbände und die gesetzliche Sozialversicherung Überschüsse. Einzig der Bund hatte ein Finanzierungsdefizit i. H.v. 15,6 Mrd. €. Die Einnahmen des Bundes stiegen im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 8,8 % auf insgesamt 286,6 Mrd. € an. Hierfür sind vor allem die stark angestiegenen Einnahmen aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben verantwortlich, wobei z. B. durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer in diesem Bereich 19,3 % Mehreinnahmen zu verzeichnen waren (insgesamt 92,8 Mrd. €). Erhebliche Zuwächse waren auch bei den Bundeseinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer (insgesamt 85,0 Mrd. €) und bei den Einnahmen aus der Versicherungsteuer (insgesamt 10,3 Mrd. €) zu verzeichnen. Die Ausgaben des Bundes einschließlich seiner Nebenhaushalte stiegen 2007 gegenüber dem Vorjahr um 2,2 % auf insgesamt 303,2 Mrd. €. Der größte Ausgabeposten war mit 136,4 Mrd. € die laufenden Zuweisungen an den öffentlichen Bereich. Die Ausgaben des Bundes ausschließlich für Zinszahlungen beliefen sich im Jahr 2007 auf 39,7 Mrd. €. und lagen somit um 3,4% über dem Vorjahresniveau. Die Bundeszuweisungen an die Länder im Rahmen des Länderfinanzausgleichs betrugen ca. 14,9 Mrd. €. Sie stiegen somit um 1,7% im Vergleich zum Vorjahr. Die Gesamtheit der Bundesländer erwirtschaftete im Jahr 2007 einen Finanzierungsüberschuss i. H.v. 9,3 Mrd. €. Der Schuldenstand der Länder nahm um 0,5% zu und belief sich somit auf 482,8 Mrd. €. Die Ländereinnahmen erhöhten sich im Vergleich zum Vorjahr um 9,2% auf insgesamt 275,6 Mrd. € (westdeutschen Bundesländer + 10,0% auf 225,2 Mrd. €; ostdeutschen Bundesländer + 6,0 % auf 54,1 Mrd. €). 641 Der 2007 erfolgte Zuwachs resultierte insbesondere 639 R. Schulze-Steikow / O. Dietz / W. Müller, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 2008, S. 438 (440). 640 Die öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften erwirtschafteten hierdurch im Jahr 2007 Mehreinnahmen i. H.v. 169,7 Mrd. €.
214
2. Teil: Finanzordnung und Reform
aus den erzielten Mehreinnahmen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer von + 10,5 % (insgesamt 85,0 Mrd. €) und bei der Umsatzsteuer von + 11,3 % (insgesamt 73,6 Mrd. €). Die Einnahmen aus den reinen Landessteuern erhöhten sich im Vergleich zum Jahr 2006 um 5,1% (auf 22,8 Mrd. €). Hierzu trug maßgeblich der Aufkommenszuwachs der Grunderwerbsteuer um 13,5 % bei. Die Ausgaben der Länder stiegen 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 % auf 266,3 Mrd. € an. Die Bundesländer hatten im Jahr 2007 laufenden Zuweisungen an den öffentlichen Bereich i. H.v. 70,1 Mrd. € zu leisten. Weitere 100,5 Mrd. € gaben die Länder aufgrund ihrer Kompetenz für besonders personalintensive Aufgaben aus (z. B. Personalkosten). Die Ausgaben der Länder für Zinsen haben sich im Jahr 2007 im Vergleich zum Vorjahr leicht reduziert (insgesamt 21,3 Mrd. €). Auf einem geringen Niveau aufbauend, haben sich die Leistungen im Länderfinanzausgleich erhöht. Sie stiegen im Vergleich zum Jahr 2006 um + 13,0 % auf insgesamt 8,1 Mrd. € an. Der Anstieg ist das Ergebnis der 2007 erzielten Steuermehreinnahmen, welche zu einer Erhöhung der Finanzkraftmesszahl der ausgleichspflichtigen Länder geführt hat. Im Jahr 2007 stiegen die Einnahmen der Kommunen im Vergleich zum vorherigen Jahr um 6,7% auf 169,3 Mrd. €. Begründen lässt sich der Einnahmezuwachs vor allem durch eine Erhöhung der Einnahmen aus Zuweisungen um 7,3% auf 90,9 Mrd. € und einen Anstieg der Steuereinnahmen. Von Bedeutung ist hier u. a. der Anstieg des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von + 13,7 % im Vergleich zum Vorjahr (insgesamt 22,9 Mrd. €). Die Ausgaben der Kommunen erhöhten sich im Jahr 2007 um 3,2% auf insgesamt 160,7 Mrd. €. Die Kommunen erwirtschaften somit insgesamt einen Finanzierungsüberschuss i. H.v. 8,6 Mrd. €. Betrachtet man die Zahlen zur Finanzlage von Bund, Ländern und Kommunen aus dem Jahr 2007 fällt auf, dass der öffentliche Gesamthaushalt einen Finanzierungsüberschuss (11,3 Mrd. €) auswies. Dennoch bestehen gravierende Probleme bei der originären Verteilung der Finanzen, die für die folgenden Jahre aufgrund der sich anschließenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wieder in den Fokus der Betrachtung treten. Vor allem die Aufteilung der Finanzmittel zwischen dem Bund und den Ländern, als auch die Verteilung der Mittel unter den Bundesländern ist nicht mehr bedarfsgerecht. Die Mehrheit der Bundesländer ist seit langem nicht mehr in der Lage, die ihnen obliegenden Aufgaben aus eigenen Mitteln wirksam zu erfüllen. Als Indikator dient hierfür insbesondere neben dem beim Bund und den meisten Bundesländern kontinuierlich zu verzeichnenden Anstieg der Verschuldung durch die Aufnahme von Krediten, die Zuweisungen im Länderfinanzausgleich. Im Jahr 2005 standen nach vorläufigen Berechnungen fünf Geberländern (wovon Hessen, Baden-Württemberg und Bay641
R. Schulze-Steikow / O. Dietz / W. Müller, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 2008, S. 438 (444).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
215
ern die Hauptlast trugen) 11 Nehmerländer gegenüber. 642 Finanzierungslücken in den Länderhaushalten werden inzwischen vermehrt durch Einmalerlöse überbrückt. Der Bund kann aufgrund der gegenwärtigen Steuerkompetenzverteilung im Gegensatz zu den Ländern im Bedarfsfall besser auf Finanzierungslücken reagieren. Nach der letzten großen Reform aus dem Jahr 1969 ist das einzige wirksame, flexible Element der originären Steuerverteilung die Verteilung der Umsatzsteuer. Mehr als 90% der Länderhaushaltsmittel sind inzwischen durch Tilgungszahlungen und die Kosten der Leistungsverwaltung gebunden. 643 Der ihnen durch die Autonomieverbürgung eigentlich zugedachte eigene Gestaltungsspielraum ist somit de facto stark eingeschränkt. Über die Ergänzungsanteile bei der Umsatzsteuer, den Länderfinanzausgleich und die Zahlung von Bundesergänzungszuweisungen wird versucht – teilweise verbunden mit der Setzung neuer Fehlanreize – die Defizite (z. B. Orientierung an unzureichenden Maßstäben) bei der originären Steuerverteilung zu kompensieren. Hierdurch werden die realen Einnahmeleistungen der Bundesländer verzerrt. Das System des Finanzausgleichs ist zu einem Wachstumshindernis in Deutschland geworden. Ziel zukünftiger Reformen der Finanzordnung muss es daher sein, dass alle Bundesländer gleichermaßen finanziell zu der Ausführung von Bundesgesetzen und anderen verfassungsmäßigen Aufgaben befähigt werden, um die Gleichwertigkeit der Lebenschancen der Bevölkerung in den verschiedenen Regionen Deutschlands nachhaltig zu gewährleisten. Der Finanzausgleich berücksichtigt bisher nicht in ausreichendem Maß die mannigfachen Belastungen der Bundesländer auf der Ausgabenseite, die durch den Bundesgesetzgeber (z. B. durch Geldleistungsgesetze, Sozialhilfeausgaben) veranlasst werden. Die unverhältnismäßigen finanziellen Verpflichtungen der Landeshaushalte aufgrund der Bundesgesetzgebung führen dazu, dass ein Bundesland mit hoher Belastung in seinen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt ist. Dem gegenüber ist ein Land mit geringer Belastung in entsprechend höherem Maß imstande, in eigener Verantwortung politisch zu entscheiden, in welchen Bereichen es Schwerpunkte setzt. Tritt neben diese Einschränkungen auch noch eine schon bestehende, hohe Staatsverschuldung wie z. B. in Berlin, dem Saarland und Bremen, dann wird die Staatsqualität eines Landes als solche bedroht. Die finanzielle Schieflage vor allem der Länder und z.T. auch der Kommunen beruht daher weniger auf landespolitischen Fehlentscheidungen, sondern ist primär die Folge der auferlegten Belastungen der Länder durch den Bund, die z.T. sehr unterschiedlich unter den Bundesländern ausfallen. Die gegenwärtige Finanzlage der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften verdeutlicht, dass trotz vorhandener Mittel faktisch keine aufgabenadäquate Finanzverteilung insbesondere zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander besteht. 642 Bundesministerium der Finanzen, Bund-Länder Finanzbeziehungen auf der Grundlage der geltenden Finanzverfassungsordnung, S. 51. 643 C. Gröpl, DVBl. 2006, S. 1079 (1083).
216
2. Teil: Finanzordnung und Reform
2. Freiheits- und Bundesstaatsprinzip als Gebot für eine Reform der Finanzordnung Die bis zu diesem Zeitpunkt der Bearbeitung geschilderte Finanzrechtslage hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Es konnte bisher gezeigt werden, dass bestimmte Verteilungsregeln strukturell bestimmte Bundeslandtypen bevorzugen oder benachteiligen (so erleiden z. B. einige Länder bei der Verteilung der Umsatzsteuer einen Nachteil, wogegen sie durch den eigentlichen Finanzausgleich und die Ergänzungszuweisungen eher begünstigt werden), ebenso wie offenkundig Lastenverteilungsregeln und Steuerkompetenzverteilungen Implikationen für die Machtverteilung im Bund-Länder-Verhältnis haben. Das bisherige System ist somit in jedem Fall insofern reformbedürftig, als sich die verschiedenen Verteilungsregeln z.T. gegenseitig wieder aufheben. Wie hat aber eine „richtige“ Verteilung öffentlicher Gelder zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern untereinander zu erfolgen? 644 Der Hinweis, dass sich dies nach den ihnen jeweils obliegenden Aufgaben richten müsse, führt nur bedingt weiter, da nicht eindeutig klar ist, welche Aufgaben von Bund und Ländern wirklich wahrgenommen werden müssen und wie viel Geld dies im Einzelfall kostet. Ebenfalls lässt sich die Leistungsfähigkeit der Bürger einer Gebietskörperschaft nur schwer bemessen. Die geschilderten Unwägbarkeiten bei der Bemessung der Finanzmittelverteilung lassen die Frage aufkommen, inwieweit bestimmte Grundprinzipien der Verfassung wie das Bundes-, das Sozialstaats- oder das Freiheitsprinzip eine bestimmte Verteilung nahe legen. Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten kann man vielleicht mehr Transparenz und Einfachheit zum Ziel künftiger Reformen der Finanzordnung erheben. Bisher ist die Finanzordnung u. a. durch die vollzogene Wiedervereinigung Deutschlands und die sich stark verändernde globale Wirtschaftslage wenig konsistent. Aber lässt sich ein Mehr von Transparenz und Einfachheit der Finanzordnung mit Bestimmtheit fordern? Dies könnte dann der Fall sein, wenn fundamentale Verfassungsprinzipien eine Novellierung der Finanzordnung nahe legen. In dem Konflikt um eine Neugestaltung der Finanzordnung wird häufig auf das Bundesstaatsprinzip verwiesen. Es wird entweder als föderale Regel dahingehend angeführt, dass man nicht zu sehr in die Finanzen der finanzstarken Bundesländer und des Bundes hineinregieren dürfe oder gerade umgekehrt dahingehend, dass eine bündische Pflicht des Einstehens füreinander im Sinne einer weitgehenden Angleichung der Lebensverhältnisse bestehe. Da das Bundesstaatsprinzip beide Komponenten enthält, spricht grundsätzlich Vieles dagegen, hieraus Folgerungen für künftige Reformbemühungen abzuleiten. Die im Föderalismus enthaltene Eigenstaatlichkeit von Bundesländern zeugt 644
Vgl. zum Folgenden bereits F. Ekardt, Wird die Demokratie ungerecht?, Kap. IV. u. V; F. Ekardt / D. Buscher, DÖV 2007, S. 89 (96 ff.).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
217
einerseits für finanziell wohlausgestattete Gebietskörperschaften, damit diese überhaupt handlungsfähig sind; andererseits spricht sie aber auch dafür, dass die Länder eine eher dirigismusfreie Verfügungsgewalt über ihre Einnahmen haben. Vertieft wird dieser verfassungsrechtlich zu einem Patt führende Befund zwischen „gleichen Lebensverhältnissen“ und „Wettbewerbsföderalismus“, wenn man das Freiheits- und das Sozialstaatsprinzip liberal-demokratischer Verfassungen einbezieht. 645 Abstrakt betrachtet, verbirgt sich hinter der Frage, ob die Finanzordnung reformiert werden soll der Konflikt von Handlungsfreiheit und Leistungsprinzip durch Wettbewerbsföderalismus versus sozialstaatliche Bereitstellung gleicher Freiheitsvoraussetzungen für alle Bürger. Beim Streit um eine Reform der Finanzordnung kollidieren zwei Ausprägungen von Freiheit miteinander. Auf der einen Seite muss eine Ordnung (verkörpert als objektiver Rechtssatz auch im Sozialstaatsprinzip, in Gestalt des Existenzminimumanspruchs aber auch in den Grundrechten), die den Menschen Freiheitsgarantien als Entfaltungschancen zusichert, auch die materiellen Bedingungen im Blick behalten, die zur Wahrnehmung der Freiheitsrechte zwingend erforderlich oder dafür zumindest förderlich sind. Dieser Freiheitsvoraussetzungsschutz mag für ähnliche Lebensbedingungen in den verschiedenen Teilen eines Bundesstaates sprechen, ebenso wie er ganz grundsätzlich Umverteilungsmaßnahmen zwischen den Bürgern erlaubt. 646 Umgekehrt beinhaltet das Freiheitsprinzip aber auch das „Verursacherprinzip“ bzw. Junktim von Freiheit und Folgenverantwortlichkeit. Menschen und damit auch die von ihnen getragenen Gebietskörperschaften dürfen nicht nur die Vorteile eigener Entscheidungen beanspruchen, sondern müssen auch mit den eventuell auftretenden Nachteilen z. B. durch politische Fehlentscheidungen leben. Das Junktim als Ausfluss des Freiheitsprinzips ist zwar eigentlich ein Prinzip im Kontext der Grundrechte – also eine Befugnis bzw. Pflicht des Staates, die Bürger an den Folgen ihres Handelns festzuhalten. Vorliegend geht es jedoch eher um das „Festhalten“ eines Bundeslandes als um das eines einzelnen Bürgers. Wollte man das Junktim dort unangewendet lassen, würde man übersehen, dass die Bürger die Steuerzahler sind, die Bund, Länder und Kommunen finanzieren. Die Finanzordnung darf deshalb die Ursachen für die tatsächlich bestehenden Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen den Ländern nicht beseitigen, sondern nur in einem vertretbaren Maß verringern. Insbesondere die finanzielle Situation der einzelnen Länder hängt immer auch von politischen Entscheidungen ab, für deren Folgen die Bürger als Souverän letztlich auch bis zu einer bestimmten Grenze einstehen müssen. Würde man in sehr weitgehendem Maße Umverteilungsmaßnahmen vornehmen, hieße das, dass die öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften im Ergebnis nicht an den 645
F. Ekardt / D. Buscher, DÖV 2007, S. 89 (97). Vgl. zur Begründung des hier vorgetragenen Freiheitsverständnisses F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, S. 44 ff. und S. 112 ff. 646
218
2. Teil: Finanzordnung und Reform
Folgen ihrer Politik festgehalten werden. 647 Dies würde aber dem Verursacherprinzip widersprechen. Die sich gegeneinander aufwiegenden Ausprägungen zentraler Verfassungsprinzipien, sowohl beim Freiheits- als auch beim Bundesstaatsprinzip, führen dazu, dass dem finanzordnungsändernden Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum bei der künftigen Gestaltung der Finanzordnung zugestehen. Dennoch können hier abwägungsleitende Prinzipien für künftige Reformen der Finanzordnung durch die vorstehenden Erwägungen gewonnen werden. Zu diesen Leitlinien zählt, vor dem Hintergrund des sich verstärkenden demographischen Wandels, das Prinzip, dass Verteilungskonflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Gebietskörperschaften nicht unbegrenzt so gelöst werden dürfen, dass man durch die Aufnahme von Krediten künftige Steuerzahler für die heutige Aufgabenerfüllung zahlen lässt. Die vorhandenen Finanzmittel müssen nach dieser Prämisse vor allem über den primären Finanzausgleich bedarfsgerechter verteilt werden. Dies setzt zunächst die Herstellung von Transparenz zur Ermittlung des wirklichen Finanzbedarfs der einzelnen öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften voraus. Falls die Finanzmittel nicht reichen, muss anstatt über eine Erhöhung der Schulden zunächst über eine Erhöhung der Einnahmen durch Abgaben nachgedacht werden. Gebietskörperschaften, welche die ihnen obliegenden Aufgaben mangels Finanzmitteln nicht mehr adäquat erfüllen können, haben auch weiterhin als Gewährleistung einer Mindestausstattung einen Anspruch auf Hilfeleistung der Solidargemeinschaft von Bund und Ländern. 648 Für den Bund besteht zudem nach der Rechtsprechung ein föderatives Gleichbehandlungsgebot gegenüber den Ländern. Der Bund darf nicht willkürlich einzelne Länder bevorzugen oder benachteiligen. 649
II. Vorgaben für künftige Reformen der Finanzordnung Bei zukünftigen Reformen der Finanzordnung gilt es, die in weiten Teilbereichen des Finanzrechts verankerten Ansätze des auf möglichst viel Einheitlichkeit zielenden, kooperativen Bundesstaates in sinnvollerweise mit kompetitiven Elementen zu ergänzen bzw. z.T. zu ersetzen. Um die Finanzordnung anhand dieses gemischten Bundesstaatsverständnisses umgestalten zu können, müssen zunächst bestimmte grundsätzliche Vorgaben als Leitlinie für eine Neuordnung aus dem Spannungsverhältnis zwischen der gliedstaatlichen Autonomie und der bündischen Einheit sowie dem Ziel eines möglichst effizienten Einsatzes der vorhandenen Finanzmittel extrahiert werden. 647 648 649
Vgl. BVerfGE 86, 148 (260 f.). BVerfGE 116, 327 ff. BVerfGE 12, 205 (256); 41, 291 (308); 86, 148 (211 f.).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
219
1. Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform der Finanzordnung Aus dem deutschen Verfassungsrecht ergeben sich nur wenige Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung. Über Art. 79 Abs. 3 GG ist der verfassungsändernde Gesetzgeber an das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Bundesstaatsprinzip gebunden. 650 Hierbei ist zu bedenken, dass bei finanziellen Ansprüchen und Kompetenzabgrenzungsfragen zwischen Bund und Ländern grundsätzlich nicht auf den allgemeinen Strukturgrundsatz des Bundesstaatsprinzips abgestellt wird, sondern überwiegend dessen spezielle Ausprägungen in der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) Anwendung finden. 651 Aus dem Bundesstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG ergeben sich nur sehr allgemeine Vorgaben für die Regelungen der Finanzverfassung, die insbesondere dann greifen, wenn eine Regelungslücke in den Art. 104a ff. GG besteht. Für eine Reform der Finanzordnung lässt sich aus dem Bundesstaatsprinzip ausschließlich entnehmen, dass es in Deutschland zur Sicherung der Gliederautonomie eine verfassungsrechtliche Ordnung des Finanzwesens geben muss. Weiterhin muss ein Ausgleich zwischen den im Bundesstaat gegenläufigen Gewährleistungen der Autonomie und der bündischer Einheit (Stabilisierungsfunktion der Finanzverfassung) gefunden werden. Voraussetzung hierfür ist einzig deren grundlegende Beachtung bei der Normengebung durch den Verfassungsgesetzgeber. Welche Gewichtung er konkret vornimmt, d. h. ob er die Autonomie oder die bündische Einheit hervorhebt, liegt weitgehend in seinem Ermessen. Aus Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich außerdem eine Pflicht zu einer aufgabengerechten Aufteilung der vorhandenen Finanzmittel zwischen Bund und Ländern herleiten. Diese Verpflichtung beinhaltet das Gebot, dass Ausgaben jeweils derjenigen Ebene im Bundesstaat zugewiesen werden müssen, auf der sie in Ausführung der von der sachlichen Kompetenzordnung zugewiesenen Aufgaben veranlasst werden (Veranlassungsprinzip). Sie umfasst zusätzlich das Erfordernis der Kongruenz von Einnahmen und Ausgaben, d. h. dass die Einnahmeverteilung entsprechend den aus den Aufgabenkompetenzen resultierenden Ausgaben erfolgt, damit die Selbstfinanzierung von Bund und Länder gewährleistet ist (Deckungsprinzip). Für eine Reform der Finanzordnung lassen sich keine weiteren Vorgaben aus dem Europa- und Völkerrecht entnehmen, da diese die innere Organisation der Staaten den einzelnen Staaten selbst überlassen. Der Normenbestand des Völker- und Europarechts beinhaltet zwar eine Reihe für die (Mitglieds-)Staaten relevanter Finanz- und Haushaltsregelungen. Auf die innere Staatsorganisation wirken diese sich jedoch nur mittelbar aus, wie sich beispielsweise an den innerstaatlichen Lastenverteilungsregeln der Art. 104a Abs. 6 GG und Art. 109 Abs. 5 GG zeigt. 652 650
Vgl. Erster Teil Kap. C.I. I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 147; C. Starck, in: HdbStR VII, § 164 Rn. 52 (1. Auflage). 651
220
2. Teil: Finanzordnung und Reform
Im Ergebnis hat der Gesetzgeber mit Ausnahme der Minimalanforderungen aus dem Bundesstaatsprinzip gem. Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 GG bei der Gestaltung einer Reform der Finanzordnung einen weiten Spielraum. Neben den allgemeinen gesetzgeberischen Anforderungen der Formenklarheit, der Transparenz und Widerspruchsfreiheit sowie der Gewährleistung der Justitiabilität der Reformregelungen 653 hat er somit vor allem rechtspolitische Belange bei der Entscheidungsfindung zu bedenken. 2. Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform Zukünftige Reformen der Finanzordnung müssen zu einer Vereinfachung, Transparenz, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit des Systems führen. Neben diesen allgemeinen, für alle Novellierungen geltenden Voraussetzungen, müssen bei der Neuordnung des Finanzsystems auch einige spezifische rechtspolitische Anforderungen berücksichtigt werden. a) Aufgabenadäquate Finanzausstattung Die bundesdeutsche Finanzordnung fußt seit inzwischen 40 Jahren auf der Annahme, dass die Finanz- und Wirtschaftskraft der westdeutschen Bundesländer verhältnismäßig gleich ist und somit für jedes Land eine aufgabenadäquate Finanzausstattung durch die aufkommensorientierte Steuereinnahmeverteilung gewährleistet ist. 654 Diese Ausrichtung der Finanzordnung ist durch die Veränderungen der letzten vier Jahrzehnte unzeitgemäß. Hierzu trugen u. a. ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum auf mittlerem bis niedrigen Niveau und relativ hohe Arbeitslosenzahlen sowie der mit der Wiedervereinigung verbundene Anstieg der Staatsverschuldung bei. Die Lage der Länder hat sich schon seit längerem sehr unterschiedlich entwickelt. Es gibt eine Minderheit von finanzund wirtschaftsstarken Ländern, die einer Mehrheit unterfinanzierter Länder gegenübersteht. Aufrechterhalten wird das System einzig durch eine sich immer weiter ausbreitende und immer unübersichtlicher werdende Struktur von Ausgleichszahlungen. Für die Zukunft bedarf es daher dringend einer Anpassung der Finanzordnung an die sich nach 40 Jahren stark gewandelten Verhältnisse, damit eine aufgabenadäquate Finanzausstattung von Bund und Ländern wieder gewährleistet wird. Das Bundesstaatsprinzip garantiert Bund und Ländern einen Status als eigenständige Glieder des Bundesstaates. Über die Rechtsordnung werden Bund und 652 Vgl. ausführlich zu Art. 104a Abs. 6 GG und Art. 109 Abs. 5 GG Zweiter Teil Kap. B.I.3.b) u. c). 653 Vgl. hierzu ausführlich I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 194 ff. 654 J. Wieland, KritV 2008, S. 117 (118).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
221
Ländern eigene und gesamtstaatliche Aufgaben zugewiesen, für deren Wahrnehmung sie grundsätzlich selbständig verantwortlich sind. Die vorgesehene Autonomie insbesondere der Gliedstaaten wäre reine Makulatur, wenn nicht gleichzeitig ihre finanzielle Eigenständigkeit gewährleistet werden würde. 655 Die Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat durch die Finanzordnung ist insoweit nach Auffassung des BVerfG daran auszurichten, „Bund und Länder finanziell in die Lage zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben wahrzunehmen. Die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern stützt sich auf eine Aufgabenzuweisung und eine ihr entsprechende Finanzausstattung, die im Rahmen des gesamtstaatlich Möglichen eine sachgerechte Aufgabenerfüllung erlaubt“. 656
Die Bemessung der adäquaten Finanzausstattung von Bund und Ländern wird somit vor allem anhand der ihnen zugewiesenen Aufgaben ermittelt. Die Autonomie der Gliedstaaten erfordert es, dass sie finanziell so ausgestattet sind, dass sie mehr Finanzmittel zur eigenen Verfügung haben, als sie für die bloße Erledigung der ihnen zugewiesenen Pflichtaufgaben benötigen. Da die Bedarfsdeckung im Sinne einer Sicherung der Möglichkeit der autonomen Aufgabenwahrnehmung als Ergebnis der Gewährleistung hierbei im Vordergrund steht, ist es unerheblich woher die Finanzmittel kommen (z. B. primäre Steuerverteilung, LFA etc.). Schwierig ist aber die objektive Ermittlung des Finanzbedarfs des Bundes bzw. eines Landes. Es gilt daher vermehrt über Benchmarking 657 und andere Hilfsmittel der Datenerhebung, den Finanzbedarf der einzelnen öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften möglichst exakt zu ermitteln. Eine Grenze der aufgabenadäquaten Finanzausstattung ist der Vorbehalt des Möglichen, d. h. die Finanzmittel als Verteilungsmasse sind nicht beliebig erhöhbar. Die Konsequenz dieses Vorbehaltes ist eine zweifache Einschränkung der Gewährleistung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung für Bund und Länder: Die Finanzausstattung steht in Relation zu den erzielten Gesamteinnahmen und es besteht im Finanzausgleich für den Bund und die einzelnen Länder jeweils ein gleichmäßiger Anspruch auf eine aufgabenadäquaten Finanzausstattung. 658 Unter Beachtung dieser Einschränkungen gilt es, die Finanzordnung in Zukunft dahingehend zu optimieren, dass dem Bund und den einzelnen Bundesländern durch eine Reform auf der Ausgaben- und Einnahmenseite wieder eine aufgabenadäquate Finanzausstattung gewährleistet wird. 655
S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 100; H.-P. Schneider, NJW 1991, S. 2448 (2452). 656 BVerfGE 72, 330 (383); 86, 148 (214). 657 Nach dem im Rahmen der Föderalismusreform II neu in das Grundgesetz eingefügten Art. 91d GG können Bund und Länder zur Feststellung und Förderung der Leistungsfähigkeit ihrer Verwaltung Vergleichstudien durchführen und diese veröffentlichen. 658 S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 104 f.
222
2. Teil: Finanzordnung und Reform
b) Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche und Stärkung der Eigenverantwortung Wie bereits an einer anderen Stelle aufgezeigt wurde, ist es im Zuge der Föderalismusreform I in der Finanzordnung sowohl auf der Ausgabenseite 659 als auch geringfügig auf der Einnahmenseite 660 zu einer Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche zwischen Bund und Ländern gekommen. Dennoch besteht das dahinter liegende Problem der Kompetenzverflechtung in abgeschwächter Form fort. 661 Im Sinne der den öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften eingeräumten Autonomie und der Schaffung von mehr Transparenz hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben zwischen den bundesstaatlichen Ebenen bedarf es weiterer Änderungen. Im Bereich der Ausgabenregelungen ist ersichtlich, dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen Bundes- und Länderkompetenzen immer noch fehlt, da die Mischfinanzierungstatbestände nicht abgeschafft, sondern nur eingegrenzt wurden. Somit ist es auch weiterhin möglich, dass der Bund in Teilbereichen durch ein Angebot der Kostenübernahme mittelbar in den Aufgabenverantwortungsbereich einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft eingreifen kann oder sogar unmittelbar zur Finanzierung berechtigt ist. Dies schränkt vor allem die Autonomie der Länder nicht unerheblich ein. Die Überschneidungen bei den Finanzierungskompetenzen von Bund und Ländern lassen die Verbindung von Finanzierungsverantwortung und Aufgabenzuständigkeit oft nicht klar erkennbar werden. Dies führt zu Effiziensverlusten, da die Verantwortlichkeit für die Kosten nicht eindeutig zugeordnet ist. Öffentliche Leistungen werden dadurch häufig in einem größeren Umfang angeboten als erforderlich, was die Gesamtstaatsausgaben erhöht. Mischfinanzierungstatbestände können jedoch in Ausnahmefälle mangels anderer Finanzierungsmöglichkeiten gesamtstaatlich überragend bedeutender Aufgaben erforderlich sein, sollten aber grundsätzlich bei weiteren Reformen auf das Notwendige (durch eine weitere Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche) zurückgeführt werden. Ähnlich verhält es sich bei den staatlichen Einnahmeregeln. Der Bund und die Länder sind nach der geltenden Finanzordnung überwiegend nicht getrennt voneinander in der Lage, über ihre eigenen Steuereinnahmen bestimmen zu können. Aufgrund der z.T. auseinander fallenden Steuergesetzgebungs- und Steuerertragskompetenzen und der Tatsache, dass nahezu jede Änderung eines Steuersatzes der Zustimmung der jeweils anderen Ebene bedarf, kam es in der Vergangenheit bei wichtigen Reformvorhaben mehrfach zur Blockade durch den Bundestag bzw. Bundesrat. Durch eine partielle Entflechtung der Steuergesetz659 660 661
Vgl. Zweiter Teil Kap. B.I. Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.1.b). Vgl. auch C. Waldhoff, KritV 2008, S. 213 (224 ff.).
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
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gebungs- und Steuerertragskompetenzen im Sinne einer eindeutigen Zuteilung beider Verantwortungsbereiche entweder auf den Bund oder auf die Länder ist dieses Problem zu entschärfen. Mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer verfügen die Länder über keine eigenständigen Steuergestaltungsmöglichkeiten. Da sogar die Ländersteuern, deren Aufkommen alleine den Gliedstaaten zufließt, durch zustimmungspflichtige Bundesgesetze geregelt werden, haben die Länder nur wenige Möglichkeiten Ausgabensteigerungen eigenständig zu kompensieren. Um die Steuerautonomie der Gebietskörperschaften zu erweitern, könnte den Bundesländern ein Steuergestaltungsspielraum z. B. bei den Gemeinschaftssteuern eingeräumt werden. Neben der Entflechtung der Steuergesetzgebungskompetenzen müssen auch im Finanzausgleichsystem die Verantwortungsbereiche von Bund und Ländern besser getrennt werden. Alle öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften sollten sich grundsätzlich aus eigenen Finanzmitteln, d. h. besonders aus den ihnen zugeteilten Steuererträgen finanzieren können. Insoweit gilt es bei anstehenden Reformvorhaben, kompensatorische, sekundäre Finanztransfers an einzelne Bundesländer, wie z. B. auf vertikaler Ebene die Bundesergänzungszuweisungen oder auf horizontaler Ebene den Länderfinanzausgleich, vor dem Hintergrund einer zu ändernden Ertragsverteilung einzuschränken. Eine Abkehr von den Bundesergänzungszuweisungen verringert den Einfluss des Bundes auf die Empfängerländer und fördert damit die Länderautonomie. Ferner wird verhindert, dass der Bund seine geleisteten Bundesergänzungszuweisungen als Argument für eine Änderung der Steuerertragsaufteilung zu seinen Gunsten anbringt. Der Länderfinanzausgleich ist jedoch als solidarischer Ausgleich unter den Ländern grundsätzlich beizubehalten. Änderungen sind nur hinsichtlich einer moderaten Absenkung des Ausgleichsvolumens sinnvoll. Die Vorgabe zur Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche zwischen Bund und Ländern und den Bundesländern untereinander für weitere Reformen der Finanzordnung steigert die Eigenverantwortung der öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaften für ihre Finanzwirtschaft. Dieser „Nebeneffekt“ ist äußerst wichtig, da er Bund und Länder zu einem effizienteren Einsatz ihrer Finanzmittel zwingt. c) Schaffung von Anreizen zum effizienten Einsatz von Finanzmitteln Zur Fortentwicklung der bundesstaatlichen Finanzordnung müssen weiterhin mehr Anreize zum effizienteren Einsatz von Finanzmitteln geschaffen werden. Dies gilt vor allem für das System des Finanzausgleichs. Momentan ist der Finanzausgleich sehr stark vom Gebot der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse geprägt. Vereinfacht dargestellt führen die gegenwärtigen Regelungen dazu, dass den Bundesländern, die sich erfolgreich um zusätzliche Steuereinnah-
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
men bemühen, ihr zusätzliches Aufkommen über den Finanzausgleich im Wege der Umverteilung wieder in weiten Teilen genommen wird. Da finanzpolitisch ineffizient handelnde Länder jederzeit fast vollständig durch das bestehende System des Finanzausgleichs aufgefangen werden, indem die mit den verfügbaren Steuermitteln pro Kopf der Bevölkerung bestimmten Unterschiede in der primären Finanzausstattung der Bundesländer durch die verschiedenen Verteilungsstufen zwischen den Bundesländern nahezu vollständig ausgeglichen werden, gibt es kaum Anreize zu einem finanzpolitisch verantwortlichen Handeln. Der Abschöpfungsgrad zusätzlich erzielter Einkommen der einzelnen Bundesländer (sog. „Grenzbelastung“) kann in besonders schwerwiegenden Fällen 90 % betragen. 662 So verbleiben einigen Länder von 1.000 € zusätzlichen Lohnsteuereinnahmen z.T. weniger als 100 €, da der Rest im Finanzausgleich abgeschöpft wird. Betroffen hiervon sind nicht nur die Geberländer im Länderfinanzausgleich, sondern auch einige Netto-Empfänger. Paradoxerweise wäre es nach dem jetzigen Finanzausgleichsystem für einige Bundesländer besser, verstärkt konsumtive Ausgaben zu tätigen, da diese der eigenen Landesbevölkerung vollständig und unmittelbar zufließen. Investitionen, die auf zukünftige steuerliche Mehreinnahmen zielen, würden später im Zweifelsfall über den Finanzausgleich fast vollständig in andere Bundesländer transferiert werden. Zur Überwindung dieses, den gesamten Bundesstaat betreffenden Missstandes, müssen daher unbedingt effizienzsteigernde Anreize in das bestehende System integriert werden. Im Einzelnen sind die Anreizprobleme auf unterschiedlichen Stufen des Finanzausgleichsystems zu verorten. Bei der primären Steuerverteilung sind die Steuern mit dem höchsten Aufkommen Gemeinschaftssteuern. Ein beachtlicher Teil des örtlichen Steueraufkommens der Länder wird auf den Bund verteilt. Bei der Verteilung unter den Ländern erfolgen die Verteilung der Umsatzsteuer nach der Einwohnerzahl und die Verteilung bei der Lohnsteuer nach dem Wohnsitzprinzip. Gerade durch diese Steuerzerlegung verlieren einige Staaten viel von ihrem Aufkommen an angrenzende Bundesländer. Eine sich mehr an der Wirtschaftskraft orientierende Zerlegung würde einen Anreiz für mehr Wachstum geben. Weitere Anreizprobleme stellen die Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer und der Länderfinanzausgleich dar, da sie das Steueraufkommen finanzschwacher Länder in unterschiedlichem Ausmaß verhältnismäßig stark zum Länderdurchschnitt auffüllen und somit einen effizienten Einsatz von Finanzmitteln verhindern. Dies gilt auch für die Bundesergänzungszuweisungen. Die Schaffung von Anreizen zum effizienteren Einsatz von Finanzmitteln ergänzt insoweit die Vorgabe der Stärkung der Eigenverantwortung der Länder.
662
Bundesverband deutscher Banken, KOM 120, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 18.
C. Vorgaben für eine Reform der Finanzordnung
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d) Fairer Wettbewerb Zukünftige Reformen der Finanzordnung dürfen nur erfolgen, wenn die Änderungen einen fairen Wettbewerb der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften garantieren. Aus dem Gebot der Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse ergibt sich, dass eine wirtschaftliche und soziale Einheitlichkeit vor allem der Bundesländer gewährleistet bleiben muss, die nicht durch Änderungen der Finanzordnung ausgehebelt werden darf. Diese Gewährleistung beinhaltet aber gerade kein Gebot zur absoluten Vereinheitlichung, d. h. Unterschiede zwischen den Gliedstaaten hinsichtlich ihrer Einnahmen und Ausgaben sind als Ausfluss der Länderautonomie dem Bundesstaat inhärent. Die Vorgabe zur Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Einheitlichkeit im Bundesstaat beinhaltet grundsätzlich keine Pflicht der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften, als Solidargemeinschaft finanzwirtschaftliche Unterschiede als solche zu egalisieren. 663 Ein gewisses Maß an Wettbewerb ist durch die vorhandene Autonomie der verschiedenen Ebenen als Charakteristikum fester Bestandteil des Bundesstaates. Sie ist somit vielmehr als die Gewährleistung einer Untergrenze zu verstehen, die zur Hilfeleistung verpflichtet, wenn die Infrastruktur eines Beteiligten aufgrund einer finanziellen Schieflage zu kollabieren droht. In diesem Fall gebietet das Homogenitätserfordernis, dass fairer Wettbewerb wieder möglich wird. Die Vorgabe des fairen Wettbewerbs umfasst weiterhin das Erfordernis „vergleichbarer Startbedingungen“. 664 Weitreichende Änderungen der Finanzordnung sind nur bei grundsätzlich vergleichbaren Startbedingungen der Beteiligten umzusetzen. Gemeint ist hier keine echte faktisch-ökonomische Gleichheit der Bürger bzw. der Bundesländer als staatsorganisationsrechtliche Ausprägung des Zusammenlebens in Form öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften. Es muss vielmehr gewährleistet sein, dass bei bedeutenden Änderungen der Finanzordnung im Sinne einer Neuausrichtung der Verteilung der Finanzmittel, keine hiervon abhängige Gebietskörperschaft in eine Situation gebracht wird, in der absehbar ist, dass sie die obligatorischen Staatsaufgaben zukünftig nicht mehr erledigen können wird. Konkret müssen z. B. bei der Einführung von mehr Wettbewerbselementen in die Finanzordnung alle bestehenden Bundesländer in die Lage versetzt werden, sich in einem neu eröffneten Wettbewerb behaupten zu können. Sollte jedoch schon zu Beginn absehbar sein, dass ein Wettbewerb für einzelne Länder aufgrund ihrer Finanzlage nicht möglich ist, dann müssen die Startchancen auf einem anderen Weg auf ein konkurrenzfähiges Maß angehoben werden. Für nachträglich eintretende Haushaltsnotlagen müssen in der Finanzordnung Instrumente der bundesstaatlichen Solidarität vorgesehen sein. 663
I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 63 f., 173. Die Anwendung des Begriffs der „Chancengleichheit“ verbietet sich hier, da (Start-)Chancengleichheit nicht „strikt“ umsetzbar ist, vgl. hierzu ausführlich F. Ekardt, Wird die Demokratie ungerecht?, S. 120 ff. 664
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Leistungsschwachen Bundesländern ist in Extremsituationen finanzielle Hilfe (z. B. über den Länderfinanzausgleich, Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen) zu gewähren. Die Grenze der Umverteilung muss aber sein, dass die zur Hilfeleistung verpflichteten nicht selbst durch diese Verpflichtung gefährdet werden, in eine finanzielle Schieflage zu geraten. Finanzwirtschaftlich erfolgreichen Gliedstaaten steht ein spürbarer Anteil ihrer erfolgreichen Finanzpolitik zu. Die Garantien der Homogenität, annährend vergleichbarer Startbedingungen und der Solidarität schützen somit die Funktionsfähigkeit des Staates im Ganzen, indem sie die bestehenden öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften finanziell am Leben erhalten. Die Fähigkeit eines jeden Gliedstaates zu einem autonomen, eigenverantwortlichen Handeln ist im bundesdeutschen Föderalstaat zu gewährleisten. Es ist aber sehr schwer aus dem Gebot eines fairen Wettbewerbs konkrete Anforderungen für eine Reform der Finanzordnung zu entnehmen, da es hierfür keine exakten Maßstäbe gibt. Konkret kann man der Vorgabe zur Einhaltung des fairen Wettbewerbes entnehmen, dass der Länderfinanzausgleich als Instrument der Ländersolidarität grundsätzlich zur Erhaltung des föderalen Gleichgewichts zwischen Bund und Ländern und den Ländern untereinander erhalten bleiben sollte. Ferner muss bei einer möglichen Erweiterung der Steuerautonomie der Länder darauf geachtet werden, dass alle Bundesländer bei einem damit verbundenen Steuerwettbewerb im Ergebnis mit genügend Finanzmittel ausgestattet sind.
III. Zwischenergebnis Anhand einer ökonomischen und verfassungsrechtlichen Wertung hat sich gezeigt, dass die Finanzordnung grundsätzlich einer Reform bedarf. Obwohl die Einnahmen- und Ausgabenbetrachtung für den öffentlichen Gesamthaushalt im Jahr 2007 seit Jahrzehnten einen Finanzierungsüberschuss von 11,3 Mrd. € ausweist, zeigt sich im Ergebnis, dass trotz vorhandener Mittel, bisher keine aufgabenadäquate Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander besteht. Auch dem Freiheits- und Bundesstaatsprinzip lässt sich ein Gebot für eine Reform der Finanzordnung entnehmen. Die sich gegeneinander aufwiegenden Ausprägungen zentraler Verfassungsprinzipien, sowohl beim Freiheits- als auch beim Bundesstaatsprinzip, führen dazu, dass diese auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Prinzipien dem finanzordnungsändernden Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum bei der künftigen Gestaltung der Finanzordnung geben. Es lassen sich dennoch abwägungsleitende Prinzipien für künftige Reformen der Finanzordnung daraus herleiten. Hierzu zählt u. a., dass Verteilungskonflikte zwischen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften nicht unbegrenzt so gelöst werden dürfen, dass man durch die Aufnahme von Krediten künftige Steuerzahler für die heutige Aufgabenerfüllung zahlen lässt. Die vorhandenen Finanzmittel müssen nach dieser Prämisse vor allem über den
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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primären Finanzausgleich bedarfsgerechter verteilt werden, was zunächst die Herstellung von Transparenz (u. a. mittels ökonomischer Analyse) zur Ermittlung des wirklichen Finanzbedarfs der einzelnen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften voraussetzt. 665 Der rechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform der Finanzordnung ist im Ergebnis sehr groß. Abgesehen von der obligatorischen Beachtung der Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 GG hat der Verfassungsgesetzgeber freie Hand bei der Umgestaltung der Finanzordnung. Eine Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss allgemein das Ziel verfolgen, den Staat bei Rückführung der Staatsquote zu verschlanken und die Staatsverschuldung zu senken. Dies muss über eine Autonomiestärkung der Ebenen im Bundesstaat erfolgen. Hierbei ist eine Neujustierung auf der Einnahmen- und Ausgabenseite u. a. nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz zu beachten. Alle im Folgenden zu erörternden Reformvorschläge müssen hierbei in Einklang mit der bündischen Komponente des „Einstehens füreinander“ gebracht werden. Aus rechtspolitischer Perspektive müssen künftige Reformen der Finanzordnung insoweit vor allem auf die Gewährleistung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung, auf die Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche und Stärkung der Eigenverantwortung, auf die Schaffung von Anreizen zum effizienteren Einsatz von Finanzmitteln und auf die Schaffung von Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb zielen.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung Vor dem Hintergrund zukünftiger Reformen der Finanzordnung sollen im Folgenden verschiedene Reformoptionen hinsichtlich der staatlichen Aufgabenund Ausgaben sowie den Einnahmeregelungen diskutiert werden. Im Zentrum steht die Frage, wie die Finanz- und Steuerausstattung von Bund und Ländern zukünftig aussehen soll und mit welchen rechtlichen Instrumenten sie beständig gesichert werden kann. Aufgrund der Vielzahl der existierenden Änderungsvorschläge konzentriert sich die weitere Bearbeitung auf eine für zweckmäßig erachtete Auswahl.
I. Staatliche Ausgabenregelungen Die Verteilung der Ausgabenverantwortung zwischen Bund und Ländern ist zentraler Gegenstand des Art. 104a GG. 666 Im Rahmen der Diskussion um eine 665 Vgl. zur Anwendbarkeit der Ergebnisse analytisch-empirischer Analyseinstrumente der Ökonomie im Bereich der Rechtsetzung (ökonomischen Theorie des öffentlichen Rechts) J. F. Lindner, JZ 2008, S. 957 ff.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Reform der Finanzordnung werden bzgl. der Verteilung der Ausgabenlasten auf Verfassungsebene insbesondere eine Novellierung des Art. 104a Abs. 1 GG 667 als „große Lösung“ sowie eine Änderung des Art. 104a Abs. 3 GG 668 als „kleine Lösung“ diskutiert. Hintergrund der Diskussion ist die Verteilung der Ausgabenlastenverantwortung für den durch Bundesgesetze eingegrenzten Aufgabenvollzug der Bundesländer. Zurzeit werden die Länder und Kommunen vor allem durch Bundesgeldleistungsgesetze wie z. B. die zahlreichen Ausgaben für Sozialleistungen in ihrer Länderautonomie beeinträchtigt. Ferner sind die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben und die Bundesfinanzhilfen als Mitfinanzierungsbefugnisse des Bundes für Länderaufgaben sowie die mit der Föderalismusreform I eingeführte Regelung der Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei gemeinschaftsrechtlichen Zahlungsverpflichtungen zu überdenken. 1. Kein Übergang von der Vollzugs- zur Gesetzeskausalität Problematisch erscheint im Rahmen der Aufgaben- und Ausgabenregelungen die vom Verfassungsgesetzgeber vorgenommene Verknüpfung der Kostentragungspflicht mit der Verwaltungskompetenz. Hierbei wird der eigentliche Regelfall, bei dem der Bund Gesetze erlässt und die Länder diese gem. Art. 83, 84 GG als eigene Angelegenheiten oder nach Art. 85 GG im Auftrag des Bundes auszuführen haben, aufgrund der über Art. 104a Abs. 1 GG einhergehenden Finanzierungszuständigkeit der Länder schon mal als „verhängnisvoller föderaler Aberwitz“ tituliert. 669 Das hierin zum Ausdruck kommende Unverständnis für diese Regelung resultiert aus der Tatsache, dass nicht derjenige, der das kostenverursachende Gesetz erlässt und damit die Aufgaben veranlasst (der Bund) die entstehenden Haushaltsbelastungen zu tragen hat, sondern wer das Gesetz ausführt (die Länder). 670 Die Reformdebatte zur Verteilung der Ausgabenverantwortung im Verhältnis von Bund und Ländern hat deswegen einen „großen“ Lösungsvorschlag im Bereich des Art. 104a Abs. 1 GG 671 sowie alternativ eine 666 J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 34; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 5. 667 Vgl. H.-G. Henneke, Die vorgebliche „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ durch die Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission aus Sicht der Kreise, in: H.-G. Henneke / H. Maurer / F. Schoch, Die Kreise im Bundesstaat, S. 61 (129); F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (94); F. Schoch, ZRP 1995, S. 387 (388); C. Wagner / D. Rechenbach, ZRP 2003, S. 308 (314). 668 Vgl. P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2066 f.); ähnlich schon Enquête-Kommission Verfassungsreform, Schlussbericht, S. 200 ff. 669 Vgl. C. Gröpl, DVBl. 2006, S. 1079 (1083). 670 BVerfGE 26, 338 (390); BVerwGE 44, 351 (364); 98, 18 (21 f.); H. H. v. Arnim, in: HdbStR VI, § 138 Rn. 11; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 13; J. Karstendiek, ZRP 1995, S. 49 (50); F. Schoch, ZRP 1995, S. 387 (388); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1137 f.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Änderung des Art. 104a Abs. 3 GG 672 als vermeintlich „kleinen“ Lösungsvorschlag – auf den nachfolgend noch eingegangen wird – hervorgebracht. Als umfassende Veränderung des Systems der Lastentragung schlägt ein Teil der Literatur vor, die bisher grundgesetzlich angeordnete Vollzugskausalität durch das Prinzip der Gesetzeskausalität zu ersetzen („große Lösung“). 673 Demzufolge trügen die Finanzierungslasten eines Gesetzesvorhabens wer das Gesetz erlässt und damit die Aufgaben veranlasst. Gestützt wird der Reformvorschlag u. a. auf das Argument, dass von einem Entscheidungsspielraum der Verwaltung aufgrund eines oftmals ausgeschlossenen Verwaltungsermessens nicht mehr gesprochen werden kann. Die Ausgabenverlagerung durch den Bund auf die Länder verursacht z.T. auch auf der horizontalen Ebene Probleme, da sie zu erheblichen Unterschieden in den Belastungswirkungen zwischen den einzelnen Ländern führt. 674 Die Trennung von Gesetzgebungskompetenz einerseits und Verwaltungskompetenz und Finanzierungslast andererseits ist aber eine bewusste Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers, das Verursacherprinzip außer Kraft zu setzen und bewirkt dadurch, dass der Kostenverursacher die Ausgabenlast vielfach nicht spürt. Dennoch sprechen gewichtige Gründe für die Beibehaltung der bestehenden Regelung. Zum einen ist es nicht richtig, dass die Kosten ausschließlich vom Gesetzgeber verursacht werden. Die Kosten werden sowohl durch den Bund (mittelbar durch Gesetzeserlass) als auch die ausführende Länderverwaltung (unmittelbar durch die konkrete Verwaltungsentscheidung im Rahmen des Gesetzes) verursacht. Führte man das Prinzip der Gesetzeskausalität ein, entbände man die Landesverwaltungen von den finanziell belastenden Folgen ihrer kon671 D. Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, S. 198 f.; H.-G. Henneke, Die vorgebliche „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ durch die Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission aus Sicht der Kreise, in: H.-G. Henneke / H. Maurer / F. Schoch, Die Kreise im Bundesstaat, 1994, S. 61 (129); K.-D. Henke / G. F. Schuppert, Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 61; F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (94, 158); U. Schliesky, DÖV 2001, S. 714 ff.; F. Schoch, ZRP 1995, S. 387 (388); F. Schoch / J. Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Abgaben, S. 145 ff.; C. Wagner / D. Rechenbach, ZRP 2003, S. 308 (314). 672 Vgl. Enquête-Kommission Verfassungsreform, Schlussbericht, S. 200 ff.; P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2066 f.). 673 D. Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, S. 198 f.; H.-G. Henneke, Die vorgebliche „Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung“ durch die Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission aus Sicht der Kreise, in: H.-G. Henneke / H. Maurer / F. Schoch, Die Kreise im Bundesstaat, 1994, S. 61 (129); K.-D. Henke / G. F. Schuppert, Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 61; F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (94, 158); W. Kluth, Lastenverteilung – Ansatzpunkte für eine Stärkung der Finanzautonomie von Ländern und Kommunen, in: H.-G. Henneke, Verantwortungsteilung zwischen Kommunen, Ländern, Bund und EU, S. 151 (171 f.). 674 H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 28; J. Wieland, DVBl 1992, S. 1181 (1186).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
kreten Entscheidung. Es wären kostenintensive Entscheidungen der Landesverwaltungen zu Lasten des Bundeshaushaltes zu erwarten. 675 Nach dem geltenden Prinzip der Vollzugskausalität haben die Länder darüber hinaus die Möglichkeit, finanziell für sie besonders nachteilige Gesetzesvorhaben über den Bundesrat zu verhindern. Hinzu tritt, dass die Einführung des Gesetzeskausalitätsprinzips eine Unitarisierung bewirken würde, indem Länder und Bund finanzpolitisch nicht mehr gleichwertig wären. 676 Historisch betrachtet sollte die Einführung der aktuellen Regelung in Art. 104a Abs. 1 GG den Verantwortungsbereich der Länder im Bereich der Finanzwirtschaft stärken. 677 Letztlich wäre bei einer solchen Änderung mit einer Ausweitung der Mischfinanzierung zu rechnen, die den bisherigen Bestrebungen, die fiskalischen Verflechtungen abzubauen, zuwiderlaufen würden. 678 Im Ergebnis ist von einer Veränderung der Vollzugskausalität gem. Art. 104a Abs. 1 GG abzuraten. Sollte es jedoch durch eine Übertragung von Aufgaben des Bundes auf die Länder zu finanziellen Mehrbelastungen der Länderhaushalte kommen, muss in Zukunft – wenn möglich verbindlich normiert – eine finanzielle Kompensation vorgenommen werden. Diese könnte über eine Veränderung des Art. 104a Abs. 3 GG („kleine Lösung“), die Aufnahme von Kostendeckungsvorschriften oder nach geltendem Recht über eine Einrechnung der entstandenen Mehrkosten im Rahmen der Festlegung der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern erfolgen. 679 Das Problem der Aufgaben- und Ausgabenverschiebung auf die Kommunen hat sich durch die Einführung von Art. 84 Abs. 1 S. 6 GG, der eine Aufgabenübertragung vom Bund auf die Gemeinden verbietet, erledigt. 680 2. Weiterer Abbau der Mischfinanzierungstatbestände Im Zuge der Föderalismusreform I wurden einige Mischfinanzierungstatbestände abgebaut bzw. neu geordnet. Zu einer klaren Entscheidung für oder ge675 S. Korioth, Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen?, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 677 (691); ders. ZG 2007, S. 1 (11); S. Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, S. 150 ff.; P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2065 f.). 676 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 104a Rn. 76; P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2065); ders., NVwZ 2007, S. 872 (874). 677 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 202; S. Korioth, Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen?, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 677 (690). 678 F. Ekardt / D. Buscher, DÖV 2007, S. 89 (91); W. Heun, DVBl 1996, S. 1020 (1025), zu beachten sind insoweit auch die Änderungen bzgl. der Art. 91a, b GG im Rahmen der Föderalismusreform I. 679 Vgl. hierzu ausführlich im Anschluss Zweiter Teil Kap. D.I.2.a). 680 J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 316.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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gen ein System der Mischfinanzierung oder einer überzeugenden umfassenden Weiterentwicklung des Systems ist es nicht gekommen. Vielfach wird ein weiterer Abbau der Mischfinanzierungstatbestände aufgrund der charakteristischen Verwaltungs- und Koordinierungsschwierigkeiten und der ausgabensteigernden Effekte gefordert. 681 So wurde z. B. die Grundsicherung für Arbeitssuchende („Harz IV“) gem. §§ 41 ff. SGB, obwohl sie mit ca. 50 Mrd. € Gesamtvolumen die größte Mischfinanzierung darstellt, bisher nicht zum Gegenstand weiterer Eingrenzungen gemacht. 682 a) Änderungen des Art. 104a Abs. 3 und 4 GG Einem Übergang von der Vollzugs- zur Gesetzeskausalität („große Lösung“) ist eine Reform der Regelungen über Geldleistungsgesetze gem. Art. 104a Abs. 3 GG und der Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 104a Abs. 4 GG als „kleine Lösung“ vorzuziehen. Die „kleine Lösung“ der Lastenverteilungsproblematik knüpft an Veränderungen der Art. 104a Abs. 3 und 4 GG an, die neben Abs. 2 eine der normierten Ausnahmen vom Konnexitätsprinzip darstellen. Art. 104a Abs. 3 GG ermöglicht es dem Bund, sich bei Geldleistungsgesetzen an den anfallenden Lasten zu beteiligen. Ferner könnte man zur Schaffung von mehr Ausgabenautonomie der Länder über die Einführung eines grundgesetzlichen Abweichungsrechts bzw. einer einfachgesetzlichen Öffnungsklausel nachdenken. aa) Überarbeitung der Zustimmungsbedürftigkeit (Art. 104a Abs. 4 GG) und Normierung einer obligatorischen Bundesbeteiligung des Bundes bei Bundesgesetzen über Geldleistungen (Art. 104a Abs. 3 GG) Der bundesgesetzlich vermittelte Anspruch auf Geldleistungen ist dadurch gekennzeichnet, dass den Ländern im Verwaltungsvollzug aufgrund der Durchnormierung oft kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Höhe der zu verausgabenden Mittel bleibt. An Art. 104a Abs. 3 GG wird kritisiert, dass er die ursprüngliche Intention, die Länder im Fall eines nicht zugestandenen Ermessensspielraums zu entlasten, verfehlt und nicht einer klaren Abgrenzung der Finanzierungsbefugnisse und –lasten entspricht. 683 Er erfasst das Auseinanderfallen von Verwaltungszuständigkeit und Aufgabenverantwortlichkeit nur unzureichend. Fraglich ist, wie man solchen Fällen der „Ermessenreduzierung gen Null“ begegnet. Im Angesicht der bekannten Problematik einigte man sich im Rahmen 681 U. Häde, JZ 2006, S. 930 (935); S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (5 f.); P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (874). 682 S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (6); C. Waldhoff, KritV 2008, S. 213 (215). 683 H. H. v. Arnim, in: HdbStR VI, § 138 Rn. 46.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
der Föderalismusreform I darauf, dass Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG aus dem Grundgesetz gestrichen und in Abs. 4 eine umfassende Zustimmungspflicht der Länder für Gesetze zur Erbringung von Geldleistungen oder auch geldwerten Sachleistungen, zu denen laut Gesetzesbegründung auch vergleichbare Dienstleistungen zählen sollen, verankert wird. 684 Die Einführung des neuen Zustimmungstatbestandes in Art. 104a Abs. 4 GG widerspricht aber dem angestrebten Reformziel, die Zahl der Zustimmungsgesetze deutlich zu reduzieren und hebt den durch die Änderung des Art. 84 GG erfolgten Abbau von Politikverflechtungen von Bund und Ländern in Teilbereichen wieder auf. 685 Der Gesetzgeber hat es unterlassen, dem Bund die Möglichkeit einzuräumen, das Zustimmungserfordernis durch die volle Übernahme der Lasten von Sach- und Dienstleistungsgesetzen zu umgehen. Sollte man die Zustimmungspflicht des Bundesrates grundsätzlich beibehalten wollen, dann besteht an dieser Stelle Nachbesserungsbedarf. Dieser politisch-prozeduralen Lösung ist aufgrund der mit ihr einhergehenden Probleme möglicherweise eine materielle Lösung in Form eines finanziellen Ausgleichs vorzuziehen. Eine denkbare Alternative wäre eine Kompensation der vom Bund vorgegebenen Länderausgaben bei Gesetzen über Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen über die Umsatzsteueranteile nach Art. 106 Abs. 3 GG. Dieser systematisch grundsätzlich überzeugende Ansatz leidet aber an Durchsetzungsdefiziten aufgrund des den Berechnungen zugrunde liegenden höchst umstrittenen Deckungsquotenverfahrens und ist daher unpraktikabel. Vorzugswürdig ist somit die verfassungsrechtliche Verankerung einer obligatorischen Bundesbeteiligung bei Bundesgesetzen über Geldleistungen in Art. 104a Abs. 3 GG. 686 Fraglich ist, wann eine solche Regelung greift und wie hoch die Beteiligungsquote des Bundes an den durch das Gesetzesvorhaben anfallenden Kosten liegen sollte. Bei der Festschreibung einer verpflichtenden Bundesbeteiligung könnte man, gestuft nach der Größe des verbleibenden Ermessensspielraumes der Länder beim Vollzug des Gesetzes versuchen, einen Grenzwert festzulegen, ab dessen Überschreiten der Bund die anfallenden Kosten zu übernehmen hat. Da eine hierfür notwendige zahlenmäßige Erfassung des verbleibenden Ermessensspielraumes der Verwaltung mangels verlässlicher Instrumente kaum möglich erscheint, ist dieser Vorschlag nicht umsetzbar. Die einzige Möglichkeit ist die Einführung einer zwingenden Bundesbeteiligung bei Bundesgesetzen über Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen an den hierdurch entstehenden Landesausgaben bei Vorliegen jedweder Einschränkung des Vollzugsspielraums. 687 Eine solche zwingende Bundesbetei684
Vgl. BGBl. 2006 I, S. 2034 (2036). So auch J. Hellermann, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 322; I. Kesper, NdsVBl. 2006, S. 145 (147). 686 H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 131 f.; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 311 ff. 685
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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ligung hätte unter föderalen Gesichtspunkten den begrüßenswerten Nebeneffekt, dass der Tendenz des Bundes zu einer immer höheren Regelungsdichte entgegengewirkt werden würde. Fraglich ist ferner in welcher Höhe der Bund an den Kosten, die durch Bundesgesetze über Geldleistungen bei den Ländern verursacht werden, zu beteiligen ist. Um den Abbau der Mischfinanzierung voran zu treiben, könnte man die Kosten in besagten Fällen komplett dem Bund zuweisen. 688 Eine solche Lösung würde aber zu Anreizdefiziten hinsichtlich der Kontrolle des Ausgabenverhaltens führen, da das Handeln der Verwaltungsträger auch bei eingeschränktem Ermessen noch Auswirkungen hat. Daher kommt nur eine Teilung der Kosten zwischen Bund und Ländern in Betracht. Eine solche Mischfinanzierungslösung ist in diesem Fall sinnvoll, da sie den Verwaltungsträgern einen Anreiz zum Sparen gibt. Die genaue Verteilung der Kostenanteile bedarf einer weitergehenden Prüfung. Eine flexible Aufteilung von Gesetz zu Gesetz erscheint wegen des damit verbundenen Verhandlungsaufwandes unpraktisch. Vielmehr bietet sich eine starre Quote an, bei der die Hauptlast auf den Bund entfällt. Möglich wäre z. B. eine Aufteilung der Kosten von 80/20 (Bund / Land). 689 Im Ergebnis ist zunächst die gerade erst eingeführte und auf eine politische Kompromisslösung setzende Zustimmungspflicht der Länder in Art. 104a Abs. 4 GG auf ihre Tauglichkeit in der Praxis zu überprüfen. Sollten aus ihr in Zukunft unbefriedigende Ergebnisse resultieren, ist sie wieder abzuschaffen und durch die Einführung eines finanziellen Augleichs in Form einer obligatorischen Bundesbeteiligung mit festgeschriebener Beteiligungsquote des Bundes bei Bundesgesetzen über Geldleistungen in Art. 104a Abs. 3 GG zu ersetzen. bb) Einführung eines grundgesetzlichen Abweichungsrechts bzw. einer einfachgesetzlichen Öffnungsklausel? Wie bei der Diskussion über eine zu erweiternde Einnahmenautonomie könnte man auch auf der Ausgabenseite über eine stärkere Eigenverantwortlichkeit der Länder nachdenken. Bis heute sind die Länderhaushalte auf der Ausgabenseite nicht sehr flexibel, da der überwiegende Anteil der Ausgaben durch bundesge687 F. Schoch / J. Wieland, Finanzierungsverantwortung für gesetzgeberisch veranlasste kommunale Abgaben, S. 146; C. Wagner / D. Rechenbach, ZRP 2003, S. 308 (309 f.); R. Wendt, SuS 1993, S. 56 (68); vgl. auch Vorschlag der Enquête-Kommission Verfassungsreform aus dem Jahr 1976, wonach der Bund 80 % der Kosten von Geldleistungsgesetzen tragen sollte (BR-Drs. 7/5924, S. 196 [1.4.1.], 210 f. [3.6.4.]); Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg v. April 1993, der eine Tragung der Ausgabenlast des Bundes von 50 % vorsah (BR-Drs. 240/93). 688 P. Selmer, NJW 1996, S. 2062 (2067). 689 Zu den möglichen Anforderungen an die Durchführung der Kostenerstattung ausführlich F. Kirchhof, Gutachten D, 61. DJT, S. D 66 ff.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
setzliche Vorgaben festgelegt wird. Der Großteil hiervon resultiert aus den Geldleistungsgesetzen gem. Art. 104a Abs. 3 GG. Hierbei hat der Bund wie bereits dargstellt die Gesetzgebungskompetenz, während die Finanzierung teilweise vom Bund, zum überwiegenden Teil aber von den Ländern bzw. ihren Gemeinden übernommen wird. Darüber hinaus gibt der Bund in vielen Aufgabenbereichen bundesweite Standards vor, die von den mit der Aufgabendurchführung betrauten Ländern zu befolgen sind. Man könnte aufgrund der starren Vorgaben auf der Ausgabenseite überlegen, den Ländern durch ein grundgesetzlich verankertes Abweichungsrecht oder alternativ – ohne Änderung der Verfassung – durch einfachgesetzliche Öffnungsklauseln in den jeweiligen Leistungsgesetzen die Möglichkeit einräumen, von den gesetzlichen Vorgaben des Bundes abzuweichen. Dies könnte insbesondere bei Geldleistungsgesetzen wie z. B. dem Wohngeldgesetz, dem Aufstiegsfortbildungsgesetz, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Unterhaltsvorschussgesetz gelten, die auf Grundlage von Art. 104a Abs. 3 GG erlassen werden. Ein Wohngeldempfänger in Hamburg oder München benötigt aufgrund des unterschiedlichen Wohnraumangebotes bzw. der Nachfrage höhere Leistungen für eine vergleichbare Unterkunft als ein Wohngeldempfänger in Gelsenkirchen oder Magdeburg. Ein weit verbreitetes unterschiedliches Niveau staatlicher Leistungen im Bundesgebiet über die bestehenden Unterschiede hinaus ist aber gerade im kostenintensiven Sozialbereich zu Recht schwer zu vermitteln, da hier die Gefahr der Aufweichung von Sozialstandards zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung droht. Ein „Wettlauf um die niedrigsten Standards“ muss hier vermieden werden. 690 Dem könnte man dadurch begegnen, dass in dem jeweiligen Gesetzgebungsakt bestimmte Ausnahmen festgelegt werden, die Abweichungen nicht zugänglich sein sollen bzw. Abweichungsmöglichkeiten nur im Rahmen erhebungsfähiger und somit nachvollziehbarer Faktoren wie z. B. dem Mietspiegel vorsieht. Ferner könnte ein grundgesetzlich verankertes Abweichungsrecht bzw. der Einsatz von einfachgesetzlichen Öffnungsklauseln zu Wanderungsbewegungen in Ländern mit höheren Sozialleistungen führen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass höhere Sozialleistungen vor allem dort vorzufinden sein werden, wo die Lebenshaltungskosten entsprechend höher liegen. Für die Einführung einer solchen Regelung spricht, dass die Länder durch sie zur Anpassung ihrer Ausgabenbelastung an ihre aktuelle Haushaltslage befähigt werden und die Bevölkerung mit eventuell vorhandenen Haushaltsproblemen des eigenen Landes fühlbar konfrontiert wird. Über eine direktere Rückbindung könnte somit ein größeres Problembewusstsein in der Landesbevölkerung geschaffen werden. Im Ergebnis ist die Aufnahme eines solchen Abweichungsrechts der Länder in Art. 104a Abs. 3 GG vor dem Hintergrund ihrer bereits existierenden Gestaltungs690
Ein ebenfalls möglicher „Wettlauf um die höchsten Standards“ ist vor dem Hintergrund der derzeitigen Verschuldung von Bund und Ländern nahezu auszuschließen.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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möglichkeiten auf der Ausgabenseite (wie sich am Ausgabenverhalten ermitteln lässt) zu befürworten. 691 Gerade im Bereiche der Sozialgesetzgebung könnte eine Anpassung der staatlichen Leistungen an die regionalen Faktoren durchaus besser dem Gebot der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entsprechen als einheitliche Standards, die sich eher an den Möglichkeiten der finanzstarken als der finanzschwachen Länder orientieren. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist in Art 20 Abs. 1 GG nicht vorgegeben und in Art. 72 Abs. 2 GG nur „soweit erforderlich“ also einschränkend vorgesehen. Sie ist keine Staatszielbestimmung. Demnach sollten sich flexible Standards an örtlichen Gegebenheiten orientieren. Sie dürften aber nicht nur die Folge einer unzureichenden Finanzausstattung sein. Über das Sozialstaatsprinzip (welches zwar kein subjektives Recht ist, aber den Gesetzgeber bindet) und die Grundrechte würden auch weiterhin der gerade im Sozialbereich nicht zu vernachlässigende Schutz des Schwächeren und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein gewährleistet bleiben. b) Nachbesserung bei der Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und Art. 91b GG) Die Frage der Mischfinanzierung und hierbei insbesondere die Frage der Neuregelung der Gemeinschaftsaufgaben war einer der wichtigsten Punkte im ersten Teil der Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung. 692 Im Ergebnis der Beratungen verständigten sich der Bund und die Länder darauf, das Instrument des Art. 91a und b GG zwar zu modifizieren, aber insgesamt als solches beizubehalten. Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob die noch bestehenden Verflechtungen der Gemeinschaftsaufgaben angemessen sind und ob ein weiterer Abbau bzw. die Streichung der Gemeinschaftsaufgaben gem. Art. 91a, b GG erfolgen muss. Folgt man einer rein ökonomische Betrachtung, dann stellt man fest, dass die Gemeinschaftsaufgabe der „regionalen Wirtschaftsstruktur“ von Zahlungen des Bundes an die überwiegend ostdeutschen Länder in Höhe von fast 2,2 Mrd. € im Jahr 1997 auf 1,1 Mrd. € im Jahr 2003 und nach den damaligen Planungen auf 694 Mio. € im Jahre 2007 abgesenkt wurden. 693 Mit 691 So auch C. Blankart, Kom.-Drs. 22, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 97 f.; L. Feld, Kom.Drs. 24, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen, S. 36; Vorschlag der Kommissionsvorsitzenden G. Oettinger / P. Struck, Kom.-Drs. 128, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 7 f.; W. Renzsch, Kom.-Drs. 16, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 23; H. Seitz, Kom.-Drs. 23, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 115. 692 O. Runde, Finanzen – Gemeinschaftsaufgaben / Mischfinanzierung, in: R. Holtschneider / W. Schön, Die Reform des Bundesstaates, S. 297 ff. 693 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 29.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Ausnahme Berlins bekam jedes der ostdeutschen Länder im Jahr 2003 mehr Mittel über Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG als die Westländer. Das Land Sachsen bekam sogar doppelt soviel wie alle Westländer zusammen. Auch die Ausgaben für die Agrarstruktur und den Küstenschutz gem. Art. 91a Abs. 1 Nr. 2 GG wurden in den letzten Jahren drastisch gekürzt bzw. eingestellt. Hinsichtlich Art. 91b GG stellt sich das Problem, wie fortan die genaue Abgrenzung von förderungsfähigen Forschungsbauten zu „normalen“ Hochschulbauten vorgenommen werden soll. Eine klare Abgrenzung ist der Gesetzgeber bisher schuldig geblieben. Daher gilt es, in naher Zukunft einfach-gesetzliche Regelungen zur Präzisierung zu erlassen. Vor dem Hintergrund der negativen Wirkungen der Mischfinanzierung in Form eines erheblichen Koordinierungs- und Verwaltungsaufwandes, ausgabensteigernder Effekte und einer damit einhergehenden Verzerrung der Präferenzbildung auf Länderseite sowie der auslaufenden Förderung der ostdeutschen Bundesländer, spricht alles für eine mittelfristige Abschaffung bzw. eine weitere Rückführung des Instrumentes der Gemeinschaftsaufgaben in Art. 91a, b GG. Die Förderung der „regionale Wirtschaftsstruktur“ nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG kann spätestens im Jahr 2019 mit dem absehbaren Abschluss der Sonderförderung der ostdeutschen Länder zur Bewältigung der Wiedervereinigung abgeschafft werden. Einzig für die bei zunehmender Erderwärmung in Zukunft wichtiger werdende Aufgabe des Küstenschutzes und die stets aktuelle Problematik der Wissenschafts- und Bildungsförderung muss bei Ausbleiben einer mittelfristigen Konsolidierung der Länderhaushalte eine Anschlussregelung gefunden werden. Im Zweifelsfall ist für die Länder, die die erwähnten Aufgaben aufgrund ihrer Haushaltslage nicht autark finanzieren können, eine Beibehaltung des reduzierten Instruments der Gemeinschaftsaufgaben in Form einer transparenten offiziellen Mischfinanzierung besser, als eine der Verfassung nach abgeschaffte Mischfinanzierung, die realiter aber noch existiert. c) Der zukünftige Umgang mit dem Instrument der Bundesfinanzhilfen (Art. 104b GG) und dem Hafenlastenausgleich Als Instrument der Mischfinanzierung könnten auch die gerade erst geänderten Voraussetzungen für die Zahlung von Bundesfinanzhilfen gem. Art. 104b GG der Überarbeitung bedürfen. Hierbei gilt es auch eine Perspektive für den nach wie vor ungelösten Streitpunkt der Tragung der Hafenlasten zu unterbreiten. aa) Keine Überarbeitung des Instruments der Bundesfinanzhilfen (Art. 104b GG) Es existiert der Vorschlag, den gerade eingeführten Ausschluss der Mitfinanzierung von Aufgaben durch den Bund über Art. 104b GG bei ausschließlichen
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Landeskompetenzen wieder aufzuheben und es allein bei der Befristung und den fallenden Jahresbeträgen zu belassen. 694 Als Kompensation für den Wegfall der Begrenzung könne man eine Zustimmungspflicht des Bundesrates in Art. 104b GG aufnehmen. Dieser Vorschlag für eine erneute Änderung des Art. 104b GG ist auf die ersten auftretenden Schwierigkeiten bei Gesetzgebungsvorhaben nach Verabschiedung der Föderalismusreform I zurückzuführen. 695 Durch die Neuregelung kann es sein, dass eine Aufgabe ausschließlich in der Kompetenz der Länder liegt und eine Mitfinanzierung durch den Bund über Art. 104b Abs. 1 GG ausgeschlossen ist. Vor der Änderung der Vorgängerregelung (Art. 104a Abs. 4 GG) erwies sich die Bundesinvestitionshilfekompetenz immer wieder als Ursprung nicht notwendiger Zentralisierungstendenzen. 696 Die im Zuge der Föderalismusreform I gefundene Regelung ist insoweit ein wichtiger, begrüßenswerter Schritt zur Entflechtung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und zum Abbau der Mischfinanzierung. Eine weitere Novellierung des Art. 104b GG ist insbesondere vor dem Hintergrund der Einführung des Ausnahmetatbestandes in Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG für Notsituationen im Zuge der Föderalismusreform II abzulehnen. bb) Das Problem der Seehafenlasten und vergleichbarer Fälle der strukturell bedingten Sonderbedarfe Ein Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, dass besondere Belastungen für Länder mit Seehäfen schon in der Weimarer Republik anerkannt waren. Das Finanzausgleichsgesetz von 1923 gewährte Reichzuschüsse für Unternehmungen der Länder „deren Bedeutung sich auf das gesamte Reichsgebiet oder auf einen größeren Teil des Reichs über die Grenzen des Landes hinaus erstreckte“; hierzu zählten insbesondere die Häfen Hamburgs und Bremens. 697 Das Reich übernahm in dieser Zeit 50% der in den beiden Stadtstaaten anfallenden Hafenkosten. Nach Gründung der BRD berücksichtigte das Finanzausgleichsgesetz von 1951 in Fortführung dieser Regelung ebenfalls Hafenlasten als ausgleichspflichtig, wobei die Kompensation auf der horizontalen Ebene im Sinne eines Länderfinanzausgleichs erfolgte. 698 Die Abgeltung der Hafenlasten wurde als 694
So H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 30. 695 Vgl. die Problematik des Auffindens einer Bundesgesetzgebungskompetenz für die Mitfinanzierung eines Programms zur Schaffung von Krippenplätzen. 696 R. Breuer, Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung – eine Crux des Bundesstaates, in: M. Wallerath, FS für Peter Krause, S. 325 (347). 697 R. Peffekoven, FinArch 46 (1988), S. 397 (399). 698 G. F. Schuppert / F. Dahrendorf, Verfassungsrechtliche und finanzwissenschaftliche Aspekte des Länderfinanzausgleichs, S. 87 f.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
traditioneller Bestandteil der Regelungen des Finanzausgleichs zwischen den Ländern angesehen. 699 Im Zuge von aufkommenden Finanzierungsstreitigkeiten erfolgte ein Wechsel in der Seehafenfinanzierung. Die Abgeltung der Hafenlasten erfolgte früher vertikal über Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG. Erst im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs im Jahr 2001 wurde Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) in das Grundgesetz eingefügt. Abgelöst wurde die Regelung im Jahr 2006 durch Art. 104b GG. Gegenwärtig ist der Bund einfachgesetzlich in Form von Bundesfinanzhilfen an der Seehafenfinanzierung beteiligt. 700 Nach § 1 des BFinHBRuaG gewährt der Bund den Ländern mit Seehäfen bis zum Jahr 2019 Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen im Bereich der Seehäfen. Diese Finanzhilfen sollen insbesondere für Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Seehäfen wie den Bau oder Ausbau von Hafenanlagen, von Verkehrswegen und öffentlichen Verkehrsflächen eingesetzt werden. Insgesamt stehen hierfür jährlich Mittel i. H.v. 38,346 Mio. € zur Verfügung. Von dem Jahresbetrag erhalten die Länder je nach Größe und Bedeutung der Hafenwirtschaft einen festgelegten Teilbetrag. 701 Die Finanzhilfen des Bundes betragen gem. § 2 BFinHBRuaG 90 % der förderungsfähigen Ausgaben. Von einem Land in einem Jahr nicht abgerufene Bundesmittel können in den Folgejahren bei Bedarf abgerufen werden. Die Sicherung der Hafenlasten ist auf einem historisch niedrigen Niveau bis 2019 festgeschrieben. Die Förderung nach § 1 BFinHBRuaG erfolgt insbesondere für Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Seehäfen wie den Bau oder Ausbau von Hafenanlagen, von Verkehrswegen und öffentlichen Verkehrsflächen. Der Schwerpunkt der Förderung liegt im Bereich der Hafenentwicklung. Fraglich ist, ob der Reform des Art. 104a Abs. 4 GG (a.F.) im Zuge der Föderalismusreform I auch eine Änderung bzw. Abschaffung der Seehäfenfinanzierung folgen muss. Die Nachfolgeregelung (Art. 104b GG) erlaubt Bundesfinanzhilfen grundsätzlich nur noch „soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse“ auf dem zu fördernden Gebiet verleiht. Daher gilt es zu klären, ob der Bund die für Art. 104b GG erforderlichen Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Seehäfen vor allem im Bereich des Baus bzw. Ausbaus hat. Sollte der Bereich gem. Art. 30, 70 GG in die ausschließliche Länderkompetenz fallen, dürfte der Bund die Seehäfen nach der aktuellen Gesetzeslage nicht mehr mit Bundesfinanzhilfen unterstützen. Das BFinHBRuaG als einfachgesetzliche 699
BVerfGE 72, 330 (413 f.). Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für Seehäfen v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955, 3962. 701 Vgl. § 1 Abs. 2 BFinHBRuaG: Bremen 10,737 Mio. €, Hamburg 20,963 Mio. €, Mecklenburg-Vorpommern 2,556 Mio. €, Niedersachsen 2,045 Mio. € und SchleswigHolstein 2,045 Mio. €. 700
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Ausführung der momentanen Förderung der Seehäfen wäre zumindest z.T. seiner grundgesetzlichen Gesetzgebungsgrundlage beraubt. Eine Kompetenz des Bundes im Bereich der Wirtschaftsentwicklung der Häfen für Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Infrastruktur von Seehäfen wie den Neubau oder Ausbau von Hafenanlagen, von Verkehrswegen und öffentlichen Verkehrsflächen könnte sich zunächst aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG ergeben. Demzufolge hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen. Fraglich ist, ob Seehäfen über eine extensive Auslegung des Wortlautes auch von dieser Kompetenz mit umfasst sind. Allein vom Wortlaut her ließen sich die Kompetenzen zur Regelung der Angelegenheiten der Seehäfen über den Begriff der „Küstenschifffahrt“ auf den Bund ausweiten. Die historische Auslegung zeigt aber eindeutig, dass eine Bundeskompetenz für die Seehäfen nicht in Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG zu verorten ist. Während der Beratungen im Parlamentarischen Rat wurde explizit festgestellt, dass die Seehäfen absichtlich nicht in der Norm erwähnt werden, damit die Gesetzgebungskompetenz und Verwaltungskompetenz wie zuvor Sache der Länder bleibt. 702 Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG scheidet somit als Kompetenzgrundlage des Bundes aus. Ferner könnte sich eine für die Finanzierung nach Art. 104b GG erforderliche Kompetenz des Bundes aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG ergeben. Dieser erstreckt die konkurrierende Gesetzgebung auf den „städtebaulichen Grundstücksverkehr, das Bodenrecht (ohne das Recht der Erschließungsbeiträge) und das Wohngeldrecht, das Altschuldenhilferecht, das Wohnungsbauprämienrecht, das Bergarbeiterwohnungsbaurecht und das Bergmannssiedlungsrecht“. Eine Kompetenz des Bundes für die Seehäfen könnte sich weiterhin aus dem Recht der Wirtschaft gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG ergeben. Vom „Recht der Wirtschaft“ werden alle wirtschaftsregulierenden und -lenkenden Normen umfassend geschützt. 703 Hinsichtlich der Seehäfen könnten Gesetze des Bundes lediglich wirtschaftspolitische Zielsetzungen normieren. Die Hafenplanung bzw. -erweiterung ist aber nicht auf die wirtschaftliche Betätigung gerichtet, sondern eher objektbezogen. Daher scheidet Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG als Kompetenzgrundlage des Bundes für die Regelung der Seehäfenangelegenheiten grundsätzlich aus. Hinsichtlich der Seehäfen käme hier einzig eine Bundeskompetenz über das „Bodenrecht“, welches die städtebauliche Planung mit einschließt, in Betracht. 704 Eine solche Bundesplanungskompetenz wird man für die Seehäfen aber nur eingeschränkt herleiten können. Der Bund hat die Kompetenz mit dem Erlass des BauGB wahrgenommen. Da das allgemeine 702 Vgl. P. Badura, Hafenentwicklung in Hamburg, in: P. Badura / E. Schmidt-Assmann, S. 1 (71); D. Schefold / V. Specht, Rechtsprobleme eines Landeshafengesetzes, S. 53. 703 BVerfGE 4, 7 (13); 8, 143 (148); 82, 159 (179); C. Degenhart, in: M. Sachs, GGK, Art. 74 Rn. 50. 704 BVerfGE 3, 407 (423 ff.); 34, 129 (144).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Städtebaurecht zwar keine Regelungen einer auf ein bestimmtes Objekt bezogenen Fachplanung enthält, aber das BFinHBRuaG auch nur Pauschalbeträge vorsieht, sind Investitionszuschüsse des Bundes über Art. 104b GG zumindest im Teilbereich des Städtebaurechts möglich. Eine umfassende Finanzierung der Seehäfen der Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für besonders bedeutsame Investitionen im Bereich der Seehäfen über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104b GG ist aber aufgrund der grundsätzlich vorhandenen ausschließlichen Kompetenz der Länder im Bereich der Hafenstrukturentwicklung in der bisherigen Form nicht mehr möglich. Festzuhalten bleibt, dass sowohl die Reichsverfassung von 1871 als auch die Weimarer Verfassung von 1919 keine Kompetenzen des Reiches für die Seehäfen vorsahen. 705 Bei Einführung des Grundgesetzes sollte eine solche Zuständigkeit eingeführt werden. Diese Idee wurde aber zugunsten einer klaren Länderkompetenz verworfen. 706 Solange kein hinreichend erkennbarer Zusammenhang zu einer der Bundeskompetenzen besteht, liegt die Regelung der Seehäfen gem. Art. 30, 70 GG in der Kompetenz der Länder. 707 Das BFinHBRuaG bedarf daher einer präziseren Abgrenzung hinsichtlich der förderungsfähigen Bereiche. Losgelöst von der Frage der vorangestellten Abgrenzungsproblematik muss es auch über den neu eingefügten Art. 104b GG (ex Art. 104a Abs. 4 GG) in Zukunft möglich sein, dass für bedeutende gesamtstaatliche Leistungen einzelner Länder – u. a. Seehäfen – ein Ausgleich außerhalb der Ausnahmen des Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG erfolgen kann. Es ist schwer vertretbar, dass Länder, deren Industrien beispielsweise die Seehäfen in größerem Umfang nutzen, keinen Beitrag zu deren Finanzierung leisten. De-facto subventionieren die Betreiberländer mit den Investitionen für die Häfen auch den Im- und Export der Bundesländer ohne Seehäfen, soweit die erzielten Mehreinnahmen die Investitions- und Betriebskosten des Hafens nicht übersteigen. Angesichts der Schwierigkeiten den Nutzerkreis beispielsweise der Seehäfen klar zu definieren, ist es geboten, dass sich der Bund und / oder die Ländergemeinschaft an Aufgaben mit gesamtstaatlicher Bedeutung finanziell beteiligen können. Hierfür müsste eine entsprechende Regelung in das Grundgesetz aufgenommen werden. Diese Regelung sollte an Art. 104b GG anknüpfen und somit nicht als Sonderbedarf in das Finanzausgleichsystem aufgenommen werden. Grundvoraussetzung für die Beantwortung der rechtspolitischen Frage über die Gestaltung eines angemessenen Lastenausgleichs ist jedoch, dass über verlässliche, nachvollziehbare Zahlen Transparenz über die Ausgaben- und Einnahmeeffekte der betreffenden bedeutenden gesamt705
S. Petersen, Deutsches Küstenrecht, Rn. 522. S. Petersen, Deutsches Küstenrecht, Rn. 522; W. Stützer, Die Kompetenzen des Bundes und der Länder an den Seewasserstraßen und Seehäfen, S. 25 f. 707 S. Petersen, Deutsches Küstenrecht, Rn. 524; E. Schmidt-Assmann, Hafenentwicklung in Hamburg, in: P. Badura / E. Schmidt-Assmann, S. 97 (173). 706
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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staatlichen Leistungen eines oder mehrer Länder (wie etwa erwähnter Betrieb der Seehäfen) geschaffen wird. 708 Sollte sich aus der Gegenüberstellung von Mehreinnahmen durch das Bereithalten der gesamtstaatlich bedeutenden Leistung für das Land und den Investitions- und Betriebskosten des Landes für die Bereithaltung der gesamtstaatlich bedeutenden Leistung ein Verlust für das Land ergeben, dann wäre dieser über einen Lastenausgleich zwischen den Ländern oder über den Bund zu kompensieren. 709 3. Abschaffung der Regelung über den Familienleistungsausgleich (Art. 106 Abs. 3 S. 5 u. 6 GG) und den Länderanteil für den Personennahverkehr (Art. 106a GG) Der Familienleistungsausgleich wurde im Jahr 1995 im Zuge der Regelung des Familienlastenausgleichs in das Grundgesetz aufgenommen. Durch die Umstellung von einem allein vom Bund finanzierten Kindergeld auf die Einführung von Vergünstigungen bei der Einkommenssteuer und die Befreiung von der Kindergeldzahlung erfolgte eine Lastenverschiebung vom Bund auf die Länder. Als Kompensation für die Mehrbelastung der Länder wurde in Art. 106 Abs. 3 S. 5 GG verankert, dass Steuermindereinnahmen, die den Ländern ab 1. Januar 1996 aus der Berücksichtigung von Kindern im Einkommensteuerrecht entstehen, in die Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer einbezogen werden. 710 Über Art. 106a GG wird der Bund zur Leistung zweckgebundener Zuweisungen verpflichtet, die den Mehrbedarf der Länder aufgrund der Übernahme des regionalen Personenverkehrs ausgleichen sollen. 711 Beide Normen stehen zu Recht in der Kritik, da sie als typische vertragliche Absprachen in Form einer Spezialregelung zwischen Bund und Ländern unverständlicher Weise auf Ebene der Verfassung verankert wurden. 712 Die Finanzverfassung als grundlegendes Normengefüge ist nicht der richtige Platz für politische Absprachen, die nur um einer möglichen Verfassungswidrigkeit zu entgehen in das Grundgesetz aufgenommen werden. Die Regelungen über den Familienleistungsausgleich nach Art. 106 Abs. 3 S. 5 u. 6 GG und den Länderanteil für den Personalverkehr gem. Art. 106a GG sind daher von ihrer Konzeption missglückt und sollten mangels Verfassungsqualität aus dem Grundgesetz entfernt werden, um anschließend einfachgesetzlich geregelt zu werden. 713 708 Es ist die Aufgabe der Betriebs- und der Volkswirtschaftslehre herauszufinden, welche Faktoren für eine solche Berechnung einzubeziehen sind. 709 A. Jung, Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich, S. 205 f.; M. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 294. 710 Eine einfachgesetzliche Konkretisierung erfolgte in § 1 FAG. 711 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.I.1.b)aa)β). 712 H.-G. Henneke, ZG 1999, S. 4 ff.; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Vor Art. 104a Rn. 27; ausschließlich zu Art. 106a J. Hidien, DVBl. 1997, S. 595 (602 f.).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
4. Weitergehende Regelung der Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei Zahlungsverpflichtungen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben Neben den grundsätzlich zu begrüßenden Neuregelungen im Grundgesetz über die Lastentragung bei Verletzung supranationaler oder internationaler Pflichten bzw. konkret von Art. 104 EGV bedarf es einer weitergehenden Regelung der Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei Zahlungsverpflichtungen aufgrund mittelbar und unmittelbar wirkender gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben. Im Grundgesetz fehlt bisher eine Regelung der innerstaatlichen Lastentragung für Ausgaben aufgrund von mittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Mittelbar geltende EG-Rechtsakte sind typischerweise Richtlinien gem. Art. 249 Abs. 3 EGV, welche grundsätzlich der Umsetzung in das nationale Recht durch innerstaatliche Rechtsetzung der Mitgliedstaaten bedürfen. In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass die Aufteilung der aus diesen Rechtsakten resultierenden Kosten im Grundgesetz zu verankern ist. 714 Die zukünftige Verteilung der Finanzierungsverantwortung sollte sich danach richten, welche staatliche Ebene (Bund oder Länder) nach der innerstaatlichen Kompetenzordnung für die Umsetzung der Richtlinien zuständig ist. Aufgrund der vergleichbaren Problematik zu Art. 104a Abs. 3 und 4 GG 715 sollte der Bund wegen seiner Transformationskompetenz und der einhergehenden Möglichkeit, die Höhe der Kosten im Rahmen der Richtlinienvorgaben mitzubestimmen bei Rechtsakten über Geldleistungen – sich richtend nach der (noch anzustrebenden) innerstaatlichen Regelung – obligatorisch an den Vollzugskosten beteiligt werden. Analog zu der hier vorgeschlagenen Lösung für Art. 104a Abs. 3 GG sollte grundsätzlich überwiegend der Bund die für die Ausführung der mittelbaren EG-Rechtsakte anfallenden Ausgaben tragen. Aus Anreizgesichtspunkten wäre auch hier eine Kostenteilung von 80/20 (Bund / Land) zu empfehlen. Das gilt auch für die innerstaatliche Lastentragung bei Ausgaben aufgrund von unmittelbar geltenden gemeinschaftlichen Vorschriften (Verordnungen gem. Art. 249 Abs. 2 EGV). Einzig bei Rechtsakten über Geldleistungen ist eine obligatorische Kostenteilung von 80/20 (Bund / Land) zu empfehlen. Die neuen Regelungen könnten in Art. 104a Abs. 6 GG integriert werden.
713
Ausführlich hierzu H.-G. Henneke, ZG 1999, S. 1 (4 ff.). R. Grote, JZ 1996, S. 832 (839); J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 168; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 104a Rn. 23; R. Sannwald, ZRP 1993, S. 103 (108); J. Wieland, DVBl. 1992, S. 1181 (1185). 715 Vgl. Zweiter Teil Kap. D.2.a)aa). 714
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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5. Zwischenergebnis Wie aufgezeigt, bedarf es im Zuge einer Reform der Finanzordnung im Bereich der staatlichen Aufgaben- und Ausgabenregelungen einiger Änderungen des aktuellen Normenbestandes. Hierbei sollte die Zustimmungspflicht der Länder in Art. 104a Abs. 4 GG auf ihre Tauglichkeit in der Praxis überprüft werden. Falls sich herausstellt, dass die Regelung nicht greift, dann ist sie wieder aus dem Grundgesetz zu streichen und durch die Einfügung eines finanziellen Augleichs in Form einer obligatorischen Bundesbeteiligung mit festgeschriebener Beteiligungsquote des Bundes bei Bundesgesetzen über Geldleistungen in Art. 104a Abs. 3 GG zu ersetzen. Weiterhin ist die Aufnahme einer Öffnungsklausel in Art. 104a Abs. 3 GG zu befürworten. Diese würde die Bundesländer in die Lage versetzen, staatliche Leistungen besser an die regionalen Gegebenheiten anpassen zu können. Das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechte garantieren dabei als Untergrenze einer solchen Öffnungsklausel den nicht zu vernachlässigenden Schutz des Schwächeren und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein. Die negativen Wirkungen der Mischfinanzierung, wie z. B. ein erheblicher Koordinierungs- und Verwaltungsaufwand, ausgabensteigernde Effekte etc. erfordern ebenso eine mittelfristige Abschaffung bzw. zunächst eine weitere Rückführung der Finanztransfers des Bundes an die Länder über das Instrument der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a, b GG. Schließlich sind bei einer Reform noch die Regelungen über den Familienleistungsausgleich nach Art. 106 Abs. 3 S. 5 u. 6 GG und den Länderanteil für den Personalverkehr gem. Art. 106a GG wegen ihrer insgesamt missglückten Konzeption mangels Verfassungsqualität aus dem Grundgesetz zu streichen. Einzuführen ist hingegen eine weitergehende Regelung zur Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei Zahlungsverpflichtungen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgabe.
II. Staatliche Einnahmeregelungen Neben der Verteilung der Ausgabenverantwortung im Verhältnis von Bund und Ländern sind die staatlichen Einnahmeregelungen von besonderer Bedeutung für die bundesdeutsche Finanzordnung. Ein umfassender Systemwechsel bei der Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen und dem Finanzausgleich ist jedoch nicht erforderlich. Vorschläge, die beispielsweise vorsehen, die gesamten Steuergesetzgebungskompetenzen ohne erwähnenswerte Zustimmungsrechte der Länder auf den Bund zu übertragen und die Länder an den Erträgen über einen festgelegten Schlüssel zu beteiligen 716, erscheinen gegenwärtig utopisch, da die Länder ihre Selbstständigkeit im Bereich Finanzen hierfür fast vollständig aufgeben müssten. Es ist somit über eine gezielte Modifikation geboten, die 716
Vgl. T. Sarrazin, in: FAZ v. 12. April 2006, S. 15.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
staatlichen Einnahmeregelungen soweit zu reformieren, dass Bund und Länder mittel- bis langfristig genügend Einnahmen zur Finanzierung der ihnen obliegenden Aufgaben haben. 1. Steuergesetzgebungskompetenzen – Stärkung der Länderautonomie Die Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen ist auch nach den leichten Korrekturen im Rahmen der Föderalismusreform I zugunsten der Länder grundsätzlich auf ein einheitliches Steuerrecht und gleichmäßige Steuerbelastungen im Bundesgebiet ausgerichtet. Der Bund hat grundsätzlich die Objekt- und Gestaltungskompetenz im Bereich der Steuergesetzgebung. Die Kehrseite dieser Verteilung ist, dass den Ländern im Bedarfsfall neben der Kreditaufnahme die Möglichkeit zur Erschließung von weiteren Finanzquellen weitgehend fehlt. Eine indirekte Folge der Kompetenzverteilung bei der Steuergesetzgebung ist die Schwächung der Landesparlamente, da in weiten Teilen die Landesregierungen über die Einnahmen des Landeshaushaltes auf der Bundesebene verhandeln. Klar ist, dass die Steuergesetzgebung insbesondere wegen der vereinheitlichenden Funktion der Ausgestaltung der Steuerbemessungsgrundlagen nicht im Ganzen oder in weiten Teilen auf die Länder übertragen werden kann. Im Interesse der Transparenz des deutschen Besteuerungssystems kann es bei weiteren Reformen im Bereich der Steuergesetzgebungskompetenzen nur um behutsame Systemveränderungen durch Vereinfachungen im Bereich der Kompetenzabgrenzung und der Stärkung der Länderautonomie gehen. Im Rahmen kommender Reformen der Finanzordnung muss konkret über die Veränderung der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern auf der Einnahmenseite in Form einer Stärkung der Einnahmeautonomie der Länder und Kommunen diskutiert werden. Im Unterschied zu den Ländern hat der Bund die Möglichkeit, sich ertragreiche Finanzquellen ohne die Mitwirkung der Länder zu erschließen. Das Übergewicht des Bundes bei der Steuergesetzgebung ist das Ergebnis eines permanenten Vereinheitlichungsprozesses seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. 717 Dieses Übergewicht hat grundsätzlich aus steuerungspolitischen Erwägungen seine Berechtigung. Eine eigenständige Einnahmenpolitik ist den Ländern (mit Ausnahme der Kreditaufnahme) bisher kaum möglich. Die Steuern, die die Bundesländer nach Art. 105 Abs. 2a GG erheben können, sind gemessen an ihrem Aufkommen von untergeordneter Bedeutung und nicht fähig, ihnen einen erwähnenswerten finanziellen Dispositionsspielraum zu verschaffen. 718 An diesem Befund ändert auch die in Art. 104a Abs. 2 S. 2 GG 717 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 13 f. 718 U. Häde, Finanzausgleich, S. 180; I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 235.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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eingefügte Möglichkeit der Länder zur Bestimmung des Steuersatzes der Grunderwerbsteuer wenig. Es zeigt sich, dass der finanzielle Bewegungsspielraum der Länder durch den fast vollständigen Ausschluss von autonomen Steuererhebungsmöglichkeiten auf der Einnahmenseite stark eingegrenzt ist und damit die Versuchung der Länder, Kredite aufzunehmen, erhöht. Ob eine Autonomiestärkung der Länder und Kommunen durch die Erweiterung von Steuergesetzgebungskompetenzen insgesamt sinnvoll ist, bleibt umstritten. Für eine Verlagerung zugunsten der Länder und Kommunen wird u. a. vorgebracht, dass der Bürger durch sie Landespolitik nicht mehr als bloße Ausgaben- und Verschuldensgestaltungspolitik wahrnehmen würde, sondern den gesamten Zyklus von der Einnahme bis zur Umsetzung direkt wahrnehmen könnte. 719 Dies solle das Verantwortungs- und Demokratieprinzip stärken. 720 Die Gefahr eines destruktiven Wettbewerbs zwischen den ökonomisch starken und den schwächeren Ländern, der im Endeffekt zu einer dauerhaften Verarmung der finanzschwachen Regionen führen würde, spricht gegen eine Stärkung der Steuerautonomie der Bundesländer. 721 Die vorhandenen Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Länder und in den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen würden somit noch deutlicher hervortreten. 722 Diese ernstzunehmende Kritik muss bei einer Stärkung der Länderautonomie zumindest in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Eine Erweiterung der Steuerautonomie muss durch flankierende Maßnahmen, wie z. B. eine gezielte Förderung strukturschwacher Länder, sicherstellen, dass alle Länder eigenständig Gebrauch von einer Steuerfestsetzungsautonomie machen können und somit eine wirkliche Chance haben, sich im finanzpolitischen Wettbewerb zu behaupten. 723 Zwei Vorschläge stehen in der Diskussion: Die Neuordnung der Steuergesetzgebungskompetenzen und die Einführung von Steuerzuschlagsrechten. Beide Varianten könnten in kommenden Reformen alternativ oder kumulativ umgesetzt werden.
719
H.-G. Henneke, Landesfinanzpolitik und Verfassungsrecht, S. 79 ff. Dazu eine ausführliche Darstellung der Argumente für eine Autonomiestärkung: H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 134 ff. 721 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 335. 722 D. Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, S. 194; U. Häde, Finanzausgleich, S. 311 f.; H.-P. Schneider, NJW 1991, S. 2448 (2455); P. Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (39 f.). 723 I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 337; K. Littmann, SuS 1991, S. 31 (41). 720
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
a) Einführung der ausschließlichen Ertragskompetenzen nach Art. 106 Abs. 2 GG folgenden Steuergesetzgebungskompetenzen Grundsätzlich lässt sich zur Frage nach der Übertragung weiterer Steuergesetzgebungskompetenzen zur Stärkung der Länderautonomie auf der Einnahmenseite zunächst feststellen, dass die Steuerautonomie der Länder hinsichtlich der in Art. 105 Abs. 2 GG geregelten Steuern, deren Ertrag den Ländern oder Gemeinden vollständig zukommt, infolge der Neuregelung des Art. 72 Abs. 2 GG sowie des Art. 93 Abs. 1 S. 2a GG und der sich anschließend verschärfenden Rechtsprechung des BVerfG 724 erheblich gestärkt wurde. 725 Es wird für den Bund in Zukunft kompliziert werden, die von der Kompetenz des Art. 105 Abs. 2 GG umfassten Steuern zu reformieren, da eine Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 2 GG nur zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit möglich ist. Vor dem Hintergrund der im Jahr 1994 erfolgte Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG von einer Bedürfnisin eine Erforderlichkeitsklausel ist daran zu zweifeln, ob und gegebenenfalls inwieweit dem Bund noch die Befugnis zur Gesetzgebung über die reinen Landessteuern zukommt. Gerade im Bereich der hier in Frage kommenden Steuern (z. B. der Erbschafts- und der Biersteuer) scheint sich eine solche Herleitung eher schwierig zu gestalten, so dass der Bund die betreffenden Steuern gem. Art. 125a Abs. 2 GG nicht mehr reformieren, sondern nur noch „modifizieren“ kann. Was unter dem vom BVerfG hergeleiteten Modifikationsrecht des Bundes zu verstehen ist, bleibt jedoch unklar. Fest steht nur, dass die Länder nicht zuständig sind, soweit der Bund ihnen das Recht zur Gesetzgebung nicht durch ein Bundesgesetz gem. Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG überträgt. Um nahenden Rechtsunsicherheiten zu begegnen, sollte den Ländern für die Steuern, für die ihnen nach Art. 106 Abs. 2 GG schon die Ertragskompetenzen zustehen auch die ausschließlichen Steuergesetzgebungskompetenzen übertragen werden. 726 Mit diesem Vorschlag einhergehende Befürchtungen einer Bevölkerungs- bzw. zu erwartende Betriebsabwanderung sind nicht überzeugend. 727 Bzgl. der Steuern gem. Art. 106 Abs. 2 724
BVerfGE 106, 62 (135); 110, 141 (175); 111 (10 (28); 111, 226 (253); 112, 226
(251). 725 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 20; P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (876); C. Waldhoff, VVDStRL 66 (2007), S. 216 (261). 726 So auch H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (841 f.). 727 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 21 stellt zu Recht fest, dass von den Spielbankabgabe, der Biersteuer und wohl auch den Verkehrsteuern, soweit sie den Ländern nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG zustehen, keine reale Gefahr für die Länder im Steuerwettbewerb ausgeht. „Bei der Kraftfahrzeugsteuer ist in der ersten Stufe der Reform vorgebracht worden, Fuhrbetriebe könnten ins Nachbarland ausweichen. Dann müsste das Nachbarland die Steuer aber schon relevant senken. Da der Anteil der Wagen aus Fuhr-
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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GG könnten die Länder eigene Konzepte entwickeln, ohne die Festlegungen steuerpolitischer Leitlinien bei den fiskalisch wichtigen Steuern durch den Bund zu beeinträchtigen. 728 Bei Landessteuern wie z. B. der Erbschafts- und Schenkungssteuer ist die Bemessungsgrundlage jedoch nicht auf ein Landesgebiet einzugrenzen. Um u. a. Doppelbesteuerungsprobleme zu verhindern, bedarf es zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit weiterhin einer einheitlichen Bemessungsgrundlage. 729 Ein zu ändernder Art. 105 Abs. 2a GG wäre wie folgt zu formulieren: „Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern und über die Steuern, deren Aufkommen ihnen nach Art. 106 Abs. 2 GG ausschließlich zusteht. Reicht die Bemessungsgrundlage einer der in Art. 106 Abs. 2 genannten Steuern über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus, dann ist eine gemeinsame Besmessungsgrundlage erforderlich“
Der Vorschlag ist zugegebenermaßen weitgehend. Als Folgeänderung wäre ferner die Wirkung des Steueraufkommens der Ländersteuern aus einem neu gefassten Art. 105 Abs. 2a und Art. 106 Abs. 2 GG im Länderfinanzausgleich zu regeln. 730 Bei Einrechnung der Erträge bestünde die Gefahr, dass sich die reichen Länder durch eine Absenkung der Steuersätze mit der damit verbundenen Anreizwirkung für einen Wechsel in dieses Land im horizontalen Finanzausgleich ärmer machen. Als Folge müssten sie weniger in den Ausgleich des horizontalen Finanzausgleichs zahlen. Sie würden also in doppelter Hinsicht bevorteilt werden. Dieses Problem ließe sich aber durch eine Bereinigung der Bemessungsgrundlage des Länderfinanzausgleichs um die nach einer Neuregelung in der ausschließlichen Kompetenz zur Gesetzgebung der Länder stehenden Steuern lösen. betrieben aber gering ist im Verhältnis zum Kraftfahrzeugbestand im Land, wäre das ein schlechtes Geschäft für das steuersenkende Land, da auch bei der Kraftfahrzeugsteuer der Gleichheitssatz gilt. Die Gefahr dürfte also gering sein. Bei der Erbschaft- und Vermögensteuer würde nur eine markante Differenz zu Wanderungsbewegungen führen und sowieso nur für eine kleine Schicht interessant sein. Diese hat aber jetzt schon die Möglichkeit, ins Ausland auszuweichen. Sie wird auch genutzt. Bei den örtlichen Verbrauchund Aufwandsteuern besteht jetzt schon eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Ländern (Art. 105 Abs. 2a GG). Bei der Gewerbesteuer, deren Ertrag verfassungskräftig den Gemeinden zukommt (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG), bei der also die Differenz sogar von Gemeinde zu Gemeinde verfassungsrechtlich garantiert ist, macht eine ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder ebenfalls keine Schwierigkeiten.“ 728 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 14. 729 So auch R. Seer, Zukunft des Steuerföderalismus, in: H. Butzer / M. Kaltenborn / W. Meyer, FS für Friedrich Schnapp, S. 303 (316 f.). 730 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 14 f.; H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 21.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Neben der zu befürwortenden Möglichkeit, die Steuergesetzgebungskompetenzen den ausschließlichen Ertragskompetenzen nach Art. 106 Abs. 2 GG folgen zu lassen, könnte man noch die Übertragung weiterer Steuergesetzgebungskompetenzen auf die Länder erwägen. Beim genauen Anblick der einzelnen Steuern kommt nach der Verlagerung der Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes für die Grunderwerbsteuer Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG auf die Länder hierfür nur noch die Grundsteuer als ortsfeste, nicht über die Landesgrenzen hinausreichende Steuer für eine Übertragung in Betracht. 731 Da diese aber nach Art. 106 Abs. 6 S. 1, 2 GG als Finanzquelle den Gemeinden dient, wäre der Effekt gering. Von einer Übertragung der Grundsteuergesetzgebungskompetenz auf die Länder ist daher abzuraten. b) Steuerzuschlagsrechte Die Einführung eines autonom auszuübenden Steuerzuschlagsrechts der Länder zur Einkommens- und Körperschaftssteuer stellt einen Kompromiss zwischen einer Anhebung der Steuerautonomie der Länder und steuerordnungspolitischen Aspekten dar. 732 Er gestattet den Ländern einen bestimmten Satz auf den einheitlich festgelegten Steuersatz aufzuschlagen. 733 Hierfür bieten sich grundsätzlich die Lohn-, und Einkommenssteuer sowie die Körperschaftssteuer an, da sie einen Bezug zur regionalen Wirtschaftskraft aufweisen und vom Aufkommen her grundsätzlich geeignet sind, die Steuererträge der Länder spürbar zu erhöhen. 734 Bei der Körperschaftssteuer gilt es zu bedenken, dass zurzeit auf der europäischen Ebene über eine Vereinheitlichung der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage nachgedacht wird, die nur sinnvoll erscheint, wenn sie mit einer Harmonisierung der Steuersätze einhergeht. 735 Die Einführung eines partiellen 731
I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 343. S. Franke, VerwArch 82 (1991), S. 526 (541); R. Hendler, DÖV 1993, S. 292 (298); K.-D. Henke / G. F. Schuppert, Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 94; H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 139 f.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Länderfinanzausgleich, S. 99 ff.; ablehnend N. Gumboldt, ZRP 2006, S. 3 (5 f.); F. Kirchhof, ZG 2004, S. 209 (223 f.). 733 Zu den verschieden Ausgestaltungsmöglichkeiten eines solchen Zuschlagsrechts ausführlich: I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 338 f. 734 Gerechnet an den Steuereinnahmen des Jahres 2006, hätte ein 5%-Zuschlag aller Bundesländer auf den Anteil der Einkommens- und Körperschaftssteuer ihnen zusätzliche Finanzmittel i. H.v. ca. 4,4 Mrd. € eingebracht. Hiervon hätten aber ca. 3,2 Mrd. € den Geberländer im Länderfinanzausgleich zugestanden; vgl. H. Scheller, Dienen oder erziehen? Zur zukünftigen Rolle der deutschen Finanzverfassung, in: R. Baus / T. Fischer / R. Hrbek, Föderalismusreform II, S. 109 (124). 735 F. Kirchhof, ZG 2006, S. 288 (294 f.); K. Konrad, Kom.-Drs. 20, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 27. 732
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Steuerwettbewerbes zwischen Bundesländern bei der Körperschaftssteuer würde diesem Vorhaben entgegenwirken. Ferner wäre bei Unternehmen, die länderübergreifend Betriebsstätten betreiben, mit einer Verlagerung in Richtung der Länder mit den niedrigsten Steuersätzen zu rechnen. Daher ist von der Einführung eines Zuschlagrechtes bei der Körperschaftssteuer abzusehen. Teilweise wird vorgebracht, dass Hebesatz-, Zu- oder Abschlagsrechte für Länder insbesondere in Haushaltskrisen problematisch sind, da ihre Nutzung die gebotene Besserung der Wirtschafts- und Finanzlage der betroffenen Länder, die „typischerweise unter Wirtschafts- und Finanzschwächen leiden, eher verhindern als befördern würde“ 736. Die Gefahr, dass Länder, in denen eine angespannte Wirtschaftsund Finanzlage besteht, aufgrund höherer Abgaben für Wirtschaftsunternehmen und andere Investoren unattraktiv werden könnten, ist ernst zu nehmen. Es ist jedoch nicht selbstverständlich, dass die Unterschiede zwischen den Ländern durch die Einführung von Gestaltungsrechten verstärkt werden. Neben der Erhöhung der Einnahmen beinhaltet die Einführung eines Steuerzuschlagrechtes auch die Chance, dass die schwächeren Länder mehr Möglichkeiten bekommen, ihre Leistungen stärker selbst zu gestalten. Hierbei könnten sich die Länder an den regionalen Gegebenheiten orientieren, wodurch die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erhöht wird. 737 Dennoch muss bei der Einführung von Zuschlagrechten darauf geachtet werden, dass die Abweichungsmöglichkeiten nicht dazu führen, dass ein strukturell benachteiligtes Land in den Zwang versetzt wird, zur Lastenbewältigung die eigene Bevölkerung permanent mit dem Höchstsatz zu belegen. Eine „Überbelastung der Steuerpflichtigen“ gem. Art. 106 Abs. 3 Nr. 2 GG muss als absolute Grenze ausgeschlossen bleiben. Die Einführung von Steuerzuschlagsrechten ist (wie i.Ü. auch die Übertragung von Steuergesetzgebungskompetenzen auf die Länder) eng mit der Frage der Entschuldung der aktuell überschuldeten Bundesländer verbunden. Die Einführung von Regelungen zur Stärkung der Länderautonomie bei Ausbleiben von Entschuldungsregelungen, kann sich erst an eine allgemeine Konsolidierungsphase von Bund und Ländern anschließen, von der nicht absehbar ist, ob und wann diese eintritt. Fraglich ist ferner wie die Höhe des Zuschlagsrechts bei der Lohn- und Einkommenssteuer festgelegt werden soll. In Betracht kommt eine Bestimmung der Grenzen durch einfache Bundesgesetzgebung. Dann müsste verfassungsrechtlich nur verankert werden, dass die Möglichkeit eines Zuschlages der Länder auf die Lohn- und Einkommenssteuer besteht und dass der Bundesgesetzgeber den weiteren Rahmen festlegt. Eine Abhängigkeit der Länder von den Mehrheitsverhältnissen auf Bundesebene ist nicht erstrebenswert. Die Länder könnten durch 736 So u. a. J. Wieland, Kom.-Drs. 30, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 10. 737 W. Renzsch, Kom.-Drs. 16, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 8.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Änderungen der Mehrheitsverhältnisse auf Bundesebene kurzfristigen Änderungen hinsichtlich der Höhe des Zuschlagrechtes ausgesetzt sein. Vorzugswürdig erscheint eine verfassungsrechtliche Verankerung der maximalen Zuschlagshöhe. Diese hätte zwar den Nachteil der festen Begrenzung des Zuschlagsspielraums auf die Lohn- und Einkommenssteuer, aber die Länder könnten dafür ungehindert von Machtverschiebungen beim Bund ihren eigenen Umgang mit diesem flexiblen Finanzierungsinstrument praktizieren. 738 Hinsichtlich der genauen Höhe des Zuschlagsrechts auf die Lohn- und Einkommenssteuer sollte die Abweichungsmöglichkeit der Länder mit Rücksichtnahme auf bestehende Leistungsunterschiede zwischen den Ländern auf einen zulässigen Rahmen von max. + 5 % auf den vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Steuersatz festgelegt werden. Von der Einführung weiterer Gestaltungskompetenzen im Bereich der Lohn- und Einkommenssteuer über das begrenzte Hebesatzrecht hinaus ist wegen drohender Komplikationen abzuraten. Die durch die Zuschläge erwirtschafteten Einnahmen der Länder müssen natürlich im Anschluss im Finanzausgleichsystem unberücksichtigt bleiben. Entschließt sich der Bundesgesetzgeber zu einer Einführung eines Zuschlagsrechts der Länder für die Lohn- und Einkommensteuer, wird man daher den Bundessteuersatz zum Maßstab der Einnahmen für die Berechnung im horizontalen Finanzausgleich machen müssen. c) Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, dass hinsichtlich der Steuergesetzgebungskompetenzen von einer Übertragung der Grundsteuergesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer abzuraten ist. Dagegen ist die Einführung eines Zuschlagsrechts auf die Lohn- und Einkommenssteuer als Stärkung der Länderautonomie empfehlenswert. Wegen der Leistungsunterschiede zwischen den Bundesländern sollte die Höhe des Zuschlagsrechts max. + 5% auf den vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Steuersatz festgelegt werden. Um den Eigenbehalt der Länder an dem Mehrbetrag an der Lohn- und Einkommenssteuer zu gewährleisten, dürfen die durch die Zuschläge erwirtschafteten Einnahmen der Länder im Finanzausgleichsystem nicht berücksichtigt werden. Die Einführung einer Zuschlagsregelung zur Stärkung der Länderautonomie, würde bestehende Leistungsunterschiede zwischen den Ländern wahrscheinlich verstärken. Die Einführung eines Entschuldungsfonds könnte insoweit vergleichbare Startbedingungen für den mit der Einführung von Zuschlagsrechten einhergehenden Wettbewerb schaffen. 739 In die Diskussion über die Ausweitung der Länderautonomie auch die Kommunen mit in die Planungen einzubeziehen, macht wenig Sinn, da den Ländern und den Kommunen Steuergesetzgebungskompetenzen und / oder Zuschlagsrech738 739
I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 340. Vgl. zum Entschuldungsfonds Dritter Teil Kap. D.III.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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te auf dieselben Steuern eingeräumt werden würde. 740 Im Sinne der Flexibilisierung ist es ferner möglich, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG dahingehend zu reformieren, dass die Möglichkeit des Bundes zur Erhebung von Ergänzungsabgaben auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer in einen flexiblen „Bundeszuschlag“ analog dem Länderzuschlagsrecht inklusive Höchstgrenze umgestaltet wird, der nicht nur bei schwieriger Haushaltslage, sondern im allgemeinen Bedarfsfall erhoben werden kann. 741 2. Finanzausgleich – Ertragsverteilung Das Finanzausgleichsystem bedarf ebenfalls der Reform. 742 Im Folgenden wird erörtert, ob es durch grundlegende bzw. weniger eingriffsintensive Änderungen des Gesetzgebers modernisiert werden kann. a) Grundlegende Änderungen des Finanzausgleichsystems Eine Option ist die grundlegende Modifikation des Finanzausgleichsystems. aa) Keine Einführung eines Trennsystems Eine Möglichkeit zur Veränderung des aktuellen Systems ist die Auflösung des großen Steuerverbundes aus Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuer in Art. 106 Abs. 3 GG und eine Überleitung zu einem Trennsystem. Aufgrund der Tatsache, dass die Einnahmen aus den drei wesentlichen Steuerquellen ca. 70 % der gesamten jährlichen Steuereinnahmen von Bund und Ländern beträgt, würde es sich hierbei um eine sehr weitreichende Veränderung des bisher bestehenden Systems handeln. Der Leitgedanke hinter dem Modell des Trennsystems ist es, den Ländern die Einkommen- und Körperschaftssteuer im Ganzen zu überlassen und dafür dem Bund den Länderanteil an der Umsatzsteuer zu geben. 743 Dieser Vorschlag hat jedoch den Nachteil, dass man das Verhältnis der genannten Steuern zueinander auf Dauer festschreibt, was vor dem Hintergrund der Harmonisierung der Steuersätze im EG-Binnenmarkt nicht zu überzeugen vermag. Insbesondere eine effektive Einkommensteuerpolitik ist nur durch die Regelungshoheit des Bundes gewährleistet. Ferner ist dem Bund und den Ländern über die bestehende Regelung in Art. 106 Abs. 3 GG eine Grundfinanzierung garantiert. 744 Das 740
H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 1059. I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 342; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Länderfinanzausgleich, S. 100. 742 So auch H. Meyer, KritV 2008, S. 132. 743 H. Hofmann, ZRP 1999, S. 465 (468); J. Sanden, Die Weiterentwicklung der föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland, S. 963 ff. 741
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Ergebnis einer Modellrechnung macht deutlich, dass bei der Einführung eines Steuertrennsystems, bei dem die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer den Ländern und die Umsatzsteuer dem Bund zugeordnet wäre, der Abstand in der Steuerausstattung zwischen den finanzstarken westdeutschen Flächenländern und den ostdeutschen Ländern wesentlich größer werden würde. 745 Hierbei fällt vor allem ins Gewicht, dass der bisher auf der 2. Stufe des Finanzausgleichs durchgeführte Umsatzsteuervorwegausgleich zwischen den Ländern bei einem Wechsel zum Steuertrennsystem somit hinfällig wäre. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt wurde, wird momentan durch die Ergänzungsanteile der noch bestehende erhebliche Abstand zwischen den steuerschwachen Ländern und den steuerstarken Ländern verkleinert. Im Ergebnis würde ein Wechsel zum Steuertrennsystem den schon jetzt bestehenden Abstand in der Steuerkraft zwischen den steuerschwachen ostdeutschen Flächenländern und den steuerstarken westdeutschen Flächenländern noch verstärken. Dieses Modell ist nicht in der Lage allen Ländern eine adäquate Ausstattung mit Steuermitteln zu gewährleisten und somit ohne Akzeptanz. bb) „Optionsmodell“ als Alternative Eine mögliche Alternative zur Umgestaltung des gegenwärtigen Finanzausgleichsystems ist die – zusätzliche – Normierung des Optionsmodells im Grundgesetz. 746 Der Leitgedanke des Modells ist, dass finanzschwachen Ländern die Möglichkeit eingeräumt wird, für einen begrenzten Zeitraum den Selbstbehalt beim örtlichen Steueraufkommen zu steigern. Dies soll ihnen dadurch ermöglicht werden, dass sie für einen begrenzten Zeitraum von beispielsweise fünf bzw. sieben Jahren die Transfers, die sie aus dem Finanzausgleich erhalten, d. h. konkret die Mittel aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich, dem Länderfinanzausgleich und den Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen gegen eine höhere Beteiligung am örtlichen Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommen eintauschen können. Nach diesem Modell soll der Landesbetrag am örtlichen Steueraufkommen im ersten Optionsjahr zu keinen Veränderungen der Finanzausstattung des optierenden Landes führen. Zu finanziellen Veränderungen kommt es erst mit 744
I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (445); S. Korioth, Perspektiven einer Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, in: K. Konrad / B. Jochimsen, Der Föderalstaat nach dem Berlin-Urteil, S. 49 (59). 745 Vgl. Berechnungen bei W. Kitterer / R. Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, S. 126 ff. 746 P. Müller, Kom.-Drs. 25, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 1 ff.; C. Fuest, Kom.-Drs. 19, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 14 ff.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Beginn des zweiten Jahres. Hierbei soll der Finanzausgleich mit den nicht optierenden Ländern ganz normal weitergeführt werden. Finanzielle Effekte werden nur zwischen dem Bund und den Ländern, die die Option ausüben, verrechnet. Um beispielsweise auf gravierende Veränderungen im Steuerrecht reagieren zu können, ist dem optierenden Land ferner ein vorzeitiges Kündigungsrecht einzuräumen, um sich wieder in das Länderfinanzausgleichssystem eingliedern zu können. Im Regelfall schließt sich nach Anlauf der Option eine Neujustierung des Systems an, wobei die Bedingungen für die Wahrnehmung einer weiteren Option an die dann aktuell gültigen Finanzkraftbedingungen anzugleichen sind. Der Vorteil des Optionsmodells liegt in seiner positiven Anreizwirkung zur Steigerung des Wirtschaftswachstums der Länder. Momentan ist der Finanzausgleich so ausgestaltet, dass überdurchschnittliche örtliche Steuereinnahmen größtenteils im Wege der Umverteilung nicht bei den Ländern verbleiben, bei denen sie anfallen. Der Einsatz von Landesfinanzmitteln für eine Steigerung des BIP wird durch ein solches System nicht belohnt. Anders würde es sich unter Anwendung des Optionsmodells verhalten. Profiteuere eines solchen Modells sind die Bundesländer, deren örtliches Steueraufkommen stärker wächst als im Bundesdurchschnitt. Bei einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik hat das optierende Land durch die wegfallende Einspeisung in das Verrechnungssystem des Finanzausgleichs die Chance auf steuerliche Mehreinnahmen. Diese verbleiben direkt bei dem betreffenden Land und müssten sinnvollerweise exakt erfasst werden. Der im Vergleich zum Verbleib im bestehenden Finanzausgleichsystem erwirtschaftete Überschuss wäre im Folgenden zur Sanierung des Landeshaushalts einzusetzen. Gegen die Einführung eines Optionsmodells spricht zunächst der nicht ersichtliche Nutzen einer solchen Regelung für den Bund. In Relation zum aktuellen System des Finanzausgleichs würde der Bund durch ein erfolgreich optierendes Land an Steueraufkommen verlieren. Eine Kompensation dieses Effektes tritt aber durch den Wegfall ansonsten möglicherweise anfallender Bundesleistungen zur Abwendung extremer Haushaltsnotlagen der optierenden Länder sowie deren Interesse an einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ein. Das finanzielle Risiko hält sich für die Beteiligten durch die Festlegung eines bestimmten Aussetzungszeitraumes in Grenzen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Einführung eines Optionsmodells grundsätzlich möglich ist und wahrscheinlich auch zu positiven Effekten durch die Stärkung von Ländern mit überdurchschnittlichem BIP führen würde. Dennoch ist die Einführung einer solchen Alternative zum Finanzausgleichsystem abzulehnen. Die Normierung eines temporären Ausscherens einzelner Bundesländer aus dem Gesamtsystem des Finanzausgleichs ist nicht erstrebenswert und würde zu einer weiteren Verkomplizierung und Intransparenz bei der Steuerertragsverteilung führen. Der hinter dem Optionsmodell stehende Gedanke der Beseitigung
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
von Anreizhemmnissen sollte vielmehr aufgegriffen werden und allgemeinverbindlich für alle Beteiligten in das geltende System integriert werden. cc) Einbeziehung von nichtsteuerlichen Abgaben in das System des Finanzausgleichs Die stetig steigenden Einnahmen der öffentlichen Gebietskörperschaften durch nichtsteuerliche Abgaben und die daraus resultierende zunehmende Ungenauigkeit bei der Ermittlung der jeweils zur Verfügung stehenden Finanzmittel erfordern es, über deren Einbeziehung in das System des Finanzausgleichs nachzudenken. Durch die abschließende Regelung der Ertragszuständigkeiten in Art. 106 GG teilt die Finanzverfassung das Steueraufkommen sowie die Erträge aus Finanzmonopolen Bund, Ländern und Gemeinden zu. Hierdurch wird auch die Finanzkraft der Länder angeglichen. Schwierigkeiten bereitet hierbei, dass nicht alle Einnahmequellen der Gebietskörperschaften erfasst werden. Dies führt zu einer Verzerrung bei der gerechten Verteilung der Finanzquellen, da durch die fehlende Einbeziehung von Abgaben im engeren Sinne, Gebühren, Beiträgen und privatrechtlichen Entgelten nicht die gesamte Finanzkraft berücksichtigt wird. 747 Die Ertragshoheit für Sonderabgaben richtet sich nach der Gesetzgebungskompetenz; für die restlichen nichtsteuerlichen Einnahmen orientiert sie sich – mit Ausnahme von Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG – an der Verwaltungskompetenz. 748 Es stellt sich daher die Frage, inwieweit eine Erweiterung der einzubeziehenden Einnahmen durch eine Berücksichtigung der sog. „sonstigen Einnahmen“, d. h. von Abgaben im engeren Sinne Gebühren, Beiträge und privatrechtliche Entgelte im Finanzausgleichsystem geboten ist? Es gilt hier zu differenzieren. Um Einblicke in die tatsächliche Finanzlage der Gebietskörperschaften zu erhalten, sollten zukünftig zumindest die gewinnbringenden Einnahmequellen in Art. 106 GG aufgenommen werden. 749 Im Zusammenhang mit parafiskalischen Sonderabgabe führte das BVerfG aus, dass „alle nichtsteuerlichen Abgaben, die weder Gebühr noch Beitrag sind und bei denen auch mangels sonstiger spezieller Sach- und Zweckzusammenhänge eine Konkurrenz zur Steuer nicht von vornherein auszuschließen ist (Sonderabgaben im engeren Sinne)“
bei der Haushaltsplanung erkennbar zu berücksichtigen sind. 750 Unter Beachtung des Steuerstaatsprinzips 751, nach welchem die Finanzierung des Staates primär 747
F. Kirchhof, ZG 2006, S. 288 (291 f.); S. Korioth, Reform der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen?, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 677 (697 f.); P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (875); K. Vogel / Walter, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 106 Rn. 30. 748 K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 6; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1060. 749 K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 6. 750 BVerfGE 108, 186 (218 f.).
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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durch Steuereinnahmen zu erfolgen hat, wäre somit zumindest eine Einbeziehung von Sonderabgaben im engeren Sinne auf der Einnahmenseite sinnvoll. 752 Noch problematischer ist die Einbeziehung von Gebühren, Beiträgen und privatrechtliche Entgelten. Sie zielen grundsätzlich nicht darauf ab, die Finanzkraft des Staates durch die Vereinnahmung von Finanzmitteln zu stärken, sondern werden vielmehr als Gegenleistung für eine abgrenzbare Leistung des Staates verstanden. Erst wenn sie den Gegenwert der staatlichen Leistung erkennbar überschreiten, bedürfen sie einer besonderen Rechtfertigung. Für eine Reform der Finanzordnung wäre somit eine Berücksichtigung nur solcher Gebühren, Beiträge oder privatrechtlicher Entgelte in Art. 106 GG sinnvoll, die eindeutig nicht mehr einem reinen Vorteilsausgleich dienen. Auf die umstrittene Frage einer möglichen Integration der Sozialversicherungsbeiträge in die Regelungen der Finanzverfassung gem. Art. 104a ff. GG wird hier im Einzelnen nicht weiter eingegangen. 753 Obwohl die Sozialversicherungsbeiträge vom jährlichen Einnahmevolumen betrachtet den Steuereinnahmen sehr nahe kommen, ist der Bereich der Sozialversicherung im Grundgesetz losgelöst vom Haushalt des Bundes und der Länder eigenständig geregelt. 754 Durch diese Trennung werden die über die Sozialversicherungsbeiträge erzielten Einnahmen über ihre Zweckbindung sinnvollerweise nicht dem direkten Zugriff der Länderhaushalte und des Bundeshaushaltes ausgesetzt. Diese klare Trennung bedarf daher keiner umfassenden Änderung.
751 Vgl. u. a. BVerfGE 78, 249 (266 f.); P. Kirchhof, in: HdbStR V, § 119 Rn. 1; C. Waldhoff, in: HdbStR V, § 116 Rn. 84, die z.T. darauf hinweisen, dass ein Vorrang der Einnahmeerzielung aus Steuern geboten sei, da ansonsten die „sorgfältig ausgewogene Regelung des Finanzausgleichs im Grundgesetz“ unterlaufen werden würde. Die vorliegende Bearbeitung macht aber gerade deutlich, dass man von einer ausgewogene Regelung des Finanzausgleichs im Grundgesetz zurzeit nicht sprechen kann und als Konsequenz daraus über die Einbeziehung bestimmter Abgabeformen in das Finanzausgleichsystem nachgedacht werden muss. Die verfassungsrechtliche Geltung des Steuerstaatsprinzips in seiner absoluten Ausprägung wird daher seit einiger Zeit zu Recht mit gewichtigen Gründen relativiert. Ausführliche Kritik mit weiteren Argumenten u. a. bei F. Ekardt, Zukunft in Freiheit, S. 629 ff.; R. Hendler, Umweltabgaben und Steuerstaatsdoktrin, AöR 115 (1990), S. 575 (595 ff.); W. Heun, Die Entwicklung des Steuerstaatskonzepts in theoretischer und tatsächlicher Hinsicht, in: U. Sacksofsky / J. Wieland, Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, S. 10 (16 ff.). 752 So auch P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (875). 753 Für den Beibehalt eines eigenständiges Regelungssystem der Sozialversicherung überzeugend u. a. W. Heun, Die Sozialversicherung und das System der Finanzverfassung, in: L. Osterloh / K. Schmidt / H. Weber, FS für Peter Selmer, S. 657 ff. 754 Vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG (Gesetzgebungskompetenz), Art. 87 Abs. 2 GG (Organisationskompetenz), Art. 120 Abs. 1 S. 4 GG (Finanzierungskompetenz).
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
dd) Grundsätzlich keine Berücksichtigung struktureller Unterschiede über Sonderbedarfe Man könnte erwägen, strukturelle Unterschiede zwischen den Bundesländern in Zukunft stärker in das System des Finanzausgleichs einzubeziehen. Ausgangspunkt der Idee ist die Annahme, dass sich die ökonomische Leistungsfähigkeit sowie die finanzielle Belastung der öffentlichen Haushalte der Bundesländer durch objektiv feststellbare, strukturelle Vor- und Nachteile der einzelnen Länder wie z. B. die geographische Lage, die Bevölkerungsdichte bzw. -entwicklung, die Höhe der Staatsschulden, der Sozialhilfeempfängeranteil an der Gesamtbevölkerung, unterscheiden. Unter den gegeben Umständen ist für weitere Reformbemühungen jedoch davon abzuraten, neue Tatbestände struktureller Unterschiede im – jetzt schon sehr komplexen – System des Finanzausgleichs zu integrieren. Für eine restriktive Handhabung spricht, dass eine sachgerechte Ermittlung von Sonderbedarfen aufgrund struktureller Unterschiede praktisch kaum durchführbar ist. 755 Im Prinzip kann jedes Bundesland gegenüber den anderen Ländern Nachteile in bestimmten Bereichen ausfindig machen. Würde man strukturelle Unterschiede vermehrt im Finanzausgleich berücksichtigen, müsste man damit rechnen, dass die Länder unterschiedlichste Bedarfe anmelden würden. Die Berücksichtigung von Sonderbedarfen führt dazu, dass die Lasten nachteiliger Entwicklungen zunehmend auf die bundesstaatliche Gemeinschaft übertragen werden, womit die Länderposition im Endeffekt geschwächt wird. Im Ergebnis besteht ein Anreizproblem kompensationsbewährten Fehlentwicklungen aktiv zu begegnen, da ein Ausgleich im Nachhinein erfolgt. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Berücksichtigung struktureller Unterschiede im System des Finanzausgleichs unausweichlich erscheint, ist von ihrer Ausweitung durch zukünftige Reformbemühungen abzusehen. Einzig aufgrund der sich anerkanntermaßen von den Flächenländern unterscheidenden Situation der Stadtstaaten wäre es angebracht eine Stadtstaatenklausel in die Finanzverfassung aufzunehmen. 756 Über eine z. B. in Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG aufzunehmende Regel müsste der Bundesgesetzgeber verpflichtet werden, die Besonderheit der Stadtstaaten bei Gesetzgebungsvorhaben im Bereich der Finanzausgleichs zu berücksichtigen. Somit bestünde die Möglichkeit, vorteilhafte und nachteilige Wirkungen z. B. mit den an die Stadtstaaten angrenzenden Bundesländern genau auszutarieren. 757
755 C. Fuest, Kom.-Drs. 19, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 18. 756 So auch I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 366 f. 757 Vgl. hierzu die Darstellung möglicher Ansätze für einen Ausgleich der Stadtstaaten mit den angrenzenden Flächenländern bei I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 367 f.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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b) Punktuell notwendige Veränderungen des Finanzausgleichsystems Der überwiegende Teil der bestehenden Probleme im Finanzausgleichsystem kann durch punktuelle Veränderung der bestehenden Normen behoben werden. aa) Neuordnung der vertikalen Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 106 GG) Im Bereich der primär-vertikalen Steuerverteilung gilt es, bestehende Regelungslücken zu schließen und die Ertragsaufteilung zwischen den Beteiligten öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu verbessern. α) Veränderung der rechtlichen Vorgaben für die Verteilung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern Eine Veränderung der rechtlichen Vorgaben für die Verteilung der Umsatzsteueranteile ist aufgrund der faktischen Aufteilung der Umsatzsteuererträge im Wege der politischen Verhandlungen zwischen dem Bund und Ländergemeinschaft nur in begrenztem Rahmen möglich. (1) Keine weitere Aufnahme von Motiven für bestimmte Quotierungen Im Rahmen einer künftigen Reform könnte die Forderung nach einer Veränderung des gegenwärtigen Deckungsquotenverfahrens bei der Aufteilung der Umsatzsteuer auf Bund und Länder 758 oder nach Anwendung andere Berechnungsverfahren 759 aufkommen. Dabei gilt es, sich zu vergegenwärtigen, dass das eigentliche Problem nicht in dem Verfahren der Deckungsquotenberechnung zu verorten ist, sondern vielmehr in der fehlenden Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale „laufende Einnahmen“ und „notwendige Ausgaben“ liegt. 760 Im Endeffekt ist die Umsatzsteuerverteilung eine politische Kompromissentscheidung. Bedenklich ist jedoch, dass im Zuge der Normengebung der letzten Jahre vermehrt Motive für eine besondere Quotierung der Umsatzsteueranteile in das Grundgesetz 761 wie auch in die einfachgesetzlichen Ausführungsgesetze 762 auf758 Ausführlich R. Wendt, Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern, S. 25 ff. 759 So S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 481 ff. 760 H. Meyer, KritV 2008, S. 132 (135 f.); K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 84. 761 Vgl. Art. 106 Abs. 3 S. 5 GG.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
genommen wurden. Aufgrund der fehlenden Zweckbindung von Steuern ist ein solches Vorgehen nicht zielführend und in Zukunft durch den Gesetzgeber zu unterlassen. Die Motive für den Erlass einer Norm gehören in die Begründung des Gesetzes und nicht in seinen Wortlaut. 763 (2) Streichung der Verteilungsgrundsätze bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse (Art.106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 1., 2. u. 3. Alt. GG) Weiterhin ist die Streichung der Verteilungsgrundsätze, welche bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 2. u. 3 Alt. GG zur Geltung kommen, in Betracht zu ziehen. Die Zielvorstellung eines billigen Ausgleichs divergierender Finanzinteressen gem. Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 1. Alt. GG verdeutlicht den der Umsatzsteuerverteilung zugrunde liegenden politischen Kompromiss, womit ihr ein erklärender Charakter zukommt. Darüber hinaus ist Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 1. Alt. GG kein weiterführender Inhalt zu entnehmen. 764 Die in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 2. Alt. GG normierte Zielvorgabe der „Vermeidung der Überbelastung der Steuerpflichtigen“ ist von der Intention her grundsätzlich zu begrüßen. Im Zusammenhang mit der Festsetzung der Umsatzsteuerertragsanteile für den Bund und die Ländergesamtheit ist diese Vorgabe jedoch nicht realisierbar und deplaziert. 765 Durch die Steuerertragsverteilung kann keine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden werden. Ferner ist auch die Zielvorstellung der „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ gem. Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 3. Alt. GG aufgrund ihrer extremen Weite bedenklich. Spätestens seit der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG stimmt der Begriff nicht mehr mit der dort verwendeten Formel überein. 766 Sie führt insofern bei der konkreten Berechnung der Umsatzsteuerverteilung zwischen dem Bund und der Ländergesamtheit zu keinen weiterführenden überprüfbaren Entscheidungsmaßstäben.
762
Vgl. § 1 FAG. So auch H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 27. 764 K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 88; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 106 Rn. 17; a. A. S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 500. 765 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 40; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 89; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 106 Rn. 17. 766 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 106 Rn. 17. 763
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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Im Ergebnis sind die in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG normierten Zielvorstellungen zukünftig entweder zu streichen oder bei den Regeln über die Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenzen in Art. 105 GG einzufügen. β) Streichung von Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG ermöglicht dem Bundesgesetzgeber bei Zustimmung des Bundesrates, den Gemeinden das Recht zur Bestimmung der Hebesätze für den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer zu übertragen. Bisher ist von dieser Übertragungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht worden. Nach der jetzigen Gesetzeslage ergibt sich nach dem Wortlaut der Norm jedoch ein Problem bei der möglichen Anwendung auf Stadtstaaten. Entsprechend ihrer Verfasstheit existieren keine Gemeinden. Abhilfe kann bisher nur über eine analoge Anwendung von Art. 106 Abs. 6 S. 3 GG geschaffen werden, der hinsichtlich der Grund- und der Gewerbesteuer sowie der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern festlegt, dass das Aufkommen bei Ländern ohne Gemeinden dem Land zu steht. Im Sinne der Rechtsklarheit ist daher die Lücke im System des Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG bei der Zuweisung der Anteile an der Einkommenssteuer durch eine Art. 106 Abs. 6 S. 3 GG entsprechende Formulierung, die Anteile bei Ländern ohne Gemeinden dem Land zuweist, zu schließen. 767 Aus rechtspolitischer Sicht stellt sich jedoch grundsätzlich die Frage, ob man Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG nicht im Ganzen aus dem Grundgesetz streichen sollte, da er seit nunmehr fast vier Jahrzehnten nicht zur Anwendung gekommen ist. Inhaltlich konkretisiert Art. 106 Abs. 5 GG die Vorgabe des Art. 106 Abs. 3 S. 1 GG, welcher den Gemeinden einen Teil des Einkommensteueraufkommens zuweist. 768 Gem. Art. 106 Abs. 5 S. 2 GG wird über ein Bundesgesetz festgelegt, in welcher Höhe die Einkommensteuerleistungen angerechnet werden. Die konkrete Zuweisung der für jede einzelne Gemeinde errechenbaren Summe erfolgt nach Art. 106 Abs. 5 S. 1 GG durch das Land. Der Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer bemisst sich im Einzelfall nicht nach dem örtlichen Aufkommen, sondern auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner. Hieraus folgt eine landesinterne Umverteilung, nach der Gemeinden mit einer wohlhabenden Bevölkerung im Ergebnis geringere Zuweisungen von der Gesamtsumme des Länderanteils erhalten als ihnen nach ihrer faktischen Einkommensteuerleistung zusteht. Im Gegenzug erhalten die ärmeren Gemeinden gemessen an ihrer Einkommenssteuerleistung mehr Anteile an dem Einkommenssteueranteil des jeweiligen Landes. Diese als solche schon schwierige Zuweisung der 767
K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 106 Rn. 12. Nach § 1 S. 1 GFRG erhalten die Gemeinden als Anteil an der Einkommenssteuer 15% des Aufkommens an der Lohnsteuer und an der veranlagten Einkommensteuer sowie 12% des Aufkommens aus dem Zinsabschlag. 768
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Gemeindeanteile an der Einkommenssteuer ist nicht kompatibel mit einem nach Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG möglichen Hebesatzrecht. Hätten die Gemeinden das Recht zu Veränderung des Steuersatzes, müsste die Länder ihnen entweder zu Lasten der anderen Gemeinden mehr zahlen als ihnen zusteht oder das durch den Hebesatz zusätzlich eingeworbene Geld ginge zur Hauptsache an die anderen Gemeinden, weil der Anteil gedeckelt ist. 769 Da die einst angedachte Gemeindeeinkommenssteuer nicht in das Grundgesetz aufgenommen wurde und der Verfassungsgesetzgeber sich für die in Art. 106 Abs. 5 GG gefundene Lösung entschieden hat, macht die mögliche Einführung eines Hebesatzrechtes der Gemeinden aus rechtlicher Perspektive keinen Sinn. Im Ergebnis ist es daher angebracht, Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG aus dem Grundgesetz zu streichen. γ) Verfassungsrechtliche Einbindung der Kommunen in die vertikale Ertragsverteilung Hinsichtlich der Kommunen ist für eine Reform zweierlei zu bedenken. Zum einen ist es erwägenswert, die bisher nicht vorhandene Steuerertragsbeteiligung der Landkreise in Form einer Beteiligung an der Umsatzsteuer verfassungsrechtlich zu verankern. Die Finanzverfassung als Folgeverfassung wird der Tatsache, dass den Landkreisen von der Verfassung in einem beträchtlichen Umfang originäre Selbstverwaltungsaufgaben gewährleistet werden, bisher durch eine fehlende Regelung der Mittelausstattung nicht gerecht. 770 Zum anderen ist darüber nachzudenken, ob man den Anteil der Gemeinden an der Einkommens- und Körperschaftssteuer nicht auch – wie in Art. 106 Abs. 3 S. 2 GG für Bund und Länder – verfassungsrechtlich festschreibt. In der Abwägung zwischen flexibler Gestaltbarkeit durch einfachgesetzliche Regelung und einer erhöhten Rechtssicherheit für die Gemeinden durch die Aufnahme der Anteilshöhe an der Einkommens- und Körperschaftssteuer in das Grundgesetz sollte letztere Variante aufgrund der Bedeutung der Gemeinden im bundesstaatlichen Gefüge ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
769 H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 39. 770 Zu Recht H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 140 ff.; ders., Auf ein Neues – Weitere Schritte zu einer klareren Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen, in: R. Baus / T. Fischer / R. Hrbek, Föderalismusreform II, S. 103 (107).
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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bb) Änderung der horizontalen Steuerverteilung (Art. 107 Abs. 1 GG) Eine Änderung der primär-horizontalen Steuerverteilung in Art. 107 Abs. 1 GG kommt im Bereich der Lohnsteuerzerlegung und bei der Umsatzsteuerverteilung in Betracht. Hingegen haben sich die Regelungen der Körperschaftssteuerzerlegung in §§ 2 –6 ZerlG bewährt und bedürfen keiner Änderung. α) Änderung der Lohnsteuerzerlegung Das BVerfG hat die gegenwärtige Regelung der Lohnsteuerzerlegung für verfassungsmäßig befunden, da sie vom Gestaltungsspielraum des Art. 107 Abs. 1 GG umfasst sei. 771 Das nach Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG grundsätzlich für die Zerlegung der Landessteuern und des Länderanteils am Aufkommen der Einkommensund der Körperschaftssteuer maßgebliche Prinzip des „örtlichen Aufkommens“ führt jedoch immer dann zu Problemen, wenn der Ort der wirtschaftlichen Betätigung und der Wohnsitz des Steuerpflichtigen in zwei unterschiedlichen Bundesländern liegen oder wenn aus anderen Gründen der Ort der Steuererhebung und der Wohnsitz des Steuerpflichtigen in unterschiedlichen Bundesländern liegen. Typische Beispiele für daraus resultierende Verzerrungen des Prinzips der Steuerverteilung nach der „wirklichen“ 772 regionalen Steuerkraft sind Landesgrenzen überschreitende Pendler oder die Einrichtung zentraler Lohnbüros, deren Lohnsteuerzahlungen nur dem Sitzland zufließen und nicht den Ländern, in denen die Arbeitnehmer ihren Wohnsitz haben. 773 Art. 107 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet den Bundesgesetzgeber deshalb zu einer Korrektur dieser Verzerrung, welche mit dem Erlass des ZerlG erfolgt ist. Nach diesem Gesetz sind die in einem Bundesland angefallenen Einnahmen aus der Körperschafts- und Lohnsteuer sowie aus dem Zinsabschlag zu zerlegen und auf die Länder zu verteilen, in denen sie erzielt wurden bzw. in denen der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat. Problematisch ist hier insbesondere § 7 Abs. 1 ZerlG, der anordnet, dass die von einem Bundesland vereinnahmte Lohnsteuer insoweit zu zerlegen ist, als sie von den Bezügen der in den anderen Ländern ansässigen, unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer insgesamt einbehalten worden ist. Nach § 7 Abs. 2 S. 2 ZerlG wird die Lohnsteuer in Abkehr vom Prinzip des örtlichen Aufkommens dem Wohnsitzland des Arbeitnehmers zugewiesen. Diese Form der Lohnsteuerzerlegung wirkt sich in einem besonderen Maße negativ für die Stadtstaaten aus, da dort typischerweise viele Arbeitnehmer einpendeln. Die Anknüpfung an den Wohnsitz benachteiligt aber auch Flächenländer, deren Ballungszentren 771 772 773
BVerfGE 72, 330 (406 f.). BVerfGE 72, 330 (392). Vgl. P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 69.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
häufig von ihrem Umland durch die Grenzen anderer Bundesländer getrennt sind. Die aktuelle Lohnsteuerzerlegung führt somit für einige Länder zu einer überproportional hohen Ausgleichszahlung, die vor dem Hintergrund der so bei der letzten Reform im Jahre 1969 nicht vorauszusehenden Entwicklung des Lohnsteueraufkommens (die zweitertragsreichste Steuer hinter der Umsatzsteuer) verfassungsrechtlich bedenklich ist und einer Änderung bedarf. 774 Es ist im Hinblick auf die fiskalische Äquivalenz sehr fraglich, ob die gegenwärtige Regelung der Lohnsteuerzerlegung die länderspezifische Belastung mit spezifischen öffentlichen Leistungen noch ausreichend wiedergibt. Als Alternativen zur herkömmlichen Lohnsteuerzerlegung nach dem Wohnsitzprinzip bieten sich insbesondere zwei Lösungen an. Zum einen könnte man eine hälftige Zerlegung nach Wohnsitz- und Betriebsstätte für die Lohnsteuer einführen. 775 Hierfür spricht, dass bei diesem Ansatz sowohl auf die Eigenschaft der Bundesländer als Personenverband, als auch auf ihre Funktion als öffentlichrechtliche Gebietskörperschaft Bezug genommen wird. Insoweit ist die Einbeziehung des Betriebsstättenprinzips im Hinblick auf die Pendlerproblematik eine gerechte Kompensation für die ersparten Aufwendungen der Wohnsitzländer für die Produktionsinfrastruktur. Eine andere Lösung ist die Lohnsteuerzerlegung nach dem BIP. Sie stellt einen noch festeren Bezug zur Wirtschaftskraft bei der Zerlegung der Lohnsteuer her, der gerade unter dem Gesichtspunkt der Setzung von wachstumsfördernden Anreizen interessant ist. Finanzwissenschaftliche Berechnungen haben auf Grundlage der Kennzahlen für 2005 ergeben, dass vor allem bisher finanzschwache Länder von einer Lohnsteuerzerlegung nach dem BIP profitieren würden. 776 Im Ergebnis sind beide Vorschläge aufgrund des engeren Bezuges zur Wirtschaftskraft besser als die aktuelle Regelung der Lohnsteuerregelung, wobei der letztere aus genannten Gründen vorzugswürdig erscheint.
774 W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 107 Rn. 18; S. Homburg, Die Finanzverfassung auf dem Prüfstand, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1999/II, S. 83 (89); P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 107 Rn. 69; R. Mußgnug, JuS 1986, S. 872 (873 f.); R. Peffekoven, FinArch 45 (1987), S. 181 (186); a. A. H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 145. 775 D. Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, S. 78 f.; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 521 f.; J. Wieland, DVBl. 1992, S. 1181 (1188). 776 Vgl. Berechnungen bei W. Kitterer / R. Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, S. 69 ff.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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β) Umsatzsteuerverteilung Der Verteilung des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommens kommt im System der Finanzordnung wegen der hohen Erträge eine besondere Bedeutung zu. (1) Abschaffung des Instrumentes der Ergänzungsanteile (Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG) Die Konzeption der Umsatzsteuerergänzungsanteile im System des Finanzausgleichs ist problematisch. Folgt man dem BVerfG „steht erst nach der Zuteilung der Ergänzungsanteile die eigene Finanzausstattung der einzelnen Länder fest“ 777. Demnach sind erst die folgenden, in Art. 107 Abs. 2 GG verankerten, zwei Stufen des Finanzausgleichsystems als Umverteilungsmechanismen zu charakterisieren, bei denen zu leistende Abgaben der ausgleichsverpflichteten Länder als Leistungen aus dem Eigenen gelten. 778 Bei der Umsatzsteuer vollzieht sich durch die Ertragsverteilung ein nicht unwesentlicher Teil des eigentlichen Finanzausgleichs. Hierbei führen die Ergänzungsanteile zu einer dem örtlichen Aufkommen entsprechenden Modifizierung der Steuerkraft, d. h. die Länder, die nicht von den Ergänzungsanteilen profitieren, erhalten einen Umsatzsteueranteil, der unter ihrer rechnerischen Einwohnerquote liegt. 779 Zweck dieser Regelung ist nach der Wiedervereinigung vor allem die Ausstattung der ostdeutschen Länder mit zusätzlichen finanziellen Mitteln. Allein die Tatsache, dass die letzten drei vor dem BVerfG zum Finanzausgleich klagenden Länder hier keine oder nur geringfügige Anteile erhalten und nach dem Umsatzsteuerausgleich als „Geberländer“ dastehen, zeigt, dass der Umsatzsteuervorausgleich nicht in vollem Umfang der haushaltspolitischen Realität der Länder entspricht. 780 Dies wird auch nicht dadurch aufgewogen, dass die Ergänzungsanteile den nachfolgenden Länderfinanzausgleich entlasten und die Finanzkraft der ostdeutschen Bundesländer somit einseitig gestärkt wird. Es stellt sich insoweit die Frage, ob man das Instrument der Ergänzungsanteile gem. Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG grundsätzlich überdenken muss oder in Zukunft zumindest das Ausgleichvolumen einfachgesetzlich reduziert und die Pflicht zu einer kritischen Überprüfung der Regelung in festgelegten regelmäßigen Abständen einfachgesetzlich normiert. Durch den Zwischenschritt der Umsatzsteuerergänzungsanteile im System des Finanzausgleichs wird der nachfolgende Länderfinanzausgleich in einem nicht 777
BVerfGE 72, 330 (385); 101, 158 (221); 116, 327 (379). BVerfGE 72, 330 (386). 779 Vgl. zur genauen Verteilung Zweiter Teil Kap. B.II.2.b)bb)ε). 780 Bundesministerium der Finanzen, Bund – Länder Finanzbeziehungen auf der Grundlage der geltenden Finanzverfassungsordnung, S. 48. 778
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
unbedeutenden Maße entlastet. Vor dem Hintergrund, dass die Wahrnehmung des Instrumentes der Ergänzungsanteile durch den Grundgesetzgeber in das Ermessen des Bundesgesetzgebers gelegt wurde und dementsprechend aufgrund der fehlenden Verpflichtung zur Umverteilung maximal eines Viertels der Länderanteile an der Umsatzsteuer eine Rücknahme jeder Zeit relativ unkompliziert möglich ist, sollte die Regelung als flexibles Element der Steuerertragsverteilung in der jetzigen Form im Grundgesetz beibehalten werden. Diese Funktion der Ergänzungsanteile überwiegt auch die unerfreuliche Tatsache, dass sich durch diese vorweggenommene Umverteilung die Steuerkraft der einzelnen Länder entsprechend dem örtlichen Aufkommen modifiziert. Allein die Finanzlage der ostdeutschen Länder erfordert zumindest mittelfristig die volle Ausschöpfung des Rahmens des Art. 107 Abs. 1 S. 4 2. Hs. GG durch den Bundesgesetzgeber. Im Ergebnis sind die Ergänzungsanteile somit als ein intransparentes und unsystematisches Bedarfselement im Bereich der horizontalen Steuervereilung zu qualifizieren. Sollte sich die Lage der ostdeutschen Länder nachhaltig gebessert haben, ist über deren Rückführung bzw. langfristig deren Abschaffung nachzudenken. Die Umsatzsteuerergänzungsanteile würden dann entfallen und wie der restliche Länderanteil an der Umsatzsteuer nach der Zahl der Einwohner auf die Länder verteilt werden. (2) Keine Verteilung der Umsatzsteueranteile der Länder nach der Wirtschaftskraft Im Rahmen möglicher Änderungen der Finanzordnung steht auch die Verteilung der Umsatzsteuer nach dem Maßstab der Einwohnerzahl z.T. in der Kritik. 781 Eine Alternative hierzu könnte eine Verteilung anhand des BIP, bei gleichzeitiger Abschaffung der Ergänzungsanteile sein. Gegen diesen Vorschlag sprechen vor allem finanzwissenschaftliche Modellrechnungen, die belegen, dass bei einem solchen Maßstabswechsel bei der Umsatzsteuerverteilung insbesondere die finanzschwachen ostdeutschen Bundesländer kräftige Einbußen zu verzeichnen hätten. 782 Ein Ergebnis, welches vor dem Hintergrund der degressiv ausgestalteten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für die ostdeutschen Länder zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft überaus problematisch ist. Die Ausfälle durch eine Umstellung der gesamten Umsatzsteuerverteilung des Länderanteils nach dem BIP würde dann nur noch z.T. über den Länderfinanzausgleich kompensiert werden. Die Einwohnerzahl ist als Maßstab zur Verteilung des Länderanteils der Umsatzsteuer auf die einzelnen Bundesländer geeignet, da sie ein typisierender Indikator 781 782
Z. B. W. Fuest / K. Lichtblau, Finanzausgleich im vereinten Deutschland, S. 50. W. Kitterer / R. Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, S. 73 ff.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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für die regionale Konsumkraft ist. 783 Insgesamt ergäbe sich für das System und die Ländergesamtheit kein wirklicher Vorteil durch eine Umstellung. Die Idee der Verteilung der Umsatzsteueranteile der Länder nach der Wirtschaftskraft bei einem gleichzeitig einzuleitenden Wegfall der Ergänzungsanteile überzeugt daher nicht. (3) Keine Sonderregel für Stadtstaaten bei der Umsatzsteuerverteilung Falls die Einwohnerzahl als Maßstab für die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer beibehalten werden sollte, könnte man darüber nachdenken, ob man hierbei ähnlich wie bei der Errechnung der Ausgleichsleistungen nach Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG und § 9 Abs. 2 FAG eine „Einwohnerveredelung“ für Stadtstaaten einführt. Eine solche Regelung ist jedoch abzulehnen. 784 Sie würde das bereits vorhandene Finanzausgleichsystem unnötig verkomplizieren. Hinsichtlich der Umsatzsteuerverteilung findet sich im Wortlaut des Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG keine Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG entsprechende Regelung wieder, die eine solche Berücksichtigung impliziert. Die Verteilung der Umsatzsteueranteile auf die Länder hat demnach abstrakt am Maßstab der Einwohnerzahl zu erfolgen. cc) Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs (Art. 107 Abs. 2 S. 1, 2 GG) Vergleicht man die in der Welt existierenden Bundesstaaten miteinander, dann zeigt sich, dass nahezu alle einen umverteilenden Finanzausgleich als zentrales Element des Föderalstaates vorsehen. Die in der deutschen Bundesverfassung vorgesehene Verknüpfung eines verpflichtenden Ausgleichs zwischen den Ländern mit der Möglichkeit freiwilliger Bundeszahlungen ist jedoch einmalig, da eine Umverteilung meist ausschließlich über vertikale Zuweisungen des Bundes an die Gliedstaaten erfolgt. Der horizontale Länderfinanzausgleich ist ein Finanzkraftausgleich, wobei der Maßstab des Finanzbedarfs grundsätzlich für alle gleich ist und durch die Anzahl der Einwohner festgelegt wird. Eine Abschaffung des Länderfinanzausgleichs im Sinne einer Vertikalisierung des gesamten Finanzausgleichs erscheint nicht erforderlich bzw. erstrebenswert, da er als Ausdruck der Solidarität der Länder untereinander ein zentrales Element im bundesdeutschen Fiskalföderalismus ist. Er ist Ausdruck der Länderautonomie, da er die Abhängigkeit der Gliedstaaten von der Zentralgewalt verkleinert. Insoweit erfordert eine Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs auch keine 783 P. Kirchhof, Der Verfassungsauftrag zum Länderfinanzausgleich, S. 7; S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 527. 784 S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 529.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Änderungen des Verfassungsrechts. Im Rahmen weiterer Reformen der Finanzordnung sind hinsichtlich des Länderfinanzausgleichs die einfachgesetzlichen Regelungen über die teilweise Berücksichtigung der gemeindlichen Steuerkraft, die Einwohnerwertung 785 und der Ausgleichtarif einer kritischen Prüfung zu unterwerfen. α) Volle Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft (§ 8 Abs. 3 FAG) Änderungsbedarf besteht hinsichtlich der nur teilweisen Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft bei der Finanzkraftmesszahl. 786 Hierbei werden sowohl die den Gemeinden zufallenden Realsteuern als auch der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer und der Einkommenssteuer nach § 8 Abs. 3 FAG jeweils nur zu 64% in die Finanzkraftmesszahl eines Bundeslandes eingerechnet. Dies führt faktisch dazu, dass erhebliche Teile der Finanzkraft im Länderfinanzausgleich bei der Finanzkraftberechnung außer Acht gelassen werden. 787 In der Konsequenz wird somit die Ausgangsposition von Ländern mit finanzstarken Gemeinden gegenüber Ländern mit finanzschwachen Gemeinden ungerechtfertigter Weise verbessert. 788 Daher muss künftig die durch Art. 106 Abs. 5 GG und Art. 106 Abs. 5a GG gestärkte finanzwirtschaftliche Unabhängigkeit der Gemeinden voll bei der Berechnung der Finanzkraftmesszahl berücksichtigt werden. β) Keine Abschaffung der Einwohnerwertung (§ 9 FAG) Zweifelhaft ist, ob auch die Einwohnerwertung nach § 9 FAG abgeschafft werden sollte. Nach § 9 FAG wird bei der Berechnung der Finanzkraft einiger Ländern nicht die tatsächliche Einwohnerzahl zugrunde gelegt, sondern die Stadtstaaten mit 135% der Einwohner gewertet und bei der Berechnung der Finanzkraft der Gemeinden jeder Einwohner je nach aufgeführtem Land mit 102 bis max. 135 % gewertet. Dies hat zur Folge, dass das Produkt aus den bundesdurchschnittlichen Pro-Kopf-Einnahmen und der Einwohnerzahl und somit die Ausgleichsmesszahl erhöht wird. 789 Der Grund für die Einführung der Einwohnerwertung ist die strukturelle Besonderheit der Stadtstaaten, die sich durch ein fehlendes Hinterland erheblich von den Flächenländern unterscheiden. Die 785
Vgl. § 9 FAG und § 8 Abs. 3 MaßstG. So auch F. Ekardt / D. Buscher, DÖV 2007, S. 89 (95); I. Kesper, NdsVBl. 2002, S. 1 (7); R. Wendt / M. Elicker, DÖV 2001, S. 762 ff.; a. A. J. Hidien, Die Berücksichtigung der Finanzkraft und des Finanzbedarfs der Gemeinden, S. 239. 787 Ausführlich R. Wendt / M. Elicker, DÖV 2001, S. 762 ff. 788 So auch S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (16); R. Wendt / M. Elicker, DÖV 2001, S. 762 (763). 789 Vgl. hierzu Zweiter Teil Kap. B.II.2.b)cc)β)(2). 786
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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bisher gemachten Vorschläge für eine Reform der Einwohnerwertung reichen hier von einer kompletten Abschaffung der Einwohnerwertung 790 bis hin zu einer Erhöhung auf 147% für die Stadtstaaten 791. Da das BVerfG in der Regelung über die Einwohnerwertung keinen Verstoß gegen das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz gesehen hat, ist diese Regelung grundsätzlich nicht zu beanstanden und aufgrund der Eigenart der Stadtstaaten hinsichtlich § 9 FAG, zumindest solange, bis keine Stadtstaatenklausel in das Grundgesetz (mit einfachgesetzlichen Ausführungen) aufgenommen wurde, auch geboten. Realistisch betrachtet scheint die gegenwärtige Regelung des § 9 FAG ein den bestehenden Problemen angemessener Kompromiss und ist somit in der bisherigen Form beizubehalten. γ) Absenkung des Ausgleichstarifs Dem Instrument des Länderfinanzausgleichs wird immer wieder unterstellt, es sei wegen seiner Kompensationsfunktion anreizfeindlich, d. h. die Garantie der Nivellierung verhindere eine die Finanzkraft der Nehmerländer steigernde Wirtschafts- und Finanzpolitik. 792 Dieser Vorwurf trifft nur bedingt zu, da in einer Demokratie jede Landesregierung darauf bedacht ist, wieder gewählt zu werden. Eine solide Wirtschafts- und Finanzpolitik erhöht grundsätzlich die Chancen hierzu. Dennoch sollte auch auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs die Eigenverantwortung eines jeden Bundeslandes für seinen Haushalt stärker herausgestellt werden, ohne das für Deutschland als wichtig erachtete Instrument des sekundären-horizontalen Ausgleichs abzuschaffen. Eine solche Maßnahme steht im Einklang mit einer Stärkung der Steuerautonomie der Länder und einer Reform des Staatsschuldenrechts. Eine weitere Absenkung des Ausgleichstarifs der Finanzkraftauffüllung ist daher zielführend für weitere Reformen des Länderfinanzausgleichs. 793 Eine Absenkung wäre einfachgesetzlich durch eine Änderung des § 10 FAG umzusetzen. Konkret müssten für eine Reform des Länderfinanzausgleichs einerseits die Grenzbelastungen gesenkt werden und andererseits eine hinreichende Unterstützung der finanzschwachen Länder durch die Solidargemeinschaft garantiert sein. 790 H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 146. 791 M. Hummel, Einwohnerwertung und Stadtstaaten, Expertise im Auftrag vom Senator für Finanzen Berlin, Senator für Finanzen Bremen, Finanzbehörde Hamburg. 792 U.a. C. Fuest, Kom.-Drs. 19, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 13 f.; K. Konrad, Kom.-Drs. 20, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen, S. 24 ff. 793 So auch W. Kitterer / R. Plachta, Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs, S. 178; S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 19.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
Eine Senkung der Grenzbelastungen über die im Jahr 2005 in Kraft getretene Reduzierung hinaus ist durch eine weitere Herabsetzung des Umverteilungstarifs zu erreichen. Die Einführung eines symmetrisch linearen Ausgleichstarifs in Höhe von 60 % ist insoweit zu befürworten, d. h. die vom Durchschnittswert abweichende Finanzkraft wird zu 60% abgeschöpft, um mit diesen Mitteln Fehlbeträge zu 60 % aufzufüllen. Momentan ist eine Auffüllung auf höchstens 75 % möglich. Bundesländer, die durch eine Absenkung des Tarifes Einbußen erleiden, müssten diese Ausfälle über einen festzulegenden Zeitraum (zwischen 10 bis 20 Jahren) durch die Zahlung von degressiv ausgestalteten Entschädigungspauschalen kompensiert bekommen. Hierdurch würde für einen Übergangszeitraum eine Angleichung der Empfängerländer an den Länderdurchschnitt gewährleistet bleiben. Zu beachten ist ferner, dass sich die Gesamtvolumen der Ausgleichszahlungen im Länderfinanzausgleich bei einer hier vorgeschlagenen (Teil-)Entschuldung der Länderhaushalte z.T. deutlich verringern würden. Im Ergebnis bringt den Ländern eine Absenkung des Ausgleichstarifs auf 60% mit einhergehenden, degressiv ausgestalteten, temporären Kompensationszahlungen für Verluste einen Anreizgewinn für ein solides Haushalten. Durch das grundsätzliche Festhalten am Instrument des Länderfinanzausgleichs sichern sich die Länder dennoch weiterhin ein Stück Autonomie gegenüber dem Bund, da hilfsbedürftige Gliedstaaten nicht ausschließlich auf dessen Hilfe angewiesen sind. dd) Rückführung des Einsatzes des Finanzierungsinstruments der Bundesergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG) Der gegenwärtige konzeptionelle Charakter der Bundesergänzungszuweisung im System des Finanzausgleichs ist problematisch. Als Finanzierungsinstrument sind sie in besonderer Weise begründungsbedürftig 794 und subsidiär 795 anzuwenden. Insoweit dürfen sie weder die vertikale Steuerertragsverteilung zwischen Bund und Ländern noch die Ergebnisse des horizontalen Finanzausgleichs ersetzen oder überlagern 796. Dieser Prämisse werden die Bundesergänzungszuweisungen gegenwärtig kaum noch gerecht, da das Volumen der Transferleistungen im Jahre 2004 mit ca. 15,04 Mrd. € 797 mehr als doppelt so hoch war wie das des Länderfinanzausgleichs. 798 Das eigentliche Problem liegt dabei nicht in der ver794 BVerfGE 101, 158 (225); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 107 Rn. 36. 795 BVerfGE 86, 148 (261); D. Birk / R. Wernsmann, DÖV 2004, S. 868 (870); S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 645. 796 BVerfGE 72, 330 (402); U. Häde, Finanzausgleich, S. 241. 797 Statistisches Bundesamt, Die Bundesländer – Strukturen und Entwicklungen, S. 116.
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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fassungsrechtlichen Ermöglichung der Bundesergänzungszuweisungen, sondern in der einfachgesetzlichen Ausgestaltung. 799 Grundsätzlich wird gem. § 11 FAG zwischen allgemeinen Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen und Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen unterschieden. Jegliche Überlegungen, das Instrument der Bundesergänzungszuweisungen als Einbruchstelle von Bundeszuweisungen in naher Zukunft gänzlich aus Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG zu streichen, sind wegen der noch bis 2019 laufenden Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten nach § 11 Abs. 3 FAG abzulehnen. α) Abschaffung der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen Hinsichtlich der Abschaffung der Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen ergeben sich keine gravierenden Probleme. Sie könnten bei Modifizierung u. a. des Konnexitätsprinzips, einer veränderten Steuerzerlegung und einer verstärkten Steuergesetzgebungsautonomie der Länder im Rahmen einer Reform Stück für Stück zurückgeführt werden, um sie schließlich abzuschaffen. 800 Die ersparten Aufwendungen des Bundes sind übergangsweise über einen mittelfristigen Zeitraum als (degressiv ausgestaltete) Kompensationszahlungen an die Länder zu leisten, die bei einer Reform besonders hohe Einbußen zu verzeichnen hätten. Das System des Finanzausgleichs würde durch die Abschaffung der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen als Umverteilungsmaßnahme an Transparenz gewinnen. β) Reduzierung der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen Schwieriger stellt sich die Lage bei den Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen dar. 801 Die degressiv ausgestalteten Zahlungen an die ostdeutschen Bundesländer für teilungsbedingte Sonderlasten werden bis zum Jahr 2019 auslaufen. Somit ist zunächst eine wichtige Regelung gefunden worden, den größten Posten der Bundesergänzungszuweisungen in absehbarer Zeit zurückzuführen. Die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und der daraus entstehen798 Hierbei ist zu beachten, dass die gegenwärtige Höhe der Bundesergänzungszuweisungen auf durch die Wiedervereinigung entstandene Mehrbedarfe der Länder zurückzuführen ist. 799 Vgl. § 11 FAG und §§ 10 – 12 MaßstG. 800 H.-G. Henneke, Reform der Aufgaben- und Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 147. 801 Momentan existieren nach § 11 FAG Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für teilungsbedingte Sonderlasten, strukturelle Arbeitslosigkeit und überdurchschnittliche Kosten politischer Führung.
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2. Teil: Finanzordnung und Reform
den überproportionalen Lasten bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige gem. § 11 Abs. 3a FAG sollten ähnlich wie die teilungsbedingten Ergänzungsweisungen spätestens im Jahr 2019 auslaufen. Kritisiert werden ferner zu Recht die Zahlungen für überdurchschnittliche Kosten politischer Führung, die nach § 11 Abs. 4 FAG inzwischen 10 der 16 empfangsberechtigten Länder erhalten. 802 Die große Zahl der Empfangsberechtigten zeigt, dass hier ein Ungleichgewicht besteht. Ein solcher Sonderbedarf ist kaum nachweisbar und somit ganz eindeutig ein Posten, den die Länder als ureigenste Aufgabe ihrer Autonomie aus ihrem eigenen Landeshaushalt bestreiten müssen. Schließlich ist streitig, ob die mit dem Inkrafttreten des FAG 2005 weggefallenen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung von sich in einer „extremen Haushaltnotlage“ befindenden Bundesländern wieder in das Gesetz eingeführt werden müssen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen dies geschehen soll. 803 Hierzu äußert sich das BVerfG in seinem Urteil zur Klage des Landes Berlins dahingehend, dass es im Kern seiner Entscheidung an der bundesstaatlichen Einstandsverpflichtung in extremen Haushaltsnotlagen festgehalten hat. Die festgestellte Eigenverantwortung der Länder für ihre Schulden darf fortan jedoch nur noch unter extrem eingegrenzten Voraussetzungen durch Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG abgemildert werden. 804 Im Ergebnis steht fest, dass die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen soweit wie möglich reduziert werden sollten. Das Instrument als solches muss aber für Notfälle bestehen bleiben. c) Zwischenergebnis In Abstimmung zu den hier vorgeschlagenen Änderungen in der Finanz- und Haushaltsordnung gilt es, für die Zukunft einen vereinfachten und stärker an der Eigenleistung von Bund und Ländern orientierten Finanzausgleich zu gestalten. Wie aufgezeigt ist das gegenwärtige System des Finanzausgleichs durch bestehende Fehlanreize wachstums- und leistungshindernd, sehr undurchsichtig und 802 Zulässig nach BVerfGE 72, 330 (405); 86, 148 (274 ff.); W. Kitterer, Finanzausgleich im vereinten Deutschland, in: Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen, Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern und ihre Auswirkung auf das Land Bremen, S. 271 ff. (328 ff.); kritisch P. Huber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GG III, Art. 107 Rn. 154; W. Heun, in: H. Dreier, GGK III, Art. 107 Rn. 35; F. Kirchhof, ZG 2006, S. 288 (297); P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (877). 803 So J. Hellermann, Antragschrift des Landes Bremen v. 07. April 2006, 2 BvF 1/06, S. 17 ff.; R. Wendt, Antragschrift des Landes Saarland v. 10. September 2005, 2 BvF 3/05, S. 19 ff. 804 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)ee).
D. Ansätze für eine Reform der Finanzordnung
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in Teilen widersprüchlich. Um dies zu ändern, bedarf es punktueller Änderungen dieses Systems. Zur Systemvereinfachung sind die Verteilungsgrundsätze, welche bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 2. u. 3 Alt. GG zur Geltung kommen, sowie die Möglichkeit, den Gemeinden das Recht zur Bestimmung der Hebesätze für den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer nach Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG zu übertragen, zu streichen. Ebenso ist es an der Zeit, die Kommunen in die vertikale Ertragsverteilung verfassungsrechtlich einzubinden. Schließlich ist noch überlegenswert, ob Gebühren, Beiträge oder privatrechtliche Entgelte, die eindeutig nicht mehr einem reinen Vorteilsausgleich dienen, in Art. 106 GG Berücksichtigung finden sollten. Bei der horizontalen Steuerverteilung ist die Lohnsteuerzerlegung nach dem Wohnsitzprinzip aufzuheben und durch eine Verteilung entsprechend nach dem BIP zu ersetzen. Das Instrument der Umsatzsteuerergänzungsanteile sollte mittel- bis langfristig entfallen. Die frei werdenden Mittel werden im Folgenden wie der restliche Länderanteil an der Umsatzsteuer nach der Zahl der Einwohner auf die einzelnen Länder verteilt. Die Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs hat ausschließlich auf der einfachgesetzlichen Ebene zu erfolgen. Bei einer Reform ist die Gemeindefinanzkraft zu 100% in die Bemessung der Finanzkraft der Länder einzubeziehen, was eine Erhöhung der Ausgleichsleistung der finanzstarken Länder bedeutet. Ferner ist der Ausgleichstarif abzusenken und zu vereinfachen, indem ein symmetrischer linearer Tarif von 60% in § 10 FAG normiert wird. Die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen sollten in Zukunft entfallen. Dagegen könnte das Instrument der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen grundsätzlich für Notfälle unter der Maßgabe, dass einige zurzeit vorgesehene Sonderbedarfstatbestände wegen fehlender Nachvollziehbarkeit mittelfristig zurückgeführt werden, bestehen bleiben.
Dritter Teil
Staatsschuldenrecht und Reform „It is very tempting to a minister to employ such an expedient, as enables him to make a great figure during his administration, without overburthening the people with taxes, or exciting any immediate clamours against himself. The practice, therefore, of contracting debt will almost infallibly be abused, in every government.“ 1
Der dritte Teil der Bearbeitung befasst sich mit dem Problem der hohen und stetig weiter steigenden Staatsverschuldung. Im Zentrum stehen die Frage des Umgangs mit den bestehenden Schulden sowie die Verhinderung des Anstiegs der Staatsverschuldung in der Zukunft. Von einem zweigliederigen Bundesstaatsverständnis ausgehend, wird ausschließlich die Verschuldung der Träger der unmittelbaren Staatsverwaltung von Bund und Länder begutachtet. 2 Die Verschuldung der Kommunen, öffentlicher Unternehmen und juristischer Personen des öffentlichen Rechts, sowie auch etwaige für eine umfassende Reform der Haushaltsordnung über die Staatsschuldenproblematik hinaus in Betracht kommende Änderungsvorschläge, sind nicht Gegenstand dieser Bearbeitung. 3 Um sich der Thematik zu nähren, werden im Rahmen der Ausführungen zunächst die Grundlagen der bundesdeutschen Haushaltsordnung zur Thematik der Staatsverschuldung dargestellt (A.) sowie die gegenwärtigen Voraussetzungen und Grenzen bei der Aufnahme von Krediten erörtert (B.). Dann wird der 1 D. Hume, On Public Credit; Zitat entnommen von H. Seitz, Kom.- Drs. 23, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 4 mit einer leicht abgeänderten Übersetzung: „Für einen Minister ist der Rückgriff auf ein derartiges Mittel (das Schuldenmachen) sehr verführerisch, da es ihn in die Lage versetzt, während seiner Verwaltung den großen Mann zu spielen, ohne dabei das Volk mit Steuern überladen zu müssen, oder eine sofortige Unzufriedenheit gegen sich zu erregen. Die Praxis des Schuldenmachens wird daher fast unfehlbar von jeder Regierung missbraucht werden.“ 2 Untersuchungsgegenstand ist hier die „explizite“ Verschuldung von Bund und Ländern, d. h. die gegenwärtig bestehenden Schulden (i. d. R. verbriefte Staatsverbindlichkeiten). Hiervon zu unterscheiden ist die sog. „implizite“ Staatsverschuldung („versteckte“ Staatsverschuldung), welche u. a. die staatlichen Renten- und Pensionsverpflichtungen sowie z.T. zukünftige staatliche Verpflichtungen mit berücksichtigt. Die Reichweite des Begriffs der „impliziten Verschuldung“ ist umstritten. 3 Zu weiteren Reformvorschlägen im Bereich der Haushaltsordnung umfassend C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform; M. Kerber, Der verdrängte Finanznotstand; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung.
A. Grundlagen des Staatsschuldenrechts
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Frage nachgegangen, ob die Haushaltordnung zur Lösung des Problems überhaupt reformiert werden muss und wenn ja, welcher Zielvorgaben es hierfür bedarf (C.). Abschließend werden einschließlich einer kritischen Betrachtung der Ergebnisse der Föderalismusreform II Perspektiven für zukünftige Reformen der Haushaltsordnung aufgezeigt (D.).
A. Grundlagen des Staatsschuldenrechts Zur Einführung in das Thema der Staatsverschuldungsproblematik bietet es sich zunächst an, dessen rechtliche Dimension im Zusammenhang mit der Entwicklung der staatsschuldenrechtlichen Normen im Rahmen der bundesdeutschen Haushaltsordnung zu behandeln, um sich anschließend die für eine Reform relevanten Rechtsquellen zu vergegenwärtigen.
I. Verschuldung von Bund und Ländern als rechtliches Problem Zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben stehen dem Staat verschiedene Einnahmequellen zur Verfügung. Neben den Einnahmen aus Abgaben, den Gewinnen aus eigenwirtschaftlicher Betätigung und der (durch die Übertragung weiter Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank stark eingeschränkten) Möglichkeit der Geldschöpfung können sich Bund und Länder Finanzmittel durch die Aufnahme von Krediten beschaffen. 4 Die Verschuldung des Staates kann somit nur über die Aufnahme von Krediten erfolgen. Der Begriff der „Kreditaufnahme“ bezeichnet die Verbindlichkeiten, die der Staat grundsätzlich in einem Haushaltsjahr eingeht. 5 Hierbei wird zwischen der Netto- und der Bruttokreditaufnahme unterschieden. 6 Den öffentlichen Kredit findet man in verschiedenen Formen. Die bekanntesten Kreditarten sind Anleihen, Obligationen, Schatzbriefe, Schuldscheindarlehen, Kassenobligationen, unverzinsliche Schatzanweisungen, Schatzwechsel und Buchkredite. 7 Nach dem Haushaltsrecht lassen sich Kredite als Deckungskredite oder Kassenverstärkungskredite einordnen. Deckungskredite werden im Haushalt als Einnahmen aufgeführt, Kassenverstärkungskredite dienen hingegen nur dem Ausgleich temporärer Schwankungen der Kassenlage 4 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 527; ausführlich hierzu auch M. Pausenberger, Eigentum und Steuern in der Republik, S. 53 ff. 5 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 8. 6 Nettokreditaufnahme = Einnahmen aus Krediten (ohne Kassenverstärkungskredite) – Ausgaben zur Tilgung von Schulden mittels Krediten; Bruttokreditaufnahme = Nettokreditaufnahme + Ausgaben zur Tilgung von Schulden mittels Krediten. 7 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 550.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
und werden nicht auf der Einnahmenseite des Haushaltes verbucht. 8 Die öffentliche Kreditaufnahme erfolgt hierbei auf Grundlage variierender ökonomischer Modellrechnungen aus unterschiedlichsten Gründen. 9 Hauptzweck der Kreditaufnahme ist aber die Finanzmittelbeschaffung zur Deckung von Haushaltslücken, um einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen zu können. Es stellt sich einem die Frage, ob die Staatsverschuldung wirklich ein Rechtsproblem ist. Grundsätzlich ist die Frage, wie man die bestehende Verschuldung bzw. das strukturelle Haushaltsdefizit zurückführen kann als solche zunächst keine Rechtsfrage, sondern Aufgabe staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik. 10 Der Abbau der Verschuldung der öffentlichen Haushalte lässt sich de facto nur über Einnahmeerhöhung, Senkung der öffentlichen Ausgaben (konsumtiver und investiver Ausgaben) und ggf. über das Instrument der Privatisierungen sowie langfristig über die Inflation bewerkstelligen. Vor dem Hintergrund einer extrem hohen Staatsverschuldung drängt sich jedoch die rechtliche Untersuchung des scheinbar originär volkswirtschaftlichen Problems auf. Die Staatsgewalt ist auch im Bereich der Staatsverschuldung an die verfassungsmäßige Ordnung gem. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. 11 Das Instrument der Kreditaufnahme ist Gegenstand verfassungsrechtlicher, einfachgesetzlicher und untergesetzlicher Normen. Nur in diesem rechtlichen Rahmen darf es daher eingesetzt werden. Obwohl die Regelungen zur Staatsverschuldung in der Bundeshaushaltsverfassung und in den entsprechenden Regelungen der Landesverfassungen nur sehr lückenhaft ausgestaltet sind, handelt es sich bei ihnen (wie beim gesamten X. Abschnitt des Grundgesetzes über das Finanzwesen) nicht um (Verfassungs-)Recht minderen Ranges, das bis zu Willkürgrenze zur Disposition des Anwenders steht. 12 Betrachtet man die einschlägigen Rechtsgrundlagen und deren Anwendung, dann lässt sich im Ergebnis feststellen, dass die Verschuldung von Bund und Ländern auch ein Rechtsproblem darstellt. 13 Auf dieser Feststellung aufbauend gilt es im Folgenden, den rechtlichen Rahmen zur Begrenzung einer überhand nehmenden Verschuldung zu definieren. Hierbei sind die geltenden Regelungen der staatlichen Kreditaufnahme zu hinterfragen. 8
R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 20. Vgl. H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 555, der in der Aufgabenfinanzierung zu möglichst niedrigen Kosten, der gerechten Mittelverteilung und dem Entgegensteuern von Konjunkturschwankungen und Preissteigerungen Ziele der Schuldenpolitik sieht. 10 L. Osterloh, NJW 1990, S. 145; G. Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 23. 11 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 1. 12 BVerfGE, 72, 330 (388); K. Vogel, Finanzverfassung und politisches Ermessen, S. 7 f. 13 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 1 f.; G. Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 1 ff.; zweifelnd L. Osterloh, NJW 1990, S. 145 ff. 9
A. Grundlagen des Staatsschuldenrechts
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II. Rechtsgeschichtliche Entwicklung der Staatsschuldenregelungen Zu einer umfassenden Aufarbeitung der Thematik ist es unerlässlich, zunächst einen Blick auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung der bundesstaatlichen Haushaltsordnung in Bezug auf den Umgang mit der Staatsverschuldung zu werfen. Hierbei ist einleitend anzumerken, dass die Geschichte der Staatsverschuldung aus rechtlicher Perspektive von dem bisher vergeblichen Versuch geprägt war, rational nachvollziehbare Grenzen für die Kreditaufnahme durch öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften zu normieren. Die Haushaltsordnung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wird wegen der fehlenden Relevanz für künftige Reformen nicht in die Betrachtung mit einbezogen. 14 1. Entwicklungen im Staatsschuldenrecht vor Erlass des Grundgesetzes Regelungen zur Aufnahme von Staatsschulden finden sich bereits vereinzelt in mittelalterlichen Verträgen wieder. 15 Doch erst mit dem Zusammenbrechen der mittelalterlichen Lehnsordnung und dem damit verbundenen Übergang vom Stammesprinzip zum Territorialprinzip und dem sich in der Folge herausbildenden Staatswesens gewann die Frage der Finanzierung öffentlicher Aufgaben an Bedeutung. In Deutschland setzte nach Abschluss des Westfälischen Friedens von 1648 neben der Konzentration der Finanzbürokratie eine langsam voranschreitende Trennung des staatlichen Vermögens von dem der Landesherren ein, womit der Übergang vom Patrimonial- 16 zum Staatsvermögen vollzogen wurde. 17 In den Anfängen des modernen Staatswesens im 17. und 18. Jh. finanzierte sich der Staat neben Regalien und Domänenerträgen zunehmend durch den Ausbau des Instruments der Steuern. Hinzu trat die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Krediten, womit sich gleichzeitig der Regelungsdruck hinsichtlich der Schaffung von Begrenzungsmöglichkeiten der Staatsverschuldung erhöhte. Vor dem Hintergrund, dass die deutschen Länder für ihre wirtschaftliche Expan14 In der Verfassung von 1949 fand sich in Art. 123 eine Kreditaufnahmeregelung für den Bund, abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 316. Kredite durften demnach nur bei außerordentlichem Bedarf beschafft werden und durften nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen. 15 Z. B. im Tübinger Vertrag v. 8. Juli 1514 (abgedruckt bei G. Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg, Anhang 1) gab der Herzog von Württemberg den Landständen das Versprechen, dass er Schulden nur mit ihrer Zustimmung aufnehmen würde; vgl. auch m.w.Nw. W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 12 f. 16 (Lat.) patrimonium = Erbvermögen. 17 K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 90 Rn. 11 ff. (1. Auflage); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 244 f.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
sion dringend Geld benötigten und die Einnahmen aus Steuern, Regalien und Domänenerträgen hinter den Ausgaben zurückblieben, griffen die Landesherren immer großzügiger auf das Mittel der Kreditaufnahme zurück. Diese verbreitete Verschuldungspolitik der Staaten wurde in der Lehre zunächst begrüßt. 18 Aber auch erste Warnungen vor den mit zunehmender Verschuldung steigenden Zinslasten blieben nicht aus. 19 Eine Deckungslehre in Form einer echten Begrenzungsregel der Staatsschuld gab es noch nicht. Erst zu Beginn des 19. Jh. veränderte sich die Einstellung gegenüber der Praxis merkantilistischer Staaten zur Staatsverschuldung. 20 Die abschreckenden Beispiele des Ancien Régime und diverser anderer Staatsbankrotte des 17. / 18. Jh. durch eine verfehlte Politik der Staatsverschuldung vor Augen, erhielt die klassische Nationalökonomie wachsenden Zuspruch. 21 Ferner untergrub die Möglichkeit der Kreditaufnahme das Steuerbewilligungsrecht der Landesstände. Die aufkommenden Zweifel an der bisherigen Schuldenpolitik der deutschen Staaten wurden auch auf normativer Ebene sichtbar. In der Verfassung des Königreichs Bayerns vom 26. Mai 1818 wurde die Staatsschuld erstmalig unter die Gewährleistung der Stände gestellt (Zustimmungserfordernis bei Kreditaufnahme). 22 Eine ähnliche Regelung fand sich wenig später in der Verfassung des Großherzogtums Badens wieder. 23 Ähnlich dem Steuerbewilligungsvorbehalt wurde den Landesständen somit auch ein Vorbehalt hinsichtlich der Aufnahme von Schulden eingestanden; darüber hinausgehende materiell-rechtlich Voraussetzungen für die Aufnahme von Krediten wurden aber nicht normiert. Die Ressentiments gegenüber dem Einsatz der Staatsverschuldung als Einnahmeinstruments wurden im Verlauf des ab Mitte des 19. Jh. einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs zurückgedrängt. 24 Im Zuge dieser Entwicklung entstanden erste Konzepte für schuldenpolitische Deckungsregeln (materielle Vorausset18
K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 2 (1. Auflage). M. Ernst-Pörksen, Staatsschuldentheorien, S. 50 ff.; K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 2 (1. Auflage). 20 Theoretiker wie Adam Smith und David Ricardo geißelten die Verschuldung als eine Plage der Nationen, die ihrer Ansicht nach meist in den Bankrott führe; vgl. hierzu D. Ricardo, Funding System, in: P. Sraffa, The Works and Correspondence of David Ricardo, Vol. IV, S. 143 (197); A. Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (Der Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen), S. 803. 21 K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 3 (1. Auflage); K.-H. Hansmeyer, Der öffentliche Kredit I, S. 67 f.; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 108. 22 Abgedruckt in: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 141 ff. 23 Abgedruckt in: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 157 ff. 24 K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 5 (1. Auflage); K.-H. Hansmeyer, Der öffentliche Kredit I, S. 69 ff.; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 109. 19
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zungen für die staatliche Kreditaufnahme). 25 Das Zustimmungserfordernis der Stände bei Anleihen wurde ab 1848 zunehmend durch das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung ersetzt (staatsschuldnerische Gesetzesvorbehalt). 26 Nach Art. 73 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 27 und der Folgeregelung in Art. 73 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 28 durften Anleihen nur noch im Fall eines außerordentlichen Bedürfnisses durch Gesetz beschlossen werden. 29 Nach Beendigung des 1. Weltkriegs wurde mit Art. 87 eine an die Staatsschuldenregelung des Deutschen Reiches von 1871 angelehnte Norm in die Verfassung der Weimarer Republik aufgenommen. 30 Im Gegensatz zur bisherigen Regelung wurde der Anwendungsbereich der Staatsschuldenregelung, indem sich der Gesetzesvorbehalt nach Art. 87 S. 2 WRV jetzt auf jegliche Kreditoperationen (nicht mehr nur auf Anleihen) des Staates erstreckte, erweitert. Materiellrechtlich sollte die Aufnahme von Krediten nur bei außerordentlichem Bedarf „und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken“
möglich sein. Was genau unter diesen beiden Voraussetzungen zu verstehen war, blieb in Ermanglung weiterer Konkretisierungen weitgehend unklar. 31 In 25 In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist Carl Dietzel, nach dessen Konzept alle Ausgaben des Staates, die nur einmal anfallen und für einen dauerhaften Verwendungszweck (also dazu bestimmt sind „das Immaterialcapital der Nation zu erhalten oder zu erweitern“) bestimmt seien, über Staatsanleihen finanziert werden sollen – alle anderen Staatsausgaben müssten über die Abgaben der Bürger finanziert werden, vgl. C. Dietzel, Das System der Staatsanleihen im Zusammenhang der Volkswirtschaft betrachtet, S. 187 ff, 210 ff.; hieran anknüpfend Adolph Wagner, der die Ansätze Dietzels durch seine Unterteilung der Finanzbedarfe in ordentliche und außerordentliche präzisierte, wobei seiner Ansicht nach nur außerordentliche Bedarfe der Produktionssteigerung dienten und somit der Kreditfinanzierung zugänglich seien, vgl. A. Wagner, Finanzwissenschaft, Bd. 1, S. 120 ff.; ferner problematisiert bei L. v. Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, S. 666. 26 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 13 f. mit Verweis auf w.N. bei H. Zoepfl, Grundsätze des Gemeinen Deutschen Staatsrechts, 2. Teil, S. 406 ff. 27 Art. 73 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867: „In Fällen der außerordentlichen Bedürfnisse können im Wege der Bundesgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe sowie die Übernahme einer Garantie zu Lasten des Bundes erfolgen“, abgedruckt in: E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 272 (284). 28 Art. 73 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „In Fällen der außerordentlichen Bedürfnisse kann im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebernahme einer Garantie zu Lasten des Reiches erfolgen.“; vgl. Verfassung des Deutschen Reiches v. 16. April 1871, BGBl. 1871, S. 64 (83). 29 S. Strube, Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, S. 115 f. 30 Art. 87 WRV: „Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden. Eine solche Beschaffung sowie die Übernahme einer Sicherheitsleistung zu Lasten des Reiches dürfen nur auf Grund eines Reichsgesetzes erfolgen.“; vgl. Verfassung des Deutschen Reiches v. 11. August 1919, RGBl. 1919 I, S. 1383 (1400).
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der Umsetzung zeigte sich, dass insbesondere die Einteilung in ordentliche und außerordentliche Ausgaben meist willkürlich erfolgte. Erst die sich im Jahr 1929 abzeichnende Weltwirtschaftskrise war Anlass, die bestehenden Ansätze des Staatsschuldenrechts grundlegend zu überdenken. Das Konzept einer konjunkturpolitisch motivierten Staatsverschuldung fand immer mehr Anhänger. 32 In Deutschland konnte es seine Wirkungskaft wegen der nationalsozialistischen Diktatur erst nach Beendigung des 2. Weltkriegs entfalten. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde das zuvor bestehende Haushaltrecht in zentralen Punkten geändert. Seit 1933 wurde der Haushaltsplan faktisch durch die Regierung erlassen. Die Kontrollmöglichkeiten des Reichstages und Reichsrates wurden abgeschafft. 2. Regelung der Staatsverschuldung bei Erlass des Grundgesetzes (1949) Am Ende des Krieges war Deutschland bankrott. Die Inlandsschulden in Höhe von ca. 800 Mrd. Reichsmark wurden im Zuge der Währungsreform des Jahres 1948 beseitigt. 33 Bund und Länder hatten infolge der Währungsumstellung nur noch Altschulden in Höhe von ca. 17,1 Mrd. DM (ca. 8,74 Mrd. €). Während der Vorbereitungen für den Entwurf des Grundgesetzes wurden unterschiedliche Vorschläge für eine Staatsschuldennorm unterbreitet. Der Vorschlag des Herrenchiemseer Konvents orientierte sich an der Regelung aus der Reichsverfassung von 1871. 34 Demnach sollte die Kreditaufnahme materiell-rechtlich nur bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs möglich sein. Der Finanzausschuss des Parlamentarischen Rates bevorzugte hingegen mehrheitlich eine Nachfolgereglung zu Art. 87 S. 1 WRV, welche die materielle Bindung an die Tatbestandsvoraussetzungen des außerordentlichen Bedarfs und der werbenden Zwecke vorsah. 35 Trotz vereinzelter Kritik wegen der bekannten Probleme mit der Norm der Weimarer Reichsverfassung wurde mit Aufnahme des Art. 115 GG (a.F.) 36 dem 31
W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 119. J. M. Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money; hierzu ausführlicher Dritter Teil Kap. A.II.3. 33 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 534. 34 Vgl. Art. 126 S. 1 des Verfassungsentwurfes des Herrenchiemseer Konvents. 35 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 121. 36 Art. 115 GG (a.F.): „Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken und nur auf Grund eines Bundesgesetzes beschafft werden. Kreditgewährungen und Sicherheitsleistungen zu Lasten des Bundes, deren Wirkung über ein Rechnungsjahr hinausgeht, dürfen nur auf Grund eines Bundesgesetzes erfolgen. In dem Gesetz muss die Höhe des Kredites oder der Umfang der Verpflichtung, für die der Bund die Haftung übernimmt, bestimmt sein.“; vgl. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland v. 23. Mai 1949, BGBl. 1949, S. 1 (15). 32
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Vorschlag des Finanzausschusses gefolgt. Das Einnahmeinstrument der Staatskredite wurde in den ersten Jahren der BRD nur sehr zurückhaltend eingesetzt. 3. Umfassende Reform der Haushaltsordnung (1967 – 1969) Die beiden Tatbestandsvoraussetzungen für Staatskredite wurden in der Rechtsprechung und Lehre nicht weiterführend konkretisiert. Es waren somit weitreichende Manipulationen durch die unklare Abgrenzung in „ordentliche“ und „außerordentliche Bedarfe“ möglich. Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Staatsschuldenregelung in Art. 115 GG (a.F.) und weiterer Defizite der Haushaltsordnung kam in den 1960er Jahren in Deutschland die Diskussion über eine umfassende Reform der Haushaltsordnung auf. 37 Hierbei wurde u. a. auch ein Wechsel von einer objektbezogenen zu einer situationsbezogenen Kreditaufnahmeregelung, die dem Staat die Möglichkeit des antizyklischen Einwirkens bei Konjunktureinbrüchen einräumen sollte, in Erwägung gezogen. Die Idee zu einer Neuordnung des deutschen Staatsschuldenwesens ging auf eine Wende in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie zurück, die in den 30er Jahren des 20. Jh. eine Neuausrichtung in der Nationalökonomie bewirkt hatte. 38 Der in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 entwickelte Ansatz der antizyklischen Finanzpolitik ging entgegen der bisherigen Auffassung von der Annahme aus, dass dem Staat eine umfassende Verantwortung für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zukomme. 39 Wirtschaftskrisen und die damit einhergehende Zunahme der Arbeitslosigkeit hätten ihre Ursache in einer zu geringen wirtschaftlichen Nachfrage. Von der Annahme ausgehend, dass eine Erhöhung der Steuerkraft in konjunkturellen Abschwüngen den Abwärtstrend nur verschlimmern würde (prozyklische Wirkung), solle daher der Staat in Krisenzeiten seine eigenen Ausgaben, finanziert über Kredite, erhöhen, um so die Nachfrage wieder zu steigern. 40 Das Umdenken hinsichtlich des Umgangs mit dem Instrument der Staatsverschuldung auf Grundlage des Konzeptes einer konjunkturpolitisch motivierten Staatsverschuldung manifestierte sich nach verschiedensten Vorstößen 41 erstmalig in ernst zu nehmender Form im sog. Troeger-Gutachten aus dem Jahr 1966. 42 37
E. Buschor, Zwanzig Jahre Haushaltsreform – eine verwaltungswissenschaftliche Bilanz, in: H. Brede, Das neue Öffentliche Rechnungswesen, S. 199 (201 ff.); C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 184; W. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 443 ff. 38 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 125. 39 Aufbauend auf bestehende konjunkturtheoretische Verschuldungskonzepte grundlegend J. M. Keynes, The General Theory of Employment, Interest and Money. 40 Hierzu ausführlich H. H. v. Arnim / D. Weinberg, Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 27 ff. 41 Vgl. hierzu m.w.Nw. bei W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 133 f.
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Hierbei unterbreitete die Kommission Vorschläge für eine mehrjährige Finanzplanung, eine Harmonisierung des Finanzgebarens von Bund und Ländern und eine antizyklische Finanzpolitik, die sich u. a. in dem Entwurf eines neuen Art. 109 Abs. 2 und 3 GG widerspiegelten. 43 Ohne die Vorschläge des Troeger-Gutachtens umgesetzt zu haben, betrieb die Bundesregierung in der Abschwungphase der Jahre 1966/67 durch die Auflage kreditfinanzierter Investitionsförderprogramme eine erfolgreiche antizyklische Finanzpolitik. Durch die gelungene staatliche Intervention bestätigt, kam es zwischen 1967 und 1969 zu einer umfangreichen Reform der Haushaltsordnung, im Zuge derer auch die Staatsschuldenregelungen grundlegend geändert wurden. Die Reform erfolgte im Wesentlichen in zwei Schritten. Zunächst kam es im Juni 1967 zur Änderung des Art. 109 GG und zum Erlass des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. 44 Art. 109 GG wurde um drei Absätze erweitert. Neben dem in Art. 109 Abs. 1 GG bereits bestehenden Grundsatz der selbstständigen und unabhängigen Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern wurden die beiden öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften in Abs. 2 dazu verpflichtet, den Erfordernisses des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Darüber hinaus erhielt der Bundesgesetzgeber in Art. 109 Abs. 3 und 4 GG (a.F.) die Ermächtigung, Regeln für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aufzustellen. Diese Grundsatzgesetzgebungskompetenz gab dem Bund begrenzt die Möglichkeit, die Finanzwirtschaft der Länder und Kommunen an einer antizyklischen Konjunkturpolitik auszurichten. Einfachgesetzlich legte der Bundesgesetzgeber im StabG Regeln fest, welche zur Beachtung des Erfordernisses des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes durch Bund und Länder dienen und „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“. 45
In einem zweiten Schritt kam es 1969 zu einer weiteren Reform der Haushaltsordnung, bei der vor allem die Haushaltsverfassung umfassend geändert wurde. 46 Ferner wurde ein Haushaltsgrundsätzegesetz 47 erlassen sowie eine neue Bundeshaushaltsordnung 48 normiert, welche die Reichshaushaltsordnung aus dem 42
Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 472 ff. 43 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 477 ff. 44 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 8. Juni 1967, BGBl. 1967 I, S. 581; Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) v. 8. Juni 1967, BGBl. 1967 I, S. 582 ff. 45 Vgl. hierzu insbes. §§ 5 Abs. 2, 6 Abs. 3 und 19 ff. StabG. 46 20. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12. Mai 1969, BGBl. 1969 I, S. 357 f.
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Jahre 1922 ablöste. Die Reform war eine Reaktion auf die Ausweitung der Staatsaufgaben. Sie sollte dem Abbau der im Zusammenhang des Wandels der Finanzwirtschaft von der Bedarfsdeckung zur Ordnungspolitik entstandenen Schwachstellen im System der bundesstaatlichen Haushaltsordnung dienen. Im Zuge der Neuordnung wurde vor allem die Regelung über die Kreditaufnahme nach Art. 115 GG grundlegend geändert. 49 Die Pflicht zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gem. Art. 109 Abs. 2 GG wurde in § 2 S. 3 HGrG und § 2 S. 3 BHO aufgenommen. In diesem Zusammenhang änderte man auch die Staatsschuldenregel des Art. 115 GG. Die Bindung, Kredite nur bei einem „außerordentlichen Bedarf“ für „werbende Zwecke“ aufnehmen zu dürfen, wurde aufgehoben. Die Neufassung des Art. 115 GG sah vor, dass die Einnahmen aus Krediten in der Regel die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen. Somit wurde die einstige Objektbindung aufgehoben und durch eine objektgruppenbezogene Begrenzungsregel abgelöst. 50 Bei der genauen Einordnung der Neuregelung herrscht Uneinigkeit. 51 Im Ergebnis wird man festhalten müssen, dass die Orientierung der Obergrenze der Verschuldung an der Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Investitionsausgaben als eine klare Abkehr von der Objektbezogenheit (Aufgabe der Orientierung am einzelnen kreditfinanzierten Objekt) zu bewerten ist. Der in der Vorgängerregelung bestehende Zusammenhang zwischen Krediteinnahmen und bestimmten Ausgaben wurde aufgelöst. Nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG wurden nur noch die Krediteinnahmen und die Investitionsausgaben in ihrem gesamten Volumen aufeinander bezogen. Im überarbeiteten Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG wurde die Begrenzungsfunkion durch das Junktim von Nettokreditaufnahme und Investitionsausgaben klar in den Vordergrund gerückt. Er hat die einstige Deckungsregel, nach der die Kreditfinanzierung unter bestimmten Voraussetzungen als eine legitime Finanzierungsform galt, abgelöst. 52 47 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) v. 19. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1273 ff. 48 In Ablösung der Reichshaushaltsordnung (RHO) v. 31. Dezember 1922, RGBl. 1923 II, S. 17 ff. wurde die Bundeshaushaltsordnung (BHO) v. 19. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1284 ff. verabschiedet. 49 Vgl. Darstellung der Änderungen durch die Reform der Haushaltsordnung bei C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 186 ff.; H. Rehm, Analyse und Kritik der Bundeshaushaltsreform, S. 29 ff. 50 BVerfGE 79, 311 (332 f.); C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 186; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 143 ff.; R. Lappin, Kreditäre Finanzierung des Staates unter dem Grundgesetz, S. 59 ff. 51 Vgl. zur Frage, ob und inwieweit in der Neuregelung des Art. 115 GG eine Ablösung der objektbezogenen Deckungsregel durch einen situationsorientierten Verschuldungsgrundsatz zu sehen war, ausführlich W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 143 ff. 52 W. Ehrlicher, WD 1979, S. 393 (394); W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 147.
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Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Reform der Jahre 1967 bis 1969 in weiten Teilen zu einer Neuausrichtung der Haushaltsordnung geführt hat. Vor allem bei der Neugestaltung der Staatsschuldenregelungen folgte man dem Konzept der antizyklischen Finanzpolitik, dessen Ursprünge schon 30 Jahre zuvor in der Vergangenheit lagen und verschloss sich somit den schon damals vorhandenen Gegenansätzen. 4. Keine grundlegenden Änderungen bis zum Jahr 2009 Die Haushaltsverfassung des Grundgesetzes wurde von 1969 bis 2009 nicht mehr grundlegend geändert. 53 Einzig Art. 109 Abs. 5 GG wurde im Zuge der Föderalismusreform I neu in den Bestand grundgesetzlicher Normen mit Haushaltsbezug aufgenommen. In den verbleibenden Bereichen der Haushaltsordnung kam es zu Änderungen im Rahmen der Wiedervereinigung und durch das im Jahr 1998 in Kraft getretene Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz 54. Im Zuge der Finanzierung der Wiedervereinigung wurden auf Bundesebene über Art. 115 Abs. 2 GG vielfach Nebenhaushalte in Form von Sondervermögen gebildet, welche zu einer dynamischen Entwicklung der Neuverschuldung führten. 55 Die Haushalte der Sondervermögen führen grundsätzlich ein Eigenleben außerhalb des Bundeshaushaltes, wobei hinsichtlich der Wirtschafts- und Rechnungsführung die für den Bundeshaushalt geltenden Regelungen gem. § 113 BHO entsprechend Anwendung finden, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. 56 Insbesondere über den Fonds Deutsche Einheit 57, den Erblastentilgungsfonds 58 und das Bundeseisenbahnvermögen 59 wurden Schulden in beträchtlicher Höhe aus dem öffentlichen Haushalt ausgegliedert. Da die Bildung von Sondervermögen 53
M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 110 –115 Rn. 3. Gesetz zur Fortentwicklung des Haushaltsrechts von Bund und Ländern (Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz) v. 22. Dezember 1997, BGBl. 1997 I, S. 3251ff. 55 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 545; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 478; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 69 f. 56 A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 115 Rn. 33. 57 Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 25. Juni 1990, BGBl. 1990 II, S. 518 (533); zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes v. 12. Juli 2006, BGBl. 2006 I, S. 1466 (1470). 58 Gesetz über die Errichtung eines Erblastentilgungsfonds (Erblastentilgungsfondsgesetz – ELFG) in Art. 37 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms) v. 23. Juni 1993, BGBl. 1993 I, S. 944 (984 ff.); zuletzt geändert durch Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes v. 12. Juli 2006, BGBl. 2006 I, S. 1466. 54
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die Wirksamkeit der Haushaltsverfassung durch Umgehung zentraler Grundsätze gefährdet und zur Intransparenz hinsichtlich der effektiven Gesamtverschuldung beiträgt, wuchs der Druck auf den Bund, der „Budgetflucht“ entgegenzusteuern. Durch das SchuldMitüG übernahm der Bund daher die Schulden des Erblastentilgungsfonds, des Bundeseisenbahnvermögens und des Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes 60, womit die Abdeckung der Schuldendienste dieser Sondervermögen im Bundeshaushalt offen gelegt wurde. 61 Zu Beginn des Jahres 2005 übernahm der Bund ebenfalls die Schulden des Fonds Deutsche Einheit. 62 Im Zusammenhang mit dem später erlassenen Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz kam es u. a. noch zu Änderungen des HGrG und der BHO, welche zu einer Neuregelung der externen Finanzkontrolle des Bundes führte und Rechtsgrundlagen schuf für eine effizientere öffentliche Haushaltswirtschaft. 63 Im Anschluss folgten nur noch geringfügige Änderungen der einfach-gesetzlichen Regelungen. 64
59 Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz – ENeuOG) v. 27. Dezember 1993, BGBl. 1993 I, S. 2378 ff.; zuletzt geändert durch Art. 302 der Verordnung v. 31. Oktober 2006, BGBl. 2006 I, S. 2407 (2447). 60 Gesetz zur Abwicklung des Ausgleichsfonds nach dem Dritten Verstromungsgesetz v. 12. Dezember 1995, BGBl. 1995 I, S. 1638. 61 Gesetz zur Mitübernahme der Schulden des Erblastentilgungsfonds, des Bundeseisenbahnvermögens sowie des Ausgleichsfonds zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes in die Bundesschuld (Schuldenmitübernahmegesetz – SchuldMitüG), v. 21. Juni 1999, BGBl. 1999 I, S. 1384. 62 Vgl. Art. 8 Nr. 2 SFG u. § 6a DEFG. 63 Zu den wesentlichen Änderungen W. Gatzer, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Einführung, S. 35 ff. 64 Vgl. etwa die Änderungen der BHO durch Art. 3 des Gesetzes zur von Vorschriften über parlamentarische Gremien, v. 17. Juni 1999, BGBl. 1999 I, S. 1334 (1335); Art. 4 des Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften v. 1. September 2005, BGBl. 2005 I, S. 2676 (2680); Art. 3 des Gesetzes zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters v. 22. September 2005, BGBl. 2005 I, S. 2809 (2810) und Art. 15 des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts v. 14. August 2006, BGBl. 2006 I, S. 1911 (1953); ferner die Änderungen des HGrG durch Art. 7 SFG v. 20. Dezember 2001, BGBl. 2001 I, S. 3955 (3961) (geändert durch Gesetz v. 21. Juni 2002, BGBl. 2002 I, S. 2166; Art. 87 der Achten Zuständigkeitsanpassungsverordnung v. 25. November 2003, BGBl. 2003, S. 2304 (2313 f.); Art. 63 des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, S. 2848 (2901); Art. 16 des Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts v. 14. August 2006, BGBl. 2006 I, S. 1911 (1953) und Art. 123 der Neunten Zuständigkeitsanpassungsverordnung v. 31. Oktober 2006, BGBl. 2006 I, S. 2407 (2421).
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5. Föderalismusreform II (2009) Am 15. Dezember 2006 beschlossen Bundestag und Bundesrat, dass insbesondere das Staatsschuldenrecht von Bund und Ländern der Modernisierung bedarf. Sie setzten daher eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ein. 65 Die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat konstituierten die Kommission am 8. März 2007. Der Auftrag der Kommission bestand in der Ausarbeitung von Vorschlägen zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, um diese den veränderten Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb Deutschlands für die Wachstums- und Beschäftigungspolitik anzupassen. Nach Auffassung von Bund und Ländern haben die bis dahin geltenden verfassungsrechtlichen Normen zur Begrenzung der Kreditaufnahme nicht verhindern können, dass die Schuldenlast der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften in der Vergangenheit kontinuierlich angestiegen ist. Am 5. März 2009 beschloss die Kommission ihre Änderungsvorschläge und stellte sie der Öffentlichkeit vor. 66 Ziel der Änderungen des Grundgesetzes im Bereich der Finanzverfassung und der einfachgesetzlichen Ausführungen war es, im Einklang mit den Vorgaben des reformierten europäischen Stabilitätsund Wachstumspaktes die institutionellen Voraussetzungen für die Sicherung einer langfristigen Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern zu verbessern. 67 Entsprechend den Vorschlägen der Reformkommission wurden der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und der Entwurf eines Begleitgesetzes mit den notwendigen Folgeregelungen auf einfach-rechtlicher Ebene in den Bundestag und den Bundesrat eingebracht. 68 Am 29. Mai 2009 stimmte der Bundestag und am 12. Juni 2009 der Bundesrat den vorgeschlagenen Änderungen zu. 69 Inhaltlich wurde im Zuge der Föderalismusreform II für die Haushalte von Bund und Ländern in Art. 109 GG u. a. der Grundsatz eines ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichenen Haushalts verankert. Der Bund hält diesen Grundsatz auch ein, wenn das strukturelle Defizit 0,35% des BIP nicht überschreitet. Die Länder haben nach der Regelung keine Möglichkeit zu einer strukturellen Verschuldung. Zulässige Abweichungen von der Grundregel eines ausgeglichenen Haushalts sind aber zur Stabilisierung der Konjunkturentwicklung zulässig. 65
Vgl. BT-Drs. 16/3885 u. BT-Prot. 16/74, S. 7393 ff.; BR-Drs. 913/06 u. BR-Prot. 2006, S. 397 ff. 66 Beschlüsse der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, Kom.-Drs. 174, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. 67 Vgl. BT-Drs. 16/12410, S. 1 und BR-Drs. 262/09, S. 1. 68 Vgl. BT-Drs. 16/12400 u. 16/12410; BR-Drs. 262/09 u. 263/09. 69 Vgl. Beschlussempfehlungen vom 27. Mai 2009 des Rechtsausschusses des Bundestages BT-Drs. 16/13221 u. 16/13222; BR-Drs. 510/09 u. 511/09.
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Ferner ist in Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG noch eine Ausnahmeregelung eingefügt worden, die die Handlungsfähigkeit des Staates im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, gewährleistet. Für eine Kreditaufnahme aufgrund der Ausnahmeregelung ist obligatorisch, eine Tilgungsregelung vorzusehen. Die für Bund und Länder neu in Art. 109 GG eingefügten allgemeinen Vorgaben wurden speziell für den Bund in der Neufassung der Kreditaufnahmeregel des Art. 115 GG umgesetzt. Eine Art. 109 GG entsprechende Änderung der Kreditaufnahmeregelungen der Länder hat durch den Landesgesetzgeber zu erfolgen. In Art. 109a GG wurde ein Regime zur Überwachung der Einhaltung der Kreditaufnahmeregeln in das Grundgesetz neu eingefügt. Die Neuregelungen zur Begrenzung der Kreditaufnahme werden nach Art. 143d Abs. 1 GG erstmals mit Wirkung für das Haushaltsjahr 2011 unter Vorbehalt der Möglichkeit der Wahrnehmung von Abweichungsrechten Anwendung finden. Die neuen Schuldenregelungen müssen vom Bund ab dem Jahr 2016 und von den Ländern ab dem Jahr 2020 vollständig eingehalten werden. Mit Art. 143d Abs. 2 und 3 GG wurde eine Regelung in das Grundgesetz aufgenommen, die es der bundesstaatlichen Gemeinschaft ermöglicht den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019 in Anbetracht ihrer schwierigen Haushaltssituation Konsolidierungshilfen zu gewähren. Ferner wurde in Art. 91c GG die Grundlage für eine Bund-Länder-Zusammenarbeit im Bereich der Informationstechnik geschaffen sowie in Art. 91d GG die Möglichkeit für das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei Leistungsvergleichen in der öffentlichen Verwaltung verankert.
III. Reformrelevante Rechtsquellen Im Zusammenhang mit dem Problem der Staatsverschuldung sind Normen in verschiedenen Rechtsquellen der bundesdeutschen Haushaltsordnung und des Europarechts einschlägig. 1. Europarecht Mit dem Ziel der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion (Art. 121 EGV) finden sich Regelungen über die Begrenzung der Verschuldung der Mitgliedstaaten der EG sowohl im primären als auch im sekundären Gemeinschaftsrecht. Kann die EG im Rahmen der Wirtschaftspolitik über Art. 101 bis 103 EGV eine solide Haushaltspolitik durch Vermeidungsanreize nur indirekt
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fördern, ist ihr mit Art. 104 EGV ein Instrument zur direkten Überwachung der Haushaltpolitik der Mitgliedstaaten gegeben worden. 70 Kern der Regelung ist die Vorgabe in Art. 104 Abs. 1 EGV, nach der grundsätzlich alle Mitgliedstaaten verpflichtet sind, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. 71 Diese Vorgabe wird in den folgenden Absätzen des Art. 104 EGV sowie durch zwei Zusatzprotokolle zum Vertrag von Maastricht ergänzt. 72 Die Europäische Kommission überwacht die Entwicklung der Haushaltslage und die Höhe des öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten gem. Art. 104 Abs. 2 EGV. Zur Beachtung der Vorgaben schließt sich ein spezielles mehrstufiges Verfahren zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin gem. Art. 104 Abs. 3 – 12 EGV an. Ferner erfolgt eine Konkretisierung der Vorgaben durch die 1997 beschlossene Amsterdamer Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt und über zwei Verordnungen, die sowohl präventive als auch repressive Regeln bezüglich der Verschuldung der Mitgliedstaaten vorsehen. 73 2. Verfassungsrecht Sowohl die Bundes- als auch die Länderverfassungen enthalten Regelungen über das Haushaltsrecht. a) Grundgesetz Im Grundgesetz finden sich nach der Föderalismusreform II in Art. 109, 109a GG und in der Haushaltsverfassung (Art. 110 –115 GG) grundlegende Normen der Haushaltsordnung, die für das Thema der Staatsverschuldung von Interesse sind. aa) Bundesstaatliche Haushaltswirtschaft (Art. 109 GG) Art. 109 GG nimmt systematisch eine Sonderstellung ein, da er im Rahmen der Finanzordnung als bundesstaatlich geprägtes Bindeglied zwischen dem Fi70
U. Häde, in: C. Calliess / M. Ruffert, EUV / EGV, Art. 104 Rn. 3. A. Bleckmann, DVBl. 1992, S. 335 (340); M. Koch, in: C. O. Lenz / K.-D. Borchardt, EUV / EGV, Art. 101 – 104 Rn. 5. 72 ABl. EG 1992, Nr. C 191, S. 84. 73 Der Stabilitäts- und Wachstumspakt besteht aus drei Sekundärrechtsakten: einer Ratsentschließung v. 17 Juni 1997, ABl. EG 1997, Nr. C 236, S. 1 f.; der VO 1466/97 (präventive Regeln zur Haushaltsüberwachung), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 1 ff. zuletzt geändert durch VO 1055/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 1 ff.; der VO 1467/97 (repressive Regeln kommen zur Geltung bei Vorliegen eines übermäßigen Defizits), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 6 ff. zuletzt geändert durch VO 1056/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 5 ff. 71
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nanz- und dem Haushaltsverfassungsrecht dient. Art. 109 GG richtet sich als Fundamentalnorm der bundesstaatlichen Haushaltswirtschaft an Bund und Länder. In Art. 109 Abs. 1 GG wird zunächst die Haushaltsautonomie von Bund und Ländern gewährleistet. Durch diesen Grundsatz der Haushaltstrennung wird vor allem die Unabhängigkeit der Länder im Bereich des Haushaltsverfassungsrechts grundgesetzlich hervorgehoben. 74 In konsequenter Fortführung der im Bundesstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG angelegten Grundsatzentscheidung zu einem dezentralen Staatsaufbau unterstreicht Art. 109 Abs. 1 GG die fiskalpolitische Unabhängigkeit von Bund und Ländern. Zur Gewährleistung der Staatlichkeit von Bund und Ländern müssen beide Ebenen daher neben der Haushaltsautonomie auch über ausreichend Finanzmittel verfügen können. 75 Im Sinne der Eigenverantwortung ist ein Rückgriff auf Mittel fremder Haushalte nach Art. 109 Abs. 1 GG grundsätzlich ausgeschlossen. Da der Bund und die Gliedstaaten aber über die Finanzverfassung auch auf die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse verpflichtet sind (beispielsweise bei der Festlegung der Umsatzsteueranteile zwischen Bund und Ländern gem. Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG), kann es zur Durchbrechung des Grundsatzes der Haushaltstrennung kommen. Die gegenseitige Verantwortung von Bund und Ländern füreinander in Form eines Zwanges zur Kooperation kann – über das aus dem Bundesstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitete Prinzip der Bundestreue – auch zu einer Einschränkung der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern führen. 76 In den nachfolgenden Abs. 2 bis 4 des Art. 109 GG hat der Verfassungsgesetzgeber über das eben dargestellte Mindestmaß hinaus weitere Einschränkungen der Haushaltsautonomie festgelegt, die für eine geordnete Wirtschaftsund Finanzpolitik im Hinblick auf die Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts notwendig erscheinen. Die Regelung des Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG basieren auch nach der Föderalismusreform II auf der Theorie einer auf Nachfrage orientierten staatlichen Globalsteuerung der Volkswirtschaft durch eine antizyklische Fiskalpolitik. 77 Dies wird insbesondere durch die konjunkturelle Komponente der Vorgaben zur neuen Kreditaufnahmeregelung in Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG deutlich. Nach Art. 109 Abs. 2 GG ist es die gemeinsame Pflicht von Bund und Ländern, den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der EG gem. Art. 104 EGV zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin nachzukommen. Sie tragen in diesem Rahmen bei ihrer Haushaltswirt74
K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (221). BVerfGE 39, 96 (108). 76 BVerfGE 4, 115 (140); D. Birk, JA 1983, S. 563 (564). 77 BVerfGE 79, 311 (331); E. Benda, NJW 1967, S. 849 ff.; C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 33 f.; C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 45. 75
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schaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung. Der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ steht als unbestimmter Verfassungsbegriff der Interpretation offen. 78 Eine nicht abschließende Konkretisierung des Begriffs erfolgt einfachgesetzlich in § 1 S. 2 StabG. Demnach sind Maßnahmen im Bereich der Haushaltswirtschaft so zu treffen, dass sie im Rahmen „der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und einem außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“.
Der durch die Reform neu eingefügte Art. 109 Abs. 3 GG gibt den Rahmen für die neuen Kreditaufnahmeregelungen von Bund und Ländern vor. Demnach sind die Haushalte von Bund und Ländern in Zukunft grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Nach Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG besteht für Bund und Länder die Option, eine Regelung „zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“
bei der Novellierung in den Normenbestand aufzunehmen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung wird für den Bundeshaushalt in Art. 115 GG geregelt. Dies geschieht mit der Maßgabe, dass S. 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 % im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Für die Länderhaushalte obliegt die Gesetzgebungskompetenz den Bundesländern mit der Maßgabe, dass S. 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden Zur weiteren Durchsetzung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bei der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern wurden dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse in Art. 109 Abs. 4 GG eingeräumt. Art. 109 Abs. 5 GG beinhaltet ferner eine Lastentragungsregel, nach der eine quotale Verteilung eventuell anfallender Sanktionszahlungen beruhend auf einem Verstoß gegen die Maastricht-Kriterien zwischen Bund und Ländern erfolgt. 79 Die Regel des Art. 109 GG gilt nach Art. 143d Abs. 1 GG erstmals für das Haushaltsjahr 2011. Vorher gelten die Vorgaben des Art. 109 GG (a.F.). Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach 78 BVerfGE 79, 311 (338 f.); E.-W. Böckenförde, Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel, in: E.-W. Böckenförde, Staat, Nation, Europa, S. 141 (148); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 109 Rn. 11. 79 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.I.3.c).
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Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG abweichen. Die Länderhaushalte müssen somit die Vorgabe aus Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG erst im Haushaltsjahr 2020 erfüllen. bb) Vermeidung von Haushaltsnotlagen (Art. 109a GG) Der im Rahmen der Föderalismusreform II neu in die Verfassung aufgenommene Art. 109a GG ist die verfassungsrechtliche Grundlage für die Einführung eines Stabilitätsrates, zur regelmäßigen Haushaltsüberwachung von Bund und Ländern sowie für den Erlass eines Verfahrens zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen in den Gebietskörperschaften. Das Nähere wird durch ein Bundesgesetz geregelt, welches der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 80 Schon das BVerfG hatte in früheren Entscheidungen über Hilfeleistungsansprüche einzelner Länder die Einführung eines solchen Verfahrens angeregt. 81 In Art. 109a S. 1 GG sind einige Vorgaben für das Verfahren zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen aufgeführt. Demnach soll ein Stabilitätsrat fortlaufend die Haushalte von Bund und Ländern auf der Basis festzulegender finanzwirtschaftlicher Kennzahlen beobachten. Dies geschieht mit dem Ziel, die Gefahr einer Haushaltsnotlage möglichst früh zu erkennen. Hierfür sind in dem Ausführungsgesetz die Voraussetzungen und das Verfahren der Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage zu regeln sowie die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zu normieren. Die Beschlüsse des Stabilitätsrates und die zugrunde liegenden Beratungsunterlagen müssen veröffentlicht werden. Dies dient der Transparenz des Verfahrens. cc) Haushaltsverfassung (Art. 110 – 115 GG) Neben einer Umschreibung der Funktion der Haushaltsverfassung wird im Folgenden ein kurzer Überblick über deren Normengefüge gegeben. α) Funktion der Haushaltsverfassung Die Haushaltsverfassung des Bundes lässt sich als eine formell-verfassungsrechtliche Grundordnung des Bundeshaushalts (staatliche und para-staatliche Haushalte) einschließlich der Vermögens- und Schuldenwirtschaft sowie der Haushaltskontrolle beschreiben. 82 Der öffentliche Haushalt 83 ist die systematische Zusammenstellung der für einen vorher festgelegten Zeitraum geplanten, 80 Vgl. Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrates und zur Vermeidung von Haushaltsnotlage (Stabilitätsratsgesetz), BT-Drs. 16/12400, S. 5 f. 81 Vgl. BVerfGE 86, 148 (266); 116, 327 (393).
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prinzipiell vollzugsverbindlichen Ausgaben und der Vorausschätzungen der zur Deckung dieser Ausgaben vorgesehenen Einnahmen. 84 Zentrale Aufgabe der Haushaltsverfassung ist die Aufteilung der Organkompetenzen insbesondere zwischen Bundestag und Bundesregierung. 85 Dem Parlament kommt die Budgethoheit zu, welche als klassisches Parlamentsrecht in der Zeit des Konstitutionalismus entstand. Dem Organ der Legislative steht die Bundesregierung als das im Bereich der Haushaltsverfassung bestimmende Verfassungsorgan der Exekutive gegenüber. 86 Die haushaltsverfassungsrechtlichen Regelungen der Art. 110 – 115 GG richten sich im Gegensatz zu Art. 109 GG nur an den Bund. 87 Dies ergibt sich aus der in Art. 109 Abs. 1 GG festgelegten prinzipiellen Haushaltsautonomie der Länder, die auch das Recht der Normierung eigenständiger Haushaltsvorschriften umfasst, soweit kein Verstoß gegen Art. 109 Abs. 2 bis 4 GG und den daraus abgeleiteten einfach-gesetzlichen Regelungen vorliegt. In der Bundeshaushaltsverfassung normierte Haushaltsgrundsätze, Verfahrensregelungen, Regelungen des Haushaltskreislaufs oder der Kreditaufnahme gelten daher grundsätzlich nicht für die Länder. β) Inhalt der Haushaltsverfassung Die Art. 110 bis 115 GG regeln ausschließlich die Haushaltswirtschaft des Bundes. Die Bundeshaushaltsverfassung beinhaltet Regelungen über Haushaltsgrundsätze, den Haushaltskreislauf einschließlich der Haushaltskontrolle sowie der staatlichen Kreditaufnahme. (1) Haushaltskreislauf Der Verfassungsgesetzgeber hat in der Haushaltsverfassung einige Festlegungen über den Haushaltskreislauf getroffen. Der Haushaltskreislauf verläuft regelmäßig in vier Phasen. 88 In Art. 110 –114 GG finden sich vorwiegend Grundsätze über den Haushalt im Allgemeinen und die Gestalt des Haushaltsplans und des Haushaltsgesetzes im Speziellen sowie Regeln zur Aufstellung des Haushalts, 82
J. Hellermann, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 104a Rn. 1; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1061; K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104 – 115 Rn. 55. 83 Synonyme für den Begriff „öffentlicher Haushalt“ = Budget, Etat. 84 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 110 –115 Rn. 4. 85 T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 110 Rn. 3. 86 BVerfGE 45, 1 (46 ff.); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 110 – 115 Rn. 6. 87 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 37; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 110 – 115 Rn. 1.
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Sonderregelungen hinsichtlich der Ausführung des Haushaltsplans und Regelungen über die Haushaltskontrolle. Die genaue Ausgestaltung erfolgt überwiegend einfach-gesetzlich. (a) Haushaltsgrundsätze und Aufstellung des Haushaltsplans (Art. 110 GG) Als zentrale Norm der Haushaltverfassung enthält Art. 110 GG neben einigen Haushaltsgrundsätzen Verfahrensregelungen für die Feststellung des Haushaltes. In Art. 110 GG wird zunächst zwischen dem Haushaltsplan und dem Haushaltsgesetz unterschieden. Der Haushaltsplan umfasst die verschiedenen Einzelpläne und einen zusammenfassenden Gesamtplan. Im Haushaltsplan werden die wirtschaftlichen Grundsatzentscheidungen für die verschiedenen Politikbereiche getroffen. Das Haushaltsgesetz hingegen ist Ergebnis der Zustimmung des Bundestages zum Haushaltsplan. 89 Art. 110 GG beinhaltet Grundsätze zur Aufstellung des Haushalts. 90 Aus Art. 110 Abs. 1 S. 1 GG ergibt sich der Haushaltsgrundsatz der Vollständigkeit und Einheit, nach dem grundsätzlich alle veranschlagten Einnahmen und beabsichtigten Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen sind. 91 Ihm schließt sich der Grundsatz der Spezialität und das Bruttoprinzip an. Demnach sind die Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan getrennt aufzuführen und müssen hinreichend spezialisiert sein. 92 Nach dem in Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG 88
Der Haushaltskreislauf des Bundes: 1. Haushaltsplanaufstellung durch den Bundesfinanzminister und anschließende Beschlussfassung der Bundesregierung über den Haushaltsgesetzesentwurf, welcher den Haushaltsplan mit umfasst 2. Haushaltsberatung und Beschlussfassung von Bundestag und Bundesrat durch Feststellung des Haushaltsplans über den Erlass des Haushaltsgesetzes 3. Haushaltsvollzug durch die Exekutive (vgl. §§ 34 ff. BHO) 4. Haushaltskontrolle. 89 Vgl. zum Haushaltsgesetz Dritter Teil Kap. A.III.3.d). 90 Hinzu treten u. a. noch der Grundsatz des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und die einfachgesetzlichen Haushaltsgrundsätze der Öffentlichkeit des Haushaltes, der Klarheit, der Wahrheit und der Gesamtdeckung; vgl. ausführliche Auflistung der verfassungsrechtlichen und nicht-verfassungsrechtlichen Haushaltsgrundsätze bei C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 92 ff.; L. Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, S. 220 ff. 91 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 110 Rn. 11 ff.; C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 110 Rn. 27 ff.; A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 Rn. 19. 92 Vgl. auch § 12 Abs. 1 S. 1 HGrG und § 15 Abs. 1 S. 1 BHO; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 70; H. Wiesner / A. Westermeier, Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, S. 37 ff.
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folgenden Grundsatz des Haushaltsausgleichs müssen die Einnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan formal ausgeglichen sein. 93 Das Gebot des Ausgleichs stellt hierbei lediglich sicher, dass die Endsumme der Einnahmen (einschließlich eventuell aufgenommener Kredite) sowie der Ausgaben im Haushalt gleich groß ist. Unter dem Vorbehalt von Ausnahmen muss ferner der Grundsatz der Periodizität und der Vorherigkeit gem. Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG beachtet werden. 94 Der Haushaltsplan ist den grundgesetzlichen Vorgaben entsprechend für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz auszuarbeiten. Abschließend ist in Art. 110 Abs. 4 S. 1 GG noch das sachliche und zeitliche Bepackungsverbot verankert. 95 Demzufolge dürfen in das Haushaltsgesetz nur Vorschriften aufgenommen werden, die sich auf die Einnahmen und die Ausgaben des Bundes und auf den Zeitraum beziehen, für den das Haushaltsgesetz beschlossen wird. In Bezug auf den Haushaltskreislauf sieht Art. 110 GG neben den Haushaltsgrundsätzen auch Verfahrensvorschriften für die Aufstellung des Haushaltsplans vor. Hinsichtlich der Aufstellung des Haushaltsplans ist Art. 110 Abs. 3 GG aufgrund seiner Abweichungen zum normalen Gesetzgebungsverfahren lex specialis zu Art. 76 ff. GG. 96 Die Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates haben im Gegensatz zur Regelung in Art. 76 Abs. 1 GG kein Initiativrecht. Allein die Bundesregierung ist im Haushaltsbereich zur Gesetzesinitiative befugt. Im Haushaltsaufstellungsverfahren werden die für das nächste Haushaltsjahr veranschlagten Einnahmen und Ausgaben der einzelnen Bundesministerien und der Verfassungsorgane mit eigenem Haushalt zusammen mit Verpflichtungsermächtigungen und Vermerken durch den Bundesfinanzminister zu einem einheitlichen Budget zusammengeführt. Der mit Änderungen versehene Entwurf des Haushaltsgesetzes wird im Anschluss mit dem Entwurf des Haushaltsplans vom Bundeskabinett beschlossen. In Abweichung von Art. 76 Abs. 2 GG wird die Gesetzesvorlage nach Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG sowie die Vorlage zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestag eingebracht. Dies dient insbesondere der Beschleunigung des Verfahrens. Als Einspruchsgesetz bedarf das Haushaltsgesetz nicht der Zustimmung des Bundesrates, welcher nach Art. 110 Abs. 3 GG inner93 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 110 Rn. 27 f.; M. Heintzen, in: HdbStR V, § 120 Rn. 44 ff.; H. B. Brockmeyer, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, GGK, Art. 110 Rn. 19; a. A. geht von einem materiellen Verständnis des Ausgleichsbegriffes aus, wonach Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG als eine verfassungsrechtliche Missbrauchsschranke anzusehen wäre, vgl. G. Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 10; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1249. 94 C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 110 Rn. 80 ff. 95 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 110 Rn. 43 f.; R. Heller, Haushaltsgrundsätze, S. 170 f.; H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 107. 96 W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 110 Rn. 32; C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 110 Rn. 88; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 64.
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halb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung nehmen kann. (b) Nothaushaltsrecht (Art. 111 GG) Grundsätzlich soll der Haushalt rechtzeitig vor Beginn des Haushaltsjahres festgestellt werden. 97 Art. 111 GG dient der Verhinderung eines etatlosen Zustands, d. h., dass bei Beendigung eines Haushaltsrechnungsjahres der anschließende Haushalt noch nicht festgestellt wurde. 98 Für eine Etatlosigkeit kommen verschiedene Gründe in Betracht. So können z. B. ein Regierungswechsel, Verzögerungen beim komplizierten Verfahren der Haushaltsaufstellungen oder die Ablehnung des Haushaltsentwurfs durch den Bundestag einen solchen Zustand verursachen. In einer Situation der fehlenden Haushaltsfeststellung ermächtigt Art. 111 Abs. 1 GG die Bundesregierung übergangsweise bestimmte Ausgaben zur Erhaltung gesetzlich bestehender Einrichtungen, zur Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen und zur Fortsetzung bereits begonnener Projekte im Sinne einer vorläufigen Haushaltsführung zu tätigen. Ferner darf die Regierung, soweit nicht auf besonderem Gesetze beruhende Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen oder die Betriebsmittelrücklage die Ausgaben unter Art. 111 Abs. 1 GG decken, nach Abs. 2 die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplanes über Kredite finanzieren. Art. 111 GG ist somit nur für kurzfristige Ausnahmesituationen gedacht und darf als Ausnahmevorschrift nicht extensiv ausgelegt werden. 99 (c) Über- und außerplanmäßige Ausgaben (Art. 112 GG) Grundsätzlich werden die zu erwartenden Ausgaben eines Haushaltsjahres im Haushaltsplan dargestellt. Sollte die dort getroffene Prognose nicht eintreten, können weitere Finanzmittel über einen Nachtragshaushalt bewilligt werden. In Fällen, in denen auch ein Nachtragshaushalt zu keiner ausreichenden Haushaltsdeckung führt, kann der Bundesminister der Finanzen bei unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnissen nach Art. 112 GG überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bewilligen. 100 Nach der Rechtsprechung des BVerfG hat der Bundesfinanzminister aber nur ein eingeschränktes Entscheidungsrecht. 101 97 In diesem Sinne auch die Normierung einer Vorlagefrist gem. § 30 BHO vor dem Hintergrund, dass ein Haushaltsjahr einem Kalenderjahr entspricht, § 4 BHO. 98 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 111 Rn. 1. 99 BVerfGE 45, 1 (31 f.); 66, 26 (38); H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 71; K.A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (223). 100 Vgl. auch §§ 37, 116 Abs. 1 BHO. 101 BVerfGE 45, 1 ff.
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Die in den übrigen Regelungen der Haushaltsverfassung generell vorgesehene Zuständigkeit der Bundesregierung impliziert, dass der Finanzminister des Bundes die Zustimmung nach Art. 112 GG nur erteilen darf, wenn die Bundesregierung die Finanzmittel vorher freigegeben hat. 102 Art. 112 GG ist als Ausnahme vom Vorrang der Legislative im Bereich der Haushaltswirtschaft eng auszulegen. 103 (d) Mitwirkungsrechte der Bundesregierung (Art. 113 GG) Nach Art. 113 Abs. 1 S. 1 GG bedürfen Gesetze, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben implizieren oder in der Zukunft erforderlich machen, der Zustimmung der Bundesregierung. Das gleiche gilt für einnahmemindernde Gesetze. Über das ihr eingeräumte Mitwirkungsrecht kann die Bundesregierung verlangen, dass der Bundestag die Beschlussfassung über solche Gesetze aussetzt oder sie kann eine erneute Beschlussfassung nach bereits erfolgtem Beschluss des Gesetzes fordern. Ferner hat die Bundesregierung die Möglichkeit, unter den Voraussetzungen gem. Art. 113 Abs. 3 GG ihre Zustimmung zu einem solchen Gesetzesvorhaben endgültig zu verweigern. Die jetzige Regelung des Art. 113 GG ist, vor ihrem historischen Hintergrund betrachtet, ungewöhnlich. Einst erstritten die Stände im 19. Jh. das Ausgabenbewilligungsrecht, um das Ausgabenverhalten der Monarchen regulieren zu können. 104 Nach den Haushaltsregeln des Grundgesetzes haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Nun wird der Haushalt vom Parlament aufgestellt, welcher unter den Voraussetzungen des Art. 113 GG Beschränkungen der Exekutive unterliegen kann. Sinn und Zweck der Regelung ist es, das sich im Haushaltsplan widerspiegelnde Regierungsprogramm vor Eingriffen des Parlaments zu schützen, sowie eine ausgewogene Haushaltswirtschaft des Bundes zu gewährleisten. Es erscheint jedoch zweifelhaft, warum gerade die Bundesregierung hierzu prädestiniert sein soll. 105 Vielmehr besteht der in Art. 113 GG angelegte Dualismus von Bundesregierung und Parlament überhaupt nicht, da Regierung und Parlamentsmehrheit eng miteinander verknüpft sind. 106
102 BVerfGE 45, 1 (46 ff.), abweichendes Sondervotum durch E. Niebler, in: BVerfGE 45, 1 (52 ff.). 103 BVerfGE 45, 1 (37, 39); K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 112 Rn. 13; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 112 Rn. 2. 104 H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 67. 105 W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 113 Rn. 4; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 113 Rn. 8. 106 H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 68.
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(e) Haushaltskontrolle (Art. 114 GG) Die Finanzkontrolle als letzte Station im Haushaltskreislauf ist in Art. 114 GG geregelt. 107 Eine Finanzkontrolle ist wegen des überwiegend steuerfinanzierten Volumens des Bundeshaushaltes aus demokratischen, republikanischen und ökonomischen Gründen unerlässlich. 108 Sie erfolgt in der Hauptsache nachträglich. 109 Nach Art. 114 GG obliegt die Finanzkontrolle des Bundes vier Instanzen und ist insoweit institutionell und funktionell im Grundgesetz abgesichert. 110 Die Kontrolle der Finanzen erfolgt durch eine „interne“ Rechnungslegung von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat und eine „externen“ Rechnungsprüfung durch den Bundesrechnungshof. Für die interne Finanzkontrolle hat der Bundesminister der Finanzen als zuständiger Vertreter der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat nach Art. 114 Abs. 1 GG „über alle Einnahmen und Ausgaben sowie über das Vermögen und die Schulden im Laufe des nächsten Rechnungsjahres zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen“. Hierdurch wird es dem Bundestag und dem Bundesrat ermöglicht, den ordnungsgemäßen Haushaltsvollzug der Bundesregierung zu überprüfen. Über diese Kontrolle können die beiden Verfassungsorgane die Exekutive entweder in ihrem Ausgabeverhalten beschränken oder bei ordnungsgemäßer Handhabung der Finanzen entlasten. Bei der Entlastung handelt es sich aber ausschließlich um einen politischen Akt ohne unmittelbare Rechtswirkung. 111 An die Rechnungslegung schließt sich die externe Finanzkontrolle der Rechnungsprüfung durch den Rechnungshof an. Er hat hierbei kein verbindliches Entscheidungsrecht, sondern ist einzig auf die Prüfung und anschließende Berichterstattung beschränkt. 112 Nach Art. 114 Abs. 2 GG prüft der Bundesrechnungshof die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung. Inhaltlich umfasst die Prüfung neben der formellen Überprüfung der Jahresrechnung, die Verfassungskontrolle auf Einhaltung des Haushaltsplans und des Haushaltsgesetzes sowie die materielle Verwaltungskontrolle. Der Rechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unab107 Hierzu ausführlich C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 560 ff.; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 114 Rn. 1 ff.; K.-A. Schwarz, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 114 Rn. 1 ff. 108 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 114 Rn. 1; K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (224). 109 M. Heintzen, in: HdbStR V, § 120 Rn. 84; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 114 Rn. 29. 110 Die Finanzkontrolle des Bundes erfolgt durch die Bundesregierung, den Bundestag, den Bundesrat und den Bundesrechnungshof. 111 BVerfGE 45, 1 (50); K.-A. Schwarz / E. Reimer, JuS 2007, S. 219 (224). 112 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 114 Rn. 9.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
hängigkeit besitzen, hat die Ergebnisse seiner Überprüfung der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat jährlich unmittelbar zu berichten. Im Übrigen werden die Befugnisse des Bundesrechnungshofes durch Bundesgesetz geregelt. Die Finanzkontrolle findet sich auf Bundesebene jedes Haushaltsjahr in drei amtlichen Dokumenten wieder, nämlich in der vom Bundesfinanzministerium verfassten Haushalts- und Vermögensrechnung der Bundesregierung, dem Entlastungsbeschluss von Bundestag und Bundesrat und dem Jahresbericht des Bundesrechnungshofs. (2) Staatliche Kreditaufnahme (Art. 115 GG) Da die Neuregelungen zur Begrenzung der Nettokreditaufnahme des Bundes nach der Übergangsbestimmung des Art. 143d Abs. 1 GG erstmals auf den Bundeshaushalt für das Jahr 2011 anzuwenden sind sowie darüber hinaus bis einschließlich des Haushaltsjahrs 2015 Abweichungsrechte bestehen, gilt es im Folgenden sowohl die alte als auch die neue Fassung der Regelung des Art. 115 GG darzustellen. (a) Art. 115 GG (a.F.) Die letzte Norm der Haushaltsverfassung regelt die Voraussetzungen und Grenzen der „Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können“.
Unter Kreditaufnahme versteht man grundsätzlich die Beschaffung von Geldmitteln am Kapitalmarkt durch den Staat. 113 Durch die Aufnahme von Krediten kann der Staat Finanzierungslücken im Haushalt ausgleichen, die durch Steuern oder sonstige Abgaben nicht gedeckt sind. 114 Kredite müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückgezahlt werden und belasten darüber hinaus durch anfallende Zinszahlungen die Haushalte folgender Rechnungsjahre. Bei langfristig angelegten Kreditgeschäften des Staates kommt es (wenn die Zinsen höher als die Inflation sind) somit zu einer Lastenverlagerung auf zukünftige Generationen. Ferner kann sich der Staat nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG in einer Bürgschaft gem. § 765 BGB dazu verpflichten, dem Gläubiger eines Dritten im Fall der Zahlungsunfähigkeit für dessen Schulden einzustehen. Auf die konkreten Voraussetzungen und Grenzen der staatlichen Kreditaufnahme nach Art. 115 GG und 113 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 8; C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 35; H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 80. 114 BVerfGE 79, 311 (334); H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 80.
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der möglicherweise u. a. daraus resultierenden ausufernden Staatsverschuldung wird an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein. Nach Art. 115 Abs. 2 GG konnten bisher für Sondervermögen des Bundes Ausnahmen von Abs. 1 durch Bundesgesetz zugelassen werden. 115 (b) Art. 115 GG (n.F.) Art. 115 (n.F.) führt die in Art. 109 GG neu festgelegten Grundsätze für den Bund aus. Die Intention der Neuregelung ist es Schwächen des Art. 115 GG (a.F.) im Hinblick auf eine nachhaltige Eindämmung der Neuverschuldung zu beseitigen. Die Novellierung beinhaltet als Grundregel das Prinzip des ausgeglichenen Haushalts. Sie ersetzt die bisherige Regelung, die eine Kreditfinanzierung in Höhe der (Brutto-)Investitionen zuließ. Eine strukturelle Verschuldung des Bundes ist mit 0,35% des BIP nur noch in sehr begrenztem Maß möglich. Durch die Einräumung einer an der konjunkturellen Entwicklung ausgerichteten Verschuldungsmöglichkeit ist zusätzlich ein sehr flexibles Element in die Kreditaufnahmeregelung des Bundes aufgenommen worden. 116 b) Landesverfassungen Die Verfassungen der Länder enthalten grundsätzlich den Art. 110 – 115 GG entsprechende Regelungen über die Haushaltswirtschaft. 117 Dennoch gibt es auch Abweichungen, wie sich insbesondere bei den Regelungen über die Kreditaufnahme im weiteren Verlauf der Bearbeitung noch zeigen wird. 118 Die aufgrund der Ermächtigung in Art. 109 Abs. 4 GG ergehenden Bundesgesetze oder Bundesrechtsverordnungen haben Vorrang gegenüber dem Landesrecht (auch vor dem Landesverfassungsrecht). 119 Ab dem Haushaltsjahr 2011 müssen alle Bundesländer eine dem im Rahmen der Föderalismusreform II geänderten Art. 109 GG entsprechende Kreditaufnahmeregelung in ihren Normenbestand aufgenommen haben.
115 Ausführlich zur bis zum Haushaltsjahr 2011 geltenden Kreditaufnahmeregel des Bundes vgl. Dritter Teil Kap. B.I.2. 116 Ausführlich zur Neuregelung der Kreditaufnahmeregel des Bundes vgl. Dritter Teil Kap. D.I.1.b). 117 Vgl. bspw. Art. 78 – 82 BayVerf; Art. 139 – 145 HessVerf; Art. 81 –88 NWVerf; Art. 93 – 100 SächsVerf. 118 Vgl. hierzu Dritter Teil Kap. B.I.2. 119 M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch. 94 (2003), S. 319 (321).
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3. Einfachgesetzliche Regelungen In einer Reihe von haushaltswirtschaftsbezogenen Fachgesetzen sind Ausführungen zur Ergänzung der Haushaltsverfassung normiert. a) Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder Das Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder wurde auf der Grundlage des Art. 109 Abs. 4 GG vom Bundesgesetzgeber verabschiedet. 120 Es bildet die rechtliche Grundlage für den Erlass der BHO bzw. LHO, indem es aus Gründen der Transparenz und daraus resultierender Vergleichbarkeit einheitliche Grundsätze im Gebiet des Haushaltsrechts von Bund und Ländern festlegt. Das HGrG bewirkt somit, dass das Haushaltsrecht im Bund und in den Ländern in weiten Teilen übereinstimmt. 121 Im ersten Teil des Gesetzes (§§ 1 –48 HGrG) finden sich relativ ausführlich gehaltene Vorschriften u. a. für die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans, Zahlungen, Buchführung, Rechungslegung und Rechnungsprüfung, die als Richtlinien für die Gesetzgebung des Bundes und der Länder gelten und somit noch der Umsetzung bedürfen. 122 Der zweite Teil (§§ 49 –57 HGrG) enthält Regelungen, die einheitlich und unmittelbar für Bund und Länder gelten. Diese Regelungen u. a. zur Finanzplanung und zum Kassenwesen sind noch ausgestaltungsfähig. Hinsichtlich der Frage nach dem zukünftigen Umgang mit der Staatsverschuldung sind im ersten Teil des Gesetzes insbesondere die Regelungen des § 13 HGrG zur Kreditermächtigung und die weiteren Regelungen im Zusammenhang mit der Kreditaufnahme nach den §§ 21 ff. HGrG von Bedeutung. Auffällig ist vor allem, dass eine Regelung zur Kreditbegrenzung wie sie beispielsweise in § 18 Abs. 1 BHO normiert ist, in § 13 HGrG fehlt. 123 Im zweiten Teil des Gesetzes hat die innerstaatliche Umsetzung der Maastricht-Kriterien im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts ihren Niederschlag in § 51a HGrG gefunden. Nach § 51a Abs. 1 HGrG werden unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 104 EGV die Ziele der Rückführung der Nettoneuverschuldung und dem Aufstellen ausgeglichener Haushalte erwähnt. Anders als in Art. 110 Abs. 1 GG bedeutet „ausgeglichener Haushalt“ entsprechend dem Sinnzusammenhang hier, dass es sich um einen Haushalt ohne Kreditaufnahme handelt. § 51a Abs. 2 HGrG stellt den Finanzplanungsrat als Koordinierungsgremium in 120 Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) v. 19. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1273 ff. zuletzt geändert durch Art. 123 der Verordnung v. 31. Oktober 2006, BGBl. 2006 I, S. 2407. 121 H. Maurer, Staatsrecht I, § 21 Rn. 55. 122 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 38. 123 A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Vorb. zur BHO, Rn. 2.
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den Mittelpunkt. Seine Befugnisse beschränken sich nach Abs. 3 allerdings auf Empfehlungen, die sich auf die Einhaltung der Haushaltsdisziplin unter Berücksichtigung der ökonomischen Faktoren und insbesondere auf eine gemeinsame Ausgabenlinie i. S. d. § 4 Abs. 3 MaßstG beziehen. b) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Über die Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Art. 109 Abs. 4 GG hat der Bundesgesetzgeber ferner das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft erlassen. 124 Hierin legt er für Bund, Länder und Kommunen gemeinsam geltende Regeln für eine konjunkturgerechte, antizyklische Haushalts- und Wirtschaftsführung und eine mehrjährige Finanzplanung fest. 125 Die Regelungen des StabG sind geprägt von dem in den Jahren 1967 bis 1969 vollzogenen Wandel von der Bedarfsdeckungsfunktion der öffentlichen Haushalte zu einer gesamtwirtschaftlichen Budgetfunktion. 126 Wegen der ihm zugrunde liegenden volkswirtschaftlichen Ausrichtung steht es heute in der Kritik. 127 Nach § 1 StabG haben Bund und Länder „bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten“, wobei sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen sollen. Die Kommunen werden über § 16 Abs. 1 StabG auf die Ziele des § 1 StabG verpflichtet. Für die Haushaltswirtschaft der Länder finden gem. § 14 StabG die §§ 5, 6 Abs. 1 und 2, §§ 7, 9 bis 11 sowie § 12 Abs. 1 StabG Anwendung. 128 Aus staatsschuldenrechtlicher Perspektive sind insbesondere die §§ 15 StabG und §§ 19 ff. StabG hervorzuheben. Sowohl § 15 Abs. 1 StabG als auch § 19 S. 1 StabG ermächtigen die Bundesregierung, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates in die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen einzugreifen. Nach § 15 S. 1 StabG kann die Bundesregierung festlegen, dass der Bund und die Länder ihren Konjunktur-
124
Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) v. 8. Juni 1967, BGBl. 1967 I, S. 582 ff. zuletzt geändert durch Art. 135 der neunten Zuständigkeitsanpassungsverordnung v. 31. Oktober 2006, BGBl. 2006 I, S. 2407. 125 H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 1. 126 H. Wiesner / A. Westermeier, Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, S. 3. 127 R. Heller, Haushaltsgrundsätze, S. 9; A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Vorb. zur BHO, Rn. 2. 128 A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Vorb. zur BHO, Rn. 2.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
ausgleichsrücklagen Mittel zuzuführen haben. 129 Gem. § 19 S. 1 StabG kann die Bundesregierung ferner anordnen, dass „die Beschaffung von Geldmitteln im Wege des Kredits im Rahmen der in den Haushaltsgesetzen oder Haushaltssatzungen ausgewiesenen Kreditermächtigungen durch den Bund, die Länder, die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie die öffentlichen Sondervermögen und Zweckverbände beschränkt wird“,
solange nicht die Ausnahme des S. 2 hinsichtlich der Kreditaufnahmen von Investitionsvorhaben kommunaler Wirtschaftsunternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit greift. c) Bundeshaushaltsordnung und Landeshaushaltsordnungen Der Kern des derzeitigen Haushaltsrechtssystems besteht aus der Haushaltsrechtsordnung des Bundes 130 und den verschiedenen Landeshaushaltsrechtsordnungen 131. Entsprechend dem nach Art. 109 Abs. 4 GG ergangenen HGrG sind Bund und Länder dazu verpflichtet, ihr Haushaltsrecht nach den dort festgeschriebenen Grundsätzen zu regeln. 132 Die Haushaltsordnungen von Bund und Ländern orientieren sich inhaltlich wie auch bei der Normenfolge in weiten Teilen an den Vorgaben des HGrG. 133 Dennoch bestehen in den verschiedenen Haushaltsordnungen einige inhaltliche Unterschiede. 134 Die Haushaltsordnungen enthalten in einem gesetzlichen Rahmen allgemeine Rechtsvorschriften über die Haushaltsund Wirtschaftsführung vom Bund bzw. den jeweiligen Ländern. 135 Der Normenbestand umfasst vor allem Regelungen über die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans, Zahlungen, Buchführung, Rechnungslegung und Rechnungsprüfung sowie über die Prüfung juristischer Personen des öffentlichen Rechts und eventuell vorhandener Sondervermögen. Hinsichtlich der hier im Vordergrund stehenden Problematik der Staatsverschuldung sind insbesondere die Regelung über die Kreditermächtigung in § 18 BHO und die entsprechenden Regelungen in den Landeshaushaltsordnungen von Interesse.
129
T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 109 Rn. 56 f. Bundeshaushaltsordnung (BHO) v. 19. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1284 ff. zuletzt geändert durch Art. 15 des Gesetzes v. 14. August 2006, BGBl. 2006 I, S. 1911. 131 Vgl. Auflistung der verschiedenen Landeshaushaltsordnungen (LHO) bei H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 2 f. Fn. 5. 132 Vgl. § 1 HGrG. 133 Wird deutlich in der Synopse von HGrG und BHO bei C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, Anhang, S. 600 ff.; H. Wiesner / A. Westermeier, Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, S. 3. 134 Ausführlich zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Vorb. zur BHO, Rn. 4 ff. 135 H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 3. 130
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d) Haushaltsgesetz Eine weitere Rechtsquelle der Haushaltsordnung sind die Haushaltsgesetze von Bund und Ländern. Sie dienen vornehmlich der demokratischen Legitimation und der Steuerung des Finanzgebarens. Das Haushaltsgesetz ist ein formelles Gesetz ohne Außenwirkung (es entsteht keine unmittelbare Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger, sondern nur eine Rechtswirkung gegenüber der Exekutive) 136, das für einen begrenzten Zeitraum vom Parlament beschlossen wird. 137 Ein Haushaltsjahr entspricht gem. § 4 S. 1 HGrG und § 4 S. 1 BHO grundsätzlich einem Kalenderjahr. Dem Gesetzgeber kommt hierbei die umfassende Entscheidungs- und Feststellungskompetenz zu. Die Hauptfunktion des Haushaltsgesetzes ist die Feststellung des Haushaltsplans. 138 Der Haushaltsplan beinhaltet den zahlenmäßigen Ausdruck der in der Etatperiode zu erfüllenden Staatsaufgaben, wobei für die zu erwartenden Ausgaben eine Deckung über Einnahmen zu belegen ist. 139 Nach Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG wird der Haushaltsplan „für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt“. Das Haushaltsgesetz dient somit konkret der Legitimation des Haushaltsplans. Ferner enthält das Gesetz wichtige Vorschriften über die jährliche Haushalts- und Wirtschaftsführung sowie gegebenenfalls Ermächtigungsgrundlagen für finanzwirksames Handeln der Exekutive (beispielsweise für die Aufnahme von Krediten oder das Eingehen von Bürgschaften). 140 Das Haushaltsgesetz und der Haushaltplan bilden gemeinsam den Bundes- bzw. Landeshaushalt. e) Stabilitätsratsgesetz Mit dem StabiRatG erfüllt der Bundesgesetzgeber durch die Einführung eines Haushaltsüberwachungssystems für Bund und Länder seinen Gesetzgebungsauftrag aus Art. 109a GG. 141 Das Gesetz regelt in fünf Paragraphen die fortlaufende Überwachung der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern durch einen Stabilitätsrat. Hierfür wird in dem Gesetz festgelegt, wie sich der Stabilitätsrat 136
A. A. BVerfGE 20, 56 (91); 38, 121 (126). H. B. Brockmeyer, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, GGK, Art. 110 Rn. 3 f.; H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 4. 138 Vgl. für den Bund § 1 BHO. 139 C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 110 Rn. 5. 140 Vgl. für den Bund auch § 18 BHO; A. Nebel, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Art. 110 GG Rn. 9; H. Wiesner, Öffentliche Finanzwirtschaft, S. 4. 141 Vgl. Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrates und zur Vermeidung von Haushaltsnotlage (Stabilitätsratsgesetz), BT-Drs. 16/12400, S. 5 f. 137
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
zusammensetzt, welche Aufgaben er hat, wie die regelmäßige Haushaltsüberwachung zu erfolgen hat, wie die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage aussehen und welche Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen zu befolgen sind. f) Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG Das Ausführungsgesetz des Bundes zu Art. 115 GG konkretisiert den im Zuge der Föderalismusreform II novellierten Art. 115 GG. 142 Es beinhaltet u. a. Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme in Form der Bestimmung der strukturellen und der konjunkturellen Verschuldungskomponente sowie Einzelheiten zur Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben. Weiterhin wird die Einführung eines Kontrollkontos mit Ausgleichspflicht vom Gesetzgeber angeordnet, das die Einhaltung der Verschuldungsregel im Haushaltsvollzug sicherstellt. Anwendung findet die neue Begrenzungsregel für den Bund nach Art. 143d Abs. 1 GG erst auf den Bundeshaushalt für das Jahr 2011. g) Konsolidierungshilfengesetz Auf Grundlage von Art. 143d Abs. 2 S. 3 GG hat der Bundesgesetzgeber in einem Ausführungsgesetz Vorgaben für die Gewährung von Konsolidierungshilfen der bundesstaatlichen Gemeinschaft an die Länder Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum von 2011 bis 2019 aufgestellt. 143 Hierbei werden u. a. die Voraussetzungen für den Hilfeleistungsanspruch definiert. d. h. vor allem die Einhaltung eines Konsolidierungspfades, der die betreffenden Länder in die Lage versetzt, ihre Haushalte bis spätestens 2020 auszugleichen. Ferner werden Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Vorgaben definiert. 4. Verwaltungsvorschriften Auf Grundlage der BHO und der anderen Gesetze mit Haushaltsbezug haben die Regierungen oder deren oberste Bundes- bzw. Landesbehörden zahlreiche haushaltsrechtliche Verwaltungsvorschriften erlassen. 144 Verwaltungsvorschrif142
Vgl. Gesetz zur Ausführung von Art. 115 GG, BT-Drs. 16/12400, S. 6 ff. Vgl. Gesetz zur Gewährung von Konsolidierungshilfen (Konsolidierungshilfengesetz), BT-Drs. 16/12400, S. 7 f. 144 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 41; R. Heller, Haushaltsgrundsätze, S. 10 ff.; H. Wiesner / A. Westermeier, Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, S. 6 ff. 143
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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ten sind verbindliche, abstrakt-generelle Anordnungen einer Behörde oder eines Vorgesetzen an die ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten über das sachliche Verwaltungshandeln oder die innere Ordnung einer Behörde. 145 Zu den wichtigsten Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haushaltsordnung zählen die Vorschriften zur Haushaltssystematik des Bundes, die Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung, die Kassenbestimmungen für die Bundesverwaltung, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur vorläufigen Haushalts- und Wirtschaftsführung und die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur endgültigen Haushaltsführung. 146
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis einschließlich zum Haushaltsjahr 2010 Zunächst werden hier die gegenwärtig wichtigsten Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme für Bund und Länder bis einschließlich zum Haushaltsjahr 2010 erörtert.
I. Bund Die zu beachtenden Regelungen für die Kreditaufnahme des Bundes finden sich insbesondere im Gemeinschaftsrecht der EG und im Grundgesetz. Nach dem Rahmen der Föderalismusreform II in das Grundgesetz eingefügten Art. 143d Abs. 1, sind Art. 109 und 115 in der vor der Reform geltenden Fassung letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Art. 109 und 115 GG in der seit der Verabschiedung der Reform geltenden Fassung sind entsprechend erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben hiervon unberührt. Die Vorgaben des Europarechts zur Kreditaufnahme behalten selbstverständlich auch über das Haushaltsjahr 2011 – vorbehaltlich von zukünftigen Änderungen durch den europäischen Gesetzgeber – ihre Gültigkeit.
145
H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 626. Vgl. Aufstellung bei P. Mießen, in: E. A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 5 BHO Rn. 1 ff.; H. Wiesner / A. Westermeier, Das staatliche Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen, S. 6 ff. 146
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
1. Vorgaben des Europarechts zur Kreditaufnahme Wie bei der Erörterung der Rechtsquellen bereits erwähnt, verpflichtet Art. 104 Abs. 1 EGV die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung stabiler Preise um übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Nach Art. 104 Abs. 2 EGV überwacht die Kommission die Entwicklung der Haushaltslage und die Höhe des öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten sind auf das Ziel verpflichtet, mittelfristig strukturell ausgeglichene Haushalte bzw. Haushalte mit Überschüsse vorzulegen. 147 Die Haushaltsdisziplin wird anhand von zwei Kriterien überprüft. Es wird nach Art. 104 Abs. 2 a) und b) EGV geprüft, ob das Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten Referenzwert überschreitet, es sei denn, dass entweder das Verhältnis erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwerts erreicht hat oder der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird und das Verhältnis in der Nähe des Referenzwerts bleibt, oder ob das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten Referenzwert überschreitet, es sei denn, dass das Verhältnis hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert. Die zwei Beurteilungskriterien stehen in einem Verhältnis der wechselseitigen Abhängigkeit, da jede Neuverschuldung immer auch den Gesamtschuldenstand erhöht und dieser die zulässige Neuverschuldung begrenzt. 148 Die genauen Referenzwerte sind in einem gesonderten Protokoll festgelegt. Im „Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit“ (Protokoll Nr. 20), welches über Art. 311 EGV Bestandteil des Vertrages ist, sind die beiden hierfür relevanten Referenzwerte in Art. 1 relativ willkürlich festgelegt worden. Demnach liegt bei einer jährlichen Neuverschuldung von über 3% des BIP und / oder dem Vorliegen eines Gesamtschuldenstandes der öffentlichen Hand von 60 % des BIP grundsätzlich ein übermäßiges öffentliches Defizit vor. 149 Über die in Art. 2 des Protokolls erfolgenden Begriffsdefinitionen wird deutlich, dass neben dem Bundeshaushalt auch die Haushalte der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder der Sozialversicherungen in die Defizitberechung des mitgliedstaatlichen Haushaltes einzubeziehen sind. 150 Demnach werden für Deutschland auch die Haushalte der Bundesländer bei der Berechnung des öffentlichen Defizits im Rahmen des Art. 104 EGV berücksichtigt. 147
Entschließung des Europäischen Rates v. 17. Juni 1997, ABl. EG 1997, Nr. C 236,
S. 1. 148 H.-G. Henneke, NdsVBl. 1997, S. 56; M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (335). 149 ABl. EG 1992, Nr. C 191, S. 84 f. 150 Die im Protokoll verwendeten Begriffe werden inzwischen nach dem Europäischen System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung umschrieben durch VO 3605/93, ABl. EG 1993, Nr. L 332, S. 7; zuletzt geändert durch VO 2103/2005, ABl. EU Nr. L 337, S. 1.
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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Überschreitet ein Mitgliedstaat zumindest einen der Referenzwerte oder besteht allein die Gefahr einer solchen Überschreitung, dann erstellt die Kommission gem. Art. 104 Abs. 3 EGV einen Bericht über diesen Vorgang. Die Gewichtung der beiden Referenzwerte wurde insbesondere durch die 2005 mit dem Erlass der VO 1056/2005 151 erfolgte Änderung der VO 1467/97 zur Qualität der statistischen Daten im Rahmen des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit deutlich relativiert, indem die für deren Ermittlung zu berücksichtigenden Faktoren ausgeweitet wurden. 152 Nach Einholung der Stellungnahmen des Wirtschafts- und Finanzausschusses gem. Art. 104 Abs. 4 und Art. 114 EGV wird der Bericht dem Rat übermittelt. Auf dessen Grundlage kann nach Anhörung des betroffenen Mitgliedstaates mit qualifizierter Mehrheit das Vorliegen eines übermäßigen Defizits festgestellt werden. Kommt ein solches Votum mit der erforderlichen Mehrheit zustande, ist der Rat gem. Art. 104 Abs. 7 EGV dazu angehalten, dem betroffenen Mitgliedstaat Empfehlungen zur Defizitbeseitigung zu geben, sowie eine Frist zur Beseitigung des Defizits zu setzen. Sollte es dem Mitgliedstaat innerhalb der gesetzten Frist nicht gelingen, das Defizit zu beseitigen, kann der Rat seine Empfehlungen veröffentlichen und anschließend bei Nichtbeseitigung nach Art. 104 Abs. 9 EGV präzise Vorgaben machen. Erst wenn diese nicht eingehalten werden, ist der Rat nach Art. 104 Abs. 11 EGV berechtigt, eine oder mehrere der dort aufgelisteten vier Sanktionsmöglichkeiten 153 gegen den betreffenden Mitgliedstaat zu verhängen. Ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 104 Abs. 10 EGV ist aber explizit ausgeschlossen. Die Vorgaben des Europarechts zur Kreditaufnahme der Mitgliedstaaten werden ferner durch zwei Verordnungen, die sowohl präventive als auch repressive Regeln bezüglich der Verschuldung vorsehen, ergänzt. 154 Die VO 1466/97 über 151
ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 5 ff. Vgl. auch VO 3605/93, ABl. EG 1993, Nr. L 332, S. 7 ff., zuletzt geändert durch VO 2103/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 337, S. 1 ff.; hierzu auch C. D. Classen, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 250; A. Hatje, DÖV 2006, S. 597 (602 ff.); M. Koch, in: C. O. Lenz / K.-D. Borchardt, EUV / EGV, Art. 101 – 104 Rn. 17; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 54; H. W. Weinzen, DÖV 2008, S. 535 (538); Beispiele für die teilweise recht originellen Versuche der Mitgliedstaaten den europäischen Verschuldungsgrenzen zu entgehen finden sich bei F. Ekardt, BWVBl. 1997, S. 281 ff. 153 Der Rat kann gem. Art. 104 Abs. 11 EGV: – von dem betreffenden Mitgliedstaat verlangen, vor der Emission von Schuldverschreibungen und sonstigen Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzliche Angaben zu veröffentlichen, – die Europäische Investitionsbank ersuchen, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Mitgliedstaat zu überprüfen, – von dem Mitgliedstaat verlangen, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen, bis das übermäßige Defizit nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist, – Geldbußen in angemessener Höhe verhängen. 152
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten (geändert durch VO 1055/2005) sieht präventiv ein Frühwarnsystem vor, mit dem Korrekturen und Abweichungen von den Haushaltszielen erfasst werden sollen. Die Verordnung sieht somit die Überwachung der mitgliedstaatlichen Haushaltspolitik und der Koordinierung der Wirtschaftspolitik vor. Zu diesem Zweck schreibt die Verordnung u. a. vor, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Kommission Stabilitätsbzw. Konvergenzprogramme vorlegen muss. Als repressives Regelwerk dient die VO 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit (zuletzt geändert durch VO 1056/2005) zur Abschreckung der Mitgliedstaaten. 155 In ihr wurde die Anwendung des Defizitverfahrens einschließlich der Sanktionsverhängung präzisiert. In Bezugnahme auf die Begriffsbestimmungen wird in der VO festgelegt, wann der Referenzwert (3% des BIP) nur ausnahmsweise oder vorübergehend überschritten wurde. Der Referenzwert gilt als nur ausnahmsweise überschritten, wenn die Überschreitung auf ein außergewöhnliches Ereignis zurückzuführen ist, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt oder wenn es auf einen schwerwiegenden Wirtschaftsabschwung zurückzuführen ist. Der Referenzwert gilt als vorübergehend überschritten, wenn die Haushaltsvorausschätzungen der Kommission ergeben, dass das Defizit unter den Referenzwert sinken wird, wenn das außergewöhnliche Ereignis nicht mehr vorliegt oder der schwerwiegende Wirtschaftsabschwung beendet ist. Schließlich finden sich in dem Regelwerk noch Ausführungen zu möglichen Sanktionen. Mit der Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt verpflichten sich die Mitgliedstaaten, die Kommission und der Rat zusätzlich, ihre Pflichten aus Art. 99 EGV (ex Art. 103 EGV), 104 EGV (ex Art. 104c EGV) und den Verordnungen Nr. 1466/97 (a.F.) und Nr. 1467/97 (a.F.) zu erfüllen. 156 Hierzu wird der Rat ersucht, immer Sanktionen zu verhängen, wenn ein teilnehmender Mitgliedstaat nicht die zur Behebung des übermäßigen Defizits erforderlichen Schritte unternimmt. Ferner wird er aufgefordert, die Hinterlegung einer unverzinslichen Einlage zu verlangen, wenn der Rat beschließt, Sanktionen gegen einen teilnehmenden Mitgliedstaat gem. Art. 104 Abs. 11 EGV zu verhängen, wobei eine 154
VO 1466/97 (präventive Regeln zur Haushaltsüberwachung), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 1 ff. zuletzt geändert durch VO 1055/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 1 ff.; VO 1467/97 (repressive Regeln kommen zur Geltung bei Vorliegen eines übermäßigen Defizits), ABl. EG 1997, Nr. L 209, S. 6 ff. zuletzt geändert durch VO 1056/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 5 ff. 155 Hierzu auch EuGH, Rs. 27/04 (Kommission der EG / Rat der EU), EuZW 2004, 465; JZ 2004, S. 1069 mit Anm. M. Kotzur. 156 Entschließung des Europäischen Rates v. 17. Juni 1997, ABl. EG 1997 Nr. C 236, S. 5.
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Einlage grundsätzlich immer in eine Geldbuße umzuwandeln ist, es sei denn, das übermäßige Defizit ist nach Ansicht des Rates beseitigt worden. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Mitgliedstaaten über die Regelungen des Europarechts an einen in der Zwischenzeit etablierten Schuldenbegrenzungsmechanismus gebunden sind. Dieses System hat sich bisher als bedingt wirksam erwiesen. Obwohl sich selbst bei den beiden Referenzwerten Beurteilungsspielräume erschließen, die Berechnung der Kriterien z.T. durch Änderungen der Berechnungsgrundlage deutlich relativiert wurden und bis zu einer Gesamtverschuldung von 60 % des BIP keine überzeugenden Anreize zum Schuldenabbau bestehen, hat das System eine Eingrenzung der (sehr hohen) Verschuldung der Mitgliedstaaten bis zur Grenze der beiden Referenzwerte bewirkt. Die am Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt geäußerte Kritik wegen der mangelnden Flexibilität der Bestimmungen im Hinblick auf die vorliegenden Ausnahmesituationen ist nicht haltbar. Die vorliegenden Grenzwerte und die damit verbundenen Ausnahmeregelungen sind mitnichten als rigide anzusehen. Dem Problem, dass das Regime des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts u.U. in dem betroffenen Mitgliedstaat eine prozyklische Wirkung in Folge einer vorgeschriebenen Haushaltskonsolidierung hervorrufen könnte, wurde im reformierten Stabilitätspakt mit einer flexibleren Ausgestaltung des Konsolidierungsprozesses abgeholfen. Die bisherigen Bestimmungen haben bisher einzig im Fall von Portugal zu einer prozyklischen Finanzpolitik im Euro-Raum geführt. Die größten Schwächen der europarechtlichen Vorgaben zur Kreditaufnahme sind weniger die ökonomisch willkürlich festgelegten Grenzwerte, sondern vielmehr die unzureichende Implementierung und Durchsetzung der rechtlichen Bestimmungen im Ecofin-Rat aufgrund der vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten. 157 2. Vorgaben des bundesdeutschen Verfassungsrechts zur Kreditaufnahme bis zum Haushaltsjahr 2010 Das staatsschuldenpolitische Regelungskonzept des Grundgesetzes ist in den Art. 109 und 115 GG verankert. a) Vorbehalt gesetzlicher Ermächtigung (Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG) Nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG bedarf die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, einer der Höhe nach „bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz“. 157
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 109.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Der Anwendungsbereich der Regelung des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG umfasst die Kreditaufnahme (1. Alt.) sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen durch den Bund (2. Alt.). Unter der „Aufnahme von Krediten“ versteht man die Begründung von Finanzschulden. 158 Verwaltungsschulden, d. h. Verpflichtungen, die aus der laufenden Verwaltungstätigkeit resultieren, sind grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich des Art. 115 Abs. 1 S. 1 1. Alt. GG umfasst. 159 Der öffentliche Kredit tritt, wie bereits erwähnt, z. B. in Form von Anleihen, Obligationen, Schatzbriefen, Schuldscheindarlehen, Kassenobligationen, unverzinslichen Schatzanweisungen, Schatzwechseln und Buchkrediten auf. 160 Bürgschaften, Garantien und sonstige Gewährleistungen bedürfen als Sicherheitsleistungen für die Verpflichtungen oder Erfolge Dritter ebenfalls einer gesetzlichen Ermächtigung, da sie mit dem Risiko der Belastung künftiger Haushalte behaftet sind. 161 Soweit die Risikoübernahme nur zu Belastungen im laufenden Haushaltsjahr führen kann, genügt die Einstellung der Deckung in den Haushaltsplan. 162 Die Entscheidung über die Aufnahme von Krediten und die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen ist allein dem Bundestag zugewiesen, womit es sich bei der gesetzlichen Ermächtigung in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG um einen echten Parlamentsvorbehalt handelt. 163 Durch das Parlamentsgesetz im formellen Sinn wird verhindert, dass die Exekutive eigenmächtig über die Begründung und Höhe von Krediten entscheiden kann. 164 In der Regel finden sich die Ermächtigungen in den Haushaltsgesetzen. 165 Die Ermächtigung muss ausdrücklich erteilt werden. Nach Erteilung der Ermächtigung durch den Bundestag entscheidet die Bundesregierung über die konkrete Anwendung der Ermächtigung. Grundsätzlich
158 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfes zu Art. 115 GG, BT-Drs. V/3040, Rn. 129; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 485; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 18. 159 H. Karehnke, DÖV 1973, S. 393 (398 Fn. 48); T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 13; K. Stern, Staatsrecht II, S. 1268; a. A. tendiert zu einer differenzierenden Betrachtung der Verwaltungsschulden, vgl. W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 42; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 9; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 19. 160 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 550. 161 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 18; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 12. 162 T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 25. 163 T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 484. 164 Ferner dient es der Publizität und im Rahmen der allgemeinen Haushaltskontrolle dem Schutz künftiger parlamentarischer Haushaltsgesetzgeber. 165 Ermächtigungen zur Kreditaufnahme bzw. zur Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen können aber auch in anderen Gesetzen normiert werden wie z. B. in § 6 Abs. 3 StabG; vgl. M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 11; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 24.
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darf die Ermächtigung bei Rückzahlung erneut genutzt werden, es sei denn der Gesetzgeber verbietet dies ausdrücklich. 166 Das explizit in Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG enthaltene Bestimmtheitserfordernis („bestimmten“) verlangt vom formellen Gesetzgeber grundsätzlich präzise Angaben über den Verschuldungszweck und die Verschuldungshöhe. 167 Die zahlenmäßige Bestimmung der Höhe des aufzunehmenden Kredites bzw. die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen im Gesetz verhindert die Ausstellung einer Blankovollmacht für die Exekutive. Eine Ausnahme („bestimmbare“) gilt nur für Fälle, die aufgrund ihrer Eigenart zahlenmäßig nicht genau festgelegt werden können. Hier muss lediglich der Höchstbetrag der (potentiellen) Verschuldung erkennbar sein. 168 Ferner muss die Ermächtigung aufgrund ihrer Wirkung auf zukünftige Haushaltsperioden den Bruttobetrag des aufzunehmenden Kredites bzw. die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen abdecken. Dies gilt auch, wenn die Kreditmittel zur Ablösung älterer Schulden eingesetzt werden. 169 Eine über Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG erteilte Ermächtigung gilt mit Ausnahme von Art. 110 Abs. 4 S. 2 GG für ein Jahr. b) Materielle Grenzen der Kreditaufnahme Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) enthält für den Bund eine materielle Begrenzung der Kreditaufnahme. Die Regelung gilt nicht für die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen. Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Kreditaufnahme existiert ein besonderer Regelungs- und Sachzusammenhang von Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) zu Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.). 170 Teilweise wird vertreten, Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) sei lex specialis zu Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.). 171 Würde man dieser Auffassung folgen, dürfte der Staat selbst in Phasen der andauernden Hochkonjunktur Kredite in Höhe der veranschlagten Investitionsausgaben aufnehmen. Die h.L. stellt dagegen auf die systematische Bedeutung von Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) für die Haushaltsordnung ab und sieht in ihm richtigerweise eine zusätzli166 T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 18; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 15. 167 A. Hering, Die Kreditfinanzierung des Bundes über Nebenhaushalte, S. 45; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 16. 168 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 24. 169 H. H. v. Arnim / D. Weinberg, Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 106; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 11; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 17. 170 BVerfGE 79, 311 (330 ff.); T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 491; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 28. 171 G. Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 12.
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che Grenze der Kreditaufnahme. 172 Das Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) stellt somit neben der Summe der veranschlagten Ausgaben für Investitionen gem. Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) eine eigenständige Grenze der Kreditaufnahme dar. 173 aa) Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) Nach dem in Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) verankerten normativen Regelfall dürfen die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Die Bindung der Kreditaufnahmemöglichkeit an die veranschlagten Investitionsausgaben soll gewährleisten, dass der Bund nur Schulden im Umfang der Ausgaben mit zukunftsbegünstigendem Charakter aufnimmt. 174 Mit dem Junktim zwischen der Höhe der Krediteinnahmen und der Summe der Investitionsausgaben wird somit vor allem der politische Handlungs- und Gestaltungsspielraum gesichert, indem der Handlungsspielraum künftiger Haushaltsgesetzgeber nur begrenzt eingeschränkt werden kann. 175 Der gegenwärtige Haushaltsgesetzgeber steht bei erhöhtem Ausgabeverhalten verstärkt in der politischen Verantwortung. Darüber hinaus dient die Begrenzung der Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates für die Zukunft. Entscheidend für die konkrete Bemessung der denkbaren Verschuldung ist daher die Definition der einzelnen Voraussetzungen in Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.). α) Einnahmen aus Krediten Begrenzungsobjekt gem. Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) sind die „Einnahmen aus Krediten“. Im Unterschied zu Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG wird hierbei auf die Nettokreditaufnahme des Bundes abgestellt. 176 Soweit durch Einnahmen aus Krediten bestehende Schulden getilgt werden, erhöht sich der Schuldenstand nicht und dem Kreditmarkt werden keine zusätzlichen Mittel entzogen. Daher 172 BT-Drs. V/3040, Rn. 60; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 6; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 28 f. 173 BT-Drs. V/3040, Rn. 60; K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 30 ff.; W. Höfling / Rixen, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 115 Rn. 266; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 29. 174 BVerfGE 79, 311 (334); 119, 96 (138); T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 487. 175 D. Birk, DVBl. 1984, S. 745 (749); M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (325); G. Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, S. 11; kritisch P. Henseler, Verfassungsrechtliche Aspekte zukunftsbelastender Parlamentsentscheidungen, AöR 108 (1983), S. 489 ff. 176 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 12; W. Heun, DV 18 (1985), S. 1 (24 f.); W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 173 ff.
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versteht man unter den Einnahmen aus Krediten ausschließlich die Geldmittel, die der Bund im Wege von Kreditgeschäften erworben hat, abzüglich der zur Schuldenrückführung vorgesehenen Mittel. 177 Ferner sind auch Kassenverstärkungskredite nicht von Art. 115 Abs. 1 S. 2 1.Hs. GG (a.F.) umfasst, da sie nur einer Überbrückung eines kurzfristigen Liquiditätsmangels dienen und somit im Saldo nicht zu einer Erhöhung des Schuldenstandes des Bundes führen. 178 β) Investitionen Der Begriff der „Investitionen“ ist bis zum Haushaltsjahr 2010 von zentraler Bedeutung zur Begrenzung der Kreditaufnahme. Er ist verfassungsrechtlich nicht definiert und wird im Grundgesetz nicht einheitlich verwendet. 179 Was man unter „Ausgaben für Investitionen“ versteht, bestimmt sich unmittelbar aus der Verfassung. Der Investitionsbegriff ist ein Rechtsbegriff mittlerer Bestimmtheit ohne Beurteilungsspielraum. 180 Der Begriff der „Investitionen“ nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) ist auslegungsbedürftig und auslegungsfähig. 181 Hierbei ist er grundsätzlich restriktiv auszulegen. 182 Als Anhaltspunkt für eine Definition kann man sich grundsätzlich an der Regierungsbegründung zur Neufassung des Art. 115 GG orientieren. 183 Demnach sind Investitionen aus volkswirtschaftlicher Perspektive alle öffentlichen Ausgaben für Maßnahmen, die bei makro-ökonomischer Betrachtung die Produktionsmittel der Volkswirtschaft erhalten, vermehren oder verbessern. Die Definition des Begriffs der „Investition“ ist problematisch. Einerseits stellt sie zwar auf die Zukunftswirksamkeit als notwendiges Merkmal 177 BVerfGE 79, 311 (347); K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 41 (1. Auflage); W. Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, S. 429; H. Jarass, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 115 Rn. 4; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 41; a. A. R. Lappin, Kreditäre Finanzierung des Staates unter dem Grundgesetz, S. 141 ff. 178 H. H. v. Arnim / D. Weinberg, Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 109; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 178 ff.; W. Patzig, DÖV 1985, S. 293 (301); K. Stern, Staatsrecht II, S. 1268. 179 BVerfGE 79, 311 (334); W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 21; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 35. 180 P. Henseler, Verfassungsrechtliche Aspekte zukunftsbelastender Parlamentsentscheidungen, AöR 108 (1983), S. 489 (515); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 38; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 42; a. A. D. Birk, DVBl. 1984, S. 745 (747 f.); T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 39. 181 C. Waldhoff, JZ 2008, S. 192 (202). 182 L. Osterloh, NJW 1990, S. 145 (147); K.-A. Schwarz, DÖV 1998, S. 721 (722); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 38; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 42; a. A. W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 21. 183 Vgl. BT-Drs. V/3040, Rn. 134; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 14; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 36.
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von Investitionen ab; andererseits beinhaltet sie eine sehr weite Ausdehnung zulässiger Kreditaufnahmen, die wichtige Aspekte der Generationengerechtigkeit außer Acht lässt. Das BVerfG stellt hierzu fest, „dass jede Generation die Ausgaben für laufende Investitionen selbst zu tragen habe, weil ihr ein breiter Fundus nutzbarer Güter („Kapitalstock“) von den vorhergehenden Generationen überkommen sei, den sie – ohne eigene Zins- und Tilgungsleistungen – für ihre Bedürfnisse verwende“. 184
Trotz bestehender Eingrenzungsschwierigkeiten liegt die Konkretisierung des Begriffs der Investitionen sowie der übrigen verfassungsrechtlichen Tatbestandsmerkmale nach dem Regelungsauftrag Art. 115 Abs. 1 S. 3 GG in erster Linie im Verantwortungsbereich des einfachen Gesetzgebers und nicht in dem des BVerfG. Seit der Einführung eines gemeinsamen Gruppierungsplans im Jahr 1969 verstand man in der gängigen Staatspraxis von Bund und Ländern unter Ausgaben für Investitionen die den Hauptgruppen 7 und 8 des Gruppierungsplans zugeordneten Ausgaben. Das BVerfG hielt diesen Rückgriff auf den Gruppierungsplan als reine Verwaltungsvorschrift für verfassungswidrig und forderte den Gesetzgeber zur Vermeidung einer übermäßigen Staatsverschuldung auf, den Investitionsbegriff gesetzlich zu präzisieren. 185 Der Bundesgesetzgeber hat in Reaktion auf das Urteil den Investitionsbegriff des Gruppierungsplans in § 10 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 HGrG und § 13 Abs. 3 Nr. 2 S. 2 BHO für die Haushalte von Bund und Ländern festgeschrieben. 186 Als Investitionen gelten demnach Baumaßnahmen, der Erwerb von beweglichen Sachen, soweit sie nicht als sächliche Verwaltungsausgaben veranschlagt werden, der Erwerb von unbeweglichen Sachen, der Erwerb von Beteiligungen, Darlehensgewährungen, die Inanspruchnahme von Gewährleistungen sowie Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung von Aufgaben für die aufgezählten Investitionszwecke. Ausgaben für Ausbildungsaufgaben („Humankapital“) und für den militärischen Bereich fallen bisher nicht unter den Investitionsbegriff. 187 Ferner sind Auslandsinvestitionen nicht vom verfassungsrechtlichen Investitionsbegriff umfasst, da bei im Ausland getätigten Investitionen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht klar erkennbar ist, welche Vorteile sie in Zukunft einbringen. 188 Der Bund und die meisten Ländern berechnen bei der zu ermittelnden Summe der Investitionsaus184
BVerfGE 79, 311 (354). BVerfGE 79, 311 (352, 354). 186 Vgl. hierzu auch Anmerkungen in BVerfGE 119, 96 (143). 187 BVerfGE 79, 311 (337); M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 14; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 38. 188 H. H. v. Arnim / D. Weinberg, Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 112; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 14; A. Hering, Die Kreditfinanzierung des Bundes über Nebenhaushalte, S. 103 f.; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 45. 185
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gaben nur eigenfinanzierte Investitionen, um der kreditbegrenzenden Funktion des Investitionsbegriffs zu entsprechen. Demzufolge sind bei der Ermittlung der Kreditobergrenze Zuweisungen und Zuschüsse von Dritten von der Summe der veranschlagten Ausgaben für Investitionen abzuziehen. γ) Veranschlagte Ausgaben Ungeklärt ist bisher die Frage, ob Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) nur für die Aufstellung des Haushaltsplans oder auch für den Haushaltsvollzug gilt. Würde er auch im Haushaltsvollzug gelten, müssten hinter dem Haushalts-Soll zurückbleibende Investitionsausgaben zu einer entsprechenden Kürzung des Kreditrahmens führen. Dem eindeutigen Wortlaut des Art. 115 Abs. S. 2 1. Hs. GG (a.F.) folgend, welcher die Möglichkeit der Kreditaufnahme auf die Summe der im „Haushaltsplan“ veranschlagten Ausgaben für Investitionen begrenzt, ist eine Ausdehnung der Regelung auf den Haushaltsvollzug abzulehnen. 189 Da im Rahmen des Prinzips der Gesamtdeckung kein Zusammenhang zwischen einzelnen Ausgaben für Investitionen und den Krediteinnahmen im Haushalt hergestellt wird, ist ausschließlich auf die Gesamtgrößen der veranschlagten Krediteinnahmen und Ausgaben im Haushaltsplan abzustellen. Der Gefahr, dass es im Haushaltsplan bei einer Nichtanwendung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) auf den Haushaltsvollzug zu „künstlichen“ Erhöhungen der Kreditgrenze durch die Veranschlagungen von „Schein“-Investitionen kommen könnte, kann über den Grundsatz der Haushaltswahrheit begegnet werden. 190 bb) Art. 109 Abs. 2 GG Auf die Möglichkeit der Kreditaufnahme in Höhe der veranschlagten Summe der Investitionsausgaben darf der Bund ferner nur zurückgreifen, soweit er gem. Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung trägt. 191 Aufgrund der durch den komplexen Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ bestehenden normativen Unschär189 Vgl. W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 23; R. Kriszeleit / J. Meuthen, DÖV 1995, S. 461 (464 ff.); T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 43; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 42; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 46 ff.; a. A. K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 43.; H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 582 ff; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 340 ff. 190 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 13; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 48. 191 Die aus Art. 109 Abs. 2 GG abgeleiteten Grenzen der Kreditaufnahme gelten im gleichen Maße für die Länder.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
fe ist auch der rechtliche Beitrag des Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) zur Bestimmung der materiellen Grenzen der Kreditaufnahme nur schwer zu ergründen. 192 Zur Verhinderung eines stetig anwachsenden Schuldensockels lässt sich aus Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) zumindest ein Verbot der prozyklischen Verschuldung extrahieren. 193 Der Bund muss bei der Aufstellung des Haushalts neben den veranschlagten Einnahmen und Ausgaben auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in seine Planungen einbeziehen. Folgt das Einnahme- und Ausgabeverhalten des Bundes zyklisch dem Konjunkturverlauf (prozyklisches Verhalten), würden auftretende konjunkturzyklische Schwankungen durch das staatliche Parallelverhalten verstärkt werden. Im Sinne der in Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) zum Ausdruck kommenden antizyklischen Finanzpolitik, ist die staatliche Kreditaufnahme in Zeiten der Hochkonjunktur daher von der Tendenz her einzuschränken (oder aufzugeben) bzw. in Phasen des konjunkturellen Abschwungs auszuweiten. 194 Ein entgegengesetztes prozyklisches Verhalten wäre stabilitätswidrig und würde nicht den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts genügen. Des Weiteren beinhaltet Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) das Gebot der „Aufrechterhaltung der intertemporalen Stabilisierungsfähigkeit“ der öffentlichen Haushalte. 195 Eine absolute Verschuldungsbegrenzung lässt sich zwar aus Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) nicht entnehmen, dennoch ist es die Aufgabe des Staates, vorausschauend die Aufrechterhaltung des finanziellen Handlungsspielraumes durch eine Begrenzung der Kreditaufnahme bzw. des Abbaus bestehender Verschuldung zu gewährleisten. Dies ist vor allem der Fall, wenn allein die Zinslasten ein konjunkturpolitisches Handeln entsprechend Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) unmöglich machen. 196 In diesem Zusammenhang ist der Staat verpflichtet, von ihm bereits beschlossene Konjunkturprogramme, die zu einer nur noch schwer abbaubaren Verschuldung führen, zu korrigieren. 197 Vereinzelt wird darüber hinaus eine Pflicht zum Abbau der Verschuldung des Staates über Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) 192
So auch T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 491. BVerfGE 79, 311 (355 f.); H. Pünder, in: HdbStR V, § 123 Rn. 46.; A. Hering, Die Kreditfinanzierung des Bundes über Nebenhaushalte, S. 66 ff.; W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 246 f.; K. Knop, Verschuldung im Mehrebenensystem, S. 53; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 30 f.; L. Wucherpfennig, Staatsverschuldung in Deutschland – Ökonomische und verfassungsrechtliche Problematik, S. 169. 194 H. H. v. Arnim / D. Weinberg, Staatsverschuldung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 89 f.; W. Ehrlicher, Der Staat 24 (1985), S. 31 (41). 195 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 271 ff.; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 492. 196 Die Betrachtung der Zins-Steuer-Quote erlaubt hierbei einen Rückschluss über die Bindung öffentlicher Haushaltsmittel durch Zinsen; vgl. auch B. Janson, ZRP 1983, 139 (143); R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 34. 197 K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 37; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 32. 193
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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hergeleitet. 198 Eine solche weitreichende Verpflichtung kann der Norm aber nicht entnommen werden. 199 c) Ausnahmen von den materiellen Kreditaufnahmegrenzen Eine Überschreitung der materiellen Kreditaufnahmegrenze ist gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 2. Hs. GG (a.F.) nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Störungslage) zulässig. Ferner hat der Bund die Möglichkeit, über den Ausnahmevorbehalt des Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) Sondervermögen zu bilden, die vom Junktim zwischen der Kredit- und Investitionssumme befreit sein können. aa) Ausnahme des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) Damit auch in einer Störungslage, besonders bei einem Konjunkturabfall, dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht in Übereinstimmung sowohl mit dem Gebot des (formellen) Haushaltsausgleichs gem. Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG als auch mit Art. 109 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden kann, sieht Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) eine Ausnahme von der materiellen Kreditaufnahmegrenze des 1. Hs. der Norm vor. Sie liegt nicht erst bei einem extremen Notstandsfall vor. Bei der Überschreitung der Kreditaufnahme über die im Haushalt veranschlagte Summe der Investitionen nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, was sich insbesondere aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm ergibt. 200 Nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) ist die eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts einerseits tatbestandliche Voraussetzung für die Überschreitung der Grenze der materiell zulässigen Kreditaufnahme, andererseits ist diese Überschreitung nur zulässig zum Zweck der Abwehr dieser Störung. 201 Seit dem Jahr 1997 berief sich der Bundeshaushaltsgesetzgeber fünfmal auf die Ausnahmeregelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.). 202 Der Regelungsinhalt der Norm ist somit eine weitere Ursache für die stetig ansteigende Staatsverschuldung.
198
N. Gumboldt, NVwZ 2005, S. 36 (38 f.). D. Birk, DVBl. 1984, S. 745 (746); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 51. 200 BVerfGE 79, 311 (344); H. Pünder, in: HdbStR V, § 123 Rn. 60; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 493. 201 BVerfGE 119, 96 (138 f.). 202 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (449). 199
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
α) Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Die Ausnahmeregelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) greift nur unter der Voraussetzung, dass eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt. Die Störung muss unmittelbar bevorstehen oder bereits eingetreten sein. Der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ist hierbei grundsätzlich weit auszulegen. Er ist ein unbestimmter Verfassungsbegriff, „der einen in die Zeit hinein offenen Vorbehalt für die Aufnahme neuer, gesicherter Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaften als zuständiger Fachdisziplin enthält“. 203
Eine nähere Konkretisierung, die über die in der Verfassung verankerten Teilziele des § 1 S. 2 StabG (Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum) hinausgeht, erfährt der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ aus Gründen der Entwicklungsoffenheit nicht. Der Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ ist dynamisch zu verstehen, d. h. es müssen nicht alle Teilziele zugleich erreicht werden. Nach Auffassung des BVerfG genügt für die Realisierung der Teilziele eine „relativ-optimale Gleichgewichtslage“, da sich die unterschiedlichen Teilziele z.T. widersprechen. Eine durch die verschiedenen Teilziele latent vorhandene Labilität des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann daher noch keine Annahme einer Störungslage rechtfertigen. 204 Die Ausnahme des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) greift erst, „wenn das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört ist oder eine solche Störung unmittelbar droht“ 205. Maßgeblich für die konkrete Beurteilung sind insoweit die in den Einzelzielen erkennbaren Entwicklungstendenzen. 206 β) Geeignete Störungsabwehr Weiterhin muss die erhöhte Kreditaufnahme nach Umfang und Verwendung geeignet sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. 207 Für diese Bewertung ist nicht auf die zusätzlich finanzierten Einzelposten abzustellen. Betrachtet wird ausschließlich die Gesamtsumme der erhöhten Kreditaufnahme. 208 Ferner müssen die Ursachen der Störung als Kriterium mit in die 203
BVerfGE 79, 311 (338). M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 (270). 205 BVerfGE 79, 311 (339); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 43. 206 BVerfGE 79, 311 (339); NdsStGH, NVwZ 1998, S. 1288 (1290). 207 BVerfGE 79, 311 (339); H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 591; J. Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: R. Wendt / W. Höfling / U. Karpen / M. Oldiges, FS für Friauf, S. 705 (715). 208 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 45. 204
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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Entscheidung einbezogen werden. 209 Sind sie etwa durchgängig oder überwiegend in der fehlenden Anpassung der Wirtschaftsstruktur an neue Gegebenheiten oder in einer schon bestehenden hohen Staatsverschuldung begründet, so werden sie kaum durch eine bloße Nachfrageausweitung bzw. Verhinderung eines Nachfrageabfalls beseitigt werden können. Folgt man dem Wortlaut des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) („Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung...“) muss die zusätzliche Aufnahme von Krediten auch final auf die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bezogen sein. 210 Die erhöhte Kreditaufnahme muss daher explizit auf die Verhinderung der Störung bzw. der Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zielen. γ) Einschätzungs- und Beuteilungsspielraum des Haushaltsgesetzgebers und Darlegungslasten Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht dem Gesetzgeber bei der Beurteilung, ob eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt oder unmittelbar droht und bei der Einschätzung, ob eine erhöhte Kreditaufnahme zu ihrer Abwehr geeignet ist, ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. 211 Dieser rechtfertige sich nach Auffassung des Gerichts aus der Unbestimmtheit der Begriffe „Störung“ und „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ sowie der Bewertung der „Geeignetheit“ einer nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) erhöhten Kreditaufnahme. Die vom Haushaltsgesetzgeber getroffenen Einschätzungen und Beurteilungen müssen willkürfrei auf Grundlage der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse gefunden werden. 212 Damit das BVerfG im Streitfall besser überprüfen kann, ob die Beurteilung und Einschätzung des Gesetzgebers nachvollziehbar und vertretbar ist, hat der Haushaltsgesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren darüber hinaus als Ausgleich für die Unbestimmtheit der materiellen Vorgaben bestimmte formelle Darlegungslasten einzuhalten. 213 Das Gericht leitet die Darlegungslasten aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten Publizitätspflicht für den Haushalt ab. 214 Nimmt der Haushaltsgesetzgeber die Befugnis des Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG (a.F.) in Anspruch, so muss er im 209
BVerfGE 79, 311 (339). K. H. Friauf, in: HdbStR IV, § 91 Rn. 55 (1. Auflage); T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 493. 211 BVerfGE 79, 311 (344); H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 591; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 50; K.-A. Schwarz, DÖV 1998, S. 721 (724); R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 51. 212 BVerfGE 79, 311 (343 f.). 213 BVerfGE 79, 311 (344 f.); J. Isensee, Schuldenbarriere für Legislative und Exekutive, in: R. Wendt / W. Höfling / U. Karpen / M. Oldiges, FS für Friauf, S. 705 (716 f.); A. Janssen, DVBl. 1989, S. 618 ff.; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 493; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 52. 210
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Gesetzgebungsverfahren für die Erfüllung der Voraussetzungen dieser Vorschrift darlegen, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört ist und dass die Krediteinnahmen dazu dienen sollen diese Störung abzuwehren sowie eine Prognose abgeben, wie über die erhöhte Kreditaufnahme die Störungsabwehr verwirklicht werden kann. 215 bb) Ausnahme über den Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) Nach Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) können für Sondervermögen des Bundes durch Bundesgesetz Ausnahmen von den Voraussetzungen des Abs. 1 normiert werden. Nach überwiegender Auffassung erstreckt sich die Möglichkeit der Ausnahmeregelung nicht nur auf den Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG, sondern auch auf die materielle Grenze der Kreditaufnahme nach Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.). 216 Die Anforderungen des Art. 109 Abs. 2 GG (a.F.) sind hingegen nicht disponibel und gelten somit immer für Sondervermögen. 217 Da über Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) als Ausnahmeregelung die materielle Bindung der Staatsverschuldung umgangen werden kann, ist die Norm restriktiv auszulegen. 218 Inhaltlich handelt es sich bei einem Sondervermögen um eine Vermögensmasse und nicht um eine Schuldenmasse. Die Verselbstständigung von Haushaltsmitteln in Form eines Sondervermögens erfordert eine sachliche Begründung, aus der eine bessere Aufgabenerfüllung ersichtlich wird. 219 Die bloße Zusammenfassung von bestehenden Schulden in einem gesonderten Fonds ist somit kein Sondervermögen im Sinne von Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.). Für eine Begrenzung des Anwendungsbereichs der Norm lediglich auf die bei Erlass des Art. 115 Abs. 2 GG bekannten Einrichtungen (Bahn, Post, Lastenausgleichsfonds und EPR-Sondervermögen) und deren Nachfolger finden sich keine Hinweise. 220 214 BVerfGE 79, 311 (344), kritisch hinsichtlich der dogmatischen Herleitung W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 298 f. 215 BVerfGE 79, 311 (345). 216 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 455; A. Hering, Die Kreditfinanzierung des Bundes über Nebenhaushalte, S. 117, 241 ff.; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 32; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 520; a. A. M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 20. 217 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 286; R. Lappin, Kreditäre Finanzierung des Staates unter dem Grundgesetz, S. 185; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 115 Rn. 52; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 59. 218 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 57; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 68. 219 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 115 Rn. 21; H. Jarass, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 115 Rn. 3; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 69; a. A. W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 115 Rn. 33 f. 220 So aber H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 58.
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II. Länder Für die Bundesländer ergeben sich die Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme grundsätzlich aus ihren Landesverfassungen. Da die europarechtlichen Kreditbegrenzungsregeln nur die Mitgliedstaaten binden, stellt sich die Frage, ob die mit der Föderalismusreform I eingeführte innerstaatliche Lastentragungsregel des Art. 109 Abs. 5 GG zu einer innerstaatlichen Begrenzung der Kreditaufnahme der Länder führt. Nach dem Rahmen der Föderalismusreform II in das Grundgesetz eingefügten Art. 143d Abs. 1 ist Art. 109 GG in der vor der Reform geltenden Fassung auch in Bezug auf die Bundesländer letztmals auf das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Art. 109 GG in der seit der Verabschiedung der Reform geltenden Fassung ist entsprechend erstmals für das Haushaltsjahr 2011 anzuwenden; am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen bleiben hiervon unberührt. Die Länder dürfen im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des neuen Art. 109 Abs. 3 GG abweichen. Die Haushalte der Länder sind so aufzustellen, dass im Haushaltsjahr 2020 die Vorgabe aus Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG erfüllt wird. 1. Vorgaben des Grundgesetzes für die Kreditaufnahme der Länder Grundgesetzliche Vorgaben für die Kreditaufnahme der Länder ergeben sich insbesondere aus Art. 109 GG. Nach Art. 109 Abs. 1 GG sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig und voneinander unabhängig. 221 Zur Haushaltswirtschaft gehören alle auf die staatlichen Einnahmen und Ausgaben bezogenen Vorgänge. 222 Aufgrund bestehender Abhängigkeiten der Länder vom Bund, sowohl auf der Einnahme- wie auch auf der Ausgabenseite, liegt eine strikte Haushaltsautonomie der Länder im Ergebnis nicht vor. Dies spiegelt sich auch in der stark begrenzten Steuerautonomie und der eingeschränkten Ausgabenautonomie der Länder wider. In Art. 109 Abs. 2 GG wird seit der Reform hervorgehoben, dass Bund und Länder gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Art. 104 EGV zur 221
Vgl. Dritter Teil Kap. A.III.2.a)aa). H. B. Brockmeyer, in: B. Schmidt-Bleibtreu / H. Hofmann / A. Hopfauf, GGK, Art. 109 Rn. 7; M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 109 Rn. 5; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 109 Rn. 3; noch weiter einschränkend H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 4. 222
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Einhaltung der Haushaltsdisziplin erfüllen und sie in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung tragen. Bezogen auf die Höhe der Verschuldung der Länder kommt dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht somit gem. Art. 109 Abs. 2 GG nur in den bereits festgestellten Grenzen Bedeutung zu. Der Wortlaut des Art. 109 Abs. 2 GG ist hierbei ungenau. Die gewählte Formulierung „in diesem Rahmen“ deutet daraufhin, dass eine antizyklische Finanzpolitik nur unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 104 EGV möglich ist. Die Anforderung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bleibt somit bedeutungslos, da es Abs. 2 insbesondere an einer Abstimmung mit den nationalen Verschuldungsregeln in Art. 109 Abs. 3 GG fehlt. Weitere Vorgaben für die Länder über den Umgang mit ihren Einnahmen und Ausgaben hat der Bund auf Grundlage der Ermächtigung in Art. 109 Abs. 4 GG u. a. im HGrG und StabG erlassen. 223 Durch die Ermächtigungsgrundlage gem. Art. 109 Abs. 4 GG kann der Bundesgesetzgeber durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufstellen. Das Haushaltsrecht im Sinne des Art. 109 Abs. 4 GG umfasst alle Normen, die sich auf die Haushaltswirtschaft einer Wirtschaftseinheit des öffentlichen Rechts beziehen. 224 Es handelt sich somit in erster Linie um Verfahrensrecht, wobei materiellrechtliche Regelungen in Grenzbereichen nicht ausgeschlossen sind. Inhaltliche Budgetentscheidungen fallen aber definitiv nicht unter die Ermächtigungsgrundlage. 225 Grundsätze der konjunkturgerechten Haushaltswirtschaft behandeln vor allem den Haushaltsvollzug, indem sie für eine abgestimmte Steuerung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern sowie einer konjunkturgerechten Steuerung der öffentlichen Ausgaben sorgen. Die Koordination einer mehrjährigen Finanzplanung bezweckt die grundsätzlich einjährig erfolgende Haushaltsplanung in eine mittelfristige Konjunkturpolitik einzubinden. Aus diesem Grund kann der Bundesgesetzgeber eine Pflicht zu einer mehrjährigen Finanzplanung für den Bund und die Länder festlegen. Bei Art. 109 Abs. 4 GG ist zu beachten, dass die Ermächtigung des Bundesgesetzgebers auf die Normierung von Grundsätzen inhaltlich beschränkt ist, d. h. er darf für die Bundesländer in den dort genannten drei Bereichen nur allgemeine Leitlinien normieren. 226 Art. 109 Abs. 5 GG (a.F.) ermöglichte es dem Bundesgesetzgeber, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch Bundes223
Vgl. Dritter Teil Kap. A.III.3.a) u. b). Ähnlich W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 109 Rn. 34; C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 89. 225 H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 29. 226 P. Glauben, ZG 1997, S. 233 (236); C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 89. 224
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gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedurfte, Vorschriften über die Höchstbeträge 227, Bedingungen und Zeitfolge der Aufnahme von Krediten durch Gebietskörperschaften und Zweckverbände und eine Verpflichtung von Bund und Ländern, unverzinsliche Guthaben bei der Deutschen Bundesbank zu unterhalten (sog. „Konjunkturausgleichsrücklagen“) 228, zu erlassen. Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen konnten nur der Bundesregierung erteilt werden, wobei diese der Zustimmung des Bundesrates bedurfte. Ferner wurden diese Ermächtigungen aufgehoben, wenn der Bundestag es verlangt. Wichtig ist hierbei, dass Art. 109 Abs. 4 GG lediglich zur Entgegnung konjunktureller Ausnahmesituationen diente, d. h. die Kreditaufnahme insbesondere der Länder durfte nur für einen engen Zeitraum begrenzt werden. 229 Diese Regelung wurde jedoch im Rahmen der Föderalismusreform II aufgehoben. 2. Vorgaben des Landesverfassungsrechts zur Kreditaufnahme Die Vorgaben zu den Grenzen und Ausnahmen der Kreditaufnahme unterscheiden sich in den verschiedenen Landesverfassungen z.T. erheblich. a) Kreditaufnahmegrenzen In den Verfassungen der Länder finden sich verschiedene Typen von Kreditaufnahmeregelungen. Eine Subsidiarität der Einnahmemöglichkeit durch Kreditaufnahme gegenüber anderen Mitteln zur Haushaltsdeckung wie sie Art. 87 Abs. 2 S. 1 BerlVerf vorsieht, ist in den anderen Verfassungen in der Deutlichkeit nicht vorgesehen. Der Stellenwert einer solchen Subsidiaritätsregelung ist aber eher gering, da sie nicht mit Art. 109 Abs. 2 GG vereinbar ist. Sinn und Zweck des Art. 109 Abs. 2 GG ist es gerade, Bund und Ländern durch die Möglichkeit der Kreditaufnahme ein Handlungsinstrument zur Beeinflussung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu geben. 230 Darüber hinaus ist eine Subsidiaritätsklausel aufgrund der weitreichenden Kompetenzen (weiter Beurteilungsspielraum) des Haushaltsgesetzgebers kaum justiziabel, weshalb der Gesetzgeber auch zu keinem Nachweis für andere Lösungen bei der Veranschlagung erhöhter Kreditaufnahmen verpflichtet ist. 231 Die meisten Länder orientieren sich bisher daher an der für den Bund geltenden Regelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG. In 227
Vgl. §§ 19 f. StabG. Vgl. § 15 i.V. m. § 7 StabG. 229 C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 94; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 50. 230 M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (324). 231 BVerfGE 79, 311 (341 ff.). 228
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
den Landesverfassungen der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen ist die Kreditaufnahme mit z.T. leichten Modifikationen 232 entsprechend der bisherigen Bundesregelung durch die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen begrenzt. 233 In den Ländern Bayern, Hamburg und Hessen ist die Kreditaufnahme hingegen wie in Art. 87 WRV bzw. Art. 115 GG (a.F.) nur bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken zulässig. 234 Die infolge der Reform im Grundgesetz eingeführten Neuregelungen wurden nicht übernommen. Soweit die nach Art. 109 Abs. 2 GG den Landeshaushalten zugedachte konjunkturpolitische Funktion nicht eingeschränkt wird, sind solche Abweichungen aufgrund der Verfassungsautonomie der Länder zulässig. 235 Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen stellen auf die eigenfinanzierten Investitionen als Kreditobergrenze ab. Nach Art. 65 MVVerf dürfen die Einnahmen aus Krediten die Summen der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für eigenfinanzierte Investitionen nicht überschreiten. Laut Art. 71 NdsVerf dürfen Kredite „die für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben nicht überschreiten“. Zusätzlich gilt für alle Länder die Kreditaufnahmegrenze des Art. 109 Abs. 2 GG. 236 b) Ausnahmen von den materiellen Kreditaufnahmegrenzen In den Landesverfassungen finden sich unterschiedliche Ausnahmen von der materiellen Kreditaufnahmegrenze. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine erhöhte Kreditaufnahme zur Bewältigung einer „extremen Haushaltsnotlage“ als ungeschriebene, überverfassungsrechtliche Ausnahme statthaft ist.
232
Abweichungen in der Formulierung bestehen lediglich in Art. 83 NWVerf. Vgl. Art. 103 BbgVerf; Art. 87 BerlVerf; Art. 131a BremVerf; Art. 84 BWVerf; Art. 83 NWVerf; Art. 117 RPVerf; Art. 95 SachVerf; Art. 99 SAnVerf; Art. 53 SHVerf; Art. 108 SLVerf und Art. 98 THVerf. 234 Vgl. Art. 82 BayVerf (kein Verweis auf werbende Zwecke); Art. 72 HbgVerf und Art. 141 HessVerf.; eine eingängige Analyse der Landesregelungen findet sich bei K. Knop, Verschuldung im Mehrebenensystem, S. 146 ff. 235 M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (334). 236 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 604. 233
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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aa) Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und landesverfassungsrechtliche Abweichungen Eine Ausnahme zur Grenze der Kreditaufnahme findet sich in allen Bundesländern zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Diese sind überwiegend in den Landesverfassungen wie in Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Saarland, Sachsen und Thüringen verankert. In einigen Ausnahmefällen sind sie lediglich in den Landeshaushaltsordnungen festgeschrieben. 237 Materiell-rechtlich ist fraglich, ob sich die Bezugsgröße des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf das ganze Bundesgebiet bezieht, oder ob auch ein (unmittelbar bevorstehendes oder eingetretenes) regionales Ungleichgewicht eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts darstellt und somit zu dessen Abwehr Ausnahmen von den materiellen Kreditaufnahmegrenzen zulässt. Nach Auffassung des BerlVerfGH genügt eine Störungslage auf Landesebene für eine erhöhte Kreditaufnahme. 238 In Bezugnahme auf die das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht umschreibenden Kriterien des § 1 S. 2 StabG soll sich eine Störungslage auf Landesebene aus dem Beschäftigungsstand, dem Wirtschaftswachstum und der Stabilität des Preisniveaus ergeben. 239 Das außenwirtschaftliche Gleichgewicht könne bei der Bewertung auf Landesebene keine Bedeutung erlangen. Die Ansicht des BerlVerfGH stützt sich zum einen auf die Eigenstaatlichkeit der Länder, welche in ihren Verfassungen auch dem Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts grundsätzlich eine eigenständige Bedeutung zukommen lassen können und zum anderen auf die explizit in Art. 109 Abs. 1 GG garantierte Haushaltsautonomie der Länder. Diese Auffassung ist jedoch abzulehnen, da sie die Grenzen der Haushaltsautonomie der Länder verkennt. 240 Hintergrund der Einführung der landesverfassungsrechtlichen Ausnahmebestimmungen ist die Länderbindung an Art. 109 Abs. 2 GG, welche Bund und Länder gemeinsam verpflichtet, bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auf Bundebene Rechnung zu tragen. Durch die Landesregelungen soll ein Widerspruch zur primären Orientierung am gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht auf Bundesebene und zu möglichen Maßnahmen der Bundesregierung nach Art. 109 Abs. 4 GG vermieden werden. 241 Auch wenn man befürworten würde, dass das gesamtwirt237 Vgl. Art. 18 Abs. 2 BayLHO; § 18 HbgLHO; § 18 HessLHO; § 18 NWLHO und § 18 SAnLHO. 238 BerlVerfGH, NVwZ 2004, 210 ff. 239 BerlVerfGH, NVwZ 2004, S. 210 (215). 240 W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 411 Fn. 42; C. Jahndorf, Grundlagen der Staatsfinanzierung, S. 187; M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 (271); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 44. 241 M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (330).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
schaftliche Gleichgewicht eines Bundeslandes gestört sein kann und dies das Land zu einer erhöhten Kreditaufnahme berechtige, müsste die Berechtigung ihre Grenze bei der Gefahr eines Nachteils für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht des Bundes finden. 242 Weiterhin tragen die Länder, wie Art. 109 Abs. 5 GG zeigt, auch mittelbar Verantwortung für die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu Vermeidung einer Überschreitung des vorgegebenen öffentlichen Defizits. Die Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern lassen neben der Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zusätzlich eine Ausnahme für die Überwindung einer schwerwiegenden Störung (bzw. unmittelbaren Bedrohung) der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes zu. Die Länder nahmen diesen Zusatz in ihre Verfassungen auf, weil das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nur auf Ebene des Bundes festgelegt ist. 243 Durch die Regelung wird klargestellt, dass eine Kreditaufnahme auch zur Abwehr regionaler Wirtschaftsstörungen zulässig ist. Das Saarland beschreitet einen Sonderweg, indem es zwei Varianten der materiellen Kreditaufnahmegrenzen zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis kombiniert. Grundsätzlich dürfen die Einnahmen aus Krediten nach Art. 108 SLVerf die Summe der im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen, wie bereits aufgeführt wurde, nicht überschreiten. Insoweit deckt sich die saarländische Regelung mit der Kreditaufnahmegrenze des Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG. Eine Ausnahme ist jedoch zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder in Anlehnung an die Kreditaufnahmeregelung des Art. 87 WRV bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs zulässig. bb) Keine Zulässigkeit der erhöhten Kreditaufnahme zur Bewältigung einer „extremen Haushaltsnotlage“ Im Zuge der schlechten Haushaltssituation vieler Bundesländern lässt sich in den letzten Jahren vermehrt feststellen, dass die landesverfassungsrechtlichen Kreditbegrenzungsregeln durch Berufung des Haushaltsgesetzgebers auf ungeschriebene überverfassungsrechtliche Ausnahmen überschritten werden. 244 Sie kommen grundsätzlich immer dann in Betracht, wenn ein Land sich in einer haushaltsrechtlichen Notlage befindet und es das Kreditbegrenzungsgebot 242
M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 (271); K.-A. Schwarz, DÖV 1998, S. 721 (724). H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 607; daher kann hier ein regionales Ungleichgewicht zu einer erhöhten Kreditaufnahme führen, welche wiederum ihre Grenzen in Art. 109 Abs. 2 GG findet, vgl. hierzu auch MVVerfG, LKV 2006, S. 23 (24). 244 Hierzu schon vorher B.-I. Hoff, Föderalismusreform in der Haushaltsnotlage, S. 166 ff.; W. Höfling, DVBl. 2006, S. 934 ff.; K. Knop, Verschuldung im Mehrebenensystem, S. 139 ff.; M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 ff.; C. Waldhoff ; NVwZ 2004, S. 1062 ff. 243
B. Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme bis 2010
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nicht einhalten kann bzw. keine der verfassungsrechtlich verankerten Ausnahmen greift. Eine solche Überschreitung wurde selbst bei einem finanzstarken Land wie Hessen durch den Staatsgerichtshof des Landes anerkannt. 245 Diesem Problemkreis ist auch die vom BerlVerfGH vorgesehene Möglichkeit der erhöhten Kreditaufnahme zur Aufrechterhaltung der konjunkturellen Steuerungsfähigkeit bei Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ zuzuordnen. 246 In Anknüpfung an das dritte Urteil des BVerfG zum Länderfinanzausgleich 247 stellt das BerlVerfGH fest, dass bei Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ das Bundesstaatsprinzip den Bund und die übrigen Länder verpflichte, das Not leidende Land durch geeignete Maßnahmen bei der Rückerlangung seiner haushaltswirtschaftlichen Steuerungsfähigkeit zu unterstützen. 248 Da die Einnahme und Ausgabe der Landeshaushaltsmittel nach Auffassung des Gerichts überwiegend durch bundesrechtliche Vorgaben bestimmt seien sowie ein Gegensatz zwischen der Verpflichtung zur Wahrnehmung der durch die Verfassung vorgeschrieben Aufgaben (d. h. auch deren Finanzierung) und dem Anspruch der Länder auf eine aufgabenadäquate Finanzausstattung bestehe, kommt es zu dem Schluss, dass eine „Modifizierung des landesverfassungsrechtlichen Kreditbegrenzungsgebots“ bis zur Wiederherstellung des Landes zu einer ordnungsgemäßen Haushaltswirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei. Der Landeshaushaltsgesetzgeber sei demnach zu einer erhöhten Kreditaufnahme zur Bewältigung einer „extremen Haushaltsnotlage“ berechtigt, wenn er im Gesetzgebungsverfahren darlegen könne, dass eine solche Notlagesituation vorliege. Anhand eines nachvollziehbaren Sanierungskonzeptes müsse dabei offen gelegt werden, ob alle möglichen Einnahmequellen und Ausgabenbeschränkungen des Landes ausgeschöpft wurden. Ferner habe er darzulegen, „dass und aus welchen Gründen eine geringere Kreditaufnahme aus bundesverfassungsrechtlicher Sicht nicht zulässig wäre, weil andernfalls das Land seine bundesrechtlich festgelegten sowie seine auf landesverfassungsrechtlichen Vorgaben beruhenden Ausgabenverpflichtungen nicht erfüllen könnte“. 249
Man kann sich durchaus vorstellen, dass ein Land, welches massiv überschuldet ist, sich nicht mehr durch Eigenanstrengungen aus dieser Lage befreien kann und noch keine Hilfe durch Bund und Länder zugesprochen bekommen hat, auf 245
Demnach seien auch „extreme Haushaltslagen“ ein zu billigender Grund für eine erhöhte Schuldenaufnahme nach Art. 141 HessVerf, vgl. hierzu HessStGH, Urt. v. 12. Dezember 2005, in: NVwZ-RR 2006, S. 657 ff. 246 BerlVerfGH, NVwZ 2004, S. 210 (212 ff.); C. Pestalozza, LKV 2004, S. 63 ff. 247 BVerfGE 86, 148 ff.; vgl. hierzu den Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)cc). 248 BerlVerfGH, NVwZ 2004, S. 210 (213); im Ergebnis stellte der BerlVerfGH aus anderen Gründen die Verfassungswidrigkeit des mit der Klage angegriffenen Haushaltsgesetzes fest; B.-I. Hoff, Föderalismusreform in der Haushaltsnotlage, S. 166 ff. 249 BerlVerfGH, NVwZ 2004, S. 210 (213).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
eine solche überverfassungsrechtliche Ausnahme zurückgreifen dürfen muss, um überhaupt einen verfassungskonformen Haushalt aufstellen zu können. Die vom BerlVerfGH für das Eingreifen der Ausnahme aufgestellten Tatbestandsvoraussetzungen bleiben jedoch zum größten Teil diffus.. Es überwiegen die Bedenken gegen die Einführung der Möglichkeit einer erhöhten Kreditaufnahme zur Bewältigung einer „extremen Haushaltsnotlage“ als ungeschriebene, überverfassungsrechtliche Ausnahme zum Kreditbegrenzungsgebot durch den BerlVerfGH. Es bleibt offen, in welcher Höhe sich das Land überhaupt nach dem Urteil des BerlVerfGH verschulden darf. Ein Maßstab zur konkreten Berechnung findet sich in der Entscheidung nicht. Nur wenn zwingende, bundesrechtlich festgelegte, sowie auf landesverfassungsrechtlichen Vorgaben beruhende Aufgabenverpflichtungen ohne eine erhöhte Kreditaufnahme nicht geleistet werden können, ist das von einer „extremen Haushaltsnotlage“ betroffene Land nach Auffassung des Gerichts berechtigt, die verfassungsrechtliche Kreditaufnahmegrenze zu überschreiten. 250 Fraglich ist, wann solche zwingenden Aufgaben vorliegen. Eine genaue Bestimmung ist wegen der Interpretationsmöglichkeiten kaum möglich. Weiterhin ist es Sinn und Zweck der Verschuldungsregeln, Zustände wie die einer „extremen Haushaltsnotlage“ zu verhindern. 251 Würde man das umgekehrte Verständnis, nach dem das Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ eine erhöhte Kreditaufnahme ausnahmsweise zulässt, gelten lassen, wäre dies ein fataler Anreiz, eine solche Ausnahmesituation durch die erhöhte Aufnahme von Schulden herbeizuführen oder die Haushaltslage kontinuierlich zu verschlimmern. Nur eine durch Eigenanstrengungen herbeigeführte Rückführung der Schulden führt zu einer Rückerlangung der Möglichkeit der Globalsteuerung sowie einer aktiven Haushaltspolitik einschließlich antizyklischer Konjunktursteuerung gem. Art. 109 Abs. 2 GG. 252 Die Solidargemeinschaft von Bund und Ländern ist durch das aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleitete bündische Prinzip des Einstehens füreinander auch nach der aktuell modifizierten Rechtsprechung des BVerfG im Fall einer außergewöhnlichen Zwangslage im Haushalt eines Landes zu Hilfeleistungen verpflichtet. Die Kehrseite dieser Verpflichtung ist aber, dass das Hilfe suchende Land im Bewusstsein der eigenen Notlage, seinerseits nicht durch eine stetige Erhöhung der Verschuldung gegen das Prinzip der bündischen Solidarität im Sinne eines venire contra factum proprium verstößt. 253 Eine solche missbräuchliche Kompetenzausübung des Not leidenden Landes würde ansonsten den Bund und die anderen Länder durch die eventuell mittelbar eintretende Erhöhung der Hilfeleistungspflicht schädigen. Ferner ist auch die inhaltliche Anknüpfung des Urteils des BerlVerfGH an die Rechtsprechung des BVerfG bedenklich. Die bisherigen Entscheidungen des 250 251 252 253
BerlVerfGH, NVwZ 2004, S. 210 (213). M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 (273). M. Rossi, DVBl. 2005, S. 269 (273 f.); C. Waldhoff ; NVwZ 2004, S. 1062 (1065). So auch C. Waldhoff ; NVwZ 2004, S. 1062 (1065 f.).
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BVerfG legen lediglich Kriterien für das Vorliegen einer bestimmten Haushaltslage fest, bei deren Vorliegen ein Anspruch des Not leidenden Landes auf Zahlung von Sonderbundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung besteht. Das BVerfG wollte sich offensichtlich nicht zu den Kreditgrenzen der Landesverfassung, einer vom Finanzausgleichsystem völlig losgelösten Frage der Haushaltsordnung, äußern. Darüber hinaus war die dogmatische Konstruktion der „extremen Haushaltsnotlage“ schon vor der neuen Rechtsprechung des BVerfG problematisch. Statt abstrakter Voraussetzungen wurde der Anspruch auf Sonderbundesergänzungszuweisungen auf mehr oder weniger nachvollziehbare finanzwissenschaftliche Indikatoren gestützt. 254 Somit ist auch das Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ als Tatbestandsvoraussetzung einer erhöhten Kreditaufnahme auf Landesebene schwer zu bestimmen. Auch wenn man dem Weg des BerlVerfGH bis hierhin folgen würde, muss man spätestens jetzt erkennen, dass der durch dieses Urteil entstandene Misstand sich seit der geänderten Rechtsprechung des BVerfG noch verschärft hat. Das nun für einen Anspruch auf Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen erforderliche Vorliegen eines „bundesstaatlichen Notstandes“ stellt noch höhere Anforderungen an die Länder im Vergleich zur vorherigen Rechtsprechung des BVerfG. 255 Für den Berliner Haushaltsgesetzgeber besteht nun die Ungewissheit, ob der BerlVerfGH entweder die Änderung bei nächster Gelegenheit aufgreift und seine Rechtsprechung entsprechend der des BVerfG fortschreibt oder ob er an seiner Bindung der erhöhten Kreditaufnahme an die Voraussetzungen zur „extremen Haushaltsnotlage“ nach alter Rechtslage festhält. Sollte der BerlVerfGH die Änderungen der Rechtsprechung übernehmen, ist davon auszugehen, dass entsprechend der Rechtslage hinsichtlich der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen eine erhöhte Kreditaufnahme auf Grundlage der ungeschriebenen überfassungsrechtlichen Ausnahme aufgrund der verschärften Anforderungen kaum mehr in Betracht kommt. Eine Möglichkeit der erhöhten Kreditaufnahme zur Aufrechterhaltung der konjunkturellen Steuerungsfähigkeit bei Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ ist daher im Ergebnis abzulehnen. Anhand der realen Entwicklung der Haushaltslage zeigt sich speziell im Fall Berlins, dass ein Rückgriff auf eine solche ungeschriebene Ausnahme nicht notwendig ist. c) Neuverschuldungsverbot Bisher ist in keiner der bundesdeutschen Landesverfassungen ein verfassungsrechtlich verankertes Gebot der Aufstellung eines ausgeglichenen Haushalts bzw. ein Verbot der Neuverschuldung normiert. Lediglich Bayern hat in 254 255
BVerfGE 86, 148 (258 f.); vgl. auch Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)bb)β)(6). BVerfGE 116, 327 ff.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Art. 18 seiner Landeshaushaltsordnung eine Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushalt gesetzlich festgeschrieben. Ab dem Jahr 2006 soll der Haushaltsplan „regelmäßig ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden“. Unter bestimmten Voraussetzungen bleibt aber auch hier eine Kreditaufnahme möglich. Nach Art. 18 Abs. 2 BayLHO dürfen Einnahmen aus Krediten bis zur Höhe der Summe der Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden, soweit dies notwendig ist, um den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen oder aus einem vergleichbar schwerwiegenden Grund. Höhere Einnahmen aus Krediten sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. 256 Vor dem Hintergrund der ausufernden Verschuldung der öffentlichen Haushalte denken mehrere Länder über eine Verschärfung ihrer Kreditaufnahmegrenzen nach. So wird in BadenWürttemberg, Sachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg die Einführung eines Neuverschuldungsverbots bzw. die Änderung der bestehenden Verschuldungsregelung diskutiert. In Hamburg gibt es bereits konkrete Vorschläge zur Angleichung der Landeshaushaltsordnung an die bayrische Regelung. 257 Durch die Neuregelung der Art. 109 und 109a GG im Rahmen der Föderalismusreform II wird es hier in naher Zukunft zu Änderungen kommen. 3. Konsequenzen für die Länder durch die Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG im Kontext des Europarechts Es ist fraglich, welche Konsequenzen die Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG für die Länder im Kontext des Europarechts hat. Grundsätzlich waren die Länder schon vor der Einführung der Norm durch die Einbeziehung der Länderhaushalte bei der Berechnung des öffentlichen Defizits zur Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Defizitkriterien verpflichtet. 258 Ferner verpflichtet § 51a HGrG Bund und Länder zur Einhaltung der Vorgaben aus Art. 104 EGV. Nicht geregelt war bisher die innerstaatliche Verteilung. Insofern ist es zunächst unklar, ob es sich um eine mittelbare (über das Recht der Mitgliedstaaten) oder unmittelbare Verpflichtung zur Einhaltung der europäischen Defizitkriterien für die Länder handelt. Ausgehend vom völkerrechtlichen Charakter der Verträge der Europäischen Gemeinschaften wird überzeugend vertreten, dass die europäischen Defizitkriterien die Bundesländer nur mittelbar binden. 259 Der Bund ist demnach gem. Art. 104 EGV gegenüber der EG alleiniger Verpflichteter. Die 256 Bayern schaffte es 2006 als erstes Bundesland seit der Finanzreform 1969 einen ausgeglichenen Haushalt ohne die Aufnahme neuer Schulden aufzustellen; D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (455). 257 LT-Drs. 18/5639. 258 M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (335). 259 Vgl. F. Littwin, ZRP 1997, S. 325 (326); V. Mehde, DÖV 1997, S. 616 (622).
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Länder waren bisher im Innenverhältnis nur über das Prinzip der Bundestreue dazu angehalten, den Bund bei der Erfüllung der Vertragspflichten gegenüber der EG – einschließlich der Verpflichtungen aus Art. 104 EGV – zu unterstützen. 260 Für eine konkret geregelte Einbeziehung der Bundesländer ist demnach eine rechtliche Ausgestaltung im Innenverhältnis – wie für die Verteilung von Sanktionszahlungen in Art. 109 Abs. 5 GG und im SZAG geschehen – zwischen Bund und Ländern erforderlich. Andere vertreten dagegen die Auffassung, dass bereits eine unmittelbare Verpflichtung der Bundesländer zur Einhaltung der europäischen Defizitkriterien besteht. 261 Aufgrund der Ausrichtung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen einzig auf die Mitgliedstaaten und nicht auf ihre Glieder bedarf es nach dieser Ansicht aber ebenfalls einer innerstaatlichen Konkretisierung zur verbindlichen Umsetzung der Defizitkriterien auf die Länder. Im Ergebnis bedarf es somit nach beiden Auffassungen einer innerstaatlichen Regelung zur Konkretisierung der europäischen Defizitkriterien im Bund-LänderVerhältnis. Der Erlass des Art. 109 Abs. 5 GG war insoweit notwendig, da sich in Abs. 3 und 4 (a.F.) der Norm keine hinreichende Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Normierung von Regeln über die Verteilung gemeinschaftsrechtlicher Sanktionslasten zwischen Bund und Ländern fand. 262 Hierdurch hat sich der Verfassungsgesetzgeber zu Recht gegen die zu weite, die Haushaltsautonomie der Länder verkennende, Interpretation der Gesetzgebungskompetenz in Art. 109 Abs. 4 GG des BVerfG 263 gewandt. Betrachtet man die gegenwärtige Rechtslage, dann bestehen über den im Rahmen der Föderalismusreform I neu eingefügten Art. 109 Abs. 5 GG und das SZAG eine Verbindung zwischen den Ländern und möglicherweise anfallenden Sanktionszahlungen. Die Vorschrift regelt durch eine gemeinsame Lastentragung die Verantwortung von Bund und Ländern vor dem Hintergrund der Verpflichtungen Deutschlands aufgrund des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin. Die genaue innerstaatliche Aufteilung möglicher unverzinslichen Einlagen sowie Geldbußen (Sanktionszahlungen) gem. Art. 104 EGV i.V. m. der VO 1467/97 des Rates vom 7. Juli 1997, geändert durch die Verordnung 1056/2005 des Rates vom 27. Juni 2005, sind in dem nach Art. 109 Abs. 5 S. 4 GG zu erlassenden Ausführungsgesetz – SZAG – geregelt. 264 Im Ergebnis sind die Konsequenzen aufgrund der 260
J. Karstendiek, LKV 1992, S. 405 (406). M. Kloepfer / M. Rossi, VerwArch 94 (2003), S. 319 (336 ff.). 262 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 109 Rn. 27; J. Hellermann, EuR 35 (2000), S. 24 (32 ff.); C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 144 f.; K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 661. 263 BVerfGE 86, 148 (266 f.); so auch C. D. Classen, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 257. 264 Vgl. zum Regelungsinhalt des Art. 109 Abs. 5 GG Zweiter Teil Kap. B.I.3.c). 261
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an anderer Stelle angesprochenen Probleme für die Länder durch die Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG und das entsprechende Ausführungsgesetz noch nicht genau absehbar. Erst im Ernstfall, d. h. bei drohenden Sanktionen bzw. beim Beschluss von Sanktionen nach Art. 104 EGV durch die Gemeinschaft, wird sich zeigen, wie die vertikale und horizontale innerstaatliche Aufteilung der Lasten funktioniert.
C. Reformbedürftigkeit und Vorgaben für Reformen des Staatsschuldenrechts Im Folgenden gilt es herauszuarbeiten, ob es einer Reform der Staatsschuldenregelungen durch die Föderalismusreform II bedurfte bzw. es einer Reform auch noch zukünftig bedarf und welche Zielvorgaben hierbei zu beachten sind.
I. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts Die Reformbedürftigkeit der Staatsschuldenregelungen lässt sich konkret über die reale Verschuldungssituation der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften sowie abstrakt über Nachhaltigkeitserwägungen herleiten. 1. Faktische Reformbedürftigkeit Für die Reformbedürftigkeit der Staatsschuldenregelungen sprachen vor der Föderalismusreform II und sprechen auch noch aktuell vor allem faktische Erwägungen. Man muss sich nur die reale Entwicklung der Staatsverschuldung vergegenwärtigen, um zu dem Schluss zukommen, dass eine Neugestaltung des Normenbestandes auch weiterhin erforderlich ist. Der sich aus dem Primärdefizit ergebende Schuldenstand belastet die gesamtwirtschaftliche Entwicklung inzwischen nachhaltig. Das Versagen der verfassungsrechtlichen Begrenzung der Kreditaufnahme zeigen die Haushaltsdaten von Bund und Ländern. Vor Beginn des 1. Weltkriegs betrug der Schuldenstand der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften ca. 33 Mrd. Reichsmark; infolge des Krieges wuchs die Staatsschuld erheblich an. Ähnlich verhielt es sich während des 2. Weltkriegs. Sowohl nach dem 1. wie auch nach dem 2. Weltkrieg wurde durch Inflationen und anschließende Währungsumstellungen der beträchtliche Schuldenstand jedoch auf nahezu Null reduziert. 265 Infolge der Währungsumstellung hatten Bund und Länder trotz der Verantwortung für den 2. Weltkrieg Ende des Jahres 1949 265
Gesetz über die Aufwertung von Hypotheken und anderen Ansprüchen (Aufwertungsgesetz) v. 16. Juli 1925, RGBl. 1925, S. 117 ff.; 1. Gesetz zur Neuordnung des Geld-
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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nur Schulden i. H.v. 17,1 Mrd. DM (ca. 8,74 Mrd. €). Auf Grundlage der Regelung in Art. 115 GG (a.F.) wurden Staatskredite in den Anfängen der BRD nur sehr zurückhaltend eingesetzt. Die Schulden der öffentlichen Haushalte stiegen bis 1959 recht moderat auf 49,1 Mrd. DM (ca. 25,1 Mrd. €) an. 266 Dieser Anstieg beruhte überwiegend auf der 1953 im Londoner Schuldenabkommen von den Vertragsparteien vereinbarten Übernahme von Altschulden des Deutschen Reiches durch die BRD. 267 Von 1959 bis 1969 bewegte sich die Netto-Kreditaufnahme von Bund und Ländern, abgesehen von der rezessionsbedingten Ausnahme im Haushaltsjahr 1967, ähnlich wie im vorherigen Jahrzehnt in einem Spektrum von 3,1 Mrd. DM (ca. 1,86 Mrd. €) und 10,6 Mrd. DM (ca. 5,42 Mrd. €). Die Gesamtverschuldung von Bund und Ländern stieg bis 1969 aufgrund ausbleibender Schuldenrückführungsbemühungen auf 117,1 Mrd. DM (ca. 59,87 Mrd. €) an. 268 Zu gravierenden Veränderungen hinsichtlich der Verschuldung der öffentlichen Haushalte kam es erst auf Grundlage des 1969 geänderten Art. 115 GG und der daraufhin erfolgten Aufnahme entsprechender Regelungen in die meisten Landesverfassungen. Schon die erste Bewährungsprobe der neuen Kreditaufnahmeregelung im Zuge der Ölkrise im Jahr 1973 führte zur Aufgabe der einst vorherrschenden Zurückhaltung gegenüber der Staatsschuldenfinanzierung. Es wurde fortan zur Regel, dass Finanzierungslücken durch die Neuaufnahme von Krediten entsprechend der geänderten Kreditaufnahmeregelungen gedeckt wurden. Seit der in den Jahren 1974/75 eingetretenen Rezession schnellte die NettoKreditaufnahme von Bund und Länden in die Höhe. Betrug sie 1970 nur 8 Mrd. DM (ca. 4,09 Mrd. €) waren es im Jahr 1975 hingegen 64,0 Mrd. DM (32,72 Mrd. €). 269 Der Gesamtschuldenstand von Bund und Ländern erhöhte sich im Zeitraum von 1969 bis 1979 von 117,1 Mrd. DM (ca. 59,87 Mrd. €) auf 413,9 Mrd. DM (ca. 211,62 Mrd. €). Die in den 70er Jahren begonnene Entwicklung setzte sich nahtlos in den 80er Jahren fort. Die Gesamtverschuldung von Bund und Ländern verdoppelte sich im Laufe des Jahrzehnts von 413,9 Mrd. DM (ca. 211,62 Mrd. €) 1979 auf 928,8 Mrd. DM (ca. 474,89 Mrd. €) im Haushaltsjahr 1989. 270 Im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung geriet die Staatsverschuldung in den 90er Jahren endgültig aus den Fugen. Bis zum wesens (Währungsgesetz) v. 20. Juni 1948, Gesetzblatt der Verwaltung des vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947/49, Anhang, Beilage Nr. 5. 266 Die Netto-Kreditaufnahmen von Bund und Länder betrug von 1949 –1959 jährlich max. zwischen 0,9 Mrd. DM (ca. 0,46 Mrd. €) und 9,9 Mrd. DM (ca. 5,06 Mrd. €). 267 H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 535. 268 Im Haushaltsjahr 1967 betrug die Netto-Kreditaufnahme 15,2 Mrd. DM (ca. 7,77 Mrd. €). 269 In den folgenden Jahren wurde die Netto-Kreditaufnahme von Bund und Ländern auf hohem Niveau auf ca. 40 Mrd. DM (ca. 20,45 Mrd. €) jährlich zurückgeführt. 270 Die jährliche Netto-Kreditaufnahme von Bund und Ländern in diesem Zeitraum variierte von 77,0 Mrd. DM (ca. 39,37 Mrd. €) im Jahr 1981 bis zu 25,8 Mrd. DM (ca. 13,19 Mrd. €) im Jahr 1989.
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Jahr 1999 hatten der Bund und die Länder insgesamt ca. 2016,44 Mrd. DM (ca. 1030,99 Mrd. €) Schulden angehäuft. Der Schuldenstand hatte sich innerhalb eines Jahrzehnts von einem schon beachtlichen Niveau ausgehend mehr als verdoppelt. Die Netto-Kreditaufnahme stieg in Höchstzeiten auf ca. 333,8 Mrd. DM (170,67 Mrd. €) im Jahr 1995 an. Ferner wurde die Verschuldung über Nebenhaushalte massiv ausgeweitet. Eine Rückführung der Schulden fand bisher nicht statt. Der Bund und die Länder haben bis Ende 2005 einen Schuldensockel von ca. 1340,87 Mrd. € aufgebaut, welcher inzwischen auf über 1,5 Billionen angewachsen ist. 271 Hinsichtlich der Reformbedürftigkeit der Normen des Staatsschuldenrechts sprechen die aufgeführten Zahlen sowohl für den Bund als auch für die Länder inzwischen eine eindeutige Sprache. Alleine der Bund hatte am Ende des Haushaltsjahres 2006 ca. 917 Mrd. € Schulden abzüglich der Schulden der Sondervermögen. Die Verschuldung steigt auch weiterhin, trotz der von der Regierung beschlossenen Rückführung der Neuverschuldung, welche durch einen konjunkturellen Aufschwung und die Anhebung der Mehrwertsteuer begünstigt wird. Inzwischen sind auch die europäischen Geldinstitute von der sich seit Mitte 2007 ausbreitenden Subprime-Krise auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt betroffen. Im Zuge dieser sich im September 2008 verstärkenden globalen Finanzkrise sah sich der Bund daher gezwungen mit dem sog. „Finanzmarktstabilisierungsfonds“ ein Sondervermögen einzurichten, über das die Verwerfungen auf den Finanzmärkten abgefedert werden sollen. 272 Das Sondervermögen ist nicht rechtsfähig, kann aber in eigenem Namen handeln, klagen und verklagt werden. Für die Schulden des Fonds haftet der Bund unmittelbar. Die Beteiligung der Länder an der Haftung beträgt 35 %; sie ist aber exklusive der Landesbanken auf ca. 7,7 Mrd. € begrenzt. Konkret umfasst der Fonds Garantien für Unternehmen im Finanzsektor i. H.v. maximal 400 Mrd. € (die nicht eintreten müssen) und ist zur Neuverschuldung durch die Aufnahme von Krediten i. H.v. 100 Mrd. € ermächtigt. Bis zu einem Betrag von 80 Mrd. € kann der Fonds Beteiligungen an Unternehmen des Finanzsektors erwerben oder Risikopositionen übernehmen. 20 Mrd. € (5%) sind für die Deckung der Garantien i. H.v. bis zu 400 Mrd. € eingeplant. Da von den 100 Mrd. € für 80 Mrd. Gegenwerte erworben werden können, ist die faktische Neuverschuldung bei ausbleibenden Ausfall der Vermögenspositionen nicht sonderlich hoch. Der Fonds birgt trotzdem ein erhebliches Risiko für die Haushalte von Bund und Ländern. Betrachtet man die Entwicklung ab Inkrafttreten der bis einschließlich des Haushaltsjahrs 2010 geltenden Schuldenbegrenzungsregelung des Art. 115 GG im Jahr 1970, dann erkennt man, dass sich die Verschuldung des Bundes seit dem um über das 33-fache erhöht hat. 273 Bei den Ländern lässt sich eine vergleich271 Berechnet auf Grundlage der Angaben des Statistisches Bundesamt, Statistisches Jahrbuch 2006, S. 591. 272 Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG, vom 17. Oktober 2008, BGBl. 2008 I, S. 1982 ff.
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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bare Entwicklung hinsichtlich der Erhöhung der Verschuldung im entsprechenden Zeitraum feststellen, wobei die Betrachtung der Schuldenverteilung unter den Ländern deutliche Unterschiede aufzeigt. Insgesamt ist die gesamtstaatliche Schuldenquote von ca. 18% des BIP im Jahr 1970 bis Ende des Jahres 2008 auf ca. 64 % des BIP angestiegen. Die Schulden der öffentlichen Haushalte erreichten zum Jahresende 2007 einen Stand von 1499,5 Mrd. €. Sie erhöhten sich damit gegenüber dem Vorjahr nochmals um 0,3%. Während die Kreditmarktschulden bei den Gemeinden bzw. Gemeindeverbänden erfreulicherweise um 3,7 % auf 79,0 Mrd. € abnahmen, stiegen sie beim Bund und den Ländern geringfügig um jeweils 0,5 % auf 937,6 Mrd. bzw. 482,8 Mrd. €. 274 Betrachtet man die ZinsSteuer-Quoten, dann zeigt sich, dass große Teile der öffentlichen Einnahmen bei einem niedrigen Zinsniveau einzig der Zahlung von Zinsen dienen, d. h. ohne jeglichen Mehrwert für die Bürger sind. 275 Die Zahlen der letzten Jahre belegen, dass die Regelkreditgrenze nahezu vollständig ausgeschöpft wurde und somit die Regel darstellt. 276 In den letzten 40 Jahren erfolgte keine nachhaltige Tilgung der Schulden. Nur nach außergewöhnlich hohen Einmalerlösen, wie beispielsweise durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen, kam es zu einer partiellen Schuldentilgung. 277 Im Ergebnis lassen sich fünf Phasen hinsichtlich der Staatsverschuldung in Deutschland erkennen. Bis 1973 zeichneten sich Bund und Länder durch eine geringe Nettokreditaufnahme aus. Ab 1974 kam es auf Grundlage der reformierten Kreditaufnahmeregelungen zu einer kontinuierlichen Steigerung der Staatsverschuldung. Diese stieg insbesondere im Zuge der Wiedervereinigung ab dem Jahr 1990 extrem an. Seit 2004 kam es schließlich zu einer leichten Rückführung der Netto-Kreditaufnahme. Seit dem Haushaltsjahr 2008 kam es durch die Finanzund Wirtschaftskrise zu einem weiteren Anstieg der Staatsverschuldung. Alle Phasen nach der Reform 1969 zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass trotz konjunktureller Aufschwünge aufgelaufene Staatsschulden nicht mehr zurückgeführt wurden. Die Gesamtverschuldung ist inzwischen über die verschiedenen Phasen erdrückend geworden. Der Hauptgrund für die starke Verschuldung Deutschlands liegt hierbei nicht in den vereinigungsbedingten Lasten. Die dargestellten Zahlen zeigen, dass dies nur ein Teil der Wahrheit ist. Wie dargelegt wurde, stie273
So auch D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445. R. Schulze-Steikow / O. Dietz / W. Müller, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 2008, S. 438 (441). 275 Der Bund hatte im Jahr 2006 eine Zins-Steuer-Quote von ca. 14,4% (ca. 37,5 Mrd. €); Bremen 21,2 %; Länderdurchschnitt 10,2 %. 276 Von 1983 bis zum Jahr 2006 wurden insgesamt 584 Mrd. € vom Bund für Investitionen ausgegeben während dessen die Netto-Kreditaufnahme 594,1 Mrd. € betrug, vgl. D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (446). 277 Die einmaligen Einnahmen aus dem Verkauf der UMTS – Lizenzen i. H.v. ca. 50 Mrd. € führten im Bundeshaushaltsjahr 2001 zu einer Netto-Kreditaufnahme von lediglich 22,8 Mrd. €. 274
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
gen die Schulden des Bundes und der Länder bereits in den 70er und 80er Jahren deutlich an, womit sich eine ausschließliche Rückführung der Ursachen der Verschuldung auf die Einmaleffekte im Rahmen der Wiedervereinigung verbietet. 278 Die Fakten sprechen vielmehr dafür, dass es augenscheinlich nach der gegenwärtigen Rechtslage zu wenige Anreize für die Beteiligten bei Bund und Ländern gibt, ihren Haushalt zumindest mittelfristig auszugleichen und eine nachhaltige Finanzpolitik zu verfolgen. 279 Darüber hinaus hat Deutschland mit der Aufgabe der D-Mark und der Einführung des Euro im Zuge der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion keine Möglichkeit mehr, autonom über die Geldmenge zu entscheiden. Die Höhe der verfügbaren Geldmenge und somit eine mögliche Entschuldung der Staatshaushalte durch Inflation liegt nicht mehr im Ermessen deutscher Politik oder deutscher Institutionen. Deutschlands Staatsschulden können langfristig zu einer Überschuldung führen, wenn die Verbindlichkeiten den Wert der veräußerbaren Vermögenspositionen von Bund und Ländern und der maximal einzunehmenden (zur Schuldentilgung einsetzbaren) Abgaben des Gemeinwesens übersteigen. 280 Die Haushalte von Bund und Ländern weisen eine klare Tendenz zur Neuverschuldung auf. Diese zu hohe öffentliche Verschuldung hat ihre unmittelbare Ursache in der aktuellen Rechtslage und einem zu geringen politischen Widerstand gegenüber der weiteren Neuverschuldung. Bund und Länder sind in ihrer politischen Entscheidung grundsätzlich frei, was die Aufnahme von Krediten angeht. Wie aufgezeigt wurde, erfolgte die Kreditbegrenzung für Bund und Länder vor der Föderalismusreform II einzig über Art. 115 GG (a.F.), die entsprechenden Regelungen in den Landesverfassungen, die einfachgesetzlichen Ausführungen sowie die gesamtwirtschaftlichen Beschränkungen aus dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt und die vorsichtigen Versuche ihrer Implementierung auf der Bund-Länder-Ebene. Diese Begrenzungen haben sich in der Vergangenheit als wenig wirksam erwiesen, was dadurch belegt wird, dass allein zwischen den Jahren 2000 und 2005 die Kreditaufnahmegrenze 27mal überschritten wurde. 281 Art. 115 GG (a.F.) wies Mängel auf hinsichtlich (a) eines zu weit abgegrenzten Investitionsbegriffs, der eine zu hohe Verschuldung schon in der „Normallage“ erlaubt, (b) einer zu ungenauen Bestimmung der Ausnahmesituation bei Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und (c) eines fehlenden Sanktionsmechanismus, der bei einem festgestellten Verstoß gegen die Regelung des Art. 115 GG greift. Diese Mängel traten bzw. treten noch 278 Dies verkennt die abweichende Meinung des Sachverständigen P. Bofinger, in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 261 ff. 279 Zutreffend G. Kirchgässner, Kom.-Drs. 27, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 5. 280 S. Homburg / K. Röhrbei, Der Staat 46 (2007), S. 183 (184 f.) weisen daher zu Recht daraufhin, dass Staaten faktisch zahlungsunfähig werden können. 281 I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (440); W. Kitterer / M. Groneck, Wirtschaftsdienst 2006, S. 559 ff.
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in entsprechender Weise bei den z.T. identischen Regelungen im Normenbestand der Länder auf, was dazu geführt hat, dass in den meisten Ländern genauso wie auf Bundesebene eine wirkliche Kreditaufnahmebegrenzung nicht erreicht werden konnte. Die Kreditgrenzen wurden in den letzten Jahren in vielen Ländern oftmals nur aufgrund von massiven Vermögensveräußerungen eingehalten. Im Kontrast zur Verschuldungsautonomie ist die Steuerautonomie der Bundesländer sehr stark begrenzt. Selbst für den Bund ist eine kurzfristige Angleichung der Steuereinnahmen schwer umzusetzen. Die ertragreichsten Steuerquellen sind Gemeinschaftssteuern, die nur im Einvernehmen mit den Ländern verändert werden können. Im ungünstigsten Fall kann es bei Abstimmungsschwierigkeiten unter den Beteiligten zur kompletten Handlungsunfähigkeit in der Steuerpolitik führen. Zugleich gibt es beachtliche Finanz- und Aufgabenverflechtungen, die die Ausgabenautonomie der Gebietskörperschaften einschränken. Vor diesem Hintergrund ist die Staatsverschuldung fast der einzige Ausweg, um strukturelle Defizite zwischen Steuereinnahmen und Staatsausgaben zu schließen. Hinzu tritt, dass der Kapitalmarkt, an dem die Kreditaufnahme der Gebietskörperschaften erfolgt, Bund und Länder in seiner Bewertung der Kreditrisiken auch nach dem Urteil zur extremen Haushaltsnotlage Berlins zwar eingeschränkt durch die erhöhten Anforderungen, aber im Ergebnis immer noch als eine Haftungsgemeinschaft betrachtet (Bail-Out). Im Endeffekt konnte man sich vor der Reform nur den Ausführungen des BVerfG zur Haushaltsverfassung, die es in seinem Urteil über die Verfassungswidrigkeit des Bundeshaushaltsgesetz 2004 trifft, anschließen. 282 Demnach war, obwohl nach noch bis zum Haushaltsjahr 2011 geltender Rechtslage eigentlich (unzureichend angewandte) Beschränkungen der Kreditaufnahme bestehen, „an der Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen gegenwärtig kaum noch zu zweifeln: Unabhängig von der Frage, wie das Grundkonzept einer nachfrageorientierten diskretionären Fiskalpolitik nach keynesianischem Vorbild inhaltlich zu beurteilen ist ..., ergibt sich dies aus der Erfahrung, dass die staatliche Verschuldungspolitik in der Bundesrepublik in den seit der Finanz- und Haushaltsreform 1967/69 vergangenen nahezu vier Jahrzehnten nicht antizyklisch agiert, sondern praktisch durchgehend einseitig zur Vermehrung der Schulden beigetragen hat ... Die dynamisch angewachsene Verschuldung in Bund und Ländern ... hat gegenwärtig bereits einen verbreitet als bedrohlich bewerteten Stand erreicht ... Das Regelungskonzept des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG hat sich als verfassungsrechtliches Instrument rationaler Steuerung und Begrenzung staatlicher Schuldenpolitik in der Realität nicht als wirksam erwiesen.“ 283.
Anhand der durch die Vergleichszahlen gewonnenen Fakten wird deutlich, dass die gegenwärtig noch anzuwendenden Regelungen im Normenbestand des 282 283
BVerfGE 119, 96 ff. BVerfGE 119, 96 (141 f.).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Bundes und der meisten Länder keine wirksame Begrenzung der Staatsverschuldung darstellen. Bei weiterem Untätigbleiben des Bundes- bzw. der Landesgesetzgeber hätte eine weiter ausufernde Verschuldung gedroht, deren Eindämmung und Rückführung dadurch immer schwieriger wird. Eine Reform der Staatsschuldenregelungen war somit faktisch unausweichlich und geboten. Die aufgeführten Fakten begründen aber auch weiterhin eine erhöhte Verpflichtung, die mit der Föderalismusreform II eingeführten Regelungen permanent auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und ggf. zu ergänzen. 2. Nachhaltigkeitserwägungen als Grund für die Notwendigkeit einer Reform des Staatsschuldenrechts Der Anstieg der Staatsverschuldung vollzieht sich inzwischen über einen Zeitraum von fast 40 Jahren. Spätestens seit der Deutschen Einheit haben die Schulden von Bund und Ländern ein Niveau erreicht, welches einen Abbau zu einer Generationenaufgabe werden lässt. Die Aufnahme von Schulden belastet durch die mit der Tilgungsverpflichtung verbundenen Zinsbelastungen künftige Generationen in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Handlungsfreiheit. An dieses Verschuldungsproblem knüpft das Konzept der Nachhaltigkeit an. Inwieweit das Nachhaltigkeitskonzept auch als normatives Leitbild für Reformen des Staatsschuldenrechts dienen kann, soll anhand der Bedeutung der Begriffe der „Nachhaltigen Entwicklung“ und „Nachhaltigkeit“ sowie einer Verknüpfung des Themas der Nachhaltigkeit und der Reform des Staatsschuldenrechts geklärt werden. a) Begriffsbestimmung Betrachtet man die (völker-, europarechtlichen und nationalen 284) Rechtsquellen der letzten 30 Jahre, dann fällt einem auf, dass sich dort die Begriffe der „Nachhaltigen Entwicklung“ und der „Nachhaltigkeit“ zunehmend in verschiedensten Zusammenhängen wieder finden. 285 Aufgrund der Diskrepanz zwischen der nahezu inflationären Verwendung der beiden Begriffe in den verschiedensten Sachzusammenhängen und ihrer bis heute im Detail ungeklärten inhaltlichen Tragweite (Unbestimmtheit) werden sie vielfach kritisiert. 286 Für die Bearbeitung bedarf es zunächst einer Eingrenzung des Begriffinhaltes, um sich anschließend 284
Vgl. z. B. § 1 Abs. 5 BauGB; § 1 S. 1 BBodSchG. Wird z.T. auch synonym als „nachhaltige Entwicklung“ bezeichnet; besser ist es aber den Terminus der „nachhaltigen Entwicklung“ ausschließlich mit einem weiten Verständnisses des Begriffs der „Nachhaltigkeit“ gleichzusetzen, vgl. P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1176). 286 M. Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rn. 33; M. Ronellenfitsch, NVwZ 2006, S. 385. 285
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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einer möglichen Verbindung der Themen der Nachhaltigkeit und der Reform des Staatsschuldenrechts widmen zu können. Die Begriffe der „Nachhaltigen Entwicklung“ und der „Nachhaltigkeit“ sind, obgleich sie ähnlich wie die Staatszielbestimmungen im Grundgesetz sehr unkonkret gehalten sind, Rechtsbegriffe. 287 Diese relativ freie Zielvorgabe führt dazu, dass sie für den Rechtsanwender mangels inhaltlicher Konkretisierungen schwer zu handhaben sind. 288 Begriffsgeschichtlich betrachtet bedeutet Nachhaltigkeit zunächst „etwas freihalten, aufbewahren, auf längere Zeit anhaltend und wirkend“. Er entstammt aus dem forstwirtschaftlichen Gebrauch des frühen 18. Jahrhunderts in Deutschland. 289 Einzug in den englischen Sprachraum erhielt der Begriff der „Nachhaltigkeit“ erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Obwohl der Begriff schon seit Mitte des vorherigen Jahrhunderts in Deutschland in anderen Wissenschaftsbereichen wie z. B. der Nationalökonomie Verwendung findet, war es wiederum ein forstwissenschaftliches Werk, welches den Begriff der „Nachhaltigkeit“ als sustained yield 290 in den englischen Sprachraum einführte. 291 Inhaltlich von seiner einst forstwissenschaftlich geprägten Bedeutung emanzipiert, trat der Nachhaltigkeitsgedanke Jahrzehnte später wieder auf internationaler Ebene in der Bedeutung von sustainable development 292 in Erscheinung. Der Begriff sustainable wurde erstmals im Jahr 1980 in der von der UNO ausgearbeiteten Naturschutzrichtlinie World Conservation Strategy als Adjektiv benutzt. Die Rückübersetzung in die deutsche Sprache führte dazu, dass der Begriff der „Nachhaltigkeit“ erstmalig in einem weiten, nicht auf die Forstwissenschaften reduzierten, ökologischen Zusammenhang verwendet wurde. 293 Die UNO setzte zur Entwicklung einer weltumspannenden Umweltpolitik die World Commission on Environment and Development (Brundtland-Kommission 294) ein. Diese veröffentlichte 1987 den 287 F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, S. 27; A. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, S. 54 ff.; M. Ronellenfitsch, NVwZ 2006, S. 385 f. 288 D. Klippel / M. Otto, Nachhaltigkeit und Begriffsgeschichte, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 39; P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1176). 289 Der Ökonom Hans-Carl von Carlowitz schrieb in seinem 1713 veröffentlichten Werk „Sylvicultura Oeconomica“ eine Baumzucht erfordere (im Sinne einer die Wälder für spätere Generationen in Stand zu haltenden Baumzucht), „dass es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe“; vgl. ausführlich zur weiteren geschichtlichen Entwicklung des Begriffs der „Nachhaltigkeit“ D. Klippel / M. Otto, Nachhaltigkeit und Begriffsgeschichte, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 39 (44 ff.). 290 Übersetzt: „andauernder Ertrag“. 291 A. B. Recknagel / J. Bentley, Forest Management, S. 124. 292 Übersetzt: „nachhaltige Entwicklung“. 293 D. Klippel / M. Otto, Nachhaltigkeit und Begriffsgeschichte, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 39 (55). 294 Diese inoffizielle Bezeichnung ist auf den Namen des damaligen Vorsitzenden der Kommission Gro Harlem Brundtland, welcher zuvor norwegischer Ministerpräsident war, zurückzuführen.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Bericht Our common Future, in dem die Vorstellung des sustainable development zum ersten Mal in das Zentrum einer globalen Umweltpolitik gestellt wurde. 295 Durch den Erfolg des Kommissionsberichtes erschien die Idee der nachhaltigen Entwicklung nicht nur in der von der Rio-Konferenz 1992 beschlossenen „Rio-Deklaration“ und der „Agenda 21“, sondern wurde auch weltweit – in Anwendung auf die unterschiedlichsten Politikbereiche –, rezipiert. Doch was hat man konkret unter den Begriffen der „Nachhaltigen Entwicklung“ bzw. dem der „Nachhaltigkeit“ zu verstehen? Um den z.T. unterschiedlichen Begriffsinhalten Rechnung zu tragen sollte im deutschen Recht zukünftig eine klare begriffliche Zuordnung vollzogen werden. Es kann einerseits eine vage Formel für bestandsbewahrende Entwicklungen in unterschiedlichen Bereichen gemeint sein; es kann aber auch, wenn man die intergenerationelle und globale Dimension betont, in den einzelnen Politikbereichen über die Normengebung im Wege der Verrechtlichung einigermaßen konkrete Aussagen hervorbringen. Für eine konkrete Bestimmung der Begriffe wird daher im Folgenden zwischen dem mehr-dimensionalen, weiten Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ (Nachhaltigkeit im weiten Sinn) und einem ein-dimensionalen Begriff der „Nachhaltigkeit“ (Nachhaltigkeit im engen Sinne) mit seinen spezifische Ausprägung differenziert. 296 aa) Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ Eine genaue Definition des Begriffs der „Nachhaltigen Entwicklung“ findet sich in den völkerrechtlichen Dokumenten nicht. Die Brundtland-Kommission definierte den Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ in ihrem 1987 vorgelegten Bericht, als „eine dauerhafte Entwicklung, welche die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt, ohne künftige Generationen der Fähigkeit zu berauben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“. 297
Dieser wie auch andere Definitionsansätze zum Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ (Nachhaltigkeit im weiten Sinn) zeichnen sich dadurch aus, dass sie für die konkrete Rechtsanwendung kaum Rückschlüsse zulassen. Der normative Gehalt dieses auf völker-, europarechtlicher und nationalstaatlicher Ebene in der Praxis bedeutender werdenden Grundsatzes bleibt weitgehend unklar. Bisher sind dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ keine abschließenden Lösungen für die dahinter liegenden komplexen Abwägungs- und Entscheidungspro295
Vgl. World Commission on Environment and Development, Our Common Future. Ähnlich schon die noch etwas zaghafte Einteilung bei W. Kahl, Einleitung – Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 (6 ff.) und die Forderung von P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1176). 297 Vgl. World Commission on Environment and Development, Our Common Future, S. 43; Übersetzung entnommen aus V. Hauff, Unsere gemeinsame Zukunft, S. 46. 296
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bleme zu entnehmen. Es sind auch keine subjektiven Rechte des Einzelnen aus dem Begriff der Nachhaltigkeit ableitbar. Er ist vielmehr ein politisches Leitbild, welches sich auf den verschiedenen Rechtsebenen in unterschiedlicher Intensität und Verbindlichkeit wieder findet. Die mit dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ verbundenen Definitions- und Auslegungsschwierigkeiten beruhen zu einem Großteil auf den teilweise gegensätzlichen Ansichten der Staaten auf der nördlichen und der südlichen Hemisphäre, die eine präzise Bestimmung auf internationaler Ebene bisher nicht möglich gemacht hat. 298 Nähert man sich dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“, dann lässt sich zunächst feststellen, dass dieser aufgrund seiner inhaltlichen Verknüpfung mit den Begriffen „Gerechtigkeit“ und „Verantwortung“ als abstrakter, offener und flexibler Rechtsbegriff unscharf ist und der Ausfüllung im interdisziplinären Diskurs bedarf. 299 Bei der inhaltlichen Präzisierung des Nachhaltigkeitsbegriffs sind rechtsfremde Elemente wie z. B. der Ethik, der Naturwissenschaften und der Ökonomie mit zu berücksichtigen. Weiterhin beinhaltet der Begriff der Nachhaltigkeit eine räumliche Komponente. 300 Die Fokussierung auf ökologische und entwicklungspolitische Probleme bringt es in vielen Bereichen mit sich, dass sie nicht nur innerhalb der Grenzen eines Staates ein Regelungsbedürfnis erkennen lässt. Das Klima, der Umgang mit knappen Ressourcen oder die Verschuldungsproblematik sind in vielen Fällen nicht mehr an bestimmte Territorien gebunden, sondern haben grenzübergreifende bzw. zunehmend globale Bedeutung. Räumlich betrachtet zeichnet sich der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ somit durch eine vom Nationalstaat losgelöste räumliche Entgrenzung mit teilweise globalem Charakter aus. Betrachtet man die gegenwärtig immer noch maßgebliche Definition der Brundtland-Kommission, dann wird ein weiteres Charakteristikum des Nachhaltigkeitskonzepts erkennbar. Nach dem Wortlaut beinhaltet die Begriffsdefinition ferner ein zeitliches Element, indem hier hervorgehoben wird, dass eine „Nachhaltige Entwicklung“ eine dauerhafte Entwicklung ist, bei der die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation und der nachfolgenden Generationen Berücksichtigung finden sollen. 301 Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist somit zeitlich nicht begrenzt, sondern bezieht auch alle künftigen Generationen in die Betrachtung mit ein. Die hier angesprochene Frage der sog. „Generationengerechtigkeit“ ist somit eine wichtige Komponente des Begriffs der „Nachhaltigen Entwicklung“. Unter dem Terminus der „Generationengerechtigkeit“ versteht man grundsätzlich einen Idealzustand, in dem es gesichert ist, dass 298
A. Epiney, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20a Rn. 100. W. Kahl, Einleitung – Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 (24 f.). 300 F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, S. 26; A. Epiney / M. Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts, S. 65 f. 301 W. Kahl, Einleitung – Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 (25 ff.); P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1174 f.). 299
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
die nächste Generation sich ihre Bedürfnisse mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen kann wie ihre Vorgänger-Generation. Handlungen und Unterlassungen der gegenwärtig Handelnden, die eine Belastung zukünftiger Generationen darstellen, sollten daher nach dieser (politischen) Zielvorgabe unterbleiben. Bei dem Begriff der „Generationengerechtigkeit“ ist zwischen einer temporalen Gerechtigkeit, d. h. der Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Generationen und einer intertemporalen Generationengerechtigkeit zu unterscheiden, welche eine Relation zwischen den lebenden Generationen und den zukünftigen (noch nicht geborenen) Generationen herstellt. 302 Die als Teilaspekt der „Nachhaltigen Entwicklung“ anvisierte Erfüllung der Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation beinhaltet ein wirtschaftliches und ein soziales Element. Maßgabe ist hierbei zum einen die Erkenntnis, dass die Bedürfnisse der Menschen nur durch wirtschaftliche Entwicklung zufrieden gestellt werden können. 303 Dies erfordert somit die Nutzung der natürlichen Ressourcen zur Sicherung des Lebens. Die soziale Komponente des Konzepts der „Nachhaltigen Entwicklung“ erschließt sich über das wirtschaftliche Element. Da es nicht überall, wo Menschen leben eine Umgebung gibt, in der sie ihre ökonomischen Grundbedürfnisse (z. B. Nahrung, Gesundheitsversorgung etc.) befriedigen können bzw. ihre soziale Situation dies nicht zulässt, muss der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ auch ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit umfassen. 304 Erweitert wird der Inhalt des aus der internationalen Umwelt- und Entwicklungspolitik entstandenen Konzepts der „Nachhaltigen Entwicklung“ durch ein in den zu beachtenden Bedürfnissen der nachfolgenden Generationen zum Ausdruck kommendes ökologisches Grundelement. Demnach müssen auch für zukünftige Generationen genügend Ressourcen zur Gewährleistung deren Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehen. Dies setzt notwendigerweise den Erhalt einer entsprechend intakten Umwelt voraus, die nicht zerstört wird und ausreichend Rohstoffe bereithält. Der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ beinhaltet im Ergebnis ökonomische, soziale und ökologische Elemente, die als Entwicklungsstränge zusammenwirken. Zum Teil zielen sie in ein und dieselbe Richtung; sie können aber auch kollidieren. Diese drei, nach überwiegender Auffassung gleichwertig nebeneinander stehenden Komponenten des Begriffs der „Nachhaltigen Entwicklung“ sollen als Leitbild für die Entscheidungen über die Weiterentwicklung der Menschen (und der Staaten) stets in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden (sog. „Drei-SäulenKonzept“). 305 Dieses Modell verkennt jedoch, dass die hinter dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ stehende Idee einer dauerhaft und global lebenswerten Welt 302 F. Ekardt, Einleitung – Inwiefern sind Politik, Recht und Lebensstil im Okzident oft nicht nachhaltig?, in: F. Ekardt, Generationengerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit, S. 7 (11 f.). 303 P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1174 f.). 304 E. Rehbinder, NVwZ 2002, S. 657; P. Sieben, Der Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung und Bodenschutz, S. 6.
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sich nicht auf eine bloße Abwägung zwischen diesen drei scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stehenden Elementen reduzieren lässt. 306 Schon die begriffliche Unterscheidung zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Elementen fällt wegen vorhandener Überschneidungen schwer, so dass sich eine Zielkonvergenz oftmals nicht herstellen lässt. Wenn man diese drei Kernbereiche dennoch als Abwägungshilfe zur Ermittlung eines Ergebnisses für eine „Nachhaltige Entwicklung“ verwenden will, dann muss zumindest die Wertung der drei Teilaspekte untereinander neu gewichtet werden. Die Ökologie muss in einer Abwägung höher als die ökonomischen und sozialen Aspekte gewichtet werden. Die Biosphäre ist aufgrund der faktischen Begrenztheit der natürlichen Rohstoffe das Fundament in einem Abwägungsmodell zur Ermittlung des Inhaltes „Nachhaltiger Entwicklung“. 307 Ohne das ökologische Element könnte man die anderen beiden Aspekte überhaupt nicht in eine Abwägung einbeziehen, da die Menschheit nicht existent wäre. Auf diesem Fundament aufbauend, stehen die ökonomischen und sozialen Aspekte als gleichberechtigte Säulen nebeneinander. Betrachtet man die einzelnen Ebenen des Rechts, dann ist zu erkennen, dass das Konzept der „Nachhaltigen Entwicklung“ im nationalen, europäischen und internationalen Recht unterschiedlich stark verankert ist. Im nationalen Recht findet es sich bisher nicht wieder. Vor allem lässt der Grundsatz der „Nachhaltigen Entwicklung“ sich nicht in Art. 20a GG verorten, der ausschließlich für den Umweltschutz gilt. 308 Gesetzesinitiativen ihn als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz zu integrieren, blieben bisher erfolglos. 309 Im Gegensatz zum nationalen Recht ist der Grundsatz im Recht der EU und im Recht der europäischen Gemeinschaften als allgemeiner Rechtsgrundsatz verankert. 310 Der Grundsatz der „Nachhaltigen Entwicklung“ ist im Europarecht normiert im 8. Erwägungsgrund der Präambel zum EUV, in Art. 2 Abs. 1 lit. 1 EUV, Art. 2 EGV, Art. 6 EGV und Art. 177 Abs. 1 lit. 1 EGV. Im Völkerrecht findet sich der Grundsatz der „Nach305 I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, S. 17; W. Frenz, Europäisches Umweltrecht, S. 2; A. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, S. 44 ff.; W. Kahl, Einleitung – Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 (8 f.); H. Rogall, Akteure der nachhaltigen Entwicklung, S. 26 f. 306 Zu Recht kritisch F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, S. 27; F. Ekardt / C. Richter, ZfU 2006, S. 545 (548). 307 Insoweit überzeugend G. Winter, A Fundament and Two Pillars – The Concept of Sustainable Development 20 Years after the Brundtland Report, in: H. C. Bugge / C. Voigt, Sustainable Development in International and National Law, S. 25 (27 f.). 308 H.-J. Menzel, ZRP 2001, S. 221 (225); D. Murswiek, in: M. Sachs, GGK, Art. 20a Rn. 36 ff.; H. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 20a Rn. 35 ff.; a. A. W. Frenz, UTR 49 (1999), S. 37 ff. 309 Vgl. BT-Drs. 16/3399. 310 P. Häberle, Nachhaltigkeit und Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 180 (198); W. Frenz / H. Unnerstall, Nachhaltige Entwicklung im Europarecht, S. 153 ff.
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haltigen Entwicklung“ in verschiedenen internationalen Dokumenten (z. B. im Kyoto-Protokoll, UN-Seerechtsübereinkommen etc.) wieder. 311 Er ist bisher nicht als allgemeiner völkerrechtlicher Rechtsgrundsatz und auch nicht als Gewohnheitsrecht anerkannt. 312 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ für die Rechtsanwendung aufgrund seiner inhaltlichen Reichweite nur bedingt zu gebrauchen ist. Er ist ein politisch geprägtes Leitbild, welches grundsätzlich nicht zur Subsumtion im Einzelfall taugt. bb) Begriff der „Nachhaltigkeit“ Das Konzept der Nachhaltigkeit muss daher für die Rechtsanwendung im Einzelfall konkretisiert werden. Unter dem Begriff der „Nachhaltigkeit“ (Nachhaltigkeit im engen Sinn) ist ein ressourcenbezogener, eindimensionaler Begriff in seiner jeweiligen Ausprägung zu verstehen, der von dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ zu unterscheiden ist. 313 Beide Begriffe ergänzen sich und kommen nebeneinander zur Anwendung. Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ bringt, auch wenn man die intergenerationelle und globale Dimension betont, einigermaßen konkrete rechtliche Aussagen hervor. Speziell wenn dieses Verständnis von Nachhaltigkeit grundrechtliche Formen annimmt (etwa bei einem vermehrt in der Lehre vertretenen Grundrechtsschutz zugunsten künftiger Generationen in ressourcenbezogenen Konstellationen 314), ist sie schon eine ziemlich konkrete juristische Aussage. Im Haushaltsrecht hat man es bei der Herleitung etwas schwerer, weil es eben nur um objektive Rechtssätze geht. Ursprünglich entstammt das Nachhaltigkeitsprinzip, wie bereits aufgezeigt wurde, aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts; es fand sich aber wenig später auch in anderen Ausformungen z. B. im Bereich der Ökonomie wieder. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist somit grundsätzlich ein Umweltrechtsprinzip, kann aber auch in anderen Rechtsbereichen in einer spezifischen Ausprägung zur Anwendung kommen. Für die in dieser Arbeit im nächsten Abschnitt thematisierte, 311 K. F. Gärditz, Nachhaltigkeit und Völkerrecht, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 137 (144 ff.). 312 Vgl. Einschätzung bzgl. Völkergewohnheitsrecht u. a. auch U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, Rn. 37; M. Herdegen, Internationales Wirtschafterecht, § 7 Rn. 9; M. Kloepfer, Umweltrecht, § 9 Rn. 35; a. A. C. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 143 f.; H. Hohmann, NVwZ 1993, S. 311 (318). 313 So A. Epiney, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 20a Rn. 100; W. Kahl, Einleitung – Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 1 (16 ff.); E. Rehbinder, NVwZ 2002, S. 657 (658 ff.); P. Sieben, NVwZ 2003, S. 1173 (1176). 314 Vgl. F. Ekardt, Wird die Demokratie ungerecht?, S. 78 ff.; grundlegend auch H. Unnerstall, Rechte zukünftiger Generationen.
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relevante Relation einer eindimensionalen, ökonomischen Ausprägung des Begriffs „Nachhaltigkeit“ zur Staatsverschuldung lohnt es sich zunächst, einen Blick auf das Fundament der ökologischen Perspektive der Nachhaltigkeit zu werfen. Zur Konkretisierung einer ökologischen Nachhaltigkeitsdimension sind einige Grundregeln zum Umgang mit den vorhandenen Ressourcen aufgestellt worden: 315 – Erneuerbare Rohstoffe dürfen maximal nur in Höhe ihrer Nachwuchsrate genutzt werden. – Nicht erneuerbare Rohstoffe müssen sparsam eingesetzt werden, damit auch künftige Generationen die Möglichkeit haben auf sie bzw. zumindest auf ein gleichwertiges Substitut zurückzugreifen können. – Eingriffe in die Natur sind grundsätzlich zu vermeiden. Sollte es doch zu Eingriffen kommen, so sind diese zu kompensieren bzw. zu restituieren. – Gefahren durch schädigende Stoffeinträge sind zu vermeiden. Sie dürfen die Absorptionsfähigkeit der Umweltmedien nicht überschreiten und müssen an die natürlichen Prozesse zeitlich angeglichen sein.
Aus diesen Grundregeln der ökologischen Nachhaltigkeit lassen sich generelle (auch auf die Staatsschuldenproblematik bezogenen) Rückschlüsse für den Begriff der „Nachhaltigkeit“ ziehen. Im Sinne eines globalen Nachhaltigkeitsprinzips müssen mittels demokratischer Entscheidungsprozesse Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Der Konsum und die Produktion müssen ferner auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden und an die natürlichen Prozesse möglichst angepasst werden. b) Nachhaltigkeit und Reform des Staatsschuldenrechts Die stetig anwachsende Staatsverschuldung und die damit grundsätzlich einhergehenden Belastungen für künftige Generationen verknüpft das Staatsschuldenrecht gezwungenermaßen sehr eng mit der Nachhaltigkeitsthematik. Der gegenwärtige Schuldenstand der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften von über 1,5 Billionen € schränkt deren finanziellen Handlungsspielraum schon jetzt erheblich ein. Der faktisch in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegene Schuldensockel führt zu einer permanent steigenden Zinsbelastung, welche die Investitionsausgaben des Staates inzwischen übersteigt. Selbst in Phasen des konjunkturellen Aufschwungs ist die Lage des Staatshaushalts prekär, da der Bund und der überwiegende Teil der Länder keine ausgeglichenen Haushalte aufstellen können. Die dramatische Situation der öffentlichen Haushalte veranlasste das BVerfG daher jüngst zu folgender Feststellung: „Die Schuldenpolitik ist inzwischen nicht nur zu einer Konjunkturbremse geworden, sondern verringert auch die praktischen Möglichkeiten, dem Sozialstaatsprinzip durch 315
Vgl. F. Ekardt, Das Prinzip Nachhaltigkeit, S. 29.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
ausgleichende, vorsorgende und fördernde Maßnahmen zu entsprechen. Die Belastung künftiger Generationen ist längst eingetreten, weil die Gegenwart bereits erheblich unter den Kreditaufnahmen aus der Zeit seit etwa 1970 leidet, die gemessen am Zweck einer Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sich in der Bilanz mit den negativen Wirkungen der Staatsverschuldung als weitgehend nutzlos erwiesen haben.“ 316
Obwohl die Zahlen eine deutliche Sprache sprechen, wurde in der Theorie die Annahme, dass die Staatsverschuldung die Finanzierungslasten in die Zukunft verschiebt u. a. mit dem Argument bestritten, dass in einer Volkswirtschaft die volkswirtschaftlichen Ressourcen nur einmal beansprucht werden können und es somit nur zu einer Lastenverschiebung innerhalb einer Generation kommt. 317 Obgleich die exakte Bestimmung der Höhe der Effekte durch Lastenverschiebung nur schwer möglich ist, gilt es inzwischen als erwiesen, dass die Staatsverschuldung – unter der Voraussetzung, das innerhalb eines Haushaltsjahres der Zinssatz höher ist als das Wirtschaftswachstum –, den finanziellen Handlungsspielraum einschränkt und somit Investitionen zurückgedrängt werden. 318 Die Staatsverschuldung wird daher überwiegend als ein Problem der Nachhaltigkeit bzw. der von ihr umfassten Generationengerechtigkeit angesehen. 319 Versteht man unter Generationengerechtigkeit – als Kernelement der Nachhaltigkeit – ein „ausgeglichenes Transferverhältnis zwischen verschiedenen Generationen“ 320, dann muss eine Definition einer „generationengerechten Haushalts316
BVerfGE 119, 96 (173). In der Volkswirtschaftslehre ist die Lastenverschiebungsthese durchaus umstritten, vgl. Darstellung der Kontroverse bei W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 161 ff.; grundlegend die Lastenverschiebungsthese stützend H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, S. 36; J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 284 ff. 318 Sog. „Crowding-out“-Effekt der Staatsverschuldung, der nach Ansicht der Vertreter der monetarischen Schule das Potential hat die konjunkturpolitischen, keynsianischen Absichten zusätzlicher Staatsausgaben in Zeiten von Finanzkrisen („deficit spending“) in das Gegenteil zu verkehren; vgl. hierzu grundlegend M. Friedman, The Counter-Revolution in Monetary Theory. Die Vertreter der Angebotstheorie verweisen ferner darauf hin, dass hohe Arbeitslosigkeit und eine schwache Gesamtwirtschaft kosten- und strukturbedingte Gründe hat, die allein durch eine antizyklische Finanzpolitik nicht behoben werden können, vgl. BVerfGE 79, 311 (339 f.); Sondervotum der Richter Udo di Fabio und Rudolf Mellinghoff 119, 96 (155 ff.); noch weitreichender B. Jochimsen, DÖV 2004, S. 511 (514); insoweit kritisch (d. h. abweichend von der Mehrheit der Sachverständigen) Peter Bofinger in: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2005/06, S. 209 ff.; im Ergebnis kann die Rechtswissenschaft die Frage, inwieweit bestimmte ökonomische Aussagen wirklich empirisch belegt sind bzw. von bestimmten Vorannahmen getragen werden, jedoch nicht abschließend beurteilen. 319 BVerfGE 79, 311 (354 f.); H. Pünder, in: HdbStR V, § 123 Rn. 69 ff.; A. Glaser, DÖV 2007, S. 98 (99 f.); M. Möstl, Nachhaltigkeit und Haushaltsrecht, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 569 (575 f.); relativierend W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 170 f. 317
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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politik“ vorgeben, dass gegenwärtige Entscheidungen nicht dazu führen dürfen, dass die nachrückenden 321 und zukünftigen 322 Generationen ihre Bedürfnisse nicht mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen können wie die jetzt Handelnden. Die Freiheitsrechte und die damit verbundenen Handlungsspielräume der folgenden Generationen dürfen durch die gegenwärtige Finanzpolitik nicht uneingeschränkt verkürzt werden. Es muss das Ziel einer verantwortungsvollen Haushaltswirtschaft sein, die Verschuldung für die Zukunft zurückzuführen, um die Handlungsspielräume künftiger Generationen ggf. sogar wieder zu erweitern. Der Staatshaushalt bildet den ausgabenrelevanten Ausgleich ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte in weiten Teilen in den unterschiedlichen Haushaltstiteln wieder. Über die Rechtsetzung auf Verfassungsebene sind ausschließlich das Ausgleichsverfahren für die Abwägung der einzelnen Belange zu konkretisieren sowie die einzelnen Zielbestimmungen zu formulieren. In Art. 20a GG findet sich die Formulierung der „Verantwortung für die künftigen Generationen“. Diese qualitativ als Staatszielbestimmung einzuordnende Norm verpflichtet den Staat vor allem zur Durchführung von Vorsorgemaßnahmen, durch die potentielle Umweltschäden möglichst vor ihrer Entstehung erkannt werden sollen. In den Bundestag wurde Ende 2006 gemeinsam von mehreren Parteien ein entsprechender Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes eingebracht, mit welchem die Generationengerechtigkeit in einem neuen Art. 20b GG aufgenommen werden soll („Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftigen Generationen zu schützen.“). 323 Die konkrete Abwägung im Einzelfall obliegt den drei Staatsgewalten, wobei insbesondere dem einfachen Gesetzgeber eine hervorgehobene Rolle zukommt. Im Bereich des Haushaltswesens ist das Verfahren der Haushaltsaufstellung nach Art. 110 GG und §§ 28 ff. BHO sowie die vergleichbaren Regeln für die jeweiligen Landeshaushalte ein wichtiges Beispiel für den Ausgleich der sich im Konzept der nachhaltigen Entwicklung wieder findenden Interessen. Der Gedanke der Nachhaltigkeit (im engen Sinn) beinhaltet den Versuch der Bewahrung und des schonenden Umgangs mit ganz bestimmten Ressourcen. Neben der – wie aufgezeigt – ursprünglichen Anwendung im ökologischen Sektor lässt sich der Begriff der „Nachhaltigkeit“ somit auch im Zusammenhang mit dem Problem der Staatsverschuldung anwenden. 324 Er zielt insoweit auf die dauerhafte Gewährleistung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates. 320
Vgl. M. Schuler-Harms, DVBl. 2008, S. 1090 (1092). Als „nachrückende Generationen“ bezeichnet man die noch nicht geborenen Generationen und die zum Betrachtungszeitpunkt schon lebenden Kinder und Jugendlichen. 322 Als „zukünftige Generationen“ werden die im Betrachtungszeitpunkt noch nicht geborener Generationen bezeichnet. 323 Vgl. BT. Drs. 16/3399. 324 A. Glaser, Nachhaltige Entwicklung und Demokratie, S. 64 ff.; M. Möstl, Nachhaltigkeit und Haushaltsrecht, in: W. Kahl, Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, S. 569 (574). 321
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Fraglich ist jedoch mit welchen Indikatoren sich ermitteln lässt, ob der Haushalt einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft finanziell nachhaltig ist. Der momentane Stand der Gesamtverschuldung von über 1,5 Billionen € ist für sich genommen noch kein Indikator für fehlende finanzielle Nachhaltigkeit. Bei der Auswahl der Indikatoren muss berücksichtigt werden, ob eine mögliche Benachteiligung nachrückender oder zukünftiger Generationen geprüft werden soll. Als Indikatoren für eine Prüfung potentieller Belastungen nachrückender Generationen bieten sich die für die Ermittlung von Haushaltnotlagen herangezogenen Beurteilungskriterien an. Eine Beeinträchtigung ihrer Rechte liegt insbesondere vor, wenn der Ausgabenanteil der Staatseinnahmen für die Sozialausgaben und der explizite Schuldendienst, die zwei größten Einzelposten zumindest im Haushalt des Bundes, beständig ansteigen. Zu messen sind daher der Zinsenanteil an den Gesamtausgaben und die Höhe der Sozialausgaben, gemessen an den gesamten Ausgaben in einem Haushaltsjahr. Weitere geeignete Indikatoren sind die Schuldenstandsquote, der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP, die Kreditfinanzierungsquote, die Zins-Steuer-Quote und der Primärsaldo (Primärüberschuss- bzw. Primärdefizitbetrachtung). 325 Für die Bemessung der Nachhaltigkeit in Bezug auf zukünftige Generationen wird zusätzlich das Instrument der Generationenbilanz herangezogen. 326 Auch nach der Feststellung, dass der Begriff der „Nachhaltigkeit“ eine staatsschuldenrechtliche Dimension hat, gilt es zunächst festzustellen, dass Staatsverschuldung nicht immer etwas „Schlechtes“ ist. Die Finanzierung produktiver Investitionen durch die Aufnahme von Krediten kann ökonomisch zweckmäßig sein. Staatsschuldverschreibungen sind sichere Anlagen im Finanzsystem. In Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur kann eine kreditfinanzierte Fiskalpolitik grundsätzlich die Nachfrage steigern. Problematisch wird es nur, wenn die Finanzmärkte nicht mehr von der Solidität der Staatsfinanzen überzeugt sind. Dann steigen die Risikoprämien und mit ihnen die Finanzierungslasten der Staatsschuld. Betrachtet man konkret die Kreditaufnahmeregelung des Art. 115 GG Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG – welche sich in z.T. leichten Abwandelungen auch in den Landesverfassungen wieder findet – unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit, dann lässt sich feststellen, dass die Bindung der Aufnahme von Krediten an die Höhe zukunftsbegünstigender Investitionen grundsätzlich einer nachhaltigkeitsgerechten Staatsverschuldung nicht entgegen steht, da diese Zweckbindung in der Theorie als Ausgleich einen der Verschuldung entsprechenden Mehrwert für die Zukunft schafft. Selbst die Möglichkeit der außerordentlichen Kreditaufnahme beim Vorliegen einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“, wie z. B. in Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG vorgesehen, entspricht auf den ers325
Vgl. zu einigen der genannten Indikatoren Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)ee)β)(2)(a). Zu den Vor- und Nachteilen der Generationenbilanz u. a. ausführlich Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, „Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik – Konzepte für eine langfristige Orientierung der Haushalte“. 326
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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ten Blick dem Nachhaltigkeitsprinzip. Wie in § 1 StabG hierzu näher ausgeführt wird, haben der Bund und die Länder bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen „die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“
Die Ausnahme der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ beinhaltet eine Abwägung zumindest sozialer und wirtschaftlicher Aspekte, die aufgrund der festgestellten Begriffsoffenheit auch um ökologische Aspekte erweitert werden kann. 327 Insoweit stimmt sie mit dem Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ nahezu überein. Trotz der scheinbar vorhandenen Vereinbarkeit der zentralen Kreditaufnahmeregelung mit dem Nachhaltigkeitsprinzip ist das Staatsschuldenrecht gegenwärtig nicht nachhaltigkeitsgerecht. Die explizite Gesamtverschuldung des Staates von über 1,5 Billionen € hat ihre Ursache in der jetzigen Rechtslage und ist aufgrund der faktischen Höhe des Schuldensockels, der die nachrückenden und zukünftigen Generationen massiv in ihrem Handeln beschränken wird, nicht mehr mit dem Nachhaltigkeitsgedanken vereinbar. Im Staatsschuldenrecht befand sich vor der Föderalismusreform II kein schlüssiges Konzept, nach welchem die in Art. 109 Abs. 2 GG verankerte Verpflichtung zur Rückführung von Schulden in konjunkturellen Aufschwungphasen wirksam überwacht und durchgesetzt werden konnte. 328 Ferner sind auch der Investitionsbegriff des Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG und der Begriff der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ in Art. 115 Abs. 1 S. 2 2. Hs. GG nicht in dem Maß konsistent gewesen, wie sie einem zunächst erschienen. Abstrakt beurteilt, entspricht die Bindung der Neuverschuldung über Kredite an Investitionen in die Zukunft dem Nachhaltigkeitsgedanken. In der Staatspraxis werden unter Investitionen nach einfachgesetzlicher Definition aber bisher Bruttoinvestitionen verstanden, Wertverluste bei Investitionsgütern nicht berücksichtigt und Einnahmen aus (einmaliger) Veräußerung staatlichen Vermögens weitgehend nicht vom Investitionsvolumen abgezogen, wenn sie im Anschluss lediglich der Finanzierung des Haushaltes dienen. Das Dilemma ist, dass der Investitionsbegriff trotz fehlender Definition im Verfassungsrecht im Staatsschuldenrecht vor der Föderalismusreform II den zentralen Maßstab für die Verschuldungsmöglichkeit bildete. 329 Das Konzept, Staatsschulden als Äquivalent von Zukunftsinvestitionen zu definieren, hat den 327 Zur Entwicklungsoffenheit des Begriffs des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ BVerfGE 79, 311 (336 ff.). 328 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (449); H. Pünder, DVBl. 2008, S. 946 (948). 329 Vgl. BVerfGE 79, 331 (334).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Anstieg der Staatsverschuldung nicht verhindern können. Die demographische Entwicklung deutet auf eine sinkende Einwohnerzahl in Deutschland hin, was den Pro-Kopf-Anteil an der von früheren Generationen ererbten Staatsverschuldung zusätzlich steigern wird. Ähnlich verhält es sich bei der Ausnahme der „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Wann die Möglichkeit einer Kreditaufnahme zur Abwehr einer „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ vorliegt, ist ebenso wie die maximale Höhe eines ausnahmsweise aufzunehmenden Kredites nach der gegenwärtigen Gesetzeslage schwer zu ermitteln. Im Ergebnis erfordert ein nachhaltigkeitsgerechter Umgang mit der Staatsverschuldung daher die Einführung weitergehender formeller und materieller Absicherungen, mit denen ein zu bestimmendes Verschuldungsniveau garantiert wird, welches nachrückende und zukünftige Generationen nicht in ihrer Entwicklung einschränkt. Die nachrückenden und zukünftigen Generationen müssen im Sinne eines ausgeglichenes Transferverhältnisses zwischen den verschiedenen Generationen durch eine Reform des Staatsschuldenrechts in eine Lage versetzt werden, in der sie ihre Bedürfnisse finanziell mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen können wie die jetzt Handelnden. Die hier durchgeführten Nachhaltigkeitserwägungen legitimieren die erfolgte zweite Reform des Föderalismus und dienen als Begründung für weitere Reformen des Staatsschuldenrechts. c) Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum Die hier vorgenommen Überlegungen zur deutschen Finanz- und Haushaltsordnung beruhen z.T. auf der Annahme eines stetigen Wirtschaftswachstums. Im Zusammenhang mit den erörterten Nachhaltigkeitserwägungen stellt sich jedoch die Frage, ob es Wachstum auf Dauer überhaupt geben kann? Wie kann es den Kapitalismus (und seinen Rechtsrahmen, also auch seine Finanz- und Haushaltsordnung) langfristig unter der Voraussetzung, dass ein Ende des Wachstums in einer physikalisch endlichen Welt wahrscheinlich ist, geben? 330 Die bisher unter den führenden Wirtschaftsmächten vorherrschende Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung ist u.U. in einer globalisierten Welt nicht dauerhaft fortführbar. 331 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Wirtschaftswachstum in entwickelten Volkswirtschaften nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen bzw. letztendlich zur Vollbeschäftigung führt. Dies hängt 330 Diese Aussage („wahrscheinlich“) steht unter dem Vorbehalt, dass jetzt noch nicht bekannte technische, wirtschaftliche oder kulturelle Entwicklungen die Begrenzung der (bisher) endlichen Ressourcen zukünftig aufheben. 331 Vgl. F. Ekardt, Wird die Demokratie ungerecht?, S. 12 f.; ders., FasS 2005, S. 1 (4 f.); Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland / Brot für die Welt, Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt, S. 109; M. Schmidt, FasS 2005, S. 7 (9).
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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u. a. damit zusammen, dass die Arbeitsproduktivität (bessere Ausbildung der Arbeitenden / immer höherer Technisierungsgrad etc.) stetig steigt. 332 Die Kombination dieser Erkenntnis mit der Feststellung, dass auch die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung nicht einhergehend mit dem Wirtschaftswachstum steigt, relativiert die Erwartungen, die allgemein an den Effekt des Wirtschaftswachstums gestellt werden. Realistisch betrachtet, müssen die kommenden Generationen in Deutschland vor dem Hintergrund der prognostizierten demographischen Entwicklung mit einem kontinuierlich rückläufigen Wachstum rechnen. Eine nachhaltige Wirtschaftspolitik muss daher mittel- bis langfristig auf ein Wachstum von nachhaltigen Zukunft- und eine Schrumpfung von Risikomärkten setzen. 333
II. Vorgaben für künftige Reformen des Staatsschuldenrechts Zunächst sei angemerkt, dass eine Lösung der Staatsschuldenproblematik nicht ausschließlich durch eine Reform der entsprechenden Rechtsquellen möglich ist. Denkbar sind auch (ergänzende) Ansätze, die mittels Aufklärung das Verhalten der staatlichen Entscheidungsträger dahingehend beeinflussen, dass auch nach geltendem Recht haushaltspolitisch verantwortlich gehandelt wird. Hier soll sich aber auf die rechtliche Perspektive beschränkt werden. Das Bestehen von zahlreichen Schuldenbegrenzungsvorschriften sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ist ein Indiz, dass die Notwendigkeit zur Begrenzung der Staatsverschuldung vom Gesetzgeber gesehen wird. Wie aufgezeigt, haben die Mängel der Schuldenbegrenzungsregelungen zu einem dramatischen Anstieg der Verschuldung von Bund und Ländern geführt. Für zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts bedarf es auch nach der Föderalismusreform II zunächst der Festlegung des rechtlichen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers sowie übergeordneter rechtspolitischer Präferenzen für eine Umgestaltung des Staatsschuldenrechts. 1. Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts Der rechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts ist begrenzt. Geringfügige Einschränkungen ergeben sich zunächst aus dem Europarecht, da dieses in Art. 104 EGV und den sekundär332 Vgl. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland / Brot für die Welt, Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt, S. 109 ff. 333 So auch Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland / Brot für die Welt, Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt, S. 113.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
rechtlichen Konkretisierungen den Mitgliedstaaten relevante haushaltsrechtliche Vorgaben macht. 334 Wie bereits dargestellt, sind die Mitgliedstaaten über Art. 104 EGV verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Für Bundesstaaten gilt ferner, dass die innerstaatlichen Verfahren im Haushaltsrecht die bundesstaatlich organisierten Mitgliedstaaten in die Lage versetzen müssen, ihre sich aus dem Gemeinschaftsvertrag ergebenden Verpflichtungen in diesem Bereich erfüllen zu können. 335 Mit dieser Verpflichtung sind jedoch keine Befugnisse verbunden. Diese stehen ausschließlich dem nationalen Gesetzgeber zu, was in Deutschland dazu geführt hat, dass es bisher keine direkte Bindung der Bundesländer an die Defizitkriterien des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes gibt. Aus dem deutschen Verfassungsrecht ergeben sich ebenfalls nur geringe Einschränkungen für eine Reform des Staatsschuldenrechts. Nach Art. 79 Abs. 3 GG ist der verfassungsändernde Gesetzgeber an das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Bundesstaatsprinzip gebunden. 336 Da grundsätzlich für eine Reform auf die Normen der Haushaltsverfassung und Art. 109 GG abzustellen ist, ergeben sich aus dem Bundesstaats- und dem Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG nur sehr allgemeine Vorgaben für eine Novellierung der Haushaltsordnung. Diese greifen vor allem ein, wenn eine Regelungslücke besteht oder durch Änderungen des Grundgesetzes die Bundesstaatlichkeit in ihrem Kern bedroht ist. Im Bereich des Staatsschuldenrechts ist dies z. B. der Fall, wenn der Bund die Verschuldungsmöglichkeit der Bundesländer im Grundgesetz in einem Ausmaß einschränkt, dass vor dem Hintergrund der kaum vorhandenen Steuerautonomie die Staatlichkeit der Länder wegen einer nicht mehr gewährleisteten aufgabenadäquaten Finanzausstattung bedroht ist. Hingegen sind einfach- oder untergesetzliche Novellierungen der Haushaltsordnung nur an den einschlägigen Regelungen der Haushaltsverfassung von Bund bzw. Ländern zu messen. Im Ergebnis hat der Bundesgesetzgeber mit Ausnahme der Beachtung des Bundesstaats- und Demokratieprinzip gem. Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 GG bei der Gestaltung einer Reform der Haushaltsordnung einen weiten Spielraum. Das Bundesstaatsprinzip steht Reformen des Staatsschuldenrechts erst entgegen, wenn die Möglichkeit der Einnahmebeschaffung der Bundesländer soweit eingeschränkt werden soll, dass deren aufgabenadäquate Finanzausstattung nicht mehr gewährleistet ist. 337 Neben den allgemeinen gesetzgeberischen Anforderungen der Formenklarheit, der Transparenz und Widerspruchsfreiheit sowie
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Vgl. Dritter Teil Kap. B.I.1. Vgl. Art. 3 des Protokolls über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, ABl. EG 1992, Nr. C 191, S. 84 f. 336 Vgl. Erster Teil Kap. C.I. 337 So auch S. Korioth, KritV 2008, S. 187 (198). 335
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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der Gewährleistung der Justitiabilität der Reformregelungen 338 hat der Gesetzgeber für eine Reform des Staatsschuldenrechts vor allem noch rechtspolitische Belange bei der Entscheidungsfindung zu bedenken. 2. Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform Neben diesen allgemeinen Voraussetzungen der Transparenz, der Vollständigkeit und der Widerspruchsfreiheit müssen bei der Neuordnung der Haushaltsordnung auch einige spezifische rechtspolitische Anforderungen berücksichtigt werden. a) Stärkung der Eigenverantwortung Betrachtet man die Möglichkeiten der Kreditaufnahme von Bund und Ländern, dann stellt man fest, dass sie in der Entscheidung über den Umfang der Verschuldung weitgehend autonom sind. Die z.T. im Verfassungsrecht und in der einfachen Gesetzgebung vorhandenen Beschränkungen der Kreditaufnahme haben zu keiner wirksamen Begrenzung der Verschuldung geführt. Bei der Haftung für bestehende Schulden verhält es sich aber anders. Grundsätzlich haften Bund und Länder für ihre Schulden selbst. Nimmt die Verschuldung ein Ausmaß an, bei dem eine Aufgabenerfüllung mit den vorhandenen Finanzmitteln nicht mehr gewährleistet ist, sind die anderen Beteiligten über das Bundesstaatsprinzip zur Hilfe verpflichtet. Bund und Länder bilden somit in letzter Konsequenz eine Haftungsgemeinschaft für die gesamten Staatsschulden. Diese zuvor sehr weitreichende Einstandspflicht der Haftungsgemeinschaft ist erst vor kurzem durch die Rechtsprechung des BVerfG gelockert worden. 339 Wie bereits dargestellt, haben überdurchschnittlich hoch verschuldete Bundesländer in Zukunft nur noch bei Vorliegen eines bundesstaatlichen Notstands Anspruch auf Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung. 340 Die Verschuldungsproblematik wird somit aus dem Finanzausgleich herausgelöst, indem kenntlich gemacht wird, dass der Bund und die einzelnen Bundesländer grundsätzlich für ihre Verschuldung selbst zuständig sind. Diese durch das BVerfG schon vollzogene Stärkung der Eigenverantwortung der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften muss bei zukünftigen Reformbemühungen von der Legislative aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Ziel muss eine von Bund und Ländern einvernehmlich erfolgte Einschränkung der Verschuldungsmöglichkeit und weitere Reduzierung der gemeinschaftlichen 338 339 340
Vgl. hierzu ausführlich I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 194 ff. Vgl. BVerfGE 116, 327 ff. Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)ee).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Haftung auf das im Bundesstaat mögliche Minimum sein. Vor der Stärkung der Eigenverantwortung müssen der Bund und alle Bundesländer aber einmalig z. B. durch eine (teilweise) Entschuldung in eine Haushaltslage versetzt werden, in der sie ihre Aufgabenverpflichtungen grundsätzlich selbstständig und ohne die Aufnahme neuer Schulden aus ihrem Haushalt finanzieren können. b) Weiterentwicklung von Mechanismen zur wirksamen Begrenzung der Staatsverschuldung Die normative Steuerungskraft des Verfassungsrechts hat im Bereich der Staatsverschuldung nicht funktioniert. 341 Die Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme für Bund und Länder sind vor Umsetzung der Föderalismusreform II gemessen an der faktischen Entwicklung der Staatsverschuldung unbefriedigend gewesen. 342 Eine überzeugend aufeinander abgestimmte Schuldenpolitik der beiden Staatsebenen war nicht ersichtlich. Künftige Reformen des Staatsschuldenrechts müssen daher – wie bei der Föderalismusreform II weitgehend erfolgreich praktiziert – ihr Hauptaugenmerk auf die Errichtung wirksamer, aufeinander abgestimmter Schuldenbegrenzungsregeln für Bund und Länder legen. Es gilt für die Zukunft zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen die neu eingeführten materielle Kriterien zulässiger Verschuldung weiter zu entwickeln, um einen dauerhaften Anstieg des Schuldensockels zu verhindern. Entsprechendes gilt für ein begleitendes Präventions- und Überwachungssystem. c) Beachtung der Länderautonomie Bei zukünftigen Reformen des Staatsschuldenrechts muss immer die Wahrung der Länderautonomie mit beachtet werden. Vom Bundesgesetzgeber zu beschließende Verschärfungen zur Schuldenbegrenzung dürfen nicht den bereits beschriebenen rechtlichen Gestaltungsspielraum in Form der Untergewichtung der Länderautonomie überschreiten. Konkret bedeutet dies, dass eine Verschärfung der Schuldenbegrenzungsregeln nicht dazu führen darf, dass ein Land ad hoc handlungsunfähig wird. Regelungen, die eine solche Gefahr in sich bergen, müssen zur Sicherung der Länderautonomie vor deren in Kraft treten kompensiert werden. Insoweit erfordert die Länderautonomie im Bereich des Staatsschuldenrechts, dass Gliedstaaten, die mit verschärfenden Verschuldungsregeln durch den Bundesgesetzgeber konfrontiert werden, vorher eine verbindliche Entschuldungsperspektive aufgezeigt wird.
341 342
S. Korioth, ZG 2007, S. 1 (16); J. Wieland, JZ 2006, S. 751 (752 ff.). Vgl. Dritter Teil Kap. C.I.1.
C. Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts
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d) Beseitigung von Verschuldungsfehlanreizen und Schaffung von Anreizen zum Schuldenabbau Zur Bewältigung bestehender Haushaltskrisen ist die bestehende Verschuldung abzubauen. Eine Novellierung des Staatsschuldenrechts muss hierzu u. a. stärkere Anreize zum Schuldenabbau für Bund und Länder in die Haushaltsordnung integrieren und bestehende Verschuldungsfehlanreize beseitigen. Derzeitig divergieren insbesondere die in Art. 109 Abs. 1 GG angedeutete Autonomie der Länder in der Haushaltspolitik und die Verteilung der Verantwortung für die Verschuldung der Bundesländer miteinander. Überdurchschnittlich hoch verschuldete Länder müssen bei erneuter Kreditaufnahme nur einen Teil der grundsätzlich anfallenden Kosten selbst tragen, da die Beistandspflicht der Haftungsgemeinschaft aus Bund und Ländern beispielsweise zu einer für das betroffene Land verbesserten Bonität und somit niedrigeren Zinsen zu Lasten der Zinskosten der Bund-Länder-Gemeinschaft führt. 343 Ferner werden finanzschwache Länder im Finanzausgleich vor allem durch die Ergänzungsanteile, den Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen immer wieder gestützt. Dies gilt es einzuschränken. Insofern ist die hier bereits geforderte Stärkung der Eigenverantwortung sowohl im Bereich der Haushalts- als auch im Bereich der Finanzordnung zugleich ein wichtiger Anreiz zum Schuldenabbau. Positive Anreize könnten hingegen zum Abbau von Altlasten in das bestehende Recht eingefügt werden. Denkbar wäre eine zweckgebundene Bezuschussung der Entschuldungsbemühungen überdurchschnittlich hoch verschuldeter Länder bei der Schuldentilgung bemessen an dem Eigenbeitrag des jeweiligen Landes.
III. Zwischenergebnis Zeichnet man den Verlauf der Staatsverschuldung der letzten Jahrzehnte nach, dann wird deutlich, dass die Regelungen vor Verabschiedung der Föderalismusreform II im Normenbestand des Bundes und der meisten Länder keine wirksame Begrenzung der Staatsverschuldung darstellten. Die expliziten Schulden von Bund, Ländern und Kommunen betragen inzwischen mehr als 1,5 Billionen €. Die implizite Verschuldung (explizite Verschuldung einschließlich Pensionslasten etc.) ist noch um einiges höher. Diese zu hohe öffentliche Verschuldung hatte ihre unmittelbare Ursache in der Rechtslage vor der Reform im Jahr 2009 und einem zu geringen politischen Widerstand gegenüber der weiteren Neuverschuldung. Ferner sprechen Nachhaltigkeitserwägungen für die Notwendigkeit einer Reform des Staatsschuldenrechts. Ein nachhaltigkeitsgerechter Umgang mit der 343
Vgl. Beispiel für Verschuldungsfehlanreize bei K. Konrad, KrtitV 2008, S. 157 (160 ff.).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Staatsverschuldung erfordert die Einführung weitergehender formeller und materieller Absicherungen, mit denen ein zu bestimmendes Verschuldungsniveau garantiert wird. Nachrückende und zukünftige Generationen dürfen nicht durch die Bindung weiter Teile zu erwartender Einnahmen durch Schuldendienste in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden. Es muss ihnen durch zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts ermöglicht werden, ihre Bedürfnisse finanziell mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen zu können wie die jetzt Handelnden. Eine aus dem Nachhaltigkeitsgrundsatz zu entwickelnde „generationengerechte Haushaltspolitik“ muss Systeme schaffen, die zukünftig verhindern, dass die nachrückenden und zukünftigen Generationen ihre Bedürfnisse aufgrund eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten nicht mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen können wie die jetzt Handelnden. Das Thema der Nachhaltigkeit erfordert eine klare Zuordnung der Begrifflichkeiten. Der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ beinhaltet im Ergebnis eine Abwägung ökonomischer, sozialer und ökologischer Elemente, die als Entwicklungsstränge zusammenwirken. Das sog. „Drei-Säulen-Modell“ verkennt hierbei, dass die hinter dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ stehende Idee einer dauerhaft und global lebenswerten Welt sich nicht auf eine bloße Abwägung zwischen diesen drei scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stehenden Elementen reduzieren lässt. Eine Neugewichtung der drei einbezogenen Elemente, bei der der ökologische Aspekt als Fundament des Modells in den Vordergrund gestellt und die ökonomischen und sozialen Aspekte als gleichberechtigte Säulen nebeneinander darauf aufbauen, ist vorzugswürdig. Neben den für die Rechtsanwendung aufgrund seiner inhaltlichen Reichweite nur bedingt zu gebrauchenden Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ tritt ein selbstständiger, auf die einzelne Ressource bezogener, eindimensionaler Begriff der „Nachhaltigkeit“, welcher auch für die Problematik der Staatsverschuldung herangezogen werden kann. Der rechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts ist eingegrenzt. Einschränkungen ergeben sich zunächst aus dem Europarecht, da dieses in Art. 104 EGV und den sekundärrechtlichen Konkretisierungen den Mitgliedstaaten relevante haushaltsrechtliche Vorgaben macht. Der Bundesgesetzgeber hat bei der Gestaltung einer Reform der Haushaltsordnung einen weiten Spielraum. Einschränkungen können sich nur aus der obligatorischen Beachtung des Bundesstaatsprinzip gem. Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 GG ergeben, wobei dass Bundesstaatsprinzip einer Änderung des Staatsschuldenrechts erst entgegensteht, wenn die Möglichkeit der Einnahmebeschaffung der Bundesländer soweit eingeschränkt werden soll, dass deren aufgabenadäquate Finanzausstattung nicht mehr gewährleistet ist. Unter rechtspolitischen Aspekten müssen zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts insbesondere die Eigenverantwortung der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften stärken, Mechanismen zur wirksamen Begrenzung der Staatsverschuldung unter Beachtung der Länderautonomie bereitstellen und Verschuldungsfehlanreize beseitigen sowie Anreize zum Schuldenabbau schaffen.
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II und Ansätze für zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts Die massive Verschuldung der öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern erforderte aus den dargestellten Gründen eine umfassende Reform der Staatsschuldenregelungen im Bereich der bundesstaatlichen Haushaltsordnung. Es bedurfte und bedarf auch weiterhin der Entwicklung spezifischer Mechanismen, die für gegebene Verschuldungsspielräume den erforderlichen Ausgleich über mehrere Haushaltsjahre sicherstellen. Die Auswahl und Institutionalisierung von Regeln, die hierfür in Betracht kommen und zugleich in zweckmäßiger Weise dem Anreiz zur Verschiebung von Ausgleichslasten auf nachfolgende Legislaturen nachhaltig entgegenwirken, ist eine sehr komplexe Aufgabe. Das geltende Recht ist auch nach der Reform verbesserungsbedürftig. Im Folgenden werden daher die Ergebnisse der Föderalismusreform II im Staatsschuldenrecht in Form der Neuausrichtung der Kreditaufnahmeregeln für Bund und Länder, der Einführung eines begleitenden Systems zur zukünftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte sowie die erfolgte Regelung zur Zahlung von Konsolidierungshilfen unter Bezug auf andere Reformkonzepte dargestellt und kritisch bewertet.
I. Schuldenbegrenzungsregel – Einführung einer neuen Kreditaufnahmeregelung für Bund und Länder Die Bundesregelung des Art. 115 GG und die entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen dienen der Begrenzung der Staatsverschuldung. An diesem Ziel ist der Gesetzgeber der entsprechenden Vorschriften vor Verabschiedung der Föderalismusreform II weitgehend gescheitert. Durch ihre Existenz beweisen sie, dass ein hinter diesen Regelungen liegender volkswirtschaftlicher Lehrsatz richtig sein mag, als Norm aber wenig wirksam ist. Bisher wurde die Staatsverschuldung Deutschlands effektiver über Art. 104 EGV begrenzt als durch die dafür im deutschen Recht vorgesehenen Normen. Bestehende Instrumente zur Beeinflussung des Konjunkturzyklusses wie die im StabG normierte Konjunkturausgleichsrücklage haben versagt bzw. sind nicht konsequent angewendet worden. 344 Aufgrund dieser misslichen Lage hat der Gesetzgeber den Inhalt der Kreditaufnahmeregelung von Bund und Ländern im Wege der Reform im Jahr 2009 neu zu definieren versucht. 344
Vgl. ausführlich zur Konjunkturausgleichsrücklage H. W. Weinzen, DÖV 2008, S. 535 (540 ff.).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
1. Bund a) Reformvorschläge Für eine Reform der Kreditaufnahmeregelung des Bundes in Art. 115 GG kamen im Vorfeld der Föderalismusreform II verschiedene Optionen in Betracht. Die Vorschläge reichten von einem absoluten Verbot der Kreditaufnahme, einer behutsamen Fortentwicklung der bisherigen Regelung, einer Orientierung an den Regelungen des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes bis zu der Adaption von Regelungen anderer Nationalstaaten. aa) Absolutes Verschuldungsverbot Die Einführung eines absoluten Verschuldungsverbotes wäre auf den ersten Blick betrachtet eine besonders eindeutige und effiziente Regelung zur Konsolidierung des Bundhaushaltes. 345 Über ein absolutes Verschuldungsverbot wäre der Bund dazu verpflichtet, seine Ausgaben auf die ihm endgültig zukommenden originären Einnahmen zu begrenzen. 346 Einnahmeausfälle durch konjunkturelle Einbrüche wären ausschließlich durch Einsparungen auf der Ausgabenseite, der Erhöhungen der Einnahmen auf der Abgabenseite oder dem Rückgriff auf Rücklagen bzw. der Umschichtungen vorhandener Finanzmittel auszugleichen. Dennoch ist die Verankerung eines absoluten Neuverschuldungsverbotes für den Bund in naher Zukunft nicht sinnvoll, da die Nachteile des Vorschlages überwiegen. 347 Abgesehen von der mit einer Einführung einer solchen Regelung immer einhergehenden Gefahr einer prozyklischen Finanzpolitik 348 spricht die faktische Verschuldung des Bundes i. H.v. ca. 872,65 Mrd. € (2005) gegen die Normierung eines generellen Verschuldungsverbotes. Vor dem Hintergrund der Finanzierbarkeit der laufenden Ausgaben einschließlich bestehender Tilgungsund Zinsverpflichtungen wird ersichtlich, dass die für eine solche Regelung nötigen Freiräume zur Bildung von Rücklagen für konjunkturelle Abschwünge für den Bund mittel- bis längerfristig nicht geschaffen werden können. 349 Es wäre daher zunächst eine Übergangsregelung erforderlich, um den Schuldenstand zu 345 N. Gumboldt, ZRP 2006, S. 3 (4 f.); L. Schemmel, Staatsverschuldung und öffentliche Investitionen, S. 214. 346 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 459; W. Höfling, Der Staat 46 (2007), S. 163 (176). 347 So auch I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (441); G. Kirchgässner, Kom.-Drs. 27, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 7 f.; S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 6 f.; T. Lenk, Kom.-Drs. 26, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-LänderFinanzbeziehungen, S. 11; P. Struck / I. Deubel, FAZ v. 4. Dezember 2008, S. 8. 348 W. Höfling, Der Staat 46 (2007), S. 163 (176).
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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beseitigen. Aber auch dann wäre ein absolutes Verschuldungsverbot insgesamt zu unflexibel, da es bei unvorhergesehenen Situationen wie z. B. Naturkatastrophen, globalen Finanzkrisen oder bei mittel- bis langfristigen Finanzierungen von Infrastrukturmaßnahmen möglich sein muss, staatliche Aufgaben über Kredite zu finanzieren. bb) Verschärfung des Investitionsbegriffs in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG Eine Begrenzung der Verschuldung könnte auch durch eine engere Auslegung des Investitionsbegriffs in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) erreicht werden. 350 Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Kopplung der Neuverschuldung an einen Investitionsbegriff zweckmäßig ist. Für eine Bindung der Verschuldung an Investitionen sprechen insbesondere Erwägungen zur fiskalischen Nachhaltigkeit und den Aspekten der intergenerativen Gerechtigkeit. Eine im Haushalt über Kredite finanzierte Investition ist fiskalisch nachhaltig, wenn die Investition zusätzliche Steuereinnahmen einbringt, die ausreichen den Kredit und die hierauf anfallenden Zinsen zu tilgen. Angestrebt wird somit eine Konnexität zwischen Einnahmen und Ausgaben, wodurch grundsätzlich verhindert werden würde, dass zukünftige Haushaltsperioden mit den Nachwirkungen vergangener Finanzierungsprobleme belastet werden. 351 Betrachtet man den faktischen Verlauf der Verschuldung des Bund unter der Regelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.), muss man feststellen, dass eine fiskalische Nachhaltigkeit mit einem weiten Verständnis des Investitionsbegriffs nicht gewahrt wurde. Dem auch vom BVerfG aufgegriffenen Motiv der intergenerativen Gerechtigkeit, nach der grundsätzlich jede Generation die Ausgaben für die laufenden Investitionen selbst zu tragen hat, genügte der vor der Föderalismusreform II geltende Investitionsbegriff nicht. Die bisherige Regelung gewährleistete nicht ausreichend, dass Erträge von öffentlichen Investitionen zukünftigen Generationen in Form höherer Wirtschaftskraft zufließen. Dennoch ist es wegen der grundsätzlich richtigen Orientierung an der fiskalischen Nachhaltigkeit und Aspekte der intergenerativen Gerechtigkeit grundsätzlich denkbar, eine sich an Art. 115 Abs. 1 GG (a.F.) orientierende Verschuldungsbegrenzungen mit einigen Modifikationen in das Grundgesetz zu verankern, d. h. die Kreditaufnahme des Bundes insbesondere unter Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nach Art. 109 Abs. 2 GG an die Höhe der in demselben Jahr getätigten Investitionen zu koppeln. Dies gilt auch, 349 Vgl. bzgl. der derzeitigen Höhe der Tilgungs- und Zinsverpflichtungen des Bundes i. H.v. ca. 87 % des Bundeshaushaltsvolumens, C. Gröpl, DV 39 (2006), S. 215 (228 f.). 350 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (451 f.); Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2006/07, S. 309 f.; H. W. Weinzen, DÖV 2008, S. 535 (544). 351 C. Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, S. 457.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
obgleich der Marktwert eines Kapitalguts im öffentlichen Sektor und die daraus resultierenden Steuererträge bzw. die gesellschaftlichen Vorteile aus dieser Investition im Gegensatz zum privaten Sektor in einem schwer messbaren systematischen Zusammenhang stehen. Um einem weiteren Missbrauch der Regelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) vorzubeugen, wäre der Investitionsbegriff enger zu fassen. Die vor der Föderalismusreform II bestehenden Abgrenzungsprobleme an den Randbereichen des rechtlichen Investitionsbegriffs beruhten auf dessen wirtschaftswissenschaftlicher Definition, welche vor allem bzgl. der Begrenzung selbst unter Ökonomen strittig ist. 352 Einige dieser Mängel gründen vor allem darauf, dass in der Staatspraxis unter Investitionen nach einfachgesetzlicher Definition bisher Bruttoinvestitionen verstanden wurden. 353 Eine Beschränkung des verfassungsgesetzlichen Tatbestands auf Nettoinvestitionen wäre nicht nur möglich, sondern vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der bis zum Haushaltsjahr 2010 anzuwendenden Regelung geboten. 354 Hierzu müsste sich einiges bei der Berechnung der Regelkreditgrenze ändern. Bei Art. 115 GG (a.F.) wurden Wertverluste bei Investitionsgütern nicht berücksichtigt. Dies müsste man insbesondere vor dem Hintergrund ändern, dass Ersatzanschaffungen und Werterhaltungsmaßnahmen bisher unverständlicherweise als neue Investitionen gewertet werden, obwohl es durch sie zu keinem Zuwachs im Staatsvermögen kommt. 355 Ebenso wurden Einnahmen aus (einmaliger) Veräußerung staatlichen Vermögens weitgehend nicht vom Investitionsvolumen abgezogen, wenn sie im Anschluss lediglich der Finanzierung des Haushaltes dienten. Wenn jeder Erwerb von Vermögen als Investition zählt, müsste jeder Vermögensverkauf als eine Desinvestition im Gesamtvolumen der Investitionen verbucht werden. 356 Problematisch ist auch die Einbeziehung von Darlehen in die Summe der Ausgaben für Investitionen unabhängig davon, wie sie im Haushaltsvollzug eingesetzt werden. Somit gelten sie auch als Investitionen, wenn sie später für konsumtive Ausgaben eingesetzt werden. 357 Ferner werden Darlehensrückflüsse nicht von der Investition abgesetzt. Darlehen für Investitionszwecke sollten daher zukünftig in einem Haushalt nicht mehr als Investitionsausgabe verbucht werden können. Schließlich ist auch die Behandlung der Inanspruchnahme von Gewährleistungen als Investition kritisch zu betrachten, da unklar ist, welchen Mehrwert sie bewirken. Wegen kaum lösbarer Abgrenzungsprobleme sollte man hingegen 352 O. Gandenberger, FinArch 48 (1990), S. 28 (34); W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 187 f.; T. Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, S. 491. 353 W. Patzig, DÖV 1985, S. 293 (306). 354 BVerfGE 119, 96 (143 f.). 355 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (448 f.); W. Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 192 f. 356 N. Andel, WD 1998, S. 457 ff. 357 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (449); H.-G. Henneke, Öffentliches Finanzwesen, Rn. 581.
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Abstand von dem Vorschlag nehmen, den Investitionsbegriff auf zukunftsbegünstigende Ausgaben, wie Bildungs- und Klimaschutzausgaben auszudehnen. Es wäre ansonsten ein weiteres Einfallstor für eine ausufernde Kreditaufnahme zu befürchten. Im Ergebnis ist die hier dargestellte Verschärfung des Investitionsbegriffs durch eine Eingrenzung ein Schritt in die richtige Richtung, der für sich alleine aber noch nicht als Schuldenbegrenzungsregel des Bundes ausreichen würde. Eine weitere Einschränkung der Ausnahmen in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) wäre nur begrenzt notwendig. Der Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts könnte als Ausnahmeregelung für den Bund zur Kreditaufnahme grundsätzlich bestehen bleiben, wenn er fortan wirklich nur für Rezessionen Geltung hätte. 358 Die Regel ist Ausdruck eines politischen Handlungsspielraums, der gegebenenfalls einfach-gesetzlich weiter präzisiert werden sollte. cc) Einführung einer „Schuldenbremse“ – Adaption der Schweizer Kreditaufnahmegrenze des Bundes Ein weiterer Vorschlag zur Einführung einer neuen Kreditaufnahmeregelung für Bund (und Länder) zur Begrenzung zukünftiger Verschuldung ist die Normierung einer Schuldenbremse. Als eigenständiger Ansatz, der vor allem in der Schweiz zur Anwendung kommt, sieht sie keine Koppelung der Kreditaufnahmemöglichkeit an Investitionen vor. Nach der Durchführung einer Volksabstimmung im Jahr 2001 (zugestimmt haben 85% der Bevölkerung, die an der Abstimmung teilgenommen haben), findet in der Schweiz auf Bundesebene seit dem Jahr 2003 das in Art. 126 BV normierte Konzept der Schuldenbremse Anwendung. Einfachgesetzlich wurde die Regelung in den Art. 13 ff. FHG präzisiert. Volle Anwendung finden die Regelungen aufgrund eines zu spät wahrgenommen konjunkturellen Einbruchs in den Anfangsjahren seit dem Erlass der Verfassungsnorm jedoch erst seit dem Jahr 2007. 359 Die Schuldenbremse hat in ihrer konkreten Ausgestaltung das Ziel strukturelle Ungleichgewichte im Bundeshaushalt zu verhindern. Innerhalb eines mittelfristigen Zeitraums sollen die Ausgaben nicht über den Einnahmen liegen. Durch die einhergehende Stabilisierung der nominellen Bundesschulden wird die Schuldenquote (Schuldenstand in Bezug auf das BIP) schrittweise über die Regulierung des Ausgabeverhaltens des Bundes abgebaut. 360 Durch eine Sta358 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 7. 359 H. W. Weinzen, DÖV 2008, S. 535 (539). 360 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (454); A. Glaser, DÖV 2007, S. 98 (100); C. Müller, Kom.-Drs. 28, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 21.
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bilisierung der Nominalschuld kann ein weiterer Anstieg der Schulden somit verhindert werden. Das „Einfrieren“ der Nominalschuld bewirkt – bei konsequenter Durchführung –, dass die Schuldenquote aufgrund von Teuerung und Wirtschaftswachstum langfristig gegen null sinkt. Die Steuerung der Verschuldung erfolgt über die Ausgaben, die sich längerfristig nach den Einnahmen richten müssen. Das übermäßige Ausgabenwachstum wird für die desolate Lage der Bundesfinanzen verantwortlich gemacht, weshalb der Ausgabensteuerung gegenüber der Einnahmensteuerung ein Vorrang eingeräumt wird. Die Wirkung der Konjunktur auf den Staatshaushalt wird über einen Ausgleichsmechanismus, der konjunkturbedingte Schwankungen der Einnahmen berücksichtigt, mit in das System einbezogen. Im Einzelnen besteht die Schuldenbremse aus drei grundlegenden Elementen: (a) einer Ausgaberegelung unter Einbeziehung der Konjunktur, (b) einer Ausnahmeregelungen und (c) einem Ausgleichskonto. Das Zentrum der Schweizer Schuldenbegrenzungsregel bildet eine Ausgabenregel. Art. 126 Abs. 1 BV verpflichtet den Bund, seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer in ein Gleichgewicht zu bringen. Abs. 2 der Norm legt fest, dass sich der maximale Betrag der zu bewilligenden Haushaltsausgaben unter Einbeziehung der volkswirtschaftlichen Entwicklung nach den prognostizierten Einnahmen richtet. Inhaltlich gibt die Schuldenbremse somit vor, dass über einen bestimmten Zyklus die Höhe der maximalen Ausgaben des Bundes an die Höhe der mit einem Konjunkturfaktor multiplizierten Einnahmen gebunden ist, d. h. der Haushalt ausgeglichen ist. 361 Durch diese Regelung wird gewährleistet, dass über einen Konjunkturzyklus hinweg keine konjunkturbedingten Budgetdefizite entstehen. Der zu errechnende Konjunkturfaktor ist in diesem Modell das kompensierende Element. 362 Er wird aus der Relation von dem bei Vollauslastung der Kapazitäten theoretisch möglichen Produktionspotenzial der Volkswirtschaft und dem realen BIP eines Jahres ermittelt. 363 Der Konjunkturfaktor ist kleiner als 1 (k < 1), wenn die Wirtschaft in einem bestimmten Zeitraum überdurchschnittlich wächst. Die hieraus resultierenden Einnahmen übersteigen dann den vom Parlament festgelegten Ausgabenplafond und es werden Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet. Wenn sich die Volkswirtschaft hingegen in einer rezessiven Phase befindet, ist der Faktor größer als 1 (k > 1). Sind die Produktionskapazitäten nicht ausgelastet, dürfen die Ausgaben die Einnahmen 361 A (max) = E (erw) x k; d. h. maximale Höhe der Ausgaben = erwarteten Einnahmen in dieser Periode x Konjunkturfaktor. 362 Ein Teil der Berechnung des Konjunkturfaktors ist die Bestimmung eines Referenzwertes für die konjunkturelle Normalauslastung (Y (tr)), welcher in diesem Modell mittels eines um eine geringere Gewichtung der BIP-Prognose im Budgetjahr modifizierten Hodrick-Prescott-Filters (sog. MHP-Filter) ermittelt wird; vgl. hierzu C. Müller, Kom.-Drs. 28, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 28 f. 363 k = Y(tr) / Y (erw); d. h. Konjunkturfakor = prognostiziertes Trend-BIP / prognostiziertes reales BIP.
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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übersteigen, wobei die Mehrausgaben über die Aufnahme von Krediten erfolgt. Außerordentliche Einnahmen sind für die Schuldentilgung einzusetzen. Bei außerordentlichem Zahlungsbedarf wie bei Naturkatastrophen oder schwerwiegenden Rezessionen kann der nach Abs. 2 grundsätzlich zulässige Höchstbetrag als Ausnahme gem. Art. 126 Abs. 3 BV angemessen erhöht werden. Für eine Erhöhung des Ausgabenplafonds bedarf es nach Art. 159 Abs. 3 c) BV jeweils der absoluten Mehrheit des National- und des Ständerates. Dieses hohe Erfordernis gilt aber gem. Art. 15 Abs. 2 FHG erst bei einer Abweichung der Ausgaben um mehr als 0,5 % vom zulässigen Plafonds. Überschreiten die in der Staatsrechnung ausgewiesenen Gesamtausgaben den Höchstbetrag nach Art. 126 Abs. 2 oder 3, so sind die Mehrausgaben gem. Abs. 4 der Norm in den Folgejahren zu kompensieren. Um dies zu gewährleisten, wird ein Ausgleichskonto eingeführt, auf dem Defizite und Überschüsse sowie die Abweichungen der tatsächlich realisierten Einnahmen und Ausgaben von im Voranschlag geschätzten Einnahmen und / oder Ausgaben anhand der entsprechenden Buchungen nachvollzogen werden können. Diese Fehlbeträge bzw. Überschüsse auf dem Ausgleichskonto müssen in nachfolgenden Voranschlägen berücksichtigt werden, wobei Fehlbeträge längerfristig gem. Art. 17 Abs. 1 FHG abgebaut werden. Liegt der kumulierte Fehlbetrag des Ausgleichskontos über 6% der Ausgaben des letzten Rechnungsjahres, so muss der über dieser Grenze liegende Fehlbetrag nach Art. 17 Abs. 2 FHG innerhalb von drei Jahren abgebaut werden. Insgesamt sind damit sowohl die Höhe des Kontos wie auch die Fristsetzung zum Kontoausgleich relativ großzügig geregelt, so dass ein Spielraum z. B. für Investitionsprojekte im Haushalt erhalten bleibt. In der Schweiz deutet sich seit der Einführung der Schuldenbremse auf Bundesebene langsam deren positive Wirkung durch den Rückgang der Defizitquote an, nach dem es in den ersten Jahren nach der Einführung zu Problemen durch unerwartet hohe Einnahmeeinbrüche kam. 364 Diese wurden durch die nachträgliche Einfügung einer Übergangsregelung (Defizitabbaupfad) in Art. 66 FHG behoben. Die Regelung erhöhte übergangsweise den Ausgabenplafond, indem die festgelegten Höchstbeträge der Gesamtausgaben im Rechnungsjahr 2003 um das tatsächliche strukturelle Defizit gemäß Staatsrechnung, d. h. im Rechnungsjahr 2004 um 3 Mrd. Franken, im Rechnungsjahr 2005 um 2 Mrd. Franken und im Rechnungsjahr 2006 um 1 Mrd. Franken heraufgesetzt wurden. Das strukturelle Defizit des Bundeshaushalts war nach Art. 66 Abs. 2 FHG bis Ende 2007 zu beseitigen. Fraglich ist, ob sich die Schweizer Schuldenbremse in das deutsche Rechtssystem integrieren lässt. Für eine Übertragung der Schweizer Schuldenbremse in das deutsche Recht als Bundesschuldenbegrenzungsregel spricht die zu erwartende disziplinierende Wirkung der Regel durch den obligatorischen Abbau aufgelaufener Defizite. Wie auch in der Schweiz erscheint das Instrumentari364
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
um der Schuldenbremse für die Bundesebene geeignet, die Verschuldung durch Festlegung von Konditionen für einen Konjunkturzyklus zu stabilisieren und gegebenenfalls zurückzuführen. Die Schweizer Schuldenbremse berücksichtigt konjunkturelle Schwankungen und begrenzt die daraus resultierende Verschuldung sowohl zeitlich als auch im Umfang. Darüber hinaus wird die konjunkturell bedingte Verschuldung durch die Einführung eines Ausgleichskontos transparent. Ein wichtiger Grund für den scheinbaren Erfolg der Schweizer Bundesschuldenbremse liegt zudem in der Möglichkeit der Überprüfung der Regelbefolgung sowie der Verhinderung möglicher Manipulationen. Dies wurde erreicht, indem die genauen Berechnungsmethoden in den dazugehörigen Durchführungsbestimmungen ausformuliert wurden. Eine Verknüpfung der konjunkturell zulässigen Verschuldung an die Differenz zwischen Produktionspotential und dem tatsächlichen Output ist insoweit grundsätzlich eine erfolgsversprechende Ausrichtung. Einzig die Bestimmung der konjunkturneutralen Verschuldung unter Rückgriff auf den Hodrick-Prescott-Filter bereitet Probleme. Nachdem sich zeigte, dass der Filter die Tendenz aufwies, zu Beginn und am Ende der Untersuchungsperiode den geschätzten langfristigen Trend zu weit an die tatsächlichen Werte anzunähern, wurde dieser modifiziert. Der modifizierte Hodrick-Prescott-Filter führt durch eine Stärkung der Randstabilität zu einer Verbesserung der Konjunkturgerechtigkeit und einer Verringerung des Risikos von Prognosefehlern. Probleme bereitet nur noch, dass bei länger anhaltender Rezession eine sukzessive Verringerung des k-Faktors eintritt. Ein weiteres Problem der Schuldenbremse ist, dass ihre Einführung mit einem kurzfristigen Moment der Inflexibilität verbunden ist. Exakte Prognosen der volkswirtschaftlichen Entwicklung und die Offenlegung struktureller Defizite sind daher Grundvoraussetzung für die Übernahme einer solchen Regelung. Im Ergebnis scheint die Schweizer Schuldenbremse die an sie gerichteten Erwartungen weitgehend zu erfüllen. Das antizyklische Verhalten funktioniert über den gewählten Mechanismus, defizitäre Ausschläge werden wirksam über die Schuldenbremse begrenzt. Die Schweizer Bundesschuldenbremse ist somit eine geeignete Option, um die Verschuldung des Bundes in Deutschland zu begrenzen. dd) Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland hat eine modifizierte Schuldenbremse unter Beibehaltung der grundsätzlichen Koppelung der Ausgaben an die Investitionen vorgeschlagen. 365 Sein Modell der Schuldenbegrenzung basiert auf drei Modulen. Das 365
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, insbesondere Rn. 115 ff.
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erste Modul orientiert sich weiterhin am Investitionsbegriff und soll eine Begrenzung der Schuldenstandsquote bewirken. Das zweite Modul orientiert sich an der Schweizer Bundesschuldenbremse und dient der Schuldenstandsstabilisierung. Somit werden hier die beiden vorhergehenden Vorschläge kombiniert und aufeinander abgestimmt. Die Schuldenbegrenzungsregeln der ersten beiden Module werden im dritten Modul durch ein abgestimmtes Regelwerk ergänzt, in welchem Regelverstöße, abgestuft nach der Schwere des Verstoßes, sanktioniert werden. Im Einzelnen orientiert sich das erste Modul an der in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) für den Bund normierten Möglichkeit der Kreditaufnahme in Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Investitionsausgaben. Hierbei stellt der Sachverständigenrat zu Recht fest, dass der in dieser Regelung verankerte Investitionsbegriff zu weit gefasst ist und deshalb einer einengenden Korrektur bedarf. Die Umsetzung der vorgeschlagenen investitionsorientierten Verschuldung bei Zugrundelegung eines sinnvoll abgegrenzten Nettoinvestitionsbegriffs erfordert nur eine kleinere Änderung in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG, da die konkrete Ausgestaltung des eingeengte Investitionsbegriffs im HGrG und in der BHO zu erfolgen hat. Entsprechend dem bereits dargestellten Vorschlag zur ausschließlichen Verschärfung des Investitionsbegriffs in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) sieht der Sachverständigenrat in seinem ersten Modul vor, dass zur Bestimmung der langfristig zulässigen Nettokreditaufnahme nach Art. 115 GG (a.F.) die Investitionsausgaben um die Investitionseinnahmen und die Abschreibungen zu kürzen sind. 366 Bei den Investitionseinnahmen sollen unter anderem auch Privatisierungserlöse bzw. Einnahmen aus Darlehensrückflüssen Berücksichtigung finden. 367 Insoweit bedarf die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz. Im Unterschied zur Regelung vor der Föderalismusreform II dürfen die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten bereinigten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Eine solche Eingrenzung des Investitionsbegriffs überzeugt im Ergebnis, obwohl somit weiterhin der Gestaltungsspielraum zukünftiger Generationen durch die Vorgabe fremder Präferenzen eingeschränkt wird. 368 Das zweite Modul greift das eben dargestellte Modell der Schweizer Bundesschuldenbremse auf. 369 Nach Auffassung des Sachverständigenrates bedarf eine 366
Vgl. Dritter Teil Kap. D.I.1.b). Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 123. 368 Zu einem anderen Ergebnis kommt daher H. Pünder, DVBl. 2008, S. 946 (950). 369 Vgl. Dritter Teil Kap. D.I.1.c). 367
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
novellierte Schuldenbegrenzungsregel neben der nach Art. 115 GG (a.F.) für den wirtschaftlichen Normalfall langfristig zulässigen Neuverschuldung auch einer Regelung für Ausnahmefälle, die eine möglichst kurzfristige Nettokreditaufnahme ermöglicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) soll ferner durch eine präzisere und praktikablere Konditionierung konjunkturell bedingter Finanzierungsdefizite oder Finanzierungsüberschüsse ersetzt werden. Entsprechend der Schweizer Schuldenbremse darf der im Haushaltsplan veranschlagte Höchstbetrag der Ausgaben ohne die Ausgaben für Investitionen grundsätzlich den der konjunkturbereinigten Einnahmen ohne die Einnahmen aus Krediten nicht überschreiten. Abweichungen sind daher in den Folgejahren zurückzuführen. Der Sachverständigenrat schlägt aus Gründen der Transparenz vor, die Konjunkturbereinigung der Steuereinnahmen ähnlich wie bei der Schweizer Bundesschuldenbremse mit dem aggregierten Verfahren zu ermitteln, d. h. unter Verwendung des HodrickPrescott-Filters. Im Unterschied zum Schweizer Modell wird dieser aber nicht modifiziert. Die Feststellung des Bruttoinlandsprodukts (folglich auch des kFaktors) sowie der Einnahmen als Prognosegrundlage soll nicht von einer unabhängigen Institution, sondern durch die Finanzverwaltung erfolgen. In Betracht kommt hier der Finanzplanungsrat, wobei die Einnahmeschätzung nach Auffassung des Sachverständigenrates auch weiterhin im Arbeitskreis Steuerschätzung unter Hinzuziehung externer Sachverständiger durchgeführt werden kann. Vom Bund aufzunehmende Kredite, die auf einer nachhaltigen Überschreitung der Ausgaben beruhen, sollen gegebenenfalls durch eine Ergänzungsabgabe nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG zu tilgen sein. Bei außerordentlichem Zahlungsbedarf muss der eigentliche Höchstbetrag für Ausgaben nach Auffassung des Sachverständigenrates angemessen erhöht werden können, wobei dies nur zulässig zur Abwehr einer Rezession oder bei Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates sein soll. Als drittes Element hält der Sachverständigenrat einen Sanktionsmechanismus zur Einhaltung der Regeln der ersten beiden Module für erforderlich. Gäbe es keine verbindlichen Sanktionen, wäre zu Recht zu befürchten, dass die Regelungen nicht eingehalten werden. Bei der Überschreitung des zulässigen Defizits auf dem Ausgleichskonto muss daher automatisch ein Sanktionssystem greifen, welches die Schulden auf dem Ausgleichskonto wieder zurückführt. Falls der Bund seinen Ausgabenplafond überschreiten sollte, ist nach den Vorschlägen des Sachverständigenrates deshalb innerhalb von acht Wochen ein Nachtragshaushalt zu erlassen, der auch eine anteilige Rückführung der Überschreitung vorsieht. Bei wiederholter Überschreitung trotz einer bestehenden Rückführungsverpflichtung greifen dann verschärfte Sanktionen. Hierzu zählt der Sachverständigenrat neben der erneuten Pflicht zur Rückführung insbesondere einen Zuschlag auf die Einkommenssteuer. 370 Kritisch anzumerken bleibt, dass bzgl. des Sanktionsmechanismus die Gefahr besteht, in konjunkturellen Schwächephasen prozyklisch zu wirken. Ferner grenzen Sanktionen das Haushaltsrecht der Parlamente nicht
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unerheblich ein. Dennoch ist der Vorschlag des Sachverständigenrates unter der Voraussetzung, dass man die Lehren, die aus der teilweise misslungenen Umsetzung der Schweizer Regelung gezogen wurden, berücksichtigt und zur Sicherheit einen sog. „Defizitabbaupfad“ als Übergangsregelung installiert, zur Umsetzung auf Bundesebene zu empfehlen. Auch in Deutschland würde die Möglichkeit der Kreditaufnahme durch die sofortige Einengung des Investitionsbegriffs erheblich eingeschränkt werden. Konsequenz wäre ein an die Grenzen des Möglichen gehender Rückriff auf das Ausgleichskonto und / oder die Durchführung extremer Konsolidierungsmaßnahmen. Über eine solche Übergangsregelung würden die möglicherweise durch die Einengung des Investitionsbegriffs entstehenden Finanzierungsprobleme des Bundes zeitlich gestreckt. Im Ergebnis stellt der Vorschlag des Sachverständigenrates einen Erfolg versprechenden Ansatz dar, die Schuldenaufnahme des Bundes in Zukunft wirksam zu begrenzen. Er steht auch nicht im Widerspruch zu den europäischen Schuldenbegrenzungsregeln, da die Schuldenschranke im Ergebnis restriktiver als der europäische Stabilitäts- und Wirtschaftspakt ist. ee) Vorschlag des Bundesministeriums der Finanzen Das Bundesfinanzministerium hat Anfang 2008 ebenfalls ein Konzept zur Begrenzung der Staatsverschuldung für Bund und Länder vorgelegt. 371 Der Vorschlag orientiert sich in weiten Zügen am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Nach diesem Vorschlag dürfte die jährliche strukturelle Verschuldung 0,5% des BIP nicht übersteigen (0,35% entfallen auf den Bund und die Sozialversicherungen und 0,15% auf die Länder). Eine Koppelung der Kreditaufnahmemöglichkeit an die im Haushaltsplan veranschlagten Investitionen ist in diesem Vorschlag nicht vorgesehen. Vermögensveräußerungen sollen nicht in den strukturellen Verschuldungsspielraum eingerechnet werden. Ähnlich wie der Vorschlag des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht der Entwurf des Bundesfinanzministeriums eine Konjunkturkomponente vor, über die Bund und Länder in konjunkturellen Schwächphasen Defizite erwirtschaften dürfen, die in Hochphasen wieder abzubauen sind. Nicht konjunkturbedingte Abweichungen von den Vorgaben sind wie nach dem Schweizer Modell der Bundesschuldenbremse auf einem Ausgleichskonto zu verbuchen, wobei ab einem festzulegenden Grenzwert automatisch eine Pflicht zur Rückführung der Schulden eintreten soll. 372 Ferner wird vom Bundesministerium der 370 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 186. 371 Bundesministerium der Finanzen, Kom.-Drs. 96, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen; den Vorschlag aufgreifend H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (838 f.). 372 I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (441).
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Finanzen vorgeschlagen, dass die Regelung in Ausnahmesituationen, wie beispielsweise Naturkatastrophen, mit einem erhöhten parlamentarischen Quorum von 60 % bzw. 66 % ausgesetzt werden kann. Der Vorschlag des Bundesministeriums der Finanzen ist eine weitere denkbare Variante, die Schuldenaufnahme in Zukunft restriktiver zu gestalten. Seine Schwächen liegen insbesondere in den fehlenden Ausführungen zu Sanktionsmaßnahmen und der konkreten Ausgestaltung der Verpflichtung zur Rückführung der auf dem Ausgleichskonto verbuchten Defizite. Ferner erscheint die Begrenzung über ein generelles strukturelles Defizit in Höhe von 0,5 % des BIP zu starr zu sein. Für die Länder ist eine Verschuldung von insgesamt 0,15 % des BIP problematisch, da sie bei einem Rückgang der Steuereinnahmen ohne eine Erhöhung der Steuerautonomie schnell in Schwierigkeiten geraten könnten. 373 Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Investitionsregel ist in jedem Fall wachstumsfreundlicher und richtigerweise in die Zukunft gerichtet. b) Umsetzung durch Föderalismusreform II Das Kernelement der Föderalismusreform II ist eine konkret ausformulierte „Schuldenbremse“ die im Folgenden dargestellt und bewertet wird. Für den Bund ist sie in Art. 115 GG und dem Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG sowie einer Rechtsverordnung geregelt. aa) Einführung einer „Schuldenbremse“ Der Verfassungsgesetzgeber hat in Art. 109 GG und Art. 115 GG die Regelungen zur Begrenzung des staatlichen Verschuldungsspielraum im Zuge der Föderalismusreform II neu geregelt. Zentrale Bedeutung kommt hier insbesondere der neuen Schuldenregel zu. Bund und Länder müssen fortan gem. Art. 109 Abs. 3 S. 1 GG weitestgehend ausgeglichene Haushalte haben. Diese allgemeinen Vorgaben für den Gesamtstaat wurden für den Bund in Art. 115 Abs. 2 S. 1 GG umgesetzt. Im Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG werden diese Vorgaben konkretisiert. Nach §§ 2 Abs. 1 S. 1 2. Hs., 3 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG sind die ohne Neuverschuldung auszugleichenden Einnahmen und Ausgaben vorab um finanzielle Transaktionen wie z. B. die Veräußerung und der Erwerb von Beteiligungen zu bereinigen. Dies führt zu einer Begrenzung der Kreditaufnahmemöglichkeit. Von diesem Grundsatz darf ausschließlich der Bund in Anlehnung an den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die ihm eingeräumte Möglichkeit der strukturellen Verschuldung i. H.v. 0,35% des nominalen BIP nach 373
S. Korioth, KritV 2008, S. 187 (194).
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
367
Art. 109 Abs. 3 S. 4, 115 Abs. 2 S. 2 GG abweichen. § 4 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG bestimmt explizit das nominale BIP des der Haushaltsaufstellung vorangegangenen Jahres als Maßstab für die Berechnung der strukturellen Verschuldungsmöglichkeit. Die Berechnung erfolgt durch das Statistische Bundesamt. Die Möglichkeit des Bundes zur strukturellen Verschuldung tritt in die Nachfolge der Bindung der Kreditaufnahme an den problembehafteten Investitionsbegriff in Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.). Über die Quote von 0,35 % des nominalen BIP wird ein pauschaler Wert regelmäßig getätigter Zukunftsinvestitionen festgelegt. Dieser ist vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit vertretbar. Aber auch die Ausrichtung am Begriff des „gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht“ bleibt gem. Art. 109 Abs. 2 2. Hs. GG bestehen. Diese Ausrichtung spiegelt sich in der Regelung des neu formulierten Art. 109 Abs. 3 S. 2 Alt. 1 GG wieder, der Bund und Ländern ein Instrument der antizyklische Fiskalpolitik optional zugesteht. Diese konjunkturelle Komponente wurde speziell für den Bund in Art. 115 Abs. 2 S. 3 GG normiert. Im Gegensatz zur alten Regelung ist eine antizyklische Fiskalpolitik nur in einem sehr begrenzten Maße möglich. Die Vorgaben in Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG zielen auf eine mittel- bis langfristige neutrale Verschuldung, d. h. das eine erhöhte Verschuldung in finanzpolitisch schwierigen Phasen durch Überschüsse im Haushalt in konjunkturellen Hochphasen auszugleichen ist. 374 Die vom Bund eigenverantwortlich zu definierende konjunkturelle Komponente hat somit auf die neue Kreditbegrenzungsregel in Art. 115 GG zentralen Einfluss. In Art. 115 Abs. 2 S. 3 GG hat der Bund die sich ihm nach Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG bietende Möglichkeit genutzt und darüber hinaus in Art. 115 Abs. 2 S. 5 GG festgelegt, dass einfachgesetzlich u. a. das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage des im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehenen Konjunkturbereinigungsverfahrens erfolgen soll. In § 2 Abs. 2 und § 5 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG ist festgelegt, dass sich die Höhe der über die konjunkturellen Komponente zulässigen Kreditaufnahme durch die Abweichung der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung von der konjunkturellen Normallage errechnet. Insbesondere der Definition der „Normallage“ kommt hierbei eine große Bedeutung zu, damit die Verschuldung über dieses Element nicht zur Regel wird. Die in § 5 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG gefundene Begriffsbestimmung definiert vielmehr wann eine Abweichung von der „Normallage“ vorliegt. Dies soll nach Auffassung des Gesetzgebers der Fall sein, wenn eine Unter- oder Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten (Produktionslücke) vorliegt. Hierbei liegt eine Produktionslücke vor, wenn 374
Dies wird auch an den vom Gesetzgeber verwendeten Begriffen der „Normallage“ und „symmetrisch“ deutlich.
368
3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
das auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens zu schätzende Produktionspotenzial vom erwarteten BIP für das maßgebliche Haushaltsjahr abweicht. Die exakte Bestimmung des Zahlenwerts für die Bestimmung des Verschuldungsspielraumes berechnet sich gem. § 5 Abs. 3 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG als Produkt aus der Produktionslücke und der Budgetsensitivität. Der bisher rechtlich noch nicht verwendete Begriff der „Budgetsensitivität“ umschreibt die Veränderung der Bundeseinnahmen und -ausgaben bei einer Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität. § 5 Abs. 4 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Regelung der weiteren Einzelheiten in Übereinstimmung mit dem europäischen Konjunkturbereinigungsverfahren. Einem weiteren wichtigen Problem im Zusammenhang mit der neu eingeführten Schuldenbegrenzungsregel des Bundes beugt Art. 115 Abs. 2 S. 4 GG durch die Einführung eines Kontrollkontos vor. Die tatsächliche Neuverschuldung weicht in der Praxis meist von dem im Haushaltsplan veranschlagten Kreditvolumen ab. Über die Buchung auf ein Kontrollkonto werden die negativen und positiven Abweichungen der tatsächlichen von der zulässigen Kreditaufnahme nachhaltig sichtbar. Sollte die Kreditaufnahme des Bundes über den Referenzwert von 1,5% des nominalen BIP hinausgehen, so muss dieser zurückgeführt werden. Einfachgesetzlich finden sich hierzu Ausführungen in § 7 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG ist die tatsächlich getätigte Aufnahme von Schulden über Kredite in zulässiger Ausführung des Art. 115 Abs. 2 GG an der ex post bekannten Wirtschaftslage des abgelaufenen Haushaltsjahres zu bemessen. Der in Art. 115 Abs. 2 S. 3 GG festgelegte Schwellenwert i. H.v. 1,5 % des nominalen BIP wurde in § 7 Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG ebenfalls normiert, wobei Abs. 3 diese Vorgabe verfassungskonform verschärft. § 8 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG beinhaltet abschließend eine Obergrenze für Nachtragshaushalte. Die strukturelle Verschuldung darf somit um bis zu 3 % der veranschlagten Steuereinnahmen des Bundes überschritten werden. In enger verfassungskonformer Auslegung ist über § 8 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG eine zusätzliche Aufnahme von Krediten nur als Folge einer nunmehr erkannten Verschlechterung der tatsächlichen Konjunkturlage, nicht aber zur Finanzierung neuer Aufgaben möglich. Die Regelung beinhaltet daher keinen erweiterter Kreditrahmen. Sie normiert lediglich eine Grenze, bis zu der eine vereinfachte Prognose über den weiteren Verlauf der tatsächlichen Konjunkturentwicklung angestellt werden darf. Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG sieht weiterhin eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen und andere Notsituationen vor, die für den Bund in Art. 115 Abs. 2 S. 6 – 8 GG normiert wurde. Im Unterschied zu der regelmäßig zulässigen Verschuldung des Bundes, welche sich aus der Berechnung des strukturellen und kon-
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junkturellen Elementes der Schuldenbremse ergibt, darf der Bund nach Art. 115 Abs. 2 S. 6 – 8 GG auch ausnahmsweise bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, zusätzliche Schulden über Kredite aufnehmen. Falls der Bund von dieser Ausnahme Gebrauch machen sollte, erfordert die Kreditaufnahme gem. Art. 115 Abs. 2 S. 6 – 8 GG den Beschluss einer verbindlichen Tilgungsregelung. § 6 des Ausführungsgesetzes zu Art. 115 GG wiederholt diese Regelung ohne Änderungen auf einfachgesetzlicher Ebene. Die für den Bund getroffene Regelung in Art. 115 Abs. 2 S. 6 – 8 GG entspricht den Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG. Die Bundesregelung wird in Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG in zulässiger Weise um das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit gem. Art. 121 GG und in Art. 115 Abs. 2 S. 8 GG um die Verpflichtung zur Rückführung der Kredite innerhalb eines angemessenen Zeitraumes präzisiert. Weiterhin ist festzuhalten, dass der reformierte Art. 115 GG keine Ausnahmeregelung mehr hinsichtlich von Sondervermögen vorsieht. 375 Somit sind in Zukunft Kreditaufnahmen für Sondervermögen unzulässig. Die im Rahmen der Föderalismusreform II reformierten Art. 109 und 115 GG gelten nach der Übergangsregelung des Art. 143d Abs. 1 GG in ihrer neuen Fassung erstmals für das Haushaltsjahr 2011, wobei am 31. Dezember 2010 bestehende Kreditermächtigungen für bereits eingerichtete Sondervermögen hiervon unberührt bleiben. Nach Art. 143d Abs. 2 GG hat der Bund im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2015 die Möglichkeit von der Vorgabe des neuen Art. 115 Abs. 2 S. 2 GG abweichen. Mit dem Abbau des bestehenden Defizits soll im Haushaltsjahr 2011 begonnen werden, um die Vorgaben des Art. 115 Abs. 2 S. 2 GG spätestens für das Haushaltsjahr 2016 erfüllen zu können. bb) Bewertung der Neuregelung Die im Rahmen der Föderalismusreform II neu in Art. 109, 115 GG eingeführte Schuldenbegrenzungsregel des Bundes ist trotz einiger Schwachstellen grundsätzlich positiv zu bewerten. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die vom Gesetzgeber neu normierte Regelung nicht gegen die in Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 GG festgelegten Grundsätze verstößt. Der Gesetzgeber hat insoweit seinen rechtlichen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Das Demokratieprinzip wird durch die neue Schuldenregel des Bundes nicht verletzt, da der Beschränkung der Gestaltungsmacht des Staatsvolkes durch die Begrenzungsregel ein zu erwartender Zugewinn an zukünftiger Gestaltungsmacht gegenüber steht.
375
Vgl. Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.).
370
3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Die Neuregelung in Art. 109, 115 GG ist im Vergleich zur bisherigen Rechtslage ein Schritt in die richtige Richtung, da sie neue Wege der bisher unergiebigen Schuldenbegrenzung beschreitet. Positiv zu werten ist u. a., dass der Bundesgesetzgeber durch die Entkoppelung der zulässigen Kreditaufnahme vom Investitionsbegriff inhaltlich flexibler bei der Ausgestaltung einer an der dauerhaften Stärkung von Wachstum und nachhaltiger Entwicklung orientierten Politik ist. Durch die Schließung von Schlupflöchern wurde der zulässige Verschuldungsspielraum verkleinert, was mittle- bis langfristig hoffentlich zu einer spürbaren und nachhaltigen Senkung der Schuldenstandsquote führen wird. Die Einführung eines Kontrollkontos mit Ausgleichspflicht erhöht die Transparenz und setzt einen Anreiz zur Einhaltung der Verschuldungsregel im Haushaltsvollzug. Zudem fördert die Streichung von Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) das Ziel der effektiven Schuldenkontrolle. Hingegen ist an der Neuregelung vor allem problematisch, dass in Art. 109, 115 GG entgegen der Regelungen des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes keine Einbeziehung der Verschuldung sonstiger öffentlicher Haushalte, d. h. für den Bund insbesondere der gesetzlichen Sozialversicherungen erfolgt ist. Diese Einbeziehung sollte der Gesetzgeber bei nächster Gelegenheit in Form der Einführung strenger einfachgesetzlicher Verschuldungsregeln für die gesetzlichen Sozialversicherungen regeln, da die Sozialversicherungssysteme gegenwärtig das wahre Ausmaß der Staatschulden verdecken. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Verschuldungsregel des Bundes lässt sich insbesondere kritisieren, dass hinsichtlich der Konjunkturkomponente die neu eingeführten Verfassungsbegriffe „symmetrisch“ und „Normallage“ noch näher zu definieren sind. Die Konjunkturkomponente muss aufgrund der mangels Erfahrung bestehenden Unsicherheiten permanent überprüft werden, um die Regelung ggf. nachbessern zu können. Vor diesem Hintergrund ist es auch bedenklich, dass der Auftrag des Art. 115 Abs. 2 S. 5 GG an den Gesetzgeber ein Ausführungsgesetz zu erlassenen in entscheidenden Bereichen durch die Verordnungsermächtigung auf das Bundesministerium der Finanzen, d. h. die Exekutive übergeleitet wird. Es ist insoweit fraglich, ob die Regelung gem. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG hinreichend bestimmt ist. Hinsichtlich der Ausnahme des Art. 115 Abs. 2 S. 6 – 8 GG ist zu beachten, dass der vom Gesetzgeber gewählte Begriff der „Notsituation“ begrifflich schwer einzugrenzen ist. Für eine wirksame gerichtliche Kontrolle hat der mit dieser Regelung verknüpfte Begriff der „Angemessenheit“ auf einfachgesetzlicher Ebene weiter auszuführen. Schließlich sollte der Gesetzgeber hinsichtlich der Behandlung der Sondervermögen die Verschuldungsregel aus Gründen der Transparenz auf die bereits bestehenden Sondervermögen ausdehnen. Gerade vor dem Hintergrund der im
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
371
Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise geschaffenen Instrumente zur Rettung der Wirtschaft erscheint dieser Schritt notwendig. c) Zwischenergebnis Im Vorfeld der Reform wurden wie aufgezeigt verschiedene Modelle zur Schuldenbegrenzung des Bundes diskutiert. Festzuhalten bleibt, dass einzig die Einführung eines absoluten Verschuldungsverbots für den Bund wegen seiner mitunter prozyklische Wirkung nicht zu empfehlen ist. Die im Zuge der Föderalismusreform II für den Bund getroffene Regelung zur Schuldenbegrenzung in Art. 109 Abs. 3, 115 GG unterscheidet sich von der Vorgängerregelung erheblich, indem sie grundsätzlich das Gebot eines ausgeglichenen Haushalts vorgibt und von einer Investitionsbindung Abstand nimmt. Verfassungsrechtlich verstößt die Neuregelung nicht gegen Art. 79 Abs. 3, 20 Abs. 1 GG. Sie weist aber trotzdem einige potentielle Schwachstellen wie z. B. die unzureichende Bestimmtheit der Regelungen des konjunkturellen Elements der „Schuldenbremse“ auf. Der ansonsten überwiegend stimmig erscheinende Ansatz zur Begrenzung der Bundesschulden in Art. 115 GG und dem dazugehörigen Ausführungsgesetz wird sich erst im kommenden Jahrzehnt bewähren müssen. Der Gesetzgeber sollte daher keine Scheu vor Nachbesserungen haben. Ferner ist es begrüßenswert, dass Art. 115 Abs. 2 GG (a. F.) gestrichen wurde. Über Art. 115 Abs. 2 GG (a. F.) als Ausnahme von den Anforderungen des Abs. 1 sind seit seiner Einführung in das Grundgesetz im Jahr 1969 in großem Umfang Schulden durch Sondervermögen aufgenommen worden. Insbesondere im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden Schulden in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages am Haushalt vorbei angehäuft, welche erst in den letzten Jahren größtenteils in den Bundeshaushalt zurückgeführt wurden. 2. Länder Die meisten Bundesländer haben ebenfalls mit dem Problem einer stetig anwachsenden Verschuldung zu kämpfen. Deshalb geht die Einführung einer Neuregelung beim Bund mit der Normierung wirksamer Regeln zur Begrenzung der Verschuldung in den Ländern einher. Fraglich ist, inwieweit die Notwendigkeit des Erlasses einer einheitlichen, für alle Bundesländer verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel besteht. Ferner sollen die im Vorfeld der Föderalismusreform II erörterten Reformvorschläge für die Begrenzung der Länderschulden analysiert und die gefundene Neuregelung im Rahmen der Föderalismusreform II bewertet werden.
372
3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
a) Kompetenzgrundlage für den Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber Fraglich ist, ob es eine Kompetenz des Bundes für den Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber gibt. Wie vorhin dargestellt wurde, kann eine strengere Schuldenbegrenzung beim Bund vor allem durch eine Reform des Art. 115 GG umgesetzt werden. Wie verhält es sich aber bei den Bundesländern? Maßstab für die Einführung einer einheitlichen Schuldenbegrenzungsregel muss immer Art. 109 Abs. 1 GG sein, der den Bundesländern politische Autonomie in der Haushaltswirtschaft einräumt. Hierbei sind die verfassungsrechtlichen Einschränkungen dieser Autonomie in den folgenden Absätzen des Art. 109 GG zu beachten. Der Bund kann z. B. nach Art. 109 Abs. 4 GG gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufstellen. 376 Insoweit sind bindende Maßnahmen hinsichtlich der Schuldenbegrenzung für die Länder aber nur über einfache Gesetze zu implementieren. Nach Art. 109 Abs. 4 GG (a. F.) konnte durch Bundesgesetz ferner eine Regelung zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, Vorschriften über Höchstbeträge, Bedingungen und Zeitfolge der Aufnahme von Krediten durch Gebietskörperschaften und Zweckverbände und eine Verpflichtung von Bund und Ländern zur Bildung von Konjunkturausgleichsrücklagen erlassen werden. Die Einführung einer neuen, für alle Länder einheitlich geltenden Schuldenbegrenzungsregel als verbindliche Vorgabe ist über die Grundsatzgesetzgebungskompetenzen des Art. 109 Abs. 4 GG aufgrund der fehlenden Reichweite der Kompetenz und der situationsgebundenen Zweckbindung durch den Bundesgesetzgeber jedoch nicht möglich. 377 Das BVerfG sah dies vor der Reform scheinbar anders, indem es die Auffassung vertrat, dass der Bund den Länder nach Art. 109 Abs. 4 GG (Art. 109 Abs. 3 (a.F.)) Grenzen bei der Kreditfinanzierung und beim Schuldensockel setzen kann. 378 Dieser Auffassung ist aber wegen des systematischen Verhältnisses zu Art. 109 Abs. 4 S. 1 GG (a.F.) nicht zu folgen. Dieser lässt nur eine zeitlich begrenzte Möglichkeit der Kreditaufnahme zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu. Dagegen bildet Art. 109 Abs. 4 GG keine Kompetenzgrundlage zur Normierung mate376
Vgl. Dritter Teil Kap. B.II.1. J. Hellermann, EuR 35 (2000), S. 24 (32 ff.); C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 144 f.; V. Mehde, DÖV 1997, S. 616 (619 ff.); K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 661; a. A. H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (836). 378 Nicht ganz eindeutig BVerfGE 86, 148 (266 f.); C. D. Classen, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 257; W. Heun, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 109 Rn. 34. 377
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riellen Haushaltsrechts. 379 Art. 109 Abs. 4 GG (a.F.) wurde einzig und allein aus konjunkturpolitischen Erwägungen in das Grundgesetz eingefügt und kann daher nicht als Kompetenzgrundlage für die Einführung von Landesschuldenbegrenzungsregeln genügen. 380 Somit scheiden Art. 109 Abs. 4 GG als Kompetenzgrundlage zum Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel für den Bundesgesetzgeber aus. Da bis vor der Reform keine anderen Kompetenzgrundlagen im Grundgesetz ersichtlich war, blieb dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit, eine neue Kompetenzgrundlage für den Erlass in die Bundesverfassung einzufügen. Dies geschah mit der Änderung bzw. Verankerung der Art. 109, 109a, 143d GG. Können aber die Bundesländer über die erfolgte Neuregelung im Grundgesetz gezwungen werden, ihre Landesverfassungen und / oder die nachgeordnete Landesgesetzgebung entsprechend der Vorgaben des Bundesgesetzgebers zu ändern bzw. zu ergänzen? Hiergegen könnte als verfassungsrechtliche Grenze für die Einfügung einer solchen Kompetenz in das Grundgesetz die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sprechen, nach der auch der Bundesstaat über den Verweis auf Art. 20 GG und die Garantie der Gliederung in Bund und Länder zum Bestand unabänderlicher verfassungsrechtlicher Bestimmungen gehört. 381 Ferner muss in diesem Zusammenhang auch die Haushaltsautonomie in Art. 109 Abs. 1 GG beachtet werden. Grundsätzlich ist es im Bundesstaat den Parlamenten fast aller Bundesländer mit einer erforderlichen 2/3 Mehrheit vorbehalten, ihre eigene Verfassung zu ändern. Bei der Verfassungsgestaltung sind sie grundsätzlich frei. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung der Länder nur den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats entsprechen. 382 Darüber hinaus reichende Verpflichtungen der Bundesländer zur Anpassung ihrer Landesverfassungen an das Grundgesetz bestehen nicht. Aus Art. 109 Abs. 1 GG ergibt sich somit, dass nur im Grundgesetz verankerte Regelungen zu einer Beschränkung der Haushaltsautonomie der Länder führen können. Ein weitreichender Schutz der Länder durch Art. 79 Abs. 3 GG überzeugt nicht. Mit der Normierung einer grundgesetzlichen Kompetenzgrundlage für den Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber kann dieser den Bundesländern nur einen über Art. 109 379
C. Hillgruber, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 109 Rn. 144, S. Korioth, KritV 2008, S. 187 (196). 380 M. Heintzen, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Vorb. Art. 109 Rn. 27; V. Mehde, DÖV 1997, S. 616 (621 f.); K. Vogel / C. Waldhoff, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Vorb. Art. 104a – 115 Rn. 661; a. A. U. Häde, JZ 1997, S. 269 (275). 381 Vgl. zum Verhältnis von Ewigkeitsgarantie und Bundestaat Erster Teil Kap. C.III. 382 So H.-P. Schneider, Kom.-Drs. 31, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 18.
374
3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Abs. 4 GG hinausgehenden Haushaltsrahmen vorgeben, innerhalb dessen sie die Regelung gestalten könnten. Sie können somit weiterhin Kredite in einem stärker regulierten Rahmen aufnehmen. Die über Art. 79 Abs. 3 GG i.V. m. Art. 20 GG und Art. 109 Abs. 1 GG geschützte Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Länder bei der Haushaltsführung wird insoweit nicht gefährdet, da jedes Land unter der Maßgabe einer eingeschränkten Kreditaufnahme eigenverantwortlich und ohne Einflussnahme des Bundes seinen Haushalt aufstellen kann. Ferner ist zu beachten, dass Art. 104 EGV und der europäische Stabilitäts- und Wirtschaftspakt dem nationalen Recht vorgehen. Bund und Länder sind somit zur Einhaltung gemeinschaftsrechtlich vorgegebener Haushaltsvorgaben verpflichtet. Da der Bund gegenüber der EG für die Einhaltung der Vorgaben verantwortlich ist, ist es aus europäischer Perspektive sogar geboten, dass der Bund die Einhaltung der Kriterien auch nach innen durchsetzen kann. Art. 109 Abs. 5 GG regelt – wie aufgezeigt – bisher nur die Verteilung von Sanktionszahlungen zwischen Bund und Ländern. Somit ist es dem verfassungsändernden Gesetzgeber im Ergebnis grundsätzlich möglich, die Schuldenbegrenzung von Bund und Ländern neu zu regeln. Der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber ist nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG gehindert, eine neue Kompetenzgrundlage für den Erlass einer für alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber in das Grundgesetz einzufügen. 383 Bei der Ausgestaltung dieser Regelung sind dem Verfassungsgesetzgeber keine Grenzen gesetzt, soweit er den in Art. 109 Abs. 1 GG normierten Grundsatz der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern nicht im Ganzen aufhebt. Im Bundesstaat muss den Gliedstaaten ein gewisser Umfang finanzieller Selbständigkeit zukommen, welcher als wichtiges Element der Eigenstaatlichkeit der Länder zu werten ist und somit vom Regelungsbereich des Art. 79 Abs. 3 GG über den Verweis auf Art. 20 GG umfasst ist. Eine Neuregelung kann – wie im Rahmen der Föderalismusreform II geschehen –, da sie über die vorhandenen Kompetenzgrundlagen hinausgeht, in Anknüpfung an die im Rahmen der Föderalismusreform I erlassene Norm des Art. 109 Abs. 5 GG z. B. in einem neu zu erlassenen Art. 109 GG, Art. 109a GG, Art. 115 GG und Art. 143d GG normiert werden. Hierbei hat der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber entschieden, welches Modell zur Schuldenbegrenzung er verwirklichen will. Die neue Schuldenbegrenzungsregel steht somit im direkten Zusammenhang mit den bereits existierenden Regelungen zur Haushaltswirtschaft des Grundgesetzes. Konkretisierungen sollten aber in einem Ausführungsgesetz für alle Länder einheitlich geregelt werden, wobei hier aufgrund der unterschiedlichen Ausgangslage der Länder auch Übergangsregelungen Raum hätten.
383
So wohl auch H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (839).
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Eine Alternative zur erfolgten Grundgesetzänderung wäre der Abschluss eines Staatsvertrags zwischen dem Bund und den Ländern oder alternativ nur unter den Ländern gewesen, in dem sich alle Beteiligten zur Einführung einer einheitlichen Schuldenbegrenzungsregel verpflichten. Über einen solchen Vertrag könnte die Selbstbindung der Exekutive auf das Hinwirken der Einführung einer unter den Beteiligten vereinbarten Schuldenbegrenzungsregel erwirkt werden. 384 Die Umsetzung in das Landesrecht ist Aufgabe der Legislative. Vor dem Hintergrund der erfolgten Einführung einer überwiegend gemeinsamen Schuldenbegrenzungsregel stellt sich weiterhin die Frage, ob eine einheitliche Regelung überhaupt sinnvoll ist. Der Einwand, dass die momentan vorhandenen, unterschiedlichen finanziellen Voraussetzungen der Bundesländer dagegen sprechen, ist nicht unberechtigt. Eine zu strikte Regelung durch den Bundesgesetzgeber, die den Bundesländern die Möglichkeit zu individuellen, auf ihre spezifische Verschuldungssituation abgestimmten Eigenlösungen nimmt, scheint nicht unbedingt erstrebenswert. Ferner erhöht sich durch einen Regelungsvorschlag, der den Ländern bestimmte Umsetzungsspielräume lässt auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesrat zu der erforderlichen Grundgesetzänderung seine Zustimmung erteilt. Andererseits spricht für eine einheitliche Regelung die nicht von der Hand zu weisende Transparenz eines einheitlichen Systems. Die nachfolgenden Ausführungen werden zeigen, welche Lösung vorzugswürdig ist. b) Reformvorschläge für eine Begrenzungsregel der Länderschulden Selbst wenn der Bundesgesetzgeber nicht im Grundgesetz zum Erlass einer für den Bund und alle Bundesländer einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel ermächtigt worden wäre, heißt das nicht, dass vor der Reform die Bundesländer nicht aufgefordert waren, ihre beträchtlichen Schulden durch Reformen ihrer Landesschuldenbegrenzungsregeln eigenständig neu zu regulieren. Im Gegenteil, vor dem Hintergrund des z.T. beachtlichen Schuldenstandes einiger Bundesländer war ein zeitnahes Handeln der Landesgesetzgeber dringend geboten. Einige Länder wie z. B. Bayern hatten daher ihre landesrechtlichen Schuldenbegrenzungsregeln bereits vor der Föderalismusreform II erheblich verschärft oder bereiteten dies vor. 385 Im Folgenden soll analysiert werden, welche Regeln zur Begrenzung Länderschulden vor Umsetzung der Föderalismusreform II diskutiert wurden. Sollte die gefundene Regelung nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, könnte man auf die Reformvorschläge zurückgreifen.
384 385
S. Korioth, KritV 2008, S. 187 (198). Vgl. Art. 18 BayLHO.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
aa) Absolutes Verschuldungsverbot Im Hinblick auf die Einführung eines absoluten Verschuldungsverbotes verhält es sich hinsichtlich der Bundesländer ähnlich wie beim Bund. Ein generelles Neuverschuldungsverbot würde es den Ländern unmöglich machen, Ausgaben über die Aufnahme von Krediten zu finanzieren. Falls ein Land ein solches Verbot einführt, müssten bei bestehenden Schulden Überschüsse erwirtschaftet werden, um diese zurückzuführen. Für die Aufnahme eines absoluten Verschuldungsverbotes in die Landesgesetzgebung lässt sich aufführen, dass es auch für die Länder eine klar ausgestaltete Regelung wäre, die Umgehungen nahezu ausschließen würde. Gegen die Einführung eines absoluten Verschuldungsverbotes in die Gesetzgebung der Länder spricht jedoch die Unflexibilität der Regelung. Ein Gegensteuern bei einer drohenden Rezession oder bei anderen größeren Krisen wäre dann nicht mehr möglich. Da viele Bundesländer ihre Ausgaben derzeit zumindest auch über die Aufnahme von Krediten finanzieren, ist es momentan kaum ersichtlich, in welchem Zeitraum die Neuverschuldung zurückgeführt werden kann. Aus der momentanen Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ergibt sich, dass den Ländern viele bundesgesetzlich normierte, kostenträchtige Aufgaben zugewiesen sind, aber eine Kompensation über Einnahmenerhöhungen mangels der hierfür erforderlichen Kompetenzen nicht möglich ist. 386 Von der Einführung eines absoluten Verschuldungsverbotes auf Länderebene, welches ohne Ausnahmen für Notsituationen auskommt, ist somit abzuraten. Etwas anderes würde sich erst ergeben, wenn die Länderschulden in einen Entschuldungsfonds übertragen werden würden und ihnen weitere Kompetenzen auf der Einnahmenseite zuwachsen würden. bb) Übertragung der vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Bundesregelung auf die Länder Es stellt sich weiterhin die Frage, ob die für den Bund vorgeschlagenen Instrumente zur Schuldenbegrenzung auf die Bundesländer übertragen werden können. Grundsätzlich spricht für eine Übertragbarkeit der Regelung auf die Länder, dass eine Eingrenzung der Verschuldung nur über die Ausgabenseite erfolgt und die einzelnen Länder wie auch der Bund dahingehend autonom sind. Die Einengung des Investitionsbegriffs wäre in der Gesetzgebung der Länder entsprechend der Bundesregelung durchzuführen, soweit dies nicht schon erfolgt ist. 387 Fraglich ist jedoch, ob sich auch das an der Schweizer Bundeskreditaufnahmegrenze orientierte Modul einschließlich eines zusätzlichen Sanktionsmecha386 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 6. 387 Vgl. hierzu ausführlich Dritter Teil Kap. D.I.1.b) u. d).
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nismusses, wie vom Sachverständigenrat vorgeschlagen, von der Bundesebene auf die Länder übertragen lässt. 388 Die Anwendung des Modells der Schweizer Bundeskreditaufnahmebegrenzung auf die Bundesländer würde auch dort die konjunkturellen Schwankungen und die daraus resultierende Verschuldung sowohl zeitlich als auch im Umfang eingrenzen. Die Einführung eines Ausgleichskontos ist grundsätzlich auch auf Länderebene denkbar, da es die konjunkturell bedingte Verschuldung der Länder transparent macht. Wie bei der angestrebten Bundesregelung müsste für die Länder die jeweilige Höhe des Ausgleichskontos und des Defizitabbaupfads festgelegt werden. Nach Berechungen des Sachverständigenrats wäre das Volumen des Ausgleichskontos der Ländergesamtheit mit einem Umfang von 1% des nominalen BIP im Mittel der vergangenen fünf Jahre anzusetzen. 389 Die Höhe der Obergrenze der jeweiligen Länderausgleichskonten soll vorzugsweise durch den Anteil der einzelnen Länder am Mittelwert des nominalen BIP ermittelt werden. Ferner müsste bei Einführung einer Länderregelung für einen Übergangszeitraum ebenfalls ein linear fallend ausgestalteter Defizitabbaupfad vorgesehen sein, durch den der Umfang der mit der Schuldenschranke zu vereinbarenden Ausgaben für einen Übergangszeitraum angehoben wird. Im Gegensatz zur Übernahme der Schweizer Bundesregelung zur Begrenzung der Kreditaufnahme auf den Bund ergeben sich bei einer Übertragung auf die Bundesländer jedoch Probleme. Eine entsprechende Umsetzung der Regelung auf der Länderebene wird kaum möglich sein, da ein regionaler Konjunkturzyklus schwer zu definieren sein wird. Ebenso spricht der nur rudimentär vorhandene Gestaltungsspielraum der Bundesländer auf der Einnahmeseite gegen die Einführung einer solchen Schuldenbegrenzungsregel. Insoweit wäre eine strikte Bindung der Ausgaben an die Einnahmen eine weitere Einschränkung der Länderautonomie. In der Schweiz können die Bürger der Kantone hingegen unmittelbar per Finanzreferendum über Steuersätze, Kreditaufnahmen und öffentliche Ausgaben entscheiden, wodurch ein Bewusstsein bei den Abstimmungsberechtigten für die Zusammenhänge von Steuern und Verschuldung geschaffen wird. Als Resultat bleibt festzuhalten, dass von einer Verpflichtung der Bundesländer, das vom Sachverständigenrat entwickelte Verschuldungsbegrenzungsmodell zu übernehmen, vor allem wegen der fehlenden Länderautonomie auf der Einnahmenseite zurzeit abzuraten ist. Betrachtet man die Entwicklung in der Schweiz, dann erkennt man, dass ein Abbau von Defiziten sowohl über die Ausgaben-, als auch über die Einnahmenseite erfolgt ist. Im Gegensatz zum Modell des Sachverständigenrates sind die kantonalen Schuldengrenzen freiwillig eingeführt wor388 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, insbesondere Rn. 171 f. und Rn. 190 ff. 389 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 171.
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den. Insoweit sind ihnen also gerade keine Defizitziele vom Bund vorgegeben worden. 390 Die Kantone sind als autonome Gebietskörperschaften grundsätzlich konkursfähig und haben im Gegensatz zu den Bundesländern einen eigenen Anreiz, eigenständig wirksame Schuldenbegrenzungsregeln zu erlassen. cc) Übernahme der europäischen Stabilitätskriterien Eine Alternative zur Übertragung der vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Bundesregelung auf die Länder wäre, die europäischen Stabilitätskriterien durch eine Bundesregelung für die Bundesländer verbindlich zu normieren. 391 Der Erlass von Verschuldenshöchstgrenzen ist ein die Haushaltsautonomie der Länder schonender Weg, der in der Konsequenz unmittelbar eine Schulden begrenzende Wirkung entfalten würde. Die Festlegung von Obergrenzen für staatswirtschaftliche Quoten dient der Aufrechterhaltung eines konstanten Verhältnisses zwischen Defizit und Bezugsgröße. In Art. 104 EGV und dessen sekundärrechtlichen Ausführungen wird festgelegt, dass die Neuverschuldung der Mitgliedstaaten grundsätzlich jährlich nur bis zu 3 % vom BIP abweichen dürfen und / oder der Schuldenstand insgesamt nicht 60 % des BIP überschreiten darf. 392 Diese beiden Kriterien könnte man als Maßgabe gegebenenfalls mit den entsprechenden Referenzwerten als Bundesregelung zur Begrenzung der Länderschulden übernehmen. Für eine Übertragung der europäischen Stabilitätskriterien in das nationale Recht spricht, dass die im Rahmen der Föderalismusreform I eingefügte Regelung des Art. 109 Abs. 5 GG zur Aufteilung möglicher von der EG auferlegter Sanktionszahlungen auf Bund und Länder verfassungsrechtlich durch einen echten nationalen Stabilitätspakt ergänzt werden würde. 393 Insoweit würde das für den Bund direkt geltende Regime des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes mit den nationalen Regelungen in Bezug auf die Bundesländer harmonisiert werden. Ferner könnte an das schon vorhandene europäische Defizitverfahren auch innerstaatlich angeknüpft werden. Gegen eine Übertragung dieser Stabilitätskriterien als Maßgabe für die Schuldenbegrenzung der Länder wird vorgetragen, dass das Defizitverfahren des europäischen Stabilitäts- und Wirtschaftspaktes, welches primär Geldwertrisiken vermeiden soll, sehr langwierig ist. 394 Weiterhin ist festzustellen, dass der Sank390 C. Blankart, Kom.-Drs. 22, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 41 f. 391 I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (442). 392 Vgl. hierzu ausführlich Dritter Teil Kap. B.I.1. 393 D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (455). 394 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Rn. 109.
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tionsmechanismus Verwerfungen der Politik unterliegt, wie die im Jahr 2005 erfolgte Entschärfung der Anforderungen zeigt. Kritisiert wird außerdem, dass eine jährliche Neuverschuldungsmöglichkeit in Höhe von bis zu 3 % des BIP den Ländern einen ziemlich großen Kreditspielraum geben kann, wenn auch das BIP wächst. 395 Ferner würde die Bindung an Investitionen zumindest auf Ebene des Bundesrechts entfallen, womit eine wachstumsorientierte Ausrichtung der Verschuldungsregel aufgegeben werden würde. Im Ergebnis ist eine Übernahme der europäischen Stabilitätskriterien mit leichten Modifikationen empfehlenswert. Diese Lösung verhindert zwar das Anwachsen der Gesamtverschuldung der einzelnen Bundesländer nur bis zu einer bestimmten Grenze, ist aber im Gegensatz zu den bisherigen Vorschlägen ein die Autonomie der Bundesländer weniger stark einschränkender Weg, der noch Raum für eigenständige, schärfere Verschuldungsbegrenzungsregeln der Länder lässt. Betrachtet man die europäischen Referenzwerte genauer und vergleicht sie mit den entsprechenden Zahlen der Bundesländer, dann lässt sich erkennen, dass eine exakte Übertragung der Defizitkriterien mit den entsprechenden Werten für die Bundesländer zumindest hinsichtlich des Schuldenstandskriteriums zu hoch ansetzt. Anhand der Zahlen aus dem Jahr 2005 lässt sich feststellen, dass bei einer stetig ansteigenden Schuldenstandsquote einzig das Land Berlin eine Schuldenstandsquote von über 70% aufweist. Alle anderen Länder liegen z.T. deutlich unter den von der EG für die Mitgliedstaaten grundsätzlich vorgegebenen 60 % des BIP. 396 Hier würde es sich anbieten, eine Schuldenstandsquote von 40 % bzw. 50 % des BIP anzusetzen. Die Änderungen der Gewichtung der beiden Referenzwerte, welche 2005 insbesondere durch den Erlass der VO 1056/2005 erfolgte, sollten bei einer innerstaatlichen Umsetzung nicht übernommen werden. 397 Ansonsten wäre eine Aufweichung der Stabilitätskriterien, wie sie auf der europäischen Ebene erfolgt ist zu befürchten. Eine solche Landesschuldenbegrenzungsregel funktioniert aber nur, wenn der Bund als übergeordnete Gebietskörperschaft über entsprechende Eingriffsmöglichkeiten verfügt, um Bundesländer, die die Stabilitätskriterien verletzen, zu sanktionieren. Die Kontrolle über die einzuhaltenden Vorgaben sollte einem erweiterten Finanzplanungsrat übertragen werden. 398 Dieser würde die notwendige Legitimation haben, 395
D. Engels / D. Hugo, DÖV 2007, S. 445 (455). Vgl. Berechnungen auf Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes bei T. Lenk, Kom.-Drs. 26, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 16 f. 397 ABl. EU 2005, Nr. L 174, S. 5 ff.; vgl. auch VO 3605/93, ABl. EG 1993, Nr. L 332, S. 7 ff., zuletzt geändert durch VO 2103/2005, ABl. EU 2005, Nr. L 337, S. 1 ff.; hierzu auch C. D. Classen, in: C. Starck, Föderalismusreform, Rn. 250; A. Hatje, DÖV 2006, S. 597 (602 ff.); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 54; H. W. Weinzen, DÖV 2008, S. 535 (538). 398 Vgl. Dritter Teil Kap. D.II.2.b). 396
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eventuell erforderliche Sanktionsmaßnahmen bei einem Verstoß zu beschließen. Somit würde, abhängig vom genauen Umfang und der Bemessungsgrundlage der Grenze, ein zum nachhaltigen wirtschaften verpflichtender Rahmen für die Bundesländer entstehen. Dieser Ansatz müsste mit einem einzuführenden Frühwarnsystem abgestimmt werden und wäre insofern eine wünschenswerte Ergänzung zur bisherigen Regelung des Art. 109 Abs. 5 GG. 399 dd) Eigenständige Länderregelungen – Orientierung an kantonalen Schuldenbremsen Schließlich besteht noch die Möglichkeit, die Schuldenbegrenzung auch weiterhin grundsätzlich durch eigenständige Länderregelungen zu regeln. Ein Vorteil dieser Option ist, dass auf die konkrete Verschuldungssituation angepasste Regelungen erlassen werden können und hierdurch die Akzeptanz der Bevölkerung für schärfere Einschränkungen der Schuldenaufnahme erhöht wird. Aufgrund der starken Autonomie der Gliedstaaten wurde in der Schweiz keine einheitliche Schuldenbegrenzungsregel normiert. Eine Vielzahl der Schweizer Kantone hat inzwischen eine eigene Schuldenbegrenzungsregel in ihre Verfassung bzw. in den einfach-gesetzlichen Bestand des Landesrechts aufgenommen. In ihrer Gestaltung unterscheiden sie sich z.T. erheblich. Sie sanktionieren z. B. die Nichteinhaltung einer Defizitgrenze durch Entschuldungsmaßnahmen auf der Ausgabenseite und / oder Einnahmesteigerungen durch Steuererhöhungen. Hierbei ist zu beachten, dass die Kantone (wie auch die Kommunen) aufgrund der starken Betonung des Autonomieprinzips im Schweizer Föderalstaat bei Finanzkrisen grundsätzlich nicht auf Hilfeleistung durch den Bund hoffen können. Ein BailOut wie in Deutschland beispielsweise über die Zahlung von SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen durch den Bund ist nicht vorgesehen. Die unterschiedlichen Schuldenbegrenzungsregeln der Schweizer Kantone zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf drei Kernelementen beruhen. In einer Grundregel normiert die Mehrzahl der Kantone eine Pflicht zum Ausgleich der laufenden Ausgaben. Diese Grundregel wird durch eine Steuerungsregel ergänzt, in welcher Begrenzungskriterien wie z. B. eine Defizithöchstgrenze von 3 % des Steuerertrags festlegt werden. Teilweise schließt sich hieran noch eine Sanktionsregel für den Fall der Nichteinhaltung der Kriterien an, welche in einigen Fällen automatisch greift. Flankiert werden die Verschuldungsbegrenzungsregeln der Kantone fast überall durch die Möglichkeit der Initiierung eines Finanzreferendums. Somit ist es bei einmaligen und wiederkehrenden Ausgaben ohne gesetzliche Begründung möglich, ein fakultatives und / oder obligatorisches Referendum über die Grenzen der Verschuldung durchzuführen. Haushaltsüberschüsse müssen grundsätzlich zur Bildung von Rücklagen genutzt werden. In der konkreten 399
I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (442).
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Ausgestaltung unterscheiden sich die kantonalen Regelungen jedoch z.T deutlich voneinander. Einige Kantone haben sich dafür entschieden, ihre Haushalte durch Einschränkungen auf der Ausgabenseite vor einer zu hohen Verschuldung zu bewahren, andere sehen auch Maßnahmen auf der Einnahmeseite vor. Exemplarisch für eine Verschuldensbegrenzungsregel, die über die Ausgabenseite wirkt, wird hier auf die Regelung des Art. 25 der Verfassung des Kantons Wallis verwiesen werden. Die Kantonsregierung muss nach Art. 25 Abs. 1 der Verfassung dem Kantonsparlament einen Voranschlag mit einem Ertragsüberschuss und einem Finanzierungsüberschuss ausweisen. Zielgröße dieser Regelung ist somit die Nominalschuld. Falls die Rechnung mit einem Defizit abschließt, wird dieses dem übernächsten Voranschlag gem. Art. 25 Abs. 2 der Verfassung des Kanton Wallis zur vollständigen Tilgung belastet. Bei Abweichung unterbreitet der Staatsrat (Kantonsregierung) dem Grossen Rat (Kantonsparlament) Gesetzesänderungen, um einen Ausgleich der laufenden und der Finanzierungsrechnung zu erreichen Nach Art. 25 Abs. 5 der Kantonsverfassung können im Wege der Gesetzgebung Ausnahmeregelungen für Zeiten einer schwachen Konjunktur geschaffen werden. Für eine Sanierung auch über die Einnahmeseite kann auf die Regelung in der Verfassung des Kantons Freiburg verwiesen werden. Wie auch in den meisten anderen Kantonen ist in Art. 83 der Kantonsverfassung festgelegt, dass der Voranschlag der laufenden Rechnung ausgeglichen sein muss. Sollte aufgrund der konjunkturellen Lage oder anderer außerordentlicher Ereignisse ein erhöhter Finanzbedarf bestehen, so müssen die hierdurch auflaufenden Schulden innerhalb der folgenden fünf Jahre ausgeglichen werden. Nach Art. 41 Abs. 3 S. 1 des Finanzhaushaltsgesetzes des Kantons Freiburg ist jedoch eine Erhöhung des Steuersatzes zwingend, sobald das Defizit des Voranschlags der laufenden Rechnung 2% des Gesamtertrags überschreitet. Im Ergebnis zeigen die einzelnen schweizerischen Landesregelungen zur Begrenzung der Verschuldung, dass die Kantone ihren Gestaltungsspielraum bei der Verschuldungsbegrenzung ausnutzen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Autonomie der Gliedstaaten in diesem wichtigen Punkt gewahrt bleibt. Die sich in den Kantonsverfassungen wieder findenden Grundansätze wie beispielsweise die automatische Steuer- / Abgabenerhöhungen und / oder Ausgabenkürzungen sind sehr gut geeignet, Defizite auf Dauer zu vermeiden. Ferner setzen sie auch die politischen Entscheidungsträger auf Landesebene unter einen erhöhten Rechtfertigungsdruck. Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass die Möglichkeit, den Ländern eigenständig die Neuregelung der Schuldenbegrenzung zu überlassen, durchaus erfolgsversprechend sein kann, obgleich Verschärfungen auch immer mit einer Einschränkung der Rechte des Haushaltsgesetzgebers einhergehen. Bedenklich ist, dass die deutschen Bundesländer rechtlich auch schon bisher die Möglichkeit gehabt hätten, eigenständig die entsprechenden schweizerischen Schuldenbegrenzungsregeln zu normieren. Ein Grund für das Vorgehen der Schweiz liegt sicherlich in den direkt demokratischen Elementen des Schweizer Föderalismus. Dieser sieht im Unterschied zu Deutschland das Ausgaben-
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referendum zur Bestimmung der gewünschten Ausgaben vor. Die ausgeprägte Steuerautonomie der Kantone ermöglicht es ihnen ferner, die Einnahmen an die jeweilige Haushaltslage anpassen zu können. c) Umsetzung durch Föderalismusreform II Die Bundesländer sind seit der Umsetzung der Föderalismusreform II gem. Art. 109 Abs. 3 GG zur Einführung einer geringfügig modifizierten Form der Bundesschuldenbremse (Art. 115 GG) auf Landesebene verpflichtet. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind detailliert ausgestaltet, womit den Ländern und dem einfachen Gesetzgeber grundsätzlich nur ein beschränkter Gestaltungsspielraum zugestanden wird. aa) Modifizierte Übernahme der Bundesregelung Art. 109 Abs. 3 GG legt für die Bundesländer in Anlehnung an Art. 109 Abs. 2 GG Vorgaben für die Haushaltswirtschaft und die Zulässigkeit einer Nettokreditaufnahme fest. Die Vorgaben stimmen in weiten Teilen mit den Vorgaben für den Bund überein. 400 Sie orientieren sich am europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Art. 109 Abs. 3 S. 1 GG beinhaltet auch für die Bundesländer den Grundsatz eines ohne Kreditaufnahme ausgeglichenen Haushalts. Hiervon wird nach der aktuellen Regelung die Verantwortung der Bundesländer für Defizite der Haushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände im Hinblick auf die gesamtstaatlichen Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht umfasst. Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG legt fest, in welchen Bereichen die Länder in ihren landesrechtlichen Regelungen zur Kreditaufnahme Abweichungen vom Grundsatz des S. 1 vornehmen dürfen. Die Länder haben die Wahl, ob sie den Gestaltungsspielraum des Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG ausfüllen wollen. Wie der Bund, werden auch die Länder befugt eigenverantwortlich, eine eigenständige Konjunkturkomponente zu normieren. Verbindlich ist nur, dass eine entsprechende Regelung eine im Auf- und Abschwung symmetrische Berücksichtigung sicherstellen muss, d. h. das durch einen Ausgleich anfallender Defizite ein ausgeglichener Haushalt mittel- bis langfristig gewährleistet ist. Weiterhin haben die Länder die Option eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder andere außergewöhnliche Notsituationen einzuführen. Durch die Einführung einer solchen Regelung, wären die Länder in der Lage bei einer außergewöhnlichen Notsituation, deren Eintritt sich der Kontrolle des Staates entzieht und die den Haushalt erheblich beeinträchtigen außerplanmäßig Kredite aufzunehmen. Nach Art. 109 Abs. 3 S. 3 400
Vgl. Dritter Teil Kap. D.I.1.b)aa).
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GG sind die Länder jedoch dazu verpflichtet, die Beschlussfassung über eine solche erhöhte Nettokreditaufnahme mit einem Tilgungsplan zu versehen, der eine Rückführung der oberhalb der Regelgrenzen liegenden Kreditaufnahme verbindlich regelt. Im Unterschied zum Bund sind die Länder jedoch nicht zu einer strukturellen Neuverschuldung berechtigt. Gem. Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG können die Bundesländer die Vorgabe aus S. 1 nur erfüllen, wenn ihr Haushalt ohne Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung ohne Nettokreditaufnahme ausgeglichen ist. Die Länder haben aber u. a. Gestaltungsspielräume für die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen sowie für die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen von der zulässigen Kreditaufnahme. Abschließend ist hinsichtlich der Vorgaben für die Kreditbegrenzungsregel der Länder in Art. 109 Abs. 3 GG die Übergangsregelung des Art. 143d Abs. 1 GG zu beachten. Demnach ist Art. 109 GG (a.F.) ein letztes Mal für das Haushaltsjahr 2010 anzuwenden. Art. 109 GG in seiner durch die Föderalismusreform II geänderten Fassung findet erstmals für das Haushaltsjahr 2011 Anwendung. Hierbei dürfen die Bundesländer im Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2019 nach Maßgabe der geltenden landesrechtlichen Regelungen von den Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG abweichen. Erst für das Haushaltsjahr 2020 müssen die Länderhaushalte die Vorgaben aus Art. 109 Abs. 3 S. 5 GG erfüllen. bb) Bewertung der Neuregelung Die Neugestaltung der Regelung zur Begrenzung der Kreditaufnahme stellt auch für die Bundesländer einen Paradigmenwechsel dar. Die grundlegend in Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG verankerte Haushaltsautonomie der Länder wird durch die im Rahmen der Föderalismusreform II in Art. 109 GG normierten Vorgaben zur Ausgestaltung der Länderregelung extrem eingeschränkt. Dennoch stellen insbesondere die Einschränkungen durch die Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG keinen Verstoß des Wesensgehalts der in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Staatlichkeit der Länder dar. Die in Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG gewährte Länderautonomie bleibt durch die Neuregelung gewahrt. Die Haushaltsautonomie der Länder war auch schon vor der Föderalismusreform II z. B. über das Erfordernis des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beschränkt, was in den legislativen Befugnissen des Bundes gem. Art. 109 Abs. 4 GG (a.F.) zum Ausdruck kam. Bei der Regelung des Art. 109 Abs. 3 GG handelt es sich somit nur um eine Einschränkung einer – zugegebener Maßen – wichtigen Einnahmequelle der Länder. Die Bundesländer können ihre Kreditwirtschaft in dem vorgegeben Rahmen aber eigenständig gestalten, solange sie den Grundsatz der Einhaltung eines strukturell ausgeglichenen Haushalts beachten. Die Aufnah-
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me von Krediten aus konjunkturellen Erwägungen oder zur Abwehr bestimmter Notsituationen ist unter Einhaltung bestimmter Maßgaben zukünftig möglich. Bezieht man in die Betrachtung der Länderautonomie noch mit ein, dass den Bundesländern im Rahmen der Föderalismusreform I die Kompetenz zur Regelung der Beamten- und Richterbesoldung übertragen wurde und ihnen weiterhin die Kompetenz zur Erhebung der meisten Abgaben verbleibt, dann wird deutlich, dass die Neuregelung nicht gegen Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG verstößt. Einige Aspekte der Neuregelung geben aber auch Anlass zur Kritik. Allgemein betrachtet, könnte sich die lange Umsetzungsdauer bis zum Jahr 2020 problematisch sein. Die Länder müssen sehr hohe Konsolidierungsleistungen erbringen, um von 2011 bis 2020 die bestehende strukturellen Defizite auf 0 % des BIP zurückgeführen zu können. Vor dem Hintergrund der noch länger anhaltenden Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise sind daher prozyklische Auswirkungen zu erwarten. Ob die neu formulierte Regelung vor diesem Hintergrund von allen Bundesländern ab dem Haushaltsjahr 2020 ohne weitere Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung eingehalten werden kann, darf daher bezweifelt werden. Inhaltlich stellt sich die Frage, warum den Ländern nicht auch die Möglichkeit einer strukturellen Verschuldung zugestanden worden ist. Der BMFEntwurf sah eine Möglichkeit der Bundesländer zu einer jährlichen strukturellen Verschuldung i. H.v. 0,15% des BIP vor. Da auch die Länder Investitionen für die Zukunft tätigen, wäre eine strukturelle Verschuldung in diesem Rahmen zu vertreten gewesen. Hinsichtlich der Konjunkturkomponente wird darauf zu achten sein, dass diese nicht zu einer schleichenden Erhöhung der Verschuldung führt. Es bedarf daher insbesondere einer greifbaren Definition der „Normallage“ und einer strengen Handhabung der Vorgabe des mittel- bis langfristigen Ausgleichs. Schließlich sollte man überdenken, ob die Maßgabe der Nullverschuldung nicht einer weiteren Durchbrechung bedarf, wenn in nicht Krisenzeiten höhere Erträge über Verschuldung bei niedrigen Zinsen erzielt werden können. Kann der Bund oder eines der Länder z. B. darlegen, dass bei einem über Schulden zu finanzierendem Projekt bei defensiver Kalkulation eine Rendite von 7 % zu erwarten ist und die Zinsen auf das Darlehen nur 3,5 % betragen, stellt sich die Frage, ob eine Nullverschuldung ökonomisch sinnvoll ist. Ist der Staat dann nicht gehalten Schulden aufzunehmen, um später z. B. durch einen Weiterverkauf Gewinne zu realisieren, die die Schulde insgesamt senken? Eine solche Ausnahme vom Grundsatz des Art. 109 Abs. 3 GG könnte daher z. B. unter einen Genehmigungsvorbehalt des Stabilitätsrat gestellt werden.
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d) Zwischenergebnis Die Einführung einer für alle Länder einheitlich geltenden Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber war über die Grundsatzgesetzgebungskompetenzen des Art. 109 Abs. 4 GG (a.F.) aufgrund der fehlenden Reichweite der Kompetenz und der situationsgebunden Zweckbindung nicht möglich. Deshalb hat sich der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber dazu entschieden eine neue Kompetenzgrundlage für den Erlass einer für alle Länder einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel in Art. 109 Abs. 3 GG zu normieren. Art. 79 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Wie aufgezeigt ist eine zu strikte Regelung des Bundesgesetzgebers, die den Bundesländern die Möglichkeit zu individuellen, auf ihre spezifische Verschuldungssituation abgestimmten Eigenlösungen nimmt, grundsätzlich nicht erstrebenswert. Auch die in Art. 109 Abs. 1 GG verankerte Haushaltsautonomie der Länder erfordert es, dass die Autonomie der Gliedstaaten mit der Regelungskompetenz des Bundes in einen Ausgleich gebracht wird. Die in Art. 109 Abs. 3 GG verankerten Vorgaben hinsichtlich der Einführung einer Regelung zur Begrenzung der Kreditaufnahme auf Länderebene überzeugt im Ergebnis nur teilweise. Insbesondere über die Konjunkturkomponente ist eine Verschuldung weiterhin möglich. Das nächste Jahrzehnt wird zeigen, ob der Haushaltsausgleich mittel- bis langfristig funktioniert. Alternativ zu der gefundenen Lösung zur Begrenzung der Kreditaufnahme der Bundesländer könnte man auch ein zweistufiges Schuldenbegrenzungsregime für die Länder einführen. Auf der Bundesebene wäre hierbei eine Schuldenbegrenzungsregel für die Länder einzuführen, die sich nach den europäischen Stabilitätskriterien richtet. Sie sollte in einem neu einzufügenden Absatz in Art. 109 GG durch den verfassungsändernden Bundesgesetzgeber normiert werden. Diese in einfachgesetzlicher Form zu konkretisierende Regel ist eine Verschuldungsobergrenze für die Länder. Durch die Übernahme der beiden für das Gemeinschaftsrecht maßgebenden Kriterien (Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum BIP und das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP) in das Grundgesetz würde eine Kompatibilität zu den europäischen Verschuldungsbegrenzungsregeln hergestellt. Aufgrund der Vertrautheit von Bund und Ländern mit der Regelung und ihrer Einfachheit stände einer Umsetzung auf Bundesebene in Ergänzung zu Art. 109 Abs. 5 GG wenig entgegen. Hierbei müssen die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Referenzwerte nicht exakt übernommen werden. Für die Bundesländer bietet es sich an, insbesondere den Wert des Verhältnisses des öffentlichen Schuldenstands zum BIP niedriger als die im Europarecht vorgesehenen 60 % anzusetzen. Ferner sollten die im Jahr 2005 im Gemeinschaftsrecht vorgenommenen Änderungen hinsichtlich der Gewichtung der beiden Referenzwerte nicht übernommen werden. Die landesinterne Verteilung der Verschuldungsobergrenze zwischen dem
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Land und den Kommunen sollte durch den Landesgesetzgeber erfolgen. Diese durch den Bundesgesetzgeber einzuführende Obergrenze der Verschuldung ergänzend, sollten die Bundesländer zusätzlich eine an ihre jeweilige spezifische Finanzsituation angepasste (strengere) Regelung einführen, welche sich z. B. an den kantonalen Schuldenbremsen der Schweiz orientieren kann. Insoweit ist auch eine Gesetzesverschärfung ein Schritt in die richtige Richtung, wie bereits in Bayern erfolgt. 401 Ferner wäre zu überlegen, ob man die Einführung strenger Schuldenbegrenzungsregeln durch die Länder über ein Anreizsystem (Verknüpfung mit Entschuldungsfonds) fördert. Im Ergebnis wird die Länderautonomie bei der hier vorgeschlagenen „zweistufigen“ Lösung angemessen berücksichtigt. Eine grundgesetzlich fixierte Obergrenze sichert einen status quo der Ländermaximalverschuldung, wobei über die Setzung von Anreizen einer Reduzierung der Verschuldung durch eine spezifische Länderregelung Vorschub geleistet wird. Ein absolutes Verschuldungsverbot ohne Ausnahmen oder die Übertragung der vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Bundesregelung auf die Länder kommt wegen der hier geäußerten Zweifel nicht in Betracht.
II. Einführung eines präventiven Begleitsystems zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen Zur frühzeitigen Erkennung von zukünftig drohenden Haushaltskrisen ist es notwendig, ein finanzpolitisches Frühwarnsystem zu installieren, welches rechtzeitig die mögliche Überschuldung eines öffentlichen Haushaltes ankündigt. 402 Die Schaffung eines solchen Sicherungssystems hat das BVerfG schon in seiner Entscheidung zum Länderfinanzausgleich 1992 gefordert. 403 Ein Frühwarnsystem kann aber nur eine (notwendige) einfachgesetzliche Ergänzung zu einer neuen Verschuldungsbegrenzungsregel sein. Dessen Hauptaufgabe ist die rechtzeitige Erkennung von Abweichungen von einer neu zu definierenden Normalverschuldung. Es dient gemäß der neuen Verschuldungsbegrenzungsregel der Prävention einer Überschuldung des Haushaltes. Dies würde allen Beteiligten Rechtssicherheit geben und eine kalkulierbare Zukunftsplanung ermöglichen. Die Einführung eines präventiven Begleitsystems zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen wurde im Rahmen der Föderalismusreform II umgesetzt.
401 Vgl. das in Art. 18 der Bayrischen Landeshaushaltsordnung festgelegte grundsätzliche Verbot der Kreditaufnahme. 402 So auch u. a. C. Degenhart, ZG 2000, S. 79 (86 ff.); J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 11 ff.; M. Rossi / G. F. Schuppert, ZRP 2006, S. 8 ff.; P. Selmer, NVwZ 2007, S. 872 (879). 403 BVerfGE 86, 148 (266).
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1. Handlungsbedarf trotz fehlender Handlungsverpflichtung des Gesetzgebers Vor der Föderalismusreform II bestand hinsichtlich der Einführung eines begleitenden Systems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte Handlungsbedarf. Eine bindende Handlungsverpflichtung des Gesetzgebers war nicht zu erkennen. Das BVerfG forderte deshalb, dass der Gesetzgeber grundlegend neue Lösungskonzepte zur Vorbeugung von Haushaltskrisen und deren Bewältigung finden muss. 404 Die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass eines begleitenden Systems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte findet sich in Art. 109a GG. 405 Die Haushaltsautonomie der Länder nach Art. 109 Abs. 1 GG bleibt durch die Umsetzung einer solchen Gesetzgebung gewahrt. Auf einfachgesetzlicher Ebene gibt § 12 Abs. 4 S. 3 MaßstG vor, dass Hilfen zur Haushaltssanierung mit strengen Auflagen und einem verbindlichen Sanierungsprogramm zu verknüpfen sind. 406 Insoweit wird durch die Normierung eines begleitenden Systems allgemeiner Maßstäbe zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte auch die Statusgleichheit der Länder gewahrt, nach der die Länder bei der Verteilung der Finanzmittel nach den gleichen Maßstäben zu behandeln sind. 2. Ausgestaltung eines Haushaltsnotlageregimes (Präventions- und Sanktionssystem) zur Vermeidung künftiger Haushaltsnotlagen Bevor eine Betrachtung der erfolgten Neuregelung erfolgt, soll zunächst abstrakt geklärt werden, welche Anforderungen generell an ein Haushaltsnotlageregime zu stellen sind. Ein begleitendes System zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte muss zur Prävention ein Frühwarnsystem beinhalten, indem über bestimmte Indikatoren rechtzeitig auf drohende Krisen aufmerksam gemacht wird. Ferner muss es bei nicht erfolgreicher Umsteuerung des Haushaltes ein Verfahren zur Haushaltsnotlagenfeststellung vorsehen, woran sich ein verbindliches Verfahren der Haushaltsnotlagensanierung zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Haushaltsstruktur anschließt. Ein solches Gesetz müsste somit im Einzelnen verbindlich regeln, wann eine Haushaltnotlage besteht, wer eine drohende Haushaltsnotlage feststellen darf, wie sie abgewendet werden kann und welche Sanierungsmaß404
BVerfGE 116, 327 (393 f.). BVerfGE 86, 148 (266); H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 109 Rn. 48. 406 BVerfGE 86, 148 (269); J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 145. 405
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nahmen im Falle ihres Eintretens geboten und zulässig sind. Es müssen daher verbindliche Schuldengrenzen festgelegt werden, bei deren Überschreiten ein auf die Prävention extremer Haushaltsnotlagen gerichtetes Frühwarnsystem ausgelöst wird. Bei erfolgter Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage hat ein Haushaltsnotlagengesetz Maßnahmen zur Haushaltssanierung zur Verfügung zu stellen. Allerdings sollte das Gesetz nur allgemeine Vorgaben und Grenzen von Sanierungsmaßnahmen normieren, bestimmte Sanierungsinstrumente bereitstellen, sowie Sanktionen für den Fall vorsehen, dass die politischen Akteure nicht innerhalb einer bestimmten Frist den Einsatz eines Sanierungsinstrumentes beschließen. a) Indikatorenauswahl und Festlegung von Grenzwerten Die Auswahl geeigneter Indikatoren und die Festlegung von Grenzwerten als ein Gerüst zur Ermittlung, ob eine Haushaltsnotlage im Bundes- bzw. in einem der Länderhaushalte droht, ist problematisch. Wegen der angestrebten normativen Wirkung sind Indikatoren und dazugehörige Grenzwerte kaum über wissenschaftliche Kriterien zu begründen. 407 Es ist nicht möglich, eine bestimmte Haushaltslage exakt durch in Zahlen oder Quoten gefasste messbare Größen festzulegen. Eine Beschränkung auf einzelne Indikatoren bei der Diagnose von Haushaltsfehlentwicklungen ist insofern nicht zweckmäßig. Die in Betracht kommenden Indikatoren sind interdependent und müssen im Zusammenhang beurteilt werden. Bei einer Analyse der Ursachen für die drohende Krise und bei der Festlegung von Sanierungspfaden muss bei der Bewertung der Indikatoren berücksichtigt werden, dass diese stark vom Wirtschaftswachstum und der Zinsentwicklung beeinflusst werden. 408 Die Festlegung einer Defizitwarngrenze mit Bezug auf die folgenden Indikatoren definiert nicht eine Haushaltskrise oder -notlage, sondern kann nur ein Auslöser für eine umfassende Bestandsaufnahme der jeweiligen Haushaltssituation und der Verfahren zu ihrer Stabilisierung sein. Indikatoren haben somit nur eine indizierende Wirkung für den Zustand eines öffentlichen Haushalts. Ein möglichst genaues Bewertungsergebnis erfordert die Kombination mehrere Indikatoren. Zu suchen sind daher Indikatoren mit denen man die Haushaltspolitik von Bund und Ländern erfassen und bewerten kann. Diese müssen für alle Länder und – wenn möglich auch für den Bund – gleichermaßen gelten und eine Differenzierung zwischen einer stabilen Haushaltslage, einer angespannten Haushaltslage im Sinne einer Haushaltskrise und einer einfachen sowie extremen Haushaltsnotlage zulassen. 409 407 H. Seitz, Konzeption eines Haushaltsnotlagenpräventionssystems, in: K. Konrad / B. Jochimsen, Der Föderalstaat nach dem Berlin-Urteil, S. 71 (81). 408 Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten, Haushaltskrisen im Bundesstaat, S. 36. 409 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 4.
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Ein begleitendes Frühwarnsystem hat vor dem Hintergrund des Prinzips der Selbstverantwortlichkeit für eigene Verbindlichkeiten seinen Hauptanwendungsbereich in der Einhaltung der für Deutschland im Verhältnis zur EG verbindlichen Maastricht-Kriterien. Es besteht ein Interesse der Gebietskörperschaften, problematische Haushaltslagen frühzeitig zu erkennen. Eine Möglichkeit ist deshalb der Rückgriff auf die Maastricht-Kriterien. 410 Diese sollten zusätzlich durch die vom BVerfG für die Identifizierung einer Haushaltsnotlage verwendeten Indikatoren bei der Haushaltsbegutachtung ergänzt werden. In Betracht kommen die Hinzuziehung der Kreditfinanzierungsquote, der Zins-Steuer-Quote, des über die Primärüberschuss- bzw. Primärdefizitbetrachtung zu ermittelnden Primärsaldos, der Schuldenstand je Einwohner in Relation zum Länderdurchschnitt ergänzt um die Deckungsquote sowie die Zinsausgaben, ins Verhältnis gesetzt zu den Ausgaben (Zins-Ausgaben-Quote). Die Kreditfinanzierungsquote beschreibt wie bereits an anderer Stelle erörtert 411 das Verhältnis zwischen der gesamten Kreditaufnahme zu den bereinigten Ausgaben. Sie zeigt, welcher Teil der Ausgaben kreditfinanziert ist. Die Zins-Steuer-Quote stellt den Anteil der Zinsausgaben an den Einnahmen dar, wobei sich die Einnahmen aus den Steuereinnahmen, den Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich i. e. S. und den Bundesergänzungszuweisungen zusammensetzen. Die Haushaltsnotlagehilfen und die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen werden nicht einberechnet. Das über die Primärüberschuss- bzw. Primärdefizitbetrachtung ermittelte Primärsaldo beschreibt die Differenz zwischen bereinigten Einnahmen ohne Kreditaufnahme und Privatisierungserlösen und bereinigten Ausgaben ohne Zins und Tilgung. Er zeigt an, ob die betroffene Gebietskörperschaft in der Lage ist, die Personalund Sachaufwendungen sowie die Investitionen aus den laufenden Einnahmen zu finanzieren. Die Deckungsquote einer Gebietskörperschaft zeigt, welche Anteile der Ausgaben durch Einnahmen gedeckt sind. Ein Bedarf zur Kreditaufnahme besteht, wenn die Deckungsquote kleiner als eins ist und keine Einsparpotentiale realisiert werden. Schließlich kann man noch auf die Zins-Ausgaben-Quote zurückgreifen. Sie lässt Rückschlüsse darauf zu, welcher Teil der bereinigten Ausgaben eines Landes für die Bedienung der Zinslasten bestimmt ist. Die dargestellten Indikatoren sind zur Ermittlung, ob eine Haushaltsnotlage im Bundes- bzw. in einem der Länderhaushalte droht, geeignet. Die hieran anknüpfende konkrete Festlegung von nachvollziehbaren Grenzwerten ist von den Rechtswissenschaften nur in Zusammenarbeit mit den Finanzwissenschaften zu leisten. 412 410 Vgl. hierzu den Vorschlag im Dritten Teil Kap. D.I.2.b)cc), nach welchem die europäischen Defizitkriterien mit abgeänderten Referenzwerten als eine durch den Bund festgelegte Obergrenze für die Verschuldung der Länder normiert werden. 411 Vgl. Zweiter Teil Kap. B.II.2.a)cc)β)(6). 412 Vgl. weiterführende Überlegungen bei etwa bei H. Seitz, Konzeption eines Haushaltsnotlagenpräventionssystems, in: K. Konrad / B. Jochimsen, Der Föderalstaat nach dem Berlin-Urteil, S. 71 (79 ff.).
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b) Zuständiges Kontrollorgan Schwierigkeiten bereitet die Beantwortung der Frage nach einer geeigneten Instanz, welcher die Kompetenz zukommen soll, anhand der vorher genannten Kriterien eine drohende Haushaltsnotlage verbindlich festzustellen und welche ein sich sinnvollerweise anschließendes Sanierungsverfahren zu begleiten vermag. Eine unabhängige und ausreichend sanktionsbewehrte Institution mit Entscheidungs- und Eingriffskompetenz muss durch eine zu schaffende Gesetzesgrundlage in die Lage versetzt werden, frühzeitig Haushaltsprobleme von Bund und Ländern erkennen zu können, um entsprechend korrigierende Eingriffe vorzunehmen, wobei die Konjunkturproblematik und die zahlreichen weiteren Einzelprobleme zu berücksichtigen sind. Aufgrund der einer Haushaltsnotlage zugrunde liegenden spezifischen Interessenlage der Beteiligten bedarf es dafür einer möglichst neutralen Instanz. Eine bestehende oder noch zu schaffende Instanz muss finanz- und rechtswissenschaftlichen Sachverstand auf sich vereinigen, in ihrer Entscheidungsfindung so unabhängig wie möglich sein und in der Lage sein, möglichst schnell nach intensiven Beratungen entscheiden zu können. 413 Nimmt man diese Kriterien als Maßstab für die Ermittlung eines geeigneten Überwachungsorgans, erscheinen drei institutionelle Varianten möglich: (a) ein Gericht, z. B. das BVerfG, das BVerwG bzw. das BFinG, (b) ein neu zu schaffendes externes Sachverständigengremium oder (c) der Ausbau des Finanzplanungsrates zu einem „Stabilitätsrat“. Gerichte als judikativer Ausfluss des Gewaltenteilungsgrundsatzes zeichnen sich durch ihre Unabhängigkeit aus. Richter sind als Autoritäten in unserer Gesellschaft geachtet, womit ihren Entscheidungen mit Respekt begegnet wird. Dennoch sind Gerichte keine geeignete Instanz zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage. Ein Gericht wie das BVerfG ist kein Fachgericht und hat mit Ausnahme einzelner Richter nicht das notwendige Fachwissen, um solche Entscheidungen jeder Zeit treffen und begleiten zu können. Eine andere Alternative für solche Verfahren könnte die Schaffung von Spezialkammern am BVerwG oder am BFinG sein. Aber auch hier wird es schwierig sein, das nötige Fachwissen vorzuhalten. Ferner besteht bei den in Betracht kommenden Gerichten die Gefahr, dass die Verfahren aufgrund anderer Belastungen unverhältnismäßig lange dauern können. Bei einer drohenden Haushaltsnotlage ist jedoch ein zügiges Entgegensteuern geboten. Mit der Installation eines externen Sachverständigengremiums wäre hingegen eine unabhängige, sachverständige Beurteilung der Haushaltsentwicklung von Bund und Ländern zu gewährleisten. Von erheblichem Nachteil wäre jedoch 413 Ergänzt um die sicherlich förderliche Anforderung einer möglichst hohen Reputation der Mitglieder der zu ermittelnden Entscheidungsinstanz J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 180.
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die fehlende demokratische Legitimation eines solchen Gremiums. Eine solche wäre gem. Art. 20 Abs. 2 GG zumindest dann erforderlich, wenn ein Gremium von externen Sachverständigen verbindliche Bemessungen der Haushaltslage von Bund und Ländern vornimmt. 414 Da es nicht Ziel der Einführung eines begleitenden Systems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte sein kann, bloß unverbindliche Sachverständigengutachten einzuholen, ist die Installation eines externen Sachverständigengremiums kein geeignetes Kontrollorgan. Vorzugswürdig ist es daher, den schon existierenden Finanzplanungsrat ausschließlich für die Beobachtung und Bewertung der Haushaltslage des Bundes und der Länder bzw. für die Begleitung im Sanierungsverfahren z. B. durch eine Erweiterung der Mitglieder punktuell aufzuwerten. 415 Für einen Rückgriff auf bereits vorhandene Strukturen spricht die bereits jetzt bestehende Besetzung des Finanzplanungsrates, welchem gem. § 51 HGrG die Bundesminister der Finanzen und für Wirtschaft und Technologie, die Finanzminister der Länder, vier Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände, die vom Bundesrat auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände bestimmt werden, angehören. Die Deutsche Bundesbank kann an den Beratungen des Finanzplanungsrates teilnehmen. Dieser Kreis ist um einen beratenden Sachverständigenkreis und den Präsidenten des Bundesrechnungshofes sowie einen turnusmäßig zu wechselnden Vertreter der Präsidenten der Landesrechnungshöfe zu erweitern. Sollte der Finanzplanungsrat sich in einer solchen erweiterten Besetzung mit der erweiterten Aufgabenstellung zusammenfinden, wäre es angebracht die Unterscheidung durch eine Bezeichnung z. B. als „Stabilitätsrat“ nach außen hin deutlich zu machen. Um seine Legitimation zu erhöhen, sollte der „Stabilitätsrat“ im Grundgesetz in Art. 109 GG als Kontrollinstanz für die Verschuldung von Bund und Ländern verankert werden. Durch eine solche Lösung wird ein hohes Maß an Sachverstand garantiert, das grundsätzlich zu demokratisch legitimierten Entscheidungen führen kann. Ein durch die Mitglieder der Exekutive, Mitgliedern der Rechnungshöfe und externen Sachverständige möglichst kompetent besetztes Gremium entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratieprinzips. Die Existenz eines Stabilitätsrats mit seinen je nach Ausgestaltung eher eingeschränkt demokratischen Elementen kann ergänzend durch die gene414
U. Häde, Kom.-Drs. 21, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 17; I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (439); S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 3. 415 Ähnlich auch J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 181; H. Hofmann, DÖV 2008, S. 833 (840); S. Korioth, Kom.Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen, S. 4; H. Pünder, DVBl. 2008, S, 946 (954); J. Wieland, Kom.Drs. 30, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen, S. 5.
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rationenübergreifenden Nachhaltigkeitseffekte seiner Entscheidungen gerechtfertigt werden. Es gilt hier die Interessen künftiger Generationen einzubeziehen. Heutige politische Mehrheiten werden von den nachrückenden und zukünftigen Generationen nicht gewählt. Gegenüber künftigen Generationen stellt sich demokratische Legitimation insofern anders dar, als die heutigen Mehrheiten von den nachrückenden und zukünftigen Generationen nicht gewählt worden sind. Das Erfordernis der demokratischen Legitimation ist insoweit wegen der einzubeziehenden Interessen künftiger Generationen abgeschwächt. Die Entscheidungen des „Stabilitätsrats“ können mit einem hohen Grad von Unabhängigkeit und wenn nötig in der gebotenen Eile gefällt werden. Ferner werden mit einem Rückgriff auf den Finanzplanungsrat als zuständigem Kontrollorgan Kompetenzabgrenzungsschwierigkeiten minimiert und Kosten durch die Nutzung der Strukturen des Finanzplanungsrates niedrig gehalten. An die Zuständigkeit des Kontrollorgans anknüpfend, stellt sich die Frage, wer ein solches Haushaltsnotlageverfahren initiieren kann, d. h. ob es eines Antragsoder Initiativrechts bedarf. 416 Am einfachsten erscheint es, einen neu zu schaffenden „Stabilitätsrat“ von Amts wegen zum Tätigwerden beim Überschreiten der Grenzwerte zu verpflichten. Eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Entscheidungen des „Stabilitätsrates“ könnte durch ein beschleunigtes Bund-Länder-Streitverfahren (aufzunehmen in Art. 93 Abs. 1 GG) ermöglicht werden, wobei das Kontrollorgan auch eine Antragsbefugnis erhalten muss. c) Haushaltssanierungsverfahren Bei der Normierung eines Haushaltssanierungsverfahrens gilt es mehrere Stufen zu unterscheiden. Anhand der ermittelten Finanzindikatoren und den festzulegenden Grenzwerten sollte eine Defizitwarngrenze definiert werden. 417 Bei der (a) ersten Überschreitung des Grenzwertes hat der „Stabilitätsrat“ dies zu verkünden und die betroffene Gebietskörperschaft zur Behebung des Missstandes öffentlich aufzufordern. Sollte sich die Haushaltslage (b) in einem zu definierenden Zeitraum weiter verschlechtern und die Defizitwarngrenze ein zweites Mal überschritten werden, dann muss eine automatische Verpflichtung für den „Stabilitätsrat“ greifen, in einem bestimmten Zeitraum mit der betroffenen Körperschaft ein Konsolidierungsprogramm zu erarbeiten, welches nach einer verbindlichen Fixierung in eine Umsetzungsphase mündet. Sollten die im verbindlich fixierten Konsolidierungsprogramm festgelegten Konsolidierungsziele nicht erfüllt werden, bedarf es (c) einer Prüfung, ob die Ziele z. B. aufgrund 416 Zur Frage der Notwendigkeit der Einführung von Antrags- und Initiativrechten weiterführend J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 181 ff. 417 Vgl. Dritter Teil Kap. D.II.2.a).
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sich extrem veränderter, von der Gebietskörperschaft nicht zu beeinflussender Rahmendaten einer Nachbesserung bedürfen. Falls dies nicht der Fall sein sollte, sind (d) durch den „Stabilitätsrat“ gegebenenfalls Sanktionsmaßnahmen gegen die betreffende Gebietskörperschaft zu verhängen. 418 Das gesamte Verfahren ist auf einen Sanierungserfolg ausgerichtet. Eine Insolvenz der Gebietskörperschaft ist nicht möglich. Das Konsolidierungsprogramm ist grundsätzlich zunächst alleine durch die betroffene Gebietskörperschaft zu erstellen und muss die konkrete Erfüllung von Sparzielen in einem definierten zeitlichen Rahmen enthalten. Im Anschluss ist das Konzept vom „Stabilitätsrat“ auf seine Umsetzbarkeit zu überprüfen und im Bedarfsfall in Kooperation mit der Gebietskörperschaft zu überarbeiten. Der „Stabilitätsrat“ sollte ferner die Befugnis erhalten, Vorschläge für die Bereitstellung von zweckgebundenen Sanierungshilfen, die aus dem Entschuldungsfonds geleistet werden, als positiven Anreiz einbringen zu können. 419 Möglicherweise zu vereinbarende Sanierungshilfen sollten abschnittsweise bei der Erreichung von ebenfalls zu definierenden Konsolidierungszwischenzielen gezahlt werden. 420 Das Konsolidierungsrisiko ist für beide Seiten (helfende Föderalgemeinschaft / sanierungsbedürftige Körperschaft) so weit wie möglich einzugrenzen. Hierzu muss das Hauptaugenmerk der Konsolidierung auf die Reduzierung struktureller Defizite gelegt werden. Das in dem vorgezeichneten Weg erarbeitete Konsolidierungsprogramm muss nach Abschluss der Beratungen von den Beteiligten in einer Vereinbarung beschlossen werden. Als Instrumente kommen grundsätzlich die Verabschiedung eines Sanierungsgesetzes, der Abschluss bioder multilateraler Staatsverträge sowie die Einsetzung eines Bundesbeauftragten in Betracht. Aufgrund ihrer besonderen Flexibilität erscheint der Abschluss eines Staatsvertrages die Erfolg versprechenste Option darzustellen. Eine zeitgerechte Verabschiedung von Sanierungsgesetzen ist wegen des formalen Gesetzgebungsverfahrens nur schwer sicherzustellen. Die Einsetzung eines Bundessanierungsbeauftragten ist abgesehen von verfassungsrechtlichen Problemen politisch nicht durchsetzbar und daher abwegig. Der Abschluss eines Staatsvertrages hat zudem den Vorteil, dass ein freiwilliger Souveränitätsverzicht für einen bestimmten Zeitraum zwischen den Parteien vereinbart werden kann. Nach Abschluss des Staatsvertrages wird der Vollzug des verbindlich gewordenen Konsolidierungsprogramms durch den „Stabilitätsrat“ als Controller überwacht. Vereinzelt wird darauf hingewiesen, dass der eben beschriebene Ablauf eines Haushaltssanierungsverfahrens insbesondere mit Kompetenzproblemen verbunden ist, die den Abschluss eines Konsolidierungsprogramms in Form eines Staatsvertrages auf beiden Seiten erheblich erschweren können. 421 418
Hierzu im Anschluss Dritter Teil Kap. D.II.2.d). Zur Funktion eines Entschuldungsfonds vgl. Dritter Teil Kap. D.I.2.c)bb)α). 420 J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 211 ff. 419
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d) Sanktionsmöglichkeiten Um einer drohenden Haushaltsnotlage des Bundes oder eines der Länder im Rahmen des Haushaltssanierungsverfahrens begegnen zu können, müssen dem „Stabilitätsrat“ bestimmte Handlungsoptionen zur Durchsetzung der Schuldenbegrenzung eröffnet werden. Aufgrund der Haushaltsautonomie der Gebietskörperschaften ist jedoch gegenüber bewertenden oder korrigierenden Eingriffen in die Haushaltswirtschaft Zurückhaltung geboten. 422 Der „Stabilitätsrat“ muss in jedem Fall die Möglichkeit haben, die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern zu beobachten und zu bewerten. Deutet sich eine drohende Haushaltsnotlage an, sind durch ihn bei Überschreitung der Defizitwarngrenze öffentliche Warnungen mit unverbindlichen Empfehlungen für die Haushaltspolitik auszusprechen. Weitergehende Eingriffe in die Haushaltsführung einer Gebietskörperschaft sollte es nur in sehr eingeschränktem Rahmen geben. In Betracht kommt die Einführung eines Rechts, welches dem „Stabilitätsrat“ erlaubt bei einem Fehlgehen der Sanierungsbemühungen die gegebenenfalls abschnittsweise zu gewährenden Sanierungshilfen auf Grundlage des Staatsvertrages zu verweigern. Anknüpfend könnten bei weiteren Verstößen Strafzahlungen, analog dem europäischen Defizitverfahren, verhängt werden. Härtere Eingriffe sind nicht sinnvoll und bedürfen zudem grundsätzlich einer Reform des Art. 109 Abs. 1 GG. Abzulehnen ist die Idee der vereinzelt in Erwägung gezogenen, zwangsweisen Einsetzung eines Sparkommissars für Not leidende Länder nach Art. 37 Abs. 1 GG. 423 Hiergegen spricht grundsätzlich schon die Staatsqualität der Bundesländer, die einen fundamentalen Unterschied zu Selbstverwaltungskörperschaften wie beispielsweise den Kommunen darstellt. Dennoch ist ein solches Vorgehen nach dem Grundgesetz nicht unmöglich. Art. 37 Abs. 1 GG dient der Sicherung des Bundesstaatsprinzips und der Wahrung der Gesamtverfassung. Ihm kommt eine Reserve- und Auffangfunktion zu, wonach ein Bundesland zur Erfüllung seiner ihm obliegenden grundgesetzlich oder bundesgesetzlich vorgegebenen Bundespflichten durch die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates als ultima ratio gezwungen werden kann. 424 Eine ähnliche Regelung gab es schon in Art. 19 der Reichsverfassung von 1871, wobei damals die Länder im Gegen421 Ausführlich J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 218 ff. 422 S. Korioth, Kom.-Drs. 17, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 5. 423 Vgl. G. Sierck / M. Pöhl, Möglichkeiten des Bundeszwangs nach Art. 37 Grundgesetz – Einsetzung eines „Sparkommissars“?, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung WD 3 – 249/06, v. 19. Juli 2006; zu Recht ablehnend W. Pauly / C. Pagel, DÖV 2006, S. 1028 ff.; M. Rossi / G. F. Schuppert, ZRP 2006, S. 8 (9); P. Selmer, JuS 2006, S. 1052 (1059 f.). 424 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 37 Rn. 2; T. Maunz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 37 Rn. 9; K. Stern, Staatsrecht I, S. 716.
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satz zum heutigen föderalen Gefüge die stärkeren Glieder gegenüber dem damals noch recht schwachen Bund waren. Art. 37 Abs. 1 GG ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie zur Anwendung gekommen. Spätestens seit Gründung des BVerfG werden solche Streitigkeiten zwischen einzelnen Ländern und dem Bund nur noch mit gerichtlicher Beteiligung gelöst, womit die Norm einen Teil ihrer Legitimation eingebüßt hat. Zum Teil wird die Anwendbarkeit des Art. 37 Abs. 1 GG innerhalb der Finanz- und Haushaltsverfassung bezweifelt. 425 Dies überzeugt jedoch nicht, da der Wortlaut des Art. 37 Abs. 1 GG eindeutig ist, indem er keine Materie explizit von der Anwendung des Bundeszwanges ausschließt. Kritische Stimmen in den Beratungen des Parlamentarischen Rates bzgl. einer Nichtanwendbarkeit auf die Finanzordnung haben sich nicht durchgesetzt. Auch die Sonderstellung der Finanz- und Haushaltsverfassung als in der Verfassung relativ ausdifferenziert angelegte Materie begründet keine Ausnahme von Art. 37 Abs. 1 GG. Nach den Tatbestandsvoraussetzungen der Norm bedarf es daher zur Anwendung jeglichen Bundeszwangs einer Nichterfüllung zumindest einer Bundespflicht aus dem Grundgesetz oder einem Bundesgesetz wie z. B. eines Verstoßes gegen eine Pflicht aus einem zu erlassenen Haushaltsnotlagegesetz bzw. einzufügender Teile in das Haushaltsgrundsätzegesetz und das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz, Nichterfüllung oder eines Verstoßes gegen ein im Wege des Staatsvertrages geschlossenen Sanierungsprogramm. Dieser Verstoß muss durch ein Bundesland erfolgen, d. h. durch seine Verfassungsorgane mit Ausnahme der Rechtsprechung. Sollte dann der Bundesrat einer von der Bundesregierung vorgeschlagenen Zwangsmaßnahme zustimmen, wäre die entsprechende Maßnahme umzusetzen. Es ist jedoch überaus zweifelhaft, ob eine derart harte Maßnahme wie die Einsetzung eines Sparkommissars nach Art. 37 Abs. 1 GG „notwendig“ bzw. verhältnismäßig ist. Die Maßnahmen des Bundeszwangs liegen im Entschließungs- und Auswahlermessen der Bundesregierung und des Bundesrates; somit stellt hier die Grenze das Übermaßverbot dar. Es ist nicht ersichtlich, welche Erfolg versprechenden Vorteile die Einsetzung eines Sparkommissars mit entsprechenden Weisungsrechten gegenüber dem Haushaltsnotlageland mit sich bringen würde. Es mangelt somit schon an der Eignung des gewählten Mittels. Ein Sparkommissar wäre auch nicht in der Lage, die nicht unerheblichen Probleme auf der Einnahmenseite der Länder zu beseitigen, da diese Missstände überwiegend aus Bundesregelungen resultieren. 426 Ferner wird ein Sparkommissar die hinter einer Haushaltsnotlage stehenden strukturellen Schwächen eines Bundeslandes kaum alleine bewältigt können. Entsprechende z.T. umfangreichere Änderungen in den Landesgesetzen bedürfen schon nach dem Demokratieprinzip der Verabschiedung durch das jeweilige Landesparlament. Entsprechende 425 426
W. Pauly / C. Pagel, DÖV 2006, S. 1028 (1030 f.). So auch zutreffend W. Pauly / C. Pagel, DÖV 2006, S. 1028 (1034).
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Lösungen sollten daher besser im Einvernehmen der Beteiligten durch verbindliche Sanierungsvereinbarungen, deren Einhaltung von einem „Stabilitätsrat“ überwacht wird, getroffen werden, anstatt einseitige Lösungen über den Einsatz eines Sparkommissars nach Art. 37 Abs. 1 GG zu suchen. Im Ergebnis sollte man daher darüber nachdenken, Art. 37 GG in seiner jetzigen Form als Relikt eines überalterten Föderalismusverständnisses zu entschärfen, indem man ihn über einen zu ändernden Wortlaut auf eng eingegrenzte Bundespflichten zur Aufrechterhaltung und Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung gem. Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG beschränkt. 3. Umsetzung durch Föderalismusreform II Im Zuge der Föderalismusreform II wurde mit Verabschiedung des Art. 109a GG die Einführung eines Stabilitätsrates zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen beschlossen. Die genaue Ausgestaltung des Stabilitätsrates erfolgte im StabiRatG. a) Einführung eines Stabilitätsrates zur Überwachung der Haushalte Mit der Normierung von Art. 109a GG hat der Verfassungsgesetzgeber ein durch das BVerfG in seiner Rechtsprechung 427 immer wieder gefordertes „Frühwarnsystem“ zur präventiven Vermeidung von Haushaltsnotlagen im Grundgesetz verankert. Sinn und Zweck der Regelung ist die möglichst frühzeitige Erkennung von Haushaltsnotlagen, um diesen zuvorzukommen. Art. 109a GG gilt für Bund und Länder gleichermaßen. Der Bundesgesetzgeber hat gem. Art. 109a S. 1 GG, einen die Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern fortlaufend überwachenden gemeinsamen Stabilitätsrat mit Zustimmung des Bundesrates einzurichten, die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage zu regeln sowie die Grundsätze zur Aufstellung und Durchführung von Sanierungsprogrammen festzulegen. Die Beschlüsse und Beratungsunterlagen müssen nach Art. 109a S. 2 GG veröffentlicht werden. Durch die Veröffentlichung der Beratungsergebnisse und der zugrunde liegenden Unterlagen soll öffentlicher Druck aufgebaut und Transparenz geschaffen werden. Art. 109a GG gibt insoweit vor, dass der Stabilitätsrat die Finanzdaten von Bund und Ländern überwacht. Deutet ein Abgleich der Finanzdaten eines Beteiligten mit den festzulegenden Kennziffern auf das Risiko des Entstehens einer Haushaltsnotlage hin, dann hat eine umfassende Analyse der Haushaltssituation der betroffenen Gebietskörperschaft durch den Rat zu erfolgen. Anhand der 427
BVerfGE 86, 148 (266); 116, 327 (393).
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aus der Analyse erhaltenen Daten beurteilt der Stabilitätsrat, ob eine Haushaltsnotlage droht. Falls das Vorliegen einer drohenden Haushaltsnotlage festgestellt wird, ist der Bund oder das betroffene Bundesland dazu verpflichtet, eigenverantwortlich alle Konsolidierungsmöglichkeiten zu nutzen und ein entsprechendes Sanierungsprogramm mit dem Stabilitätsrat zu vereinbaren. Der Stabilitätsrat hat anschließend die Aufgabe die Durchführung des Sanierungsprogramms zu überwachen. Detailregelungen zur Ausgestaltung des präventiven Begleitsystems zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen sind im StabiRatG normiert. In § 1 StabiRatG ist der Stabilitätsrat als gemeinsames Gremium der Fachminister von Bund und Ländern gesetzlich verankert. Die Aufgabe des Stabilitätsrates besteht darin, auf der Grundlage des StabiRatG ein Verfahren zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen zu entwickeln und durchzuführen. Beratend können hierfür Vertreter der kommunalen Spitzenverbände oder der Bundesbank als Gäste zu den Beratungen hinzugezogen werden. Den Vorsitz des Stabilitätsrates übernehmen die Bundesministerin oder der Bundesminister der Finanzen und der turnusgemäße Vorsitzende der Finanzministerkonferenz der Länder gem. § 1 Abs. 2 StabiRatG gemeinsam. Damit der Stabilitätsrat seinen Überwachungsaufgaben sinnvoll nachkommen kann, tritt er mindestens zweimal jährlich zusammen. § 1 Abs. 4 StabiRatG regelt die Beschlussfassung des Stabilitätsrates. Hierbei werden die Beschlüsse des Stabilitätsrates grundsätzlich mit der Stimme des Bundes und der Mehrheit von zwei Dritteln der Länder gefasst. Das Stimmrecht des Bundes wird durch die Bundesministerin oder den Bundesminister der Finanzen ausgeübt. Das von Maßnahmen des Stabilitätsrates betroffene Land ist nicht stimmberechtigt. Entscheidungen des Rates, die den Bund betreffen, werden allein mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Bundesländer gefasst. Die Einzelheiten der Verfahrensabläufe im Stabilitätsrat sind gem. § 1 Abs. 5 StabiRatG in einer Geschäftsordnung zu regeln. Ferner ist für den Stabilitätsrat ein Sekretariat einzurichten. § 2 StabiRatG definiert die Aufgaben des Stabilitätsrates. In Anknüpfung an Art. 109a GG sind als Hauptaufgaben die regelmäßige Überwachung der Haushalte des Bundes und der Länder sowie die Durchführung von Sanierungsverfahren nach § 5 StabiRatG festgelegt. Dem Stabilitätsrat können jedoch durch Gesetz auch weitere Aufgaben übertragen werden, wie dies im Gesetz die Überwachung der Konsolidierungsverpflichtungen im Rahmen der Gewährung von Konsolidierungshilfen nach Art. 143d Abs. 2 GG geschehen ist. In § 3 StabiRatG präzisiert der Gesetzgeber das Verfahren zur Überwachung der Haushalte von Bund und Ländern einschließlich der Einhaltung der verfassungsmäßigen Schuldengrenzen. Der Stabilitätsrat befasst sich dabei einmal im Jahr mit der Haushaltslage des Bundes und jedes einzelnen Landes. Die Basis bilden hierbei regelmäßige Berichte der beteiligten Gebietskörperschaften sowie die Festlegung geeigneter, vom Stabilitätsrat zu definierender Kennziffern, an
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denen die Haushalte von Bund und Länder gemessen werden. Die Veröffentlichung der vorgelegten Berichte sowie der Schlussfolgerungen des Stabilitätsrates ist nach § 3 Abs. 3 StabiRatG ein zentraler Bestandteil des Verfahrens. Er dient vor allem der Herstellung von Transparenz. § 4 StabiRatG beinhaltet Regelungen hinsichtlich einer drohenden Haushaltsnotlage. Der Stabilitätsrat wird gem. § 4 Abs. 1 S. 1 StabiRatG vom Gesetzgeber ermächtigt Schwellenwerte der einzelnen Kennziffern nach § 3 Abs. 2 StabiRatG als Indikatoren festzulegen. Für den Bund sind von den Länderwerten abweichende Schwellenwerte festzusetzen. Sollte die Schwellenwerte überschritten werden oder eine der Gebietskörperschaften von sich aus eine drohende Haushaltsnotlage befürchten, leitet der Stabilitätsrat eine gem. § 4 Abs. 2 StabiRatG eine Prüfung ein. Diese umfasst nach Abs. 3 alle relevanten Bereiche, d. h. insbesondere Höhe und Entwicklung der Verschuldung, Haushaltsdefizite, Zinsausgaben, Höhe und Struktur der Ausgaben und Einnahmen. Hinsichtlich dieser Daten unterliegt die betroffene Gebietskörperschaft einer Auskunftspflicht. Die Ergebnisse der Prüfung müssen dem Stabilitätsrat zu dessen nächster Sitzung in einem Bericht vorgelegt werden, auf dessen Grundlage der Rat beschließt, ob im Bund oder in dem betreffenden Land eine Haushaltsnotlage droht. § 5 StabiRatG regelt am Ende des Gesetzes die näheren Einzelheiten des Verfahrens nach Feststellung einer drohenden Haushaltsnotlage. Nach § 5 Abs. 1 StabiRatG hat der Stabilitätsrat über ein Sanierungsprogramm für die betroffene Gebietskörperschaft zu verhandeln. Der Bund ist insoweit vorschlagsberechtigt. Ein Sanierungsprogramm soll grundsätzlich einen Zeitraum von fünf Jahren umfassen und darauf ausgerichtet sein, die drohende Haushaltsnotlage frühzeitig abzuwenden und den Haushalt nachhaltig zu sanieren. Nach § 5 Abs. 2 StabiRatG setzt die betroffene Gebietskörperschaft die im Stabilitätsrat vereinbarten Maßnahmen eigenständig um und berichtet darüber halbjährlich. Bei Abweichungen der tatsächlichen Nettokreditaufnahme von der vereinbarten Nettokreditaufnahme sind zwischen dem Stabilitätsrat und der Gebietskörperschaft weitere Maßnahmen zu vereinbaren. Sollten die Anstrengungen der betroffenen Gebietskörperschaft nicht ausreichen, ergeht durch den Stabilitätsrat nach § 5 Abs. 3 StabiRatG eine Aufforderung zu verstärkten Maßnahmen, wobei diese Aufforderung bei Bedarf wiederholt werden kann. Gem. § 5 Abs. 4 StabiRatG wird grundsätzlich nach Ablauf des vereinbarten Sanierungszeitraumes angenommen, dass das betroffene Land saniert ist. Sollte eine Sanierung nicht erfolgreich abgeschlossen worden sein, ist der Stabilitätsrat befugt, den Sanierungszeitraum zu verlängern oder mit dem Land ein neues Sanierungsprogramm zu vereinbaren. b) Bewertung der Neuregelung Die Einführung eines Verfahrens zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen in Art. 109a GG und dem StabiRatG war im Hinblick auf das starke Anwachsen
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der Verschuldung in einzelnen Ländern und beim Bund absolut notwendig. Die Stärke des im Rahmen der Föderalismusreform II normierten Präventionsmechanismusses liegt eindeutig in der Schaffung von Transparenz in den Haushalten von Bund und Ländern. Trotz der richtigen Intention des Gesetzgebers, drohender Überschuldung der Gebietskörperschaften rechtzeitig entgegenzusteuern, ist auch Kritik an den Regelungen angebracht. Das größte Problem der Neuregelungen ist, dass das StabiRatG dem Stabilitätsrat keine weiterreichenden Sanktionsmöglichkeiten zugesteht. Stellt das von einer Haushaltsnotlage bedrohte Land oder der Bund unzureichende Sanierungsbemühungen an, hat der Stabilitätsrat nach § 5 Abs. 3 S. 3 und Abs. 4 StabiRatG nur die Möglichkeit die betroffene Gebietskörperschaft erneut zu verstärkten Sanierungsbemühungen zu ermahnen oder nach Ablauf des Sanierungsprogramms ein Folgeprogramm zu beschließen. Die im deutschen Föderalismus verankerte bundesstaatliche Einstandspflicht legitimiert aber auch ein Zusammenwirken der bedrohten Gebietskörperschaft und der Solidargemeinschaft in dem Sinne, dass die fiskalische Eigenständigkeit des Betroffenen in Krisenzeiten in begrenztem Maße temporär eingeschränkt werden kann. Dem Stabilitätsrat müssen ähnliche Sanktionsinstrumente wie sie im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgesehen sind, zugestanden werden. Insbesondere die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionszahlungen ist daher in das StabiRatG aufzunehmen. Ein weiterer Schwachpunkt der im Zuge der Föderalismusreform II getroffenen Regelungen ist die Besetzung des Stabilitätsrates. Grundsätzlich ist es unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation zu begrüßen, dass sich der Gesetzgeber für ein Exekutivmodell bei der Besetzung des Rates entschieden und keine externen Experten integriert hat. Hingegen hat der Gesetzgeber es versäumt die Rechnungshöfe in das Überwachungsverfahren sinnvoll zu integrieren. Gerade bei den Rechnungshöfen sind Kompetenzen für das angedachte Präventionsverfahren vorhanden. Der Stabilitätsrat sollte daher um den Präsidenten des Bundesrechnungshofes und den jeweiligen Vorsitzenden der Landesrechnungshöfe sowie im Fall einer drohenden Haushaltsnotlage um den Präsidenten des Landesrechungshofes des betroffenen Landes erweitert werden. Hinsichtlich einer Regelung über den Vorsitz im Stabilitätsrat gem. § 1 Abs. 2 StabiRatG bedarf es ferner einer Kollisionsregelung für den Fall, dass eine drohende Haushaltsnotlage für das Land festgestellt wird, welches gerade den Vorsitz hat oder im Verlauf des Sanierungsprogramms bekommen soll. In diesem Zeitraum könnte z. B. der Präsident des Rechnungshofes der betroffenen Gebietskörperschaft die Funktion des Vorsitzes anstelle des Ministers übernehmen. Über eine solche Kollisionsregelung würden manipulative Einwirkungen über die Vorsitzendenfunktion von vornherein ausgeschlossen. Ein letzter wichtiger Punkt bei der Einführung eines präventiven Begleitsystems zur Vermeidung von Haushaltsnotlage ist, dass der möglichst vorab
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zu erfolgenden Festlegung auf bestimmte Indikatoren und Schwellenwerte eine große Bedeutung zukommen muss. Bei der Suche nach geeigneten Indikatoren bietet sich vor allem der Rückgriff auf die Maastricht-Kriterien an, welche zusätzlich durch die vom BVerfG für die Identifizierung einer Haushaltsnotlage verwendeten Indikatoren bei der Haushaltsbegutachtung ergänzt werden sollten. Ferner wäre es notwendig die Sozialversicherung zumindest für die Einschätzung der Haushaltstätigkeit des Bundes einzubeziehen. Bei den Ländern sind die Finanzen der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Ermittlung ihrer Haushaltslage zu berücksichtigen. Die Festlegung der genauen Grenzwerte, d. h. ab wann die verschiedenen Stufen des Präventionsverfahrens greifen, sind im Wege der politischen Auseinandersetzung zu ermitteln. 4. Zwischenergebnis Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass der Bundesgesetzgeber vor der Föderalismusreform II aufgefordert war, ein begleitendes Präventionssystem zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte zu erlassen. Die in Form des Art. 109a GG und des StabiRatG normierten Regelungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Erstmalig unterliegen der Haushalt des Bundes und die Länderhaushalte einer umfassenden Kontrolle gemessen am Maßstab einheitlicher Kriterien. Die Schuldenbegrenzungsregeln und das Präventionssystem müssen als Einheit die Grundlage dafür bilden, drohende Haushaltsnotlagen in Zukunft rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Ein begleitendes Frühwarnsystem hat vor dem Hintergrund des Prinzips der Selbstverantwortlichkeit für eigene Verbindlichkeiten seinen Hauptanwendungsbereich in der Einhaltung der für Deutschland im Verhältnis zur EG verbindlichen Maastricht-Kriterien. Die im Rahmen der Föderalismusreform II beschlossenen Regelungen zur Einführung eines Präventionsystems gehen aber nicht weit genug, da sie insbesondere keine weitreichenden Sanktionen bei Verstoß gegen die Sanierungsmaßnahmen vorsehen. Somit liegt der wirkliche Gewinn der Neuregelung in der Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Haushalte von Bund und Ländern. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sollte der „Stabilitätsrat“ ein fortlaufendes finanzstatistisches Benchmarkingsystem als Grundlage für seine Entscheidungen installieren. Dies wäre über den neu eingefügten Art. 91d GG möglich.
III. Entschuldung der Haushalte – Umgang mit der bestehenden Verschuldung Es ist davon auszugehen, dass die kurzfristige Einführung eines unmittelbaren Zwangs zur Aufstellung ausgeglichener Haushalte eine größere Anzahl der
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Länder überfordert. Um vergleichbare Voraussetzungen für eine grundlegende Reform der Finanz- und Haushaltsordnung zu schaffen, könnte eine (teilweise) Entschuldung als Grundvoraussetzung für weiterführende Änderungen der Finanz- und Haushaltsordnung notwendig werden. Inwieweit eine Notwendigkeit zur Schaffung vergleichbarer Startbedingungen durch die Rückführung der Überschuldung einzelner Bundesländer (und ggf. des Bundes) besteht und wie diese im Einzelnen ausgestaltet sein kann, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Im Anschluss wird die im Zuge der Föderalismusreform II gefundene Regelung betrachtet. 1. Notwendigkeit vergleichbarer Startbedingungen für eine Reform der Finanz- und Haushaltsordnung Die Einführung neuer verbindlicher Schuldenbegrenzungsregeln, welche die Schuldenstandsquote von Jahr zu Jahr senken sollen, ist ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigen Konsolidierung des Bundes- und der Länderhaushalte. Fraglich ist, ob dafür in Kombination mit der Einführung eines begleitenden Systems zur zukünftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte als Grundvoraussetzung die Notwendigkeit besteht, vergleichbare Startbedingungen für die Länder zu schaffen. Hilfreich zur Beantwortung der Frage ist eine Betrachtung der Schuldenstandsquote der Bundesländer. Beim Anblick des Schuldenstandes der Flächenländer im Verhältnis zum BIP von 1992 bis 2005 stellt man fest, dass sie bei allen Ländern zunimmt. Allerdings erkennt man bei genauer Betrachtung der Zahlen, dass die sog. „Geberländer“ im Rahmen des Länderfinanzausgleichs vergleichsweise geringe Schuldenstandsquoten aufzeigen. Unterdessen liegen die neuen Länder mit Ausnahme von Sachsen klar über dem Länderdruchschnitt. 428 Die westdeutschen Flächenländer haben Schuldenstandsquoten um den Mittelwert von 25 %. Auch bei den Stadtstaaten zeigt sich ein unterschiedliches Bild. Die Schuldenstandsquote Hamburgs bewegte sich im Jahr 2005 um den Mittelwert von 25 %, das Bundesland Bremen hatte eine Schuldenstandsquote von ca. 50 % und Berlin von über 70%. Es zeigt sich, dass die Bundesländer extrem unterschiedliche Ausgangslagen in Bezug auf die Verschuldung ihrer Haushalte haben. Dies und die ungewisse wirtschaftliche Entwicklung der Länder macht die Einführung eines Automatismus zum Abbau von Schulden ohne die Schaffung vergleichbarer Startbedingungen praktisch unmöglich. Für die Einführung einer Schuldenbegrenzungsregel für 428 Vgl. Abbildung 3 bei T. Lenk, Kom.-Drs. 26, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 16, wonach die Schuldenstandsquote z. B. von Sachsen-Anhalt im Jahr 2005 fast 40% bei einem Mittel der 13 Flächenländer von annähernd 25 % beträgt.
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Bund und Länder in Kombination mit der Einführung eines begleitenden Systems zur zukünftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte ist es notwendig, den Schuldenstand zumindest in der Spitze zu senken, da einige Bundesländer ansonsten möglicherweise sofort gegen das neue Rechtsregime zur Schuldenbegrenzung verstoßen würden. Das Erreichen strukturell ausgeglichener Haushalte verbunden mit einem Einstieg in die Altschuldentilgung über die Entschuldung beispielsweise durch eine Fondslösung bzw. die Einführung eines Insolvenzrechts für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften ist daher eine Grundvoraussetzung für weitergehende Reformen des Staatsschuldenrechts. 2. Reformvorschläge zur Entschuldung der Länderhaushalte Die Beachtung einer verschärften Schuldenbegrenzungsregel wird vor allem für die hoch verschuldeten Bundesländer aufgrund der damit verbundenen hohen Zinsbelastungen problematisch, wenn nicht gar vereinzelt unmöglich sein. 429 Bevor diese gefährdeten öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften faktisch zahlungsunfähig werden und über die damit verbundenen Konsequenzen nachgedacht werden müsste (z. B. Ausfall des Schuldendienstes und Verlust der Gläubigereinlagen, Unfähigkeit der Erledigung der obligatorischen Staatsaufgaben etc.), sollte über die zusätzliche Einführung eines geeigneten Instruments zur Entschuldung des Bundes, der Bundesländer und der Kommunen nachgedacht werden. Ansonsten wäre zu erwarten, dass sich zumindest die höher verschuldeten Länder gegen die Einführung einer strengen Schuldenbremse mit einem begleitenden Systems zur künftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte aussprechen werden. Weitergehende Reformbemühungen wären insoweit im Ganzen gefährdet. Zur Lösung des Problems gibt es inzwischen verschiedene Vorschläge, die im Folgenden analysiert werden. a) Einrichtung eines Entschuldungsfonds Im Zentrum der Überlegungen zur Entlastung der Länderhaushalte steht die Einrichtung eines Entschuldungsfonds, dessen konkrete Ausgestaltung aber in den Vorschlägen z. B. hinsichtlich des in ihn zu übertragenden Schuldenvolumens und der konkreten Finanzierung divergiert. Eine solche Lösung bedarf zunächst einer Verfassungsänderung im Bereich der Art. 109 GG und Art. 115 GG. Ein Entschuldungsfonds ist als reine Schuldenmasse kein Sondervermögen gem. Art. 115 Abs. 2 GG. Bei Sondervermögen i. S. d. Art. 115 Abs. 2 GG 429
Staatskanzlei des Saarlandes, Kom.-Drs. 49, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 4.
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muss es sich immer um eine sachlich begründete Verselbstständigung einer Vermögensmasse zur besseren Aufgabenerfüllung handeln. 430 Insoweit müssen der Bund und die Länder einen gemeinsamen Fonds per Staatsvertrag einrichten, in den sie die Kreditmarktschulden zumindest der Länder (möglich wäre auch die zusätzliche Einbringung der Bundesschulden) einbringen. 431 In Verknüpfung mit den anderen Ansätzen für eine Reform des Staatsschuldenrechts, wäre die Übernahme der Schulden in einen Entschuldungsfonds bzw. eine Auszahlung von Fondsmitteln an die obligatorische Einführung einer Schuldenbegrenzungsregel in die jeweilige Landesverfassung des überschuldeten Landes gebunden. Der Vorschlag zur Normierung eines Entschuldungsfonds ist dem Vorwurf ausgesetzt, dass dieser die sparsam wirtschaftenden Länder bestrafen und die schlechter wirtschaftenden Länder belohnen würde. 432 Ferner sei zu befürchten, dass einige Länder die Finanzierungslasten für einen Entschuldungsfonds ebenfalls mit Krediten finanzieren müssten. 433 Diese Kritik verkennt, dass ein Entschuldungsfonds die notwendige Voraussetzung für eine wirksame Schuldenbegrenzungsregel ist und ein die Schuldenbegrenzungsregeln begleitenden Systems zur zukünftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundes- und der Länderhaushalt. Durch ihn entstehen bessere Rahmenbedingungen für die föderalen Beziehungen und das Wirtschaftswachstum. Der Bund und die nicht so hoch verschuldeten Länder müssten weniger Hilfsleistungen im LFA bzw. über die Bundesergänzungszuweisungen zahlen. Eine erneute Neuverschuldung des entschuldeten Landes ist dann aufgrund der weiteren Änderungen des Staatsschuldenrechts nahezu auszuschließen. Die Normierung eines Entschuldungsfonds ist grundsätzlich eine elegante Lösung, da die Höhe der Entschuldung – wie er auch im Einzelnen ausgestaltet sein möge – sehr flexibel festgelegt werden kann. Die Fondslösung könnte die Einführung einer strengen Schuldenbremse mit einem begleitenden Systems zur künftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte ermöglichen und bei einer späteren Erhöhung des Fondsvolumens auch für weitere Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung in Übergangsphasen infolge größerer Änderungen als „Kompensationsmechanismus auf Zeit“ dienen.
430
H. Jarass, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 115 Rn. 3; H. Siekmann, in: M. Sachs, GGK, Art. 115 Rn. 58; R. Wendt, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 115 Rn. 69. 431 R. Koch, Kom.-Drs. 107, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 3. 432 P. Huber, Protokoll der 4. Sitzung der Föderalismuskommission II v. 22. Juni 2007, S. 72. 433 I. Härtel, JZ 2008, S. 437 (443).
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aa) Teilentschuldung Eine Teilentschuldung der Bundesländer kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Vorgabe bei der Ausgestaltung eines Teilentschuldungsmodells ist grundsätzlich, dass es sich dabei um keinen Nebenfinanzausgleich handeln darf und Fehlanreize vermieden werden. Ein Vorschlag sieht vor, dass hoch verschuldete Länder durch die Zahlung zusätzlicher Mittel aus einem von Bund und Ländern kofinanzierten Fonds teilentschuldet werden. Finanzschwachen Ländern soll hierbei über ein System positiver Anreize für jeden getilgten Euro ein Euro als Tilgungszuschuss aus dem Entschuldungsfonds gezahlt werden. 434 Integriert in ein Konsolidierungsprogramm auf Grundlage eines die Schuldenbegrenzungsregeln begleitenden Frühwarnsystems müssen die betroffenen Bundesländer für die fortdauernde Partizipation an den Mitteln eines Entschuldungsfonds grundsätzlich ihren auferlegten Konsolidierungspflichten vereinbarungsgemäß nachkommen. Ein Vorteil dieses Modells ist, dass hier die auch vom BVerfG betonte Pflicht zu Eigenanstrengungen der Länder deutlich im Vordergrund steht. Gegen diesen Vorschlag spricht jedoch die bisher fehlende Ausgestaltung wie ein solches Zuschusssystem funktionieren soll. Unklarheit herrscht z. B. darüber, welches Land von dieser Regelung begünstigt werden würde, d. h. ab welcher Verschuldung die Bezuschussung gelten soll, bzw. ab welchem Schuldenstand eine Bezuschussung nicht mehr möglich sein soll. Ein geeigneter Indikator wäre sicherlich ein abstrakt-genereller Maßstab, der die überproportionale Zinslast aufgrund einer einheitlichen Datenbasis abbildet, wie z. B. die Zins-Steuer-Quote. Ferner stellt sie die Frage bei zurzeit extrem hoch verschuldeten Ländern wie z. B. Bremen, wie sie Mittel zum Abbau ihrer Verschuldung frei machen sollen, um überhaupt in den Genuss des Tilgungszuschusses zu kommen. Alternativ zu dem vorgestellten Bezuschussungssystem wird vertreten, dass über ein Modell der Teilentschuldung alle Schulden der Länder, die über einem festzulegenden Schuldenstand liegen, in einen Entschuldungsfonds übertragen werden. So würden die Bundesländer im Gegensatz zu einer Vollentschuldung nur in der Spitze ihrer Verschuldung entlastet werden. Ausschließlich Länder, deren Schuldenstand je Einwohner überdurchschnittlich hoch ist, werden dann über den Einsatz der Fondsmittel im Rahmen des zu verhandelnden Konsolidierungsprogramms auf den Länderdurchschnitt zurückgeführt. Zu diesem Zweck hätte der Bund die über dem Länderdurchschnitt liegenden Schulden der betreffenden Bundesländer in einen Entschuldungsfonds zu übernehmen. Dieser wird über einen bestimmten Zeitraum getilgt, wofür im Gegenzug die Länder im Tilgungszeitraum entsprechend weniger Umsatzsteueranteile erhalten würden.
434
So der Vorschlag von G. Oettinger, FAZ v. 19. September 2007.
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Ferner wird vorgeschlagen, einen Entschuldungsfonds einzurichten, der ausschließlich eine Zinsentlastung für Bundesländer vorsieht, die durch ihre Zinsen für Altschulden deutlich höher belastet sind als der Länderdurchschnitt. 435 Finanziert werden soll der Zinshilfenfonds aus dem Länderanteil der ab 2010 frei werdenden Mittel des Solidaritätszuschlags. Die nicht mehr für die Förderung der ostdeutschen Länder benötigten Mittel belaufen sich auf ca. 45 Mrd. €, was einer Annuität bis 2019 von etwa 3 Mrd. € gleichkommt. Die Fondsmittel würden ausschließlich aus dem Länderanteil der Überschüsse gezahlt werden, womit der Bund seinen vollen Anteil an den künftigen Überschüssen behält. Indikator für den Grad der Verschuldung eines Landes soll die Verschuldung pro Finanzkraft sein. 436 Dieser Maßstab stellt die unterschiedliche Wirtschafts- und Finanzkraft, d. h. die Belastung bezogen auf die Leistungsfähigkeit der Länder dar. Als Berechnungsgrundlage sollen die Daten über die Verschuldung eines Landes und seiner Gemeinde dienen. Zudem sollen die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen mit Ausnahme der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen bei der Ermittlung der Steuerkraft hinzugerechnet werden. Zinshilfen aus dem Fonds erhält jedes Bundesland, welches mit seiner tatsächlichen Verschuldung gemessen am Länderdurchschnitt (Indikator Verschuldung pro Finanzkraft) mit seiner Verschuldung mindestens 25% über dem Länderdurchschnitt liegt. Der jeweilige Betrag der Zinshilfen ergibt sich ausgehend von einem Basiszins von 5% aus der Differenz der tatsächlichen Zinsbelastung zur Zinsbelastung beim Schwellenwert der Kennzahl von 125 %. 437 Das Problem dieses in die richtige Richtung weisenden Vorschlags ist, dass er nicht weit genug geht. Durch die Zahlung von Zinshilfen erfolgt keine Tilgung von bestehenden Schulden. Die begünstigten Bundesländer werden lediglich bis zum Auslaufen des Solidaritätszuschlages im Jahr 2019 von einer überdurchschnittlichen Zinsbelastung befreit werden was noch nicht einmal bedeutet, dass sie nicht weiterhin gezwungen sind, weitere Schulden aufzunehmen. Eine nachhaltige Verbesserung der Haushaltslage der hoch verschuldeten Bundesländer ist nur durch einen nachhaltigen Abbau des Schuldensockels zu bewerkstelligen.
435 W. Kretschmann, Kom.-Drs. 91 und 114, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. 436 W. Kretschmann, Kom.-Drs. 91, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 12. 437 Für das Jahr 2007 ergebe dies Zahlungen aus dem Entschuldungsfonds von insgesamt ca. 1,362 Mrd. €, vgl. zur genauen Verteilung auf die einzelnen dann anspruchsberechtigten Länder W. Kretschmann, Kom.-Drs. 114, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 2 f.
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bb) Vollentschuldung Das Modell der Vollentschuldung sieht vor, dass die Schulden aller Länder im Ganzen in einen Entschuldungsfonds übertragen werden. Da dieser Ansatz im Gegensatz zur Teilentschuldung das Ziel der vollständigen Altlastenrückführung formuliert, ist er grundsätzlich aufgrund der Festlegung einer Entschuldungsperspektive vorzugswürdig gegenüber der Zahlung von sog. „Zinshilfen“ oder einer begrenzten Altlastenrückführung. Die konkrete Ausgestaltung dieser vollumfassenden Altlastenregelung differiert in den verschiedenen Vorschlägen. Zum Teil wird vorgeschlagen die Steuerautonomie im Gegenzug zur Vollentschuldung vollständig auf den Bund zu übertragen. 438 Änderungen bedürften nach diesem Modell nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates. Der Bund wäre nach einem in der Verfassung festgelegten Schlüssel verpflichtet, die Länder aus den Steuereinnahmen mit Finanzmitteln auszustatten. Die Möglichkeit der Kreditaufnahme hat nur noch der Bund, dem auch die Altschulden der Länder übertragen werden sollen. Dieser Vorschlag steht in einem extremen Gegensatz zu den bisher in der Wissenschaft diskutierten Modellen, die tendenziell eher eine Stärkung der Länderautonomie im Steuerrecht befürworten. Aufgrund der Tatsache, dass dieser Vorschlag den Ländern auf der Einnahmeseite jegliche Gestaltungsspielräume versagen würde, ist der Vorschlag daher nicht konsensfähig. Nach einem anderen Ansatz soll die Finanzierung der Entschuldung der Länderhaushalte über die Länderanteile an der Umsatzsteuer erfolgen. 439 Demnach würden die Schulden der Länder in einen Fonds übertragen, der über mehrere Jahrzehnte vom Bund getilgt werden würde. Hierbei ist bei der Tilgungsberechnung ein durchschnittlicher Zinssatz von 5% anzusetzen. Als Ausgleich für die Tilgung der Länderschulden erhält der Bund einen den getilgten Schulden entsprechenden Betrag vom Länderanteil an der Umsatzsteuer (welcher dann wiederum den Ländern fehlt; den Ländern blieben die Zinsersparnisse). Ferner wäre es alternativ möglich, anstatt des Länderanteils von der Umsatzsteuer die ab 2010 frei werdenden Länderanteile des Solidaritätszuschlages zur Abfinanzierung des Entschuldungsfonds zu verwenden. 440 Würde man sich dazu entscheiden, alle Länderschulden in den Fonds zu übertragen – gegenfinanziert durch eine Übertragung eines Betrages vom Länderanteil an der Umsatzsteuer auf den Bund oder durch die frei werdenden Länderanteile des Solidaritätszuschlages –, dann hätte der Fonds zunächst Schulden von ca. 480 Mrd. € auf 438 T. Sarrazin, Kom.-Drs. 46, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. 439 P.-H. Carstensen, Kom.-Drs. 41, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 2. 440 W. Kretschmann, Kom.-Drs. 91, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 13.
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sich zu vereinigen. Es gibt dann zwei Möglichkeiten, mit den Schulden umzugehen: zum einen kann man (a) nur die Zinsen zahlen und die gesamten Schulden im Fonds nicht bzw. über die Inflation abbauen oder (b) die Schulden durch Tilgungen fortdauernd reduzieren. Im Falle eines kompletten Übergangs der Länderschulden auf den Fonds ergäbe sich bei einem durchschnittlichen Jahreszinssatz von 5% Zinszahlungen von 24 Mrd. € per anno; bei einer zu präferierenden Tilgung der Schulden, könnte der Fonds bei einem konstanten Zinssatz von 5 % mit jährlichen Zahlungen von 26 Mrd. € in 52 Jahren zurückgeführt werden. 441 Würde man jährlich 30 Mrd. € tilgen, könnten die Schulden sogar schon nach 33 Jahren abbezahlt werden. Der Gewinn für die Länder liegt bei einem solchen Modell in den durch die Entschuldung frei werden Mitteln im kontinuierlichen Wegfall der Zinsbelastungen über die Jahre. Problematisch ist jedoch die zu erwartende unterschiedliche Belastung der Länder. Die relativ wenig verschuldeten Flächenländer wie Bayern oder Baden-Württemberg würden über die jahrzehntelange Abtretung eines Betrages vom Länderanteil an der Umsatzsteuer ziemlich hohen Belastungen ausgesetzt werden, die nicht durch frei werdende Zinsmittel kompensiert werden würden. Die restlichen Flächenstaaten und vor allem die Stadtstaaten würden hingegen entlastet werden. Um zu verhindern, dass die relativ wenig verschuldeten Flächenländer durch eine solche Regelung schlechter als der Großteil der anderen Länder behandelt werden, kann man darüber nachdenken, dass die entstehenden Nachteile durch den Bund als Eigenbeitrag aus seinem Haushalt kompensiert werden. So würde kein Bundesland mehr zahlen als bisher. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Bund und Länder einen gemeinsamen Schuldenfonds errichten. 442 In diesen bringen sie die gesamte Verschuldung des Bundes und der Länder mit dem Ziel der Tilgung über einen langfristigen Zeitraum ein. Durch die Errichtung dieses Fonds sind vor allem günstigere Kreditmarktkonditionen am Markt zu erzielen und die Inflation zum Abbau der Verschuldung könnte effizient ausgenutzt werden. Der Schuldenfonds wird zwischen dem Bund und den Ländern durch einen Staatsvertrag gegründet. Der Fonds würde berechtigt werden, Kredite aufzunehmen. Bedingung für die Übertragung der Schulden ist, dass Bund und Länder ihre Haushalte fortan grundsätzlich jeweils ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen haben. Ausnahmen dürfen nur bei außergewöhnlichen und vorübergehenden, den jeweiligen Haushalt erheblich belastenden Ereignissen gemacht werden, wobei die hierfür erforderlichen Kredite auf Antrag des Bundes oder eines Landes durch den Schuldenfonds zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese Schulden sind gegenüber dem Fonds in einem festzulegenden Zeitraum zu tilgen. Für dieses Modell eines Entschuldungsfonds 441 Bundesverband deutscher Banken, Kom.-Drs. 120, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 34. 442 R. Koch, Kom.-Drs. 107 und 131, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
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spricht, dass Bund und Länder durch die Übertragung in einen gemeinsamen Fonds sofort ihren haushalts- und finanzwirtschaftlichen Handlungsspielraum zurückgewinnen und zumindest mittelfristig damit begonnen werden kann, die bestehenden Schulden zu tilgen. Ferner schafft das Fondsmodell Transparenz bezüglich des Schuldenstandes und der anvisierten Rückführung der Schulden. Damit dieses Modell funktioniert, muss jedoch zunächst ermittelt werden, ob die beteiligten öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften nach Übertragung der Schulden in einen gemeinsamen Fonds überhaupt in der Lage wären, ihre zukünftigen Haushalte grundsätzlich ohne Aufnahme von neuen Krediten aufstellen zu können. Falls dies für eine Körperschaft nicht möglich wäre, müsste ihre Beteiligung am Schuldendienst um einen entsprechenden Betrag auf Kosten der Schuldengemeinschaft reduziert werden. b) Insolvenzrecht für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften Ein weiterer Reformvorschlag zielt auf die Einführung eines Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften in das deutsche Recht ab. 443 Dieses müsste die Insolvenzfähigkeit festlegen und die Durchführung eines dementsprechenden Insolvenzverfahrens vorsehen. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zur der Ansicht, dass ein Staat wegen der mit einer Insolvenz typischerweise verbundenen Gefahr der Liquidation des Staatsvermögens zur Befriedigung von Gläubigeransprüchen einem solchem Verfahren nicht unterworfen werden könne. 444 Zudem steht einer Festlegung der Insolvenzfähigkeit eines Bundesstaates die grundgesetzlich verankerte staatliche Verpflichtung zur Daseinsfürsorge mit Gewährleistungsverpflichtung entgegen. Die Festlegung einer Insolvenzfähigkeit von Gebietskörperschaften ist dennoch grundsätzlich möglich. Die staatliche Souveränität steht dem genauso wenig wie das Völkerrecht entgegen. Der völkerrechtliche Grundsatz der Vertragsfreiheit umfasst die Freiheit eines jeden Staates, ein solches Recht zu normieren, da die Insolvenzunfähigkeit von Staaten nicht zum geschützten Bereich des ius cogens gehört. 445 Das bekannteste Beispiel für ein existierendes Insolvenzverfahren für kommunale Gebietskörperschaften ist das in den USA geltende Chapter 9-Verfahren. 446 In Deutschland sind Gebietskörperschaften nach § 12 Abs. 1 InsO insolvenzunfähig, womit ein Insolvenzverfahren über deren Vermögen unzulässig ist. 447 Vor 443 C. Blankart, Konstruktive – Insolvenz Ein Vorschlag dargestellt am Beispiel Berlins, in: R. Baus / T. Fischer / R. Hrbek, Föderalismusreform II, S. 127 ff.; J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 154 ff.; N. Gumboldt, ZRP 2006, S. 3 (6 f.); C. Paulus, WM 2002, S. 725 ff. 444 BVerfGE 15, 126 (135); H. Kratzmann, JZ 1981, S. 319 (322). 445 J. Delbrück / R. Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, S. 537; J. Fiedler / C. Paulus / J. Peters / M. Rossi / G. F. Schuppert, Die finanzielle Zukunft Berlins, S. 159 f. 446 S. Frielinghaus, Die kommunale Insolvenz als Sanierungsansatz für die öffentlichen Finanzen, S. 164 ff.
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dem Hintergrund einer zunehmenden Verschuldung der Gebietskörperschaften bei gleichzeitig vorliegender nahezu unbegrenzter Möglichkeit zur Neuverschuldung, scheint dieses Konzept überholt. Dies gilt insbesondere für die Bundesländer, denen im Gegensatz zum Bund relativ wenige Kompetenzen auf der Einnahmeseite zukommen und die sich daher nur eingeschränkt z. B. über Steuererhöhungen refinanzieren können. Der Vorschlag zur Normierung einer Insolvenzfähigkeit von Gebietskörperschaften bezweckt, dass ein solches Regime durch die Festlegung bestimmter Überschuldungsgrenzen verschuldensbegrenzend wirkt und damit künftigen Haushaltskrisen vorbeugt. Ein normiertes Insolvenzrecht würde die Bonität der öffentlichen Hand beeinflussen. Wie bei einem privaten Schuldner würden Refinanzierungskosten und Kreditwürdigkeit von der Finanzlage, der voraussichtlichen Entwicklung und vor allem auch vom Umfang der bereits angelaufenen Gesamtverschuldung abhängen. Mit anwachsender Gesamtverschuldung und einer sich verschlechternden Zukunftsperspektive dürften die Refinanzierungskosten steigen und die Kreditwürdigkeit sinken. Damit würde eine Begrenzung der Neuverschuldung oder gar eine Verschuldungsrückführung als Anreiz wirtschaftlich erzwungen und die Gebietskörperschaft zur Konsolidierung angehalten werden. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Gebietskörperschaften faktisch nicht aufgelöst oder abgewickelt werden können, wie dies etwa bei juristischen Personen des Privatrechts möglich ist. Eine Gebietskörperschaft hat bedeutende, gesetzlich vorgegebene Aufgaben z. B. der Daseinsfürsorge zu erfüllen, deren Finanzierung auch bei einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit gewährleistet sein muss. Insoweit droht der Staat durch die Einführung einer Insolvenzfähigkeit in eine Lage zu geraten, in der er seine ihm zugewiesenen Aufgaben als Staat wegen der Befriedigung von Gläubigern nicht mehr erfüllen kann. 448 Das moderne Insolvenzrecht ist aber nicht mehr ausschließlich auf die Befriedigung von Gläubigerinteressen ausgerichtet, sondern hat inzwischen auch die Konsolidierung bzw. Reorganisation des Insolvenzschuldners zum Ziel. 449 Ein Bestandsschutz der Gebietskörperschaft wäre daher auch weiterhin zu gewährleisten. Die obligatorisch durch den Staat zu erfüllenden Aufgaben müssen die Zugriffsmöglichkeit im Insolvenzfall einschränken. Im Sinne von Pfändungsgrenzen müsste ein Mindestmaß an Aufgaben und ein entsprechendes Ausgabenniveau zur Aufrechterhaltung des Staatsbetriebes, dessen Finanzierung – gegebenenfalls mit der Aufnahme weiterer Kredite – gewährleistet werden muss, festgelegt werden. Dieses Mindestmaß an Aufgaben und entsprechenden Ausgaben festzulegen, bildet in faktischer wie in rechtlicher Hinsicht die eigentliche 447 Z. T. wird die Insolvenzfähigkeit öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften schon aus den Normen des Bundes- und Landesverfassungsrecht entnommen (Art. 28 GG und die entsprechenden Vorschriften in den Landesverfassungen). 448 B. Kempen, DÖV 1988, S. 547 (549); J. Lehmann, Die Konkursfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 61. 449 C. Ohler, JZ 2005, S. 590 (592).
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Schwierigkeit dieses Vorschlages. Die Festlegung eines solchen Aufgaben- und Ausgabenkanons kann zu Konflikten mit der Eigenstaatlichkeit und Haushaltsautonomie der Länder führen. Mit zunehmender Verschuldung und drohender Insolvenz wird eine Konzentration auf bestimmte Kernaufgaben erzwungen und somit der Finanzpolitik ein inhaltlicher Rahmen von außen vorgeschrieben. Der Ausfall der staatlichen Schuldendienste im Fall der Insolvenz des Bundes oder eines Bundeslandes hätte aufgrund der Höhe der anzunehmenden Verschuldung nicht absehbare Folgen für die gesamte Volkswirtschaft und den privaten Kapitalmarkt. Läge ein Insolvenzfall vor, bedeutete dies für die Gläubiger einen sofortigen Ausfall ihrer Anlagen i. H.v. mindestens zwei- bis dreistelligen Milliardenbeträgen (Verschuldung des jeweiligen Bundeslandes). Da die Gläubiger von Bund und Ländern (durch den Kauf vor allem von Staatsanleihen) überwiegend Banken sind, würde sich die staatliche Finanzkrise vermutlich umgehend auf den eng miteinander verknüpfte Bankenverbund ausweiten und somit die Privatwirtschaft treffen. Der plötzliche Ausfall höherer Milliardenbeträge ist eine ernst zunehmende Bedrohung für das z.T. labile Bankensystem. Selbst die Schulden kleinerer Bundesländer könnten zumindest zum Kollaps einiger Banken (und somit ggf. auch zum Verlust der Einlagen der Kunden) führen. Das Beispiel der 2007 zunächst in den USA virulent gewordenen Hypothekenkrise, die sich durch die enge Verknüpfung der Finanzmärkte schnell zu einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelt hat, zeigt, dass die Auswirkungen eines solchen Ausfalls der Schuldnerverpflichtungen sich nicht allein auf das nationale Finanzsystem begrenzen müssen. Mittelbar würde dies auch zu einer Bedrohung für die nicht von einer Insolvenz betroffenen öffentlich-rechtlichen Gebietkörperschaften werden, da sie nun wegen des eingetretenen Vertrauensverlustes am Kapitalmarkt schwerer Kredite zu erhöhten Konditionen aufnehmen könnten. Ein weiteres Problem stellt das System der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen im Fall der Insolvenz dar. Insolvenzfähigkeit und bundesstaatliche Ausgleichsmechanismen sowie Beistandspflichten stehen im Widerspruch zueinander. Die mit der Insolvenzfähigkeit verbundene Lenkungsfunktion ließe sich nur erreichen, wenn bundesstaatliche Ausgleichs- und Einstandspflichten eingeschränkt werden. Sollte ein Gläubigerzugriff auf Ausgleichszahlungen gestattet werden, so würden faktisch zu Gunsten des Gläubigers andere Gliedstaaten in Anspruch genommen. Problematisch wäre im Übrigen auch ein Zugriff auf Steueransprüche der insolventen Gebietskörperschaft. Staatliche Einnahmen würden so direkt in die Verfügungsbefugnis Dritter gelangen. Im Ergebnis ist die Einführung eines Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften in einer Zeit, in der die öffentlichen Haushalte massiv auf Fremdfinanzierung angewiesen sind aufgrund fehlender Erfahrungswerte mit hohem Risiko behaftet. Der Vorschlag ist u. a. aufgrund des schwer zu ermittelnden Zeitpunktes, ab wann die Insolvenz einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft vorliegt, keine praktikable Option (er basiert zudem auf dem Irrglauben, dass ein Staat
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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faktisch nicht zahlungsunfähig werden kann und somit in weiten Teilen auf Vertrauen). Er ist nicht geeignet, als Alternative zu einem begleitenden Frühwarnsystems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte kombiniert mit einem Entschuldungsfonds zur Lösung der aktuell bestehenden Haushaltskrisen beizutragen. Im Zusammenhang mit der Schuldenproblematik der Kommunen könnte man jedoch über die Einführung der Insolvenzfähigkeit nachdenken, da die Verschuldung der einzelnen Kommunen nicht das Potential haben, das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft geraten zu lassen. 450 3. Umsetzung durch Föderalismusreform II Art. 143d Abs. 2, 3 GG und das dazugehörige Ausführungsgesetz regeln die Zahlung von Konsolidierungshilfen an einzelne Bundesländer mit schwieriger Haushaltssituation. Diese Zahlungen des Bundes und der Ländergemeinschaft dienen dazu, die Vorgabe eines strukturell ausgeglichenen Haushalts bis zum Haushaltsjahr 2020 einzuhalten. a) Einführung von temporären Konsolidierungshilfen Im Einzelnen sieht die im Rahmen der Föderalismusreform II eingeführte Neuregelung zunächst in Art. 143d GG Abs. 2 S. 1 GG und § 1 Abs. 1 KonsHilfG vor, dass den Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein für den Zeitraum 2011 bis 2019, als Hilfe zur Einhaltung der Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG, Konsolidierungshilfen aus dem Haushalt des Bundes in Höhe von insgesamt 800 Mio. € jährlich gewährt werden können. Nach § 3 KonsHilfG tragen Bund und Länder die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast hälftig. Der Bundesanteil an den Zahlungen nach § 1 Abs. 2 beläuft sich auf jährlich 400 Mio. €. Sollte der Anspruch eines oder mehrerer Länder auf Konsolidierungshilfen nach § 2 Abs. 3 KonsHilfG nicht bestehen, reduzieren sich die Anteile von Bund und Ländern entsprechend. Nach § 1 Abs. 2 der Regelung, erfolgt die Aufteilung des Gesamtjahresbetrages auf die einzelnen hilfeberechtigten Länder. Bei der Festlegung der einzelnen Zuweisungen wurden insbesondere die Zinslasten, Schuldenstände und Haushaltsstrukturen (vor Offenlegung der Auswirkungen der seit dem Jahr 2008 sichtbar werdenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Bundesländer) berücksichtigt. Im Ergebnis erhält Bremen jährliche Zahlungen i. H.v. 300 Mio. €, das Saarland 260 Mio. € und Berlin, SachsenAnhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Mio. €. In Art. 143d Abs. 2 S. 3 GG 450
Vgl. hierzu ausführlich S. Frielinghaus, Die kommunale Insolvenz als Sanierungsansatz für die öffentlichen Finanzen.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
wurde normiert, dass die Hilfen nur auf der Grundlage einer zu schließenden Verwaltungsvereinbarung gewährt werden dürfen, wobei die essentiellen Inhalte der Verwaltungsvereinbarung durch ein Bundesgesetz vorgegeben werden. § 1 Abs. 3 KonsHilfG sieht vor, dass die Auszahlung der Jahresbeträge der Konsolidierungshilfen durch das Bundesministerium der Finanzen in Höhe von zwei Dritteln zum 1. Juli des laufenden Jahres und die Auszahlung des restlichen Drittels zum 1. Juli des Folgejahres, wenn die Voraussetzungen des § 2 KonsHilfG erfüllt sind, erfolgt. Andernfalls sind auch die erhaltenen zwei Drittel zurück zu zahlen. Gem. Art. 143d Abs. 2 S. 4 GG müssen sich die betroffenen Bundesländer für die Gewährung der Hilfeleistung, in der Verwaltungsvereinbarung zu einem völligen Abbau ihrer strukturellen Finanzierungsdefizite bis zum Ablauf des Jahres 2020 verpflichten. Durch ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates und durch Verwaltungsvereinbarung sollen nach S. 5 der Norm vor allem die jährlichen Abbauschritte der Finanzierungsdefizite, die Überwachung des Abbaus der Finanzierungsdefizite durch den Stabilitätsrat nach Art. 109a GG sowie die Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung der Abbauschritte, durch Bundesgesetz festgelegt werden. In § 2 Abs. 1 S. 2 KonsHilfG ist normiert, dass beim Abbau des strukturellen Finanzierungsdefizits der Empfängerländer jährliche Obergrenzen des Finanzierungsdefizits einzuhalten sind. Hierbei errechnet sich die Obergrenze für das Jahr 2011, indem das Finanzierungsdefizit des Jahres 2010 als Ausgangswert um ein Zehntel verringert wird. Für die folgenden Jahre errechnet sich die jährliche Obergrenze, indem die Obergrenze des Vorjahres jeweils um ein Zehntel des Ausgangswertes verringert wird. Die potentiellen Empfänger von Konsolidierungshilfen, die im Jahr 2010 einen zumindest ausgeglichenen Finanzierungssaldo ausweisen, sind verpflichtet, auch im Zeitraum von 2011 bis 2019 einen zumindest ausgeglichenen Finanzierungssaldo auszuweisen. Bereits bewilligte Konsolidierungshilfen sind bei der Berechnung des Finanzierungssaldos nicht zu berücksichtigen. Finanzierungssaldo im Sinne dieses Gesetzes ist der Finanzierungssaldo zuzüglich des Saldos der finanziellen Transaktionen; eine Bereinigung um unmittelbar konjunkturell bedingte Änderungen ist zulässig. Der Finanzierungssaldo einschließlich Auslaufperiode in der Abgrenzung der vierteljährlichen Kassenstatistik des Statistischen Bundesamtes bildet die Berechnungsgrundlage für die Festlegung der einzelnen Abbauschritte. Hierbei ist grundsätzlich auf den strukturellen Finanzierungssaldo nach Herausrechnung von finanziellen Transaktionen, nach Bereinigung um unmittelbar konjunkturell bedingte Effekte auf die staatlichen Einnahmen und Ausgaben und nach Berücksichtigung sonstiger nicht von dem einzelnen Land zu verantwortender Sondereffekte abzustellen. Der Stabilitätsrat hat gem. § 2 Abs. 2 KonsHilfG die Aufgaben die Einhaltung der vorgegebenen Konsolidierungsverpflichtungen zu überwachen. Er stellt für jedes Empfängerland mit der in § 1 Abs. 4 StabiRatG festgelegten Mehrheit einzeln fest, ob die Konsolidierungsverpflichtung für das abgelaufene Jahr eingehalten wurde. Ausnahmsweise ist auf Antrag eines Konsolidierungshilfen empfangenden Landes auch eine
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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Prüfung, ob eine Überschreitung der Obergrenzen des Finanzierungssaldos auf einer besonderen Ausnahmesituation (Naturkatastrophe oder außergewöhnlichen Notsituation, die sich der Kontrolle des jeweiligen Landes entzieht) beruht und daher ausnahmsweise unbeachtlich ist, durch den Stabilitätsrat möglich. Sollte ein Land sein Konsolidierungsziel in einem Jahr nicht erreichen, dann entfällt nach § 2 Abs. 3 KonsHilfG der Anspruch auf Konsolidierungshilfe für dieses Jahr. Ferner wird das betroffene Bundesland vom Stabilitätsrat verwarnt. Wenn ein Bundesland in einem späteren Jahr wieder die für das jeweilige Jahr geltende Obergrenze einhält, erhält es wieder die ihm zugedachten Hilfen für dieses Jahr. Ein Anspruch auf Zahlungen für vergangene Jahre besteht explizit nicht. Eine gleichzeitige Gewährung von Konsolidierungshilfen nach Art. 143a Abs. 2, 3 GG und Sanierungshilfen in Form von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen aufgrund einer extremen Haushaltsnotlage ist gem. Art. 143d Abs. 2 S. 6 GG nicht möglich. Entsprechende Verfahren vor dem BVerfG entfallen daher grundsätzlich für Konsolidierungshilfe beziehende Bundesländer. Nach Art. 143d Abs. 3 GG trägt die sich aus der Gewährung der Konsolidierungshilfen ergebende Finanzierungslast je zur Hälfte der Bund und die Länder. Die Bundesländer bringen ihren Anteil an den Konsolidierungshilfen i. H.v. jährlich 400 Mio. € aus dem Umsatzsteueranteil der Länder auf. 451 Sollte der Anspruch auf Konsolidierungshilfen eines oder mehrerer Länder entfallen, verringern sich die Anteile von Bund und Ländern entsprechend. b) Bewertung der Neuregelung Die verabschiedete Regelung zur Teilentschuldung der Länderhaushalte mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungen aller Länder entzieht sich grundsätzlich als originär politischer Kompromiss einer rechtswissenschaftlichen Bewertung. Sie ist primär ein Kompromiss, der die Einführung der neuen Schuldenbegrenzungsregeln für Bund und Länder ermöglichen soll. Die genaue Aufteilung der insgesamt 800 Mio. € jährlich auf die einzelnen Länder steht in keiner Relation zur konkreten Finanzsituation der Empfängerländer. An der Neuregelung lassen einzig die verbindliche Verknüpfung der Konsolidierungshilfen an entsprechende Erfolge sowie deren Kontrolle durch den Stabilitätsrat Hoffnung aufkommen, dass die Hilfeleistungen zu einer Stabilisierung der Haushalte der Empfängerländer beitragen. Nach Art. 143d Abs. 2 S. 4 GG setzt die Bewilligung der Gelder die Verpflichtung der Empfängerländer voraus, ihr strukturelles Finanzierungsdefizit bis zum Jahr 2020 vollständig abzubauen. Im Gegensatz zum präventiven Begleitsystem zur Einhaltung der neuen Verschuldungsregeln hat der Stabilitätsrat bei den Konsolidierungshilfen grundsätzlich die Möglichkeit der Einhaltung des 451
Vgl. § 1 FAG.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
Defizitabbaupfades zu überwachen und bei Abweichungen das betreffende Land durch die Nichtauszahlung des vorgesehenen Jahresbetrages zu sanktionieren. Problematisch an dem Regelwerk ist aber, dass es von der Sanktionsmöglichkeit in § 2 Abs. 2 S. 2 KonsHilfG eine Ausnahme vorsieht. Bei einer Überschreitung der Obergrenzen des Finanzierungssaldos hat der Stabilitätsrat die Möglichkeit Abweichungen für unbeachtlich zu erklären. Vor dem Hintergrund der beachtlichen Steuerausfälle im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es möglich, dass von dieser Regelung in den kommenden Jahren häufig Gebrauch gemacht werden wird, da die Konsolidierungshilfen z.T. noch nicht einmal die prognostizierten Steuerausfälle der Empfängerländer kompensieren werden. Um eine Politisierung der Entscheidungen zu vermeiden, sollte man daher einen klar begrenzten Ausnahmekatalog in § 2 Abs. 2 S. 2 KonsHilfG aufnehmen. Hinsichtlich der konkreten Regelung der Konsolidierungshilfen sei ferner angemerkt, dass die exakte Ausgestaltung der einzelnen Konsolidierungszahlungen in Höhe und Zeit regelungstechnisch nicht in das Grundgesetz gehört, sondern in das KonsHilfG hätte aufgenommen werden sollen. 4. Zwischenergebnis Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es für die Einführung einer Schuldenbegrenzungsregel für Bund und Länder in Kombination mit der Einführung eines begleitenden Systems zur zukünftigen Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte sehr wichtig ist, den Schuldenstand einiger hoch verschuldeter Länder zumindest in der Spitze zu senken. Ansonsten würden die betreffenden Bundesländer gleich ab der Geltung neuer Schuldenbegrenzungsregeln unvermeidlich gegen das neue Rechtsregime verstoßen. Mit der im Rahmen der Föderalismusreform II getroffenen Regelung wurde diese Maßgabe nur unzureichend umgesetzt. Statt eine nachhaltige Regelung zum Abbau der bestehenden Verschuldung zu normieren, hat man sich auf einen politischen Kompromiss fern der aktuellen Finanzdaten geeinigt. Die neu eingeführten Zahlungen zur Teilentschuldung werden – wenn überhaupt – die mit der Finanzund Wirtschaftskrise einhergehenden Steuerausfälle kompensieren. Eine nachhaltige Entschuldung der Länderhaushalte, die die Empfängerländer bis zum Jahr 2019 in die Lage versetzen wird von alleine die neuen Verschuldungsregeln einzuhalten, ist somit nicht ersichtlicht. Von den im Vorfeld der Reform diskutierten Vorschlägen zur Entschuldung überzeugt weiterhin die Variante der Vollentschuldung durch die Übernahme der Länderschulden in einen Bundesfonds, welcher über die Länderanteile an der Umsatzsteuer gegenfinanziert wird. Aber auch eine Teilentschuldung ausschließlich in der Spitze der Länderverschuldung auf einem angemessenen Niveau ist als eine die Eigenverantwortung hoch verschuldeter Länder mehr betonende Reformoption im Gegensatz zu der aktuellen Lösung eine akzeptable Lösung.
D. Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II
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IV. Erfordernis der Systemkonformität Die letzte große Reform der Finanz- und Haushaltsordnung vor der Föderalismusreform II im Jahr 2009 kam 1969 zustande, weil von der Politik in der Vorbereitungsphase die Möglichkeit geschaffen wurde, die komplexen Probleme des Finanzrechts umfassend zu bearbeiten. Rückblickend war das Handeln der Beteiligten von der Maßgabe geleitet, potentielle Änderungen auf das bereits vorhandene Normengefüge optimal abzustimmen, um Systembrüche möglichst zu vermeiden. Ausgangspunkt hierfür war die Struktur und die Besetzung der die Reform vorbereitenden Troeger-Kommission. Die relativ geringe Anzahl ihrer Mitglieder zeichnete sich durch ein hohes Maß an Sachverstand aus. Dies galt fast ausnahmslos für alle beteiligten Wissenschaftler, Beamte und Politiker. Alle späteren Versuche einer umfangreichen Reform der Finanz- und Haushaltsordnung sind bisher kläglich gescheitert. Ein Hauptgrund hierfür war die Konzeptionslosigkeit mit der versucht wurde, das komplexe System der Finanzund Haushaltsordnung zu verändern. Die Föderalismusreform I, welche wie aufgezeigt auch Teile der Finanzordnung betraf, und die Umsetzung der Föderalismusreform II sind aktuelle Beispiele für die Fortführung dieses – langfristig betrachtet – bedenklichen Handelns. Die unter diesen Voraussetzungen zu findenden Lösungen gleichen meist einem Verfassungsvertrag zwischen dem Bund und den Ländern, bei welchem der Kompromiss eindeutig im Vordergrund steht. 452 Aufeinander abgestimmte, in sich schlüssige Ergebnisse werden hierdurch nicht erzielt. 453 Die Probleme vieler öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften auf der Einnahme- und Ausgabenseite sowie die Dynamik der Staatsverschuldung zeigen, dass das gesamte Finanzsystem durch viele kleine, nicht aufeinander abgestimmte Reformen in eine beachtliche Schieflage geraten ist. Bei der dargestellten Dimension der Problematik und der Notwendigkeit einer übergreifenden und nachhaltigen Lösung zur Stabilisierung der föderalen Grundordnung Deutschlands und seiner öffentlichen Haushalte bedarf es bei zukünftigen Novellierungen der Finanz- und Haushaltsordnung einer gründlichen Abstimmung mit dem bestehenden Finanzrecht, um eine hohe Systemkonformität zu erreichen. Ein solches Erfordernis ist nicht aus höherrangigen Verfassungsprinzipien herleitbar, es ist aber aufgrund der Bedeutung und der Komplexität der Finanz- und Haushaltsordnung eine rechtspolitisch notwendige Voraussetzung für zukünftige Reformen. Mehr Transparenz und entsprechend weniger Verflechtungen im Finanzrecht dienen der Demokratie. Änderungen 452 So auch H. Meyer, Kom.-Drs. 14, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 7. 453 Vgl. als positive Ausnahme für ein in sich schlüssigen (aber inhaltlich aufgrund der starken Ausrichtung auf den Bund nicht empfehlenswerten) Vorschlag aus der Politik zur Reform der Art. 105 – 108 GG, T. Sarrazin, KOM 46, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.
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3. Teil: Staatsschuldenrecht und Reform
des Finanzausgleichs müssen somit beispielsweise auch auf Änderungen bei den Steuergesetzgebungskompetenzen und den staatlichen Ausgabenregelungen sowie neu zu definierende Schuldenbegrenzungsregeln abgestimmt werden. Dies gilt auch für Reformen von Randbereichen der Finanz- und Haushaltsordnung, wie die einheitliche Einführung der Doppik in das Rechnungswesen von Bund und Ländern. Nur durch ein solches Vorgehen des Gesetzgebers ist auf Dauer eine gerechte und effiziente Verteilung der Finanzmittel sowie eine nachhaltige Begrenzung der Staatsverschuldung erreichbar. Konkret bedeutet das vom Reformgesetzgeber einzuhaltende Erfordernis der Systemkonformität von Reformvorhaben für die Überwindung der bestehenden öffentlichen Haushaltskrise in Deutschland, dass die hier vorgeschlagenen Veränderungen der Finanzordnung mit den Änderungsvorschlägen zum Staatsschuldenrecht abzustimmen sind. Da die zentralen Regelungen des momentan geltenden FAG aufgrund ihrer Befristung am 31. Dezember 2019 auslaufen, kommt als spätester Zeitpunkt für ein Inkrafttreten einer Reform der bundesstaatlichen Finanzordnung der 1. Januar 2020 in Betracht. Eine Reform der Staatsschuldenregelungen musste aufgrund der hohen Gesamtverschuldung von Bund und Ländern umgehend erfolgen. In einer ersten Phase wurden die Reformen des Staatsschuldenrechts (die Einführung einer neuen Schuldenbegrenzungsregel, eines darauf abgestimmten Begleitsystems zu deren Durchsetzung und die Zahlung von Konsolidierungshilfen) umgesetzt. In einer zweiten Phase ist die Finanzordnung zu reformieren. Aufgrund der bis Ende 2019 laufenden Regelungen zum Finanzausgleich haben Bund und Länder genügend Zeit für eine Neuregelung.
Vierter Teil
Neugliederung des Bundesgebietes In Deutschland ist die Frage der Neugliederung des Bundesgebietes auch in Zusammenhang mit der zunehmenden Verschuldung von Bundesländern immer wieder Gegenstand von Debatten gewesen. Sie wurden überwiegend unter dem Gesichtspunkt der Effizienz geführt. 1 Dabei steht fast immer die Frage, welche optimale Größe und Finanzausstattung ein Land haben muss, damit es die ihm im bundesstaatlichen Kontext zukommenden öffentlichen Aufgaben erfüllen kann, im Vordergrund der Diskussion. Ob die ausschließliche Fokussierung auf ökonomische Parameter gerechtfertigt ist, soll im Folgenden geklärt werden. Hierzu erfolgt zunächst eine Einführung in die Grundlagen der Neugliederung des Bundesgebietes (A.), um sich danach konkret mit den unterschiedlichen Regelungen zur Neugliederung im Grundgesetz zu befassen (B.). Im Anschluss wird der Frage nachgegangen, ob eine Notwendigkeit zur Neugliederung besteht, und ob eine Reform im Bereich der Neugliederung des Bundesgebietes in einem untrennbaren Kontext mit einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung steht (C.). Abschließend werden mögliche Reformperspektiven aufgezeigt (D.).
A. Grundlagen der Neugliederung des Bundesgebietes In der Einführung wird zunächst auf den verfassungsrechtlichen Rahmen der Möglichkeit zur Neugliederung des Bundesstaats eingegangen, um im Anschluss insbesondere die grundgesetzlichen Entwicklungsphasen der Neugliederungsregelungen darzustellen.
1 U.a. G. Bovermann, DÖV 1974, S. 6 ff.; W. Ernst, DÖV 1974, S. 12 ff.; F. Kirchhof, ZG 2006, S. 288 (297 f.); U. Leonardy, Föderalismusreform ohne Neugliederung?, in: F. Decker, Föderalismus an der Wegscheide?, S. 75 (79 ff.); F. Rietdorf, DÖV 1974, S. 2 ff.; H. Schäfer, DVBl. 1969, S. 420 (429 f.); ders., DVBl. 1973, S. 732 ff.; U. Scheuner, DÖV 1974, S. 16 f.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
I. Bundesstaat und Neugliederung Der Bundesstaat setzt sich aus mehreren Staaten zusammen, d. h. sowohl der Bund als auch seine Glieder besitzen Staatscharakter. Die Gliederung eines Bundesstaates hat eine aus kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen, und politischen Aspekten hergeleitete Grundstabilität. Gliedstaaten zeichnen sich allgemein dadurch aus, dass sie bei der Gründung eines Bundesstaates an dessen Bedürfnisse angepasst sind. 2 Dennoch ist eine Veränderung der Gebietsaufteilung, obgleich sie in der Realität selten ist, grundsätzlich möglich und vielleicht sogar erforderlich. Als ein dynamisches Phänomen unterliegt der Bundesstaat einem stetigen Wandel. Faktoren wie die kulturelle und wirtschaftliche Struktur der Gliedstaaten, die einst zu ihrem Zuschnitt beitrugen, verändern sich im Laufe der Zeit, was den Druck zu einer Neugliederung des Bundesstaates erhöhen kann. Unter dem Begriff Neugliederung versteht man definitorisch die über kleinere Grenzkorrekturen hinausgehende Veränderung des Gebietsbestandes eines oder mehrer Länder. 3 Fünf verschieden Varianten fallen demnach unter den Neugliederungsbegriff: (a) die Länderfusion (ein oder mehrere Gliedstaaten vereinigen sich zu einem größeren Gliedstaat), (b) die Länderaufteilung (ein Gliedstaat wird unter Erhebung der bisherigen Gebietsteile zu selbstständigen Gliedstaaten aufgelöst oder auf bereits bestehende Gliedstaaten aufgeteilt), (c) die Länderaufspaltung (aus einem Gliedstaat werden ein oder mehrere Gebietsteile zu eigenständigen Gliedstaaten erhoben), (d) die Übertragung einzelner Gebiete (ein Gebietsteil geht auf einen anderen Gliedstaat über) und (e) die Schaffung eines neuen Gliedstaates aus Gebietsteilen mehrerer Gliedstaaten. 4 In Deutschland spricht man aus einem Gegenschluss zu Art. 29 Abs. 7 S. 1 GG bei der Übertragung einzelner Gebiete auf einen anderen Gliedstaat nur von einer Neugliederung, wenn das zu übertragene Gebiet seiner Größe nach eine bestimmte Bagatellgrenze überschreitet. 5 In Deutschland sind bei der Neugliederung grundsätzlich keine völkerrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben zu beachten. 6 Im Grundgesetz finden sich 2 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 25; J. Isensee, Einheit in Ungleichheit: der Bundesstaat, in: K. Bohr, Föderalismus, S. 139 (147 f.). 3 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 11; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 11; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 20; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 29 Rn. 2. 4 So I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 21; anders T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 20. 5 Art. 29 Abs. 7 S. 1 GG legt fest, dass „sonstige“ Änderungen des Gebietsbestandes der Länder (nicht mehr als 50.000 Einwohner sind betroffen) durch Staatsverträge zwischen den beteiligten Ländern oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen können.
A. Grundlagen der Neugliederung des Bundesgebietes
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zurzeit an drei Stellen Regelungen zur Neugliederung des Bundesgebietes. Die Grundregel des Art. 29 GG sowie deren speziellen Abwandelungen der Art. 118 GG und Art. 118a GG sind Ergebnis einer Abwägung. In einer Regelung über die Neugliederung des Bundesstaates müssen die Rechte beider von Verfassung wegen in Art. 79 Abs. 3 GG garantierten staatlichen Ebenen berücksichtigt und in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Diese Berücksichtigungsund Ausgleichspflicht des Verfassungsgesetzgebers resultiert vor allem aus den z.T. widerstrebenden Interessen von Bund und Ländern. Bei einer Neugliederung werden die Rechte beider staatlicher Ebenen als Hoheitsträger tangiert. Im Bundesstaat fällt dem Bund grundsätzlich die Kompetenz für die Steuerung gesamtstaatlicher Prozesse zu, da diese von den Gliedstaaten allein nicht befriedigend gelöst werden können. 7 Diese Steuerungskompetenz kommt auch bei einem Neugliederungsprozess zum tragen, da es hierdurch zu einer Neuordnung des Bundesstaates kommt. Demgegenüber sind die von einer Neugliederung betroffenen Länder insbesondere, wenn es um deren Bestand geht, in ihrer eigenen Verfasstheit betroffen und haben daher ebenfalls ein legitimes Interesse in angemessener Weise am Neuordnungsprozess beteiligt zu werden. Im Ergebnis erfordert eine Neugliederung ein Verfahren, in welchem beide Interessen austariert werden. Je nach dem Grad der Veränderung der Gebietshoheit für den Bundesstaat sind Bund und Länder entsprechend der Intensität des Eingriffs in ihre Hoheitsrechte an der Entscheidung zu beteiligen. Gebietsveränderungen unterhalb der Bagatellgrenze können gem. Art. 29 Abs. 7 GG von den Ländern per Staatsvertrag ohne Mitwirkung des Bundes beschlossen werden. Länderfusionen hingegen bedürfen gem. Art. 29 Abs. 2 GG grundsätzlich nach Anhörung der betroffenen Länder des Beschlusses durch ein Bundesgesetz sowie der Bestätigung durch einen Volkentscheid. Der Befugnis zur Neugliederung des Bundesgebietes werden aber verfassungsunmittelbare Grenzen gesetzt. Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 GG verbürgen als Grundgewährleistung die Unabänderbarkeit der Gliederung des Bundes in Länder. 8 Dies ist keine Gewährleistung für den Bestand eines konkreten Landes, sondern nur für die föderative Ordnung Deutschlands im Allgemeinen als Absage an den Einheitsstaat. 9 Somit müssen zumindest zwei Länder bestehen bleiben. 10 6
I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 7 f. A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 28; K. Stern, Staatsrecht II, S. 609 ff. 8 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 1; vgl. auch Erster Teil Kap. C.III. 9 BVerfGE 5, 34 (38); T. Maunz / G. Dürig, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 79 Rn. 33; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 1. 10 T. Maunz / G. Dürig, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK V, Art. 79 Rn. 34; K.-G. MeyerTeschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 1; I. Pernice, in: 7
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Im Bereich der Föderalismusforschung unterteilt man Bundesstaaten nach der Option zur Neugliederung in die Kategorien „stabil“ bzw. „labil“. 11 „Stabile“ Bundesstaaten sollen sich dadurch auszeichnen, dass ihre Verfassung kein Verfahren einer Neugliederung des Bundesgebietes vorsieht, womit ihr Bestand gesichert ist. „Labile“ Bundesstaaten sollen sich hingegen durch eine Neugliederungsregelung auszeichnen. Danach wird die Weimarer Republik, welche nach der Verfassung in einen Einheitsstaat umgewandelt werden konnte, als „labiler“ Bundesstaat bezeichnet. Deutschland wäre wegen der Neugliederungsregelungen in Art. 29, Art. 118 und Art. 118a GG ebenso als „labiler“ Bundesstaat zu bezeichnen. Nach der geltenden Fassung des Grundgesetzes ist die föderative Gliederung gem. Art. 79 Abs. 3 GG jedoch „stabil“ (ein europäischer Bundesstaat mit Neugliederungsregelung ist in weiter Ferne); „labil“ ist allein die Existenz und der territoriale Bestand der einzelnen Gliedstaaten. 12 Daher ist Deutschland eher als ein „stabiler Bundesstaat mit labilen Bundesländern“ zu kategorisieren. 13
II. Neugliederung des Bundesgebietes seit Erlass des Grundgesetzes Spätestens seit dem 19. Jh. hat ein stetiger Prozess der Verringerung der Gliedstaaten in Deutschland eingesetzt. Existierten beim Zusammenschluss zum Deutschen Bund von 1815 noch 41 Gliedstaaten, waren es bei Gründung des Deutschen Bundes von 1871 nur noch 25. 14 In der Weimarer Republik setzte sich dieser Verlauf fort, indem die Anzahl der Länder von anfangs 24 auf 17 reduziert wurde. 15 Eine erste Neugliederungsvorschrift mit einem eigenen Verfahren durch Bundesgesetz ohne Vetorecht der betroffenen Länder und möglicher Einbeziehung des unmittelbaren Willens der Bevölkerung fand sich erst in der Weimarer Reichsverfassung in Art. 18 wieder. Zuvor erfolgte die Reduzierung der Gliedstaaten ausschließlich über Staatsverträge. 16 Unter der Diktatur der H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 21; a. A. u. a. J. Isensee, in: HdbStR VI, § 126 Rn. 148, sieht eine Beschränkung auf fünf oder sechs Länder als verfassungswidrig an. 11 BVerfGE 1, 14 (48); 5, 34 (38); T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 14. 12 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 8; H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 30; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 2. 13 I. v. Münch, Staatsrecht I, Rn. 496; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 12. 14 Vgl. Erster Teil Kap. B. II u. III.; W. Ernst, DVBl. 1991, S. 1024 (1025). 15 Anschluss Coburgs an Bayern durch das Gesetz betreffend die Vereinigung Coburgs mit Bayern v. 30. April 1920, RGBl. 1920 I, S. 842; Vereinigung von sieben Ländern zum Land Thüringen, Gesetz betreffend dem Land Thüringen v. 30. April 1920, RGBl. 1920 I, S. 841; Anschluss Waldeck-Pyrmonts an Preußen durch das Gesetz über die Vereinigung von Waldeck mit Preußen v. 7. Dezember 1928, RGBl. 1928 I, S. 401.
A. Grundlagen der Neugliederung des Bundesgebietes
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Nationalsozialisten wurden die Länder zwar formell nie aufgelöst, dennoch wurde ihnen über mehrere Gesetzgebungsakte der Großteil ihrer Rechte entzogen, womit Deutschland aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht faktisch zu einem totalitären Einheitsstaat wurde. 17 Vor diesem rechtsgeschichtlichen Hintergrund bedarf es für ein umfassendes Verständnis aktueller Reformbestrebungen einer genaueren Betrachtung der Neugliederung des Bundesgebietes seit Erlass des Grundgesetzes im Mai 1949. 1. Neugliederungsregelungen bei Erlass des Grundgesetzes 1949 Die Motivation der bei der Verfassungsausarbeitung Beteiligten, eine Bestimmung zur Neugliederung des Bundesgebietes in das Grundgesetz aufzunehmen, ist anhand von Quellen nur schwer belegbar. Ob es die bloße Aufrechterhaltung verfassungsgesetzgeberischer Tradition mit Verweis auf Art. 18 WRV war, oder ob man mit einer solchen Regelung einer möglicherweise in Teilbereichen willkürlichen Aufgliederung Deutschlands durch die Alliierten entgegentreten wollte, ist nicht genau zu ergründen. Die Frage, ob und ggf. wie eine Neugliederungsregel in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte, wurde bei den vorbereitenden Beratungen des Herrenchiemseer Konventes und den anschließenden Diskussionen im Parlamentarischen Rat äußerst kontrovers diskutiert. In den Verhandlungen stand ein strikt föderaler Ansatz, nachdem Neugliederungsbestrebungen ausschließlich im Wege von Staatsverträgen durch die betroffenen Länder geregelt werden sollen, einer unitarischen Auffassung, nach der dem Bund zukünftig ein umfassendes Länderneugliederungsrecht in der Verfassung eingeräumt werden sollte, gegenüber. 18 Im Ergebnis einigte man sich bei der Ausgestaltung des Art. 29 GG (a.F.) auf einen im internationalen Vergleich wohl einzigartigen, eher unitarisch geprägten Ansatz. Nach Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG (a.F.) lag die Kompetenz zur Neugliederung ausschließlich beim Bundesgesetzgeber. Er enthielt einen zwingenden Auftrag zur Neugliederung des Bundesgebietes, welcher gem. Art. 29 Abs. 6 S. 2 GG (a.F.) grundsätzlich innerhalb von drei Jahren nach Verkündung des Grundgesetzes erfolgen sollte. Ferner sah Art. 29 Abs. 1 S. 1 und 2 GG (a.F.) bestimmte Vorgaben für eine Neugliederung vor. Demnach sollte das Bundesgebiet „unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des 16 Vgl. Art. 18 WRV, abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 179 f. 17 Vgl. Erster Teil Kap. B.V. 18 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 37 f.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
sozialen Gefüges“ neu gegliedert werden, damit die neu geschaffenen Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit ihre von der Verfassung vorgegebenen Aufgaben wirksam erfüllen können. In Anknüpfung an die Regelung des Art. 18 WRV sah Art. 29 GG (a.F.) für die Neugliederung des Bundesgebietes auch direkte demokratische Mitwirkungsrechte der Bürger vor. Nach Art. 29 Abs. 2 GG (a.F.) konnte die Bevölkerung binnen einen Jahres nach in Kraft treten des Grundgesetzes mittels eines Volksbegehrens eine Änderung der nach dem 8. Mai ohne Volksabstimmung über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung fordern. Abs. 3 S. 1 GG (a.F.) sah weiterhin einen Volksentscheid der von einer Neugliederung betroffenen Bevölkerung vor. Bei einem negativen Ausgang des Volksentscheids musste das Neugliederungsgesetz nach Abs. 4 (a.F.) erneut in den Bundestag eingebracht werden und bedurfte diesmal der Annahme durch einen bundesweit durchzuführenden Volksentscheid. Bei Zustimmung der betroffenen Bevölkerung wurde nur eine einfache Mehrheit zur Umgliederung benötigt. Neben Art. 29 GG wurde mit Art. 118 GG eine abweichende Regelung in das Grundgesetz aufgenommen, welche als lex specialis für die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern ein zusätzliches (vereinfachtes) Verfahren für eine Neugliederung ihres Territoriums vorsah. Die Besatzungsmächte standen einer kompletten Neugliederung des Bundesgebietes, wie sie Art. 29 GG (a.F.) verpflichtend vorsah, kritisch gegenüber. Die Alliierten sahen durch die Neugliederungsverpflichtung insbesondere ihre administrative Steuerungsfähigkeit für den Wiederaufbau Deutschlands bedroht. Sie verliehen daher ihren Bedenken Ausdruck, indem sie im Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 unter Ziffer 5, die in Art. 29 GG (a.F.) enthaltende Verpflichtung zur umfassenden Neugliederung suspendierten. 19 Dieser Vorbehalt der Alliierten lief erst am 5. Mai 1955 mit in Kraft treten des Deutschlandvertrags aus. 20 Die Suspendierung betraf aber ausdrücklich nicht die Regelung des Art. 118 GG zur Neugliederung Südwestdeutschlands, der die dortigen Besatzungsmächte (Frankreich, USA) positiv gegenüber standen. 21 Die Neugliederung des Südwestraumes Deutschlands durch die Gründung Baden-Württembergs erfolgte daraufhin in den Jahren 1951/52 auf Grundlage von Art. 118 GG. Sie kam aber nicht gem. Art. 118 S. 1 GG durch einen Staatsvertrag zwischen den 19 BVerfGE 1, 117 (134); U. Leonardy, Die Neugliederung des Bundesgebietes – Auftrag des Grundgesetzes, in: K. Eckart / H. Jenkis, Föderalismus in Deutschland, S. 9 (11); K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 4; R. Schiffers, Weniger Länder – mehr Föderalismus? Die Neugliederung des Bundesgebietes im Widerstreit der Meinungen 1948/49, S. 45 f., 121. 20 BVerfGE 13, 54 (57); A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 82; U. Leonardy, Die Neugliederung des Bundesgebietes – Auftrag des Grundgesetzes, in: K. Eckart / H. Jenkis, Föderalismus in Deutschland, S. 9 (12). 21 BVerfGE 1, 14 (23); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 33; A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 66 f.; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK III, Art. 118 Rn. 22.
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Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zustande, sondern wurde gem. Art. 118 S. 2 GG über bundesgesetzliche Regelungen vollzogen. 22 Das traf grundsätzlich auch auf die Rückführung des Saarlandes 1957 zu, das nach dem 2. Weltkrieg als ein französisches Protektorat wirtschaftlich und politisch an Frankreich angebunden war. Es war allerdings kein Teil des französischen Staatsgebiets. Das Europäische Saarstatut sollte diesen Status besiegeln. Das Statut wurde im Oktober 1955 in einer Volksabstimmung abgelehnt, woraufhin das Saarland zu Deutschland zurückkehrte und das zehnte Land der BRD wurde. Das Thema einer umfassenden Neugliederung des Bundesgebietes blieb trotz der vorübergehenden Suspendierung des Art. 29 GG (a.F.) aktuell. Der Bundestag setzte zur Unterbreitung neuer Gliederungsvorschläge im Jahr 1952 einen Ausschuss unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers Hans Luther ein (Luther-Kommission). 23 2. Revision der Neugliederungsregelung 1969 Nach fast dreijähriger Tätigkeit legte der eingerichtete Ausschuss unter der Leitung Luthers die Ergebnisse seiner Beratungen vor. Die Luther-Kommission kam in dem 1955 vorgelegten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die einst angestrebte umfassende Neugliederung des Bundesgebietes nicht notwendig sei. 24 Als Begründung verweist das Gutachten auf ein sich insbesondere in den Hansestädten und in den südlichen Bundesländern seit Erlass des Grundgesetzes verfestigtes, eigenes Staatsbewusstsein, welches sich in einem abnehmenden Verlangen der Bevölkerung nach Neugliederung widerspiegele. Ferner sollten die Hansestädte Hamburg und Bremen wegen ihrer bundesstaatlich bedeutsamen Aufgabe der Seehäfenentwicklung eigenständig bleiben. 25 Einzig in Mittelwestdeutschland (Hessen, Rheinland-Pfalz, Teile Nordrhein-Westfalens, der nordbadische Teil Baden-Württembergs und der Raum Aschaffenburg des Landes Bayern) 22 Erstes Gesetz zur Durchführung der Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiet gemäß Art. 118 Satz 2 des Grundgesetzes v. 4. Mai 1951, BGBl. 1951 I, S. 283; wurde durch BVerfGE 1, 14 (32 ff.) in Teilen wegen Verletzung demokratischer und bundesstaatlicher Prinzipien für verfassungswidrig erklärt; Zweites Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern v. 4. Mai 1951, BGBl. 1951 I, S. 284 ff. 23 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 54 ff.; A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 100 ff.; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 6. 24 Luther-Gutachten, S. 144 ff.; A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 100. 25 Luther-Gutachten, S. 71, 78.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
wäre eine Neugliederung sinnvoll, da hier Ballungsräume durch Ländergrenzen zerschnitten würden. 26 Die Kommission entwarf sieben verschiedene Modelle, wie Mittelwestdeutschland neu gegliedert werden könne. 27 In Reaktion auf das Gutachten der Luther-Kommission verfolgte die Bundesregierung die vorher bestehenden Neugliederungsbestrebungen zunächst nicht weiter, da insbesondere die Vielfalt der vorgeschlagenen Modelle einer Entscheidungsfindung abträglich war. Nach der Aufhebung der Suspendierung des Art. 29 GG (a.F.) kam es 1956 zu einigen erfolgreichen Volksbegehren. 28 Nachdem die Bundesregierung es bis 1958 unterließ, einen Gesetzesentwurf zur Neugliederung des Bundesgebietes in den Bundestag einzubringen, reichte u. a. die hessische Landesregierung Klage vor dem BVerfG ein. Im Jahr 1961 entschied das BVerfG, dass die Länder keinen Anspruch auf Neugliederung gegen den Bund haben. 29 Es verwies in seiner Urteilsbegründung darauf, dass die Existenz einzelner Länder von Art. 29 GG (a.F.) nicht gewährleistet ist und eine Neugliederung gem. Art. 29 Abs. 2 bis 6 GG (a.F.) nicht einmal der Zustimmung des Bundesrates bedarf. 30 Dennoch besteht der Verfassungsauftrag zur gesamten Neugliederung des Bundesgebietes nach Auffassung des Gerichtes fort. Zu einer Änderung der Neugliederungsregelung des Art. 29 GG (a.F.) kam es erst im Jahr 1969 im Zusammenhang mit der umfassenden Reform der Finanzordnung. 31 Gegenstand der Reform war ausschließlich das Neugliederungsverfahren. Die inzwischen längst überschrittene Neugliederungsfrist von drei Jahren wurde gestrichen. 32 Ferner nahm man in Art. 29 Abs. 3 GG (a.F.) eine Regelung auf, nach der in den Gebieten, in denen zuvor erfolgreiche Volksbegehren durchgeführt worden, bis zum 31. März 1975 entsprechende Volksentscheide auszurichten sind. Für den Gebietsteil Baden sollte der Volksentscheid schon bis zum 30. Juni 1970 erfolgen. Insgesamt zeichnete sich die 1969 erfolgte Revision des Art. 29 GG durch eine Stärkung direkt-demokratischer Elemente sowie durch den Wegfall der 26 A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 100 f.; A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 41. 27 Luther-Gutachten, S. 114 ff. 28 Insgesamt waren fünf Volksbegehren erfolgreich: in Oldenburg und SchaumburgLippe sprachen sich mehr als die erforderlichen 10 % der Bevölkerung für eine Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit aus; Montabauers, Reinhessen und die Region Koblenz / Trier votierten für eine Umgliederung zu einem anderen Bundesland; vgl. ausführliche Darstellung bei A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 82 ff. 29 BVerfGE 13, 54. 30 BVerfGE 13, 54 (73). 31 25. Gesetz zur Änderung des GG v. 23. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1241. 32 M. Herdegen, Neugliederung des Bundesgebietes im Spannungsfeld zwischen staatsrechtlicher Kontinuität und Effizienzerwartung, in: K. Bohr, Föderalismus, S. 123 (125); K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 7.
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besonderen Dringlichkeit des umfassenden Neugliederungsauftrages aus. Diese Entwicklung machte eine Neugliederung des Bundesgebietes insgesamt schwieriger. 33 3. Revision der Neugliederungsregelung 1976 Die Neugliederungsdebatte klang durch die erfolgte Verfassungsrevision nicht ab. Im Jahr 1970 setzte die Bundesregierung eine neue „Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes“ (Ernst-Kommission 34) ein. Nach der Auftragsumschreibung sollte die Kommission der Regierung Vorschläge zur Neugliederung des Bundesgebietes unterbreiten, wonach die Bundesländer einen neuen Zuschnitt nach Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft und räumlicher Zugehörigkeit erhalten sollten. 35 Das 1973 vorgelegte Gutachten der Sachverständigenkommission unterschied sich im Ergebnis erheblich vom Abschlussbericht der Luther-Kommission. Nach Auffassung der Sachverständigen ergab sich der Sinn und Zweck des Bundesstaates aus seiner innerstaatlichen Funktionsteilung. Gemessen am Maßstab der Effizienz schlugen sie eine Reduzierung der Bundesländer von damals 11 auf maximal fünf oder sechs Gliedstaaten vor. 36 Unter der Prämisse, dass ein Bundesland maximal fünf Mio. Einwohner haben müsse, sollte Norddeutschland in ein bzw. zwei Flächenstaaten gegliedert werden. Ferner schlug die Kommission vor, dass das Saarland und Rheinland-Pfalz durch einen Anschluss an Hessen bzw. Baden-Württemberg ihre Eigenständigkeit verlieren sollte. Aufgrund der ausführlichen wissenschaftlichen Herleitung der Ergebnisse traf das Gutachten der Ernst-Kommission auf eine breite Akzeptanz. Vereinzelt wurde aber auch Kritik geäußert. 37 Insbesondere die Fixierung auf Wirtschaftlichkeitsaspekte und das aus einer solchen Betrachtung resultierende, eingegrenzte Föderalismusverständnis würden zu einer problematischen Auslegung des Art. 29 GG führen. 38 Ferner würde den Vorzügen kleinerer Staaten durch das Gutachten zu wenig Bedeutung beigemessen werden. 39 Der Druck zu einer erneuten Revision des Art. 29 GG (a.F.) verstärkte sich durch die nach 33 P. Feuchte, Wege und Umwege zu einer neuen Struktur, in: T. Ritterspach / W. Geiger, FS für Gebhard Müller, S. 59 (70); A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 43. 34 Der Kommissionsvorsitzende Werner Ernst war ehemaliger Staatssekretär im Bundesinnenministerium. 35 Ernst-Gutachten, S. 13; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 8. 36 Ernst-Gutachten, S. 126 ff. 37 G. Püttner, DÖV 1971, S. 540 ff.; E. Röper, Der Staat 14 (1975), S. 305 ff.; U. Scheuner, DÖV 1974, S. 16 ff. 38 E. Röper, Der Staat 14 (1975), S. 305 (316). 39 G. Püttner, DÖV 1971, S. 540.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Art. 29 Abs. 3 GG (a.F.) durchzuführenden, im Ergebnis erfolgreichen Volksentscheide in Oldenburg und Schaumburg-Lippe. In der Konsequenz war der Fortbestand des Bundeslandes Niedersachsen stark gefährdet. Als erste Reaktion erließ der Bund das Niedersachsen-Gesetz, welches festlegte, dass die beiden Gebietsteile weiterhin zu Niedersachsen gehörten. 40 Im Jahr 1976 folgte eine erneute Revision des Art. 29 GG (a.F.), welche zu erheblichen Veränderungen führte. 41 In Zuge der Reform wurde der Auftrag zu einer verpflichtenden Neugliederung des gesamten Bundesgebietes in Art. 29 Abs. 1 GG (a.F.) gestrichen. Durch die Entschärfung des Art. 29 GG (a.F.) wurde aus der Neugliederungsverpflichtung eine bloße Ermächtigung zur Neugliederung. Die Entscheidung lag fortan im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Die Beteiligung der Länder wurde durch die Einfügung eines Anhörungsrechts in Art. 29 Abs. 2 S. 2 GG gestärkt. Ferner wurde durch die Novellierung des dritten Absatzes der Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet abgeschafft und durch ein Verfahren abgelöst, das sich ausschließlich auf die Neugliederung betroffener Länder bzw. Landesteile bezog. Die Mitwirkungsrechte der von einer Neugliederung betroffenen Bevölkerung wurden in Art. 29 Abs. 4 GG weiter gestärkt. Im Ergebnis führte die 1976 erfolgte Revision des Art. 29 GG (a.F.) zu einer Stärkung der Länder in ihrem zu diesem Zeitpunkt fixierten Bestand. Eine Neugliederung wurde dadurch erheblich erschwert. Die Reform orientierte sich nicht an den von der Ernst-Kommission gemachten Neugliederungsvorschlägen, sondern erhöhte im Gegenteil sogar die Hürden für eine Neugliederung, womit Art. 29 GG fortan als eine Veränderungssperre zugunsten der bestehenden Länder wirkte. 42 4. Revision der Neugliederungsregelung 1994 Nach der Reform 1976 wurde das Thema der Neugliederung des Bundesgebiets erst wieder im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung aufgegriffen. Ein erster Vorstoß der Bundesregierung im Jahr 1990 stieß auf Ablehnung der Bundesländer. 43 Am 3. Oktober 1990 wurden die fünf „neuen“ Bundesländer (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thü40 Gesetz über die Regelung der Landeszugehörigkeit des Verwaltungsbezirks Oldenburg und des Landkreises Schaumburg-Lippe nach Art. 29 Abs. 3 S. 2 des Grundgesetzes v. 9. Januar 1976, BGBl. 1976 I, S. 45. 41 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 23. August 1976, BGBl. 1976 I, S. 2381 f. 42 W. Ernst, DVBl. 1991, S. 1024 (1030); E. Schmidt-Jortzig, Neugliederung des Bundesgebietes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 729 (734). 43 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 11.
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ringen) im Rahmen des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zum Geltungsbereich des Grundgesetzes in die Ländergemeinschaft aufgenommen. 44 Die Reformdiskussion kam erst wieder mit der Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat (sog. „Gemeinsame Verfassungskommission“) im Januar 1992 in Bewegung. 45 Im Gegensatz zu den vorherigen Kommissionen widmete sie sich neben der Frage des Zusammenschlusses von Berlin und Brandenburg ausschließlich dem Verfahren des Art. 29 GG. Konkrete Neugliederungsmodelle wurden nicht erstellt. Am Ende der Beratungen einigte man sich in der Kommission darauf, dass es zu keiner Wiedereinführung der Neugliederungsverpflichtung kommen soll. Vielmehr entstand die Idee eine Neugliederung zukünftig durch die Einfügung der Möglichkeit eines freiwilligen Zusammenschlusses per Staatsvertrag in Art. 29 GG zu erleichtern. 46 Im Anschluss an den Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission kam es am 27. Oktober 1994 zu der anvisierten Verfassungsrevision. 47 Der Verfassungsgesetzgeber beließ es jedoch in Art. 29 Abs. 1 und 2 GG weiterhin bei einer bloßen Neugliederungsermächtigung des Bundes. Der Kern der Reform war die Einführung eines neuen Verfahrens in Art. 29 Abs. 8 GG. Die Länder haben nun die Möglichkeit, eine Neugliederung für das jeweils von ihnen umfasste Gebiet oder für Teilgebiete abweichend von den Vorschriften der Abs. 2 bis 7 unter Einhaltung bestimmter Verfahrensvorschriften durch Staatsvertrag zu regeln. Weiterhin wurde das vereinfachte Verfahren in Art. 29 Abs. 7 GG durch die Anhebung der Bezugsgröße von 10.000 auf 50.000 Einwohner erleichtert. Für die Länder Berlin und Brandenburg wurde ferner mit Art. 118a GG eine Spezialregelung für einen erleichterten Zusammenschluss der beiden Länder in das Grundgesetz eingefügt. Der Gesetzgeber rechtfertigte die Einführung eines vereinfachten Verfahrens für diesen Zusammenschluss mit der historischen Verbundenheit von Brandenburg und Berlin. 48 Zu Art. 118a GG bleibt abschließend zu bemerken, dass ein erster Versuch Berlin und Brandenburg zu einem Bundesland zu fusionieren, scheiterte. 49 Bei der in beiden Ländern am 5. Mai 1996 44 Vgl. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) v. 31. August 1990, BGBl. 1990 II, S. 889 ff. 45 Hierzu ausführlich K.-G. Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, S. 889 ff.; J. Sanden, Die Weiterentwicklung der föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland, S. 196; R. Scholz, ZG 1994, S. 1 ff. 46 Kommissions-Abschlussbericht, BT-Drs. 12/6000, 43 ff.; K.-G. Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, S. 889 (892). 47 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27. Oktober 1994, BGBl. 1994 I, S. 3146. 48 BT-Drs. 12/6000, 45; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 118a Rn. 2. 49 Ausführlich O. Jung, ZParl 1997, S. 13 ff.; U. Keunecke, Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg, S. 1 ff.; J.-D. Kühne, JR 1996, S. 221 ff.; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 118a Rn. 7 f.; M. Röber / S. Völkel, VerwArch. 90 (1999), S. 112 ff.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
anberaumten Volksabstimmung sprach sich die Bevölkerung Berlins mit knapper Mehrheit für eine Neugliederung aus. 50 Da sich die Bevölkerung Brandenburgs mit 62,72 % der abgegebenen Stimmen jedoch mehrheitlich gegen ein Zusammengehen der beiden Länder aussprach, scheiterte das Projekt zunächst. Aktuell wurde die Frage der Neugliederung wieder im Zusammenhang mit der von Bundestag und Bundesrat eingesetzten Föderalismuskommission II vor allem unter wettbewerbsföderalistischen Aspekten diskutiert. 51 Vermehrt werden neue Vorschläge zur Neugliederung des Bundesgebietes geäußert. Neben den vorhandenen Neugliederungsmodellen der Luther- und Ernst-Kommission denkt u. a. das Land Rheinland-Pfalz öffentlich über eine Fusion mit dem Saarland nach. 52 Berlin und Brandenburg verstärken die länderübergreifende Zusammenarbeit, um ggf. zu gegebener Zeit einen neuen Anlauf für einen Zusammenschluss zu starten. Hamburg und Schleswig-Holstein intensivieren ihre Bemühungen zur Schaffung eines Nordstaates. 53 Die Südländer schlagen eine Zusammenlegung von Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und MecklenburgVorpommern zu einem großen Nordstaat vor 54 und in Sachsen-Anhalt wird über einen Zusammenschluss mit Thüringen zu einem Bundesland „Mitteldeutschland“ nachgedacht. 55 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es mit der Neugründung des Landes Baden-Württemberg nach Art. 118 GG bisher nur eine gelungene Neugliederung seit dem Erlass des Grundgesetzes 1949 gab. Insbesondere die Norm des Art. 29 GG unterlag einem starken Wandel. Die anfänglich unitarische Prägung der Norm wich immer mehr einer starken Länderstellung. Die über die Jahrzehnte steigende Akzeptanz der Gliederung des Bundesgebietes spiegelt sich vor allem in einer Zunahme der Länderrechte im Neugliederungsverfahren und 50
Insgesamt 53,6 % der Berliner Bevölkerung sprachen sich für eine Neugliederung aus, vgl. I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 118a Rn. 17. 51 Vgl. Punkt Sieben der offenen Themensammlung zur Reform der Bund-LänderFinanzbeziehungen, nach dem die Reformkommission Vorschläge zur „verstärkten Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses von Ländern“ erarbeiten soll, BT-Drs. 16/3885, 1 (3). 52 FAZ v. 15. November 2006, S. 12. 53 Für Norddeutschland werden verschiedene Neugliederungsoptionen diskutiert: − Niedersachsen / Bremen − Hamburg / Schleswig-Holstein − Schleswig-Holstein / Mecklenburg-Vorpommern − Hamburg / Schleswig-Holstein / Mecklenburg-Vorpommern − Niedersachsen / Bremen / Hamburg / Schleswig-Holstein − ein Nordstaat aus Niedersachsen / Bremen / Hamburg / Schleswig-Holstein / Mecklenburg-Vorpommern. 54 FAZ v. 23. Juni 2006, S. 2. 55 FAZ v. 23. Juli 2007, S. 4.
B. Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz
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einer gesteigerten Beteiligung der von Neugliederungsmaßnahmen betroffenen Bevölkerung wider.
B. Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz Vorschriften über die Neugliederung des Bundesgebietes finden sich an verschiedenen Stellen im Grundgesetz. Das allgemeine Verfahren der Neugliederung ist in Art. 29 GG normiert. Spezialregelungen finden sich in Art. 118 und Art. 118a GG.
I. Allgemeine Verfahren der Neugliederung des Bundesgebietes (Art. 29 GG) Zunächst werden in Art. 29 Abs. 1 GG die grundlegenden Voraussetzungen und Abwägungsrichtlinien für eine Neugliederung vorgegeben. Art. 29 Abs. 2 bis 8 GG regeln verschiedene Verfahren der Neugliederung. 1. Neugliederungsbefugnis (Art. 29 Abs. 1 GG) Nach Art. 29 Abs. 1 GG liegt die Neugliederung des Bundesgebietes grundsätzlich im Ermessen des Bundesgesetzgebers. Er ist aber bei der Ausführung einer Neugliederungsmaßnahme an bestimmte Zielvorgaben und Richtbegriffe gebunden. Der räumliche Anwendungsbereich des Art. 29 GG erstreckt sich auf „das Bundesgebiet“. Demnach werden das gesamte Gebiet der Länder und des Bundes, welche deckungsgleich sind, von der Regelung erfasst. 56 Der Festlandsockel, die Seegebiete außerhalb der Küstengewässer und die Wirtschaftszonen gehören nicht dazu. 57 Soweit eine Neugliederung zur Veränderungen der Außengrenzen führen würde, ist Art. 32 GG einschlägig.
56 J. Isensee, in: HdbStR VI, § 126, Rn 21 f.; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 19. 57 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 12; H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 75; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 8.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
a) Zielvorgabe für die Neugliederung (Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG) Das Bundesgebiet kann gem. Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG neu gegliedert werden, „um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können“.
Die wirksame Wahrnehmung der den Ländern „obliegenden Aufgaben“ ist in Neugliederungsbefugnis von zentraler Bedeutung. 58 Der Bundesstaat bedarf funktionsfähiger Gliedstaaten, damit das föderale Gesamtsystem im Ganzen bestehen kann. Somit muss jede Neugliederung nach Art. 29 Abs. 1 GG immer die Zielvorgabe der Steigerung des Leistungsvermögens der betroffenen Gliedstaaten sowie des föderalen Gesamtsystems erfüllen. 59 Zur Ermittlung, ob die betroffenen Länder nach einer Neugliederungsmaßnahme die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können, dienen nach Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG die sich bedingenden Begriffe der „Größe“ und „Leistungsfähigkeit“. 60 Der Begriff der „Größe“ enthält hierbei keinen Auftrag zur Schaffung möglichst gleichgroßer Länder. 61 Er bezieht sich sowohl auf die flächenmäßige Ausdehnung eines Gebietes als auch auf die Bevölkerungszahl. 62 Demnach können Stadtstaaten mit einer hohen Bevölkerungsdichte wie auch Flächenstaaten mit einer geringeren Dichte ihre Aufgaben wirksam erfüllen. 63 Die „Leistungsfähigkeit“ dient als zweites Kriterium zur Prüfung, ob ein Land in der Lage ist, seine ihm obliegenden Aufgaben wirksam zu erfüllen. In seiner Komplexität umfasst der Begriff die wirtschaftliche, finanzielle, politische und administrative Leistungsfähigkeit eines Landes. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des neu zu gliedernden Landes ergibt sich aus dessen Wirtschaftsentwicklung anhand einer Betrachtung der Wirtschaftskraft. 64 Die vorhandene 58 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 69; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 26. 59 Ernst-Gutachten, S. 36 ff., 47 ff.; H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 38. 60 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 70; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 15; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 26. 61 Hierzu ist auch auf Art. 51 Abs. 2 GG zu verweisen, der die Stimmenverteilung im Bundesrat regelt, vgl. Ernst-Gutachten, S. 62; T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 42. 62 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 17; Ernst-Gutachten, S. 62; H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 39; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 29 Rn. 2. 63 H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 39; K.-G. MeyerTeschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 27.
B. Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz
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Quantität und Qualität wirtschaftlicher Ressourcen im Neugliederungsgebiet und deren prognostizierte Entwicklung sind die Grundlage dieser Berechnung. 65 Ferner bilden sie die Basis der finanziellen Leistungsfähigkeit, die sich nach der originären Finanzkraft (Ausstattung mit Finanzmitteln) der betreffenden Länder bemisst. 66 Neben dem Steueraufkommen der Länder sind bei der Finanzkraftberechnung grundsätzlich auch die Länderfinanzausgleichsmittel einzubeziehen. 67 Unter der politischen Leistungsfähigkeit eines Landes versteht man deren personelle und institutionelle Ressourcen zur Gestaltung von Politik auf allen Ebenen, wo sie berechtigterweise eigene Interessen verfolgt. 68 Die administrative Leistungsfähigkeit bemisst sich nach der Fähigkeit eines Landes, die ihm nach der bundesstaatlichen Zuständigkeitsverteilung obliegenden öffentlichen Aufgaben im Bereich der originären Landeseigenverwaltung und im Bereich der Bundesauftragsverwaltung bedarfsgerecht zu erfüllen. 69 b) Konkretisierende Richtbegriffe (Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG) In Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG hat der Verfassungsgesetzgeber Richtbegriffe normiert. Sie dienen als Orientierungs- und Abwägungshilfe für die Beantwortung der Frage, ob eine Neugliederung die Zielvorgabe des Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG erfüllt. Demnach hat der Gesetzgeber nach Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG bei seiner Entscheidung über ein Neugliederungsvorhaben die „landsmannschaftliche Verbundenheit“, die „geschichtlichen“ und „kulturellen Zusammenhänge“, die „wirtschaftliche Zweckmäßigkeit“ sowie die „Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung“ zu berücksichtigen. Diese gleichwertig nebeneinander stehenden, unbestimmten Rechtsbegriffe müssen sachlich in der Abwägung gewürdigt werden. 70 Sie sind auch im Falle einer Kollision einer Gewichtung durch den Gesetzgeber zugänglich. 71 64
Ernst-Gutachten, S. 65 ff.; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 27. 65 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 18; A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 68. 66 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 27. 67 A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 160; T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 43. 68 Ernst-Gutachten, S. 77 ff.; H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 41; A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 162. 69 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 19; Ernst-Gutachten, S. 81 ff.; A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 163; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 26. 70 Ernst-Gutachten, S. 42 f. 71 M. Bothe, in: AK I, Art. 29 Rn. 12; T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 25; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 29.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Die Richtbegriffe der „landsmannschaftlichen Verbundenheit“ und der „geschichtlichen“ und „kulturellen Zusammenhänge“ lassen sich in einer Gruppe zusammenfassen, die die soziale, innere Verfasstheit des Neugliederungsgebietes charakterisiert. 72 Unter den Begriff der „landsmannschaftlichen Verbundenheit“ fällt die subjektive Wahrnehmung in der Historie begründeter oder gegenwärtig begründeter Umstände, die das Fundament eines Zusammengehörigkeitsgefühls bilden. 73 Daher sind Sprachen, Dialekte oder geographisch zu verortende Stammesgründe, soweit sie im Zeitpunkt der Neugliederungserwägungen noch vorliegen, bei einer Abwägung als Kriterium mit einzubeziehen. „Geschichtliche Zusammenhänge“ sind in einer Abwägung zu beachten, wenn sich hieraus eine organisierte Zusammengehörigkeit bestimmter Regionen herleiten lässt. 74 Unter „kulturellen Zusammenhängen“ versteht man gemeinhin Zusammenhänge vielfältiger Art, die jeweils eine unterschiedliche Reichweite und Kraft der Zusammenfassung besitzen. 75 In diesem Sinne sind beispielsweise Einzugsgebiete von kulturellen, religiösen, wissenschaftlichen Einrichtungen und Sportstätten Indizien für eine Zusammengehörigkeit bestimmter Gebiete. 76 Zu einer weiteren Gruppe lassen sich die Richtbegriffe der „wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit“ sowie der „Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung“ zuordnen. 77 Hierbei geht es um die „Kongruenz zwischen dem Landgebiet und den für eine gesamtwirtschaftlich effiziente Aufgabenerfüllung erforderlichen Planungs- und Verwaltungsräumen“ 78. „Wirtschaftliche Zweckmäßigkeit“ bedeutet hierbei eine u. a. auch auf das betreffende Gebiet bezogene volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeitserwägung, bei der charakteristische Züge des regional geprägten privaten und öffentlich-rechtlichen Wirtschaftswesens verdeutlicht werden. 79 Konkretisieren lässt sich die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit mit dem Richtbegriff der Raumordnung und Landesplanung. Über diesen Begriff soll eine „gesunde Landesentwicklung“ sichergestellt werden. 80 Die synonym ver72 Sie werden in der Literatur wahlweise als subjektive, emotionale, dynamische Richtbegriffe oder historisch-kulturelle Raumzusammenhänge bezeichnet. 73 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 75; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 21. 74 A. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, S. 170 f.; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 30. 75 Luther-Gutachten, S. 31. 76 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 26; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 23. 77 Sie werden in der Literatur wahlweise als objektive, rationale oder statische Richtbegriffe bezeichnet. 78 Ernst-Gutachten, S. 89. 79 Luther-Gutachten, S. 32. 80 T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 36 f.; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 32.
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wendeten Begriffe der Landesplanung und Raumordnung sind in Anlehnung an das Raumordnungsrecht zu verstehen, womit raumbedeutsame Planungen des Bundes wie auch der Länder in einer Abwägung über das Vorliegen der Zielvorgaben zu berücksichtigen sind. 2. Neugliederungsverfahren In Art. 29 Abs. 2 bis 8 GG sind vier verschiedene Verfahren zur Neugliederung des Bundesgebietes normiert. a) Allgemeines Neugliederungsverfahren (Art. 29 Abs. 2 und 3 GG) Für Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz. 81 Nach Art. 29 Abs. 2 GG erfordert eine Neugliederung ein formelles Bundesgesetz. Neugliederungsverträge zwischen Bund und Ländern sind ausgeschlossen. 82 Obgleich Neugliederungsgesetze den inneren Kern der Länderstaatlichkeit betreffen, bedürfen sie als Einspruchsgesetze keiner Zustimmung des Bundesrates. 83 Nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 GG müssen die von einer Neugliederungsmaßnahme unmittelbar betroffenen Länder angehört werden. Der Bund ist an die Äußerungen der Länder im Rahmen der Anhörung nicht gebunden. 84 Die förmliche Anhörung muss in einem Stadium des Neugliederungsverfahrens erfolgen, in dem die betroffenen Länder noch hypothetisch die Möglichkeit haben, die Entscheidung des Bundes zu beeinflussen. 85 Im Unterschied zur sonstigen Gesetzgebung im Bereich des Bundesrechtes bedarf ein Neugliederungsgesetz gem. Art. 29 Abs. 2 S. 1 GG gegenwärtig der Bestätigung durch einen Volksentscheid. Hierbei handelt es sich um eines der wenigen direkt demokratischen Elemente im Grundgesetz. Fällt der Volksentscheid negativ aus, ist die Neugliederung gescheitert. 86 In Art. 29 Abs. 3 GG finden sich nähere Vorgaben zur Durchführung des Volksentscheides. 87 Nach Art. 29 Abs. 3 S. 1 GG findet der Volksentscheid ausschließlich 81 BVerfGE 13, 54 (73); W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 35; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 26. 82 T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 21; K.G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 32. 83 M. Bothe, in: AK I, Art. 29 Rn. 14; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 26; B. Pieroth, in: H. Jarass / B. Pieroth, GGK, Art. 29 Rn. 3; K. Stern, Staatsrecht I, S. 246. 84 K.-G. Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, S. 889 (890). 85 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 31; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 36. 86 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 34.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
„in den Ländern statt, aus deren Gebieten oder Gebietsteilen ein neues oder neu umgrenztes Land gebildet werden soll (betroffene Länder)“.
In dem ermittelten Abstimmungsgebiet ist die dort lebende Bevölkerung in ihrer Gesamtheit zu befragen. 88 Im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 8 S. 4 GG ist der Volksentscheid auch bei der bloßen Neugliederung von Teilgebieten umfassend in den betroffenen Ländern durchzuführen. Die Abstimmungsfrage ergibt sich aus Art. 29 Abs. 3 S. 2 GG. Demnach ist bei einer Volksabstimmung über die Frage abzustimmen, ob die betroffenen Länder wie bisher bestehen bleiben sollen, oder ob das neue oder neu umgrenzte Land gebildet werden soll. Aus dem Wortlaut geht hervor, dass in der Abstimmung sowohl die Frage nach der Beibehaltung des status quo, als auch die Alternative der Neugliederung aufgezeigt werden muss. 89 Die Reihenfolge der Fragen ist verfassungsrechtlich vorgegeben, da zunächst nach der Beibehaltung der bestehenden Zuordnung zu fragen ist. 90 Nach Art. 29 Abs. 3 S. 3 GG kommt ein Volksentscheid für die Bildung eines neuen oder neu umgrenzten Landes grundsätzlich zustande, „wenn in dessen künftigem Gebiet und insgesamt in den Gebieten oder Gebietsteilen eines betroffenen Landes, deren Landeszugehörigkeit im gleichen Sinne geändert werden soll, jeweils eine Mehrheit der Änderung zustimmt“.
Eine Definition der Mehrheit bei Volksentscheidungen und Volksbefragungen findet sich in Art. 29 Abs. 6 S. 1 GG. Hierzu muss zunächst die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht werden. 91 Zusätzlich muss als zweite Voraussetzung mindestens ein Viertel der nach Art. 38 Abs. 2 GG zum Bundestag Wahlberechtigten ein positives Votum abgegeben haben. Da alle Bürger der an einer Neugliederung beteiligten Gebiete jeweils in ihrem Gebiet abstimmungsberechtigt sind, kommt eine Neugliederung nicht zustande, wenn im Gebiet eines der betroffenen Länder eine Mehrheit der Abstimmungsberechtigten die Änderung ablehnt. Das Ausführungsgesetz legt fest, dass man abstimmungsberechtigt ist, wenn man die Wahlberechtigung zum Bundestag besitzt und seit mindestens drei Monaten seinen Hauptwohnsitz in dem Abstimmungsgebiet hat. 92 Eine 87 Diese Vorgaben werden konkretisiert durch das Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG v. 30. Juli 1979, BGBl. 1979 I, S. 1317. 88 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 37. 89 T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 69. 90 Die Festlegung der Reihenfolge der beiden Fragen soll die gewachsene Staatlichkeit, der aus historischen Betrachtung noch nicht so lange existierenden, Länder zum Ausdruck bringen, vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 7/5491, S. 415. 91 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 60; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 47; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 45.
B. Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz
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Ablehnung ist jedoch gem. Art. 29 Abs. 3 S. 3 2. Hs. GG unbeachtlich, wenn in einem Gebietsteil, dessen Zugehörigkeit zu dem betroffenen Land geändert werden soll, zwei Drittel der Änderung zustimmt. Demnach kann das Veto der einfachen Mehrheit des Gesamtgebietes mit einer Mehrheit von zwei Drittel im eigentlichen Untergliederungsgebiet überstimmt werden, solange nicht im Gesamtgebiet des betroffenen Landes eine Mehrheit von zwei Drittel die Änderung ablehnt. 93 b) Neugliederung durch Bevölkerungsinitiative (Art. 29 Abs. 4 und 5 GG) Nach Art. 29 Abs. 4 und 5 GG besteht die Möglichkeit einer Neugliederung durch Initiative der Bevölkerung mittels eines Volksbegehrens und gegebenenfalls einer daran anknüpfenden Volksbefragung. Sinn und Zweck des Volksbegehrens in Art. 29 Abs. 4 GG ist grundsätzlich die Umgliederung eines Gebietes, wobei auch die Schaffung neuer Länder möglich ist. 94 Der Neugliederungsraum als Gegenstand des Volksbegehrens muss nach Vorgabe der Verfassung ein zusammenhängender, abgegrenzter Siedlungs- und Wirtschaftsraum sein, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat. Somit kommt vor allem der Bevölkerung grenzüberschreitender städtischer und industrieller Ballungsräume ein Initiativrecht zur Neugliederung zu. Der Neugliederungsraum ist ein zusammenhängender, zugleich abgrenzbarer Siedlungs- und Wirtschaftsraum, wenn er nach den aus der Landes- und Raumordungsplanung bekannten sozio-ökonomischen Kriterien abgrenzbar ist. 95 Das potentielle Neugliederungsgebiet muss nach innen eine große Integrationsdichte aufweisen (d. h. sich als faktische Einheit darstellen) und somit nach außen vom Umland abgrenzbar sein. 96 Weiterhin muss sich nach Art. 29 Abs. 4 GG das Ballungsgebiet auf „mehrere Länder“ erstrecken, d. h. mindestens zwei Länder müssen von einer Neugliederung betroffen sein. 97 Das Gebiet hat mindestens 92 Vgl. § 4 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG v. 30. Juli 1979, BGBl. 1979 I, S. 1317. 93 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 37 f.; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 42; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 36 f. 94 Die Frage, ob Art. 29 Abs. 4 GG neben der Umgliederung auch die Neubildung eines Landes ermöglicht hat das BVerfG bisher nicht entschieden, offen gelassen durch BVerfGE 96, 139 (152). 95 BVerfGE 96, 139 (149 f.); T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 74; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 44. 96 BVerfGE 96, 139 (149 f.); I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 39. 97 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 39; T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 76.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
eine Millionen Einwohner zu umfassen, wobei damit nicht ausschließlich Wahlberechtigte nach Art. 29 Abs. 6 GG gemeint sind. 98 Einfachgesetzlich setzt das Verfahren des Volksbegehrens zunächst ein erfolgreich durchgeführtes Zulassungsverfahren voraus. 99 Zweck des Zulassungsantrages ist es, eine gewisse Ernsthaftigkeit der Anträge zu gewährleisten. Hierzu müssen mindestens ein Prozent, im Höchstfall aber 7.000 von denen bei der letzten Bundestagswahl wahlberechtigten Einwohnern des für die Neugliederung auserwählten Ballungsgebietes persönlich und handschriftlich den Zulassungsantrag zum Volksbegehren unterschreiben. 100 Schließlich ist in dem Antrag noch neben weiteren Anforderungen die zukünftige Landeszugehörigkeit für den auserkorenen Ballungsraum anzugeben. Erfüllt der Antrag alle an ihn gestellten Anforderungen, kommt es zur Durchführung des Volksbegehrens. Dieses ist nach Art. 29 Abs. 4 GG erfolgreich, wenn ein Zehntel der im Neugliederungsgebiet zum Bundestag Wahlberechtigten in dem Volksbegehren einer einheitlichen Landeszugehörigkeit des betroffenen Ballungsgebietes zugestimmt hat. Erreicht das Volksbegehren nicht das geforderte Quorum ist die Initiative der Bevölkerung gescheitert. Für diesen Fall hat der einfache Gesetzgeber über die Ermächtigung des Art. 29 Abs. 6 S. 2 2. Hs. GG erschwerend festgelegt, dass Volksbegehren in demselben oder in Ansätzen gleichen Ballungsräumen nach erfolgter Abstimmung nur nach einer fünfjährigen Wartefrist erneut möglich sind. Sollte das Volksbegehren jedoch erfolgreich sein, ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit nach Art. 29 Abs. 2 GG geändert wird, oder in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet. Der Bundesgesetzgeber hat somit neben dem Einleiten eines Neugliederungsprozesses strikt nach den Vorgaben des erfolgreichen Volksbegehrens auch die Möglichkeit, den Vorgaben von Art. 29 Abs. 1 GG folgend, von der Entscheidung abzuweichen oder gar durch ein formelles Bundesgesetz zu beschließen, dass keine Änderung der Landeszugehörigkeit in dem betreffenden Gebiet erfolgt. 101 Alternativ hierzu kann der Bundesgesetzgeber als weitere Entscheidungshilfe eine Volksbefragung durchführen. Nach Art. 29 Abs. 5 GG ist die Volksbefragung darauf gerichtet festzustellen, ob eine in dem Gesetz vorzuschlagende Änderung der Landeszugehörigkeit Zustimmung findet. Der Bundesgesetzgeber 98 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 46. 99 §§ 19 –26 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG v. 30. Juli 1979, BGBl. 1979 I, S. 1317. 100 § 19 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG v. 30. Juli 1979, BGBl. 1979 I, S. 1317. 101 T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 87; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 50; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 43.
B. Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Grundgesetz
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kann gem. Art. 29 Abs. 5 S. 2 GG verschiedene, jedoch nicht mehr als zwei konkrete Vorschläge zur Neugliederung in das Gesetz über die Durchführung der Volksbefragung einbringen. Neben diesen maximal zwei Vorschlägen muss der Gesetzgeber die betroffene Bevölkerung auch danach fragen, ob der status quo bei Zuschnitt des Bundesgebietes beibehalten werden soll. 102 Im Gegensatz zum Wortlaut des Art. 29 Abs. 3 S. 2 GG gibt es in Art. 29 Abs. 5 GG für die Volksbefragung keinen Hinweis bzgl. der Reihenfolge der Fragen. Demnach ist davon auszugehen, dass nicht zwingend eine bestimmte Reihenfolge einzuhalten ist. 103 Stimmt eine einfache Mehrheit der vorgeschlagenen Änderung der Landeszugehörigkeit im Ergebnis zu, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gem. Art. 29 Abs. 2 GG geändert wird. Der Gesetzgeber hat somit wiederum die Möglichkeit durch Bundesgesetz festzulegen, ob eine Neugliederung erfolgen soll, oder ob der bisherige Gebietszuschnitt bestehen bleibt. Findet ein in der Volksbefragung vorgelegter Vorschlag eine den Maßgaben des Art. 29 Abs. 3 S. 3 und 4 GG entsprechende Zustimmung, so ist nach Art. 29 Abs. 5 S. 4 GG „innerhalb von zwei Jahren nach der Durchführung der Volksbefragung ein Bundesgesetz zur Bildung des vorgeschlagenen Landes zu erlassen, das der Bestätigung durch Volksentscheid nicht mehr bedarf“.
Wird bei der Volksbefragung eine solche qualifizierte Mehrheit für einen Vorschlag erreicht, ist der Bundesgesetzgeber verpflichtet, diesen innerhalb des vorgegebenen Zeitrahmens umzusetzen. Die Volksbefragung wirkt insoweit als ein vorweggenommener Volksentscheid. 104 Findet sich hingegen keine einfache Mehrheit für einen der Neugliederungsvorschläge, dann ist die Volksbefragung gescheitert. c) Kleinere Grenzkorrekturen (Art. 29 Abs. 7 GG) Geringfügige Änderungen des Gebietsbestandes der Bundesländer können nach Art. 29 Abs. 7 GG durch Staatsverträge der beteiligten Gliedstaaten oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, wenn das Ge102
P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 44. Dieser Ansicht folgt auch der Gesetzgeber, indem er in § 38 S. 2 des Gesetzes über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Art. 29 Abs. 6 GG v. 30. Juli 1979 die Reihenfolge der Fragen umdreht, BGBl. 1979 I, S. 1317; a. A. T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 92; K.G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 53. 104 H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 75; T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 94; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 55. 103
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
biet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als 50.000 Einwohner hat. 105 Die Außengrenzen Deutschlands können durch die Länder nicht verändert werden. Im Gegensatz zu Abs. 8 unterliegt ein Staatsvertrag nach Art. 29 Abs. 7 S. 1 1. Alt. GG keinem Zustimmungsvorbehalt des Bundes. Nach der 2. Alt. kann der Bund aber selbst Gebietsveränderungen vornehmen. Ein Regel-Ausnahmeverhältnis der beiden Alternativen des Art. 29 Abs. 7 S. 1 GG lässt sich nach dem eindeutigen Wortlaut („oder“) jedoch nicht herleiten. 106 Die genauere Ausgestaltung des Verfahrens soll gem. Art. 29 Abs. 7 S. 2 GG durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages nach Art. 121 GG bedarf, erfolgen, wobei dieses Gesetz nach S. 3 die Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise vorsehen muss. 107 Hierbei handelt es um ein bloßes Ausführungsgesetz, was eine inhaltliche Bindung an die Vorgaben des Art. 29 Abs. 7 GG impliziert. Weil nur die Beteiligung der betroffenen Gemeinden und Kreise obligatorisch vorgeschrieben ist, findet im Unterschied zu den anderen Verfahren des Art. 29 GG keine unmittelbare Bürgerbeteiligung statt. 108 d) Neugliederung durch Staatsvertrag (Art. 29 Abs. 8 GG) Abweichend von den Vorschriften der Abs. 2 bis 7, sieht Art. 29 GG in Abs. 8 als letzte Option die Möglichkeit einer Neugliederung durch die Länder für das jeweils von ihnen umfasste Gebiet oder für Teilgebiete durch Staatsvertrag vor. Die von einer Neugliederung betroffenen Gemeinden und Kreise sind nach Art. 29 Abs. 8 S. 2 GG vor der Unterzeichnung des anvisierten Staatsvertrages über die Neugliederung anzuhören. Der Staatsvertrag bedarf ferner nach Art. 29 Abs. 8 S. 3 GG der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem der an der Neugliederung beteiligten Länder. Betrifft der Staatsvertrag lediglich die Neugliederung von Teilgebieten der Länder, kann nach Art. 29 Abs. 8 S. 4 1. Hs. GG die Bestätigung auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden. Jedes Land hat somit ein gesondertes Abstimmungsrecht. Sowohl bei Neugliederungsvorhaben des gesamten Landesgebiets, als auch bei Volksentscheiden in Teilgebieten entscheidet beim Volksentscheid nach Art. 29 Abs. 8 S. 4 2. Hs. und 105
W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 62; P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 50. 106 So auch I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 47; a. A. T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 109; K.-G. Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, S. 889 (894). 107 Gesetz über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsstandes der Länder nach Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes v. 30. Juli 1979, BGBl. 1979 I, S. 1325. 108 Zu Recht unter Wertungsgesichtspunkten kritisiert von T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 106b; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 48.
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S. 5 GG die Mehrheit der abgegebenen Stimmen unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfasst. 109 Die nähere Ausgestaltung des Volksentscheides muss nach Art. 29 Abs. 8 S. 5 2. Hs. GG unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Regelungsauftrages durch ein Bundesgesetz erfolgen. Neugliederungsmaßnahmen in Teilgebieten erfordern dagegen keine bundesgesetzliche Regelung. Art. 29 Abs. 8 S. 5 2. Hs. GG findet in diesem Fall keine Anwendung. Das Abstimmungsverfahren ist folglich von den Ländern im Staatsvertrag über die Neugliederung zu regeln. 110 Im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 7 S. 2 GG bedarf das Bundesgesetz zum Verfahren über den Volksentscheid (bei einer umfassenden Neugliederung der handelnden Länder) keiner Zustimmung des Bundesrates, womit es sich um ein Einspruchsgesetz handelt. Der Staatsvertrag bedarf nach Art. 29 Abs. 8 S. 6 GG sowohl bei umfassenden Neugliederungen, als auch bei Teilneugliederungen der Zustimmung des Bundestages. Hierin drückt sich noch einmal die grundsätzliche Zuständigkeit des Bundes für die Gliederung des Bundesstaates aus, wobei im Ergebnis Bund und Länder sowie die Bevölkerung bei einer territorialen Neugliederung zusammenwirken müssen. 111
II. Grundgesetzliche Spezialregelungen zur Neugliederung des Bundesgebietes In Art. 118 und 118a GG finden sich von Art. 29 GG abweichende, spezielle Neugliederungsregeln. 1. Neugliederung nach Art. 118 GG Art. 118 GG sieht für die Neugliederung der Länder Baden, WürttembergBaden und Württemberg-Hohenzollern eine von Art. 29 GG abweichende Möglichkeit vor, nach der ein Zusammenschluss durch Vereinbarung im Sinne eines Staatsvertrages der beteiligten Länder erfolgen kann. 112 Kommt eine Vereinba109 S. Jutzi, BayVBl. 1997, S. 97 (99); P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 55; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 73; a. A. ohne nähere Begründung W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 29 Rn. 69. 110 T. Maunz / R. Herzog / R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK IV, Art. 29 Rn. 119; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 70. 111 E. Schmidt-Jortzig, Rechtliche Voraussetzungen für die Fusion von Bundesländern, Kreisen und Gemeinden, in: E. Schmidt-Jortzig / H. Voscherau, Nordstaat, Untersuchung zu Chancen und Risiken einer künftigen Zusammenarbeit oder Fusion Norddeutscher Bundesländer, S. 119 (120 ff.).
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
rung nicht zustande, so wird die Neugliederung bei ausschließlicher Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch Gesetz geregelt, welches obligatorisch eine Volksbefragung vorsehen muss. Im Unterschied zu Art. 29 Abs. 4 und 5 GG handelt es sich bei der Variante des Art. 118 S. 2 GG um eine Abstimmung unter der Bevölkerung mit einem für den Gesetzgeber verbindlichen Votum. 113 Da die Neugliederung des Südwestraums 1951/52 mit dem Zusammenschluss der in Art. 118 GG genannten Gebiete zum Land Baden-Württemberg erfolgte, hat Art. 118 GG nur noch rechtshistorische Bedeutung. 114 2. Neugliederung nach Art. 118a GG In Art. 118a GG hat der Verfassungsgesetzgeber festgelegt, dass die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet, abweichend von den Vorschriften des Art. 29 GG unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung beider Länder erfolgen kann. Die Anwendung der Regelung liegt ihrem Wortlaut nach („kann“) im Ermessen der Länder Berlin und Brandenburg, womit sie Art. 29 GG als zusätzliche Möglichkeit der Neugliederung lediglich ergänzt. Eine Neugliederungspflicht resultiert aus ihr nicht. 115 Unter einer Vereinbarung versteht man wie bei Art. 118 GG einen Staatsvertrag. 116 Es stellt sich jedoch die Frage, wie sich Art. 118a GG von dem zeitgleich in das Grundgesetz eingeführten Art. 29 Abs. 8 GG unterscheidet, der ebenfalls die Möglichkeit der Neugliederung durch Staatsvertrag vorsieht. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass Art. 118a GG niedrigere Voraussetzungen für einen Zusammenschluss hat. Der Staatsvertrag nach Art. 118a GG bedarf im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 8 GG keines Mitwirkungsaktes des Bundes. 117 Ferner ist die Beteiligungsform der Bevölkerung nicht wie bei Art. 29 Abs. 8 GG auf den Volksentscheid begrenzt. Berlin und Brandenburg können demnach im Staatsvertrag oder in ihren Landesverfassungen festlegen, welche Art der Bevölkerungsbeteiligung im Neugliederungsverfahren nach Art. 118a GG zur Anwendung kommen soll. Da noch keine Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg erfolgt ist, behält Art. 118a GG weiterhin die ihm zugedachte Bedeutung. 112
I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 118 Rn. 9. BVerfGE 1, 14 (41); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 41; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 118 Rn. 9. 114 K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 26. 115 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 157 f.; R. Scholz, in: T. Maunz / G. Dürig, GGK VI, Art. 118a Rn. 6. 116 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 118a Rn. 2. 117 W. Erbguth, in: M. Sachs, GGK, Art. 118a Rn. 4; K.-G. Meyer-Teschendorf, DÖV 1993, S. 889 (891); I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 3, Art. 118a Rn. 11. 113
C. Notwendigkeit der Neugliederung
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3. Neugliederung nach Art. 146 GG i.V. m. Art. 79 GG Theoretisch besteht noch die Möglichkeit, die Neugliederung des Bundesgebietes über eine Totalrevision der Verfassung gem. Art. 146 GG nach Maßgabe des Art. 79 GG herbeizuführen. 118 Der neue Verfassungsgeber könnte die Neugliederung eigenständig vornehmen, da ihm die Entscheidungsgewalt über die Einteilung des Gebietsbestands zukommt. 119 Am Ende würden sich aber über einen solchen Weg ebenfalls Fragen des Zuschnitts des künftigen Bundesgebietes stellen.
C. Notwendigkeit der Neugliederung und Verknüpfung mit einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung Bevor hier mögliche Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen diskutiert werden sollen, stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes besteht und ob diese Thematik notwendigerweise immer auch mit einer Reform der Finanz- und Haushaltsordnung verknüpft ist.
I. Keine Notwendigkeit einer Neugliederung Wie aufgezeigt, besteht den Vorgaben der Art. 29, 118, 118a GG folgend, derzeit rein normativ keine Pflicht des Bundesgesetzgebers zur Neugliederung des Bundesgebietes. Für das Ausbleiben weiterer Neugliederungen nach den Jahren 1951/52 lassen sich vielerlei Gründe anführen. 120 Fraglich ist, ob sich normative und faktische Argumente finden lassen, die eine Neugliederung zwingend notwendig machen und sich hieran anknüpfend eine Pflicht (Art. 20 und 79 Abs. 3 118 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 33; C. Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (112); a. A. wohl R. Bartlsperger, DVBl. 1990, S. 1285 (1300 f.); B. Kempen, NJW 1991, S. 964 (967), nach deren Auffassung es sich bei Art. 146 GG um verfassungswidriges Verfassungsrecht handelt. 119 C. Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (112). 120 Der Versuch einer Zusammenstellung von Gründen für das bisherige Ausbleiben weiterer Neugliederungen bei U. Leonardy, Die Neugliederung des Bundesgebietes – Auftrag des Grundgesetzes, in: K. Eckart / H. Jenkis, Föderalismus in Deutschland, S. 9 (16 ff.).
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
GG) des Verfassungsgesetzgebers zur Wiedereinführung des Neugliederungsauftrages und zur Vereinfachung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Neugliederungsverfahren ableiten lässt. Die für die Notwendigkeit einer Neugliederung vorgebrachten Argumente sind nicht homogen. Unter Berufung auf die Systematik des Art. 29 Abs. 1 S. 1 und 2 GG wird zum einen vorgebracht, dass der Neugliederungsauftrag aus rechtlicher Perspektive verfassungsrechtlich grundsätzlich mit einem Vorrang ökonomischer Ziele fortbesteht. 121 Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass das Ziel einer Neugliederung „zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben erfüllen können“
mit der Novellierung des Art. 29 GG im Jahr 1976 von Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG in S. 1 vorgezogen wurde. Ferner wurde die Forderung der Raumordnung und Landesplanung eingeführt, wodurch die „funktionale Bedeutung der Notwendigkeit zur Neugliederung“ 122 hervorgehoben wird. Die Neugliederungsbefürworter versprechen sich von einer Reduzierung der Länder weiterhin eine partielle Stärkung der Wirtschaftskraft. 123 So könne es durch eine Zusammenlegung mehrer Länder im nord- und ostdeutschen Raum zu einer Angleichung der Wirtschaftkraft kommen, was das besehende Nord-Süd- bzw. Ost-West-Gefälle abmildern würde. 124 Die fusionierten Länder wären aufgrund des durch die Neugliederung gewachsenen Wirtschaftsraums weniger anfällig für kurzfristig auftretende Konjunkturschwankungen und könnten Änderungen in der Wirtschaftsstruktur besser entgegentreten. Durch eine Reduzierung der Bundesländer würde es ferner durch den Wegfall oberster und oberer Behörden zu Einsparungen im Bereich der Verwaltung kommen. Die Verwaltung könnte somit durch die Vergrößerung des Hoheitsgebietes ökonomischer arbeiten. Aus staatsrechtlicher Perspektive wird vorgebracht, die Länder würden über einen kleineren Bundesrat stärker werden. Sie wären durch eine Reduzierung der Gliedstaaten eher in der Lage, ihre Interessenpolitik gegenüber dem Bund zu koordinieren. 125 Durch eine fusionsbedingte Schaffung leistungsfähigerer Bundesländer entfiele gleichzeitig die Möglichkeit des Bundes, über die Unterstützung finanziell angeschlagener Länder Einfluss auf die Politik im Bereich der Länderkompetenzen zu gewinnen. Unter den 121
U. Leonardy, Die Neugliederung des Bundesgebietes – Auftrag des Grundgesetzes, in: K. Eckart / H. Jenkis, Föderalismus in Deutschland, S. 9 (20 f.). 122 U. Leonardy, Die Neugliederung des Bundesgebietes – Auftrag des Grundgesetzes, in: K. Eckart / H. Jenkis, Föderalismus in Deutschland, S. 9 (21). 123 W. Rohr, Staatsrecht, Rn. 681. 124 W. Ernst, DVBl. 1986, S. 981 (983); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 174. 125 W. Ernst, DVBl. 1991, S. 1024 (1029); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 174; H. Klatt, VerwArch 82 (1991), S. 430 (438).
C. Notwendigkeit der Neugliederung
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Ländern würden Probleme der Raumplanung durch Reduzierung aufwändiger Kooperationsverfahren entschärft werden. Weiterhin würden durch erfolgreiche Neugliederungen im europäischen Kontext leistungsfähigere Regionen entstehen, die auf der gemeinschaftsrechtlichen Ebene besser wahrgenommen werden würden. 126 Mit Blick auf die Finanzordnung würde eine Reduzierung der Länder nach Ansicht der Neugliederungsbefürworter deren Funktionsfähigkeit wiederherstellen. 127 Die Finanzordnung müsste nicht mehr auf so viele, der Heterogenität der Länder geschuldeter Ausnahmen Rücksicht nehmen. Kooperative Elemente der Finanzordnung könnten abgebaut werden. Hierdurch käme es durch eine Rückführung des Ausgleichsvolumens im Länderfinanzausgleich zu einer Entlastung der Ausgleichssysteme. Durch eine Neugliederung der Stadtstaaten und der dünn besiedelten Länder könnten Sonderegelungen wie die Einwohnerveredelung in § 9 FAG entfallen. Ferner würden sich bei Auflösung der Stadtstaaten die bestehenden Probleme bei der Steuerzerlegung nach § 1 Abs. 1 ZerlG nicht mehr stellen und der Bund könnte die Zahlung von SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen für die Kosten politischer Führung einstellen. In der Literatur finden sich ebenfalls viele Gründe, die gegen die Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebietes sprechen. Die Gegner einer umfassenden Neugliederung des Bundesgebietes bezweifeln den volkswirtschaftlichen Mehrwert einer Länderfusion mit dem berechtigten Hinweis, dass es wegen der Komplexität eines solchen Vorhabens an genauen Berechnungen der ökonomischen Vorzüge fehlt. 128 Bei der Beibehaltung oder nur geringfügigen Änderung des jetzigen Finanzausgleichsystems werden sich Länderfusionen im Zweifelsfall sogar zu einem erheblichen finanziellen Nachteil für die miteinander fusionierenden Länder entwickeln. 129 Sich einer gewissen Polemik bedienend weisen die Gegner einer Neugliederung des Bundesgebietes darauf hin, dass aus zwei oder mehreren hoch verschuldeten Ländern durch einen Zusammenschluss nicht automatisch ein reiches Land entstehe. Es ist aus ökonomischer Sicht ebenso vertretbar, aus Kostengründen auch eine Länderteilung anstatt einer Fusion in 126 U. Keunecke, Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg, S. 339; E. Schmidt-Jortzig, Neugliederung des Bundesgebietes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 729 (744 f.). 127 H. Donner / U. Berlit, ZParl 1992, S. 316 (335); P. Feuchte, DÖV 1974, S. 9 (11); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 176 f.; J. Hesse / W. Renzsch, SuS 1990, S. 562 (575); R. Rubel, JA 1993, S. 12 (16). 128 R. Herzog, BayVBl. 1991, S. 513 (516); W. Thieme, DÖV 2001, S. 462 (463 ff.). 129 Die Fusion von Hamburg und Schleswig-Holstein würde im jetzigen Finanzausgleichsystem für das Jahr 2005 zu einen Minderbetrag der Einnahmen des neu entstandenen Nordstaates von ca. 1,063 Mrd. € führen, vgl. Berechnungen von T. Büttner / S. Hauptmeier, Auswirkungen einer Länderfusion auf die öffentlichen Finanzen am Beispiel von Schleswig-Holstein und Hamburg, in: E. Schmidt-Jortzig / H. Voscherau, Nordstaat, Untersuchung zu Chancen und Risiken einer zukünftigen Zusammenarbeit oder Fusion der Norddeutschen Bundesländer, S. 229 (236 f.).
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Betracht zu ziehen (beispielsweise könnten die Stadtstaaten die Umlandgemeinden erhalten oder das bevölkerungsreichste Flächenland Nordrhein-Westfalen effizienter aufgeteilt werden). Ferner sind die Einsparungsmöglichkeiten durch Zusammenlegung von Ländern im Bereich der Verwaltung begrenzt. Das Volumen potentieller Einsparungen ist nicht sonderlich groß, da der Hauptanteil der Kosten in den Länderhaushalten Sachausgaben (Subventionen, Investitionen, Sozialleistungen etc.) sind, die auch bei einer Länderzusammenlegung anfallen würden. 130 Dies gilt auch für Pensionslasten. Über die Betriebskosten der Verwaltung lässt sich nach groben Schätzungen ca. 10 % des Haushaltsvolumens einsparen. 131 An dieser Stelle muss auch darauf hingewiesen werden, dass sich die Einsparpotentiale im konsumtiven Bereich der Haushalte beispielsweise in den Stadtstaaten und im Saarland durch den massiven Stellenabbau der letzten Jahre immens reduziert haben und die Administrationskosten pro Kopf der Bevölkerung unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Ferner wird auch nach einer Zusammenlegung zweier oder mehrerer Länder zu einem neuen Bundesland ein Verwaltungsapparat zur Erledigung der hoheitlichen Aufgaben benötig. Die einstige Landesverwaltung wird dann als Verwaltung einer kreisfreien Stadt, eines Landkreises oder einer Mittelinstanz einen Großteil der vorherigen Aufgaben (z. B. Sozialleistungen) mit einem vergleichbaren Personalbestand weiterführen. Die bei einem Zusammengehen von Bundesländern erreichbare Kostenersparnis bzgl. der Finanzierung der Landesorgane wird somit z.T. amortisiert, da in dem fusionierten Gebiet mehr kommunale Vertretungsorgane zu finanzieren sind. Käme es zu einer Eingliederung Hamburgs oder Bremens in ein anderes Bundesland, würde zum Beispiel die gesamtstaatlich bedeutsame Aufgabe der Unterhaltung und Verwaltung der Seehäfen neu zu ordnen sein. 132 Im Zweifel würde sich der Weg für Absprachen mit dem Bund erheblich verlängern. Heute können die Landesregierungen der beiden Hansestädte direkt mit dem Bund über Fragen der Seehäfen Absprachen treffen. Bei einer Neugliederung müssten sie erst über die kommunale Ebene und gegebenenfalls über eine Mittelinstanz den Weg zur neuen Landesregierung suchen. Argumente gegen die Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebietes ergeben sich ferner aus den Richtbegriffen der landsmannschaftlichen Verbundenheit sowie der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge nach Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG. Diese eher „emotionalen“ Aspekte sind für die Entscheidung über eine Neugliederung von großer Bedeutung. 133 Die meisten westdeutschen Bundesländer bestehen inzwischen seit mindestens 60 Jahren. In Bayern und den Stadtstaaten reicht diese Tradition 130
H.-P. Bull, NordÖR 2003, S. 438 (441 f.); W. Thieme, DÖV 2001, S. 462 ff. W. Thieme, DÖV 2001, S. 462 (463). 132 W. Thieme, DÖV 2001, S. 462 (463 f.). 133 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 179; A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 129 f.; J.-D. Kühne, JR 1996, S. 221 f. 131
C. Notwendigkeit der Neugliederung
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noch viel länger zurück. Im Laufe der Zeit hat die landsmannschaftliche Verbundenheit in den z.T. künstlich durch die Alliierten geschaffenen Ländern immer weiter zugenommen. 134 Diese Identifikation der Bürger mit ihrem Bundesland lässt sich in Folge der fortschreitenden Ausprägung kultureller und regionaler Identitäten in Gesamtdeutschland beobachten und muss bei einer Abwägung über ein Neugliederungsvorhaben entsprechend gewürdigt werden. 135 Weiterhin ist die Neugliederungsoption vor dem Hintergrund der fortschreitenden europäischen Integration, in deren Fokus sich vor allem die einzelnen Regionen der Mitgliedstaaten befinden, nicht ohne Alternativen. Über einen Ausbau der Metropolregionen durch die Schaffung von Entscheidungsorganen per Staatsvertrag kann beispielsweise dem bestehenden Defizit im Bereich zu kleiner Planungsgebiete bei Verkehrswegen, Wasser- und Energieversorgung, Abfallentsorgung abgeholfen werden. Dem Vorschlag speziell den ostdeutschen Raum neu zu gliedern, ist zu entgegnen, dass die Strukturen sich in den neuen Ländern gerade erst gefestigt haben, was ein solches Vorhaben aus politischer Sicht unzumutbar erscheinen lässt. 136 Für den Erhalt der flächenmäßig kleineren Länder spricht auch, dass sie in Deutschland oft als Modellregion für verschiedenste Vorhaben dienen. 137 Gerade in den Stadtstaaten können großstadtrelevante Projekte, die für ihre Umsetzung des Rückgriffs auf Länderkompetenzen bedürfen, relativ einfach in eine Versuchsphase gebracht werden. Auch ein Vergleich mit anderen Föderalstaaten zeigt, dass Staaten mit mehr und z.T. noch wesentlich kleineren Gliedstaaten als Deutschland existieren. 138 Obwohl die meisten Verfassungstexte anderer Bundesstaaten nicht mit der grundgesetzlichen Deutlichkeit die Gleichwertigkeit gliedstaatlicher Leistungsfähigkeit fordern, sagt allein die Gesamtzahl der Gliedstaaten, deren individuelle Größe und die Einwohnerzahl nichts über die Funktionsfähigkeit des Gesamtstaates aus. Für die Funktionsfähigkeit eines Bundesstaates gilt somit nur die Grundregel, dass in Abhängigkeit von der Anzahl der Gliedstaaten ihre Eigenständigkeit in einer Bundesverfassung entsprechend stark ausgeprägt sein muss. 134 Vgl. FAZ v. 31. Juli 2007, S. 10 zur Entwicklung einer räumlichen Identität am Beispiel Saarlands, welches vor 50 Jahren Deutschland beigetreten ist. 135 P. Häberle, DV 24 (1991), S. 169 (201 f.); R. Herzog, BayVBl. 1991, S. 513 (516); G. Robber, NJW 1989, S. 1325 (1330 f.). 136 P. Häberle, JZ 1998, S. 57 (62); U. Häde, Finanzausgleich, S. 317; E. Klein, DÖV 1991, S. 569 (576); F. Scharpf, SuS 1990, S. 579 (583); H.-P. Schneider, NJW 1991, S. 2448 (2455). 137 H.-U. Evers, in: R. Dolzer / K. Vogel / K. Graßhoff, BK, Art. 29 Rn. 14; P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat – Entwicklungen und Perspektiven, AöR 124 (1999), S. 549 (556); A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 128; G. Püttner, DÖV 1971, S. 540 f. 138 R. Herzog, BayVBl. 1991, 513 (516); H. Hoppenstedt, Die bundesstaatliche Ordnung des Grundgesetzes zwischen Unitarismus und Föderalismus, S. 266; J.-D. Kühne, JR 1996, S. 221 f.; Luther-Gutachten, S. 38.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Nach Abwägung der verschiedenen Argumente lässt sich feststellen, dass es keine eindeutige Antwort auf die Frage der Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebietes gibt. Aufgrund der Komplexität der Probleme stoßen volkswirtschaftliche Berechnungen über die Konsequenzen einer Länderfusion an ihre Grenzen. Befürworter wie auch die Gegner einer Neugliederung beschränken sich oft auf die Gleichsetzung von Argumenten mit Zielen und orientieren sich je nach Präferenz mehr an den faktischen oder emotional geprägten Richtbegriffen des Art. 29 Abs. 1 GG. Obwohl eine Neugliederung des Bundesgebietes Kosten für die politische Führung durch Einsparung oberer und oberster Landesbehörden senken würde und bestimmte Hemmnisse durch grenzüberschreitende Abstimmungsprozesse abgebaut werden würden, besteht keine unmittelbare Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes. Eine Neugliederung ausschließlich nach funktionalen Kriterien erfasst eben nicht das ganze Wesen des Bundesstaates. Die Bundesländer in ihrer jetzigen Form sind lebendige, gewachsene politische Einheiten, die für einen demokratischen Bundesstaat in ihrer Gesamtheit wichtiger sind, als ein bloßer optimaler verwaltungswissenschaftlicher oder ökonomischer Zuschnitt. 139 Eine rein ökonomische Betrachtungsweise verbietet sich hierbei schon wegen der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Seit Erlass des Grundgesetzes haben sich einschneidende Veränderungen in der bundessdeutschen Wirtschaftsstruktur vollzogen, in deren Verlauf z. B. Länder von „Nehmer-„zu „Geberländern“ und andere in Folge sich einer entwickelnden Strukturschwäche von „Geber-“ zu „Nehmerländern“ im Länderfinanzausgleich wurden. Es spricht wenig dagegen, dass solche Umschwünge auch in Zukunft möglich sind. Das nachgeordnete System des Länderfinanzausgleichs könnte zwar durch eine Neugliederung langfristig entlastet werden, die Finanzierungsprobleme würden dann aber in den kommunalen Finanzausgleich verschoben und müssten dort gelöst werden. Auch das Argument, dass eine Neugliederung aufgrund der fortschreitenden Europäisierung notwendig sei, überzeugt nicht. 140 Betrachtet man die einschlägigen Statistiken der EG, dann befinden sich Hamburg und Bremen unter den 10 reichsten Regionen Europas, womit sie im „Europa der Regionen“ anscheinend recht erfolgreich agieren. Auch Angesichts der Gefahr eines schleichenden Demokratiedefizits ist die Neugliederungsoption nicht alternativlos. Eine verstärkte Kooperation unter den Ländern z. B. durch Zusammenlegung bestimmter administrativer oder justizieller Einrichtungen bedarf zwar der Normierung in Form eines Staatsvertrages, ist aber durchaus eine in Erwägung zu ziehende und im Einzelfall bereits praktizierte Möglichkeit, Synergieeffekte zu erzielen. Im Ergebnis besteht daher zurzeit keine unmittelbare Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes. Ebenso besteht nach Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 GG keine Pflicht des Verfassungsge139 M. Bothe, in: AK I, Art. 29 Rn. 9; H.-P. Bull, RuP 2007, S. 67 (70 f.); F. Kirchhof, ZG 2006, S. 288 (297). 140 P. Häberle, JZ 1998, S. 57 (62).
C. Notwendigkeit der Neugliederung
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setzgebers zur Wiedereinführung des Neugliederungsauftrages und zur Vereinfachung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Neugliederungsverfahren. Eine Neugliederung des Bundesgebietes mag zwar unter Teilaspekten sinnvoll sein, aber in der Gesamtschau erscheint sie nicht zwingend notwendig. Die fehlende Notwendigkeit zur Anwendung der Neugliederungsregeln schließt jedoch nicht aus, dass man weiterhin über eine Reform der Neugliederungsregeln des Grundgesetzes nachdenkt.
II. Neugliederung des Bundesgebietes und Reform der Finanz- und Haushaltsordnung Im Zusammenhang mit der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung wird immer wieder auf die damit verbundene zwingende Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG bzw. Art. 118a GG durch eine Zusammenlegung von Bundesländern hingewiesen. Daher stellt sich die Frage, ob eine Länderneugliederung nach aktueller Verfassungslage eine zwingende Voraussetzung bzw. das gewünschte Begleitthema für eine Reform der Finanzund Haushaltsordnung ist oder eine getrennte Behandlung der Themenkomplexe geboten erscheint. Die Tatsache, dass das Thema der Neugliederung unter der Überschrift „Verstärkte Zusammenarbeit und Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligen Zusammenschlusses von Ländern“ in abgeschwächter Form auf der Reformagenda der Ende 2006 eingesetzten gemeinsamen Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen stand, könnte für eine zwingende Verknüpfung der beiden Materien sprechen. 141 Von dem bestehenden Normenbestand ausgehend, findet eine sachliche Verknüpfung der beiden Themengebiete beispielsweise über den Richtbegriff der „Leistungsfähigkeit“ in Art. 29 Abs. 1 S. 1 GG statt. Die Leistungsfähigkeit eines Landes bestimmt sich neben anderen Faktoren auch über seine Finanzkraft. Ferner wirkt sich die Frage der Neugliederung, wenn sie zu einer Reduzierung oder Erweiterung der Zahl der Bundesländer führt, wie oben aufgezeigt wurde, insbesondere auf das System des Finanzausgleichs aus. In ihrer Größe und Einwohnerzahl stark differierende Länder verkomplizieren das System des Finanzausgleichs, da für eine einigermaßen gerechte Verteilung der Finanzmittel mehr Ausgleichsfaktoren einbezogen werden müssen. Es bedarf daher wegen der Eigenart einiger Länder vielfach Sonderregeln, um eine Kompatibilität im System der Finanzordnung zu gewährleisten. Eine Konsequenz dieser Unausgewogenheit ist die über Jahrzehnte erfolgte Ausdehnung kooperativer Elemente in der Finanzordnung. Trotz bestehender Wechselwirkungen zwischen den Fragen der Neugliederung des Bundesgebietes und der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung sind die 141
Vgl. Punkt Sieben der offenen Themensammlung zur Reform der Bund-LänderFinanzbeziehungen, BT-Drs. 16/3885, 1 (3).
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
beiden Themen von der Sache her strikt zu trennen. 142 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive muss die Finanzverfassung in ihrer Funktion als Folgeverfassung den gegenwärtigen föderalen Aufbau zunächst akzeptieren und hat folglich die Staatlichkeit aller Bundesländer – solange sie bestehen – zu sichern. 143 Die Länderneugliederung ist daher ausschließlich eine Frage der Staatsorganisation und darf nicht das Hauptziel haben, den Finanzausgleich zu entlasten. 144 Die Finanzordnung hat sich nach der Anzahl der Länder zu richten und nicht umgekehrt. In Zeiten der haushaltpolitischen Krise des Bundes und einer Vielzahl der Länder sind zunächst die Mängel einer nicht mehr zeitgemäßen Finanz- und Haushaltsordnung auf der Grundlage der bestehenden Gliederung des Bundesgebietes zu beheben. 145 Dieser Trennung der beiden Rechtsmaterien folgt auch die Rechtsprechung des BVerfG zum Finanzausgleich, indem es in diesem Zusammenhang ausschließlich auf die „Möglichkeit“ der Neugliederung des Bundesgebietes hinweist. 146 Dem steht die Aussage des BVerfG in seinem Urteil aus dem Jahr 1952 entgegen, wonach der Länderfinanzausgleich nicht dazu dient „lebensunfähige Länder künstlich am Leben“ zu halten. 147 Dabei wird jedoch übersehen, dass die Aussage des Gerichts noch vor dem Hintergrund der in der Ursprungsfassung des Art. 29 GG vorhandenen Neugliederungsverpflichtung des Bundes getätigt wurde. 148 „Solange der verfassungsrechtlich eröffnete Weg einer Neugliederung nicht beschritten worden ist, ist es bundesstaatliches Gebot, die Existenz des Not leidenden Landes als eines handlungsfähigen Adressaten verfassungsrechtlicher Pflichten und als eines Trägers verfassungsrechtlicher Aufgaben auch finanziell zu gewährleisten“. 149 142
I. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, S. 201. P. Häberle, DV 24 (1991), S. 169 (202); H.-G. Henneke, Reform der Aufgabenund Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Kommunen, S. 149; M. Kilian, JZ 1991, S. 425 (429); F. Kirchhof, VVDStRL 52 (1993), S. 71 (80); S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 407 f. Fn. 1; P. Lerche, in: FS für Berber, S. 299 (310 f.); H.-P. Schneider, Kom.-Drs. 31, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 7; differenzierend die Grenzen des Konzeptes der Finanzverfassung als „Folgeverfassung“ aufzeigend C. Waldhoff, VVDStRL 66 (2007), S. 216 (246 ff.). 144 S. Korioth, WD 2007, S. 182 (188); P. Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (61), ders. NVwZ 2007, S. 872 (880); a. A. J. Hey, VVDStRL 66 (2007), S. 277 (317 f.). 145 P. Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (61). 146 BVerfGE 86, 148 (270); 101, 116, 327 (386 f.); S. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S. 407 Fn.1. 147 BVerfGE 1, 117 (134); darauf Bezug nehmend W. Ernst, DVBl. 1991, S. 1024 (1029); S. Franke, VerwArch 82 (1991), S. 526 (542); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 184. 148 Die besagte Neugliederungspflicht des Art. 29 GG (a.F.) sollte nicht durch eine Kompensation über den Finanzausgleich relativiert werden, A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 102 f.; I. Pernice, in: H. Dreier, GGK, Bd. 2, Art. 29 Rn. 54. 143
D. Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen
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Ob und inwieweit sich an künftige Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung eine Neugliederungsdebatte anschließt, bleibt abzuwarten. Obgleich eine Neugliederung in Teilen sinnvoll erscheint, ist sie keine zwingende Voraussetzung für eine Neuordnung der Finanz- und Haushaltsordnung.
D. Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen im Grundgesetz Obwohl eine Neugliederung des Bundesgebiets nicht zwingend notwendig erscheint, wird diskutiert, die hierfür einschlägigen verfassungsrechtlichen Regelungen zu überarbeiten. Hierfür werden verschiedene Möglichkeiten für eine Erleichterung der Verfahrenswege in Erwägung gezogen. Neben dem Vorschlag der Neufassung des Art. 29 GG als zentrale Neugliederungsregelung wird dessen Abschaffung sowie eine Erweiterung der Spezialregelungen für Einzelfälle angeregt.
I. Möglichkeit der Neufassung des Art. 29 GG Vergegenwärtigt man sich die verfassungsrechtlichen Neugliederungsregelungen, fällt auf, dass Art. 29 GG spätestens seit der Reform im Jahr 1994 mehrere Optionen vorsieht, nach denen eine Neugliederung erfolgen kann. 150 Mit der Aufnahme von Art. 29 Abs. 4 und Abs. 8 GG in das Grundgesetz scheinen weitere Veränderungen zunächst nicht mehr erforderlich. Da Art. 29 GG das eigentliche Ziel, eine Neugliederung des Bundesgebietes zu befördern, verfehlt hat, wird trotz fehlender Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes darüber nachgedacht, im Rahmen einer Reform weitere Veränderungen an der Norm vorzunehmen. 1. Keine Änderung der grundlegenden Funktion des Art. 29 GG Vor dem Hintergrund einer möglichen Neufassung der Neugliederungsregel wird diskutiert, die Funktion des Art. 29 GG durch eine Änderung des Abs. 1 S. 1 von einer fakultativen Neugliederungsoption („Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden,...“) des Bundes hin zu einer Obligation („muss“ bzw. etwas abgeschwächt „soll“) umzugestalten, um den Neugliederungsdruck zu erhö149 150
BVerfGE 116, 327 (386 f.). Vgl. Vierter Teil Kap. B.I.2.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
hen. 151 Das soll unter Beibehaltung der Richtbegriffe in Art. 29 Abs. 1 S. 1 und 2 GG erfolgen. 152 Aufgrund der bereits festgestellten, fehlenden Notwendigkeit und der Entwicklung der Norm des Art. 29 GG in den letzten Jahrzehnten ist eine solche Neufassung des Abs. 1 jedoch abzulehnen. Die in der Vergangenheit erfolgten Änderungen des Art. 29 GG belegen die Verfestigung der bestehenden Ländergrenzen, deren Änderung inzwischen hauptsächlich durch die betroffenen Länder unter Beteiligung ihrer Bevölkerung erfolgen sollte. Auch die Einführung einer ausschließlichen Bundeszuständigkeit in Neugliederungsangelegenheiten ist daher abzulehnen. 153 Neugliederungen können nach Art. 29 GG auf verschiedenen Wegen erfolgen. Erst in der letzten Reform des Art. 29 GG im Jahre 1994 wurde in Abs. 8 die Option der Neugliederung unter einer grundsätzlichen Länderzuständigkeit eingefügt. Die Länder verfügen innerhalb ihres Territoriums über die politischen Instrumente des Zentralstaates. Diese ermöglichen es ihnen, eine territoriale Neuordnung zu erreichen. Nach derzeitiger Verfassungslage müsste die Initiative für eine Länderneugliederung aus den Ländern durch die Länder selbst oder von der neugliederungswilligen Bevölkerung kommen. In Anbetracht der aufgezeigten Entwicklung der Neugliederungsregel des Art. 29 GG käme anstelle einer Stärkung der Bundesposition vielmehr die komplette Abschaffung der Norm in Betracht, um die Zuständigkeit in die Kompetenz der Länder zu überführen. 2. Mögliche Änderungen des Neugliederungsverfahrens Hinsichtlich möglicher Änderungen in den Verfahrensvorgaben des Art. 29 GG wird insbesondere die direkte Beteiligung der Bevölkerung kontrovers diskutiert. 154 Die plebiszitären Elemente des Art. 29 GG wurden durch die in der Vergangenheit erfolgten Verfassungsänderungen kontinuierlich ausgebaut. Der bisherige Höhepunkt der unmittelbaren Mitbestimmung des Volkes bei Neugliederungsakten wurde 1976 mit der Einführung eines Vetorechts in Art. 29 Abs. 3 S. 4 GG erreicht, welches nur unter strengen Voraussetzungen überwunden werden kann. Betrachtet man die Vorgängerregelung des Art. 18 WRV und die Entwicklung des Art. 29 GG, wird man feststellen können, dass plebiszitäre 151 W. Ernst, DVBl. 1991, S. 1024 (1030); S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 204 f.; anders C. Degenhart, DVBl. 1990, S. 973 (980), nach dessen Auffassung sich die Möglichkeit der Neugliederung aus Art. 29 Abs. 1 GG ermessensreduzierend zu einer Rechtspflicht verdichten können soll. 152 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 205 f. 153 So aber S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 206 f. 154 T. v. Danwitz, DÖV 1992, S. 601 ff.; C. Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (111).
D. Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen
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Elemente bei Neugliederungsmaßnahmen inzwischen zur Verfassungstradition gehören und ihre Abschaffung nur schwer zu rechtfertigen wäre. 155 Für das Verfahren der Neugliederung wird u. a. über eine Änderung des Art. 29 Abs. 3 GG nachgedacht. Ein Vorschlag sieht die Einführung eines nationalen Volksentscheides (Gesamtvolksentscheid) anstatt der bisherigen Begrenzung auf die Bevölkerung der von einer Neugliederung betroffenen Länder vor. 156 Dieser Vorschlag ist abzulehnen, da er in Konflikt mit den Richtbegriffen des Art. 29 Abs. 1 GG treten würde. Die gebotene Orientierung an der „landsmannschaftlichen Verbundenheit“ und den „geschichtlichen Zusammenhängen“ wäre bei einem Gesamtvolksentscheid nicht mehr gewährleistet. Volksbegehren und Volksentscheid sind vor allem Instrumente, um die direkt von einer anstehenden Entscheidung betroffenen Bürger zu beteiligen. Ein Gesamtvolksentscheid würde zudem das Verfahren der Neugliederung durch die hohe Zahl der Abstimmungsberechtigten erheblich erschweren. Eine Volksbeteiligung aller Bundesländer ist nur vorgesehen, wenn alle Bundesländer von einem Neugliederungsvorhaben direkt betroffen sind. 157 Eine weitere Möglichkeit ist die Streichung des Vetorechtes und dessen Ausnahme in Art. 29 Abs. 3 S. 4 GG. Dies hätte zur Folge, dass sich die jeweilige Gesamtbevölkerung eines von Neugliederungsmaßnahmen betroffenen Landes nicht mehr mit einer bindenden Entscheidung gegen die vom Gesetzgeber vorgeschlagene Neugliederung (es sei denn die Ausnahme des Art. 29 Abs. 3 S. 4 GG greift) wehren kann. Da der Meinung der von einer Neugliederung unmittelbar betroffenen Bevölkerung aber für das Gelingen eines Zusammenschlusses große Bedeutung zukommt, ist es vorzugswürdig, die bestehende Regelung beizubehalten. Ferner wird vorgeschlagen, die Rechtsfolge des Art. 29 Abs. 4 GG zu verschärfen. 158 Demnach könnte Abs. 4 dahingehend geändert werden, dass bei einem höheren Quorum eine Neugliederung erfolgen muss. Eine weiterführende Volksbefragung wäre dann überflüssig und könnte aus dem Grundgesetz gestrichen werden. Eine solche Lösung ist abzulehnen. Auch wenn sich in den betroffenen Gebieten ein Quorum von mindestens 50% der abgegebenen Stimmen (das wäre wohl die erforderliche Untergrenze, ab der, wenn überhaupt, eine Entscheidung der Bevölkerung nach dem Demokratieprinzip zu rechtfertigen wäre) der Bevöl155
S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 211; C. Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (111). 156 Vgl. G. Oettinger, in: FAZ v. 23. Juni 2006, S. 2. 157 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 33; K.-G. Meyer-Teschendorf, in: H. v. Mangoldt / F. Klein / C. Starck, GGK II, Art. 29 Rn. 37. 158 E. Schmidt-Jortzig, Neugliederung des Bundesgebietes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 729 (740).
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
kerung für eine Neugliederung aussprechen würde, ist es kaum vertretbar, dies als alleinige Legitimationsgrundlage für eine Entscheidung von so bedeutendem Ausmaß gelten zu lassen. Der Vorschlag einer Neugliederung ausschließlich nach dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung ist mit der jetzigen Grundstruktur der Neugliederungsregeln nicht vereinbar. Diese sieht nicht ohne Grund bei der Frage der Neugliederung des Bundesgebietes als einen bundesstaatlichen Ausgleich immer die Beteiligung mehrer „Entscheidungsträger“ vor. Sie variieren je nach möglicher Option aus einem Zusammenspiel von Bundes-, Landes- und Bevölkerungsbeteiligung. Die Entscheidungsgewalt allein eines „Entscheidungsträgers“ gibt es nicht. Sie verbietet sich wegen der Richtbegriffe des Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG. Die Bevölkerung ist für sich allein genommen kaum fähig die Erfordernisse der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit sowie die der Raumordnung und der Landesplanung nach Art. 29 Abs. 1 S. 2 GG angemessen berücksichtigen zu können. Eine Änderung der Rechtsfolge des Art. 29 Abs. 4 GG ist daher abzulehnen. Schließlich wird noch in Erwägung gezogen, den Nachsatz in Art. 29 Abs. 6 S. 1 GG zu streichen. 159 Demnach soll als Mehrheit im Volksentscheid und in der Volksbefragung nicht mehr unbedingt die Mehrheit der abgegebenen Stimmen gelten, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfasst. Da die Neugliederung aber in weiten Teilen eine Aufgabe des Bundes ist und es in den Ländern durch unterschiedliche Voraussetzungen für die Wahlberechtigten nicht zu einer unterschiedlichen Abstimmungsberechtigung beim Volksentscheid und bei der Volksbefragung kommen soll, ist ein Quorum von einem Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten gerechtfertigt. 160 Eine Streichung des Nachsatzes in Art. 29 Abs. 6 S. 1 GG ist daher abzulehnen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass man neben der Änderung der Verfassung auch über eine Änderung der einfachgesetzlichen Ausgestaltung in Form der ausführenden Gesetze zu Abs. 4 und Abs. 6 nachdenken könnte. 161 3. Einführung von Anreizen zur Neugliederung Die Einführung von positiven Anreizen („Heiratsprämien“ für fusionswillige Länder) zur Neugliederung in Art. 29 GG könnte Zusammenschlüsse von Bundesländern fördern. Mit einer Reform des Art. 29 GG könnten bestehende (unter der aktuellen Rechtslage unüberwindbare) Hindernisse für eine Neugliederung behoben werden. Momentan würden eine Fusion von Flächenländern und 159 E. Schmidt-Jortzig, Neugliederung des Bundesgebietes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 729 (740). 160 P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK II, Art. 29 Rn. 47. 161 Z. B. könnte die fünfjährige Sperrfrist für Volksbegehren gestrichen bzw. herabgesetzt werden.
D. Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen
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Stadtstaaten sowie auch das Zusammengehen zweier Flächenstaaten aufgrund der aktuellen Systemausgestaltung für das neu entstehende Land überwiegend zu einem erheblichen Verlust finanzieller Mittel führen. 162 Insgesamt sparen Länderfusionen zwar in einigen Bereichen Geld, aber die Ausgabenersparnisse würden nicht im Ansatz ausreichen, die zu erwartenden Mittelverluste im Finanzausgleich zu kompensieren. 163 Sollte das System des Finanzausgleichs im Rahmen einer Reform nicht grundlegend geändert werden, könnte man das Problem des neugliederungsbegründeten Finanzmittelverlustes mit der Einführung von Anreizen in Art. 29 GG beheben. Einen solchen Anreiz könnte der Verfassungsgesetzgeber durch einen einzufügenden Art. 29 Abs. 9 GG schaffen, den man wie folgt formulieren könnte: (9) Kommt es zu einer Neugliederung zweier oder mehrer Länder zu einem neuen Land, erfolgt eine Kompensation der möglicherweise aus der Neugliederung entstehenden finanziellen Nachteile durch den Bund (und die nicht an der Neugliederung beteiligten Länder). Das Nähre regelt ein Bundesgesetz. 164.
Hierbei könnte der Bund oder alternativ die Solidargemeinschaft bestehend aus dem Bund und den übrigen Ländern beispielsweise über eine einfachgesetzliche Bundesregelung dazu verpflichtet werden, bei einer Neugliederung einen erheblichen Teil der Differentialschulden (d. h. den Unterschiedsbetrag zwischen der Pro-Kopf-Verschuldung des höher verschuldeten Landes und des niedriger verschuldeten Landes, hochgerechnet auf die Einwohnerzahl des höher verschuldeten Landes der fusionierenden Länder) über einen Altlastentilgungsfonds zu übernehmen. 165 Eine solche Teilsanierung könnte man z. B. unter der Auflage erteilen, dass die durch eine Teilentschuldung eingesparten Zinszahlungen ausschließlich für den weiteren Schuldenabbau verwendet werden müssen, womit die Regelung im Einklang mit dem Ziel des Schuldenabbaus der öffentlichen Haushalte stehen würde. Hinzuweisen ist bei diesem Ansatz auf die z. B. bei einer Fusion von Berlin und Brandenburg anfallende Höhe der Finanzmittel i. H.v. ca. 35 Mrd. €, die zum Ausgleich der Differentialschulden nötig wären. 166
162 T. Büttner / S. Hauptmeier, Auswirkungen einer Länderfusion auf die öffentlichen Finanzen am Beispiel von Schleswig-Holstein und Hamburg, in: E. Schmidt-Jortzig / H. Voscherau, Nordstaat, Untersuchung zu Chancen und Risiken einer zukünftigen Zusammenarbeit oder Fusion der Norddeutschen Bundesländer, S. 229 ff.; H. Seitz, Kom.Drs. 23, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der BundLänder-Finanzbeziehungen, S. 21. 163 Für Berlin-Brandenburg wurde auf der Basis der Daten des Jahres 2004 bspw. ein Einnahmenverluste von ca. 2,5 Mrd. € nach Finanzausgleich berechnet, während die Ausgabenersparnis deutlich geringer waren. 164 Optional mit oder ohne Beteiligung der Länder. 165 So auch H. Seitz, Kom.-Drs. 23, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 22.
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Die einfachgesetzliche Ausgestaltung eines freiwilligen Zusammenschlusses von zwei Bundesländern wäre einfacher zu gestalten, wenn zumindest eines der fusionierenden Bundesländer ein Stadtstaat wäre, z. B. bei einem schon öfter von den Landesregierungen Hamburgs und Schleswig-Holsteins erörterten Zusammenschluss beider Länder zu einem Nordstaat. Würde man bei einem Zusammenschluss eines Stadtstaates mit einem Flächenland die über § 8 Abs. 3 S. 1 MaßstG und § 9 Abs. 2 und 3 FAG festgelegte Einwohnerwertung über einen festzulegenden Zeitraum (für mindestens 10 Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung nach Maßgabe aktueller Steuerschätzungen) nach dem Zusammenschluss beibehalten, bedürfte es für eine Neugliederung nur der Änderung bestehender Rechtsakte. 167 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass für fusionswillige Länder unter Maßgabe des geltenden Finanzausgleichsystems ein Zusammenschluss ohne finanzielle Einbußen nur über die Schaffung eines obligatorischen finanziellen Anreizes realistisch ist, der in Art. 29 GG für alle Beteiligten verbindlich verfassungsrechtlich abgesichert werden müsste. 4. Aufnahme des Alternativziels der Kooperation Es besteht ferner der Vorschlag, einen Hinweis auf die Möglichkeit der Kooperation und Koordination unter den Ländern in Art. 29 GG zu integrieren. 168 Die Möglichkeit der verstärkten Zusammenarbeit unter den Ländern, welche beispielsweise durch die grenzübergreifende Zusammenlegung öffentlicher Institutionen per Staatsvertrag gelegentlich bereits praktiziert wird, ist schon lange bekannt. Dennoch wäre die Aufnahme eines Hinweises auf die Möglichkeit der länderübergreifenden Kooperation in Art. 29 GG zur Klarstellung grundsätzlich begrüßenswert. Ein solcher Hinweis ist für die Länder nicht bestandsgefährdend und würde sie für die Alternativen zur Neugliederung sensibilisieren.
166
Auf Basis der Rahmendaten von 2005 (bei den Stadtstaaten erfolgte eine Schätzung des Kommunalanteils der Schulden) würde ein Zusammenschluss von RheinlandPfalz mit dem Saarland einen Betrag von ca. 1,7 Mrd. €, eine Fusion Berlins mit Brandenburg ca. 35 Mrd. € und eine Vereinigung Niedersachsens mit Bremen ca. 6,7 Mrd. € erfordern, vgl. H. Seitz, Kom.-Drs. 23, in: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, S. 22. 167 Ausführlich J. Michalk / A. Möller, WD 2005, S. 653 ff. 168 E. Schmidt-Jortzig, Neugliederung des Bundesgebietes, in: R. Pitschas / A. Uhle, FS für Rupert Scholz, S. 729 (740).
D. Ansätze für eine Reform der Neugliederungsregelungen
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II. Aufhebung der verfassungsrechtlichen Neugliederungsregeln Gemessen an der Tatsache, dass die Neugliederungsregelungen bisher fast wirkungslos geblieben sind, könnte man ebenso darüber nachdenken, die verfassungsrechtlichen Neugliederungsregeln der Art. 29 GG und Art. 118a GG im Ganzen aufzuheben. 169 Die einst bestehende Neugliederungsverpflichtung des Bundes ist über die Jahrzehnte immer mehr zu einer Aufgabe im Ermessen der Länder mit Beteiligung des Bundes und der Bevölkerung weiter entwickelt worden, wie die Einführung des Art. 29 Abs. 8 GG im Rahmen der Verfassungsreform 1994 belegt. Ergebnis der Aufhebung der Neugliederungsregeln wäre eine ausschließliche Länderkompetenz in diesem Bereich. Innerstaatliche Neugliederungen könnten somit nur noch per Staatsvertrag zwischen den Ländern erfolgen. 170 Um die bisherige Verfassungstradition der Volks- und / oder Bundesbeteiligung einheitlich fortzuführen, könnte man alternativ eine kurz gefasste Nachfolgeregelung zum bisherigen Art. 29 GG normieren, um eine Bundesbeteiligung und / oder eine Beteiligung der Bevölkerung einheitlich vorzuschreiben. 171 Ein Nachteil sowohl der kompletten Streichung als auch der Nachfolgeregelung ist, dass die in Art. 29 Abs. 1 GG verankerten Gliederungsprinzipen nicht in dieser Deutlichkeit ausformuliert werden. 172 Beide Optionen würden zu einer Vereinfachung des Verfahrens führen und die beschriebene Entwicklung der letzten Jahrzehnte fortschreiben. In eine ganz andere Richtung geht der Vorschlag, Art. 29 GG zu streichen und eine Aufzählung der Länder entsprechend der ursprünglichen Fassung des Art. 23 S. 1 GG (a.F.) 173 wieder in die Verfassung aufzunehmen. 174 Im Unterschied zur 169 A. Hinsch, Neugliederung des Bundesgebietes und europäische Regionalisierung, S. 84 f. 170 Ob und ggf. wie eine Bürgerbeteiligung zu erfolgen hat, müsste dann in der Landesverfassung oder in dem für die Neugliederung einschlägigen Staatsvertrag geregelt werden. 171 In Anlehnung an die Formulierung des Art. 118a GG könnte der Artikel wie folgt ausformuliert werden: „Die Neugliederung in dem die betroffenen Länder umfassenden Gebiet kann durch Vereinbarung der betroffenen Länder unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten (mit Zustimmung des Bundes) erfolgen.“ 172 P. Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, S. 64. 173 Vgl. Wortlaut des Art. 23 GG vor seiner Änderung 1990, abgedruckt in: G. Dürig / W. Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 234. 174 S. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, S. 214 f.; H. Große-Sender, Kommission des Nordrhein-Westfälischen Landtages, Bericht „Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland – auch in einem vereinten Europa“, Teil 2, S. 122; C. Mecking, Die räumliche Neu-
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Regelung des Art. 23 S. 1 GG (a.F.) wäre das Ergebnis einer Neuordnung der Länder in der Norm zu verankern. Weitere Neugliederungsakte würden dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten bleiben. 175 Eine solche Lösung ist abzulehnen, da sie zur Umsetzung gem. Art. 79 Abs. 2 GG einer verfassungsändernden Mehrheit bedarf und damit hohe Hürden schafft. Selbst bei bestehendem Neugliederungswillen mehrerer Länder wäre eine Umsetzung wegen der Forderung eines so hohen Quorums sehr unwahrscheinlich. Der Blick in die Historie Deutschlands zeigt, dass schon die Regelung des Art. 18 Abs. 1 S. 2 WRV, welche in der Weimarer Zeit eine Neugliederung nur durch verfassungsänderndes Reichsgesetz ermöglichte, sich als höchst unpraktikabel erwiesen hat.
III. Keine Erweiterung der Spezialregelungen Eine weitere Option zur vereinfachten Neugliederung des Bundesgebietes könnte eine schrittweise Erweiterung der Spezialregelungen zu Art. 29 GG darstellen. Unter der Voraussetzung, dass mindestens zwei Bundesländer (z. B. Hamburg und Schleswig-Holstein) einen Zusammenschluss anstreben und dessen Verwirklichung durch eine verstärkte Zusammenarbeit vorbereiten, könnte eine Regelung analog Art. 118a GG für die betroffenen Länder im Grundgesetz verankert werden. Wie in Art. 118a GG geschehen, könnte der Verfassungsgesetzgeber für offensichtlich neugliederungswillige Länder von Fall zu Fall festgelegen, dass eine Neugliederung in dem die Länder umfassenden Gebiet abweichend von den Vorschriften des Art. 29 GG unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung (Staatsvertrag) beider Länder erfolgen kann. Eine Neugliederungspflicht würde daraus entsprechend Art. 118a GG nicht resultieren. Die von der Spezialregelung begünstigten Länder könnten im Gegensatz zu Art. 29 Abs. 8 GG einen Staatsvertrag über eine Fusion ohne Mitwirkungsakt des Bundes beschließen. Die Beteiligungsform der Bevölkerung wäre nicht wie bei Art. 29 Abs. 8 GG auf den Volksentscheid begrenzt, womit die betroffenen Länder die Art der Bevölkerungsbeteiligung im Staatsvertrag oder in ihren Landesverfassungen normieren könnten. Gegen eine solche Ausweitung der Spezialregelungen zu Lasten der allgemeinen Neugliederungsregel des Art. 29 GG bestehen grundlegende Bedenken. Nach dem Grundgesetz ist der Verfassungsgesetzgeber in seiner Gesetzgebungstätigkeit an die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG gebunden und könnte grundsätzlich für jede in Erwägung gezogene Fusion eine Ausnahmeregelung von Art. 29 gliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (112). 175 C. Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: K. Borgmann / M.-E. Geis, Verfassungsreform und Grundgesetz, S. 95 (112).
E. Zwischenergebnis
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GG im Grundgesetz normieren. Die Einführung einer Ausnahmeregelung bedarf aber einer rechtfertigenden Begründung. War die Aufnahme des Art. 118 in das Grundgesetz wegen der damals noch bestehenden umfassenden Neugliederungsverpflichtung des Bundes nach Art. 29 GG (a.F.) 1949 unproblematisch, fiel die Rechtfertigung für die Einführung des Art. 118a GG im Zuge der Verfassungsreform 1994 schon deutlich schwerer. Im Wesentlichen begründete die damals eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission die Einführung des Art. 118a GG mit der historischen Verbundenheit von Berlin und Brandenburg. 176 Eine solche historische Verbundenheit besteht aber zwischen vielen Teilen der verschiedenen deutschen Gliedstaaten und überzeugt daher als Rechtfertigung für die Einführung einer Ausnahme speziell für Berlin und Brandenburg nicht wirklich. 177 Die Einführung weiterer Spezialregelungen für die Neugliederung des deutschen Bundesgebietes in Ausnahme zu Art. 29 GG wäre daher in Ermangelung überzeugender Gründe schwer zu rechtfertigen. Verfassungspolitisch stellt sich somit die Frage nach der „Daseinsberechtigung“ der Regelung des Art. 29 GG, wenn bei jeder sich anbahnenden Neugliederung des Bundesgebietes eine von der Grundregel abweichende Norm mit vereinfachten Voraussetzungen geschaffen wird. Diese rechtspolitisch fragwürdige Ausübung der Gesetzgebungstätigkeit durch den Verfassungsgesetzgeber stieße erst an ihre verfassungsimmanente Grenze (Art. 79 Abs. 3 und 20 GG), wenn der Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung einführen würde, die die verfassungsrechtlich garantierte Anzahl von mindestens zwei Bundesländern in Deutschland unterschreiten würde. 178 Im Ergebnis ist die Normierung weiterer Ausnahmeregelungen nicht überzeugend. Aus verfassungsrechtspolitischer Sicht sollte man, um eine weitere „Aushöhlung“ des Art. 29 GG zu verhindern, an die Beratungen der 1992 eingesetzten Gemeinsamen Verfassungskommission anknüpfen und über eine Verallgemeinerung der Regelung des Art. 118a GG nachdenken. Diese wäre durch eine Übernahme der Voraussetzungen des Art. 118a GG in Art. 29 Abs. 8 GG relativ einfach zu bewerkstelligen. Art. 118a GG könnte dann wieder aus dem Grundgesetz gestrichen werden.
E. Zwischenergebnis Die Ausführungen haben gezeigt, dass Vorschläge für eine Reform der bestehenden Neugliederungsregeln ihre Berechtigung haben. Eine Verknüpfung der Themen der Neugliederung des Bundesgebietes und der Reform der Finanz- und 176
BT-Drs. 12/6000, S. 45. P. Kunig, in: I. v. Münch / P. Kunig, GGK III, Art. 118a Rn. 4. 178 Bei einer verbleibenden Anzahl von mindestens zwei Bundesländern, wäre dann aber auch schon Art. 29 GG verfassungswidriges Verfassungsrecht. 177
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4. Teil: Neugliederung des Bundesgebietes
Haushaltsordnung ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Die Einsparungsmöglichkeiten einer Neugliederung sind schwer einzuschätzen und kontrovers. Die Existenz von Ländern darf nicht ausschließlich unter finanzpolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden. War es in früheren Zeiten die Funktion des Föderalismus, die Macht lokaler Fürsten gegen eine Zentralgewalt abzuschirmen, so kann er mittlerweile auch sehr moderne Argumente für sich in Anspruch nehmen, die den Anforderungen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsprechen. Eine föderale und dabei nicht nur nationale Ordnung sorgt abstrakt betrachtet für eine wettbewerbs-, ideen- und damit freiheitsfreundliche Vielfalt. Sie schafft bürgerfreundliche, da bürgernahe, politische Entscheidungsinstanzen und damit eine direkte demokratische Rückbindung. Eine ortsnahe Instanz ermöglicht u.U. sachgerechtere und damit den Freiheitssphären der Bürger besser entsprechende regionale Politikkonzepte. Bei alledem müssen fiskalische Fragen auch berücksichtigt werden – umso mehr, als ganze Gebiete in Deutschland in einigen Jahrzehnten vor einem massiven Bevölkerungsschwund stehen werden. Denn zahlungsunfähige staatliche Einheiten sind ebenfalls nicht im Interesse der Bürger. Der Bundesstaat unterliegt einem stetigen, dynamischen Wandel. Faktoren wie die kulturelle und wirtschaftliche Struktur der Gliedstaaten verändern sich dauernd, wodurch sich der Neugliederungsdruck erhöhen kann. Dieser Wandel schlägt sich wie aufgezeigt in den Reformen der einschlägigen verfassungsrechtlichen Regelungen zur Neugliederung nieder. Trotz der stetigen Fortentwicklung der Neugliederungsregelungen seit Gründung der BRD gab es bisher bezeichnenderweise erst eine erfolgreiche Neugliederung in den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland 1951/52 durch die Fusion der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu Baden-Württemberg gem. Art. 118 GG. Die Gliederung Deutschlands hat trotz vielfältiger (z.T. sehr umständlicher) Optionen der Neugliederung in den Art. 29 und 118a GG seit 60 Jahren Bestand. Befasst man sich mit der Notwendigkeit einer Neugliederung des Bundesgebietes, dann ergibt sich aus einer Gegenüberstellung der verschiedenen Argumente, dass eine Neuordnung zurzeit nicht zwingend erforderlich ist. Im Kontext mit der hier im Zentrum der Bearbeitung stehenden Reform der Finanz- und Haushaltsordnung ist festzuhalten, dass die Neugliederung des Bundesgebietes hierfür keine zwingende Voraussetzung ist. Obwohl eine faktische Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes nicht vorliegt, kann man über eine Reform der einschlägigen Normen nachdenken. Unter den vorhandenen Reformvorschlägen überzeugen insbesondere die Vorschläge einer behutsamen Weiterentwicklung des Art. 29 GG durch die Integration von finanziellen Neugliederungsanreizen sowie die Aufnahme einer allgemein gültigen Regelung analog Art. 118a GG. Alternativ ist auch die Streichung des relativ unübersichtlichen Art. 29 GG mit der Konsequenz, dass Neugliederungen fortan in die Kompetenz der Länder fallen würden, in Erwägung zu ziehen. Forderungen nach Wiedereinführung einer Pflicht zur Neugliederung oder der Möglichkeit, das ablehnende Votum der betroffenen Bürger durch eine bundesweite Abstimmung überstimmen zu können, überzeugen hingegen nicht.
Fünfter Teil
Ergebnis A. Erster Teil: Föderalismus und Bundesstaat in Deutschland 1. Vergleicht man den Begriff des „Föderalismus“ mit dem des „Bundesstaates“, zeigt sich trotz weitreichender Überschneidungen, dass ersterer auch den Zusammenschluss zu einem Staatenbund als Vorstufe zum Bundesstaat umschreibt und somit weiter als der Bundesstaatsbegriff zu verstehen ist. 2. Vernachlässigt man vereinzelte Ansätze föderaler Strukturen im Mittelalter, fällt der Beginn der Entwicklung des Föderalismus in Deutschland ungefähr mit dem Zusammenbrechen der mittelalterlichen Lehnsordnung und dem damit verbundenen Übergang vom Stammesprinzip zum Territorialprinzip im Zuge des Westfälischen Frieden von 1648 zusammen. 3. Der Föderalismus entwickelte sich seit Mitte des 17. Jh. – mit Ausnahme der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und im Staatssystem der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – als fester Bestandteil des deutschen Staatswesens unter verschiedensten Regierungsformen weiter und gewinnt darüber hinaus zunehmend an Bedeutung im Europäischen Einigungsprozess. 4. Der Bundesstaat ist seit Erlass des Grundgesetzes über das Bundesstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG und seinen Ausprägungen fest in der bundesdeutschen Verfassung verankert. 5. Die Bundesstaatstheorien dienen dazu, die bundesstaatliche Ordnung in ihrer systematischen Gesamtheit, der normativen Zielrichtung und der inhaltlichen Ausgestaltung, zu erklären, wobei es eine das föderative System in allen Einzelheiten erfassende Theorie aufgrund seiner ihm innewohnenden Dynamik bis heute nicht gibt und in Zukunft wahrscheinlich auch nicht geben wird. Eines der grundlegenden Defizite der Bundesstaatstheorien ist, dass sie z.T. die Unterscheidung zwischen faktischen („sein“) und normativen („sollen“) nicht konsequent berücksichtigen. Bundesstaatstheorien können sowohl eine faktische Staatspraxis beschreiben und erklären – oder sie können normativ (sei es freischwebend oder als rechtstheoretische Grundlage, etwa der bundesrepublikanischen Ordnung) begründen, warum die Ordnung richtigerweise in einer bestimmten Weise gestaltet sein – bzw. interpretiert werden – sollte.
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5. Teil: Ergebnis
6. Im Kontext der Reform der Finanz- und Haushaltsordnung kommt den Bundesstaatstheorien vor allem eine rechtspolitische und heuristische Bedeutung zu. Rechtspolitisch treten sie in Form von Leitbildern, als Impulsgeber für Reformen in Erscheinung. Damit dienen sie als Ansatzpunkt für die Grundsatzdiskussion, ob das kooperativ ausgerichtete System der Finanz- und Haushaltsordnung von einem kompetitven, d. h. wettbewerbsföderalistischen Bundsstaatsmodell abgelöst werden soll. Der heuristische Wert der Bundesstaatstheorien besteht in der beschreibenden, analysierenden Erfassung von Funktionsveränderungen in der Verfassungswirklichkeit des Bundesstaates, der Verfolgung interdisziplinärer Ansätze wie z. B. der Einbeziehung der Finanzwissenschaft sowie der Bereitstellung von Modellentwürfen für eine Veränderung der bundesstaatlichen Ordnung. 7. Im Zusammenhang mit zukünftigen Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung helfen die Bundesstaatstheorien nicht zur Argumentation für einen strikten Wechsel von einem kooperativen hin zu einem kompetitiven Bundesstaatsmodell. Sie dienen vielmehr dazu, beide Ansätze im Sinne eines gemischten Bundesstaatsverständnisses in Einklang zu bringen, um die richtige Mitte zwischen der Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite zu definieren.
B. Zweiter Teil: Finanzordnung und Reform 1. Die der Bundesstaatlichkeit inhärente Aufteilung der Finanzhoheit zwischen Bund und Ländern prägt die bestehende bundesrepublikanische Finanzordnung. Sie ist Ergebnis einer Abwägung, bei der Unstimmigkeiten einer dezentralen Lenkung für den Zugewinn an politischen und finanzwirtschaftlichen Vorteilen z. B. in Form von Reibungsverlusten durch komplizierte und kostenintensive Systeme der Steuervereinnahmung und -verteilung in Kauf genommen werden. 2. Als Kernstück der bundesstaatlichen Ordnung ist die Finanzordnung Garant für das Gleichgewicht der Kräfte im Bundesstaat. Sie verhindert durch ausdifferenzierte Regelungen in der Verfassung und den daran anknüpfenden einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Normierungen, dass einzelnen Beteiligten eine besondere, unangemessene Vormachtstellung zukommen kann. Hegemonialen Bestrebungen durch Zentralisierung oder Partikularisierung wird somit über die Regulierung der öffentlichen Finanzen von vornherein entgegengetreten. 3. Die bundesstaatliche Finanzordnung befindet sich seit der Gründung der BRD in einem stetigen Wandel. Ihre jetzige Grundstruktur besteht seit der großen Finanzreform aus dem Jahre 1969. Sie ist von ihrer Konzeption zwischen der
B. Zweiter Teil: Finanzordnung und Reform
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streng föderalistischen Finanzordnung des Kaiserreichs und der zentralistischen Finanzverfassung der Weimarer Reichsverfassung einzuordnen. Die bisher letzte bedeutende Änderung der Finanzverfassung erfolgte Ende 2006 im Zuge der Föderalismusreform I. Die Änderungen im Bereich der Finanzverfassung orientierten sich an den Zielen der Entflechtung, Verantwortungsklarheit und Handlungsautonomie. 4. Relevante Rechtsquellen für künftige Reformen der bundesdeutschen Finanzordnung finden sich vor allem im Grundgesetz und auf einfachgesetzlicher Ebene (SFG, MaßstG, FAG, ZerlG). Die Finanzverfassung (Art. 104a – 108 GG) ist hierbei das Kernelement der im Grundgesetz verankerten bundesstaatlichen Ordnung. Die ihr zugehörigen Normen stellen insgesamt eine Ordnung her, die Bund und Länder am Finanzaufkommen beteiligt und finanziell in die Lage versetzt, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch wahrzunehmen. 5. Das System der bundesstaatlichen Finanzordnung hat durch die Föderalismusreform I insbesondere im Bereich der staatlichen Ausgabenregelungen Änderungen erfahren. 6. Die strittige Frage, ob die Lastenverteilungsregelungen auch horizontal im Verhältnis unter den Ländern anwendbar sind oder nur vertikal im Bund-LänderVerhältnis, ist durch die Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform I entschieden worden. Zuvor wurde die Mitfinanzierung von Landesaufgaben durch andere Länder mehrheitlich u. a. mit der Begründung abgelehnt, die Länder bedürften keines besonderen Schutzes vor gegenseitigen Kompetenzübergriffen. Dem wurde richtigerweise entgegnet, dass insbesondere der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Art. 104a GG sowie ein bestehendes Schutzinteresse der Länder vor Übergriffen für eine horizontale Anwendbarkeit sprechen. Mit der Aufnahme des Art. 104a Abs. 6 in das GG, der eine Lastentragungsregelung bei Verletzung supranationaler und völkerrechtlicher Pflichten auch im horizontalen Verhältnis vorsieht, ist nun klar, dass Art. 104a GG im Sinne des Gesetzgebers auch zwischen den Ländern gilt. 7. Das Problem, dass bundesgesetzlich begründete Pflichtaufgaben der Gemeinden und Kreise vor der Föderalismusreform I mangels Zuordenbarkeit als Auftragsverwaltung nicht unter die Erstattungsregel des Art. 104a Abs. 2 GG fallen, wurde durch die Einführung eines Durchgriffverbots in Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG und Art. 85 Abs. 1 S. 2 GG gelöst, anstatt die Lastentragungsregelung zugunsten der Kommunen abzuändern. Der Bund ist jetzt nicht mehr befugt, Aufgaben an die Gemeinden und Gemeindeverbände zu übertragen. Problematisch ist aber weiterhin der Fall, dass der Bund durch Gesetz die Leistungsstandards in einem Gesetz erhöht, für deren Ausführung die Kommunen schon vor Einführung der Neuregelung zuständig waren. Hier ist im Ergebnis ein Modifikationsrecht des Bundes zu bejahen.
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5. Teil: Ergebnis
8. Art. 104a Abs. 3 GG ist systematisch, obgleich seiner inhaltlichen Ähnlichkeit zum sekundären Finanzausgleich, nicht dem auf allgemeine Verbesserung der Länderfinanzen abzielenden Finanzausgleich zuzuordnen, sondern als eine von Art. 104a Abs. 1 GG abweichende Lastenverteilungsregelung zu charakterisieren. Der Bund hat über Art. 104a Abs. 3 GG auch nach Umsetzung der Föderalismusreform I nur bei Geldleistungsgesetzen und nicht bei Gesetzen über geldwerte Sachleistungen oder vergleichbare Dienstleistungen ein Mitfinanzierungsrecht. Die Länder wollten bei der Formulierung des Abs. 3 ganz bewusst verhindern, dass der Bund bei Sachleistungsgesetzen bzw. Gesetzen über vergleichbare Dienstleistungen die Kosten mit der möglichen Folge des Übergangs in die Bundesverwaltung übernehmen kann. Weiterhin könnte der Bund sich bei einer Kostenbeteiligung von mehr als 75 % der ansonsten erforderlichen Zustimmungspflicht der Länder entledigen. Aus Gründen des Schutzes der Länderkompetenzen ist daher in Art. 104a Abs. 3 GG weiterhin von einer Ungleichbehandlung der Geldleistungsgesetze zu den Gesetzen über Sachleistungen und vergleichbare Dienstleistungen auszugehen. 9. Im Rahmen der Föderalismusreform I ist ferner die alte Zustimmungsregelung gem. Art. 104a Abs. 3 S. 3 GG weggefallen und in dem neuen Abs. 4 durch eine umfassende Zustimmungspflicht der Länder für Gesetze zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen und vergleichbaren Dienstleistungen ersetzt worden. Hierbei wurde lediglich die tatbestandliche Erweiterung der Zustimmungspflicht bei durch Bundesgesetz begründeten Länderpflichten in Form von geldwerten Sachleistungen und vergleichbare Dienstleistungen gegenüber Dritten durch die Reform neu eingeführt. Die Zustimmungsnorm gilt bei Bundesgesetzen, die von den Ländern als eigene Angelegenheit nach Art. 84 Abs. 1 GG ausgeführt werden. Die Fälle der Bundesauftragsverwaltung sind hiervon nicht erfasst, da gem. Art. 104a Abs. 2 GG der Bund die sich daraus ergebenden (Zweck-)Ausgaben trägt. Etwas anderes gilt für die Fälle der Auftragsverwaltung aufgrund von Art. 104a Abs. 3 S. 2 GG, die infolge einer mindestens hälftigen Kostenbeteiligung des Bundes bei Geldleistungsgesetzen angeordnet ist. 10. Die Neuregelung des Art. 104a Abs. 4 GG beinhaltet neben der Erweiterung der Zustimmungspflicht auch eine Abkehr von der Koppelung der Zustimmungspflicht bzgl. eines bestimmten Prozentteils der Lastentragung durch die Länder. Stattdessen besteht nun eine umfassende Zustimmungspflicht, die das Ausmaß der neuen Zustimmungsfälle noch nicht erkennen lässt. Sie ist dem Umstand geschuldet, dass die bisherigen Probleme hinsichtlich der Zustimmung des Bundesrates gem. Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 85 Abs. 1 GG ihre Ursache eigentlich in der Auswirkung bundespolitischer Vorhaben auf die Länderhaushalte hatte. 11. Der schon vor der Föderalismusreform I scheinbar bestehende Widerspruch, wonach ein Geldleistungsgesetz ohne Beteiligung des Bundes keiner Zustimmung des Bundesrates bedarf, eine freiwillige Beteiligung des Bundes an
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den anfallenden Kosten aber die Zustimmung des Bundesrates erfordert, wurde aufrechterhalten. Diese auf den ersten Blick unlogisch erscheinende Regelung basiert auf der Prämisse, dass Mischfinanzierungen im föderalen Bundesstaat mit autonomen Gliedstaaten die Ausnahme bilden sollen und hat daher ihre Daseinsberechtigung. 12. Unter Gemeinschaftsaufgaben im „engeren Sinn“ versteht man nur die in Art. 91a GG bezeichneten Aufgaben, welche sich durch eine gesetzlich konkret ausgestaltete Mitwirkung des Bundes an Länderaufgaben auf der Basis gemeinsamer Finanzierungsverantwortung und verfassungsrechtlich angeordneter Koordinierung auszeichnen. Im Unterschied dazu ist die Beteiligung an Aufgaben nach Art. 91b GG im „weiteren Sinn“ fakultativ und wechselseitig möglich, womit sich ein weiterer Verhandlungsspielraum für Bund und Länder eröffnet. 13. Unbeschadet der im Rahmen der Föderalismusreform I erfolgten Änderungen von Art. 91a GG und Art. 91b GG und der verfahrensmäßigen Ausgestaltung im Bereich der Wissenschaft und im Bildungswesen blieb das Finanzierungsinstrument der Gemeinschaftsaufgaben auch nach der Reform in seiner grundlegenden Struktur erhalten. 14. Im Zuge der Föderalismusreform I wurde die bisherige Gemeinschaftsaufgabe „Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken“ in Art. 91a GG (a.F.) im Hinblick auf die Entflechtung von Zuständigkeiten abgeschafft und somit zur Länderaufgabe. Es handelt sich dabei zugleich um einen Beitrag zum Abbau von Mischfinanzierungen und zur Stärkung der Länder. Der Wegfall der Hochschulbauförderung als Entflechtungsmaßnahme ist im Ergebnis nachvollziehbar (auch wenn eine höhere finanzielle Ausstattung der Bildungseinrichtungen wünschenswert wäre). 15. Die Neufassung des Art. 91a GG bezweckt, den Regelungsspielraum der Ausführungsgesetzgebung bei den fortbestehenden Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sowie „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zu erweitern. Gleichzeitig sollen die Voraussetzungen für eine Entbürokratisierung und Erleichterung der Bund-Länder-Zusammenarbeit geschaffen werden. Inhaltlich ist durch die Streichung des Abs. 3 das Instrument der Rahmenplanung, welches früher als zentrales Steuerungselement für das Zusammenwirken von Bund und Ländern bei den Gemeinschafsaufgaben im „engeren Sinn“ angesehen wurde, nicht mehr zwingend vorgeschrieben. 16. Mit dem Wegfall des Zustimmungserfordernisses in Art. 91a Abs. 3 S. 2 GG hat sich der Verfassungsgesetzgeber eindeutig für die Abschaffung der Mehrheitsbeschlüsse entschieden. Mehrheitsentscheidungen bei Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG, bei denen es sich um originäre Aufgaben der Länder handelt, sind fortan unzulässige Eingriffe in die Eigenstaatlichkeit der Länder. 17. Ferner entfällt durch die Streichung von Art. 91a Abs. 5 GG die verfassungsrechtliche Verankerung der Unterrichtungsansprüche von Bundesregierung
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5. Teil: Ergebnis
und Bundesrat. Dies bedeutet aber nicht, dass es keine Kontrollmöglichkeit mehr gibt oder nun eine strikte Bundesaufsicht besteht. Zukünftig sollen die Einzelheiten der Koordinierung nach der neuen Formulierung des Art. 91a Abs. 2 GG über die einfachgesetzliche Ausführungsgesetzgebung geregelt werden, die die etwaige Festlegung von Unterrichtungs- und Kontrollrechten mit umfasst. Die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit fällt hierbei dem Bund zu, dem somit auch die Pflicht obliegt, die Gemeinschaftsaufgaben inhaltlich zu präzisieren. 18. Bedenken bestehen im Zusammenhang mit der Neuregelung der Hochschulbauförderung gegenüber der Übergangsregelung des Art. 143c Abs. 3 S. 2 GG. Diese sieht vor, dass die Zweckbindung der Kompensationszahlungen für den Wegfall der Hochschulbauförderung schon zum 31. Dezember 2013 endet, d. h. die später bis Ende 2019 zu erwartenden Zahlungen müssen von den Ländern nicht mehr in diesem Bereich eingesetzt werden. In Kombination mit der wegfallenden Pflicht von Bund und Ländern zur Finanzierung der Vorhaben zu gleichen Teilen ist für die deutschen Hochschulen bei ausbleibendem Umdenken in der Bildungspolitik, in mittlerer Zukunft mit einer Unterfinanzierung hinsichtlich größerer Bauvorhaben zu rechnen. 19. In den verbleibenden Regelungsbereichen des Art. 91a GG wird zukünftig mit einer steigenden Überlagerung durch europäische Regelungen zu rechnen sein, was entsprechende Angleichungen des nationalen Rechts erwarten lässt. 20. Im Zuge der Föderalismusreform I kam es zu einer umfangreichen Novellierung des Art. 91b GG, in deren Folge die Zuständigkeiten und Kooperationsmöglichkeiten in den Bereichen von Wissenschaft und Bildung neu definiert wurden. 21. Wie schon bei der Regelung des Art. 91b GG (a.F.) geht es bei der Novellierung in Art. 91b Abs. 1 S. 1 GG um die Förderung wissenschaftlicher Forschung von „überregionaler Bedeutung“. Demnach muss es sich um eine Förderung handeln, die laut Gesetzesbegründung „Ausstrahlungskraft über das einzelne Land hinaus hat und bedeutend ist im nationalen oder internationalen Kontext“. Im Einzelnen werden in Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 3 GG drei Bereiche des Zusammenwirkens von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung verfassungsrechtlich festgelegt. 22. Nach Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GG besteht explizit die Möglichkeit der Forschungsförderung außerhalb von Hochschulen. Da der Hochschulbegriff gemeinhin alle wissenschaftlichen Hochschulen, Hochschulkliniken, Kunst-, Musik-, Sport-, Gesamthochschulen und Fachhochschulen umfasst, fallen unter die Förderung von Nr. 1 in Abgrenzung zu Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 GG alle außerhalb des Hochschulbegriffs liegenden Einrichtungen wissenschaftlicher Forschung. Die Begriffskette „Förderung der wissenschaftlichen Forschung“ ist vor dem Hintergrund von Art. 5 Abs. 3 GG extensiv auszulegen. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist hierbei nicht auf bestimmte Förderarten
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beschränkt und umfasst sowohl die institutionellen Förderungen außerhochschulischer Einrichtungen als auch die gezielte Förderung von einzelnen Projekten außerhalb der Hochschulen. Es können somit sowohl Einrichtungen gefördert werden, die selbst forschen, als auch solche, deren Aufgabe in der Forschungsförderung an sich besteht. 23. Als zweiten Fall der Wissenschaftsförderung sieht Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG die Möglichkeit einer gemeinsamen Finanzierung von „Vorhaben der Wissenschaft und Forschung an Hochschulen“ durch Bund und Länder vor. Von der Tatbestandsseite aus betrachtet, beschränkt sich diese zweite Form der Wissenschaftsförderung im Gegensatz zu Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GG ausschließlich auf Hochschulen. Vor dem Hintergrund des Wegfalls der Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus gem. Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG (a.F.) und dem Wortlaut des Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG, der für Bund und Länder im Zusammenwirken nur „Vorhaben“ als förderfähig betrachtet, ist der Neu- und Ausbau von Einrichtungen der Hochschulen fortan alleinige Aufgabe der Länder. Für den Wegfall der gemeinsamen Förderungsmöglichkeit erhalten die Länder bis Ende des Jahres 2019 nach Art. 143c GG Ausgleichszahlungen. 24. Durch die Verwendung des Oberbegriffs der „Wissenschaft“ wird deutlich, dass über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG auch die Lehre gefördert werden kann. Als erschwerende Voraussetzung für eine Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Förderung von Wissenschaft und Forschung an Hochschulen sieht Art. 91b Abs. 1 S. 2 GG ein Zustimmungserfordernis aller Länder vor, welche als Kompensation für die Erweiterung der Fördermöglichkeiten auf die Lehre zu verstehen ist. Inwieweit ein solches Vetorecht eine gemeinsame Förderung über das Instrument der Gemeinschaftsaufgaben der Wissenschaftsförderung an Hochschulen überhaupt noch möglich macht, wird die Zukunft zeigen. Ländern mit Einzelinteressen, wie beispielsweise den Stadtstaaten mit ihren überproportionalen Hochschullasten, ist damit ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel an die Hand gegeben worden. 25. Über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG können Bund und Länder weiterhin die Finanzierung von „Forschungsbauten an Hochschulen einschließlich von Großgeräten“ finanzieren. Nach dem die Gemeinschaftsaufgabe des Hochschulbaus gem. Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG (a.F.) weggefallen ist, liegt die Verantwortung in diesem Bereich wieder bei den Länderparlamenten. Wie fortan die genaue Abgrenzung von förderungsfähigen Forschungsbauten zu „normalen“ Hochschulbauten vorgenommen werden soll, bleibt jedoch unklar. Eine eindeutige Widmung von Gebäuden als Forschungsgebäude ohne Lehrbezug geht an der Hochschulrealität vorbei. Labore, Spezialbibliotheken und Konferenzräume werden immer auch zu Lehrzwecken benutzt werden, womit man aber nicht den Gegenschluss ziehen darf, dass ihre Bauförderung über Art. 91b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG von vornherein unzulässig ist. Vielmehr wird man den eindeutigen Schwerpunkt der geplanten Gebäudenutzung ermitteln müssen. Wenn das Ergebnis der
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Prüfung ergibt, dass der geplante Bau weit überwiegend zum Zwecke der Forschung gebaut werden soll, müssen eventuell später anfallende Nutzungen der Forschungseinrichtung zu Lehrzwecken als unvermeidliche Begleiterscheinung in Kauf genommen werden. 26. In Art. 91b Abs. 2 GG wurde in Folge der Föderalismusreform I die im Rahmen der letzten großen Finanzreform im Jahr 1969 eingeführte, aber nicht realisierte Gemeinschaftsaufgabe gesamtstaatlicher „Bildungsplanung“ gestrichen. Dem Bund sind durch diese Streichung in Kombination mit der Beschränkung der Finanzhilfen nach Art. 104b GG auf Bereiche, für die dem Bund die Gesetzgebung zukommt, jegliche finanzielle Einflussmöglichkeiten auf die Schulen genommen worden. Einzig die Mitwirkung des Bundes bei der zukunftsorientierten gemeinsamen Evaluation und Bildungsberichterstattung zur Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich wurde in Art. 91b Abs. 2 GG normiert. Insgesamt handelt es sich bei dieser Novellierung um eine massive Rückverlagerung von Kompetenzen im Bildungsbereich auf die Länder, die ideologisch motivierten Regierungsprogrammen ihre Rechtsgrundlage entzieht. Für die wegfallenden Mittel der Bildungsplanung werden gem. Art. 143c GG Kompensationszahlungen vom Bund an die Länder geleistet. 27. Der neu eingefügte Art. 91b Abs. 3 GG sieht vor, dass die Kostentragung in der jeweiligen Vereinbarung über eine Mischfinanzierung geregelt wird. Im Vergleich mit der Vorgängerregelung des Art. 91b S. 2 (a.F.) unterscheidet er sich im Wortlaut insoweit, dass jetzt die „Kostentragung“ und nicht mehr wie früher die „Aufteilung der Kosten“ in der Vereinbarung über eine Zusammenarbeit zu regeln ist. Durch den Begriff „Kostentragung“ wird klargestellt, dass der Bund im Rahmen der Vereinbarung grundsätzlich mit der Zustimmung aller Länder auch alleine fördern darf. Die Frage, ob Abs. 3 über die Zweckausgaben auch die Verwaltungsausgaben mit umfasst, ist zu verneinen, da Art. 104a Abs. 5 S. 1 GG als lex specialis eine Anwendung des Art. 91b Abs. 3 GG ausschließt. 28. Dem Bund ist es nach dem in der Föderalismusreform I neu eingefügten Art. 104b GG (ex Art. 104a Abs. 4 GG) grundsätzlich untersagt, über Finanzhilfen allgemeine wirtschafts-, raumordnungs- oder strukturpolitische Ziele insbesondere im Bereich der Länderkompetenzen durchzusetzen. Die Neugestaltung des Art. 104b GG wirkt sich im Besonderen durch die verschärften Anforderungen an die Zahlung von Finanzhilfen einseitig zu Lasten der Länder aus. Dennoch ist es durch die Neuregelung grundsätzlich gelungen, die Bundesfinanzhilfen über das Mittel der Befristung und der Pflicht zur degressiven Ausgestaltung auf ihre zugedachte Funktion als eine nicht in Konkurrenz zum Finanzausgleich stehende, zeitlich begrenzte Hilfe zurückzuführen. Als Reaktion auf die globale Wirtschafts- und Finanzkrise normierte der Bundesgesetzgeber im Rahmen der Föderalismusreform II in Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG einen Aufhebungstatbestand für die Beschränkung der Gewährung von Finanzhilfen auf Bereiche, in denen dem
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Bund die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG ermöglicht es dem Bund, im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen im Sinne des Art. 109 Abs. 3 S. 2 GG (n.F.) und Art. 115 Abs. 2 S. 6 (n.F.), d. h. insbesondere bei einer schwerwiegenden Finanz- und Wirtschaftskrise, auch in den Bereichen, in denen er keine eigene Gesetzgebungskompetenz hat, den Ländern Investitionshilfen gewähren zu können. 29. Das im Ermessen des Bundes liegende Instrument der Finanzhilfen in Art. 104b GG unterscheidet sich zu Art. 104a Abs. 3 GG durch seine Projektbezogenheit. Finanzhilfen nach Art. 104b GG sind für bestimmte Investitionen zweckgebundene Zuwendungen des Bundes. Der Bund ist hierbei einzig zur finanziellen Mitwirkung an dem für förderungswürdig erachteten Projekt befugt. Die Finanzierungskompetenz des Bundes ist jedoch auf drei Förderziele begrenzt. 30. Der weite Interpretationsspielraum der Förderziele des Art. 104b GG ist problematisch. Ist die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts als Voraussetzung für die Gewährung von Bundesfinanzhilfen noch eingrenzbar, verhält es sich mit den anderen beiden Alternativen, dem Ausgleich der unterschiedlichen Wirtschaftskraft im Bundesgebiet und der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums genau umgekehrt. Das BVerfG sah sich deshalb dazu veranlasst, klarzustellen, dass Finanzhilfen des Bundes für Länderaufgaben in einer bundesstaatlichen Finanzordnung die Ausnahme darstellen und somit strikt zu begrenzen sind. Bei einer „extremen Haushaltsnotlage“ eines Landes sollten die Finanzhilfen als ein adäquates Mittel der Hilfeleistung einsetzbar sein. Dies gilt auch nach der aktuellen Entscheidung des BVerfG zu den Finanzhilfen. 31. Für die Gewährung von Bundesfinanzhilfen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung müssen gem. Art. 74 GG im Regelfall auch die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Nach der gegenwärtigen Fassung des Art. 104b Abs. 1 GG ist das Vorliegen einer Bundeskompetenz maßgeblich, womit auch Art. 72 Abs. 2 GG beachtet werden muss. In den Bereichen, in denen der Bund Kompetenzen im Bildungsbereich hat (nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 33 GG – „Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse“), bleibt die Förderungsmöglichkeit nach Art. 104b GG bestehen. 32. Nach Art. 104b Abs. 2 S. 2 und 3 GG müssen Finanzhilfen nun befristet werden und dürfen nur noch degressiv ausgestaltet sein. Hierbei stehen die Einschränkungen in der Ausgestaltung der Finanzhilfen mit ihrer Intention, der Verfestigung von Bundesförderungen entgegenzutreten, in einem gewissen Wertungswiderspruch zu den in Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG genannten Förderzielen, die mitunter auch längerfristige Finanzhilfen erfordern. Es ist zweifelhaft, ob die durch die Befristung und degressive Ausgestaltung der Finanzhilfen bezweckte Begrenzungsfunktion in letzter Konsequenz greift. Bei Auslaufen von Finanzhilfen steht Art. 104b GG einer erneuten Gewährung ebendieser unter den beiden Einschränkungen nicht entgegen, obwohl das Ausgangsförderziel noch vorliegt.
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33. Reformbedingte verfahrensrechtliche Änderungen zur Gewährung von Finanzhilfen ergeben sich aus Art. 104b Abs. 2 S. 2 2. Hs. und Abs. 3 GG. Zur Durchführung der finanziellen Hilfeleistung ist wie bisher grundsätzlich nach Art. 104b Abs. 2 S. 1 GG ein Gesetz zu erlassen, dem die Länder im Bundesrat zustimmen müssen. Neu ist die in Art. 104b Abs. 2 S. 2 2. Hs. GG vorgesehene Überprüfungspflicht, nach der die gewährten Finanzhilfen in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen sind. Über das vorgesehene Überprüfungsinstrumentarium wird anhand von zu formulierenden Zielvorgaben insbesondere die vorgesehene Inanspruchnahme und zweckmäßige Verwendung der Bundesmittel kontrolliert werden. Da dem Wortlaut der Regelung nicht zu entnehmen ist, wer für die Überprüfung zuständig ist, kann man davon ausgehen, dass es sich nach Sinn und Zweck der Regelung hierbei einzig um die die Bundesfinanzhilfen gewährende Stelle handeln muss. 34. Der neue Art. 104b Abs. 3 GG sieht zur Durchsetzung der Überprüfungspflicht ein umfassendes Unterrichtungsrecht von Bundestag, Bundsregierung und Bundesrat gegenüber den Empfängerländern vor. Folgt man dem BVerfG, ist ausschließlich das Land als Empfänger von Bundesfinanzhilfen und somit nicht die angeschlossene mittelbare und unmittelbare Landesverwaltung hierzu verpflichtet. Unter Einhaltung dieser Vorgaben ist ausschließlich das Land bzw. seine Regierung als Adressat des Unterrichtungsanspruches der in Art. 104b Abs. 3 GG bezeichneten Bundesorgane anzusehen. Die bislang gängigen Beispiele, in denen Bundesfinanzhilfen geleistet werden, müssen daher nach Maßgabe der erfolgten Eingrenzung auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden. Für eine Beteiligung des Bundes an der Seehafenfinanzierung nach Art. 104b GG könnte somit entgegen einem realen gesamtstaatlichen Investitionsinteresse nach dem Jahr 2019, mit Ausnahme der Fälle von Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG, kein Raum mehr bestehen, wenn man der Auffassung folgt, der Betrieb der Häfen läge in der ausschließlichen Kompetenz der Länder. 35. Zu einer tief greifenden Veränderung der Finanzströme zwischen Bund und Ländern wird es durch den neu gefassten Art. 104b GG in absehbarer Zeit vor allem im Kulturbereich und im Bereich der schulischen Bildung kommen. Nach der Neuregelung ist z. B. die Auflage eines neuen Ganztagsschul-Investitionsprogramms ist definitiv nicht mehr zulässig, weil das Schulwesen Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder ist. Die bestehende Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung über ein Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ vom 29. April 2003 soll laut Gesetzesbegründung aufgrund der Übergangsregelung des Art. 125c Abs. 2 S. 2 GG weiter gelten. Dort, wo der Bund im Bildungsbereich Kompetenzen hat (außerschulische berufliche Bildung und Weiterbildung, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse), sind unter den Voraussetzungen des Art. 104b GG Finanzhilfen weiterhin zulässig, weil in diesen Bereichen keine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder besteht. Auch die gemeinsame Kulturförderung von Bund und Ländern bleibt von einer Neuregelung unberührt.
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36. Es gibt keine ungeschriebenen (Mit-)Finanzierungszuständigkeiten des Bundes. Finanzhilfen des Bundes sind nur zulässig „soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Verfassungsgesetzgeber über die im Grundgesetz normierten Finanzierungszuständigkeiten des Bundes keine weiteren ungeschriebenen Kompetenzen vorsieht. 37. Die Verteilung der Ausgabenkompetenzen für Zahlungsverpflichtungen gegenüber der EG war bisher nicht explizit im Grundgesetz geregelt. Mit Art. 104a Abs. 6 GG und Art. 109 Abs. 5 GG wurden im Rahmen der Föderalismusreform I zwei sich ergänzende Regelungen eingeführt, deren Ziel es ist, anfallende gemeinschaftsrechtliche Zahlungsverpflichtungen zumindest in Teilbereichen den verschiedenen Ebenen im Bundesstaat klar zuzuordnen. Es finden sich seitdem im Grundgesetz erstmalig Regelungen, die vorgeben, wer innerstaatlich für Zahlungsverpflichtungen Deutschlands gegenüber der EG einzustehen hat. Hierbei gilt es zu differenzieren. Zum einen ist zu klären, wer innerstaatlich die Lasten zur Finanzierung der Gemeinschaft zu tragen hat, zum anderen, wer die eventuell entstehenden Kosten beim innerstaatlichen Vollzug sekundären Gemeinschaftsrechts trägt. 38. Die Betrachtung von Art. 269 EGV, Art. 23 GG und Art. 32 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 104a Abs. 1 GG ergibt, dass die innerstaatliche Finanzierungsverantwortung für den Finanzierungsanteil Deutschlands zur Finanzierung der EG beim Bund liegt. Versuche des Bundes, eine Länderbeteiligung durchzusetzen, sind bisher mit dem Hinweis, dass diese Haushaltsbelastung indirekt über die Verteilung der Umsatzsteuer berücksichtigt wird, gescheitert. 39. Keine größeren Probleme bereitet die innerstaatliche Zuordnung der Lastentragung beim mittelbaren Vollzug des sekundären Gemeinschaftsrechts. Hier bedarf der Gemeinschaftsrechtsakt immer noch eines nationalen Umsetzungsrechtsaktes, womit die allgemeinen Regeln der Art. 30, 83 ff. GG Anwendung finden. Da es sich somit um den Vollzug deutschen Rechts handelt, regelt sich die Lastentragungspflicht grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Art. 104a GG. Die Frage, wer bei unmittelbar geltendem sekundärem Gemeinschaftsrecht innerstaatlich zur Lastentragung der Vollzugskosten verpflichtet ist, wird im Grundgesetz bisher nicht geregelt. Hier liegt die Verwaltungskompetenz in analoger Anwendung der Art. 83 ff. GG grundsätzlich bei den Ländern. Da sich der innerstaatliche Vollzug unmittelbaren Gemeinschaftsrechts analog nach den Art. 83 ff. GG richtet, gilt für die Lastentragung grundsätzlich das Konnexitätsprinzip gem. Art. 104a Abs. 1 GG, soweit nicht eine abweichende Lastenverteilung nach Art. 91a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 GG greift. Bei unmittelbar zu vollziehenden Gemeinschaftsrechtsakten, die die Gewährung von Geldleistungen vorschreiben, ist aber ein direkter Rückgriff auf Art. 104a Abs. 3 GG nicht möglich, da dieser nur für Bundesgesetze gilt. In Anbetracht der Tatsache, dass es an einer spezifischen verfassungsrechtlichen bzw. gesetzlichen Regelung für diesen
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Fall bislang fehlt, bleibt es beim unmittelbaren Vollzug von Gemeinschaftsrecht nach Art. 104a Abs. 1 GG bei der vollen Lastentragung durch die Länder, soweit nicht der Bund für den Verwaltungsvollzug zuständig ist. 40. Der im Rahmen der Föderalismusreform I neu eingefügte Art. 104a Abs. 6 GG regelt erstmalig die innerstaatliche Lastentragung bei der Verletzung supranationaler oder völkerrechtlicher Pflichten. Der Anwendungsbereich des Art. 104a Abs. 6 GG erfasst jegliches Handeln von Bund und Ländern, d. h. exekutives, legislatives und judikatives Handeln, welches gegen supra- oder völkerrechtliche Verpflichtungen verstößt. Die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander folgt dem Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeitsund Aufgabenverteilung, d. h. vor allem nach den Art. 30, 70 ff., 83 ff. GG. 41. Die Folgen einer Pflichtverletzung trifft aufbauend auf dem Gedanken des Verursacherprinzips somit grundsätzlich diejenige Körperschaft, in deren Verantwortungsbereich sie sich ereignet hat. Ein Verschulden seitens der betroffenen Gebietskörperschaft (Bund oder Länder) ist für die innerstaatliche Haftungsverantwortung nicht erforderlich. Das Prinzip der innerstaatlichen Zuständigkeitsund Aufgabenverteilung gilt laut Gesetzesbegründung explizit vertikal und horizontal für alle Fälle legislativen, judikativen und exekutiven Fehlverhaltens, womit Art. 104a GG nicht nur im Bund-Länder-Verhältnis gilt. 42. Bei Fällen länderübergreifender Finanzkorrekturen durch die EG gilt nach Art. 104 Abs. 6 S. 2 und 3 GG als Ausnahme vom Verursacherprinzip eine Solidarhaftung. Ihre Bewährungsprobe wird die Regelung haben, wenn mehre Gebietskörperschaften für die Verletzung supra- oder internationaler Verpflichtungen verantwortlich sind. Hier wird über die einfachgesetzlichen Regelungen eine möglichst gerechte Methode der Ermittlung sowie der innerstaatlichen Zuordnung der Verursachungsbeiträge normiert werden müssen, um größeren Konflikten unter den Beteiligten vorzubeugen. 43. Art. 109 Abs. 5 GG sieht vor dem Hintergrund der Haushaltsautonomie von Bund und Ländern eine Sonderregelung hinsichtlich der innerstaatlichen Wirkung der Maastricht-Kriterien nach Art. 104 Abs. 11 EGV vor und ist somit lex specialis gegenüber Art. 104a Abs. 6 GG. 44. Zurzeit entfallen ca. 40% der Gesamtverschuldung auf die Länder. Diese Tatsache in Kombination mit der einfachgesetzlich in § 51a HGrG für Bund und Länder normierten Verpflichtung, die Haushaltsdisziplin im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion einzuhalten, rechtfertigt eine Beteiligung der Länder an möglicherweise anfallenden Lasten durch EG-Sanktionen nach Art. 104 Abs. 11 S. 1 lit. 3 und 4 EGV. Das Nähere regelt nach Art. 109 Abs. 5 S. 3 GG (n.F.) ein Bundesgesetz 45. Mögliche Sanktionsmaßnahmen der EG tragen Bund und Länder im Verhältnis 65 % zu 35 %, was ungefähr dem Anteil beider Ebenen an der Gesamt-
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verschuldung der öffentlichen Haushalte beim Jahresabschluss 2005 entspricht. Die Ländergesamtheit trägt von ihrem 35% Anteil wiederum 35 %, der auf die Länder entfallenden Lasten solidarisch entsprechend ihrer Einwohnerzahl. Der Verteilungsmaßstab der Einwohnerzahl findet sich in der Finanzordnung an verschiedensten Stellen wieder, was grundsätzlich für seine Anwendbarkeit auch im Rahmen der Verteilung der Lasten im Rahmen der solidarischen Haftung spricht. Die restlichen 65% der auf die Länder entfallenden Lasten tragen die Länder entsprechend ihrem Verursachungsbeitrag. Der relativ hohe, an den Verursachungsbeitrag gekoppelte Eigenanteil ist ein negativer Anreiz für die Länder, Defizite zu vermeiden; bei einer vollständigen Solidarhaftung der Ländergemeinschaft wäre es möglich, dass sich einzelne Länder bewusst für die Fortführung einer Haushaltspolitik der übermäßigen Defizite entscheiden könnten. 46. Im Vergleich zwischen der europarechtlichen Regelung des Art. 104 EGV und der einfachgesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 S. 3 SZAG besteht eine Divergenz zwischen der Bedeutung des Verursachungsbegriffs. Liegt im Gemeinschaftsrecht eine zur Verhängung von Sanktionen berechtigende Verursachung grundsätzlich vor, wenn ein Mitgliedstaat die vom Rat vorgegebenen Maßnahmen zur Beseitigung eines übermäßigen Defizits in letzter Konsequenz nicht umgesetzt hat, reicht innerstaatlich gem. § 2 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 SZAG fortan allein das Vorliegen eines Haushaltsdefizits auf Länderseite für eine erhöhte Beteiligung der Länder an den Sanktionslasten aus. Es bedarf also vieler Faktoren, damit ein Mitgliedstaat überhaupt Sanktionen gem. Art. 104 Abs. 11 EGV ausgesetzt wird; sollten aber Sanktionen gegen Deutschland verhängt werden, dann können die Länder relativ schnell in die erhöhte Lastenbeteiligung nach Art. 109 Abs. 5 S. 2 2. Hs. GG (n.F.) geraten. Die Intention des einfachen Gesetzgebers, durch die Verwendung eines vom EG-Recht abweichenden Verursachungsbegriffs die Länder anzuhalten, ihrerseits Defizite zu vermeiden, ist eine zulässige Konkretisierung von Art. 109 Abs. 5 GG. 47. Wendet man § 2 Abs. 1 S. 3 SZAG in der jetzigen Fassung auf eine Situation an, in der nur noch eines der 16 Länder ein Haushaltsdefizit aufweist, müsste es alleine die verursachungsabhängigen 65% des 35 % – Länderanteils an den Sanktionslasten tragen. Eine hieraus resultierende Finanzkraftverschiebung zwischen den Ländern ist unter systematischen Aspekten grundsätzlich inakzeptabel, da die Lastenverteilung als staatliche Ausgabenregelung keinen direkten Einfluss auf den zu den Einnahmeregelungen gehörenden horizontalen Finanzausgleich haben darf. Inhaltliche Abhilfe könnte, wenn man den Systembruch übergehen will, nur durch eine weitere Ausdifferenzierung der Regelung bei gleichzeitig abnehmender Zahl von Ländern mit Haushaltsdefizit geschaffen werden. Hierbei müsste der nach der Verursachung ermittelte Länderanteil gemessen an der Relation zum Gesamtdefizit gegebenenfalls zu Lasten des Bundesanteils reduziert werden.
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48. Durch die Aufnahme der Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 3 SZAG verfehlt der Gesetzgeber sein Ziel, Anreize zur Defizitvermeidung zu schaffen. Inwieweit diese Ausnahmeregelung Anwendung findet, bleibt vor dem Hintergrund der geänderten Rechtsprechung des BVerfG zum Vorliegen einer „extremen Haushaltsnotlage“ abzuwarten. Die erfolgte erhebliche Verschärfung der erforderlichen Kriterien zur Feststellung einer „extremen Haushaltsnotlage“ (wird jetzt als „bundesstaatlicher Notstand“ bezeichnet), macht eine Anwendung der Ausnahme des § 2 Abs. 3 SZAG fast unmöglich. 49. Hinsichtlich der staatlichen Einnahmen wurde den Ländern im Rahmen der Föderalismusreform I im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG die Ertragskompetenz zur Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom Bund übertragen. Ziel dieser Maßnahme ist eine Stärkung der regionalen Steuerautonomie, welche am bisherigen Steueraufkommen gemessen eher experimentellen Charakter haben dürfte. Bedenklich ist hierbei, dass es nun in einem weiteren Bereich zu einem Steuerwettbewerb kommt, ohne zuvor vergleichbare Ausgangsbedingungen geschaffen zu haben. Es wäre sinnvoll gewesen, diesen Teilbereich im aufeinander abgestimmten Rahmen einer umfassenden Reform der Finanz- und Haushaltsordnung zu regeln. Ferner ist an der Neuregelung problematisch, dass sie nicht auf das Verfahren nach Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG abgestimmt worden ist. Der Wortlaut des Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG lässt den Umkehrschluss zu, dass das Verfahren nach Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG nicht zur Verfügung stand. Dieser Umkehrschluss kann nicht im Sinne des Verfassungsgesetzgebers gelegen haben, womit auch weiterhin davon auszugehen ist, dass die volle Gesetzgebungskompetenz über die Grunderwerbsteuer gem. Art. 125 Abs. 2a S. 2 GG durch einfaches Bundesgesetz auf die Länder übertragen werden kann. Hinsichtlich der Bundeskompetenzen gab es keine Änderungen. 50. Aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 72 Abs. 2 GG wird teilweise vertreten, dass sich die ausschließlichen Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder subsidiär auch aus der Grundverteilungsregel des Art. 70 GG ergeben können. Dies hätte zur Folge, dass Art. 105 Abs. 2a GG keine Kompetenzen mehr begründen würde, sondern vielmehr als kompetenzbegrenzende Norm anzusehen wäre. Diese Ansicht widerspricht jedoch der Systematik des Grundgesetzes, da mit Art. 105 Abs. 2a GG gerade eine eigenständige Regelung für die ausschließlichen Steuergesetzgebungskompetenzen der Länder besteht. Art. 105 GG i.V. m. Art. 106 GG sind daher abschließende Regelungen. Ein Rückgriff auf Art. 70 GG ist somit ausgeschlossen. 51. Ein Steuerfindungsrecht von Bund, Ländern und Gemeinden existiert grundsätzlich nicht. Lediglich ein unechtes Steuerfindungsrecht wird zu Recht anerkannt. Bund, Länder und Gemeinden dürfen daher die in Art. 105 GG und Art. 106 GG genannten Steuern ausfüllen und konkretisieren. 52. Neben den Lastenverteilungsregeln und Steuergesetzgebungskompetenzen ist das System des Finanzausgleichs die dritte wichtige Stellschraube in
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der bundesrepublikanischen Finanzordnung. Für das Verständnis dieses Systems ist die Rechtsprechung des BVerfG zum Finanzausgleich von herausragender Bedeutung. 53. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Finanzausgleich ist von den zunehmend komplexer werdenden Problemen des Systems geprägt. In der Abfolge der Urteile hat das Gericht versucht die Finanzordnung zu ordnen und eine Systematik aus dem Normenbestand gebildet. Im Zentrum der bisherigen Entscheidungen steht die Abwägung zwischen der solidarischen Verantwortung von Bund und Ländern füreinander und der Autonomie der Gliedstaaten. 54. Dem ersten Urteil des BVerfG zum horizontalen Finanzausgleich aus dem Jahr 1952 kommt grundlegende Bedeutung zu. In seiner Entscheidung bestätigt das BVerfG erstmalig die grundsätzliche Verfassungsmäßigkeit des im FAG (a.F.) normierten Systems des Länderfinanzausgleichs. Die Rechtspflicht zur Solidarität unter den Ländern in Form der Umverteilung von Finanzmitteln wird vom Gericht aus dem Bundesstaatsprinzip hergeleitet, wobei es dort in Verbindung mit der Haushaltsautonomie der Länder nach Art. 109 Abs. 1 GG auch deren Grenzen verortet. Folgt man der Urteilsbegründung, setzt sich das BVerfG im Kern mit dem Problem der Bundestreue auseinander, ohne diese als solche zu bezeichnen. Das BVerfG hat mit der Leitentscheidung aus dem Jahr 1952 den Weg für die Weiterentwicklung eines immer ausgleichsintensiveren Länderfinanzausgleichs geebnet, wichtige Einzelelemente bestätigt, sowie einige unstimmige Vorgaben der Besatzungsmächte korrigiert. 55. Das BVerfG hat vor dem Hintergrund der über die Jahrzehnte beachtlich gestiegenen Einnahmevolumina aus Steuern und anderen Abgaben mit seinen Urteilen 1986 und 1992 versucht, einzelne Elemente des Finanzausgleichs nach diesem Maßstab zu bewerten und in das Gesamtsystem neu einzuordnen. Der Begründungszwang für einzelne legislatorische Maßnahmen wurde sukzessive erhöht. 56. Das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1986 erklärte nicht alle angegriffenen Normen des Finanzausgleichsgesetzes für mit dem Grundgesetz unvereinbar. Mit seinem Urteil vom 24. Juni 1986 widersprach das BVerfG der zuvor verbreiteten Auffassung, dass die Finanzverfassung bis zur Willkürgrenze dem politischen Kompromiss zugänglich sei. Es schuf in dem Geflecht der für den Finanzausgleich relevanten Normen erstmalig eine nachvollziehbare, systematisch aufgebaute Struktur. Durch die z.T. sehr ausführliche Urteilsbegründung wurden einige Elemente als feste Bestanteile des Finanzausgleichsystems bestätigt, andere hingegen verworfen. U.a. stellte die vom Gericht mit Art. 107 Abs. 2 S. 1 GG für vereinbar erklärte Lohnsteuerzerlegung nach dem Wohnsitzprinzip eine wichtige Weichenstellung für die Finanzausstattung der Stadtstaaten dar. Die in den Stadtstaaten arbeitenden Pendler haben demnach ihre Lohnsteuer in ihren Wohnsitzländern zu entrichten, was die Steuerkraft der Länder, in denen sich die
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Arbeitsstätte befindet, schmälert. Auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs wurde die Einwohnerwertung bei der Finanzkraftberechnung der Länder gem. § 9 Abs. 2 FAG (a.F.) vom Gericht bestätigt, wohingegen Sonderlasten im Länderfinanzausgleich mit Ausnahme der Seehafenlasten grundsätzlich unberücksichtigt bleiben müssen. Sie dürfen nur auf der vierten Stufe des Ausgleichssystems einbezogen werden. 57. Im Vergleich zu den vorherigen Entscheidungen befasste sich das BVerfG in seinem Urteil vom 27. Mai 1992 mit sehr speziellen materiell-rechtlichen Fragen des Finanzausgleichs. Der vereinzelt geäußerte Vorwurf, das Gericht habe mit dieser Entscheidung den juristischen Kontrollmaßstab überdehnt, ist daher nicht ganz von der Hand zu weisen. Im Einzelnen hat das Gericht nur wenige der angegriffenen Normen des FAG für verfassungswidrig erklärt und somit grundsätzlich das System des Finanzausgleichs mit seiner Entscheidung bestätigt. Von besonderer Bedeutung im Kontext mit den später folgenden Entscheidungen sind die Ausführungen des Gerichts zur Feststellung einer Haushaltsnotlage Bremens und des Saarlands und die damit einhergehenden Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 11a Abs. 2 und 3 FAG (a.F.). In dem das Gericht mit seinem Urteil eine Haushaltsnotlage der beiden Länder von extremem Ausmaß anerkannte, hat es den Bund und die übrigen Länder in sehr weitem Maße zur Solidarität verpflichtet, die Notlage zu beseitigen. Der Entscheidung folgend, erfordert die extreme Situation der Haushaltsnotlage (welche sich scheinbar aus einer zeitlichen Betrachtung – Haushaltsnotlage über mehrere Jahre – ergibt) neben dem Rückgriff auf die Bundesergänzungszuweisungen einen Einsatz weiterer Finanzierungsinstrumente. Das BVerfG fordert in dieser Entscheidung zum ersten Mal die Einführung einer einfachgesetzlichen Regelung von Haushaltsnotlagen und weist darüber hinaus ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Länderneugliederung nach Art. 29 GG hin. 58. Eine Ausnahme stellt insoweit das erste Urteil des BVerfG unter Einbeziehung der ostdeutschen Bundesländer aus dem Jahr 1999 dar, welches aufgrund des daraus hervorgegangenen MaßstG in der Nachschau als wirkungslos bezeichnet werden kann und keine Fortentwicklung für den Finanzausgleich gebracht hat. Die zentrale Aussage des Urteils ist, dass das Finanzausgleichsgesetz die in Art. 106 und Art. 107 GG vorgegebenen Maßstäbe bis dahin nicht mit hinreichender Deutlichkeit bestimmt hatte und daher nur noch als Übergangsrecht anwendbar war. Zur Abhilfe der Problematik entwickelt das Bundesverfassungsgericht ein eigenes Modell bestehend aus drei aufeinander aufbauenden Rechtsquellen. Zwischen dem Grundgesetz und dem Finanzausgleichsgesetz soll danach eine rechtliche Ebene geschaffen werden, die bestimmte Maßstäbe des Finanzausgleichs längerfristig festschreibt. Auffällig ist hierbei, dass das Gericht bei den einzelnen Vorgaben für ein solches Maßstäbegesetz fast ausschließlich auf seine Aussagen zum Finanzausgleichsystem in den beiden vorherigen Entscheidungen verweist und somit den Weg zu deren Normierung zu ebnen versucht. Dem
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Ansatz des Gerichts, ein normativ und zeitlich abgestuftes Regelwerk auf drei Ebenen zu installieren, ist zu entgegnen, dass eine Selbstbindung des Gesetzgebers dem Demokratieprinzip zuwiderlaufen würde, weil das Gesetz jeder Zeit durch neue parlamentarische Mehrheiten abänderbar sein muss. Ferner sieht der dem Grundgesetz zu entnehmende Teil der Normenhierarchie zwischen Gesetzen mit Verfassungsrang und einfachen Gesetzen keine weitere Kategorie von „Supergesetzen“ vor. 59. Mit seiner aktuellen Rechtsprechung aus dem Jahr 2006 knüpft das BVerfG wieder an seine Urteile von 1986 und 1992 an. Unter Beachtung der sich verschlechternden Haushaltslage von Bund und Ländern hat das Gericht insbesondere durch die Stärkung der Eigenverantwortung der Länder die Hürde für die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen für die Sanierung von Länderhaushalten erheblich verschärft. Im Kern der Entscheidung wird dem bündischen Prinzip des Einstehens füreinander eine Grenze in der Länderselbstverantwortung aufgezeigt, womit das BVerfG seine zuvor von einem kooperativen Bundesstaatsmodell geprägten Entscheidungen hin zu mehr Länderautonomie und Eigenverantwortung korrigiert hat (kompetitiver Ansatz). In seinem Urteil vom 19. Oktober 2006 stellt das BVerfG vor allem den Ausnahmecharakter von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanierung nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG in das Zentrum seiner Entscheidung, indem es ausführt, dass Bundesergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG eigentlich kein spezielles Instrument zur Sanierung Not leidender Haushalte sind. Das gesamte System des Finanzausgleichs sei mit der Bewältigung von Haushaltsnotlagen überfordert. Nur im Ausnahmefall („bundesstaatlicher Notstand“) nach Maßgabe eines strengen ultima-ratioPrinzips kommen solche Leistungen des Bundes in Betracht. Materiell-rechtlich sind Sanierungshilfen nach dem Urteil als ultima ratio nur noch zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes relativ – im Verhältnis zu den übrigen Ländern – als extrem zu werten ist und (zumindest in dieser Form weitgehend neu und deshalb zu einer neuen rechtlichen Bewertung zwingend) absolut – nach dem Maßstab der dem Land verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben – ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein „bundesstaatlicher Notstand“ eingetreten ist. Offen bleibt jedoch, wie eine „relative“ Notlage im Einzelnen zu bestimmen ist. 60. Geprägt durch die Entscheidungen des BVerfG ist die Gestaltung des Bund-Länder-Finanzausgleichs dennoch allein Aufgabe der Bundesgesetzgebung. Die Verteilungs- und Umverteilungsprozesse des Finanzausgleichsystems erfolgen mit dem Ziel, den Bund und die Gliedstaaten in die Lage zu versetzen, die ihnen vom Grundgesetz zugedachten Aufgaben auch finanziell eigenständig umsetzen zu können. Das System des Finanzausgleichs wurde zuletzt im Jahr 2001 mit Wirkung zum Jahr 2005 auf einfachgesetzlicher Ebene reformiert.
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61. Im Rahmen der Föderalismusreform I ist es bei den staatlichen Einnahmeregelungen auf der zweiten Stufe des Finanzausgleichs zu einer Änderung des Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG gekommen. Durch die erfolgten Übertragung der Ertragskompetenz zur Festsetzung der Grunderwerbsteuer vom Bund auf die Länder gem. Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG muss bei der Festsetzung der Ergänzungsanteile nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG für die Grunderwerbsteuer die Steuerkraft einbezogen werden. Hintergrund der Verfassungsänderung ist die Vermeidung von Fehlanreizen. Würde man im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs weiterhin auf die tatsächlichen Einnahmen der Grunderwerbsteuer abstellen, wäre damit zu rechnen, dass die Länder die neue Kompetenz in Art. 105 Abs. 2a S. 2 GG dahingehend nutzen, dass sie den Steuersatz der Grunderwerbsteuer zum Standortvorteil senken. Ohne die erfolgte Änderung in Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG würden die zu erwartenden Ausfälle infolge einer Absenkung der Grunderwerbsteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer in den allermeisten Fällen nahezu ausgeglichen werden. Zur Vermeidung solcher Fehlanreize ist die Grunderwerbsteuer in den bundesstaatlichen Finanzausgleich auf Basis einer vorgegebenen Größe, der Steuerkraft, einzubeziehen. Die Einzelheiten zur Ermittlung dieser normierten Einnahmen ergeben sich aus dem ebenfalls geänderten § 5 Abs. 1 MaßstG und § 7 Abs. 1 und 3 FAG. 62. Seit dem Jahr 2005 erfolgt die Verteilung der Ergänzungsanteile an steuerkraftschwache Länder nach einem Tarif, der auf Vollauffüllung verzichtet und zugleich eine anteilige Auffüllung bis zur durchschnittlichen Steuerkraft vorsieht. Es kommt bei einer bis zu 50%-igen Steuerkraft vor Verteilung der Umsatzsteuerergänzungsanteile fortan zu einer 95% bis 97 %-igen Auffüllung des Länderdurchschnitts im Rahmen des Umsatzsteuervorausgleichs. Wenn die Steuereinnahmen des Landes nach § 2 Abs. 1 S. 1 FAG je Einwohner jedoch mindestens 97 % der Ländergesamtheit betragen, erfolgt eine Auffüllung nur noch nach einem linear stetig fallenden Satz von 95% bis 60 %. 63. Auf der dritten Stufe des Finanzausgleichs ist bei der Berechnung der Finanzkraftmesszahl ein Abzug der Hafenlasten von der Finanzkraft seit dem Jahr 2005 nicht mehr möglich. Dafür gibt es jetzt nach § 7 Abs. 3 S. 3 FAG eine Anreizprämie für überproportionale Steuereinnahmen gegenüber dem Vorjahr. Somit bleiben für jedes Land 12% der überproportionalen Steuereinnahmen je Einwohner gegenüber dem Vorjahr bei der Berechnung der Finanzkraftmesszahl unberücksichtig. 64. Die Bemessung der Ausgleichzuweisungen und Ausgleichbeiträge im Länderfinanzausgleich erfolgt abschließend nach Maßgabe von § 10 FAG. Bestehende Fehlbeträge von „Nehmerländern“ werden nach dem seit 2005 geltenden Recht nur noch zu höchstens 75% aufgefüllt, wobei dies nur bei einer Ausgleichsmesszahl von bis zu 80% möglich ist. Mit steigender Ausgleichsmesszahl sinkt der Grenzausgleichsatz stetig bis zu 44% (bei einer Ausgleichsmesszahl von 93 % bis 100 %).
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65. Auf der vierten Stufe des Finanzausgleichs erhalten die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gem. § 12 Abs. 5 MaßstG und § 11 Abs. 3 FAG momentan wegen der schlechten Finanzkraft noch notwendige Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft. Die degressiv ausgestalteten Zuweisungen erfolgen in den Jahren 2005 bis 2019, wobei das Gesamtvolumen über die Jahre von ca. 10,53 Mrd. € (2005) jährlich auf 2,096Mrd. € (2019) abschmilzt. Der jährliche Gesamtbetrag wird nach festgelegten Quoten auf die empfangsberechtigten Länder aufgeteilt. Ferner erhalten die Länder Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gem. § 11 Abs. 3a FAG im Zeitraum von 2005 bis 2009 Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und die daraus entstehenden überproportionalen Lasten bei der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige in Höhe von 128 Mio. € bis 319 Mio. € jährlich. Inwieweit sie darüber hinaus gewährt werden und in welcher Höhe die Sonderlasten dieser Länder ab dem Jahr 2011 auszugleichen sind, wird gem. § 11 Abs. 3a S. 2 FAG im Jahr 2010 überprüft. 66. Vor allem die Betrachtung der Finanzdaten zeigt, dass die Finanzordnung reformbedürftig ist. Obwohl die Einnahmen- und Ausgabenbetrachtung für den öffentlichen Gesamthaushalt im Jahr 2007 seit Jahrzehnten wieder einen Finanzierungsüberschuss von 11,3 Mrd. € ausweist, zeigt sich im Ergebnis, dass trotz vorhandener Mittel bisher keine aufgabenadäquate Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander besteht. Die Mehrheit der Bundesländer ist seit langem nicht mehr in der Lage, die ihnen obliegenden Aufgaben aus eigenen Mitteln wirksam zu erfüllen. Als Indikator dienen hierfür neben dem beim Bund und den meisten Bundesländern kontinuierlich zu verzeichnenden Anstieg der Verschuldung durch die Aufnahme von Krediten die Zuweisungen im Länderfinanzausgleich. Im Jahr 2006 standen fünf Geberländern (wovon Hessen, Baden-Württemberg und Bayern die Hauptlast trugen) 11 Nehmerländer gegenüber. Finanzierungslücken in den Länderhaushalten werden inzwischen vermehrt durch Einmalerlöse überbrückt. Der Bund kann aufgrund der gegenwärtigen Steuerkompetenzverteilung im Gegensatz zu den Ländern im Bedarfsfall besser auf Finanzierungslücken reagieren. Nach der letzten großen Reform aus dem Jahr 1969 ist das einzige wirksame und flexible Element der originären Steuerverteilung die Verteilung der Umsatzsteuer. Über 90% der Länderhaushaltsmittel sind inzwischen durch Tilgungszahlungen und die Kosten der Leistungsverwaltung gebunden. Der ihnen durch die Autonomieverbürgung eigentlich zugedachte eigene Gestaltungsspielraum ist somit de facto stark eingeschränkt. 67. Dem Freiheits- und Bundesstaatsprinzip lässt sich ebenfalls ein Gebot für eine Reform der Finanzordnung entnehmen. Die sich gegeneinander aufwiegen-
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den Ausprägungen zentraler Verfassungsprinzipien sowohl beim Freiheits- als auch beim Bundesstaatsprinzip führen dazu, dass diese auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankerten Prinzipien dem finanzordnungsändernden Gesetzgeber grundsätzlich einen weiten Spielraum bei der künftigen Gestaltung der Finanzordnung geben. Es lassen sich dennoch abwägungsleitende Prinzipien für künftige Reformen der Finanzordnung aus ihnen entnehmen. Hierzu zählt u. a., dass Verteilungskonflikte zwischen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften nicht unbegrenzt so gelöst werden dürfen, dass man durch die Aufnahme von Krediten künftige Steuerzahler für die heutige Aufgabenerfüllung zahlen lässt. Die vorhandenen Finanzmittel müssen nach dieser Prämisse vor allem über den primären Finanzausgleich bedarfsgerechter verteilt werden, was zunächst die Herstellung von Transparenz zur Ermittlung des wirklichen Finanzbedarfs der einzelnen öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften voraussetzt. 68. Der rechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform der Finanzordnung ist groß. Abgesehen von der obligatorischen Beachtung der Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 1 GG hat der Verfassungsgesetzgeber freie Hand bei der Umgestaltung der Finanzordnung. 69. Bei finanziellen Ansprüchen und Kompetenzabgrenzungsfragen zwischen Bund und Ländern ist grundsätzlich nicht auf den allgemeinen Strukturgrundsatz des Bundesstaatsprinzips abzustellen, sondern es finden überwiegend dessen spezielle Ausprägungen in der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) Anwendung. 70. Aus Art. 20 Abs. 1 GG lässt sich aber eine Pflicht zu einer aufgabengerechten Aufteilung der vorhandenen Finanzmittel zwischen Bund und Ländern herleiten. Diese Verpflichtung beinhaltet das Gebot, dass Ausgaben jeweils derjenigen Ebene im Bundesstaat zugewiesen werden müssen, auf der sie in Ausführung der von der sachlichen Kompetenzordnung zugewiesenen Aufgaben veranlasst werden (Veranlassungsprinzip) und umfasst zusätzlich das Erfordernis der Kongruenz von Einnahmen und Ausgaben, d. h. dass die Einnahmeverteilung entsprechend den aus den Aufgabenkompetenzen resultierenden Ausgaben erfolgt, damit die Selbstfinanzierung von Bund und Länder gewährleistet ist (Deckungsprinzip). 71. Eine Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss allgemein das Ziel verfolgen, den Staat bei Rückführung der Staatsquote zu verschlanken und die Staatsverschuldung zu senken. Dies muss über eine Autonomiestärkung der Ebenen im Bundesstaat erfolgen. Hierbei ist eine Neujustierung auf der Einnahmen- und Ausgabenseite u. a. nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz zu beachten. Reformvorschläge müssen dabei in Einklang mit der bündischen Komponente des „Einstehens füreinander“ gebracht werden. 72. Rechtspolitische Anforderungen an künftige Reformen der Finanzordnung sind aktuell vor allem die Gewährleistung einer aufgabenadäquaten Finanzaus-
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stattung, die Entflechtung der fiskalischen Verantwortungsbereiche, die Stärkung der Eigenverantwortung, die Schaffung von Anreizen zum effizienteren Einsatz von Finanzmitteln und die Schaffung von Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb. 73. Künftige Reformen der Finanzordnung müssen zu einer Änderung sowohl der staatlichen Ausgaben- als auch der Einnahmeregelungen führen. 74. Im Bereich der staatlichen Aufgaben- und Ausgabenregelungen muss vor allem die Zustimmungspflicht der Länder in Art. 104a Abs. 4 GG auf ihre Tauglichkeit in der Praxis überprüft werden. Falls sich herausstellt, dass die Regelung nicht greift, dann ist sie wieder aus dem Grundgesetz zu streichen und durch die Einfügung eines finanziellen Augleichs in Form einer obligatorischen Bundesbeteiligung mit festgeschriebener Beteiligungsquote des Bundes bei Bundesgesetzen über Geldleistungen in Art. 104a Abs. 3 GG zu ersetzen. 75. Die Aufnahme einer Öffnungsklausel in Art. 104a Abs. 3 GG ist zu befürworten. Diese würde die Bundesländer in die Lage versetzen, staatliche Leistungen besser an die regionalen Gegebenheiten anpassen zu können. Das Sozialstaatsprinzip und die Grundrechte garantieren dabei als Untergrenze einer solchen Öffnungsklausel den nicht zu vernachlässigende Schutz des Schwächeren und das Recht auf ein menschwürdiges Dasein. 76. Die negativen Wirkungen der Mischfinanzierung in Form z. B. eines erheblichen Koordinierungs- und Verwaltungsaufwands, ausgabensteigernder Effekte etc. erfordern eine mittelfristige Abschaffung bzw. zunächst eine weitere Rückführung der Finanztransfers des Bundes an die Länder über das Instrument der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a, b GG. 77. Die Regelungen über den Familienleistungsausgleich nach Art. 106 Abs. 3 S. 5 u. 6 GG und den Länderanteil für den Personalverkehr gem. Art. 106a GG sind wegen ihrer insgesamt missglückten Konzeption mangels Verfassungsqualität aus dem Grundgesetz zu streichen. 78. In das Grundgesetz einzuführen ist eine weitergehende Regelung zur Verteilung der Ausgabenkompetenzen bei Zahlungsverpflichtungen aufgrund mittelbar und unmittelbar wirkender gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben. 79. Bei den staatlichen Einnahmeregelungen ist hinsichtlich der Steuergesetzgebungskompetenzen von einer Übertragung der Grundsteuergesetzgebungskompetenz auf die Bundesländer abzuraten. 80. Die Einführung eines Zuschlagsrechts auf die Lohn- und Einkommenssteuer als Stärkung der Länderautonomie ist empfehlenswert. Wegen der Leistungsunterschiede zwischen den Bundesländern sollte die Höhe des Zuschlagsrechts max. 5 % auf den vom Bundesgesetzgeber vorgegebenen Steuersatz festgelegt werden. Von der Einführung weiter gehender Abweichungsmöglichkeiten
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der Länder ist wegen drohender Komplikationen abzuraten. Um den Eigenbehalt der Länder an dem Mehrbetrag an der Lohn- und Einkommenssteuer zu gewährleisten, dürfen die durch die Zuschläge erwirtschafteten Einnahmen der Länder im Finanzausgleichsystem nicht berücksichtigt werden. 81. Die Einführung einer Zuschlagsregelung zur Stärkung der Länderautonomie würde bestehende Leistungsunterschiede zwischen den Ländern wahrscheinlich verstärken. Die Einführung eines Entschuldungsfonds könnte insoweit vergleichbare Startbedingungen für den mit der Einführung von Zuschlagsrechten einhergehenden Wettbewerb schaffen. 82. In die Diskussion über die Ausweitung der Länderautonomie sind die Kommunen in die Planungen einzubeziehen, da ansonsten den Ländern und den Kommunen Steuergesetzgebungskompetenzen und / oder Zuschlagsrechte auf dieselben Steuern eingeräumt werden. 83. Zur Flexibilisierung bietet es sich an, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG dahingehend zu reformieren, dass die Möglichkeit des Bundes zur Erhebung von Ergänzungsabgaben auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer in einen flexiblen „Bundeszuschlag“ analog dem Länderzuschlagsrecht inklusive Höchstgrenze umgestaltet wird, der nicht nur bei schwieriger Haushaltslage, sondern im allgemeinen Bedarfsfall erhoben werden kann. 84. Das bestehende System des Finanzausgleichs bedarf keiner grundlegenden Änderung, sondern muss behutsam weiter entwickelt werden. In Abstimmung zu den hier vorgeschlagenen Änderungen in der Finanz- und Haushaltsordnung gilt es, für die Zukunft einen vereinfachten und etwas mehr an der Eigenleistung von Bund und Ländern orientierten Finanzausgleich zu gestalten. Wie aufgezeigt ist das gegenwärtige System des Finanzausgleichs durch bestehende Fehlanreize wachstums- und leistungshindernd, sehr undurchsichtig und in Auszügen widersprüchlich. 85. Ein Wechsel zu einem Steuertrennsystem würde den schon jetzt bestehenden Abstand in der Steuerkraft zwischen den steuerschwachen ostdeutschen Flächenländern und den steuerstarken westdeutschen Flächenländern noch verstärken. Dieses Modell ist nicht in der Lage, allen Ländern eine adäquate Ausstattung mit Steuermitteln zu gewährleisten und somit hinfällig. 86. Die Einführung eines Optionsmodells ist grundsätzlich möglich und würde wahrscheinlich auch zu positiven Effekten durch die Stärkung von Ländern mit überdurchschnittlichem BIP führen. Dennoch ist die Einführung einer solchen Alternative zum Finanzausgleichsystem abzulehnen. Die Normierung eines temporären Ausscherens einzelner Bundesländer aus dem Gesamtsystem des Finanzausgleichs ist nicht erstrebenswert und würde zu einer weiteren Verkomplizierung und Intransparenz bei der Steuerertragsverteilung führen. Der hinter dem Optionsmodell stehende Gedanke der Beseitigung von Anreizhemmnissen sollte
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vielmehr aufgegriffen werden und allgemeinverbindlich für alle Beteiligten in das geltende System integriert werden. 87. Unter Beachtung des Steuerstaatsprinzips, nach welchem die Finanzierung des Staates primär durch Steuereinnahmen zu erfolgen hat, sind Sonderabgaben im engeren Sinne und Gebühren, Beiträgen oder privatrechtliche Entgelte in Art. 106 GG, die eindeutig nicht mehr einem reinen Vorteilsausgleich dienen, auf der Einnahmenseite im Finanzausgleich zukünftig zu berücksichtigen. 88. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen die Berücksichtigung struktureller Unterschiede im System des Finanzausgleichs unausweichlich erscheint, ist von einer Ausweitung der Gewährung von Sonderbedarfen durch zukünftige Reformbemühungen abzusehen. Einzig aufgrund der sich anerkanntermaßen von den Flächenländern unterscheidenden Situation der Stadtstaaten wäre es angebracht, eine Stadtstaatenklausel in die Finanzverfassung aufzunehmen, um über diese den offenkundigen Strukturunterschieden gerecht zu werden. 89. Im Bereich der primär-vertikalen Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern kann eine einseitige Übertragung der Steuerertragskompetenzen bzw. ein Tausch zwischen dem Bund und der Ländergesamtheit zur Systemvereinfachung beitragen. Weiterhin sind die Verteilungsgrundsätze, welche bei der Abstimmung der Deckungsbedürfnisse in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 2. u. 3 Alt. GG zur Geltung kommen sowie die Möglichkeit, den Gemeinden das Recht zur Bestimmung der Hebesätze für den Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer nach Art. 106 Abs. 5 S. 3 GG zu übertragen, zu streichen. 90. Die Kommunen sind zukünftig in die vertikale Ertragsverteilung verfassungsrechtlich einzubinden. 91. Auf der zweiten Stufe des Finanzausgleichs – der horizontalen Steuerverteilung – ist die Lohnsteuerzerlegung nach dem Wohnsitzprinzip aufzuheben und durch eine Verteilung orientiert an dem BIP zu ersetzen. 92. Das Instrument der Umsatzsteuerergänzungsanteile ist mittel- bis langfristig (nach Beendigung des Wiedervereinigungsprozesses) abzuschaffen. Die frei werdenden Mittel sind dann wie der restliche Länderanteil an der Umsatzsteuer nach der Zahl der Einwohner auf die einzelnen Länder zu verteilen. 93. Der Länderfinanzausgleich als dritte Stufe des Finanzausgleichsystems ist als wichtiges bundesstaatliches Finanzierungsinstrument beizubehalten. Eine Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs hat ausschließlich auf der einfachgesetzlichen Ebene zu erfolgen. Bei einer zukünftigen Reform ist die Gemeindefinanzkraft zu 100 % in die Bemessung der Finanzkraft der Länder einzubeziehen. Der Ausgleichstarif im LFA ist durch die Normierung eines symmetrischen, linearen Tarifs von 60% in § 10 FAG abzusenken und zu vereinfachen. 94. Auf der vierten Stufe des Finanzausgleichs können die allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen vor dem Hintergrund der hier getätigten Vorschläge
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zukünftig entfallen. Dagegen bleibt das Instrument der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen grundsätzlich für Notfälle unter der Maßgabe, dass einige zurzeit vorgesehene Sonderbedarfstatbestände wegen fehlender Nachvollziehbarkeit mittelfristig zurückgeführt werden, bestehen.
C. Dritter Teil: Staatsschuldenrecht und Reform 1. Neben den Einnahmen aus Abgaben, den Gewinnen aus eigenwirtschaftlicher Betätigung und eingeschränkt der Geldschöpfung können sich Bund und Länder Finanzmittel lediglich durch die Aufnahme von Krediten beschaffen. Der Umgang mit der durch die Kreditaufnahme verursachten Staatsverschuldung ist äußerst problematisch. 2. Die Frage, wie man die bestehende Verschuldung bzw. das strukturelle Haushaltsdefizit zurückführen kann, ist zunächst keine Rechtsfrage, sondern Aufgabe staatlicher Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Staatsgewalt ist aber auch im Bereich der Staatsverschuldung an die verfassungsmäßige Ordnung nach Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Das Instrument der Kreditaufnahme ist Gegenstand verfassungsrechtlicher, einfachgesetzlicher und untergesetzlicher Normen von Bund und Ländern. Obwohl diese z.T. sehr lückenhaft ausgestaltet sind, handelt es sich hierbei nicht um Recht minderen Ranges. Die Verschuldung von Bund und Ländern ist insoweit auch ein Rechtsproblem. 3. Die Finanzierung öffentlicher Aufgaben gewann historisch betrachtet erst mit dem Zusammenbrechen der mittelalterlichen Lehnsordnung und dem damit verbundenen Übergang vom Stammesprinzip zum Territorialprinzip sowie dem sich in der Folge herausbildenden Staatswesen an Bedeutung. In Deutschland setzte nach Abschluss des Westfälischen Friedens von 1648 neben der Konzentration der Finanzbürokratie eine langsam voranschreitende Trennung des staatlichen Vermögens von dem der Landesherren ein, womit der Übergang vom Patrimonial- zum Staatsvermögen vollzogen wurde. 4. Nach einigen Staatsbankrotten im 17. und 18 Jh. veränderte sich zu Beginn des 19. Jh. die Einstellung der merkantilistischen Staaten zur Staatsverschuldung. Im Zuge dieser Entwicklung entstanden erste Konzepte für schuldenpolitische Deckungsregeln. Das Zustimmungserfordernis der Stände bei Anleihen wurde seit dem Jahr 1848 zunehmend durch das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung ersetzt. Nach Art. 73 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 und der Folgeregelung in Art. 73 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 durften Anleihen nur noch im Fall eines außerordentlichen Bedürfnisses durch Gesetz beschlossen werden. Nach Beendigung des 1. Weltkriegs wurde mit Art. 87 eine an die Staatsschuldenregelung des Deutschen Reiches von 1871 angelehnte Norm in die Verfassung der Weimarer Republik aufgenommen.
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5. Nach der Beseitigung der kriegsbedingten Staatsverschuldung im Zuge der Währungsreform des Jahres 1948 wurde entgegen dem Vorschlag des Herrenchiemseer Konvents eine Kreditaufnahmeregelung normiert, die eine Verschuldung nur bei Vorliegen eines außerordentlichen Bedarfs ermöglichte. 6. Vor dem Hintergrund der aufgrund ihrer definitorischen Schwächen als unbefriedigend empfundenen Staatsschuldenregelung in Art. 115 GG (a.F.) und weiterer Defizite der Haushaltsordnung kam es von 1967 bis 1969 zu einer umfassend Reform der Haushaltsordnung, im Zuge derer auch die Staatsschuldenregelungen grundlegend geändert wurden. Sie basierte auf der Idee einer antizyklischen Finanzpolitik. Die dort vollzogenen Änderungen bildeten in weiten Teilen das Gerüst des Staatsschuldenrechts vor Umsetzung der Föderalismusreform II. 7. Für künftige Reformen des bundesdeutschen Staatsschuldenrechts relevante Rechtsquellen finden sich im Europarecht (in Art. 104 EGV und den sekundärrechtlichen Ausführen), im Grundgesetz (Art. 115 und 109 GG) und in den Landesverfassungen, auf einfachgesetzlicher Ebene (u. a. HGrG, StabG, Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG, StabiRatG, KonsHilfG, BHO / LHO, Bundes- / Landeshaushaltsgesetz) sowie in zahlreichen Verwaltungsvorschriften. 8. Der Bund ist gegenwärtig nach Art. 104 Abs. 1 EGV zur Gewährleistung stabiler Preise als nach außen hin gegenüber der EG Alleinverantwortlicher verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Bei einer jährlichen Neuverschuldung von über 3% des BIP und / oder dem Vorliegen eines Gesamtschuldenstandes der öffentlichen Hand von 60% des BIP liegt grundsätzlich ein übermäßiges öffentliches Defizit vor. Die Gewichtung der beiden Referenzwerte wurde durch die im Jahr 2005 mit dem Erlass der VO 1056/2005 erfolgte Änderung der VO 1467/97 zur Qualität der statistischen Daten im Rahmen des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit deutlich relativiert, indem die für deren Ermittlung zu berücksichtigenden Faktoren ausgeweitet wurden. Dieses System hat sich bisher als bedingt wirksam erwiesen. Obwohl sich selbst bei den beiden Referenzwerten Beurteilungsspielräume erschließen, die Berechnung der Kriterien z.T. durch Änderungen der Berechnungsgrundlage deutlich relativiert wurden und bis zu einer Gesamtverschuldung von 60 % des BIP keine überzeugenden Anreize zum Schuldenabbau bestehen, hat das System eine Eingrenzung der Verschuldung der Mitgliedstaaten bis zur Grenze der beiden Referenzwerte bewirkt. Die Schwächen der europarechtlichen Vorgaben zur Kreditaufnahme sind weniger die ökonomisch willkürlich festgelegten Grenzwerte, sondern vielmehr die unzureichende Implementierung und Durchsetzung der rechtlichen Bestimmungen im Ecofin-Rat aufgrund der vielfältigen Umgehungsmöglichkeiten. 9. Nach nationalem Recht bedurfte die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen durch
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den Bund, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, vor der Reform nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 GG (a.F.) einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz. Art. 115 Abs. 1 S. 2 1. Hs. GG (a.F.) enthielt für den Bund eine materielle Begrenzung der Kreditaufnahme. Demnach dürften die „Einnahmen aus Krediten“ die Summe der im Haushaltsplan „veranschlagten Ausgaben“ für „Investitionen“ nicht überschreiten. Auf die Möglichkeit der Kreditaufnahme in Höhe der veranschlagten Summe der Investitionsausgaben durfte der Bund jedoch nur zurückgreifen, soweit er gem. Art. 109 Abs. 2 GG den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung trugt. Eine Überschreitung der materiellen Kreditaufnahmegrenze war gem. Art. 115 Abs. 1 S. 1 2. Hs. GG (a.F.) nur zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (Störungslage) zulässig. 10. Für die Bundesländer ergaben sich die Voraussetzungen und Grenzen der Kreditaufnahme grundsätzlich aus ihrem Landesrecht. Grundgesetzliche Vorgaben für die Kreditaufnahme der Länder ergaben sich nur aus Art. 109 GG. Die einzelnen Vorgaben zu den Grenzen und Ausnahmen der Kreditaufnahme unterschieden sich in den verschiedenen Landesverfassungen bis zur Umsetzung der Föderalismusreform II z.T. erheblich, wobei sich die meisten Bundesländer bisher an der für den Bund geltenden Regelung des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG (a.F.) orientierten. 11. Die Konsequenzen durch die Einführung des Art. 109 Abs. 5 GG und des entsprechenden Ausführungsgesetzes sind für die Bundesländer noch nicht genau absehbar. Erst im Ernstfall, d. h. bei drohenden Sanktionen bzw. beim Beschluss von Sanktionen nach Art. 104 EGV durch die Gemeinschaft wird sich zeigen, wie die vertikale und horizontale innerstaatliche Aufteilung der Lasten funktioniert. 12. Die Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts vor und nach der Föderalismusreform II gründet vor allem auf der realen Verschuldung von Bund, Länder und Kommunen. Sie lässt sich ferner aus Nachhaltigkeitserwägungen herleiten. 13. Zeichnet man der Verlauf der Staatsverschuldung der letzten Jahrzehnte nach, dann wird deutlich, dass die vor der Reform gültigen Regelungen im Normenbestand des Bundes und der meisten Länder keine wirksame Begrenzung der Staatsverschuldung darstellten. Die expliziten Schulden von Bund, Ländern und Kommunen betragen inzwischen zusammengerechnet mehr als 1,5 Billionen €. Die implizite Verschuldung ist um einiges höher. Eine Rückführung der Schulden hat in den letzten 40 Jahren so gut wie gar nicht statt gefunden. Diese zu hohe öffentliche Verschuldung hatte ihre unmittelbare Ursache in der Rechtslage vor der Reform und einem zu geringen politischen Widerstand gegenüber der weiteren Neuverschuldung.
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14. Die Notwendigkeit zu weiteren Reformen des Staatsschuldenrechts ergibt sich auch aus Nachhaltigkeitserwägungen. Ein nachhaltigkeitsgerechter Umgang mit der Staatsverschuldung erfordert die Einführung weitergehender formeller und materieller Absicherungen, mit denen ein zu bestimmendes Verschuldungsniveau garantiert wird. Nachrückende und zukünftige Generationen dürfen nicht durch die Bindung weiter Teile zu erwartender Einnahmen durch Schuldendienste in ihrer Entwicklung eingeschränkt werden. Es muss ihnen durch eine Reform des Staatsschuldenrechts ermöglicht werden, ihre Bedürfnisse finanziell mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen zu können wie die jetzt Handelnden. 15. Um den z.T. unterschiedlichen Inhalten der Begriffe „Nachhaltige Entwicklung“ bzw. „Nachhaltigkeit“ Rechnung zu tragen sollte im deutschen Recht zukünftig eine klare begriffliche Zuordnung vollzogen werden. Der Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ beinhaltet im Ergebnis eine Abwägung ökonomischer, sozialer und ökologischer Elemente, die als Entwicklungsstränge zusammenwirken. Das sog. „Drei-Säulen-Modell“ verkennt hierbei, dass die hinter dem Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ stehende Idee einer dauerhaft und global lebenswerten Welt sich nicht auf eine bloße Abwägung zwischen diesen drei scheinbar gleichberechtigt nebeneinander stehenden Elementen reduzieren lässt. Eine Neugewichtung der drei einbezogenen Elemente, bei der der ökologische Aspekt als Fundament des Modells in den Vordergrund gestellt und die ökonomischen und sozialen Aspekte als gleichberechtigte Säulen nebeneinander darauf aufbauen, ist vorzugswürdig. Neben den für die Rechtsanwendung aufgrund seiner inhaltlichen Reichweite nur bedingt zu gebrauchenden Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ tritt ein selbstständiger, auf die einzelne Ressource bezogener, eindimensionaler Begriff der „Nachhaltigkeit“, welcher auch für die Problematik der Staatsverschuldung herangezogen werden kann. Eine aus dem Nachhaltigkeitsgrundsatz zu entwickelnde „generationengerechten Haushaltspolitik“ muss Systeme schaffen, die zukünftig verhindern, dass die nachrückenden und zukünftigen Generationen ihre Bedürfnisse aufgrund eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten nicht mindestens im gleichen Ausmaß erfüllen können wie die jetzt Handelnden. 16. Der rechtliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts ist begrenzt. Einschränkungen ergeben sich zunächst aus dem Europarecht, da dieses in Art. 104 EGV und den sekundärrechtlichen Konkretisierungen den Mitgliedstaaten relevante haushaltsrechtliche Vorgaben macht. Der Bundesgesetzgeber hat bei der Gestaltung einer Reform der Haushaltsordnung einen weiten Spielraum. Einschränkungen können sich nur aus der obligatorischen Beachtung des Bundesstaatsprinzip gem. Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 GG ergeben, wobei das Bundesstaatsprinzip einer Änderung des Staatsschuldenrechts erst entgegensteht, wenn die Möglichkeit der Einnahmebeschaffung der Bundesländer soweit eingeschränkt werden soll, dass deren aufgabenadäquate Finanzausstattung nicht mehr gewährleistet ist.
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17. Aus einer rechtspolitischen Perspektive müssen künftige Reformen der Haushaltsordnung auch nach der Föderalismusreform II noch weitergehend die Eigenverantwortung der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften stärken, Mechanismen zur wirksamen Begrenzung der Staatsverschuldung unter Beachtung der Länderautonomie stärken und Verschuldungsfehlanreize beseitigen sowie Anreize zum Schuldenabbau schaffen. 18. Das Staatsschuldenrechts sollte grundsätzlich zumindest drei Komponenten als integralen Bestandteil beinhalten: eine wirksame Schuldenbegrenzungsregel für Bund und Länder, ein präventives sanktionsbewährtes System zur Vermeidung der Überschuldung von Bund und Länder („Haushaltsnotlagen“) sowie eine Regelung zur Entschuldung. 19. Im Vorfeld der Reform wurden verschiedene Modelle zur Schuldenbegrenzung des Bundes diskutiert. Festzuhalten bleibt, dass einzig die Einführung eines absoluten Verschuldungsverbots für den Bund wegen seiner mitunter prozyklischen Wirkung nicht zu empfehlen ist. Die im Zuge der Föderalismusreform II für den Bund gefundene Neuregelung zur Schuldenbegrenzung in Art. 109 Abs. 3, 115 GG unterscheidet sich von der Vorgängerregelung erheblich, indem sie grundsätzlich das Gebot eines ausgeglichenen Haushalts vorgibt und von einer Investitionsbindung Abstand nimmt. Verfassungsrechtlich verstößt die Neuregelung nicht gegen Art. 79 Abs. 3, 20 Abs. 1 GG, Sie weist aber trotzdem einige potentielle Schwachstellen wie z. B. die unzureichende Bestimmtheit der Regelungen des konjunkturellen Elements der „Schuldenbremse“ auf. Der ansonsten überwiegend stimmig erscheinende neue Ansatz zur Begrenzung der Bundesschulden in Art. 115 GG und dem dazugehörigen Ausführungsgesetz wird sich erst im kommenden Jahrzehnt bewähren müssen. Der Gesetzgeber sollte daher keine Scheu vor Nachbesserungen haben, falls Probleme auftauchen. 20. Es ist richtig, dass Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) im Zuge der Föderalismusreform II gestrichen wurde. Über Art. 115 Abs. 2 GG (a.F.) als Ausnahme von den Anforderungen des Abs. 1 sind seit seiner Einführung in das Grundgesetz im Jahr 1969 in großem Umfang Schulden durch Sondervermögen aufgenommen worden. Insbesondere im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden Schulden in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrages am Haushalt vorbei angehäuft, welche erst in den letzten Jahren größtenteils in den Bundeshaushalt zurückgeführt wurden. 21. Die Einführung einer für alle Länder einheitlich geltenden Schuldenbegrenzungsregel durch den Bundesgesetzgeber war vor der Reform über die Grundsatzgesetzgebungskompetenzen des Art. 109 Abs. 3 und 4 GG (a.F.) aufgrund der fehlenden Reichweite der Kompetenz und der situationsgebunden Zweckbindung nicht möglich. Dagegen war der verfassungsändernde Bundesgesetzgeber nicht daran gehindert, eine neue Kompetenzgrundlage für den Erlass
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einer für alle Länder einheitlich verbindlichen Schuldenbegrenzungsregel in der Bundesverfassung zu normieren. Art. 79 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Wie aufgezeigt ist eine zu strikte Regelung des Bundesgesetzgebers, die den Bundesländern die Möglichkeit zu individuellen, auf ihre spezifische Verschuldungssituation abgestimmte Eigenlösungen nimmt, nicht erstrebenswert. Auch die in Art. 109 Abs. 1 GG verankerte Haushaltsautonomie der Länder erfordert es, dass die Autonomie der Gliedstaaten mit der Regelungskompetenz des Bundes in einen Ausgleich gebracht wird. 22. Da die Möglichkeit der Kreditaufnahme bisher zu den wichtigsten Handlungsinstrumenten der Einnahmebeschaffung gehörte und somit Ausdruck der Haushaltsautonomie der Bundesländer ist, erfordert eine Begrenzung der Verschuldungskompetenz durch den Bund als Ausgleich sowohl eine Stärkung der Steuerautonomie der Länder als auch einer Stärkung der Länderautonomie im Bereich der Aufgabengestaltung. 23. Die in Art. 109 Abs. 3 GG verankerten Vorgaben hinsichtlich der Einführung einer Regelung zur Begrenzung der Kreditaufnahme auf Länderebene überzeugt im Ergebnis nur teilweise. Insbesondere über die Konjunkturkomponente ist eine Verschuldung weiterhin möglich. Das nächste Jahrzehnt wird zeigen, ob der Haushaltsausgleich mittel- bis langfristig funktioniert. 24. Alternativ zur im Rahmen der Föderalismusreform II getroffenen Regelung, könnte man für die Bundesländer auch ein zweistufiges Begrenzungssystem normieren. Von einem zweistufigen Schuldenbegrenzungsregime für die Länder ausgehend, sollte für die Bundesländer auf der Bundesebene eine Schuldenbegrenzungsregel eingeführt werden, die sich nach den europäischen Stabilitätskriterien richtet. Sie sollte in einem neu einzufügenden Absatz in Art. 109 GG durch den verfassungsändernden Bundesgesetzgeber normiert werden. Diese in einfachgesetzlicher Form zu konkretisierende Regel ist eine Verschuldungsobergrenze für die Länder. Durch die Übernahme der beiden für das Gemeinschaftsrecht maßgebenden Kriterien (Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum BIP und das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP) in das Grundgesetz wird eine Kompatibilität zu den europäischen Verschuldungsbegrenzungsregeln hergestellt. Aufgrund der Vertrautheit von Bund und Ländern mit der Regelung und ihrer Einfachheit stände einer Umsetzung auf Bundesebene in Ergänzung zu Art. 109 Abs. 5 GG wenig entgegen. Hierbei müssen die im Gemeinschaftsrecht festgelegten Referenzwerte nicht exakt übernommen werden. Für die Bundesländer bietet es sich an, insbesondere den Wert des Verhältnisses des öffentlichen Schuldenstands zum BIP niedriger als die im Europarecht vorgesehenen 60% anzusetzen. Ferner sollten die im Jahr 2005 im Gemeinschaftsrecht vorgenommenen Änderungen hinsichtlich der Gewichtung der beiden Referenzwerte nicht übernommen werden. Die landesinterne Verteilung der Verschuldungsobergrenze zwischen dem Land und den Kommunen erfolgt durch den Landesgesetzgeber. Diese durch den Bundesgesetzgeber ein-
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zuführende Obergrenze ist durch spezifische Länderregelung zu ergänzen. Jedes einzelne Bundesland soll auf der Länderebene zusätzlich eine an ihre spezifische Finanzsituation angepasste strengere Regelung mit entsprechenden Begleitinstrumenten einführen. Die Einführung strenger Schuldenbegrenzungsregeln durch die Länder bedarf aufgrund der prekären Verschuldungssituation einiger Bundesländer der Schaffung eines Anreizes (Verknüpfung mit Entschuldungsfonds). Im Ergebnis wird die Länderautonomie bei der hier vorgeschlagenen „zweistufigen“ Lösung angemessen berücksichtigt. Eine grundgesetzlich fixierte Obergrenze sichert einen status quo der Ländermaximalverschuldung, wobei über die Setzung von Anreizen eine Reduzierung der Verschuldung durch eine spezifische Länderregelung Vorschub geleistet wird. 25. Ein absolutes Verschuldungsverbot ohne Ausnahmen oder die Übertragung der vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Bundesregelung auf die Länder kommt wegen der hier geäußerten Zweifel nicht in Betracht. 26. Die Regelung über die Kreditbegrenzung und die Konjunkturausgleichsrücklage in Art. 109 Abs. 4 GG (a.F.) wurden im Rahmen der Föderalismusreform II gestrichen. 27. Die genaue Ausgestaltung eines begleitenden Präventionssystems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte („Haushaltsnotlagen“) ist grundsätzlich immer abhängig von der konkreten Abfassung einer Verschuldungsbegrenzungsregel. Geht man davon aus, dass relativ restriktive Regelungen zur Begrenzung der Neuverschuldung für Bund und Länder eingeführt werden, dann muss ein Präventionssystem eine geringere Regelungsdichte aufweisen. Letztendlich müssen die Schuldenbegrenzungsregeln und das Präventionssystem als Einheit in der Lage sein, dass drohende Haushaltsnotlagen in Zukunft rechtzeitig erkannt und verhindert werden. Ein begleitendes Frühwarnsystem hat vor dem Hintergrund des Prinzips der Selbstverantwortlichkeit für eigene Verbindlichkeiten seinen Hauptanwendungsbereich in der Einhaltung der für Deutschland im Verhältnis zur EG verbindlichen MaastrichtKriterien. 28. Die in Form des Art. 109a GG und des StabiRatG normierten Regelungen zur Einführung eines begleitenden Präventionssystems zur Vermeidung der Überschuldung des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte sind ein Schritt in die richtige Richtung. Erstmalig unterliegen der Haushalt des Bundes und die Länderhaushalte einer umfassenden Kontrolle gemessen am Maßstab einheitlicher Kriterien. 29. Die im Rahmen der Föderalismusreform II beschlossenen Regelungen zur Einführung eines Präventionssystems gehen nicht weit genug, da sie insbesondere keine weit reichenden Sanktionen bei Verstoß gegen die Sanierungsmaßnahmen vorsehen. Somit liegt der wirkliche Gewinn der Neuregelung in der Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Haushalte von Bund und Ländern.
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Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, sollte der „Stabilitätsrat“ ein fortlaufendes finanzstatistisches Benchmarkingsystem als Grundlage für seine Entscheidungen installieren. Dies wäre über den neu eingefügten Art. 91d GG. 30. Zur Umsetzung der Reformpläne muss der Schuldenstand einiger hoch verschuldeter Länder grundsätzlich zumindest in der Spitze gesenkt werden. Ansonsten verstoßen einige Bundesländer gleich ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Schuldenbegrenzungsregeln unvermeidlich gegen das neue Rechtsregime. 31. Mit der im Rahmen der Föderalismusreform II getroffenen Regelung wurde diese Maßgabe nur unzureichend umgesetzt. Statt eine nachhaltige Regelung zum Abbau der bestehenden Verschuldung zu normieren, hat man sich auf einen politischen Kompromiss fern der aktuellen Finanzdaten geeinigt. Die neu eingeführten Zahlungen zur Teilentschuldung („Konsolidierunghilfen“) werden – wenn überhaupt – gerade so die mit der Finanz- und Wirtschaftskrise einhergehenden Steuerausfälle kompensieren. Eine nachhaltige Entschuldung der Länderhaushalte, die die Empfängerländer bis zum Jahr 2019 in die Lage versetzen wird von alleine die neuen Verschuldungsregeln einzuhalten, ist somit nicht ersichtlicht. 32. Von den im Vorfeld der Reform diskutierten Vorschlägen zur Entschuldung überzeugt weiterhin die Variante der Vollentschuldung durch die Übernahme der Länderschulden in einen Bundesfonds, welcher über die Länderanteile an der Umsatzsteuer gegenfinanziert wird. Aber auch eine Teilentschuldung ausschließlich in der Spitze der Länderverschuldung auf einem angemessenen Niveau ist als eine die Eigenverantwortung hoch verschuldeter Länder mehr betonende Reformoption im Gegensatz zu der aktuellen Lösung eine akzeptable Lösung. 33. Die Überwindung bundesstaatlicher Finanzkrisen erfordert bei zukünftigen Reformen der Finanz- und Haushaltsordnung eine Abstimmung der vorgeschlagenen Novellierungen mit dem bestehenden Finanzrecht, um eine hohe Systemkonformität im Bereich der Finanz- und Haushaltsordnung zu erreichen.
D. Vierter Teil: Neugliederung des Bundesgebietes 1. Als ein dynamisches Phänomen unterliegt der Bundesstaat einem stetigen Wandel, wobei Faktoren wie die kulturelle und wirtschaftliche Struktur der Gliedstaaten sich im Laufe der Zeit verändern und somit den Druck zu einer Neugliederung des Bundesgebietes erhöhen können. 2. Zurzeit besteht keine Notwendigkeit zur Neugliederung des Bundesgebietes. Sie ist auch keine zwingende Voraussetzung für eine Reform der Finanzund Haushaltsordnung. Dennoch ist eine Reform der einschlägigen Normen in Erwägung zu ziehen.
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3. Die behutsame Weiterentwicklung des Art. 29 GG durch die Integration von finanziellen Neugliederungsanreizen sowie die Aufnahme einer allgemein gültigen Regelung analog des jetzigen Art. 118a GG ist angebracht. Eine Alternative hierzu ist die Streichung des relativ unübersichtlichen Art. 29 GG mit der Konsequenz, dass Neugliederungen zukünftig ausschließlich in die Kompetenz der Länder fallen würden. 4. Forderungen nach der Wiedereinführung einer Pflicht zur Neugliederung und der Möglichkeit, das ablehnende Votum der betroffenen Bürger durch eine bundesweite Abstimmung überstimmen zu können, sind abzulehnen.
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Wucherpfennig, Lutz: Staatsverschuldung in Deutschland – Ökonomische und verfassungsrechtliche Problematik, Baden-Baden 2007 Ziekow, Jan: Einheit in Freiheit – 50 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: JuS 1999, S. 417 ff. Zippelius, Reinhold / Würtenberger, Thomas: Deutsches Staatsrecht, 31. Auflage, München 2005 Zoepfl, Heinrich: Grundsätze des Gemeinen Deutschen Staatsrechts mit besonderer Rücksicht auf das allgemeine Staatsrecht und auf die neusten Zeitverhältnisse, 2. Teil, 5. Auflage, Leipzig 1863, Zit.: H. Zoepfl, Grundsätze des Gemeinen Deutschen Staatsrechts, 2. Teil
Sachwortverzeichnis Abgaben 39, 84 f., 95, 155, 205, 213, 254 ff., 356 – Bergrechtliche Förderabgaben 155, 205 – Gebühren 255 – Sonderabgaben 95 Ancien Régime 276 Anreizdefizit 80, 141 f., 202, 220, 353, 404 ff., 452 ff. – Anreize zur Entschuldung 404 ff. – Anreize zur Neugliederung 452 ff. Antizyklische Finanzpolitik 279 ff., 314 Aufgabenadäquate Finanzausstattung 185 f., 220 f., 325, 350, 354 Aufgabenentflechtung 37 Aufgabenverteilung 97, 137, 192, 376 Auftragsverwaltung 91, 105 f., 431 Ausführungsgesetz zu Art. 115 GG 302, 366 Ausgabenkompetenzen 94, 102 ff., 227 ff. – Gemeinschaftsrechtliche Zahlungsverpflichtungen 131 ff. – Reformvorschläge 227 ff. – Verwaltungsausgaben 131 Ausgleichstarif 267 f., 271 Autonomie der Bundesländer 79, 82, 92, 149, 185 f., 210, 221 ff., 244 f., 352, 377 – Stärkung durch Reform 244 ff. Ausgleichsbeiträge 156, 206 f. Ausgleichsmesszahl 156, 205 ff., 266 f. Ausgleichszuweisungen 156, 162, 206 f. Baden-Württemberg 90, 148 ff., 167, 214, 322 f., 407, 422 f., 428, 440 Bail-Out 335, 380
Bayern 90, 183, 276, 322, 327, 375, 386, 407, 423, 444 Begriffssystematisierung 38 ff. – Finanzordnung 39 – Finanzrecht 39 – Finanzverfassung 41 – Finanzwesen 40 – Haushaltsordnung 39 – Haushaltsverfassung 41 Benchmarking 221, 400 Berlin 32, 59 f.,98 f., 175 ff., 206, 210 f., 215, 285, 302, 322 f., 327, 335, 379, 401, 411, 427 f., 440, 453 Betriebsstättenprinzip 101, 154, 201, 262 Bildungsförderung 109, 121, 234, 236 Brandenburg 60, 206, 210 f., 322 f., 426 ff., 440 Bremen 32, 49, 59, 151 ff., 164 ff., 206, 211 f., 215, 237, 240, 285, 302, 322 f., 401, 404, 411, 423, 428, 444 Bruttoinlandsprodukt 181, 253, 262, 264, 271, 288, 304, 364, 377 ff. Bruttoinvestitionen 347, 358 Buchführung 298, 300 Budgetrecht 290 Bundesergänzungszuweisungen 88, 98 f., 132, 156 f., 164 ff., 175 ff., 207 ff., 238, 264, 268 f., 327, 405, 413 – Allgemeine Bundesergänzungszuweisungen 208 – Reformvorschläge 268 f. – Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen 98 f., 171, 175 ff., 209 ff., 238, 264, 327, 405, 413 – Zuweisungen zum Ausgleich teilungsbedingter Sonderlasten 210, 269
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Sachwortverzeichnis
– Zuweisungen zum Ausgleich überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung 211, 270 – Zuweisungen zum Ausgleich von Lasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit 211, 269 f. Bundesfinanzhilfen 122 ff., 228, 236 ff. Bundeshaushaltsordnung 280 f., 300, 303 Bundesländer 31 f., 60, 67, 75, 98 f., 115, 141, 164 f., 176 f., 213 ff., 220 ff., 261 ff., 297, 319 ff., 350 ff., 371 ff., 401 ff., 417 ff. Bundesrat 34, 58, 61, 66, 75, 87, 91, 101, 107, 112, 126, 139, 144, 168, 200, 230, 232, 237, 284, 289, 294 ff., 321 f., 364, 391, 394 f., 412, 427, 442 Bundesrepublik Deutschland 57 ff., 395, – Gründung 57 ff. Bundesstaat 44 ff., 46 ff., 61 ff., 70 ff., 418 ff. – Begriff 44 ff. – Bundesstaatstheorien 70 ff. – Neugliederung 418 ff. – Rechtsgeschichtliche Entwicklung 46 ff. – Verankerung im Grundgesetz 61 ff. Bundesstaatlicher Notstand 141, 176 ff., 188 Bundesstaatsprinzip 62 ff., 148 ff., 176, 178, 212, 216 ff., 287, 325 f., 350 f., 354, 394 – Bundestreue 63 ff., 76, 150, 287, 329 – Ewigkeitsgarantie 69 f., 373 – Homogenitätsgebot 66 f. – Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 68 f. – Neugliederung 67 f. – Verfassungsrechtliche Bedeutung 62 f. Bundesstaatstheorien 70 ff. – Bundesstaatstheorien zur Mehrgliedrigkeit des Staates 72 f. – Gemischte Bundesstaatstheorien 73 f.
– Legitimatorische und zweckgerichtete Bundesstaatstheorien 73 – Relevanz für eine Reform der Finanzund Haushaltsordnung 78 ff., 82 f. – Theorie vom experimentellen Bundesstaat 75 f. – Theorie vom kompetitiven Bundesstaat 77 – Theorie vom kooperativen Bundesstaat 76 f. – Theorie vom unitarischen Bundesstaat 74 f. Bundesverfassungsgericht 99, 148 ff. – Finanzausgleichsrechtsprechung 148 ff. Bündisches Prinzip des Einstehens füreinander 66, 156, 165, 176, 326 Deckungsquotenberechnung 197 f., 257 Deckungsprinzip 219 Defizitwarngrenze 388, 392, 394 Demographische Entwicklung 348 Demokratieprinzip 173 f., 245, 350, 369, 391, 395, 451 Deutsche Bundesakte 49 Deutsche Demokratische Republik 59 f., 172 Deutsche Einheit, siehe Deutsche Wiedervereinigung Deutsche Wiedervereinigung 31, 89 ff., 98, 172, 186, 208, 216, 220, 236, 263, 282, 331, 333 f., 371, 426 Deutscher Bund 49 ff. Deutscher Zollverein 51 Deutsches Reich von 1871 51 ff. Dezentralisierter Einheitsstaat 54 Differentialschulden 453 Doppik 416 Eigenmittel 132 ff. Eigenmittelbeschlüsse 133 f. Eigenverantwortung 66, 77, 79, 156, 176, 185 ff., 222 ff., 267, 270, 351 ff.
Sachwortverzeichnis Einkommensteuer 87, 195 ff., 200 f., 214, 241, 259 f., 271, 364 – Länderanteil 200 f. Einnahmen 39, 89, 142, 150, 154 ff., 170, 213 ff., 244, 249 ff., 273, 310 f., 360 f. Einnahmeregelungen 95, 103, 141 ff., 243 ff. – Reformvorschläge 243 ff. – Steuergesetzgebungskompetenzen 86, 95, 142 ff., 223, 243 ff., 259, 416 Einnahmeverteilung 40, 147, 219 f. Einwohnerwertung 156, 158 f., 162 ff., 171, 266 f., 454 Enquête-Kommission Verfassungsreform 89 Entschuldung 249, 268, 334, 352, 400 ff. – Notwendigkeit vergleichbarer Startbedingungen für eine Reform der Finanzund Haushaltsordnung 401 Entschuldungsfonds 402 ff. – Teilentschuldung 404 ff. – Vollentschuldung 406 Ergänzungsanteile, siehe Umsatzsteuervorwegausgleich Ernst-Kommission 425 f., 428 Ertragskompetenzen 56, 68, 85, 95 f., 246 ff. Erzbergersche Finanzreform 54 Europäische Gemeinschaft 61, 99, 104, 131 ff., 194, 242, 251, 285 ff., 304 ff., 328 ff., 378 ff., 389 Europäische Zentralbank 273 Europäischer Einigungsprozess 61, 81, 83 Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt 138 f., 197, 286, 298, 304 ff., 350, 365 ff., 382, 399 Europäisches Saarstatut 423 Europäisches Statistikamt 133 Ewigkeitsgarantie 69 f., 373 Fairer Wettbewerb 225 f.
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Familienleistungsausgleich 241 Finanz- und Haushaltsordnung 401 – Reformvorschläge zur Entschuldung Haushalte 402 ff. Finanzaufkommensverteilung 169 ff. – Einfachgesetzliche Ausgestaltung 170 – Grundlagen 169 Finanzausgleich 54 f, 80, 89 f., 99, 108, 122, 147 ff., 192 ff., 251 ff., 351 ff., 446 ff. – Gegenwärtige Systematik 192 ff. – Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 148 ff. – Reform 251 ff. Finanzausgleichsgesetz 87 ff., 100 f., 153 ff., 168 ff., 200 ff., 237 Finanzautonomie, siehe Autonomie der Bundesländer Finanzkraft 100, 149 f., 153 ff., 178, 203 ff., 405, 431, 447 – Begriff 153 f. Finanzkraftmesszahl 150 f., 159, 166, 204 ff., 266 Finanzhoheit 38, 41, 56, 85, 198 Finanzmonopole 86 f., 95, 143, 194, 254 Finanzordnung 39, 84 ff., 286, 353, 395, 415 f., 424, 443, 447 f. – Bundesstaatlicher Kontext 84 f. – Gegenwärtige Systematik 102 ff. – Rechtsgeschichtliche Entwicklung 86 ff. – Rechtsquellen 92 ff. – Reformbedürftigkeit 212 ff. – Reformvorschläge 227 ff. Finanzplanungsrat 35, 210, 298 f., 364, 379, 390 ff. Finanzrecht 39, 65, 85, 94, 415 Finanzreformen 54, 87 ff., 91 ff., 108, 112, 129 f., 155 – Erzbergersche Finanzreform 54 – Föderalismusreform I 91 f. – Föderalismusreform II 92 – Reform von 1955 87 f.
528
Sachwortverzeichnis
– Reform von 1969 88 f. Finanzverfassung 41 f., 52, 58, 86, 88 ff., 146, 152, 169, 256, 448 – Funktion 93 f. – Inhalt 94 ff. Finanzverwaltung 54, 87, 364 Finanzwesen 35, 38, 40 f., 93, 219, 274 Finanzwissenschaft 37, 40, 81, 262, 264, 327, 389 Föderalismus 43 ff., 216 f., 348, 399, 458 – Begriff 43 f. – Rechtsgeschichtliche Entwicklung 46 ff. Föderalismusreform I 36 f., 75 ff., 91 f., 102 ff., 139 ff., 202, 222, 228 ff., 244, 282, 319, 329, 374, 378, 384, 415 Föderalismusreform II 34, 284 f., 366 ff. – Bundesschuldenbremse 366 ff. – Konsolidierungshilfen 411 ff. – Länderschuldenbremse 382 ff. – Stabilitätsrat 396 ff. Föderatives Gleichbehandlungsgebot 63, 157, 161, 166, 210 Fonds „Deutsche Einheit“ 90, 171 f. – Abwicklung 171 f. Frankfurter Dokumente 57 Freiheitsprinzip 216 ff. Geldleistungsgesetze 89, 108 ff., 215, 231 ff. Gemeindefinanzen 160, 166 – Einbeziehung in den Länderfinanzausgleich 160 Gemeindefinanzkraft 266, 271 Gemeindesteuern 150, 198 f., 205 Gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen 284 Gemeinsame Verfassungskommission des Bundestages und Bundesrates 89 f. Gemeinschaftsaufgaben 75, 77, 82, 89, 97, 112 ff., 228, 235 ff.
– im „engeren Sinn“ 114 ff. – im „weiteren Sinn“ 117 ff. Gemeinschaftsrechtliche Zahlungsverpflichtungen 131 ff., 228, 242 – Innerstaatliche Lastentragung des Bundes 132 ff. – Lastentragung bei Ausführung von Gemeinschaftsrecht 134 ff. – Lastentragung bei Verletzung supranationaler oder internationaler Pflichten 136 ff. – Lastentragung von Sanktionszahlungen nach Art. 104 EGV 138 ff. Generationengerechtigkeit 312, 339 ff., 367 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 316 f., 323 – Störung 316 f., 323 Gesetzeskausalität 104, 228 ff. Gewerbesteuer 146, 160, 184, 199 ff., 259 Gewerbesteuerumlage 199, 201 – Länderanteil 201 Gleichartigkeitsverbot 144 Globale Finanz- und Wirtschaftskrise 32 f., 124, 213 f., 371, 384, 410 f., 414 Globalisierung 32, 34, 59 Goldene Bulle 47 Grenzbelastung 224, 267 f. Grunderwerbsteuer 92, 145, 202, 214, 223, 245, 248 Grundsteuer 54, 248 Hafenlasten 126 f., 155 ff., 191, 205, 236 ff. Hamburg 49, 59, 148 ff., 183 f., 206, 211, 234, 240, 322, 328, 401, 423, 428, 444 ff., 454 Hanse 47 f. Haushaltsaufstellung 292 f., 345, 367 Haushaltsdefizit 136, 140 f., 274, 398 Haushaltsgesetze 290 ff., 301, 308, 310 Haushaltsgrundsätze 290 f.
Sachwortverzeichnis Haushaltsgrundsätzegesetz 140, 173, 281 f., 298 ff., 312, 320, 363, 391, 395 Haushaltskontrolle 289 ff. Haushaltskreislauf 290 ff. Haushaltskrise 31 f., 187, 249, 353, 386 ff., 409 ff., 416 Haushaltsmittel 215, 318, 325 Haushaltsnotlage 32, 123, 141, 159, 164 ff., 176 ff., 212, 225, 253, 270, 289, 302, 322, 324 ff., 335, 352, 386 ff., 413 – „extreme Haushaltsnotlage“, siehe bundesstaatlicher Notstand – Vermeidung 289 Haushaltsnotlageregimes 387 ff. – Haushaltssanierungsverfahren 392 ff. – Indikatorenauswahl und Festlegung von Grenzwerten 388 – Sanktionsmöglichkeiten 394 – Zuständiges Kontrollorgan 390 Haushaltsordnung 33 ff., 63, 70 ff., 186, 272 ff., 415, 441, 447 ff., 458 Haushaltsrechtsreformen 275 ff. – Erlass des Grundgesetzes 278 – Föderalismusreform II 284 – Staatsschuldenrecht vor Erlass des Grundgesetzes 275 – Umfassende Reform der Haushaltsordnung (1967 – 1969) 279 Haushaltsverfassung 33, 36, 39, 41, 93, 280, 289 ff., 308 f., 335, 350, 395 – Funktion 289 – Haushaltskreislauf 290 ff. – Inhalt 290 – Staatliche Kreditaufnahme 296 ff. Haushaltswirtschaft 39, 286 ff. Hebesatzrecht 146, 250, 260 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 46 ff. Herrenchiemseer Konvent 58, 70, 278, 421 Hessen 90, 151, 214, 322, 325, 328, 423, 425
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Hochschulbauförderung 115 f. Hodrick-Prescott-Filter 362 ff. Homogenitätsgebot 66 f. Horizontale Steuerverteilung 199 ff., 261 ff. – Landessteuern 200 – Länderanteil an der Gewerbesteuerumlage 201 – Länderanteil an der Lohn- und Einkommenssteuer 200 – Länderanteil an der Körperschaftssteuer 201 – Länderanteil an der Umsatzsteuer 201 – Reformvorschläge 261 ff. Indikatoren 100, 153, 162, 164, 170 f., 180 f., 214, 327, 346, 387 ff., 398, 400, 404 f. – Deckungsquote 389 – Kreditfinanzierungsquote 164, 167, 180 ff., 189, 346, 389 – Primärsaldo 181, 346, 389 – Zins-Ausgaben-Quote 389 – Zins-Steuer-Quote 160, 165, 167, 180 ff., 189, 333, 346, 389, 404 Inflation 34, 274, 296, 330, 334, 336, 407 Insolvenzrecht für öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften 408 ff. Intergenerative Gerechtigkeit 357 Investitionsbegriff 311 ff., 334, 347, 357 ff., 376 Investitionshilfen 120, 124, 182 Kalmarer Union 47 f. Kassenverstärkungskredit 273 f., 311 Kompetitiver Bundesstaat 74, 77 ff., 185, 218 Konjunktur 346, 360, 381 Konjunkturausgleichsrücklagen 321, 355, 372 Konjunkturfaktor 360 f.
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Sachwortverzeichnis
Konnexitätsprinzip, siehe Lastenverteilungsgrundsatz Konsolidierungshilfegesetz 302 Konsolidierungshilfen 285, 302, 355, 397, 411 ff. Kontrollkonto 302, 368, 370 Kontrollorgan 390 ff. Kooperativer Bundesstaat 76 f., 89, 92, 113, 122, 185, 218, 443, 447 Körperschaftssteuer 87 f., 101, 154, 194 ff., 200 f., 248 ff., 260 f. – Länderanteil 200 f. Kostentragung 109, 122 Kraftfahrzeugsteuer 194 f. Kreditaufnahme 89, 164, 180, 244, 273 ff., 303 ff., 351 ff., 406 Kreditaufnahmegrenzen 303 ff. – Bund 303 ff. – Europarechtliche Vorgaben 304 ff. – Grundgesetzliche Vorgaben 307 ff. – Länder 319 ff. Krediteinnahmen 281, 310, 313, 318 Kreditfinanzierungsquote 164, 167, 180 ff., 189, 346, 389 Kriegsfolgelasten 107 Ländereinnahmen 154 f., 163 f., 213 Länderfinanzausgleich 66, 88, 98, 148 ff., 203 ff., 247 f., 265 ff., 353, 386, 389, 405, 443, 446 – Bemessungsgrundlage 247 – Einfachgesetzliche Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs 204 ff. – Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 148 ff. – Reformvorschläge 265 ff. – Verfassungsrechtliche Vorgaben für den Länderfinanzausgleich 203 Länderneugliederung, siehe Neugliederung Landeshaushaltordnungen 300
Landessteuern 101, 144, 199 ff., 214, 246 f., 261 Lastenverteilungsgrundsatz 102 ff., 135 Lehnsherrschaft 48 Lohnsteuer 101, 154, 195 f., 200 f., 224, 261 ff. – Länderanteil 200 f. Lohnsteuerzerlegung 154, 261 ff., 271 Londoner Schuldenabkommen 331 Maastricht-Kriterien, siehe Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt Maßstäbegesetz 91, 99 f., 169 ff., 197 Matrikularbeiträge 52 Mecklenburg-Vorpommern 60, 206, 210 f., 240, 322 ff., 426 ff. Mehrwertsteuer, siehe Umsatzsteuer Mischfinanzierung 78 f., 88, 91, 105 ff., 120, 127 ff., 179, 211, 222, 230 ff. – Abbau 230 ff. Mischsystem 89, 193 f. Mitfinanzierung 104, 110, 228, 236 f. Nachhaltigkeit 181, 336 ff. – Begriff der „Nachhaltigen Entwicklung“ 338 ff. – Begriff der „Nachhaltigkeit“ 342 f. – Reform des Staatsschuldenrechts 343 ff. – Wirtschaftswachstum 348 Nationaler Stabilitätspakt 142 Nationalsozialismus 55 ff. Nehmerländer 167, 207, 215, 267, 446 Nettokreditaufnahme 181, 281, 296, 302, 310, 333, 363 ff., 382 f., 398 Neugliederung des Bundesgebietes 51, 60, 66 ff., 150, 185, 417 ff. – Grundlagen 417 ff. – Neugliederungsregeln des Grundgesetzes 429 ff. – Reform der Finanz- und Haushaltsordnung 447 ff.
Sachwortverzeichnis – Reformvorschläge 449 ff. Neugliederungsverfahren 429 ff. – Allgemeine Verfahren der Neugliederung des Bundesgebietes 429 ff. – Bevölkerungsinitiative 435 ff. – Kleinere Grenzkorrekturen 437 – Neugliederung durch Staatsvertrag 438 – Neugliederung nach Art. 118 GG 439 – Neugliederung nach Art. 118a GG 440 – Neugliederung nach Art. 146 GG i.V. m. Art. 79 GG 441 Neuverschuldung 32, 180, 210, 282, 297 f., 304, 327 f., 347, 364, 383, 403, 409 Niedersachsen 155, 240, 322 f., 426 ff. Nivellierungsverbot 66, 209 Norddeutscher Bund 50 f., 62, 277 Nordrhein-Westfalen 151 f., 166, 322, 328, 423, 444 Nothaushaltsrecht 293 Öffentliche Finanzwirtschaft 39, 56, 85, 181, 233, 280 f. Öffnungsklausel 231, 233 ff. Optionsmodell 252 ff. Örtliches Aufkommen 87, 101, 199 ff., 224, 252, 259 ff. Paulskirchenverfassung 50 f. Parlamentarischer Rat 58, 86 f., 239, 278, 395, 421 Pensionslasten 353, 444 Personennahverkehrsausgleich 106 f., 241 Produktionslücke 367 f. Prozyklische Finanzpolitik 307, 356 Rechnungshof 295 f., 391, 399 f. Reformbedürftigkeit der Finanzordnung 212 ff. – Faktische Reformbedürftigkeit 213 ff. – Freiheits- und Bundesstaatsprinzip als Gebot für eine Reform der Finanzordnung 216 ff.
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– Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 219 – Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform 220 – Vorgaben für künftige Reformen der Finanzordnung 218 Reformbedürftigkeit des Staatsschuldenrechts 330 ff. – Faktische Reformbedürftigkeit 330 ff. – Nachhaltigkeitserwägungen als Grund für die Notwendigkeit einer Reform des Staatsschuldenrechts 336 ff. – Rechtlicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers für eine Reform des Staatsschuldenrechts 349 – Rechtspolitische Anforderungen an eine Reform 351 ff. – Vorgaben für künftige Reformen des Staatsschuldenrechts 349 ff. Regalien 275 f. Reichdeputationshauptbeschluss 49 Reichssteuersystem 54 Rheinbund 49 Rheinland-Pfalz 155, 183, 211, 322 f., 423, 425, 428 Saarland 32, 151 ff., 189, 211 ff., 285, 302, 322 ff., 411, 423, 444 Sachsen 60, 183, 211, 322 f., 401, 426 Sachsen-Anhalt 60, 206, 210 f., 285, 302, 322, 411, 426, 428 Sanierungshilfen 32, 176 ff., 393 f., 413 – Darlegungs- und Begründungslast des Klägers 179 – Einordnung der Sanierungshilfen in das System des Finanzausgleichs 177 – Sanierungshilfen als „ultima ratio“ – „Bundesstaatlicher Notstand“ 178 – Voraussetzungen eines Sanierungshilfeanspruchs 177 Schleswig-Holstein 163, 211, 240, 285, 302, 322 ff., 411, 428, 456
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Sachwortverzeichnis
Schuldenbegrenzungsregel 332, 349, 352, 355 ff. – Bund 356 ff. – Länder 371 ff. Schuldenbremse 359 ff., 366 ff., 382 ff. – Bundesschuldenbremse 366 ff. – Kantonale Schuldenbremsen 380 ff. – Länderschuldenbremse 382 ff. – Schweizer Bundeskreditaufnahmegrenze 359 ff. Schuldenstand 181, 213 ff., 286, 304, 330 ff., 389, 401 ff. Seehafenlasten, siehe Hafenlasten Solidarische Haftung 140 f. Solidaritätszuschlag 405 f. Solidarpakt I 98 Solidarpakt II 98 f. Sonderabgaben 95, 254 f. Sonderbelastungsausgleich 128 Sozialhilfelasten 163, 166, 211, 215, 270 – Berücksichtigung im Länderfinanzausgleich 163 Sozialstaatsprinzip 217, 235, 243, 343 f. Sozialversicherungslasten 107 Sparkommissar 394 ff. Staatenbund 44 f., 48 ff., 57, 72 f., 82 Staatsbankrott 187, 276 Staatsschuldenrecht 272 ff. – Bewertung der Ergebnisse der Föderalismusreform II und Ansätze für zukünftige Reformen des Staatsschuldenrechts 355 ff. – Grundlagen 273 ff. – Reformbedürftigkeit und Vorgaben für Reformen des Staatsschuldenrechts 330 ff. Staatsverschuldung Stabilitätsrat 289, 301, 384, 390 ff., 412 ff. Stabilitätsratsgesetz 301 f.
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 299 f., 395 Stadtstaaten 59, 120, 156 ff., 183, 206, 256 ff., 401, 407, 430, 443 ff., 453 Stadtstaatenklausel 256, 267 Steuerautonomie der Länder, siehe Autonomie der Bundesländer Steuerfindungsrecht 146 f. Steuergerechtigkeit 96 Steuergesetzgebungskompetenzen 86, 95, 142 ff., 223, 243 ff., 259, 416 – Bundeskompetenzen 143 f. – Eingeschränktes Steuerfindungsrecht 146 f. – Länderkompetenzen 144 ff. Steuerkraft 101, 153 ff., 199 ff., 252, 261 ff., 279, 405 Steuern 52, 77, 85 ff., 143 ff., 191 ff., 213, 244, 246 ff., 377 Steuerverteilung 90, 96, 99, 101, 153, 170, 192 ff., 199 ff., 257 ff., 261 ff., 271 – Horizontale Steuerverteilung 199 ff., 261 ff. – Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern 192 ff., 257 ff. Steuerverwaltung 87, 91 Steuerzuschlagsrecht 245, 248 ff. Systemkonformität 415 ff. Tilgung von Schulden 215, 285, 288, 312, 333 ff., 361, 369, 381 ff., 402 ff., 453 Transparenz 78, 169, 193, 216 ff., 240, 244, 269, 283, 289, 298, 350 f., 370, 375, 398 ff., 415 Trennsystem 74 ff., 87, 192 ff., 251 f. Troeger-Gutachten 76 f., 88, 279 f. Ultima-ratio-Prinzip 176, 178, 188 f. Umsatzsteuer 87 ff., 90, 134, 153, 170, 195 ff., 213 ff., 251, 257, 264 ff., 271, 401, 406 f. – Länderanteil 201 ff.
Sachwortverzeichnis Umsatzsteuerverteilung 90, 98, 100, 170, 196, 201, 203, 257 f., 261 ff. Umsatzsteuervorwegausgleich 90, 100, 170, 202 f., 207, 215, 224, 252, 263 ff., 271, 353 Ungeschriebene Bundesfinanzierungszuständigkeiten 128 ff. Veranlassungsprinzip 106, 219 Verbundsystem 87, 89, 193 ff. – Flexibles Element der Umsatzsteuerverteilung 196 – Verteilung von Einkommens- und Körperschaftssteuer 195 Verschuldungsverbot 327 f., 356 f., 371, 376, 386 Vertikale Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern 192 ff., 257 ff. – Reformvorschläge 257 ff. Verursacherprinzip 137 f., 217 f., 229 Verwaltungskompetenzen 68 f., 94 ff., 130 f. Verwaltungsvorschriften 302 f.
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Volksentscheid 422 ff., 433 ff., 440, 451 f. Vollzugskausalität 104, 229 f. Vorbehalt des Möglichen 221 Weimarer Republik 53 ff., 237, 277 f., 420 – Hafenlasten 237 – Neugliederungsregelung 420 – Staatsschuldenregelung 277 f. Westfälischer Frieden 48, 83, 275 Wettbewerbsföderalismus 73 f., 217 Wirtschaftswachstum 220, 253, 280, 299, 323, 344, 348 f., 360, 388, 403 Wissenschaftsförderung 117 ff. Wohnsitzprinzip 101, 154, 158, 224, 262, 271 World Conservation Strategy 337 Zerlegungsgesetz 89, 101, 154, 200 f., 261 f., 443 Zins-Steuer-Quote 160, 165, 167, 180 ff., 189, 333, 346, 389, 404 Zölle 52, 86 f., 95, 133, 143, 194