Der Brief an die Römer
 9783666513725, 3525513720

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V&R

Das Neue Testament Deutsch Neues Göttinger Bibelwerk In Verbindung mit Horst R. Balz, Jürgen Becker, Peter Lampe, Friedrich Lang, Eduard Lohse, Ulrich Luz, Helmut Merkel, Karl-Wilhelm Niebuhr, Eckart Reinmuth, Jürgen Roloff, Wolfgang Schräge, Eduard Schweizer, August Strobel, Nikolaus Walter und Ulrich Wilckens herausgegeben von Peter Stuhlmacher und Hans Weder

Teilband 6

Der Brief an die Römer

15. Auflage (2ίdurchgesehene

u n d a k t u a l i s i e r t e A u f l a g e dieser neuen F a s s u n g )

1998 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen und Zürich

Der Brief an die Römer Ubersetzt und erklärt von Peter Stuhlmacher

1998 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen und Zürich

Die Deutsche Bibliothek —

CIP-Emheitsaufnahme

Das Neue Testament deutsch: neues Göttinger Bibelwerk / in Verbindung mit Horst R. Balz . . . hrsg. von Peter Stuhlmacher und Hans Weder. — Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht. Teilw. hrsg. von Gerhard Friedrich und Peter Stuhlmacher. — Teilw. hrsg. von Paul Althaus und Johannes Behm Teilw. mit Nebent.: N I L). Testamentum novum Teilbd. 6. Stuhlmacher, Peter: Der Brief an die Römer. — 15. Aufl., (2. durchges. u. aktualisierte Aufl. dieser neuen Fassung). — 1998 Stuhlmacher, Peter: Der Brief an die Römer / übers, u. erkl. von Peter Stuhlmacher. — 15. Aufl., (2. durchges. u. aktualisierte Aufl. dieser neuen Fassung). — Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 Das Neue Testament deutsch; Teilbd. 6) ISBN 3-525-51372-0

© 1998 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. — Das W e r k einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Schriftsatzstudio G r o h s , Landolfshausen D r u c k und Bindearbeit: H u b e r t & Co., Göttingen

D. Gerhard

Friedrich

(20.8.1908- 18.1.1986) in dankbarem Gedenken

Der Brief an die Römer Peter Stuhlmacher

Verzeichnis der Abkürzungen

Abkürzungen und Reihenfolge der neutestamentlichen Schriften im Gesamtwerk

Mk Mt Lk

Joh Apg Rom

l.Kor 2.Kor Gal

Eph Phil Kol

l.Thess 2.Thess Phlm

Hebr Jak l.Petr

l.Tim 2.Tim Tit

2.Petr. l.Joh 2 .Joh

3.Joh Jud Offb

Altes Testament (einschließlich Apokryphen) Am Bar Dan Dt η Est Ez Ex Gen Hab Hos Jer Jes Jos Jdt 1., 2. Kön Koh

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• =

Amos Baruch Daniel Deuteronomium Ester Ezechiel Exodus Genesis Habakuk Hosea Jeremia Jesaja Josua Judit 1., 2. Buch der Könige Kohelet

Lev 1..2. Makk Mal Mi Nah Neh Num Ps Ri 1., 2 Sam. Sach Sir Spr Tob Weis

» « -

Levitikus 1., 2. Buch der Makkabäer Maleachi Micha Nahum Nehemia Numeri Psalmen Buch der Richter 1., 2. Buch Samuel Sacharja Buch Jesus Sirach Buch der Sprüche BuchTobit Weisheit Salomos

Jüdisches Schrifitum 2. Jh. v. Chr. — 2. Jh. n. Chr. äth Hen

_ äthiopischer Henoch (2. Jh.

v.Chr. — 1.Jh. n.Chr.) - Jubiläenbuch (2.Jh. v. Chr.) Jub 3., 4. Makk - 3., 4. Buch der Makkabäer (l.Jh. v.Chr., 2.Jh. n.Chr.) PsSal - Psalmen Salomos (LXX, pharisäisch; l.Jh. v.Chr.) 1Q.4Q usw. = * Schriften aus Höhle 1, 4 usw. von Qumran ( 3 . - l . J h . v.Chr.)

1QH

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1QM 1QS

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4Qflor lQpHab

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4QpPs

-

Hymnenrolle (Hodajot) aus Qumran Kriegsrolle aus Qumran Gemeinderegel aus Qumran Florilegium aus Qumran Habakuk-Kommentar aus Qumran Psalmenkommentar aus Qumran

4

TestAbr TestAss TestBenj TestDan TestGad TestHiob

Verzeichnis der Abkürzungen

=

Testament Abrahams (l./2.Jh. n.Chr.) = Testament des Asser (2.Jh. v.Chr.) - Testament des Benjamin (2.Jh. v.Chr.) = Testament des Dan (2.Jh. v.Chr.) = Testament des Gad (2.Jh. v.Chr.) - Testament des Hiob (1. Jh. v.Chr. — l.Jh. n.Chr.)

JütL Schrifttum

Josephus

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Bell Contr Ap Vit Philo Abr ConfLing Decal LegAll LegGai Plant RerDivHer/ Her SpecLeg Som VitCont PseudoPhilo, LibAnt VitAd 4Esr syrBar

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1./2.

Josephus Flavius (jüdischer Historiker, geb. 37/38, gest. nach 100) Josephus, Antiquitates Judaicae Josephus, De bello Judaico Josephus, Contra Apionem Josephus, Vita Josephi Philo von Alexandria (ca. 20 v . C h r . - 5 0 . n.Chr.) Philo, De Abrahamo Philo, De Confusione Linguarum Philo, D e Decalogo Philo, Legum Allegoriae Philo, Legatio ad Gaium Philo, De Plantatione Philo, Q u i s Rerum Divinarum Heres sit Philo, De Specialibus Legibus Philo, De Somniis Philo, De Vita Contemplativa Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum ( l . / 2 . J h . n.Chr.) Leben Adams und Evas ( l . J h . n.Chr.) 4. Esra (Ende l . J h . n.Chr.) syrischer Baruch (Apokalypse, Anfang 2. Jh. n.Chr.)

Testjos

=

Testament des (2.Jh. v.Chr.) « Testament des (2.Jh. v.Chr.) = Testament des (2.Jh. v.Chr.) » Testament des (2.Jh. v.Chr.) = Testament des (2.Jh. v.Chr.)

Testjud TestLev TestNaph TestSim

>. n. Chr. und

Joseph Juda Levi Naphtali Simeon

später

ApkMos

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slavHen



Tgjer

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Tgjes TgNeof EpArist

=

Mischna, Ab Mischna, Ber

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= «

=

Apokalypse des Mose ( l . J h . n.Chr.) slavischer Henoch (Ende l . J h . n.Chr.) Targum Jeruschalmi I und Π Targum Jesaja Targum Neofiti Aristeasbrief (2. Jh. v . C h r . - l . J h . n.Chr.) Mischna, Traktat Abot Mischna, Traktat Berakhot Mischna, Traktat Sanhédrin Mischna, Traktat Tamid

— Mischna, Sanh/ mSan Mischna, = Tamid/ mTam Mischna, Q i d = Mischna, Traktat Qiddushin MidrTeh = Midrasch Tehillim ApkZeph = Apokalypse des Zephanja(l. Jh. v.Chr. — l . J h . n.Chr.) = Babylonischer Talmud, babBer Traktat Berakhot babSchab = Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat = Jerusalemer Talmud, jerBer Traktat Berakhot SNum Sifre Numeri = Pesiqta Rabbati PesiqR Sifra = Sifra (Levitikus)

Verzeichnis der Abkürzungen

5

Nichtchnstliches griechisches und römisches Schrifttum Aelius Aristides, Or

Aelius Aristides (129—189 n.Chr., griechischer Rhetor), Orationes L. Junius Moderates Columella, landwirtschaftlicher Schriftsteller der Zeit Senecas ( - 1. Jh. η. Chr). „Uber de arboribus" von ihm selbst oder einem Unbekannten Corpus Hermeticum

(Pseudo-)Columella, Arb

Corp. Herrn. Dio Chrys Or

Dion von Prosa (ca. 40—120 n.Chr.), später Chrysostomus genannt, Orationes Empedokles (ca. 495 — 435 v.Chr., griechischer Philosoph), Fragmente Epiktet (ca. 50—130 n. Chr., Hauptvertreter der jüngeren Stoa), Dissertationes

Empedokles fr Epiktet, Diss Euripides, Hipp

Euripides (480 —406 v.Chr., griechischer Tragiker), Hippolytus Titus Livius (59 v. Chr.— 17 n. Chr., römischer Historiker) Publius Ovidius Naso (43 ν. — ca. 18 n.Chr., römischer Dichter), Metamorphosen Cornelius Tacitus (römischer Geschichtsschreiber, Ende 1. Jh. n.Chr.), Historiae

Liv

Ovid, Metam Tacitus, Hist

Christliches Schrifttum 1./2. Jh. n. Chr. und später Barn 1. Clem Did

Barnabasbrief 1. Clemensbrief (ca. 96, Rom)

Justin, Apol

Didache (Lehre der zwölf Apostel, Ende 1. Jh., Syrien?) Justin der Märtyrer (Ephesus, Rom, gest. um 165), Apologie

Orosius, Hist

Orosius, Paulus (spanischer Presbyter, gest. nach 418), Historia adversus paganos

Tertullian, Adv. Marc

Tertullianus, Q. Septimius Florens (Kirchenschriftsteller in Karthago, geb. um 160, gest. nach 220), Adversus Marcionem

Lexika und Sammelwerke Bauer

=

Bill

»

W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, hrsg. von K. Aland u. B. Aland, 1988 (H.L. Strack-) P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, I—IV, 1922—1961

Einleitung 1. Die Begegnung mit dem Römerbrief heute In allen heute greifbaren Ausgaben und Übersetzungen der Bibel führt der Römerbrief die Reihe der Paulusbriefe an. Mit dem Römerbrief ist das Geschick des Apostels Paulus aufs engste verknüpft und mit der Auslegung des Römerbriefes der Weg der Kirche. Von Orígenes (185 bis etwa 254 n.Chr.) über Johannes Chrysostomus (347—407 n. Chr.), Augustin (354—430 n. Chr.), Thomas von Aquin (1225-1274), die Reformationszeit bis herein in die Gegenwart sind die Ausleger aller Konfessionen immer wieder vom Römerbrief ausgegangen, wenn sie die Kirche mit der Botschaft des Apostels Paulus konfrontieren wollten. Der Protestantismus hat zum Römerbrief ein besonderes Verhältnis, weil die Begegnung mit diesem Brief Entscheidungs- und Sternstunden seiner Geschichte markiert. Luther ist über dem Studium des Römerbriefes, genauer: über der Lektüre von Rom 1,16-17 zur Erkenntnis des Evangeliums von der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes gelangt, der den Sünder um Christi willen ohne Werke des Gesetzes allein aus Glauben rechtfertigt. Seine Wertschätzung des Römerbriefes hat vor allem in der „Vorrede auf die Epistel S(ankt) Pauli an die Römer" ihren Ausdruck gefunden, die sich in Luthers auf der Wartburg bei Eisenach entstandener Ubersetzung des Neuen Testaments, dem im September 1522 in Wittenberg erschienenen „Das Newe Testament Deutzsch", findet. Er schreibt dort: „Diese Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium, welche wohl würdig und wert ist, daß sie ein Christenmensch nicht allein von Wort zu Wort auswendig wisse, sondern täglich damit umgehe als mit täglichem Brot der Seele."

Luther führt dann weiter aus, daß, wer den Römerbrief verstehen wolle, zuerst lernen müsse, was Paulus mit den theologischen Hauptbegriffen „Gesetz", „Sünde", „Glaube", „Gerechtigkeit" usw. meine, die in seinem Brief immer wieder auftauchen. Nachdem er diese Begriffe erläutert hat, skizziert Luther den Inhalt des Römerbriefes und schließt seine Vorrede mit den Worten: „Also finden wir in dieser Epistel aufs allerreichlichste, was ein Christ wissen soll, nämlich, was Gesetz, Evangelium, Sünde, Strafe, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Christus, Gott, gute Werke, Liebe, Hoffnung, Kreuz sei, und wie wir uns gegen jedermann, er sei fromm oder Sünder, stark oder schwach, Freund oder Feind, und gegen uns selber verhalten sollen. Dazu das alles mit Schriften trefflich gegründet, mit Exempeln seiner selbst und der Propheten bewiesen, daß nichts mehr hier zu wünschen ist. Darum scheinet es auch, als habe S. Paulus in dieser Epistel wollen einmal in die Kürze verfassen die ganze christliche und evangelische Lehre und einen Eingang bereiten in das ganze Alte Testament. Denn ohne Zweifel, wer

δ

Einleitung

diese Epistel wohl im H e r z e n hat, der hat des Alten Testaments Licht und Kraft bei sich; darum lasse sie ein jeglicher Christ sich gemein ( = vertraut) und stetig in Ü b u n g sein. Da gebe G o t t seine Gnade zu. A m e n . "

Luthers Freund Philipp Melanchthon hat in seinen zum ersten Mal 1521 erschienenen „Loci Communes" und später in seinem Römerbriefkommentar von 1532 den Brief des Paulus als Kompendium christlicher Lehre ausgelegt, und als solches Kompendium wird er bis zur Stunde empfunden. Der anglikanische Pfarrer John Wesley (1703-1791), einer der Begründer des Methodismus, hat bei der öffentlichen Verlesung von Luthers Vorrede zum Römerbrief seine innere Bekehrung erfahren. Der Neuaufbruch der evangelischen Theologie und Kirche nach dem ersten Weltkrieg wird markiert durch Karl Barths berühmtes Erstlingswerk „Der Römerbrief" (1. Auflage 1919, 2. Auflage 1921). In seinem 1935 erschienenen Römerbriefkommentar mit dem programmatischen Titel „Gottes Gerechtigkeit" hat Adolf Schlatter herausgearbeitet, daß die Botschaft des Paulus nicht einfach mit Luthers und seiner Schüler Auslegung identifiziert werden darf, vielmehr über sie hinausreicht. Rudolf Bultmanns Paulusdarstellung in seiner „Theologie des Neuen Testaments" (1953) ist stark von Luther bestimmt, während Ernst Käsemann in seinem Römerbriefkommentar von 1973 den von Schlatter eingeschlagenen Weg konsequent weitergegangen ist. Auch für ihn ist Gottes Gerechtigkeit das Thema des Römerbriefes, und er sieht in ihr „die sich in Christus offenbarende Herrschaft Gottes über die W e l t " . Käsemann hat mit dieser Deutung nicht nur Paul Althaus überzeugt, der seinen (dieser Neuauslegung vorangehenden) Kommentar „Der Brief an die R ö m e r " (1935) 1965 noch einmal grundlegend überarbeitet hat, sondern auch Ulrich Wilckens. Dessen dreibändiges Kommentarwerk „Der Brief an die Römer" (1978-1982 [und Neuauflagen]) hat Maßstäbe für die Auslegung gesetzt, die noch lange unübertroffen bleiben werden. Die Auslegung des Römerbriefes ist jedoch schon lange keine protestantische Domäne mehr. Dies dokumentieren im deutschsprachigen Raum z.Z. vor allem die großen Römerbriefkommentare von O t t o Kuß (1957-1978) und Heinrich Schlier (1977). Es ist kirchlich beglückend zu erleben, daß sich gerade über der Arbeit am Römerbrief die jahrhundertelang verhärteten konfessionellen Fronten aufgelockert haben und ein gemeinsames Bewußtsein dafür Raum gewonnen hat, daß die Kirche Jesu Christi vom Evangelium her lebt und ihre Existenzberechtigung nur darin hat, daß sie dieses Evangelium bezeugt. Darüber, daß dieses Evangelium die Botschaft von Gottes Gerechtigkeit in und durch Jesus Christus ist, wie sie Paulus im Römerbrief entfaltet, herrscht zwischen Katholiken und Protestanten heutzutage kein Streit mehr.

Der Römerbrief als historisches Problem

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2. Der Römerbrief als historisches Problem

2.1 Die Problemlage Den Römerbrief auszulegen kann heute nicht mehr heißen, nur die Lehre herauszuarbeiten, die der Apostel in seinem Brief vorträgt. Diese Lehre darf in der Paulusauslegung niemals übersehen werden. Aber wenn man nur auf sie achtet, geht leicht der Blick dafür verloren, daß das biblische Evangelium von Gott her eine unverwechselbare historische Gestalt gewonnen hat, und zwar zuerst in der Person und dem Geschick Jesu von Nazareth und nach Ostern dann in der Bezeugung Jesu durch die Apostel. Der Römerbrief konnte für die Kirche nur deshalb zum Kompendium der christlichen Lehre werden, weil er ursprünglich ein Brief war, den Paulus geschrieben hat, um die in Rom lebenden Christen darüber zu informieren, wie es sich mit seinem Evangelium wirklich verhält. Es ist nicht gut, wenn man über der gewaltigen kirchlichen Wirkung, die der Römerbrief gehabt hat und weiterhin haben wird, die Zeit und Situation vergißt, in der er entstanden ist. Gottes Wege mit der Kirche und den einzelnen Glaubenden sind nicht einfach überzeitlich, sondern sie werden in der Geschichte erfahren. Wir erfassen diese Wege um so tiefer, je deutlicher wir die Geschichte Jesu und die Geschichte der Apostel nachzeichnen. Niemand hat dies im letzten Jahrhundert im Blick auf den Römerbrief nachhaltiger hervorgehoben als der seit 1826 an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen lehrende Kirchenhistoriker Ferdinand Christian Baur (1792-1860). Nach Baur kann man den Römerbrief erst dann theologisch würdigen, wenn man sich seine geschichtlichen Abfassungsverhältnisse genau vor Augen geführt hat. Tut man dies, ist man nach Baur z.B. nicht mehr in der Gefahr, Rom 9-11 nur noch als paulinische Belehrung über die Vorsehung Gottes zu verstehen (so Luther) oder gar von einem für das Verständnis der Rechtfertigungslehre im Grunde entbehrlichen Exkurs zum Israelproblem zu sprechen (so einige moderne Ausleger). Man sieht vielmehr, daß der Apostel gerade in diesen Kapiteln mit den Judaisten in Rom darum ringt, sein universales Evangelium von der Gottesgerechtigkeit als auch für Israel gültig und verheißungsvoll herauszustellen; die drei Kapitel rücken bei dieser historischen Betrachungsweise ins Zentrum des Briefes und stellen einen seiner Höhepunkte dar. Baurs Vorbild hat Schule gemacht und bewirkt, daß sich eine wirklich ernstzunehmende Paulusauslegung heute stets der Doppelfrage zu stellen hat, welches historische Profil und welche sachliche Bedeutung das hat, was der Apostel in seinen uns erhaltenen Briefen schreibt. Die überragende kirchliche Bedeutung des Römerbriefes und die Tatsache, daß Paulus in seinem Brief tatsächlich ausführlich vom Evangelium und seinen Konsequenzen handelt, machen es nicht leicht zu entscheiden, welche Absicht der Apostel mit diesem Lehrbrief verfolgt. Eine gewichtige Gruppe von Auslegern meint, daß die Adresse „ R o m " für unseren Brief von nur untergeordneter Bedeutung sei. Sie weisen darauf hin, daß Paulus nach eigenem Bekunden an eine ihm persönlich noch unbekannte Christengemeinde schreibt, über die er nur durch Dritte informiert war (vgl. l,9ff.; 15,22ff.); Rom 16 halten sie für einen sekundären Zusatz zu

10

Einleitung

dem ursprünglich mit Kap. 15 schließenden Brief. Paulus berichtet in 15,25-32, ehe er nach Rom kommen könne, wolle er noch das ihm auf dem Apostelkonzil aufgetragene Werk der Kollekte (vgl. Gal 2,10) zu einem guten Ende führen und die zusammengekommenen Spendengelder selbst nach Jerusalem bringen. Er äußert in diesem Zusammenhang die Bitte, die Christen von Rom möchten für ihn beten, „damit ich erlöst werde von denen, die in Judäa (dem Evangelium) nicht gehorchen, und mein Dienst an Jerusalem den Heiligen (dort) wohlgefällig sei" (V. 31). Von diesen Äußerungen her bestimmen jene Interpreten die Absicht des Römerbriefes folgendermaßen: Angesichts der Schwierigkeiten und Gefahren, die ihn in Jerusalem erwarten, entwirft Paulus einen umfassenden Rechenschaftsbericht über seine Verkündigung, um ihn nach Jerusalem mitzunehmen. Er schickt diesen Bericht aber zusätzlich auch an die Christen von Rom, weil er sich von ihnen nicht nur Fürbitte, sondern auch Fürsprache bei den Jerusalemern erhofft. Rom ist bei dieser Betrachtungsweise gleichsam nur die Belegadresse für den hauptsächlich an die Repräsentanten der Urgemeinde in Jerusalem adressierten Lehrvortrag. Diese Lösung des Problems kann eine gewisse Künstlichkeit nicht verleugnen. Daher versucht eine zweite Gruppe von Auslegern, den Beweggrund für die Abfassung des Römerbriefes vor allem in Rom selbst zu suchen. Sie weisen darauf hin, daß der Apostel sehr wohl Kenntnis vom Leben und den Problemen der römischen Christengemeinde gehabt haben müsse, zumal er in 14,1-15,13 die sog. „Starken" und die sog. „Schwachen" in Rom auffordere, einander in brüderlicher Rücksichtnahme „anzunehmen". Nach neueren textgeschichtlichen Forschungen kann auch Kap. 16 nicht mehr als ein nachträglich dem Römerbrief angefügtes Zusatzstück angesehen werden; es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Brief ursprünglich alle 16 Kapitel umfaßt hat (s.u. S. 215 f.). Es ist also tatsächlich damit zu rechnen, daß Paulus durch seine in 16,3-16 genannten Freunde und Bekannten über die Situation der Christen von Rom orientiert war; die raschen antiken Postverbindungen zwischen Italien und Griechenland erleichterten solche Orientierung. Es ist von daher historisch ratsam, den Grund für die Abfassung des Römerbriefes zuerst in R o m zu suchen (so wenig damit ausgeschlossen werden kann und soll, daß der Apostel Grundgedanken, die er im Römerbrief äußert, auch in Jerusalem vorgetragen hat). So einfach diese Annahme ist, so sehr bedarf sie der historischen Absicherung und Begründung, und zwar über die Verweise auf die konkreten Anweisungen des Apostels in 14,1-15,13 und den Kreis der in 16,3 ff. genannten Paulusfreunde hinaus. Diese Begründung kann auch durchaus gegeben werden. Man muß nur die erhellenden Hinweise weiter durchdenken und präzisieren, die F. Chr. Baurs Tübinger Nachfolger, Carl Weizsäcker, in seinem bereits 1886 erschienenen Buch „Das Apostolische Zeitalter der Christlichen Kirche" für das historische Verständnis des Römerbriefes gegeben hat. Weizsäcker geht, von Baur dazu angeregt, von der Annahme aus, daß Paulus im Römerbrief sein Evangelium gegenüber den Angriffen „judaistischer Lehrer" verteidigt: „Der Römerbrief ist eine Streitschrift gegen judaistische Lehren nicht nur, sondern ohne Zweifel auch gegen judaistisches Treiben." ( A . a . O . , S.440.) Paulus hat nach Weizsäcker dringenden Anlaß, nach R o m zu schreiben, weil er erfahren hat, daß unter den römischen Christen Judaisten am Werke sind, „ d i e . . . dem Gesetzesevangelium damit Eingang verschaffen

D i e Situation des Paulus

11

wollten, daß sie an Paulus zeigten, wohin das Evangelium führe, wenn es ohne das Gesetz verkündet werde". (A.a.O., S.441.) Bedenkt man die Situation, in der sich Paulus bei der Abfassung des Römerbriefes befand, und faßt man außerdem die Lage der römischen Christen ins Auge, als Paulus an sie schrieb, läßt sich die von Weizsäcker vertretene Sicht der Dinge in der Tat bewahrheiten.

2.2

Die Situation

des

Paulus

Als Paulus (wohl im Frühjahr des Jahres 56 n.Chr.) in Korinth im Hause des Gaius den Römerbrief diktierte (vgl. Rom 16,22 f. mit Apg 20,3 f.), befand er sich an einem entscheidenden Wendepunkt seines missionarischen Wirkens. Er hatte das ihm anvertraute Christusevangelium im Osten der Mittelmeerwelt zur vollen Entfaltung gebracht und das Werk der Kollekte auftragsgemäß durchgeführt; deshalb plante er, nunmehr im Westen zu missionieren und bis nach Spanien vorzustoßen; Rom sollte dabei sein neuer Ausgangspunkt werden (vgl. 15,15-29). Allerdings war das Wirken des Paulus im Osten nicht unangefochten geblieben. Der Apostel war nicht nur immer wieder mit den Hütern der öffentlichen Ordnung und mit Vertretern der jüdischen Gemeinden in seinem Missionsgebiet in Konflikt geraten (vgl. 2. Kor 11,24-27), sondern er hatte auch in wachsendem Maße die Kritik von rituell denkenden, stärker als er am Gesetz des Mose festhaltenden Judenchristen erfahren müssen. Auf dem Apostelkonzil in Jerusalem im Jahre 48 n. Chr. hatten sie sich zwar gegen Paulus und Barnabas nicht durchsetzen können (vgl. Gal 2,3 f.; Apg 15,1 f. 24). Als der Apostel jedoch nach dem Apostelkonzil mit (den Abgesandten des Herrenbruders Jakobus und) Petrus über der Frage der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen in Antiochien in Streit geriet, sich mit seinem Standpunkt der Freiheit der Heidenchristen von allen gesetzlichen Auflagen nicht durchsetzen konnte und daraufhin seine Mission unter den Heiden ohne Barnabas fortsetzte (Gal 2,11-14; Apg 15,36-41), sahen seine Gegner ihre Stunde für gekommen an. Mit Duldung oder gar Unterstützung des Herrenbruders Jakobus und unter Berufung auf die vor Paulus erwählten wahrhaften Apostel, allen voran Petrus, setzten sie von Jerusalem und Antiochien aus eine Art von Gegenmission ins Werk. Zuerst versuchten sie in Galatien, die von Paulus begründeten Gemeinden dem Evangelium des Apostels abspenstig zu machen (vgl. Gal l,6ff.; 3,Iff.; 5,7ff.; 6,12). Dann folgten sie Paulus nach Thessalonich (vgl. l.Thess 2,5ff.) und Philippi (vgl. Phil 3,2ff. 18f.), erregten mit ihrem „anderen Evangelium" in Korinth große Unruhe (2.Kor 11,4.2Iff.) und begannen schließlich, ohne daß der Apostel es hindern konnte, auch in Rom gegen Paulus und sein ihrer Meinung nach den Wünschen der laxen Heiden zu sehr angepaßtes Evangelium (Gal 1,10; 2. Kor 5,10) Front zu machen: Nach Rom 3,8 „verlästern gewisse Leute" Paulus in Rom mit der Unterstellung, er predige: „Laßt uns (ruhig) tun, was böse ist, damit (daraus) das Gute komme!" (3,8), und sie erregen „Zwistigkeiten und Ärgernisse gegenüber der Lehre, die ihr gelernt habt" (16,17). Der Apostel kann diese Verleumdungen aus der Ferne nur in äußerster Schärfe zurückweisen und den Christen von Rom raten, sich mit dem Menschen nicht abzugeben (vgl.

12

Einleitung

3,8; 16,17). Sollten die Gegner nämlich in Rom Fuß fassen können, ehe Paulus selbst in die Welthauptstadt fahren kann, wären seine auf Spanien zielenden Missionspläne ernsthaft gefährdet. Paulus schreibt den Römerbrief, um die römischen Christen von seinem Evangelium und seinen wahren Absichten zu unterrichten. Er tut dies in der Hoffnung, mit seinem Schreiben die in Rom beginnende Agitation seiner judenchristlichen Gegner noch rechtzeitig abfangen zu können.

2.3 Die Situation der römischen Christen Wir wissen leider nicht, wer das Christentum nach Rom gebracht hat. Bei der nachweislich ganz erheblichen Mobilität der Menschen in der griechischrömischen Welt des l . J h . s n.Chr. werden es Kaufleute und Handwerker gewesen sein, die von Jerusalem und Antiochien her nach Rom kamen. Möglicherweise war auch das von Paulus in Rom 16,7 gerühmte Apostel(ehe)paar Andronikus und Junia an der Mission in Rom beteiligt. Wie in den anderen großen Städten der Mittelmeerwelt hat der christliche Glaube zuerst unter den zahlreichen in Rom ansässigen Juden und den um die Synagogen gescharten „Gottesfürchtigen" Fuß gefaßt. Als es in Folge der Christusmission in den römischen Synagogen schließlich zu Tumulten kam, verwies der römische Kaiser Claudius die Vorkämpfer dieser Unruhen aus der Stadt; unter ihnen befanden sich auch Aquila und Priska, auf die Paulus in Korinth gestoßen ist (vgl. Apg 18,2). Von dem Edikt des Claudius berichtet der römische Historiker Sueton in seiner Claudius-Biographie (§25) mit den Worten: Claudius , Judaeos impulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit" ( = Kaiser Claudius „verwies die auf Betreiben des Chrestus ständig in Unruhe befindlichen Juden aus Rom"). Mit „Chrestus" ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ein römischer Aufrührer, sondern Jesus Christus gemeint, dessen Name die römischen Juden in Unruhe versetzte. Nach der durchaus glaubhaften Datierung durch den römischen Historiker Orosius (Hist 7,6,15) fiel das Edikt in das Jahr 49 n. Chr. Die Maßnahme des Claudius hatte für das junge Christentum in Rom einschneidende Folgen. Wie das Beispiel von Aquila und Priska zeigt, waren von dem Edikt nicht nur Juden, sondern auch Judenchristen betroffen. Als sie gehen mußten, blieben vor allem Heidenchristen in der Stadt zurück. Sie hatten nun keine Möglichkeit mehr, sich im Schutze der jüdischen Religions- und Rechtsprivilegien als „Sondersynagogen" zu ihren Gemeindeversammlungen zu treffen, sondern mußten eigene freie Vereinsgemeinden ohne Anlehnung an die jüdischen Synagogen bilden. Sie waren damit dem römischen Argwohn gegen alle Formen östlichen Aberglaubens viel ungeschützter ausgesetzt als zuvor, und sie mußten außerdem das seit Cäsar (44 v. Chr. ermordet) für alle privaten und öffentlichen Vereine gültige Gebot beachten, sich jeglicher politischen oder quasi-politischen Agitation zu enthalten. Ein Verstoß gegen dieses Gebot hätte die sofortige Auflösung der (Vereins-)Gemeinde nach sich gezogen. Wie Rom 16 dokumentiert, waren die Christen von Rom auch zur Zeit des Römerbriefes nur erst in Form einzelner Hausgemeinden organisiert; sie bildeten noch keine Gesamtgemeinde, an die Paulus

Der Römerbrief als Rechenschaftsbericht

13

hätte schreiben können. Der Römerbrief ist vielmehr von Hausgemeinde zu Hausgemeinde weitergereicht und dort jeweils neu verlesen und besprochen worden. Das Edikt des Claudius galt nur während dessen Lebzeiten. So konnten nach dem Regierungsantritt seines Nachfolgers Nero (54-68 n. Chr.) die vertriebenen Juden und Judenchristen nach und nach wieder nach Rom zurückkehren. Priska und Aquila haben z.B. nach 16,3 f. diese Gelegenheit wahrgenommen und mit ihnen noch andere Juden und Judenchristen. Die Rückkehr der Ausgewiesenen stellte die Christen von Rom vor neue Probleme. Die mittlerweile etablierten Heidenchristen sahen sich mit einem Mal vor der Aufgabe, die heimkehrenden Judenchristen mit all ihren ungewohnten Eigenheiten in die Hausgemeinden zu integrieren, und außerdem waren sie nun auch noch der Kritik all jener Juden ausgesetzt, die um der Christusmission willen aus Rom ausgewiesen worden waren. Außerdem hatten die Zurückkehrenden an den Orten ihres Exils einen Teil jener Auseinandersetzungen miterlebt, die es um das Paulusevangelium in Galatien, Ephesus (vgl. 2. Kor 1,8 ff. mit Apg 19,23-20,2), Philippi und Korinth gegeben hatte, und sie waren dabei keineswegs nur Paulus und seinen Mitarbeitern, sondern auch den ihnen nachziehenden „Gegenmissionaren" begegnet. Konnten schon die in Rom ansässigen Heidenchristen über die Mission des Paulus geteilter Meinung sein, waren es die mit Heimkehrern durchsetzten Hausgemeinden im Jahre 56 n. Chr., als Paulus an sie schrieb, erst recht. Wenn seine Spanienmission wirklich gelingen sollte, für die er auf die Unterstützung durch die römischen Christen angewiesen war (15,24), mußte der Apostel mit seinem Brief nicht nur seine nach Rom vordringenden Gegner widerlegen, sondern zugleich und vor allem die Christen in den römischen Hausgemeinden von der Wahrheit seines Evangeliums überzeugen. Der Römerbrief ist von hier aus gesehen mehr als eine bloße Kampfschrift; er mußte ein Lehrschreiben sein, wenn er seinen missionsgeschichtlichen Zweck nicht verfehlen sollte.

2.4 Der Römerbrief als Rechenschaftsbericht Berücksichtigt man die Situation, in der sich Paulus und die Christen von Rom befanden, als der Apostel an sie schrieb, erklären sich die Besonderheiten des Römerbriefes, die schon immer hervorgehoben wurden, ohne Schwierigkeiten. Als erstes fallen die Ausführlichkeit und der Ton des Briefes auf. Paulus ist vom ersten bis zum letzten Kapitel fast geflissentlich bemüht, den Christen von Rom Anerkennung zu zollen, weil sie ihnen nach ihrem in der ganzen alten Welt bekannten hohen Glaubensstand gebührt (vgl. z.B. l,8ff.; 6,17; 7,1; 15,14f.; 16,17-19). Gleichzeitig argumentiert er so, daß sein Lehrvortrag als einleuchtend und mit dem Glaubenswissen der römischen Christen übereinstimmend erscheint, während die Behauptungen seiner Gegner nichts als Verleumdungen und Irrtümer sind, die mit der in Rom geltenden Glaubenstradition wenig oder gar nichts zu tun haben. Wir können das deshalb so genau sagen, weil hinter den die Argumentation des Apostels immer wieder auflockernden rhetorischen Fragen die kritischen Einwände aufleuchten, die von gegnerischer Seite gegen die Paulusverkündigung vorgebracht

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Einleitung

worden sind. Eben deshalb fragt der Apostel in 3,31 : „Schaffen wir nun das Gesetz ab durch den Glauben? Mitnichten!" oder in 6,1 : „Sollen wir bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme? Mitnichten!" oder in 6,15: „Sollen wir sündigen, weil wir nicht (mehr) unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Mitnichten!" oder in 7,7ff.: „ . . . ist das Gesetz Sünde? Mitnichten! . . . Das Gesetz ist heilig, und das Gebot ist heilig und gerecht und gut" usw. Der Dialog, den Paulus hier führt und in den er die Leser seines Briefes einbezieht, ist ein echter Dialog. Paulus ringt um die Herzen und das Verständnis der römischen Christen, und zwar angesichts kritischer Einwände gegen sein Evangelium, die in Rom lautgeworden sind und vor allem judenchristliche Wurzeln haben. Wenn der Jakobusbrief noch zu Lebzeiten des Paulus von Jerusalem in die Mittelmeerwelt hinausgegangen ist, wofür historisch sehr viel spricht, kann man an Jak 2,18-26 ablesen, wie die Paulusgegner, vom Herrenbruder gedeckt und ermutigt, in Hinsicht auf die Rechtfertigung argumentiert haben. So weit der Apostel den Christen von Rom in seinem Brief auch entgegenkommt und so sehr er mit Hilfe der in den Brieftext immer wieder eingeflochtenen Traditionszitate und -anspielungen deutlich macht, daß seine Lehre mit der von den römischen Christen empfangenen Lehr- und Bekenntnistradition übereinstimmt (vgl. nur l , 3 f . ; 3,25f.; 4,25; 6,17; 8,3; 10,9; 13,8f.; 14,17; 15,14f.), so unerbittlich bleibt er in einer Hinsicht: An dem ihm anvertrauten Evangelium von Jesus Christus kann und will Paulus nichts ändern. Das Evangelium ist ihm (und allen Christen) vorgegeben, und zwar in der von Gott heraufgeführten geschichtlichen Sendung des Messias Jesus Christus, seinem Sühnetod, seiner Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes und seiner Bestellung zum Retter und Richter des Jüngsten Tages. In diesem Evangelium wird die heilschaffende Gerechtigkeit Gottes offenbar. An ihm gibt es nichts zu deuteln. Wenn der Apostel in 1,16 betont, er schäme sich des Evangeliums nicht, dann signalisiert dieser Satz gleich zu Beginn des Briefes für Freund und Feind, daß Paulus auch in Rom zu der ihm anvertrauten Sache stehen will, wer immer und was immer sich ihm auch entgegenstellen möge. Der Apostel verschweigt auch die Kehrseite der Bindung an das eine Evangelium Gottes nicht, und er ist darin nicht minder unerbittlich als im Galater- und 2. Korintherbrief. Dort überantwortet er die Verkündiger eines „anderen Evangeliums" bzw. eines „anderen Christus" dem Fluch und entlarvt sie als verkappte Teufelsboten (vgl. Gal 1,9; 2 . K o r 11,4.13-15). Ähnlich im Römerbrief: Wer Paulus unterschiebt, daß er nur die „billige Gnade" (D. Bonhoeffer) verkündige, der ist als Satansdiener des göttlichen Gerichtes schuldig (3,8; 16,17f. 20). So hart diese Absage an die Gegner ist, so klar liegt der Grund für sie am Tage: Wer auch nur im Geringsten bezweifelt oder etwas daran korrigieren möchte, daß Gott in und durch Christus die gottlosen Frevler rechtfertigt, und zwar ohne Werke des Gesetzes allein aufgrund des ihnen geschenkten Glaubens (vgl. 3,28; 4,5.24f.), der stellt das endzeitliche Heil für Juden und Heiden in Frage. Eben dies aber darf und will Paulus, der als Apostel mit dem Evangelium steht und fällt (1. Kor 9,16; R o m 1,1-7.16), nicht zulassen. Daß er nicht die billige, sondern die „teure Gnade" (D. Bonhoeffer) lehrt, macht er dadurch deutlich, daß er im Evangelium die Botschaft von der Rettungstat und richterlichen Herrschaft Christi sehen lehrt (vgl. 2,16); gleichzeitig

Thema und Bedeutung des Römerbriefes

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arbeitet er heraus, daß der Glaube in den Dienst der Gerechtigkeit und in die Erfüllung des Willens Gottes stellt (6,17ff.; 8,4ff.; 12,1 ff.)· A. Schlatter hat völlig recht: Paulus zerlegt die göttliche Gnade nicht „in zwei einander folgende Gaben", genannt „Rechtfertigung und Heiligung", vielmehr „(bestimmt) bei ihm der glaubende Anschluß an den Herrn das Wissen und Wollen des Menschen vollständig und (stellt) ihn in der ganzen Gestaltung des Lebens unter die Wirksamkeit des Christus". 3. Thema und Bedeutung des Römerbriefes

Welches Thema der Römerbrief hat, kann nach dem kunstvoll stilisierten Briefeingang in 1,1-7 und dem auf dieses Präskript noch einmal zurückverweisenden, nicht minder sorgfältig formulierten Briefschluß in 16,25-27 nicht strittig sein. Es geht um das Paulus anvertraute Evangelium, das als Christusevangelium Offenbarung der heilschaffenden Gottesgerechtigkeit für Juden und Heiden ist ( 1,16-17). In der Tat handelt der Römerbrief von Gottes Gerechtigkeit, und zwar durch alle seine Kapitel hindurch (A. Schlatter, E. Käsemann, U. Wilckens u.a.). Er tut dies aber nicht als situationslose Abhandlung, sondern in Form eines großangelegten, eindringlichen Dialoges mit den römischen Christen über den Inhalt und die wahren Dimensionen des paulinischen Evangeliums, das bis nach Rom hinein von Judenchristen und Juden kritisiert wird. An der Schwelle eines neuen Abschnitts seiner Mission unter den Heiden stehend (15,23 f.), schreibt der Apostel den Christen von Rom einen Rechenschaftsbericht, in dem er seine Sache verteidigt und in Rom so stark wie möglich zu machen versucht. Was der Apostel beim Diktat seines Briefes noch nicht ahnen konnte, war, daß er nur noch als römischer Gefangener nach Rom kommen sollte (Apg 28,11-31). Paulus hat Anfang der sechziger Jahre in Rom unter Nero das Martyrium erlitten (1. Clem 5,4-7). Sein Brief, mit dem er dem Evangelium das Tor nach Westen aufstoßen wollte, ist, wie Günther Bornkamm schön formuliert hat, für die Kirche zum „Testament des Paulus" geworden. Selbst seine Gegner waren bereit zuzugestehen, daß Paulus ein großer Briefschreiber war (2. Kor 10,10). Was den Römerbrief anbelangt, haben sein Missionsauftrag, gute Freunde und herausfordernde Gegner den Apostel zu Formulierungen geführt, die geistlich maßgeblich geworden sind für die Kirche aller Zeiten. In der ganzen Heiligen Schrift wird nirgends klarer und prägnanter ausgeführt, was das Evangelium ist, als im Römerbrief. Eben dies macht die theologische Bedeutung dieses Briefes aus. Nachdem man Paulus und Jesus verschiedentlich gegeneinander gestellt hat, ist das eben Gesagte noch zu präzisieren: Aus dem Römerbrief ist nicht nur zu ersehen, wie Paulus das Evangelium verstanden und bezeugt hat, sondern seine Ausführungen machen auch deutlich, was das Evangelium überhaupt ist. Paulus weiß und bejaht, daß die von ihm in Rom 6,17 gepriesene Lehre das von ihm in 1. Kor 15,3-5 wörtlich zitierte „Evangelium" aller von Jerusalem ausgehenden Apostel ist. In diesem Evangelium und in den von Paulus in 1,3 f.; 3,25 f.; 4,25 angeführten, ebenfalls nach Jerusalem zurückverfolgbaren Traditionstexten wird gültig festgehalten, wer

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Einleitung

Jesus selbst sein wollte und wie er seinen auf Golgatha endenden Opfergang ans Kreuz verstanden hat. Jesus hat sich als Menschensohn-Messias zu Israel gesandt gesehen; als der für dieses Werk ausersehene Gottesknecht (vgl. Jes 52,13-53,12) wollte er mit seinem Opfergang ans Kreuz zuerst das erwählte Gottesvolk und in seinem Gefolge auch die Heiden in den Frieden mit Gott zurückführen, aus dem sie alle um ihrer Sünde willen herausgefallen waren. Mk 10,45 Par. und die Abendmahlsworte in Mk 14,22-25 Par. belegen dies. Da Paulus die Abendmahlsüberlieferung i n i . Kor 11,23-26 (in der Lukasversion) ausdrücklich zitiert und die Botschaft vom Leidensgeschick des Gottesknechtes Jesus Christus als das von allen Aposteln und ihm selbst verkündete Evangelium bezeichnet (vgl. l.Kor 15,11 und Rom 10,16f.), schließt sich der Kreis: Nicht nur in den von Paulus zitierten Traditionsformeln, sondern auch und vor allem in seinen eigenen Formulierungen des Evangeliums ist gültig verwahrt, wer Jesus war und was er im Namen Gottes Juden und Heiden gebracht hat, nämlich das Heil als Gottesgemeinschaft durch den Sühnetod des Gottesknechtes. Das paulinische Evangelium, über das der Apostel im Römerbrief Rechenschaft gibt, ist der Schlüssel zum Verständnis Jesu; umgekehrt verhilft Jesu messianische Existenz dazu, das Evangelium so zu verstehen, wie Paulus es lehrt. Luther hat den Römerbrief zu den biblischen Büchern gerechnet, „die dir Christus zeigen und alles lehren, was dir zu wissen not und selig ist, obschon du kein ander Buch noch Lehre nimmer sehest noch hörest". Das gilt bis zum heutigen Tag.

Ein kurzes Wort noch zur Widmung des Kommentars. Gerhard Friedrichs Vermächtnis für die Exegese des (Alten und) Neuen Testaments ist vor allem zu sehen in dem von Gerhard Kittel 1933 begonnenen, nach dem Zweiten Weltkrieg von Friedrich fortgeführten und 1979 zum Abschluß gebrachten monumentalen Werk: „Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament". Die wichtigsten Aufsätze, die Friedrich geschrieben hat, sind unter dem Titel: „Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze zum 70. Geburtstag herausgegeben von Johannes H. Friedrich" 1978 im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen. In diesem Band findet sich auch eine Bibliographie für die Jahre 1973-1978, die die Bibliographie für die Zeit von 1934-1972 aus der 1973 erschienenen, von H. Balz und S. Schulz herausgegebenen, Festschrift für G. Friedrich „Das Wort und die Wörter" fortsetzt. Seit ich G. Friedrich 1967 in Erlangen kennenlernen durfte, ist er für mich zum väterlichen Mentor geworden. Ursprünglich wollte er in der von Paul Althaus und ihm herausgegebenen, nach Luthers „Septembertestament" (s.o. S. 7) benannten Kommentarreihe „Das Neue Testament Deutsch" den Römerbriefkommentar selbst schreiben (vgl. seinen Artikel „Römerbrief" in der RGG 3 V 1137-1143). Nachdem ich auf Friedrichs Betreiben hin Mitherausgeber der Reihe geworden war, hat er mir die Abfassung des Bandes übertragen. Nun, da der Kommentar endlich fertiggestellt ist, kann ich nichts Besseres tun, als ihn dem dankbaren Gedenken des großartigen Mannes zu widmen (vgl. Hebr 13,7).

Der Brief an die Römer

Gliederung des Briefes

Das Abfassen von Briefen war in der Antike noch viel mehr als heute eine Fähigkeit, die man erlernen mußte. Dabei kam es nicht nur auf die Kunst des Schreibens als solche an, sondern auch und in noch höherem Maße auf das Vermögen, sich anderen gegenüber in bestimmten Situationen gut und sachgerecht ausdrücken zu können. Paulus ist zwar in der Handelsmetropole Tarsus in Kilikien geboren, hat aber seine Erziehung in Jerusalem erhalten und ist im Lehrhaus Gamliel I zum Schriftgelehrten ausgebildet worden (vgl. Apg 22,3). Was er an Bildung und an rhetorischer Befähigung besaß, hat er nicht auf einer der elitären antiken Akademien in Pergamon oder Alexandrien und auch nicht auf einer höheren griechischen Rhetorenschule erlernt, sondern im Elementarunterricht in Jerusalem, den er vor und im Zusammenhang mit dem Eintritt in das Lehrhaus des Gamliel genossen hat. Bereits auf der Grundstufe hellenistischer Bildung war es üblich, sich rhetorischen Modellübungen zu unterziehen und die Abfassung bestimmter Textsorten einzuüben. Auch die Rabbinen haben solche „Progymnasmata" gekannt und geschätzt. Paulus hat sich ihnen offenkundig mit Erfolg unterzogen, denn selbst seine Gegner haben anerkannt, daß die von ihm verfaßten Briefe „wuchtig und voll Kraft" seien, während sie sein persönliches Auftreten wenig überzeugend fanden (vgl. 2. Kor 10,10). Versucht man, den Römerbrief rhetorisch zu verstehen, wird man ihn am ehesten mit David Aune und Klaus Berger als „Logos Protreptikos" bezeichnen dürfen. Das griechische Verbum προτρέπειν ( = protrepein) meint „jemanden auf etwas aufmerksam machen, jemanden für etwas interessieren", und ein Logos Protreptikos ist eigentlich „eine Werbeschrift, die in erster Linie für die Beschäftigung mit einer bestimmten Disziplin, insbesondere der Philosophie, Anhänger gewinnen soll" (K. Berger). Die Gattung „Logos Protrepitkos" war flexibel und offen genug, um auch zu einem wohlüberlegten ausführlichen Brief ausgeformt zu werden, wie ihn der Römerbrief darstellt, den Paulus in wochenlanger Arbeit seinem Schreibgehilfen Tertius diktiert hat (s.u. S. 224). Antike Briefe folgten einem bestimmten briefstellerischen Schema. Zu Beginn wurden Absender und Adressat(en) genannt, Grüße und u.U. auch Danksagungen geäußert, dann folgte der eigentliche Brief, und an das Briefende wurden Grüße und Wünsche gesetzt. Paulus hat dieses Schema gekannt und benutzt. Die Nieder-

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Gliederung des Briefes

schrift der Briefe auf P a p y r u s w a r mühsam und zeitraubend. Es w a r n o c h nicht üblich, einen Brief in Kapitel einzuteilen, und es wurden auch noch keine Überschriften gesetzt, u m Sinneinheiten erkennbar zu machen. W i e ein Brief zu gliedern sei und welche Gegenstände behandelt wurden, mußte sich für den (Vor-)Leser und den (oder die) Briefempfänger aus dem fortlaufend geschriebenen T e x t und seinen Gliederungsmerkmalen ergeben. A c h t e t man auf diese M e r k m a l e im Römerbrieftext und folgt ihnen, ergibt sich eine sorgsam strukturierte Einteilung des Schreibens:

1,1-17: I. II.

Briefeingang 1,1-7: 1,8-17:

1,18-8,39: I.

Erster Hauptteil:

1,18-3,20: 1. 1,18-32: 2. 2 , 1 - 2 9 : 2.1) 2,1-11: 2.2) 2,12-16: 2.3) 2,17-29: 3.3,1-8: 4. 3 , 9 - 2 0 : II. 3 , 2 1 - 5 , 2 1 :

Grußüberschrift Briefeingang und Themenangabe: Das paulinische Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes für alle Glaubenden Gottes Gerechtigkeit für Juden und

Heiden

Heiden und Juden unter dem Zorn Gottes Die Heiden unter dem Zorn Gottes Die Juden unter dem Zorn Gottes Gottes unparteiisches Gericht Der Maßstab des Gerichts Die Schuld der Juden Einwände Juden und Heiden unter der Sünde Die Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit und Grund der Versöhnung 1. 3,21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi 2. 3,27-31: Die Universalität der Rechtfertigung 3. 4 , 1 - 2 5 : Die bereits Abraham verheißene Glaubensgerechtigkeit 4. 5 , 1 - 1 1 : Der Stand in der Versöhnung 5. 5,12-21: Die Herrschaft der Gnade III. 6 , 1 - 8 , 3 9 : Die Gottesgerechtigkeit als Grund und Kraft des neuen Lebens 1. 6 , 1 - 2 3 : Die Freiheit von der Macht der Sünde und der Dienst an der Gerechtigkeit 1.1) 6,1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe 1.2) 6,15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit 2. 7 , 1 - 8 , 1 7 : Das Ende der Herrschaft des Gesetzes und der neue Dienst im Geist 2.1) 7 , 1 - 6 : Das Ende der Herrschaft des Gesetzes 2.2) 7,7-25a: Gesetz und Sünde 2.2.1) 7,7-12: Die Verkehrung des Gesetzes zum Werkzeug der Sünde 2.2.2) 7,13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes 2.3) 7 , 2 5 b - 8 , 1 : Zwischenbilanz 2.4) 8,2-17: Der neue Dienst im Geist als Leben in der Gotteskindschaft 2.4.1) 8,2-11: Die Befreiung von der Sünde und der neue Dienst im Geist 2.4.2) 8,12-17: Geist und Kindschaft 3. 8,18-39: Leiden in der Gewißheit der Errettung 3.1)8,18-30: Leiden in Hoffnung 3.2) 8,31-39: Gottes unerschütterliche Liebe in Jesus Christus

R o m 1,1-17: Briefeingang

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9,1-11,36: Zweiter Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Israel I. 9,1-5: II. 9,6-29: 1.9,6-13: 2. 9,14-29: in. 9,30-10,21: 1.9,30-33: 2. 10,1-13: 3. 10,14-21: IV. 11,1-32: 1. 11,1-10: 2. 11,11-24: 3. 11,25-32: V. 11,33-36:

Klage um Israel Erwählung und Erbarmen Gottes Gottes freie Erwählung Gottes freies Erbarmen Israels Auflehnung gegen die Gottesgerechtigkeit in Christus Israels Anstoß am Felsen des Ärgernisses Israels Verkennung der Gottesgerechtigkeit Israels Ungehorsam gegenüber dem Evangelium Der Weg des Erbarmens Gottes Der erwählte Rest Israels Verstockung auf Zeit Das Geheimnis der Errettung ganz Israels Lobpreis der Wege Gottes

12,1-15,13: Dritter Hauptteil: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde I. Π. ΠΙ. IV. V. VI. VII.

12,1-2: 12,3-8: 12,9-21: 13,1-7: 13,8-10: 13,11-14: 14,1-15,13: 1. 14,1-12: 2. 14,13-23: 3.15,1-6: 4.15,7-13:

15,14-16,27: I. II. ΙΠ. IV. V. VI. VII. Vin.

Gottesdienst als Lebenszeugnis Gemeinde nach dem Maß des Glaubens Wandel in der Liebe Das Verhältnis zu den staatlichen Organen Die Nächstenliebe als Erfüllung des Gesetzes Christlicher Wandel angesichts der nahenden Errettung Gegenseitige Annahme in der Gemeinde Ein Herr und Richter für Schwache und Starke Erbauung der Gemeinde durch Rücksicht Selbstverzicht nach dem Vorbild Christi Gegenseitige Annahme der Angenommenen

Briefschluß

15,14-21: 15,22-24: 15,25-33: 16,1-2: 16,3-16: 16,17-20: 16,21-24: 16,25-27:

Der Dienst des Heidenapostels Uber Rom nach Spanien Die Kollektenreise nach Jerusalem Empfehlung für die Phoebe Grußliste Warnung vor Irrlehrern Grüße der Mitarbeiter des Apostels Abschließendes Gotteslob

1 , 1 - 1 7 : Briefeingang

Der Römerbrief ist im biblischen Kanon zur Lehrschrift über den christlichen Glauben geworden. Als solche Lehrschrift kann man ihn aber erst dann angemessen würdigen, wenn man erkannt hat, daß der Brief ursprünglich ein Schreiben des Apostels Paulus war, das dieser in der Mitte des 1. Jh.s. n.Chr. von Korinth aus

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1,1-17: Briefeingang

an die Christen von Rom gerichtet hat, und zwar aus aktuellem Anlaß: Paulus wollte die Briefempfänger aus erster Hand informieren über sein vielfach angefeindetes Evangelium und sie durch diese Information zu Freunden seiner Missionsabsichten machen. Aus 16,22 ergibt sich, daß der Apostel den Römerbrief in mühsamer, wahrscheinlich Wochen beanspruchender Arbeit seinem christlichen Schreibgehilfen namens Tertius diktiert hat. Er rechnete damit, daß der Brief den Mitgliedern der in 16,5.14f. genannten römischen Hausgemeinden vorgelesen und von ihnen besprochen werden würde. Wie die voranstehende Gliederung des Briefes (s.o. S. 18 f.) zeigt, hat Paulus seine Darlegungen sehr sorgsam aufgebaut. Dieser sorgsame Aufbau und die unseren Brief stets als Ganzes bezeugende griechische Textüberlieferung beweisen, daß es sich beim Römerbrief nicht um eine erst nach der Zeit des Paulus von zweiter oder dritter Hand hergestellte Komposition aus mehreren (nach Rom und Ephesus versandten) Paulusbriefen handelt (W. Schmithals u.a.), sondern um eine ursprüngliche, auch Kap. 16 mitumfassende, Einheit. Den Eingang seines Briefes hat der Apostel besonders sorgfältig formuliert und rhetorisch durchdacht. Er teilt sich ein in zwei Abschnitte und folgt damit der antiken briefstellerischen Sitte. Auf eine Grußüberschrift (1,1-7) folgt ein Briefeingang, der nahtlos in die Angabe des Themas übergeht, das der Brief behandelt (1,8-17). I. 1,1-7: Grußüberschrift 1 Paulus, Knecht Christi Jesu, berufener Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, - 2 das er im voraus verheißen hat durch seine Propheten in (den) heiligen Schriften, 3 (das handelt) von seinem Sohn, der hervorgegangen ist aus dem Samen Davids nach dem Fleische, 4 der eingesetzt wurde zum Sohn Gottes in Macht nach dem Geist der Heiligkeit auf Grund der Auferweckung der Toten, (von) Jesus Christus, unserem Herrn, 5 durch den wir empfangen haben Gnade und Sendungsauftrag zum Gehorsam des Glaubens unter allen Heidenvölkern zur Ehre seines Namens, 6 unter denen auch ihr seid als Berufene Jesu Christi, - 7 an alle Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die sich in Rom befinden: Gnade (sei) mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Vers 2 f.: 2. Sam 7, 12ff.; Ps 2, 7; 89, 27f.; 110,1 ff.

A

Wie alle Paulusbriefe beginnt auch der Römerbrief mit einer bedachtsam formulierten Grußüberschrift. Bei der öffentlichen Verlesung der Briefe in den Gemeindeversammlungen (vgl. 1. Thess 5,27;Kol 4,16)gaben diese Uberschriften den Mitteilungen des Apostels einen offiziellen Anstrich: Statt sich einfach der üblichen griechischen Sitte anzuschließen, einen Brief nur mit einem einzigen kurzen Eingangs- und Grußsatz zu beginnen (vgl. Jak 1,1; Apg 15,23; 23,26), folgt Paulus einem Modell, wie wir es in Dan 3,31 (4,1) und zeitgenössischen jüdischen Briefen finden. Der Absender führt seine(n) Titel auf, geht ebenso ausdrücklich auf Rang und Stellung seiner Adressaten ein und entbietet ihnen in einem neuen Satz seinen Gruß. Die Grußüberschrift des Römerbriefes ist ausführlicher als alle anderen

1,1-7: Grußüberschrift

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Briefeingänge in den Paulusbriefen. Sie beschreibt in sorgsam ineinander gefügten Sätzen Auftrag, Botschaft und Absicht des Paulus und will den Christen in Rom, die Paulus noch nicht von Angesicht kennen, bedeuten, daß sie es im Römerbrief mit einem Mann und einer Sache zu tun bekommen, die für sie von größter Bedeutung sind. U m seinen wohlgeformten Sätzen noch zusätzlich Nachdruck zu verleihen, greift Paulus in V. 3 f. auf eine vermutlich auch in Rom bereits bekannte Lehr- und Bekenntnisformel zurück: Das Paulus aufgetragene Evangelium handelt von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der seiner irdischen (Niedrigkeits-)Existenz nach aus der (die Verheißung auf den kommenden Messias tragenden) Sippe Davids stammt und kraft seiner Auferweckung und Erhöhung zur Rechten Gottes in die Herrscherrechte des messianischen Gottessohnes eingesetzt worden ist. Sprache und Stil von V. 3 f. verraten, daß Paulus mit diesen Worten Tradition aufgreift: V. 3 und 4 bilden zusammen einen Parallelismus, wie wir ihn oft in den Psalmen oder der alttestamentlichen Weisheitsdichtung antreffen; von Jesu Herkunft aus dem Geschlechte Davids und dem „Geist der Heiligkeit" (jüdisch für: Heiliger Geist) spricht Paulus sonst nicht, und die Gegenüberstellung „nach dem Fleische" — „nach dem Geist der Heiligkeit" ist mit dem kleinen Christushymnus aus 1. Tim 3,16 zu vergleichen: Irdische und himmlische Welt werden einander gegenübergestellt. — In V. 7 wendet sich Paulus an „alle Geliebten Gottes" und nicht, wie z.B. in 1. Thess 1,1 oder 1. Kor 1,2, „die Gemeinde Gottes" in Rom. Dies hat historisch einen einfachen Grund: Als Paulus den Römerbrief schrieb, gab es in der Welthauptstadt Rom nur erst eine Anzahl von Hausgemeinden (vgl. Rom 16, 5.12 ff.), die über die verschiedenen Viertel der Metropole verteilt waren, sich aber noch nicht zu einer Gesamtgemeinde hatten zusammenschließen können. Der Römerbrief wurde von Hausgemeinde zu Hausgemeinde weitergereicht und dort vorgelesen und besprochen. Die (mit Phil 1,1 vergleichbare) Anrede des Apostels paßt genau in diese Situation hinein. Die mit größter Sorgfalt geformte Grußüberschrift gibt bereits zu erkennen, worum es Paulus in seinem Brief geht: um seinen apostolischen Sendungsauftrag, das ihm anvertraute Christusevangelium und das Einverständnis mit allen Christen von R o m im Blick auf dieses Evangelium und das Apostelamt des Paulus. Paulus stellt sich den Römern vor in dreifacher Eigenschaft. Wie Mose, Josua, David und die Propheten Knechte (Diener) Gottes waren (vgl. Jos 14,7; 24,29; Ps 89,4.21; 2. Kön 17,23), ist Paulus „Knecht (Diener) des Messias Jesus". Sein Auftrag setzt das Werk der Propheten fort. Vor Damaskus wurde er zum Apostel „berufen", nachdem ihn Gott schon von Mutterleib an dazu bestimmt („ausgesondert") hatte, Sendbote der von Gott heraufgeführten Heilsbotschaft zu werden. Paulus erinnert damit an seine in Gal 1,11-17 und 2. Kor 4,5 f. ausführlicher dargestellte Berufung und rechnet damit, daß Christen in Rom seine Geschichte kennen. Das Paulus aufgetragene Evangelium ist ganz Werk Gottes: Gott hat dieses Evangelium in den heiligen Schriften (des Alten Testaments) durch seine Propheten schon vor dem irdischen Auftreten Jesu ankündigen lassen (vgl. z.B. Jes 9,1-6; 11,1-9; Jer 23,5 f.; 31,31-34). Diese Verheißungen haben sich in der Sendung Jesu, des Messias, erfüllt (2. Kor 1,20), und deshalb hat das Evangelium einen klaren Inhalt: Es erzählt vom irdischen Weg und Werk des messianischen Gottessohnes, der als

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1,1-17: Briefeingang

Mensch aus jener Sippe Davids hervorging, die Träger der Verheißung von 2. Sam 7,12-14 ist, und an dem nach Passion und Grablegung Gott kraft der Schöpfermacht des Hl. Geistes die endzeitliche Auferweckung der Toten verheißungsvoll verwirklicht hat (vgl. l.Kor 15,20 mit Rom 6,4). Mit der Auferweckung wurde Jesus gemäß Ps 110,1 zur Rechten Gottes „erhöht", d.h. in die Herrscherrechte eingesetzt, die dem Gottessohn gebühren. Fortan heißt er „der Herr" (vgl. Phil 2,9-11). V. 3 und 4 enthalten die in den Evangelien erzählte Christusgeschichte in Kurzform und betonen, daß der gesamte Weg Jesu von seiner Geburt an bis zur Erhöhung unter dem Vorzeichen der Verheißungen Gottes steht (vgl. bes. Lk 1,55; 24,24 ff.; Apg 2,30 ff.; 4,24 ff.; 10,36-43; 13,23.32 ff.). In 15,8 wird der Apostel noch einmal darauf zurückkommen. Zu Beginn seines Briefes begnügt er sich damit, eine Bekenntnis- und Formel-Sprache zu sprechen, der die Christen in Rom ohne Zögern zustimmen können (s.o.). Er fährt fort: Durch den erhöhten Herrn haben wir (mit diesem sog. Majestätsplural meint Paulus sich selbst) Gnade und Sendungsauftrag, d.h. die Gnadenvollmacht und Befähigung empfangen, um unter allen Heidenvölkern im Auftrag des Herrschernamens Jesu Glaubensgehorsam zu wirken. Die Wendung „im Auftrag des Namens" wird verständlich, wenn man bedenkt, daß nach biblischem Denken der Name Jesu Inbegriff seiner Heilstat und Gegenwart ist (vgl. Apg 4,10-12; 1. Kor 6,11). Paulus soll als Apostel im Auftrag und Geiste Christi (vgl. 2. Kor 5,20) „Glaubensgehorsam" wecken. Mit diesem Ausdruck ist die Bekehrung und Unterordnung unter die Herrschaft Jesu gemeint, die Ergebnis der Verkündigung des Evangeliums ist. — Mit V. 6 wendet sich Paulus direkt seinen Adressaten zu. Unter den Heidenvölkern leben auch die Christen von Rom. Wie Paulus zum Apostel, so sind sie von Christus zum Glauben berufen. Mehr noch: Weil Gott an ihnen in der Sendung Jesu seine Liebe erwiesen und sie durch den Opfertod seines Sohnes von ihren Sünden befreit und geheiligt hat (1. Kor 6,11), sind sie im Glauben die „Geliebten Gottes" und „berufenen Heiligen". Paulus hebt ausdrücklich hervor, daß er sich mit seinem Brief an „alle" Christen in Rom wendet. Brief und Gruß des Apostels gelten nicht nur jenen Freunden und Bekannten, die er in Kap. 16 aufzählt, sondern allen Glaubensgenossen, mögen sie ihm freundlich oder unfreundlich gesonnen sein. Der Gruß „Gnade und Friede sei mit euch" knüpft an die jüdische Grußformel „Erbarmen und Friede sei mit euch" (syrBar 78,2 und Gal 6,16) an und läßt das im griechischen Briefeingang übliche „Zum Gruß!" mitanklingen: Paulus wünscht den Christen von Rom, daß sie Anteil an der Gnade und dem Frieden gewinnen, die Gott durch Christus heraufgeführt hat (vgl. Rom 5,1 ff.). Alles, was Paulus fortan zu sagen hat, steht unter diesem Vorzeichen.

Exkurs I: „Apostel Jesu Christi" Mit dem bereits in den ersten Zeilen des Römerbriefes geäußerten Anspruch, Apostel Jesu Christi zu sein, reiht sich Paulus in die Gruppe der Männer (und Frauen) ein, die das Evangelium kraft österlicher Beauftragung durch den auferstandenen Christus verkündigen (die in Rom 16,7 erwähnte Junia ist zusammen mit

Exkurs I: „Apostel Jesu C h r i s t i "

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[ihrem Mann?] Andronikus im Missionsdienst tätig). — Der neutestamentliche Titel „Apostel" hat mit dem griechischen Begriff άπόστολος (apostolos) = „Admiral, Leiter einer Flottenexpedition" nur das Wort gemein. Er geht auf alttestamentliche und jüdische Vorbilder zurück und hat seine entscheidende Prägung durch Jesus erhalten. Schon von Mose und den alttestamentlichen Propheten heißt es, daß sie durch Gott berufen und zur Verkündigung „gesandt" worden sind (vgl. Ex 3,10.13; Jes 6,8;Jer 1,7; Jes 61,1 usw.). NachMk 6,7ff. Par. undLk 10, Iff. Par. hat Jesus die von ihm erwählten Zwölf und andere seiner Jünger ausgesandt, um die Gottesherrschaft zu verkündigen wie er selbst (nach jüdischem Botenrecht gilt, daß „der Abgesandte eines Menschen ist wie dieser", Mischna, Ber 5,5). Vor Ostern war dies eine Verpflichtung auf Zeit. Mit den Ostererscheinungen, von denen Paulus in 1. Kor 15,5 ff. und die Evangelien erzählen, wandelte sich dieser zeitlich begrenzte Verkündigungsauftrag für die Betroffenen in eine Sendung auf Lebenszeit (vgl. Mt 28,16-20; Joh 20,21-23; Apg 1,8; Rom 10,14-17). Paulus hat lebenslang darum gerungen, dem Kreis dieser Apostel zugerechnet zu werden. Sein Haupthindernis war ein doppeltes: Er hatte den irdischen Jesus nicht gekannt und sich auch nach Ostern nicht sogleich der Gemeinde Christi in Jerusalem angeschlossen wie der Herrenbruder Jakobus; vielmehr hatte er die Stephanus folgenden Christen von Jerusalem an bis hin nach Damaskus verfolgt und ihre Gemeinden „auszurotten" versucht (vgl. Gal 1,13; 1. Kor 15,9 und Apg8,3; 9,lf.21). Ob Paulus wegen seiner Schau des auferstandenen Christus als Sohn Gottes vor Damaskus, von der er in Gal 1,16; 1. Kor 9,1; 15,8; 2. Kor 4,6 berichtet, als ein Petrus und den Zwölfen ebenbürtiger Osterzeuge und Apostel zu erachten sei, ist im Urchristentum umstritten geblieben. Paulus hat diesen Rang nachdrücklich beansprucht (vgl. Gal 1,1.llff.; 1 . K o r 9 , I f . ; 15,9-11; 2. Kor4,1-6) und bis in den Römerbrief an der göttlichen Offenbarungsqualität seines Evangeliums festgehalten (vgl. Gal l,8f. 11 f.; Rom 1,1 f. 16f.;2,16; 15,16.19f.). Die judenchristlichen Gegner des Paulus haben ihm aber diesen Anspruch angefangen von Galatien (vgl. Gal 1,10) über Philippi (vgl. Phil 3,2 ff.) und Korinth (vgl. 1. Kor 9,2 ff.; 2. Kor 2,14-17; 4,1-6; 10-13) bis hin nach Rom (vgl. Rom 3,8)streitig gemacht. Im Vergleich mit den Jerusalemer Altaposteln Petras, Johannes usw. nahm sich Paulus für sie nur als ein spätberufener Nachkömmling aus, der in Antiochien Missionshelfer des Barnabas gewesen war (vgl. Apg 11,22-26; 13,2) und Barnabas auf das Jerusalemer Apostelkonzil begleitet hatte (vgl. Apg 15,1 ff.; Gal 2,1 ff.); er schnitt seine Evangeliumsverkündigung nach den Wünschen und Maßstäben der gesetzlosen Heiden zurecht (vgl. Gal 1,10), verachtete das Gesetz und machte Christus zum „Diener der Sünde" (Gal 2,17). Vorwürfe dieser Art spiegeln sich auch im Römerbrief auf Schritt und Tritt (vgl. nur Rom 2,16; 3,8.31 ; 6,1.15; 7,7.13 usw.). Da Paulus in l . K o r 15,8 selbst zugesteht, er sei später als „alle Apostel" und gänzlich unverdient seiner Christuserscheinung gewürdigt worden, da sich außerdem kaum bestreiten läßt, daß er Barnabas nach Jerusalem in der Eigenschaft eines „Gemeindeapostels" (vgl. 2. Kor 8,23) begleitet hat, und da die paulinische Kritik am mosaischen Gesetz grundsätzlicher ist als alle anderen urchristlichen Stimmen zur Gesetzesfrage, waren die Vorwürfe der Paulusgegner besser begründet, als wir heute wahrhaben wollen.

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1,1-17: Briefeingang

Lukas wählt in der Apostelgeschichte für die Darstellung der Sendung des Paulus die Perspektive der Geschichtsschreibung zwischen und über den Fronten: Apostel im ursprünglichen Sinn des Wortes sind nur die von Jesus erwählten Zwölf mitsamt dem an Stelle des Judas nachgewählten Matthias (Apg 1,2 ff. 15-26); Paulus gehört noch nicht zu diesem Kreis. Er ist aber neben und nach den Zwölfen der bedeutsamste Zeuge des Evangeliums, den sich der auferstandene Christus für die Mission der Heidenvölker erwählt hat (vgl. Apg 9,15 f.; 26,16-18). „Apostel" ist Paulus nur in dem Sinne, daß er zusammen mit Barnabas von der Gemeinde in Antiochien (als „Gemeindeapostel", s.o.) ausgesandt und mit einem speziellen Auftrag versehen wurde (vgl. Apg 13,1-3; 14,4.14). Aber für ihn gilt gleichzeitig, daß er in der Kraft der Gnade Gottes mehr in der Mission geleistet hat, als die Apostel vor und neben ihm(l. Kor 15,10). Lukas macht das durch seine von Jerusalem nach Rom weisende Gesamtdarstellung des Weges des Paulus deutlich. Am Beispiel des Apostels Paulus und seiner Geschichte werden wir mit dem theologisch höchst gewichtigen Faktum konfrontiert, daß die Botschaft des Evangeliums ihre Gestalt als geschichtlich unverwechselbares menschliches Zeugniswort gewonnen hat. Kirche und Theologie bleiben auf dieses ursprüngliche Zeugnis und damit zugleich darauf angewiesen, daß es historisch unaustauschbare Ursprungszeugen des Evangeliums gegeben hat. Unter ihnen ist Paulus der missionarisch und (durch seine Briefe) literarisch wirksamste.

Exkurs II: Evangelium bei Paulus Das Apostelamt des Paulus hängt untrennbar mit seinem Evangelium zusammen. Die zweifache Definition des Evangeliums, die Paulus in Rom 1,1 ff. und 1,16f. gibt, nötigt dazu, die Grundlinien des Verständnisses von „Evangelium" aufzuzeigen, die der Apostel im Römerbrief verteidigt. Wie Paulus in Gal 1,11-16 und 2. Kor 4,1-6 eingehend beschreibt, hat er das Evangelium bei seiner Berufung durch die Offenbarung Jesu Christi empfangen. Das Evangelium ist eine Offenbarungsmacht (Rom 1,16), die den Apostel auf Gedeih und Verderb in Beschlag nimmt wie einst den Propheten Jeremía das ihm aufgetragene Gottes wort (vgl. l.Kor 9,16 mit Jer 20,9). Paulus kann das Evangelium darlegen, er kann mit ihm und in seinem Dienste argumentieren, aber er kann es nicht verändern oder gar zur Disposition stellen. Wer das Evangelium anzutasten und einen „anderen Christus" zu verkündigen wagt als den, der Paulus vor Damaskus erschienen ist, verfällt dem Fluch (vgl. Gal 1,9 und 2. Kor 11,3 f.). Die Autorität des paulinischen Evangeliums ist die Autorität Gottes; Paulus verkündigt mit dem „Evangelium Gottes" Gottes eigenes Wort (1. Thess 2,2.8.9.13; 2. Kor 11,7; Rom 1,1; 15,16). —Seinem Inhalt nach ist das paulinische Evangelium „Evangelium von Christus" (1. Thess 3,2; 1. Kor 9,12; Rom 15,19 usw.). Es handelt von der geschichtlichen Heilstat Gottes in der Sendung, dem Sühnetod und der Auferweckung Christi (Rom 1,3 f.), und in ihm tritt Christus als Versöhner und Herr in Erscheinung. Daher können „Christus verkündigen" (1. Kor 1,23; 15,12) und „das Evangelium verkündigen" (l.Kor 1,17; 15,1) bei Paulus miteinander

E x k u r s II: E v a n g e l i u m bei P a u l u s

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abwechseln. Paulus hat Christus vor Damaskus als den zur Rechten Gottes erhöhten Gottessohn in Herrlichkeit geschaut (Gal 1,16; 2. Kor 4,5 f.). Für ihn, den Christenverfolger, bedeutete dies einen tiefgreifenden Umschwung. Als Verfolger der Gemeinde hatte der junge fanatische Pharisäer Paulus in Christus einen messianischen Volksverführer gesehen, der zu Recht den Schandtod am Kreuz (gemäß Dtn 21,22 f.) gestorben war. Nun schaute er eben diesen Christus als den, dem Gott Recht gegeben und alle Herrlichkeit verliehen hatte, und wurde von ihm in Dienst genommen. Christus begegnete ihm, dem Eiferer für das Gesetz (Gal 1,14) und Gegner des Glaubens, als messianischer Herr und als Versöhner, der den ihm widerstreitenden Paulus annahm und ihn, den Sünder, begnadigte, sein Sendbote zu werden (1. Kor 15,10; 2. Kor 2,14f.; Rom 1,5). Statt des Gesetzes verkündigte Paulus nunmehr Christus als „Ende des Gesetzes" (Rom 10,4) und den Glauben an ihn als Heilsweg. Er selbst bekannte von sich: „Wenn wir auch einst Christus in fleischlicher Weise erkannt haben, erkennen wir ihn nunmehr nicht mehr so" (2. Kor 5,16); und in den Gemeinden erzählte man sich: „Der, der uns einst verfolgt hat, verkündigt nun den Glauben, den er einst auszurotten versuchte" (Gal 1,23; vgl. auch Apg9,19-21). Um seiner gesetzeskritischen Christuspredigt willen wurde Paulus von seiner Berufung an in schwere Auseinandersetzungen mit den Synagogen und jüdischen Gerichten verwickelt (vgl. 2. Kor 11,24 ff.), und die gesetzestreuen Judenchristen begannen, seine Evangeliumsverkündigung zu beargwöhnen und zu kritisieren (vgl. Gal 2,4f.; Apg 15,1 f. 5.24). Hauptzeugnis dieses Streites ist für uns heute der Galaterbrief; in den Korintherbriefen und im Philipperbrief setzt er sich fort, und im Römerbrief spiegelt sich die Kampfsituation, in der Paulus steht (vgl. Rom 3,8; 15,20f.; 16,17f.). Von Anfang an ist das paulinische Christusevangelium umstritten gewesen. Mit den Jerusalemer Altaposteln verkündigte Paulus das Evangelium von Jesu Sühntod, Grablegung, Auferweckung am dritten Tage und seinen österlichen Erscheinungen vor Petrus und den Zwölfen (1. Kor 15,3-5.11). Die Lehre vom Sühntod Jesu machte sich der Apostel voll zu eigen (vgl. 2. Kor 5,21; Rom 3,25 f.; 4,25; 8,3). Die von Jesus selbst herkommende Abendmahlstradition hielt Paulus hoch (vgl. 1. Kor 11,23 ff.), und er wies seine Gemeinden an, seinem eigenen Beispiel zu folgen und einen Lebenswandel zu führen, der vor Gott und den Menschen wohlgefällig und des Evangeliums würdig war (1. Thess 2,9f.; 4,1; Phil l,12f.l6.20; 3,12-17 usw.). Was seine Gegner argwöhnisch machte, waren die paulinischen Kernsätze: „Christus hat uns freigekauft vom Fluch des Gesetzes, indem er selbst für uns zum Fluch wurde, denn es steht geschrieben: ,Verflucht ist jeder, der am Kreuze hängt' (Dtn 21,23)" (Gal 3,13); und: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit; bleibet nun beständig und unterliegt nicht von neuem dem Joch der Knechtschaft", d.h. dem Gesetz (Gal 5,1); und vor allem: „aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch gerechtfertigt (vor Gott)" (Gal 2,16; Rom 3,20); sowie: „Wir sind der Meinung, daß ein Mensch (allein) aus Glauben ohne Werke des Gesetzes (von Gott) gerechtfertigt wird" (Rom 3,28). Paulus verteidigt diese Einsichten bis in den Römerbrief hinein. Was den Apostel veranlaßte, seine Missionsbotschaft, sein κήρυγμα (kèrygma) (vgl. l.Kor 1,21; 2,4; 15,14), „Evangelium" (= Heils-, Frohbotschaft) oder sogar engagiert „mein (unser) Evangelium" zu nennen (1.Thess 1,5; Rom 2,16),

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1,1-17: Briefeingang

war die apostolische Tradition, in die er sich gestellt sah (s. dazu auch O.S. 22 ff.). Sie ist entscheidend von Jesus geprägt: In Jes 52,7 ist von dem Freudenboten die Rede, „der Frieden hören läßt, Gutes verkündet, Heil hören läßt" und Zion mit dem Ruf: „König ist dein G o t t " den Anbruch der Königsherrschaft Gottes verkündigt (ähnlich Nah 2,1). In Jes 61,1 f. heißt es von dem mit dem Geist Gottes Gesalbten, ersei gesandt, „den Armen frohe Botschaft zu bringen". Das frühe Judentum hat diese Schriftstellen auf den kommenden Messias gedeutet. Aus Lk 4,16-21 und Mt 11,2-6 Par. können wir sehen, daß Jesus sich selbst von Jes 61,1 f. her als den verheißenen messianischen Evangelisten der Armen verstanden hat; als solcher war er zugleich der Verkündiger der nahe gekommenen Gottesherrschaft (Mk 1,14 f. Par.). Jesu Botschaft ist deshalb schon früh, u.U. sogar schon von ihm selbst und ¡einen Jüngern, als „das Evangelium von (der) Gott(esherrschaft)" bezeichnet worden (vgl. Mk 1,15 mit Jes 52,7; ferner Mt 4,23; 9,35; 24,14). Schon zu seinen Lebzeiten hat Jesus seine Jünger an seiner Verkündigung beteiligt; nach Lk 9,6 zogen sie aus und wanderten als „Evangelisten und Heiler" von Ort zu Ort. Mit Ostern und Pfingsten wandelte sich ihr Verkündigungsauftrag in eine lebenslange Sendung; die Apostel verstanden sich seither als Evangelisten, die im Auftrag des erhöhten Christus das „Evangelium von Jesus Christus" zu verkündigen hatten (Rom 10,14-17). Wie dieses Evangelium lautete, läßt sich aus l . K o r 15,3ff. erkennen. Ohne die Frage der Missionsbereiche und das Problem des Gesetzes auszudiskutieren, unterschied man auf dem Apostelkonzil in Jerusalem zwischen dem Petrus anvertrauten „Evangelium der Beschneidung" ( = für die Juden und Proselyten) und dem „Evangelium der Unbeschnittenheit" ( = für Heiden und Gottesfürchtige), mit dem Paulus und Barnabas betraut waren (Gal 2,7). Für dieses Evangelium tritt der Apostel in seinen Briefen ein, und in l . K o r 15,8-11 sowie R o m 10,14ff. betont er die Gleichartigkeit seines Verkündigungsauftrages mit dem der übrigen Apostel bzw. „Verkündiger (= Evangelisten) des Guten" (vgl. Jes 52,7; N a h 2,1). Paulus hat also seine Rede vom „Evangelium" von den Aposteln vor und neben ihm übernommen. Die besonderen Akzente, die er setzt, werden erkennbar, wenn er sein Evangelium in 1. Kor 1,18 „das Wort vom Kreuz" und in 2. Kor 5,19 „das Wort von der Versöhnung" nennt: Im Mittelpunkt der paulinischen Christusverkündigung steht Gottes Heilswerk durch das Kreuz Christi und dessen Folgen für Glaube und Leben. Wie die aktuelle Verkündigung des Paulus ausgesehen hat, wissen wir nur aus einigen Andeutungen. Paulus hat wie andere christliche Missionare zum Glauben und zur Umkehr gerufen (vgl. 1. Thess 1,9 f.); er hat als Lehrer der Hl. Schrift gewirkt und (Jesus-)Tradition selbst übernommen und weitergegeben (vgl. 1. Thess 4,1; 1. Kor 11,23; 15,Iff. mit Apg 18,7.11; 19,9f.); er hat an Gemeinden und einzelne Christen (vgl. Phlm) Briefe geschrieben und sich in Beratungen für sie verzehrt (vgl. 2. Kor 11,28 f.). Finanzielle Unterstützung hat er nur gelegentlich angenommen (vgl. Phil 4,10-20). Zumeist hat er versucht, seinen Lebensunterhalt als (Leder-)Zeltmacher selbst zu verdienen (vgl. l . K o r 9 , 6 ; 2. Kor 11,7ff.28; Apg 18,1-3). Der in griechischen Kaiserinschriften bezeugte Gebrauch von „Evangelium" für die guten Nachrichten von der Geburt, dem Herrschaftsantritt, Siegen und Wohltaten des Kaisers dürfte Jesus, den Aposteln und Paulus bekannt gewesen sein. Er

1,8-17: Briefeingang und Themenangabe

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hat aber auf ihre Verkündigungssprache keinen Einfluß gehabt und auch das Verständnis der Christusbotschaft in den Gemeinden nicht nennenswert beeinflußt.

II. 1,8-17: Briefeingang und Themenangabe: Das paulinische Evangelium von der Gerechtigkeit Gottes für alle Glaubenden 8 Zuerst nun danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird. 9 Denn Gott ist mein Zeuge, dem ich diene mit meinem Geist am Evangelium seines Sohnes, daß ich euch unablässig erwähne: 10 Bei meinen Gebeten bitte ich stets darum, ob es mir wohl endlich einmal kraft des Willens Gottes gelingen wird, zu euch zu kommen. 11 Ich sehne mich nämlich danach, euch zu sehen, um euch etwas an geistlicher Gnadengabe mitzuteilen zu eurer Stärkung, 12 das heißt, um unter euch gemeinsam Ermutigung zu erfahren durch wechselseitigen Austausch eures und meines Glaubens. 13 Ich möchte euch aber (auch) nicht in Unkenntnis darüber lassen, (liebe) Brüder, daß ich mir schon vielfach vorgenommen habe, zu euch zu kommen, und doch daran gehindert worden bin, auch unter euch wie unter den übrigen Heiden etwas Frucht zu gewinnen. 14 Griechen und Barbaren, Weisen und Ungebildeten bin ich (gleichermaßen) verpflichtet; 15 daher meine Bereitschaft, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen. — 16 Ich schäme mich nämlich des Evangelium nicht, denn es ist eine Macht Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, für den Juden zuerst, aber auch für den Griechen. 17 Denn Gottes Gerechtigkeit wird in ihm offenbart aus Glauben auf Glauben hin, wie geschrieben steht: „Der aus Glauben Gerechte aber wird leben". Veis 16: ft 98,2 f.;

Vers 17: Hab 2,4.

Zur Zeit des Paulus war es unter Griechen und Juden üblich, der Grußüber- A schrift noch einen Briefeingang folgen zu lassen, in dem man die Adressaten des gegenseitigen Gedenkens und eventuell auch der Fürbitte versicherte. Paulus schließt sich dieser Sitte an, gibt aber auch diesem Briefeingangsteil eigenes Gepiäge: In behutsam gesetzten Worten geht er in V. 8 zunächst auf das weltweite Ansehen der Christen von Rom ein, versichert sie in V. 9 + 10 seines langgehegten Wunsches, zu ihnen zu kommen, deutet in V. 11 + 12 an, worauf er bei einem Besuch hofft, und kommt in V. 13-15 auf die (offenbar akute) Frage zu sprechen, weshalb er bisher nicht in die Welthauptstadt hat kommen können, obgleich er als Apostel der Heiden auch in Rom hätte missionieren wollen und sollen. Mit den Versen 16 und 17 mündet der Briefeingang in zwei thematische Verse aus, die den Inhak des Römerbriefes angeben: Es geht um das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus für alle, die glauben. Micht man sich diese Textstruktur klar, wird ein Problem lösbar, mit dem die Ausleger sich immer wieder herumgeschlagen haben: Zum Beschluß seines Briefes, in 15,14-33, kommt Paulus noch einmal auf seine Reisepläne und Besuchsabsichten zu sprechen. Er erklärt dabei voller Stolz, er habe stets seine Ehre darin gesehen, das Evangelium nur dort zu verkündigen, wo noch kein anderer Missionar vor ihm gewesen sei; auf ein von anderen gelegtes Fundament wolle er bei seiner Mission nichtbauen (15,20 f.). Wenn man in Rom 1,13-15 nur die Fortsetzung von 1,10-12

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1,1-17: Briefeingang

sieht und dann V. 15 (mit Wilckens u.a.) übersetzt: „So bin ich, was mich betrfft, bereit, auch euch in R o m das Evangelium zu verkündigen", entsteht ein schwerviegender Widerspruch zu 15,20 f. Während Paulus sich dort eines Missionsverfahrens rühmt, das das Weiterbauen auf einem bereits von anderen gelegten Grund lusschließt, erklärt er in 1,15 genau dieses Verfahren zu seiner Absicht in Rom. Der Widerspruch löst sich auf, wenn man die Textstruktur von V. 8-15 ernstnimmt. Man kann dann nämlich genau erkennen, daß Paulus in V. 11 f. nur von seinem Wunsche spricht, bei seinem Besuch mit den Christen von Rom ins Einverständnis über den Glauben zu kommen; ebenso außen er sich dann noch einmal in 15,24. In 1,13-15 fügt er hinzu, daß er sehr gern auch in Rom der Erstlingsmissionar gewesen wäre, aber (von Gott) daran gehindert worden sei. V. 15 gehört zu eben dieser Erklärung noch hinzu. Der Vers vermeidet im Griechischen ein direktes Verb und besagt nur, daß es seinerzeit Absicht des Paulus war, auch in Rom (als erster) das Evangelium zu verkündigen. Nunmehr — so ist im Blick auf 1,11 f. und 15,20ff. zu verstehen — geht es ihm nur noch darum die Glaubensgemeinschaft mit den Römern zu pflegen. Paulus will die römischen Christen also nicht besuchen, um ihnen das Evangelium neu zu predigen, sondern er will mit seinem Brief und seinem persönlichen Besuch Klarheit über sein (bis hin nach Rom umstrittenes) Evangelium schaffen und sich auf diese Weise die Unterstützung der römischen Gemeinden bei seinen nach Spanien zielenden Missionsplänen sichern (vgl. Rom 15,22-24). Daß das paulinische Evangelium umstritten ist, deuten die Verse 16 und 17 an, aber Paulus ist entschlossen, zu der ihm aufgetragenen Botschaft zu stehen. Β Zu Beginn des Briefeingangs läßt Paulus die römischen Christen wissen, daß er 8 in seinen an Gott gerichteten und durch Christus vermittelten (vgl. Rom 8,26) Dankgebeten den Glaubensstand der Römer rühmt. Von diesem Glaubensstand, fügt er hinzu, erzählt man sich in der ganzen Welt. Mag dies auch etwas schmeichelhaft formuliert sein, deutlich ist, daß der Blick der Welt auf den Christen von Rom 9.10 ruht und Paulus an ihrer Glaubenstreue nichts auszusetzen hat! In V. 9 und 10 beteuert er, daß er, der Gott in der Ausrichtung des Evangeliums von Gottes Sohn (vgl. l , 3 f . ) dient, der römischen Christen ständig vor Gott gedenkt und in seinen 11 Bittgebeten ständig um die Möglichkeit einer Reise nach Rom fleht. Was er sich vom Zusammentreffen mit den römischen Christen erhofft, ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen: Er selbst möchte die Römer aus der ihm gnädig verliehenen Vollmacht zur Evangeliumsverkündigung (vgl. 1,5) heraus in ihrem Glaubens12 stand bestärken. Er versteht darunter aber nicht eine einseitige missionarische Bemühung, sondern den wechselseitigen Austausch über Glaubensinhalt und Glaubensverpflichtung, der auch ihn stärkt und ermutigt. V. 11 f. sind außerordentlich vorsichtig formuliert, lassen aber hinreichend erkennen, was Paulus in R o m sucht, nämlich gegenseitiges Einverständnis mit den dort lebenden Christen. Dieses Einverständnis wird ihm helfen, von Rom aus das Evangelium bis nach Spanien 13 weiterzutragen (vgl. 15,24). Mit V. 13 kommt Paulus auf die Frage zu sprechein, weshalb er nicht schon eher in die Metropole gekommen ist. Was ihn trotz mehrfach gehegter Reisepläne daran gehindert hat, auch in Rom missionarische Früchte zu ernten wie in der Heidenwelt sonst, war Gottes Wille. Die passivische Formulierung „ich bin daran gehindert worden" ist, wie in den Paulusbriefen häufig, aufziu-

1,8-17: Briefeingang und T h e m e n a n g a b e

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lösen in ein „Gott hat mich daran gehindert". Es ist also nicht persönliche Nachlässigkeit oder mangelndes Interesse, was Paulus bisher nicht hat nach Rom reisen lassen! Ob der Apostel damit Kritik von Seiten einiger römischer Christen abfangen will, läßt sich nicht eindeutig sagen; möglich ist es durchaus. Wie gern Paulus als erster Missionszeuge nach Rom gekommen wäre, gibt er in den beiden nachfolgenden Sätzen zu erkennen. Als Apostel der Heiden ist er gleichermaßen denen verpflichtet, die die (begehrte) hellenistische Bildung erfahren haben, wie den „Barbaren", die sie nicht genossen haben; sowohl den Gebildeten als auch den Ungebildeten ist er das Evangelium schuldig. Aus dieser ihm von dem auferstandenen Christus übertragenen Verpflichtung(vgl. Rom l,5und 1. Kor 9,16f.) heraus resultiert auch seine Bereitschaft, den Menschen in Rom als erster das Evangelium zu verkündigen. Der Umstand ist, wie in V. 13 gesagt, nur der, daß diese Bereitschaft nicht im Willen Gottes lag. In Hinsicht auf seine Missionspläne hat Paulus also zurückstecken müssen. Woran er aber dennoch vor Gott und den Menschen festzuhalten gedenkt, ist das ihm aufgetragene Evangelium. Die Wendung „ich schäme mich (des Evangeliums) nicht" geht nach Mk 8,38 und 2.Tim 1,8 auf jesuanische und urchristliche Bekenntnissprache zurück. Gemeint ist, daß der Apostel unbeirrt zum Evangelium steht. Welche Problemsituation Paulus im Auge hat, kann kaum zweifelhaft sein. Sein Evangelium und seine Person werden bis hin nach Rom „verlästert" (vgl. Rom 3,8). Dieser Kritik will er nicht weichen; im Gegenteil will er auch in Rom bei dem ihm vorgegebenen Evangelium bleiben. Damit ist den Pauluskritikern in Rom ein deutliches Signal gegeben. Zugleich wird deutlich, weshalb die Verse 16 und 17 das Thema des Römerbriefes umschreiben: Paulus möchte mit Hilfe des seinem Besuch in Rom vorauseilenden (Römer-)Briefes mit den Christen in der Stadt zum Einverständnis über sein Evangelium kommen. An diesem Evangelium gibt es nichts zu rütteln. Weshalb nicht? Paulus gibt die Antwort selbst, und zwar in einer Sprache, die sich an Ps98,2f. anlehnt, und die der Apostel schon in der Korrespondenz mit den Korinthern erprobt hat (vgl. l.Kor l,18.23f.). Das Evangelium ist eine Gottesmacht. In ihm wirkt Gott durch den zu seiner Rechten „in Macht" erhöhten Christus (1,4), und zwar um jeden Menschen, der an Jesus als Versöhner und Herrn glaubt, davor zu bewahren, im Endgericht der Vernichtung anheimgegeben zu werden. Der mit der Erwählung durch Gott gesetzte heilsgeschichtliche Vorrang Israels vor den Heiden (vgl. Rom 3,2; 9,4 f.) wird durch das Evangelium nicht annulliert, sondern bestätigt. Das Evangelium richtet sich zuerst an den Juden, um ihm den Israel verheißenen messianischen Erlöser zu zeigen (vgl. Rom 9,5; 11,26; 15,8 und 2. Kor 1,20), und außerdem auch an den Griechen (Heiden), der in Christus ebenfalls seinen Retter und Herrn erkennen darf (vgl. Rom 15,9 ff.). Kraft des Evangeliums dürfen Juden und Heiden gemeinsam aus der Gnade Gottes heraus leben: der Jude, der in Christus die Treue Gottes zu seinen Verheißungen (Rom 1,2) erfährt, und der Heide (Grieche), über dem in Christus das Recht der Gnade aufgerichtet wird. Von diesem Recht der Gnade spricht der nächste Satz: Gottes Gerechtigkeit wird im Evangelium offenbart aus Glauben auf Glauben hin. Offenbartwerden bedeutet: In der Botschaft des Evangeliums wird jetzt ein (bislang verborgener) Sachverhalt von Gott her enthüllt, der noch am Jüngsten Tage gültig

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1,1-17: Briefeingang

sein wird. Dieser Sachverhalt heißt hier: Gottes Gerechtigkeit. Im Alten Testament ist „Gottes Gerechtigkeit" der Inbegriff von Gottes Handeln als Schöpfer und Richter, mit dem er die Welt ordnet und in Ordnung hält (s.u.). Das Neue Testament sieht dieses Handeln in Christus zur Erfüllung kommen. Paulus kann deshalb in 1. Kor 1,30 sagen, Christus sei uns von Gott her zur Gerechtigkeit geworden (vgl. mit Jer 23,6). Sendung, Opfertod und Erhöhung Jesu sind der Höhepunkt in der Reihe jener geschichtlichen Heilstaten, die von Ri 5,11 an die „Gerechtigkeitstaten Gottes" heißen. Nimmt man die Definition des Evangeliums, die Paulus in 1,3 f. gibt, mit der von 1,16 und 17 zusammen, wird deutlich, daß es sich bei der Gottesgerechtigkeit in V. 17 um den zusammenfassenden Ausdruck für die (verheißene) Heilswirksamkeit Gottes in der Sendung und Erhöhung Jesu handelt. Christus ist die uns eröffnete Gottesgerechtigkeit in Person. Sie wird auf Grund von Glauben empfangen und steht dem Glauben — Rom 3,22 kommentiert: „für alle Glaubenden" — offen. Einzig und allein im Glauben wird Gottes Gerechtigkeit rettend erfahren. Auf die Verbindung von Gottesgerechtigkeit und Glaube kommt Paulus alles an; diese Verbindung eröffnet jedem Menschen die Rettung, und sie ist von Gott selbst in der Schrift vorgezeichnet. Wie schon im Galaterbrief (3,11) verweist der Apostel auch hier auf Hab 2,4, um deutlich zu machen, daß nach dem Zeugnis der Schrift vor Gott leben darf und leben soll, wer aus Glauben Anteil an der Gerechtigkeit Gottes in Christus gewonnen hat. Paulus liest den Prophetentext im Lichte der Christusoffenbarung, aber er entstellt ihn nicht. Im hebräischen Text heißt es: „aber der Gerechte soll leben auf Grund seiner (Glaubens-)Treue", und in der Paulus vorliegenden Septuaginta ( = die griechische Ubersetzung des Alten Testaments) heißt es: „aber der Gerechte soll leben auf Grund meiner ( = Gottes) Treue". Der Apostel bietet gleichsam die Summe beider Textfassungen und stellt fest: Es steht als Gottes Wille (bei Habakuk) geschrieben, daß der auf Grund des (ihm durch Gottes Gnade in der Verkündigung des Evangeliums eröffneten) Glaubens Gerechte vor G o t t leben soll. In dieser Verheißung ruht das Evangelium, und in der Sendung Jesu ist es geschichtliche Gottestat geworden. V. 16 und 17 geben zu erkennen, worum es Paulus im Römerbrief geht: um das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus, die auf Grund von Glauben erfahren wird und das Leben im Glauben vor Gott kennzeichnet. Will man es noch kürzer fassen, kann man (mit A. Schlatter u.a.) sagen, das Thema des Römerbriefes sei Gottes Gerechtigkeit. O b sie wirklich das ganze Evangelium ausmacht, ist schon z.Z. des Römerbriefes umstritten gewesen (und bis in die jüngste Zeit herein umstritten geblieben). In diesem Streit ist der Apostel entschlossen, für das ihm vorgegebene Evangelium einzutreten und die römischen Christen durch die Argumente seines Briefes vom Recht und von der Wahrheit seiner Botschaft zu überzeugen.

Exkurs III: Gottes Gerechtigkeit bei Paulus Nennt man Gottes Gerechtigkeit das Thema des Römerbriefes, muß man den Sinngehalt des Ausdrucks klären. Er kommt in den Paulusbriefen mehrfach vor: 2. Kor 5,21; Rom 1,17; 3,21.22.25.26; 10,3; in Phil 3,9 spricht Paulus von „der

Exkurs III: Gottes Gerechtigkeit bei Paulus

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Gerechtigkeit aus Gott/von Gott her". Das Matthäusevangelium verwendet den Begriff in der Bergpredigt (Mt 6,33), und der Jakobusbrief in der an Sir 1,22 erinnernden Feststellung: „Der Zorn eines Menschen wirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes" (1,20). Ob auch 2. Petr 1,1 zu den Belegstellen hinzuzurechnen ist, hängt von der Ubersetzung der Stelle ab. Der Gesamtbefund zeigt, daß der Begriff für Paulus (im Römerbrief) besonders wichtig ist, aber auch von anderen neutestamentlichen Autoren verwendet wird. — Die Vorgeschichte des Ausdrucks weist ins Alte Testament und Frühjudentum zurück. Die Geschichte Israels ist nach (Dtn 33,21;) Ri 5,11 ; 1. Sam 12,7; Mi 6,5; Ps 103,6 und Dan 9,16 von Heil und Rettung schaffenden „Erweisen der Gerechtigkeit Gottes" erfüllt. Auch die essenische Gemeinde von Qumran am Toten Meer lobt Gott für diese Taten (vgl. 1QS 10,23). Im zweiten Teil des Jesajabuches (vgl. Jes 45,8.23 f.; 51,6.8) und in den Psalmen (vgl. Ps 71,19; 89,17; 96,13; 98,9; 111,3) wird Gottes Gerechtigkeit gepriesen als die Heil- und Wohlordnung schaffende Aktivität Gottes schlechthin. Auch in der Situation des Gerichtes erweist sich Gottes Gerechtigkeit als heilvoll, weil er den Rechtlosen zum Recht und den Bußfertigen zu neuer Geltung verhilft (vgl. Jes 1,27f.; 49,4; 50,8f.). Die beste Anschauung dafür bieten alttestamentliche und frühjüdische Bußgebete (z.B. Dan 9,16.18 und 4 Esr 8,36). Bei den Essenern von Qumran haben sich Gebetstexte gefunden, die ganz nah an Paulus heranreichen, zü. 1QS 11,11-15: „ ( 1 1 ) . . . und ich, wenn (12) ich wanke — Gottes Gnadenerweise sind meine Hilfe für immer! Wenn ich strauchle durch Schuld des Fleisches, bleibt mein Recht durch Gottes Gerechtigkeit (doch) für die Dauer bestehn, (13) wenn Er meine Bedrängnis löst und mich aus Verderben errettet, meinen Fuß nach dem Wege lenkt, in Seinem Erbarmen mich nahen läßt. — Durch Seine Gnade kommt (14) mein Recht, und in Seiner wahren Gerechtigkeit richtet Er mich, und in Seiner großen Güte sühnt Er alle meine Sünden, und in Seiner Gerechtigkeit reinigt Er mich von menschlicher Unreinheit (15) und der Sünde der Menschen, Gott (für) Seine Gerechtigkeit zu preisen und den Höchsten (für) Seine Herrlichkeit!" Gottes Gerechtigkeit meint also im Alten Testament und Frühjudentum die Wohlordnung und Heil schaffende Wirksamkeit Gottes in der Geschichte (Israels), in der Schöpfung und in der Situation des irdischen oder endzeitlichen Gerichts. Die neutestamentlichen Zeugen haben als geborene Juden diese Sprachtradition übernommen. Mit ihrer Hilfe bekennen und rühmen sie das Heilshandeln Gottes in und durch Jesus Ghristus, das ihnen angesichts des nahenden Gerichtes Gottes zum Heil verhilft: Paulus nimmt in 2. Kor 5,21 und Rom 3,25f. judenchristliche Tradition auf (und macht sich deren Aussagen zu eigen): „Gott hat den ( = Christus), der Sündenschuld nicht kannte, für uns zum Sündopfer gemacht, damit wir würden Gerechtigkeit Gottes durch ihn" (2. Kor 5,21); und: „Ihn(= Christus)hat Gott öffentlich eingesetzt zum Sühnmal kraft seines Blutes zum Erweis seiner (= Gottes) Gerechtigkeit durch den Erlaß der zuvor unter der Geduld Gottes geschehenen Sünden" (Rom 3,25 f.). Paulus ist also nicht der erste urchristliche Zeuge, der von Gottes Gerechtigkeit spricht. Schon in der ihm vorgegebenen christlichen Uberlieferung wird unter dem einen Ausdruck „Gottesgerechtigkeit" gleichzeitig Gottes eigene Heilswirksamkeit (Rom 3,25 f.) und ihre Auswirkung in Gestalt der Gerechtigkeit verstanden, die denen zuteil wird, die sich zu Christus

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1,1-17: Briefeingang

glaubend bekennen (2. Kor 5,21). Diese zweifache Bedeutungsmöglichkeit einund desselben Wortes erklärt sich, wenn man bedenkt, daß schon bei (Deutero-) Jesaja sowohl von Gottes eigener Gerechtigkeit (s.o.) als auch von der Gerechtigkeit die Rede ist, die von Gott ausgeht (vgl. Jes 54,17). Ganz entsprechend heißt es im Targum, d.h. der aramäischen Paraphrase und Erklärung dieser Stelle, daß sich Gottes Gerechtigkeit an den Dienern Gottes auswirken werde in „Gerechtigkeitserweisen, (die) von (mir ausgehen und) vor mir (wirksam sind)" (Targum Jes 54,17). Gottes Gerechtigkeit meint also im Alten Testament, in der frühjüdischen Tradition und im Neuen Testament die Heilswirksamkeit Gottes des Schöpfers und Richters, der für die Betroffenen Gerechtigkeit und Wohlordnung schafft. Paulus hat den Ausdruck „Gerechtigkeit Gottes" dadurch zum Zentrum des Evangeliums gemacht, daß er mit den Christen vor und neben ihm von Gottes Heilswirksamkeit für die sündige Welt in und durch Christus sprach und die Gottesgerechtigkeit streng auf den Glauben bezog. Im Glauben an Jesus Christus als Versöhner und Herrn gewinnt jeder einzelne Jude und Heide positiven Anteil an dem Wirken des einen gerechten Gottes, der durch Jesus Christus für Israel, die Heidenvölker und die (außermenschliche) Schöpfung Frieden, Heil und Rettung heraufführt. Für den Apostel und seine apokalyptische Schau von Geschichte und Schöpfung steht das Endgericht aller Welt in Bälde bevor. Kraft des Glaubens Anteil an Gottes Gerechtigkeit zu gewinnen, heißt, im Endgericht von aller Schuld freigesprochen und in die neue Welt Gottes aufgenommen zu werden, in der der Tod (und mit ihm alle Not) überwunden sein wird (vgl. Rom 8,18 ff.; 1. Kor 15,50 ff.). Im Evangelium des Paulus wird diese Gottesgerechtigkeit schon vor Anbrach des Jüngsten Tages offenbart und den Glaubenden eröffnet. In der Paulusexegese wird seit langer Zeit darüber debattiert, ob man die Gottesgerechtigkeit bei Paulus von Phil 3,9 her vor allem als Gabe Gottes, als Glaubensgerechtigkeit bzw. „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" (Luther) verstehen soll, oder ob der Akzent mit Schlatter u.a. auf Gottes eigenes Rechts- und Heilshandeln (in und durch Christus) zu legen ist (vgl. Rom 3,5.25f.; 10,3). Nach unseren Überlegungen zur Wortgeschichte und -bedeutung sollte man hier keine falschen Alternativen aufstellen. Der Ausdruck umfaßt beides, und es ist von Textstelle zu Textstelle zu prüfen, wie Paulus den Akzent setzt. Zu bedenken ist bei solcher Nuancierung nur folgendes: Paulus entwickelt seine Rechtfertigungsbotschaft noch nicht von der Fragestellung Luthers her. Während Luther nach Trost für das angefochtene Gewissen des einzelnen Sünders suchte und sich ihm die Paradiesespforten öffneten, als er in Rom 1,16f. die Botschaft von der den Glaubenden im Evangelium geschenkweise eröffneten „Gerechtigkeit, die vor Gott gilt" fand, verfolgt Paulus gerade im Römerbrief das Ziel, zu zeigen, wie Gott, der Schöpfer und Richter für Juden und Heiden, durch die Sendung seines Sohnes in die Welt Rettung erwirkt. Erst wenn man diesem Blick folgt und sieht, daß Gott seine Heil schaffende Gerechtigkeit in der Sendung, dem Tode, der Auferweckung und der Herrschaft Christi für Juden und Heiden, d. h. die ganze Menschheit, und die Schöpfung insgesamt wirksam werden läßt, gewinnt das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit, das der Apostel verkündigt, wirklich missionarisch weltweite und schöpfungstheologische Dimension. Und nicht nur das. Geht man von dieser

1,18-32: Die Heiden unter dem Zorn Gottes

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kosmischen Dimension des Evangeliums aus, kann der Römerbrief als ein Ganzes verstanden werden, das von Kapitel 1 bis 16 von Gottes Gerechtigkeit in Christus zum Heil der ganzen Welt handelt. Diese umfassende Auslegungsperspektive schließt die Luthers ein, geht aber weit über sie hinaus. Sie ist von verschiedenen neueren Paulusauslegern (vor allem A. Schlatter, E. Käsemann und U. Wilckens) exegetisch erprobt und einleuchtend durchgeführt worden. Die soteriologische und schöpfungstheologische Weite der paulinischen Rechtfertigungsanschauung legt sie auch für uns nahe.

1,18-8,39: Erster Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Nachdem der Apostel in 1,16-17 das Thema seines Briefes genannt hat, will er nun sein umstrittenes Evangelium im einzelnen darlegen und gegen die Kritik verteidigen, die bis hinein nach Rom gegen die Paulusbotschaft lautgeworden ist. Er tut dies in wohldurchdachter Argumentation. Zunächst macht er deutlich, daß Heiden und Juden gleichermaßen vom Zorngericht Gottes betroffen und deshalb der Rettung bedürftig sind.

I. 1,18-3,20: Heiden und Juden unter dem Zorn Gottes Die Verse 1,18-32 sprechen primär von den Heiden. Ihnen folgt in 2,1-29 eine parallele, aber ausführlichere Anklage, die sich von 2,1 an zuerst implizit und ab 2,17 explizit an Juden wendet. Nachdem sich der Apostel in 3,1-8 Einwänden gestellt hat, die gegen seine Argumentation vorgetragen werden, führt er in 3,9-20 die Anklagerede gegenüber Juden und Heiden zum Ziel. Paulus spricht in 1,18-3,20 als Bußprediger; die verschiedentlichen Verallgemeinerungen, die er vorträgt, verstehen sich vom plakativen Stil der (prophetischen) Gerichtsrede her.

1. 1,18-32: Die Heiden unter dem Zorn Gottes 18 Offenbart wird nämlich Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit von Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. 19 Denn was erkennbar ist an Gott, ist unter ihnen offenkundig; Gott hat es ihnen nämlich offenkundig gemacht. 20 Denn das Unsichtbare an ihm wird von der Schöpfung der Weit an durch die (Sch5pfungs-)Werke für das Auge der Vernunft sichtbar, seine ewige Macht und Gottheit, so daß sie unentschuldbar sind. 21 Denn trotz der Erkenntnis Gottes haben sie ihn doch nicht als

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Gott verehrt oder ihm Dank gesagt, sondern wurden der Nichtigkeit preisgegeben in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. 22 Während sie meinten, weise zu sein, sind sie zu Toren geworden 23 und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschen und von Vögeln und Vierfüßlern und Schlangen. 24 Deshalb hat Gott sie preisgegeben in den Begierden ihrer Herzen an die Unreinheit der Schändung ihrer Leiber durch sie selbst. - 25 Sie, die sie die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauscht und der Schöpfung anstatt des Schöpfers Verehrung und Dienst erwiesen haben. - Er sei gelobt in Ewigkeit, Amen. 26 Deswegen hat Gott sie preisgegeben an Leidenschaften der Schande. Ihre Frauen haben nämlich den natürlichen (Geschlechts-)Verkehr in den widernatürlichen verkehrt; 27 ebenso haben auch die Männer den natürlichen (Geschlechts-) Verkehr mit der Frau verlassen und sind entbrannt in gegenseitiger Begierde, Männer mit Männern treiben sie Schamlosigkeit und empfangen den Lohn, der ihrer Verirrung gebührt, an sich selbst. — 28 Und da sie es nicht für gut befunden haben, Gott im Sinn zu haben, hat Gott sie preisgegeben an einen untüchtigen Verstand, um zu tun, was sich nicht schickt: 29 Erfüllt von aller Art Unrecht, Bosheit, Geiz, Schlechtigkeit; voller Neid, Mord, Streit, List, Verschlagenheit; Zwischenträger, 30 Verleumder, Gotteshasser, Frevler, Stolze, Prahlhänse, erpicht auf Schlechtigkeiten, den Eltern ungehorsam, 31 uneinsichtig, unzuverlässig, lieblos, erbarmungslos. — 32 Sie, denen Gottes Rechtsforderung bekannt ist, daß die, die so etwas tun, des Todes schuldig sind, tun dies nicht nur, sondern zollen auch noch denen Beifall, die es tun. Vers 19f.: Welsh 13,1-9;

A

Vers 22f.: Weish 11,15; Jer 2,5;

Vers 24-32: Weish

14,12-14.22-31.

Der Eingangsteil der Anklage des Apostels ist rhetorisch kunstvoll aufgebaut. V. 18 bietet die Überschrift für die Ausführungen von 1,18-3,20 überhaupt. In V. 19-21 wird sie im Blick auf die Heiden zweifach begründet (V. 19 und 21). In V. 22-24 und V. 25-27 wird in paralleler Weise ausgeführt, warum und in welcher Art und Weise Gott diejenigen an ihre Begierden preisgibt, die ihm die Anerkennung verweigern und Götzendienst betreiben. In den Versen 28-31 wird im Rückbezug auf V. 19-21 die Preisgabe der Heiden an das gottlose Denken und Verhalten überhaupt dargestellt. V. 32 resümiert: Wer so denkt und sich derart verhält, ist unweigerlich dem Gericht Gottes verfallen. Paulus setzt also die Worte im Eingangsteil seines Briefes sehr überlegt. Das mehrfache „Gott hat sie preisgegeben" in V. 24.26.28 ist von keinem Leser oder Hörer des Briefes zu übersehen. Der scharfe Kontrast, den Paulus zwischen der Schuldverfallenheit der Heiden (von 2,1 ff. an auch der der Juden) und der Offenbarung der rettenden Gottesgerechtigkeit in 3,2Iff. zeichnet, erinnert an die von den urchristlichen Missionaren nach dem Schema von l.Thess 1,9f. (vor Heiden) gehaltene Büß- und Bekehrungspredigt, die zur Taufe führt und von daher auch für die Tauferinnerung kennzeichnend ist (vgl. 1. Kor 6,9-11; Rom 6,17). Paulus argumentiert also in Rom 1,18 ff. aus seiner Missionserfahrung heraus. — Inhaltlich schließt er sich eng an die Denkweise der (hellenistisch-) jüdischen Weisheitstradition an, wie sie z.B. die Weisheit Salomos vertritt, die der Apostel in seiner griechischen Bibel fand: Die Erschaffung der Welt durch das Schöpferwon Gottes (vgl. Gen 1,1-3.6.9 usw.; Ps33,9; Jes 48,13) wird in der Weisheitsüberlieferung als Schöpfung durch die

1 , 1 8 - 3 2 : D i e Heiden unter dem Z o r n G o t t e s

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Weisheit Gottes verstanden (vgl. Weish 9,1-3; Sir 24,3 ff.); die Weisheit wird in der Tora (dem Gesetz) offenbar (vgl. Sir 24,23 ff.; Bar 4,1 ff.). Diese doppelte Gleichsetzung erlaubte es, vom Widerschein der Weisheit (bzw. des Schöpferwillens Gottes) in den Werken der Schöpfung zu sprechen und das jüdische Gesetz in einer Weise auszulegen, die die ganze Schöpfung betraf und zugleich griechischem Geistempfinden entgegenkam. Schon das missionierende Judentum hat diese Auslegungsmöglichkeiten genutzt, und die christliche Mission hat es ihm gleichgetan. Paulus ist einer ihrer markantesten Vertreter. In Apg 17,22-31 haben wir ein berühmtes Beispiel für eine weisheitlich positive Anknüpfung an die heidnische Religiosität vor uns, in Rom 1,18 ff. eine ähnlich beispielhafte kritische Bezugnahme auf die Religion der Heiden aufgrund derselben Weisheitstradition. Beide Modelle widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Für Paulus ruht die bestehende Welt in Gottes schöpferischer Weisheit und gleichzeitig macht sie diese offenbar. Vorbild für die konkrete Scheltrede des Apostels ist die in Weish (11,15 und) 13,1-9 bezeugte Kritik am Götzendienst der Heiden (Ägyptens) mitsamt der sich in Weish 14,12-14.22-31 anschließenden Darlegung der mit dem heidnischen Götzendienst Hand in Hand gehenden Verderbnis aller Sitten. Schon Weish 14 bedient sich zur Darstellung dessen eines plakativen „Lasterkatalogs" und bietet auch ein direktes Vorbild für die resümierende Anklage des Apostels in V. 32. In Weish 14,22 heißt es: „Als ob es nicht genug wäre, in der Erkenntnis Gottes zu irren, nennen sie in dem heftigen Zwiespalt, den die Unwissenheit in ihr Leben bringt, so große Übel auch noch Frieden." Paulus übernimmt in 1,18-32 die pauschalierende Sprache der hellenistisch-jüdischen Kritik an den sittenlosen Heiden. Der Rechtsgrund für diese (mit ihren Verallgemeinerungen keineswegs ungefährliche!) Polemik liegt in der anerkannt hohen jüdischen Ethik der Antike, die an den zehn Geboten orientiert war und vom Apostel in seine Gemeindeermahnungen übernommen wurde (vgl. Kap. 12 ff.). Der Anschluß von V. 18 an 1,17 ist recht eng: Paulus formuliert in bewußter Kontrastierung. Während die Gottesgerechtigkeit allen Glaubenden im Evangelium offenbart wird, wird vom Himmel her der Zorn Gottes über alle Gottlosigkeit offenbart. Gerechtigkeit Gottes und Zorn Gottes sind vom Alten Testament her Gegensatzbegriffe. Der erste bezeichnet das Wohlordnung stiftende Verhalten Gottes, des Schöpfers und Richters, der zweite seine Strafgewalt oder auch das Vernichtungsgericht Gottes insgesamt (vgl. Ps 90,9.11; Jes 66,15f.). Der Zorn Gottes wird wirksam, wo seine Zuwendung und Liebe mißachtet werden, die Gerechtigkeit Gottes schafft dieser Liebe selbst noch im Gericht Raum (vgl. Jes 63,1-6). Nach frühjüdisch-apokalyptischer Erwartung steht der ganzen Welt das Zorngericht Gottes in Bälde bevor (vgl. Dan 7,26f.; 12,2f.;äthHen 91,14-17). Auch Paulus hegt diese Naherwartung. Er erwartet die endzeitliche Ankunft des Christus, die sog. Parusie, die dem Endgericht vorangeht, in Bälde und sieht in Christus den Retter vor dem nahenden Zorngericht (vgl. l.Thessl,10; 4,16; 2. Thess l,7ff.; 1. Kor 15,23; Rom 14,10). Während die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit im Evangelium durch das (Glauben eröffnende) Wort der Verkündigung erfolgt, wird das Gottesgericht „vom Himmel her", d.h. von Gottes Gerichtsthron her (vgl. Ps 76,9; 2. Thess 1,7 ff.), offenbar. Die Endereignisse stehen nahe bevor, und für die

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19 20

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26.27

1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Glaubenden, an die Paulus schreibt, sind die Vorzeichen und Maßstäbe des Gerichts vom Evangelium her schon klar erkennbar und deutbar: Gottes Zorn richtet sich gegen alle Art von Gottlosigkeit, d.h. die ihm vorenthaltene Anerkennung, und alles Unrecht von Menschen, d.h. die Mißachtung seines heiligen Willens. Gottlosigkeit und Unrecht sind für das Handeln der Frevler charakteristisch (vgl. Ps73,6ff.); sie bezeichnen den Verstoß gegen die zehn Gebote insgesamt. In V. 21.23.25.28 skizziert Paulus vor allem die Mißachtung des ersten und zweiten Gebotes (Ex 20,2-6); in V. 24.26-27 wird die Übertretung des sechsten Gebotes (Ex 20,14) signalisiert, und in V. (21) 28-31 der Verstoß gegen die restlichen Gebote der sog. zweiten Tafel (Ex 20,12-17). Die Frevler unterdrücken die offenbare Wirklichkeit Gottes durch ihre Unrechtshandlungen, obwohl Gott selbst ihnen offenbar gemacht hat, was Menschen von seinem Werk wahrnehmen sollen. Seit Grundlegung der Welt spiegelt sich nämlich Gottes Schöpfermacht und Größe in den Werken der Schöpfung und wird so für das Auge der Vernunft sichtbar. Weish 13,5 formuliert klassisch: „Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen." Paulus teilt diese Anschauung, wendet sie hier aber kritisch: Da die Frevler sich dieser (indirekten) Offenbarung Gottes gegenüber verschlossen haben, sind sie unentschuldbar und trifft sie Gottes Zorn zu Recht. Weil sie dem Urteil Gottes: „ . . . siehe, es war sehr gut" (Gen 1,31) nicht im Lobpreis zugestimmt haben (vgl. z.B. Ps 104 oder 139), hat Gott sie in ihrem Denken der Nichtigkeit preisgegeben und ihr unverständiges Herz verfinstert (vgl. Eph 4,17 f.). Wer dem Nichts nachläuft, wird selbst zu nichts (Jer 2,5)! Dies wird jetzt in zwei Durchgängen (V. 22-24 und 25-27) näher illustriert. Trotz ihres Anspruchs, weise zu sein, sine' die Heiden zu Toren geworden. Sie haben statt des Schöpfers seine Kreaturen in den Rang von Göttern erhoben. Für die Leser des Römerbriefes boten die antiken Götter- und Heroenstatuen mitsamt den religiösen Tiersymbolen reiches Anschauungsmaterial für die paulinischen Sätze. Der Apostel bleibt jedoch nicht bei einer vordergründigen Verurteilung des heidnischen Götzendienstes stehen. Schon die passiven Verbformen: „der Nichtigkeit preisgegeben —, verfinstert —, zu Toren werden" deuten ein gerichtliches Handein Gottes an. V. 24 (26.28) macht (machen) es offenkundig. Die Übertreter des Gotteswillens müssen die Folgen ihrer Sünde tragen, und eben darin vollzieht sich an ihnen das Gericht: Gott hat sie (an die Auswirkungen dessen, was sie selbst zu tun begehren) „preisgegeben". Die Szenerie des heidnischen Alltags wird zur Stätte des göttlichen Gerichts, das nur die Glaubenden erkennen: Die Heiden müssen sich selbst in ihren pervertierten sexuellen Lüsten schänden. Der Apostel wiederholt: Wer die Wahrheit Gottes mit dem Trug vertauscht und den Kult der Geschöpfe an die Stelle der Verehrung des Schöpfers setzt, verliert das Maß und richtet sich selbst zugrunde. Nachdem er den Namen Gottes, des Schöpfers, genannt hat, fügt Paulus, jüdischer und judenchristlicher Sitte folgend, einen kurzen Lobspruch ein (vgl. ähnlich Rom 9,5; 2. Kor 11,31); von Gott, seiner Größe und seinem Werk kann nur in der Weise des Lobpreises gesprochen werden. — Das neue „deswegen hat Gott sie preisgegeben" präzisiert, was schon in V.24 gesagt worden war: Mit allen Zeichen der Abscheu schildert der Apostel, wie die Heiden sich (in sündhafter Umkehr von Gen 1,27 f.) in lesbischer Liebe und Sodomie selber

1,18-32: Die Heiden unter dem Zorn Gottes

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schänden. Anschauung auch dafür gab es in Rom genug. Was die Heiden tun, ist schöpfungswidrig und Kennzeichen ihrer Schuldverfallenheit. Der Apostel hat im Zusammenhang seiner generellen Gerichtsrede keinen Anlaß, das Problem der Homosexualität differenziert vom Evangelium her anzugehen. Nachdem aber seine pauschalen Formulierungen im Verlaufe der Kirchengeschichte dazu geführt haben, die Homosexuellen einfach zu ächten, statt ihrem besonderen Verhalten auf den Grund zu gehen, sie anzunehmen und ihnen zu helfen, besteht für uns heute Anlaß, die Sätze des Paulus nicht unreflektiert zu wiederholen! Im vierten Durchgang wendet sich Paulus vom Problem der schöpfungswidrigen Verkehrung der Sexualität weg und der allgemeinen Verfehltheit heidnischen Lebens zu. Gott hat die Heiden, die sich weigerten, ihn anzuerkennen und seinen Willen zu respektieren, an einen untüchtigen Verstand preisgegeben (vgl. so auch Eph 4,18 f.), so daß sie tun, „was sich nicht schickt". Der Ausdruck meint im hellenistischen Judentum das, was Gottes Willen widerspricht (vgl. 2. Makk6,4; 3. Makk 4,16). Der Lasterkatalog führt aus, worum es sich handelt. Er will (wie bei Paulus sonst auch, vgl. Rom 13,13;Gal 5,19-21) plakatartig wirken und bringt zum Ausdruck, daß „die Verehrung der namenlosen Götzenbilder aller Übel Anfang, Ursache und Höhepunkt (ist)" (Weish 14,27). Unrecht, Bosheit, Geiz und Schlechtigkeit beschreiben die allgemeine Verderbtheit des Lebens. Es folgt eine Liste von gemeinschaftsschädigenden Denk- und Verhaltensweisen. Im jüdischen und judenchristlichen Kontext wiegt die Auflehnung gegen die Eltern besonders schwer (vgl. Dtn 21,18 ff.). Uneinsichtigkeit, Unzuverlässigkeit, Lieblosigkeit und Erbarmungslosigkeit bieten den Kontrast zum Verhalten des frommen Juden(christen): Der Fromme darf es nicht an Weisheit und Gottesfurcht fehlen lassen (Sir 1,11 ff.), darf nicht bundbrüchig sein und soll erfüllt sein von der Gottes Verhalten entsprechenden Nächstenliebe und Barmherzigkeit (vgl. Lev 19,18; Sir 4,1-19). Das Fehlen all dieser Verhaltensweisen zeigt exemplarische Gottlosigkeit an. Unser Lasterkatalog ist also an Gottes Geboten orientiert und soll den mit ihnen wohlvertrauten Lesern des Paulus (vgl. Rom 7,1; 13,8 ff.) zeigen, daß Gottes Gericht dort exemplarisch wirksam wird, wo man den Lebensweg und -räum verläßt, den seine Gebote markieren. — Der abschließende Satz bietet ein ernstes Resümee: Daß die Heiden, statt Buße zu tun, sich noch gegenseitig im Tun des Bösen bestätigen (vgl. ähnlich Weish 14,22; EpArist 152; TestAss 6,2), macht sie vollends gerichtswürdig. Ihnen ist die Rechtsforderung Gottes auf Respektierung seines Willens kraft der die ganze Schöpfung durchdringenden Weisheit Gottes bekannt (s.V19f.). Die philosophische Ethik der Antike, auf die sich die jüdische und urchristliche Mission verschiedentlich bezogen haben (vgl. bei Paulus z.B. Phil 4,8f.; Rom 12,2), gibt dem Apostel in diesem Urteil recht; auch seine Leser in Rom konnten es nachvollziehen. Nach alttestamentlich-jüdischem Denken können nur solche Sünden vergeben werden, die unwissentlich begangen werden; wer wissentlich sündigt, muß seine Schuld tragen, und zwar bis hin zur Vernichtung (vgl. Num 15,22-31 ). Nach diesem Maßstab sind die vorsätzlich sündigenden Heiden dem Zorngericht Gottes unrettbar verfallen (s. V18). Rettung gibt es für sie nur durch die im Evangelium offenbarte Gottesgerechtigkeit, und eben darauf zielt die Argumentation des Apostels hin: 3,2Iff.

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29f.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

2. 2,1-29: Die Juden unter dem Zorn Gottes Nachdem Paulus in 1,18-32 die Verfallenheit der Heiden an das Gericht Gottes skizziert hat, geht er nunmehr zur Anklage gegen die Juden über. Seine Argumentation ist dabei differenzierter als zuvor und teilt sich ein in drei Argumentationsgänge: 2,1-11 handeln von Gottes unparteiischem Gericht, 2,12-16 vom Maßstab des Gerichts und 2,17-29 von der Schuld der Juden. Erst im letzten Gesprächsgang wird der von 2,1 an angeredete „Mensch" als Jude identifiziert (2,17).

2.1 2,1-11: Gottes unparteiisches Gericht 1 Deshalb bist du unentschuldbar, o Mensch, der du richtest, wer immer du seist. Worin du nämlich den anderen richtest, verurteilst du dich selbst, denn du tust als Richter dasselbe (wie er). 2 Wir wissen aber, daß das Gericht Gottes gemäß der Wahrheit ergeht über die, die solches tun. 3 Meinst du etwa dies, o Mensch, der du richtest, die solches tun, und es doch (selbst) tust, daß du dem Gericht Gottes entrinnen wirst? 4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte und Geduld und Großmut und beachtest nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr führt? 5 Gemäß deiner Verhärtung und Unbußfertigkeit des Herzens häufst du Zorn für dich auf am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6 der ,jedem nach seinen Werken wiedergeben wird': 7 Den einen, die in ausdauerndem Guttestun Herrlichkeit und Ehre und Unvergänglichkeit erstreben, ewiges Leben, 8 den anderen aber aufgrund von Selbstsucht und weil sie der Wahrheit ungehorsam, aber der Ungerechtigkeit hörig sind, Zorn und Grimm. 9 Not und Angst über jede Menschenseele, die das Böse wirkt, des Juden zuerst, aber auch des Griechen; 10 aber Herrlichkeit und Ehre und Heil jedem, der das Gute wirkt, dem Juden zuerst, aber auch dem Griechen. 11 Denn es gibt kein Ansehen der Person bei Gott. Vers 4: Weist) 11, 9f.; 15, 1-3;

A

Vers 6: Spr 24,12 (Pi 62,13);

Vers 11: Sir 35,12f. m der

SeptuagmU.

Die Textüberlieferung bietet keinen Grund, V. 1 als Glosse eines späteren Bearbeiters des Römerbriefes anzusehen. Paulus arbeitet — ähnlich wie Nathan nach 2. Sam 12,7 — mit einem bewußten rhetorischen Uberraschungseffekt. Rhetorisch ist auch die dialogische Gestaltung des Textes in Fragen und Antworten zu verstehen. Wie zeitgenössische griechische Autoren lockert Paulus seine belehrenden Ausführungen auf; dieses Stilmittel der sog. Diatribe (= Unterredung) wird vom Apostel freilich nicht ohne konkreten Anlaß gewählt (s.u.). Die Verse nehmen Formulierungen aus 1,18-32 auf und arbeiten außerdem mit Wortpaaren, die aus der Septuaginta (und von hier aus auch sonst im Neuen Testament) vertraut sind: „Zorn und Grimm" (vgl. Dtn 29,27; Ps 69,25; 78,49), „Not und Angst" (vgl. Jes 8,22; 30,6), „Herrlichkeit und Ehre" (vgl. Ps 29,1; 96,7). - Die Struktur der Argumentation ist folgende: Auf das überraschende Urteil von V. 1 folgt in V. 2 eine (auf 1,32 zurückverweisende und) an Gemeindewissen erinnernde Feststellung. Sie dient dazu, den noch ungenannten Gesprächspartner von V. 1 und V. 3-5 mit zwei kritischen Fragesätzen und einer Schlußfolgerung für gerichtswürdig zu

2,1-11: Gottes unparteiisches Gericht

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erklären. Das Stichwort „(gerechtes) Gericht Gottes" verbindet V. 2 mit V. 5, es wird durch den Relativsatz in V. 6 als Gericht nach den Werken definiert. V. 7-10 entfalten die Regeln dieses Gerichts in zwei einander nach dem Schema a-b/b-a (chiastisch) zugeordneten Satzpaaren. V. 11 begründet diese Doppelregeln mit einer V. 6 analogen, Sir 35,12f. aufnehmenden Aussage: Gott urteilt unparteiisch. Paulus formuliert also wieder in äußerster Sorgfalt und Konzentration. — Die den Versen zugrundeliegende Tradition ist (wie schon in 1,18 ff.) vor allem weisheitlich. In der Weisheit Salomos wird unterschiedlich von Gottes Gericht an Israel und den Heiden gesprochen. Während Gott die Heiden ( - Ägypter) exemplarisch schlägt, hält er sein Zorngericht über sein erwähltes Volk noch zurück, straft es nur vorübergehend zur Warnung und lädt es ein, sich durch das Beispiel des Gerichts an den ägyptischen Heiden zur Umkehr führen zu lassen. „Sie ( - d i e Israeliten der Auszugsgeneration) hast du wie ein mahnender Vater auf die Probe gestellt, die Frevler (= heidnischen Ägypter) aber wie ein strenger König gerichtet und verurteilt" (Weish 11,10; vgl. auch 15,1-3). Paulus ebnet den durch Gottes Erwählung gesetzten Unterschied zwischen Juden und Heiden weder im Blick auf das Evangelium noch auf das (End-)Gericht ein (vgl. Rom 1,16; 2,9 f.; 3,1; 9,1 ff.). Er nimmt wieder die weisheitliche Lehrtradition auf und argumentiert mit ihrer Hilfe folgendermaßen: Während Gottes Zorngericht an den Heiden bereits wirksam ist (vgl. 1,24.26.28), gehört der Gesprächspartner zur Gruppe derer, die Gott durch seine Großmut noch zur Umkehr führen will, die aber im Falle von Unbußfertigkeit um so mehr das Gericht „am Tage des Zornes" auf sich ziehen. Der Gesprächspartner gehört also zu den Juden und wird in V. 17 dann auch als solcher angeredet. Er kann aber aus seiner Vorzugsstellung nur dann Gewinn ziehen, wenn er sein gerichtswürdiges Tun aufgibt und umkehrt. Tut er dies nicht und verhärtet sein Herz, trifft ihn Gottes Zorn erst recht. Angesichts unserer Verse ist es nicht möglich zu behaupten, Paulus habe die jüdische Tradition der Umkehr unterschätzt oder ganz beiseitegeschoben. Uber Israel ergeht Gottes Zorngericht noch nicht in dem Maße wie über die Heiden; anders als sie behält es bis zum Jüngsten Tage noch Gelegenheit zur Umkehr. Paulus korrigiert damit schon hier seinen in 1. Thess 2,16 geäußerten Standpunkt (vgl. weiter S. 148f. 160ff.). 2,16 und 3,8 werden uns zeigen weshalb: Weil er (vor allem judenchristlichen) Einwänden gegen sein Evangelium so wenig Angriffsflächen wie möglich bieten will. Nicht die Heiden (-Christen) sind für Paulus im Römerbrief das Problem, sondern judenchristliche Kritiker und deren Sympathisanten. Diese Gesprächslage erklärt auch die Ausführlichkeit von 2,1-29 gegenüber 1,18-32. Bei seiner Kritik an den Heiden (1,18-32) konnte sich Paulus der Zustimmung Β der römischen Christen sicher sein. Angesichts der Stellung der Juden war die Sache schwieriger. Um dem von 1. Thess2,14-16; Gal 2,14-16 und Phil 3,2ff. her verhältnismäßig leicht begründbaren Verdacht zuvorzukommen, er leugne oder nivelliere mit seiner Art von Verkündigung die Vorzugsstellung Israels, argumentiert Paulus in Kap. 2 wie ein jüdischer Gerichtsprediger: V. 1 beginnt mit einem über- 1 raschenden, schlußfolgernden „daher". Der zunächst anonym bleibende Gesprächspartner stimmt offenbar der bisherigen Argumentation des Paulus zu. Er hat sich nach des Apostels Meinung aber (ähnlich wie David in der berühmten

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2 3.4

5

6

7.8

9.1C

11

1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Nathanparabel aus 2. Sam 12) in seiner Zustimmung zu Gottes Gericht Uber die Heiden bereits selbst gefangen, weil er dasselbe tut wie sie: Er sündigt vorsätzlich (s.o.). Die genauere Begründung für diese Behauptung spart Paulus auf bis V. 17 ff. Zunächst führt er seinen Vorwurf fort. Daß Gott die (vorsätzlich) frevelnden Sünder richtet, ist unter Juden und Christen nicht strittig. Sie wissen es aus der von beiden gelesenen Hl. Schrift (vgl. V. 6). Daher kann Paulus seinem Gesprächspartner zwei kritische Fragen stellen, die jeder Schriftkundige als typische Fragen eines Juden an einen anderen Juden erkennen wird. Wenn der Gesprächspartner dasselbe tut wie die Heiden, kann er unmöglich hoffen, dem Gericht Gottes zu entgehen. Er sollte sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß die über ihm noch waltende Geduld Gottes ihm nur Gelegenheit zur Buße geben will! Übt er solche Buße nicht, staut sich der Zorn Gottes gegen ihn um seiner Unbußfertigkeit willen erst recht auf. Die Schuld des Gesprächspartners besteht in dem für Israel wohlbekannten Verhalten der „Verhärtung und Unbußfertigkeit" (vgl. Dtn 31,27). Es wird am Jüngsten Tag seine Antwort finden. Paulus nennt diesen Tag, der bei den Propheten der „Tag Gottes" (Joel 2,1 f.; Am 5,18 ff.) heißt, mit der frühjüdischen Apokalyptik den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. An diesem Tag gelten keine Buße, kein Gebet, keine Fürbitte und keine Fürsprache von Vätern. Propheten oder Gerechten mehr etwas; dann gibt es nur noch das Vernichtungsurteil über den Frevler und den Rechtsspruch über den Gerechten (vgl. 4Esr 7,33 ff.; syrBar 85,12-15). Oder, wie Paulus mit einem Zitat aus Spr 24,12 (Ps 62,13) sagt, dann wird Gott „jedem nach seinen Werken" geben, was ihm gebührt. An den Werken zeigt sich, ob ein Mensch gehorcht oder nicht. Gemäß seinen Werken wird jeder einzelne am Tage des gerechten, d.h. alles Böse vernichtenden, Gerichtes Gottes empfangen: Wer sich im Streben nach himmlischer Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Wesen geduldig um das Gute, das Gottes Wille ist, gemüht hat, wird ewiges Leben empfangen; den sich aus hochfahrender Eigensucht dem Anspruch Gottes widersetzenden Übeltäter (vgl. syrBar 4 8 , 4 0 ) dagegen droht die Vernichtung (Dan 12,2 f.). Oder, wie Paulus noch einmal einschärft: Den Täter des Bösen werden Heimsuchung und ausweglose Vernichtung treffen, aber dem Täter des Guten werden Herrlichkeit und Heil zuteil. Beide Male setzt der Apostel hinzu: dem Juden zuerst, aber auch dem Griechen. D a der Jude Gottes erwähltem Volk zugehört (vgl. Sir 17,17), trifft ihn das Urteil Gottes zuerst (vgl. A m 3,2); aber auch der Grieche (Heide) kann sich diesem Urteil nicht entziehen, weil er dem Schöpfer ebenfalls Anbetung und Gehorsam schuldet. Gottes Gericht ist unparteiisch. Der Jude gilt in diesem Gericht nicht mehr als der Grieche; es zählt nur das Gewicht der guten und schlechten Werke. Mit diesem Urteil spitzt Paulus die Gerichtserwartung ähnlich radikal zu wie die Apokalyptik (s.o.) und Johannes der Täufer (vgl. Mt 3 , 9 Par.). Nichts deutet darauf hin, daß Paulus seine Sätze nur hypothetisch meint: Das Endgericht nach den Werken ist und bleibt der Fluchtpunkt und zugleich Gesamthorizont (auch) seiner Verkündigung der Rechtfertigung. Die nächsten Verse zeigen das.

2,12-16: Der Maßstab des Gerichts

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2.2 2,12-16: Der Maßstab des Gerichts 12 Welche nämlich ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz ins Verderben geraten; und welche unter dem Gesetz gesündigt haben, werden durch das Gesetz gerichtet werden. 13 Denn nicht die Hörer des Gesetzes sind gerecht bei Gott, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt werden. 14 Wenn nämlich Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus tun, was das Gesetz fordert, dann sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz; 15 sie, die sie das Werk des Gesetzes als in ihren Herzen geschrieben erweisen, wenn ihr Gewissen Zeugnis für sie ablegt und sich ihre Gedanken gegenseitig anklagen und verteidigen,— 16 an dem Tage, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird nach meinem Evangelium durch Christus Jesus. V. 16 stellt für die Interpretation ein Sachproblem dar; ihn deshalb als spätere A Glosse eines an 1. Kor 4,5 erinnernden Abschreibers des Römerbriefes anzusehen, besteht keine Veranlassung (s.u.). — Die Verse beziehen sich auf 2,1-11 zurück, bilden einen geschlossenen Zusammenhang und erläutern, nach welchem Maßstab Gott am Tage des Gerichts Juden und Heiden richten wird, nämlich nach den Forderungen des Gesetzes. V. 13 bietet die Hauptthese des Apostels, V. 16 seine pointierte Schlußbemerkung. — Die Hauptgedanken des Textes sind in der jüdischen Tradition vorbereitet: Daß Gott die Welt nach dem Maßstab des Gesetzes richten wird, ist geläufige jüdische Anschauung (vgl. 4Esr 7,37.70-73; syrBar 48,27.38-40.46f.). — Die philosophische These der Stoiker, daß der wahre Weise keines geschriebenen Gesetzes bedarf, wenn er dem ungeschriebenen Gesetz der von der Vernunft durchwalteten Natur folgt, bejaht das Frühjudentum mit Hilfe der uns bereits bekannten Gleichsetzung von Schöpferwort, Weisheit und Gesetz (s.o. S. 34f.). Von Abrahams Zeiten heißt es in syrBar 57,2: „ . . . zu jener ( = Abrahams) Zeit war das Gesetz ungeschrieben bei ihnen allgemein bekannt, und die Werke der Gebote wurden damals vollbracht, und der Glaube an das zukünftige Gericht wurde damals geboren . . . " . Nach rabbinischer Zählung besteht das Gesetz aus 248 Geboten und 365 Verboten, zusammen 613 Weisungen; dementsprechend heißt es im Targum zu Gen 1,27, der Mensch sei aus 248 Gliedern und 365 Adern geschaffen (Tgjer I zu Gen 1,27). Der Mensch hat also „von Natur aus", d.h. mit jeder Faser seines Wesens, dem Gesetz zu folgen. Was der Mensch tut und was er versäumt, Wahrheit und Irrtum, können vor Gott nicht verborgen bleiben, weil sie den Menschen aufs (ins) Herz geschrieben sind (vgl. Testjud 20,3 f. mit Jer 31,33). Sache des Gewissens ist es, zwischen dem Guten und dem Bösen vernünftig abzuwägen, den Menschen innerlich anzuklagen und zur Umkehr zu mahnen (Testjud 20,1 f.; Philo, Decal 87). — Wie sich die Heiden am Jüngsten Tage vor dem Richterthron des Menschensohnes mit ihren Erwägungen anklagen und verteidigen werden, läßt sich von äthHen 63,1-12 her schön illustrieren. — Paulus steht im Schnittpunkt dieser frühjüdischen Traditionen und argumentiert mit ihnen zugunsten seines Evangeliums. Auffällig ist dabei, wie ausführlich der Apostel in V. 12.14 + 15 auf das Gericht (auch) über die Heiden eingeht. Diese Ausführlichkeit erklärt sich mitsamt der pointierten Rede von „meinem Evangelium" in V. 16 aus der (in Rom) akuten Gesprächslage heraus. Gerade seine judenchristlichen Gegner

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

haben Paulus seit den Streitigkeiten in Galatien vorgeworfen, er passe sein Evangelium den Wünschen der moralisch schwachen Heiden an und mache Christus mit seiner Lehre von der Gnade zum „Sündendiener" (Gal 1,10; 2,17). Daß er genau dies nicht tut, erklärt er in unseren Versen. Bei seiner Anklage gegen „den" Juden (in Rom 2,1.17) hat Paulus jene Judenchristen im Blick, die seine Verkündigung bis hinein nach Rom kritisieren. V. 12 bildet einen sorgfältig ausgeformten antithetischen Parallelismus: Wer ohne Kenntnis des jüdischen Gesetzes gesündigt hat, wird als gesetzloser Frevler (von Gott) dem Verderben überantwortet werden. Diese gegen die Heiden gerichtete Feststellung kann jeder fromme Jude bejahen; in syrBar 48,38-40 ist sie jüdisch belegt. Auch die zweite Hälfte des Parallelismus muß er akzeptieren: Wer unter Kenntnis des (Israel am Sinai geoffenbarten) Gesetzes gesündigt hat, wird nach eben diesem Gesetz von Gott (oder dem messianischen Beauftragten Gottes) gerichtet werden. Das Gesetz ist der endzeitliche Gerichtsmaßstab. An ihm wird gemessen, welche Taten der Menschen vor Gottes Richterthron Anerkennung oder Ablehnung erfahren werden. Folglich gilt der Rechtssatz: Im Gericht zählt nicht einfach schon die Kenntnis des Gesetzes und der Wille, es halten zu wollen (vgl. dazu Sir 15,15), sondern einzig die vollbrachte Tat, die das Gesetz fordert. Auch dies entspricht jüdisch-apokalyptischer Ansicht (vgl. 4Esr 7,35; syrBar 85,12 f.) und steht den Christen von Johannes dem Täufer (Mt 3,9f. Par.) und Jesus (Mt 25,31-46) her vor Augen. „Gerechtfertigt werden" meint für Paulus: Vor Gottes endzeitlichem Richterthron den Urteilsspruch „gerecht" zu empfangen und damit Anteil zu gewinnen an Gottes Herrlichkeit und seinem ewigen Reich. — Mit einem durch „nämlich" deutlich an V. 12 f. anschließenden Satz fährt Paulus fon, von Gottes unbestechlichem Gericht gegenüber den „gesetzlosen" Heiden (V. 12) noch genauer zu sprechen. Während Israel der Offenbarung des Gesetzes gewürdigt worden ist (vgl. 9,4), fehlt den Heiden die Gesetzesoffenbarung. Aber kraft ihres Geschaffenseins nach Maßgabe der Weisheit (die nach Sir 24,23 ff. im Gesetz offenbar wird) können sie sich durchaus selbst sagen, was Gut und Böse ist. Gott der Herr hat ihnen (schon bei der Schöpfung) ins Herz geschrieben, was das Gesetz verlangt. Zeugnis dafür werden die Gewissensregungen der Heiden sein, wenn sie sich aus Reue oder Verzweiflung in kritischen Erwägungen ergehen werden an dem Tage, da Gott durch Jesus Christus richten wird, was die Menschen gern verborgen halten. Paulus fügt hinzu: Von eben diesem Gericht Gottes durch Jesus Christus spricht „mein", d.h. das Evangelium, das mir zur Verkündigung anvertraut ist, durchaus! Beachtet man die akute Gesprächssituation des Römerbriefes, ist V. 16 ohne Mühe zu verstehen, und zwar im Sinne einer rhetorischen Spitze gegen die Pauluskritiker (von 3,8). Paulus verkündigt nicht die billige Gnade für die Heiden, wie sie meinen, sondern nach seinem Evangelium wird Gott Juden und Heiden durch Jesus Christus richten, und zwar gemäß der Rechtsforderung des Gesetzes. In V. 16 wird 1. Kor 4,4 f. (und 2. Kor 5,10) wieder aufgenommen. Statt einer von manchen Exegeten vermuteten Glosse eines späteren Abschreibers des Römerbriefes haben wir, wie schon Schlatter sah, eine betonte Bemerkung des Apostels vor uns. Auch nach dem Evangelium des Paulus ist Christus der Weltenrichter, der das Gericht nach den Werken nach dem Maßstab des Gesetzes durchführen wird. Eine

Exkurs IV: Natürliche Gotteserkenntnis

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Rechtfertigungsverkündigung ohne die Erwartung, daß Heiden, Juden und Christen vor dem Richtstuhl Christi erscheinen und sich dort für ihre Taten verantworten müssen, ist für den Apostel unmöglich und undenkbar. Unser knapper Text gibt Anlaß, zwei Fragen zusammenfassend zu bedenken: Erstens die Frage nach der „natürlichen" Gotteserkenntnis und dem Bewußtsein von Gut und Böse bei den Heiden, und zweitens die für das Verständnis des paulinischen Rechtfertigungsevangeliums noch wichtigere Frage nach dem Gericht nach den Werken.

Exkurs IV: Natürliche Gotteserkenntis Für Paulus und seine Zeit war die Frage nach der natürlichen Gotteserkenntnis der Heiden noch kein grundsätzlich theologisches, sondern ein praktisches Missionsproblem. Da der Apostel sich und die christliche Gemeinde sowohl von der Denkund Lebensweise der Heiden als auch von der solcher Juden unterschied, die das Evangelium zurückwiesen (vgl. z.B. 1. Kor 5,7 f.; 6,2.9-11.20; 2. Kor 6,14-7,1), mußte er sich fragen, auf welche Weise er den Heiden bei der Mission begegnen und sich zu ihrer Frömmigkeit und Moral stellen sollte. Vom Missionsjudentum übernahmen nicht wenige Heidenmissionare den Grundsatz, daß eine kritische Wertschätzung hellenistischer Bildung und philosophischer Ethik geboten sei. Dies gilt auch für Paulus und seine Mitarbeiter. Von den Heiden fordert der Apostel die strikte Abkehr vom Götzendienst und die Hinwendung zu dem einen, allein wahren Gott (1. Thess 1,9). Die (teilweise) laxe Moral der Heiden geißelt er hart (vgl. 1. Kor 5,9ff.; Gal 2,15; Rom 1,18-32). Aber er erkennt auch an, daß es unter den Heiden ein ausgeprägtes Bewußtsein von Gut und Böse gibt, das sich sogar Christen zum Vorbild nehmen können (vgl. 1. Kor 5,1 ; Phil 4,8 f.). Da der Apostel die Sicht der frühjüdischen Weisheitstheologie übernimmt, nach der Gott die Welt durch sein (mit der Weisheit identisches) Schöpferwort geschaffen und so all seinen Geschöpfen einen Sinn für Gott und das von ihm Gewollte eingeprägt hat (vgl. Spr 8,12-36; Hiob28; Sir 24,1-6; Weish 7,15-8,1; 9,1-3), kann er die Heiden durchaus auf die von ihnen versäumte Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung (1. Kor 1,21; Röml,18ff.; 2,14f.) ansprechen oder auch — wie in Apg 17,16-31 von Lukas literarisch kunstvoll ausgeführt — versuchen, ihr bereits von Gott dem Schöpfer geprägtes Denken in den Gehorsam des Glaubens an Christus zu überführen (2. Kor 10,5). Weil Paulus in Christus die schöpferische Weisheit Gottes erkannt hat (1. Kor 1,30; 2,6 ff.), bekennt er im Glauben an Christus Gott als den Schöpfer und Jesus Christus als den Mittler der alten und neuen Schöpfung (1. Kor 8,6; Kol 1,15-20). In 2. Kor 4,6 beschreibt er die ihn seit seiner Berufung zum Apostel leitende Gottes- und Christuserkenntnis folgendermaßen: „Denn der Gott, der da sprach: ,Aus der Finsternis leuchte Licht!' (Gen 1,3), er ist aufgeleuchtet in unseren Herzen zur Erleuchtung der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi." Diese Christus- und Gotteserkenntnis ist es, die dem Apostel die Möglichkeit gibt, in kritischer Nüchternheit von der den Heiden gewährten natürlichen Erkenntnis Gottes und des Guten zu sprechen und die geschaffene Welt als von Gottes Weisheit getragen in den Blick zu nehmen.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Exkurs V: Das Endgericht nach den Werken

Die Erwartung der endzeitlichen Wiederkunft ( = Parusie) des Christus und des „am Tage des Herrn" (1. Thess 5,2; 1. Kor 5,5; 2. Kor 1,14; Phil 1,6.10; 2,16) stattfindenden Endgerichts nach den Werken prägt die Paulusbriefe insgesamt (vgl. neben Rom 2,1-16 nur 1. Kor 3,12-15; 4,4f.; 2. Kor 5,10; Rom 14,10-12). Paulus sieht den Endereignissen zeit seines Lebens gespannt entgegen (vgl. 1. Thess 4,15ff.; 1. Kor7,29ff.; Rom 13,11 ff.) und erwartet von ihnen die endgültige Verwirklichung des Heils für die Glaubenden (Phil3,20f.; Rom 8,23; 13,11), für Israel (Rom 11,26 ff.) und die Schöpfung insgesamt, die mit Adams Fall der Nichtigkeit unterworfen worden ist (Rom 8,19-22). Typisch biblisch, ist auch für den Apostel das Endgericht kein göttlicher Racheakt, sondern das ersehnte Ereignis der endgültigen Durchsetzung der heilschaffenden Gottesgerechtigkeit gegenüber allen Mächten des Bösen (vgl. 1. Kor 15,24-28.54f.; Rom 8,38f.). Weil der Apostel diese (positive) Gerichtserwartung mit den späten Schichten des Alten Testaments und der jüdisch-apokalyptischen Tradition teilt, ist die Sprache, in der er vom Gericht spricht, ganz von dort her geprägt. Paulus kann gleichzeitig vom „Gerichtsthron Gottes" (Rom 14,10 vgl. mit Dan 7,9) und vom „Gerichtsthron Christi"(2. Kor 5, lOvgl. mitäthHen 62,2 ff.) sprechen, weil er mit der jüdischen Uberlieferung und der Jesustradition (vgl. Mk 13,26 Par.; Mt 25,31-46) davon ausgeht, daß das Endgericht durch Gottes messianischen Erwählten durchgeführt werden wird. Der zur Rechten Gottes erhöhte Jesus ist dieser messianische Erwählte (vgl. Phil 2,6-11; Rom 1,3 f.). Daß Gott jeden einzelnen Menschen gemäß seinem Wandel richten wird, ist ebenso alttestamentlich (vgl. Ps 62,13; Spr24,12; H i o b 3 4 , l l ; Sir 16,14) wie frühjüdisch (vgl. J u b 5 , 1 5 ; äthHen 100,7) und allgemein urchristlich (vgl. Offb 2,23; 20,12 f.); mit der Rede von Gottes Unparteilichkeit steht es nicht anders (vgl. DtnlO, 17; Sir 35,12; PsSal 2,18; 1. Petr 1,17). „Werke" sind die Taten, die einen Menschen als gerecht oder gottlos ausweisen. Die „Werke des Gesetzes" meinen bei Paulus (Gal 2,16; Rom 3,20.28) wie in der jüdischen Tradition auch (vgl. 4Qflor 1,7 und syrBar 57,2) die einzelnen Gebotserfüllungen, während „das Werk" eines Christen (1. Kor 3,13) die Summe seines Wirkens bezeichnet. Daß das gute Werk am Jüngsten Tage von Gott belohnt und das böse von demselben Gott geahndet wird, ist dem Apostel ebenso sicher (vgl. 1. Kor 3,14f.; 9,17) wie ihm die (jüdische) Vorstellung vertraut ist, daß die Werke der Menschen in den Himmeln aufgezeichnet werden (Dan 7,10; Offb 20,12). Der Unbußfertige häuft sich auf diese Weise Zorn am Tage des Zornes auf (Rom 2,5), während der Apostel hofft, daß er und alle, die Gottes Willen tun, von Gott Lohn (1. Kor 3,8.14; 9,17f.), Lob (1. Kor 4,5) und Ruhm ( l . K o r 9 , 1 5 f . ; Phil 2,16) empfangen werden. Die Paulusbriefe bieten keinen Anlaß, diese Vorstellungswelt als „vorchristlich" oder „bloß jüdisch" abzutun. Der Apostel hat sie nicht als Widerspruch zu seiner Rechtfertigungsverkündigung empfunden, vielmehr sein Evangelium in eben diesem Erwartungshorizont entfaltet. Die Auslegung hat dies nachzuvollziehen, ohne zu verdecken, daß Paulus nirgends in seinen uns erhaltenen Briefen ein systematisch abgerundetes Bild vom End-

Exkurs V: Das Endgericht nach den Werken

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gericht zeichnet. Er beschränkt sich vielmehr darauf, einzelne Aspekte seiner Endgerichtserwartung zu verdeutlichen. Maßstab des Endgerichts wird der Wille Gottes sein, wie er im Gesetz zum Ausdruck kommt (Rom 2,12-16). Die Juden kennen das Gesetz von der Offenbarung am Sinai her (vgl. Ex 19,1-20,21); die Heiden können Gottes Willen aus den Werken der Schöpfung ersehen und sich von ihrem Gewissen zum Guten führen lassen; die Christen werden kraft des Hl. Geistes der Weisung Jesu gerecht (Gal 6,2) und stehen damit in der Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes (Gal 5,14; Rom 8,4). Paulus kann daher mit Recht sagen, daß Juden, Heiden und Christen nach Maßstab des Gesetzes gerichtet werden, und zwar durch Christus (Rom 2,16). Im Endgericht stehen die Werke als sichtbarer Ausdruck des Seins eines Menschen zur Debatte. Was vor Gott wohlgetan ist, wird belohnt, was übel getan und versäumt worden ist, wird bestraft werden. Paulus rechnet bei Christen und Nichtchristen mit guten und schlechten Werken (1. Kor 3,14 £.; 2. Kor 5,10; Rom 2,9 f.) und ruft seine Gemeinden mit Nachdruck zum Tun des Guten auf (Gal 5,16-26; 1. Kor 6,7-11; Phil 2,12f.; Rom 12,2). Aber der Apostel kennt auch die alttestamentlich-jüdische Anschauung von Gott als dem ins Verborgene schauenden „Herzenkündiger" (vgl. Rom 2,16 und 1. Kor 4,5 mit Apg 1,24; 15,8;Jer 17,10;Spr 17,3; Sir 23,19 f.). Er weiß bereits von daher, daß ein Mensch vor Gott mehr ist als einzelne Werke oder die Summe seiner im Endgericht sichtbar werdenden Taten (1. Kor 3,15; 5,5; 11,32). Für den unter die Macht der Sünde geratenen Menschen bedeutet dies, daß er sich durch einzelne gute Taten und „Werke des Gesetzes" (Gal 2,16; Rom 3,20; 9,32) nicht von seinem sündhaften Sein befreien und den Freispruch im Jüngsten Gericht erreichen kann. Solchen Freispruch oder gar „Ehre und Herrlichkeit" (Rom 2,10) kann nur erhoffen, wem Gott der Schöpfer aus freier Gnade heraus ein neues Sein in Gerechtigkeit und die geistliche Befähigung zum Tun des Gerechten schenkt und im Gericht einen Fürsprecher an die Seite stellt, gegen den kein Ankläger aufkommen kann. Eben dies geschieht nach Paulus durch Christus: Kraft des Sühntodes Jesu erlangen die Sünder Befreiung von der Sünde und gewinnen ein neues Sein in Gerechtigkeit (vgl. 2. Kor 5,17.21); der Geist verhilft den Christen zur Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes (Gal 5,18.22ff.; Röm8,4ff.); der „für uns" in den Tod gegebene und auferweckte Christus tritt im Jüngsten Gericht als Fürsprecher für die Glaubenden ein (vgl. Rom 8,34; Hebr 7,25; 9,24; 1. Joh 2,1 f.; Offb 3,5). Das Evangelium verkündigt also jedem Glaubenden die Rettung vor der Vernichtung im Zorngericht Gottes. Mit dem Phänomen der Christensünde ist der Apostel noch längst nicht in dem Maße konfrontiert gewesen wie Augustin, die Reformatoren oder unsere Gegenwart. Aber er hat sie bei den Korinthern (1. Kor 5,1-5; 6,1-11) und bei seinen Gegnern schon deutlich vor Augen gehabt (vgl. nur Phil 1,15-17; 3,18 ff.). Falls ein Glaubender das Evangelium antastet oder verwirft, gibt es für ihn keine Rettung mehr (Gal 1,8; 2. Kor 11,4.13-15; Phil 3,18f.). Bleiben aber Glaube und Evangelium in Geltung, bleibt auch Christus für die Sünder am Werk (Rom 8,39); sie dürfen deshalb auf Annahme im Gericht hoffen, nachdem sie die Strafe für ihre Sünden und Versäumnisse ertragen haben (vgl. 1. Kor 3,15; 5,5; 11,32). Einen Freibrief

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1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit für Juden und Heiden

zum Sündigen hat der Apostel mit diesen kühnen Sätzen nicht ausgestellt, und er hat mit ihnen auch seinen Gerichtsaussagen nicht die Spitze abgebrochen. Gott, der Herr, und Christus, sein messianischer Sohn, lassen sich nach Paulus nicht zum Spott machen (1. Kor 12,3;Gal 6,7ff.;Röm 3,5-8). Gott hat das Endgericht seinem Sohn anvertraut (Rom 2,16). Dies bedeutet, daß kein Mensch an Christus vorbei in die Herrlichkeit eingehen kann. Es kommt vielmehr für jeden darauf an, in diesem Christus seinen gnädigen Herrn und Richter zu suchen und zu finden. Dies gibt dem Leben aller derer, die auf den Jüngsten Tag zugehen, seine innere Spannung (Phil 2,12; 3,12-21).

2.3 2,17-29: Die Schuld der Juden 17 Wenn aber du dich Jude nennen läßt und dich auf das Gesetz verläßt und dich Gottes rühmst 18 und den Willen erkennst und als einer, der aus dem Gesetz unterrichtet worden ist, prüfst, worauf es ankommt, 19 und traust dir zu, Wegführer der Blinden zu sein, Licht für die in der Finsternis, 20 Erzieher von Unverständigen, Lehrer von Unmündigen, der die Grundgestalt der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz besitzt — : 21 Der du einen anderen belehrst, lehrst dich selber nicht? Der du verkündigst, nicht zu stehlen, stiehlst? 22 Der du aufforderst, die Ehe nicht zu brechen, begehst Ehebruch? Der du die Götzen verabscheust, begehst Tempelraub? 23 Der du dich des Gesetzes rühmst, entehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes? 24 „Der Name Gottes wird" in der Tat „euretwegen unter den Heiden gelästert", wie geschrieben steht! 25 Denn die Beschneidung nützt zwar, wenn du das Gesetz tust; wenn du aber Übertreter des Gesetzes bist, ist deine Beschneidung zur Unbeschnittenheit geworden. 26 Wenn nun die Unbeschnittenheit die Rechtsforderungen des Gesetzes bewahrt, wird dann nicht die Unbeschnittenheit solch eines (Menschen) als Beschneidung gerechnet werden? 27 Und die von Natur her bestehende Unbeschnittenheit, die das Gesetz ausführt, wird dich, der du bei Buchstabe und Beschneidung Übertreter des Gesetzes bist, richten. 28 Denn nicht der ist Jude, der (es) sichtbar ist, und auch nicht die sichtbar am Fleisch (vollzogene) Beschneidung (ist Beschneidung), 29 sondern wer im Verborgenen (Jude ist,) ist Jude, und die Beschneidung des Herzens, im Geist nicht im Buchstaben (ist Beschneidung); dessen Lob (kommt) nicht von Menschen, sondern von Gott. V e r s 24: Jes 52,5.

A

Die Textstruktur ist leicht zu erkennen: V. 17-20 bilden einen sich inhaltlich steigernden rhetorischen Zusammenhang und skizzieren den Anspruch des Juden gegenüber den Heiden. Mit V. 21 geht die Satzkonstruktion über zur direkten Anklage in Form von rhetorischen Fragesätzen. V. 24 wird die Anklage mit einem Schriftzitat untermauert. Mit V. 25 beginnt ein Abschnitt, der parallel zu V. 12-16 verläuft und den Juden unter dem Gesichtspunkt des Jüngsten Gerichts neben den Heiden stellt: Lob von Gott wird nur der empfangen, der die Rechtsforderungen des Gesetzes bewahrt hat. Wer dies ist, entscheidet sich nicht aufgrund der äußeren Vorfindlichkeit der Beschneidung oder Unbeschnittenheit, sondern von der Herzensbeschneidung her, die sich in Taten des Gehorsams ausweist.

2,17-29: Die Schuld der Juden

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Wieder argumentiert Paulus als Gerichtsprediger, und zwar unter genauer Kenntnis jüdischer Ansprüche und Tradition. Der sich in V. 17-20 spiegelnde Anspruch des Missionsjudentums, Heiden aus Finsternis, Götzendienst und Unreinheit zum Licht und zur Wahrheit zu führen, stützt sich auf Jes 42,6 f.; 49,6 und läßt sich aus hellenistisch-jüdischen Missionsschriften wie Joseph und Aseneth direkt belegen (vgl. dort 8,5-9). Die Wertschätzung des Gesetzes von V. 20 ist in Bar 3,37-4,4; syrBar 44,14; 48,22-24 bezeugt. Die Argumente von V. 21-23 entsprechen innerjüdischen Gerichtsreden, wie wir sie aus der sog. deuteronomistischen Tradition, Bußgebeten und testamentarischen Verwarnungen kennen. Vgl. z.B. PsSal 8,7-13; TestNaph 4,1; 8,6; 4Esr 8,20-36; Josephus, Ant 4,207. Von dem Erfordernis der Herzensbeschneidung sprechen schon Dtn30,6; Jub 1,23 und l Q S 5 , 5 f . Daß aber die von den Juden als Siegel des Abrahambundes (vgl. Gen 17,1-27) betrachtete Beschneidung weitgehend relativiert und die Gottes Willen befolgende Heidenschaft zur Richterin über das vom Gesetz abweichende Judentum erhoben wird, geht selbst über die radikalsten jüdischen Gerichtstexte wie 4Esr 7,33 ff.; syrBar 85,12 ff. hinaus und hat sein Vorbild nur in der Umkehrpredigt Johannes des Täufers (Lk 3,7-9 Par.) und in der Jesusbotschaft. Nach frühjüdischer Erwartung werden die Gerechten einst über die Sünder (und Heiden Völker) Gericht halten (vgl. Dan 7,22.27; Weish 3,7 f.; äthHen 90,19; 95,3); bei Jesus ist vom Gericht der bußfertigen Heiden über die unbußfertigen Juden die Rede (Lk 11,31 f. Par.) und wird den Nachfolgern Jesu Anteil an der Herrschaft des Menschensohnes verheißen (vgl. Lk 12,32 mit Dan 7,18.22). Wie 1. Kor 6,2 zeigt, ist Jesu Verheißung in der Mission auf die kraft ihrer Taufe geheiligten Christen (vgl. l . K o r 6,11) und Märtyrer (vgl. Offb 20,4) übertragen worden. In unserem Zusammenhang kommt Paulus auf diese christliche Erwartung zurück. Mit seiner Argumentation will er nicht nur die Schuld des Juden demonstrieren, sondern implizit auch die Ansprüche jener judenchristlichen Gegner in die Schranken weisen, die ihn nach 3,8 „verlästern". Paulus hat seit 2,1 f. noch offengelassen, wieso der von ihm kritisch angeredete Mensch „dasselbe tut" wie die vorsätzlich gegen Gottes Forderung verstoßenden Heiden. Jetzt wird der Apostel auch in dieser Hinsicht deutlich. Der Gesprächspartner ist Jude und von dem für das Missionsjudentum der paulinischen Zeit charakteristischen Anspruch erfüllt. Er will den Heiden das Licht der Erkenntnis Gottes bringen (vgl. Jes 42,6 f.; 49,6), er möchte sie durch seine Lehre aus Unmündigkeit und Unverständigkeit zum Verständnis der Wahrheit Gottes führen, wie sie ihm im Gesetz vom Sinai vorgegeben und anvertraut ist. Aber er übersieht dabei den schreienden Widerspruch zwischen seinem Anspruch und seinem eigenen Tun. Er selbst lebt dahin in „aller Verworfenheit der Heiden" (TestNaph 4,1); er rühmt sich gegenüber den Heiden des Gesetzes: „Glücklich sind wir Israeliten, weil uns bekannt geworden ist, was Gott gefällt!" (Bar 4,4) und entehrt doch Gott durch seine Gesetzesübertretung. In der griechischen Bibel des Paulus wird solches Verhalten als Lästerung des Namens Gottes (d.h. seiner heiligen Wirklichkeit) durch Israel unter den Heidenvölkern gebrandmarkt (Jes 52,5). Natürlich sind diese Sätze ebenso pauschal formuliert wie die Anklage gegen die Heiden in 1,18-32. Ihre Härte gewinnen sie von der Unerbittlichkeit des bevor-

Β 17-20

21-23

24

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

stehenden Gerichtes Gottes her, auf das schon jüdische Zeugen verweisen. Im Blick auf das Jüngste Gericht sind auch die folgenden Sätze des Paulus formu25 liert, die seiner Anklage gegen den Juden letzte Schärfe geben. Die Beschneidung, d.h. das Zeichen der Zugehörigkeit zu Gottes erwähltem Volk, wird heilvoll wirksam nur, wenn auch die Bundesverpflichtung in Gestalt des Gesetzes eingehalten wird. Wo sie übertreten wird, wird die Beschneidung zur Belastung (s.u. zu 3,3). 26 Wenn unbeschnittene Heiden die Rechtsforderungen des Gesetzes erfüllen, wird ihre Unbeschnittenheit von Gott als Beschneidung gewertet werden, d.h. sie werden dem erwählten Gottesvolk (aus Heiden und Juden) zugesellt. Und mehr noch: 27 Die Gott gehorsamen Heiden werden über die Juden zu Gericht sitzen, die trotz Kenntnis des ihnen geschrieben anvertrauten Gesetzes und trotz der Beschneidung Übertreter des Gesetzes waren und sind. Paulus führt hier weiter, was schon Jesus 2 8 . 2 9 angekündigt hatte (Lk 11,31 f. Par.). Der wahre Jude, der vor Gott Lob empfangen wird, ist nicht einfach der Jude, der an seinem Fleisch das Bundeszeichen der Beschneidung trägt, sondern jener Jude, der von Gott den Geist und die Beschneidung des Herzens empfangen hat und sich deshalb nicht mehr von seinem Schöpfer abwendet (vgl. Jub 1,23). Unsere Verse sind in der christlich-kirchlichen Tradition als antisemitisches Ketzerplakat mißbraucht worden. Mit ihrer Relativierung des jüdischen Erwählungsanspruchs gehen sie bis an die Grenze des für Juden Erträglichen und darüber hinaus. Von dem Juden Paulus gegenüber Juden geäußert, ist ihr ursprüngliches Ziel trotzdem nicht, die Erwählung Israels einfach für null und nichtig zu erklären, sondern die Juden auf die Wirklichkeit des kommenden Gottes hinzuweisen, der gerade von seinem erwählten Volk mehr fordert als nur äußerlichen Gehorsam. Die folgenden Verse zeigen dies mit aller Deutlichkeit.

J. 3,1-8: Einwände Paulus schreibt den Römerbrief nicht als situationslose Abhandlung über sein Evangelium, sondern als Rechenschaftsbericht, der die römischen Christen vom Inhalt und Recht seines Evangeliums überzeugen soll. Bis hin nach Rom scheint dieses Evangelium von judenchristlichen Gegnern und deren Sympathisanten als Botschaft von der billigen Gnade und der Annullierung der Erwählung Israels zum Eigentumsvolk Gottes kritisiert worden zu sein. Angesichts dieser kritischen Gesprächssituation ist es wohlverständlich, daß der Apostel sich im Verlaufe seiner Gerichtsrede gegen Heiden und Juden ( = 1 , 1 8 - 3 , 2 0 ) den ihm bekannt gewordenen Einwänden nicht nur indirekt (s. zu 2,16), sondern auch direkt stellt. Eben dies geschieht in unserem Abschnitt. In der ihm eigenen assoziierenden Denk- und Argumentationsweise kommt Paulus auf das Thema der Erwählung Israels in Kap. 9-11 und auf den Vorwurf, die billige Gnade zu verkündigen, in Kap. 6 und 7 wieder zurück. Der nachstehende Argumentationsgang klärt die Fronten also nur ein erstes Mal, ist aber eben deshalb für das Ganze des Römerbriefes besonders interessant.

3,1-8: Einwände

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1 Was ist nun der Vorzug des Juden oder was ist der Nutzen der Beschneidung? 2 Viel in jeder Hinsicht! Vor allem, daß sie mit den Worten Gottes betraut worden sind. 3 Was denn? Wenn einige untreu geworden sind, wird ihre Untreue dann nicht die Treue Gottes zunichte machen? 4 Mitnichten! Vielmehr möge sich Gott als wahrhaftig erweisen, jeder Mensch aber als Lügner, wie geschrieben steht: „Auf daß du Recht bekommst in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet." 5 Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen: Ist Gott dann nicht ungerecht, wenn er das Zorngericht verhängt? Ich rede nach Menschenart. 6 Mitnichten! Denn wie sollte Gott (sonst) die Welt richten? 7 Wenn aber die Wahrhaftigkeit Gottes sich durch meine Lüge als übergroß erwiesen hat zu seiner Verherrlichung, warum werde ich dann noch als Sünder gerichtet? 8 Und (gilt) etwa, wie wir verlästert werden und gewisse Leute von uns behaupten, wir sagten: Laßt uns das Böse tun, damit (dadurch) das Gute komme!? Das Gerichtsurteil über sie ist rechtens! Vers 4: ft 116,11; fi, 6.

Die Struktur des Textes ist folgende: In V. 1 + 2 antwortet Paulus auf die sich im A Anschluß an 2,25-29 stellende Frage, ob die Vorzugsstellung des Juden gegenüber dem Heiden nunmehr gänzlich hinfällig geworden sei. Daran schließen sich in V. 3-4 und V. 5-8 zwei rhetorische Dialoge an. In beiden geht es um die Treue und Gerechtigkeit Gottes. V. 8 zeigt, daß sich Paulus gegen die Verleumdung durch Leute zur Wehr setzen muß, die seine Verkündigung böswillig auf den Satz zusammendrängen: „Laßt uns das Böse tun, damit (dadurch) das Gute komme!". Die Kritiker sind wahrscheinlich judenchristliche Missionare, wie wir sie aus dem Galater-, dem 2. Korinther- und dem Philipperbrief kennen. Sie halten das Evangelium des Paulus für eine Botschaft, die auf die Wünsche der gesetzlosen Heiden zugeschnitten ist (Gal 1,10), den Ernst des Gerichtes Gottes verharmlost (s.o. zu 2,16) und so Christus oder gar Gott selbst zum „Diener der Sünde" (Gal 2,17) herabwürdigt. Da Paulus bei der Mission der Heiden programmatisch auf die Beschneidung verzichtete (Gal 2,3 f.; 5,2.6 vgl. mit Apg 15, l f . 28 f.), seine eigenen früheren jüdischen Ehrentitel fast ostentativ abwertete (Phil 3,4-11) und sich vom Gesetz loszusagen schien (Gal 2,19; 1. Kor 9,20), warfen sie ihm gleichzeitig vor, die Erwählungsvorrechte Israels vor den Heiden zu annullieren und das Gesetz zu verachten. Auf diesem Hintergrund werden unsere Verse klar verständlich. Paulus weist die Einwände dieser Leute, die auch in Rom Gehör zu finden drohen, mit Nachdruck zurück. Er bedient sich dabei in V. 4 der frühjüdischen Bußtradition und des in ihr verwendeten Ps 51, auf den auch Jesus in Lk 18,13 anspielt. Der Beter dieses Psalms bekennt vor Gott, dem Richter, seine Missetat und Schuld; er gibt Gottes Rechtsanspruch recht (und erhofft sich gerade dadurch Barmherzigkeit). Paulus benutzt die griechische Ubersetzung von Ps 51,6, um herauszustellen, daß und wie Gott im Rechtsstreit mit den Sündern Recht bekommt. V. 6 lautet in der Septuaginta: „An dir allein habe ich gesündigt und das Üble vor dir getan, auf daß du Recht bekommst in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet." Die „Worte Gottes", von denen hier und in V. 2 die Rede ist, sind nach dem Sprachgebrauch des griechischen Alten Testaments vor allem die Gebote Gottes, die Israel

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

in besondererWeise anvertraut worden sind (vgl. Ex 20,1 ff.; Dtn 4,30; 10,4; 33,9; Ps 119,11.67; Rom 9,4). Die harte Argumentation des Apostels in 2,25-29 provoziert die Einrede, was unter diesen Umständen noch der Vorzug des Juden (vor dem Heiden) und der Nutzen der Beschneidung sei. Paulus formuliert diese Einrede nicht aus freien Stücken, sondern im Blick auf die ihm aufgenötigte Auseinandersetzung mit judenchristlichen Missionaren, die bis hin nach Rom gegen ihn Front machen. Seine Antwort lautet aber nun gerade nicht: Der Jude hat keinerlei Vorrecht vor dem Heiden mehr und die Beschneidung ist nichts mehr nütze, sondern: „Viel in jeder Hinsicht!" Die Relativierung jüdischer Sonderansprüche angesichts des Endgerichts nach den Werken bedeutet für Paulus keineswegs, daß Juden und Heiden erwählungsgeschichtlich gleichgestellt wären. Vielmehr genießt der Jude gegenüber dem Heiden „vor allem" den bleibenden Vorzug, daß ihm „die Worte Gottes" ( = Gebote) anvertraut sind (vgl. 2,20; 9,4 und Apg 7,38). (Weitere Vorzüge Israels zu nennen, spart Paulus sich bis zu Kap. 9,4 f. auf, wo er den hier begonnenen Gesprächsfaden erneut aufnimmt.) Im Zusammenhang der Gerichtsrede ist diese eine Feststellung hinreichend: Israel kennt Gottes Rechtsforderungen aus dem Gesetz, und die Beschneidung ordnet Israel zeichenhaft seinem Gotte zu. Beides stellt Israel besonders in die Pflicht und verschafft ihm nicht etwa besonders großzügige Freiheitsrechte (vgl. Am 3,2). Von dieser (prophetischen) Argumentationsbasis aus kann Paulus den ersten Einwand seiner Kritiker, er lasse das besondere Treueverhältnis Gottes zu seinem erwählten Volk außeracht, zurückweisen. Im Blick auf das Gericht verhält es sich genau umgekehrt: Die Untreue „einiger" Juden, die Paulus in 2 , 1 - 2 9 gebrandmarkt hat, macht Gottes Treue und Verläßlichkeit gegenüber Israel keineswegs zunichte. Ganz im Gegenteil! Gott wird sich gerade im Gericht als wahrhaftig, jeder Sünder aber als unzuverlässiger Lügner erweisen, und zwar nach dem Zeugnis der Schrift. Nach Ps 51,6 wird Gott im Rechtsstreit mit dem Sünder obsiegen, und seine Worte ( = Gebote) werden als rechtmäßig und verläßlich anerkannt werden! Paulus hält also an Gottes (sich im Zuspruch des Gesetzes an Israel äußernder) Treue und an seinen Worten ( = Geboten) fest. — Er verkündigt auch nicht die billige Gnade am Gericht vorbei; in einem zweiten Gesprächsgang nimmt sich Paulus auch dieser Anfrage an. Mit der Wendung „ich rede nach Menschenart" zeigt er aber an, daß ihm die Frage aufgenötigt worden ist: Wenn Gottes Gerechtigkeit nach Ps 51,6 angesichts des von den Sündern getanen Unrechts in helles Licht gerückt wird, ist dann Gott nicht ungerecht, wenn er trotzdem noch das Zorngericht über die Sünder verhängt; muß er nicht vielmehr vergeben (vgl. ähnlich 9,14)? Der Einredner will herausarbeiten, daß Paulus Gott und seinen Christus zu „Sündendienern" macht (Gal 2,17). Seit Jahren verkündigt Paulus die Rechtfertigung des Gottlosen durch Gottes freie Gnade und stellt sich als Beispiel dafür dar (vgl. Gal 2,15ff.; Phil 3,7-11 mit 1. Kor 1,26-31; 2. Kor 5,19-21); wie kann er da noch ernsthaft von Gottes Gericht sprechen! Paulus wehrt erneut ab: Mitnichten ist Gott ungerecht! Wie anders als in seiner die Wohlordnung der Welt schaffenden Gerechtigkeit sollte Gott die Welt richten? Daß Gott der gerechte Richter ist, steht dem Apostel unerschütterlich fest (vgl. Gal 6,7f.; Rom 14,10). Der Paulusgegner beharrt auf seiner Anfrage und spitzt sie sogar noch zu: Wenn im

3,9-20: Juden und Heiden unter der Sünde

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Gericht Gottes Wahrhaftigkeit zu seiner Ehre durch die Lüge des Übeltäters nur gesteigert wird, weshalb wird dann der Sünder noch gerichtet (und nicht vielmehr gerettet)? Der Apostel steigert den vorliegenden Einwand rhetorisch noch dadurch, 8 daß er nunmehr die verleumderische Behauptung zitiert, die man ihm von Seiten seiner Kritiker anzuhängen sucht; sie lautet „Laßt uns nur das Böse tun, damit das Gute (in Gestalt von Gottes Gnade) komme!" Seine Antwort ist eindeutig (und nicht minder schroff als in Gal 1,8): Wer ihm diese Anschauung anhängt, über den ergeht Gottes Gerichtsurteil zu Recht! Paulus besteht also wie in V. 6 auf der Wirklichkeit des Gottesgerichts, nur diesmal so, daß er seine Verleumder diesem Gericht überantwortet. Niemand hängt ihm ungestraft die Botschaft von der billigen Gnade an! Gottes Gerechtigkeit ist für Paulus, gut alttestamentlich, der Treue und Wahrhaftigkeit Gottes nahe verwandt (vgl. Ps 98,2 f.). Im Rechtsstreit mit den Sündern tritt diese Gerechtigkeit erst eigentlich hervor, und zwar als das Verhalten, mit dem Gott als Schöpfer und Richter Ordnung auf der Welt schafft und das Gute durchsetzt. Dem vernichtenden Zorn Gottes entgeht im Gericht nur, wer Gott und seine Gebote als verläßlich und gerecht anerkennt und an den Christus glaubt, der (kraft seines Sühntodes) den Glaubenden zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gesetzt ist (1. Kor 1,30) und im Evangelium als Retter und Herr verkündigt wird (Rom 1,3 f. 16 f.). Das ist die paulinische Botschaft! Wer es anders behauptet, ist ein Verleumder, der Gottes Gerichtsurteil verdient. — Insgesamt werden die (judenchristlichen) Pauluskritiker also hart abgewiesen. Der Apostel nimmt ihre Äußerungen aber doch so ernst, daß er sich hinfort immer wieder neu mit ihnen auseinandersetzt. Daß er am Erwählungsvorrecht Israels über das Gericht hinaus festhält, zeigt er ausführlich in den Kapiteln 9-11. Daß er sehr wohl vom Endgericht (nach den Werken) spricht, hat er bisher kundgetan und wird er weiterhin bekräftigen. Von der Achtung vor Gottes Geboten und von der keineswegs billigen, sondern teuren Gnade wird von 3,21 bis zum Schluß von Kapitel 8 immer neu die Rede sein. Schließlich stellt der Apostel von Kapitel 12 an die Verpflichtung der Gemeinde zum neuen Wandel heraus. Sein ganzer Brief ist also gezeichnet von dem Bemühen, die gegen seine Verkündigung erhobenen Vorwürfe zu entkräften und darüber hinaus zu zeigen, worum es sich bei seinem Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in und durch Christus wirklich handelt. Zunächst aber führt Paulus seine Gerichtsrede zu Ende, indem er das Fazit aus seiner Gesamtargumentation zieht. 4. 3,9-20: Juden und Heiden unter der Sünde 9 Was nun? Machen wir Ausflüchte? Ganz sicher nicht! Denn wir haben vorhin Anklage erhoben, daß Juden und Griechen gleichermaßen unter der Sünde sind, 10 wie geschrieben steht: „Keinen Gerechten gibt es, auch nicht einen einzigen. 11 Keinen Einsichtigen gibt es; keinen gibt es, der nach Gott sucht. 12 Alle sind sie abgewichen, zusammen verdorben. Keinen gibt es, der Rechtschaffenheit übt; keinen gibt es, auch nicht einen. 13 Ein geöffnetes Grab ist ihr Schlund. Mit ihren Zungen haben sie betrogen; Schlangengift (ist) unter ihren Lippen. 14 Ihr Mund ist voll Fluch und Bitterkeit. 15 Rasch (sind) ihre Füße, um Blut zu ver-

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

gießen, 16 Verwüstung und Elend (sind) auf ihren Wegen, 17 und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt. 18 Keine Gottesfurcht gibt es vor ihren Augen." 19 Wir wissen aber, daß, was das Gesetz sagt, es denen sagt, die unter dem Gesetz (stehen), damit jeder Mund gestopft werde und haftbar werde alle Welt vor Gott. 20 Denn aufgrund von Werken des Gesetzes wird kein Fleisch vor ihm gerechtfertigt werden, durch das Gesetz (kommt vielmehr nur) Erkenntnis der Sünde. Vers 10: Kob 7,20; Vers 11 + 12: Kob 7, 20; ft 14,1-3 (¡3,2-4); ft 10, 7; Vers 15-17: Jes 59, 7 + 8 (Spr 1,16); Vers 18: ft 36, 2.

A

Β 9

10 11 12 13.14 15.16 17

Vers 13: A 5, IO; 140,4;

Vers 14:

Paulus führt seine Anklage (Gerichtsrede) gegen Heiden und Juden in unseren Versen zu Ende, V 9 schließt an 3,1-8 an und schlägt gleichzeitig den Bogen zurück zu 2,12. V 1 0 - 1 8 bieten einen Schriftbeweis für die paulinische Anklage in Form einer Zitatenkette. V I 9 - 2 0 ziehen die Summe: Alle Welt ist vor Gott haftbar; sie wird durch das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde geführt, ohne sich kraft der gebotenen Werke aus der Verstrickung in die Sünde befreien zu können. — Die Zitatenkette ist kunstvoll aus Kohelet-, Psalmen- und Prophetenzitaten gebildet. Sie skizziert bewußt plakativ das Tun und Lassen der Sünder und könnte von Paulus bereits vorgeformt übernommen worden sein. In Justins Dialog mit dem Juden Tryphon 27,3 wird eine fast gleichlautende Zitatenkette benützt, und zwar in einer Anklage gegen Juden. Möglicherweise schöpfen Paulus und Justin also aus dem Zitatenschatz jüdischer und frühchristlicher Gerichtsreden. — Es ist sicherlich kein Zufall, daß der Apostel in V. 19 f. auf Thesen zurückkommt, die er schon im Galaterbrief verfochten hat (vgl. Gal 2,16; 3,22): Der Apostel besteht gegenüber den Christen von Rom auf seiner strittigen Lehre! Unter den Auslegern ist umstritten, ob man den Eingang unseres Verses übersetzen soll: „Was also? Haben wir einen Vorzug?" (Wilckens und viele andere), oder wie oben angegeben: „Was nun? Machen wir Ausflüchte?". Für die von Wilckens gewählte übliche Ubersetzung gibt es keine lexikalischen griechischen Parallelen; sie stößt sich außerdem hart mit 3,1 f., wo Paulus gerade betont hat, die jüdische Vorzugsstellung bestehe vor Gott fort. Die von uns gewählte Übersetzung entspricht dagegen dem üblichen griechischen Sprachgebrauch und fügt sich außerdem dem Text glatt ein. Paulus ist eben ausdrücklich auf die Einwände seiner judenchristlichen Gegner eingegangen. Mit der in diesem Zusammenhang wohlverständlichen (rhetorischen) Frage, ob er sich etwa in Ausflüchte verlieren wolle, lenkt er zu der in 2,29 abgebrochenen Gerichtsrede zurück und kommt zum Schluß seiner Anklage; von Ausflüchten kann also keine Rede sein. Die vom Apostel schon zuvor erhobene Anklage lautet vielmehr, daß Juden und Griechen gemeinsam der Sünde verfallen sind, und zwar ohne Ausnahme. Was die Schrift in den Psalmen und durch Jesaja beklagt, ist unleugbare gegenwärtige Realität. Es gibt keinen Gerechten, keinen Einsichtigen und keinen, der wahrhaft nach Gott sucht. Alle sind sie durch die Sünde verdorben und keiner tut, was vor Gott recht ist. Die Sünder sind in dem, was sie reden und denken, voll von tödlich wirkendem Unrecht. Ebenso ist ihr Wandel von Gewaltsamkeit und Vernichtung geprägt. Sie verfehlen sich in Wort(V. 13 f.) und Tat (V. 15 f.) und bringen nichts Gutes zustande. Von dem durch

3,9-20: Juden und Heiden unter der Sünde

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Gott vorgezeichneten „Weg des Friedens", d.h. dem Wandel, der zum allgemeinen Wohl führt und dem Heil dient (vgl. Lk 1,79), wollen sie nichts wissen. Den Sün- 18 dern fehlt die Gottesfurcht, und damit — alttestamentlich gesprochen — die Grundvoraussetzung, um weise zu sein und gerecht zu handeln (vgl. Spr 1,7). — Paulus 19 kann damit die Summe ziehen. Da er in Rom Adressaten vor sich weiß, die im Gesetz wohlbewandert sind (vgl. 7,1), resümiert er im Wir-Stil: Wir wissen, daß das, was das Gesetz sagt, denen gesagt ist, die unter und mit dem Gesetz leben. Nach 2,17-24 sind dies zuerst die Juden, aber nach 1,20f. 32; 2,14f.26 auch die heidnischen Griechen. „Was das Gesetz sagt" meint in unserem Fall alles, was in dem Schriftzeugnis von V. 10-18 angesprochen wird. Nach jüdischer Auffassung legt die ganze Schrift das in den fünf Büchern Mose bezeugte Gesetz aus und kann deshalb gelegentlich insgesamt einfach „das Gesetz" genannt werden. Paulus schließt sich z.B. hier und in 1. Kor 14,21 diesem Sprachgebrauch an. Das Wort der Schrift als Bezeugung des Gesetzes macht deutlich, daß die ganze Welt vor Gott haftbar ist. Warum sie so dasteht, beantwortet Paulus in V20 mit einer schon in Gal 2,16 20 geäußerten, auf Ps 143,2 fußenden und für seine frühen jüdischen Glaubensgenossen ebenso wie für seine judenchristlichen Kontrahenten ungemein provozierenden, These: „Aus Werken des Gesetzes wird kein Fleisch (d.h. kein menschliches Wesen) gerechtgesprochen vor Gott." Werke des Gesetzes sind für Paulus wie für das Judentum seiner Zeit (vgl. 4Qflor l,7;syrBar 57,2) die Erfüllungen der Gebote des Gesetzes. Konkret bedeutet dies z.Z. des Apostels: Die Einhaltung der Weisungen des Gesetzes insgesamt, „die Tora-Observanz im ganz umfassenden Sinn" (O. Hofius), führt nach Gottes Willen nicht zur Rechtfertigung im Endgericht. Mit dieser Sicht geht Paulus über ähnlich lautende frühjüdische Texte wie l Q H 4,29f.; 9,14f. und äthHen 81,5 hinaus. Sie erkennen die Schuldverfallenheit der Menschen ausdrücklich an, lassen sich dadurch zur Umkehr bewegen und vertrauen auf Gottes Vergebung, der den Bußfertigen neue Kraft zur Erfüllung des Gesetzes schenkt. Angesichts des unerbittlichen Endgerichts reicht diese ständig erneuerte Umkehr nach Paulus nicht aus. Nach seiner von Christus her gewonnenen Einsicht können die Werke des Gesetzes den Menschen vor Gott niemals von der ihn bestimmenden Macht der Sünde befreien. Das Gesetz ist zwar und bleibt für den Apostel die besondere Gabe Gottes an Israel und die Menschheit insgesamt (vgl. 2,20; 3,1 f.; 7,12.14; 9,4). Aber es schenkt aus sich heraus weder die Kraft zur Umkehr noch auch die Fähigkeit, die Sünde zu überwinden. Das Gesetz kann aus einem Sünder keinen Gerechten machen, sofern ein Gerechter — wie das Targum zu Jes 7,3; 10,21 f.; 26,2 formuliert — ein Mensch ist, der „nicht gesündigt" oder „sich von der Sünde abgewandt" und „das Gesetz mit ganzem Herzen gehalten" hat. So sehr der Rechtssatz von 2,13 gilt, so wenig verleiht das Gesetz dem Sünder das Vermögen, die von ihm gebotenen Werke auch „mit ganzem Herzen" zu tun. Die Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes anzustreben oder zu erhoffen, ist deshalb eine gefährliche Illusion und Verkennung der Schuldverfallenheit des Menschen. Daß der Apostel bei diesen Sätzen jüdische und judenchristliche Gegenmeinungen im Auge hat, lehrt ein Blick auf lQpHab 7,17-8,3; PsSal 9,4f.; 4Esr 13,23; syrBar 84,5 f.; 85,11 ff.; Tgjes26,2f. einerseits und Jak 2,20-26; Hebr 11,17-19 andererseits. — Paulus wird auf das zwischen ihm, den Juden und seinen juden-

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

christlichen Gegnern heiß umstrittene Thema „Gesetz und Sünde" im Römerbrief noch wiederholt eingehen (vgl. 4,15; 5,20 und vor allem 7,7-25). Aber er macht schon an unserer Stelle deutlich, wo das eigentliche Problem liegt: Gottes Gesetz überführt den Menschen der Sünde. Solange die Sünde regiert, hilft es nicht zur Gerechtigkeit. Sünde ist für Paulus (in unserem Zusammenhang und sonst in seinen Briefen) stets mehr als nur ein Einzelverstoß gegen Gottes Gebot. Im Einzelverstoß äußert sich nur, daß jeder Mensch seit dem Sündenfall des ersten Menschenpaares (vgl. 5,12 ff.; 7,7 ff.) der Sünde als einer tödlichen Macht ausgeliefert ist. Dieses Ausgeliefertsein bringt das Gesetz zum Bewußtsein, ohne selbst aus der Not heraushelfen zu können. Schon Jesus hat gelehrt, daß es Menschen unmöglich sei, Gott im Endgericht für ihr vor ihm verwirktes Leben ein Lösegeld zu entrichten (vgl. Mk 8,36f. mit Ps49,8f.). Paulus sieht die Dinge genauso. Angesichts des Schuldspruchs des Gesetzes erscheinen alle Menschen als Sünder, die unrettbar dem Vernichtungsgericht Gottes anheimfallen werden. Der Apostel hat damit das Ende seiner in 1,18 begonnenen Anklage- und Gerichtsrede erreicht. Ohne Heiden und Juden biblisch unzulässig gleichzustellen, hat er herausgearbeitet, daß beide Teile der Menschheit unentrinnbar dem Vernichtungsgericht Gottes unterliegen. An den Heiden ist es gegenwärtig schon wirksam, und Israel gegenüber wird es nur noch durch Gottes Geduld aufgehalten. Das bis hin nach Rom umstrittene Evangelium des Paulus erschließt diese abgründige Einsicht in die Schuldverfallenheit aller Menschen, aber es verkündigt und eröffnet auch die Errettung aller Menschen durch die Gottesgerechtigkeit für alle Glaubenden; was er in 1,16 f. nur knapp angedeutet hat, entfaltet Paulus nun näher.

II. 3,21-5,21: Die Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit und Grund der Versöhnung In fünf Abschnitten stellt der Apostel nunmehr heraus, daß die Gottesgerechtigkeit im Sühntod Jesu offenbar geworden ist (3,21-26) und daß sie Juden und Heiden gleichermaßen gilt (3,27-31); Abraham ist nach Paulus Vater der Glaubensgerechtigkeit (4,1-25), und die Gerechtfertigten dürfen sich im Leiden des Gottes rühmen, der sie in Christus mit sich versöhnt hat (5,1-11); sie stehen unter der Herrschaft der Gnade, die mächtiger ist als Tod und Sünde (5,12-21).

1. 3,21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi In den folgenden sechs Versen erläutert Paulus die von ihm in (1,1 ff. und) 1,16f. gegebene Definition seines Evangeliums. Man kann deshalb Rom 3,21-26 mit guten Gründen als Herzstück des Römerbriefes bezeichnen. 21 Jetzt aber ist ohne Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, bezeugt von dem Gesetz und den Propheten, 22 und zwar die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus für alle Glaubenden. Es gibt nämlich kei-

3,21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi

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nen Unterschied: 23 Alle haben sie gesündigt, und es fehlt ihnen die Herrlichkeit Gottes; 24 sie werden (aber) gerechtfertigt umsonst kraft seiner Gnade durch die Erlösung, die in Christus Jesus (geschieht). 25 Den hat Gott öffentlich eingesetzt zum Sühnemal (, das) durch den Glauben (zugänglich und wirksam wird) kraft seines Blutes, zum Erweis seiner Gerechtigkeit um des Erlasses willen der zuvor geschehenen Sünden (26) unter der Geduld Gottes - zum Erweis seiner Gerechtigkeit im jetzigen Zeitpunkt, auf daß er (selbst) gerecht sei und gerecht spreche den (, der) aus Glauben an Jesus (lebt). Vers 25: Lev 16, 14-1 f (Ex 25,17-22).

Rom 3,21-26 ist einer der inhaltlich schwierigsten Texte des Römerbriefes. A Gleichwohl ist seine Argumentationsstruktur klar: In V. 21 + 22 greift Paulus die Formulierungen von 1,16f. wieder auf und legt dar, wie es um die Gottesgerechtigkeit bestellt ist, die das Evangelium zur rettenden Gottesmacht werden läßt. Zur Erklärung fügt der Apostel einen Satz an, der von V. 22-24 reicht; er begründet die Notwendigkeit der Rechtfertigung und nennt als ihren Grund die von Gott in Jesus Christus gewirkte Erlösung. Was „Erlösung in (oder auch: durch) Christus Jesus" heißt, führt Paulus in V. 25 und zu Anfang von V. 26 mit Hilfe urchristlicher Formelsprache aus. Mit der Wiederaufnahme der (aus V. 25 stammenden) Wendung „zum Erweis seiner Gerechtigkeit..." kommt er in V. 26 dann zum Ziel seiner Aussage: Gott ist darin der Gerechte, daß er von sich aus Erlösung geschaffen hat und jeden rechtfertigt, der aus Glauben an Jesus Christus lebt. Verständlich wird dieser ungemein dicht formulierte Gesamttext erst, wenn man folgendes bedenkt: Das Frühjudentum hat sich die Folgen des Sündenfalls von Gen 3 vorgestellt als Verlust (oder auch Entkleidung von) der dem ursprünglichen Menschenpaar im Paradies eignenden herrlichen Seinsweise der Geschöpfe Gottes in Unschuld und Gerechtigkeit. In der sog. Moseapokalypse klagt Eva nach dem Sündenfall: „Und zur selbigen Stunde wurden mir die Augen aufgetan, und ich erkannte, daß ich entblößt war von der Gerechtigkeit, mit der ich bekleidet gewesen. Da weinte ich und sprach (zum Versucher in Gestalt der Schlange): Warum hast du mir das angetan, daß ich entfremdet ward von meiner Herrlichkeit, mit der ich bekleidet war?" In diese Klage stimmt Adam wenig später ein, indem er zu Eva sagt: „ . . . was hast du uns da angerichtet? Entfremdet hast du mich von der Herrlichkeit Gottes!" (ApkMos 20f.). Paulus geht in Rom 3,23 von dieser Vorstellung aus. — Der überladene Stil von V. 25 + 26 und die bei Paulus seltene Ausdrucksweise erklären sich am besten, wenn der Apostel hier — ähnlich wie schon in Rom l,3f. — christliche Lehrtradition aufnimmt und sie kommentiert. Paulus hat sie vermutlich in Antiochien kennengelernt. Wahrscheinlich hat sie ursprünglich folgendermaßen gelautet: „Gott hat (den gekreuzigten) Christus öffentlich eingesetzt zum Sühnmal kraft seines Blutes, (und zwar) zum Erweis seiner (« Gottes) Gerechtigkeit um des Erlasses willen der zuvor unter der Geduld Gottes geschehenen Sünden." Der von uns mit „Sühnmal" übersetzte griechische Ausdruck Ιλαστήριον (hilastêrion) geht (ebenso wie in Hebr9,5) auf das hebräische Wort kapporast zurück. Die kapporaet ist nach Ex 25,17-22 die verborgen im Allerheiligsten des Begegnungszeltes (und später des ersten Tempels von Jerusalem) befindliche Auf-

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

läge auf der Bundeslade. Auf ihr sind symmetrisch zwei Keruben (als Träger des unsichtbaren Gottesthrones) angebracht. Die kapporaet diente einem doppelten Zweck. Von ihr her begegnete Gott mit seinem Offenbarungswort (vgl. Ex 25,22), und vor ihr vollzog der Hochpriester einmal im Jahr am sog. Großen Versöhnungstag den heiligsten kultischen Ritus, den Israel kannte, die Entsühnung des Gottesvolkes. Die Grundvorgänge dieses Ritus werden in Lev 16 geschildert; er ist im Tempel von Jerusalem bis zum Jahre 70 n. Chr. (also noch weit über die Entstehungszeit des Römerbriefes hinaus) regelmäßig vollzogen worden. Jeder Jude im Mutterland oder in der Fremde kannte Lev 16 vom Unterricht in der Synagoge her: Nachdem der Hochpriester für sich selbst Sühne erwirkt hatte, vollzog er die Sühnung für das Volk durch siebenmaliges Sprengen von Blut des Sündopferbockes an die kapporaet und vor sie hin. Die Sühne selbst ist ein von Gott gestifteter und vom Priester vollzogener Akt der Opferweihe; sie wird vollzogen durch das Medium des Blutes als Träger des Lebens (vgl. Lev 17,11). Im Blut des stellvertretend für Israel geschlachteten Sündopferbockes wird das Leben des Gottesvolkes (durch das mittlerische Handeln des Hochpriesters) an Gott hingegeben. Aufgrund dieser Hingabe empfängt Israel Vergebung der Sünden und neues Leben in der Gottesgemeinschaft. Der von Paulus aufgenommene Formeltext verwendet dieses berühmte alttestamentliche Modell, um deutlich zu machen, was nach Gottes Willen auf Golgatha geschah: An die Stelle des jährlich zu wiederholenden, den Augen des Gottesvolkes verborgenen Sühnerituals im Tempel tritt die von Gott selbst öffentlich durch Jesu Kreuz ein für allemal erwirkte Sühne. Aus ihr wird das Gottesvolk der Endzeit geboren. Karfreitag wird zum Großen Versöhnungstag der Christengemeinde. Die in dieser Neuinterpretation implizierte radikale Kritik am Sühnopferkult im Jerusalemer Tempel dürfte auf Stephanus und seine Anhänger zurückgehen (vgl. Apg6,13 f.). Nach seinem Martyrium und der Vertreibung des Stephanuskreises aus Jerusalem scheint unsere Tradition durch die versprengten Mitglieder des Kreises nach Antiochien gelangt zu sein (vgl. Apg 11,19 ff.). Dort ist sie Paulus bekanntgeworden und wahrscheinlich auch jenen unbekannten Missionaren, die den christlichen Glauben nach Rom gebracht haben. Ist dies richtig gesehen, greift der Apostel in Rom 3,25 f. bewußt auf Glaubensgut zurück, das ihn mit den römischen Christen verbindet. Die in Kommentaren und Bibelausgaben öfters gewählte Ubersetzung von hilastêrion mit „Sühnopfer" oder auch „Sühnemittel" hat in den griechischen Quellen keinen direkten Anhalt und kann nur hypothetisch unter Hinweis auf die Schilderung des Todes jüdischer Märtyrer zugunsten Israels in 4. Makk 17,20-22 erschlossen werden. Da sie philologisch unsicher ist und inhaltlich zu kurz greift — Jesus ist im ganzen Neuen Testament mehr als nur ein jüdischer Märtyrer(prophet)! — folgen wir ihr nicht. Mit „jetzt aber" markiert der Apostel bewußt die entscheidende Wende gegenüber 3,19-20: Während Heiden und Juden unentrinnbar dem Zorngericht verfallen sind, hat Gott nunmehr in und durch Jesus Christus die Rettung heraufgeführt. Die Gottesgerechtigkeit ist offenbar geworden ohne Zutun des Gesetzes, aber sie wird doch von dem Gesetz und den Propheten bezeugt. „Gesetz und Propheten" meint die Hl. Schrift des Alten Testaments (vgl. 4. Makk 18,10; Joh 1,45;

3,21-26: Gottes Gerechtigkeit im Sühnetod Jesu Christi

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Apg 13,15); ihr Zeugnis bestätige die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit als gültiges Gotteshandeln. Paulus dürfte dabei Stellen wie Ex 34,5-7; Jes 11,4f.; 43,25; 45,6-8; Jer23,5f.; Hab 2,4 und natürlich auch die Abrahamverheißung aus Gen 15,6im Auge haben (vgl. unten Kap. 4). Außerdem hat Lev 16nach V. 25f.auf Golgatha seine überbietende Erfüllung gefunden. Die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit folgt also dem von Gesetz und Propheten beschriebenen und verheißenen Handeln Gottes. Wie in 1,17 meint „Gottesgerechtigkeit" auch hier das den Sündern im Gericht Gerechtigkeit verschaffende Handeln Gottes, und zwar unter dem Aspekt des Glaubens. Da den Sündern „Werke des Gesetzes" nicht zur Gerechtigkeit im Gericht verhelfen (3,19 f.), hat Gott den Weg der Errettung in Form des Glaubens eröffnet. „Durch Glauben an Jesus Christus" wird die Gottesgerechtigkeit erlangt, und sie steht „für alle, die glauben" offen; Paulus erklärt damit, was das „aus Glauben auf Glauben hin" aus Rom 1,17 meint. Wer an Jesus Christus als seinen Versöhner und Herrn glaubt, dem spricht Gott aufgrund dieses Glaubens Gerechtigkeit zu. Die Errettung im Gericht besteht also in der Gottesgerechtigkeit, die aufgrund des Glaubens allen Glaubenden ohne Unterschied ihrer Herkunft oder ihres Standes von Gott gewährt wird; sie macht das paulinische Evangelium zur rettenden Gottesmacht. Ihrer sind aber auch alle bedürftig. Wie Paulus in 1,18-3,20 ausführlich begründet hat, sind sie ausnahmslos Sünder. Ihnen fehlt seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies die Herrlichkeit Gottes, d.h. die Seinsweise der unschuldigen Geschöpfe Gottes, die nach jüdischer Tradition mit der Gerechtigkeit identisch ist (vgl. ApkMos 20 f.). Durch menschliches Bemühen ist dieser Verlust nicht abzugleichen. Die Sünder werden aber aus Gottes freiem Gnadenentschluß heraus „umsonst", d.h. ohne eigenes Zutun, gerechtfertigt durch „die Erlösung", die Gott in und durch Jesus Christus vollbracht hat. Für Israel besteht Gottes Erlösungswerk wesentlich in der Befreiung Israels aus der Schuldknechtschaft in Ägypten (vgl. Dtn 7,8; 9,26; 13,6 u.ö.); für das neue Gottesvolk aus Juden und Heiden ist die Erlösung durch Christus das grundlegende Ereignis des Ursprungs. Wie diese Erlösung geschah, erläutert der Apostel nunmehr mit Hilfe der ihm (und den Römern) bekannten Lehr-Tradition (aus Antiochien oder sogar Jerusalem, s.o.). Paulus bejaht diese Tradition, kommentiert sie im Sinne seines Evangeliums und erhebt sie zum christologischen Kernsatz seines Evangeliums von der Gottesgerechtigkeit. Gott hat den Sühnopferkult im Tempel von Jerusalem dadurch vollendet und abgelöst, daß er Jesus (auf Golgatha) öffentlich zum Sühnmal für alle Glaubenden eingesetzt hat. Die kapporaet der Christen befindet sich nicht mehr verborgen im Allerheiligsten des Tempels, sondern ist in Gestalt des am Kreuz hängenden Christus allen offenbar. In diesem Christus naht sich Gott seinem Volk und redet zu ihm wie zuvor von der kapporset aus (vgl. Ex 25,22). Für die Christen bedarf es deshalb keiner priesterlichen Vermittlung zwischen dem im Verborgenen begegnenden Gott und dem draußen vor dem Tempel befindlichen Volk Gottes mehr; ihnen begegnet Gott in seinem Christus unmittelbar als der Gott, „der in Christus war und die Welt mit sich versühnt (versöhnt) hat" (2. Kor 5,19); für sie wird der Gekreuzigte als der Auferstandene wirksam durch den Glauben an ihn und durch den Empfang der durch Jesu Blut von Gott „ein für allemal" (vgl. Rom 6,10; Hebr 9,12) erwirkten Sühne. Jesus ist nach

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

unserem Text gleichzeitig der den Glaubenden vom Kreuz herab begegnende Gott und der sich im Namen Gottes gehorsam aufopfernde Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Indem Jesus stellvertretend für alle, die an ihn glauben, sein Leben in den Tod gibt, erleidet er stellvertretend für die Sünder das Vernichtungsgericht. Da er dies aber im Namen Gottes schuldlos und aus Liebe tut, ist sein Blut das ein für allemal wirksame, unendlich wertvolle Sühnemittel, das den Glaubenden Vergebung ihrer Sünden, neues Leben vor und mit Gott und damit die den Sündern fehlende Gottesgerechtigkeit verschafft (vgl. 1. Kor 6,20; 2. Kor 5,21). Durch den Christus, der Gottes Willen gehorsam war „bis zum Tode, und zwar dem Tod am Kreuz", (Phil 2,8), hat Gott das schlechthin entscheidende Heilswerk vollbracht, und zwar zum Erweis seiner (durch das Todesgericht hindurch) Heil und Wohlordnung schaffenden Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit wird wirksam durch den (rechtskräftigen) Erlaß jener Sünden, die unter der (über 26 dem erwählten Gottesvolk noch waltenden) Geduld Gottes (vgl. 2,4) bis hin zu Kreuz und Auferweckung Jesu geschehen sind. An dieser Stelle wird ganz deutlich sichtbar, daß die Tradition, die Paulus aufnimmt, ursprünglich nur erst von der Heilsgemeinde aus Israel sprach; die zum Glauben an Jesus Christus bekehrten Heiden standen noch nicht so programmatisch im Blick wie nach dem Apostelkonzil (vgl. Gal 2,7 ff.). Eben deshalb führt Paulus nun die Tradition im Sinne der Heidenmission weiter und betont, der Erweis der Heil und Wohlordnung schaffenden Gottesgerechtigkeit sei erfolgt „im jetzigen Zeitpunkt", d.h. zu der durch Jesu Kreuz und Auferweckung heraufgeführten neuen Zeit des Heils (vgl. Gal 4,4; 2. Kor 6,2; Rom 3,21), und dieser Erweis lasse Gott nunmehr als den Gott erscheinen, der, ohne sein gerechtes Richtertum zu verleugnen oder den Maßstab des Gerichts zu beugen, jeden Menschen rechtfertigt, der aus Glauben an Jesus lebt und in solchem Glauben vor Gottes Gerichtsthron tritt. Die Gabe der Rechtfertigung aufgrund des Glaubens an Jesus ist nach Paulus eine Gabe an das Gottesvolk der Endzeit aus Juden und Heiden; eine Beschränkung dieser Gabe auf die Beschneidung (d.h. auf die gebürtigen Juden und die beschnittenen Heiden) gibt es nicht mehr. „Rechtfertigung" heißt nach V 2 5 f . Wiedereinsetzung der Sünder in die Herrlichkeit und Gerechtigkeit, deren sie mit ihrer Vertreibung aus dem Paradies verlustig gegangen sind (vgl. ebenso 1. Kor 6,11 ; Rom 8,30); Rechtfertigung bedeutet Freispruch im Gericht um Jesu willen und die Gewähr neuen Seins in Gerechtigkeit (vgl. 2. Kor 5,21). Gott, der diesen Freispruch gewährt, ist als der Richter zugleich der Schöpfer und in dieser doppelten Eigenschaft der Vater Jesu Christi, der am Leben jedes (zum Glauben) umkehrenden Sünders mehr Gefallen hat als an dessen Tod (vgl. Ez 18,22 f.).

Exkurs VI: Rechtfertigung bei Paulus Wie das Selbstzeugnis des Paulus in Phil 3,4-11 zeigt, bestimmt das Ereignis der Rechtfertigung das Leben des Apostels ganz. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß er sich diesem Thema vom Galaterbrief an (vgl. Gal 2,16-21; 3,1-5,12) über die Korintherbriefe (vgl. 1. Kor 1,30; 4,4; 6,11; 2. Kor 5,14-21) bis hin zum Römer-

Exkurs VI: Rechtfertigung bei Paulus

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und Philipperbrief immer wieder zuwendet. An Tauftexten wie 1. Kor 6,11 und Christusformeln wie Rom 3,25f.; 4,25; 2. Kor 5,21 kann man klar ersehen, daß Paulus nicht als erster und auch nicht allein im Urchristentum von „Rechtfertigung" gesprochen hat. Aber seine Berufungserfahrung, durch die er aus der Verfolgung der Gemeinde Jesu Christi heraus zum Apostel Jesu Christi berufen und zur Verkündigung des Evangeliums bestellt worden ist (vgl. Gal 1,11-17; 1. Kor 15,8 ff.), hat die Rechtfertigung zum Wesensmerkmal der paulinischen Verkündigung werden lassen. Er, der vor Damaskus Annahme, Versöhnung und Rechtfertigung durch Christus erfahren hatte, sah sich durch seinen neuen Herrn in den „Dienst der Gerechtigkeit" (im Neuen Bund) bzw. den „Dienst der Versühnung (Versöhnung)" gestellt (2. Kor 3,9; 5,18) und berufen, das Evangelium von der Versühnung und Rechtfertigung unter den Heiden zu verkündigen. Dieses Evangelium war Paulus vom Tage seiner Berufung an vorgegeben (Gal 1,16; 1. Kor 9,16). Seine Hauptaussagen sind in dem Traditionszitat von 1. Kor 15,3 ff. greifbar und spiegeln sich auch im ältesten uns erhaltenen Paulusbrief, dem 1. Thess (vgl. 1. Thess 5,9f.; l,9f.;2,13). Um seines den Horizont des Gesetzes sprengenden Evangeliums willen ist der Apostel schon zu Beginn seines missionarischen Wirkens in den Synagogengemeinden, in denen er Christus verkündigte, ausgepeitscht und einmal sogar (beinahe zu Tode) gesteinigt worden (vgl. 2. Kor 11,24 f. mit Apg 14,19). Paulus hat sein gesetzesfreies Evangelium und den Verzicht auf die Beschneidung der Heiden auf dem sog. Apostelkonzil verteidigt (vgl. Gal 2,1-10; Apg 15,1-35). Er unterscheidet bereits im 1. Thess scharf zwischen (jüdischer) Kreuzesfeindschaft, die das Zorngericht Gottes heraufbeschwört, und einem Gott wohlgefälligen Wandel im Glauben unter dem Evangelium (vgl. 1. Thess 2,14-16 mit 1,9 f.; 2,10; 4,1 f.). Aber erst dem Umstand, daß das Rechtfertigungsevangelium des Apostels auch nach dem Apostelkonzil bei Judenchristen derart Anstoß erregte, daß sie von Galatien an eine förmliche Gegenmission gegen Paulus ins Werk setzten, verdanken wir die ausführlichen Erörterungen des Paulus zum Thema Rechtfertigung und Versöhnung durch Christus, und zwar aus Glauben allein, im Galater-, Philipper-, 2. Korinther- und Römerbrief. Ihre provozierendste Zuspitzung hat die paulinische Lehrverkündigung in der Gottesprädikation gefunden, Gott sei der Gott, „der den Gottlosen rechtfertigt" (Rom 4,5). Die Vorstellungswelt der „Rechtfertigung" entstammt dem Alten Testament und Frühjudentum. Der Gottesknecht spricht in Jes 50,7-9 davon, daß Gott ihm im Rechtsstreit gegen alle seine Feinde beistehen und ihm zum Recht verhelfen wird. Umgekehrt muß der Sünder eingestehen, daß vor Gott, dem Richter, kein menschliches Wesen gerecht ist (Ps 143,2), oder nach der griechischen Wiedergabe der Stelle „(von Gott) gerechtfertigt wird". „Rechtfertigen" und „gerechtfertigt werden" meinen Rechtsakte. Sie können innergeschichtlich und gegenwärtig, aber auch endzeitlich gemeint sein (vgl. Sir 23,11; PsSal8,26 einerseits und Jes 43,9; 45,25; Tgjes 53,11 andererseits). Jesus spricht von „gerechtfertigt sein" im Sinne von Sündenvergebung als Annahme durch Gott in der Gegenwart (Lk 18,14). Paulus kennt solchen präsentischen Sprachgebrauch durchaus auch, verbindet ihn aber immer mit endzeitlicher Perspektive: Die gegenwärtig erfahrene Rechtfertigung stellt in die Hoffnung und Gewißheit der Rechtfertigung im Endgericht. Diesem

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

paulinischen Sprachgebrauch kommt im Frühjudentum die Qumrangemeinde am nächsten (vgl. 1 Q S 11,9-12). Das Aktivum „rechtfertigen" ist bei Paulus dem Handeln Gottes vorbehalten (vgl. Gal 3,8; R o m 3,26.30; 4,5; 8,30.33). Das Passivum „gerechtfertigt werden" kann die Anerkennung bezeichnen, die der Sünder dem gerechten Gott im (End-)Gericht zollen muß (vgl. R o m 3,4 nach Ps 51,6); einmal meint es auch den Akt der Einsetzung in die göttlichen Rechte, die dem auf Erden geschmähten Christus bei seiner Erhöhung zur Rechten Gottes zuteil wird (vgl. 1. Tim 3,16 mit dem griechischen Text von Jes 53,11); zumeist aber bezeichnet das Passiv die Annahme, die dem Menschen im Gericht durch Gott widerfährt (oder versagt bleibt) (vgl. G a l 2 , 1 6 f . , 3,11.24; R o m 2,13; 3,20.24.28 usw.). Indem Gott über den Menschen im Gericht das Urteil spricht: „Gerecht!" (vgl. Ez 18,9) oder ihm etwas „anrechnet zur Gerechtigkeit" (Gen 15,6), wird ihm neues Leben vor Gott eröffnet (vgl. Gal 3,6; Rom 4,2.20-22). In einer nachbiblischen Sammlung von jüdischen Homilien heißt es: „Gott sagte zu den Israeliten: Tut Buße in jenen zehn Tagen zwischen Neujahr und Versöhnungstag, und ich erkläre euch für gerecht am Versöhnungstage und schaffe euch (durch Sündenvergebung) zu einer neuen Kreatur" (PesiqR 40,169a). Genauso heißt es schon bei Paulus: „ . . . wenn einer in Christus ist, ist (er) ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden" (2. Kor 5,17 vgl. mit 5,21), und diese Heilszusage läßt sich ähnlich wie Rom 3,25 f. bis in die Missionsgemeinde von Antiochien zurückverfolgen. Versühnung durch Christus als Neuschöpfung und Rechtfertigung um des Sühntodes Jesu willen verzahnen sich urchristlich schon vor Paulus (und von daher dann auch bei ihm in 2. Kor 5,14-21 und Rom 5,1-11). Wie konkret Paulus „Rechtfertigung" versteht, hat sich uns aus Rom 3,23-26 ergeben (s.o.) und wird durch die Parallelisierung von „gerechtfertigt werden" und „geheiligt werden" in 1. Kor 6,11 und Rom 8,30 bestätigt. Rechtfertigung ist für biblisches Denken ein Rechtsakt des Schöpfergottes und deshalb zugleich ein Neuschöpfungsakt, kraft dessen die Gerechtfertigten am Sein in Herrlichkeit und Gerechtigkeit vor Gott neu Anteil gewinnen. Die kirchengeschichtlich aufgekommene dogmatische Unterscheidung von gerichtlich nur erst angerechneter (forensisch-imputativer) und schöpferisch wirksamer (effektiver) Rechtfertigung ist, an den genannten Belegen gemessen, eine unbiblische Abstraktion. Schon in Jes 53,11 heißt es vom leidenden Gottesknecht: „Mein Knecht, der Gerechte, macht die Vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich." Jesus hat sich nach Mk 10,45 Par.; 14,24 Par. als dieser stellvertretend für die Vielen leidende Gottesknecht verstanden. Es ist unter diesen Umständen wohlverständlich, daß die Jerusalemer Christengemeinde nach Ostern im Blick auf Jes 53,11 f. bekannt hat, Jesus sei „wegen unserer Übertretungen (von Gott) dahingegeben und wegen unserer Rechtfertigung (von Gott) auferweckt worden". Paulus zitiert diese alte Formel in Rom 4,25. U m des von Jesus stellvertretend für sie ertragenen (Gerichts-)Todes willen werden die Sünder von Gott im (End-)Gericht freigesprochen, und der von Gott auferweckte Jesus ist der Garant dieses Freispruchs. Paulus teilt diese Anschauung ohne Abstriche. Auch für ihn ist der Rechtsgrund der Rechtfertigung Jesu Sühnetod (vgl. Gal 2,20; l . K o r 1,30; 2. Kor 5,21; Rom 3,24ff.; 4,25; 8,3f.). Nach (der Berufungserfahrung und) der Verkündigung des Apostels wird die

3 , 2 7 - 3 1 : Die Universalität der Rechtfertigung

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Rechtfertigung von Gott all denen zugesprochen, die sich selbst vor Gott als „gottlos" (Rom 4,5), d.h. als Frevler, erkennen, die gegen Gottes Willen verstoßen haben und angesichts dieser Erkenntnis an Jesus Christus als ihren Versöhner und Herrn glauben. Solcher Glaube ist nach Paulus der alleinige Grund der Rechtfertigung (Rom 3,28), weil er Gottes Heilswerk in Christus anerkennt und in ein und demselben Lebensakt das Bekenntnis zu Jesus als Herrn und Retter, die Umkehr und den neuen Gehorsam umschließt (vgl. 1. Thess 1,9 f.; Rom 1,5; 10,9 f.). Die primäre Gelegenheit, bei der nach urchristlicher und paulinischer Überzeugung Rechtfertigung empfangen wird, ist die (Erwachsenen-)Taufe und das mit ihr verbundene Bekenntnis zu Christus (vgl. 1.Kor6,11; 12,13; Rom6,Iff.). Die Kühnheit dieser Verkündigung liegt darin, daß den Sündern aus Heiden und Juden schon zum Zeitpunkt ihrer Taufe Sündenvergebung und endzeitliche Rechtfertigung um Christi willen zugesprochen wird. Das neue Sein beginnt für sie nicht erst am Jüngsten Tage, sondern kraft des ihnen in der Taufe mitgeteilten Hl. Geistes schon heute und hier im Leben jedes einzelnen (vgl. 2. Kor 5,17). Da das Endgericht nach den Werken noch aussteht, Elend, Leiden und Tod noch auf der Welt lasten und Israel noch nicht zu der ihm von Gott verheißenen Erlösung durch den Messias gelangt ist, betont der Apostel, daß die Glaubenden mit ihrer Taufrechtfertigung erst in den Stand der Hoffnung auf den Empfang der Gerechtigkeit im Endgericht versetzt sind (Gal 5,5 f.). Wie für ihn selbst, gilt für alle Christen, daß sie sich im Glauben und Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi auf den Jüngsten Tag rüsten und alles daran setzen müssen, das ihnen bereits gewährte Heil nicht wieder zu verscherzen (vgl. Phil 3,7-16 mit 1. Thess 3,5; Phil2,12f.; Gal 5,16-25; 1. Kor 10, 1-13; Rom 6,19-23; 8,3-17). Mit der Taufrechtfertigung wird nach Paulus also erst ein christlicher Werde-Stand begründet. Diesem Werde-Stand der Christen auf Erden entspricht, daß auch der zur Rechten Gottes erhöhte Christus nach Paulus erst unterwegs ist, um das All mitsamt dem Tod als letztem Feind der Herrschaft Gottes zu unterwerfen (1. Kor 15,20-28). Die Christen gehen also gemeinsam mit ihrem Herrn auf den Jüngsten Tag zu und haben an seiner Seite den Kampf um die Durchsetzung der Gottesherrschaft zu bestehen. Was den Apostel selbst und alle Christen, die seiner Verkündigung folgen, auf diesem Weg mit der Gewißheit und der Hoffnung erfüllt, im Jüngsten Gericht angenommen und nicht verworfen zu werden, ist der Umstand, daß der für sie gestorbene und auferweckte Christus ihr Herr und Versöhner bleibt bis vor den endzeitlichen Richterthron Gottes; die glaubenden Christen dürfen sich bis zum Jüngsten Tag seiner Fürbitte vor Gott getrösten (Rom 8,34). Weil sie von Gott in Christus im voraus erwählt sind, des Heils teilhaftig zu werden, dürfen und können sie in aller Anfechtung gewiß bleiben, daß keine Macht der Welt sie von der in Christus verkörperten Liebe Gottes trennen kann (Rom 8,38-39). 2. 3,27-31: Die Universalität der Rechtfertigung 27 Wo ist nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen worden. Durch was für ein Gesetz? (Das) der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 Denn wir sind der Auffassung, daß ein Mensch (allein) aus Glauben gerechtfertigt wird.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

ohne Werke des Gesetzes. 29 Oder ist Gott nur (Gott) der Juden? Nicht auch der Heiden? Doch, auch der Heiden! 30 Wenn anders Gott wirklich der Eine ist, der die Beschneidung rechtfertigen wird auf Grund von Glauben und die Unbeschnittenheit durch den Glauben. 31 Schaffen wir nun das Gesetz ab durch den Glauben? Mitnichten! Wir richten vielmehr das Gesetz auf! Vers 30: Dtn 6,4.

A

Der Abschnitt greift das Stichwort des jüdischen Sich-rühmens aus 2,17 auf und setzt mit einer Reihe von rhetorischen, aber in der aktuellen Gesprächssituation des Paulus verwurzelten Fragen (V. 27.29.31) die in 3,1-8 begonnene Diskussion fort; er spiegelt auf diese Weise wieder die von den Kritikern des Apostels geäußerten Vorwürfe gegen die Paulusverkündigung. Die Anschuldigungen gipfeln in der Annahme, Paulus wolle mit seiner Evangeliumsverkündigung das Gesetz Gottes außer Kraft setzen. Mit solchen Vorwürfen hatte sich schon Jesus auseinanderzusetzen (vgl. Mt 5,17), sie sind gegen Stephanus erhoben worden (vgl. Apg 6,13 f.), und sie treffen nun auch den Apostel. In der Tat kann man angesichts von gesetzeskritischen Äußerungen des Paulus wie in Gal 2,21; 5,4; 1. Kor 9,19-23 und der in Rom 10,4 vermutlich nicht zum ersten Mal geäußerten These, Christus sei „das Ende des Gesetzes für jeden, der glaubt", nachvollziehen, wie es zu solchem Verdacht kam. Er ist für einen gebürtigen Juden vernichtend, heißt es doch in der Mischna, Sanh 10,1: „ . . . Und dies sind diejenigen, die keinen Anteil an der kommenden Welt haben: Der, der sagt, . . . daß das Gesetz nicht vom Himmel s e i . . . " . Der Apostel weist denn auch die Anschuldigung energisch zurück. Dialektisch stellt er zwei Begegnungs- und Verstehensweisen des Gesetzes gegenüber, den Gebrauch des Gesetzes im Sinne der (Gesetzes-)Werke und im Sinne des Glaubens. Paulus schließt seinen berühmt gewordenen Lehrsatz von der Rechtfertigung aus Glauben allein an und begründet anschließend die Universalität der Rechtfertigung von Juden und Heiden unter Hinweis auf Dtn 6,4. Jeder Jude hatte in neutestamentlicher Zeit morgens und abends das aus Dtn 6,4; 11,13-21; Num 15,37-41 bestehende Bekenntnis-Gebet zu sprechen, das mit den Worten beginnt: „Höre Israel! Der Herr unser Gott ist der einzige Herr ..." (Dtn 6,4). Dieses Gebet galt als die Summe des Gesetzes und war in der antiken Welt der Vielgötterei das klassische Kennzeichen des sich zu dem einen wahren Gott bekennenden Gottesvolkes. Abschließend stellt Paulus (ähnlich pointiert wie in 2,16; 3,8) fest, er hebe durch den Glauben das Gesetz nicht auf, sondern setze es vielmehr in Kraft. Von der Interpretation unserer Verse hängt viel für das Verständnis des Römerbriefes insgesamt ab. Β Mit der rhetorischen Frage, wo angesichts des jeden Menschen (nur) aufgrund 27 von dessen Glauben rechtfertigenden gerechten Gottes (3,26) „das Rühmen" (zum Ausdruck s.u. S. 67 f.) des Juden hinsichtlich seiner (in 2,17 ff. aufgezählten) Vorzüge gegenüber dem Heiden bleibe, kommt Paulus auf die Anschuldigungen zurück, die Juden und judenchristliche Missionare gegen seine Verkündigung erhoben (vgl. 3,1-8). Die Antwort des Paulus lautet: Das Rühmen ist ausgeschlossen worden. Wodurch? Durch das Gesetz, das Werke fordert? Nein, antwortet der Apostel, denn auf dieses Gesetz verläßt sich ja gerade der Jude und rühmt sich Gottes seinet-

3,27-31: Die Universalität der Rechtfertigung

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wegen (2,17). Der Ausschluß erfolgt durch „das Gesetz des Glaubens". Der Ausdruck hat den Auslegern immer wieder große Mühe gemacht bis dahin, daß sie dachten, er sei uneigentlich gemeint und nur im Sinne von „Regel" oder „Ordnung des Glaubens" zu fassen. Angesichts des in V. 31 geäußerten Anspruchs, das Gesetz nicht abzuschaffen, sondern aufzurichten, und des Kontextes, der dem Leser keinen übertragenen Sprachgebrauch von Gesetz nahelegt, liegt es näher, den Ausdruck so zu nehmen, wie ihn die ersten Leser des Römerbriefes auffassen mußten, nämlich als „das Gesetz, das durch den Glauben (an Jesus Christus) bestimmt ist". Gemeint ist damit dreierlei: Nachdem Paulus in 3,21 ausdrücklich „Gesetz und Propheten" als Zeugen für die Offenbarung der Gottesgerechtigkeit als Glaubensgerechtigkeit benannt hat (vgl. die dort genannten Schriftstellen) und die in Kap. 4 ausführlich behandelte Abrahamsverheißung von Gen 15,6 ebenfalls aus dem (die fünf Bücher Mose umfassenden) Gesetz stammt, verweist Paulus in V. 27 zunächst auf die Funktion des Gesetzes als Schrift, die die Rechtfertigung als Verheißung und Werk Gottes bezeugt. Dieses Zeugnis erkennt der Glaube dankbar an. Zweitens hat der Apostel im Auge, daß Christus kraft seines Sohnesgehorsams zum Sühnmal (3,25) geworden ist. Der Gehorsam Christi ist eine „gerechte Tat" vor Gott (5,18). Christus hat also mit seinem Opfergang das Gesetz stellvertretend erfüllt, und eben daraus ist die Erlösung (3,24) erwachsen. Auch dies erkennt erst der Glaube, und Paulus wird es in 5,12-21 noch weiter ausführen. Mit dem Ausdruck „das Gesetz des Glaubens' ' will der Apostel aber drittens vor allem unüberhörbar deutlich machen, daß nach seiner Verkündigung am Gesetz als dem gültigen Willen Gottes auch im Glauben an Jesus Christus durchaus festgehalten wird. In 7,7-8,17 wird er dies im einzelnen darlegen (vgl. besonders 8,3 f.). Es gibt also Dimensionen am Gesetz, die erst der Glaube erkennt und die denjenigen verborgen bleiben, die das Gesetz ohne Glauben nur als Aufruf zu Gesetzeswerken nehmen, obwohl diese nicht zur Rechtfertigung führen (3,20). Verstehen wir V. 27 in dieser rechtfertigungstheologisch grundsätzlichen A n und Weise, schließt sich die mit „denn wir sind der 28 Auffassung" besonders hervorgehobene Lehräußerung des Paulus in V. 28 organisch an, und zwar im Sinne einer Begründung: Der Apostel vertritt im Einklang mit Gottes in der Schrift verbrieftem Willen (vgl. das Zitat von Ps 143,2 in V. 20), daß ein Mensch vor Gott allein aus Glauben ohne Werke des Gesetzes gerechtfertigt wird. Mit Hilfe einzelner Gebotserfüllungen kann sich kein Mensch aus der Macht der Sünde lösen (s.o.). Einzig und allein das Heilswerk Gottes im Sühntod und der Auferweckung Christi bricht diese Macht, und nur der Glaube an Jesus als Retter und Herrn führt vor Gottes Richterthron zu dem Urteil: Gerecht! Paulus hat diese Sicht schon im Galaterbrief vertreten (vgl. Gal 2,16; 3,2), und er hält sie nun auch im Römerbrief gegenüber aller gegnerischen Kritik durch. Grund und Verwirklichung der Rechtfertigung liegen in Gottes Gnade allein, wie sie in Jesus Christus in Erscheinung getreten ist, und nur der von Gott durch das Evangelium geweckte Glaube läßt einen Menschen an ihr teilhaben. In der Reformationszeit war Luthers Ubersetzung des paulinischen „aus Glauben" mit „alleine durch den Glauben" sehr umstritten; heute sehen auch katholische Bibelausleger, daß Luthers dem Text hinzugefügtes „allein" ganz im Sinne des Apostels ist. Das berühmte „sola fide" (= aus Glauben allein) gilt für Juden und Heiden gleicher-

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

29.30 maßen. Denn Gott ist, wie Paulus geschickt fortfährt, nicht nur der Gott der Juden, sondern auch der Heiden. Anders könnte er nicht, wie jeder Jude täglich bekennt (s.o.), der eine Gott sein, der die Welt erschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat. Als dieser eine Gott ist er gewillt, die Beschneidung, d.h. die Israeliten, aufgrund des Glaubens und die Unbeschnittenheit, d.h. die nicht beschnitte31 nen Heiden, durch den Glauben zu rechtfertigen. Rhetorisch gekonnt und in der Sache pointiert schließt Paulus seine Argumentation mit einer gegen seine judenchristlichen Kontrahenten gerichteten Schlußfolgerung ab: Mit seiner Verkündigung schafft er das Gesetz gerade nicht ab, wie sie ihm vorhalten, sondern er richtet es auf, und zwar als gültige Gerichtsforderung Gottes (vgl. 2,12-16), der Christus stellvertretend gerechtgeworden ist (5,18), als Rechtfertigungszeugnis (3,21; 4,3) und als Anweisung für die Glaubenden, im Geiste Christi den Weg der Gerechtigkeit zu gehen (8,3 f.). Die Kritiker des Apostels, die ihn zu einem Antinomisten machen (und damit zugleich zum Verräter am heiligen Glaubensgut Israels stempeln) wollen, werden durch seine hier im Römerbrief den Lesern offengelegte Verkündigung Lügen gestraft. Die Christen in Rom haben deshalb allen Grund, auf Paulus zu hören und nicht auf die Stimme jener „Verlästerer" (vgl. 3,8). Im nächsten Kapitel führt der Apostel die Auseinandersetzung fort.

3. 4,1-25: Die bereits Abraham verheißene

Glaubensgerechtigkeit

1 Was sollen wir nun sagen, hat Abraham, unser Vorvater, nach dem Fleisch gefunden? 2 Denn wenn Abraham aufgrund von Werken gerechtfertigt wurde, hat er Ruhm — aber nicht bei Gott! 3 Was sagt nämlich die Schrift? „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerechnet." 4 Wer Werke tut, dem wird der Lohn nicht nach Gnade sondern nach Schuldigkeit angerechnet; 5 wer aber nicht Werke tut, aber an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, dessen Glaube wird zur Gerechtigkeit angerechnet. 6 Wie ja auch David die Seligpreisung des Menschen ausspricht, dem Gott Gerechtigkeit anrechnet ohne Werke: 7 „Selig, deren Gesetzlosigkeiten vergeben sind, und deren Sünden bedeckt sind; 8 selig ein Mann, dem der Herr Sünde nicht anrechnet!" — 9 Diese Seligpreisung nun, (ist sie) auf die Beschneidung oder die Unbeschnittenheit (gemünzt)? Wir sagen ja: Abraham wurde der Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet! 10 Wie wurde er nun angerechnet? Als er in der Beschneidung war oder in der Unbeschnittenheit? Nicht in der Beschneidung, sondern in der Unbeschnittenheit! 11 Und das Zeichen der Beschneidung empfing er als Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens, (und zwar) des in der Unbeschnittenheit, auf daß er sei (sowohl) Vater aller derer, die im Zustand der Unbeschnittenheit glauben, auf daß auch ihnen die Gerechtigkeit angerechnet werde, 12 als auch Vater der Beschneidung für die, die nicht nur aufgrund der Beschneidung (leben), sondern auch den Spuren des in (der) Unbeschnittenheit (geübten) Glaubens unseres Vaters Abraham folgen. - 13 Denn nicht durch (das) Gesetz (erging) die Verheißung für Abraham oder seinen Samen, daß er Erbe der Welt sein solle, sondern durch (die) Gerechtigkeit des Glaubens. 14 Denn wenn die aus dem Gesetz Erben (sind), ist der Glaube entleert und die Verheißung außer Kraft gesetzt. 15 Denn das Gesetz bewirkt Zorn; wo aber kein Gesetz ist, (gibt es) auch keine Übertretung.

4,1-25: Die bereits Abraham verheißene Glaubensgerechtigkeit

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16 Deshalb (gilt): aus Glauben, damit (auch gilt): nach Gnade, auf daß die Verheißung gültig sei für allen Samen, nicht nur für den aus dem Gesetz allein, sondern auch für (den) aus dem Glauben Abrahams, der Vater von uns allen ist, 17 wie geschrieben steht: „Zum Vater vieler Völker habe ich dich eingesetzt" vor dem Gott, an den er glaubte, als den, der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Sein ruft. 18 Der gegen (alle) Hoffnung auf Hoffnung hin glaubte, daß er zum Vater vieler Völker würde gemäß der Aussage: „So (zahlreich) soll dein Same sein". 19 Und ohne schwach im Glauben zu werden, betrachtete er seinen bereits erstorbenen Leib — er war fast schon hundert Jahre alt — und die Erstorbenheit des Mutterschoßes der Sara. 20 An der Verheißung Gottes zweifelte er nicht im Unglauben, sondern er gewann Kraft durch Glauben, gab Gott die Ehre 21 und war ganz davon durchdrungen: Was er verheißen hat, ist er auch mächtig zu tun. 22 Deshalb wurde (es) ihm auch angerechnet zur Gerechtigkeit! — 23 Aber nicht nur um seinetwillen allein wurde geschrieben: „Es wurde ihm angerechnet", 24 sondern auch um unseretwillen, denen (es) angerechnet werden soll, die (wir) glauben an den, der auferweckt hat Jesus, unseren Herrn, von den Toten, 25 der dahingegeben wurde wegen unserer Übertretungen und auferweckt wurde wegen unserer Rechtfertigung. Vers 3: Gen 1}, 6; Vers 7 f.: ft 32, If.; Gen li, 6; Vers 25: Jes 5J, 11 + 12.

Vers 17: Gen 17, 5;

Vers 18: Genici;

Vers 23:

Wir haben eine lange einheitliche Erörterung des Apostels zum Thema „Abra- A ham und die Glaubensgerechtigkeit" vor uns, die man in vier Unterabschnitte gliedern kann: V. 1-8.9-12.13-22.23-25. Die Textüberlieferung von V. 1 und 19 bietet verschiedene sog. Lesarten; die jeweils schwierigste ist wahrscheinlich die ursprünglichste (s. zu B.). Inhaltlich durchsichtig wird unser Kapitel erst, wenn man die biblische Abrahamserzählung von Gen 12 an vor Augen hat und erkennt, daß Paulus in ganz neuartiger Weise von der alttestamentlich-frühjüdischen Abrahamstradition Gebrauch macht. Dieser besondere Gebrauch ist provoziert durch die Auffassung seiner judenchristlichen Gegner von Abraham und dem Abrahambund nach Gen 17. Die judenchristlichen „Gegenmissionare" haben den von Paulus bekehrten Galatern geraten, sich zusätzlich zum Glauben und zur Taufe noch beschneiden zu lassen, den (jüdischen) Festkalender zu beachten und das Gesetz zu halten (Gal 4,10.21; 5,2ff.); sie wollten auf diese Weise die heidnischen Galater an den Segensverheißungen des Abrahambundes teilhaben lassen. Paulus schien ihnen die getauften (Heiden-)Christen nur im Vorhof des Gottesvolkes (d.h. im Stand christlicher „Gottesfürchtiger", s.u.) zu belassen, während sie sie unter Berufung auf Abraham (vgl. Gal 3,6 ff.; 4,21 ff.) zu vollgültigen Gliedern des erwählten Gottesvolkes machen wollten. Der Apostel hat schon im Galaterbrief heftig gegen diese Verführung seiner Gemeinden protestiert. In kühner Argumentation hat er herausgestellt, an Abraham seien die Zusage der Rechtfertigung aus Glauben (Gen 15,6) und die Verheißung, daß in ihm alle Völker, die seinen Glauben teilen, gesegnet sein sollten (Gen 12,3), lange vor Erlaß des Gesetzes am Sinai ergangen. Paulus hatte außerdem in Gal 3,19ff. geschrieben, Gott habe das Gesetz nur deshalb unter Beteiligung von Engeln durch Mose erlassen, um die Menschen ihrer Gesetzesübertretung zu überführen und sie eben damit vor den Christus Gottes

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

zu stellen, der den Sündern die (Abraham verheißene) Rechtfertigung aus Glauben vermittelt. Diese Sicht Abrahams (und des Gesetzes) hat bei den Gegnern des Paulus großen Anstoß erregt. Eben deshalb kommt Paulus in Rom 4 noch einmal auf Gen 15,6 zurück, um die Frage zu klären, wie Abraham von den Christen anzusehen ist. Als zum Apostel berufener Jude, der die Rechtfertigung von Heiden und Juden durch den einen Gott verkündigt (3,30), kann und will Paulus nicht darauf verzichten, Abraham „Vater" zu nennen (vgl. 4,1.11 f. 16.18); denn auch die christliche Gemeinde lebt nach Paulus von ihm her, der „Wurzel", die Gott erwählt und mit der er die Geschichte Israels verheißungsvoll begründet hat (vgl. Rom 11,17 f.). Die Väter sind für das Frühjudentum die Träger und Zeugen der Gnade Gottes in der Geschichte Israels. Dies geht aus dem Eingang des in Sir 44-50 überlieferten sog. „Lobes der Väter" hervor (vgl. Sir 44,10-15). In Gestalt der Väter ist Israel vor Gott versammelt und wird der Erwählung, Ermahnung und Führung durch die Zeiten teilhaftig. Die Väter sind deshalb nicht nur einzelne geschichtliche Personen, sondern in gewissem Sinne auch Personifikationen Israels im ganzen. Indem Paulus auf Abraham als „Vater" zu sprechen kommt, schließt er sich dieser frühjüdischen „personalen Geschichtsbetrachung" (R. Smend) an. Die bedeutsamste Gestalt unter den Stammvätern Israels ist Abraham. Schon in Jes 51,2 wird er „Vater" und in äthHen93,8 die „auserwählte Wurzel" Israels genannt. Für das Frühjudentum ist der aus dem Zweistromland herausgerufene Aramäer Abraham (Gen 12,1 ff.) gleichzeitig „Vater" der zum Judentum übertretenden Heiden und der von Isaak abstammenden Juden. Das Zeichen der Zugehörigkeit beider Gruppen zu Israel ist die Beschneidung. Die beschnittenen Heiden heißen „die Hinzugekommenen" bzw. „Proselyten"; sie sind in der Zeit des Neuen Testaments von den sog. „Gottesfürchtigen" zu unterscheiden, d.h. den Heiden, die sich zwar mit Israel zu dem einen Gott bekennen, die Synagogen besuchen, aber die Beschneidung vermeiden und deshalb keine Vollbürger des Gottesvolkes sind. In Sir 44,19-21 heißt es von Abraham: „Abraham wurde der Vater vieler Völker, seine Ehre blieb makellos. Er hielt das Gebot des Höchsten und trat in einen Bund mit ihm. Wie ihm befohlen wurde, hat er sich beschnitten; in der Prüfung wurde er treu befunden. Darum hat ihm Gott mit einem Eid zugesichert, durch seine Nachkommen die Völker zu segnen, sie zahlreich zu machen wie den Staub auf der Erde und seine Nachkommen zu erhöhen wie die Sterne, ihnen Besitz zu geben von Meer zu Meer, vom Eufrat bis an die Grenzen der Erde" (Text nach der „Einheitsübersetzung"). Mit dem „Bund" ist Gen 17,4—14 und mit der „Prüfung" die Gehorsamsprobe der Aufopferung Isaaks nach Gen 2 2 , 1 - 1 9 gemeint; sie gilt auch in 1. Makk 2,52 als der Treuebeweis Abrahams, der ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Der Glaube Abrahams besteht nach Gen 26,5; Sir 44,20; 1. Makk 2,52 usw. in seinem rückhaltlosen Vertrauen gegenüber Gottes Verheißung und in seinem Gehorsam gegenüber Gottes Gebot. In Mechilta zu Ex 14,31 (40b) wird dieser Glaube in Worten gerühmt, die ganz nah an Paulus heranreichen: „Ebenso findest du, daß unser Vater Abraham diese und die zukünftige Welt nur durch Verdienst des Glaubens (oder auch: Gerechtigkeit des Glaubens) in Besitz genommen hat, wie es heißt: Er glaubte an Gott, und der rechnete es ihm zur Gerechtigkeit an (Gen 15,6)." Von Jak 2,20-24 und Hebr 11,8-19 her ist dieses Bild Abrahams

4 , 1 - 2 5 : D i e bereits A b r a h a m v e r h e i ß e n e G l a u b e n s g e r e c h t i g k e i t

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Bestandteil auch der christlichen Tradition geworden. Es macht die Position der Paulusgegner (in Galatien und darüber hinaus) hinreichend deutlich: Vollmitglied des endzeitlichen Gottesvolkes kann nur sein, wer mit Abraham auf Gottes Ruf hört, sich beschneiden läßt, das Gesetz hält und sich auf diese Weise vor Gott im Glauben bewährt. Paulus hat die Auswirkungen dieses jüdischen und judenchristlichen Abrahambildes bei seiner Heidenmission zu spüren bekommen. Er hält es angesichts der ihm vor Damaskus zuteilgewordenen Offenbarung des aus freier Gnade erwählenden Gottes für verengt. Der Apostel geht von Gen 12,1 ff. aus (vgl. Gal 3,8) und sieht in Abraham den Stammvater des Glaubens, der von Gott ohne alle Verdienste erwählt wurde und Rechtfertigung aus Gnade allein erfuhr. Von „Isaaks Fesselung" (Gen 22,9 f.) schweigt Paulus (anders als Jak 2,21; Hebr 11,17-19) ganz. Ihm geht es darum, daß von Abrahams Rechtfertigung in Gen 15,6 früher als von dem „Bund" der Beschneidung nach Gen 17 erzählt wird. Nach antiker Auffassung ist das Frühere (Altere) dem Späteren überlegen. Erwählung und Rechtfertigung aus Glauben gehen also der Beschneidung und Glaubensprobe Abrahams voran. Der Apostel läßt seine Erörterung in V25 ausmünden in eine alte, auf der Basis des hebräischen Schrifttextes von Jes 53,11 f. gebildeten Christusformel. In ihr treffen sich Jesu eigenes Selbstverständnis als stellvertretend für viele leidender Gottesknecht (vgl. Mk 10,45 Par. und 14,24 Par.) und das Bekenntnis dervorpaulinischen Gemeinde (von Jerusalem?) zu Jesus als dem für uns gestorbenen und von Gott auferweckten Messias (vgl. 1. Kor 15,3-5). Paulus stimmt in dieses Bekenntnis ein. Mit der für ihn typischen Wendung „Was sollen wir nun sagen" (vgl. 6,1; 7,7; Β 9,14) scheint Paulus die These seiner Gegner aufzugreifen, daß Abraham kraft sei- 1 nes Gehorsams und seiner Glaubenstreue Gnade vor Gott gefunden hat (vgl. Gen 18,3 mit 26,5; Jak 2,21 f.). „Gnade finden" ist ein geläufiger biblischer Ausdruck (vgl. z.B. Gen 6,8; den griechischen Text von Sir 45,1 und Hebr 4,16). Paulus spielt auf die gegnerische These an, ohne selbst schon das Stichwort „Gnade" zu gebrauchen. Die Wendung „nach dem Fleisch" kann man entweder auf Abraham beziehen (Paulus würde ihn dann im Disput mit seinen judenchristlichen Gegnern den Stammvater Israels nennen) oder als Adverb zu „finden" ziehen, so daß es um die Frage geht, was Abraham seiner irdischen Existenz nach gefunden habe. Diese zweite Möglichkeit paßt sich dem nachfolgenden Text besser ein (und entspricht dem paulinischen Sprachgebrauch z.B. in Rom 8,4f. 12 f.). Schon dieFrageform des Satzes zeigt, daß der Apostel kritisch erörtern will, was Abraham und auf welche Weise er es gefunden hat. Wenn nämlich Abraham aufgrund von Werken gerecht- 2 fertigt worden ist, dann hat er vor Gott „Ruhm". Paulus gebraucht die Worte „Ruhm", „sich rühmen" usw. in positiver und negativer Weise. Wenn Sünder versuchen, sich vor Gott (und den Menschen) ihrer Vorzugsstellung, ihrer Taten oder auch des Besitzes von Heilsgütern zu rühmen (wie der Jude in Rom 2,17ff. oder die Paulusgegner nach Gal 6,13; 2. Kor 11,18), dann gilt: Gott macht solchen Ruhm (als Richter) zunichte (vgl. 1. Kor 1,29; 3,19-21). Rühmen soll und darf man sich nur des Herrn (1. Kor 1,31 und 2. Kor 10,17 je mit Zitat von Jer 9,23), des Kreuzes als Heilsereignis (Gal 6,14), der Hoffnung künftiger Verherrlichung (Rom 5,2)und jener Missionswerke, die im Geiste Christi getan werden (vgl. 1. Kor 9,15ff.;

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1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit für Juden und Heiden

2. Kor 1,12-14; 10,13-18).Für solche wohlgetanen Werkedarf der Apostel und mit ihm jeder Christ Lohn erwarten (vgl. 1. Kor 9,17; Gal 6,4; s.o. S. 44 ff.). Die Paulusgegner sehen in Abraham den, der für seine Erweise von Glaubenstreue Lohn von Gott erhalten hat und rufen die Christen unter Berufung auf Abraham zu Bewährung in Glauben und Werken (Jak 2,20ff.; Hebr l l , 8 f f . 17f.) auf. Paulus hält ihre Sicht Abrahams für verfehlt und entgegnet: Ruhm vor Gott, der zur Rechtfertigung führt, hat Abraham nicht! Denn die Schrift spricht in Gen 15,6 ausdrücklich von Abrahams Glauben als Grund seiner Rechtfertigung. Rechtfertigung aufgrund von Werken und aufgrund von Glauben sind streng zu unterscheiden. Es gilt also: Wer anerkennenswerte Werke tut, dem wird der Lohn nicht nach Maßgabe der Gnade, sondern nach Verdienst zugemessen. Wer aber, statt Werke zu tun, an den Gott glaubt, der den „Gottlosen", d.h. den sündigen Frevler (vgl. z.B. Ps 1,1-6; Spr 2,22; Jes 11,4), rechtfertigt, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet. Während in Jes 5,23 irdische Richter gewarnt werden, Frevler gerechtzusprechen, und es im sog. Bundesbuch auch von Gott heißt, er rechtfertigt keinen Frevler (Ex 23,7), betont schon Ezechiel, Gott habe kein Gefallen am Tode des „Gottlosen", sondern an seiner Umkehr (Ez 18,23). Entsprechend appellieren in Bußgebeten gerade Frevler an Gottes Erbarmen im Gericht (vgl. z.B. Ps 51; Dan 9,18 ff.; 4Esr 8,35 f.; 1QS 11,11 ff.). Paulus kennt diese Gebete (vgl. 3,4) und prägt von ihnen her eine neuartige Gottesprädikation von höchster Paradoxie und Aussagekraft: Gott hat sich schon Abraham gegenüber erwiesen als der Gott, der den Gottlosen (Frevler) rechtfertigt, und zwar durch Christus (vgl. 4,25; 5,6). Angesichts dieses Verhaltens Gottes ist für den jüdischen und judenchristlichen Mittelweg der Rechtfertigung aufgrund von Glauben und Werken, von wottes Erbarmen und verdienstvollen Taten von Seiten der Frommen (4Esr 7,7; 13,23; Jak 2,20 ff.), kein Raum mehr. Daß Gott so handelt, bezeugt nach Paulus schon die Schrift durch den Mund (des Psalmisten) David(s) in Ps 32,1 f. Methodisch geht Paulus hier nach dem jüdischen exegetischen Grundsatz vor, daß zwei Schriftstellen, in denen dasselbe Stichwort ( = „anrechnen") auftaucht, einander erläutern. Folglich legen sich Gen 15,6 und Ps 32,1 f. gegenseitig aus. Abraham hat mit der „Anrechnung" seines Glaubens die Vergebung seiner Gesetzesübertretungen und Sünden erlangt. Die Formulierungen des Apostels sind provozierend. Ganz anders als die jüdische Tradition (s.o.) sieht er in Abraham den ersten gerechtfertigten „Gottlosen", und „Glaube" wird bei Paulus nicht mehr als gehorsame Gottesfurcht verstanden, sondern als das Geschenk der Beziehung zu Gott, wie er in Christus offenbar geworden ist. Gott offenbart sich nach Paulus in der Geschichte Israels nicht anders als in Christus, sondern stets als derselbe. Darum kann der Apostel auch den seine Gegner leitenden Glaubensbegriff (vgl. Jak 2,22; Hebr 11,17-19) nicht mehr gelten lassen. Für ihn ist Abrahams Glaube das Grundmodell des christlichen Glaubens: Nur im gehorsamen Vertrauen auf den das Heil aus freier Gnade heraus wirkenden Gott gewinnt der Mensch (durch Christus) Anteil am Leben. In Galatien haben die sog. Judaisten die Meinung vertreten, nur durch die Beschneidung würden die Heidenchristen der Segnungen des Abrahambundes teilhaftig. Paulus hat sich dagegen verwahrt (vgl. Gal 2,3; 3,6ff.; 5,2-6). Die Frage ist für ihn missionarisch und theologisch von solcher Bedeutung, daß er jetzt noch ein-

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mal auf sie zurückkommt. Offenbar haben seine „Verlästerer" (3,8) mit den Paulusgegnern von Galatien Kontakt gehabt. Angesichts der mit ihnen zu führenden Debatte ist es keine Spitzfindigkeit, wenn der Apostel in V. 9 fortfährt mit der Frage, ob die Aussage von Gen 15,6, Abraham sei aufgrund von Glauben gerechtfertigt worden, auf den Erzvater im Zustand der Beschneidung oder der Unbeschnittenheit zu beziehen sei. Da in der Schrift Gen 17,9 ff. erst auf Gen 15,6 folgt, lautet die Antwort: Abraham wurde gerechtfertigt als er noch unbeschnitten war. Seine nachfolgende Beschneidung ist nur das Siegel und Gütezeichen der „Glaubensgerechtigkeit" (zum Ausdruck s. V. 13), in der Abraham schon im Zustand der Unbeschnittenheit lebte. Folglich ist Abraham nach Gottes Willen — anders als die Kontrahenten des Paulus meinen — der Vater aller Glaubenden, und zwar der unbeschnittenen Heiden, die ebenso gerechtfertigt werden sollen wie Abraham, und Vater jener beschnittenen Juden, die sich nicht nur auf ihr Beschnittensein verlassen (vgl. 2,28 f.), sondern auch den Glauben des noch unbeschnittenen Abraham zum Vorbild nehmen, der „unser Vater" ist, d.h. Stammvater aller (unbeschnittenen) Heiden und aller (beschnittenen) Juden, die an Jesus Christus glauben. Geht es um Abraham, geht es im Disput mit den Judenchristen um zweierlei, um den Anteil an der Abraham zugesprochenen Verheißung (Gen 15,4f.; 17,4f.) und um die Verbindlichkeit des Gesetzes. In der frühjüdischen Tradition heißt es, daß Abrahams Nachkommen „die ganze Erde erben" und „über alle Völker herrschen werden, wie sie wollen" Qub22,14; 32,19). Paulus teilt diese Erwartung, denkt dabei aber an die Beteiligung an der Herrschaft Christi, der die durch Christus Geheiligten entgegensehen (vgl. Gal 3,16; 4,4-7; 1. Kor 6,2; Rom 5,17). Problematischer steht es mit dem Gesetz. Schon Gen 26,5 geht von Abrahams Gesetzesgehorsam aus, und in Sir 44,20 steht, Abraham sei die Sohnesverheißung um seiner Treue zu dem (nach syrBar 57,2 damals schon ungeschrieben vorhandenen) Gesetz und seiner Bereitschaft willen, Isaak aufzuopfern, zuteilgeworden. Paulus aber sieht sie von Gen 15,4-6 her nur an die „Glaubensgerechtigkeit" Abrahams gebunden. Wenn der Apostel hier wie schon in V. 11 den Ausdruck „Glaubensgerechtigkeit" benutzt, bedient er sich einer rabbinischen Wortbildung; sie meint das Glaubensleben Abrahams in Gerechtigkeit (vgl. Mechilta zu Ex 14,31). Anders als seine judenchristlichen Gegner setzt Paulus diese Glaubensgerechtigkeit aber dem Gesetzesgehorsam (Abrahams) entgegen. Denn wenn—wie die jüdische und judenchristliche Auslegung annehmen — das Leben aufgrund des Gesetzes etwas mit der Anteilschaft am Erbe Abrahams zu tun hat, dann ist der Glaube seiner (nach Paulus) entscheidenden Prägung entleert und die Verheißung entwertet. Denn das Gesetz macht, wie bereits in 1,18-3,20 gezeigt, das Zorngericht Gottes unausweichlich und nimmt jedem die Aussicht, das versprochene Erbe antreten zu dürfen. Anders ist es nur, wenn das Gesetz z.Z. Abrahams noch nicht auf dem Plan war. (In der Tat ist es erst lange nach Abraham am Sinai erlassen worden, vgl. Gal 3,17.) Dann nämlich gab es z.Z. Abrahams noch keine förmliche Gesetzesübertretung, und dann transzendiert die Verheißung an Abraham von vornherein den Bereich des von der Sinaigesetzgebung unmittelbar betroffenen Volkes Israel. Mit Abraham ist es (nach Gen 15,4-6) deshalb „aufgrund von Glauben" zugegangen, damit auch das göttliche „aus Gnaden" und mit ihm die Verheißung für alle Nachkommen Abrahams

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gelte. Solche Nachkommen sind aber nicht nur die aufgrund des Gesetzes lebenden Juden, sondern auch die Heiden, die dem Vorbild des Glaubens Abrahams folgen. Dieser ist „Vater von uns allen", d.h. von Juden- und Heidenchristen, die glauben wie Abraham (vgl. V. 12); so entspricht es der Aussage der Schrift, daß Abraham zum „Vater vieler V ö l k e r " (Gen 17,5) eingesetzt worden ist, und der Wirklichkeit des einen Gottes, vor dem Abraham im Glauben lebte. Dieser eine Gott ist als der Gott, der den Gottlosen rechtfertigt (V. 5), zugleich auch der Erwecker der Toten und der Schöpfer, der das Nichtseiende ins Sein ruft. Beide Gottesprädikationen entsprechen schon der jüdischen Glaubenstradition (vgl. syrBar 48,8: „ . . . durch ein Wort rufst du ins Leben, was nicht da ist" und die 2. Segensformel des jüdischen 18-Bitten-Gebetes: „Gepriesen seist du, Herr, der die Toten lebendig macht!"). Glaube an Gott im Sinne der drei Prädikationen von V. 5 und 17 heißt, selber nichts zu sein und gerade so an sich selbst die Erschaffung aus dem Nichts zu erfahren. In genau diesem Sinne fährt der Apostel fort: Abraham hat wider alle menschliche Hoffnung auf Hoffnung hin geglaubt, und zwar der Zusage Gottes, er werde Vater vieler Völker werden und seine Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel (Gen 15,5). Während eine ganze Anzahl späterer Textzeugen liest: „und ohne schwach im Glauben zu werden, richtete er ( = Abraham) sein Augenmerk nicht auf seinen bereits erstorbenen L e i b . . . " , die Glaubensstärke Abrahams also darin erblickt, daß Abraham über seine und Saras Überalterung hinwegsah, fehlt dieses erklärende „nicht" in den älteren und besseren Handschriften. Abrahams Glaubensstärke erweist sich nach ihrer Aussage darin, daß er seine eigenen annähernd hundert Lebensjahre und die Unfruchtbarkeit der Sara (vgl. Gen 1 8 , 1 1 - 1 3 ) durchaus bedachte und dennoch - wider alle natürliche Hoffnung ( V 1 8 ) ! - an der Verheißung Gottes festhielt. D i e Lesart ohne „nicht" entspricht V 1 8 und G e n 17,17 besser. In menschlich aussichtslos erscheinender Situation verfiel Abraham gerade nicht in ungläubige Zweifel, sondern blieb stark im Glauben, gab G o t t die Ehre und war ganz und gar davon durchdrungen, daß G o t t der Schöpfer mächtig genug sei, seine Zusage in die Tat umzusetzen. Abraham blieb also dem Verheißungswort Gottes unerschütterlich treu. Weil er in dieser Weise glaubte, wurde ihm sein Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet (vgl. G e n 15,6). - Paulus hat damit seine Sicht Abrahams im Einklang mit der Schrift skizziert und geht nunmehr zur Anwendung des Ganzen über. Abraham ist für den Apostel der „Vater" aller Glaubenden (s.o.), also kein bloßes historisches Individuum, sondern das geschichtlich maßgebende Urbild des Glaubens an den Gott, dessen Verheißungen in Christus Ja und Amen geworden sind (vgl. 2. Kor 1,20). Von hier aus gilt, daß die Aussage von Gen 15,6 nicht nur um Abrahams allein willen in der Schrift steht, sondern auch „um unseretwillen", d.h. um der Heiden und Judenchristen (in R o m und anderswo) willen, die die Schrift zur Belehrung lesen (vgl. 15,4) und denen ihr Glaube zur Gerechtigkeit angerechnet werden soll. Sie sind diejenigen, die an den Gott glauben, der seinen Willen zur Rechtfertigung des Gottlosen (V. 5), sein Schöpfertum und seine die Toten auferweckende Macht (V. 17) in der Auferweckung Jesu Christi von den Toten verheißungsvoll dokumentiert hat. Der Glaube an diesen Gott ist der wahre Glaube. Er führt wahrhaft zur Rechtfertigung. Weshalb, sagt V. 25 mit einer schon vor der

E x k u r s V I I : G l a u b e bei P a u l u s

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Berufung des Paulus im semitischen Parallelismus der Satzglieder formulierten und am hebräischen Text von Jes 53,11 f. orientierten Bekenntnisformel (s.o.): Wie es in Jes 53 vorgezeichnet ist, hat Gott Jesus „wegen unserer Übertretungen" seinen Gegnern und damit dem Tode am Kreuz ausgeliefert (vgl. Mk 9,31; 10,33f. Par.; 1. Kor 11,23; Rom 8,32), und er hat ihn in Anerkennung seines Opferganges „wegen unserer Rechtfertigung" auferweckt. Der von Gott verfügte und mit der Auferweckung als gültig bestätigte Opfergang des Christus ans Kreuz ist und bleibt der Rechtsgrund für die Rechtfertigung aller derer, die als „Gottlose" an den sich in Christus offenbarenden Gott glauben. Im auferstandenen Christus begegnet Gottes heilschaffende Gerechtigkeit von „jetzt" (3,21) an bis ins Endgericht (8,33 f.). Unsere Formel steht in sachlicher Parallele zu 1. Kor 1,30 und Rom 3,25 f. Mit ihr stellt sich Paulus zum Schluß seiner hochkontroversen Argumentation bewußt auf den Boden jener Glaubenstradition, die den Apostel mit seinen römischen Adressaten eint. Sie können (auch) aus Rom 4 ersehen, daß Paulus mit seinem Rechtfertigungsevangelium in der Glaubenstradition steht, die ihnen vertraut und teuer ist. Argwohn gegen seine Lehre brauchen sie nicht zu hegen.

Exkurs VII: Glaube bei Paulus Das voranstehende Kapitel zeigt ganz besonders deutlich, daß der Apostel mit einer in der jüdischen (und judenchristlichen) Tradition unerreichten Intensität vom Glauben spricht. Dies liegt vor allem an der eigenen Glaubenserfahrung, die Paulus mit seiner Berufung zum Apostel eröffnet wurde. Die Wurzeln des paulinischen Glaubensbegriffes liegen gleichwohl im Alten Testament und Frühjudentum einerseits und bei Jesus sowie in der Missionstradition des Urchristentums andererseits. Im Alten Testament spricht zuerst Jesaja (8. Jh. v. Chr.) profiliert vom Glauben als einem Verhalten, in dem man sich rückhaltlos und ausschließlich auf Gott, seine Zusage und seinen Willen verläßt und einläßt (vgl. Jes 7,9; 28,16; 30,15). Nahe vervandt damit ist die Rede von Abrahams Vertrauen auf Gottes Verheißung, kraft dessen er von Gott in Gen 15,6 als gerecht anerkannt worden ist. Auch Habakuk (2,4) und Psalmen aus der Zeit vor und während des israelitischen Exils spiegeln dieses Glaubensverständnis (vgl. Ps 78,22.32; 106,12.24). Aber erst in spätalttestacientlicher und frühjüdischer Zeit gewinnt die Rede vom Glauben in Israel größere Verbreitung. Glauben wird zur Bezeichnung der Zuwendung des Frommen zu Gott und der Treue gegenüber seinen Weisungen. Abraham gilt als Muster solch gehorsamer Glaubenstreue (vgl. Gen 26,5; Sir 44,19-21). Philo von Alexandrien áeht im Glauben Abrahams an Gott „die Königin der Tugenden" des Erzvaters (Abr 270). Die Essenergemeinde von Qumran bezieht Hab 2,4 auf alle Täter des Gesetzes, die treu zu der vom „Lehrer der Gerechtgkeit" ausgearbeiteten verschärften Gesetzesauslegung stehen (vgl. lQpHab 7,17-8,3). Der Glaube, der sich in der liebe zu Gottes Gesetz bewährt, wird nach syrBar 54,16.21 im Endgericht belohnt verden und zur endzeitlichen Verherrlichung der Glaubenstreuen führen. Die Umkehr sündiger Heiden zu dem einen wahren Schöpfergott wird „Glauben"

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1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit für Juden und Heiden

genannt in Jona 3,5; Weish 12,2; Jdt 14,10. Wir stehen hier vor frühjüdischer Missionsterminologie. Paulus hat diese alttestamentlich-jüdische Anschauung vom Glauben gekannt und mitvertreten. Aber kraft seiner Berufung zum Apostel Jesu Christi ist er über sie hinausgeführt worden. Für ihn geht es seither beim Glauben nicht mehr nur um die dem Heiden abverlangte Umkehr zu dem allein wahren Gott und die Treue des Frommen gegenüber Gottes Geboten, sondern er sieht im Glauben den Heilsweg schlechthin, den Gott den Sündern aus Juden und Heiden aus freier Gnade heraus eröffnet hat (Gal 3,23). Ihm selbst ist dieser Heilsweg durch die Erscheinung des lebendigen Christus vor Damaskus erschlossen worden; in der Mission wird er Juden und Heiden durch die Verkündigung des Evangeliums aufgetan, zu der der erhöhte Christus die Apostel autorisiert und ausgesandt hat (vgl. Rom 10,14-17 mit Mt 28,16-20). Von hier aus ist der Glaube für Paulus, wie die lateinische Bibel Rom 10,17 übersetzt, „fides ex auditu", d.h. Glaube, der aus dem gehorsamen Hören der Botschaft erwächst, in der Christus als Retter und Herr der Welt ausgerufen wird. Solcher Glaube ist das gänzlich unverdiente Geschenk Gottes, das zur Rechtfertigung führt (Eph 2,8). Das Evangelium ist Botschaft vom Glauben; es will gehorsam gehört werden (Rom 1,5; 6,17; 16,19) und schenkt, wo dies geschieht, den Hl. Geist (Gal 3,2). Dieser erfüllt die Herzen (2. Kor 1,22), befähigt zum wahren Verständnis Jesu als des Christus Gottes (1. Kor 2,7-12) und verhilft dazu, ihn als Herrn zu bekennen (1. Kor 12,3; Rom 10,9). In der Kraft des Geistes, den die Glaubenden aus dem Hören auf das Evangelium empfangen, erfüllen sie die Weisung Christi, die mit der Rechtsforderung des Geseztes identisch ist (Gal 6,2; Rom 8,4). Auf diese Weise wird die Liebe zur Lebensdimension des Glaubens, und zwar die Liebe zu Gott ebenso wie die gegenüber dem Nächsten (Rom 5,5; Gal 5,5f. 14; Rom 13,8-10). Der Glaube ist nach alledem für den Apostel ein vom Hl. Geist getragener ganzheitlicher Lebensakt. Wo er von der Liebe getrennt wird, widerspricht Paulus ebenso energisch (1. Kor 13,1 ff.) wie dort, wo man den Glauben für ergänzungsbedürftig durch Werke des Gesetzes erklärt (Gal 3,1—4). Christus verkündigten, das Evangelium verkündigen und den Glauben verkündigen sind für ihn identisch (vgl. Gal 1,11.16.23; 1. Kor 1,23 f.; 15,1-11 ; R o m 1,1 -5.16f.). Als von Gott durch das Evangelium eröffneter Heilsweg, der unter dem Beistand Christi beschritten wird, ist der Glaube Geschenk des Lebens in der Nähe Gottes und „bleibt" deshalb bis über den Jüngsten Tag hinaus ( l . K o r 13,13). Der Apostel hätte nicht in dieser neuen Weise vom Glauben reden können, wenn nicht schon Jesus während seines Erdenwirkens ganz neuartig vom Glauben gesprochen hätte. Jesus hat in die Glaubensüberlieferung Israels eine neue Redeund Denkweise von Glauben eingeführt. Mit seiner Botschaft von der Gottesherrschaft ruft er in Israel zur Umkehr und zum Glauben auf (Mk 1,15 Par.). Der Glaube ist für ihn Glauben an Gott (Mk 11,22), dem alle Dinge möglich sind (Mk 9,23; 14,36). Wenn die Jünger an Gott glauben und mit ungeteiltem Herzen zu ihm beten, wird ihnen der Beistand des allmächtigen Schöpfergottes zuteil (Mk 11,22-24 Par.). Kranken, die sich an ihn um Hilfe wenden, spricht er Heilung und Glauben zu (Mk 5,34; 10,52); und Glauben, den ihm Hilfesuchende entgegenbringen (Mk 2,5), enttäuscht er nicht, er ruft sie vielmehr ausdrücklich zum Glau-

5 , 1 - 1 1 : Der Stand in der Versöhnung

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ben auf (Mk 5,36). Von dieser Redeweise Jesu und den Glauben weckenden Ostererscheinungen herkommend, hat die Missionskirche nach Ostern begonnen, im Blick auf den vollendeten Opfergang Jesu vom „Glauben an Jesus Christus" (Apg 10,43) zu sprechen, den Gott mit der Auferweckung „zum Herrn und Christus gemacht hat" (Apg 2,36). Solcher Glaube erfährt die Vergebung der Sünden (Apg 10,43). Zu ihm werden nicht mehr nur — wie in der jüdischen Mission — die Heiden, sondern Juden und Heiden aufgerufen (Apg 2,37-41.44; 11,21). Paulus steht in dieser Missionstradition (vgl. z.B. 1. Thess l,9f.; 2,13; 1. Kor 15,11); er hat nach 1. Kor 13,2 aber auch Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben gekannt. Daß man im Urchristentum auch anders als Paulus vom Glauben gesprochen hat, dokumentieren der Jakobus- und der Hebräerbrief (vgl. Jak 2; Hebr 11 ; 12,2). Beide Male ist die Nähe zur frühjüdischen (Missions-)Tradition groß, läßt sich aber auch nicht im Sinne von Rom 3,28 vom allein rechtfertigenden Glauben sprechen.

4. 5,1-11: Der Stand in der Versöhnung 1 Gerechtfertigt nunmehr aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, 2 durch den wir auch den Zugang erhalten haben im Glauben zu eben der Gnade, in der wir stehen, und wir rühmen uns aufgrund der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. 3 Aber nicht nur dies, sondern wir rühmen uns auch der Heimsuchung in dem Wissen, daß die Heimsuchung Geduld bewirkt, 4 die Geduld aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung. 5 Die Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt ist. 6 Denn Christus ist, als wir noch schwach waren, zur rechten Zeit für Gottlose gestorben. 7 Es stirbt ja kaum einer für einen Gerechten; für das Gute wagt es schon eher einer zu sterben. 8 Gott aber erweist seine Liebe uns gegenüber (dadurch), daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. 9 Um wieviel mehr werden wir, nunmehr gerechtfertigt durch sein Blut, durch ihn vor dem Zorn gerettet werden. 10 Denn wenn wir als Feinde versöhnt worden sind mit Gott durch den Tod seines Sohnes, um wieviel mehr werden wir als Versöhnte gerettet werden durch sein Leben. 11 Aber nicht nur dies, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben. Unser Abschnitt ist durch die Stichworte „gerechtfertigt" (V. 1.9), ,rühmen" A (V. 2 f. 11), „Herrlichkeit Gottes" (V. 2) und die Thematik von Sühne und Versöhnung durch Christus thematisch fest mit 3,21-4,25 verbunden. Paulus löst sich aber nunmehr aus dem kritischen Gespräch mit seinen Gegnern und leitet dazu an, in der Rechtfertigung die Versöhnung mit Gott und den Stand der Hoffnung auf endzeitliche Errettung zu sehen. Er tut dies in zwei miteinander zusammenhängenden, die Gabe der Rechtfertigung herausstellenden Gesprächsgängen: V. 1-5 und 6-11. Der erste ist geprägt von einem rhetorischen Kettenschluß, wie wir ihn bei Paulus öfter finden (vgl. z.B. 8,28-30; 10,12-17), der zweite von dem ebenfalls häufig in den Paulusbriefen anzutreffenden Schlußfolgerungsverfahren: Wenn schon dies oder

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1,18-8,39: Gottes G e r e c h t i g k e i t f ü r J u d e n und Heiden

das — um wieviel mehr erst dieses oder jenes (vgl. 2. Kor 3,7-9; Phil 2,12). Solche SchJußfolgerungen sind ein typisches Merkmal rabbinischer Schriftauslegung und Argumentation. Von den griechischen Textvarianten her hat man in V. 1 die Wahl, ob man indikativisch „haben wir Frieden mit Gott" oder konjunktivisch „laßt uns Frieden haben mit Gott" übersetzen soll. Obgleich der Konjunktiv besser bezeugt ist, ist der Indikativ die Paulus inhaltlich näherstehende und zugleich kühnere Fassung: Die Glaubenden stehen kraft der Rechtfertigung bereits im Frieden mit Gott und müssen nicht erst um ihn ringen (wie die Alte Kirche verschiedentlich betont hat). — In V. 3 f. kommt Paulus erstmals im Römerbrief auf das Leiden der Christen zu sprechen. Daß die Frommen (Gerechten) leiden müssen, ist ein seit frühen Psalmen wie Ps 18 und 56, den in Jer 36—45 zusammengefaßten Berichten von den Leiden Jeremias und der berühmten Hiobdichtung festes Thema alttestamentlich-jüdischer Tradition. Nur mit Gottes Hilfe können die von den Feinden Gottes verfolgten Frommen ihre Leiden bestehen. Nach Sir 2 dienen die Leiden zur persönlichen Läuterung der Gerechten auf Erden. In frühjüdischen Texten, die vom Leiden der Gerechten sprechen, wird das irdische Leben transzendiert: Die auf Erden von den Gottlosen verfolgten und ihres Lebens beraubten Frommen brauchen das Endgericht nicht zu scheuen. Sie werden bei der Auferstehung der Toten verherrlicht und von Gott gegenüber ihren Bedrängern von einst ins Recht gesetzt (vgl. Weish 2,12-20 + 5,1-7; äthHen 103,9-104,5). Jesus hat seinen zusammen mit ihm bedrängten Jüngern Anteil an der Gottesherrschaft verheißen (vgl. Lk 12,32; 22,29 mit Dan 7,18.27). Paulus wendet beide Traditionen auf die Christen an. Sie gehen als „leidende Gerechtfertigte" den Weg der Bewährung und sind dabei von der Hoffnung beseelt, an der künftigen Herrschaft Christi und der Herrlichkeit Gottes teilhaben zu dürfen (1. Kor 6,2; Rom 5,17; 8,18 ff.; vgl. zur Sache weiter auch S. 121f.). Β Nachdem der Apostel die Argumentation seiner Widersacher (in 3,27—4,25) 1 Lügen gestraft hat, kann er sich nunmehr mit seinen Adressaten im Wir des Briefstils vereinigen und unter Berufung auf die in 4,24 f. in Erinnerung gerufene, „uns" zur Rechtfertigung führende Rettungstat Gottes in Christus feststellen: Wir (allein) aus Glauben Gerechtfertigen haben durch unseren Herrn Jesus Christus bereits den Frieden mit Gott empfangen. Während die Sünder sich Gott entziehen (vgl. Gen 3,8ff.) und ihm, wenn sie gestellt werden, als Gegner (V. 10) gegenüberstehen, sind die Gerechtfertigten in ein Gemeinschaftsverhältnis mit Gott versetzt, das zu ihrem Heil dient und deshalb biblisch mit „Friede" (Schalom) bezeichnet wird. 2 Worin dieser Friede besteht, sagt der folgende Satz: „Durch unseren Herrn Jesus Christus" haben die Glaubenden „den Zugang" zur Gnade eröffnet bekommen. Die Rechtfertigung ermöglicht es den Glaubenden, befreit von ihren Sünden ihr Leben vor Gott in der Gnade zu leben. Schon in den Qumrantexten heißt es: „Durch sein Erbarmen hat er (= Gott) mich nahegebracht, und durch seine Gnadenerweise kommt meine Gerechtigkeit. Durch die Gerechtigkeit seiner Wahrheit hat er mich gerichtet, und durch den Reichtum seiner Güte sühnt er alle meine Sünden, und durch seine Gerechtigkeit reinigt er mich von aller Unreinheit des Menschen und von der Sünde der Menschenkinder, Gott zu loben für seine Gerechtigkeit und den Höchsten für seine Majestät" (1QS 11,13-15). Für Paulus ist

5,1-11: Der Stand in der V e r s ö h n u n g

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„der Zugang" zu Gott durch den „für uns" in den Tod gegebenen und auferweckten Christus eröffnet worden. In Eph 2,18; 3,12 wird dies wiederholt und in Hebr 10,19 ff. mit anderen Worten beschrieben. Der „Raum", in den die Glaubenden durch Christus geführt werden, heißt „Gnade". Die Gerechtfertigten stehen in neuer Gemeinschaft mit Gott und sind bereits auf Erden von seiner Gnade schützend und verheißungsvoll umgeben. Die ihnen eröffnete Hoffnung, als Gerechtfertigte in Bälde an der herrlichen Seinsweise der Kinder Gottes teilhaben zu dürfen (vgl. Phil 3,21; Rom 8,18-21), gibt ihnen Grund zum Lobpreis Gottes (vgl. V. 11). Dieser Lobpreis braucht auch in den Heimsuchungen, die die Christen um ihres Glaubenszeugnisses willen erleiden, nicht zu verstummen, im Gegenteil. Sie wissen aus eigener Glaubenserfahrung (vgl. 2. Kor 6,3 ff.; 11,23 ff.) und aus den Texten der Schrift, die vom Leiden der Frommen sprechen (s.o.), daß die Heimsuchungen ihnen zum Guten dienen: Durch das Leiden werden sie zur Geduld, von der Geduld zur Standhaftigkeit und von solchem Stehvermögen zur Hoffnung (auf Anteilhabe an Gottes Herrlichkeit, vgl. V. 2) geführt. Daß diese Hoffnung die Glaubenden vor Gott nicht zuschanden werden läßt (Ps 22,5-6; Jes 28,16 vgl. mit Rom 9,33), wissen die Christen kraft des ihnen durch das Hören des Evangeliums ins Herz gegossenen Hl. Geistes (vgl. Gal 3,2). In der Erfülltheit mit dem Hl. Geist realisiert sich für die Glaubenden die Verheißung von Ez 36,26 ff. und werden sie fähig, die ihnen in Christus zugewandte Liebe Gottes (V. 8) zu erwidern, d.h. Gott als ihren Schöpfer und Erretter seinem Willen gemäß zu lieben (vgl. Dtn 6,5).In dieser vom Geist getragenen Liebe füllen die Christen den Stand der Gnade aus, in den sie durch Christus versetzt sind. Worin die Liebe Gottes zu den Sündern aus Juden und Heiden besteht, erläutert Paulus in thematischem Rückgriff auf die Formel von 4,25 (und in eigenständiger Parallele zu Joh 3,16): Christus ist für die gottlosen Sünder gestorben, als sie noch schwach waren. Gottes Heilstat in Christus geht dem Glauben voran und gibt ihm seinen Grund in der Geschichte. Die Geschichte der Sendung Jesu, die in seinem Sühntod gipfelt, ist die dem Glauben vorgegebene Verwirklichung der Gnade Gottes schlechthin. „Gottlos" ist die biblisch typische Bezeichnung für die Gottes Willen mißachtenden Frevler (vgl. zu Rom 4,5). „Schwach" sind sie vor Gott in doppelter Hinsicht: Sie können Gott gegenüber nichts ausrichten (Ps9,4; 27,2), und sie sind (ohne Christus) nicht in der Lage, sich der Versuchungen und der Sünde zu erwehren (Mk 14,38 Par.); Paulus wird dies in 7,14-25 noch einmal herausarbeiten. Jetzt geht es ihm um Jesu stellvertretenden Sühnetod für die Gott widerstreitenden Frevler. Er sprengt alle antiken Maßstäbe. Das „Sterben f ü r . . . " hatte in der hellenistischen Welt hohen moralischen Stellenwert und guten ethischen Klang. Daß einer für einen gerechten Menschen (oder auch eine gerechte Sache) stirbt, ist zwar — genau wie Paulus in V. 7 anmerkt — nur selten bezeugt (vgl. z.B. den Tod des Sokrates nach Piaton, Apologie 32a; die Bereitschaft, für den Kaiser zu sterben, nach Dio Cassius 80,20 und Historia Augusta 114; oder die Mahnung aus Sir 4,28: „Bis zum Tod setz dich ein für das Recht, dann wird der Herr für dich kämpfen"); zahlreich sind aber Belege dafür, daß Menschen für eine gute Sache in den Tod gehen (vgl. 1. Clem 55,1: „ . . . viele Könige und Fürsten haben sich, wenn eine Zeit des Unheils herrschte, auf den Spruch eines Orakels hin dem Tode überliefert, um durch ihr Blut die Bürger zu retten" und das vielfach mißbrauchte „Es ist süß und

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben" des Horaz, Oden 3,2,13). Was jedoch Gott in Christus getan hat, stellt diese Beweise von Edelmut und Opferbereitschaft in den Schatten. Gott hat seine Liebe dadurch unter Beweis gestellt, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch gottlose Sünder waren. Gottes Liebe in Christus ist sein freies gnädiges Erbarmen, das allen menschlichen Möglichkeiten und Würdigkeiten geschichtlich zuvorkommt und vorangeht. — Mit einem (typisch jüdischen, aber auch den Griechen nicht unbekannten) Schluß vom Kleineren auf das Größere kommt der Apostel zum Thema der Hoffnung auf Gottes Herrlichkeit (V. 2.5) zurück: Wenn Christus in dieser Weise für die Sünder in den Tod gegangen ist und durch sein Blut Sühne für sie geleistet hat, dann werden sie erst recht durch ihn vor dem Zorn im kommenden Gericht gerettet werden. Der Sachverhalt ist dem Apostel so wichtig, daß er ihn noch einmal mit anderen Worten wiederholt: Wenn wir schon als „Feinde", d.h. als sich gegen Gott auflehnende und seinen Willen verachtende Frevler (vgl. Ps 37,20; 68,22; 74,18; 92,10 u.a.), durch den (Sühn-)Tod Jesu mit Gott versöhnt worden sind, werden wir umso mehr als bereits Versöhnte durch den lebendigen Christus (vor der Vernichtung im Gericht) errettet werden. Er ist kraft seines Opfertodes der lebendige Bürge der (End-)Rechtfertigung der Versöhnten (Rom 4,25), denn er tritt als Auferstandener für die Glaubenden vor Gott ein (Rom 8,34). Die von Paulus in V. lOf. (und 2. Kor 5,18-20) gebrauchten Worte „versöhnen" und „Versöhnung" meinen in der außerbiblischen griechischen Sprache vor allem den Friedensschluß zwischen einander verfeindeten Menschen; „Versöhnung" ist Beendigung von Feindschaft (vgl. so auch in 1. Kor 7,11; Rom 11,15). Paulus verwendet die Worte, um den personalen Gegenwartsaspekt der in der Sühne begründeten Rechtfertigung pointiert herauszustellen: Gott hat seinen eigenen Sohn aus reiner Liebe für die mit ihm verfeindeten Sünder dahingegeben. Er hat damit von sich aus die Feindschaft zwischen ihm und den Frevlern beendet. Sie stehen als Gerechtfertigte im Frieden mit und vor ihm (V1 ) und dürfen Gott kraft des sie beseelenden Hl. Geistes mit „(lieber) Vater" anrufen (Gal 4,5f.; R o m 8,15). Statt Feinde Gottes zu sein, sind sie heute schon seine geliebten Kinder, und zwar durch Jesu Opfergang und seine Auferweckung. Deshalb können sie nicht nur ihrer künftigen Errettung durch den lebendigen Christus gewiß sein, sondern sie rühmen auch schon in der Gegenwart G o t t durch die Vermittlung des Auferstandenen (vgl. 8,26f.), der ihnen „jetzt" (vgl. 3,21) das Versöhntsein mit Gott geschenkt hat.

Exkurs VIII: Rechtfertigung und Versöhnung Wie schon P. Althaus in früheren Auflagen dieses Kommentars an unserer Stelle betont und F. Lang in seiner Auslegung von 2. Kor 5,18-20 ( N T D 7,295-297) bestätigt hat, gehören Rechtfertigung und Versöhnungiür Paulus untrennbar zusammen. Wie in 2. Kor 5,14-21 greifen auch in Rom 5,1-11 Sühne-, Rechtfertigungsund Versöhnungssprache nahtlos ineinander. Die von Gott selbst aus Liebe zu seiner Schöpfung gewollte und von Jesus gehorsam bejahte Hingabe des Gottessohnes an den Kreuzestod ist das die Rechtfertigung begründende Sühnegeschehen schlechthin (Rom 3,25f.; 5,8 f.; 8,3). Gott hat seinen eigenen Sohn, der Sünden-

5,12-21: Die Herrschaft der Gnade

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schuld nicht kannte, für uns „zur Sünde' ' gemacht, damit wir durch ihn der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig würden (2. Kor 5,21). Da in der griechischen Bibel das um der Sünde willen darzubringende Sühnopfer manchmal opfertechnisch einfach kurz „Sünde" genannt wird (vgl. Lev 4,21.24), meint 2. Kor 5,21, Gott habe Christus für uns „zum Sühnopfer" gemacht; Rom 8,3 bestätigt das. Das Blut Jesu ist das unendlich wertvolle Sühnemittel für die gottlosen Sünder (1. Kor 6,20; Rom 3,25; 5,9). Die Sühnetat Gottes in und durch Christus bildet den geschichtlichen Rechtsgrund für die Rechtfertigung. „Versöhnung" bezeichnet die Zuwendung Gottes und den gegenwärtigen Heilsgewinn, die mit der Rechtfertigung verbunden sind (Rom 5,11 ; 2. Kor 5,20-6,2), und zwar unter personalem Aspekt: Gott hat von sich aus die Feinschaft überwunden und beendet, die zwischen den Sündern und ihm herrscht; er hat die durch Christus mit ihm Versöhnten in den „Frieden" mit sich gestellt (Rom 5,1; Eph 2,13-16). Gott ist es also, der aus freiem Willen und freier Gnade heraus Sühne schafft, Rechtfertigung zuspricht und Versöhnung stiftet. Rom 11,15. 32undKol 1,19-20 lassen erkennen,daßdie Gottestat der Versöhnung weltweite Dimension hat. Sie gilt Heiden und Juden gleichermaßen und stellt das Ereignis dar, das die Schöpfung neu begründet. Von einer Beschwichtigung des zornigen Gottes durch das Blut Christi oder auch von einer Genugtuung, die dem durch die Sünde in seiner Majestät verletzten Gott durch Jesu Opfertod widerfährt, spricht zwar die kirchliche Lehrtradition bis heute, aber in den Sühneund Versöhnungstexten des Apostels ist davon noch keine Rede! Welch hohen Stellenwert für ihn die Rede von der Versöhnung hat, zeigt der Umstand, daß er in 2. Kor 5,18 das ihm durch Christus aufgetragene apostolische Verkündigungsamt den „Dienst der Versöhnung" nennt. Dieser Dienst steht als Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit dem Dienst des Todes und der Verurteilung gegenüber, den Mose im Alten Bund auszuüben hatte (2. Kor 3,7ff.).

ß. 5,12-21: Die Herrschaft der Gnade 12 Deshalb: Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt hineingekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen gelangte, weil sie alle sündigten... — 13 Bis hin zum Gesetz nämlich war die Sünde schon in der Welt, Sünde wird aber nicht angerechnet, wenn kein Gesetz da ist. 14 Aber der Tod herrschte von Adam bis zu Mose auch über die, die nicht gesündigt haben nach dem Abbild der (Gebots-)Übertretung Adams, der das (Gegen-)Bild des Kommenden ist. — 15 Doch nicht so wie mit der Verfehlung (verhält es sich) mit der Gnadengabe: Wenn nämlich durch die Verfehlung des Einen die Vielen gestorben sind, um wieviel mehr ist die Gnade Gottes und die in der Gnade bestehende Gabe durch den einen Menschen Jesus Christus den Vielen in überreichem Maße zuteilgeworden. 16 Und nicht wie durch den Einen, der gesündigt hat, (wirkt) die Gnadengabe! Denn das Gerichtsurteil (führte) von dem Einen her zur Verurteilung, die Gabe der Gnade aber von vielen Übertretungen aus zum Geschenk der Gerechtigkeit. 17 Wenn nämlich durch die Verfehlung des Einen der Tod durch den Einen zur Herrschaft kam, um wieviel mehr werden die, die die Fülle der Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit empfangen, im Leben zur Herrschaft gelangen durch den

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Einen, Jesus Christus. — 18 Also denn: Wie es durch die Verfehlung des Einen für alle Menschen zur Verurteilung kam, so (kommt es) auch durch die gerechte Tat des Einen für alle Menschen zur Leben schenkenden Rechtfertigung. 19 Wie nämlich durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern gemacht wurden, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten gemacht werden. — 20 Das Gesetz aber ist zwischenhineingekommen, damit die Verfehlung wachse. Wo aber die Sünde gewachsen ist, ist die Gnade noch viel reichlicher geworden, 21 damit, wie die Sünde durch den Tod zur Herrschaft gelangt ist, auch die Gnade zur Herrschaft gelange durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben (,und zwar) durch Jesus Christus, unseren Herrn. Vers 12: Gen 3;

A

Vers 17: Dan 7,18.

Wie das einleitende „deshalb" und die Parallelität von 5,8-11 und 5,18-21 zeigen, gehören die Verse 12-21 noch zur Erörterung von 5,8-11 hinzu. Die Stichworte „Sünde", „Gnade", „Gesetz" und „Gerechtigkeit" beweisen außerdem, daß der Apostel in unseren Versen seine gesamte Erörterung von (1,18-3,20;) 3,21-5,21 zu Ende führt. — Der Aufbau des Abschnitts ist folgender: Die in V. 12 begonnene Gegenüberstellung von Adam und Christus wird erst in V. 18-21 zu Ende geführt. V. 13-17 bringen Zwischengedanken, die in Hinsicht auf das Gesetz in V. 20 noch einmal aufgenommen werden. Die bewegte, immer wieder mit dem (rabbinischen) Schluß vom Geringeren auf das Größere arbeitende Satzkonstruktion verrät, daß der Apostel bei seinem Briefdiktat (vgl. 16,22) förmlich um Klarheit der Argumentation ringt. — Uberlieferungsgeschichtlich laufen in 5,12-21 mehrere Traditionsstränge zusammen. In 1. Kor 15,20-22.44-49 hat Paulus sich schon gegenüber den Korinthern über das Verhältnis von Adam und Christus geäußert. Dort kam es dem Apostel darauf an zu zeigen, daß „wie in Adam alle sterben, so auch in Christus alle lebendiggemacht werden" (V. 22). Gegenüber dem (nach Gen 2,7) aus Erde geschaffenen sterblichen Adam ist Christus, der auferstandene Herr und Menschensohn (vgl. 1. Kor 15,20-28), „der zweite Mensch vom Himmel her" (V. 47). Die Differenz und Reihenfolge von Adam und Christus darf nicht eingeebnet werden. Die Korinther müssen sich vielmehr bewußt bleiben, daß sie als Christen nicht einfach heute schon pneumatisch in das von Christus bereitete Reich Gottes versetzt sind, sondern sie haben noch die Verwandlung von Fleisch und Blut in den himmlischen Leib und den endzeitlichen Sieg des Herrn über Sünde und Tod abzuwarten (vgl. 1. Kor 15,54 f.). Der Apostel kommt in Rom 5 auf diese Debatte zurück, arbeitet jetzt aber das Verhältnis von Adams Sündenfall, dessen Folgen und dem Gewinn des Lebens durch die Gnade der Rechtfertigung heraus. Angesichts des mit Adams Fall über die Menschheit hereingebrochenen Verhängnisses von Sünde und Tod hilft das Gesetz nicht weiter, sondern nur die durch Christi Gehorsamstat eröffnete Gnade; unter ihrer Herrschaft stehen die Glaubenden. — Paulus arbeitet diesen Grundgedanken heraus im Rückgriff auf die frühjüdische Deutung des Sündenfalls von Gen 3 und die jesuanische Menschensohnüberlieferung. Im sog. 4. Esra gilt Adam ebenso wie bei Paulus als Stammvater und Schicksalsträger. Der Verfasser klagt: „Ach, Adam, was hast du getan! Als du sündigtest, kam dein Fall nicht nur auf dich, sondern auch auf uns, deine Nachkommen!" (4Esr 7,118).

5,12-21: Die Herrschaft der Gnade

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Im syrBar wird dies dann noch einmal im Blick auf das Gericht Gottes präzisiert: „Denn wenn Adam zuerst gesündigt und über alle den vorzeitigen Tod gebracht hat, so hat doch auch von denen, die von ihm abstammen, jeder einzelne sich selbst die zukünftige Pein zugezogen . . . Jetzt aber wendet euch nur dem Verderben zu, ihr, die ihr jetzt Übeltäter seid; denn ihr werdet streng heimgesucht werden, da ihr ja ehemals die Einsicht des Höchsten mißachtetet. Denn nicht haben euch seine Werke belehrt; auch hat euch nicht die kunstvolle Einrichtung seiner Schöpfung, die allezeit besteht, (davon) überzeugt. Adam ist also einzig und allein für sich selbst die Veranlassung; wir alle aber sind ein jeder für sich selbst zum Adam geworden" (syrBar 54,15-19). Nach 4Esr 7,128 f. und syrBar 85,3-5 bleibt den Frommen nur das Gesetz und Gottes Gnade, um das adamitische Verhängnis zu überwinden. Paulus nimmt die Hauptgedanken beider Apokalypsen auf, sieht aber im Gegensatz zu ihnen im Gesetz keinen Ausweg aus dem adamitischen Schuldverhältnis. — Wenn er in V. 15 (ähnlich wie in 1. Kor 15,47) Jesus Christus „den einen Menschen" nennt, wenn er in V17 auf die Beteiligung der Gerechtfertigten an der Königsherrschaft (Christi) verweist und in Y19 von Jesu Gehorsam spricht, der den Vielen zur Gerechtigkeit verhilft, erklärt sich dies am einfachsten im Blick auf die Menschensohntradition. Nach Dan 7,13 f. 18.27 verkörpert der „Menschensohn" die göttliche Verheißung, daß Israel einst die Herrschaft über die Völker antreten darf, die das Prädikat „menschenwürdig" verdient. Nach der Henochapokalypse ist der Menschensohn dann der von Gott auf den Richterthron gesetzte Messias und Weltenrichter (vgl. äthHen 61,8; 62,2 ff.). Nach der Darstellung aller vier Evangelien hat sich Jesus als der von Gott gesandte messianische Menschensohn verstanden. Statt aber schon während seines Erdenlebens messianische Herrschaftsrechte zu beanspruchen und sich dienen zu lassen, wollte er selbst den Weg des Dienstes und der stellvertretenden Lebenshingabe für „die Vielen" (vgl. Jes 53,11 f.) gehen (vgl. Mk 10,45 Par.). Seine Erhöhung und Einsetzung in das Richteramt hat er erst nach dem Durchgang durch Leiden und Tod erwartet (Mk 14,62 Par.). Seinen Nachfolgern hat Jesus die Teilhabe an seiner endzeitlichen Herrschaft als MenschensohnWeltenrichter zugesagt (vgl. Lk 12,32 und Lk 22,28-30 Par. mit Dan 7,18). Paulus hat diese Jesusüberlieferung schon in 1. Kor 6,2; 15,20-28 aufgenommen, und sie spiegelt sich nun auch in Rom 5,12-21. Daß der Apostel im 1. Korinther- und im Römerbrief statt vom „Menschensohn" einfach vom „Menschen" Jesus Christus spricht, hat missionarisch-hermeneutische Gründe. Der biblische Ausdruck „Menschensohn" meint von Haus aus den Menschen als Abkömmling von Menschen (vgl. so z.B. Ps 8,5; Ez 2,1 ff.; 3,1 ff.). Um einen irreführenden Gegensatz zwischen den beiden Titeln „Menschensohn" und „Gottessohn" zu vermeiden und die kosmische Bedeutung Jesu herauszustellen, haben Paulus und seine Schüler lieber vom „Menschen" als vom „Menschensohn" Jesus Christus gesprochen (vgl. so auch in 1. Tim 2,5f., wo Mk 10,45 Par. aufgenommen wird). Der „Mensch" Jesus ist der von Gott in die Welt gesandte Gottessohn, der die Sünder insgesamt vom Fluch des Gesetzes erlösen soll (Gal 4,4). Er steht Adam, dem Sünder, als gottgesandter Erlöser gegenüber (vgl. auch u.S. 170f.). Paulus bringt mit der Gegenüberstellung von Adam und Christus seine Erörte- Β rungen über Sünde und Rechtfertigung zum Abschluß. Schon Abraham ist für den

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Apostel Stammvater aller Glaubenden (4,11 f.), aber erst von Adam aus läßt sich die Universalität der Rechtfertigung von Juden und Heiden durch den einen Gott (3,28-30) vollends evident machen. Mit dem Rückgriff auf Adam als Stammvater und Schicksalsträger kann und will der Apostel einen wirklich alle Menschen betreffenden Sachverhalt zu Bewußtsein bringen. Die personale Geschichtsbetrachtung, die Paulus schon in R o m 4 im Blick auf den „Vater" Abraham geübt hat, wird in Rom 5,12-21 fortgeführt und — typisch biblisch — zur sog. ätiologischen, d.h. begründenden, Geschichtsdarstellung ausgeweitet: Was von Adam gilt, gilt für alle. Im Blick auf den in Gen 3 geschilderten Sündenfall gilt, daß durch den einen Menschen die Sünde über die ganze (Menschen-)Welt gekommen ist. „Sünde" ist hier, in Rom 7,7ff. und auch sonst bei Paulus weit mehr als ein Einzelvergehen gegen Gottes Willen. Es handelt sich — wie bereits in Gen 3,14 ff. angedeutet — um ein über den Menschen und seine Welt kommendes tödliches Verhängnis. Einzelsünden, die Menschen begehen, sind nur Ausdruck dieser auf allen und allem lastenden Schuldverstrickung. In ihrem Gefolge ist der Tod zum Schicksal aller Menschen geworden. Der Zusatz „weil sie alle sündigten" zeigt, daß es für Paulus beim Tod nicht einfach nur um die kreatürliche Sterblichkeit geht, sondern zugleich um den Ausschluß vom ewigen Leben als Folge der Sünde. Ahnlich wie syrBar 54,19 (s.o.) meint auch Paulus, daß von Adam an alle Menschen auf ihre Weise an dem über sie gekommenen Schuldverhängnis der Sünde willentlich beteiligt sind und deshalb den Tod erleiden müssen. So deutlich der Apostel in 5,12 ff. in Sünde und Tod ein unausweichliches Menschheitsgeschick sieht, so wenig äußert er hier (oder anderweitig in seinen Briefen) den Gedanken des Erbtodes oder der Erbsünde. Diese Ansicht ist vor allem auf die Interpretation von Rom 5,12 in der lateinischen Kirche zurückzuführen. Hier hat man die lateinische Übersetzung des paulinischen „weil sie alle sündigten" mit „in quo omnes peccavèrunt" relativisch verstanden und auf Adam bezogen = „in welchem sie alle gesündigt haben". Maßgeblich wurde vor allem die Auslegung des Kirchenvaters Augustin (354-430). Er geht davon aus, „daß alle in jenem ersten Menschen gesündigt haben, weil alle damals in ihm waren, als er sündigte, und daß von daher durch die Geburt die Sünde ererbt wird" (Contra duas Epístolas Pelagianorum IV 4,7). Paulus aber will nur darauf hinweisen, daß der Tod alle Menschen ereilt hat, weil sie alle (auf je ihre Weise) gesündigt haben. Für ihn ist Sünde Schicksal und zu verantwortende Tat zugleich. Sein Rechtfertigungsevangelium ist noch ohne die dogmatische Lehre von Erbsünde und Erbtod zu interpretieren, aber dabei ist die Aussageabsicht des Apostels zu bewahren. Er weist unmißverständlich darauf hin, daß mit und seit Adam Tod und Sünde für jeden Menschen unentrinnbar sind. Kein Mensch kann sich ihnen entziehen, und zwar auch nicht dadurch, daß er einzelne gute Taten des Gehorsams vollbringt. Diese Taten mögen in sich wertvoll und recht sein, aber gegen die überindividuelle Schuldverstrickung des Menschen richten sie nichts aus. Den in V. 12 begonnenen Vergleich zwischen Adam und Christus führt Paulus erst in V. 18 ff. weiter. Er unterbricht die Gegenüberstellung, um zunächst auf die jüdisch und judenchristlich gleich naheliegende These einzugehen, das Gesetz könne einen Ausweg aus dem adamitischen Schuldverhängnis weisen. In

5,12-21: Die Herrschaft der Gnade

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Weish 10,1-2 heißt es von der (sich im Gesetz manifestierenden) Weisheit: „Sie hat den Urvater der Welt . . . aus seiner Sünde befreit und ihm die Kraft gegeben, über alles zu herrschen"; und in syrBar 85,3-4 lesen wir: „ . . . nichts haben wir jetzt, außer den Allmächtigen und sein Gesetz. Wenn wir also unsere Herzen zurechtmachen und in Stand setzen, so werden wir alles, was wir verloren haben, und viel Besseres, als was wir verloren haben, vielfältig wiedererlangen". Nach Paulus aber kommt das Gesetz vom Sinai viel zu spät, um helfen zu können, und es ist außerdem von Uranfang an zu schwach, um der Sünde zu wehren und zur Gerechtigkeit zu verhelfen (vgl. Gal 3,21; Rom 7,14ff.; 8,3). Das Schuldverhängnis der Sünde lastet bereits vor der Gesetzgebung am Sinai unentrinnbar auf aller Welt. Der einzige Unterschied zwischen der Zeit vor der Gesetzgebung und der danach ist, daß die Sünde erst seit dem Erlaß des Gesetzes jedem Menschen rechtskräftig auf sein (endzeitliches) Schuldkonto angerechnet wird (vgl. zu solcher Kontoführung Jes 65,6; Dan 7,10; äthHen 81,4; 89,62 ff.; 98,6 ff.; 104,7; Offb 20,12). Das Gesetz bringt also die Sünde juristisch auf den Begriff, aber es hilft nicht, sie zu überwinden. Vielmehr herrschte der Tod schon von Adam an bis zu Mose auch über diejenigen Menschen, die nicht — wie Adam (vgl. Gen 2,16 f.) — ein klares Gebot Gottes übertreten hatten, sondern nur des Verstoßes gegen die von Gott in die Schöpfung gelegte Lebensordnung schuldig waren (vgl. Rom 1,18ff. und syrBar 54,17f., s.o. S. 35 ff.); und die Herrschaft des Todes ist seither ungebrochen. Adam aber ist das Gegenbild des zukünftigen neuen Menschen, Jesus Christus, und dieser eröffnet das ewige Leben. — Ehe der Apostel den in V. 12 begonnenen Vergleich vollends durchführt, stellt er noch in zwei parallelen Sätzen ( - V. 15 + 16) Adam und Christus kontrastierend gegenüber und bezieht anschließend in V. 17 die eben erwähnte Herrschaft des Todes in die Gegenüberstellung mit ein. Mit Adams Übertretung und Fall verhält es sich anders als mit der Gnadengabe (Gottes in Christus). Durch den Fall des einen sind „die Vielen" unter die Herrschaft des Todes gelangt. (Der semitische Ausdruck „die Vielen", wie er z.B. Jes 53,11 f. gebraucht wird, meint die unzählbare Menge und wird deshalb von Paulus in V. 18 zutreffend mit „alle" gleichgesetzt.) Die in der Gnade bestehende Gabe Gottes übertrifft die Wirkung des Falles Adams bei weitem. Sie wurde erwirkt im Opfergang des einen Menschen ( = Menschensohnes) Jesus Christus, der „nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele dahinzugehen" (Mk 10,45 Par. vgl. mit Jes 43,3 f.; 53,11 f.). Die in diesem Opfergang beschlossene Gabe Gottes geht von anderen Voraussetzungen aus und bewirkt mehr als Adams Sünde. Gottes Urteil über Adam führte zur Verurteilung aller Menschen als Sünder. Die Gnadengabe Gottes in Christus hat zwar die Sünde aller zur Voraussetzung, führt aber dennoch kraft des Sühntodes Jesu zur Rechtfertigung, die allen Glaubenden zuteil wird. Gottes Handeln in Christus ist in seiner Wirkung viel umfassender als Adams Fall: Der Tod ist durch den Fall Adams zur Herrschaft gekommen, aber seiner Herrschaft zum Trotz werden diejenigen, die Gottes überreiche Gnade und die Gabe der (Glaubens-)Gerechtigkeit empfangen, durch Jesus Christus zur Herrschaft im ewigen Leben gelangen. An ihnen wird sich die von Jesus (in Lk 12,32; 22,28-30 Par.) gegenüber seinen Jüngern ausgesprochene Verheißung aus Dan 7,18 erfüllen; sie werden mit dem Menschensohn Jesus Christus

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1,18-8,39: Gottes G e r e c h t i g k e i t für J u d e n und H e i d e n

die Welt richten und seine Herrschaft teilen (vgl. 1. Kor 6,2; 15,23; Offb 20,4). — 18 Nachdem Paulus auf diese Weise Adams Fall mit der jesuanischen Menschensohntradition in Beziehung gesetzt (und damit seine Rechtfertigungsbotschaft aufs neue in der den römischen Christen vertrauten Lehre verankert) hat (s.o. S. 56.71), kann er den in V. 12 begonnenen Vergleich zwischen Adam und Christus zum Ziel führen. Wie es durch den Fall des Einen, d.h. Adams, für alle Menschen zur Verurteilung kam, so kommt es durch „die gerechte Tat" des anderen Einen, d.h. Jesu Christi, für alle Menschen zur Rechtfertigung, die das ewige Leben erschließt. Was gemeint ist, 19 erläutert gleich der nächste Satz: Wie durch den Ungehorsam des einen Menschen Adam „die Vielen" (s.o.) vor Gott zu Sündern wurden, so werden durch den Gehorsam Christi vor Gott alle zu Gerechten. Vom Gehorsam Christi, in dem er den Kreuzestod auf sich nahm, spricht das Christuslied Phil 2,6-11 in eindrücklicher Weise (vgl. ferner Mk 14,32-42 Par. mit Hebr 5,7-10; 12,2). Christi Gehorsam eröffnet allen die Gerechtigkeit, weil der stellvertretende Sühnetod des gerechten Gottessohnes alle Sünder vom Fluch des Gesetzes befreit, sofern sie an Jesus Christus glauben (Gal 3,13; 4,5). Mit dem wiederholten „alle" und „die Vielen" von V. 18.19 hat Paulus die Universalität der Rechtfertigung für Juden und Heiden 20 noch einmal deutlich herausgestellt (vgl. 3,20; 4,11). Er kann nunmehr auch die in V. 13 f. nur erst angeschnittene Frage nach der Funktion des Gesetzes im Zusammenhang mit der Rechtfertigung aufnehmen und beantworten: Das Gesetz verhilft nicht zur Gerechtigkeit. Wie zwischen Abraham und Christus (vgl. Gal 3,19 ff.) ist es auch zwischen Adam und Christus (am Sinai) nur „zwischenhineingekommen". Die von Gott erlassene Weisung macht die Sünde gerichtlich einklagbar (V. 13) und läßt sie in ihrer ganzen Schwere erscheinen. Das formulierte Gebot Gottes steigert die Sünde zur bewußten und offenkundigen Feindschaft gegen Gott (7,13; 8,7). Zur Überwindung der Sünde trägt es aber nichts bei. Für jüdische und judenchristliche Ohren ist dieser Satz ebenso hart wie die Formulierung von 3,20. Daß Paulus mit seiner Sicht das Gesetz als Gabe Gottes gerade nicht antasten, sondern nur verdeutlichen will, was es leistet und was nicht, hat er schon in 3,27.31 betont, und er wird es in 7,7-8,17 noch einmal ausführlich herausstellen. Im jetzigen Zusammenhang kommt es ihm aber auf den Kontrast an. Gerade dort, wo das Gesetz die Sünde zur Feindschaft gesteigert hat, ist Gottes Gnade noch viel wirksamer in Aktion getre21 ten. Sie hat die Herrschaft der Sünde, die sich im Tod äußert, durch ihr eigenes Regiment überboten, und zwar durch die Gerechtigkeit, die den Glaubenden durch Tod und Auferweckung Jesu geschenkt wird und zum ewigen Leben führt (vgl. V. 17). Die Christen, die an Jesus als ihren Versöhner und Herrn glauben, haben die Versöhnung empfangen und stehen unter der Herrschaft der Gnade Gottes. Statt noch länger unter das Verhängnis der Sünde gestellt zu sein und den Gerichtstod erwarten zu müssen, leben sie unter der Herrschaft Christi, der Gottes Gerechtigkeit verkörpert ( 1. Kor 1,30), und dürfen von der Hoffnung auf das ewige Leben erfüllt sein (vgl. V. 5).

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6,1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe

III. 6,1-8,39:

Die Gottesgerechtigkeit

als Grund und Kraft des neuen

Lebens

Nachdem der Apostel seine Erörterungen über Sünde, Gesetz, Glaube, Gerechtigkeit und Versöhnung zu einem gewissen Abschluß gebracht hat, nimmt er nunmehr Stellung zu den Grundfragen des neuen Lebens, das die Christen unter der Herrschaft der Gerechtigkeit (6,13.18) zu führen haben. Im Hintergrund steht wieder die Kritik von (judenchristlichen) Gegenmissionaren am paulinischen Evangelium. Paulus entwickelt seine Argumentation in Kap. 6 von der Taufe her, geht in Kap. 7,1-8,17 ausführlich auf die Stellung der Christen zum Gesetz ein und skizziert ab 8,18 die Perspektiven der Hoffnung, in der die um Christi willen leidenden Gerechtfertigten stehen. Die Hauptthemen von 6,1-8,39: Leben unter der Herrschaft der Gnade, Gesetz und Hoffnung, sind in 5,17.21 ; 5,13 f.20 und 5,4.17 bereits vorgegeben.

1. 6,1-23:

Die Freiheit von der Macht der Sünde und der Dienst an der

Gerechtigkeit

Mit seinen Äußerungen über Rechtfertigung und Versöhnung in Kap. 5 hat Paulus sofort wieder jene Kritiker auf den Plan gerufen, die seine Verkündigung der christlichen Freiheit (Gal 5,1) angreifen und dem Apostel bis nach Rom die Predigt der billigen Gnade gegenüber den Heiden vorwerfen (vgl. 3,8). Diese Einwände sind für den Apostel von solchem Gewicht, daß er sie in 6,1 und 15 wieder direkt aufnimmt und ausführlich widerlegt. Er geht dabei von der in Rom herrschenden Anschauung von Taufe und Taufbekenntnis aus, um erneut zu demonstrieren, daß sein Evangelium mit der Lehre übereinstimmt, die den römischen Christen teuer ist.

1.16,1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe 1 Was sollen wir nun sagen? „Laßt uns bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme !" ? 2 Mitnichten ! Wir, die wir der Sünde abgestorben sind, wie sollten wir noch in ihr leben? 3 Oder wißt ihr nicht, daß wir, die auf Christus Jesus getauft sind, in seinen Tod hinein getauft wurden? 4 Wir wurden zusammen mit ihm durch die Taufe in den Tod begraben, damit, gleichwie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln. 5 Wenn wir nämlich verbunden sind mit der Gleichgestalt seines Todes, werden wir es auch mit der (seiner) Auferstehung sein; 6 denn dies wissen wir, daß unser alter Mensch zusammen (mit ihm) gekreuzigt worden ist, um den Leib (der von) der Sünde (bestimmt ist) zu vernichten, so daß wir nicht mehr der Sünde dienen. 7 Denn wer gestorben ist, ist von der Sünde losgesprochen. 8 Wenn wir aber zusammen mit Christus gestorben sind, glauben wir, daß wir auch zusammen mit ihm leben werden, 9 denn wir wissen, daß Christus, auferweckt von den Toten, nicht mehr stirbt; der Tod ist nicht mehr Herr über ihn. 10 Sofern er gestorben ist, ist er für die Sünde ein für allemal gestorben, sofern er lebt, lebt er für Gott. 11 Ebenso erachtet auch ihr euch als tot für die

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1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Sünde und als lebendig für Gott in Christus Jesus. 12 Es herrsche also die Sünde nicht (mehr) in eurem sterblichen Leibe, um seinen Begierden zu gehorchen, 13 und stellt eure Glieder (auch) nicht (mehr) der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit zur Verfügung, sondern stellt euch Gott zur Verfügung als von den Toten Lebendige und eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit für Gott. 14 Die Sünde soll keinesfalls mehr Herr über euch sein, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. A

Mit 6,1 beginnt Paulus einen neuen Gesprächsgang. Die Stichworte „Sünde", „Christus Jesus", „Gerechtigkeit", „herrschen" usw. zeigen freilich, daß der Apostel auf der Grundlage seiner Ausführungen in 5,12-21 argumentiert. — In V. 1 führt Paulus die aus 3,8 bekannte gegnerische These in neuer Formulierung an und stellt ihr in V. 2 seine eigene Gegenthese gegenüber. Diese Gegenthese erläutert er in V. 3-10, um sie in V. 11 zu bekräftigen. In V. 12-14 zieht er dann aus dieser Bekräftigung ermahnende Schlußfolgerungen. — In V. 3.6 und V. 9 erinnert Paulus die römischen Christen an die Taufe, die sie empfangen haben, und an das (anläßlich der Taufe von ihnen übernommene) Christusbekenntnis. Der Apostel kommt auf die Gestalt der in Rom anerkannten (Tauf-)Lehre in V. 17 noch eigens zu sprechen. Aber schon seine Formulierungen von V. 2ff.: „der Sünde abgestorben", „auf den Tod Christi getauft", „mit ihm in den Tod begraben", „in der Neuheit des Lebens wandeln, wie Christus auferweckt wurde von den T o t e n " , „mit (Christus) gekreuzigt", „Christus, auferweckt von den Toten", „ein für allemal der Sünde gestorben" usw. lassen erkennen, um welches Bekenntnis es sich handelt. Es geht aller Wahrscheinlichkeit nach um jene Zusammenfassung des Taufunterrichts, die Paulus schon in 1. K o r 15,3 ff. zitiert (und die ihrer alten Formulierung nach bereits auf die Jerusalemer Urgemeinde zurückzugehen scheint): „Christus ist für uns gestorben nach der Schrift und wurde begraben, und er ist auferweckt worden am dritten Tage nach der Schrift und ist dem Kephas ( = Petrus) erschienen, danach den Zwölfen" . Wie Paulus selbst haben auch die Christen in Rom dieses alte Lehr-Bekenntnis (anläßlich der Taufe) übernommen. Ebenso wie der Apostel, der die Taufe in Damaskus empfangen hat (vgl. Apg9,10-19; 1. Kor 12,13), sind auch die römischen Christen „auf Christus Jesus", d.h. auf den Namen Jesu, getauft worden, in dem das ganze Heilswerk Gottes beschlossen ist (vgl. Apg 4,12). In ihrer Taufe haben sie am Geschick des Menschensohnes und an der Frucht seines Sühnetodes teilgenommen: Sie sind gestorben wie er, durch ihn entsühnt und können nun als „aus den Toten Lebendige" (V. 13) kraft des Hl. Geistes in der Neuheit des Lebens wandeln und auf die endzeitliche Teilhabe an der Auferstehungsherrlichkeit Christi hoffen. Paulus bestärkt die Römer in dieser Taufanschauung. Von einem schwärmerischen Taufverständnis, das Paulus angeblich in Rom 6,2 ff. in die Schranken verweist, wissen wir in Rom historisch nichts (vgl. Exkurs IX, u. S. 90ff.). Der Text weist auf einen ganz anderen Sachverhalt hin. Weil Paulus seit seiner Antiochener Missionszeit bei der Taufe der Heiden auf die Beschneidung verzichtet und ihnen die Freiheit vom Gesetz verkündigt hat, ist seine Lehre seinen Gegnern verdächtig; mit seiner Taufpraxis leistet er ihrer Meinung nach in den Gemeinden der Sünde Vorschub und macht Christus zum alles verzeihenden „Diener der

6,1-14: Der Herrschaftswechsel in der Taufe

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Sünde" (Gal 2,17). Paulus greift diese Vorwürfe auf und demonstriert, daß für ihn die mit der Taufe aufgerichtete Herrschaft der Gnade in den Dienst an der Gerechtigkeit mit dem Ziel der Heiligung stellt (vgl. V. 19). Wie auch sonst im Römerbrief (vgl. 3,5; 4,1; 7,7; 9,14) führt Paulus mit der rhetorischen Frage „Was sollen wir nun sagen?" eine Behauptung ein, die er anschließend zurückweist. Die Behauptung geht offenbar auf Vorwürfe seiner „Verlästerer" (3,8) zurück. Sie stoßen sich an der die Christen scheinbar zur Gesetzlosigkeit verleitenden Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christus, wie der Apostel sie gerade eben erst wieder in Kap. 5 entfaltet hat, und unterstellen ihm böswillig die Lehre: ,Laßt uns bei der Sünde bleiben, damit die Gnade zunehme!' Paulus wehrt die ihm unterschobene Meinung ebenso deutlich ab wie in 3,8 und stellt sich mit seiner Argumentation in der „Wir"-Form bewußt an die Seite seiner Adressaten: Wie sollten wir, die wir (durch Christus) der Sünde abgestorben sind, noch in ihr leben wollen!? Zum Beweis kommt er auf die Taufe zu sprechen, und zwar in der Form einer Erinnerung. Die Christen in Rom wissen doch wohl noch, daß Taufakt und Taufbekenntnis die Täuflinge ganz ihrem für sie gestorbenen und auferweckten Herrn zuordnen. Als Bekehrungs- und Erwachsenentaufe — die Kinder- oder Säuglingstaufe wurde z.Z. des Neuen Testaments kirchlich noch nicht allgemein geübt — kam die Taufe urchristlich einem echten Existenzwandel gleich. Der Täufling wurde in fließendem oder stehendem Wasser ganz untergetaucht und im „Bad der Wiedergeburt" (Tit 3,5) von seinen Sünden gereinigt (vgl. Apg8,36ff.; 22,16; Eph 5,26). In 1. Kor 6,11 deutet Paulus den Taufvorgang auf Abwaschung von Sünden, Heiligung und Rechtfertigung durch den Namen des Herrn Jesus Christus und den Geist Gottes. Ganz ähnlich hier: Durch die Taufe gewinnen die Täuflinge Anteil an dem Christusgeschehen, wie es im Taufbekenntnis nacherzählt wird. Jesus Christus ist der messianische ,,Mensch"(ensohn) (vgl. oben zu 5,15 ff.), dessen Geschick alle Glaubenden betrifft, weil der Menschensohn nach Dan 7,13.18.27 die „Heiligen des Höchsten", d.h. das Israel Gottes, insgesamt verkörpert. Folglich gilt für die Taufe auf den Namen des Christus Jesus: Sie gibt Anteil an Jesu Sterben „für unsere Sünden", seiner Grablegung und seiner Auferweckung am dritten Tage (1. Kor 15,3-5). Die Täuflinge werden durch Jesu Sühnetod von ihrer alten Existenz unter der Sünde befreit und am Leben des für sie auferweckten Christus beteiligt. Die Christen sind durch ihre Taufe zusammen mit Christus in den Tod hinein begraben, um, ebenso wie er durch die herrliche Macht Gottes auferweckt wurde (vgl. 2. Kor 13,4), auch selbst aus der Kraft Gottes heraus in der Neuheit des Auferstehungslebens zu wandeln (vgl. ebenso 7,4.6). Der damit nur erst umschriebene Sachverhalt ist dem Apostel so wichtig, daß er ihn in zwei einander genau entsprechenden Satzgruppen, V. 5-7 und 8-10, weiter erläutert. Dabei setzt er seine Worte mit Bedacht: Wenn wir mittels der Taufe „verbunden worden sind mit der Gleichgestalt seines (d.h. Jesu) Todes, werden wir es auch mit der (seiner) Auferstehung sein". Zwar sind die Täuflinge nicht wie Jesus selbst auf Golgatha gekreuzigt, nahe bei der Schädelstätte begraben und dort am dritten Tage von den Toten auferweckt worden (vgl. Mk 14,21-16,8 Par.), aber sie haben in ihrer Taufe Tötung und Auferweckung genauso erfahren wie ihr Herr. Anders als in 1. Kor 6,11 und in Rom 8,30 (Kol 2,13; Eph 2,5 f.) sagt Paulus in unserem Zusammenhang nicht einfach: Wir

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

sind schon mit Christus auferweckt und verherrlicht, sondern er unterscheidet bewußt zwischen Glaubensleben und Auferstehungsexistenz und schreibt: Wir werden der Auferstehung noch teilhaftig werden wie er, bzw.: „Wir glauben, daß wir mit Christus leben werden" (V. 8). Der Grund für diese Formulierung liegt nicht (wie in Korinth, vgl. 1. Kor 10,1-13) in der Sorge des Apostels, die römischen Christen könnten sich kraft ihrer Taufe bereits geistlich in die Auferstehungsherrlichkeit entrückt und damit aller irdischen Sorgen und Verpflichtungen ledig dünken, sondern in der Kritik seiner Gegner an der paulinischen Taufpredigt (s.o.). Auch im Römerbrief hält Paulus unbeirrt daran fest, daß die Christen durch Christus bereits gerechtfertigt und von Gott zur Verherrlichung an der Seite ihres Herrn bestimmt sind (vgl. 5,18 ff.; 8,30). Aber er bemüht sich gleichzeitig darum, deutlich zu machen, daß ihnen aus ihrer Teilhabe an Jesu Tod und Auferweckung Verpflichtungen erwachsen. Die mit der Taufe über den Täuflingen errichtete Herrschaft der Gnade verlangt den Christen in ihrem Warte- und Werdestand zwischen ihrer Lebenswende im Glauben und der Wiederkunft Christi Taten der Bewährung und des Gehorsams ab. Der Apostel skizziert deshalb in unserem Kapitel gleichzeitig mit der Tauferinnerung auch die Grundzüge seiner Taufermahnung (die auch in 1. Kor 6,9f. schon angedeutet werden). Die Christen sollen sich daran erinnern, daß ihr altes Selbst mit Christus ans Kreuz geschlagen worden ist. Ihr alter, der Sünde preisgegebener und ergebener Leib hat an Christi Kreuz das Todesgericht erfahren, damit die Christen der Sünde nicht mehr dienstbar sein müssen. Vom „Leib" des Menschen spricht Paulus in seinen Briefen dann, wenn es um die Kommunikationsverhältnisse des Menschen im guten oder bösen Sinne geht, d.h. um das, was der Mensch anderen gegenüber anrichtet und ausrichtet. Mit dem der Sünde ergebenen Leben hat es nach Paulus für die Getauften ein Ende. Eine verbreitete jüdische Sentenz lautet: „Alle, die sterben, erlangen durch ihren Tod Sühne" (Sifre Num § 112 zu Num 15,31). Paulus wendet diesen Grundsatz auf die Taufe an: Wer (mit Christus) gestorben ist, ist (kraft des Sühntodes Jesu) losgesprochen von der Sünde (zum Sprachgebrauch vgl. auch den griechischen Text von Sir 26,29; TestSim 6,1; Lk 18,14). Der Sühntod Jesu befreit von der Sünde und vom Zwang, sündigen zu müssen. — In den nachfolgenden Sätzen, die genau parallel zu V. 5-7 aufgebaut sind, begründet der Apostel seine Sicht noch einmal im Blick auf Jesus Christus: Wenn wir (in der Taufe) zusammen mit Christus gestorben sind, stehen wir in der Glaubenshoffnung auf das ewige Leben an Jesu Seite (vgl. 5,17). Dieser Glaube ist begründet in dem Wissen, daß Christus durch Gott von den Toten auferweckt und damit der Herrschaft des Todes für immer entrissen worden ist. Die Christen vertrauen darauf, in dieses „für uns" geschehene Gotteshandeln (vgl. 4,24 f.) einbezogen zu sein und auferweckt zu werden wie Jesus auch (vgl. 1. Thess 4,14). Der auferstandene Sohn Gottes ist der Sünde ein für allemal abgestorben. Die Sünde führt zum Tode des Sünders (5,12); Jesus aber ist als Gerechter in Gehorsam gegenüber Gottes Willen gestorben (5,18); folglich hat die Sünde ein für allemal ihr Recht an Jesus verwirkt (Rom 8,3). Der Tod mußte Jesus freigeben für das Leben vor Gott. Mit diesem Satz geht Paulus zur direkten Anrede der Christen von Rom über. Was für Jesus gilt, gilt ebenso für diejenigen, die in ihm sind und für die er gestorben ist: Die Christen sollen und dürfen sich als Geschöpfe Gottes verstehen,

6,15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit

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die wie Jesus dem Anspruch der Sünde gegenüber tot, aber für Gott neu lebendig geworden sind. In und durch Christus sind die Getauften „neue Geschöpfe" (2. Kor 5,17). Ihre Aufgabe ist es deshalb, ihrem neuen Sein durch Taten des Gehorsams nun auch gerechtzuwerden. Paulus kennt die kirchliche Lehre von der „Erbsünde" noch nicht (s.o. S. 80). Aber ihm ist durchaus bewußt, daß die von der Sünde befreiten Christen zeit ihres irdischen Lebens versuchlich bleiben und in den Kampf mit der Sünde, den Begierden und den Mächten des Todes verwickelt sind. Wie Christus in den Himmeln noch gegen die widergöttlichen Mächte mit Einschluß des Todes kämpfen muß (1. Kor 15,25 f.), sind auch die Christen auf Erden noch in den Kampf mit jenen Gewalten verwickelt. Deshalb ruft der Apostel die 12 Christen von Rom auf, den Herrschaftsansprüchen der Sünde auf ihren noch sterblichen Leib zu widerstehen und den Begierden des Leibes nicht zu willfahren. Wie verheerend die Begierden für die Heiden geworden sind und werden können, hat er in 1,24 ff. (plakativ) ausgeführt (vgl. ferner Gal 5,16-21). Die Christen sollen ihre 13 Glieder, d.h. sich selbst in ihrer dienstfähigen Leiblichkeit, nicht mehr der Sünde als Waffen des Unrechts zur Verfügung stellen, sondern sie sollen sich — als durch Gott von den Toten ins neue Leben gerufene Geschöpfe! — Gott zur Verfügung stellen und Vorkämpfer der Gerechtigkeit sein, die Gottes Willen entspricht. Seit ihrer 14 Taufe auf Christi Namen hat die Sünde ihr Herrschaftsrecht gerade an den Getauften verwirkt. Sie leben nicht mehr unter dem todbringenden Schuldspruch des Gesetzes, das die Sünde juristisch auf den Begriff bringt und in ihrer Unüberwindbarkeit deutlich macht (5,13.20), sondern unterstehen der von Jesus heraufgeführten und ausgeübten Herrschaft der Gnade Gottes (vgl. 5,21). 1.2 6,15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit 15 Was nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen? Mitnichten! 16 Wißt ihr nicht: Wem ihr euch als Sklaven zum Gehorsam zur Verfügung stellt, dessen gehorsame Sklaven seid ihr, entweder der Sünde zum Tode, oder des Gehorsams zur Gerechtigkeit? 17 Dank aber sei Gott (dafür), daß ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid der Gestalt von Lehre, der ihr übergeben worden seid; 18 befreit von der Sünde, seid ihr zu Sklaven für die Gerechtigkeit gemacht worden! 19 Auf Menschenweise sage ich das wegen der Schwachheit eures Fleisches. Wie ihr nämlich eure Glieder als Sklaven der Unreinheit und Gesetzlosigkeit zur Verfügung stelltet zum Zweck der Gesetzlosigkeit, so stellt nun eure Glieder als Sklaven der Gerechtigkeit zur Verfügung zum Zweck der Heiligung. 20 Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei gegenüber der Gerechtigkeit. 21 Doch was für Frucht hattet ihr damals? (Früchte) über die ihr euch jetzt schämt, denn ihr Endergebnis (ist) Tod. 22 Jetzt aber, da ihr befreit seid von der Sünde, aber zu Sklaven für Gott gemacht worden seid, habt ihr eure Frucht zur Heiligung, als Endergebnis aber ewiges Leben. 23 Denn der Sold der Sünde (ist) Tod, die Gnadengabe Gottes aber (ist) ewiges Leben durch Christus Jesus, unseren Herrn. Die Struktur des Abschnitts ist klar: In V. 15 wiederholt Paulus den Einwand A von 6,1 und weist ihn in zwei Argumentationsgängen (V. 15-18 und 19-23) zurück, die inhaltlich z.T. parallel lauten. — In V. 17 sind die Worte: „Ihr seid von Herzen

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gehorsam geworden der Gestalt von Lehre, der ihr übergeben worden seid" z.T. als Randbemerkungeines späteren Abschreibers des Römerbriefes erklärt worden; der Textbestand in den ältesten und besten Handschriften des Römerbriefes bietet aber für diese Vermutung keinen Anhalt. Die Formulierung von V. 17 wird vielmehr sehr gut verständlich, wenn man bedenkt, daß bei der urchristlichen Mission den im Aufbau befindlichen Gemeinden ein gewisses Maß an ausformulierter Glaubenslehre vermittelt wurde, die für die Christen Richtschnur des Denkens und Lebens war. Paulus verweist auf solche apostolische Lehre in 1. Kor 11,23; 15,1-11. Was das Verhalten der Christen anbetrifft, erinnert er in 1. Thess 4,1-3 daran, daß die Thessalonicher von ihm „überliefert bekommen haben, wie ihr wandeln und Gott gefallen sollt", und er fügt hinzu: „denn der Wille Gottes besteht in eurer Heiligung". Dies klingt sehr verwandt mit Rom 6,17 ff. An der von Paulus selbst „Evangelium" genannten Lehrüberlieferung von 1. Kor 15,3-5 hängen, wie er in 1. Kor 15,1-2 ausführt, Glaube und Heil der Christen von Korinth. Aus den Anspielungen in Rom 6,2 ff. ergab sich, daß dieselbe Uberlieferung auch den Glauben der römischen Christen bestimmt (s.o. S. 84). Der Vergleich von 6,17 mit 10,9f. führt zusätzlich auf Bekenntnisformulierungen wie 1. Kor 12,3 und Rom 4,25. Paulus spielt also in V. 17 auf die Glaubenslehre an, die den Christen von Rom im Taufunterricht von den Missionaren gelehrt worden ist, die das Evangelium vor Paulus nach Rom gebracht haben. Der Apostel kommt noch einmal auf die schon in 6,1 (und 3,8) erwähnten Vorwürfe seiner Kritiker zu sprechen. Die ihm unterschobene Losung: „Laßt uns sündigen, weil wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen!" ist infam und theologisch absurd! Zur Widerlegung appelliert der Apostel zunächst an das Erfahrungswissen in Rom und wendet dies dann auf die Taufe an. Aus ihrer Anschauung der Sklavenmärkte und eigenen Erfahrungen mit der Sklaverei (vgl. zu 16, lOf.) wissen die römischen Christen genau, daß ein Mensch, der sich in die Sklaverei verkauft, seinem Herrn strikten Gehorsam schuldet. (Selbstverkauf in die Sklaverei kam in Rom und anderswo durchaus vor, vgl. z.B. 1. Clem 55,2). Die beiden „Herren", die für die Christen angesichts der Taufe in Frage kommen, heißen „Sünde" und „(Glaubens-)Gehorsam", „Gerechtigkeit" (V. 18 f.) oder „Gott" (vgl. V. 22). Wer Sklave der Sünde ist, erntet für sein Verhalten den Tod (5,21). Wer „Sklave des Gehorsams" wird, gewinnt Gerechtigkeit. Die seltsame Formulierung erklärt sich, wenn man an 1,5 und 15,18 denkt: Der Gehorsam, den Paulus meint, ist der Gehorsam des Glaubens. Er umschließt die Umkehr zu dem allein wahren Gott, die Annahme des Evangeliums und den Tatgehorsam der Liebe (s.o. S. 71ff.). Wie Paulus in Gal 1,23; 3,25 die ganze Heilsbotschaft in das eine Wort „Glaube" zusammenfaßt, stellt er hier den ganzen Weg der Christen unter das Vorzeichen „Gehorsam". Kraft ihres vom Evangelium durch den Hl. Geist geweckten Glaubensgehorsams werden die Christen der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig (vgl. 2. Kor 5,21; Rom 3,26). Gott sei Dank aber ist für die Christen von Rom die Alternative Sünde oder Gerechtigkeit nicht mehr offen. Die Frauen und Männer, die jetzt Christen sind, waren zwar einst Sklaven der Sünde und damit sicher dem Gerichtstod geweiht. Aber sie sind anläßlich ihrer Taufe „von Herzen", d.h. nach biblischer Anthropologie vom Grunde ihres menschlichen Wesens her (vgl. zu

6,15-23: Der Dienst an der Gerechtigkeit

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10,8 f.), einer Gestalt von Lehre gehorsam geworden, die ihnen Versöhnung und Rechtfertigung eröffnet (vgl. 5, l.lOf.). Bei dieser Lehre handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem um das „Evangelium", auf das Paulus in l.Kor 15,1-11 zu sprechen kommt (s. o). Es ist den römischen Christen von ihren Missionaren vermittelt worden, oder noch besser: sie sind anläßlich ihrer Taufe dieser Lehre, die eine Macht darstellt (vgl. 1,18), „übergeben" worden. Das Evangelium erscheint hier in der Funktion einer lebensbestimmenden dogmatischen Autorität. Seit der Taufe bestimmt es das Leben der römischen Christen ganz. Paulus äußert Gott Dank dafür, daß er die Christen in Rom zum Glauben an die Lehre des Evangeliums bewegt hat. Indem er ausdrücklich sein Einverständnis mit dieser Lehre erklärt, legt er den Grund für die seinen Brief (in 16,17) beschließende Warnung, die Christen von Rom möchten sich vor jenen Leuten hüten, die „Spaltungen und Ärgernisse im Vergleich mit der Lehre bereiten, die ihr erlernt habt". Nicht der Apostel ist es, dem die römischen Christen mißtrauen müssen, sondern jene „Verlästerer" (3,8), die ihm falsche Anschauungen unterschieben und damit Unruhe in die (Haus-)Gemeinden von Rom bringen! Zum Beschluß des ersten Argumentationsganges formuliert Paulus kraß und deutlich: Die Christen sind (durch Christus) befreit worden von der Macht der Sünde. Dies ist aber nicht geschehen, damit sie fortan einen Freibrief zum Sündigen hätten, sondern um in den Sklavendienst gegenüber der von Gott gewollten Gerechtigkeit gestellt zu sein (vgl. ähnlich l.Petr 2,16). Der Apostel setzt nun zu einer zweiten, noch etwas differenzierteren Erklärung des Herrschaftswechsels an, den die Christen von Rom mit ihrer Taufe erfahren haben. Er argumentiert dabei mit dem für die Taufpredigt typischen Gegensatz von „einst" und „jetzt" und spricht von der „Heiligung", die den Getauften kraft des Sühnetodes Jesu zuteilgeworden ist und nun ihren Lebensweg bestimmt (vgl. zu beidem 1. Kor 6,11). Um die von ihm bisher gelobten Briefempfänger (vgl. 1,8 und 7,1; 15,14; 16,19) mit der Erinnerung an das „Einst" nicht zu verletzen, beginnt Paulus mit der Bemerkung, er formuliere menschlich „wegen der Schwachheit eures Fleisches". Er erinnert an die Vergangenheit nicht aus Gründen der Kritik, sondern um die Versuchlichkeit der Gemeindegenossen bewußt zu machen (vgl. Mk 14,38 Par.). Die Heiligung ist die Überwindung dieser auch den Christen noch anhaftenden Schwäche. Einst haben die römischen Christen ihre Glieder der „Unreinheit" = Unsittlichkeit (vgl. 1,24) und der „Gesetzlosigkeit" anheimgegeben, d.h. einem Wandel, der mit Gottes Geboten nichts zu tun hatte. Das Ergebnis war gottloses, frevlerisches Tun. Daß der Apostel bei solcher Beschreibung in den Römern bekehrte Heiden sieht, ist angesichts von 1,18-32 und 1. Kor 6,9 f. offenkundig; Juden(-Christen) gegenüber argumentiert er anders (vgl. 2,1-24 und Gal 2,15 ff.). Einst waren die römischen Christen gottlose Frevler, jetzt aber (d.h. seit ihrer Taufe) haben sie ihre Glieder der Gerechtigkeit überantwortet, die Gott selbst übt und seinem Volk anbefiehlt. Paulus trifft sich hier mit Mt 6,33 und steht ganz in alttestamentlich-jüdischer Tradition (vgl. Ps 15,2; Ezl8,5ff.; TestDan 6,10). Ohne alle Sorge vor christlicher „Werkgerechtigkeit" mutet Paulus den getauften Christen einen gerechten Lebenswandel zu und bezeichnet als seinen Zweck die Heiligung. Der Lebenswandel in gottgefälliger Heiligkeit ist die

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

mit der Taufe eröffnete Gabe und Pflicht der Christen (vgl. l . T h e s s 4 , 3 - 8 und 1. Petr 1,14ff.). Von Christus entsühnt und geheiligt, haben die Glaubenden nun als „Heilige" zu leben; Rechtfertigung und Heiligung durch Christus (1. Kor 1,30) führen zur Heiligung des Lebens, und dieses hat im Dienst an der Gerechtigkeit, die Gott liebt, sein ethisches Erkennungsmerkmal (vgl. ebenso: 1. Petr 2,24). Einst standen die Christen von Rom als Sklaven der Sünde nicht im Dienst der Gerechtigkeit. Aber ihr damaliges Treiben zeitigte dabei auch eine Frucht, derer sie sich nunmehr schämen und die ihnen im Ergebnis nur den Tod im Gericht einbrachte (vgl. 1,32). Jetzt aber, da sie vom Herrschaftsanspruch der Sünde befreit und durch Christus neu in den Dienst des gerechten Gottes gestellt sind, zeitigt ihr Leben Frucht, die zur Heiligung dient, und das Ergebnis heißt ewiges Leben an der Seite Jesu (vgl. 5,17). Die Heiligung selbst und das ewige Leben bleiben bei aller ethischen Anstrengung, die den Getauften abverlangt wird, doch Gabe Gottes (vgl. Phil 2,12f.). Die Sünde zahlt ihren Söldnern im Endeffekt nur mit dem Tod im Gericht, während Gottes Gnadengabe für die in seinem Dienst Stehenden in dem durch Christus Jesus vermittelten ewigen Leben besteht. Dieser vermittelt das ewige Leben, indem er für die Sünder in den Tod gegangen ist, als auferstandener Herr (im Geist) in den Glaubenden wirksam ist (vgl. Gal 2,20) und für die Seinen vor Gott Fürbitte leistet bis hin zum Endgericht (8,33 f.). Mit dieser klaren Beschreibung des Lebens der getauften Christen als Dienst an der Gerechtigkeit, die Gottes Wille ist, hat Paulus den ihm von Galatien bis nach Rom nachspürenden Kritikern seiner Taufpredigt den Wind aus den Segeln genommen. Paulus verkündigt nicht die billige, sondern die anspruchsvolle Gnade Gottes!

Exkurs IX: Das Verständnis der Taufe Paulus erinnert in Rom 6,1 ff. die römischen Christen an ihre Taufe und gibt dabei selbst ein denkbar hohes Verständnis der Taufe zu erkennen. Bei der Taufe werden die Täuflinge der verbindlichen Lehre des von Gott offenbarten Evangeliums „übergeben" (6,17), und sie werden zugleich an Gabe und Auftrag des Evangeliums beteiligt. Die Taufe ist der symbolische Vollzug des Evangeliums an den Täuflingen. Paulus selbst wurde nach seiner Berufung zum Apostel in Damaskus getauft (vgl. Apg9,17f.; l . K o r 12,13). Seither hatte er Gelegenheit, sich die Tauflehre und -predigt der christlichen Missionsgemeinden anzueignen. Seine langjährige Missionstätigkeit unter den Heiden und die intensive Wirksamkeit von Antiochien aus (vgl. Apg 11,25-15,35) machen es wahrscheinlich, daß die in den Paulusbriefen auftauchenden Taufformeln und -texte vor allem aus dem Bereich des antiochenischen Missionschristentums stammen. Es handelt sich um l . K o r 6 , 1 1 ; 12,13 (und Gal 3,28; Kol 3,10f.); Rom 3,25f.; 4,25; 8,29; Kol 3,12f., die Rede und Anschauung vom Taufen „auf den Namen" Christi (1. Kor 1,13-15 vgl. mit Apg 2,38), von der Taufe als „Versiegelung" mit dem Hl. Geist (2. Kor 1,21 f.), ferner um das Taufbekenntnis und die grundlegende Glaubenslehre (1. Kor 12,3; 15,1 ff.; Rom 6,17; 10,9f.) sowie die Grundzüge der Tauf- und Bekehrungspredigt (1. Thess l , 9 f . vgl. mit Hebr 6,1 f.; l . K o r 6,9-11; E p h 2 , l f f . ; Kol 3, Iff. usw.). Auch den Taufakt in

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Form des Untertauchens in stehendem oder fließendem Wasser (vgl. Apg 8,36 ff.; 1. Kor 10,2) hat der Apostel vollzogen wie die Missionare vor und neben ihm. Er bedeutet für ihn die Beteiligung an Jesu Tod und die Abwaschung der Sünden (1. Kor 6,11; Rom 6,3f.). Uber den Ursprung der christlichen Taufe äußert sich Paulus nicht näher. Aber seine Verbindungen zu Petrus und den Lehrern in Antiochien machen es wahrscheinlich, daß er ihn sah wie sie auch: An der Wiege der christlichen Taufe stand zunächst Johannes der Täufer mit seiner Bußtaufe, die nicht nur die Evangelien (Mk 1,4 ff. Par.), sondern auch der jüdische Schriftsteller Josephus (Ant 18,116 ff.) erwähnen. Johannes übte seine Bußtaufe nicht zufällig in der Tracht des Propheten Elia(vgl. Mk l,6Par. mit 2. Kön 1,8) am Jordan. Nach der Prophetentradition entspricht der Jordan den Fluten des Schilfmeeres, das sich für Israels Durchzug öffnete (vgl. 2. Kön 2,14 mit Ex 13,17-14,31). Bei der Johannestaufe wurden die Bußfertigen in die (den) Chaosfluten „ein- bzw. untergetaucht" und mit ihrem Wiederauftauchen in Reinheit vor den kommenden Gott gestellt (H. Gese). Paulus selbst deutet diesen heilsgeschichtlichen Entsprechungsvorgang in 1. Kor 10,Iff. an. Jesus und einige seiner späteren Jünger (vgl. Joh l,35ff.) haben sich der Johannestaufe unterzogen. Die Jesus dabei zuteilgewordene Geisterfahrung markiert den Beginn seines öffentlichen Wirkens als messianischer Gottes- und Menschensohn (vgl. Mk 1,9-11 Par.). Von seiner Taufe hat Jesus seinen Vollmachtsanspruch und Leidensauftrag hergeleitet (vgl. Mk 11,27-33 Par. und Mk 10,38; Lk 12,50); Jesu gesamtes Wirken kann auf diese Weise von seiner Taufe her verstanden werden. Für die Jesusjünger wurde Jesu Taufe mit Wasser und Geist zum Urbild der christlichen Taufe überhaupt. Aufgrund ihrer Wieder- und Neubegegnung mit dem Auferstandenen begannen sie im Rückblick auf die mit der Passion vollendete Sendung Jesu und ergriffen vom Hl. Geist, (in Entsprechung zur Taufe des Johannes) „auf den Namen Jesu Christi" zu taufen, d.h. auf das Werk und die gegenwärtige Wirksamkeit des gekreuzigten und auferstandenen Christus hin (vgl. Apg 2,38 ff.). Kraft dieser Taufe werden die Täuflinge von ihren Sünden gereinigt, mit dem Hl. Geist beschenkt und dem neuen Gottesvolk zugeordnet, das seinen Kern in der christlichen Gemeinde hat (vgl. Ez 36,24 ff. ; Apg 2,41 ff.). Philippus spendete die Taufe sogar einem verschnittenen Äthiopier, der um seiner Versehrtheit willen nach jüdischer Anschauung kein vollwertiges Mitglied der (jüdischen) Kultgemeinde werden konnte (vgl. Apg 8,26ff. mit Jes 56,3 ff.). Durch Petrus und antiochenische Missionare wurde die Taufe dann auch Heiden gewährt, ohne sie noch zur Beschneidung und Übernahme des mosaischen Gesetzes zu nötigen (vgl. Apg 10,44ff.; 11,20f.). Der in Antiochien für die Gemeindeglieder neu aufkommende Name „Christen" (Apg 11,26) verrät ein für das Verständnis der Taufe im Urchristentum grundlegendes Phänomen: Die Getauften wurden sehr rasch als „Christen" sowohl von den Juden als auch von den Heiden unterschieden. Mit der Taufe mußten sich die an Jesus Christus Glaubenden von ihren alten Bindungen und Verbindungen lösen. Sie traten in eine Glaubensgemeinschaft mit neuen Lebensdimensionen ein. Wahrscheinlich hat man auch in Antiochien zuerst erfahren und dann programmatisch formuliert, daß mit der neuen Christusbeziehung aller Gemeindeglieder die bisher gültigen und die

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1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit f ü r J u d e n und H e i d e n

Menschen voneinander trennenden religiös-sozialen Vorrechte und Benachteiligungen von J u d e n und Heiden, Sklaven und Freien, Männern und Frauen nicht mehr maßgeblich waren (vgl. Gal 3,27f.; l . K o r 12,13; Kol 3,11). Die Taufe war für die „Christen" wirklich „das zentrale,Datum' des Anfangs, das alles christliche Leben und Denken bestimmte" (U. Wilckens). Die Säuglings- und Kindertaufe stand auch bei der Taufe ganzer „Häuser", d. h. Familien (vgl. Apg 10,44.48; l l , 1 4 f f . ; 16,15; l . K o r 1,16), noch nicht als spezielle Aufgabe vor Augen. Paulus trat das Erbe dieser Tauftraditionen an. Auch er tauft „auf den Namen" des gekreuzigten und auferstandenen Christus (1. Kor 1,13 ff.); auch für ihn reinigt die Taufe von Sünden und läßt den Menschen neu werden ( l . K o r 6 , 1 1 ; 2. Kor 5,17); auch nach Paulus gewinnen die Täuflinge Anteil am Hl. Geist und werden als neue Menschen in die (Lebensgemeinschaft der) Heilsgemeinde eingegliedert, die er „Leib Christi" nennt (1. Kor 12,13). In 1. Kor 1,1 Iff. kritisiert Paulus, daß sich in Korinth unter Berufung auf die Taufe und Lehre einzelner Apostel und Missionare Gruppen bilden, die miteinander streiten und wetteifern. In 1. Kor 10 warnt er die Korinther davor, sich um ihrer Taufe willen gegen Sünde und Verderben gefeit zu wähnen, läßt aber den seltsamen Brauch der stellvertretenden Taufe für die Toten (1. Kor 15,29) hingehen. Alle drei Male scheinen die Korinther doch noch gewisse religiöse Anschauungen aus ihrer heidnischen Vergangenheit und Umgebung auf ihr neues Christentum übertragen zu haben. Ob sie sich dabei aber speziell an das Vorbild der weitverbreiteten heidnischen Mysterienvereine gehalten haben, wissen wir nicht. Uber die Ansichten und Bräuche in den Mysterienkulten sind wir historisch nur bruchstückhaft informiert, und von einem speziellen Taufritus in den Vereinen wissen wir gar nichts! Die Anschauungen von der Einbeziehung der in die Mysterien Eingeweihten in das Sterben und Auferstehen der Mysteriengottheiten waren so verschieden, daß man von hier aus die christliche Taufe kaum allgemein als Anteilhabe am Geschick des gekreuzigten und auferstandenen Jesus hat deuten können. Diese Deutung ergibt sich viel einfacher und klarer aus der Christologie und Sühnetradition. Der Menschensohn vertritt das Gottesvolk der „Heiligen des Höchsten" insgesamt (vgl. Dan 7,13.18.27). Christus ist als Menschensohn für „die Vielen" bzw. alle gestorben (vgl. M k 10,45 Par.). Für Paulus sind Menschensohn, Sohn Gottes und neuer Adam untrennbar verbunden (vgl. Rom 5,15 ff.). Sein Sühntod am Kreuz kommt kraft der Taufe „auf seinen Namen" allen Täuflingen zugute. Unter diesen Umständen ist es verfehlt, die Korintherbriefe als Modell zu nehmen und überall in den griechischsprechenden Gemeinden ein speziell hellenistisches, zur Schwärmerei verleitendes Taufverständnis zu vermuten, das in der heidnischen Mysterienfrömmigkeit wurzelt und von Paulus kritisiert wird. Das gilt besonders für den Römerbrief. Hier ist die Frontstellung eine ganz andere als im 1. Korintherbrief: Paulus weist in Rom 6 eine judenchristliche Mißdeutung seiner eigenen Tauflehre zurück, ohne die römischen Christen in ihrer angestammten Taufanschauung zu korrigieren. Das spezifisch paulinische Verständnis der Taufe ergibt sich dadurch, daß der Apostel jene Rechtfertigungsaussagen hervorhebt, die bereits die ihm vorgegebenen Tauftexte (1. Kor 1,30; 6,11; Rom 3,25f.; 4,25 usw.) bestimmen. Paulus versteht die Taufe von dem ihm anvertrauten Evangelium her und betont, daß die

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Täuflinge in der Taufe Anteil an der Wirkung des Sühnetodes Jesu am Kreuz erhalten, durch ihn „geheiligt" und Christus als ihrem lebendigen Herrn und Versöhner zugeordnet werden. Bei der Taufe werden die Täuflinge einer Lehre überantwortet, die für sie lebensbestimmend ist; diese Lehre ist mit dem „Evangelium" von 1. Kor 15,3-5 identisch (vgl. Rom 6,17). Taufe, Rechtfertigung und Heiligung bilden ein untrennbares Miteinander. Kraft der Taufe erhalten die Täuflinge Anteil an der Sühnekraft des Todes Jesu und werden in die Wirklichkeit eines schon heute und hier in der Gemeinde beginnenden, sich aber erst mit der Auferweckung der Toten und der ewigen Christusgemeinschaft vollendenden neuen Lebens gestellt. Die Glaubenden werden im Taufakt zusammen mit Christus gekreuzigt und in den Tod begraben (Gal 2,19; Rom 6,6). Der Geist des lebendigen Christus ergreift von den von ihren Sünden befreiten und „geheiligten" Täuflingen Besitz, so daß sie nunmehr, wie Paulus plastisch sagt, in Christus leben und er in ihnen (Gal 2,20). Kraft dieses Geistes bekennen sie sich zu Christus als ihrem neuen Herrn (1. Kor 12,3; Rom 10,9), folgen gehorsam seinem Gebot ( l . K o r 7,19; Gal 6,2) und sehen ihrer Endrechtfertigung und Beteiligung an Jesu Auferstehungsherrlichkeit in gewisser Hoffnung entgegen (l.Thess 4,14; Rom 8,28ff.; Phil 3,20f.). Mit der Taufe als dem Herrschaftswechsel zwischen Sünde und Gerechtigkeit, den Götzen und Christus, sind die Täuflinge zu „neuen Geschöpfen" geworden (2. Kor 5,17), und sie leben fortan in gegenseitigem Mit- und Füreinander in der Gemeinschaft des Leibes Christi ( l . K o r 12,12ff.; Rom 12,3ff.). Paulus hat ein hohes Verständnis von der Taufe, und es kann keine Rede davon sein, daß er die Taufe zugunsten von Rechtfertigung und Glauben abwerten wolle. Die Hauptaufgabe des Apostels liegt zwar bei der Verkündigung des Evangeliums und nicht darin, mittels der Taufe eine „Pauluspartei" zu begründen (1. Kor 1,17). Das Evangelium aber ist für ihn lebendiges Wort Gottes (1. Thess 2,13) und wirksame Gottesmacht (Rom 1,16); diese Gottesmacht ergreift im rituellen Vorgang der Taufe von den Täuflingen Besitz. Wie für Paulus selbst seine Berufung zum Apostel grundlegende Bedeutung besaß und er sich anschließend taufen ließ, so ist für jedes christliche Gemeindeglied die glaubenerweckende Begegnung mit dem Evangelium und die sich daraus ergebende Taufe das entscheidende Anfangsdatum des neuen Lebens im Glauben. Die Taufe feit nicht gegen Sünde und Gericht (1. Kor 10,1-11), aber sie gibt den Glaubenden, die im Gericht angeklagt werden und Verurteilung zu erwarten haben, bleibend das Recht, an Christus als ihren Versöhner und Fürsprecher zu appellieren (1. Kor 5,5; Rom 8,31 ff.).

2. 7,1-8,17: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes und der neue Dienst im Geist Daß der Apostel die billige Gnade verkündigt, kann man ihm nach seinen Ausführungen von Kap. 6 nicht mehr gut vorhalten. Aber die Frage, wie sich die Getauften zum Gesetz zu stellen haben, ist in 6,14 nur erst indirekt beantwortet worden. Gerade sie aber war für seine judenchristlichen Kritiker das Hauptproblem. Paulus weiß das und geht deshalb in Kap. 7 und 8 in überaus kühner und eindrücklicher Argumentation auf dieses Hauptproblem ein. Wenn es ihm auch noch

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

gelingen sollte, den Vorwurf seiner „Verlästerer" (3,8), er wolle das Gesetz abschaffen (vgl. 3,31), so zu widerlegen, daß die Haltlosigkeit jenes Vorwurfs deutlich hervortritt, dann — so scheint es — hat er in Rom „gewonnen". Gelingt es ihm dagegen nicht, gegen die Kritik anzukommen, steht es um die Sache des Paulus in Rom schlecht. Denn dann kann der Apostel nicht auf die Unterstützung seiner SpanienMission durch die Christen in der Hauptstadt der antiken (Mittelmeer-)Welt rechnen, auf die er so sehr hofft (vgl. 15,24). Die Sorgfalt, mit der Paulus in 7,1-8,17 die Frage des Gesetzes behandelt, erklärt sich, wenn man bedenkt, was für ihn bei dieser Frage auf dem Spiel steht.

2.1 7,1-6: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes 1 Oder wißt ihr nicht, Brüder - ich spreche ja zu Leuten, die sich mit dem Gesetz auskennen! - daß das Gesetz (nur) so lange über einen Menschen herrscht, als er lebt? 2 Denn die verheiratete Frau ist kraft Gesetzes an den Mann (nur) bei dessen Lebzeiten gebunden; wenn aber der Mann stirbt, dann ist sie entbunden von dem Gesetz des Mannes. 3 Folglich wird sie Ehebrecherin genannt, wenn sie zu Lebzeiten des Mannes einem anderen Mann angehört; wenn aber der Mann stirbt, ist sie frei vom Gesetz, so daß sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie einem anderen Mann angehört. — 4 Daher (gilt), meine Brüder: Auch ihr seid für das Gesetz zu Tode gekommen durch den Leib des Christus, um einem anderen anzugehören, (nämlich) dem von den Toten Auferweckten, damit wir Frucht bringen für Gott. 5 Denn als wir im Fleisch waren, da wirkten die durch das Gesetz (hervorgerufenen) Leidenschaften der Sünden in unseren Gliedern, um Frucht für den Tod zu bringen. 6 Jetzt aber, da wir dem gestorben sind, durch das wir festgehalten waren, sind wir entbunden vom Gesetz, so daß wir dienen im neuen Sein des Geistes und nicht (mehr) im alten Sein des Buchstabens. Vers 3: Dtn 22,22-24.

A

Die Struktur der Argumentation ist folgende: Paulus stellt in V. 1 eine (sich mit 6,7 berührende) These auf, die er in V. 2 und 3 mit Hilfe eines Beispiels erläutert. In V. 4 zieht er aus V. 1 und 2 + 3 die Nutzanwendung, die er dann in V. 5 + 6 näher erklärt. Die Traditionen, mit denen der Apostel umgeht, sind uns teilweise schon bekannt: In V. 1 geht es wieder um das schon in 6,7 verhandelte Verhältnis von Tod, Gesetz und Sünde. In 6,7 hat Paulus mit der jüdischen Tradition auf die Sühnewirkung des Todes (Jesu) abgehoben (s.o.), jetzt geht es ihm um den von den Rabbinen aus Ps 88,6 entwickelten Grundsatz: „Wenn ein Mensch gestorben ist, ist er frei geworden von der Tora und von den Gebotserfüllungen" (babSchab 30a). Das in V. 2 und 3 angeführte Beispiel entstammt ebenfalls der jüdischen Rechtstradition: „Die (verheiratete) Frau . . . erwirbt ihre Freiheit auf zweifache Weise . . . durch einen Scheidebrief oder durch den Tod des Ehemannes" (Mischna, Qid 1,1). — In V. 5 und 6 argumentiert Paulus gegenüber den Christen von Rom mit den beiden Gegensatzpaaren (1) Fleisch und Geist und (2) Geist und Buchstabe. Beide Gegensatzpaare tauchen in den Paulusbriefen öfter auf: (1) Aus Gal 5,16-21 läßt sich klar

7,1-6: Das Ende der Herrschaft des Gesetzes

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ersehen, daß für den Apostel „Geist" und „Fleisch" zwei einander gegenüberstehende, den einzelnen Menschen und die christliche Gemeinde insgesamt bestimmende Lebens- und Machtbereiche darstellen. Die Gegenüberstellung von vergänglichem irdischem „Fleisch" und unvergänglichem „Geist" Gottes findet sich schon in Jes 31,3 und ist dann vom Frühjudentum in hellenistischer Zeit noch weiter ausgearbeitet worden. In der jüdischen Apokalyptik treten vergängliche irdische Leiblichkeit und endzeitliche himmlische Herrlichkeit in Gegensatz zueinander (vgl. äthHen 108,7-15); in der Weisheitstradition steht der sterblichen Existenz des „im Schoß der Mutter zu Fleisch geformten" Menschen (Weish 7,1) der unvergängliche Geist der Weisheit als „Hauch der Kraft Gottes" gegenüber (Weish 7,25), und in den Qumrantexten ist die Rede von der zum Zeitpunkt des Gerichts von Gott bewirkten Läuterung des frevelhaften Fleisches durch den Heiligen Geist (vgl. lQS4,20f. mit Ez36,25ff.). Paulus kennt diese Uberlieferung und sieht jeden Menschen in das Spannungsfeld zwischen irdischer Vergänglichkeit und himmlischer Herrlichkeit, Fleisch und Geist, gestellt. In Rom 8 wird er ausführlich auf diese Lebenssituation eingehen. (2) Bei dem Kontrastschema von Geist und Buchstaben geht es, wie 2. Kor 3 zeigt, um den Gegensatz von altem und neuem Bund (vgl. Jer 31,31 ff.). Der Herrschaft des Gesetzes im alten Bund steht die Herrschaft Christi und des Evangeliums im neuen Bund gegenüber. Das Gesetz führt zur Verurteilung und zum Tode, das Evangelium zur Gerechtigkeit und zum Leben (2. Kor 3,6 ff.). U m diesen Gegensatz handelt es sich auch hier im Römerbrief. Die von Paulus in 7,1-6 gewählte Ausdrucksweise zeigt, daß es ihm weiterhin Β um die Erklärung des Herrschaftswechsels geht, den die Christen mit ihrer Taufe erfahren haben. Die Stichworte „herrschen" in 6,9.14 und 7,1; „freiwerden" und „frei sein" in 6,18.20.22 und 7,3; „Sklave sein" und „dienen" in 6,16ff. 22 und 7,6 lassen an der Zusammengehörigkeit von Rom 6,1-23 und 7,1-6 keinen Zweifel aufkommen. Der Apostel redet die römischen Christen eindringlich als „Brüder" und 1 „Kenner des Gesetzes" an. Er tut dies nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch in Rom dürfte die Mehrzahl der zum Christentum übergetretenen Heiden aus dem um die Synagogen gescharten Kreis der sog. „Gottesfürchtigen" (s.o. S. 66) gekommen sein. Diese kannten von den jüdischen Gottesdiensten her Gesetz und Propheten ebensogut wie die Auslegung der Schriftgelehrten. Was die Kenntnis des Alten Testaments und seine jüdische Interpretation anbetrifft, standen sie bekehrten Juden wie Priska, Aquila u.a. (vgl. 16,3 ff.) kaum nach. Der Apostel kann seine Adressaten deshalb ohne Probleme an einen (aus Ps 88,6 enwickelten) jüdischen Grundsatz erinnern: Der Herrschaftsanspruch des Gesetzes auf Befolgung besteht nur so lange, als ein Mensch lebt (s. o.). Auch mit dem von Paulus (in typisch jüdischem Lehrstil) zur Verdeutlichung des Gesagten herangezogenen Beispiel könnten die römischen Christen schon von ihrer Belehrung in den Synagogen Roms her vertraut gewesen sein: Eine verheiratete Frau darf sich ohne den Vorwurf des Ehebruches erst dann neu verheiraten, wenn ihr Mann gestorben ist. Der Apostel wählt gerade dieses Beispiel nicht zufällig. Wie aus 2. Kor 11,2 (und Eph 5,25 ff.) zu ersehen ist, geht es darum, daß die Gemeinde der Christen nach dem Herrschaftswechsel in der Taufe ihrem neuen Herrn als „heilige Jungfrau" zugeführt und so für das Fest der messianischen Hochzeit (vgl. Mt22,2-14; Offb 19,9) vorbereitet wird.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Doch bleiben diese Anschauungen in unserem Gesprächszusammenhang im Hintergrund. Paulus kommt es in 7,1-6 auf den Wechsel von der Herrschaft des Gesetzes zur Herrschaft des Christus an. Dies zeigt die „Nutzanwendung" des „Gleich4 nisses", die Paulus, für jeden Hörer und Leser des Briefes klar erkennbar, in V. 4 zieht: Wie in dem eben angeführten Beispiel ausgeführt, sind auch die Christen in der Taufe dem Herrschaftsanspruch des Gesetzes abgestorben, und zwar „durch den Leib Christi". Das heißt hier (wie in 1. Kor 11,24; Kol 1,22 und l.Petr 2,24 auch): Durch die stellvertretende Lebenshingabe Jesu am Kreuz sind die getauften Christen aus der Herrschaft des Gesetzes befreit, so daß sie einem anderen Herrn angehören können, nämlich dem von Gott auferweckten und zu seiner Rechten erhöhten Herrn Jesus Christus. Unter seiner Herrschaft leben die Getauften, Paulus eingeschlossen, um für Gott „Frucht zu bringen". Der Ausdruck stammt aus der Mission und bedeutet, daß die Verkündigung des Evangeliums beherzigt, der von Christus neu aufgerichtete Wille Gottes befolgt und das missionarische Zeugnis in Wort und Tat vor der ungläubigen Welt gewagt wird (vgl. Mk 4,20; Lk 8,15 und Kol 1,10). Paulus schärft hier mit neuen Worten ein, was er schon in 6,12-23 5 betont hat. Die folgenden beiden Verse bestätigen dies. In ihnen faßt Paulus noch einmal seine gesamte Sicht des Herrschaftswechsels zusammen. Die Gegenüberstellung von „einst" und „jetzt" in V. 5 und 6 entspricht dem Schema der Taufpredigt (vgl. 1. Kor 6,9-11 u.o.S. 9 lf.). Einst lebten „ w i r " , d.h. die römischen Christen und Paulus, in der Machtsphäre des Fleisches; damals waren alle leiblichen Glieder von den sich in Tatsünden auswirkenden Leidenschaften (in 6,12 sagt Paulus: Begierden) beherrscht. Die Leidenschaften sind vom Gesetz also nicht etwa eingedämmt oder sogar unterbunden, sondern vielmehr provoziert worden! So hart sich diese Bemerkung auch in den Ohren der judenchristlichen Gegner des Paulus (und aller derer, die mit ihnen in Rom sympathisierten) ausnehmen mochte, so wenig kann Paulus auf sie verzichten. Schon in Weish 2,1-20 ist klassisch dargestellt, wie der Gerechte mit seiner Gesetzestreue die Frevler geradezu zum Unrechttun provoziert, und in 7,7 ff. wird der Apostel denselben Sachverhalt am Beispiel des Gebotes Gottes aus Gen 2,16 f. illustrieren. Daß das Gesetz die zu Sünden führenden Leidenschaften weckt und sie anschließend vor Gott als strafwürdig festschreibt (5,20), entspricht also biblischer Erfahrung. Von ihr weicht Paulus auch bei seinem Versuch, die römischen Christen vom sachlichen Recht seiner Verkündigung zu überzeugen, nicht ab. Das Ergebnis des Beherrschtseins der Glieder von den Leidenschaften bestand darin, daß dem (infolge der Sünden unvermeidlichen Gerichts-) 6 Tod tatkräftig zugearbeitet wurde (vgl. 6,23). Aber dieses Leben ist mit und seit der Taufe Vergangenheit. Denn „jetzt" sind die Christen (wieder mit Einschluß des Paulus) durch und mit Christus der Sünde und dem Gesetz, die sie gefangen hielten, abgestorben, so daß sie Gott dienen können in der neuen, vom Hl. Geist bestimmten Lebensweise (vgl. 2. Kor 5,17; Gal 2,20). Vom alten Sein unter dem durch die Gerichtsankündigung tötenden Buchstaben des Gesetzes (vgl. 2. Kor 3,6 ff.) sind sie freigekommen. Der Apostel formuliert die letzten beiden Verse mit programmatischem Bedacht. Sie bilden den Aufriß für seine Darstellung in 7,7-8,17. V. 5 wird in 7,7-25a weiter entfaltet, während V. 6 als Inhaltsangabe über 8, ( 1 ) 2-17 zu setzen ist.

7,7-25a: Gesetz und Sünde

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Was das Gesetz ist und wie die Christen zum Gesetz stehen (und sich stellen sollen), kann man nach Paulus erst von der Taufe her wirklich sehen und sagen. Die Zeit vor der Taufe und nach der Taufe sind dabei sorgsam zu unterscheiden. 2.2 7,7-25a: Gesetz und Sünde Vom Beginn des Römerbriefes an ist Paulus bemüht, die von seinen Gegnern (auch) unter den römischen Christen verbreitete Behauptung zu widerlegen, er verkündige ein den Wünschen und Schwächen der Heiden angepaßtes Evangelium. Den Hauptanstoß an der paulinischen Lehre bot die Kritik des Gesetzes. Hält man sich einige polemische Spitzensätze des Galaterbriefes vor Augen: „Christus hat uns losgekauft vom Fluch des Gesetzes" (Gal 3,13); das Gesetz ist erst vierhundertunddreißig Jahre nach der an Abraham ergangenen Verheißung am Sinai erlassen worden, und zwar „um der Übertretungen willen" (Gal 3,17.19); das Gesetz vermag nicht lebendig zu machen (Gal 3,21); und nimmt man zu ihnen noch den Satz aus 1. Kor 15,56 hinzu: „Das Gesetz ist die treibende Kraft der Sünde", kann man die Gegner des Paulus ein Stück weit verstehen. Ihre Behauptung, Paulus stelle Gesetz und Sünde auf eine Ebene (Rom 7,7), erscheint nicht einfach aus der Luft gegriffen! Auch die bisherige Argumentation zum Gesetz im Römerbrief löst das Problem noch nicht. Der Apostel hat zwar mit Nachdruck erklärt, er wolle mit seiner Glaubensverkündigung das Gesetz als Maßstab des Gerichtes (2,12 ff.), als Schriftzeugnis (3,21) und als von Jesus erfüllten Gotteswillen nicht abschaffen, sondern aufrichten (3,31); aber hart daneben stehen seine für Juden und Judenchristen nach wie vor schwer erträglichen Feststellungen, Werke des Gesetzes führten vor Gott nicht zur Rechtfertigung, vielmehr käme es durch das Gesetz nur zur Erkenntnis der Sünde (3,20, vgl. Gal 2,16), das Gesetz erwirke das Zorngericht Gottes (4,15), es sei zwischen Adam und Christus hereingekommen, um die Sünde zu steigern (5,20), und die Christen seien kraft ihrer Taufe der Sünde und dem Gesetz abgestorben (6,14; 7,6). Schon logisch scheint das nicht aufzugehen: Wie kann man gleichzeitig im Glauben das Gesetz aufrichten und das Ende seiner Herrschaft proklamieren wollen!? Angesichts dieser höchst komplizierten Gesprächslage hat Paulus allen Anlaß, auf den gegen ihn erhobenen Vorwurf, er stelle Gesetz und Sünde praktisch gleich, ausführlich einzugehen und Klarheit in jenen Widerspruch zu bringen. Was dabei herauskommt, ist eine „Apologie des Gesetzes" (W.G. Kümmel), die der Apostel in 8,2 ff. zu der Lehre steigert, Christus führe die Glaubenden kraft des Geistes zur Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes. Von der Argumentationsstruktur her läßt sich die paulinische „Apologie des Gesetzes" folgendermaßen gliedern: In V. 7 und V. 13 werden jeweils Fragen angeführt, die sich an die paulinische Lehre stellen. Paulus beantwortet sie beide Male negativ und skizziert in V. 7-12 das Verhältnis von Sünde und Gesetz und in V. 13-25 die Ausweglosigkeit, in die das adamitische Ich angesichts von Sünde und Gesetz gestellt ist.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

2.2.1 7,7-12: Die Verkehrung des Gesetzes zum Werkzeug der Sünde 7 Was sollen wir nun sagen? Das Gesetz ist Sünde? Mitnichten! Sondern: Ich hätte die Sünde nicht erkannt außer durch das Gesetz. Denn die Begierde hätte ich nicht kennengelernt, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: „Du sollst nicht begehren." 8 Die Sünde ergriff (ihre) Gelegenheit durch das Gebot und wirkte in mir jegliche Art von Begierde. Denn ohne Gesetz ist die Sünde tot. 9 Ich aber lebte einst ohne Gesetz, als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf, 10 ich aber starb, und es wurde mir das zum Leben (gegebene) Gebot, genau dieses, erfunden (als ein Gebot) zum Tode. 11 Denn die Sünde ergriff (ihre) Gelegenheit durch das Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe. 12 Folglich ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut. Vers 7: Ex 20,17; Dtn

A

21;

Vers 8-11: Gen J, 1-24;

Vers 9: Gen

2,16f.

Wie wir bereits gesehen haben, ist 7,5 als „Überschrift" und Inhaltsangabe von 7,7-12 (+7,13-25 a) anzusehen. Der Apostel schildert den Stand der Christen vor der Taufe, und zwar mit speziellem Blick auf die Begegnung mit dem Gesetz Gottes. Die an ihn gestellte kritische Frage, ob das Gesetz mit der Sünde zu identifizieren sei, wird in Y 7 zurückgewiesen und durch die Feststellung korrigiert, das Gesetz mache die Sünde erkennbar. Diese Feststellung wird dann mit Hilfe von drei jeweils mit „denn" beginnenden Begründungssätzen (V 7 b, 8 b - 1 0 und 11) näher erläutert und in V. 12 daraus die Folgerung abgeleitet, daß das Gesetz ganz und gar nicht mit der Sünde gleichzusetzen, vielmehr heilig, gerecht und gut sei. Für seine Argumentation greift Paulus, wie schon in Rom 5,12-21, auf die Adamsüberlieferung zurück, und zwar so, daß „in dem ego ( = Ich) von Rom 7,7 ff. Adam von Rom 5,12 ff. seinen Mund (bekommt)" (G. Bornkamm). Auf diese Weise kann sich jeder Mensch, der Adam ist, in der Rede des Ich von Rom 7,7-24 wiederfinden: „ . . . wir alle sind ein jeder für sich selbst zum Adam geworden", heißt es in der Baruchapokalypse (54,19). Paulus nimmt dieses Eingeständnis auf und bedient sich bewußt der jeden Menschen einbeziehenden Ich-Form der Rede. Sie ist uns biblisch aus dem Psalter (z.B. Ps 22; 51; 130), frühjüdischen Bußgebeten (s.u.), aus Weisheitstexten (z.B. Weish9) und den Schriften Philos von Alexandrien (Som I 176 f.) bekannt. Paulus gebraucht diese Redeform auch sonst gelegentlich in seinen Briefen (vgl. 1. Kor 13). Das Ich Adams ist die einzige biblische Gestalt, von der gesagt werden kann, sie habe einst ohne das Gesetz gelebt, dann erst sei das Gebot gekommen (7,9), und die Sünde habe dieses Gebot zum Anlaß genommen, „mich" zu verführen und dem Tode zu überantworten (7,11). Dabei stehen Gen 2 und 3 vor Augen, und zwar so, wie sie in der frühjüdischen Schriftauslegung, in der Paulus selbst ausgebildet worden ist (vgl. Apg 22,3), verstanden wurden. Zunächst gilt das mit der Schöpferweisheit identifizierte Gesetz (Sir 24; Bar 4,1; Mischna Ab 3,14) als lange (nach Tg Neof I zu Gen 3,24: zweitausend Jahre) vor der Weltenschöpfung erschaffen. Dann liegen zwischen der Schöpfung Adams, seiner Uberbringung in den Paradiesesgarten und dem Erlaß des Gebotes von Gen 2,16f. noch einmal ganz bestimmte Fristen (Jub 3,9ff. sprechen von 40 bzw. 80 Tagen). Schließlich ist das eine Adam und Eva gegebene Gebot Inbegriff des ganzen Gesetzes. Im Targum Neofiti I zu Gen 2,15

7,7-12: Die V e r k e h n i n g des Gesetzes zum Werkzeug der Sünde

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heißt es: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und ließ ihn wohnen im Garten Eden, damit er Dienst tue nach dem Gesetz und seine Gebote befolge", und Gen 3,22 wird im selben Targum so kommentiert: Hätte Adam „das Gebot des Gesetzes bewahrt und seine Gebote eingehalten, würde er leben und wie der Lebensbaum in Ewigkeit bestehen bleiben". Dieselbe Sicht vertritt das Targum Jer I zu Gen 2,15; 3,9.22, und sie läßt sich über das „Leben Adams und Evas" 32 + 37, Josephus (Ant 1,41-47) und die Esraapokalypse (vgl. 4Esr3,7 + 7 , l l ) bis hin zu Andeutungen in den Schriften Philos von Alexandrien, eines älteren Zeitgenossen des Paulus, zurückverfolgen (vgl. vor allem LegAll 190-97). Daß Paulus diese Auslegung gekannt hat, ist nach alledem sehr wahrscheinlich. Als Musterbeispiel für das dem ersten Menschenpaar zur Bewahrung gegebene Gebot (Gesetz) zitiert Paulus in 7,7 den Eingang des (neunten und) zehnten Gebots: Ex 20,17 (Dtn 5,21); das letzte der zehn Gebote steht dabei zusammenfassend für die ganze Reihe. Entsprechend ist mit der „Begierde" keineswegs das sexuelle Begehren allein, sondern der „Anfang aller Sünde" (ApkMos 19; vgl. Gen 3,22) und das begehrliche Trachten nach all den Gütern gemeint, die das (neunte und) zehnte Gebot aufzählt. Aus kritischen Äußerungen des Apostels zum Gesetz bis herein in den Römerbrief haben seine Gegner gefolgert, er setze Gesetz und Sünde praktisch in eins und mache so aus Gottes guter Gabe ein Mittel des Todes (V. 13). Für einen Juden ist diese Anschuldigung besonders bitter, weil sie ihm den Anteil an der zukünftigen Welt verwehrt (vgl. Mischna, Sanhédrin 10,1, s.o. S. 62). Paulus weist den Verdacht denn auch weit von sich. Worum es ihm geht, ist ein ganz anderer Sachverhalt: Gottes Gesetz ist gut, aber es war und ist zu schwach, um der Sünde zu wehren; es bringt zwar die Sünde zu Bewußtsein, aber es hilft dem Menschen nicht, von ihr loszukommen. Das Beispiel Adams zeigt dies. Er hätte mit der Sünde niemals Bekanntschaft gemacht, wenn ihm das Gesetz nicht vorgeschrieben hätte: „Du sollst nicht begehren!" (Ex 20,17 und Dtn 5,21). Die „Begierde" meint hier das widergöttliche Begehren überhaupt und nicht nur die sexuelle Gier (s.o.). Entsprechend fährt Paulus fort: „Die Sünde ergriff ihre Gelegenheit durch das Gebot und wirkte in mir jegliche Art von Begierde". Während in der frühjüdischen Auslegung von Gen 3 z.T. intensiv über das Wesen und Treiben des Versuchers in Gestalt der Schlange reflektiert und berichtet wird (vgl. z.B. Leben Adams und Evas 9 ff.; ApkMos 17 ff.), spricht Paulus in knapper theologischer Abstraktion nur von der dämonischen Erscheinung „der Sünde", die das göttliche Gebot benutzt, um den Menschen zur Übertretung des Gotteswillens zu verführen. Ohne das Gebot bzw. Gesetz (s.o.) hat die Sünde anfänglich noch keine eigene Lebenskraft. „Ich", d.h. Adam, lebte einst vor Gott ohne Gesetz und ohne Sünde; Paulus denkt und lehrt hier wie die frühjüdische Adamsüberlieferung auch (s.o.). Erst als das Gebot von Gott her auf den Plan trat, lebte die Sünde auf, und zwar weil sie sich des Gebotes schmarotzerhaft für ihre Zwecke bedienen konnte. Die Folge war, daß „ich" zu Tode kam und daß ausgerechnet das zum Schutz des Lebens im Paradies aufgestellte Gebot Gottes „mir" (= Adam) nunmehr zum Tode gereichte. Die Sünde verführte „mich" mit Hilfe des Gebotes zur Gebotsübertretung (vgl. 5,14), so daß dieses Gebot Adam (und Eva) nun nicht mehr vor dem Tode schützen kann, sondern sie als Gesetzes-

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

12 brecher brandmarken und vom Leben ausschließen muß. Daraus ergibt sich eine erste Schlußfolgerung: Gottes Gesetz (in Gestalt seines Gebotes) ist seinem Ursprung und seiner Abzweckung nach heilig und gerecht und gut. Anders als seine Gegner behaupten, ist das Gesetz als solches für Paulus keineswegs eine sündhafte Macht, sondern vielmehr Setzung und Gabe Gottes!

2.2.2 7,13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes 13 ,Das Gute gereichte mir also zum Tode'? Mitnichten! Vielmehr erwirkte mir die Sünde, um als Sünde zu erscheinen, durch das Gute den Tod, damit die Sünde über alle Maßen frevelhaft werde durch das Gebot. 14 Wir wissen ja, daß das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, verkauft unter die Sünde. 15 Denn was ich erwirke, erkenne ich nicht. Denn nicht das, was ich will, führe ich aus, sondern das, was ich hasse, tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, daß es gut ist. — 17 Nun aber erwirke ich das nicht, sondern die in mir wohnende Sünde. 18 Ich weiß ja, daß in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Denn das Wollen steht mir (zwar) zur Verfügung, das Erwirken des Guten aber nicht. 19 Denn nicht das Gute, das ich will, tue ich, sondern was ich nicht will, das Böse, das führe ich aus. 20 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erwirke das nicht mehr ich, sondern die in mir wohnende Sünde.— 21 Ich entdecke also das Gesetz, daß mir, der ich das Gute tun will, (nur) das Böse zur Verfügung steht. 22 Ich stimme nämlich dem Gesetz Gottes nach meinem inneren Menschen freudig zu. 23 Aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern dem Gesetz meiner Vernunft widerstreiten und mich gefangennehmen durch das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. 24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen aus diesem Todesleib? 25 Dank aber sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! A

Auch unsere Verse stehen noch unter der Überschrift von 7,5. In 7,13-16 wird, parallel zu 7,7-12, die kritische Frage von V. 7 im Blick auf das Ich unter dem Gesetz erneuert, anschließend wieder verneint und durch die These korrigiert, daß es die Sünde ist, die mittels des Guten ( = des Gebotes) dem Ich den Tod erwirkt. V. 14 und 15 begründen diese Sicht, und in V. 16 wird (wie schon in V. 12) bestätigt, daß das Gesetz gut ist. — V. 17 setzt von da aus neu an und spricht thetisch vom Wirken der Sünde in dem ihr verfallenen Ich. V. 18 f. begründen diese Schilderung, so daß in V. 20 bekräftigt werden kann, was in V. 17 behauptet wurde. — Wie die Folgerungspartikel „also" zeigt, skizzieren die Verse 21-24 im Sinne einer abschließenden Schlußfolgerung aus V. 7-12 und 13-20 die ausweglose Situation des Ich, das zwar „dem Gesetz Gottes" (V. 22) freudig zustimmt und folgen möchte, aber durch die Sünde daran gehindert wird. Der Dankruf in V. 25a markiert die erlösende Wende. Die von Paulus angesprochene Preisgegebenheit des Menschen an das Böse und der Zwiespalt zwischen Wollen und Vollbringen ist zwar der griechischen und lateinischen Dichtung von Euripides (Hipp 358f. 375ff.) bis hin zu Ovid (Metam VII, 17 ff.) wohlbekannt. Aber erst in jüdischen Bußtexten wird sie bis zur Erkenntnis der radikalen Verfallenheit des Menschen an das Fleisch und sein Unvermögen

7,13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes

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gegenüber dem Willen Gottes gesteigert. Vgl. ζ. Β. 1QS11,9ff.: „... ich gehöre zur ruchlosen Menschheit, zur Menge des frevelnden Fleisches. Meine Sünden, meine Übertretungen, meine Verfehlungen samt der Verderbtheit meines Herzens gehören zur Menge des Gewürms und derer, die in Finsternis wandeln. Denn [k]ein Mensch [bestimmt] seinen Weg, kein Mensch lenkt seinen Schritt; sondern bei Gott ist die Gerechtigkeit und aus seiner Hand [kommt] vollkommener Wandel..."; oder 4Esr 3,19-22: Am Sinai gab Gott Israel vom Himmel her Gesetz und Gebote. „Aber du nahmst das böse Herz nicht von ihnen, daß dein Gesetz in ihnen Frucht trüge. Denn um seines bösen Herzens willen geriet der erste Adam in Sünde und Schuld, und ebenso alle, die von ihm geboren sind. So ward die Krankheit dauernd: das Gesetz war zwar im Herzen des Volks, aber zusammen mit dem schlimmen Keime ( = bösen Trieb). So schwand, was gut ist; aber das Böse blieb"; und — direkt an 7,21-24 erinnernd — 4Esr 9,36 f. : „ . . . wir, die das Gesetz empfangen, müssen wegen unserer Sünden verloren gehen samt unserem Herzen, in das es getan ist; das Gesetz aber geht nicht verloren, sondern bleibt in seiner Herrlichkeit." Paulus artikuliert Erfahrungen mit dem Gesetz und der Sünde, die weder seinen ehemals jüdischen noch heidnischen Adressaten gänzlich fremd gewesen sind. Der für die Bußklage charakteristische präsentische Aussagestil von V. 14-24 hat sein Vorbild z.B. in Ps 22; 51; 69; er lädt zum Nachsprechen der Verse förmlich ein. Daß der Apostel sich um Verständlichkeit bemüht, zeigt auch die von 2. Kor 4,16 her bekannte, in Rom 7,22 ff. neu aufgenommene Unterscheidung zwischen „innerem" und „äußerem" Menschen, (geistgelenkter) „Vernunft" und schwachem „Fleisch" bzw. „Todesleib". Bei Philo von Alexandrien wird der Gegensatz zwischen beiden ebenfalls scharf herausgearbeitet (RerDivHer 267ff.). Philo und Paulus nehmen damit in einer auch für ihre griechischsprechenden Zeitgenossen verständlichen Sprache die frühjüdische Lehre auf, daß in jedem Menschen „der gute Trieb" und „der böse Trieb" um die Vorherrschaft streiten (vgl. Testjud 20,1 ff.; TestAss 1,3 f.). Der böse Trieb will den Menschen verführen, den Weg des Bösen zu gehen, während der gute Trieb, von der im Gesetz offenbar werdenden Weisheit dazu angeleitet, den Menschen vor dem Bösen bewahren und auf gutem Wege führen will. In Rom 8,6 f. spricht Paulus in diesem Sinne vom „Trachten des Fleisches" (= böser Trieb) und „Trachten des Geistes" (= guter, von Christus bestimmter, Trieb). — Interessanterweise erinnert Paulus in unserem Zusammenhang auch ausdrücklich an die jüdische „Freude am Gesetz", von der z.B. Ps 119 spricht. Bei der Charakteristik des Ich in Rom 7,7-25 hat er also den Juden im Blick und nicht den Heiden. Was der Apostel aber aus eigener bitterer Erfahrung heraus (vgl. Gal 1,13-17; Phil 3,4-11) nicht mehr festhält, ist die auch von ihm einst geteilte frühjüdische Hoffnung, daß Umkehr und angestrengtes Bemühen um das von der Tora geforderte Gute den Menschen doch von der Macht der Sünde befreien können (vgl. z.B. Sir 17,11 ff. 25 ff.). Paulus sieht anthropologisch tiefer als es Sir 15,11-15 und die pharisäischen Psalmen Salomos tun, die in 9,4f. formulieren: „Unser Tun (geschieht) nach unseres Herzens Wahl und Willen, daß wir Recht und Unrecht tun mit unserer Hände Werk, und in deiner Gerechtigkeit suchst du die Menschenkinder heim. Wer rechtschaffen handelt, erwirbt sich Leben beim Herrn, und wer Unrecht tut, verwirkt sein Leben in Verderben, denn die Gerichte

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

des Herrn sind gerecht gegenüber Mensch und Haus." Während Jak 1,13 ff. dies christlich aufnimmt, betont Paulus wesentlich radikaler, daß das adamitische Ich ohne Christus ausweglos in der Sünde verstrickt bleibt. U m die Unterscheidung von Gesetz und Sünde unzweideutig herauszustellen, nimmt Paulus die Frage von V. 7 noch einmal auf. Gereicht mir Gottes gute Weisung zum Tode? Wieder lautet die Antwort: Mitnichten! Vielmehr ist die Sünde auf den Plan getreten, und sie ist die eigentlich todbringende Macht. Indem sie durch den Mißbrauch von Gottes Gebot Adam (und Eva) den Tod erwirkt hat, ist sie in ihrer ganzen frevelhaften Dämonie offenbar geworden. Paulus entwickelt hier erneut einen Begriff von Sünde, der wie in 5,13 f. weit über die (Heiden und Juden gleich geläufige) Anschauung hinausgeht, Sünde sei nur die verantwortlich begangene Untat eines Menschen. Die Sünde hat sich des Gesetzes (Gebotes) Gottes parasitär bemächtigt; mittels der Weisung Gottes hat sie sich widergöttliche Macht verschafft und beherrscht auf diese Weise alles und jeden. — Im folgenden geht es Paulus nun darum, die Situation des Ich unter der Sünde angesichts des Gesetzes illusionslos offenzulegen, und zwar so, daß sich seine Leser (Hörer) in ihrer Glaubensund Lebenserfahrung angesprochen sehen; seine Hauptabsicht, Sünde und Gesetz zu unterscheiden, verliert der Apostel dabei nicht aus dem Blick. Im Gegenteil. Er appelliert wie in 7,1 an die Kenntnis, die die Christen von Rom aus ihrem Glaubensunterricht besitzen, und formuliert mit dem von 7,5 f. her bekannten Gegensatz von „Fleisch" und „Geist". Das Gesetz gehört seinem Ursprung und seiner Absicht nach der Welt Gottes an; es ist „geistlich". Auch wenn und wo es von der Sünde mißbraucht wird, verliert es seinen heiligen Charakter als Wort Gottes nicht. Ihm steht aber das Ich gegenüber, da c fleischlich, d.h. vergänglich und versuchlich, und an die Sünde wie eine Sklavenhaltermacht verkauft ist (vgl. Gal 3,22f.). Mit der Aussage, das Gesetz sei „geistlich", hat der Apostel die Schlußfolgerung von V. 12 noch einmal gesteigert und eine Formulierung geprägt, der im frühjüdischen Schrifttum „keine entsprechende Wendung" gegenübersteht, sie ist mit anderen Worten singulär (H. Lichtenberger). Paulus Mißachtung des Gesetzes vorzuwerfen ist von V. 14 her also ganz unmöglich! Aber ebenso wichtig ist dem Apostel die Einsicht, daß das Ich in seiner Fleischlichkeit unter der Sünde trotz des zum Schutz des Lebens gegebenen Gesetzes (V. 10) nichts vermag, was ihm aus eigener Kraft Leben verschaffen könnte. Was das adamitische Ich zustandebringt, wird ihm nicht bewußt. Es folgt gar nicht wirklich seinem (von Paulus nicht bestrittenen!) Willen zum Guten, sondern führt aus, was es haßt. Es wird von der Begierde überwältigt, übertritt das Gebot Gottes und bringt sich damit selbst ums Leben (vgl. V. 8-11). Unter die Sünde geraten (und aus dem Paradies vertrieben, vgl. Gen 3,23 f.), muß das Ich erkennen, daß es mit seinem Tun gegen sein eigenes Lebensinteresse verstoßen hat. Das Ich ist dem Bösen verfallen, aber die Weisung des Gesetzes war und bleibt richtig und gut. Der Apostel setzt noch einmal neu an: Die wirkende Kraft in dieser Todesverfallenheit des Ich ist (nicht das Gesetz, auch nicht der Wille des Ich, sondern) die Sünde. Zur Begründung erinnert Paulus, wie das „ich weiß nämlich" signalisiert, an Einsichten der alttestamentlich-jüdischen Bußtradition. Er überschreitet aber darin den Erfahrungshorizont des Judentums, daß er sogar dem Umkehrwilligen keine

7,13-25a: Die Herrschaft der Sünde mittels des Gesetzes

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Chance mehr einräumt, kraft des Erbarmens Gottes zum Leben in Gerechtigkeit zurückfinden zu können, und zwar auch nicht mit Hilfe des Gesetzes, das im Alten Testament und Frühjudentum immer wieder als lebenserhaltend bezeichnet wird (vgl. z.B. Lev 18,5; Ez 20,11; Neh 9,29; Sir 17,11; Bar 4,1; PsSal 14,2; syrBar 38,2). Paulus weiß aus eigenem Erleben, daß nur Gottes Erlösungswerk in und durch Christus Rettung aus der Schuldverfallenheit bietet, und formuliert aus dieser Erfahrung heraus. Dem adamitischen Ich ist bewußt, daß in seinem Fleisch nichts Gutes wohnt (vgl. Ps 51,5-7). Es hat zwar durchaus noch die Fähigkeit, das Gute zu wollen, aber ihm fehlt die Kraft, dieses Wollen in die Tat umzusetzen. Seine Verfehlung zeigt vielmehr, daß es das Gute, das es will, gerade nicht tut, sondern das Böse, das gegen seinen Willen ist. Subjekt dieses Tuns wider Willen ist also — wie schon in V. 17 herausgestellt — nicht das Ich selbst, sondern die Sünde, von der dieses Ich besessen wird. Sie bestimmt die Handlungen des Ich und entfremdet es seinen guten Absichten. Es ergibt sich daher im Blick auf das Ich, das mit dem Gesetz konfrontiert, aber von der Sünde beherrscht wird, folgende, vom Apostel unter rhetorischer Variation des Gesetzesbegriffs herausgearbeitete, Diagnose: Das Ich muß entdecken und zugestehen, daß es trotz des Willens zum Guten doch nur fähig ist, das Böse zu tun. Von diesem „Gesetz" kommt es nicht los. Nach seinem inneren Menschen, d.h. in seinem guten Trieb (s.o. S. lOlf.), stimmt es dem Gesetz Gottes freudig zu (vgl. Ps 1,2; 19,9; 119,24.77.92; Rom 2,17f.). Aber es muß gleichzeitig erfahren, daß dem „Gesetz", das seine Vernunft ihm gibt (d.h. dem guten Trieb), in seinen eigenen Gliedern ein anderes „Gesetz" (d.h. der böse Trieb, s.o. S. lOlf.) widerstreitet. Während der gute Trieb von Paulus mit dem „inneren Menschen" bzw. dem zur Wahrnehmung des Gotteswillens ausgerüsteten „Verstand" gleichgesetzt wird (vgl. 12,2), hat es der böse Trieb mit den „Gliedern" und dem fleischlichen Leib des Menschen zu tun. Der böse Trieb widerstreitet dem guten und nimmt das Ich gefangen durch das von der Sünde gegebene „Gesetz", mit dem sie über die Glieder des Menschen gebietet. Dieses „Gesetz der Sünde" ist das parasitäre Widerspiel des guten Gebotes (Gesetzes) Gottes: Die Sünde weckt im Menschen mittels des Gebotes (Gesetzes) alle verbotene Begierde und hält ihn fortan unter dem Urteil des Gebotes (Gesetzes) gefangen (V. 7.13 und 14). Paulus variiert in V. 21-23 den Gesetzesbegriff, aber er tut dies so, daß ihm selbst judenchristlich denkende, in der Bußtradition bewanderte Hörer folgen können und müssen: Es bleibt dem Ich, das wider besseres Wollen unter die Sünde versklavt und von ihrem „Gesetz" beherrscht wird, nur der Klageruf: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen aus diesem Todesleib?!" Der „Todesleib" meint die fleischliche Existenz unter der zum Tode führenden Herrschaft der Sünde. Paulus hat damit aus der Perspektive des Glaubens genau den Zustand beschrieben, auf den er schon in 7,5 hingewiesen hatte: Vor der Taufe sind in „uns", d.h. jedem Christen, die von der Sünde bestimmten und durch das Gesetz provozierten Leidenschaften wirksam mit dem Ergebnis, daß dem Gerichtstod zugedient wird. Die vom Apostel seit V. 14 bewußt gesetzte Gegenwartsform zeigt, daß er eine Erfahrung beschreiben will, die allen Glaubenden (mit Einschluß seiner selbst) als vergangene stets gegenwärtig ist und bleiben soll.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Dieser niederschmetternden Erfahrung steht freilich in 7,6, mit „nun aber" eingeleitet, das Bekenntnis gegenüber, daß die Christen kraft ihrer Taufe vom Schuldspruch des Gesetzes losgekommen sind, um Gott in der Neuheit des Geistes zu dienen. Zur Betrachtung dieses neuen Seins im Geist leitet der Apostel mit der V. 25 25a einleitenden Danksagung über. Der in V. 7 - 2 4 beschriebenen Existenznot des Ich wird (wie in den Dankopferpsalmen, s.u. S. 104f.) der Dank gegenübergestellt, der auf die mit Gottes Hilfe überwundene N o t zurückblickt. Die Danksagung richtet sich an G o t t durch seinen Sohn, weil dieser das Rettungswerk vollbracht hat, kraft des H l . Geistes in den Herzen der Glaubenden wohnt und sie vor G o t t vertritt (8,26).

2.3 7 , 2 5 b - 8 , 1 : Zwischenbilanz (7,25a: Dank aber sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!) 25b (Es gilt) also nun: Ich für mich diene mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleische aber dem Gesetz der Sünde. 8,1 (Außerdem gilt): Es gibt also jetzt keine Verurteilung mehr für die in Christus Jesus (Lebenden). A

Der Ubergang von Kap. 7 zu Kap. 8 hat den Auslegern schon immer größte Schwierigkeiten bereitet. Schon die in 7,25a plötzlich einsetzende Danksagung erscheint reichlich unvermittelt, und noch schwieriger sind die beiden auf diese Danksagung folgenden Also-Sätze in 7,25b und 8,1 zu verstehen. Erst von 8,2 an wird der Argumentationszusammenhang wieder klar. Da sich die Danksagung in 7,25a mit dem erklärenden Satz 8,2 gut verbindet, hat die Exegese mit den „störenden" beiden Also-Sätzen so gut wie möglich zurechtzukommen versucht. Eine Gruppe von Auslegern geht davon aus, daß bei der Abschrift des Römerbriefes der Text von 7,23 an in Unordnung geraten sei und deshalb folgendermaßen neugruppiert werden müsse: Auf 7,23 habe der Satz zu folgen: „Also diene ich zwar mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde." Daran seien 7,24 und die Danksagung von 7,25a anzuschließen. Auf sie folge zunächst 8,2 und 8,1 sei im Anschluß an 8,2 zu lesen. Dieser (und ähnliche) Eingriffe) in den Textbestand hat (haben) vor allem gegen sich, daß die ältesten Handschriften des Römerbriefes beim Übergang von Kap. 7 zu 8 keinerlei Unsicherheiten zeigen. Die Textüberlieferung rechtfertigt also keine Eingriffe in den Textzusammenhang. — Das gilt auch gegenüber jenen Exegeten, die die beiden Also-Sätze in 7,25b und 8,1 (oder auch nur 7,25b allein) für Glossen halten, die ein Abschreiber des Römerbriefes ursprünglich an den Rand seiner Abschrift geschrieben habe und die dann von späteren Kopisten in den Text selbst übernommen worden seien. Die ältesten Handschriften nötigen dazu, den vorhandenen Textzusammenhang im vorliegenden Wortlaut zu erklären. Dies ist auch durchaus möglich. Es ist nur zweierlei zu beachten: Im alttestamentlichen Klage- und Danklied folgt auf die z.T. ausführliche Klage, nur scheinbar abrupt, die Gottes Heilshandeln an dem klagenden Ich rühmende Danksagung (vgl. z.B. den Wechsel von Ps 22,22 zu 22,23 oder Ps 69,30 zu 69,31). Die Klage wurde von dem Geretteten öffentlich bei

Exkurs X : Das „ I c h " in R o m 7 , 7 - 2 5

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einer religiösen Dankopferfeier vorgetragen, und zwar zur Erinnerung an die mit Gottes Hilfe überstandene Not. Der harte Ubergang in den Texten ist also gut erklärbar. Im Römerbrief erklärt sich der Wechsel von Klage in 7,7-24 und Dank in 7,25a (8,2 ff.) ganz ähnlich, und zwar im Blick auf die öffentliche Verlesung des Briefes in den Gemeindeversammlungen und vom Lehrstil des Apostels her. — Es ist nämlich, zweitens, zu bedenken, daß Paulus all seine Briefe, und den Römerbrief ganz besonders, auch in seiner Eigenschaft als apostolischer Lehrer schreibt (vgl. 1. Kor 4,17). Im jüdischen (und hellenistischen) Schulbetrieb war es üblich, Lehrvorträge in behältlichen Merksätzen zusammenzufassen oder mit solchen zu beginnen. Das erleichterte das Lernen und gab dem Unterricht Prägnanz. Zwei solcher summarischer Lehrsätze haben wir in 7,25b und 8,1 vor uns (vgl. außerdem 5,18; 9,18; 10,17; 14,12 usw.). Der Apostel faßt, ehe er weitergeht, zusammen, was er bereits ausgeführt hat und weiterhin ausführen will, und zwar tut er dies parallel zu 7,5 und 6. Sieht man die Dinge in dieser Weise, bedarf der (schwierige) Text keiner Umstellungen oder Korrekturen. Die Textstruktur ist also folgende: 7,25a Danksagung (im Kontrast zur Klage von 7,7-24); 7,25b erster summierender Merksatz; 8,1 zweiter Merksatz und 8,2 ff. nähere Entfaltung desselben. Auf die in V. 24 zusammengefaßte Klage des adamitischen Ich folgt kontrastie- Β rend die Danksagung, weil die Glaubenden Errettung durch die von Gott im Opfergang Jesu heraufgeführte Erlösung gefunden haben. Was die Situation des adamiti- 7,25b sehen Ich anbetrifft, erkennt es zwar im Gesetz den guten und heiligen Gotteswillen und möchte ihm auch wissentlich folgen (vgl. V. 22 und 23), aber es ist trotzdem gezwungen, sich mit seinem Fleisch (und allen Gliedern) dem Zwang zu fügen, den die Sünde auf es ausübt (vgl. V. 8 und 23). Der Apostel formuliert diese Merksumme aus 7,7-24 noch einmal ausdrücklich im Präsens und bringt damit zum Ausdruck, daß jeder glaubende Christ den unglücklichen Zwiespalt des adamitischen Ich, dessen Geist zwar willig, aber dessen Fleisch schwach ist (vgl. Mk 14,38 Par.), in sich trägt, und zwar im Sinne einer mehr als gut erinnerlichen, nur durch Gottes Hilfe überwundenen Not. Dieser Not darf aber „nun", d.h. von der Taufe her, auch der 8,1 Grund- und Merksatz der Rettung gegenübergestellt werden: Für die in und durch Christus Lebenden gibt es keine todbringende Verurteilung im Gericht mehr. Jesu vollendeter Gehorsam hat die Folgen des Ungehorsams Adams zunichtegemacht. Er hat stellvertretend das den Sündern geltende Todesurteil auf sich genommen, und jeder zusammen mit Christus in den Tod begrabene und der Auferweckung entgegensehende Christ darf sich freuen, von der Herrschaft der Sünde erlöst und unter die Herrschaft der Gnade gestellt zu sein (vgl. 5,21 und 7,6).

Exkurs X: Das „Ich" in Rom 7,7-25 Seit den Tagen der Alten Kirche wird die Frage diskutiert, ob das in 7,7-25 sprechende „Ich" den Menschen vor der Taufe und ohne Christus oder den getauften Christen in seinen lebenslänglichen Anfechtungen meint. Der Kirchenvater Augustin ist zunächst für die erste und später dann für die zweite Beziehung eingetreten.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Luther und die Reformatoren sind dem späten Augustin gefolgt. Ihrer Meinung nach spricht Paulus in 7,7-25 von sich selbst und jedem Christen. Ihre Auslegung wird bis heute verteidigt, obgleich sich die Mehrheit der Paulusausleger mittlerweile davon überzeugt hat, daß mit dem „ I c h " in 7,7-25 nur das Ich Adams bzw. des Menschen überhaupt vor der Taufe und ohne Christus gemeint sein kann. Spezielle Anfechtungen des Paulus mit dem Gesetz und der Begierde spiegelt der Text nicht. Wenn es um seine eigene vorchristliche Vergangenheit geht, nennt der Apostel sich einen untadelig gerechten Pharisäer, der gegen die Gemeinde Christi vorging und von Gott selbst durch die Erscheinung Jesu Christi zum Glauben und Aposteldienst überwunden worden ist (vgl. Phil 3,4—11; Gal 1,13ff.; 1. Kor 15,9f.; 2. Kor 2,14 ff.; 4,5 f.). Der in 7,7 ff. bestimmende Ton der Bußklage hat zwar ergreifende jüdische Vorbilder, wird aber dem Apostel erst von Christus her aufgedrängt, wenn er auf seine und aller getauften Christen Vergangenheit zurückschaut. Rom 7,7-25 ist keine spezielle Lebensbeichte des Apostels, sondern das Klagelied jedes getauften Christen, wenn und indem er auf seine vorchristliche Vergangenheit zurückblickt. Für die Beziehung von Rom 7,7-25 auf das adamitische Ich vor der Taufe und ohne Christus sprechen entscheidende exegetische Gründe: (1) Die Gesamtstruktur von 7,7-8,17 ist durch die Gegenüberstellung von Rom 7,5 und 6 bestimmt, so daß 7,5 durch 7,7-25 und 7,6 durch 8,(1)2-17 kommentiert werden. (2) Die hohe Auffassung des Apostels von der Taufe (s.o. S. 90ff.) verbietet es, auch noch den Christen mit 7,14 als „verkauft unter die Sünde" zu bezeichnen. (3) Der präsentische Stil der Aussagen von 7,13-25 erklärt sich aus der jüdischen Tradition der Buße, so daß keine Notwendigkeit besteht, die Textaussagen um dieses Gegenwartsstils willen erst und nur auf den Christen zu beziehen. Allerdings verbieten nun auch die Tradition der Bußklage und die auf die Danksagung in 7,25a erst folgende (!) Gegenüberstellung der beiden Grund-Sätze: „Ich für mich diene mit der Vernunft dem Gesetz Gottes, mit dem Fleische aber dem Gesetz der Sünde" (7,25b), und: „ E s gibt jetzt keine Verurteilung mehr für die in Christus Jesus (Lebenden)" (8,1), Rom 7,7-25 einfach in die Vergangenheit abzuschieben! Paulus leitet in 7,25 zur Danksagung an im Zeichen einer Not, die das Ich zwar überwunden hat, die ihm aber in der Form der Bußklage stets gegenwärtig ist und bleibt. Das in R o m 7,25 ff. zum Dank aufgerufene Ich weiß m.a.W., daß es nur in und durch Christus von der tödlichen Anklage des Gesetzes befreit und durch die Gabe des Hl. Geistes befähigt ist, Gottes gutem Gebot zu folgen. Ohne den Geist und ohne Christus würde das Ich sofort wieder in die N o t zurückgeworfen werden, die Paulus in 7,7 ff. schildert. Luther hat bis in die bekannte Vorrede zu seiner Übersetzung des Römerbriefes im sog. Septembertestament von 1522 hinein unter Berufung auf Rom 7,7-25 betont, daß auch der getaufte Christ bis zu seinem Tode stets „Sünder und Gerechter zugleich" sei und auch bleiben müsse. Der Text von Rom 7,7-25 deckt diese Anschauung Luthers nicht hinreichend ab. Aber er kommt ihr ein gewisses Stück entgegen. Wie Paulus schon in Gal 5,16ff. betont hat und in Rom 8,5ff. noch einmal im einzelnen ausführt, ist und bleibt gerade der getaufte Christ von der Anfech-

8,2-11: Die Befreiung von der Sünde und der neue Dienst im Geist

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tung durch die Kräfte des „Fleisches" bedroht. Außerdem ist der Apostel seit dem Auftreten von judenchristlichen Predigern eines „anderen Evangeliums" in seinen Gemeinden (vgl. Gal 1,8; 2. Kor 11,4) in großer Sorge, daß die von ihm zur Glaubensfreiheit geführten Christen aus der Gnade Gottes in Christus wieder herausfallen könnten (vgl. Gal 5,4). Die Not des adamitischen Ich unter dem Gesetz ist so für ihn eine im Glauben überwundene, aber ständig neu gegenwärtige Gefahr. Der Christ ist nach Paulus zwar nicht „Sünder und Gerechter zugleich", aber er ist „gerecht und versuchlich zugleich", und zwar bis er von Christus in die ewige Herrlichkeit aufgenommen werden wird (vgl. Phil 3,20 f.).

2.4 8,(1)2-17: Der neue Dienst im Geist als Leben in der Gotteskindschaft Wie 7,5 die Uberschrift über 7,7-25a bot, ist in 7,6 das Leitmotiv für 8,(1)2-17 zu sehen: Auf dem Hintergrund der Klage von 7,7-24 spricht Paulus nunmehr von der Befreiung vom Gesetz der Sünde und des Todes und vom neuen Dienst in der Kraft des Geistes. Er tut dies in zwei Schritten: In 8,(1)2-11 beschreibt er das Ereignis der Befreiung und die Struktur des neuen Dienstes, und in 8,12-17 macht er deutlich, daß dieser neue Dienst in die Gotteskindschaft und die Erwartung künftiger Verherrlichung mit Christus stellt.

2.4.1 8,(1)2-11: Die Befreiung von der Sünde und der neue Dienst im Geist (8,1: [Außerdem gilt]: Es gibt also jetzt keine Verurteilung mehr für die in Christus Jesus [Lebenden].) 2 Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in (durch) Christus Jesus hat dich befreit von dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Was das Unvermögen des Gesetzes betrifft, weil es durch das Fleisch geschwächt war, hat Gott seinen eigenen Sohn gesandt in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde, und zwar als Sündopfer, und hat die Sünde im Fleisch verurteilt, 4 damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt werde in uns, die (wir) nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist. 5 Denn die, die nach dem Fleische sind, trachten nach dem, was des Fleisches ist, die aber nach dem Geiste (sind), nach dem, was des Geistes ist. 6 Denn das Trachten des Fleisches (ist) Tod, aber das Trachten des Geistes Leben und Friede. 7 Denn das Trachten des Fleisches (ist) Feindschaft gegen Gott, denn dem Gesetz Gottes gehorcht es nicht, und kann es auch nicht. 8 Die aber im Fleische sind, können Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wenn aber einer den Geist Christi nicht hat, ist dieser (Mensch) nicht sein. 10 Wenn aber Christus in euch ist, dann ist zwar der Leib tot wegen der Sünde, aber der Geist (ist) Leben wegen der Gerechtigkeit. 11 Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, dann wird der, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. Vers 2-4: Jer 31,31-34; Ez 36,27.

108 A

1,18-8,39: G o t t e s Gerechtigkeit für J u d e n und H e i d e n

Die Struktur des Textes ist klar und einfach: V. 2 erläutert V. 1, und V. 3 und 4 schließen eng an V. 2 an; sie schildern, wie es zur neuen Inkraftsetzung der Rechtsforderung des Gesetzes für die Christen g e k o m m e n ist. V. 5-8 setzen die Erläuterung fort und machen die Opposition von Leben im Geist und Leben nach dem Fleisch deutlich. V. 9-11 schließlich versichern die Christen ihrer Begabung mit dem Geist und der damit begründeten Auferstehungshoffnung. Die wichtigsten Traditionselemente in unserem Textabschnitt finden sich in der Aussage über die Sendung Jesu in V. 3, in der Gegenüberstellung von befreiender und tödlicher Gesetzeswirklichkeit in V. 2 - 7 und in der Antithetik von Geist und Fleisch in V. 4ff. (1) Die Aussagen über die Sendung j e s u in Gal 4,4f.; R o m 8,3f.; J o h 3,16f. und l . J o h 4 , 9 f . sind strukturell so verwandt, daß man in ihnen die Variation einer urchristlichen Bekenntnistradition sehen kann, die von der Sendung des Gottessohnes Jesus Christus in die Welt zum Zwecke der Verwirklichung des Heils spricht. In dieser Tradition verbinden sich von Jesus her Elemente der frühjüdischen Messias- und der Weisheitstradition zu einem neuen christlichen Ganzen. Nach 2. Sam 7,14; Ps 2,7 und Ps 89,28 steht der Messias zu G o t t im Vertrauensverhältnis des „ S o h n e s " , und nach Jes 11,2; 61,1 f. ist erder mit dem „Geist (der Weisheit)" begabte „ G e s a n d t e " G o t t e s . Wie die Weisheit s o ist auch der Messias urzeitlichen U r s p r u n g s (vgl. Spr 8,22; Weish 9 , 9 mit Mi 5,1 u n d äthHen 48, 3.6). Von der Weisheit heißt es ebenso wie v o m Messias, sie w e r d e von G o t t „ g e s a n d t " (Weish 9,10). In den Schriften Philos von Alexandrien wird sie, ganz ähnlich wie in Weish 9,1 f., mit dem schöpferischen Wort Gottes identifiziert, das Philo den „Erstgeborenen (Sohn) G o t t e s " nennt (vgl. S o m I 215; C o n f L i n g 146). Nachdem Jesus selbst im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-11 Par.) von seiner messianischen Sendung als „ S o h n ( G o t t e s ) " gesprochen hatte, mit einer Weisheit sondergleichen lehrte (vgl. Mt 12,42 Par.) und von Gott auferweckt worden war, haben die griechisch sprechenden Jesuszeugen mit Hilfe der skizzierten Traditionen die Formel von der Sendung Jesu geprägt. Paulus hat ihre Hauptaussagen übernommen. — (2) Die Gegenüberstellung von tödlicher und befreiender geistlicher Gesetzeswirklichkeit in V. 2 - 7 erinnert biblisch aufs stärkste an Jeremía 31,31-34. Hier wird eine die Gesetzgebung und den Bundesschluß vom Sinai (nach Ex 24) überbietende „ S e t z u n g " Gottes und O f f e n b a r u n g des Gesetzes verheißen: Gott wird sich dem Volk erneut zuwenden, dem Gottesvolk seinen Willen ins H e r z schreiben, die spontane Erkenntnis und Erfüllung dieses Willens ermöglichen und ihm seine Sünden vergeben; auch in E z 36,27 wird angekündigt, daß Gott dem Volk seinen Geist eingeben und ihm dadurch zur Erfüllung seiner Weisungen verhelfen werde. In J u b 1,15 ff. 23 ff. wird diese Verheißung aufgegriffen und mit der Nathansweissagung aus 2. Sam 7,12-14 verbunden (vgl. zu ihr unten S. 118). D a sich Paulus selbst in 2. Kor 3 in den „Dienst des Geistes" im Neuen Bund (nach Jer 31,31-34) gestellt sieht, der den mosaischen „Dienst des T o d e s " ablöst, und Christus als den diese neue „ S e t z u n g " Gottes erfüllenden Geist der Freiheit bezeichnet (vgl. 2. Kor 3,6-17), liegt es nahe, R o m 8 , 2 - 7 auf dem Hintergrund von J e r 3 1 , 3 I f f . ; E z 3 6 , 2 7 und der frühjüdischen Erwartung zu deuten, daß das endzeitliche Gottesvolk in Erfüllung der Sohnesverheißung aus 2. Sam 7,12-14 zum vollendeten Gehorsam der „Söhne G o t t e s " geführt werden wird. — (3) Auf die

8,2-11: Die Befreiung von der S ü n d e und der neue Dienst im Geist

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Ursprünge der paulinischen Gegenüberstellung von Geist und Fleisch sind wir schon einmal eingegangen (s.o. S. 95). Jetzt ist nur noch folgendes hinzuzufügen: Sicher waren die Empfänger des Römerbriefes als Menschen der hellenistischen Zeit mit der spätgriechischen Anschauung vertraut, daß der Mensch auf Erden „das fremde Gewand des Fleisches" (Empedokles fr. 126) tragen müsse und sich danach sehnt, in die unvergängliche Welt des Geistes aufzusteigen. Die Ausdrucksweise des Paulus in 8,3 ff. zeigt freilich, daß es ihm in unserem Zusammenhang nicht um diese hellenistische Abwertung des vergänglichen Fleisches gegenüber dem ewigen Geist geht, sondern um den Gegensatz von Sünde und Gerechtigkeit. Der (vor-) paulinische Ausdruck „Fleisch der Sünde' '(8,3) entspricht nämlich der Rede vom „Fleisch des Frevels" in 1QS 11,9, und der Ausdruck „Trachten des Fleisches" in 8,6 hat sein Vorbild in dem „Streben (oder auch: Trieb) des Fleisches" von 1QH 10,23. In den essenischen Texten vom Toten Meer steht das „Fleisch der Sünde" dem Gott der Gerechtigkeit gegenüber, der dem Sünder aus freier Gnade seine Übertretungen vergibt, ihn mit Hl. Geist erfüllt und zum Lobpreis sowie zum vollkommenen Wandel befähigt (vgl. 1QS 11,9-18). Paulus denkt und argumentiert ganz analog. Der Klage des adamitischen Ich hat Paulus in 8,1 (s.o.) den Lehrsatz gegenüberge- Β stellt, daß es „nun" keine dem Todesgericht überantwortende Verurteilung mehr (8,1) gebe für die, die in und durch Christus Jesus leben. Jetzt setzt er an, diesen Grund- 2 satz näher zu entfalten. Direkt an das klagende Ich gewendet, führt der Apostel in V. 2 aus, warum es keine Verurteilung mehr zu befürchten hat. Von dem „Gesetz" der Sünde und des Todes, welches das adamitische Ich in all seinen Lebensvollzügen in Bann geschlagen hat und das in sich das parasitäre Widerspiel des guten Willens Gottes ist (vgl. 7,23), ist das Ich befreit worden durch das Gesetz, das bestimmt ist durch den „Geist des Lebens", und zwar in bzw. durch Christus. Die Formulierung „Geist des Lebens" ist semitisch und meint, wie Ez37,5f. und vor allem äthHen 61,7 beispielhaft zeigen, den das endzeitliche Gottesvolk mit neuem Leben und Gotteserkenntnis erfüllenden Geist Gottes. Diesen Geist setzt der Apostel schon in 1. Kor 15,45 und 2. Kor 3,17 mit Christus gleich, dessen Geschick und Werk das Leben all derer bestimmt, die in ihm leben. Rom 8,9 f. bieten diese Identifikation ebenfalls. Daher ist V. 2 so zu verstehen: Das von dem lebendigmachenden Geist Christi bestimmte Gesetz hat das klagende Ich von 7,24 von der tödlichen Herrschaft der Sünde befreit. Daß der Apostel vom „Gesetz" des Geistes des Lebens spricht, hat seinen Grund in der von 7,7-8,17 mit seinen Gegnern zu führenden Debatte über Gesetz, Sünde und den Dienst im Hl. Geist. Nachdem Paulus schon in 7,7 ff. das Gesetz Gottes scharf von der Sünde abgehoben und (über die jüdische Tradition hinaus!) mit dem Wertprädikat „geistlich" versehen hat (vgl. 7,14), steigert er diese positive Bewertung des Gesetzes Gottes jetzt noch einmal: Den Christen begegnet Gottes guter Wille in der vom lebendigmachenden Geist Christi bestimmten Art und Weise. Daß dies biblisch-theologisch besten Sinn macht, dokumentiert Jer31,31ff. zusammen mit äthHen 61,7.11 ff.; Jub 1,15ff. 23ff.; TestLev 18,11-14. An die Stelle des dem adamitischen Ich nur gegenübergestellten, es gebieterisch zum Tun des Guten auffordernden und im Falle der Übertretung zum Tode verurteilenden Gesetzes ist nunmehr die neue geistliche Lebensordnung getreten, deren Kraft Christus ist. Die Weisung Gottes ist den Glaubenden von

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Christus her in ihr Inneres gelegt, so daß sie nunmehr in der Gotteserkenntnis stehen und spontan den Willen Gottes erfüllen. Da, anders als unter Mose, Freiheit herrscht, wo der Geist Christi auf den Plan tritt (2. Kor 3,17), und dieser Geist Gottes gnädige Gabe an die gerechtfertigten „Gottlosen" ist, hat es guten Sinn, wenn der Apostel von der neuen Gesetzeswirklichkeit sagt, sie habe das Ich von dem Aftergesetz der Sünde und des Todes befreit. In Gal 6,2 (vgl. 1. Kor 9,21 ) nennt er die geistliche Weisung „das Gesetz (bzw. die Weisung) des Christus". Verstehen wir V. 2 in dieser Art und Weise, schließen sich die folgenden beiden Verse nahtlos an 3 und führen weiter aus, was V. 1 thetisch vorausgenommen hat. In 7,7-11 und 7,22 f. hat Paulus von der Schwächung des Gesetzes durch die Sünde und das Fleisch gesprochen. Das Gesetz hat weder das Aufkeimen der Begierde noch den Sündenfall verhindert, also seine Erfüllung nicht durchsetzen können (vgl. so auch Gal 3,21). Auf dieses Unvermögen des Gesetzes hat Gott aus freier Gnade auf seine Weise reagiert. Er hat seinen eigenen Sohn gesandt, und zwar „in der Gleichgestalt des Fleisches der Sünde". Die aufs erste künstlich wirkende Redeweise erklärt sich, wenn man ihrer (opfertheologischen) Absicht nachspürt. Der Gottessohn ist Mensch geworden wie alle Menschen, aber im Unterschied zu ihnen hat er nicht gesündigt, sondern ist Gott (bis zum Tode) gehorsam geblieben (vgl. 5,18 ff.). Diese Freiheit von Sündenschuld hat den Gottessohn qualifiziert, das von Gott gewollte Sündopfer schlechthin zu werden. Die in Bibelübersetzungen und Kommentaren noch immer auftauchende Ubersetzung: „Gott . . . hat seinen Sohn gesandt in der leibhaften Gestalt von Sündenfleisch und um der Sünde willen" (P. Althaus), läßt nicht erkennen, was der Apostel meint. In der (auch unter den Christen von Rom gebräuchlichen) griechischen Bibelübersetzung von Lev 4,3.14.21; 5,6.7.8 usw. wird für „das um der Sünde willen darzubringende Sündopfer" einfach kurz gesagt: (das) „um der Sünde willen" (darzubringende Sündopfer). Es handelt sich also um einen Fachausdruck der Opfersprache, und so ist der Ausdruck auch in Rom 8,3 zu verstehen. Die Aussage des Paulus von 8,3 stimmt in der Sache mit den opfertheologischen Formulierungen von 3,25 überein und hat ihre nächste Parallele in 2. Kor 5,21. Gemeint ist folgendes: Aus freier erwählender Liebe zu den Gottlosen heraus hat Gott das Opfer auf sich genommen, das er Abraham nach Gen 22,9-14 zunächst zwar zugemutet, dann aber doch erspart hatte. Er hat seinen eigenen Sohn gesandt, der keine Sündenschuld besaß, damit dieser das Sündopfer sei für das unter dem Gesetz der Sünde und des Todes gefangengehaltene Gottesvolk. Mit diesem Sündopfer hat Gott die Sünde im Fleisch verurteilt, und zwar auf folgende Art und Weise: Die Sünde hat den Gottessohn mittels des Gesetzes ans Kreuz gebracht; dieser hat — obgleich sündlos — den Kreuzestod gehorsam auf sich genommen; Gott aber hat ihn am dritten Tage von den Toten auferweckt und zu seiner Rechten erhöht. Der Sünde ist es also nicht gelungen, Jesus dem ewigen Gerichtstod zu überantworten. Vielmehr ist ihre eigene Herrschaft durch den Opfergang Christi und seine Auferweckung zerbrochen worden; die Sünde hat mit der Verurteilung Jesu sich selbst das Gottesurteil zugezogen, und zwar in ihrer ureigensten Machtsphäre, dem Fleisch. Statt nun sühnetheologisch fortzufahren und davon zu sprechen, daß die Sünder kraft des Opfertodes Jesu vor Gottes Gerichtsthron freigesprochen wer4 den (davon ist erst in 8,31 ff. die Rede), bleibt Paulus noch beim Thema Gesetz,

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Sünde und neuer Dienst im Geist und stellt das Ziel der Sendung Jesu in diesem Zusammenhang pointiert heraus. Es besteht darin, daß die Rechtsforderung des Gesetzes durch die nicht mehr nach Maßgabe des Fleisches, sondern des Geistes (der Christus selbst ist, vgl. V. 10) wandelnden Christen erfüllt wird. Durch den Opfergang Christi sind die Glaubenden in die Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes gestellt, die in der Kraft des Geistes geschieht. Von Jer 31,31 ff. (und Ez 36,27) her bedeutet dies folgendes: Um des Opfertodes Jesu willen gedenkt Gott der Sünden derer nicht mehr, die vom Gesetz abgewichen sind (Jer 31,32.34). Sie sind nunmehr in der Kraft des sie seit ihrer Taufe beseelenden Hl. Geistes am Gehorsam Christi beteiligt und erfüllen den ihnen von ihrem auferstandenen Herrn neu ins Herz gegebenen Willen Gottes in der Kraft Christi (vgl. Jer 31,33 f.; Ez 36,27). Christus hat m.a.W. die Seinen in die Gesetzeswirklichkeit des Neuen Bundes gestellt und eben damit dem „geistlichen" Gotteswillen (7,14), der Adam und Eva im Paradies zum Schutz des Lebens mitgeteilt worden war, aber von der Sünde mißbraucht wurde, durch die Uberwindung der Sünde endlich zur Durchsetzung verholfen. Paulus und alle, die seiner Verkündigung und Lehre folgen, sind demnach keine Antinomisten, wie die Paulusgegner meinen, noch auch Leute, die Gesetz und Sünde auf eine Ebene stellen (7,7.13), sondern sie stehen kraft des Hl. Geistes in der Erfüllung des Gotteswillens und erfahren diesen Gotteswillen von ihrem Herrn neu als Wegweisung zum Leben. Es ist keine rhetorische Spiegelfechterei, wenn der Apostel in 3,27.31 behauptet, er richte das Gesetz im Zeichen des Glaubens neu auf. Er lehrt vielmehr und zeigt auf, daß und wie es in und durch Christus zum Durchbruch der in Jer 31,31 ff. verheißenen Neuoffenbarung und geistlichen Verinnerlichung der Weisung Gottes kommt und wie diese Weisung von den Christen in der Kraft des Geistes auch befolgt wird! — Der Apostel hat schon in 7,5 f. und eben wieder von dem tiefgreifenden Unterschied zwischen dem Wandel nach dem Fleisch und nach dem Geist gesprochen. Dieser Unterschied bestimmt das Leben der Gemeinde zutiefst, und deshalb geht Paulus nunmehr in einer Folge von Lehrsätzen auf ihn ein. „Fleisch" und „Geist" meinen gegensätzliche Lebenshaltungen und -wege vor Gott: Die vom Fleisch bestimmten Menschen sind vom „bösen Trieb" (s.o. S. lOlf.) bestimmt, sie „trachten" in ihrem Denken und Handeln auf das, was im Sinne des Fleisches ist. Nach Gal 5,19ff. sind das Leidenschaften, Laster und Götzendienst (vgl. so auch in 7,8). Umgekehrt sind die vom Geist bestimmten Menschen kraft ihres „guten Triebes" (s.o.) aus auf das, was der Geist will und zu vollbringen hilft. Nach Gal 5,22 f. wären hier zu nennen: Liebe, Großmut und alles Verhalten, das vor Gott wohlgefällig ist. Solches Verhalten stellt in den „Frieden mit G o t t " (5,1) und führt zum Leben. — Der Apostel vertieft seinen Lehrsatz nunmehr weiter und bezieht ihn auf die aktuelle Auseinandersetzung von 7,7-8,17. Das „Trachten" des Fleisches steht Gott seit dem Fall Adams und Evas in Widersetzlichkeit und Feindschaft gegenüber; es ist nicht willens, sich dem Gesetz Gottes (zum Ausdruck vgl. 7,22) unterzuordnen. Es kann dies auch nicht, weil es von der Sünde beherrscht und in der Gottesferne gefangengehalten wird. Daher können auch die von der Macht des Fleisches bestimmten Menschen kein Leben führen, das Gott wohlgefällig ist und seine Anerkennung findet. Die Christen von Rom sollen dies genau im Auge behalten. Paulus spricht sie jetzt wieder mit „Ihr aber" unmit-

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telbar an. Im Gegensatz zu denen, die eine vom Fleisch bestimmte Existenz führen, sind sie nicht mehr im Fleisch, sondern schon im Geist, wenn denn wirklich der Geist Gottes von ihnen (im Glauben und in der Taufe) Besitz ergriffen und in ihnen Wohnung genommen hat. So klar diese Bestimmung des Christenlebens ist, so ernst ist ihre Kehrseite: Sofern einer den Geist Christi nicht hat, gehört dieser Mensch nicht zu Christus. Der Satz unterscheidet in juristischer Präzision zwischen Christsein und Nichtchristsein. Paulus spricht ihn aus, weil seiner Erfahrung und Lehre nach am Besitz des Geistes die Fähigkeit zum Christusverständnis, zum Bekenntnis, zum Glauben und zum gehorsamen Wandel nach Gottes Willen hängt (vgl. 1. Kor 2,10ff.; 12,3; Rom 10,9f.; 14,17 f.); wo das Bekenntnis, der Glaube und der Lebensgehorsam fehlen, kann von Zugehörigkeit zu Christus keine Rede sein. Nur wo der Geist herrscht und wirkt, ist der einzelne Christ als solcher und die Gemeinde als Leib Christi (1. Kor 12,12ff.; Rom 12,4ff.) erkennbar. Paulus nennt in V. 9-11 den Geist nacheinander „Geist Gottes", „Geist Christi", „Christus in uns" (vgl. Gal 2,20) und „Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat". Dies ist biblisch leicht verständlich: Gottes Geist ist von Ez 37,5 f. her die Leben aus dem Tode schaffende Kraft Gottes (s.o.). Der von Gottes Geist beseelte, gekreuzigte und auferweckte Messias Jesus ist für den Apostel (und andere urchristliche Zeugen) der eigentliche Repräsentant dieses Geistes (vgl. 1. Kor 15,45; 2. Kor 3,17). Kraft des Geistes bestimmt er das Leben der Seinen. Dementsprechend fährt Paulus fort: Wenn Christus in euch Glaubenden ist, dann seid und werdet ihr an Jesu Tod und Auferweckung beteiligt (vgl. 6,3 ff.). Wie Christi Leib in den Tod gegeben worden ist (7,4), wird auch der Leib der Christen samt allen in den Gliedern wirksamen sündenhaften Leidenschaften in den Tod gegeben (7,6.24). Aber wie Christus kraft der Herrlichkeit Gottes auferweckt wurde, so wirkt Gottes Geist auch an und in den Glaubenden (vgl. 2. Kor 13,4); er ergreift von ihnen Besitz und führt um der von Christus erwirkten Gerechtigkeit willen (vgl. l . K o r 1,30; Rom 4,25) zum Leben. Als Gerechtfertigte stehen die getauften Christen im Dienst an der Gerechtigkeit (6,18ff.) und leben vor Gott und den Ungläubigen „in der Neuheit des Geistes" (7,6). In der Zeit ihrer irdischen Zeugenschaft erfüllt der Geist Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat, die Christen (von Rom) mit der Glaubensgewißheit ( 1. Thess 4,14; Rom 6,8), daß Gott auch ihre sterblichen Leiber kraft seines Geistes lebendig machen und derselben Auferstehungsherrlichkeit teilhaftig werden lassen wird, die dem Christus Gottes heute schon verliehen ist (vgl. 1. Kor 15,20-23; Phil 3,20f.; Rom 6,4f.). Auf die Klage des adamitischen Ich von 7,24 dürfen die Christen also antworten: Kraft des uns beseelenden Hl. Geistes haben wir teil an der von Jesus heraufgeführten Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung (1. Kor 1,30); wir stehen in der Erfüllung der Weisung Gottes und sind im Glauben unserer endzeitlichen Auferweckung gewiß. Exkurs X I : Die paulinische Lehre vom Gesetz In der dialektischen Lehre vom Gesetz, wie sie Paulus im Römerbrief vorträgt, bündeln und klären sich seine (schon zu Lebzeiten des Apostels) höchst umstrittenen Äußerungen zum Gesetz aus dem Galaterbrief und den Korintherbriefen. Da

Exkurs X I : Die paulinische Lehre vom Gesetz

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es sich in all diesen Fällen vor allem um die Diskussion des Gesetzesproblems unter (Juden-)Christen handelt, können die Fragen nach der den jüdischen Gottesdienst betreffenden (sog. kultischen) Tora weitgehend zurücktreten. Bei aller gegenseitigen Polemik und Kritik ist sich Paulus nämlich selbst mit seinen schärfsten judenchristlichen Gegnern (vgl. 2. Kor 11,3f.; Phil 3,2f.; Gal 1,7ff.; Rom 3,8) darin einig, daß Jesu Sühnetod für die Gemeinde Christi eine tiefgreifende Veränderung gegenüber dem jüdischen Sühnopferkult im Tempel von Jerusalem mit sich gebracht hat. Der eigentliche Streit geht darum, inwiefern und in welchem Maße die getauften Christen verpflichtet sind, die Beschneidung, die Feiertagsheiligung, die elementaren Reinheitsgebote (vgl. Gen 9,1-7; Lev 17-19) und die sog. ethischen Gesetzesbestimmungen auf sich zu nehmen, um nach ihrer Taufe auf den Namen Christi auch noch der Rechtfertigung im Endgericht teilhaftig zu werden. Während noch ganz rituell denkende Gegner des Paulus die Heidenchristen in Galatien aufriefen, bestimmte Speisegebote einzuhalten (vgl. Gal 2,12 f. mit Apg 15,20.19), sich nach Vorbild Abrahams beschneiden zu lassen (vgL Gal 5,2; 6,12 f.) und auch den jüdischen Festkalender zu beachten (Gal 4,10), begnügten sich die „liberaleren" Kontrahenten des Apostels in Korinth und Philippi damit, die christliche „Vollkommenheit" (vgl. Phil 3,15 mit Jak 1,4.25) in einer möglichst nahtlosen Einheit von Christusglauben und Lebensorientierung am Gesetz zu suchen. Sie wollten offenbar den Gegensatz von Mose und Christus, Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes oder aus Glauben allein, nicht gelten lassen, der für das Evangelium des Paulus charakteristisch ist. Auch Paulus spricht in seinen Briefen nirgends davon, daß Gesetz und Evangelium völlig zu trennen seien (der Gedanke einer „Trennung von Gesetz und Evangelium" taucht altkirchlich erst um 150 n.Chr. bei Markion auf, vgl. Tertullian, Adv.Marc. 119, und seine Lehre ist von der römischen Gemeinde als unerträglich zurückgewiesen worden), sondern ringt um die angemessene Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium. Während aber seine Kritiker unter Berufung auf das Vorbild des Herrenbruders Jakobus in Jerusalem und auf Petrus (vgl. Gal 2,11 ff. ; 2. Kor 11,5) die vom Gesetz geforderten Werke angesichts des kommenden Weltgerichts für unverzichtbar hielten (vgl. Jak 2,20-26), vertrat Paulus eine differenziertere Lehre vom Gesetz und von der (End-)Rechtfertigung; sie steht der Verkündigung Jesu sehr nahe. Paulus versucht das entscheidend Neue des Christusevangeliums mit der Offenbarung des Gesetzes vor Christus dialektisch zusammenzudenken. Schon im Galaterbrief (vgl. Gal 2,16ff.; 3,2.19ff.; 4,21 ff. mit 5,14; 6,2) und im 1. Korintherbrief (vgl. 1. Kor 9,19-23) unterscheidet der Apostel mit Bedacht zwischen (1) dem jüdischen Gesetzesgehorsam vor und ohne Christus, (2) heidnischer Gesetzlosigkeit und (3) christlichem Tatgehorsam in Erfüllung des „Gesetzes Christi"; der christliche Gehorsam besteht für ihn in der „Einhaltung der Gebote Gottes" (1. Kor 7,19). Im Römerbrief hält Paulus diese dreifache Differenzierung durch. Mit dem Vorwurf konfrontiert, das Gesetz abzuschaffen (3,31) und mit der Sünde auf eine Ebene zu stellen (7,7), trägt er in 7,7-8,4 eine tiefschürfende „Apologie des Gesetzes" vor. Sie hat folgendes Ergebnis: Gott hat durch Jesu Opfergang der Herrschaft der Sünde und des Todes das Gericht bereitet (8,3). Durch Jesu Tod am Kreuz und seine Auferweckung sind die Christen von der tödlichen Herrschaft der Sünde

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befreit und dem seit Adams Fall von der Sünde mißbrauchten Gesetz abgestorben (7,4-6; 8,1). Aber dieses Abgestorbensein bedeutet nicht, daß die Glaubenden nunmehr in eine schrankenlose Freiheit versetzt wären, die mit heidnischer Gesetzlosigkeit gleichgesetzt werden könnte. Vielmehr verwirklicht sich ihre Freiheit im Dienst an eben der Gerechtigkeit, die Gottes Wille ist (6,13.18 ff.). Durch das Ende, das Gott der Sündenherrschaft durch Christus gesetzt hat, ist nämlich auch das Gebot bzw. Gesetz Gottes von seinem Mißbrauch durch die Sünde befreit und neu in Geltung gesetzt worden. Was Paulus in Gal 6,2 und 1. Kor 9,21 „Gesetz des Christus" nennt, bezeichnet er in Rom 8,2 mit „Gesetz des Geistes des Lebens in (durch) Christus Jesus". Der Apostel geht bei dieser Formulierung von Jer 31,31 ff. und Ez 36,27 aus. Er sieht (wie in 1. Kor 11,25 und 2. Kor 3 auch) die Gemeinde durch Christus in die Zeit und Situation des Neuen Bundes bzw. der Neuen „Setzung" Gottes gestellt. Durch den lebendigmachenden und befreienden Geist, der Christus selbst ist (1. Kor 15,45; 2. Kor 3,17;Röm 8,9 f.), sind die glaubenden Christen in die neue Gesetzeswirklichkeit von Jer 31,33 f. gestellt (Rom 8,2). Das Gesetz steht ihnen nicht mehr fremd und drohend gegenüber, sondern bewegt sie von innen her, so daß sie in der Erkenntnis des Willens Gottes stehen und die Rechtsforderung des Gesetzes aus der Kraft Christi heraus erfüllen (Rom 8,4). Die christliche Gemeinde ist m.a.W. dazu da (und kraft des Hl. Geistes auch fähig), den Willen Gottes in der Kraft Christi zeichenhaft zu erfüllen (Phil 2,12-16; Rom 8,9 ff.). Erfindet exemplarischen Ausdruck im Dekalog (Rom 13,8 ff.) und läßt sich am knappsten im Liebesgebot zusammenfassen (Gal 5,14; Rom 13,8). Er wird auch Maßstab des Endgerichts sein, das Gott seinem Christus übertragen hat (2. Kor 5,10; Rom 2,12-16). Es ist zwar fürs erste verwirrend, wenn der Apostel einerseits von Christus als dem „Ende des Gesetzes" (Rom 10,4) spricht und sagt, die Christen seien von der todbringenden Herrschaft des Gesetzes befreit worden (Rom 6,14; 7,6; 8,1 ff.), andererseits aber beteuert, er schaffe mitnichten das Gesetz ab, sondern richte es im Glauben auf (Rom 3,27.31); wenn er dem Gesetz lebenschaffende Qualität abspricht (Gal 3,21; Rom 8,3), es der Väterverheißung weit nachordnet (Gal 3,17; Rom 4,13-15), lehrt, es sei zwischen Adam und Christus nur „zwischenhineingekommen, um die Übertretung zu mehren" (Rom 5,20), und betont, das Gesetz führe nur zur Erkenntnis der Sünde (Rom 3,20), kurz darauf aber schreibt, schon Adam im Paradies sei mit dem Gebot bzw. Gesetz betraut gewesen (Rom 7,9-11), das Gebot bzw. Gesetz sei von Uranfang an heilig, gerecht, gut, ja sogar geistlich (Rom 7,12.14), durch Christus sei das „Gesetz des Geistes des Lebens" befreiend in Erscheinung getreten und die Glaubenden seien durch den Geist in die Erfüllung der Rechtsforderung des Gesetzes gestellt (Rom 8,2.14); oder wenn er in Rom 9,31 f. die kühne Behauptung aufstellt, Israel sei bei seinem Bemühen, dem Gesetz aufgrund von Werken gerecht zu werden, noch gar nicht zu der Gesetzeswirklichkeit gelangt, die dem Glauben offensteht; aber Paulus formuliert mit alledem nur höchst dialektisch und keineswegs unsinnig! Man muß nur sehen, daß er in einer ihm vom Frühpharisäismus und Alten Testament her vorgezeichneten und von Jesus dann messianisch neu qualifizierten Linie des Gesetzesverständnisses steht.

Exkurs X I : Die paulinische Lehre vom Gesetz

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Nach frühpharisäischer Auffassung ist das Gesetz von Gott lange vor Schöpfung der Welt erschaffen worden. Schon Adam war im Paradies mit ihm betraut, und die Erzväter Israels, Abraham voran, haben es, obwohl noch ungeschrieben, gekannt und eingehalten. Am Sinai ist die Tora dann dem Gottesvolk Israel endgültig durch Mose offenbart worden; ihr Kernstück sind die „Zehn Worte" des Dekalogs (Ex 20,1-21; Dtn 5,1-22); sie sind den Worten, mit denen Gott die Welt erschuf, gleichzuachten. In Sir 24 und Bar 4,1 wird das Gesetz mit der uranfänglichen schöpferischen Weisheit Gottes gleichgesetzt und von ihrer Einsetzung auf dem Zion in Jerusalem gesprochen (Sir 24,10). Die Tora bestimmt also den Tempelkult, das Gottesverhältnis und alles Leben in Israel; sie ist umfassende Lebensordnung im wahren Sinn des Wortes. An ihr hat Israel seine Freude, weil sie die Frommen in der Nähe Gottes erhält und zum Leben führt. In Sir 15,15 und PsSal 9,4f. wird ausdrücklich betont, daß der Mensch frei und fähig sei, das Gesetz auch einzuhalten. Wo es dennoch zur Gesetzesübertretung kommt, helfen Umkehr und die von Gott aus Güte gestiftete kultische Sühne über solches zeitweiliges Versagen hinweg. Die Erkenntnis des Propheten Ezechiel, daß es in der Tora auch Gebote gibt, die es dem Volk Gottes „unmöglich machten, am Leben zu bleiben" (Ez 20,25), wird frühpharisäisch zwar tradiert, aber nicht weiter bedacht. Auf die neue „Setzung" Gottes nach Jer 31,31 ff., die dadurch die Uberbietung der Gesetzesoffenbarung vom Sinai bringen wird, daß im Neuen Bund das Gesetz dem Gottesvolk nicht mehr nur gegenübersteht, sondern ihm ins Herz geschrieben sein wird, wodurch sich Gotteserkenntnis und Erfüllung des Gotteswillens spontan und ohne Belehrung von außen ergeben, blickt man nur erst voraus (vgl. Jub 1,15 ff. 23 ff.; äthHen 61,7.11 ff.). Schon Jeremia bringt diese neue „Setzung" mit Jerusalem und dem Zion in Verbindung (vgl. Jer 31,11 ff.); nach Jes 2,1-4; Mi 4,1-4 wird der in der Endzeit zum Weltenberg erhöhte Zion dann sogar der Ort sein, von dem aus die Tora (Weisung) an die Völkerwelt ergeht, die sie endlich friedensfähig macht. Paulus ist in Jerusalem erzogen und zu Füßen Rabban Gamliels I in der Schrift unterwiesen worden (Apg 22,3). Er hat auf diese Weise die frühpharisäischen und biblischen Traditionen kennengelernt. Als Stephanus und seine Anhänger nach Pfingsten bei ihrer Christusmission in den Synagogen Jerusalems unter Berufung auf Jesus an der Tora und am Tempel Kritik zu üben begannen (Apg 6,11-14), hat Paulus sie zuerst in Jerusalem selbst und dann, ihrer Mission nachspürend, bis hin nach Damaskus mit allen jüdischen Machtmitteln verfolgt (Apg 8,1-3; Gal 1,13 f.; 1. Kor 15,9). In dieser Zeit hat der junge Pharisäer Paulus aller Wahrscheinlichkeit nach, wie der oberste jüdische Gerichtshof auch, in Jesus den messianischen Volksverführer und Falschpropheten gesehen, der mit Recht dem Fluchtod am Kreuz (Dtn 21,22f.) überantwortet worden war, weil nach Dtn 13,6; 17,7 das in einem Verführer verkörperte Böse unbedingt aus Israels Mitte wegzuschaffen ist. Als ihm dann aber der gekreuzigte Christus vor Damaskus in der Herrlichkeit des zur Rechten Gottes erhöhten Sohnes Gottes erschien (Gal 1,15 f.), erkannte Paulus, daß er Jesus bislang falsch verstanden (2. Kor 5,16) und die christliche Gemeinde in Verblendung verfolgt hatte. Angesichts der Erscheinung der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht des auferweckten Christus (2. Kor 4,6) konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Jesus mit seinem Weg und Werk vor Gott im Recht und Paulus mit

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit f ü r Juden und Heiden

seinem fanatischen „Eifer" für die Überlieferungen der Väter (Gal 1,14; Phil 3,6-8) im Unrecht war. Der Apostel mußte daher in Hinsicht auf Christus und das Gesetz radikal umdenken. Jesu eigener Umgang mit der Tora, von dem Paulus aus der Stephanuspredigt schon in Jerusalem erfahren hatte und von dem ihm nach seiner Berufung zum Apostel die Christen von Damaskus und später auch Petrus berichteten (Gal 1,18 f.), scheint für den Apostel zum Vorbild seiner eigenen Gesetzesauffassung geworden zu sein. Nach Mt 5,17 ist Jesus dem Verdacht, er wolle das Gesetz abschaffen, mit dem Anspruch entgegengetreten, er sei nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen und durch seine Lehre zu vollenden (vgl. ähnlich Paulus in Rom 3,31). Jesus ist aufgetreten als der messianische Vollender der Tora; paulinisch ausgedrückt: Er hat „das Gesetz (die Tora) des Christus" verkündigt (Gal 6,2). In den sog. „Antithesen" der Bergpredigt (Mt 5,21-48) hat Jesus der Gesetzesverkündigung gegenüber den „Alten", d.h. der Generation vom Sinai, seine eigene messianische Interpretation des Gotteswillens gegenübergestellt. Jesus entwickelte dabei seine Lehre teils in Anknüpfung an das alttestamentliche Gebot und in Vertiefung desselben (vgl. z.B. Mt 5,21 ff. 43 ff.), teilweise aber auch in scharfem Widerspruch dazu (z.B. Mt 5,33 ff. 38ff.). Was Ehe und Ehescheidung anbetrifft, wagte Jesus sogar den Satz, Mose habe den Israeliten die Möglichkeit der Ehescheidung nur in Hinsicht auf ihre „Herzenshärtigkeit" gestattet, der mit der Schöpfung gesetzte ursprüngliche Wille Gottes sei aber die Unauflöslichkeit der Ehe (vgl. Mt 19,3-12 Par. unter Verweis auf Gen 2,24). Schon für Jesus konnte also Gottes Weisung vom Ursprung der Schöpfung über dem Gesetz vom Sinai stehen. Er selbst wirkte als der messianische „Herr des Sabbats" (Mk 2,27 f. Par.), der die Zeit der neuen Schöpfung heraufführt. Zugunsten seines Werkes der Liebe hat sich Jesus dementsprechend souverän über die von den Pharisäern als überaus wichtig erachteten Reinheitsvorschriften hinweggesetzt (vgl. Mk 7,1-15 Par.). Auf die Frage, wie sich das Gesetz am besten zusammenfassen lasse, hat Jesus (in Jerusalem!) neuartig mit dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe geantwortet (Mt 22,34-40 Par.). Den einen Gott, der die Welt geschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat, hat er betont seinen „Vater" genannt (vgl. Lk 11,2-4; Mk 14,36 Par. mit Gal 4,5 f.; Rom 8,15), und die Nächstenliebe beschränkt sich nach Jesu Lehre nicht auf den Nachbarn und Glaubensgenossen, sondern schließt den Feind und Verfolger der Jesusgemeinde mit ein (Mt 5,44 Par.). In der Erfüllung des Gebotes der Feindesliebe ist Jesus den Kreuzestod gestorben (vgl. Lk 23,34), und zwar auf Golgatha, vor den Mauern der Hl. Stadt. - Wie nahe Paulus dieser Lehrejesu vom Gesetz steht, läßt sich nicht nur aus dem (vom Stephanuskreis übernommenen ?) Ausdruck „Gesetz des Christus" (Gal 6,12; vgl. 1. Kor 9,21 ) erkennen, sondern z.B. auch aus Rom 12,14—21. Der Apostel verpflichtet hier die Christen von Rom auf die von Jesus gelehrte Feindesliebe unter deutlicher Anspielung auf das entsprechende Gebot der Bergpredigt bzw. Feldrede (vgl. Rom 12,14.18.21 mit Mt 5,44; Lk 6,27 f.). Die paulinische Lehre vom Gesetz, wie wir sie im Römerbrief vor uns haben, hat ihr Vorbild in Jesu messianischer Lehre vom Willen Gottes. Jesus ist in Jerusalem gekreuzigt und auferweckt worden. Karfreitag ist nach Paulus der endzeitliche große Versöhnungstag für alle Glaubenden (Rom 3,25 f.).

8,12-17: G e i s t u n d K i n d s c h a f t

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Christus hat den Dienst des Mose im Alten Bund (der alten Setzung Gottes) abgelöst, und Paulus sieht sich berufen, im Gegenüber zu Mose „Diener des Neuen Bundes" (der Neuen Gottessetzung) zu sein und das Christusevangelium auszurufen (2. Kor 3,6). Der Apostel bemißt seinen weltweiten Missionsauftrag von Jerusalem aus (vgl. Rom 15,19), d. h. vom sog. „Apostelkonzil" her (vgl. Gal 2,1-10). Während das irdische Jerusalem noch unter dem Gesetz der Sünde und des Todes steht und seine Rechtfertigung in Werken des Gesetzes sucht, gehört die Gemeinde der Glaubenden bereits dem himmlischen Jerusalem zu (Gal 4,21-31). Sie lebt vor Gott in der durch Jesu Sühntod für sie heraufgeführten Freiheit der Liebe, in der Zeit und Situation der „Neuen Setzung", in der das Gesetz spontan erfüllt wird (Gal 5,14; Rom 13,8). Sie geht mit aller Welt noch auf das Endgericht nach den Werken nach dem Maßstab des von Christus vertretenen Willens Gottes (Gesetzes) zu und erwartet für diese Werke Lohn oder Strafe (Rom 2,5-13.16; 14,10-12.18). Ihrer Endrechtfertigung darf sie bei diesem Gang gewiß bleiben, weil Gott sie erwählt hat und der Richter des Jüngsten Tages, Christus, für sie stets der ist und bleibt, der zur Rechten Gottes für die Glaubenden eintritt, so daß auch ihr Versagen sie von Gottes Liebe nicht trennen kann (Rom 8,28-39). Die Gemeinde wird bei jeder Herrenmahlsfeier ihrer Zugehörigkeit zur Neuen Setzung Gottes versichert (vgl. l.Kor 11,25), und sie fleht dabei jeweils mit ihrem „Maranatha" (= „unser Herr komm!") um die endzeitliche Ankuft des Herrn ( 1. Kor 11,26; 16,22). Diese wird vom Zion her erfolgen und für ganz Israel die Erlösung und Wirklichkeit des Neuen Bundes heraufführen (Rom 11,25-27). Das paulinische Gesetzesverständnis steht auf diese Weise in dialektischer Kontinuität zum Alten Testament und Frühpharisäismus; es steht in der heilsgeschichtlichen Bewegung des Gotteswillens vom Sinai zum Zion und ist entscheidend durch Jesu Lehre, Kreuzestod und Auferweckung geprägt. Im paulinischen Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus (Rom 1,16 f.) werden Gnade und Weisung Gottes eins, weil der Gottessohn in einer Person Retter und Richter, Versöhner und Herr der Welt ist.

2.4.2 8,12-17: Geist und Kindschaft 12 Also nun, Brüder, sind wir verpflichtet: Nicht dem Fleisch gegenüber, um nach dem Fleisch zu leben! 13 Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben. Wenn ihr aber durch den Geist die Handlungsweisen des Leibes tötet, werdet ihr leben! 14 Denn welche vom Geist Gottes geführt werden, die sind Söhne Gottes. 15 Denn ihr habt nicht empfangen einen Geist der Sklaverei wiederum zur Furcht, sondern ihr habt einen Geist der Sohnschaft empfangen, durch den wir rufen: ,Abba, Vater!' 16 Eben dieser Geist bezeugt zusammen mit unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. 17 Wenn aber Kinder, dann auch Erben, (und) zwar Erben Gottes, aber als Miterben Christi, wenn wir denn wirklich mit (ihm) leiden, damit wir auch mit (ihm) verherrlicht werden. Mit den Versen 12-17 führt Paulus seine Erörterung von 7,1-8,17 zu Ende. V. 12 A zieht aus V. 9-11 die entscheidende Schlußfolgerung. Sie wird in den Versen 13.14

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

und 15, die jeweils mit „denn" aneinander anschließen, weiter präzisiert. V. 16 führt V. 15 fort, und V. 17 beschließt die gesamte Argumentation in Form eines sog. Kettenschlusses. Auch in unserem Abschnitt nimmt der Apostel wieder Traditionen auf, die man sich eigens vor Augen führen muß, um die Wirkung der Sätze des Paulus auf seine Hörer und Leser nachvollziehen zu können. Wenn der Apostel von den „Söhnen (bzw. Kindern) Gottes" und vom „Geist der Sohnschaft (Kindschaft)" spricht, greift er wieder auf die biblischen und frühjüdischen Überlieferungen zurück, die wir schon zu 8,2.3 erwähnt haben. Von 2. Sam 7,14 her gilt für den Messias: „Ich (Gott) will für ihn Vater sein, und er wird für mich Sohn sein." Diese Zusage ist eine ewig gültige, von Gott her unverbrüchliche Bundes-Setzung (vgl. Ps 89,20-38). Da auch das Gottesvolk Israel in Ex 4,22f.; Hos 11,1; Jer 31,9.20 u.ö. Gottes eingeborener Sohn genannt und die dem Hause Davids geltende Verheißung in Jes 55,3 auf ganz Israel bezogen wird, lassen sich 2. Sam 7,14; Jer 31,3Iff.; Ez 36,27 schon im Frühjudentum zusammensehen. Im sog. Jubiläenbuch (1,15-18.23-25) werden sie zu der Erwartung verbunden, daß Israel in der Endzeit seine Sünden erkennen und zu Gott umkehren werde. Gott wird dann den Kindern Israels „einen heiligen Geist schaffen und sie rein machen, so daß sie sich nicht mehr von mir wenden von diesem Tage an bis in Ewigkeit. Und ihre Seele wird mir folgen und meinem ganzen Gebote, und sie werden nach meinem Gebote tun, und ich werde ihnen Vater sein und sie werden mir Kinder sein. Und sie alle sollen Kinder des lebendigen Gottes heißen . . . " ( J u b 1,23-25). Wie schon 8,2 ff. zeigten, sieht Paulus diese Verheißung mit der Sendung Jesu, seinem Opfergang, seiner Auferweckung und der endzeitlichen Gabe des Geistes Christi an die Gemeinde als erfüllt an. — Bei dem in V. 15 auftauchenden Ruf „Abba, Vater!" handelt es sich um eine Anrufung Gottes, die den aramäischen Vokativ „Abba!" ( = o Vater!) griechisch mit „Vater!" wiedergibt, ohne die Ubersetzung einfach an die Stelle des aramäischen Wortes zu rücken. Das semitische Wort „Abba" ist so wichtig, daß die Übersetzung (ähnlich wie in Mk 5,41 Par. und 15,34 Par.) danebengestellt wird, ohne es zu verdrängen. Für diesen auffälligen Befund legt sich folgende Erklärung nahe: Derselbe Ruf „Abba, Vater!" taucht im Neuen Testament in M k 14,36; Gal 4,6 und Rom 8,15 auf. „Abba" ist in der aramäischen Muttersprache Jesu die in den Familien gebräuchliche Anrede des Vaters, unserem heutigen „Papa!" oder auch „(lieber) Vater!" vergleichbar. Jesus hat gerade dieses familiäre „Abba" = „Vater" benutzt, um Gott zu preisen oder zu bitten (vgl. Mt 11,25 Par.; M k 14,36). Wie die mit bloßem „Vater!" beginnende Urform des Vaterunsers aus Lk 11,2-4 zeigt, hat er seine Jünger gelehrt, Gott ebenso als „Vater" anzurufen, wie er selbst es tat. Mit der Formel „Abba, Vater!"dürfte Paulus also Jesu eigenes Gebet aufnehmen, und zwar so, daß die des Aramäischen unkundigen Christen den Ruf „Abba" nachsprechen, anschließend aber in dem ihnen vertrauten Griechisch wiederholen können. Der Apostel erinnert die römischen Christen in V. 15 an das Gebet, das sie bei ihren Zusammenkünften „im Namen Jesu" sprechen. Β Paulus zieht nun die Schlußfolgerung aus dem, was er bisher vorgetragen hat. 12 Dabei steht noch immer die seit 6,1.15 (und 7,7.13) verhandelte gegnerische Anschuldigung im Raum, der Apostel leiste mit seiner Evangeliumspredigt dem

8,12-17: Geist und Kindschaft

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Sündigen in der Gemeinde Vorschub. Von 6,15ff. an hat Paulus versucht, seine Gegner Lügen zu strafen, und in unserem Textzusammenhang tut er es noch einmal. Aus Gottes Heilswerk in der Gehorsamstat Christi (V. 3 f.) und der Gabe des Hl. Geistes (V. 9-11) erwächst den getauften Christen die heilige Verpflichtung, in ihrem Wandel nicht mehr dem Trachten des Fleisches zu folgen. Wenn sie trotz der ihnen zuteilgewordenen Gabe des Geistes weiterhin nach Maßgabe des Fleisches leben, ist der Tod im Gericht die sichere Folge. Wenn sie aber statt dessen in der Kraft des Geistes „die Machenschaften" (U. Wilckens) des vom Fleisch beherrschten Leibes zu Tode bringen, dann werden sie vor Gott das ewige Leben gewinnen (vgl. 6,22 f.). Die Christen sollen also wissen und bedenken, daß sie noch mitten im Kampf gegen die Versuchungen des Fleisches stehen; ihr eigener Leib ist das Schlachtfeld, auf dem der Streit von Fleisch und Geist ausgetragen wird. Sie dürfen sich aber in diesem Kampf des Umstandes getrösten, daß sie nicht auf sich selbst gestellt sind. Vielmehr gilt für sie: „Welche vom Geist Gottes geführt werden, die sind Kinder Gottes." Die Aussage ist ähnlich präzis wie der Rechtssatz in 8,9 und gehört mit diesem zusammen: Wer Christi Geist nicht hat, gehört nicht zu ihm, aber wer von diesem Geist geleitet wird, steht in der Gotteskindschaft; sie wird vor allem erfahrbar im Gottesdienst der Gemeinde. In der Taufe haben die Christen in Rom nicht einen Geist empfangen, der sie erneut in Furcht vor der Sklavenhaltermacht von Sünde und Gesetz versetzen würde (vgl. 7,14 und Gal 3,23 f.), sondern sie haben den „Geist der Sohnschaft (Kindschaft)" empfangen. In diesem Geist haben sie an Jesu Gottessohnschaft teil und sind Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes (s.o.); als solche rufen sie Gott an mit Jesu eigenen Worten. Der Ruf „Abba, Vater!" bedarf keiner Fortsetzung und kann bloße „Anrufung Gottes" (Akklamation) sein; er kann aber auch ein Bittgebet einleiten (vgl. Mk 14,36). Aus eigener Kraft ist der Geist der Christen (vgl. l.Thess5,23; 1. Kor 2,11) nicht imstande, in der Vollmacht Jesu zu beten. Aber durch die Geistes-Gegenwart des auferstandenen Christus in ihnen (vgl. 8,10) werden die Glaubenden zu solchem Gebet fähig. Christi Geist, der in ihnen wohnt, ruft zusammen mit dem menschlichen Geist Gott als „Vater" an und läßt die Gemeindegenossen auf diese Weise ihre Gotteskindschaft erfahren. Es geht dem Apostel dabei nicht nur um die geistliche Erfahrung der gemeinsamen Gotteskindschaft in der irdischen Gemeindeversammlung. Es geht ihm auch um das verheißungsvolle Vorzeichen der kommenden Erlösung. Die Erwartung, daß die Heilsgemeinde Jesu Christi Empfängerin jenes „Erbes" sein werde, das Israel von den Vätern her, Abraham voran, verheißen ist und das Christus neu für sie erworben hat, bewegt Paulus schon im Galaterbrief (vgl. Gal 3,29; 4,7); sie ist in Rom 4,13f. ebenfalls schon angeklungen. In unserem Zusammenhang hat der Apostel die oben genannte Kindschaftsverheißung von 2. Sam 7,12-14 im Blick. Sie ist den Glaubenden durch Jesu Sendung, Tod und Auferweckung neu eröffnet. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist ihr entscheidender Bürge. Die Christen dürfen des gemeinsamen Erbes der Kindschaft und der Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, umso gewisser sein, je deutlicher sie gegenwärtig an dem Leidenskampf ihres Herrn teilhaben. Mit dem Verbum „mitleiden" setzt Paulus die Redeweise fort, mit der er schon in 6,4 ff. die Verbundenheit der Täuflinge mit dem Geschick Jesu zum Ausdruck brachte. Das „Mitleiden" meint,

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1,18-8,39: G o t t e s G e r e c h t i g k e i t für J u d e n und H e i d e n

einen der Passion Christi vergleichbaren Zeugniskampf durchzustehen (vgl. Phil 1,29f.; 3,10; 2. Kor 1,5; Kol 1,24), und zwar in der Gewißheit, die Nähe des Herrn nicht nur in solch irdischer Leidensgemeinschaft, sondern auch in der zukünftigen Herrlichkeit erfahren zu dürfen, in die Christus bereits von Gott aufgenommen worden ist (vgl. 1,4; 6,4-10).

J . 8,18-39:

Leiden in der Gewißheit der

Errettung

In zwei Schritten führt der Apostel nun den Abschnitt 6,1-8,39 zu Ende. Im ersten Schritt geht er auf die gegenwärtige Leidenssituation der Christen ein, und der zweite gipfelt in dem Bekenntnis zur Unerschütterlichkeit der Liebe Gottes, die in Christus Jesus offenbar geworden ist.

3.1 8,18-30: Leiden in Hoffnung 18 Ich bin nämlich der Auffassung, daß die Leiden der jetzt gegenwärtigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der künftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. 19 Denn die sehnsüchtige Erwartung der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. 20 Denn die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen worden, nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin. 21 Denn auch sie, die Schöpfung, wird befreit werden von der Sklaverei der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. — 22 Denn wir wissen ja, daß die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt. 23 Aber nicht nur dies, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir selbst seufzen unter uns selbst in Erwartung der Sohnschaft, (das heißt) der Erlösung unseres Leibes. 24 Auf Hoffnung nämlich wurden wir gerettet. Eine H o f f n u n g aber, die man sieht, ist keine Hoffnung. Denn wer erhofft (noch), was er sieht? 25 Wenn wir aber erhoffen, was wir nicht sehen, warten wir mit Geduld. - 26 Ebenso aber steht auch der Geist unserer Schwachheit bei. Denn was wir beten sollen, so wie es (vor Gott) sein muß, wissen wir nicht; aber er selbst, der Geist, tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber, der die Herzen erforscht, weiß, was das Bestreben des Geistes ist, denn er tritt für die Heiligen ein, wie es G o t t entspricht. - 28 Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alles zum Guten verhilft, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. 29 Denn die, die er im voraus ausersehen hat, die hat er auch im voraus bestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, auf daß er sei der Erstgeborene unter vielen Brüdern. 30 Welche er aber im voraus bestimmt hat, die hat er auch berufen; und welche er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht. A

Der Text läßt sich am besten folgendermaßen gliedern: Mit „Ich bin nämlich der Auffassung" wird in V. 18 eine These eingeführt, die Paulus anschließend dreifach entfaltet und begründet: in den Versen 19-21,22-25 und 26-27. Die abschließenden Verse 28-30 entsprechen V. 18 und münden aus in einen Kettenschluß, der von der Verherrlichung der leidenden Gerechtfertigten spricht.

8,18-30: Leiden in Hoffnung

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Die Auslegung auch unserer Verse steht wieder vor der Tatsache, daß der Apostel durchgängig auf Traditionen und Kenntnisse anspielt, die zwar seinen einstigen Lesern in Rom wohlbekannt waren, von uns heute aber erst wieder mühsam ergründet werden müssen. Die wichtigsten von ihnen sind folgende: In V. 20 weist Paulus auf die Folgen hin, die Adams und Evas Sündenfall für die Schöpfung gehabt hat. Die Sprache, die der Apostel spricht, steht der Auslegung von Gen 3,14-24 in 4Esr7,10-14 sehr nahe: „ . . . als aber Adam meine Gebote übertrat, ward die Schöpfung gerichtet: Da sind die Wege in diesem Aon schmal und traurig und mühselig geworden, elend und schlimm, voll von Gefahren und nahe an großen Nöten; die Wege des großen Äons aber sind breit und sicher und tragen die Früchte des Lebens. Wenn die Lebenden also in diese Engen und Eitelkeiten nicht eingegangen sind, können sie nicht erlangen, was ihnen aufbewahrt ist." Der Klage über die Verfallenheit der Schöpfung an das Gericht entspricht die Erfahrung, daß die Menschen auf Erden allgemein, und in gesteigertem Maße die Frommen und Gerechten unter ihnen, Leiden und Verfolgungen ausgesetzt sind. Vom Leiden der Gerechten ist in den Psalmen, bei Hiob, in den Gottesknechtsliedern des sog. Zweiten Jesaja, allen voran in Jes 52,13-53,12, aber z.B. auch in Weish 1-5; äthHen 103,9-15 und syrBar 52,5-7 die Rede. Die Texte spiegeln zugleich die Erwartung, daß die irdisch mit Leiden überhäuften Gerechten dereinst zum Lohn von Gott verherrlicht und gegenüber ihren einstigen Bedrängern ins Recht gesetzt werden sollen (vgl. z.B. Jes 53,10-12; Weish 5 , 1 - 7 ; äthHen 104,1-6). Paulus nimmt diese Überlieferung auf und deutet mit ihrer Hilfe in 5,3 f. und hier seinen Weg und den aller Christen: Sie sind vor Gott „leidende Gerechtfertigte" (s. o. S. 74), die auf ihre himmlische Verherrlichung zugehen. Weil die Zeit unmittelbar vor dem Kommen des Messias zum Gericht eine Epoche voller sich geradezu überschlagender Unheilsereignisse, der sog. „messianischen Wehen", sein wird, spricht Paulus in V 2 2 vom „Mit-in-Wehen-Liegen" ; auch bei dieser Anschauung fußt er auf breiter biblischer und frühjüdischer Grundlage (vgl. Mk 13,8 Par.; Jes 24,1-6.16-23 + 26,16-18; Mi 4,9 f.; äthHen 62,4; l Q H 3,7 f.). Da auch der römische Dichter Vergil im Mittelteil seiner berühmten 4. Ekloge ( - Hirtengedicht) zu erkennen gibt, daß die letzte Zeit vor dem Anbruch des goldenen Friedenszeitalters von Not, Tod und Frevel erschüttert sein wird, stehen wir vor einer Sicht der Zeiten, die weit über das antike Judentum hinausgreift. — Was den Beistand des Geistes anbetrifft, von dem in V. 26 f. die Rede ist, haben einige Kommentatoren des Römerbriefes gemeint, Paulus wolle hier auf das Phänomen der geistgewirkten „Zungenrede" anspielen, von dem in 1. Kor 14 ausführlich die Rede ist. Da der Apostel aber nicht ausdrücklich von „Zungen" oder „Reden in Zungen" spricht, liegt es näher, sich folgende zwei Traditionen in Erinnerung zu rufen. Daß Engel und gute Geistesmächte ebenso wie die bereits zu Gott erhöhten Väter und Märtyrerpropheten für die irdisch bedrängten Frommen vor Gott Fürbitte leisten, ist von Dan 12,1 an im Frühjudentum breit bezeugt (vgl. z.B. 4 Q 400I1,16; TestLev3; TestNaph 8,2; äthHen40,6f.; ApkZeph 11,1-6). Solche Fürsprache aber kann in den Himmeln nicht einfach in menschliche Worte gefaßt werden, sondern wird in der Geistessprache der „Engel des Angesichtes des Herrn" vorgetragen (vgl. 4Q 400117; äthHen 40,1-10; Test Hiob 48-50; TestLev 3; Offb 14,3 und 2. Kor 12,4). Diese Sprache ist irdischen

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Β

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

Menschen verschlossen und verboten, aber der Geist verhilft nach Paulus den auf Erden noch leidenden Gerechtfertigten dazu, daß ihre Gebete in den Himmeln in der Gott entsprechenden Weise zu Gehör kommen (vgl. Offb 8,3). Nachdem der Apostel in V. 17 kurz angedeutet hatte, daß die Christen seit ihrer Taufe nicht nur zum Kampfplatz von „Fleisch" und „Geist" geworden sind, sondern auch um ihres Glaubens willen ein Leiden durchzustehen haben, das der Passion Christi vergleichbar ist, kommt er nun ausdrücklich auf diese Leidenssituation und ihren heilsgeschichtlichen Ort in der Geschichte Gottes mit den Menschen zu sprechen. Die von Paulus mit „ich bin der Auffassung" rhetorisch wirkungsvoll eingeführte Glaubensüberzeugung besagt, daß die den Christen in der gegenwärtigen Zeit (vor dem herannahenden Endgericht) auferlegten Leiden gegenüber der ihnen verheißenen Verherrlichung nicht ins Gewicht fallen. Wie 2. Kor 4,17 und Rom 5,3 f. zeigen, äußert der Apostel diese Uberzeugung hier nicht zum ersten Mal. Die gegenwärtig leidenden Gerechtfertigten dürfen ihrer künftigen Anteilschaft an Gottes Herrlichkeit gewiß sein, weil sie ihnen in der Person ihres gekreuzigten und auferweckten Herrn verbürgt ist (vgl. Phil 3,20f.). Er ist es auch, der die noch zu erduldenden Heimsuchungen für sie kraft der Gegenwart seines Geistes tragbar macht. Wie in der Textanalyse angedeutet, wird dieser Lehrsatz des Glaubens vom Apostel nun in dreifacher Art und Weise begründet und ausgeführt: In V. 19-21 stellt Paulus zunächst das gegenwärtige Leiden und die Hoffnung der Christen in den Zusammenhang des (schon in 5,12 ff. und 7,7 ff. thematisierten) Schuldverhängnisses, das mit Adams Fall über die Welt gekommen ist. Leiden und Hoffnung der Christen haben ihren Ort und ihre Bedeutung in der Geschichte Gottes mit den Menschen! Nicht nur die Christen allein, sondern die Schöpfung insgesamt ist von der angespannten Erwartung erfüllt, die Offenbarung der Kinder Gottes (in Bälde) zu erfahren. Dieses Offenbarwerden scheint gedacht zu sein wie das in Dan 7,22.27; 12,1-3 angekündigte Offenbarwerden des Menschensohnes und des von ihm verkörperten Volkes der „Heiligen des Höchsten". Jesus hat seine Jünger in dieser Erwartung bestärkt (vgl. Lk 12,32; 22,28-30), und bei Paulus erscheint sie, nachösterlich auf die durch Christi Opfertod Geheiligten bezogen, in 1. Kor 6,2 f. und Rom 5,17. Die Erscheinung des Menschensohnes und seiner Gemeinde in endzeitlicher Herrlichkeit hat höchste Bedeutung für die Schöpfung insgesamt. Denn diese ist mit Adams Fall von Gott der Nichtigkeit unterworfen worden (vgl. Gen 3,14-24 mit 4Esr 7,10-14, s.o.), aber nicht auf immer, sondern „auf Hoffnung hin". Christus sollte als neuer „Mensch" die Welt von den Folgen des Ungehorsams Adams erlösen (5,15 ff.). Die künftige Erscheinung der von ihm angeführten Heilsgemeinde der (erlösten) „Kinder Gottes" wird diese Erlösung vollenden, und zwar so, daß mit dem Sieg Jesu über den „altbösen Feind", den Tod (1. Kor 15,26), auch die Schöpfung insgesamt aus ihrer Preisgegebenheit an die Vergänglichkeit erlöst wird, um fortan an der herrlichen Seinsweise der von Not, Schuld und Tod befreiten Kinder Gottes zu partizipieren. Wie diese Befreiung und Teilhabe aussehen soll, wird biblisch z.B. in Jes 11,1-9 und Offb 22 anschaulich beschrieben. Wie dort ist auch in unseren Versen der Begriff „Schöpfung" nicht auf die Menschen zu beschränken, sondern er schließt die ganze von Gott geschaffene Welt, die den Men-

8,18-30: Leiden in H o f f n u n g

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sehen umgibt und prägt, mit ein (vgl. 1,25). Paulus lehrt also, einer Erlösung entgegenzusehen, die Gottes ganze Schöpfung betrifft! Das Geschick der Schöpfung und der „Kinder Gottes", die Jesus um sich versammelt, gehören wesenhaft zusammen. Auch die Verse 22-24 unterstreichen dies, nun aber so, daß nicht die Zukunft, sondern der gegenwärtige Zustand der Schöpfung und der Glaubensgemeinde Jesu ins Auge gefaßt wird. Mit „denn wir wissen ja" appelliert Paulus an die Erfahrung und Glaubenseinsicht der römischen Christen. Die messianischen Wehen (s. o.) hinterlassen bis zur Stunde ihre Spuren in der gesamten Schöpfung; sie wird heimgesucht von Hungersnöten, Seuchen, Tod und Kriegswirren (vgl. Mk 13,7 f.) und hat darum allen Grund zum Seufzen nach Erlösung (vgl. die Klage der Erde über den Verlust ihrer Bewohner in 4Esr 10,9). Diese Erlösungssehnsucht beherrscht auch die Glaubensgemeinde, so daß die Glaubenden nicht nur in ihrer Erlösungshoffnung, sondern auch mit ihrem „Seufzen" nach Erlösung stellvertretend für die ganze Schöpfung stehen (vgl. zu solchem Seufzen Ex 2,24; 6,5; Ps 79,11 ; Apg 7,34). Die an den Sohn Gottes Glaubenden haben zwar (in der Taufe) die „Erstlingsgabe" in Gestalt des Hl. Geistes, der nunmehr in ihnen wohnt, empfangen (vgl. 2. Kor 5,5), und diese Erstlingsgabe stellt sie in die Erwartung, auch die vollendete Fülle der ihnen von Gott bereits zuerkannten „Erlösung durch Christus Jesus" (3,24) erfahren zu dürfen. Aber noch ist die Erfüllung der Sohnschaftsverheißung (vgl. Offb 21,7) für sie ein Hoffnungsgut und sehen sie der Erlösung ihrer Leiber von Vergänglichkeit und Tod erst sehnsüchtig entgegen (vgl. 1. Kor 15,42-49. 53-55). Das Erlösungswerk Gottes, des Schöpfers, ist auch an den Glaubenden noch unvollendet. Aber gerade weil es das erlösende Werk des Schöpfergottes ist, wird es die leibliche Auferweckung der Toten und die Errettung der Schöpfung insgesamt in sich schließen! Auch die vom Hl. Geist Ergriffenen und von Gott durch Christus Gerechtfertigten leben nach Paulus noch nicht im Stande der Endvollendung, sondern erst im Zustand der Hoffnung auf die Vollendung der Errettung; da diese noch nicht sichtbar geworden ist, gilt für die Glaubenden: Wir leben erst im Zustand des Glaubens und noch nicht in dem des Schauens (2. Kor 5,7; vgl. 1. Kor 13,12). Weil sie die Erlösung noch nicht schauen dürfen, ist die Hoffnung der Christengemeinde von jener standhaften Geduld, die Paulus in 5,3 f. erwähnt hat: Sie wird nicht zuschanden. Weshalb sie nicht zuschanden wird, erläutern die Verse 26-27: Der „Geist" kommt den Glaubenden in ihrer gegenwärtig noch andauernden Schwachheit zur Hilfe. Der Geist ist nach V 9 f. 15 die in den Christen wirksame Kraft des Christus. Die irdische Gemeinde Christi ist weder imstande, die vor Gottes Thron angemessene Geistessprache der „Engel des Angesichts des Herrn" zu sprechen, noch kann sie ihre (Bitt-)Gebete aus der vollendeten Gotteserkenntnis heraus formulieren, die diesen Engeln gewährt ist (s. o.). Aber sie darf sich des Beistandes des erhöhten Christus vor Gott getrösten! Er, der der Geist ist, tritt vor Gott für die Seinen ein, und zwar mit geisterfüllten Bitten um die Vollendung der Erlösung, die für irdische Wesen unaussprechlich sind. Die himmlische Fürsprache Christi, von der auch in 1 .Joh 2,1 und Hebr 7,25; 9,24 gesprochen wird, stärkt die Gemeinde auf Erden. Denn sie darf gewiß sein, daß Gott, der Herzenskündiger (vgl. Ps 7,10; 44,22; Spr 15,11; Jer 11,20 u.ö.), versteht, worauf der Geist aus ist, denn Christus tritt für

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

die „Heiligen", d.h. die durch seinen Opfertot vor Gott geheiligten Glaubenden (l.Kor 1,30; 6,11), in der vor Gott angemessenen Weise ein. - Die beiden Verse 26.27 stehen der christlichen Gebetsgewißheit nicht entgegen; vielmehr dringt der die Gemeinde von Jesus gelehrte Ruf „Abba, Vater!" (VI5) kraft der Fürbitten des Auferstandenen an Gottes Ohr. Die Gemeinde darf und kann also im Namen Jesu beten und auf Gehör bei Gott vertrauen. Aber noch ist die Einsicht der Gemeinde in Gottes unerforschliche Wege (11,33) unvollständig. Sie muß noch - wie einst Jesus selbst (vgl. Mk 14,36 Par. mit Hebr. 5,7-10) - Gehorsam lernen und hinnehmen, daß ihre Bittgebete von Gott anders beantwortet werden als erhofft (vgl. 2.Kor 12,8 f.). Aber sie darf gewiß sein, daß Christus ihre Gebete aufnimmt und in den Himmeln so vor Gott bringt, daß sie die Erhörung finden, die Gott ihnen geben will. Mit den Versen 28-30 kommt der Apostel auf seine Eingangsthese (V18) zurück und bestätigt sie im Ton der schon jenen Vers kennzeichnenden Glaubensgewißheit. Die Ausdrucksweise, die er wählt, besonders der Dreiklang „berufen, gerechtfertigt, verherrlicht" in V30 und die Sachparallele in Eph 2,4-10 machen deutlich, daß Paulus sich (noch einmal) auf Tauftradition stützt und dies den Christen von Rom mit dem einleitenden „Wir wissen aber" auch kenntlich macht. Doch reicht die Tradition, an die der Apostel die Römer erinnert, noch weiter. Nach geläufiger jüdischer Lehre soll sich ein Mensch gewöhnen zu sagen: „Alles, was der Allbarmherzige tut, tut er zum Guten" (babBer 60 b). Paulus nimmt das auf und wendet es auf die eben verhandelte Sache an: Denen, die Gott lieben, d. h. den Glaubenden (vgl. 1. Kor 2,9; Jak 1,12; 2,5 mit PsSal 4,25; 6,6 u.ö.), verhelfen alle Erfahrungen, die sie machen (müssen) — also auch die in dieser Endzeit zu bestehenden Leiden (V. 18) — zum „Guten" in Gestalt des endzeitlichen Heils (vgl. 10,15). Denn sie sind von Gott nach seinem freien gnädigen Ratschluß zu eben diesem Heil berufen (vgl. 1. Kor 1,26-29 mit Rom 1,5 f.). Die Gnadenwahl, die Gott getroffen hat, ist der tiefste und sicherste Grund der Heilsgewißheit der Gemeinde Christi. Warum sie dies ist und sein kann, erläutert Paulus gleich anschließend. Noch ehe sie überhaupt zum Glauben fähig waren (vgl. 5,6-8), hat Gott die Glaubenden aus freier Gnade heraus ausersehen und dazu bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden. Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf diese Bestimmung unterbricht der Apostel den in V 30 fortgeführten Kettenschluß. Ihm ist es wichtig, Gottes Erwählung in der Gestalt Jesu anschaulich zu machen. Paulus hat den Christen von Rom gleich in 1,4 in Erinnerung gerufen, daß mit der Auferweckung des Davidssohnes die endzeitliche Auferweckung der Toten insgesamt angebrochen ist. Nach 5,12-21 ist Christus der von Gott gesandte neue Adam und Mensch(ensohn), dessen Gehorsam die Folgen von Adams Übertretung überwunden hat. In 8,3 ist Jesus der messianische Gottessohn, durch dessen Opfergang die Herrschaft der Sünde zerbrochen wurde und diejenigen der endzeitlichen Gottessohnschaft teilhaftig gemacht werden, die im Geiste Jesu leben. Da Adam nach Gen 1,26 nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde und das Leben aller Menschen bestimmt, Christus aber als neuer Adam und lebenschaffender Geist auf den Plan getreten ist, lehrt Paulus, daß die Christen als irdische Menschen zunächst das „Bild" des ersten Menschen und nach ihrer Auferweckung dann das Bild des „letz-

8,31-39: G o t t e s unerschütterliche Liebe in J e s u s C h r i s t u s

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ten A d a m " tragen müssen und werden (1. Kor 15,44b-49). Der Apostel setzt diese Lehre auch bei den Christen von Rom als bekannt voraus. Er schreibt deshalb in unserem Zusammenhang, Gott habe diejenigen, die ihn lieben, dazu bestimmt, derselben himmlischen Leiblichkeit teilhaftig zu werden, die Christus schon gegenwärtig besitzt (vgl. Phil 3,20f.). Der messianische Gottessohn wird dereinst — der Verheißung von Ps 89,28-30 gemäß (s. zu 8,3.12 ff.) — der „Erstgeborene" unter vielen (gleich ihm auferweckten) Brüdern sein (vgl. 1. Kor 15,20; Kol 1,18). In der Sendung, dem Opfergang und der Auferweckung des Messias Jesus Christus wird Gottes Erwählungshandeln heilsgeschichtlich wirksam, und es wird zugleich tröstlich anschaulich. Die Sendung Jesu und die in ihr verbürgte Zukunft der Glaubenden vor Augen, kann Paulus nun mit seinem Kettenschluß fortfahren. Gott hat die 30 zur Teilhabe an Jesu Auferweckungsherrlichkeit Bestimmten (mit ihrer Taufe) dazu berufen, seine neuen Geschöpfe zu sein und zu werden (vgl. 1. Kor 1,26; Rom 4,17), er hat sie in und durch Christus gerechtfertigt (3,24ff.; 4,25), und er hat ihnen schon Anteil an der Herrlichkeit (Gerechtigkeit) der Kinder Gottes, die den Menschen mit Adams Fall verloren gagangen ist (s. zu 3,23), gegeben. Die Vergangenheitsform, deren sich Paulus in V. 28-30 bedient, erstaunt für einen Moment, wenn man sie mit dem V. 18-27 bestimmenden Blick auf die noch ausstehende Erfüllung der Verheißung der Sohnschaft vergleicht. Aber der Widerspruch ist erklärbar. Wie schon V. 18 so sind auch V. 28-30 im Ton prophetischer Gewißheit gehalten. Von Gott her und nach seinem Willen ist bereits vollendet, was sich heilsgeschichtlich erst auf Zukunft hin entfalten und vollenden kann. Gott hat in Christus ein für allemal so gehandelt, daß alle Zeit davon bestimmt ist und bleibt. Was ihre Heilsgewißheit anbetrifft, brauchen sich die Glaubenden deshalb nicht mehr mit Vorbehalten zu äußern, weil Gott selbst den Grund der Gewißheit in der Sendung Jesu gelegt hat.

3.2 8,31-39: Gottes unerschütterliche Liebe in Jesus Christus 31 Was sollen wir nun dazu sagen? Wenn Gott für uns (ist), wer (kann dann noch) gegen uns (sein)? 32 (Er,) der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle preisgegeben hat, wie sollte er uns nicht zusammen mit ihm alles schenken? 33 Wer wird Anklage erheben gegen die Erwählten Gottes? Gott (ist da), der gerechtspricht. 34 Wer wird verurteilen? Christus Jesus (ist da), der Gestorbene, aber mehr noch: der Auferweckte, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns eintritt. 35 Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Heimsuchung oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie geschrieben steht: „ U m deinetwillen werden wir den ganzen Tag zu Tode gebracht, wir sind erachtet worden wie Schlachtschafe." 37 Aber in all diesem überwinden wir siegreich durch den, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, keine Gewalten, 39 weder Höhe noch Tiefe, noch irgend eine andere Kreatur wird uns trennen von der Liebe Gottes, (die) in Christus Jesus, unserem Herrn, (ist). Vers 31-34: Jes 50, 7-9;

Vers 36: Ps 44,23.

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit fur Juden und Heiden

Die Textstruktur ist umstritten; am besten gliedert man die Verse folgendermaßen: V. 31a leitet mit einer rhetorischen Frage die in V. 31b geäußerte Losung ein. Ihre erste Hälfte (— „wenn Gott für uns ist") wird in V. 32, ihre zweite ( = „wer kann dann noch gegen uns sein") in V. 33-34 erläutert. In V. 35-39 wird im Stil von V. 33 f. weitergefragt, wer die Glaubenden von der Liebe Christi trennen kann (V. 35), und wird deren Leidenssituation ins Licht von Ps 44,23 gestellt. Den Leiden und Gefährdungen wird in V. 37 die christliche Siegeslosung gegenübergestellt, die V. 38 f. näher begründen. Die wichtigsten der vom Apostel auch in unseren Versen wieder herangezogenen Traditionen sind folgende: In V 3 2 spielt Paulus (wie in 8,3) auf Gen 22,16 an. Indem Gott seinen eigenen Sohn für das Heil der Welt aufopfert, überbietet und vollendet er die vor allem in nachpaulinischer Zeit im Judentum als hochverdienstliches, Sühne für Israel wirkendes, Werk Abrahams angesehene „Fesselung Isaaks". - D i e Verse 31 ff. versetzen die glaubenden Leser in die Situation des (Jüngsten) Gerichts. In Jes 50,7-9 ist die Szene vorgebildet. Gott verhilft dort dem von seinen Gegnern geschmähten und gepeinigten Gottesknecht zum Recht. Hier sind es die Kinder Gottes, denen er Recht schafft, und zwar gegen alle, die sie (vor Gottes Richterthron) verklagen und dadurch ihr Verdammungsurteil erwirken wollen. Wahrscheinlich denkt der Apostel dabei an Satan und die sog. Strafengel. Ihre Anklage wird von dem zur Rechten Gottes stehenden und für die Glaubenden eintretenden Christus abgewiesen (vgl. Sach 3,1 ff. und äthHen 40,6f.). - In V 3 6 zitiert Paulus Ps 44,23, und zwar wörtlich nach dem griechischen Text der Septuaginta. Ps 44 ist einer der biblischen Psalmen, die vom Geschick des leidenden Gerechten sprechen. Wie schon in 8,18 ff. sieht Paulus die Situation der Glaubenden auch hier als die der „leidenden Gerechtfertigten" an. Für den Katalog ihrer Leiden in V 35 gibt es eine ganze Reihe von frühjüdischen Parallelen (vgl. PsSal 15,7; slavHen 66,6 und die Schilderung des allen Anfeindungen und Versuchungen widerstehenden Josephs in Testjos 1,3ff.; 2,4ff.). Paulus selbst hat diese Katalogtradition in die Aufzählungen seiner eigenen Leiden als Apostel (in 2. K o r 4,7 ff.; 6,4ff.; 11,23ff.) aufgehen lassen und reiht sich nun auch in R o m 8,35 in die Schar derer ein, die um ihres Christuszeugnisses willen zu leiden haben. In V 38 f. schließlich zeigt sich, daß der Apostel (mit dem Frühjudentum seiner Zeit, dem er ja entstammt) die von Gott geschaffene Welt durchwaltet sieht von bedrohlichen über- und unterirdischen Mächten, die seit dem in G e n 6,1-4 nur angedeuteten, in jüdischen Texten (wie äthHen 6-11 und 69,2-25) aber intensiv bedachten Fall der Engel ihr Unwesen treiben (vgl. auch 1. Petr 3,19); sie bedrohen die Glaubenden auf verschiedene Art und Weise, aber sie sind dennoch der in Christus Jesus aufgerichteten Liebe Gottes unterlegen. Β In der Gesamtanlage des Römerbriefes stehen unsere Verse an wichtiger Stelle. Sie schließen den ersten großen Hauptteil des Briefes ( = 1 , 1 8 - 8 , 3 9 ) ab und geben zu erkennen, daß Gottes Gerechtigkeit in und durch Christus tatsächlich das Hauptthema dieses ersten Briefteils ist. Die Verse 32-34 resümieren in einer für die altkirchliche Lehre von der Dreieinigkeit Gottes wegweisenden Art und Weise, wie Gott in Christus „Gott für uns" geworden ist und bleibt.

8 , 3 1 - 3 9 : G o t t e s unerschütterliche L i e b e in J e s u s C h r i s t u s

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Schon V. 28-30 sind Ausdruck unerschütterlicher Glaubensgewißheit: Gott hat die Glaubenden erwählt, berufen, gerechtfertigt und verherrlicht, und zwar in und mit der Sendung Jesu. Die jetzt folgenden Sätze machen deutlich, wie diese Heilsgewißheit angesichts der von den Christen noch zu bestehenden Leiden festgehalten werden kann. Die einleitende rhetorische Frage: „Was sollen wir nun dazu sagen?" (vgl. 9,30) weist auf das bisher Vorgetragene zurück und führt eine von Paulus selbst formulierte Glaubenslosung ein: Wenn Gott in Christus „Gott für uns" (Immanuel, vgl. Jes 7,14) ist und sich zum Helfer und Anwalt der Glaubenden gemacht hat, wer kann es dann noch wagen, gegen die Schutzbefohlenen Gottes aufzutreten? Die erwartete Antwort lautet: Niemand! V. 32 erläutert den ersten Teil der Losung näher: Wie schon in 8,3 herausgestellt, hat Gott seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn - vergleichbar Abraham (vgl. Gen 22,16) - für alle Glaubenden dem Gerichtstod preisgegeben. Dies geschah aus freiem Entschluß und aus reiner Liebe heraus. Wie in 4,25 steht dem Apostel auch hier Jes 53,12 vor Augen; Gott hat seinen Sohn zum leidenden Gottesknecht gemacht, der stellvertretend für die Vielen in den Tod gegangen ist, um sie vor dem drohenden Gerichtstod zu retten. Mit dieser Tat hat Gott den Glaubenden wirklich alles geschenkt, dessen sie zum (ewigen) Leben bedürfen. Dieses „alles" schließt den vollen Anteil an dem in 8,17 erwähnten „ E r b e " Christi ein (vgl. außerdem 1. Kor 6,2 f.). In dem Geschenk, das Gott den Menschen mit der Hingabe Jesu gemacht hat, kommt sein Sein für uns, seine erwählende Gnade, zu vollendetem Ausdruck. Mit dem nächsten Satz erläutert Paulus den zweiten Teil seiner Losung. Wer kann und will noch angesichts dieser Gnadentat Gottes die zum Heil Erwählten anklagen und ihnen ihren Anteil am Erbe Christi streitig machen? Das können höchstens noch Satan und seine Helfer, die sog. Strafengel, versuchen. Aber sie müssen mit ihrer Anklage scheitern (vgl. Sach 3,1 f.), weil Gott selbst als Richter den Angeklagten zum Recht verhilft. Daß Paulus in unserem Zusammenhang von Rechtfertigung spricht, ist von Jes 50,8 und 53,11 f. her konsequent. Gott wollte und will durch die Sendung des Gottesknechts Jesus Christus den schuldbeladenen „Vielen" zur Gerechtigkeit verhelfen. Diesem Willen Gottes kann kein Ankläger widerstehen; plädiert er dennoch für die Verurteilung der Sünder, trifft er auf den Widerspruch des gekreuzigten und von Gott auferweckten Christus. Dieser hat zur Rechten Gottes königliche Vollmachten und tritt in der Vollmacht des Hl. Geistes vor Gott als Anwalt und Fürsprecher derer auf, die an ihn glauben (vgl. 8,26). Er macht zugunsten der Sünder seinen eigenen stellvertretenden Sühnetod geltend; sein Leben stellt das Lösegeld dar für das verwirkte Leben der Sünder (1. Kor 6,20). Zusammen mit 5,8-10 hat V. 34 für die Rechtfertigung allergrößte Bedeutung. 5,8-10 und 8,33-34 zeigen nicht nur, daß Rechtfertigung ein Rechtsakt im göttlichen Gerichtsforum ist, sondern vor allem, daß und in welcher Weise Jesu Sühnetod wirklich ein für allemal zur Rechtfertigung der Glaubenden durch Gott führt. Christus war nicht nur früher einmal der Retter, als Gott ihn dahingab wegen der Sünden von Juden und Heiden und ihn auferweckte wegen ihrer Rechtfertigung (4,25), sondern er bleibt es und ist Fürsprecher der Glaubenden vor Gott von seiner Auferweckung an bis ins Jüngste Gericht hinein. Im fortdauernden Wirken des auferstandenen Gekreuzigten ist den Glaubenden die Rechtfertigung verbürgt von ihrer Taufe an bis zum Jüngsten Tage. Die

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1,18-8,39: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden

judenchristlichen Gegenmissionare, mit denen Paulus seit deren Auftreten in Galatien zu kämpfen hatte, haben immer aufs neue betont, daß die von Gott durch Christus Angenommenen im Endgericht nur würden bestehen können, wenn sie dort Glauben und Werke aufzuweisen hätten (vgl. so ausdrücklich Jak 2,24). Paulus ist ihnen gegenüber dabei geblieben, daß allein der Glaube an Christus zur Rechtfertigung führt (3,28), und zwar vom Anfang des Christenlebens an bis zu den Schranken des Jüngsten Gerichts. Christus war, ist und bleibt Retter, Herr und Fürsprecher derer, die sich zu ihm bekennen; eine andere Rechtfertigung als die allein aus Glauben an diesen Christus Gottes kann es für den Apostel nicht geben. Von der Liebe Christi, der sich im Gehorsam gegenüber dem Willen seines Vaters für die Sünder dahingegeben hat (Gal 1,4; 2,20), kann die Glaubenden keine Gefährdung oder Bedrohung trennen: weder Trübsal und Bedrängnis noch Verfolgungen in den Schreckenszeiten der „messianischen W e h e n " (vgl. 1. Thess 2,2.14; 2. Kor 11, 23-33; M k 13,12 f. Par.), kein Hunger, kein Mangel an Kleidung, keine Gefährdung und auch nicht die Kapitaljustiz, die gegen die Zeugen Christi aufgeboten wird (vgl. noch einmal 2. Kor 11,23-33; Phil 4,11-13; M k 13,9 Par.). Wie das Zitat aus Ps 44,23 unterstreicht, handelt es sich bei den aufgezählten Leiden um Gefährdungen, die den Christen als missionarischen Zeugen des Christusglaubens zustoßen. U m ihres gekreuzigten und auferweckten Herrn willen werden sie wie Schlachtschafe erachtet, und zwar sowohl auf ihren Missionsfahrten als auch bei dem Glaubenszeugnis, das sie in den Städten und Dörfern Palästinas und der Mittelmeerwelt geben, in denen sie wohnen. Wie es Christus, dem Gottesknecht, ergangen ist, so ergeht es seinen Nachfolgern auch (vgl. Jes 53,7 mit R o m 8,17). Aber gerade diese Teilhabe an der Passion ihres Herrn macht die Glaubenszeugen unüberwindlich. Kraft des Beistandes Christi — der Apostel denkt dabei in erster Linie an die stärkende und durchtragende Kraft des Hl. Geistes (vgl. 8 , 4 - 1 7 ; M k 13,11 Par.) — überwinden die Glaubenszeugen sieghaft alle Fährnisse und Verfolgungen; sie werden zu „Uberwindern", wie sie in O f f b 2,7.11.17.26 u.ö. beschrieben sind. In den Glaubenszeugen bietet die Liebe Christi kraft des Hl. Geistes dem Haß der Welt die Stirn. Auch die überirdischen und unterirdischen Mächte können sie des Heils nicht mehr berauben. In dem (schon 8,18 und 8 , 2 8 - 3 0 prägenden) Stil vom Hl. Geist getragener Glaubensgewißheit zählt der Apostel nun zehn Träger überirdischer Macht auf, die vergeblich gegen die Glaubenden aufstehen; die Zehnzahl verrät, daß alle erdenklichen Mächte in, über und unter der Welt ins Auge gefaßt werden sollen. Es geht dabei um den Tod als grimmigsten Feind Gottes (1. Kor 15, 26.54 f.), um das Leben, in dem man von Gott und Christus getrennt ist (vgl. 7,24 mit 2. K o r 5,8 f.; Phil 1,23 f.), um die gefallenen Engel und Mächte, die nach äthHen 6 - 9 und 69,2 ff. Verursacher und Lehrmeister alles Bösen auf der Welt sind, um Gegenwart und Zukunft, in denen man des Glaubens verlustig gehen kann (vgl. 8,18 und M k 13,13 Par.), um „Gewalten", d.h. die Scharen Satans (vgl. äthHen 40,7; 53,3; 62,11), um Höhe und Tiefe, d.h. den höchsten und niedrigsten Stand der Gestirne, die den Lebenslauf feindlich beeinflussen können (beide Ausdrücke erscheinen in hellenistischen Zaubertexten), und schließlich um jedwede andere, zwar von Gott geschaffene, sich aber gegen seine Wege und Ziele auflehnende Kreatur in oder über der Welt. Sie alle können die Macht der Liebe Gottes,

9,1-11,36: G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

129

die in seinem Sohn auf den Plan getreten ist, nicht brechen (vgl. auch 1. Joh 4,9 f.). In eben dieser Liebe hat Gott die Glaubenden erwählt (8,28-30) und hält an ihnen fest für immer. Daß Paulus mit diesen Sätzen kühner Glaubensgewißheit die „billige Gnade' ' proklamiere, können nur Menschen behaupten, die seiner Argumentation von 7,1 nicht gefolgt sind oder alles, was Paulus schreibt, ablehnen.

9,1-11,36: Zweiter Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Israel

Das Gewicht, das Rom 9-11 im Römerbrief haben, wird umso deutlicher, je klarer man sich die historische Situation macht, aus der heraus der Apostel argumentiert, und je genauer man sich die Dimension seiner Rechtfertigungsverkündigung vor Augen hält. Wenn Paulus in seinem Evangelium von der Gottesgerechtigkeit für alle Glaubenden spricht (1,16f.), geht es ihm, wie wir gesehen haben, keineswegs nur um die Rechtfertigung des einzelnen Sünders allein aus Glauben um Christi willen, sondern um das endzeitliche Heilswerk des einen Gottes, der die Welt geschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat. Dieses Heilswerk zielt auf die Erlösung Israels, der Heiden und der ganzen (außermenschlichen) Schöpfung von der Sünde und der Gewalt des Todes. Daß sich Paulus über die knappen Bemerkungen von 1,16; 2,9; 4,1.13 und den kurzen polemischen Gesprächsgang in 3,1-8 hinaus thematisch der Frage zuwendet, wie Gottes Gerechtigkeit in Christus für Israel wirksam wird, hat seinen Hauptgrund darin, daß das Rettungswerk des einen Gottes so lange unvollständig ist und unvollendet bleibt, als das erwählte Gottesvolk mehrheitlich das Evangelium (des Paulus) zurückweist und Jesus, in dem sich Gottes heilschaffende Gerechtigkeit verkörpert (l.Kor 1,30), nicht als den von Gott gesandten Messias anerkennt. Als der Apostel den Römerbrief schrieb, sah er sich und sein Missionswerk von weiten Teilen des Judentums scharf abgelehnt, und er war nicht einmal sicher, ob und wie die Urgemeinde in Jerusalem dieses Werk mitsamt der Kollekte, die Paulus selbst zu erbringen gedachte, aufnehmen würde (15,30f.). Die Feindseligkeit vieler Juden und die Distanziertheit der Urgemeinde gegenüber Paulus und seiner Mission kamen nicht von ungefähr. Seit seiner spektakulären Lebenswende galt Paulus nicht wenigen Juden als Abtrünniger und Verräter an der heiligen Glaubenstradition. Aber auch ein Teil der mit ihm an Jesus als Messias und Herrn glaubenden Judenchristen konnte sich nur sehr schwer oder gar nicht mit der Rechtfertigungsund Gesetzesauffassung des Apostels befreunden; ihnen blieb das paulinische „Evangelium der Unbeschnittenheit" (Gal 2,7) fremd und verdächtig. Das wäre auf die Dauer leichter erträglich geblieben, wenn Petrus und seine Mitarbeiter die ihnen auf dem Apostelkonzil (vgl. Gal 2,1-10 mit Apg 15,1-35) übertragene Israelmission ebenso konsequent durchgeführt hätten wie Paulus und die

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9 , 1 - 1 1 , 3 6 : G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

Seinen ihr Missionswerk für die Heiden (Gal 2 , 7 f.). Aber genau dies war nicht geschehen. Statt selbständige Missionswege zu gehen, hat Petrus kurz nach dem Apostelkonzil der sich aus Juden- und Heidenchristen zusammensetzenden Gemeinde von Antiochien einen Besuch abgestattet. Dabei ist es zur Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus gekommen, und zwar vor versammelter Gemeinde. Der Streitpunkt war die „Wahrheit des Evangeliums" und deren Konsequenzen für das rituelle Verhalten von Juden- und Heidenchristen während der gemeinsamen Gemeindemahlzeiten (und der Feier des Herrenmahls!). Paulus hat sich mit seiner Auffassung, daß alle Mahlgenossen von rituellen Pflichten befreit seien und frei bleiben müßten, offenkundig nicht durchsetzen können. Er hat sich daraufhin von Antiochien getrennt und die Heidenmission in eigener „Regie" durchgeführt (vgl. Gal 2,11 ff. und Apg 15,36 ff.). Nach dieser Trennung stand die Mission Antiochiens unter dem Einfluß des Apostels Petrus. Dieser hat sich auch weiterhin in der Heidenmission betätigt, die in Jerusalem ursprünglich Paulus und seinen Missionsgehilfen zugewiesen worden war. Der Apostel mußte sich unter diesen Umständen wiederholt mit Petrus vergleichen (lassen) und zusehen, wie sich seine judenchristlichen Gegner (auch) auf das Vorbild des „Felsens" beriefen und von Galatien an in allen Gemeinden, die Paulus begründet hatte, eine Art Nachund Gegenmission gegen das paulinische Evangelium ins Werk setzten (vgl. 1. Kor 9 , 3 - 7 ; 15,9-11 ; 2. Kor 10,12-18; 12,11 f.; R o m 15,18 ff.). Von einer Judenmission des Petrus und seiner Glaubensfreunde haben wir keine Nachrichten; sie scheint unterbrochen oder ganz aufgegeben worden zu sein. Bei ihrer „Nacharbeit" in den Paulusgemeinden stießen die „Gegenmissionare" immer wieder auf die Tatsache, daß viele Juden in Ephesus, Thessalonich, Philippi und Korinth über das vorangegangene Auftreten des Paulus aufs äußerste empört und der Auffassung waren, die neugetauften Christen hingen den Irrlehren eines jüdischen Apostaten an, dem man das Handwerk zu legen habe. Da Paulus seine Mission z.T. in Gebäuden betrieben hatte, die Wand an Wand mit der örtlichen Synagoge lagen (vgl. Apg 18,4-11), und die von ihm zum Glauben Bekehrten zum (großen) Teil aus dem Kreis jener „Gottesfürchtigen" stammten, die sich um die Synagogen zu scharen pflegten, ist die jüdische Empörung wohlverständlich. Daß sich unter diesen Umständen unter den Gegnern des Paulus die Meinung festsetzen konnte, die Missionsverkündigung des Apostels führe nicht zum Glauben, sondern zur Ablehnung des Evangeliums durch die Mehrheit Israels, ist gut begreiflich. Wie wir schon zu 3 , 1 - 8 gesehen haben, war es auch weiter kein Kunststück, sich aus Äußerungen des Paulus (z.B. aus 1. Thess 2 , 1 5 - 1 6 ) heraus die Auffassung zu bilden, der Apostel habe nicht nur persönlich alle seine jüdischen Vorzüge preisgegeben, sondern er leugne generell die Erwählungsvorrechte des Gottesvolkes. Es ergibt sich also: Als Paulus den Römerbrief schrieb, lag die Judenmission des Petrus darnieder, und das paulinische Evangelium stand bei seinen christlichen Gegnern im Verdacht, statt zum Heil zum Unheil Israels auszuschlagen; dieser Verdacht war natürlich auch in Rom nicht unbekannt geblieben. Nachdem Paulus den Christen von R o m in Rom 1,18-8,39 dargelegt hat, wie sein umstrittenes Evangelium von der Gottesgerechtigkeit für Juden und Heiden zu verstehen ist, nimmt er nun „aus gegebenem Anlaß" die in 3 , 1 - 8 nur erst gestreifte

9,1-5: Klage um Israel

131

Grundfrage wieder auf, wie Gottes Gerechtigkeit in Christus auch für Israel heilschaffend wirksam wird. Erst wenn er dies gezeigt hat, verdient seine Botschaft wirklich, die Rettungsmacht für alle Glaubenden, und zwar zuerst die Juden, aber auch die Heiden genannt zu werden, als die er sie in 1,16 f. bezeichnet hat. N u r wenn das Verhältnis des paulinischen Evangeliums zu der in Rom besonders zahlreichen Judenschaft geklärt war, konnten es auch die Christen in Rom wagen, dem Wunsch des Paulus auf freundliche Aufnahme und Unterstützung seiner bis nach Spanien zielenden Mission, den er in 15,23 f. äußert, zu entsprechen. Was Paulus in Rom 9-11 zu sagen hat, ist nach alledem für das Verständnis seines Rechtfertigungsevangeliums ebenso entscheidend wie für die Realisierung seiner weitreichenden Missionspläne. Die folgenden drei Kapitel sind alles andere als ein bloßer Exkurs zum Israelproblem oder gar nur eine für das Verständnis der Rechtfertigungslehre nicht unbedingt erforderliche dogmatische Abhandlung über die Frage der göttlichen Vorherbestimmung (Prädestination). Es geht in ihnen um den Lebensnerv der Paulusmission und um die Frage nach der Treue Gottes gegenüber der Verheißung, die er Israel gegeben hat, noch ehe es überhaupt um Heil und Errettung auch für die Heiden ging. Rom 9-11 haben für Paulus aktuellen Anlaß und sehr praktischen Sinn, und entsprechend persönlich ist der Stil, in dem die Kapitel verfaßt sind (vgl. 9, Iff.; 10, Iff.; 11,1.13ff.). Die drei Kapitel bilden eine zusammenhängende Argumentation. Sie läßt sich in fünf Abschnitte gliedern: 9,1-5 bilden die Einleitung, in 9,6-29 stellt Paulus die freie Erwählung Gottes heraus, in 9,30-10,21 skizziert er die Begegnung Israels mit dem Evangelium von der Gottesgerechtigkeit, in 11,1-32 spricht er von der endzeitlichen Erlösung ganz Israels, und 11,33-36 schließen die gesamte Erörterung in Form eines Lobpreises der wunderbaren Wege Gottes ab.

I. 9,1-5: Klage um Israel

1 Wahrheit rede ich in Christus, ich lüge nicht, und mein Gewissen ist fur mich Zeuge im Hl. Geist: 2 Große Trauer (gibt es) für mich, und unaufhörlicher Schmerz (bohrt in) meinem Herzen. 3 Ich wünschte nämlich, (unter dem) Fluch zu sein, ja ich selbst, geschieden von dem Christus zugunsten meiner Brüder, meiner Stammesgenossen nach dem Fleisch; 4 sie, die Israeliten sind, denen die Sohnschaft gehört und die Herrlichkeit und die Setzungen (Bundschlüsse) und die Gesetzgebung und der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 denen die Väter gehören und aus denen der Christus stammt, was die fleischliche Seinsweise anbelangt. Gott, der über das All herrscht, sei gepriesen in alle Ewigkeit. Amen. Vers 3: Ex 32,32; Vers 4: Gen 32,28f.; Ex 4,22; 29,43ff.; Gen 8,21 f . λ-9,17; 17,4; 17,19; 26,3ff; Ex 24; Ps 89,4f. (2. Sam 7,8-16); Jer 31,31 ff; Ez 36,22-32; Vers 5: Sir 44,1-50,26; Jes 7,14; 9, i f f . ; 28,16.

Den V. 5 abschließenden Lobpreis kann man grammatisch entweder auf den A Christus beziehen oder auf Gott, den Schöpfer und Herrn aller Dinge. Die erste Beziehung wäre in den Paulusbriefen ganz ungewöhnlich, weil Paulus Christus sonst nie „ G o t t " nennt, die zweite hat in 2. Kor 11,31 und Rom 1,25 Parallelen und stimmt mit Eph 4,6 überein; sie ist deshalb vorzuziehen.

132

9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

Der Apostel beginnt seine Darlegungen mit einer geradezu emphatischen Beteuerung. Er spricht die lautere Wahrheit, und sein vom Hl. Geist - d.h. von Christi Gegenwart im Geist (8,9 f.) - erfülltes Gewissen ist vor Gott und der Leserschaft Zeuge dafür, daß tiefe Trauer und großer Schmerz sein Inneres erfüllen. Während ihm Juden und Judenchristen verräterischen und leichtfertigen Umgang mit Israels Heilsprivilegien vorwerfen, verhält es sich in Wahrheit ganz anders. Der Apostel würde Gott gern bitten, selbst unter dem Fluch des Gerichts und fern von Christus zu sein, dafür aber seine jüdischen Stammesgenossen in jenen „Frieden mit Gott" (5,1) gestellt zu sehen, in den Paulus aufgenommen ist. Wie einst Mose für das von Gott abgefallene Gottesvolk Fürbitte leistete und sich zur Sühnung für den Abfall angeboten hat (vgl. Ex 32,32), so möchte nun auch Paulus (dessen Dienst am Evangelium dem des Mose im alten „Bund" entspricht, vgl. 2. Kor 3,4ff.) seine Christusbeziehung zugunsten der Christus fernstehenden Israeliten aufopfern. Er weiß jedoch, daß ihm dieser Wunsch nicht erfüllt werden wird, und er wird in 10,19 + 11,13 ff. zeigen, daß und wie er als Apostel Jesu Christi für die Heiden auch für die Errettung Israels wirken darf. So bleibt es also (vorerst) bei der Paulus im Innersten quälenden Diskrepanz: Seine jüdischen Stammesverwandten stehen (zumeist) dem Christus fern, obwohl sie von Gott mit Erwählungsprivilegien sondergleichen ausgestattet sind. Im Unterschied zu den Heiden sind sie Nachkommen Jakobs und tragen gleich ihm den Ehrennamen „Israel" (d.h. „Gott herrscht", vgl. Gen 32,28 f.); ihnen ist das besondere Gottesverhältnis der „Sohnschaft" zugeeignet worden (vgl. Ex 4,22 und 2. Sam 7,14 mit Offb 21,7); Gott hat in seiner machtvollen Herrlichkeit speziell in Israel Wohnung genommen (Ex 29,43-46; Ps 132,8-10.13-14); er hat Israels Väter Noah (vgl. Gen 8,21 f.; 9,17), Abraham (vgl. Gen 12,2; 17,4), Isaak (Gen 17,19), Jakob (Gen. 28,13 ff.), Mose (vgl. Ex 24) und das Haus Davids (vgl. Ps 89,4f.; 2. Sam 7,8-16) seiner gnädigen Setzungen (Bundschlüsse) gewürdigt; am Sinai hat Gott den Israeliten durch Mose die Vorzugsgabe des Gesetzes verliehen (vgl. Ex 24,12; Dtn 4,5ff.; 5,22); auf dem Zion hat er Wohnung genommen und Israel kraft der Weisheit den Gottesdienst ermöglicht (Ps 74,2; Sir 24,10); den Israeliten gelten die Verheißungen, allen voran die Verheißung an Abraham (Gen 12,2; 15,4f. vgl. mit Gal 3,16-29 und Rom 4,13 ff-); Israel ist durch die Kette der „Väter" mit Gott verbunden, zu denen nach dem „Lob der Väter" (Sir 44,1-50,26) nicht nur die eben genannten Patriarchen allein, sondern auch David und die Propheten gehören; schließlich aber und vor allem stammt „der Christus", d.h. der von Gott verheißene, mit dem Hl. Geist gesalbte Messias aus dem Geschlecht Davids, seiner irdischen Erscheinung nach aus dem Volk Israel (vgl. 2.Sam 7,12-14; Jes 7,14; 9,5ff.; 11,1-12; Jer 23,5; 33,14ff.; Mi 5,Iff. und Sach 9,9 f.). Die Leser des Römerbriefes wissen von 1,3 f. her, daß Jesus dieser verheißene Davidssohn ist; Paulus aber hebt jetzt noch nicht darauf ab, sondern sieht sich als der Jude, der er ist und bleibt (11,1), angesichts dieser überwältigenden Reihe von „Großtaten Gottes" (Apg2,11) für sein Volk zum Lobe Gottes gedrängt. Dieses Gotteslob macht den Lesern des Römerbriefes unmißverständlich deutlich, daß der Apostel Israel nicht abgeschrieben hat. Inhaltlich weist es auf 11,36 voraus und steht Eph 4,6 nahe. Gott wird in Ewigkeit als der über das All herrschende Schöpfer gepriesen. Er ist es, dem Israel alle seine Vorrechte verdankt!

133

9,6—13: Gottes freie Erwählung

II. 9,6-29: Erwählung und Erbarmen

Gottes

Nach der emphatischen Klage um Israel stellt der Apostel in zwei Abschnitten (9,6-13 und 9,14-29) Gottes freie Erwählung und sein freies Erbarmen als die Macht heraus, die Israel und das neue Gottesvolk aus Heiden und Juden schafft und erhält.

1. 9,6-13: Gottes freie

Erwählung

6 Es ist aber keineswegs so, daß das Wort Gottes hinfallig geworden wäre! Denn nicht alle, die aus Israel (stammen), sind (auch) Israel. 7 Auch sind nicht, weil sie Same Abrahams sind, alle Kinder, vielmehr (gilt): „(Nur) in Isaak soll dir Same berufen werden". 8 Das bedeutet: Nicht die Kinder des Fleisches sind (auch) Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same angerechnet. 9 Denn (ein Wort) der Verheißung ist dieses Wort: „Zu dieser Zeit werde ich kommen, und (dann) wird Sara einen Sohn haben". 10 Aber nicht nur (mit ihr), sondern auch (mit) Rebekka, die von einem Manne schwanger war, von Isaak, unserem Vater, (steht es so): 11 Denn ab sie noch nicht geboren waren und auch noch nichts Gutes oder Böses getan hatten, damit der nach Erwählung (handelnde) Vorsatz Gottes Bestand habe, 12 (und zwar) nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund des Berufenden, hieß es ihr gegenüben „Der Ältere soll dem Jüngeren dienen", 13 wie geschrieben steht: „Jakob habe ich geliebt, aber Esaù habe ich gehaßt". Vers 7: Gen 21,12;

Vers 9: Gen 18,14;

Vers 12: Gen 2Î, 23;

Vers 13: Mal

1,2f.

Um die Argumentation zu verstehen, muß man zu allererst bedenken, daß Pau- A lus in den nachfolgenden Versen und Kapiteln die Hl. Schrift als lebendige, geisterfüllte Rede Gottes versteht; er zitiert sie nach den Regeln und mit all der Kunstfertigkeit, die er im Lehrhaus Rabban Gamliels I in Jerusalem erlernt hat (vgl. Apg22,3). Die Beispiele, die der Apostel für Gottes freies Erwählungshandeln anführt, sind nicht zufällig gewählt. 4Esr 3,13 ff. zeigen vielmehr, daß auch unter Juden die Ahnenkette Abraham — Isaak — Jakob — Mose ein Musterbeispiel für die Gnadenwahl darstellt, mit der Gott sein Volk berufen und erhalten hat. Rom 9,6 ff. illustrieren also, was Israel von Gott her in und mit den „Vätern" (V. 5) gegeben ist. Schließlich ist zu beachten, daß Paulus in V. 8 und V. 11 f. die Sprache der Rechtfertigung spricht. Gottes Gnadenwahl, wie sie sich in der Geschichte Israels manifestiert, und Gottes Werk der Rechtfertigung gehören für den Blick des Apostels aufs engste zusammen! Paulus beginnt seine eigentlichen Erörterungen zum Israelproblem mit der aus- Β drücklichen Feststellung, es könne keine Rede davon sein, daß „das Wort Gottes" 6 hinfällig geworden sei. Vom Kontext her, und zwar von V. 4-5 und V. 9 aus, meint „Wort Gottes" das Verheißungswort, mit dem Gott, der Schöpfer, Israels Geschichte lenkt. Denkt man an die o.g. Verdächtigungen der paulinischen Missionsverkündigung, ist es sehr wohl vorstellbar, daß der Apostel in V. 6 eine gegnerische Unterstellung zurückweist. Für Paulus und nach seinem Evangelium von der

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7

8 9 10 11

12 13

9 , 1 - 1 1 , 3 6 : Gottes Gerechtigkeit für Israel

Rechtfertigung bleibt Gottes an Israel ergangenes Wort der Verheißung in Kraft! Diese Beteuerung hat für Rom 9-11 fundamentale Bedeutung (vgl. 11,29). Zunächst besagt sie, daß über die Zugehörigkeit zum erwählten Gottesvolk nicht einfach irdische Blutsbande entscheiden. Israel wird von Gott her durch seine freie Gnadenwahl konstituiert. Das erste Beispiel dafür ist gemäß dem Schriftzeugnis von Gen 21,12 Abraham. Während die Ahnenreihe der von Gott gewollten Nachkommen Abrahams über den verheißenen Sohn Isaak läuft, hat der Erzvater seinen leiblichen Sohn Ismael und dessen Mutter Hagar auf Gottes Weisung hin verstoßen müssen (vgl. Gen 21,9 ff. und Gal 4,22 f.). Daraus folgt, daß erwählte „Kinder Gottes" nur die Abraham in Isaak verheißenen Nachfahren und nicht einfach alle fleischlichen Abrahamskinder sind. Das von Gott in Gen 18,14 gegebene Versprechen, daß Sara übers Jahr einen Sohn haben werde, ist ein Wort der Verheißung, und als solches zu respektieren. Saras Schwangerschaft ist aber nur das erste Beispiel der freien Gnadenwahl in Israels Geschichte. Mit Isaaks Frau Rebekka verhält es sich nicht anders. Als sie (von Isaak) schwanger geworden war und die Zwillinge Esaù und Jakob noch nicht geboren waren, hat Gott die Freiheit seiner nach dem Prinzip der Gnadenwahl wirkenden Vorsehung dadurch dokumentiert, daß sein schöpferisches Verheißungswort bestimmte: „Der Altere ( = Esaù) muß dem Jüngeren ( = Jakob) dienen (Gen 25,23). An der Erwählung Jakobs und der Zurücksetzung Esaus hat sich also Gottes (in Mal 1,2 f. aufgezeichnetes) Wort bewahrheitet: „Den Jakob habe ich geliebt, den Esaù aber gehaßt". Von Abraham an ist demnach Israels Existenz und auch die Zugehörigkeit zu Israel allein in Gottes Erwählung verankert. Diese geht — Paulus signalisiert dies durch die Ausdrucksweise der Verse 8 und 11 f. seinen Lesern unmißverständlich — den (bekannten) Weg der Rechtfertigung; nämlich aus freier, gnädig erwählender Berufung Gottes heraus, und nicht aufgrund von Werken (vgl. 3,20.28; 4,2 f. 16f.). Der erwählende und der in und durch Christus rechtfertigende Gott sind ein und derselbe; mit seinem Handeln steht und fällt Israel seit Abraham!

2. 9,14-29: Gottes freies

Erbarmen

14 Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Mitnichten! 15 Denn zu Mose sagt er: „Erbarmen werde ich mich, wessen immer ich mich erbarme, und barmherzig werde ich sein, wem immer ich barmherzig bin". 16 Also gilt nun: Es ist nicht Sache dessen, der will, oder dessen, der läuft, sondern Sache des sich erbarmenden Gottes. 17 Denn die Schrift sagt dem Pharao: „Eben dazu habe ich dich auftreten lassen, damit ich an dir meine Macht erzeige und damit mein Name auf der ganzen Erde bekannt gemacht werde". 18 Also gilt nun: Wessen er will, erbarmt er sich, (und) wen er will, den verhärtet er. 19 Du wirst mir nun sagen: Warum tadelt er dann noch? Denn wer vermag seinem Willen zu widerstehen? 20 O Mensch, wer bist du eigentlich, daß du Einwände erhebst gegen Gott? „Sagt etwa das Werk zu dem, der es gemacht hat: Warum hast du mich so geschaffen?" 21 Oder hat nicht der Töpfer, der mit Ton arbeitet, das freie Recht, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Pracht und das andere zur Schande zu machen? 22 Wenn aber Gott in dem Willen, seinen Zorn

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9,14-29: Gottes freies Erbarmen

zu erweisen und seine Macht kundzutun, (schon) in großer Geduld Gefäße des Zorns ertrug, die zur Vernichtung geschaffen sind, 23 (dann tat er dies) auch (und vor allem), damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue über Gefäße des Erbarmens, die er im voraus zur Herrlichkeit bereitet hat. 24 Welche er auch berufen hat, uns, (und zwar) nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Heiden, 25 wie er auch im (Buche) Hosea sagt: „Rufen werde ich mein Nicht-Volk: mein Volk!, und die Nicht-Geliebte: Geliebte! 26 Und es wird geschehen: Aridem Ort, wo ihnen gesagt wurde: Nicht mein Volk seid ihr, da werden sie genannt werden: Söhne des lebendigen Gottes." 27 Jesaja aber ruft aus über Israel: „(Auch) wenn die Zahl der Kinder Israels ist wie der Sand des Meeres, wird (doch nur) der Rest gerettet werden; 28 denn Gott wird mit seiner Rede wirksam werden auf Erden als einer, der ausführt und (dabei) abschneidet". 29 Und wie Jesaja vorhergesagt hat: „Wenn nicht der Herr Zebaoth für uns Samen übriggelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden und gleich wie Gomorrha". Vers 15: Ex 33,19; Vers 17: Ex 9,16; Vers 20: Hos 2,1; Vers 27 f.: Jes 10,22f.; Vers 29: Jes 1, 9.

Jes 29,16;

Vers 25:

Hos 2,25;

Vers 26:

Der Abschnitt bietet einige grammatische und historische Probleme: Zwischen V. 22 und 23 fehlt ein verbindendes Tätigkeitswort. O b und wie die Verse zusammengehören, ist nur exegetisch zu entscheiden. — In ihrer dialogischen Struktur und in den Fragen, die der Apostel in V. 14 und 19 f. anschneidet, erinnern Rom 9,14-23 an 3,1-8: Paulus sieht sich offenkundig weiterhin jenen (christlichen) „Verlästerern" gegenüber, die ihm Ausverkauf der Vorrechte Israels und die Verkündigung der billigen Gnade vorhalten. — Wieder argumentiert der Apostel mit Hilfe der Hl. Schrift, aus der er die Stimme des lebendigen Gottes vernimmt. Die Art und Weise, wie er mit der Schrift umgeht, die Zitate aus Exodus und den Propheten zusammenordnet und dabei z.T. sogar etwas abändert, entspricht der zu seiner Zeit üblichen, von Juden und Christen gleichermaßen anerkannten Auslegungsmethode. — Wie schon in 1,18-32 fußt Paulus auch in unseren Versen auf Aussagen und Argumentationsmustern, wie sie in der Weisheitstradition üblich waren: Das Bildwort vom Töpfer (V. 21) wird nicht nur in Jes 29,16 und Jer 18,6, sondern auch in Weish 15,7 ähnlich wie bei Paulus gebraucht. Vor allem aber ist aus Weish 11,23; 12,3-22 (bes. 12-18) die Ansicht bekannt, daß der allmächtige und gerechte Gott, mit dem niemand rechten darf, sogar die sich gegen seine Wege mit Israel auflehnenden Heidenvölker, die Ägypter und die Ureinwohner des Hl. Landes, nicht einfach kurzerhand vernichtet, sondern zunächst mit Geduld und Milde (er) trägt, um sie vor ihrem Untergang möglichst noch zur Umkehr zu führen. Dieses großmütige Verhalten Gottes soll Israel selbst eine Lehre sein, „damit wir . . . auf Erbarmen hoffen, wenn wir selber vor dem Gericht stehen" (Weish 12,22). Paulus argumentiert in V. 20-23 ganz ähnlich, und es ist sicher kein Zufall, daß in V. 17 der ägyptische Pharao (und nicht einfach Israel) das biblische Musterbeispiel für ein mit Langmut ertragenes „Gefäß des Zornes" Gottes ist. Die vom Apostel in V. 6-13 vertretene Lehre von Gottes freier Gnaden wähl provoziert — ganz ähnlich wie in 3,5 — die Frage, ob Gottes freie Erwählung nicht auf Ungerechtigkeit bei Gott schließen lasse. Paulus weist diesen Verdacht zurück und begründet seine Lehre noch einmal ausdrücklich aus der Schrift. Aus der Tatsache,

A

Β 14 15

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

daß Gott Mose gegenüber keinen Hehl aus der Freiheit seiner Gnade und seines 16 Erbarmens gemacht hat (Ex 33,19), folgt — Paulus formuliert wieder einen Lehrsatz (vgl. o. S. 105) —, daß es vor Gott nicht um die eigene menschliche Willensanstrengung und den Einsatz aller eigenen Kräfte im (Wett-)Lauf geht, sondern um Gottes Erbarmen; nur in ihm hat Israels Existenz G r u n d und Halt. Die Schrift 17 bestätigt dies, wenn Gott in Ex 9,16 zu Pharao sagt, er sei am Leben gelassen worden, um zum Demonstrationsobjekt der Macht Gottes zu werden und Gottes in seinem Namen beschlossene Wirksamkeit auf Erden allgemein bekannt zu machen. 18 Also gilt: G o t t erbarmt sich, wessen er will, und er verhärtet, wen er will. Dieser aus der Schrift ablesbare Lehrsatz soll auch Israel zur Warnung dienen. Das Schicksal des Pharao k ö n n t e sein eigenes werden, wenn es sich gegen Gottes Wege stemmt. 19 Die Einrede, daß G o t t bei solcherart Vorgehen kein Recht mehr habe, Gericht zu 20 üben und zu tadeln (vgl. Hebr 8,8), fängt Paulus ab wie in 3,7f. auch: Eine Auflehnung gegen Gottes richterliche Freiheit steht dem von Gott geschaffenen Menschen nicht zu. Das Gebilde hat kein Recht, sich gegen seinen Schöpfer aufzulehnen 21 (Jes 29,16), aber Gott hat das Recht, beides zu schaffen, Kreaturen, die er verherrlichen, und solche, die er zuschanden machen will (vgl. Jer 18,6). Aus der Schrift ist 22 aber auch zu ersehen, daß Gottes Gerichte kein Selbstzweck sind. Wenn nämlich Gott — wie am Beispiel Pharaos (und der Ägypter) klar zu erkennen ist — schon die zur Vernichtung bestimmten Geschöpfe des Zorns in großmütiger Geduld erhalten 23 und ertragen hat, dann dürfen die von Gott zur Verherrlichung bestimmten Geschöpfe des Erbarmens davon ausgehen, daß Gott an ihnen den ganzen Reichtum seiner Herrlichkeit (vor der Welt) kundtun will. Diese Argumentation ist in Weish 11,23 f. vorgezeichnet; sie nimmt, da sie in jüdisch-christlicher Lehre verankert ist, dem Einredner die Möglichkeit weiterer kritischer Einwände, und führt zu dem Schluß, daß Israels Verwerfung zwar eine göttliche Möglichkeit, nicht aber die zu erwartende Wirklichkeit gegenüber den Erwählten darstellt (vgl. 11,12.15). Der 24 göttliche Tatbeweis dafür liegt auch bereits vor. Er ist von Gott dadurch gegeben worden, daß er bereits begonnen hat, „die Gefäße des Erbarmes" zu berufen, und zwar in Gestalt von „uns", d.h. Paulus und den Christen von R o m . Die Glieder der Gemeinde Christi entstammen nicht nur den Reihen der Juden, sondern auch denen der Heiden, und sie sind von G o t t „berufen", d.h. zur Rechtfertigung und Verherrlichung durch Christus erwählt (vgl. 8,30). Die Formulierungen von V. 24 zeigen, daß es Paulus weiterhin um die Rechtfertigung geht. Der Wechsel von Israel zur christlichen Gemeinde, den Paulus vollzieht, ist auffällig, aber konsequent. Nachdem Jesus selbst aufgebrochen war, um mit den von ihm erwählten zwölf Jüngern das endzeitliche Gottesvolk aus Israel heraus zu sammeln, war die urchristliche Mission bemüht, dieses Werk Jesu fortzusetzen; Paulus steht in ihrer Linie. Die von ihm mit Billigung der „Säulen" in Jerusalem betriebene Heidenmission (vgl. Gal 2,7 ff.) sollte die (Petrus übertragene) Judenmission nicht ersetzen, sondern ergänzen, so daß die Heilsgemeinde Jesu, die der Apostel in Gal 6,16 „das Israel Gottes" nennt, aus Juden und Heiden besteht, die zum Glauben an Jesus Christus berufen sind. In genau diesem Sinne spricht Paulus von „ u n s " (vgl. auch 3,28-30). Dieses „uns" hebt die Tatsache, daß das Christusevangelium erwählungsgeschichtlich „zuerst dem Juden, und dann erst dem Griechen" gilt (1,16), nicht auf, sondern

137

9,30-33: Israels Anstoß am Felsen des Ärgernisses

bestätigt sie, und zwar im Einklang mit Gottes Wort, wie es die Hl. Schrift bezeugt. An der von Jerusalem aus begründeten Heilsgemeinde aus Juden und Heiden bewahrheitet sich nämlich Gottes Rede aus dem Hoseabuch (vgl. Hos 2,25 und 2,1). Wenn dort allerdings die Zahl der Kinder Israels so groß angegeben wird „wie der Sand am Meer", dann ist das an Jesajas kritischer Ankündigung zu messen, daß aus dieser Riesenzahl Israels heraus nur ein Rest errettet werden wird und daß Gott entschlossen ist, dieses Wort auch mit allen harten Konsequenzen durchzusetzen. Gnade gibt es also für die Kinder Israels nur im Gericht; aus ihm wird nur der kleine vorherbestimmte „Rest" hervorgehen (und er ist mit den bekehrten Judenchristen, die zur Gemeinde Christi gehören, identisch, vgl. 11,5). Die Reduktion Israels auf einen Rest ist von Gott, dem Schöpfer und Richter, gewollt. Sie entspricht der Ankündigung des Propheten Jesaja, daß die Israeliten nur durch Gottes Gnade vor der Totalvernichtung, wie sie einst an Sodom und Gomorrha vollstreckt worden ist (vgl. Gen 19,23 ff.), bewahrt werden. So wenig Gottes Gerichte Selbstzweck sind, so wenig ist das mit ungeheuren Privilegien ausgestattete Gottesvolk angesichts der Erscheinung Jesu und des Evangeliums von dem Gericht ausgenommen. Warum das so ist, erklärt der Apostel im folgenden Gesprächsgang.

III. 9,30-10,21:

Israels Auflehnung gegen die Gottesgerechtigkeit

25.26 27 28

29

in Christus

Für die über Israel hingehende Reduktion auf den „Rest" (V. 27) gibt es Gründe, und auf diese geht Paulus in 9,30-10,21 ein. 9,30-33 sprechen von dem Anstoß, den Israel am „Felsen des Ärgernisses" ( « Christus) genommen hat, und 10,1-21 von seinem Ungehorsam gegenüber der in Christus offenbar gewordenen und im Evangelium proklamierten Gottesgerechtigkeit für die Glaubenden.

1. 9,30-33: Israels A nstoß am Felsen des À rgernisses 30 Was sollen wir also sagen? Folgendes: Heiden, die nicht auf Gerechtigkeit aus sind, haben Gerechtigkeit erlangt, und zwar die Gerechtigkeit aufgrund von Glauben, 31 Israel aber, das auf das Gesetz der Gerechtigkeit aus ist, ist zum Gesetz nicht gelangt. 32 Weshalb? Weil (es) nicht aufgrund von Glauben, sondern aufgrund von Werken (darauf aus ist). Sie haben Anstoß genommen an dem Stein des Anstoßes, 33 wie geschrieben steht: „Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Felsen des Ärgernisses, und wer auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden werden." Vers 33: Jes 28,16 + 8,14.

9,30-33 sind ein entscheidendes Gelenkstück in der paulinischen Argumenta- A tion. Sie resümieren die bisherige Diskussion und führen die wichtigsten Stichwortefür die das ganze folgende Kapitel ausfüllende Erörterung von Israels Verkennung der Gottesgerechtigkeit ein. V. 30 faßt zusammen, wie es nach V. 24-29 mit den Heiden vor Gott steht. In V. 31 wird dem die Situation Israels gegenüber-

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Β 30

31

32

33

9 , 1 - 1 1 , 3 6 : G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

gestellt, und V. 32 f. begründen diese im Blick auf die Schrift als lebendige Gottesrede. Wenn Paulus in V. 32 f. auf Jes 28,16 und 8,14 zurückgreift und beide Textstellen miteinander verflicht, geht er wieder wie ein urchristlicher Schriftgelehrter vor. Beide Verse sind schon in den Synagogen z.Z. des Paulus auf den Messias gedeutet worden, und Paulus ist dieser Gepflogenheit gefolgt. 1. Petr 2 , 6 - 8 und Barn 6,2-4 zeigen, daß es fester urchristlicher Lehrstil war, mit Hilfe von Jes 28,16; 8,14 (und Ps 118,22) für den Glauben an Christus zu argumentieren. Aus dem von V. 24 an Erörterten läßt sich folgern, was die Missionserfahrung der Gemeinden in Rom bestätigt: Heiden, die von Haus aus nicht bestrebt sind, vor Gott den „Weg der Gerechtigkeit" (Mt 21,32) zu gehen, um vor Gottes Richterthron bestehen zu können (vgl. zu diesem negativen Urteil über die Heiden auch Gal 2,15), haben Gerechtigkeit erlangt, und zwar die Gerechtigkeit, die Gott denen zuspricht, die aufgrund des Glaubens (an Jesus Christus als Retter und Herrn) leben (vgl. 3,26.30). Mit Israel steht es dagegen anders. Es trachtet mit allen Kräften nach dem Gesetz, das die Gerechtigkeit vorschreibt, ist aber zum Gesetz nicht gelangt. Diese auf den ersten Blick seltsam anmutende (und in der Auslegung auch viel umrätselte) Aussage des Apostels erklärt sich von (3,27.31 und) 8,3 f. her. Israel ist zwar um Erfüllung des Gesetzes und damit um die Gerechtigkeit vor Gott bemüht, aber es ist nicht zu der Erfüllung des Gesetzes gelangt, in die Christus die Glaubenden stellt, und dementsprechend ist ihm auch die Gesetzeswirklichkeit verschlossen, die den Glaubenden durch den Opfergang Jesu gemäß 2. Sam 7,12-14 eröffnet worden ist (s.o. S. 108 ff.). Israel ist das Gesetz noch nicht ins Herz geschrieben, und ihm fehlt die Kraft des Geistes Christi. Es steht dem Gesetz noch immer gegenüber und hat bisher keine Glaubensgerechtigkeit erlangt. Der entscheidende Grund dafür liegt in Israels Lebenshaltung. Statt aus dem Glauben heraus vor Gott zu leben, steht es vor dem Gesetz und versucht, den Weg zu gehen, der - wie Paulus bereits in 3,20 (vgl. Gal 2,16) gezeigt hat - vor Gott zum Scheitern verurteilt ist, nämlich aufgrund von Werken gerechtfertigt zu werden. Die Juden haben Anstoß genommen an dem Stein des Anstoßes, den nach den Worten Jesajas Gott selbst in Zion ( = Jerusalem) gelegt hat, und sie haben die von Gott im selben Zusammenhang ausgesprochene Einladung, daß, wer auf diesen Felsen sein gläubiges Vertrauen setzt, nicht zuschanden werden wird, nicht angenommen. Im Klartext: Israel hat den von Gott gesandten Messias Jesus Christus, der seine Sendung am Kreuz in Jerusalem vollendet hat, nicht anerkannt; der gekreuzigte Messias ist den Juden zum Ärgernis geworden (vgl. 1. Kor 1,23 f.). Daß Paulus dies so pauschal sagt und dieselbe Redeweise auch in Kap. 10 beibehält, zeigt, daß z.Z. der Abfassung des Römerbriefes die überwiegende Mehrheit Israels dem Christusevangelium fernstand. Israel ging den Weg des Glaubens nicht.

2. 10,1-13: Israels Verkennung der Gottesgerecbtigkeit 1 Brüder, das Wohlgefallen meines Herzens und meine Bitte für sie bei Gott (richten sich) auf (ihre) Rettung. 2 Denn ich bezeuge ihnen, daß sie Eifer um Gott haben, aber nicht gemäß (rechter) Erkenntnis. 3 Denn ihnen ist die Erkenntnis

10,1-13: Israels Verkennung der Gottesgerechtigkeit

139

der Gerechtigkeit Gottes versperrt, und im Bestreben, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht untergeordnet. 4 Denn Christus ist das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. - 5 Mose nämlich schreibt von der Gerechtigkeit, die aufgrund des Gesetzes (gewonnen wird): »Der Mensch, der sie (= die Gebote) tut, wird durch sie leben". 6 Die Gerechtigkeit aber (, die) aufgrund von Glauben (gewonnen wird,) sagt so: „Sprich nicht in deinem Herzen: Wer wird hinaufsteigen in den Himmel?" —das meint: um Christus herabzuholen; 7 oder: „Wer wird hinuntersteigen in den Abgrund?" — das meint: um Christus von den Toten heraufzuholen. 8 Sondern was sagt sie? „Nahe ist dir das Wort in deinem Munde und in deinem Herzen"—das meint: das Wort des Glaubens, das wir verkündigen. 9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst: Herr ist Jesus! und in deinem Herzen glaubst, daâ Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden. 10 Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, aber mit dem Munde bekennt man zur Rettung. 11 Denn es sagt die Schrift: .Jeder, der auf ihn vertraut, wird nicht zuschanden werden." 12 Da besteht nämlich kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, sondern (da ist) derselbe Herr aller, der seinen Reichtum an alle, die ihn anrufen, austeilt. 13 Denn: .Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden". Vers 5: Lev 18, 5; Vers 6: Dtn 9,4 + 30,12; Vers 11 : Jes 28,16; Vers 13: Joel 3, }.

Vers 7: Ps 107,26 (Dtn 30,13);

Vers 8: Dtn 30,14;

Paulus beginnt in V. 1 mit einer (9,1-5 vergleichbaren) persönlichen Beteuerung, A begründet sie in V. 2 f. und formuliert in V. 4 die christliche Antithese zur jüdischen Haltung. Zur Begründung konfrontiert er dann in V. 5-13 Mose und die Glaubensgerechtigkeit miteinander, und zwar im Blick auf das Zeugnis der Hl. Schrift und das Bekenntnis der Christen. Wieder versteht der Apostel die Hl. Schrift als lebendiges Wort Gottes und argumentiert mit ihrer Hilfe. Besonders auffällig ist dabei die Tatsache, daß Dtn 30,12-14 als Rede der Glaubensgerechtigkeit erscheint. Eben diese Verse werden nämlich nicht nur im Deuteronomium selbst, sondern auch in der jüdischen Schriftauslegung auf die Tora (das Gesetz) bezogen; in Bar 3,29 f. werden sie mit der Weisheit in Verbindung gebracht, die in Bar 4,1 ff. mit dem Gesetz identifiziert wird. Die Glaubensgerechtigkeit erkennt gegenüber dieser Auslegung in dem „nahen Wort" (von Dtn 30,14) das Christusevangelium und folgt dessen Stimme. — In V. 9 f. kommt Paulus auf das Christusbekenntnis zu sprechen. Wir kennen es in zweifacher Form, nämlich als kurze, kraft des Hl. Geistes in der Gemeindeversammlung gesprochene, Anrufung Christi: „Herr ist Jesus" (vgl. 1. Kor 12,3) und als inhaltlich ausgeführtes Lehrbekenntnis ( = Credo), das im Missions- und Taufunterricht seinen Platz hat (vgl. 1. Kor 15,3-5); es faßt die entscheidenden Glaubensinhalte in behältlicher Kürze zusammen. Paulus hat sich schon in Rom 6,17 auf das in Rom bekannte Credo bezogen und kommt nun auf beide Formen des Bekenntnisses zu sprechen. Mit einer im Ton an 9,1 ff. erinnernden persönlichen Beteuerung kommt der Β Apostel auf den entscheidenden Punkt zu sprechen, der Juden und Christen trennt. 1 Es ist sein persönlicher Herzenswunsch und gleichzeitig Gegenstand seiner Fürbitte vor Gott, daß seine jüdischen Stammesgenossen (endzeitliche) Rettung finden.

140

9 , 1 - 1 1 , 3 6 : G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

2 Paulus bezeugt ihnen, daß sie wirklich um Gott eifern. Er kann sich dabei selbst als erstes Beispiel empfinden, weil er vor seiner Berufung ein „Eiferer" für die väterliche Gesetzesüberlieferung war (Gal 1,14; vgl. mit Num 25,11.13). Vermutlich assoziieren auch seine Leser dieses Exempel, zumal die spektakuläre Lebenswende des Paulus allgemeiner christlicher Erzählstoff war (vgl. Gal 1,23 und Apg 9,1-29; 22,3-21; 26,9-20). Wie der Apostel an sich selbst erfahren hat, steht aber dieser jüdische Eifer um Gott unter dem Vorzeichen mangelnder Gotteserkenntnis. Gemeint ist damit der in den Paulusbriefen verschiedentlich beklagte Umstand, daß die Juden nicht begreifen, was Gott in Christus für sie und die Welt getan hat; sie leben im Zeichen der Verblendung (vgl. 1. Kor 2,7f.; 2. Kor 3,14f.). Für sie ist eben der Christus, der den Glaubenden von Gott her zur Weisheit gemacht ist (d.h., sie zur wahren Gotteserkenntnis führt) und ihnen zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlö3 sung verhilft (1. Kor 1,30), ein Glaubenshindernis. Ihnen fehlt die Erkenntnis der Gottesgerechtigkeit. Der Ausdruck ist hier denkbar umfassend gemeint. Statt sich dem Erwählungshandeln Gottes unterzuordnen, das Israel zum Gottesvolk gemacht und zur Rechtfertigung durch Christus bestimmt hat (vgl. 9,11.16.23 f.), bleibt ihnen die Offenbarung der heilschaffenden Gerechtigkeit im Sühnetod und der Auferweckung Christi (Rom 3,24-26; 4,25) verschlossen. Der Apostel spricht in V. 3 nicht von einer wissentlichen Zurückweisung der Gottesgerechtigkeit, sondern von einer Verblendung, in der Israel unwissentlich steht und die nur mit Gottes Hilfe von Gottes Volk genommen werden kann (vgl. ebenso Apg 3,17). In ihrer Verblendung sind die Juden noch immer um ihre eigene Gerechtigkeit vor Gott bemüht. Ihrer Meinung nach verhilft nicht Christus, sondern das Gesetz dazu, vor Gottes Richterthron zu bestehen, und es erscheint ihnen als durchaus möglich, ein untadeliges Leben in Gerechtigkeit nach dem Maßstab des Gesetzes zu führen. Wieder kann und muß Paulus dabei zuerst an sich selbst denken (vgl. Phil 3,6). Aber er ist kein Einzelfall, heißt es doch in den frühpharisäischen Psalmen Salomos: „Unser Tun geschieht nach unseres Herzens Wahl und Willen, daß wir Gerechtigkeit und Unrecht tun mit unserer Hände Werk, und in deiner Gerechtigkeit achtest du auf die Menschenkinder. — Wer Gerechtigkeit übt, sammelt für sich Leben an beim Herrn, und wer Unrecht tut, verwirkt selbst sein Leben im Verderben, denn die Gerichte des Herrn ergehen in Gerechtigkeit gegen Person und Haus" (PsSal 9,4-5; vgl. ähnlich Sir 15,14f.). Paulus aber hat an sich selbst vor Damaskus erfahren, was er nun als christlichen Erkenntnisgewinn gegenüber dem im Unglauben verharrenden Israel ausspricht, daß eben diese (pharisäische) Auffassung die Wege 4 Gottes in und mit Christus verkennt. Christus ist kraft des Willens und der Gnade Gottes das Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit für jeden Menschen, der glaubt. Nicht das Gesetz, sondern Christus entscheidet, wer im Gericht gerechtfertigt wird, nämlich nicht die, die ohne Christus aus eigener Kraft heraus Gerechtigkeit vor Gott zu üben bestrebt sind, sondern die Glaubenden aus Israel und den Heiden, die in Christus ihren Versühner und endzeitlichen Fürsprecher vor Gottes Thron erkennen (8,31-34). Unser in der Paulusauslegung heiß umkämpfter Satz will unter dem Aspekt der (End-)Rechtfertigung gelesen werden. Hier ist die entscheidende Frage die, ob vor Gottes Richterthron der Schuldspruch des Gesetzes über jeden Sünder tödliche Auswirkung hat oder nicht. Angesichts des Christus zur Rechten

10,1-13: Israels V e r k e n n u n g der Gottesgerechtigkeit

141

Gottes, und nur im Blick auf die von ihm vollbrachte Sühne, führt dieser Schuldspruch nicht in den Tod. Der gekreuzigte und auferstandene Christus ist der von Gott gesandte Retter und Herr, der allein dem todbringenden Spruch des Gesetzes ein Ende macht. Paulus spricht in unserem Zusammenhang nicht davon, daß die Gebote Gottes in Christus annulliert wären oder würden. Der Apostel hat ja in 8,2 ff. mit wünschenswerter Deutlichkeit gezeigt, daß Christus den unter die Herrschaft der Sünde geratenen heiligen Willen Gottes durch seinen Opfergang nicht beseitigt, sondern bestätigt und neu in Kraft setzt! Diese Ausführungen nimmt er in 10,4 nicht zurück. Aber in der Auseinandersetzung mit Israels Unglauben geht es um die Alternative, ob das Gesetz oder Christus zur Gerechtigkeit verhelfen, und angesichts dieser Alternative spricht sich Paulus unzweideutig gegen das Gesetz und für den Christus Gottes aus. Denkt man heilsgeschichtlich, kann man von Paulus her zwar mit guten Gründen sagen, daß die durch Christus heraufgeführte Rettung gerade aus der gehorsamen Erfüllung des Willens Gottes durch den Gottessohn erwachsen ist (5,18), und 8,2 ff. geben zusätzlich die Möglichkeit zu sagen, daß Christus die neue, endzeitliche Gesetzeswirklichkeit von Jer31,31ff. heraufgeführt hat. Aber diese Überlegungen nötigen nicht dazu, das griechische Wort τ έ λ ο ς = telos in V. 4 mit „Ziel" oder „End-Ziel" statt mit „Ende" zu übersetzen. In unserem Zusammenhang kommt Paulus nämlich alles darauf an, daß im Endgericht nicht das Gesetz, sondern der von Gott um unserer Übertretungen willen in den Tod gegebene und zur lebenschenkenden Rechtfertigung auferweckte Messias Jesus vor Gott das entscheidende Wort hat (vgl. Rom 4,25). Deshalb nennt er Christus nicht das Ziel, sondern das die Glaubensgerechtigkeit eröffnende Ende des Gesetzes für jeden (Juden und Griechen), der glaubt. U m die These von V 4 zu untermauern, stellt Paulus nunmehr Mose und die 5 Stimme der Glaubensgerechtigkeit gegenüber. Mose schreibt von der aus dem Gesetz heraus begründeten Gerechtigkeit, daß derjenige, der die Gebote Gottes erfüllt, durch diese Gesetzeserfüllung das Leben gewinnen wird (Lev 18,5); Mose stellt also vor die Forderung des Gesetzes. Anders die Glaubensgerechtigkeit. 6 Sie ist durch Christus in die Erfüllung des (ins Herz geschriebenen) Gesetzes gestellt (Rom 8,3 f.), und ihr sind durch den Hl. Geist auch die Augen für Christus als Weisheit Gottes geöffnet (1. Kor 1,30; 2,10). Kraft dieser Einsicht erkennt sie, daß Gottes Befehlswort in Dtn 30,12-14 nicht mit Bar 3,29-38 auf die im mosaischen Gesetz, sondern auf die in Christus offenbar gewordene Weisheit Gottes zu beziehen ist. Ihrer Einsicht nach ist darum das Schriftwort von Christus aus als Weisheit Gottes zu lesen. Sie folgt diesem Wort und fragt nicht ratlos: „Wer wird hinaufsteigen in den Himmel?", denn das würde meinen, den von Gott bereits gesandten Christus erst noch von dort herabholen zu müssen. Sie fragt auch nicht: „Wer wird 7 hinuntersteigen in den Abgrund?", in dem die Toten der Auferweckung entgegensehen. (Mit der jüdischen Exegese seiner Zeit sieht Paulus in dem Meer, das in Dtn 30,13 erwähnt wird: „Wer fährt für uns über das Meer?", die Chaostiefe der Unterwelt und liest deshalb Dtn 30,13 und Ps 107,26 mit- und ineinander.) Diese Frage stellen hieße, den von Gott bereits von den Toten auferweckten Christus erst noch von den Toten heraufführen zu wollen. Die Glaubensgerechtigkeit erkennt, daß Gott den Messias bereits gesandt und daß Christus den Abstieg in die Totenwelt

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9 , 1 - 1 1 , 3 6 : G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

(vgl. 1. Petr 3,19) schon vollendet hat; in der ganzen Welt wird er als auferstandener 8 Herr und Messias ausgerufen (vgl. Apg 2,36). Deshalb bekennt sie mit Dtn 30,14, daß Gottes Befehlswort bereits Mund und Herz erfüllt; es ist den Glaubenden nahe in F o r m der Glaubenspredigt des (bzw. der) Apostel(s). Diese ist, recht verstanden, Gottes Wort ( 1. Thess 2,13), und aus ihr heraus empfangen die Hörer den Hl. Geist (Gal 3,2), der sie zum Glauben befähigt und das Bekenntnis sprechen lehrt. Wie es das Schriftwort sagt, sind Mund und Herz an diesem Bekenntnis beteiligt. 9.10 Mit dem Mund ruft man in der Gemeindeversammlung: „Herr ist Jesus" (1. Kor 12,3), und mit dem Herzen, d.h. mit dem Zentrum der menschlichen Person, glaubt man daran, daß Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, und eben dieses von Mund und Herz geäußerte Bekenntnis des Glaubens ordnet die, die es sprechen, ganz ihrem gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu und führt sie zur Errettung, nämlich der Errettung durch die von Gott jedem an Jesus Glaubenden 11 zugesprochene Gerechtigkeit. In dieser Errettung findet Gottes Zusage aus Jes 28,16, an der Israel vorbeigeht (vgl. 9,32 f.), ihre Bestätigung, daß, wer auf den messianischen Felsen Christus sein Glaubensvertrauen setzt, vor G o t t nicht 12 zuschanden werden wird. Die Rechtfertigung gilt unterschiedslos für Juden und Griechen. G o t t ist ein und derselbe für sie beide (vgl. 3,30), und er teilt aus Gnade seinen Reichtum an Vergebung allen mit, die ihn „anrufen". Von Gottes Vergebungsreichtum spricht beispielhaft das (bis heute) von jedem Juden gesprochene 18-Bitten-Gebet am Ende des sechsten Lobspruches: „Gepriesen seist du Herr, der viel verzeiht". Paulus äußert denselben Lobpreis im Blick auf Gottes Heilswerk in Christus. „Den (Namen des) Herrn anrufen" hat alttestamentlich den Sinn von „Gott bekennen (anerkennen)" (Jer 10,25), „Gott um Hilfe anrufen" (Ps 116,4) und „Gott rühmend bekennen und verkündigen" (Ps 80,19; 116,13.17). In unserem Zusammenhang ist das Bekenntnis gemeint, mit dem Gottes Macht und 13 Zuwendung dankbar anerkannt wird. Denn Paulus fährt mit Verweis auf Joel 3,5 fort: Die endzeitliche Rettung trägt davon, „wer den Namen des Herrn anruft". Das hat neutestamentlich doppelten Klang. Es meint nicht mehr nur das Bekenntis zu Gott, dem Schöpfer und Richter, sondern vor allem auch das Bekenntnis zu Christus (1. Kor 1,2), der nach seiner Erhöhung zur Rechten Gottes mit dem Gottesnamen „ H e r r " ausgezeichnet worden ist und nunmehr solange herrscht, bis er Gott das All befriedet zu Füßen legen kann (Phil 2 , 9 - 1 1 ; 1. Kor 15,25 f.). Wer Jesus Christus als Herrn bekennt, dem wird die Rettung zuteil. Eben dies erkennt und sagt die Glaubensgerechtigkeit, während es Israel verborgen bleibt (V. 3); Paulus wird dies in V. 14 ff. noch weiter ausführen. Daß er dabei Joel 3,5 vor Augen stellt, hat besondere Bedeutung. Wie Apg 2,16-21 zeigen, hat sich die Verheißung der endzeitlichen Geistausgießung aus Joel 3 , 1 - 5 für die urchristliche Gemeinde an Pfingsten erfüllt. Seither wird das Evangelium im Auftrag des erhöhten Christus unter Juden (und Heiden) verkündigt. Joel 3 , 5 lautet in der griechischen Bibel: „Und es wird geschehen, jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Denn auf dem Berge Zion und in Jerusalem wird sein, der gerettet wird, und Menschen, die frohe Botschaft (das Evangelium) ausrufen, die der Herr herbeigerufen hat." In diesen Rufern der frohen Botschaft (des Evangeliums) aus Joel 3,5 haben sich die vom auferstandenen Christus zur Mission berufenen Apostel

10,14-21: Israels Ungehorsam gegenüber dem Evangelium

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erkannt, als deren letzten (und wichtigsten) sich Paulus selbst empfindet (1. Kor 15,5-11). Das Schriftzitat in V. 13 lädt also die in der Schrift bewanderten Christen (von Rom) ein, an die urchristliche Mission der Apostel zu denken, die in Jerusalem ihren Anfang genommen hat und in deren Dienst auch Paulus steht.

3. 10,14-21: Israels Ungehorsam gegenüber

dem

Evangelium

14 Wie sollen sie nun freilich (den) anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie aber sollen sie (an den) glauben, auf den sie nicht gehört haben? Wie aber sollen sie hören ohne einen, der verkündigt? 15 Wie aber sollen sie verkündigen, wenn sie nicht gesandt sind? Wie geschrieben steht: „Wie hochwillkommen sind die Füße derer, die Gutes verkündigen!" 16 Aber nicht alle haben dem Evangelium gehorcht. Denn Jesaja sagt: „Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?" 17 (Es gilt) also: Der Glaube (kommt) aus der Botschaft, die Botschaft aber durch das Befehlswort Christi. 18 Aber, sage ich: Haben sie etwa nicht gehört? O doch! „Über die ganze Erde hin ist ihr Schall gedrungen und bis an die Grenzen der (bewohnten) Welt ihre Worte". 19 Aber, sage ich: Hat Israel etwa nicht erkannt? Als erster sagt Mose: „Ich will euch eifersüchtig machen auf ein Nicht-Volk, auf ein unverständiges Volk will ich euch zornig machen." 20 Jesaja aber erkühnt sich und sagt: „Ich habe mich finden lassen für die, die mich nicht suchen, offenbar geworden bin ich denen, die nicht nach mir fragten." 21 Zu Israel aber spricht er: „Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgebreitet gegenüber einem Volk, das ungehorsam ist und widerspricht." VerslS : Jes Í2.7 (Nah 2,1); Jes 65, /; Vers 21: ¡es 65,2.

Vers 16: Jes 53,1;

Vers 18: Ps 19, 5;

Vers 19: Dtn 32,21;

Vers 20:

Paulus leitet in V. 14 mit „nun freilich" zwar einen neuen Gesprächsgang ein, A führt aber damit die in 10,1-13 geführte Auseinandersetzung mit Israel fort. V. 14-21 stehen also mit V. 1-13 in unmittelbarem Zusammenhang und bilden den Schlußteil der mit 9,30 einsetzenden Erörterung über Israels Auflehnung gegen die Gottesgerechtigkeit in Christus. Der Aufbau des Abschnitts ist folgender: Der Kettenschluß von V. 14 f. bildet die Voraussetzung für die negative Feststellung von V. 16. V. 17 bietet eine zusammenfassende Lehrthese. Von dieser aus werden in V. 18 und 19 zunächst zwei Fragen zur Entlastung Israels gestellt, denen in V. 18.19.20.21 Schriftaussagen gegenübergestellt werden, die Israel belasten. Aufs neue bestimmt die Hl. Schrift als Rede Gottes alles, was der Apostel vorzubringen hat. Da die Textüberlieferung V. 17 in keiner Weise verdächtig macht, ist es nicht ratsam, in dem von Paulus bewußt geprägten Lehrsatz (vgl. o. S. 105) eine nachträgliche Glosse aus der Hand eines späteren Abschreibers des Römerbriefes zu sehen. Mit dem Zitat aus Joel 3,5 in V13 hat Paulus seine Leser an die von Jerusalem ausgehende urchristliche Mission erinnert, in der er selbst steht. In denselben Missionszusammenhang weisen auch die wichtigsten beiden Traditionen, von denen der Apostel in V14—21 ausgeht. Dem genauen Bibelleser fällt auf, daß Paulus V15 in dem Zitat von Jes 52,7 von einer Mehrzahl derer spricht, die Gutes verkündigen, obwohl der hebräische und auch der griechische Text, den der Apostel vor sich

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Β 14

15

le

9 , 1 - 1 1 , 3 6 : Gottes Gerechtigkeit für Israel

hatte, nur jeweils von einem Boten des Heils sprechen. Paulus kommt zu seiner Lesart, weil er (nach rabbinisch-urchristlichem Brauch) die griechische Version von Joel 3,5, die von mehreren Menschen spricht, die frohe Botschaft verkünden (s.o. S. 142 f.), interpretierend mit Jes 52,7 verknüpft; beide Schriftstellen erläutern einander und sprechen von dem Auftreten der Apostel als Botschafter der frohen Botschaft des Evangeliums. Bei diesem Verständnis geht Paulus wahrscheinlich von der frühjüdischen Jesaja-Exegese aus. Sie merkt sowohl zu Jes 4 0 , 9 als auch zu Jes 52,7 an, daß es beim Anbrach der Königsherrschaft Gottes eine Vielzahl von Menschen geben werde, die Gott zujubeln und die Kunde von seinem Herrschaftsantritt ausbreiten (vgl. Tg}es 40,9; MidrTeh zu Ps 147,1 § 2 und Ps 67,12 in der Septuaginta). Für Paulus und die vom auferstandenen Christus mit der Predigt des Evangeliums betrauten Apostel insgesamt ist diese endzeitliche Stunde mit Jesu Erhöhung zum Herrn bereits angebrochen. Sie sind deshalb jene endzeitlichen „Evangelisten", die von den Propheten Joel und Jesaja angekündigt werden. — In V. 16 spricht Paulus davon, daß nur ganz wenige Israeliten dem Evangelium Glauben geschenkt haben, und begründet diesen Fehlschlag der Judenmission mit Jes 53,1. Die Botschaft, von der dort gesprochen wird, ist die unglaubliche Kunde vom Leidensgeschick und der Erhöhung des Gottesknechtes, durch das Gott seinem Volk Rechtfertigung verschafft. Daß der Apostel sie mit dem Christusevangelium gleichsetzt, hat tiefe Berechtigung. Nach Mk 10,45 Par. und 14,24 Par. hat Jesus seinen eigenen Leidensweg von Jes 53 ausgedeutet, und aus 1. Kor 15,3-5; R o m 4,25 und 2. Kor 5,21 können wir ersehen, daß die Deutung des Sühntodes Jesu von Jes 53,11 f. her Kernstück des Evangeliums war, das von Jerusalem ausgegangen ist. Mit dem Zitat aus Jes 53,1 stellt sich Paulus also wieder in die Reihe aller Apostel hinein und gibt den Christen von R o m in seiner akuten Gesprächslage (s.o. S. 129 ff.) zu bedenken, daß die Ablehnung des Evangeliums durch die Mehrheit Israels nicht etwa speziell durch das paulinische Evangelium verursacht ist, so daß mit einem anderen Evangelium (Gal 1,6; 2. Kor 11,4) bessere Missionserfolge erzielt werden könnten, sondern daß es dabei um ein von Gott in der Schrift angekündigtes Ereignis geht, das gleichermaßen die Botschaft aller Apostel betrifft. Der Apostel setzt nun zu den Schlußfolgerangen aus dem in V. 1-13 Gesagten an und bedient sich dazu der (bekannten) Form eines rhetorischen Kettenschlusses: Zur Anrufung Christi als Herrn, d.h. zum christlichen Bekenntnis, kann es nicht kommen, wo der Glaube an Christus fehlt; der Glaube fehlt, wo man nicht auf den (verkündigten) Christus hört; das Hören fehlt, wo kein Verkündiger vorhanden ist; Verkündiger aber kann nur sein, wer (zur rechten Stunde) „ausgesandt" (d.h. zum Apostel bestellt) ist, und zwar so, wie es Jesaja ankündigt, wenn er von dem ersehnten und deshalb hochwillkommenen Auftreten der Boten spricht, die die gute Nachricht vom Anbrach der Gottesherrschaft, das Christusevangelium, ausrufen (Jes 52,7). Die Apostel sind nun freilich, Petras voran, von Jerusalem ausgegangen und haben als Juden zuerst den Juden (und erst später auch den Griechen bzw. Heiden) das Evangelium verkündigt. Und was war die Folge? Paulus formuliert rhetorisch zurückhaltend, aber für die Kenner der Lage eindeutig: „Nicht alle" haben dem Evangelium Glaubensgehorsam erwiesen, d.h. nur ganz wenige Juden sind dem Ruf des Evangeliums gefolgt. Die Formulierung zeigt, daß z.Z. der Abfassung

10,14-21: Israels Ungehorsam gegenüber dem Evangelium

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des Römerbriefes die Petrus anvertraute Judenmission (vgl. Gal2,7 f.) ein Fehlschlag war. Doch macht der Apostel dies weder dem „Felsenmann" (1. Kor 15,5; Gal 2,9; Mk 3,16 Par.) noch einem anderen Apostel zum Vorwurf. Bei der Abweisung des Evangeliums durch die Mehrheit der Juden handelt es sich um ein von Gott vorgesehenes Ereignis. Jesaja spricht davon: Der Botschaft vom heilwirkenden Geschick des Gottesknechtes (Jesus Christus) wird kein Glaube geschenkt (Jes 53,1). Sie ist und bleibt buchstäblich un-erhört. Und doch ist es von Gott so gewollt, daß der Glaube von der Botschaft geweckt wird, die die Apostel verkündigen, diese Botschaft aber durch das Befehlswort Christi begründet wird. Von diesem Befehlswort aus Dtn 30,14 hat Paulus bereits in V. 8 gesprochen und es dort schon mit der Glaubenspredigt der Apostel gleichgesetzt. Jetzt präzisiert er das oben Gesagte noch einmal: Die Glauben weckende apostolische Verkündigung verdankt sich und dient dem Christusevangelium; dieses stellt eine Offenbarungs- und Heilsmacht dar (1. Kor 9,16f.; Rom 1,16f.) und ist den Aposteln (mit Einschluß des Paulus) durch die Erscheinung des auferstandenen Christus eröffnet und anvertraut worden (1. Kor 15,5-10; Gal l,15f.). In dem Lehrsatz von V. 17 faßt sich also zusammen, wovon und wofür Paulus und alle Apostel leben. Sie haben im Auftrag des auferstandenen Christus das ihnen anvertraute Evangelium und mit ihm den Glauben an Christus als den rettenden Heilsweg zu verkündigen; diese Verkündigung ist ein Geistesgeschehen und weckt bei denen, die sich ihr gehorsam öffnen, Glauben (Gal 3,2). Die Israeliten haben sich dem Evangelium nicht gehorsam geöffnet (V. 16). Paulus fragt deshalb zu ihrer Entlastung, ob sie etwa nicht gehört haben. Die Antwort auf diese Frage ist vom Geist Gottes in der Schrift (— Ps 19,5) vorgezeichnet: Am fehlenden Hören kann es bei den Israeliten nicht liegen, denn die Botschaft der Apostel ist über die ganze Erde hin erschallt; auch Israel hat sie vernommen. Hat es sie vernommen, stellt sich die weitere Frage, ob Israel etwa nicht erkannt hat, was da zu hören war. Die Antwort darauf lautet: Erkannt hat es wohl, aber nicht anerkannt. Israels Erkenntnis der Wege Gottes ist verstellt und beschränkt. Wie als erster Zeuge Mose bekundet, steht es unter dem in Dtn 32,21 angekündigten (Läuterungs-)Gericht. Der eine Gott, dessen Heilswerk in Christus Israel nicht an sich geschehen lassen will, beantwortet diesen Ungehorsam damit, daß er sein erwähltes Volk eifersüchtig und zornig macht auf ein Nicht-Volk, das nach israelitischem Verstand in Hinsicht auf Gott ganz unverständig ist, nämlich auf die Heiden. Ihnen wendet er sich zu und macht sie aus freiem Gnadenratschluß heraus der Errettung durch den Messias teilhaftig, die Israel verheißen ist. Die Heiden werden des Guten teilhaftig, das sich Israel erhoffte, und eben diese Erfahrung erregt und soll erregen die Eifersucht und den Zorn des (scheinbar) um seine Sonderrechte betrogenen Gottesvolkes. Wie solcher Zorn und solche Eifersucht sich tatsächlich auswirkten, haben Petrus und Paulus zur Genüge erfahren. Petrus ist in Jerusalem jüdischen Nachstellungen nur mit knapper Not entronnen (Apg 12,1-17), und Paulus wurde in den Synagogen, in denen er als Apostel Jesu Christi auftrat, fünfmal mit der lebensgefährlichen Strafe der Auspeitschung belegt und einmal sogar zur Steinigung geführt (2.Kor ll,24f.). Er und seine Mitarbeiter mußten darüberhinaus erleben, daß die jeweils ortsansässigen Juden auch die Verkündigung des Evangeliums gegenüber den Heiden zu verhindern und behin-

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

dem suchten, wo immer dies möglich war (l.Thess 2,16, vgl. mit Apg 17,5; 18,12 ff.). Israel steht mit diesem Verhalten in der Gottesferne und unter dem Zorn Gottes (vgl. 1 .Thess 2 , 1 6 mit Dtn 32,19 f.). Aber dieser Zorn Gottes über Israel wird vorübergehen und dem Erbarmen Gottes weichen (vgl. Dtn 32,35-36). Gott hat sich nicht für immer von seinem Volk abgekehrt. Als zweiter Zeuge ist da nämlich Jesaja, und der erkühnt sich in seiner prophetischen Vollmacht, Gottes eigenes Wort für diese Stunde zu sagen: Gott hat sich finden lassen und ist offenbar geworden denen, die weder nach ihm gesucht noch gefragt haben, nämlich den Heiden. Israel gegenüber aber steht er mit suchenden Händen da, um sein Volk bei sich anund aufzunehmen, aber dieses Volk ist ungehorsam, widerspricht seinem Gott und überhört seinen Ruf. So steht es in Jes 65,1-2 zu lesen, und so verhält es sich auch wirklich mit Israel und den Heiden bis zur Stunde. Paulus hat damit zum Ausdruck gebracht, wie die Situation Israels im Lichte der von Gottes Geist erfüllten und in die Gegenwart hereinsprechenden Hl. Schrift zu sehen ist. Israel steht Gottes Wegen in und durch Jesus entgegen. Ihm ist die Erkenntnis von Gottes Gerechtigkeit versperrt, und es leistet in seiner Verblendung dem Evangelium Widerstand statt sich ihm zu öffnen. Solcher Ungehorsam gegenüber Gottes Ruf stellt Israel in die Situation des in Dtn 32,21 angekündigten Gerichts: Es muß und soll sich zornig ereifern über den scheinbaren Verlust seiner Vorrechte, Gott aber wird und will diese zornige Eifersucht zu Israels Gutem wenden, denn er bleibt aus Treue und Barmherzigkeit seinem ungehorsamen Volk auch in der Stunde des Zornes zugewandt. Auf der Basis dieser Glaubenseinsicht schreitet der Apostel nunmehr in Kap. 11 zur Geschichtsprophetie fort und zeigt, daß und wie Israel von seinem und aller Menschen Gott zu der ihm verheißenen Erlösung geführt werden wird.

IV. 11,1-32: Der Weg des Erbarmens Gottes In 9,6 hat Paulus programmatisch festgestellt, daß Gottes erwählendes Verheißungswort für Israel unverbrüchlich ist, und aus 9,30-10,21 hat sich ergeben, daß Gott seinem Volke nahebleibt, obwohl er es in Zorn und Eifersucht über den Heilsgewinn der Heiden versetzt hat. In 11,1-32 zieht der Apostel aus beiden Feststellungen die Folgerung und legt in geschichtsprophetischer Einsicht den Weg des Erbarmens dar, den Gott gehen wird, um ganz Israel zu der ihm verheißenen Erlösung zu führen. Er tut dies in drei Schritten. In 11,1-10 zeigt er, daß nur erst ein „Rest" von Israeliten zu der verheißenen Errettung gelangt ist, das übrige Israel aber unter der von Gott verhängten Verstockung steht; 11,11-24 zeigen auf, daß die Mehrheit Israels nur auf Zeit zugunsten der Errettung der Heiden verstockt worden ist; in 11,25-32 schließlich macht der Apostel das ihm erschlossene Glaubensgeheimnis von der Errettung ganz Israels durch den vom Zion kommenden messianischen Erlöser offenbar.

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11,1-10: Der erwählte Rest

1. 11,1-10: Der erwählte Rest 1 Nun sage ich: Hat Gott etwa sein Volk verstoßen? Mitnichten! Denn auch ich bin ja Israelit, aus dem Samen Abrahams, vom Stamme Benjamin. 2 „Gott hat sein Volk nicht verstoßen", das er im voraus ausersehen hat! Oder wißt ihr nicht, was die Schrift im Elia-Abschnitt sagt, wie er bei Gott gegen Israel auftritt: 3 „Herr, deine Propheten haben sie getötet, deine Altäre niedergerissen, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten mir nach dem Leben"! 4 Doch was sagt ihm der Spruch Gottes? „Ich habe mir siebentausend Mann übriggelassen, die nicht ihr Knie vor Baal gebeugt haben." 5 Genauso ist nun auch zum jetzigen Zeitpunkt ein Rest gemäß der Gnadenauswahl vorhanden. 6 Wenn aber aus Gnade, dann nicht mehr aus Werken; sonst wäre die Gnade nicht mehr Gnade. —7 Was also nun? Was Israel erstrebt, das hat es nicht erlangt, aber die Auswahl hat es erlangt; die übrigen aber sind verstockt worden, 8 wie geschrieben steht: „Gott hat ihnen einen Geist der Betäubung gegeben, Augen, um nicht zu sehen, und Ohren, um nicht zu hören, bis zum heutigen Tage"; 9 und David sagt: „Es möge ihr Opfertisch für sie werden zur Schlinge und zur Falle und zum Ärgernis und zur Vergeltung, 10 es mögen ihre Augen verfinstert werden, um nicht zu sehen, und ihren Rücken beuge allenthalben!" Vers 2: 1. Sam 12,22; Vers 3: 1. Kon 19,10.14; Oes 29,10); Vers 9 f.: A 69, 23f.

Vers 4: 1. Kön 19, IS;

Vers 8: Dtn 29,3

Der Abschnitt zerfällt deutlich in zwei Teile: V. 1-6 und V. 7-10. Die von Paulus A in V. 1 gestellte Frage, ob Gott sein Eigentumsvolk verstoßen habe, wird gleich in V. 1 unter Hinweis auf die Erwählung des Paulus selbst verneint. V. 2 bekräftigt die Verneinung mit Worten aus 1. Sam 12,22, und dieses Nein der Schrift zur Verstoßung des Gottesvolkes wird anschließend typologisch begründet: Wie sich Gott zu den Zeiten Elias siebentausend glaubenstreue Israeliten übriggelassen hat, hat er in der Gegenwart einen kleinen Rest aus Israel erwählt, dem Evangelium gehorsam zu sein. Nur dieser zum Glauben erwählte Rest hat das Heil bereits erlangt (V. 7), während alle übrigen Israeliten unter dem sowohl von Mose (V. 8) als auch David (V. 9 f.) angekündigten Verstockungsgericht stehen. Wieder gibt die Hl. Schrift dem Apostel und seinen Lesern vor, wie die Situation Israels angesichts des Evangeliums zu sehen ist. Schon in 9,27.29 hatte der Apostel Jes 10,22 f. und 1,9 zitiert und daran erinnert, diß im Gericht nur ein Rest aus Israel von Gott gerettet und bewahrt werde. Jetzt nimmt er diesen Gedanken wieder auf und macht deutlich, wer dieser von Gott aus Israel ausgesonderte Rest ist. Nach den Essenern von Qumran geht es bei dem erwählten Rest um die vom priesterlichen Lehrer der Gerechtigkeit mit Gottes Hilfe erbaute (Rest-)Gemeinde der wahren Gesetzestreuen, die sich von den gottlosen Israeliten absondern und mit ihrem vollendeten Gehorsam Sühne leisten für Israel (vgl. 4QpPs37III 15f.; l Q S 5,5ff.; 1QH 6,8f.). Ganz anders Paulus! Für ihn ist der Rest die kleine Schar von Judenchristen, die schon jetzt zum Glauben erwählt sind und der Erlösung ganz Israels vorangehen. Statt daß sie, wie die Essener, „alle verdammen, die das Gebot übertreten" ( lQS 5,7), sind sie nach Paulus ein von Gott gesetztes Hoffnungszeichen für ganz Israel.

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Β Die Gerichtsankündigungen von 9,27-29 und 10,19 legen die Frage nahe, die 1 Paulus nun ausdrücklich stellt: Hat Gott sein Volk verstoßen? Wenn man die harten Gerichtsworte des Apostels über die Juden aus 1. Thess 2,15 f. im Sinn hat, die auch seinen judenchristlichen Gegnern nicht unbekannt geblieben sein können, kann man vermuten, daß in der von Paulus gestellten Frage ein Vorwurf mitschwingt, den man seiner Verkündigung gemacht hat. Um so wichtiger ist es dem Apostel, die Frage mit allem Nachdruck zu verneinen. Dieses klare Nein überrascht, denn es ist im bisherigen Brief nur erst in 2,4 und 9,6 (indirekt) angedeutet und dürfte eben deshalb auch bei den Lesern des Römerbriefes besondere Aufmerksamkeit erregt haben. Zur Begründung für sein Nein verweist der Apostel zuerst auf sich selbst. Er ist ein von Gott zum Glauben erwählter Israelit, Same Abrahams, er stammt aus dem Stamme Benjamin und trägt den jüdischen Namen „Saul" nach dem von Gott aus dem Stamme Benjamin erwählten ersten König Israels (vgl. 1. Sam 10,1). Auch dieser Verweis auf die jüdische Herkunft des Apostels verwundert, weil er in Phil 3,5 ff. eben die Vorrechte, die er hier als Bürgschaft für Gottes Treue zu Israel nennt, „Schaden" und „Unrat" heißt, die angesichts der rettenden Erkenntnis Christi nichts wert seien. Nun sieht er in ihnen doch die unverwechselbaren Merkmale der Gnadenwahl Gottes. Es geht dem Apostel in V. 1 offensichtlich darum, Mißverständnisse auszuräumen, die seine bisherigen, höchst dialektischen und auch mißverständlichen Äußerungen über Israel (unter den Christen von Rom und anderswo) verursachen konnten und vielleicht auch hervorgerufen haben. Aber Paulus will mehr als nur seine eigene Auffassung klar2 stellen. Deshalb wiederholt er nun mit Worten aus 1. Sam 12,22, daß Gott sein Volk nicht verstoßen habe, und fügt von sich aus hinzu: „ . . . das Volk, das er im voraus ausersehen hat". Die Gnadenwahl, auf deren Bedeutung für Existenz und Geschichte Israels der Apostel seit 9,6 immer wieder hingewiesen hat, ist Hoffnungsgrund der Errettung für ganz Israel! Um die in l.Sam 12,22 ausgesprochene Zusage an das erwählte Gottesvolk ein weiteres Mal zu unterstreichen, erinnert Paulus seine Leser in Rom daran, was die Schrift „im Elia(-Abschnitt)" — wir wür3 den heute sagen: in den Elia-Geschichten — berichtet. Elia hat am Horeb vor Gott Anklage gegen Israel erhoben und sich als den letzten der Getreuen Gottes empfunden, dem die Gottlosen auch noch nach dem Leben trachten (in 1. Thess 2,15 f. hat 4 Paulus ähnlich gesprochen). Gottes Antwort auf die (An-)Klage seines Propheten aber hatte erstaunlich gelautet: Gott hat sich — ohne daß Elia davon wußte — eine Gemeinde von siebentausend Bekennern bewahrt; seine Vorsehung straft den Propheten also in dem einen Punkt Lügen, daß er der letzte Getreue in Israel sei. Was die Schrift von Elia erzählt, erlaubt folgende Nutzanwendung für die Gegenwart: 5 Auch und gerade zum jetzigen Zeitpunkt gibt es (schon) einen von Gott kraft seiner Gnadenwahl ausgelesenen Rest von Israeliten, die zu dem einen Paulus (von V. 1) hinzuzurechnen sind. Es ist die Schar der nicht nur am Fleisch, sondern auch im Geist beschnittenen Juden, die an Christus glauben (2,29). Zu ihnen rechnen in Rom z.B. Priska und Aquila, Andronikus und Junia (16,3.7). Sie sind ein Zeichen dafür, daß Gott sein Volk nicht verlassen, vielmehr sich aus diesem Volk heraus eine Gemeinde von Glaubenden erwählt hat. Wie in den Tagen Elias geht die Geschichte Gottes mit Israel auch heute weiter und weist hoffnungsvoll in die Zukunft. (Paulus

11,11-24: Israels Verstockung auf Zeit

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braucht unter diesen Umständen seine Anklage von 1 .Thess 2,15 f. nicht zu wiederholen.) Diese Geschichte ist ganz und gar von der frei erwählenden Gnade dessen geprägt, der den Gottlosen gerechtspricht (4,5); mit dem Versuch, die eigene Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes heraus zu begründen (9,32; 10,3), will diese Gnade nichts gemein haben (vgl. 9,16). Es wäre unter diesen Umständen ein fundamentaler Verstoß gegen die eigene Erwählung, wenn sich die judenchristliche Gemeinde erneut auf den Grundsatz: „ A u s Glauben und aus Werken des Gesetzes" versteifen und von da aus die Paulusverkündigung angreifen wollte (vgl. so aber doch Jak 2,24). Es erhebt sich freilich nun sogleich ein gewaltiges Problem: Zu der von Israel insgesamt erstrebten Gerechtigkeit (10,3 f.) ist kraft der Gnadenwahl Gottes bisher nur die kleine Rest-Gemeinde von Judenchristen gelangt; die übrigen Juden nicht. Sie sind, wie Paulus schreibt, verstockt worden, und zwar von Gott. Was der Apostel in 10,3 und 10,18 f. nur erst angedeutet hatte, führt er jetzt unter Verweis auf D t n 29,3 mit aller Klarheit aus. Gott hat die große Mehrheit in Israel mit einem Geist der Betäubung geschlagen und ihnen Augen und Ohren gegeben, die nicht sehen und hören können, was er in Christus für Israel getan hat. Die Verstockung wirkt bis zur Stunde; und nicht nur Mose bezeugt sie, sondern auch David, der geisterfüllte Autor und Sprecher der Psalmen (vgl. Sir 47,8-10). Er spricht in Ps 69,23 f. eine Verwünschung seiner Feinde aus: Ihr „Opfertisch" (d. h. nach rabbinischem Verständnis der Sühneopferaltar im Tempel) soll ihnen statt zur Stätte des göttlichen Wohlgefallens zum Fallstrick und Glaubenshindemis werden. Die Leser des Paulus mußte diese Formulierung an den Umstand erinnern, daß trotz des von Gott verfügten Sühntodes Jesu auf Golgatha (3,25 f.) die Sühnopfer im Jerusalemer Tempel nach wie vor dargebracht wurden, Israel also von Gottes Werk der Versöhnung durch den Kreuzestod Jesu nichts wissen wollte. (Auch) nach David sollte Israel mit Blindheit geschlagen (vgl. V. 8) und — wie es in dem griechischen Psalmentext, den Paulus zitiert, heißt — „ihr Rücken gebeugt", d.h. seiner Freiheit beraubt werden. Wie in Gal 3,23 f. und 4,25 spielt Paulus damit auf den Knechtsdienst Israels unter dem Gesetz an. Die zahlenmäßige Mehrheit des Gottesvolkes steht nach dem Zeugnis des Mose und Davids unter der von Gott verhängten Verstockung. Während ein kleiner „ R e s t " von Israeliten bereits für den Glauben erwählt worden ist, sind die anderen alle von Gott in den Unglauben und Ungehorsam gegenüber dem Christusevangelium eingeschlossen worden (10,16; 11,32). Sie stoßen sich an Christus (9,32) und erregen sich nach Gottes Willen voller Zorn und Eifersucht über die den Heiden eröffnete, ihnen aber scheinbar entzogene Gottesgerechtigkeit (10,19).

2. 11,11-24: Israels Verstockung auf Zeit 11 N u n sage ich: Haben sie etwa Anstoß genommen, um zu scheitern? Mitnichten! Sondern durch ihren Fall ist den Heiden die Errettung (zuteilgeworden), um sie zur Eifersucht zu reizen. 12 Wenn aber ihr Fall Reichtum für die Welt und ihre Minderung Reichtum für die Heiden (bedeutet), wieviel mehr (wird dann) ihre

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9,1-11,36: G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

Vollzahl (bedeuten) ! — 13 Euch aber, den Heiden, sage ich: Insoweit ich nun Apostel der Heiden bin, preise ich meinen Dienst, 14 ob ich wohl mein Fleisch zur Eifersucht reizen und einige von ihnen retten werde. 15 Denn wenn (schon) ihre Verwerfung Versöhnung für die Welt (bedeutet), was (kann dann) ihre Annahme anderes (bedeuten) als Leben von den Toten?— 16 Denn wenn die Teighebe heilig (ist), (dann) auch der (ganze) Teig; und wenn die Wurzel heilig (ist), (dann) auch die Zweige. 17 Wenn aber einige von den Zweigen ausgebrochen worden sind, du aber, der du Schößling eines wilden Oelbaumes bist, eingepfropft worden bist unter sie und Teilhaber geworden bist der Fett spendenden Wurzel des Oelbaums, 18 dann rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Wenn du dich aber rühmst (so wisse): Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel dich! 19 Du wirst nun sagen: Es sind (doch) Zweige ausgebrochen worden, damit ich eingepfropft werde! 20 Wohl! Aufgrund von Unglauben sind sie ausgebrochen worden, du aber hast Bestand (nur) aufgrund des Glaubens. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich (vor Gott). 21 Denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat, dann wird er ganz gewiß auch dich nicht verschonen. 22 Sieh nun an die Güte und Strenge Gottes: Gegenüber den Gefallenen Strenge, aber dir gegenüber Güte Gottes, wenn du bei der Güte bleibst, denn sonst wirst du herausgehauen werden. 23 Jene aber werden, wenn sie nicht beim Unglauben bleiben, (wieder) eingepfropft werden, denn Gott hat die Macht, sie wieder einzupfropfen. 24 Denn wenn du aus dem seiner Natur nach wilden Ölbaum herausgehauen und wider die Natur eingepfropft worden bist in den edlen Ölbaum, um wieviel mehr werden sie, die naturgemäß sind, ihrem eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden. Vers 16: Num Ii, 17-21.

A

Der Aufbau des Abschnitts ist leicht zu erkennen: V. 11-12 und V. 13-15 sind parallel aufgebaut. Die Verse stellen in inhaltlicher Steigerung und Präzisierung heraus, daß Israels partielle Verstockung umgriffen bleibt von Gottes Absicht, sein Volk zur Eifersucht auf die Heiden zu reizen, die bereits zur Errettung gelangt sind (vgl. 10,19). Beide Satzgruppen münden aus in gleich formulierte Sätze ( = V. 12 und 15), die mit Hilfe des Schlusses vom Geringeren auf das Größere deutlich machen, daß die Annahme der Vollzahl aller Israeliten durch Gott erwartet werden darf, und zwar als endzeitliches Erlösungsgeschehen. V. 16 ist in Anlehnung an V. 15 formuliert, führt aber eine neue Bildsprache ein und bildet die Grundthese, von der Paulus in dem rhetorischen Dialog mit „ d e m " Heidenchristen ausgeht, den er bis zum Ende von V. 24 führt. Der Apostel benutzt in unseren Versen Vorstellungen und Bilder, die man kennen muß, um seine Argumentation zu verstehen. In V. 12 spricht er von der „Vollzahl" Israels (und in V. 25 dann von der „Vollzahl der Heiden"). Gemeint ist beide Male die von Gott von Uranfang an bestimmte Zahl aller Israeliten und aller Heiden, die zur Rettung gelangen sollen; (erst) wenn diese jeweilige „Vollzahl" erreicht ist, führt Gott die Endereignisse herauf (vgl. syrBar 23,4 und babjeb 62a.63b). — Das Gleichnis von der Teighebe und dem Teig in V. 16 geht von N u m 15,17-21 aus und wird vom Apostel ebenso (auf Menschen) übertragen gebraucht wie in rabbinischen Texten, die z.B. den nach Gen 2,7 aus Erde geschaffenen Adam „die Teighebe der Welt" nennen. Als „Wurzel" (Israels) gilt in der frühjüdischen Literatur vor

11,11-24: Israels Verstockung auf Zeit

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allem Abraham. Er wird die auserwählte Wurzel genannt, aus der das Gottesvolk erwächst (vgl. Testjud 24,5; Jub 16,26; äthHen 93,5.8; Philo, Her 279). Der Ölbaum ist Metapher für Israel (vgl. Jer 11,16), und in Jub 1,16 heißt das Gottesvolk der Zukunft „die Pflanze der Gerechtigkeit" (vgl. Jer 61,3). Mit einem ganz ähnlichen Satz wie in Y 1 stellt sich Paulus nunmehr der aus V 8 - 1 0 erwachsenden schweren Frage, ob die Mehrzahl Israels (an Christus) Anstoß genommen hat, um dadurch endgültig zu Fall zu kommen. In 1. Thess2,16 hatte Paulus selbst diese Möglichkeit angedeutet. Deshalb dürfte sich auch in V. 11 wieder etwas von der kritischen Debatte spiegeln, in die der Apostel bis hin nach Rom verwickelt ist. Daß Israel das Schicksal des ägyptischen Pharao erleiden sollte (vgl. 9,17), weist Paulus ab. Israel unterliegt nicht dem Vernichtungs-, sondern dem Läuterungsgericht. Sein Fall kommt der Errettung der Heiden zugute. Der unverhoffte Heilsgewinn der Völker aber soll nach Gottes Willen (vgl. das Zitat von Dtn 32,21 in 10,19) die verstockte Mehrheit Israels in zornige Eifersucht versetzen. Wie diese aussieht und sich auswirkt, haben wir uns schon klargemacht (s.o. S. 145). Da Israels Verstockung von der Läuterungsarbeit Gottes an seinem Volk umgriffen bleibt, kann Paulus über die Zeit der gegenwärtigen Verblendung Israels hinaussehen und feststellen: Wenn schon der Fall der Mehrheit der Israeliten, ihre Verminderung auf ganz wenige, die dem Evangelium gehorsam geworden sind (vgl. 10,16; 11,5), der Völkerwelt zum Reichtum des Heils verholfen hat, wieviel mehr wird dann erst die Wiederannahme und Errettung der Vollzahl Israels für die Welt bedeuten! Das heißt: Wenn Gott einst ganz Israel (11,26) zur Rettung führen wird, wird seine Herrschaft endgültig anbrechen. Paulus wendet sich nun ganz betont seinen mehrheitlich aus dem Heidentum stammenden Lesern in Rom zu und geht die (in V. 11-12) geäußerten Einsichten noch einmal mit seinen Adressaten durch. Ihnen, die sie aus den Reihen der Heiden stammen, versichert er ausdrücklich, daß er, der jüdische Heidenmissionar (Gal 1,16; 2,7ff.; Rom 1,5), den ihm von Gott durch Christus übertragenen Dienst dankbar preist, und zwar deshalb, weil dieser Dienst an der Läuterungsarbeit, die Gott an seinem Volke vollzieht, beteiligt ist. Der Jude Paulus darf und will Apostel der Heiden um Israels willen sein! Was ihm von Seiten der Mehrheit der Israeliten auf seinen Missionsfahrten begegnet, nämlich Zorn und Eifersucht auf die Heiden und persönliche Verfolgung, spricht nicht — wie man bis hinein nach Rom meint — gegen die Verkündigung des Apostels, sondern für sie: Paulus darf und will das Gerichtswort Gottes aus Dtn 32,21 zur Wirkung bringen und eben dadurch seine irdischen Stammesgenossen für das ihnen verheißene Heil vorbereiten. Wenn es ihm dabei außerdem noch gelingt, durch seinen Dienst einige wenige Juden heute schon zur Besinnung und zum Glauben an das Evangelium zu führen (vgl. z.B. die Bekehrung des Krispus nach Apg 18,8 und 1. Kor 1,14), kann Paulus damit den Heiden jenen kleinen erwählten „Rest" sichtbar machen, der ein Hoffnungszeichen für ganz Israel ist (vgl. V. 5). Wenn nämlich schon die Verwerfung der Mehrheit Israels zur Versöhnung der Völkerwelt geführt hat (vgl. 2. Kor 5,18-20), dann kann die Wiederannahme der auf Zeit Verworfenen nichts anderes mit sich bringen als „Leben von den Toten", d.h. den Sieg über den „altbösen Feind" Tod schlechthin und das Kommen der Gottesherrschaft (vgl. 1. Kor 15,26). Die Auferweckung der Toten und die erhoffte Erlösung aller

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

Kreatur (vgl. 8,18-24) ist für Paulus wesenhaft mit der Wiederannahme ganz Israels durch Gott verbunden. An Gottes Weg mit Israel hängt die Erlösung der ganzen Welt; er ist die prägende Komponente der Erwählungs- und Heilsgeschichte! Paulus stellt dies so betont heraus, weil er sein Evangelium in Rom nicht nur gegenüber dem Vorwurf verteidigen muß, es führe Israel in die Verstockung statt zum Heil, sondern weil er sich auch einer Gruppe von Heidenchristen gegenübersieht, die auf das verstockte Israel herabsehen und meinen, Gott habe sich endgültig von Israel abgewandt und die Errettung der Heiden durch das Evangelium sei die Krönung aller seiner Werke. Der Apostel hat dieser Denkweise mit seinen Äußerungen in l.Thess 2,14-16 selbst Vorschub geleistet, und sie tritt zum Beschluß der Apostelgeschichte sogar als paulinisches Vermächtnis hervor (vgl. Apg 28,23-28). U m so wichtiger ist es, genau zur Kenntnis zu nehmen, was Paulus in den folgenden Versen selbst zu solchen Tendenzen meint. Die These, mit der Paulus den Dialog mit „dem" Heidenchristen eröffnet, ist von der Glaubensüberzeugung bestimmt, daß Gott sein Verheißungswort gegenüber Israel nicht rückgängig macht (9,6). Das Doppelgleichnis von der den ganzen Teig heiligenden Teighebe und der auch die Zweige heiligenden Wurzel ist deshalb am besten von 9,5 (und 4,1 ff.) her zu deuten: Von den Vätern und vor allem von Abraham her ist und bleibt Israel erwählt, aber eben zur Errettung durch den Gott, der an der Erwählung „unseres Vaters" Abraham und mit der diesem gegenüber ausgesprochenen Verheißung deutlich gemacht hat, daß er die Gottlosen allein durch Christus rechtfertigen will (vgl. 4,5.17.24f. mit 9 , l l f . 16.32; 10,12; 11,6). Von Abraham her erwächst die Heilsgemeinde all derer, die an der Abrahamsverheißung teilhaben, und nicht nur der kleine Rest (V. 5), sondern ganz Israel ist bestimmt, zu ihr zu gehören (V. 25 ff.). Im Hintergrund der nun folgenden Bildrede steht die Gleichsetzung Israels mit einem Ölbaum aus Jer 11,16; der edle Ölbaum, den Paulus meint, ist dabei die in Abraham wurzelnde Heilsgemeinde, „das Israel Gottes" (Gal 6,16). Der wilde Olbaum mit seinen Schößlingen symbolisiert demgegenüber die Heiden. Schon der Kirchenvater Orígenes hat gemeint, Paulus gehe mit seinem Bild von der Einpfropfung eines wilden Ölzweiges in einen edlen Olbaum an aller gärtnerischen Erfahrung vorbei, gleichsam apostolisch abgehoben von allen botanischen Realitäten. Aus dem Handbuch eines im 1 .Jh. n. Chr. lebenden römischen Landwirtschaftsexperten geht jedoch hervor, daß man z.Z. des Paulus tatsächlich alte Olbäume durch das Einpfropfen wilder Ölzweige zu neuem, fruchtbaren Wachstum gebracht hat (vgl. Pseudo-Columella, Arb V 9,16). Der Apostel spricht in V 1 7 ff. also durchaus Erfahrungen an, die seine Leser machen konnten. Aus der Wurzel Abrahams erwächst der gute, Gott geheiligte Ölbaum. Wenn ein Heide als wilder Ölschößling statt einiger von Gott aus dem Ölbaum herausgebrochener Zweige eingepfropft wurde und an der fettspendenden Wurzel Abraham teilhat, dann soll er sich nicht rühmen und auf die ausgebrochenen Zweige herabsehen. Er soll sich vielmehr bewußt sein und bleiben, daß es die Wurzel ist, die ihn trägt und wachsen läßt, und nicht etwa umgekehrt. Ohne die Abrahamsverheißung, an der er teilhaben darf, wäre gerade der Heidenchrist nichts. Der Einwand, die Ölzweige seien doch gerade deshalb ausgebrochen worden, um die Einpfropfung des wilden Zweiges zu ermöglichen (und den verküm-

11,11-24: Israels V e r s t o c k u n g auf Zeit

153

mernden Ölbaum zu verjüngen), trifft zwar zu, rechtfertigt aber keine Überhebung des glaubenden Heiden über die verblendeten Israeliten. Sie sind ausgebrochen und verstockt worden aufgrund ihres Unglaubens, und der neu eingepfropfte, von Gott zum Glauben erwählte Heidenchrist steht und fällt vor Gott einzig mit dem Glauben (nach Abrahams Vorbild, vgl. 4,18-22). Mit Hochmut hat der Rechtfertigungsglaube in Abrahams Spuren nichts, aber statt dessen sehr viel mit der Furcht Gottes zu tun. Denn wenn Gott schon die von Natur aus der Wurzel Abraham entsprossenen Israeliten nicht verschont hat, hat er noch weniger Anlaß, den eingepfropften Heiden zu verschonen, wenn dieser vergißt, wovon er vor Gott lebt. Friede mit Gott, Rechtfertigung und Versöhnung stehen und fallen mit dem Glauben (Rom 5,1-11). Unglaube aber läßt Juden und Heiden Gottes Gericht verfallen. Wenn Paulus vom Ungehorsam (10,3.16; ll,30f.), vom Fall (11,11 f.) und vom Unglauben (11,20.23) Israels spricht, die der Mehrheit des Gottesvolkes VerStockung und Verwerfung auf Zeit eingetragen haben, gleichzeitig aber betont, Israel habe in seiner Verblendung keine Ahnung von Gottes Gerechtigkeit (10,3) und sei derzeit von Gott mit Blindheit geschlagen worden (11,8-10), entsteht die kritische Frage (des Paulusgegners) von (3,5.7 und) 9,19 ganz von selbst: „Warum tadelt Gott dann noch?" Wie kann Israel für ein Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden, dem es sich doch nicht entziehen kann? Paulus ist dieser Frage schon in 5,12 ff. nachgegangen und fußt auch jetzt auf einem in Lev 4 beispielhaft hervortretenden Aspekt des biblischen Sündenverständnisses. Sünde meint nicht nur den bewußten Verstoß eines frei verantwortlichen Menschen gegen Gottes Willen, sondern auch die unfreiwillige Übertretung dieses Willens, die sich ein einzelner oder eine Volksgruppe zu Schulden kommen lassen. In genau diesem unfreiwilligen Schuldverhältnis gegenüber der Offenbarung der Gottesgerechtigkeit in Christus befindet sich Israel. Sein derzeitiger Unglaube ist von Gott verhängt; es kann und darf noch nicht zur vollen Christuserkenntnis kommen. Für den (Heiden-)Christen, der diese Zusammenhänge durchschaut, werden am Weg Gottes mit Israel Gottes Güte und Strenge exemplarisch deutlich. Gott ist gütig und bleibt gütig denen, die diese Güte anerkennen; z.Z. sind dies vor allem die Heiden; er ist streng und bleibt streng denen gegenüber, die diese Güte zurückweisen. Als Schöpfer hat er aber die Macht und ist willens, die Israeliten wieder in den aus der Wurzel Abraham erwachsenden edlen Ölbaum einzupfropfen, wenn sie nicht willentlich bei ihrem Unglauben verharren. Denn wenn Gott imstande war, die von dem wilden Ölbaum stammenden Schößlinge dem edlen Ölbaum einzupropfen, kann er um so mehr die von ihm selbst ausgebrochenen Ölzweige dem aus der Wurzel Abraham erwachsenden Baum wiedereinsetzen, wenn sie von ihrem Unglauben befreit sind. Paulus wird diese Schau der Heilsgeschichte in V. 25 ff. weiterführen und krönen. Gegenüber der heidenchristlichen Überhebung über die ungläubigen Juden hat er aber nunmehr schon unmißverständlich herausgestellt, daß nicht die Errettung der Heiden aus Sünde und Gottesferne Ziel aller Werke Gottes ist, sondern die Errettung seines Eigentumsvolkes. Gott will auch die Heiden (durch Christus) erretten, in der Tat, aber nicht anstatt der Israeliten, sondern zusätzlich zu ihnen. Sein Israel gegtbenes Verheißungswort steht weiterhin in Geltung und ist unverbrüchlich (vgl· 9,6 mit 11,29). Auf die früher von Paulus selbst (mit-)vertretene Anschauung,

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

Israel sei ganz und gar von Gottes Zorngericht ereilt worden (1. Thess 2,16), können und sollen sich die Heidenchristen in Rom nicht mehr berufen. Paulus selbst ist kraft einer Offenbarungseinsicht über die Anschauung von einst hinausgeführt worden, und er läßt seine Adressaten in den nachfolgenden Versen an ihr teilhaben, damit auch ihre verengten Denkhorizonte aufgesprengt werden.

3. 11,25-32: Das Geheimnis der Errettung ganz Israels 25 Ich will euch nämlich nicht in Unkenntnis lassen, Brüder, in Hinsicht auf dieses Geheimnis, damit ihr nicht bei euch selbst klug seid: Eine teilweise Verstockung ist Israel widerfahren bis zu dem (Zeitpunkt), da die Vollzahl der Heiden eingegangen sein wird. 26 Und somit wird dann ganz Israel errettet werden, wie geschrieben steht: „Es wird kommen vom Zion her der Erlöser, er wird wegnehmen die Gottlosigkeit von Jakob. 27 Und dies wird für sie die von mir aus (ergangene) Bundes-Setzung sein, wenn ich dann ihre Sünden wegnehmen werde." 28 Was das Evangelium anbelangt, (sind sie) Feinde (Gottes) euretwegen, was aber die Erwählung anbetrifft, (sind sie) Geliebte (Gottes) der Väter wegen. 29 Denn unwiderruflich sind die Gnadenzuwendungen und die Berufung Gottes. 30 Denn wie ihr einst ungehorsam gegenüber Gott gewesen seid, jetzt aber Erbarmen gefunden habt aufgrund von deren Ungehorsam, 31 so sind auch sie jetzt ungehorsam geworden aufgrund des euch erwiesenen Erbarmens, damit auch sie nunmehr Erbarmen finden. 32 Denn Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen. Vers 26 f. : Jes 59,20f. (+ Ps 50, 2);

A

Vers 27: Jes 27, 9.

Die Struktur des Textabschnittes ist folgende: V. 25a leitet die Mitteilung des „Geheimnisses" ein, das dann in V. 25b-27 mitgeteilt (und zugleich aus der Hl. Schrift als Stimme Gottes begründet) wird. In V. 28-29 und V. 30-32 wird dann die erwählungstheologische und soteriologische Bedeutung dieses Geheimnisses herausgestellt. Wieder versteht man unsere Verse erst dann, wenn man die Traditionen kennt, auf die Paulus Bezug nimmt. Wenn Paulus vom „Eingang" der von Gott bestimmten „Vollzahl der Heiden" (s.o. S. 150) spricht, hat er die alttestamentlichfrühjüdische Erwartung im Blick, daß in der Endzeit die Heidenvölker zum Zion wallfahrten, Jerusalems Herrlichkeit schauen und auf ihre Weise an dem Israel von Gott eröffneten Heil teilhaben dürfen (vgl. J e s 2 , 2 f f . ; M i 4 , I f f . ; Tob 13,13; PsSal 17,30f.; TestBenj 9,2). Bei Paulus geht die Wallfahrt der Heidenvölker und ihre Teilhabe am Heil der Errettung Israels voraus, ohne sie zu ersetzen. — Von der Errettung „ganz Israels" ist andeutungsweise schon im hebräischen Text von Jes 59,20 die Rede: „Doch für Zion kommt er als Erlöser und für alle in Jakob, die umkehren von ihrer Sünde . . . " und dann ausdrücklich in TestBenj 10,11: (Nach der Auferweckung der Toten) „wird ganz Israel zum Herrn versammelt werden" sowie in MSanh 10,1: „Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt". In V. 26 f. macht Paulus wieder in der für ihn typischen schriftgelehrten Weise Gebrauch von der Hl. Schrift. Er hört sie als Stimme Gottes und läßt Jes 59,20 f. und 27,9, die beide

11,25-32: Das Geheimnis der Errettung ganz Israels

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von der Wegnahme der Sünde aus Israel sprechen, einander interpretieren. Auffällig ist dabei, wie der Apostel vom Kommen des Erlösers spricht. Wenn er nicht einen anderen (griechischen) Text des Jesajabuches vor sich hatte, als wir ihn heute besitzen, liegt eine bewußte exegetische Anspielung auf Ps 50,2 vor: Der Erlöser wird nicht nur, wie der hebräische Jesaja-Text sagt, „für Zion" oder nach dem griechischen Text „um Zions willen", sondern „vom Zion her" kommen. Nach Jes 2,2 ff. und Mi 4,1 ff. wird der Zionsberg in der Endzeit zum Weltenberg erhöht werden, und nach 4Qflor 1,12 und 4Esr 13,35 wird dort der Messias aus Davids Geschlecht auftreten und sein endzeitliches Werk der Durchsetzung der Gottesherrschaft vollenden; dazu gehört neben dem Sieg über die Gottlosigkeit die Errettung und die Zusammenführung ganz Israels aus allen Gegenden der Welt (vgl. Jes 43,5ff. mit 4Qflor 1,12f.; 4Esr 13,39-49). — Von hier aus formuliert der Apostel in Rom 11,25-32 seine höchst eindrückliche Geschichtsprophötie. Mit der den Lesern des Briefes schon aus 1,13 bekannten Wendung: „Ich möchte euch nicht in Unkenntnis darüber lassen, (liebe) Brüder" (vgl. l . K o r 10,1; 12,1; 2. Kor 1,8; 1 .Thess 4 , 1 3 ) läßt Paulus die Christen von R o m an der ihm von Gott her zuteilgewordenen Einsicht in Gottes Lenkung der Geschichte teilhaben. Der Apostel will verhindern, daß sich die (Heiden-)Christen in Rom, wie in V 1 3 ff. angedeutet, als die eigentlichen Hauptempfänger der Gnade Gottes empfinden und dementsprechend auf das vor Gott angeblich ganz und gar zunichtegewordene Israel herabsehen; solch illusionärer Selbstüberschätzung soll man sich in R o m nicht hingeben! Daß Paulus damit von seinen Äußerungen aus 1 .Thess 2 , 1 4 - 1 6 abrückt, haben wir uns schon klargemacht (s.o. S. 153f.). Was der Apostel den Römern mitzuteilen hat, nennt er ein „Geheimnis". Damit ist ein von Gott vorbereitetes, der Welt und ihrer Weisheit verborgenes, aber dem Apostel gnädig enthülltes Geschehen gemeint, von dem er nun seinen Mitchristen Mitteilung machen darf und soll (vgl. ähnlich l . K o r 2 , 7 ) . Die Verstockung, von der Paulus in 10,2f.; 11,8-10 gesprochen hat, ist über den Großteil Israels nur so lange verhängt, bis die „Vollzahl" der zur Errettung durch das Evangelium bestimmten Heiden (Mk 13,10) „eingegangen" sein wird. Jesus spricht in seiner Verkündigung vom „Eingehen" in die (künftige) Gottesherrschaft (Mt 5,20; 7,21), der Hebräerbrief vom „Eingehen" der an Christus Glaubenden in die himmlische Ruhestätte (Hebr 3,18 f.; 4,3), und die Johannesoffenbarung preist den selig, der eingehen darf in die himmlische Gottesstadt des neuen Jerusalem (Offb 22,14). Paulus denkt ähnlich. Wenn die Toten auferstanden und alle von Gott zum Heil bestimmten Heiden eingegangen sein werden in die Heilsgemeinde, für die die endzeitliche Gottesstadt auf dem Zion bereitet ist (vgl. Jes 26,2; 4Esr 7,36.123 f.; 13,36), dann wird auch die partielle Verblendung von Israel genommen werden. Die Heiden dürfen zwar noch vor dem Großteil Israels in die Heilsgemeinde einziehen und sich der Nähe Gottes und seines Sohnes erfreuen; ihr Einzug aber wird zum Signal für die Errettung „ganz Israels". Denn dies ist der zweite Teil des von Paulus mitgeteilten Geheimnisses: Wie schon im (hebräischen) Text von Jes 59,20 angedeutet (vgl. außerdem Jes 45,17.25) und in der frühjüdischen Literatur erhofft (TestBenj 10,11; mSanh 10,1), wird das Gottesvolk insgesamt (und nicht nur der jetzt schon zum Glauben an Christus erwählte kleine Rest von 11,5) der Errettung teilhaftig wer-

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

den. Gott bleibt seiner erwählenden Verheißung treu und führt sie nicht stückhaft, sondern ganz zum Ziel. Die Schrift sagt nicht nur daß, sondern auch auf welche Weise dies geschehen wird. Wie in (Ps 50,2 und) Jes 59,20 f. angekündigt, wird der Erlöser vom Gottesberg Zion her erscheinen und die Gottlosigkeit von Jakob (=» Israel) nehmen. Daß mit dem Erlöser Christus gemeint ist, kann von 1. Thess 1,10 (vgl. mit Rom 5,9) her nicht zweifelhaft sein. Der von Gott gesandte, als Mensch dem Gottesvolk entstammende Messias Jesus Christus (1,3 f.; 9,5) wird bei seiner Ankunft in Herrlichkeit, der sog. Parusie(l. Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23; 1. Kor 15,23 vgl. mit Mt 24,3.27.37-39) vom Zion her, das Gottesvolk von seiner Sünde erlösen. Sein Sühnetod kommt nach der Annahme der Heiden auch und gerade dem Gottesvolk zugute, das Jesus und dem Evangelium in unwissender Verblendung gegenübergestanden hat (vgl. 1. Kor 2,8 mit R o m 10,3; 11,8-10), nun aber erkennen darf, daß Jesus nicht nur der Retter und Herr der Heiden, sondern auch und vor allem der von Gott zur Bestätigung seiner Verheißungen dem Gottesvolk gesandte Sproß aus der Wurzel Isais (Jes 11,10), d.h. der verheißene Messias war und ist (vgl. Rom 15,8.12). Er ist es, der Israel von seiner Sündenschuld befreit! Denn Gott hat es den Vätern Israels, Abraham voran, zugesagt ( 9 , 4 f . ; G a l 3 , 1 5 - 1 8 ) und durch die (nach Sir 48,22 ff.; 49,7 ebenfalls zu den Vätern Israels gehörenden) Propheten Jesaja (vgl. Jes 59,21) und Jeremía (vgl. Jer 31,31 ff.) mehrfach bekräftigt, daß die letztgültige von Gott ausgehende Bundessetzung so geartet sein wird: Israels Schuld wird vergeben werden (vgl. Jes 2 7 , 9 mit Jer 31,34), und der Geist Gottes wird das Gottesvolk wahrhaft zur Gotteserkenntnis befähigen (vgl. Jes 59,21 mit Jer 31,33 f.). Das von Paulus in Rom bekanntgemachte Geheimnis der Offenbarung lautet also: Wenn die Vollzahl der Heiden in die Gottesstadt eingegangen und der Heilsgemeinde zugeführt sein wird, wird die partielle Verstockung von Israel genommen werden; es wird also, der biblischen Verheißung gemäß, auch und gerade Israel in seiner Gesamtheit durch den vom Zion her erscheinenden Christus von seinen Sünden erlöst und der Heilsgemeinde zugeführt werden. Erst diese Errettung ganz Israels aus der Verstockung des Unglaubens ist das Ziel der Heilsgeschichte und nicht bereits der Heilsgewinn der Heiden. Was Paulus hier als besonderes Offenbarungswissen mitteilt, hat Gott ihm zuvor durch die Schrift zugesprochen; er hört und liest sie im Geist des Glaubens als Rede des lebendigen Gottes (vgl. den ständigen Hinweis auf das redende und handelnde Ich Gottes in 9,9.13.15.17.25.33; 10,19-21; 11,27); die paulinische Geschichtsprophetie entspringt seiner geistlichen Schriftauslegung. Aus dem Gesagten ergibt sich in Hinsicht auf das Verhältnis von Israel und den Heiden folgendes: Was das Christusevangelium und den Glauben daran anbetrifft, sind die meisten Israeliten um des im Vollzug befindlichen Heilsgewinns der Heiden willen zur Zeit noch in die Situation der Feindschaft gedrängt, in der die Sünder und das Fleisch Gott (im Gericht) gegenüberstehen (vgl. 5,10; 8,7); die Mehrheit Israels befindet sich noch im Zustand der sündhaften Auflehnung gegen Gottes Offenbarungstat in Christus. Aber — und das unterscheidet sie von den Heiden! — sie ist und bleibt von Gott her um des den Vätern gegebenen Verheißungswortes willen Gegenstand der erwählenden Liebe (und damit auch des künftigen Erbarmens) Gottes (vgl. Hos 11,8 ff.; Jes 43,3 f.). Die Zuwendungen der Gnade, die Israel

11,25-32: Das Geheimnis der Errettung ganz Israels

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erfahren (und die Paulus in 9,4f. aufgezählt) hat, betreut Gott nämlich nicht, und sein in Abraham an das Gottesvolk ergangener Ruf der Erwählung (vgl. Gen 12,1 f.; Jes 51,2 mit Gal 3,8; Rom 4,13 ff.) ist unverbrüchlich (vgl. 9,6); daß dieser „Ruf" der Ruf des Gottes ist, der die Gottlosen rechtfertigt, ergibt sich aus Rom 4,5 und 9,12. Die Rechtfertigung ist das Werk seines Erbarmens, und eben dieses Erbarmen bestimmt Israels Geschichte von Anfang an bis zu ihrem Ende (vgl. 9,15 f. mit 11,30-32). Es läßt sich also nun folgende Analogie zwischen der Errettung der Heiden und der Erlösung ganz Israels feststellen: Wie die Heidenschaft (bis hin nach Rom) einst im Ungehorsam gegenüber Gott lebte und nunmehr Gottes Erbarmen gefunden hat, weil und während die Mehrheit Israels im Ungehorsam gegenüber dem Evangelium befangen blieb, so verhält es sich auch mit der Mehrheit der Israeliten. Sie waren und sind jetzt noch Gott ungehorsam, weil und während sein Erbarmen zugunsten (der Vollzahl) der Heiden wirksam ist. Aber dieser gegenwärtig noch andauernde Ungehorsam hat den Zweck und das Ziel, auch die (Mehrheit der) Israeliten des Erbarmens teilhaftig werden zu lassen, und zwar „jetzt". Für Paulus stehen die Endereignisse unmittelbar bevor, und die Vollzahl der Heiden, deren Errettung seine Missionsarbeit dient, ist fast schon erreicht. Deshalb kann er in prophetischer Gewißheit davon sprechen, daß auch die Zeit des Erbarmens für ganz Israel unmittelbar bevorsteht, ja von Gott her bereits angebrochen ist. Denn dies ist das Grundgesetz der Erwählungsgeschichte und damit zugleich das Merkmal der diese Geschichte bestimmenden, die Welt heilsam ordnenden und zurechtbringenden Gottesgerechtigkeit (von der Israel mehrheitlich noch keine Ahnung hat, 10,3): Gott hat Heiden und Juden eingeschlossen in die Sünde des Ungehorsams, um sich ihrer aller rettend zu erbarmen, und zwar in und durch Christus (vgl. Gal 3,22). Ein kleiner erwählter Rest aus Israel, Paulus voran (11,1-5), und viele der von Gott dafür bestimmten Heiden haben sich bereits dem Ruf des Evangeliums geöffnet und bekennen Christus als Retter und Herrn. Die Missionierung „aller Heidenvölker" (Mk 13,10) ist nahezu vollendet. Damit aber ist auch die Stunde der Errettung „ganz Israels" gekommen: Wenn die Heidenmissionare mit ihrem Werk ans Ziel gekommen sind, wird endlich auch Israel in dem vom Zion her kommenden messianischen Erlöser Jesus Christus seinen Retter und Herrn erkennen und im Glauben an ihn Rechtfertigung und Vergebung seiner Sünden empfangen. So sehr die Heidenmission z.Z. noch die Mehrheit des Gottesvolkes erzürnt und zur Eifersucht reizt (vgl. 10,19; 11,13 f.), so wenig kommt Israel in Zukunft an Christus und der Rechtfertigung vorbei. Vielmehr gilt: Wie einst Paulus vor Damaskus durch die Erscheinung des auferstandenen Christus vom Himmel her zum Glaubensgehorsam überwunden worden ist, wird es auch der Mehrheit Israels bei der Parusie des Christus widerfahren. Gott hat Israel dazu erwählt, durch Christus Rechtfertigung und Erlösung zu erfahren. Diese Erwählungszusage wird sich erfüllen, wenn das noch von der Sünde des Unglaubens belastete Gottesvolk von dem wiederkehrenden Christus aus reiner Gnade und Barmherzigkeit angenommen und der Heilsgemeinde aus Heiden und Juden zugeführt werden wird. Das von allen Aposteln mit Einschluß des Paulus auf Erden ausgerufene Evangelium (1. Kor 15,1-11) hat seine Zeit. Aber der von diesem Evangelium ausgerufene und die Verkündigung der Apostel autorisierende Christus Jesus ist und bleibt der eine und einzige Erretter,

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9 , 1 - 1 1 , 3 6 : G o t t e s Gerechtigkeit für Israel

Herr und Richter aller Heiden und Juden. Ohne ihn zu bekennen, gibt es auch für Israel kein Heil vor Gott.

V. 11,33-36: Lobpreis der Wege Gottes Der Apostel schließt seine heilsgeschichtliche Prophetie ab mit einem kunstvoll geformten hymnischen Lobpreis des heilschaffenden Wirkens Gottes: 33 O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege! 34 Wer hat denn die Vernunft des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? 35 Oder wer hat ihm (etwas) vorgestreckt, so daß ihm entsprechend erstattet werden müßte? 36 Denn von ihm her und durch ihn und zu ihm hin ist alles. Sein ist die Herrlichkeit in Ewigkeiten. Amen. Vers 34: Jes 40,13;

A

Vers 35: M o t 41,3.

Kompositorisch entspricht der Gotteshymnus zum Beschluß von Rom 9-11 dem kurzen Lobspruch, den Paulus seiner Aufzählung der besonderen Erwählungsvorrechte Israels in 9,5 angefügt hat. Der Aufbau des Hymnus ist kunstvoll und dokumentiert, daß der Apostel nicht nur ein großer Theologe, sondern auch ein geistlicher Dichter von Rang war. Der Hymnus wird gerahmt von einer dreigliedrigen Eingangszeile (V. 33a) und einer ebenfalls dreigliedrigen Schlußzeile, die in eine sog. Doxologie, d.h. einen Lobpreis der Macht und Herrlichkeit Gottes, ausmündet (V. 36). Der Mittelteil wird gebildet von drei im Parallelismus der Satzglieder gehaltenen Zweizeilern, die nacheinander die in der Eingangszeile gepriesene Tiefe der Erkenntnis Gottes (V. 33b), der Weisheit Gottes (V. 34) und des Reichtums Gottes (V. 35) beschreiben. Stilistisches und inhaltliches Vorbild für den beschreibenden Lobpreis der Größe Gottes ist vor allem die Hymnendichtung des (hellenistischen) Frühjudentums. Eine besonders eindrückliche Parallele zu Rom 11,33-36 findet sich in syrBar 14,8 f. „ . . . wer, o Herr mein Gott, versteht dein Gericht, oder wer erforscht die Tiefe deines Wegs, oder wer denkt nach über die beschwerliche Last deines Pfades, oder wer vermag nachzudenken über deinen unerfaßbaren Ratschluß, oder wer hat jemals von den (Staub-)Geborenen Anfang und Ende deiner Weisheit gefunden?". Β Paulus hat kraft der ihm gewährten geistlichen Einsicht in die Wege, die Gott mit seinem erwählten Eigentumsvolk gegangen ist und gehen wird, in Rom 9-11 eine umfassende heilsgeschichtliche Schau entwickelt. Ihr innerer Leitfaden sind die Gottesworte der Hl. Schrift, und das sie bestimmende Prinzip ist das Erbarmen Gottes (9,15f.; 11,32). Was der Apostel den Christen von Rom dargelegt hat, sind geistliche Perspektiven der Geschichte für Menschen, die im Geist des Glaubens zuhören und verstehen können (vgl. 1. Kor 2,13). Unter diesen Umständen ist es

11,33-36: Lobpreis der Wege Gottes

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angemessen, daß seine Darlegungen zum Schluß zur Anbetung überleiten. Den Hymnus, den der Apostel folgen läßt, hat er offenbar selbst geschrieben; da seine Ausdrucksweise mit Rom 9-11 nicht wörtlich, sondern nur inhaltlich in Verbindung steht, ist es möglich, daß Paulus dieses Gotteslob nicht erst für den Römerbrief verfaßt, sondern zuvor auch schon in anderer Situation gelehrt und gebetet hat. Gleichwohl fügt sich das Textstück der Gesamtkomposition der drei Kapitel sehr gut ein. Paulus und seine Leser stehen tatsächlich anbetend vor den unauslotbaren Tiefen des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Von Dan 2,22; 1QS 11,19 undsyrBar 14,8 f., sowie 1. Kor 2,9 her sind mit den „Tiefen" die unergründlichen Dimensionen des heilsgeschichtlichen Wirkens Gottes gemeint. Nur die vom Hl. Geist Belehrten können sie ergründen und preisen (vgl. 1QM 10,11 mit 1. Kor 2,10). — Die „Erkenntnis Gottes" meint nicht, wie in 2. Kor 10,5, die Erkenntnis, die Gott zum Gegenstand hat, sondern die Gott selbst ausübt. Sie bestimmt und durchwaltet das All (vgl. 1. Sam 2,3; Est 4,17d und die griechische Übersetzung von Ps 19,3; 94,11 mit 1. Kor 3,20; 13,12; Gal 4,9). Die Rechtsentscheide und Wege, mit denen Gott das Geschick Israels und der Völker lenkt (vgl. Ps 9,26 in der griechischen Ubersetzung = 10,5 im hebräischen Text, und Ps 36,7; 97,8 mit Ps25,4ff.; Ps 145,7), sind unergründlich wohlgeplant. Die Glaubenden dürfen wissen und haben es von Paulus in Kap 9-11 erfahren, daß sie von Gottes unerschütterlicher Treue und seinem Erbarmen getragen sind (vgl. 11,29.32); für die von Gott Erwählten wirkt alles, was Gott für sie vor-gesehen hat, zum Guten (vgl. 8,28 ff.). - Die „Weisheit Gottes" schafft und erhält das All (vgl. Spr 8,22 ff.; Weish 9,9 ff.), ohne daß Gott dabei der Belehrung bedürfte (Jes 40,13; Weish 9,16). Erkennbar wird sie nur für diejenigen, denen Gott kraft des Hl. Geistes Anteil an ihr gibt. Für Paulus sind dies vor allem die Christen (vgl. 1. Kor 2,16), die Jesus als Gottes Weisheit erkennen ( l . K o r 1,30; 2,6ff.). — Der „Reichtum Gottes" an Erkenntnis, Weisheit, Herrlichkeit usw. ist unermeßlich (vgl. Philo, LegAll 134); Gott verdankt ihn niemandem. Der Apostel drückt dies mit Worten aus einer uns nur noch in Spuren bekannten, alten griechischen Ubersetzung von Hiob 41,3 aus. Der göttliche Reichtum, den Paulus preist, ist vor allem Gottes Reichtum an Güte (vgl. Rom 2,4), Gnade und Erbarmen (Eph 1,7; 2,4.7). Die Heiden haben ihn bereits erfahren (11,12), und ganz Israel soll seiner noch teilhaftig werden ( 11,26 ff.). — Die unermeßlichen Tiefen des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes weisen ihn aus als den Gott, der Schöpfer und Erhalter des Alls ist. Von ihm her ist alles, durch seinen Geist, sein Wort und seine Weisheit hat alles seinen Bestand und seine Ordnung, und auf ihn hin, d.h. auf seine Verherrlichung ausgerichtet, ist alles (vgl. Philo, SpecLeg 1208). In Gott hat das All seinen Grund und sein Ziel (Sir 43,27). Die Christen sehen in Jesus den Mittler der alten und neuen Schöpfung (vgl. l . K o r 8 , 6 ; Kol 1,15-20). Auch und gerade ihrer Glaubenseinsicht nach gebührt daher dem Gott, der (durch Christus) das All geschaffen hat, erhält und vom Tode und der Gewalt des Bösen erretten will und wird, der Lobpreis und die Verherrlichung in alle Ewigkeiten! Schauen wir zurück, kann über die Bedeutung von Rom 9-11 für den Römerbrief kein Zweifel mehr sein: Paulus hat den Christen von Rom gezeigt, daß und in welcher Art und Weise seine Missionsarbeit als Apostel der Heiden in Gottes Wege

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9,1-11,36: Gottes Gerechtigkeit für Israel

mit Israel einbezogen ist. Die von Gottes erwählendem Ratschluß bestimmte Heilsgeschichte ist der umfassende Horizont, in dem Gottes Gerechtigkeit zur Geltung kommt. Diese Geschichte findet ihr Ziel in der Errettung ganz Israels durch den wiederkehrenden Messias Jesus Christus und dokumentiert, daß Gott sein Eigentumsvolk noch vor den Heiden zur Rechtfertigung durch Christus erwählt hat. Angesichts dieser Perspektiven muß eine Kritik am paulinischen Evangelium zusammenbrechen, die dem Apostel vorhält, seine Christusverkündigung führe nicht zur Bekehrung, sondern zur Verhärtung Israels. Nachdem Paulus sich in unseren drei Kapiteln mit aller Deutlichkeit als Apostel der Heiden um Israels willen bezeichnet hat (ll,13ff.) und seine Ausführungen über Gottes Wege mit Israel ebenso deutlich das Scheltwort über die Juden aus 1. Thess 2,14-16 transzendieren und korrigieren, bedarf das Verhältnis Paulus — Israel noch einer zusammenfassenden Betrachtung.

Exkurs XII: Paulus und Israel Im Verhältnis des Apostels Paulus zu Israel lassen sich vier Phasen erkennen, die einander ablösen: (1) Die Zeit des Juden Paulus vor seiner Berufung zum Apostel. Die Zeit nach der Bekehrung läßt sich dann dreifach unterteilen, nämlich (2) in die Jahre vor der Bestellung zum (Heiden-)Missionar von Antiochien, (3) die antiochenischen Jahre und (4) in die Zeit der von Paulus mit seiner Mitarbeiterschaft frei geplanten und durchgeführten Heidenmission. Aus dieser letzten Phase stammen alle uns im Neuen Testament überlieferten Paulusbriefe. Aus ihnen sowie aus den erst nach Paulus niedergeschriebenen Berichten der Apostelgeschichte heraus müssen wir rekonstruieren, was der Apostel in den früheren Phasen erfahren und gedacht hat. (1) In seiner Jugendzeit hat Paulus ganz im Zeichen der (von ihm in Rom 3,11. und 9,4f. aufgezählten) Erwählungsvorrechte Israels gelebt und sein Leben dem Dienst an der Tora gewidmet. Der aus Tarsus in Kilikien gebürtige und einer frommen jüdischen Familie entstammende (Phil 3,5; Apg 23,6) Saul aus dem Stamme Benjamin (Phil 3,5; Rom 11,1) scheint schon von Haus aus nicht nur des Griechischen, sondern auch des Hebräischen (d.h. der Sprache der hebräischen Bibel und Liturgie) mächtig gewesen zu sein (Phil 3,5). Er besuchte in Jerusalem das Lehrhaus Rabban Gamliels I (Apg 22,2 f.) und trat der Pharisäerschaft bei. In Gal 1,14 bezeichnet er sich selbst als einen unter seinen Alters- und Studiengenossen besonders hervorstechenden „Eiferer für meine väterlichen (Gesetzes-)Überlieferungen". Während dieser Zeit hat er in untadeliger Gerechtigkeit nach Maßstab des Gesetzes gelebt (vgl. Phil 3,6) und möglicherweise die zu den Wallfahrtsfesten nach Jerusalem strömenden auswärtigen jüdischen Pilger im Gesetz und in der Bedeutung der Beschneidung unterwiesen (Gal 5,11) (M. Hengel). Gegenüber abtrünnigen Juden ist er rigoros für die Einhaltung der Tora eingetreten. Paulus hat Stephanus und seine Mitchristen in Jerusalem selbst und dann bis hin nach Damaskus mit allen verfügbaren Machtmitteln verfolgt, und zwar mit Billigung des Hochpriesters und des jüdischen Gerichtshofes (vgl. Apg 8,1-3; 9,1 ff.; 22,4; Gal 1,13;

E x k u r s X I I : Paulus und Israel

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1. Kor 15,9). Der Anstoß, den er an deç Christusverkündigung des Stephanus und seiner Gefolgsleute nahm, war (nach Apg 6,13 f.) die Verkündigung eines gekreuzigten Pseudomessias, Geringschätzung des Tempels und Mißachtung der Tora, d.h. die verführerische Umdeutung der messianischen Verheißungen auf Jesus und die Abwertung eben der „Gesetzgebung" und des „Gottesdienstes", mit denen Israel von Gott vor den Heiden ausgezeichnet worden ist (Rom 9,4 f.). Natürlich hat Paulus als frommer Jude immer wieder auch Bußgebete wie Ps 51 oder auch Neh 9,6 ff. (mit-)gebetet, aber von einer inneren Krise oder gar einem Scheitern des Juden Paulus am Gesetz wissen wir nichts; Rom 7,7-25 bieten keine Lebensbeichte des Apostels (s.o. S. 105 ff.). (2) Die Begegnung mit dem auferstandenen und zur Rechten Gottes erhöhten Christus vor Damaskus im Jahre 32 oder 33 n.Chr. (vgl. Gal 1,15f.; 2. Kor 4,5f.; Apg 9,1-29; 22,3-21 ; 26,9-20) nötigte Paulus zu der Einsicht, daß die von ihm verfolgten Christen im Recht und er selbst mit seinem militanten Eifer für die ererbte Glaubensüberlieferung Israels im Unrecht war, und zwar vor Gott! Eben diese ihm aufgenötigte Umwertung aller seiner bisherigen Maßstäbe für fromm und gottlos ließ Paulus zum Heidenmissionar werden (Gal 1,16). Er war mit seinem Kampf für die jüdischen Heilsprivilegien nicht mehr gewesen als ein gegen Gottes Wege in Christus kämpfender Sünder und Frevler; aus freier Gnade und Barmherzigkeit war er dennoch von Gott erwählt, durch Christus angenommen und zum Sendboten des Evangeliums bestellt worden. Die nach jüdischer Auffassung exemplarische Sündhaftigkeit der Heiden (vgl. z. B. Gal 2,15) konnte unter diesen von ihm erfahrenen Umständen kein prinzipieller Hinderungsgrund mehr dafür sein, daß auch die „gottlosen" Heiden, die keine göttlichen Erwählungsprivilegien besaßen wie Israel, von und durch Christus angenommen und in den Frieden mit Gott gestellt werden konnten! Ob Paulus bei seiner Berufung zum Apostel bereits der revolutionäre Entschluß des Philippus vor Augen gestanden hat, Christus nicht nur in den jüdischen Synagogen, sondern auch unter den in Israel als Ketzer verhaßten Samaritanern zu verkündigen (Apg 8,5), wissen wir nicht. Deutlich ist nur, daß Paulus sofort nach seiner Berufung in Damaskus und Arabien Jesus als den „für uns" gekreuzigten und auferweckten Messias Israels (1. Kor 15,3-5) und den Glauben an ihn als den einzig rettenden Heilsweg für Juden (und Heiden) verkündigte (vgl. Gal 1,16.23). Daß er dabei auf den ingrimmigen Widerstand der Judenschaft stieß, ist wohlverständlich. Wie Paulus zuvor die abtrünnigen Christen strafte, gingen sie nun gegen den zu den Christen abgefallenen Apostel vor und ließen ihn um seiner Mißachtung des Gesetzes willen geißeln oder lieferten ihn den örtlichen Polizeibehörden als Unruhestifter aus, der mit Rutenschlägen ausgepeitscht werden müsse (2. Kor 11,24 f., vgl. mit Apg 26,11). Als er zwei oder drei Jahre nach seiner Berufung nach Jerusalem zog und dort in den Synagogen aufzutreten wagte, wie einst Stephanus, war er seines Lebens nicht sicher und mußte von den Aposteln nach Tarsus in Sicherheit gebracht werden (Apg 9,28-30). Trotz dieser lebensbedrohlichen Auseinandersetzungen hat Paulus als Apostel Jesu Christi die Erwählungsvorrechte Israels weder geleugnet noch auch pauschal verworfen. Seine Äußerungen aus Phil 3,4-10 weisen nur scheinbar in diese Richtung. Was die Rechtfertigung in und durch Christus anbetrifft, machen in der Tat

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Beschneidung, Treue zur Tora und Herkunft aus Israel aus einem jüdischen Frevler vor Gott noch keinen Gerechten; die Glaubensgerechtigkeit erlangen auch Juden einzig und allein um Christi willen und von ihm her! Dennoch hat Paulus nicht gemeint, daß Gottes Verheißungen für Israel mitsamt dem Gesetz hinfällig geworden seien. Wäre er dieser Auffassung gewesen, hätte er niemals mit seiner Missionspredigt in den jüdischen Synagogen begonnen und hätte auch nicht bewußt Kontakte mit der am heilsgeschichtlichen Vorort der Welt, Jerusalem, ausharrenden und (unter den Juden) missionierenden Urgemeinde von Jerusalem gesucht (vgl. Gal 1,18ff.; Apg9,26ff.). Auf den Ansatz der paulinischen Mission in den Diaspora-Synagogen weist unzweifelhaft die bereits erwähnte Nachricht, daß Paulus in seiner missionarischen Frühzeit von den synagogalen Gerichten fünfmal(!) zur Geißelungsstrafe (mit 39 Hieben auf Brust und Rücken) verurteilt worden ist. In den Synagogen suchte Paulus Kontakte zu Juden und (unbeschnitten gebliebenen, gottesfürchtigen) Heiden und wollte ihnen Christus als den Messias Israels und Herrn der Welt verkündigen. Daß das Evangelium von der Gottesgerechtigkeit in Christus zuerst den Juden und dann auch den Griechen (Heiden) gilt (Rom 1,16f.), ist nicht erst eine paulinische Spätsicht, sondern die ihn als Christusapostel von Anfang an bestimmende Uberzeugung. (3) Als man sich in der Missionsgemeinde von Antiochien programmatisch zur Evangeliumsverkündigung unter den Griechisch sprechenden Heiden entschloß (Apg 11,19-21), war es der Jerusalemer Barnabas (Apg 4,36), der Paulus von Tarsus nach Antiochien holte und damit auf den Weg der Heidenmission stellte (Apg 11,19-26). Barnabas hat zusammen mit Paulus die erste große Missionsreise unternommen, die sie über Zypern, die Heimat des Barnabas, nach Lykaonien und wieder zurück nach Antiochien führte (vgl. Apg 13-14). Ganz selbstverständlich setzten beide mit ihrer Missionstätigkeit in den Synagogen an. Dort fanden sie Unterkunft, wenn nötig auch Arbeit (vgl. Apg 18,2f.), und hatten am Sabbat die Möglichkeit, gleichzeitig zu Juden und Heiden über die Sendung Jesu und das Heil zu sprechen. Auf dieser Missionsreise ist endgültig das Problem aufgebrochen, ob die zum Christusglauben bekehrten Heiden wie jüdische Proselyten beschnitten und unter das Gesetz des Mose gestellt werden müßten, um der Errettung durch den Messias Jesus teilhaftig zu werden (vgl. Gal 2,4; Apg 15,1 ff.). Dieser Umstand zeigt, daß Paulus zuvor den Rahmen der jüdischen Heilserwartung noch gar nicht prinzipiell aufgesprengt hatte. Auch auf dem in der Streitfrage der Beschneidung und Gesetzesverpflichtung der bekehrten Heiden nach Jerusalem einberufenen „Apostelkonzil" (Gal 2 , 1 - 1 0 ; Apg 15,1-29) wurden die jüdischen Perspektiven nicht aufgegeben. Die „Säulen" der Gemeinde, Jakobus, Petrus und Johannes, einigten sich mit Barnabas und Paulus darauf, daß diese zu den Heiden, Petrus aber zu den Juden gehen sollte. Den Heiden sollte weder Beschneidung noch die gesamte jüdische Gesetzesobservanz auferlegt werden; sie sollten nur eine finanzielle Beisteuer zu den Bedürfnissen der armen Christen von Jerusalem leisten (Gal 2,6-10). Mit dieser Abmachung blieb die gesamte Heidenmission mit der Judenmission verbunden und an Jerusalem orientiert. Paulus hat die Jerusalemer Ubereinkunft bereitwillig übernommen und hochgehalten, solange er in Freiheit missionieren konnte (vgl. Rom 15,19.25 ff.). Die Zeit seines Wirkens als Heidenmissionar in Antiochien

Exkurs XII: Paulus und Israel

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ist also gekennzeichnet durch den Übergang zur planmäßigen Heidenmission, aber nicht durch die bewußte Preisgabe der Erwählungsvorrechte Israels durch den Apostel. Daß das Evangelium zuerst den Juden und (nur) zusätzlich auch den Heiden gilt, war zwischen Paulus, Barnabas und den Jerusalemer Säulenaposteln nicht strittig. Nur die Judenchristen, die in Antiochien und Jerusalem auf die Beschneidung aller zum Glauben an Christus bekehrten Heiden drängten (Apg 15,1 f.), haben die Jerusalemer Abmachung nicht mitgetragen, weil durch sie die exklusiven jüdischen Heilsprivilegien aufgeweicht schienen. (4) Während der vierten Phase des paulinischen Wirkens traten die Unterschiede dann unübersehbar in Erscheinung: Bei dem von Paulus in Gal 2,11 ff. nur kurz erwähnten Auftritt vor der versammelten Gemeinde von Antiochien hatten sich Petrus und Paulus nicht in der Frage einigen können, welches Maß an jüdischen Speise- und Reinheitsvorschriften den Heidenchristen bei den gemeinsamen Mahlzeiten mit rituell lebenden und denkenden Judenchristen zugemutet werden dürfe. (Die Frage betraf auch die Abendmahlsgemeinschaft und war deshalb brisant.) Während Paulus für die Freiheit der Heiden von allen gesetzlichen Auflagen plädierte, entschieden sich Petrus, Barnabas und die Mehrheit der Judenchristen von Antiochien auf Druck des Abgesandten des Herrenbruders Jakobus in Jerusalem dafür, daß man den Heidenchristen die Einhaltung der sog. noahitischen Mindestgebote durchaus zumuten dürfe (vgl. Apg 15,20.29 mit Gen 9,1-7 und Lev 17-18). Paulus hielt dies für einen Verstoß gegen die „Wahrheit des Evangeliums" und entschied sich, die ihm aufgetragene Heidenmission fortan mit seinen Mitarbeitern allein (und ohne diese Auflagen) weiterzuführen. Die Wege von Paulus und Barnabas trennten sich. Aber der Jerusalemer Silas (Silvanus) hielt in der Streitfrage weiterhin zu Paulus und trug dessen selbständige Mission mit (vgl. Apg 15,27.38-41; 16,25; 17,14; 18,5 mit 1. Thess 1,1; 2. Thess 1,1; 2. Kor 1,19). Die gegen den Rat des Paulus getroffene Mehrheitsentscheidung von Antiochien gab nun auch den auf dem Apostelkonvent unterlegenen Judenchristen (und in ihrem Gefolge den Pauluskritikern überhaupt) neuen Auftrieb, so daß sich Paulus fortan von zwei Seiten her angefeindet und kritisiert sah: Von den seiner Christusverkündigung überhaupt ablehnend gegenüberstehenden Juden einerseits und von den durch die sog., Judaisten", die in Galatien gegen Paulus auftraten, angeführten judenchristlichen Kritikern und Gegenmissionaren andererseits. Sie beriefen sich gegen Paulus auf das Vorbild des Herrenbruders Jakobus und des Petrus (vgl. 2. Kor 11,5). Als wäre diese Doppelfront noch nicht genug, mußte Paulus nun auch miterleben, daß seine erfolgreiche Heidenmission unter den Heidenchristen Tendenzen der Geringschätzung gegenüber rituell denkenden und lebenden Judenchristen, ja sogar der Verachtung Israels wachrief. Er war daher genötigt, (auch) die sich selbst überhebenden heidenchristlichen „Paulinisten" in die Schranken zu weisen (vgl. Rom 11,13ff.; 14,Iff. 13ff.). Diese dreifache Fronstellung erklärt die z.T. höchst dialektischen Äußerungen des Apostels in allen uns erhaltenen Paulusbriefen. Sie zwingt Paulus mehrfach zu einem Spreizschritt von schier unbegreiflicher Weite: Da erklärt derselbe Apostel z.B. in der Auseinandersetzung mit judenchristlichen Gegenmissionaren über die Rechtfertigung im Philipperbrief, daß die von ihm einst hochgeschätzten Privile-

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gien der Herkunft aus Israel, der Beschneidung, der Zugehörigkeit zu den Pharisäern und der untadeligen Gesetzesgerechtigkeit „einen Dreck" wert seien gegenüber der Glaubensgerechtigkeit, die Gott in und durch Christus schenkt (Phil 3,4-11); in Rom 3,1 f.; 9,4 f. aber rühmt er die Heilsprivilegien als Kennzeichen der bleibenden Erwählung Israels. Oder: Im Galaterbrief erzählt Paulus, der Heide(nchrist) Titus (den er als „Testperson" eigens zum Apostelkonzil mitgenommen hatte) sei in Jerusalem nicht zur Beschneidung genötigt worden (Gal 2,1-3), und warnt die Heidenchristen vor der nachträglichen Beschneidung, weil ihnen im Stande des Beschnittenseins Christus nichts mehr nütze (Gal 5,2 ff.); dann aber entschließt er sich, seinen von einer jüdischen Mutter abstammenden Missionsgehilfen Timotheus „mit Rücksicht auf die Juden" persönlich zu beschneiden (Apg 16,3), um schließlich im Römerbrief zu schreiben, die äußerlich am Fleisch vollzogene Beschneidung sei nur etwas wert, wenn ihr die Herzensbeschneidung im Glauben entspreche (Rom 2,25.29) oder sie — wie im Falle Abrahams — als Siegel des (Christus-)Glaubens empfangen werde (Rom 4,11). Man versteht das alles nur, wenn man bedenkt, daß Paulus das Rechtfertigungsevangelium kompromißlos hochhält, mit diesem Evangelium aber nicht das Ende aller religiösen Sitte in Israel gekommen sieht und mit seiner Christusverkündigung niemals hätte Zutritt zu den Synagogen in der Diaspora finden können, wäre in seinem Mitarbeiterstab ein Judenchrist gewesen, der vorsätzlich unbeschnitten geblieben wäre. Den Gegensatz von 1 .Thess 2,14—16 und Rom 9—11, auf den wir bei der Auslegung gestoßen sind (vgl. o. S. 130.148 f. 153 f.), empfinden wir heute wahrscheinlich stärker, als Paulus ihn selbst eingeschätzt haben mag. Gleichwohl ist er nicht zu verkennen. In der Kampfsituation, in die er (auch) in Thessalonich verwickelt war, hatte der Apostel in 2,14-16 geschrieben, er habe Nachstellungen von den Juden erlitten, „die sowohl den Herrn Jesus töteten als auch die Propheten und uns verfolgten und Gott nicht gefallen und allen Menschen entgegenstehen, die uns hindern, zu den Heiden zu reden, damit diese gerettet werden, auf daß sie das Maß ihrer Sünden vollmachen. Es ist aber das Zorngericht ganz und gar über sie hereingebrochen!" Die Sprache dieser paulinischen Sätze speist sich im wesentlichen aus frühjüdischen Quellen (vgl. Neh 9,26 mit Josephus, Ant 9,265.281; 10,38) und nimmt mit ihnen auch heidnische Judenkritik auf (vgl. Est3,13e mit Josephus, ContrAp 1,310; 2,125.148). Paulus hat die traditionelle Judenschelte um die Aussage vermehrt, die Juden hätten Jesus getötet (vgl. genauso Apg 2,23.36; 3,15; 4,10; 7,52; 10,39). An dieser Sicht hat der Apostel auch in 1. Kor 2,8 (vgl. mit Apg 3,17; 13,27) festgehalten; sie ist trotz der schließlich durch die Römer an Jesus vollstreckten Todesstrafe der Kreuzigung im Blick auf Jesu Prozeß vor dem Hohen Rat rechtshistorisch nicht einfach von der Hand zu weisen (vgl. A. Strobel, Die Stunde der Wahrheit, Tübingen 1980, 81 ff.). So unselige Wirkungen die Äußerungen des Paulus aus 1. Thess 2,14-16 auch gehabt haben mögen, so sehr ist doch zweierlei zu bedenken: Paulus spricht in ihnen nicht als Heide, sondern (wie die Propheten Israels vor ihm) als Jude, und er erhebt eine apostolische Anklage gegen die Juden, die seine Evangeliumsverkündigung in den Diasporasynagogen kontinuierlich behindern. Daß er damit eine pauschale Absage an sein Volk verbunden hat, ist höchst zweifelhaft. Denn einige Zeit später betont er in 1. Kor 2,8 daß die Kreuzi-

Exkurs X I I : Paulus und Israel

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gung Jesu von den jüdischen „Herrschenden" in unwissentlicher Verblendung betrieben worden sei. Genau dieser Umstand des nur unwissentlichen Vergehens signalisiert im judenchristlichen Denkhorizont, daß es sich nicht um eine unvergebbare Verschuldung handelt, vielmehr um eine Sünde, die (kraft des Sühntodes Jesu) von Gott vergeben werden kann, wenn die Juden umkehren und dem Evangelium Glauben schenken (vgl. Lev4 und Apg2,38f.; 3,17ff.; 10,42f.; 13,38f.). Die Anschauung von der Israel nicht endgültig unter das Zorngericht stellenden und so von Rechtfertigung und Vergebung durch Christus ausschließenden, vielmehr vorübergehenden Verblendung aus Rom 10,2f.; ll,8-10.25ff. wird demnach in 1. Kor 2,8 schon vorbereitet. Ausformuliert wird sie zum ersten Mal in 2. Kor 3,14-16: Seit den Tagen des Mose steht Israel unter der von Gott verhängten Verstockung, die es weder zur wahren Erkenntnis der Tora noch auch zum Verständnis des Evangeliums kommen läßt; erst wenn es sich Christus, dem Herrn, zuwendet, wird „die Decke" der Verblendung von seinen Sinnen genommen werden (V. 16). Was Paulus dann in Rom 11 vollends korrigiert, und zwar aufgrund vertiefter geistlicher Einsicht in Gottes (von der Hl. Schrift vorgezeichnete) Wege mit seinem Eigentumsvolk Israel, ist nur noch seine Annahme aus 1. Thess 2,16, das Gottesvolk sei „ganz und gar" oder auch „für immer" vom Zorngericht Gottes ereilt worden. Die von Gott verhängte Verblendung erscheint ihm nunmehr als ein vorübergehendes, Israel für die rettende Erkenntnis Christi vorbereitendes Läuterungsgericht. Rom 9-11 und die von Paulus niemals aufgegebene Beziehung zu Jerusalem zeigen unwiderleglich, daß sich ein heidenchristlicher Antijudaismus legitimerweise von Paulus her nicht ableiten, geschweige denn rechtfertigungstheologisch begründen läßt (vgl. zur Sache auch Eph 2,11-22). Was das Verhältnis des Paulus zu Israel anbetrifft, ist es nicht unwichtig, sich abschließend deutlich zu machen, daß der Apostel über seiner die Juden kraft Gottes Willen zur „Eifersucht" und zum „Zorn" aufreizenden Christusverkündigung (Rom 10,19; 11,14) und über seinem (Kollekten-)Dienst an „den Armen unter den Heiligen in Jerusalem* ' (Rom 15,26) zunächst seine Freiheit und in der Konsequenz auch das Leben verloren hat. Paulus hat die von ihm eingesammelten Gelder der Heidenkirche persönlich in Jerusalem überbracht. Als er dort — dem Rat des Herrenbruders Jakobus folgend — im Tempel (die Übernahme der Kosten für) das Auslösungsopfer für vier arme Judenchristen anmelden wollte, die ein Nasiräatsgelübde (vgl. Num 6,1-21) auf sich genommen hatten, wurde er von Juden (aus Ephesus) erkannt. Sie bezichtigten ihn der Kritik an Israel, am Gesetz sowie am Tempel und machten ihm zum Vorwurf, einen unbeschnittenen Heiden in den ausschließlich Juden vorbehaltenen Tempelbezirk mitgenommen und so den Tempel bewußt geschändet zu haben. Die aufgebrachte jüdische Menge ergriff den Apostel. Als sie ihn zu (er-)schlagen drohte, wurde er von der römischen Tempelwache in Schutzhaft genommen und wegen jüdischer Morddrohungen kurz darauf nach Cäsarea eskortiert. Nach zweijähriger Gefangenschaft in Cäsarea wurde Paulus auf eigenen Wunsch von den Römern nach Rom überstellt, um sich dort vor einem kaiserlichen Gericht verantworten zu können (vgl. Apg 21,15-34; 23,12-35; 25,1-12). In Rom hat Paulus noch während der Regierungszeit des Kaisers Nero den Märtyrertod gefunden. Der von ihm unter den Juden entfachte „Zorn" und ihre „Eifer-

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

sucht" auf die Heiden haben Paulus also im Endeffekt das Leben gekostet. Er war nicht nur Apostel der Heiden, sondern ist auch Märtyrer des Glaubens um Israels willen geworden.

12,1-15,13: Dritter Hauptteil: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

Nachdem Paulus in Kapitel 9-11 die für die Christen in Rom und für ihn persönlich gleich bedeutsame Frage nach dem Verhältnis Israels zum (paulinischen) Evangelium beantwortet hat, wendet er sich nunmehr der nicht minder bedeutsamen Frage zu, wie das Leben der Gemeinde im Zeichen der Gottesgerechtigkeit aussehen kann und soll. Seine Kritiker hatten ihm von Galatien an vorgeworfen, er verbillige das Evangelium in ganz unzulässiger Art und Weise, seine Verkündigung lasse den nötigen Gerichtsernst vermissen und stelle die (Heiden-)Christen in die Freiheit der Willkür. Im Römerbrief hat sich Paulus von 2,16 an gegen diese Anschuldigungen zur Wehr gesetzt. Schon in 6,1 ff. 15 ff. und dann noch einmal in 8,3-11 hat der Apostel mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß die Glaubenden mit ihrer Rechtfertigung in den „Dienst an der Gerechtigkeit" (6,18) hineingestellt werden, ihre Befreiung von der Sündeumacht also alles andere ist als ein Freibrief, hinfort nach eigenem Gutdünken zu leben und zu sündigen. Jetzt kommt Paulus auf diese Aussagen zurück und bündelt sie zu einer Gemeindeermahnung von grundsätzlicher Bedeutung. 12,1-15,13 stellen von hier aus gesehen alles andere dar als einen bloßen Anhang zu den theologischen Ausführungen in den Kapiteln 1-11. Es geht vielmehr um die Verifikation der Rechtfertigung im Leben der Gemeinde. Gleichwohl ist die Abfolge: Kapitel 1-11 und dann erst 12-15 von Paulus bewußt geplant. Auch in anderen Paulusbriefen findet sich diese Anordnung: Zuerst wird das Heil zugesprochen, und dann erst folgt die aus diesem Zuspruch resultierende Gemeindeermahnung (vgl. z.B. Gal 1,1-5,12 und 5,13-6,10 oder Kol 1,1-2,23 und 3,1-4,6). Dieses Gliederungsschema stammt vermutlich aus der Taufpredigt. Es verdeutlicht, daß Gott sich in Christus vorbehaltlos der Sünder annimmt, sie aber infolgedessen unter die Herrschaft Christi stellt und in Dienst nimmt. Die Kraft zu solchem Dienst empfangen die Glaubenden durch die Gabe des Hl. Geistes. Wenn Rom 12,1-15,13 erst jetzt im Römerbrief folgen, hat dies also guten theologischen Sinn: Mit ihrer in Gottes erwählendem Erbarmen gründenden Rechtfertigung sind und werden die Christen in den Dienst Christi gestellt. An ihrem Verhalten wird deutlich und soll vor den Augen der ungläubigen Welt sichtbar werden, was Gott, der Schöpfer, in und durch Christus aus den Gottlosen macht. Eine Rechtfertigung, die nicht zum Leben in Gerechtigkeit anleitet und führt, kennt Paulus nicht, und er hat sie auch niemals gutgeheißen.

12,1-2: Gottesdienst als Lebenszeugnis

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Der Römerbrief ist für die Christenheit nicht nur zum theologischen Testament des Paulus (G. Bornkamm), sondern auch zum Lehrbuch des Rechtfertigungsevangeliums geworden. Diese Wertschätzung des Briefes hat dazu geführt, daß man die konkrete, zuerst und vor allem an die Christen von Rom gerichtete Argumentationsweise des Apostels immer wieder überlesen oder als minder wichtig angesehen hat. Was die Gemeindeermahnung von 12,1-15,13 anbetrifft, hat man unter diesem Blickwinkel betont, die Ausführungen des Apostels in 12,1-13,14 seien von vornherein für den allgemeinen (ur-)christlichen Gebrauch bestimmt gewesen, und die speziellen Fragen der römischen Christengemeinde(n) würden erst von 14,1 an verhandelt. Richtig daran ist, daß Paulus in 12,1-13,14 Aussagen macht und Anordnungen trifft, die er von langer Hand vorbereitet und z.T. auch schon in anderen Zusammenhängen geäußert hat (vgl. z.B. Rom 12,3-8 mit 1. Kor 12,4-31 oder Rom 13,11-14 mit l.Thess 5,4ff.). Und nicht nur das. Zwischen Rom 12,lf.und 1. Petr 1,14; 2,5, zwischen Rom 12,6f. und 1. Petr 4,10, oder auch Rom 13,1-7 und 1. Petr. 2,13-17 besteht eine so große Verwandtschaft, daß man die Anweisungen in beiden Apostelbriefen auf gemeinsame apostolische Lehre zurückführen darf, in der nicht nur vom Glauben, sondern auch vom Glaubensleben der getauften Christen die Rede war. Daß Paulus solch allgemeine Lehre wirklich vorgetragen hat, zeigen z.B. 1. Thess 4,1 und 1. Kor 4,17. Wir stoßen also in Rom 12 und 13 (aber auch in 14,1-15,13, vgl. mit 1. Kor 8,7ff.) auf Lehraussagen, die Paulus z.T. schon vor der Abfassung des Römerbriefes vertreten hat. Er hebt dies allerdings nicht eigens hervor, und eben deshalb müssen wir uns bemühen, zuerst zu verstehen, was der Apostel mit seinen Ausführungen in Rom bezweckt hat, und dann erst auf die allgemeine Bedeutung seiner Lehre eingehen. Die Anordnung, die Paulus seinen Ermahnungen gibt, ist insgesamt locker: Auf eine programmatische Einleitung (12,1-2) folgen in 12,3-13,14 Anweisungen für das Zusammenleben und den Dienst der Gemeinde nach innen und nach außen; in 14,1-15,13 sind Ratschläge zu der Frage angeschlossen, wie die in Rom miteinander hadernden Gruppen der „Starken" und der „Schwachen" sich unter den Augen des Christus gegenseitig „annehmen' ' können. Diese lockere Abfolge von Themen und Aussagen zeigt, daß der Apostel in 12,1-15,13 keine erschöpfende Darstellung dessen geben will, was gerechtfertigte Christen zu tun und zu lassen haben. Paulus forden vielmehr die Gemeindeglieder auf, dem, was er schreibt, nachzudenken und dann aufgrund der gewonnenen Einsichten selbständig weiterzureflektieren und zu entscheiden. Paulus nimmt seine Adressaten unmißverständlich in die Pflicht, aber er stellt sie ebenso deutlich in die Freiheit der eigenen Verantwortung vor Gott hinein. I. 12,1-2: Gottesdienst als Lebenszeugnis 1 Ich ermahne euch nun, Brüder, kraft der Barmherzigkeit Gottes, eure Leiber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen, (das sei) euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Paßt euch auch nicht dieser Weltzeit an, sondern laßt euch umwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen könnt, was der Wille Gottes ist: Das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

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A

12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

Die Sprache der beiden Verse ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: Wie Ps 51,3 oder Dan 9,9.18 zeigen, meint die Barmherzigkeit Gottes das Verhalten, mit dem Gott sich den Sündern zuwendet und ihnen ihre Sünde vergibt. Für den Apostel hängen Gnade, Erbarmen und Barmherzigkeit Gottes sehr eng zusammen: Der Gott, der den Gottlosen rechtfertigt (4,5), ist der Gott, der sich erbarmt, wessen er will (9,18); er hat Heiden und Juden in den Unglauben eingeschlossen, um sich ihrer aller zu erbarmen (11,32). — Das Stichwort „vernünftiger Gottesdienst" hatte ζ. Z. des Paulus besonderen Klang und Bedeutung. Gebildete Griechen und Juden wandten sich in hellenistischer Zeit von den groben blutigen Opfern in den Tempeln ab und erachteten es für angemessen, die unsichtbare geistige Gottheit im Geist zu verehren: Ihre Gebete sind die „geistigen" oder auch „vernünftigen", dem Wesen Gottes wahrhaft entsprechenden Opfer (vgl. z.B. Corp. Herrn. 13,18.21). Philo und das hellenistische Judentum haben sich diese Denkweise zu eigen gemacht. Die Engel bringen bei ihrem himmlischen Lobpreis Gott unblutige „vernünftige" Opfer dar (TestLev 3,6), entsprechend sind auch die geisterfüllten Hymnen und Dankgebete der Frommen auf Erden das vollkommenste Opfer, das sie Gott darbringen können (Philo, SpecLeg I 272.277). Paulus und der 1. Petrusbrief (vgl. l . P e t r 2 , 5 ) zeigen, daß die hellenistisch-jüdische Denk- und Ausdruckweise ins Neue Testament übernommen worden ist. — Die drei Schlußworte von V. 2 kann man zwar auch im Sinne von Qualifikationen des Willens Gottes auffassen, als ob Paulus sagen wollte, man solle prüfen, was der gute, wohlgefällige und vollendete Wille Gottes sei. Aber es liegt sprachlich näher, die drei mit Artikel versehenen Eigenschaftsworte als Näherbestimmungen dessen zu verstehen, was der Wille Gottes inhaltlich ist: Das Gute, (ihm) Wohlgefällige und Vollkommene. Β Paulus ermahnt die Christen von Rom kraft des Erbarmens Gottes. Diesem 1 Erbarmen verdanken er selbst und mit ihm seine Adressaten ihre Glaubensexistenz. Sie leben alle aus der Zuwendung des Gottes, der sie in und durch Christus gerechtfertigt und in den Frieden mit sich gestellt hat. Sein gerechtes und barmherziges Werk in Christus hat den Grund gelegt für den Dienst, den ihm die Glaubenden schulden. Zu diesem Dienst ruft Paulus nunmehr programmatisch auf. Er tut dies in der Autorität dessen, der im Namen Gottes ermahnen, anraten und bitten darf, das zu tun, was für die Glaubenden an der Zeit ist. Der Apostel gebraucht mit dem Ausdruck „ich ermahne euch nun" dasselbe Wort, mit dem er in 2. Kor 5,20 seine Verkündigungsarbeit beschreibt. Evangeliumsverkündigung und Gemeindeermahnung (Paraklese) gehören für Paulus zusammen. Beides wird von ihm im Ton der bittenden, die Hörer zur Einsicht und zum Mitdenken einladenden Mahnrede vorgetragen. Israel ist und bleibt vor den Heiden dadurch ausgezeichnet, daß Gott ihm durch seine Einwohnung auf dem Zion den (rechten) Gottesdienst ermöglicht hat (vgl. 9,4). Auch die christliche Gemeinde steht im Dienst Gottes, und Paulus ruft sie zu ihrer eigenen Form des in den jüdischen Synagogen geübten „vernünftigen" Gottesdienstes (bei dem Gott so gedient wird, wie es seinem geistlichen und der menschlichen Vernunft auch zugänglichen Wesen entspricht) auf. Dieser Gottesdienst hat bemerkenswerte Weite. Er umfaßt nicht nur Hymnen, Gebete und geistliche Ermahnung. All dies schätzt Paulus und rät auch ausdrücklich, es zu pflegen (vgl. 1. Kor 14,26; Kol 1,11 ff.; 3,16f.; Rom 11,33 ff.; 15,6 usw.). Aber das leben-

12,1-2: Gottesdienst als Lebenszeugnis

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dige, heilige und Gott wohlgefällige Opfer der Christen besteht nicht nur in Gebet, Lobgesang und Mahnreden, sondern zugleich und darüber hinaus auch in der Hingabe von Leib und Leben an den Dienst der Gerechtigkeit (6,18.22). Nach Paulus schließt der Gottes Wesen und Willen wahrhaft entsprechende Gottesdienst den leiblichen Tatgehorsam mit ein, und nur wenn sie Gott wirklich mit Seele, Verstand, Herz und Händen dienen, und zwar stets und überall, werden die Christen ihrem Schöpfer und rettenden Erbarmer gerecht. Der „Leib" ist nach Paulus die dem Menschen von Gott verliehene Existenz im Mit- und Füreinander der Geschöpfe Gottes; auch wenn das Fleisch vergeht, wird der Leib auferweckt werden ( 1. Kor 15,44 ff.). Das Mit- und Füreinander der Geschöpfe wird also über den Tod und den Jüngsten Tag hinaus bleiben. Auch der Gottesdienst wird bleiben und die Anbetung Gottes das ganze Sein der Auferweckten ausfüllen (1. Kor 15,28). Da die von Gott zur Rechtfertigung erwählten Glaubenden ihm schon irdisch ganz gehören, kann auch ihr irdischer Gottesdienst nicht auf besondere Andachtszeiten beschränkt bleiben, sondern muß das ganze Leben der Glaubenden umfassen bis hinein in die alltäglichen Handreichungen und Verhaltensweisen. Einer nur spirituellen Frömmigkeit redet der Apostel nicht das Wort. Genau darin hat seine Mahnung ihre besondere Spitze: Im Dienst an der Gerechtigkeit gehören die Christen ihrem Herrn ganz, und er hat das Recht, diesen ganzheitlichen Dienst von ihnen zu verlangen. Der nächste Satz erläutert dies weiter. Christus hat sich nach Gal 1,4 für 2 die Christen in den Tod gegeben, um sie aus dieser gegenwärtigen bösen Weltzeit heraus zu erretten. Es ist von da aus gesehen unpassend für sie, sich weiterhin dieser Weltzeit in ihrem Verhalten anzupassen. Vielmehr sollen die Glaubenden sich umwandeln lassen, und zwar dadurch, daß ihr (kritisches) Denken erneuert wird. Die ungläubigen Heiden hat Gott an einen zur Wahrnehmung des Willens Gottes untüchtigen Verstand preisgegeben (1,28), und ohne Christus ist auch der Verstand des bußfertigen (jüdischen) Sünders unfähig, das von ihm als gut Erkannte wirklich zu tun (7,22 f.). Erst die Befreiung von der Macht der Sünde, die Orientierung an Christus und die Gabe des Hl. Geistes machen die Glaubenden fähig, zu erkennen und zu tun, was Gott wohlgefällt. Paulus erinnert die Christen von Rom an ihre Taufe und ruft sie auf, den Zustand von 1,28 und 7,22 f. im Glauben hinter sich zu lassen und Christus in ihrem Denken Raum zu geben (vgl. ganz ähnlich Kol 3,10 und Eph 4,23). Auf diese Weise können und sollen sie Vor-Denker des Willens Gottes in dieser Welt werden. Die Maßstäbe für das, was Wille Gottes ist, sind den Glaubenden in Jesus vorgegeben. Schon dem Frühjudentum stand fest, daß die Frommen nur das zu tun haben, was in Gottes Augen gut und wohlgefällig ist (vgl. z.B. 1QS 1,2). Die von Gott geschenkte Weisheit verhilft zu vollkommenem Wandel und leitet an, das zu tun, was nach Gottes Geboten recht und wohlgefällig ist (Weish 9,6.9; vgl. mit Jak 1,17; 3,17). „Das Gute" war zusätzlich noch der Leitbegriff der populären griechischen Philosophie, die ihre Anhänger zum Lebenswandel in Gerechtigkeit und Gottesfurcht anleitete. Ebenso wie die Formulierungen des Apostels in Phil 4,8 f. hat auch die Ausdrucksweise von Rom 12,2 für die zu Christus bekehrten Heiden und Juden in Rom vertrauten und doch wieder besonderen Klang. (Erst) durch Christus sind sie alle in die Erfüllung des Gotteswillens gestellt (8,4), und erst von ihm her gewinnen sie endgültig die Maßstäbe für das, was

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

in der Welt gut, wohlgefällig und vollkommen genannt werden kann. Nicht mehr das, was jedermann sagt und denkt, bestimmt das christliche Leben, sondern die Glaubenden prüfen mit Hilfe ihrer an Christus orientierten Vernunft, was an dem von allen Gedachten und Gewollten wirklich gut und was verwerflich ist. Dem Guten im Sinne Gottes eifern sie nach (vgl. 1. Thess 5,15; Gal 6,10; Rom 2,10; 12,9; 13,3). Rom 12,1-2 bieten ein regelrechtes Programm der paulinischen Gemeindeermahnung (Paraklese). Es geht um den Gottesdienst der Gerechtfertigten im Alltag der Welt nach den von Christus gesetzten Maßstäben für gut und verwerflich. Was Paulus im folgenden bietet, sind exemplarische Anweisungen dafür, wie dieser (ganzheitliche) Gottesdienst (in Rom) auszusehen hat.

II. 12,3-8: Gemeinde nach dem Maß des Glaubens 3 Denn ich sage kraft der mir verliehenen Gnade jedem (einzelnen) unter euch, nicht über das hinauszutrachten, worauf man trachten muß, sondern danach zu trachten, besonnen zu sein, jeder, wie Gott ihm das Maß des Glaubens zugeteilt hat. 4 Denn wie wir an einem Leibe viele Glieder haben, die Glieder aber nicht alle dieselbe Handlung(sweise) haben, 5 so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, einzeln aber im Verhältnis zueinander Glieder. 6 Doch haben wir nach der uns verliehenen Gnade verschiedene Gnadengaben, etwa Prophetie, (dann aber) im rechten Verhältnis zum Glauben, 7 oder etwa Dienstleistung, (dann aber) in (dem Geist) der Dienstleistung, oder etwa der Lehrer, (dann aber) in (dem Geist) der Lehre, 8 oder etwa der Prediger, (dann aber) in (dem Geist) der Predigt; der Wohltäter, (dann aber) in (dem Geist) der Aufrichtigkeit, der Vorsteher, (dann aber) in (dem Geist) der Einsatzbereitschaft, der Fürsorger, (dann aber) in (dem Geist) der Freundlichkeit. A

Die Struktur des Textes ist einfach: In V. 3 formuliert Paulus eine Ermahnung für jedes einzelne Mitglied der christlichen Hausgemeinden von Rom. Diese Ermahnung wird in V. 4 + 5 begründet und die Begründung dann in den Versen 6-8 näher spezifiziert. Insgesamt geht es dem Apostel darum, an das Maß zu erinnern, nach dem die Gemeinde Jesu Christi zusammenleben und ihren Zeugnisdienst wirksam versehen kann. Paulus hat schon in 1. Kor 12,12 ff. von der christlichen Gemeinde als dem „Leib Christi" gesprochen. In Rom 12,4f. nimmt er dies wieder auf, und in Kol 1,18ff.; 2,17 ff.; 3,15; Eph 1,23; 2,16; 4,4 ff. 12 ff.; 5,30 wird diese Redeweise weitergeführt. Wie der Apostel zu der für seine Briefe charakteristischen Bezeichnung „Leib Christi" für die Gemeinde gekommen ist, ist noch immer nicht abschließend geklärt. Immerhin läßt sich — wie schon F. Lang, „Die Briefe an die Korinther", N T D 7, 1994 2 ,178 ff., herausgestellt hat - eine dreifache Wurzel erkennen. Die neuartige Rede von der Kirche als dem Christusleib ergibt sich für Paulus aus der Abendmahlstradition, der sog. Adam-Christustypologie (in l . K o r 15,44—49; R o m 5 , 1 2 - 2 1 ) und der vom Apostel aufgenommenen Tradition von Jesus als dem für uns in den Tod gegebenen und auferweckten Menschensohn-Messias (vgl. die

12,3-8: Gemeinde nach dem Maß des Glaubens

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Verwendung des [Menschensohn]-Psalms 8 in 1. Kor 15,27 und Rom 5,12 ff. mit Mk 10,45 Par.). Nach biblischer und frühjüdischer Tradition repräsentiert der himmlische „Menschensohn" das Volk der Heiligen des Höchsten, d.h. das Gottesvolk Israel; in dem einen Menschensohn steht ganz Israel vor Gott (vgl. Dan 7,13 f. 22.27). Sprachlich bedeutet „Menschensohn" im Semitischen einfach „Mensch". Das weist hinüber zu den frühjüdischen Spekulationen über Adam, den ersten Menschen. Nach 4Esr 6,54 und Pseudo-Philo, LibAnt 32,15 ist das Gottesvolk aus dem Leibe Adams hervorgegangen; dieser Leib ist so groß wie die Menschheit (vgl. TestAbr, Rez.B, 8,13; vgl. mit Rez. A, 11,9). Da Paulus in Christus nicht nur den Menschensohn-Messias und neuen Adam sieht, sondern auch in der Gemeinde Christi das endzeitliche „Israel Gottes" erblickt (vgl. Gal 6,16), lag es für ihn als bekehrten Juden nahe, in Jesus das Israel Gottes, d.h. die christliche Gemeinde vor Gott, repräsentiert zu sehen. Jesu Tod steht stellvertretend für das Sterben aller, und seine Auferweckung verbürgt allen die Auferweckung von den Toten (1. Kor 15,20-22; Rom 5,18f.; 6,3-5). Oder anders ausgedrückt: Die Preisgabe des Leibes Christi an den Kreuzestod macht alle Glaubenden von dem Schuldspruch des Gesetzes frei (Rom 7,4); in der gemeinsamen Teilhabe an dem einen Abendmahlsbrot, das Jesu Todesleib realiter symbolisiert, werden „die Vielen", d.h. alle Gemeindeangehörigen, zur Gemeinschaft des einen Leibes Christi zusammengeschlossen ( l . K o r 10,16f.). Ihr Zusammenhalt mit Christus und Christi Zusammenhalt mit ihnen in einem Leibe ist so fest wie die eheliche Gemeinschaft von Mann und Frau, in der die beiden ein Fleisch bilden (vgl. 1. Kor 6,13.16f.; Gal 3,27 f.; Eph 5,29-33 mit Gen 2,21-24). Der eine Leib Christi ist für Paulus kein bloßes Bild, sondern eine den glaubenden Christen in dem gekreuzigten und auferweckten Christus vorgegebene Realität. Kraft ihrer Taufe werden sie in den Christusleib „hineingetauft" (1. Kor 12,13; Gal 3,27); bei jeder Abendmahlsfeier werden sie der Anteilschaft am und der Gemeinschaft im Leibe Christi neu vergewissert (1. Kor 10,16f.; 11,20.23-34). Die Verpflichtung zum neuen, gemeinschaftlichen Wandel, die Paulus den Korinthern in 1. Kor 12 und den Christen von Rom in Rom 12,3-21 einschärft, erwächst seinen Adressaten aus Taufe und Abendmahl gleichzeitig. Sie hat darin ihre besondere Pointe, daß am leibhaftigen Gottesdienst der Glieder des Leibes Christi für alle noch Ungläubigen sichtbar wird und werden soll, daß Christus wirklich leibhaft in dieser Welt gegenwärtig ist; im zeichenhaften Gehorsam der Christen gewinnt die Liebe Christi zu allen Menschen leibhaftige Gestalt. Man kann die Aussagen des Apostels in Rom 12,3 ff. erst dann angemessen würdigen, wenn man sich nicht nur diese überlieferungsgeschichtlichen Zusammenhänge verdeutlicht, sondern auch die schwierige Lebenssituation der christlichen Hausgemeinden in Rom vor Augen hält, an die Paulus schreibt. Wie in der Einleitung (s.o. S. 12 f.) im einzelnen ausgeführt, konnten sich die christlichen Hausgemeinden nach dem Erlaß des sog. Claudiusedikts nicht länger den rechtlich privilegierten Synagogen anschließen, sondern mußten eigene Organisationen bilden. Ihre Organisationsform mußten sie im Einklang mit dem geltenden römischen Recht suchen. Es blieb den Christen dabei nur die Möglichkeit, sich als Vereine einheimischer oder zugezogener Bürger zu formieren. Solchen Vereinen aber war es in

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

Rom schon seit Cäsar (ermordet 44 v. Chr.) streng untersagt, politisch tätig zu werden; bereits der leiseste Verdacht konspirativer Betätigung führte zu ihrer Auflösung. Die christlichen Hausgemeinden waren unter diesen Umständen offene Hausgemeinden, die getrennt von den jüdischen Synagogen zu existieren hatten, als solche aber der ständigen Überwachung durch kaiserliche Spitzel und Polizeiorgane ausgesetzt waren. Paulus hatte sicherlich von diesen Verhältnissen durch seine in Rom 16 erwähnten Freunde und Bekannten erfahren. Seine Ratschläge an die römischen Christen in Kap. 12-15 sind daher auch von dem Willen bestimmt, den Hausgemeinden in Rom ihre Fortexistenz und ihre Missionsmöglichkeiten zu erhalten, so lange dies christlich zu verantworten war. Β Der Apostel reiht denn von V. 3 an auch nicht einfach grundsätzliche Feststel3 lungen aneinander, sondern redet gleich in V. 3 jeden Christen in den Hausgemeinden von Rom ganz direkt an. Er bedient sich bei dieser Mahnrede zwar eines beliebten rhetorischen Wortspiels mit dem Tätigkeitswort „trachten", hat aber sehr konkrete Dinge im Sinn. In 8,5ff. hat Paulus zwischen einer vom Fleisch bestimmten, widergöttlichen und einer vom Hl. Geist bestimmten, Gott wohlgefälligen Art und Weise des Trachtens unterschieden; in 11,13 ff. hat er dann die Heidenchristen in Rom aufgefordert, sich nicht illusionär über die Juden zu erheben; in 16,17 f. schließlich warnt er die Christen von Rom vor Leuten, die von der in Rom vertrauten Glaubenslehre abweichen und Zwietracht in den Hausgemeinden säen. Unter diesen Umständen hat es ganz praktischen Sinn, wenn Paulus jedes Gemeindeglied dazu anhält, nicht eigenmächtige Denkwege zu beschreiten, sondern sich um die Besonnenheit zu bemühen, die sich an dem allen gesetzten Maß des Glaubens orientiert. Das Stichwort „Besonnenheit" hatte damals hohen ethischen Stellenwert. Für die Philosophen der Zeit gehörte die Besonnenheit zu den (vier) Haupttugenden, deren sich ein vernünftiger Mensch befleißigen soll, und das hellenistische Judentum sah in ihr eine Vorzugsgabe, mit der die Weisheit Gottes diejenigen ausstattet, die sich ihr öffnen (vgl. Weish 9,11). Für Paulus findet die Besonnenheit ihr Maß und ihre Richtschnur an der der Gemeinde vorgegebenen Glaubenslehre. Diese ist, wie er schon in 6,17 herausgestellt hat, ein hohes Gut; inhaltlich ist sie mit dem „Evangelium" identisch, das der Apostel in 1. Kor 15,3-5 zitiert. An diesem Evangelium sollen sich alle Gemeindeglieder in Rom orientieren und zugunsten dieser gemeinsamen Orientierung auf alles Trachten verzichten, das die Gemeinschaft der Glaubenden sprengen könnte. Die kirchengeschichtlich beliebte Deutung von V. 3 auf ein jedem Gemeindeglied individuell von Gott gesetztes Maß oder Quantum des Glaubens läßt sich aus den Paulusbriefen heraus nur mühsam bestätigen. Paulus kennt zwar einen starken und einen schwachen Glauben (vgl. 14,1 ff.), er kann von Defiziten des Glaubens sprechen (1. Thess 3,10), von seinem Wachstum (2. Kor 10,15) und von seiner Verschwisterung mit der Liebe, ohne die selbst der bergeversetzende Glaube nichts ist (Gal 5,6; 1. Kor 13,2). Dennoch ist der von Gott her jedem Gemeindeglied vorgegebene Maßstab des Glaubens kein individueller, sondern das für alle Glaubenden gleichermaßen geltende Evangelium von Jesu Sühnetod und seiner Auferweckung. Auf diese gemeinsame Orientierungsbasis 4 hebt Paulus ab. Zur Begründung seiner Mahnung greift er nämlich auf das in der Antike verbreitete Beispiel von den vielen verschiedenen Gliedern zurück, die

12,9-21: Wandel in der Liebe

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alle einen Leib bilden und aufeinander angewiesen sind (vgl. Liv II 32; DioChrysOr 33,16). Der Leib, den der Apostel meint, ist freilich nicht irgendeine Lebensgemeinschaft von Menschen, sondern die Gemeinschaft „der Vielen" (zu diesem Ausdruck vgl. o. S. 81), die kraft des Opfertodes Jesu zur Gemeinde Jesu Christi berufen worden sind (1. Kor 10,16 f.). In ihrer individuellen Verschiedenheit sind sie doch alle Glieder des einen Leibes Christi und als solche zum Zusammenhalt verpflichtet; keiner kann und darf sich leisten, auf Kosten der anderen seine eigenen Denk- und Lebenswege zu verfolgen. Was das näherhin heißt, erklären die folgenden Sätze des Apostels: Die Gnade Gottes, von der sie als Christen alle gemeinsam leben, hat sich jedem einzelnen Gemeindeglied unterschiedlich mitgeteilt und es fähig gemacht, mit seinen besonderen Gaben für das Wohl des Leibes Christi tätig zu werden (vgl. Eph 4,7). Die Reihe der für den Aufbau und Erhalt der Gemeinde Christi unentbehrlichen Gnadengaben wird angeführt von der Prophétie und der Diakonie. In der geistgewirkten Prophetie ist sorgsam darauf zu achten, daß die prophetischen Aussagen mit dem Maß des Glaubens übereinstimmen, das allen vorgegeben ist; was das praktisch heißt, hat Paulus selbst in Kap. 11 vorgeführt. Eigenmächtige oder gar illusionäre Prophetie ist für die Gemeinde schädlich (vgl. 11,13 ff.). Mit der Diakonie steht es nicht anders. Sie darf nicht einfach nach parteilichem Gutdünken verfahren, sondern hat sich an das Maß des für alle Dienlichen zu halten. Die Tätigkeitsfelder der Prophetie und Diakonie werden vom Apostel noch näher umrissen. Zur Prophetie gehören die Aufgaben des Lehrers und des Predigers (man könnte von 2. Kor 1,3 ff. her auch übersetzen: des tröstenden Seelsorgers). Der Lehrer hat sich an die ihm vorgegebene Lehre zu halten und sie unverfälscht weiterzugeben (vgl. 6,17); der die Gemeinde ermahnende und tröstende Prediger hat das zu sagen und zu tun, was dem Aufbau der Gemeinde dient (vgl. 1. Kor 14,1 ff.). Auch für die in der Gemeindediakonie Tätigen gibt es Maßstäbe, von denen sie um des Gemeindewohls willen nicht abweichen dürfen. Der Wohltäter, der aus eigenen Mitteln andere unterstützt, soll dies aufrichtig und ohne Nebenabsichten tun. Wer der Gemeinde vorzustehen und für den geordneten Zusammenhalt der Gemeindeglieder zu sorgen hat, soll sich dieser Aufgabe nicht nur nebenbei, sondern mit dem erforderlichen Einsatz von Kraft und Zeit widmen. Wer mit der Fürsorge notleidender Gemeindeglieder betraut ist, soll dies freundlich und nicht abweisend oder von oben herab tun. — Insgesamt gilt also: Die Lebensund Zeugnisgemeinschaft der (Haus-)Gemeinde(n) in Rom, die den Leib Christi bildet, kann nur gedeihen, wenn alle einzelnen Gemeindeglieder und -gruppen auf das Wohl aller bedacht bleiben und Einzelinteressen zugunsten des gemeinschaftlichen Lebens und Zeugnisses zurückstellen.

III. 12,9-21: Wandel in der Liebe 9 Die Liebe sei ungeheuchelt. Verabscheut das Böse, hängt dem Guten an, 10 seid einander in der Bruderliebe herzlich zugetan, sucht einander in Ehrerbietung zuvorzukommen. 11 In der Einsatzbereitschaft werdet nicht nachlässig, lodert im Geist, dienet dem Herrn, 12 freut euch in der Hoffnung, seid stand-

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haft in der Bedrängnis, beharret beim Gebet. 13 Für die Bedürfnisse der Heiligen steuert bei, seid bedacht auf Gastfreundschaft. 14 Segnet die, die euch verfolgen; segnet und verfluchet nicht. 15 Freut euch mit den Fröhlichen, weinet mit den Weinenden. 16 Seid auf Einmütigkeit untereinander bedacht. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern bequemt euch den niedrigen Dingen an. Haltet euch nicht selbst für klug. 17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf das Gute vor (den Augen von) allen Menschen bedacht. 18 Wenn möglich (und) soweit es von euch abhängt, haltet Frieden mit allen Menschen. 19 Rächt euch nicht selbst, ihr Geliebten, sondern gebt dem Zorn (Gottes) Raum, denn es steht geschrieben: „Mein ist die Rache, ich werde vergelten, spricht der Herr". 20 Vielmehr: „Wenn dein Feind hungert, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt häufen". 21 Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute. Vers 15: Sir 7,34Spr 21,21 f .

A

Vers 16: Spr 3,7,

Vers 17: Sfrr 3,4 (SeptH^gmta)

Vers 19: Din 32,3),

Vers 20:

Die vom Apostel in lockerer Reihung vorgetragenen Anweisungen kreisen um zwei Pole: um die vor allem innerhalb der Gemeinde zu übende Nächstenliebe und die gegenüber den Nichtchristen nach außen zu übende Feindesliebe. Anders als in dieser Doppelhaltung hätten sich die urchristlichen (und altkirchlichen) (Haus-) Gemeinden in nichtchristlicher Umgebung nicht (jahrhundertelang) erhalten können. Was Paulus fordert, hat in anderen apostolischen Briefen seine Parallelen (s. u.). Aufs Ganze gesehen, speisen sich seine Mahnungen aus einer dreifachen Wurzel: aus dem Alten Testament, der frühjüdischen Unterweisung und der Jesustradition. Uber die ausdrücklichen Zitate in V 1 9 und 20 hinaus klingen Worte der Schrift in V. 15.16 und 17 an; die frühjüdische Auslegung des Willens Gottes liefert die besten Parallelen zu V. 21. In TestGad 6,1-3; Testjos 18,2 und TestBenj 4,2-3 wird der Verzicht auf Vergeltung und die Vergebung gegenüber dem (persönlichen) Feind schon ebenso deutlich anbefohlen wie bei Paulus. Jesustradition schließlich steht deutlich hinter V. 14 (vgl. mit Lk 6,28 und Mt 5,44), auch ist die Verwandtschaft von V. 18 mit Mt 5,9 kaum zu übersehen. Das In- und Miteinander der drei Traditionsstränge erklärt sich, wenn man bedenkt, daß es sich alle drei Male um Interpretationen des einen Willens Gottes handelt, wie er sich in den Zehn Geboten manifestiert. Die urchristlichen Missionare mit Einschluß des Paulus haben sich der alttestamentlichen und frühjüdischen Auslegung der göttlichen Gebote bedient und sie mit der Jesustradition verbunden, um die Missionsgemeinden über den „Weg der Gerechtigkeit" (Mt 21,32) zu belehren, den sie im Gehorsam gegenüber ihrem gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu gehen haben. Die urchristlichen Anweisungen zum rechten Wandel weisen auch mannigfache Berührungen mit der damaligen populären philosophischen Ethik auf, doch bleibt auch der Abstand unverkennbar. Während Epiktet (Diss III 24,54-56) und Josephus (Bell 4, 494) vor der Demut warnen und sie mit unterwürfiger Schäbigkeit gleichsetzen, scheut sich Paulus nicht, gerade dazu aufzurufen, und stellt Jesus als Vorbild der Demut dar (vgl. Phil 2,8).

12,9-21: Wandel in der Liebe

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Ehe man unseren Abschnitt nur als exemplarische Aufzählung traditioneller und grundsätzlich gültiger christlicher Verhaltensregeln wertet, sollte man sich erinnern, daß nach dem Bericht des römischen Historikers Tacitus (Annalen XIII32,2) im Jahre 58 n.Chr., d.h. zwei Jahre nach Abfassung des Römerbriefes, ein Senatsprozeß gegen eine vornehme Römerin, Pomponia Graecina, angestrengt wurde, weil man ihr „fremdländische Religionsausübung" zur Last legte. Die adlige Dame wurde zwar von dem römischen Ehrengericht freigesprochen, aber der Vorfall dokumentiert, wie leicht die nicht mehr zu den Synagogen gehörigen und wirklich einer (nach römischem Urteil) fremdländisch-orientalischen Religion anhängenden Hausgemeinden von Rom angefeindet und verdächtigt werden konnten. Die neronische Christenverfolgung warf schon z.Z. des Römerbriefes ihre Schatten voraus. Die erste Gruppe der Mahnungen in V. 9-13 betrifft das innergemeindliche Verhalten. Die Anweisung, ohne Heuchelei in der Liebe und von der Liebe zu leben, steht dem Ganzen voran. Die Liebe Gottes in und durch Jesus Christus ist der Grund des christlichen Glaubenslebens (8,35.39). Von daher ist in den Paulusbriefen (ebenso wie bei Jesus und in den Johannesschriften, vgl. Mk 12,31 Par.; 1. Joh 4,7-14; Joh 13,34) die Liebe der Königsweg für alle, die an Jesus Christus glauben (vgl. 1. Kor 13). Es folgt als erste Konkretion die Doppelmahnung, das Böse zu verabscheuen und das Gute mit allen Kräften zu tun. Nicht Haß und Lieblosigkeit, sondern Liebe nach Jesu Vorbild (vgl. Gal 2,20 und Rom 15,3) bestimmen den Weg der Christen. Der Apostel führt das Gesagte weiter, indem er ausdrücklich zur Bruderliebe aufruft (vgl. ebenso schon l.Thess4,9 und außerdem l.Petr 1,22; 2,17; 3,8; Hebr 13,1) und, wie bereits in Phil 2,3, der Gemeinde rät, einander an gegenseitiger Ehrerbietung zuvorzukommen (zur Kritik der gegenteiligen Haltung vgl. plastisch Jak 2,1 ff.). In Kap. 14 wird er diese Mahnung noch im einzelnen ausführen. Aber schon hier wird deutlich, daß die Zuwendung, die alle Gemeindeglieder von Jesus erfahren, ihren Umgang miteinander prägen und die Maßstäbe und Verhaltensregeln, die für sie als Heiden und Juden galten, sprengen und verändern soll. Eine Dreiergruppe von Anweisungen betrifft nun das Gemeindeleben insgesamt. Wie die Johannesoffenbarung die Gemeinden in Kleinasien (vgl. Offb 2,4; 3,15 f.) ruft der Apostel die Christen von Rom auf, in ihrer Einsatzbereitschaft, ihrem geistlichen Engagement und in dem Dienst für Christus nicht nachlässig zu werden; die Gemeinde bedarf des Geistes und des Elans „der ersten Zeugen" nicht nur am Anfang, sondern auch durch die Jahre der gemeinsamen Zeugenschaft hindurch. Eine zweite Dreiergruppe von Mahnungen ergänzt die erste: Die Gemeindeglieder sollen kraft der Hoffnung, die sie beseelt, in unerschütterter Freude durchstehen, was ihnen begegnet (vgl. ähnlich 1. Thess 5,16; Phil 3,1), sie können und sollen in Heimsuchungen geduldig bleiben (vgl. so schon 5,3), und sie sollen sich unablässig im Gebet üben, das sie durch Christi Vermittlung mit Gott verbindet und ihn mit ihnen (vgl. 8,26f.; 1. Thess 5,17; Kol 4,2;Eph 6,18undApg 1,14; 2,42; 6,4). Neben den geistlichen Pflichten stehen die praktischen. Hier nennt Paulus zuerst die Fürsorge für die bedürftigen Gemeindegenossen, die er als die durch Jesu Opfertod geheiligten „Heiligen" bezeichnet (vgl. 1. Kor 1,2; 6,11). Die paulinische Mahnung deutet (zusammen mit 12,8) darauf hin, daß — wie in den jüdischen Syna-

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

gogen — auch in den christlichen Gemeinden von Rom regelmäßig für die Gemeindearmen gesammelt und diese dann durch speziell beauftragte Gemeindeglieder aus den Erträgen der Sammlung heraus versorgt wurden. Neben der Fürsorge für notleidende Mitchristen in den eigenen Gemeinden mahnt Paulus zur Gastfreundschaft (vgl. dazu auch 1. Tim 3,2; Tit 1,8; 1. Petr 4,9 und Hebr 13,2); ohne christliche Gastfreunde waren durchreisende Mitchristen und Missionare in den antiken Städten schwierig dran. In einer zweiten Gruppe von Anweisungen behandelt Paulus von V. 14 an (vorwiegend) Pflichten, die der Gemeinde aus ihrer Begegnung mit Nichtchristen erwachsen. Dabei steht der Aufruf zur Feindesliebe voran, und zwar in der aus der Jesustradition heraus bekannten, zugespitzten Form der Ermahnung zur Segnung derer, die die Christen verfolgen, und zum Verzicht auf die Verfluchung der Verfolger (vgl. Lk 6,27 ff. Par.; 9,52ff.). Paulus und die urchristlichen Missionare waren Verfolgungen ständig ausgesetzt (vgl. 1. Kor 4,11; 2. Kor 11,24 ff.), die Christen in Judäa und Thessalonich kannten sie auch, und in Rom zeichneten sie sich damals schon ab (s.o.). In dieser Situation bittet Paulus die Römer zu handeln, wie dies von Jesus selbst nicht nur gelehrt, sondern auch bewährt worden ist (vgl. Lk 23,33 f. mit 1. Petr 2,23 und Jes 53,12); der Apostel hat sich nach 1. Kor 4,12 f. auch um diese Haltung bemüht. Die Feindesliebe bietet das klassische Beispiel dafür, was es heißt, sich als Christ im Denken und Handeln nicht mehr den Maßstäben dieser Weltzeit anzupassen (vgl. V 2 und zur Sache auch l . K o r 13,4-7); bis das Christentum im 4. Jh. n. Chr. Staatsreligion wurde, ist die gelebte Feindesliebe eines der Hauptkennzeichen der Christengemeinde in nichtchristlicher Umwelt geblieben! Während der Stoiker Epiktet seine Schüler auffordert, in Freud und Leid durch Unerschütterlichkeit zu überzeugen (vgl. Diss II 5,23), ruft Paulus die Christen in Rom auf, sich in Mitfreude und Mitleiden mit ihren Mitmenschen zu identifizieren. Dies gilt sowohl innergemeindlich (vgl. 1. Kor 12,26) als auch gegenüber den Mitmenschen überhaupt (vgl. Sir 7,34). Die Christen bilden keine in sich abgekapselten Gemeinschaften, sondern sind den Freuden und Leiden ihrer Mitbürger offen zugewandt. Sie können sich solcher Offenheit freilich nur befleißigen, wenn sie — wie Paulus in Wiederaufnahme der Anweisungen von V. 3 einschärft — auf Gemeinsamkeit bedacht sind, wenn sie gemäß Spr 3,7 allen klugen Eigendünkel aufgeben und bereit sind, sich auch der unauffälligen Sorgen und Probleme der einfachen Gemeindeglieder anzunehmen. Statt wie Epiktet vor der schmeichlerischen und unterwürfigen Demut zu warnen (vgl. Diss III 24,54—56), kommt Paulus vom biblischen Gottesbild (vgl. Ps 113,5-8; 138,6; Sir 11,12; Lk 1,48) und von Jesu Opfergang her (vgl. Phil 2,8; l . K o r 1,26-31) zum entgegengesetzten Urteil. Gerade die Zuwendung zu den „Erniedrigten und Beleidigten" und ihren Nöten steht den Gliedern der Gemeinde Jesu Christi wohl an und macht vor der Welt sichtbar, daß der gekreuzigte und auferweckte Jesus leibhaftig in dieser Welt anwesend ist und bleibt. Im Blick auf die Zeugenschaft vor den Augen aller Menschen (vgl. Phil 4,5) ist auch die nächste Mahnung formuliert. Sie geht von Spr 3,4 (Septuaginta); Jer 18,20 aus, berührt sich inhaltlich eng mit Jesu Verbot der Wiedervergeltung (Lk 6,29f. Par.) und gehört seit 1 .Thes 5,15 zu den von Paulus in allen Gemeinden gelehrten Verhaltensregeln; 1. Petr 3,9 steht in derselben Tradition. Die Gemeinsamkeit aposto-

13,1-7: Das Verhältnis zu den staatlichen Organen

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lischer Gemeindeermahnung ist hier mit Händen zu greifen. Worum es inhaltlich geht, ist — wie schon in V. 14 — das Zeugnis der selbst noch in der Situation übler Behandlung bei Jesu Weg und Gebot bleibenden Liebe. Nur wo der Teufelskreis des „Wie du mir — so ich dir" durchbrochen wird, kann Leben im Frieden gedeihen. Das Liebeszeugnis der Christen ist ihr Beitrag zum Frieden, den sie mit allen Menschen, die der Gemeinde begegnen, anstreben (vgl. Mt 5,5.9). Die Christen sind durch ihren Herrn in den Frieden mit Gott gestellt (5,1), der selbst der Gott der Liebe und des Friedens ist (2. Kor 13,11). Von hier aus ist es ihre Aufgabe, als Zeugen und Wahrer des gemeinschaftlichen Friedens zu leben, wo immer und wie immer ihnen dies möglich ist. Von Seiten der Gemeinde Christi steht der Friede nicht zur Disposition, höchstens die Gegenseite kann ihn stören oder gar verweigern. Was in solchen Fällen zu geschehen hat, behandeln die nächsten Verse. Da Gott der Richter ist und sich das Strafgericht über diejenigen vorbehalten hat, die der Gemeinde nachstellen (Dtn 32,35), ist es nicht Sache der Christen, die Übeltäter selbst zu strafen; sie sollen vielmehr dem kommenden Zorngericht Gottes geduldig Raum geben. Ihre Aufgabe ist es, wie Paulus mit Worten aus der griechischen Bibel (Spr25,21f.) ausführt, ihre Widersacher angesichts des nahenden Zorngerichts durch Wohltun zur Umkehr zu bewegen. „Das Stehen mit Feuerkohlen auf dem Kopf ist in einem . . . ägyptischen Text als Bußritus bezeugt" und deshalb in Spr 25,21 f. als „ein Bild der Reue" zu verstehen (H. Ringgren). Dieselbe Deutung empfiehlt sich auch für Rom 12,20: Auch in der Situation übler Nachstellung und Verfolgung sollen die Christen noch darum bemüht sein, ihre Gegner vor den Folgen ihres schlimmen Tuns zu bewahren. Mit einer markanten, an jüdische Gemeindeunterweisung erinnernden Weisung schließt Paulus den Abschnitt ab. In TestBenj 4,2-3 heißt es: „Der rechtschaffene Mensch . . . erbarmt sich aller, selbst wenn sie Sünder sind. Und auch wenn sie Böses über ihn planen, überwindet er das Böse durch das Tun des Guten, denn er wird von Gott bewahrt." Als Muster solcher Haltung galt im Frühjudentum Joseph (vgl. z.B. Testjos 17); er wird in Testjos 18,3 für seine Großmut (gegenüber seinen Brüdern) gepriesen. Die apostolische Ermahnung geht statt dessen von Jesu Verhalten und Vorbild aus (vgl. Rom 15,3; Phil 2,1-11; 1. Petr 2,21-25).

IV. 13,1-7: Das Verhältnis zu den staatlichen

Organen

Der nun folgende Abschnitt hat die politische Ethik des Christentums nachhaltig bestimmt und im Verlauf der Kirchen- und Auslegungsgeschichte sehr unterschiedliche Wertungen erfahren. Umso wichtiger ist es, sich seinen ursprünglichen Sinn so sorgsam wie möglich vor Augen zu führen. 1 Jedermann soll sich den übergeordneten Gewalten fügen. Denn es gibt keine Gewalt außer von Gott; die bestehenden aber sind von Gott angeordnet. 2 Daher (gilt): Wer sich der Gewalt widersetzt, leistet Widerstand gegen die Anordnung Gottes; die aber, die Widerstand leisten, werden sich selbst das Gerichtsurteil (Gottes) zuziehen. 3 Denn die Herrschenden sind nicht (Grund zur) Furcht für das

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gute Werk, sondern für das böse. Willst du die Gewalt nicht fürchten (müssen)? (Dann) tue das Gute, und du wirst Belobigung von ihr erfahren. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich! Nicht umsonst trägt sie das Schwert. Denn sie ist Gottes Dienerin (auch) als Rächerin zum Zorngericht für den, der das Böse tut. 5 Deshalb ist es unabdingbar, sich zu fügen, nicht nur wegen des Zorngerichts, sondern auch wegen des Gewissens. 6 Deshalb entrichtet ihr ja auch Steuern. Denn Gottes Bedienstete sind diejenigen, die sich damit auf Dauer befassen. 7 Gebt jedem, was ihr schuldig seid: Dem (,dem ihr) die Steuer (schuldet), die Steuer; dem (,dem ihr) den Zoll (schuldet), den Zoll; dem (,dem ihr) die Furcht (schuldet), die Furcht; dem (,dem ihr) die Ehre (schuldet), die Ehre. A

Die Verse 1-7 bilden eine thematisch in sich abgeschlossene Einheit, aber die Textüberlieferung legt es weder für den Gesamtabschnitt noch für V. 5 nahe, an einen erst nachträglichen Einschub in den Römerbrief zu denken. — Wichtige, von Paulus in 12,1-21 gebrauchte Stichworte tauchen in 13,1-7 wieder auf; so z.B. die Rede von „dem Guten" und „dem Bösen" in 12,2.9.17.21 und 13,3.4; vom „Zorn(gericht Gottes)" in 12,19 und 13,4.5 und von der „Rache" und „Rächerin" Gottes in 12,19 und 13,4; auch bereiten die Ausführungen zum „Schuldigsein" in 13,7 die Ausdrucksweise und Argumentation von 13,8 vor. Rom 13,1-7 sind also sprachlich fest in den jetzigen Briefzusammenhang eingebettet. Der Text erhält seine Struktur durch drei Anweisungen: V 1.5 und 7. Die Weisungen von V 1 und 5 entsprechen einander. Sie werden von Paulus jeweils näher erläutert: die grundlegende Weisung von Y 1 durch vier jeweils mit „denn" angefügte Sätze (= V l b - 4 ) und ihre Wiederholung in V 5 durch V 6 . Die vierfach gegliederte Weisung von V. 7 hat zugleich die Funktion einer Zusammenfassung. Der Abschnitt hat in 1. Petr 2,13-17 (und in 1. Tim 2,1 f.; Tit 3,1 f.) enge neutestamentliche Parallelen. In ihm verschlingen sich drei Traditionsstränge: (1) Die Verse sprechen in erstaunlichem Maße die Fachsprache der römischen Amtsstuben und folgen gleichzeitig dem Musterbild vom Staatswesen in hellenistisch-römischer Zeit. Die „übergeordneten Gewalten" (V. 1), die „Herrschenden" (V. 3) und die „Bediensteten" (V. 6) bezeichnen die zahlreichen Amter und Amtsträger des umfangreichen römischen Staatsapparates. Die Rede von der „Belobigung" durch die Staatsmacht in V. 3 läßt sich schön von der Gepflogenheit römischer Kaiser her illustrieren, Belobigungsschreiben an verdiente Beamte und einzelne Städte im römischen Imperium zu senden, falls diese besonderes politisches Wohlverhalten an den Tag gelegt haben. Das „Schwert", von dem Paulus in V. 4 spricht, meint vom (Fach-)Ausdruck her nicht das Richtschwert, sondern die staatliche Straf- und Polizeigewalt. Die Polizeisoldaten, die die römischen Steuereinnehmer (in Ägypten) begleiteten, wurden „Schwertträger" genannt. Die Bezeichnung der kaiserlichen (Finanz-)Beamten als „Bedienstete" (V. 6) war außerdem gang und gäbe. — (2) Unverkennbar fußen unsere Verse auch auf alttestamentlich-jüdischer Uberlieferung. Schon in dem Brief des Propheten Jeremía an die jüdischen Exulanten in Babylon aus Jer 29,1-23 wird zu größtmöglicher Loyalität gegenüber der fremden Staatsmacht Babylon aufgerufen, und diese biblische Weisung hat nachhaltig auf den Pharisäismus und das Frühjudentum eingewirkt. Im Tempel von Jerusalem

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wurden bis zum Ausbruch des (ersten) jüdischen Aufstandskrieges gegen Rom im Jahre 66 n. Chr. zweimal täglich Opfer „für den Kaiser und das Volk der Römer" (Josephus, Bell 2, 197) dargebracht, und von Chananja, dem letzten jüdischen Tempelhauptmann, ist in den „Sprüchen der Väter" 3,2 der Ausspruch überliefert: „Bete für das Wohl der Regierung; denn wenn es keine Furcht vor ihr gäbe, hätten wir schon einander lebendig verschlungen." In Spr 8,15 f. heißt es dann, daß die Könige und Machthaber auf Erden kraft der ihnen von Gott verliehenen Weisheit recht richten und entscheiden. In Sir 17,17 lesen wir, daß Gott „für jedes Volk einen Herrscher bestellte", und in Weish 6,3-4 wird betont, daß den irdischen Herrschern ihre Macht nur von Gott verliehen ist; sie sind „Diener seines Reiches" und unterliegen dem Gericht Gottes, wenn sie ihre Macht mißbrauchen. Daß den Herrschenden Furcht und Ehrerbietung gebührt, ist von Spr 24,21 an bis hin zu Philo (vgl. vor allem LegGai 140) stehende jüdische Uberzeugung.—(3) Umstritten ist die Frage, ob in V. 1-7 auch auf die Erzählung von Jesu Stellungnahme zur Kaisersteuer (Mk 12,13-17; Mt 22,15-22; Lk 20,20-26) zurückgegriffen wird. Vergleicht man die drei Fassungen des Berichtes, die wir in den Evangelien haben, mit Rom 13,1-7, steht der Lukastext Paulus eindeutig am nächsten. Nur in ihm ist wie in Rom 13,1 f. von der (Staats-)Gewalt die Rede (vgl. Lk 20,20), und nur in Lk 20,22 wird so wie in Rom 13,6f. vom „Steuer geben" gesprochen. Da Paulus auch sonst in seinen Briefen spezielle Bekanntschaft mit lukanischer Tradition verrät (vgl. z.B. 1. Kor2,6.8 mit Lk23,13.35; 24,20; Apg3,17; 13,27 oder 1. Kor 11,23-26 mit Lk22,19-20 und 1. Kor 15,4-5 mit Lk 24,34), ist es gut möglich, daß dem Apostel beim Diktat des Textes auch die (lukanische Form der) Jesuserzählung vor Augen stand. Allerdings fällt auf, daß für Paulus die Frage nach der Steuerzahlung vorrangig ist und daß er das für Jesus noch wichtigere Gebot, Gott zu geben, was Gottes ist, in V. 7 nur noch andeutungsweise behandelt. Interessanterweise läßt sich aber historisch gut erklären, weshalb der Apostel so akzentuiert. Der römische Historiker Tacitus berichtet nämlich in seinen Annalen (ΧΙΠ50-51), daß das römische Volk im Jahre 57 oder 58 n.Chr. beim Kaiser Beschwerde gegen die unverschämten und erpresserischen Praktiken der Steuerund Zolleinnehmer eingelegt habe; der Kaiser habe auf diesen Protest hin kurze Zeit erwogen, auf Zollzahlungen überhaupt zu verzichten, sei aber von seinen Ratgebern an diesem für die Staatsfinanzen ruinösen Vorhaben gehindert worden; insgesamt sei es deshalb nur zu einer gewissen Reform des Steuer- und Zollwesens gekommen. Tacitus spricht in seinem Bericht auch von der Sorge der Verantwortlichen, daß ohne Eindämmung der Gier der staatlichen Steuerpächter beim Volk „die durch so viele Jahre hindurch ohne Klage ertragene Last der Abgaben in Verbitterung umschlagen" könne. Sueton bestätigt den gesamten Vorgang in seiner Nerobiographie (10,1). Wir stoßen von Tacitus und Sueton her also auf den Umstand, daß man in Rom (und im gesamten römischen Reich) z.Z. der Abfassung des Römerbriefes ganz besonders unter hohen Steuern und Zöllen zu leiden hatte. Dieser Druck wurde für die Bürger von Rom zwar dadurch etwas gemildert, daß sie außer Zöllen nur bestimmte Steuern wie Umsatz-, Erbschafts- und (Sklaven-)Freilassungssteuer, aber keine Einkommenssteuer zu entrichten hatten. Aber wir wissen leider nicht, inwieweit reisende jüdische Unternehmer wie Priska und Aquila

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(16,3), judenchristliche Missionare wie Junia und Andronikus (16,7) und die keineswegs nur aus R o m allein stammenden Glieder der stadt-römischen Hausgemeinden überhaupt in den Genuß dieses Steuerprivilegs gekommen sind. Der zunächst ganz allgemein formuliert erscheinende Abschnitt R o m 13,1-7 zielt mit den Versen 6 + 7 hinein in eine aktuelle römische Situation. Vom Vergleich zwischen R o m 13,1-7 und l.Petr 2,13-17 her könnte man auch sagen: Die beiden Texten zugrundeliegende apostolische Ermahnung zur Loyalität gegenüber den Staatsorganen wird von Paulus auf die z.Z. des Römerbriefes besonders wichtige Frage der Zoll- und Steuerzahlungen hin zugespitzt und aktualisiert. Es geht dem Apostel in unseren Versen also nicht einfach nur um grundsätzliche Belehrungen über das Verhältnis der Christen zum Staat, sondern außerdem und zuvor noch um die praktische Frage, wie sich die kleinen, von aller direkten politischen Einflußmöglichkeit ausgeschlossenen und als Vereinsgemeinden unter dem strengen Verbot politischer Betätigung stehenden römischen Hausgemeinden (s.o. S. 17lf.) gegenüber den staatlichen Organen und Steuerpächtern verhalten sollten, die von ihnen in recht willkürlicher Art und Weise Zölle und andere (indirekte) Steuern einzutreiben versuchten. Β Wie alle Anweisungen in Kap. 12,1-15,13 stehen auch 13,1-7 unter dem thematischen Vorzeichen von 12,1-2. Es soll an einem aktuellen Beispiel klargelegt werden, wie der ganzheitliche Gottesdienst im Alltag der Welt, den Paulus den Christen abfordert, aussieht; das „ G u t e " , dem sie in allen Situationen und deshalb auch als Bürger von Rom nachzueifern haben, ist die Liebe. Die Verse 1-7 werden außerdem gerahmt von Aussagen, die auf den nahen Gerichtstag Gottes und die endzeitliche Ankunft Jesu Christi hinweisen (vgl. Rom 12,19-21 und 13,11-14). In dieser endzeitlichen Lage sollen die Christen von Rom sich bemühen, Frieden und Liebe gegenüber jedermann zu üben (12,18.21). Dies gilt auch gegenüber den staatlichen Organen. 1 Im Einklang sowohl mit alttestamentlicher als auch frühjüdischer und jesuanischer Tradition betont Paulus zu Beginn seiner Belehrung die Pflicht von „jedermann", d.h. von Nichtchristen und Christen, sich den bestehenden politischen Autoritäten unterzuordnen. Diese haben ihre Macht nicht an Gott vorbei, sondern besitzen sie und üben sie aus nach göttlicher Anordnung (vgl. Jer 29,7; Dan 2,21; Spr 8,15; Sir 17,17; Weish 6,3f.;EpArist 196.219.224; Lk 20,25). Der Apostel stellt dies fest, ohne eine tiefergehende theologische Theorie über das Wesen des Staates oder gar vom Gottesgnadentum der Obrigkeit aufzustellen. Er begnügt sich mit der Feststellung, daß die Staatsorgane ihre Macht nach dem Willen Gottes, des Schöp2 fers und Erhalters der Welt, ausüben. Weil dies gilt, widersetzt sich der Anordnung und damit dem Willen Gottes, wer sich gegen die Staatsmacht auflehnt. Das von Luther noch mit „ O r d n u n g " , heute aber zumeist mit „Anordnung" übersetzte griechische Wort, das der Apostel gebraucht, meint nicht eine schöpferische Stiftung, sondern eine rechtlich gültige Verlautbarung oder auch Bekundung des Willens Gottes (vgl. Gal 3,19). Der Staat ist dementsprechend keine direkt von Gott gestiftete Lebensordnung, sondern eine (menschliche) Lebensform, die von und nach Gottes Anordnung existiert (vgl. 1. Petr 2,13). Wer sich dieser Anordnung in den Weg stellt, zieht Gottes Gerichtsurteil auf sich (vgl. 2,2 f.; 3,8). Die (für heutige

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Begriffe erstaunlich einlinigen) Äußerungen des Paulus lassen erkennen, daß er den Christen von Rom nachdrücklich von allem Widerstand gegen die Staatsgewalt abrät. Ob man unter ihnen auf solchen Widerstand aus war, wissen wir nicht genau. Es ist auch historisch mehr als gewagt, die Nachricht des Josephus, daß in den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt des Kaisers Nero die Bewegung der gegen Roms Herrschaft kämpfenden Zeloten in Judäa und Jerusalem erstarkt sei (Ant 20, 160 ff.), auf die jüdischen Synagogen in Rom und von ihnen aus weiter auf die Christengemeinden zu übertragen! In der Mitte der fünfziger Jahre bildeten die Hausgemeinden in Rom bereits von den Synagogen getrennte Vereinsgemeinden. Deren Problem war nicht der politische Widerstand, sondern die Frage, inwieweit sich die durch Christi Opfertod aus der Herrschaft der Sünde erlöste Gemeinde überhaupt noch mit den Ungläubigen einlassen solle und dürfe (vgl. 1. Kor 5,9ff.; 6,1-11). Paulus mahnt zum Respekt vor den Staatsorganen und rät den römischen Christen von allen Handlungsweisen ab, die als politischer Protest gedeutet werden könnten. Für einen solchen sieht er keinen Anlaß, weil die Herrschenden nach Gottes Willen 3 nur für die Übeltäter ein Grund zur Furcht sind, während diejenigen, die sich des Guten befleißigen — und dazu gehören für Paulus auch und gerade die Christen (vgl. 12,2)! — von ihnen gefördert und belobigt werden. Sicherlich waren den Christen in Rom die kaiserlichen Belobigungen für besonders verdiente Beamte und ganze Städte im Imperium bekannt. Das „Gute", das sie getan hatten, bestand in ihrer Kaisertreue, und Paulus hat keine Scheu, die römischen Christen zu eben solcher Treue zu ermuntern. Sie steht für ihn im Einklang mit dem Willen Gottes, den gerade die Glaubenden erkennen können und einhalten sollen. Die Staatsmacht ist 4 Gottes Dienerin (vgl. Weish 6,4), wenn und indem sie Recht und Ordnung zugunsten jedes Bürgers schützt. Wer beides anzutasten wagt, bekommt die Polizei- und Strafgewalt des Staatswesens zu spüren. Auch in diesem Fall dient die Staatsmacht Gott und ist Handlangerin des göttlichen Zorngerichtes über jeden Übeltäter (vgl. 2,9). Trotz des in Rom gegen die christlichen Hausgemeinden aufkeimenden Argwohns (s.o. S. 175) und des lastenden Steuerdrucks (vgl. V. 6f.) sieht Paulus (noch) keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die römische Staatsmacht Gottes Absicht dient, die Welt zu erhalten und nicht im Chaos versinken zu lassen. (Angesichts der Christenverfolgungen im Jahre 64 n. Chr. und der widergöttlichen Forderungen des römischen Kaiserkults wird dann in Offb 13,1-18 charakteristisch anders über Rom geurteilt.) Da der Apostel noch keine staatlich gelenkte Christenverfolgung 5 kennt, ist seine nun folgende Mahnung konsequent. Paulus formuliert sie ohne Vorbilder in der Tradition, und eben dies gibt unserem Vers im Ganzen von 13,1-7 besonderes Gewicht. Für die Christen gibt es doppelte Veranlassung zur loyalen Unterordnung unter die Staatsmacht. Der eine Grund ist das von den staatlichen Instanzen stellvertretend ausgeübte Zorngericht Gottes über die Übeltäter. Aber die Furcht vor der Strafgewalt kann und soll nicht allein den Ausschlag geben. Wichtig ist Paulus, daß sich die Christen von Rom außerdem „um des Gewissens willen" dem fügen, was der Staat von ihnen verlangt. Das Gewissen ist nach 2,15 ein allgemein menschliches Phänomen, nämlich das Bewußtsein von Gut und Böse, man kann auch sagen: das kritische Verantwortungsbewußtsein eines jeden Menschen. Aber in 13,5 geht es um noch mehr. Nach 12,2 sind gerade die Christen beru-

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fen, das Gute in der Welt zu erkennen und zu befolgen, das Gottes Wille ist. Ihr Gewissen orientiert sich an dem von ihnen erkannten guten Willen Gottes. Sie sollen sich den Staatsorganen also deshalb fügen, weil sie erkennen, in welchem Maße diese dem Guten dienen, das Gott will, und zugleich dem Bösen wehren, das Gott nicht will. Die Christen sollen sich m.a.W. aus verantwortlicher Einsicht in das, was der Staat nach Gottes Anordnung für sie und alle Bürger leistet, unterordnen. Paulus will zwar aus den Christen von Rom keine kaisertreuen Patrioten machen, aber er mutet ihnen zu, ihren Bürgerpflichten aus christlicher Einsicht in Gottes 6 Willen und Weg mit der Welt nachzukommen. Daß sie bisher (und weiterhin) die Steuern zahlen, die man ihnen abfordert, ist für den Apostel eine Bestätigung dafür, daß die römischen Christen akzeptieren und verstehen, was er ihnen zumutet. Paulus begrüßt es, daß die Christen von Rom in der von Tacitus erwähnten klaglosen Geduld ihre Abgaben entrichten; er sieht in ihnen keine Steuerboykotteure, sondern vorbildliche Steuerzahler. Aber auch die staatlichen Steuerpächter und -beamten nimmt er in den Blick. Mit dem, was sie beruflich tun, stehen sie nicht nur im Dienste Roms, sondern auch Gottes. Gedacht ist dabei wohl daran, daß der Staat mit Hilfe des durch seine Finanzbeauftragten eingetriebenen Geldes tut, was allen zugute kommt und not tut. Für die reisenden urchristlichen Missionare, Paulus eingeschlossen, war z.B. die von Rom garantierte Sicherheit der Verkehrs- und Han7 delswege von größtem Vorteil. Von da aus schließt Paulus seine gesamte Ermahnung mit der Anweisung, die Christen von Rom sollten jedem geben, was sie ihm (als einem, der direkt im Dienste des Staates, indirekt aber im Dienste Gottes steht) schulden: dem Steuereinnehmer die Steuer, dem Zollpächter den Zoll, dem die Übeltäter strafenden und (dazu) das Schwert tragenden Polizeisoldaten die Furcht (vgl. V. 3 f.) und den verschiedenen Inhabern der staatlichen Macht die Ehre (vgl. Sir 10,23-24; Philo, LegGai 140; Josephus, Ant 6, 80; 9, 153 mit 1. Petr 2,17). Legt man so aus, ergibt sich ein klarer thematischer Zusammenhang von 13,1-7 und zugleich der inhaltlich beste Ubergang zu V. 8. — Die allgemeine Redeweise des Apostels erlaubt es allerdings auch, daran zu denken, daß er zum Beschluß von V. 7 nochmals das Jesuswort von Lk 20,25 aufnimmt und von ihm her an die vor allen anderen Gott selbst geschuldete Furcht erinnern will (vgl. 1. Petr 2,17 mit Sir 1,1 ff.; 2. Kor 5,11; 7,1; Rom 3,18). Von 12,10 (und 1. Petr 2,17: „Ehret alle!") her könnte dann bei der geschuldeten Ehre auch daran gedacht sein, daß die Christen sie jedermann schulden. Auch so wäre ein Ubergang zu 13,8 möglich, doch weniger klar als zuvor. — Die gemeinsame Lehrtradition, von der Rom 13,1-7 und 1. Petr 2,17 ausgehen, erlaubte zum Beschluß offenbar verschiedene Akzentuierungen. 1. Petr 2,17 ist präziser gefaßt als Rom 13,7, ohne einen Gegensatz zu Paulus zu implizieren. Rom 13,1-7 stellen insgesamt eine apostolische Anweisung darüber dar, wie die Christen von Rom sich nach Ansicht des Paulus in ihrer speziellen Zeit und Situation gegenüber der herrschenden Staatsgewalt und ihren Steuerforderungen verhalten sollen. Die christlichen Hausgemeinden gehören bereits Christus, dem endzeitlichen Herrn der Welt, an, und sie gehen als seine Zeugen auf den nahe bevorstehenden Gerichtstag Gottes zu. Auf diesem Wege sollen sie die bestehende Regierungsmacht und deren Geldansprüche respektieren, weil sie erkennen, daß

Exkurs XIII: Das Leben der Christen unter der Staatsgewalt

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Gott mittels der staatlichen Autoritäten zugunsten aller Menschen und auch der Gemeinden das G u t e befördert und das Böse in Grenzen hält. Die Absicht, die Paulus mit seinen Äußerungen verfolgt, gibt den Versen eine unverkennbare Einlinigkeit. Sie läßt es ratsam erscheinen, die Grundsatzfrage, wie sich Christen überhaupt zur Staatsmacht stellen sollen, nicht allein von R o m 13,1-7 her zu entscheiden, sondern von allen einschlägigen Texten des Alten und N e u e n Testaments her.

Exkurs XIII: Das Leben der Christen unter der Staatsgewalt R o m 13,1-7 ist zwar ein höchst gewichtiger, aber nicht der einzige Text, aus dem zu ersehen ist, wie Paulus das Leben der Christen unter der Staatsgewalt geregelt sehen wollte. 1. Schon das Leben des Apostels zeigt, daß er gleichzeitig Distanz und Toleranz gegenüber den staatlichen Autoritäten seiner Zeit entwickelt hat. Paulus besaß das begehrte römische Bürgerrecht schon von H a u s aus (vgl. A p g 22,28). Dieses Recht verlieh ihm die Stellung eines privilegierten Staatsbürgers, auf den nicht nur das jeweils einheimische, sondern auch und vor allem das übergreifende römische Recht anzuwenden war. Als in Jerusalem aufgewachsener und erzogener J u d e (Apg 22,3) hat Paulus die Jurisdiktion des jüdischen Gerichtshofes anerkannt, und er hat sich auch als Apostel auf seinen Missionsreisen noch geraume Zeit dem Urteil der rechtlich selbständigen Synagogengemeinden in der Diaspora unterworfen (vgl. 2. K o r 11,24). A u c h die römische Prügelstrafe für öffentliche Unruhestiftung mußte er dreimal über sich ergehen lassen (vgl. 2 . K o r 11,25 mit A p g 16,20ff.). Als es f ü r ihn nach seiner Verhaftung in Jerusalem d a r u m ging, sich als angeblicher Tempelschänder v o r d e m obersten jüdischen Gericht verantworten zu sollen, und seine Verurteilung sehr wahrscheinlich war, hat er v o n seinem römischen Bürgerrecht G e b r a u c h gemacht und seinen P r o z e ß an das kaiserliche Gericht in R o m überweisen lassen (vgl. A p g 2 5 , 9 - 1 2 ) . 2. Unter der F o r m e l „ D i s t a n z und T o l e r a n z " lassen sich auch die paulinischen Anweisungen z u m Leben der Christen unter den staatlichen Instanzen begreifen. 2.1 In 1. K o r 6,1-11 ruft der Apostel die Christen von Korinth zu einem Verhalten auf, bei dem die Gemeinde Christi v o m öffentlichen Rechtswesen in der Stadt buchstäblich Abstand nimmt und zwischen Christen aufkeimende Konflikte in ihren eigenen Reihen (rechtsverbindlich) zu schlichten versucht. Bei dieser Anordnung dürfte die selbständige Jurisdiktion der jüdischen Diasporagemeinden Paulus zum Vorbild gedient haben. D e r theologische G r u n d für die Distanzierung der Christen v o m staatlich vorgegebenen Recht liegt für Paulus nach 1. K o r 6,2.9 ff. und 2. K o r 6 , 1 4 - 7 , 1 darin, daß die durch Jesu Sühnetod geheiligten und zu künftigen Mitrichtern Christi berufenen „ H e i l i g e n " ( = Christen) sich in irdischen Rechtssachen nicht mehr Richtern unterstellen dürfen, über die sie einst Gericht halten werden. D e r Apostel befindet sich mit der Betonung des Abstandes v o n Jüngergemeinde und ungläubiger Welt im vollen Einklang mit J e s u s (vgl. M k 10,42 ff. Par.). E s ist sehr gut verständlich (und v o n den Paulustexten her auch nicht prinzipiell zu kritisieren), daß es unter B e r u f u n g auf 1. K o r 6 , 1 - 1 1 zur A u s bildung eines selbständigen Kirchenrechts g e k o m m e n ist.

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

2.2 In Rom 13,1-7 fordert Paulus die Christen von Rom zu größtmöglicher Loyalität gegenüber der bestehenden Staatsmacht auf und sieht in dieser eine Anordnung Gottes. Im Einklang mit dem Willen Gottes, der die Welt erschaffen hat und gnädig erhält, haben die staatlichen Organe das Gute zu fördern und dem Bösen (mit ihren Polizeikräften) zu wehren. Die Christen sollen die ersten sein, die dies dankbar anerkennen. Auch die staatlichen Zoll- und Steuerforderungen sollen sie nicht verweigern. Ehe man aber im Blick auf Rom 13,1-7 urteilt: „Niemand zuvor hat die Würde und Bedeutung des Staates so verstanden und ausgesprochen wie Paulus" und was die Bewahrung der bestehenden Welt vor dem Chaos anbetreffe, gehöre für den Apostel „die Obrigkeit geradezu mit dem Evangelium zusammen" (P. Althaus im Exkurs „Die Christenheit und der Staat" in der vorigen Auflage dieses Kommentars), sollte man beachten, daß in Rom 13,1-7 auf eine umfassende Darstellung der Hierarchie römischer Staatsämter, wie sie der hellenistische Rhetor Aelius Aristides in seiner Lobrede auf Rom vorträgt (vgl. Or 26,31 f.), oder auf grundsätzliche Erörterungen über legitime und illegitime Herrschaftsausübung, wie sie ausführlich im Aristeasbrief (187-224) vorgetragen werden, gleichermaßen verzichtet wird. Trotz des unverkennbar idealisierenden Tones, in dem Paulus schreibt, will er nicht zeitlos „von dem gottgesetzten Wesen und Auftrag der Obrigkeit" sprechen, wie Althaus meint, sondern nur zum gebührenden Respekt vor den Trägern der römischen Staatsmacht aufrufen, die ihre herrscherliche Gewalt nach Gottes Anordnung ausüben und sich dafür wie alle Mächtigen auf Erden vor Gottes Thron im Endgericht verantworten müssen. Die Unterordnung unter die staatlichen Organe und die Bereitschaft zur Zoll- und Steuerzahlung sind Teilelemente jenes leibhaftigen Gottesdienstes im Alltag der Welt, zu dem Paulus die Christen in Rom 12,1 f. aufruft. Genau dieser Aufruf zeigt, daß auch nach dem Römerbrief die Christen in Distanz zur gegenwärtigen Weltzeit und ihren Denkmaßstäben stehen und leben. Was sie in ihrem Zeugendienst bestimmt, ist die Liebe Gottes und damit der Auftrag, im M a ß e des ihnen menschlich Möglichen Frieden mit allen Menschen zu halten, die ihnen begegnen (Rom 12,9.14.17-18.21; 13,8-10). 3. Versucht man, zu einer theologischen Wertung vorzudringen, sind mehrere Umstände zu bedenken. 3.1 Rom 13,1-7 ist keineswegs der einzige neutestamentliche Text, der das Verhältnis der Christen zum Staat behandelt, sondern einer von mehreren gleichgewichtigen Abschnitten: Mk 12,13-17 Par.; Apg5,29; (Rom 13,1-7;) l . P e t r 2 , 13-17; Offb 13. Nach all diesen Texten haben die Christen den Staat als Regierungsform zu achten, die nach Gottes Anordnung und mit seinem Willen dem Chaos wehrt; ein Liebäugeln mit dem Anarchismus kommt für sie nicht in Frage. Sie müssen aber gewärtig bleiben, daß die staatliche Macht dämonische Züge annehmen und sie vor die Entscheidungsfrage stellen kann, ob sie sich zu Christus oder zum Träger der politischen Gewalt bekennen wollen, der für sich göttliche Würde und Autorität beansprucht. In diesem und allen anderen Fällen, in denen die Bezeugung des Evangeliums verboten oder wesentlich eingeschränkt wird, gilt Apg5,29: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!" Von einem gewaltsamen Widerstand gegen die Staatsmacht raten dennoch alle neutestamentlichen Texte ab.

Exkurs X I I I : Das Leben der Christen unter der Staatsgewalt

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Die Möglichkeit, daß die politisch völlig einfiußlosen Christen eines Tages mit Erfolg auf eine humane, den Ansprüchen des Evangeliums entgegenkommende, Staatsform dringen und diese dann auch durchsetzen könnten, liegt noch nicht im Blickfeld der neutestamentlichen Texte. 3.2 Die biblischen Äußerungen zum Staat werden überfordert und überfrachtet gleichzeitig, wenn man ihnen eine theologische Theorie über die „Schöpfungs- und Erhaltungsordnung" des Staates zu entnehmen versucht. Gott ordnet an, daß der Staat Macht ausüben kann und soll. Der Staat aber ist eine „menschliche Stiftung" (1. Petr 2,13), d.h. eine von Menschen für Menschen geschaffene Regierungsform. Sie ist von den Christen zu respektieren und zu fördern. Aber sie ist nicht theologisch zu überhöhen zu einem Gottesgnadentum der Obrigkeit! 3.3 Während in biblischer Zeit die Christen keinen wesentlichen Einfluß auf den Staat und seine Machtausübung nehmen konnten, haben die christlichen Staatsbürger heute in vielen Ländern die Möglichkeit, direkt und indirekt auf die staatlichen Organe einzuwirken und selbst Regierungsverantwortung wahrzunehmen. Unter diesen Umständen bedürfen die Christen diskutierbarer Grundsätze, die es ihnen ermöglichen, ihren christlichen Glauben mit ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung zu verbinden. An den biblischen Texten und Voraussetzungen gemessen, sind solche Grundsätze danach zu bewerten, ob sie den Unterschied von Gemeinde (Leib Christi) und staatlicher Gemeinschaft wahren, Gottes Willen in Christus gegenüber beiden Lebensformen angemessen zur Geltung bringen und Kirche und Staat positiv aufeinander beziehen. In der protestantischen Tradition liegen vor allem zwei solche Grundmuster vor: Luthers traditionelle Lehre, daß der Christ als Bürger des Himmelreiches (vgl. Phil 3,20) gleichwohl noch zusammen mit ungläubigen Menschen im sog. weltlichen Regiment zu leben und dies bei all seinen politischen Entscheidungen und Handlungen zu bedenken hat. Ihren klassischen Ausdruck hat diese sog. Lehre von den Zwei Reichen, besser: Regimenten, in den Artikeln 16 und 28 der Augsburgischen Konfession gefunden. Wie Kirche und Staat nach moderner politischer Erfahrung aufeinander zu beziehen sind, lehrt deutlicher noch die (fünfte These der vor allem von Karl Barth entworfenen) „Theologische^) Erklärung" von Barmen aus dem Jahre 1934. Sie nimmt Rom 13,1-7 und 1. Petr 2,13-17 direkt auf und lehrt: „Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge t r ä g t . . . " . In dieser These ist die Quintessenz von Luthers Zwei-Regimente-Lehre berücksichtigt. Dies und die Nähe zu den genannten biblischen Texten läßt es theologisch ratsam erscheinen, sich in der Frage nach dem Verhalten der Christen gegenüber den (und in den) staatlichen Autoritäten heute vor allem an Barmen V zu orientieren.

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

V. 13,8-10: Die Nächstenliebe als Erfüllung des Gesetzes 8 Niemandem bleibet irgend etwas schuldig - außer dem (Wort,) einander zu lieben. Denn wer den Nächsten liebt, steht in der Erfüllung des Gesetzes. 9 Denn das (bekannte Gebot): „Du sollst nicht ehebrechen", „Du sollst nicht morden", „Du sollst nicht stehlen", „Du sollst nicht begehren" und welches andere Gebot es sonst noch gibt, ist in diesem (einen) Wort zusammengefaßt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; (so ist) nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes. Vers 8: Lev 19,18;

A

Vers 9: Ex 20,D-15. 17; Dtn 5,17-19.21; Lev 19,18.

Die Verse fassen die bisherige Gemeindeermahnung (Paraklese) inhaltlich zusammen. V. 8 knüpft an 13,7 an und nimmt zugleich das Stichwort und Thema der Liebe wieder auf, das schon von 12,9 an zur Debatte steht. V. 9 erläutert V. 8, und in V. 10 wird aus V. 8 und 9 das Fazit gezogen: Mit der Liebe, die die Gemeinde Christi üben soll, steht sie in der Erfüllung des Gesetzes. In V 8 und 9 bezieht sich Paulus auf das Gebot der Nächstenliebe aus Lev 19,18. Dieses G e b o t nimmt schon in Lev 19 eine gewisse Sonderstellung ein und hat für das Friihjudentum große Bedeutung gewonnen; der „Nächste" ist in Lev 19 eindeutig der Mitisraelit und jüdische Volksgenosse. Das Gebot, den Mitisraeliten zu lieben und zwar auch dann, wenn er Böses tut und voller Haß ist, wird in TestGad 4 und 6 mit aller Deutlichkeit eingeschärft. Für Rabbi Aqiba (geb. ca. 50 n. Chr.) ist Lev 19,18 eine der großen Hauptregeln in der Tora (vgl. Sifra 89b). Von Lev 19,34 her und im Zusammenhang damit wird das Liebesgebot auch auf den Fremdling, d.h. den Nichtisraeliten, ausgedehnt (vgl. Sifra91a). Für Hillel den Alteren schließlich, der zwischen 30 v.Chr. und 10 n.Chr. gelehrt hat, ist die Lev 19,18.34 nahestehende sog. Goldene Regel (vgl. Mt 7,12; T o b 4,15; Sir 31,15) eine Zusammenfassung und Brücke, über die ein Heide, der zum Judentum übertreten will, in die ganze Tora hineinkommen kann (vgl. babSchab 31a, Bar.). Erst bei Jesus und von ihm her dann auch bei Paulus und Johannes transzendiert das Liebesgebot die 613 Einzelgebote ( = 248 Gebote und 365 Verbote), die nach frühjüdischer Zählung das Ganze der Tora ausmachen. In V. 9 zitiert Paulus aus den Zehn Geboten. Die Bedeutung des Dekalogs für das Frühjudentum der paulinischen Zeit war denkbar hoch. Schon in Dtn 5,22 gilt der Dekalog als das Zentrum der Tora: Gott hat die „Zehn Worte" dem Volke unmittelbar zugesprochen, während alle restlichen Gebote Israel nur durch die Vermittlung des Mose übergeben wurden (Dtn 5,23-31). Philo von Alexandrien betont in seiner Schrift über den Dekalog denselben Sachverhalt; für ihn lassen sich alle Einzelgesetze auf den Dekalog zurückführen, der dem Volk ohne Mittler gegeben worden ist (Decal 18 + 19). Der Dekalog ist mit dem Weltgesetz identisch. Auch Josephus hebt hervor, daß das Volk die Worte des Dekalogs direkt von Gott vernommen habe (Ant 3, 89.93). Die in Qumran gefundenen jüdischen Gebetsriemen und Türkapseln enthalten zum größten Teil den Dekalog und dokumentieren seine Bedeutung für die Essener. Nach mTam 5,1 wurde er im Tempel täglich beim Morgengebet rezitiert. Für das Frühjudentum ist der Dekalog von daher „die Kurz-

13,8-10: Die Nächstenliebe als Erfüllung des Gesetzes

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fassung des Glaubens- und Lebensgesetzes, der Inbegriff der jüdischen Religion" (G.Stemberger). Erst in der Zeit nach 70 n.Chr. wird von einigen Rabbinen betont, daß der Dekalog keine Sonderstellung in der Tora einnehme; sie tun das, um der exklusiven Wertschätzung der Zehn Gebote bei jüdischen Häretikern und den Christen zu wehren (vgl. jerBer 18 f. 3 c und babBer 12 a). Die Wertschätzung des Dekalogs wird durch diese rabbinische Lehrmeinung aber nicht völlig abgebrochen. Vielmehr gelten nach den Sprüchen der Väter V 5 die Gesetzestafeln, auf die die zehn Gebote von Gott geschrieben wurden, als am Vorabend des Schöpfungssabbats geschaffen, und in Pesikta Rabbati 21,19 heißt es: „Die zehn Gebote wurden in Entsprechung zu den zehn Worten gesagt, mit denen die Welt erschaffen wurde". Ahnlich scheint schon Paulus zu denken, wenn er in Rom 7,7ff. das eine Adam im Paradies gegebene Gebot (vgl. Gen 2,16 f.) mit dem (neunten und) zehnten Gebot illustriert und mit der Tora insgesamt gleichsetzt. Unmittelbar an V. 7 anknüpfend führt der Apostel den ersten Teil seiner Gemeindeermahnung zum Ziel: Während die Christen in Rom ihre einzelnen (in V. 7 genannten) „Gläubiger" durch Steuer- und Zollzahlung, Furcht- und Ehrerbietung zufriedenstellen können, bleiben sie dem ihnen wohlbekannten Liebesgebot lebenslang verpflichtet. Steuer- und Zollzahlungen und ebenso die irdischen Machthaber, denen man Respekt zollen muß, werden vergehen, aber die von Gott gebotene Liebe bleibt (vgl. 1. Kor 13,13). Mit ihr wird das Gesetz bleibend erfüllt (vgl. Gal 5,14; Kol 3,14). Die den Adressaten ebenfalls vertrauten Einzelgebote (aus der zweiten Hälfte des Dekalogs) vom Ehebruch, Mord, Diebstahl und Begehren (die Paulus hier exemplarisch in der Reihenfolge aufzählt, die sie nach der griechischen Bibel in Dtn 5,17 ff. haben) und jedes andere Gebot der Tora läßt sich in dem einen Wort ( - Gebot) zusammenfassen, das in Lev 19,18 zu lesen ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" Die Liebe zum Nächsten ist die Essenz und Summe der ganzen Tora; sie tut dem Nächsten nichts Böses (vgl. 12,17.21), und sie ist — wie Paulus abschließend unter Wiederaufnahme von V. 8 noch einmal unterstreicht — die Erfüllung des Gesetzes. So klar diese Äußerungen des Apostels sind, so schwierig scheinen sie theologisch zu sein, und zwar deshalb, weil Paulus hier nicht nur zu erkennen gibt, daß er die Kenntnis von Dekalog und Lev 19,18 bei den Hausgemeinden in Rom voraussetzt (vgl. so auch in 7,1 ), sondern weil er von ihrer Gültigkeit auch für die Christen ausgeht und sie zur Erfüllung des Gesetzes durch die Liebe aufruft. Er tut dies, obwohl er in 7,4.6; 8,2 und 10,4 unmißverständlich davon gesprochen hat, daß die Christen dem Gesetz des Mose abgestorben sind und Christus das Ende des Gesetzes ist. Widerspricht sich der Apostel? Oder zitiert er hier — gleichsam aus Versehen — judenchristliche Tradition, die eigentlich seinem Denken fernsteht? Beides trifft nicht zu: Schon in 6,18 ff. hatte Paulus vom Dienst an der Gerechtigkeit (Gottes) gesprochen, in dem die getauften Christen stehen, und in 8,3 f. hatte er betont, daß die an Christus Glaubenden kraft des Opfertodes Jesu und des ihnen zuteil gewordenen Hl. Geistes nicht etwa in der gesetzlosen Willkür, sondern in der Freiheit der Erfüllung (der Rechtsforderung) des Gesetzes stehen. Er meint dabei die Erfüllung des durch Jesus von dem Mißbrauch, den die Sünde mit ihm trieb, befreiten, nach dem Sündenfall Adams zum ersten Mal in der Geschichte wirklich in Geltung

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

gesetzten Willens Gottes. Vom Hl. Geist in die Herzen der Christen geschrieben, transzendiert er zwar die Erscheinungsform der Tora vom Sinai (vgl. Jer 31,31 ff.), ist aber doch mit sich selbst identisch, so daß er die ganze Offenbarungsgeschichte von A d a m über M o s e bis hin zu Christus und dem Jüngsten Tage bestimmt. Rom 13,8-10 sind von hier aus keineswegs unverständlich oder theologisch unangemessen. Mit der Jesustradition (vgl. Mk 10,17-22 Par. und 12,28-34 Par.) und bestärkt durch Jesu Tod und Auferweckung geht Paulus davon aus, daß das Liebesgebot (von Lev 19,18) die Tora des Mose nicht nur zusammenfaßt, sondern auch im Sinne von Jer 31,31 ff. transzendiert. Als Hauptstück der Tora gilt ihm dabei der Dekalog. An ihm läßt sich exemplarisch ersehen, was der seit Adam gültige Wille Gottes inhaltlich ist. Seine sog. zweite Tafel bietet deshalb auch die beste Anleitung zum praktischen Tun der Liebe, eine Anleitung, die gerade auch die Christen brauchen. Wenn sie in den verschiedenen Lebenslagen, in die sie kommen, die zweite Tafel des Dekalogs vor Augen haben und außerdem wissen, daß Jesus die Nächstenliebe sogar auf die Verfolger und Feinde der Gemeinde ausgedehnt hat (vgl. 12,14), dann haben sie den denkbar besten Leitfaden für ihr eigenes, in der Kraft des Geistes zu erbringendes Liebeszeugnis. Dieses aber stellt sie in die bleibende Erfüllung des Gesetzes (vgl. 8,4 mit 13,8.10), und eben dies will Paulus im römischen Kontext herausstellen. Daß nach dem Evangelium des Apostels die (Heiden-)Christen in eine Freiheit gestellt wären, die doch nur ein Deckmantel der Schlechtigkeit ist (vgl. Rom 3,8; 6,1.15 mit 1. Petr 2,16), kann und darf man dem paulinischen Evangelium in Rom füglich nicht mehr nachsagen. Unser Abschnitt hat seinen Ort in der Paulus durch seine Kritiker bis in den Römerbrief hinein aufgezwungenen Debatte über den (angeblichen) paulinischen Antinomismus und ist in diesem Zusammenhang ebenso praktisch (und nicht nur grundsätzlich) gemeint und geschrieben wie Rom 13,6 f. auch. Daß Paulus in Rom 13,8-10 nur noch einmal wiederholt und präzisiert, was er schon in Gal 5,14; 6,2 ausgeführt hat, bestätigt dies aufs beste. Paulus lehrt nicht die Gesetzlosigkeit, sondern die Erfüllung des Gesetzes (Christi) in der Liebe kraft des Hl. Geistes.

VI. 13,11-14:

Christlicher

Wandel angesichts der nahenden

Errettung

11 Und dies (beherzigt) im Wissen um den gegenwärtigen Zeitpunkt, daß die Stunde für euch schon da ist, vom Schlaf aufzustehen; denn jetzt ist die Errettung für uns schon näher als damals, da wir zum Glauben gekommen sind! 12 Die Nacht ist vorgerückt, aber der Tag ist nahegekommen. Also laßt uns ablegen die Werke der Finsternis, aber anlegen die Waffen des Lichts. 13 Wie am Tage laßt uns wohlanständig wandeln, nicht in Eß- und Trinkgelagen, nicht in Bordellbesuchen und Orgien, nicht in Streit und Zorneseifer, 14 sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und tragt nicht Sorge um das Fleisch zu(r Befriedigung von) Begierden. A

13,11-14 geben der von Paulus bisher vorgetragenen Gemeindeermahnung (Paraklese) das eschatologische Fundament. Kompositorisch stellen die Verse das

13,11-14: C h r i s t l i c h e r W a n d e l angesichts der n a h e n d e n Errettung

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Gegenstück dar zu der Einleitung in 12,1-2. V. 11 schließt an V. 8-10 an und begründet zusammen mit V. 12a die paulinische Mahnung mit der Nähe des unmittelbar bevorstehenden Gerichtstages, der für die Christen die Heilsvollendung bringen wird. Daraus ergeben sich in V. 12b und 13a drei Aufforderungen, die durch einen in drei Paaren angeordneten kurzen Lasterkatalog kontrastiert werden. V. 14 bietet eine abschließende Mahnung; sie stellt das von Paulus gewünschte dem unerwünschten Verhalten gegenüber und leitet über zu 14, Iff. Die enge sprachliche und inhaltliche Verwandtschaft von 13,11-14 mit 1. Thess 5,1-11; Kol 3,1-11 und Eph 5,8-20 zeigt, daß Paulus z.T. sogar hymnisch formulierte Elemente der Taufliturgie (vgl. Eph 5,14) und traditionelle Motive aus der urchristlichen Mahnrede an die getauften Glieder der Gemeinde Christi aufgreift. Den Christen von Rom dürfte deshalb manches von dem, was Paulus schreibt, vertraut gewesen sein. Ob der Apostel aber in V. 11-14 ein Stück Taufliturgie regelrecht zitiert und kommentiert (H. Schlier), ist nicht mehr mit Sicherheit auszumachen. Paulus hat die römischen Christen in 12,1 f. zum leibhaftigen Gottesdienst, zum Abstandnehmen von diesem zu Ende gehenden Aon und zur Erneuerung ihres Denkens und Handelns aufgerufen. Jetzt legt er ihnen nahe, ihren Wandel im Wissen darum zu führen, was die Stunde geschlagen hat: Für die Christen von Rom ist es Zeit, sich auf die Ankunft des Herrn zu rüsten! Bei ihrer Taufe ist ihnen einst zugerufen worden, sich vom Schlaf der Gottvergessenheit zu erheben und sich Christus zuzuwenden, um von ihm mit neuer Erkenntnis erleuchtet zu werden (vgl. Eph 5,14 mit PsSal 16,1-4). Paulus erneuert nunmehr diesen Aufruf und gibt ihm eine endzeitliche Begründung: Jetzt, da er den Römerbrief diktiert, ist für ihn und seine Adressaten die endzeitliche Errettung schon nähergerückt als zur Stunde ihrer Umkehr zum Glauben an Christus. Die Monate und Jahre, die seither verstrichen sind, lassen sich nach Meinung des Apostels abziehen von der Frist, die noch bis zum Jüngsten Tage bleibt. Zusammen mit 1. Thess 4,13-5,11 ist unser Vers ein klares Zeugnis für die Paulus zeit seines apostolischen Wirkens tragende Naherwartung. Sie ist schon in dem zweifachen „jetzt" von 11,31 zum Ausdruck gekommen und gibt nun der ganzen Gemeindeermahnung endzeitliche Perspektive. Mit ihrer Rechtfertigung haben die Christen zwar bereits teilgewonnen an der von Gott in und durch Christus heraufgeführten Erlösung (Rom 3,24-26), aber deren heilsgeschichtliche Vollendung in Form der endzeitlichen Errettung steht noch aus (vgl. Rom 5,9; 8,23 ff.). Sie wird erst gekommen sein, wenn Christus vom Zion her wiederkehrt, ganz Israel errettet wird und die Toten auferweckt werden (vgl. 1. Kor 15,20-28; Rom 8,29ff.; 11,15.25-32). Eben diese Vollendung ist nun unmittelbar nahegerückt. Im Alten Testament ist die Morgenfrühe die Zeit des Aufgangs der „Sonne der Gerechtigkeit", deren Erscheinen Rettung und Heilung bringt (Mal 3,20). Von hier aus läßt sich die Bildersprache von V. 12 gut verstehen. Die Christen stehen in der Morgendämmerung des Jüngsten Tages, der für sie kein Schreckenstag, sondern als „der Tag unseres Herrn Jesus Christus" (1. Kor 1,8; 2. Kor 1,14) „der Tag der Erlösung" (Eph 4,30) sein wird. Im Endgericht wird sich für die Glaubenden Gottes Liebe und Erbarmen durchsetzen (Rom 8,31-39; 11,32), und sie werden an der himmlischen Herrlichkeit Christi teilhaben dürfen

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

(Phil 3,20 f.). Aus dieser (Nah-)Erwartung folgt, daß die Christen (wie einst bei ihrer Taufe so auch jetzt und immer neu) „die Werke der Finsternis" abzulegen haben, d.h. die Werke, die ihnen die Finsternis (als Widerpart Gottes) zu tun eingibt (vgl. Rom 6,20 f. 23 mit 1. J o h 3,8 und 1 Q S 3,21-26). Stattdessen sollen sie wie eine Rüstung die von Gott geschaffenen und für die Glaubenstreuen bereitgestellten „Waffen des Lichts" anlegen (vgl. l . T h e s s 5 , 8 ; Eph 6,11.13ff. mit Jes 59,17; Weish 5,17-19; TestLev5,3; Testjos 6,2). Die Christen stehen — wie ihr Herr selbst (vgl. 1. Kor 15,25) — noch im Kampf gegen die Mächte und Einwirkungen der Finsternis, und zwar auf der Seite des Lichts, das Gott und seinen Christus kennzeichnet und von ihnen ausgeht (vgl. Ps 104,2; Kol 1,12f.; J o h 1,4f.; 1. Joh 1,5-7). Die Waffen, deren sie sich in diesem Kampf bedienen sollen, sind Glaube, Liebe, Gerechtigkeit und Wahrheit (Eph 5,8 f.; 6,13 ff.). Sie, die sie dem nahenden Tag des Herrn entgegensehen, sollen wohlanständig wandeln, d. h. so, daß durch das Verhalten der Christen kein Tadel (von Außenstehenden) auf die Gemeinde fällt (vgl. l.Thess 4,12 und l.Petr 2,12). Ein (wie immer in den Paulusbriefen) plakativ gemeinter (und ebenso wie 1,26 ff. auf heidnische Verfehlungen blickender) „Lasterkataiog" unterstreicht dies. Sache der Christen sind keine nächtlichen Schlemmereien und Saufereien, keine Touren von Bordell zu Bordell oder vornehmere Orgien und auch nicht die aus solchen Unternehmungen erwachsenden Händel und Fehden. Der kleine Katalog gewinnt dadurch eine gewisse Pointe, daß nach Suetons Nerobiographie (26,1 f.) Nero persönlich sich mit Einbruch der Nacht zu verkleiden und ausschweifenden Abenteuern in den Tavernen und Gassen Roms hinzugeben pflegte. Den Christen von Rom fehlte es aber auch ohne den Kaiser in ihrer Stadt nicht an Anschauung für das, was Paulus zu meiden mahnt. Statt sich darum zu sorgen, daß und wie die fleischliche Natur am besten zur Befriedigung ihrer Begierden gelangt, ist es ihre Aufgabe, den Herrn Jesus Christus „anzuziehen". Paulus erinnert damit wieder an die Taufe und ruft dazu auf, das damals Geschenkte festzuhalten und neu zu bewähren. Als Sünder aus den Heiden und ungläubige Juden sind die römischen Christen einst in den Leib Christi hineingetauft und damit zu Gliedern des Christusleibes geworden (vgl. l . K o r 12,12f.; Rom 12,4f.). Der Leib Christi ist die Heilsgemeinde (s.o. S. 170f.). N u n wird der menschliche Leib in frühjüdischen Texten u.a. auch als Gewand beschrieben, mit dem ein Mensch bekleidet wird (vgl. z.B. syrBar 49,3; slavHen 22,8). Paulus teilt diese Anschauung (vgl. 2. Kor 5,2f.) und überträgt sie auf den Leib Christi. Deshalb kann er schon im Galaterbrief sagen, in den Leib Christi hineingetauft zu werden, heiße, Christus anzuziehen (Gal 3,27). An eben dieses „Anziehen" erinnert er jetzt auch die Christen in Rom. Sie, die sie einst Glieder des Leibes Christi geworden sind, sollen nunmehr mit besonderer Entschiedenheit als die neuen Menschen leben, die Christus aus ihnen gemacht hat (vgl. 1. Kor 8,6; Kol 1,15-20; 3,9-10); das bedeutet: in der Praxis des leibhaftigen Gottesdienstes (12,1 f.). Die Christen von Rom sollen einander, aber auch denen, die nicht zur Gemeinde gehören, in eben der Liebe begegnen, mit der Christus ihnen selbst begegnet ist und in naher Zukunft neu begegnen wird (vgl. 12,9.14; 13,8-10 mit 15,7 und Kol 3,13). Der Apostel hat damit den ersten Teil seiner Gemeindeermahnung zu Ende gebracht, zugleich aber den folgenden vorbereitet, in welchem die gegenseitige Annahme der Gemeindeglieder noch einmal ausdrücklich thematisiert wird.

Exkurs XIV: Z u r paulinischen G e m e i n d e e r m a h n u n g

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Exkurs XIV: Zur paulinischen Gemeindeermahnung (Paraklese) Mustert man die uns von Paulus überlieferten Briefe, kann man rasch sehen, daß wenigstens die Hälfte des vom Apostel Geschriebenen aus Ratschlägen und Mahnungen zum rechten Wandel besteht. Die Gemeindeermahntmg ist offenkundig nicht nur ein Anhang oder Zusatz zu dem Paulus anvertrauten Evangelium, sondern ein bestimmender Teil davon. 1. Das läßt schon die Ausdrucksweise des Apostels erkennen: Für die Verkündigung des Evangeliums und für die Gemeindeermahnung gebraucht er dasselbe Zeitwort, nämlich π α ρ α κ α λ ε ΐ ν - parakalein (vgl. 2. Kor 5,20 und 6,1 mit Rom 12,1 oder 1. Thess 2,12 mit 4,1). Dessen Bedeutung ist, je nach dem Zusammenhang, „herbeirufen", „einladen", „aufrufen", „ermahnen", „bitten", „ermuntern" und „trösten". Ebenso findet sich das dazu gehörige Hauptwort παράκλησις = paraklèsis in den Paulusbriefen für Predigt und Verkündigung wie für Ermahnung (vgl. 1. Thess 2,3 mit 1. Kor 14,3 und PhÜ 2,1); es bedeutet „Ermahnung", „Bitte" und „Trost". Dagegen fehlt in den Paulusbriefen das in der griechischen Rhetorik häufig für die Mahnrede gebrauchte Verbum παραινέω — paraineö mitsamt dem zugehörigen Nomen παραίνεσις = parainesis, von dem das in der Forschung für die paulinische und gesamtneutestamentliche Gemeindeermahnung oft gebrauchte Fremdwörter „Paränese" abgeleitet ist. Will man dem Apostel wirklich gerechtwerden, muß man seine Art von Gemeindeermahnung Paraklese nennen. Sie ist Bitte und Mahnung, Einladung zum neuen Gehorsam und Aufruf gleichzeitig, und sie gehört für Paulus zum Evangelium hinzu. 2. Weshalb dies so ist, läßt sich rasch erkennen. Der Christus, den Paulus im Auftrag Gottes unter den Heiden zu verkündigen hat (Gal 1,16), ist in einer Person der „für uns" in den Tod gegangene Gottesknecht und der zur Rechten Gottes zum „Herrn" eingesetzte „Sohn Gottes in Macht" (vgl. 1. Kor 15,3-5; Rom 4,25; 8,3 mit Phil 2,6-11; Rom 1,3 f.). Der rettende und der gebietende, der sich aus Liebe aufopfernde und der herrschende Christus lassen sich nicht trennen, und Paulus hat in seinem Evangelium sowohl von dem gekreuzigten Christus zu sprechen, den Gott uns zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung gesetzt hat (1·. Kor 1,23.30; 2,2), als auch von der Herrschaft Christi, seiner Fürbitte vor Gottes Thron und dem Weltgericht, das er im Auftrag Gottes zu halten haben wird (vgl. 2. Kor 4,4; 5,10; Rom 1,1-5; 2,16; 8,34). Die Paraklese des Apostels folgt den Dimensionen seiner Christologie und schließt eben deshalb Gnadenzusage, Trost, Ermutigung und Mahnung gleichzeitig ein. 3. Der Apostel läßt nirgends in seinen Briefen einen Zweifel daran aufkommen, daß Gottes Heilswerk in und durch Christus allem menschlichen Tun einschließlich des Glaubens vorangeht (vgl. nur Rom 5,6-11) und daß die Rechtfertigung (bei der Taufe ebenso wie im Endgericht!) nicht aus Werken des Gesetzes, sondern um Christi willen allein aus Glauben erlangt wird (vgl. Gal 2,16; Rom 3,20.30; 8,33 f. 38 f.; 11,32). Dem genau entsprechend macht Paulus deutlich, daß vor Gott im Endgericht die Person eines Menschen mehr gilt als die bösen oder guten Werke, die er zustandegebracht hat (vgl. 1. Kor 3,14f.; 5,5). Gleichwohl wird der Apostel nicht müde, die ihm anvertrauten Christen zum rechten Wandel aufzurufen und sie

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

daran zu erinnern, daß die Liebe zu Gott, dem Nächsten und sogar dem Feind die eigentliche Lebensdimension des Glaubens ist (Gal 5,6; 1. Kor 13; Rom 13,8-10). Die ausführliche Paraklese des Apostels dokumentiert, daß für ihn der Glaube an Christus zwar sein Kriterium, d.h. seinen Prüfstein, im geistgewirkten Bekenntnis hat (vgl. Rom 10,9f. und 1. Kor 12,3), daß aber der rechte Wandel und mit ihm das Tun des Guten die Signatur, also das Kennzeichen, des Glaubens sind, und zwar vor den Menschen ebenso wie vor Gott und dem Richtstuhl Christi (vgl. 1. Thess 4,9-12; 1. Kor 10,31-33; Rom 12,9-21 und 1. Thess 5,23f.; 2. Kor 5,10; Phil 2,12-16 und Rom 14,10-12). 4. Die Paraklese des Apostels bietet kein geschlossenes ethisches System, aber sie folgt programmatischen Grundsätzen und erläutert diese in direkter Zuwendung zu den jeweiligen Adressaten des Apostels in Thessalonich, Galatien, Korinth oder auch Rom. Ein Beispiel dafür hat uns der erste Teil der Paraklese i n R ö m l 2 , l - 1 3 , 1 4 gegeben. Der Grundsatz des Apostels lautet hier, daß die Christen ihr ganzes leibliches Sein dem „vernünftigen", d.h. dem Geist und Sinn Christi (1. Kor 2,16) entsprechenden, Gottesdienst weihen, sich den Maßstäben und Verhaltensweisen dieser zu Ende gehenden Weltzeit nicht länger anpassen, vielmehr der Erkenntnis ihrer an Christus orientierten Vernunft tätig folgen sollen. Das Gute, das ihnen in den verschiedenen Lebenssituationen, in denen sie stehen, zu tun und zu befördern aufgegeben ist, ist die Liebe nach Jesu Gebot. Paulus nennt sie in Gal 6,2 „das Gesetz Christi"; in 1. Kor 12,31 wird sie der alle anderen christlichen Verhaltensweisen übertreffende Weg genannt, den die Glaubenden zu gehen haben. Wie er aussieht, lehrt der Apostel in 1. Kor 13. Die Kraft zu solchem neuen Wandel liegt im Hl. Geist (Gal 5,25), den Paulus als Gegenwart des auferstandenen Christus versteht und erfährt (vgl. Gal 2,20 mit R o m 8,15 f.26f.). Die gelebte Nächsten- und Feindesliebe stellt die Glaubenden in die Erfüllung des Gesetzes (Gal 5,14; R o m 8,4; 13,8-10) und transzendiert zugleich die Kasuistik der (nach rabbinischer Zählung) 613 Einzelgebote der mosaischen Tora (im Sinne von Jer 31,33 f.). Es ist daher kein Widerspruch, wenn der Apostel gleichzeitig betont, die Christen dürften und sollten ihren Dienst in der Freiheit (vom Gesetz) tun, in die sie durch das Evangelium gestellt seien (Gal 5,1.13; Rom 6,18), die christliche Freiheit dann aber als Erfüllung der vom Gesetz gelehrten Liebe (Gal 5,13 f.) oder auch als Dienst an der Gerechtigkeit bezeichnet, die Gott selbst übt und liebt (Rom 6,18 ff.). Luther hat diese Dialektik klassisch erfaßt, wenn er seinen Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen" aus dem Jahre 1520 mit den Sätzen beginnt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand Untertan; ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann Untertan" und dies von 1. Kor 9,19 und Rom 13,8 her begründet. Indem der Apostel in seiner Paraklese nur exemplarische Anweisungen gibt, fordert er seine Adressaten auf, in ihrer eigenen christlichen Freiheit weiterzudenken und zu entscheiden, was noch alles an Gutem zu geschehen habe, und indem er andererseits die dauernde Herrschaft Christi betont (Rom 14,7-9) und einschärft, in Christus komme es auf die Einhaltung der Gebote a n ( l . Kor 7,19 vgl. mit Gal 5,6), zeigt er ihnen, daß ihr „vernünftiger" und leibhafter Gottesdienst eine Liturgie ist, die nicht endet.

Exkurs XIV: Zur paulinischen Gemeindeermahnung

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5. Wer die paulinische Paraklese im einzelnen mustert, stellt immer wieder fest, daß sie sprachlich und inhaltlich parallelgeht mit Ermahnungen, wie sie in der zeitgenössischen populären Philosophie und in den Synagogen erteilt wurden, in denen Griechisch sprechende Juden zusammenkamen. Wenn der Apostel z.B. zum Bedenken und Tun „des Guten" aufruft (Rom 12,2.17.21), wenn er mahnt, auf das bedacht zu sein, „was wahrhaft, edel, recht, lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist" (Phil 4,8), oder wenn er zu einem „wohlanständigen" Verhalten rät (1. Thess 4,12; Rom 13,13), konnte dem jeder griechisch erzogene Mensch seiner Zeit zustimmen; und wenn er andererseits die christliche Gemeinde (in Philippi) zu einem vorbildlichen und im wahren Sinn des Wortes einleuchtenden Wandel inmitten eines verdorbenen und verwirrten Geschlechts von Menschen ermuntert (Phil 2,15), entspricht dies der Mahnung aus TestLev 14,3, die Kinder Levis sollten „Lichter Israels" sein, und zwar vor und im Unterschied zu den Heiden (vgl. Jes 49,6). Aus der Tatsache solcher Parallelitäten hat man wiederholt erschlossen, daß es abgesehen vom Liebesgebot kaum etwas spezifisch Christliches in der (paulinischen) Paraklese gebe, und auch das Liebesgebot sei ja eigentlich gut jüdisch (vgl. Lev 19,18 und TestGad 6,1: „Und nun, meine Kinder, liebt ein jeder seinen Bruder und rottet den Haß aus euren Herzen aus, indem ihr einander liebt in Werk und Wort und Gesinnung der Seele!"). So richtig diese Beobachtungen sind, so irrig ist die daraus gezogene Schlußfolgerung! Paulus unterscheidet zwar die Gemeinde der durch Jesu Opfertod geheiligten Christen klar und streng sowohl von den ungläubigen Juden als auch den sündigen Heiden (vgl. 1. Kor 6,1-8; 2. Kor 6,14-7,1), aber sein ethisches Interesse ist trotzdem nicht darauf gerichtet, dieser Gemeinde nun plötzlich lauter neue, „spezifisch christliche" Weisungen zu erteilen. Es geht ihm vielmehr darum, die Christen zur Einhaltung des in der Sendungjesu nicht außer Kraft, sondern neu in Kraft gesetzten Willens Gottes anzuhalten (Rom 8,3 f.). Diesen Willen bemißt Paulus ebenso wie Jesus exemplarisch an den (Zehn) Geboten (s.o. S. 186f.). Eben deshalb kann er durchaus Inhalte und Ausdrücke aus der Auslegung der (Zehn) Gebote übernehmen, die in den griechischen Synagogen seiner Zeit vorgetragen wurde und die Paulus u.U. selbst eine Zeitlang (in Jerusalem) geübt hat (vgl. Gal 5,11 und dazu o. S. 160). Wie diese Gesetzesauslegung aussah, kann man schön aus Philos Schrift über den Dekalog (bes. 50-153 und 154-178) oder aus Josephus (ContrAp 2,190-219) und aus den Mahnreden der sog. „Testamente der zwölf Patriarchen" ersehen. Jedesmal stößt man auf das Bemühen, den Inhalt der Gebote Gottes unverfälscht zu bewahren, aber eine Sprache zu sprechen, die in hellenistischer Zeit den interessierten Besuchern der Synagogen verständlich war, und eben dieses Bemühen kennzeichnet auch den Stil der paulinischen Paraklese. Daß sie sich inhaltlich nicht nur aus der synagogalen Gesetzesauslegung, sondern auch aus der Jesustradition speist (vgl. 1. Thess 4,13-5,11; 1. Kor 7,8-16; 9,13 f.; Rom 12,9-21 usw.), haben wir schon erwähnt, und es ist uns auch schon aufgefallen, daß sich der Apostel mit anderen Missionaren in der Mitteilung eines „Katechismus" von Verhaltensweisen trifft, den sie alle gleich oder ganz ähnlich vorgetragen haben (vgl. 1. Thess4,lf.; 1. Kor 11,2; (14,33-36) 15,11 und o. S. 167). Maßstab für die Weisungen, die Paulus übernimmt und weitergibt, aber auch selbst formuliert, ist es, des Evangeliums würdig zu wandeln (Phil 1,27) bzw. dem „Willen Gottes in Christus Jesus" gerechtzuwerden (1. Thess 5,18).

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

6. An 1. Thess 5,1-11; 1. Kor 7,29-31 und Rom 13,11-14 kann (und muß) man sich darüber klarwerden, daß die paulinische Paraklese im Horizont der Naherwartung des Jüngsten Tages entworfen ist. Der Apostel will die ihm anvertrauten Gemeinden zurüsten, Christus, ihrem Herrn und Richter, in Bälde zu begegnen. Er hat sie kraft seines Sühnetodes dem gegenwärtigen bösen Welt-Aon entrissen (Gal 1,4); deshalb dürfen sie sich nicht länger den Maßstäben dieses rasch zu Ende gehenden Äons anpassen (Rom 12,2), sondern sollen eine gemeinschaftliche Existenz führen, die dem kommenden Herrn gefällt (1. Kor 7,32 ff.). Für die Gemeinde Christi ist das bevorstehende Weltgericht kein Schreckensereignis sondergleichen wie für alle Ungläubigen, sondern es wird die Durchsetzung der Gottesgerechtigkeit in und durch Christus bringen, und zwar für die Heiden sowohl wie für „ganz Israel" (Rom 11,25 ff.) und die bisher unter der Macht der Nichtigkeit und des Todes stehende (außermenschliche) Schöpfung insgesamt (vgl. 1. Kor 15,25 f. 50-57; Rom 8,20ff.). Gottes guter schöpferischer Wille wird also durch Christus im Endgericht vollends durchgesetzt werden, und eben deshalb schauen die noch unter Verfolgung und Leiden stehenden Christen dem „Tag des Herrn" erwartungsvoll entgegen. Paulus hat ihn noch während seines eigenen Lebens erwartet (1. Thess 4,17; 1. Kor 15,51). Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt, und dementsprechend müssen die Christen heute in vielen Sachfragen über Paulus hinausdenken. Aber auch für sie gilt — wie für den Apostel und seine Zeit — folgende Perspektive: Die Christen kommen von Jesu Sendung in die Welt, seinem Kreuzestod und seiner Auferweckung her, sie unterstehen der Herrschaft und erfahren den Beistand des erhöhten Christus, der noch unterwegs ist, um seinem Vater das All zu unterwerfen, und sie erwarten angesichts der noch immer unerlösten Welt das Kommen des Herrn zur Durchsetzung der Gottesgerechtigkeit in Hoffnung und Sehnsucht. 7. Für Jesus läßt sich der Wille Gottes in das Doppelgebot der rückhaltlosen Gottes- und Nächstenliebe zusammenfassen (vgl. Mk 12,28-34 Par.). Auch die paulinische Paraklese lebt in dieser Doppeldimension. Man sieht dies sogleich, wenn man dreierlei bedenkt. Die Fragen des Gottesdienstes gehören, wie 1. Kor 11,17-34; 14,1-40 und Kol 3,16-17 zeigen, ganz selbstverständlich zur paulinischen Paraklese hinzu; Paulus will mit seinen Weisungen also auch das Gottesverhältnis seiner Gemeinden ordnen. Gar nicht selten spricht er dann von den Christen als den „Heiligen", die sie durch Jesu Sühnetod geworden sind (vgl. l.Kor 6,1 f.; 2. Kor 1,1; Phil 1,1; Rom 1,7; 8,27; 15,25 f. usw.), und er verweist ausdrücklich auf die „Heiligung", die sie durch Jesu Opfergang erfahren haben (1. Kor 1,2.30; 6,11; Rom 8,29f.). Wie im Heiligkeitsgesetz geboten wird: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig!" (Lev 19,2), so erwächst auch den Christen aus der von ihnen in Christus erfahrenen Heiligung die Pflicht zur Heiligung ihres Lebenswandels vor Gott, den sie in der Kraft des Hl. Geistes führen (vgl. 1 .Thess 4,3-7; 1. Kor 6,19f.; Rom 6,19.22). Schließlich zeigt Paulus wiederholt auf, daß der letzte Sinn der Sendung Jesu die Verherrlichung Gottes ist (Phil 2,11; 1. Kor 15,28; Rom 15,7). Da die paulinische Paraklese der Christologie folgt, ist es konsequent, daß Paulus in der Verherrlichung des einen Gottes, der die Welt geschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt hat und der als solcher der Vater Jesu Christi ist, auch das Ziel des Lebens all derer sieht, die Jesus Christus ihren Herrn nennen dürfen (vgl. 1. Kor 6,19f.; 10,31; Kol 3,17).

14,1-15,13: Gegenseitige A n n a h m e in der Gemeinde

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VII. 14,1-15,13: Gegenseitige Annahme in der Gemeinde Im letzten Teil seiner (exemplarischen) Gemeindeermahnung (Paraklese) kommt der Apostel auf einen die römischen Hausgemeinden belastenden Zwist zu sprechen, von dem er wahrscheinlich durch seine (in Kap. 16 genannten) Freunde informiert war. In den Gemeinden der Stadt Rom standen sich zwei Gruppen gegenüber, die der Apostel (ähnlich wie in 1. Kor 8,1-11,1) die im Glauben „Schwachen" (14,1; 15,1) und die im Glauben „Starken" (15,1) nennt. Zwischen beiden Gruppierungen gab es Streitigkeiten (14,1). Der Anlaß des Streites erscheint nur unter heutigen Gesichtspunkten geringfügig. Die Gruppe der sog. „Starken" hielt keine bestimmten Speisevorschriften ein. Sie gönnten sich — so sie es bezahlen konnten — Wein und Fleisch von den öffentlichen Märkten, und sie sahen auch keinen Grund für eine besondere Feiertagsheiligung; die Starken lebten inmitten ihrer einerseits jüdischen und andererseits heidnischen Umgebung in der Freiheit des Glaubens. Paulus gibt ihnen in dieser Position und Haltung sachlich recht (vgl. 14,14; 15,1 f.). Die Haltung der Schwachen war dagegen von bestimmten Vorschriften und Bedenken gekennzeichnet. Sie mieden Fleisch und Wein und unterschieden bestimmte Tage von anderen (14,5.21). Die Starken verachteten dieses Verhalten und wurden im Gegenzug von den Schwachen wegen ihres freiheitlichen Lebensstils verurteilt (14,3). In Rom standen sich also Anhänger einer freiheitlichpaulinischen und einer gesetzlich-asketischen Anschauung gegenüber. Wahrscheinlich ging es dabei um die z.Z. des Paulus noch höchst bedrängende Frage, wie rituell denkende und lebende Judenchristen mit Heidenchristen zusammenleben (und Tischgemeinschaft halten) können, die keine solchen Vorschriften kannten und beachteten. Daß die Judenchristen dabei auch Gesinnungsgenossen unter den bekehrten Heiden hatten, ist ebenso vorauszusetzen wie die Zugehörigkeit von Priska und Aquila (16,3) zum Lager der „Pauliner". Die rivalisierenden Positionen lassen sich also nicht streng ethnisch aufteilen, obwohl es im Kern jeweils um judenund heidenchristliche Belange ging. Auf die Existenz zweier sich in dieser Weise gegenüberstehender Gruppen deuten im Römerbrief selbst vor allem 11,13 ff. (vgl. mit 12,3.16) und 15,7-13 hin. In 11,13 ff. weist Paulus Heidenchristen zurecht, die ihre eigene Stellung vor Gott gegenüber den Juden illusionär überschätzen; in 15,7 ff. ruft der Apostel die Starken und Schwachen zur gegenseitigen Annahme auf und spricht in unmittelbarem Anschluß daran davon, daß Christus Gottes Verheißungstreue gegenüber „der Beschneidung" (d.h. den Juden) bestätigt habe, während „die Heiden" das Erbarmen Gottes erkennen und rühmen sollten, das für sie in und durch Christus zur Wirkung gekommen sei. In Rom 14,1-15,13 geht es also um die Frage, wie Juden(christen) und Heiden(christen) mit ihrem jeweils verschiedenen Glaubensund Lebensstil als Gemeindegenossen zusammenleben können. Das Problem als solches war nicht neu. Auf dem sog. Apostelkonzil hatte man (nach der paulinischen Darstellung in Gal 2,1-11) über die konkreten Fragen des Zusammenlebens und der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen nicht gesprochen. Uber dem Versuch des Jakobus und seiner Sendboten, in Antiochien nachträglich die Anweisungen des sog. Aposteldekrets (von Apg 15,20.28 f.) durch-

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zusetzen, war es zur Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus gekommen. Während Petrus und die Mehrheit der Judenchristen von Antiochien dem Vorschlag des Jakobus zustimmten, hatte Paulus ihn zurückgewiesen und war schließlich mit Silvanus zu selbständigen Missionsreisen aufgebrochen (s.o. S. 130). Im Nachgang hatten dann judenchristliche Gegenmissionare die Paulusgemeinden in Galatien davon zu überzeugen versucht, daß sie zusätzlich die Beschneidung, den jüdischen Festkalender und bestimmte gesetzliche Auflagen auf sich zu nehmen hätten, um der Segnungen des Abrahamsbundes in Christus wirklich teilhaftig zu werden (vgl. Gal 3,1 ff.; 4,9ff.; 5,2ff.). Damit nicht genug hatten auch in Philippi judenchristliche Gegenmissionare die Gemeinde mit bestimmten Vollkommenheitsforderungen beunruhigt und Paulus zu erbitterten Gegenreaktionen veranlaßt (Phil 3,2ff. 15.17ff.). Auch in Korinth war der Gegensatz zwischen den Starken und den Schwachen aufgebrochen, und zwar über der Frage, ob und unter welchen Umständen Christen an heidnischen Opfermahlzeiten teilnehmen oder auf dem Fleischmarkt feilgebotenes Fleisch essen dürften, obwohl die Tiere jeweils nicht rituell geschlachtet und ausgeblutet (vgl. Lev 17,12 ff.) und außerdem vor der Schlachtung heidnischen Gottheiten geweiht worden waren. Bei der Schlichtung dieser Streitfrage hatte Paulus zwar den Starken rechtgegeben, die beides aus christlicher Freiheit heraus für möglich hielten, zugleich aber unmißverständlich klargemacht, daß man um des angefochtenen Gewissens der schwachen Gemeindeglieder willen auf die Demonstration der eigenen Freiheit verzichten müsse ( 1. Kor 8,7 ff.; 10,23 ff.). Die Fragen, die das Aposteldekret unter Berufung auf die Mindestgebote der Tora (Gen 9; Lev 17-18) zu lösen versuchte, wurden vom Apostel also auf der Basis der Gewissensverpflichtung der Sta-ken zur Nächstenliebe entschieden, wobei sich Paulus als Musterbeispiel solchen Verhaltens anbot (vgl. 1. Kor 9,19 ff.). Die Problematik, deren wir in Rom 14 ansichtig werden, ist der Situation in Galatien und Korinth analog. Wahrscheinlich hat sie sogar direkt damit zu tun. Wie schon in der Einleitung dargestellt (s.o. S. 12 f.), war das vom römischen Kaiser Claudius im Jahre 49 erlassene Ausweisungsedikt gegen die Juden mit Beginn der Regierungszeit Neros (im Jahre 54 n.Chr.) ungültig geworden, so daß die Ausgewiesenen nach und nach in die Stadt zurückkehren konnten; unter ihnen befanden sich nicht nur Juden, sondern auch Judenchristen wie Priska und Aquila (vgl. Apg 18,2 f. mit Rom 16,3). Fünf Jahre lang(oder länger) hatten sich die Heidenchristen, die nicht unter das Edikt des Claudius gefallen waren, in R o m als die eigentlichen Platzhalter und Zeugen des christlichen Glaubens in der Welthauptstadt empfinden können. Nun kamen mit den seinerzeit vertriebenen Juden auch Judenchristen nach R o m zurück, die nach Korinth, Ephesus, Philippi usw. hatten ausweichen müssen. Sie hatten in den Jahren der Vertreibung nicht nur ihre angestammten jüdischen Sitten beibehalten und gepflegt, sondern nolens volens auch die Debatten miterlebt, die in jenen Jahren in all diesen Städten über das paulinsiche Evangelium und seine Auswirkungen geführt wurden. Die Rückkehrer brachten in den römischen Hausgemeinden die mittlerweile etablierten Heidenchristen schon mit ihren jüdischen Sitten in Verlegenheit. Sie reagierten aber auch auf die dem Apostel nach R o m voraneilende Kritik an seiner Evangeliumsverkündigung unterschiedlich. Priska und Aquila verfochten in ihrer Hausgemeinde vermutlich die

14,1-12: Ein Herr und Richter für Schwache und Starke

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Pauluslinie, andere aber waren gegen sie. Unter diesen Umständen mußte der Apostel in dem Zwist zwischen Starken und Schwachen sehr bedächtig vermitteln, um weder seine Freunde zu verprellen noch auch seinen Gegnern ungewollt Vorschub zu leisten. Er tut dies von derselben Position aus, die er schon in 1. Kor 8-10 eingenommen hatte und die ihm sein Evangelium vorgab.

1. 14,1-12: Ein Herr und Richter für Schwache und Starke 1 Den aber, der schwach ist im Glauben, nehmt an, ohne in Streitereien über Skrupel (zu verfallen)! 2 Der eine glaubt, alles essen zu können, der andere aber ist schwach und nimmt nur Gemüse zu sich. 3 Der, der ißt, soll den, der nicht ißt, nicht verachten; der aber, der nicht ißt, soll den, der ißt, nicht verurteilen, denn Gott hat ihn angenommen. 4 Wer bist du, der du einen fremden (Haus-)Sklaven richtest? Er steht oder fallt (doch) seinem eigenen Herrn; er wird aber Bestand haben, denn der Herr hat die Macht, (ihn) fest hinzustellen. 5 Der eine nämlich beurteilt einen Tag anders als den anderen, der andere aber beurteilt jeden Tag (gleich). Jeder (von beiden) soll in seiner eigenen Auffassung voll überzeugt sein. 6 Wer auf den (bestimmten) Tag bedacht ist, ist für den Herrn darauf bedacht; und wer (alles) ißt, ißt für den Herrn, denn er spricht das Dankgebet zu Gott; und wer nicht (alles) ißt, ißt für den Herrn nicht und spricht (auch) das Dankgebet zu Gott. 7 Keiner von uns lebt nämlich für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. 8 Denn wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn; wenn wir nun leben und wenn wir sterben, sind wir (Eigentum) des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und lebendig geworden, um sowohl über Tote als auch Lebende Herr zu sein. 10 Du aber, warum verurteilst du deinen Bruder? Oder auch du, warum verachtest du deinen Bruder? Alle werden wir doch stehen (müssen) vor dem Richtstuhl Gottes, 11 denn es steht geschrieben: „Ich lebe, spricht der Herr, denn mir wird sich beugen jedes Knie, und jede Zunge wird sich lobpreisend zu Gott bekennen". 12 Also (gilt) nun: Jeder von uns wird für sich selbst Rechenschaft ablegen müssen (vor) Gott. Vers 11: Jes 45,23.

Aufbau und Struktur des sorgfältig formulierten Abschnitts sind leicht zu erken- A nen. In V. 1 setzt der Apostel ein mit einer grundlegenden Weisung (die bereits auf 15,7 vorausweist). V. 2-4 und 5-6 sind parallel aufgebaut und stellen jeweils die beiden in Rom miteinander konkurrierenden Positionen so nebeneinander, daß beide gleichermaßen auf Christus bezogen bleiben. In V. 7-9 wird eben diese Bezogenheit thematisch herausgestellt. V. 10-11 beziehen sich auf V. 3a zurück und geben der Mahnung des Paulus endgerichtliche Perspektive. Sie wird in dem Lehrsatz von V. 12 abschließend zusammengefaßt. Zu Tradition und Vorstellungswelt des Abschnitts ist folgendes wissenswert: Wir kennen die Enthaltung von Fleisch und Wein bei verschiedenen antiken Gemeinschaften. Sie ist von den Pythagoräern ebenso geübt worden wie von den Anhängern hellenistischer Kulte. Philo schreibt sie den (uns sonst unbekannten) „Therapeuten" zu (VitCont 37), und Euseb von Cäsarea weiß sogar zu berichten, daß sich der Herrenbruder Jakobus des Fleischgenusses und aller alkoholischen

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

Getränke enthalten habe (Kirchengeschichte II 23,5). In unserem Zusammenhang ist der Bericht des Josephus (Vit 13-15) von besonderem Interesse, daß von dem römischen Prokurator Felix z.T.. Neros eine Gruppe jüdischer Priester gefangen nach Rom geschickt wurde und sie sich aus Repekt vor dem Ritualgesetz nur von aus dem Hl. Land mitgenommenen Feigen und Nüssen ernährten. Vergleicht man außerdem V. 5 f. mit Philos Auslegung des Gebotes der Sabbatheiligung in Decal 96-105, erkennt man, daß es sich bei der besonderen Wertung eines bestimmten Tages aller Wahrscheinlichkeit nach um den Sabbat (und damit zugleich um die Frage) gehandelt hat (ob und in welchem Maße das biblische Gebot der Feiertagsheiligung aus Ex 20,8-11 und Dtn5,12-15 auch für Christen Gültigkeit habe). Römische Autoren wie Tacitus verspotten und verachten die Juden wegen ihres Müßigganges an jedem siebten Tag (vgl. Hist V 4); trotz zahlreicher Festtage war den Römern ein religiös motivierter Arbeitsverzicht aller Volksschichten unbekannt. Paulus setzt seine Mahnungen von Kap. 13 fort, indem er nunmehr die „Starken" in Rom (vgl. 15,1) aufruft, den Gemeindegenossen, der schwach im Glauben ist, in brüderlicher Liebe anzunehmen und darauf zu verzichten, ihm wegen seiner skrupulösen Erwägungen kritische Vorhaltungen zu machen. Die Bezeichnung „schwach im Glauben" geht von der Voraussetzung aus, daß Glaubensstärke die eigentlich erwünschte Haltung ist; sie meint inhaltlich die Unsicherheit darüber, welche Reichweite und Bedeutung der Glaube an Christus für die religiöse Lebensgestaltung hat (vgl. ähnlich Mt 16,8). Die gegenseitige Annahme, zu der Paulus rät, hat ihr Vorbild in Jesu Verhalten gegenüber den Sündern (15,7) und war besonders jenen Judenchristen gegenüber angezeigt, di'?, wie oben (S. 196 f.) dargestellt, nach Jahren der Verbannung in die inzwischen heidenchristlich orientierten Hausgemeinden von Rom zurückkamen. Was zwischen dem Schwachen und dem Starken steht, ist die für Judenchristen höchst bedeutsame Frage, welche Speisen man zu sich nehmen darf und welche nicht, um sich nicht rituell zu verunreinigen. Die Starken sind in dieser Frage unbelastet und essen alles, während der Schwache sich auf vegetarische Nahrung beschränkt, also Fleisch meidet, das den Götzen geweiht worden ist und möglicherweise noch Blut enthält, dessen Verzehr Israel strikt untersagt ist (vgl. Lev 17, lOff.). Der Starke, der alles ißt, und der Schwache, der auf Fleischgenuß verzichtet, sollen es unterlassen, gegenseitig mit Verachtung oder Verurteilung zu reagieren. Gott hat den im Glauben noch schwachen Bruder angenommen; es handelt sich bei ihm um einen teuer aus der Macht der Sünde erkauften (1. Kor 6,20; Gal 4,5), nunmehr Christus persönlich gehörenden (Haus-)Sklaven. Diesen hat der Starke nicht zu kritisieren, weil er seinem eigenen Herrn verantwortlich ist, und zwar auf Gedeih und Verderb. Dieser Herr aber hat Macht genug, seinem Sklaven Halt zu verleihen und im Gericht zu ihm zu halten. - Parallel zu dem eben Gesagten bringt Paulus nun einen zweiten Differenzpunkt zwischen dem Starken und dem Schwachen zur Sprache. Es geht um das Bedachtsein auf einen bestimmten heiligen Tag (in der Woche). Das Problem stellte sich nicht nur in Rom, sondern, wie Gal 4,10 und Kol 2,16 zeigen, auch in anderen Paulusgemeinden. Deutlicher als dort läßt der Apostel in Rom 14,5ff. auch dem judenchristlichen Teil sein Recht. Wenn er in seinem Christus zugewandten Denken (12,2) zu

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der Überzeugung gelangt ist, daß seine Heiligung des (Sabbat-)Tages vor Gott gut und recht ist, ist dieser Standpunkt vor Gott ebenso akzeptabel wie der des Heidenchristen, der keinen Sabbat kennt und hält. Von einer an Ex 20,8 ff.; Dtn 5,12 ff. orientierten christlichen Feiertagsheiligung läßt unser Text noch nichts spüren (vgl. aber A p g 2 0 , 7 ) ; von einer schematischen Übernahme aller Dekaloggebote kann bei Paulus dementsprechend keine Rede sein! Paulus respektiert nur, daß der, 6 der den (Sabbat-)Tag besonders bedenkt, dies im Interesse und Dienste des Herrn tut. (Den Parallelgedanken, daß es sich genauso mit dem verhält, der keinen besonderen Feiertag während der W o c h e heiligt, tragen an unserer Stelle erst spätere Textüberlieferungen nach.) O b die Verfechter einer christlichen Sabbatheiligung in R o m am Sabbat speziell der Errettung der Glaubenden durch Christus gedacht haben, wissen wir leider nicht. Paulus übergeht die Frage und lenkt gleich zum Problem des Essens über. E r betont, daß der, der alle Speisen zu sich nimmt, dies ebenso im Interesse des Herrn tut wie der, der Fleisch meidet, weil beide über dem, was sie genießen, das Dankgebet sprechen. Während sich der Apostel über die Fragen einer besonderen christlichen Heiligung von Feiertagen ausschweigt, zeigt unsere Stelle sehr deutlich, daß er die Sitte des Dankgebetes über Speise (und Trank) nicht nur gekannt, sondern auch für wesentlich erachtet hat. Die von Paulus gutgeheißene und vom Urchristentum aus der jüdischen Tradition übernommene Sitte des Dankgebetes (vor und) nach dem Essen wurzelt in Dtn 8,10. Das Gebet richtet sich an G o t t und hatte (mindestens) folgende F o r m : „Gepriesen seist du, Herr, unser Gott, König der Welt, der die ganze Welt speist durch seine Güte! In Gnade, Liebe und Erbarmen gibt er Brot allem Fleisch, denn seine Gnade währet ewiglich. Nach seiner großen immerwährenden Güte hat er uns nicht mangeln lassen und möge er uns in Ewigkeit nicht mangeln lassen Speise um seines großen Namens willen. Denn er speist und versorgt alle und erweist Gutes allen und richtet Speise zu für alle seine Geschöpfe, die er geschaffen hat. Gepriesen seist du, Herr, der alle speist." (Bill IV/2,631) Die erste christliche Version eines Tischdankgebetes ist überliefert in Did 1 0 , 1 - 6 ; auch hier ist die Danksagung — genauso wie Paulus es in V . 6 voraussetzt — an Gott gerichtet. Das Dankgebet heiligt die genossenen Speisen (1. T i m 4 , 4 - 5 ) und nimmt auf diese Weise den Kontrahenten den Anlaß, einander um ihrer Speisen willen vor Gott anzuschuldigen. — Nachdem Christus für „die Vielen" in den T o d gegangen ist und auferweckt wurde, gibt es für die Christen keinen Grund und auch keine Möglichkeit mehr, ohne Rücksicht auf die Glaubensgenossen zu leben und zu sterben. Im Leben und imTode sind und bleiben die Glaubenden ihrem Herrn zugeordnet und sein (teuer erworbenes) Eigentum (vgl. V. 4). Die Sendung Jesu in den T o d und seine in der Erhöhung zur Rechten Gottes gipfeinde Auferweckung haben ihn nach Gottes Willen zum „ H e r r n " über Lebende und T o t e gemacht (vgl. Phil 2 , 6 - 1 1 ; R o m 10,6-10). In 1. Thess 4 , 1 4 f f . ermöglicht eben diese Glaubenserkenntnis dem Apostel, die um das vorzeitige Sterben von Mitchristen besorgten Christen von Thessalonich zu trösten. In unserem Zusammenhang stemmt sich Paulus mit ihrer Hilfe gegen die gegenseitige Entfremdung der streitenden Parteien in den römischen Hausgemeinden. Mit betonter Anrede an jeden, der in den Streit verwickelt ist, verwehrt der Apostel (dem Schwachen) das

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Richten und (dem Starken) die Verachtung des jeweils anderen. Da beide alsbald (vgl. 13,11) vor den Richtstuhl Gottes treten müssen und dort ihr Urteil empfangen werden, haben sie keinen Anlaß, einander vorzeitig abzuqualifizieren. Während Paulus in 2. Kor 5,10 von dem „Richtstuhl Christi" spricht und auch in Rom 2,16 von dem Gericht Gottes durch Christus Jesus schreibt, ist hier in V. 10 nur vom „Richtstuhl Gottes" die Rede. Dies hat in Offb 20,11 ff. eine Parallele, doch lassen sich die Gerichtsprophetie aus Offb 20,4-15 und die paulinischen Aussagen über das Endgericht (trotz unverkennbarer Verwandtschaft!) nicht einfach in Einklang bringen (s.o. S. 44). Da der Apostel in Rom 8,33 f. von Gott als dem Richter und von Christus als dem zu seiner Rechten sitzenden Fürsprecher und Verteidiger der Glaubenden spricht, wird man auch unseren Vers in diesem Sinne deuten dürfen. 11 Dafür spricht auch das anschließende Zitat aus Jes 45,23. Paulus leitet es mit der im Alten Testament mehrfach vorkommenden Einleitungsformel: „Ich lebe, spricht der H e r r . . . " ein (vgl. z.B. Jes 49,18; Jer 22,24; Ez 5,11); dies ist ein typisches Kennzeichen dafür, daß der Apostel beim Briefdiktat aus dem Gedächtnis, d.h. so zitiert, wie es unter jüdischen Lehrern der Hl. Schrift üblich war. In Phil 2,10f. wird dasselbe Zitat auf das Werk des erhöhten Christus bezogen. Dies macht es wahrscheinlich, daß Paulus auch hier in V. lOf. an das Jüngste Gericht denkt, bei dem Christus im Auftrag Gottes tätig ist (vgl. 2,16): Er hat das All Gott, seinem Vater, zu unterwerfen und zum Lobpreis des einen Gottes, der alles in allem sein soll, zu führen (vgl. l . K o r 15,25-28). Das Ziel des Endgerichts ist also ein positives, nämlich die Durchsetzung und Aufrichtung der vollendeten Gottesherrschaft. 12 Nach dem Gesagten gilt also: Jeder einzelne Glaubende wird vor dem Richterstuhl Gottes Rechenschaft für sein Tun und Lassen ablegen müssen. Das macht alles vorzeitige Richten in der Gemeinde entbehrlich (vgl. 12,19f.), erhöht aber die gegenseitige Verantwortlichkeit vor dem Christus, der als der Versöhner zugleich der himmlische Herr, Anwalt und Richter der Gemeindeglieder ist.

2. 14,13-23: Erbauung der Gemeinde

durch

Rücksicht

13 Laßt uns also einander nicht mehr verurteilen! Sondern richtet vielmehr euer Urteil darauf, dem Bruder keinen Anstoß oder Ärgernis zu geben. 14 Ich weiß und bin im Herrn Jesus davon überzeugt, daß nichts aus sich selbst heraus unrein ist, nur dem, der etwas für unrein erachtet, für den ist es unrein. 15 Denn wenn dein Bruder um (d)einer Speise willen Kummer leidet, wandelst du nicht mehr der Liebe entsprechend. Richte durch deine Speise nicht den zugrunde, für den Christus gestorben ist. 16 Es soll doch euer Gutes nicht verlästert werden! 17 Denn die Herrschaft Gottes besteht nicht in Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist. 18 Denn wer darin dem Christus dient, ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen angesehen. — 19 Wir jagen also nun dem nach, was dem Frieden dient und der gegenseitigen Erbauung. 20 Zerstöre nicht aus Essensgründen das Werk Gottes! Es ist zwar alles rein. Aber es ist schlimm für den Menschen, der (es) unter Anstoß ißt. 21 Es ist gut, kein Fleisch zu essen und auch keinen Wein zu trinken und überhaupt nichts, woran dein Bruder Anstoß nimmt. 22 Habe du den Glauben, den du hast, für dich

14,13-23: E r b a u u n g der G e m e i n d e durch Rücksicht

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selbst vor Gott. Wohl dem, der sich nicht selbst verurteilen muß, in dem was er für gut befindet. 23 Wer aber Skrupel hat, hat sich, wenn er ißt, schon die Verurteilung zugezogen, weil (er) nicht aus Glauben heraus (handelt). Alles aber, was nicht aus Glauben heraus (getan wird), ist Sünde. In V. 19 haben wir, dem ältesten und besten griechischen Text folgend, den Indikativ übersetzt; die Mehrzahl der späteren Textzeugen liest aber den Kohortativ: „Laßt uns also nun dem nachjagen... " , der sich dem Fluß der paulinischen Argumentation leichter einzufügen scheint. Eben dies aber läßt erkennen, daß der spätere Text eine Variante darstellt, die den seltsam erscheinenden Indikativ dem Textganzen gemäß umformt. Paulus argumentiert in zwei parallelen Abschnitten: V. 13-18 und V. 19-23. V. 13 schließt an 14,10-12 an und stellt die beide Abschnitte zusammenhaltende Weisung auf, dem Bruder keinen Glaubensanstoß zu bereiten. Sie wird in V. 14-18 begründet und weiter entfaltet. V. 19 resümiert und wird von V. 20 an unter Wiederholung der in V. 14 geäußerten Uberzeugung in einer weiteren Reihe von Mahnungen aufgefächert; diese wird durch V. 23 abgerundet, der sich in der Ausdrucksweise bewußt auf 14,1-2 zurückbezieht. Aus dem, was Paulus in 14,10-12 ausgeführt hat, folgt zwingend, daß es nicht Sache der Gemeindeglieder sein kann und darf, einander (vor dem nahen Endgericht) zu verurteilen. Von V. 5 und 10 her ist diese Mahnung nicht nur an die Schwachen gerichtet, die mit dem Richten angefangen haben, sondern an Schwache und Starke gleichermaßen. Rhetorisch wirkungsvoll fährt der Apostel dann aber mit einer Mahnung fort, die sich an die Starken richtet: Das kritische Augenmerk ist darauf zu richten, dem (schwachen) Mitbruder in der Gemeinde durch die eigene Haltung keinen Glaubensanstoß oder gar Ärgernis zu bereiten, die ihn in seinem Glauben zu Fall bringen. Paulus verlangt von den Starken nicht, ihre Glaubenseinsicht aufzugeben. Vielmehr bestärkt er sie noch einmal in ihrer Position, indem er genauso kühn wie Jesus und wohl auch gestützt auf die Jesustradition von Mk 7,15 Par. klarmacht, daß seiner eigenen (für einen ehemaligen Pharisäer revolutionären!) apostolischen Uberzeugung nach nichts an sich selbst unrein ist. Diese Uberzeugung gilt „im Herrn Jesus", d.h. überall dort, wo Jesus als Herr bekannt wird und Glauben gefunden hat. In der Gemeinde Christi sind die alten, jüdisch tiefgreifenden Unterscheidungen von rein und unrein aufgehoben (vgl. 13,14 und Gal 3,27 f.). Nur für den sind gewisse Speisen noch unrein, der sie (aus Gewohnheit und Erziehung heraus) für unrein hält. Diese Auffassung macht den Schwachen in seinem Glaubensstand verletzlich, und eben dies hat der Starke rücksichtsvoll zu bedenken. Wenn er mit dem Essen von angeblich unreiner Speise den schwachen Bruder im Glauben irre macht, wandelt er nicht gemäß der Liebe, die dem Nächsten nichts Böses tut (13,10); der Starke darf durch die Wahl seiner Speisen nicht den im Gewissen zugrunderichten, für den Christus in den Tod gegangen ist. Was die Gemeinde durch Christus an Gutem, d. h. an Heil und Gotteserkenntnis, gewonnen hat, darf nicht der Verlästerung preisgegeben werden! Von 1. Kor 10,30 und Rom 3,8 her könnte damit die innergemeindliche Kritik der Schwachen am Verhalten der Starken gemeint sein; der Sprachgebrauch von Rom 2,24 läßt aber eher an

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

eine Warnung des Apostels denken, die Gemeinde und das von ihr gewonnene Heil nicht durch den anstößigen Streit von Starken und Schwachen vor den Augen und Ohren der Ungläubigen in Verruf zu bringen. Versteht man so, schließt sich besonders gut an, was Paulus in V. 17 f. schreibt. Der Apostel benutzt das die Jesusverkündigung prägende Stichwort „Gottesherrschaft" oder auch „Reich Gottes" verhältnismäßig selten: Durch die Erlösungstat Gottes in und durch Christus sind die Glaubenden der Macht der Finsternis entrissen, unter die Herrschaft des gekreuzigten und auferstandenen Gottessohn gestellt (Kol 1,13) und sehen ihrer Anteilschaft an Gottes kommendem Reich entgegen. Übeltäter werden die Gottesherrschaft nicht ererben (Gal 5,21; Eph 5,5), sondern nur die, die durch Christus in der Heiligung stehen (1. Kor 6,9ff.). Diese Redeweise gehört in den Zusammenhang der urchristlichen Taufermahnung. Von ihr her gewinnt auch die geschliffene Sentenz unseres Textes guten Sinn. Sie erinnert in der Formulierung an 1. Kor 4,20 und besagt, daß nicht demonstrativ freimütiges Essen und Trinken Kennzeichen christlicher Anwartschaft auf die Gottesherrschaft, geschweige denn Vorschein dieser Herrschaft in der Lebenswirklichkeit der Gemeinde Christi sind, sondern nur Gerechtigkeit, Friede und Freude in der Kraft des Hl. Geistes. „Gerechtigkeit" meint dabei die von den Gemeindegliedern gelebte Gemeinschaftstreue, „Friede" ihr aller Zwietracht abholdes gegenseitiges Verhalten und „Freude" die heitere Gelassenheit, mit der in der Gemeinde Heimsuchungen gemeinsam durchgestanden werden und dem in Bälde kommenden Herrn entgegengesehen wird (vgl. Phil 2,17 f.; 3,1 ; 4,4). Als „Früchte des Geistes" (Gal 5,22) machen alle drei Verhaltensweisen deutlich, daß der allmächtige Gott schon in der Gemeind e v e r s a m m l u n g ) gegenwärtig ist (vgl. l . K o r 14,25). Wer in der Kraft des Hl. Geistes „dem Christus" (vgl. 15,3.7) Gottes dient und in Gerechtigkeit, Friede und Freude lebt, findet vor (dem Gerichtsthron) Gott(es) Wohlgefallen und unter den Menschen, die die Gemeinde umgeben, Anerkennung. Es kommt dem Apostel sehr darauf an, daß die Gemeinde mit ihrem Lebensstil ein Beispiel abgibt, das auf die Ungläubigen nicht abschreckend, sondern einladend und einleuchtend wirkt (vgl. Phil 2,15; 2. Kor 8,21). Entsprechend fährt Paulus fort. Wie schon in 12,(3-8) 9-21 und im vorangehenden Text noch einmal ausgeführt, sollen die Christen in dem gegenseitigen Frieden ein ihrem Glaubensstand entsprechendes (vgl. 5,1) erstrebenswertes Gut sehen, dem sie „nachjagen", d.h. um das sie sich nach Kräften bemühen (vgl. zum Ausdruck Ps34,15; l . P e t r 3 , 1 1 und Hebr 12,14). Gleichermaßen sollen sie um die wechselseitige „Erbauung" der Gemeinde bemüht sein. Der Apostel bezeichnet die Gemeinde Christi gelegentlich als den (durch die Verkündigung der Apostel errichteten) „Bau Gottes" (vgl. 1. Kor 3,5-15). Entsprechend nennt er ein der Förderung des Gemeindelebens und der Stärkung des Glaubens geltendes Tun „Erbauung' ' der Gemeinde (vgl. l.Thess5,11; l . K o r 8,1; 14,3-5; Eph 4,12). Das Gegenteil von „Erbauung" ist das „Niederreißen" oder „Zerstören". Unter Wiederholung der schon in V. 14f. geäußerten Mahnung warnt der Apostel (den Starken) noch einmal davor, um (s)einer Speise willen „das (Bau-)Werk Gottes", d.h. die Gemeinde als ganze (1. Kor 9,1) und den in und durch Christus neugewordenen einzelnen Glaubenden in ihr (vgl. 2. Kor 5,17; Kol 3,10f.), zugrundezurichten. Das Essen des

15,1-6: Selbstverzicht nach dem Vorbild Christi

203

Starken kann den Schwachen am Christusglauben irremachen, und eben dies darf im Leibe Christi nicht geschehen. U m dem (schwachen) Glaubensgenossen keinen 21 Anstoß zu bieten, ist es geboten, auf Fleisch, auf Wein (der auf Opferfesten oder vor dem Verkauf durch eine Trankspende fremden Göttern geweiht worden ist) und jegliche andere Nahrung, die dem Schwachen zum Glaubenshindernis werden kann (vgl. z.B. Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21), zu verzichten. Der Starke kann und soll 22 seines Glaubens leben, sofern es ihn selbst vor Gott betrifft, und er ist wohl dran, wenn er sich in seinem Verhalten und seiner Essenssitte keines Vergehens bewußt ist. Bei einer Gemeindemahlzeit hat er also auf den Schwachen Rücksicht zu nehmen, in seinem eigenen Hause ist er frei, vgl. 1. Kor 10,27; 11,22. Umgekehrt zieht 23 sich der, der unter Skrupeln angeblich unreine Speisen zu sich nimmt, das Gerichtsurteil Gottes zu, weil er nicht aus Glauben heraus handelt. Alles Tun, das nicht aus dem Glauben heraus geschieht oder in ihm gründet, ist Sünde, weil und indem es von anderen Umständen, Vorschriften oder Erfordernissen bestimmt ist, als sie vom Bekenntnis zu Christus, dem Herrn (vgl. 1. Kor 12,3; Rom 10,9f.), her noch maßgeblich sein dürfen. Der Satz hat für Paulus grundsätzliche Bedeutung. Zunächst ist zwar der Schwache im Blick: Wenn er trotz seiner Gewissensskrupel ißt, was er für unrein hält, vergeht er sich an dem von ihm für gültig erachteten Willen Gottes, und eben das ist Sünde. Aber auch der Starke ist angesprochen: Sünde wäre und ist es, wenn er den im Glauben noch ungefestigten Bruder nötigt, seinem eigenen Beispiel zu folgen, oder gar seine (heidenchristliche) Freiheit demonstriert, um den Schwachen (Judenchristen) in seinem beschränkten Kleinmut vorzuführen. Solches Verhalten verstößt gegen die von Christus gelehrte und gelebte Liebe. 3. 15,1-6: Selbstverzicht nach dem Vorbild

Christi

1 Wir aber, die Starken, sind verpflichtet, die Schwächen der Schwachen zu tragen und nicht uns selbst zu gefallen. 2 Jeder von uns soll dem Nächsten gefallen zum Guten, zur Erbauung (der Gemeinde). 3 Denn auch der Christus hat nicht sich selbst gefallen, sondern wie geschrieben steht: „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen." 4 Denn was im voraus geschrieben wurde, wurde alles zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Geduld und durch den Trost der Schriften die Hoffnung behalten. 5 Der Gott der Geduld und des Trostes aber gebe euch, untereinander auf ein und dasselbe bedacht zu sein, wie es Christus Jesus entspricht, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, preist. Vers 3: ft 69,10.

In V. 1 und 2 faßt Paulus seine Ermahnung an die Starken vollends zusammen A und begründet sie in V. 3 durch Verweis auf das in der Schrift vorgezeichnete Verhalten Christi. Das Schriftzitat veranlaßt ihn zu einer in V. 4 folgenden Grundsatzbemerkung über den Nutzen der Schrift für die christliche Gemeinde, und V. 5 f. bieten einen der ganzen Gemeinde (aus Starken und Schwachen) geltenden, Gott um den Geist der Eintracht bittenden Segenswunsch. Was Paulus in V. 4 zur Bedeutung des Alten Testaments für die Gemeinde Jesu Christi schreibt, war nicht nur seine eigene Uberzeugung und die seiner Schule (vgl.

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12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

1. Kor 10,11; 2. Tim 3,14-16), sondern der ganzen Urchristenheit (vgl. Lk 24,44 f.; Joh 5,39; Hebr 1,1 f.). Es hat im Schriftgebrauch der Essener vom Toten Meer eine sehr interessante Analogie. Auch in dieser jüdischen Ordensgemeinschaft wurden aus einem besonderen Bewußtsein der Erwählung und Begabung mit dem Hl. Geist heraus die Schriften der Propheten, Psalmen und Texte aus den fünf Büchern Mose unmittelbar und speziell auf Leben und Lehre der „Gemeinschaft" bezogen (vgl. z.B. den Habakukkommentar aus Höhle 1 oder den Kommentar zu Ps 37 aus Höhle 4 von Qumran am Toten Meer). Da im Mittelpunkt der urchristlichen und paulinischen Schriftauslegung ebenfalls Propheten-, Psalmen- und Toratexte stehen, ist die Parallelität von essenischer und urchristlicher Auslegung des Alten Testaments offenkundig. Der entscheidende Unterschied besteht in der von den Essenern nicht mitvollzogenen, christlich aber entscheidenden Beziehung der „Schriften" auf Gottes Heilswerk durch Christus. Paulus stellt sich nunmehr unzweideutig auf die Seite der „Starken", denen er zuvor schon in 14,14 ostentativ beigepflichtet hatte. Als einer von ihnen und zusammen mit ihnen betont er nunmehr ihre gemeinsame Verpflichtung, die Schwächen und Begrenztheiten der Schwachen zu ertragen und mitzutragen. Sache der Starken darf es in der Gemeinde nicht sein, sich nur selbst zu Gefallen zu leben, sondern den Schwachen gegenüber das „Gesetz Christi" (vgl. Gal 6,2) zu erfüllen. Wie Paulus es selbst vielfach vorgelebt und den Korinthern geschrieben hat (vgl. 1. Kor 9,19 ff.; 10,33), gilt es auch hier: Jeder Starke ist von Christus her dazu verpflichtet, so zu leben, daß es für den Nächsten förderlich ist und diesen ebenso wie die Gemeinde insgesamt auferbaut. Solches Verhalten gründet in Jesu Weisung und Vorbild. Der Apostel nennt Jesus hier (wie in 9,5 und 14,18) „den Christus", hebt also auf den Jesus von Gott übertragenen messianischen Auftrag ab, in seiner Sendung und kraft seines Opferganges Israel und den Heiden das Heil zu bringen (vgl. 1. Kor 15,3-5; Rom 1,3 f.; 15,7ff.). Auf seinem Weg in die Tiefe des Leidens war sich der Gottessohn nicht zu gut dafür, die Schmach zu leiden, die der Gerechte nach Ps 69,10 auf sich zu nehmen hat. Die Schmähungen der Gottlosen, die Gott schmähen, haben den Gottessohn getroffen (vgl. Mk 15,32). Dieses große Vorbild von Selbstverzicht und Entäußerung kann und muß den Starken Anlaß sein, ihrerseits im Umgang mit den schwachen christlichen Brüdern Selbstverzicht zu üben. Auf das Beispiel des sich selbst entäußernden Christus verweist der Apostel auch sonst (vgl. 2. Kor 8,9; Phil 2,5ff.). Ps 69 ist (zusammen mit Ps 22) der Psalm, mit dessen Hilfe das Urchristentum den Leidensweg Jesu gedeutet hat (vgl. M t 27,34; Joh 2,17; Hebr 13,12 f.). Auch Paulus steht in dieser Tradition und schließt deshalb an das Zitat aus Ps 69,10 eine Bemerkung an, die die Bedeutung „der Schriften" (d.h. des von den Christen später so genannten „Alten Testaments") für die christliche Gemeinde grundsätzlich herausstellt. Was Gott in den Hl. Schriften im voraus durch die Wirkung seines Geistes angekündigt und geschrieben hat (vgl. 1,2; 16,26; 2. Tim 3,15 f.), darf von der vom Hl. Geist beseelten christlichen Gemeinde (vgl. 1. Kor 2, lOff.) als Belehrung gelesen werden, die den an Christus Glaubenden gilt. Für sie wird in den alttestamentlichen „Schriften" die auf Jesus, sein Werk und das von ihm angeführte „Israel Gottes" (Gal 6,16) weisende Stimme des lebendigen Gottes vernehmbar, und dementsprechend darf und kann die Gemeinde Christi die

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15,7-13: Gegenseitige Annahme der Angenommenen

Hl. Schriften von Jesus her auf sich, ihren Weg und Gottes Zukunft mit der Welt beziehen. Schriftauslegung heißt für die Christen Gegenwartsorientierung im Lichte dessen, was Gott ihnen durch das geschriebene prophetische Wort seiner Zeugen zu erkennen gibt. Die tröstliche Mahnung der Schrift hilft ihnen, Leiden in Geduld zu tragen (vgl. Jak 5,11) und die Hoffnung auf die Erlösung sowie die endzeitliche Ankunft (Parusie) des Christus festzuhalten (vgl. 5,3-5; 8,23-25). Im konkreten Fall, um den es dem Apostel in 14,1-15,13 geht, heißt das: Bedenken des Leidensweges Christi, der Jesus aus der Herrlichkeit in die Schwachheit und aus der Schwachheit zum Leben aus der Macht Gottes heraus führte (2.Kor 13,4; Phil 2,6-11), und zwar im Lichte der Schrift, kann die (starken) Christen in der Hoffnung bestärken, auf ihrem Weg der geduldigen Selbstentäußerung selbst von Gott angenommen zu werden und dann in den Ps 69,31 ff. vorgezeichneten Dankesjubel des erretteten Gerechten einstimmen zu dürfen. Das Gotteslob aber ist nicht nur Sache einzelner in der Gemeinde. Vielmehr äußert Paulus den Gebetswunsch, daß der Gott, der denen, die auf ihn hoffen, Geduld verleiht (vgl. die griechische Ubersetzung von Ps 62,6 und 71,5) und tröstliche Ermutigung gewährt (vgl. 2. Kor 1,3), den Christen von Rom schenkt, untereinander auf ein und dasselbe bedacht zu sein, und zwar so wie es Christi Vorbild und Willen entspricht (vgl. Phil 2,2 ff.). Auf diese Weise wird es unter ihnen zum einmütigen Lob des einen Gottes kommen, der für die Christengemeinde der Vater ihres Herrn Jesus Christus ist (vgl. zu dieser Gottesbezeichnung 2.Kor 1,3; Kol 1,3; Eph 1,3; l.Petr 1,3 usw.). Worauf das Gotteslob gerichtet sein soll und wie es begründet ist, machen die folgenden Verse deutlich.

4. 15,7-13: Gegenseitige Annahme der

Angenommenen

7 Darum: Nehmet einander an, gleichwie auch der Christus euch angenommen hat, zur Verherrlichung Gottes. 8 Ich sage nämlich: Christus ist zum Diener der Beschneidung geworden um der Vertrauenswürdigkeit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen; 9 die Heidenvölker aber sollen Gott preisen um (seines) Erbarmens willen, wie geschrieben steht: „Deshalb will ich dich lobpreisend bekennen unter den Völkern und deinem Namen lobsingen", 10 und wiederum heißt es: „Frohlocket, ihr Völker, zusammen mit seinem Volk", 11 und wiederum: „Lobet den Herrn, alle Heidenvölker, und es sollen ihm Lob darbringen alle Völker", 12 und wiederum sagt Jesaja: „Es wird erstehen der Wurzelsproß Isais und der, der aufsteht, um über die Völker zu herrschen; auf ihn werden die Völker hoffen". 13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, auf daß ihr an Hoffnung überreich werdet in der Kraft des Heiligen Geistes. Vers 9 •. Ps 18, Í0; 2. Sam 22, SO;

Vers 10: Dtn 32,43;

Vers 11: Ps 117,1;

Vers 12 -.Jes 11,10.

V. 7 nimmt die Mahnung von 14,1 wieder auf und verbindet sie mit der schon in 14,3.7-9.15 angeführten soteriologischen Begründung. In V. 8-12 wird der Weisung des Apostels das heilsgeschichtliche Fundament gegeben; dabei verwendet Paulus eine Kette von Schriftzitaten aus den Psalmen, der Tora und dem Propheten

206

Β 7

8

9

10.11

12

12,1-15,13: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde

Jesaja, die durch das Stichwort „(die) Heiden" miteinander verbunden sind. V. 13 schließt die Paraklese mit einem V. 5f. fortführenden Segenswunsch ab. Indem Paulus in V. 9-12 „die Schriften" ausführlich zitiert, und zwar vor allem nach der griechischen Ubersetzung des Alten Testaments, dokumentiert er (ebenso deutlich wie in Rom 9-11), was ihm das Alte Testament bedeutet: Es ist das lebendige Gotteswort, das die Gegenwart der Gemeinde bestimmt und erhellt (vgl. 15,4). Paulus ruft die Starken und Schwachen abschließend noch einmal auf, einander gegenseitig „anzunehmen". Er hat diese Mahnung schon in 14,1 ausgesprochen und in 14,3.7-9.15 und 15,3 deutlich gemacht, worin sie begründet ist. Jetzt fügt er Mahnung und Begründung direkt zusammen. Christus, der Messias, hat die römischen Christen alle „angenommen", ob sie nun zu den Starken zählen oder zu den Schwachen. Das meint: Er hat ihnen allen durch seinen Sühnetod zur Rechtfertigung und zum „Frieden mit Gott" verholfen (vgl. 5,1). Deshalb sind sie nun auch verpflichtet, einander als Glaubensbrüder anzunehmen und gelten zu lassen (vgl. Mk 10,42-45 Par.). Dem irdischen Jesus ist durch pharisäische Gegner der Vorwurf gemacht worden: „Der da nimmt die Sünder an und ißt gemeinsam mit ihnen!" (Lk 15,2 vgl. mit Mt 9,11). Jetzt faßt der ehemalige Pharisäer Paulus eben diese Anschuldigung positiv und bezeichnet mit ihr die Quintessenz des Versöhnungswerkesjesu. Es ist zwar für den Apostel nicht zweifelhaft, daß Jesus sein Werk auf Erden zur Ehre Gottes vollbracht hat und bis zum Ende seiner messianischen Sendung weiter der Verherrlichung Gottes dienen wird (vgl. Phil 2,11; 1. Kor 15,25-28); in unserem Textzusammenhang ist aber die Wendung „zur Verherrlichung" wahrscheinlich auf die gegenseitige Annahme der römischen Christen zu beziehen. V. 5 f. legen dies ebenso nahe wie V. 9.11 und 13. Die ihnen abverlangte Gegenseitigkeit ist Teil des leibhaftigen Gottesdienstes, zu dem sie aufgerufen sind (12,1 f.), und soll so der Verherrlichung Gottes dienen (vgl. Kol 3,16f.). Um Juden- und Heidenchristen vollends zusammenzuführen, stellt Paulus das Versöhnungswerk Jesu nunmehr in weiten heilsgeschichtlichen Raum. Jesus war und ist zuerst und vor allem Messias und Versöhner für Israel. Er hat „der Beschneidung" durch seine Sendung und Lebenshingabe gedient (vgl. Mk 10,45) und eben damit dokumentiert, daß Gott seinen den Vätern (Israels) gegebenen (messianischen) Verheißung treu geblieben ist; das Evangelium gilt von daher zuerst den Juden (1,16), und ganz Israel wird der Verheißung gemäß durch Christus zur Rettung gelangen (11,25 ff.). Die Judenchristen von R o m sollen dies erkennen und Gott dafür danken und preisen. In diesen Lobpreis sollen und dürfen aber auch die Heiden(christen) einstimmen, weil Gott ihnen aus freier Gnade heraus in Christus sein Erbarmen erwiesen und sie des Heils mit teilhaftig gemacht hat, das Israel verheißen war und bleibt. Der Lobpreis der Heiden über das ihnen unverdient und unverhofft in Christus zugewandte Erbarmen Gottes entspricht der vom Psalmisten in Ps 18,50 (2. Sam 22,50) und Ps 117,1 im voraus (vgl. V 4 ) niedergeschriebenen und von der Tora in Dtn 32,43 unterstützten Aufforderung an alle Heiden, gemeinsam mit dem Gottesvolk Israel den Herrn zu preisen. Das Gotteslob der Heiden entspricht aber auch und nicht zuletzt der von Jesaja (in Jes 11,10) ausgesprochenen messianischen Verheißung. Der kommende „Wurzelsproß" (vgl. Sir 47,22) aus der von Davids Vater Isai (vgl. 1. Sam 16,5 ff.) begrün-

15,14-16,27: Briefschluß

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deten Davidssippe soll nicht nur der Heilskönig für Israel allein, sondern auch der von den Heiden erhoffte Herrscher aller Heidenvölker sein. In Jesu Sendung, Opfergang und Erhöhung zur Rechten Gottes hat diese Verheißung ihre Erfüllung gefunden (vgl. 1,3 f.; 9,32 f.), und in der Parusie des Christus vom Zion her wird sie sich vollenden (vgl. 11,26 f.). Die gegenseitige Annahme und das gemeinsame, Gott für die Sendung und den Opfergang seines Sohnes dankende Gotteslob von Judenund Heidenchristen in Rom nimmt in gewissem Sinne den Lobgesang der durch Christus erlösten Heilsgemeinde der Endzeit aus Juden und Heiden voraus. Ent- 13 sprechend schließt Paulus seine Paraklese mit dem Gebetswunsch, daß der Gott, der die Hoffnung der Gemeinde auf Erlösung in und durch Christus geweckt hat und vollends erfüllen wird, die Christen von Rom ganz und gar mit geistlicher Freude und Eintracht im gemeinsamen Glauben erfüllen möge, auf daß sie in der Kraft des Hl. Geistes übervoll werden an Hoffnung auf den baldigen Anbruch der von Christus, dem Messias Israels und Herrn der Welt, heraufgeführten endgültigen Herrschaft Gottes (vgl. 14,17). In dem nunmehr abgeschlossenen Teil seiner Paraklese hat der Apostel weder seinen Parteigängern in Rom nach dem Munde geredet, noch auch den Judenchristen in einer Weise widersprochen, die seine Gegner in ihrer Pauluskritik bestätigt hätte. Er hat vielmehr in einer konkreten Problemlage, in der die Christen von Rom standen, aus der Freiheit des Evangeliums heraus eine Mahnung ausgesprochen, die beiden Gruppen einiges zumutet und den größeren Verzicht den Starken abverlangt. So aber entspricht es dem Vorbild Christi und der eigenen Haltung des Apostels auf seinen Missionsreisen (vgl. 1. Kor 9,19 ff.). Der Apostel hat sich also nichts vergeben. Der dritte Briefteil insgesamt ist grundsätzlich und zugleich praktisch gehalten gewesen; die in ihm exemplarisch entfaltete Paraklese ist ein Wesensbestandteil des paulinischen Evangeliums. Der jetzt noch folgende ausführliche Briefschluß ist von der Frage bestimmt, wie Paulus die ihm aufgetragene Evangeliumsverkündigung unter den Heiden mit Hilfe der Christen von Rom zu Ende führen kann.

15,14-16,27: Briefschluß

Paulus bringt nunmehr seinen Brief zum Abschluß. Dabei kommt er zuerst noch einmal auf die schon zu Beginn seines Schreibens angeschnittenen Fragen nach seiner apostolischen Sendung (15,14-21) und der Absicht seines Besuches in Rom zurück und eröffnet den Christen von Rom nunmehr in aller Form seinen Wunsch, von ihnen aus und mit ihrer Hilfe das Evangelium bis nach Spanien zu tragen (15,22-24). Anschließend berichtet er von seinem unmittelbar bevorstehenden Besuch in Jerusalem, bittet die Römer um ihre Fürbitte, damit er das ihm auf dem Apostelkonzil aufgetragene Werk der Kollekte der Heidenchristen für Jerusalem

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15,14-16,27: Briefschluß

glücklich zu Ende bringen kann (15,25-32), dann schließt er mit einem ersten Segenswunsch (15,33). Es folgen die Empfehlung der Phoebe, die (wahrscheinlich) den Römerbrief überbracht hat, und eine ausführliche Grußliste an alle diejenigen, die Paulus in Rom kennt (16,1-16). Abschließend warnt Paulus die römischen Christen noch einmal ausdrücklich vor den nach Rom vordringenden Irrlehrern (16,17-20), fügt die Grüße seiner Mitarbeiter an (16,21-23) und beendet sein Schreiben mit einem kunstvoll geformten, dem Präskript seines Briefes genau entsprechenden Lobpreis (16,25-27). Der Briefschluß ist für das Verständnis des Apostels und seiner Mission ausgesprochen interessant. Er bietet aber auch eine ganze Reihe von Auslegungsproblemen, die von Fall zu Fall zu behandeln sind. Der Schluß des Briefes macht vollends deutlich, daß der Römerbrief ein Schreiben ist, mit dem der Apostel die Christen von Rom bewegen will, ihm in der Sache seines Evangeliums zuzustimmen und die Unterstützung zu gewähren, die er benötigt, um seine apostolische Sendung zu den Heiden zum Ziel zu führen. Wie er „von Jerusalem aus" (15,19) den Osten der Mittelmeerwelt missioniert hat, will er nunmehr von Rom aus in den Westen vordringen, und eben diese zweite Phase seines Wirkens als Apostel Jesu Christi leitet der Römerbrief ein. Zum „Testament des Paulus" (G. Bornkamm) ist er erst dadurch geworden, daß der Apostel bei der Überbringung der Kollekte in Jerusalem seine Freiheit und in der Folge davon auch sein Leben verlor, die geplante Spanienmission also nicht mehr zustandegekommen ist.

I. 15,14-21: Der Dienst des Heidenapostels 14 Gerade auch ich, meine Brüder, bin in Hinsicht auf euch überzeugt davon, daß auch ihr voller Güte seid, erfüllt mit aller Erkenntnis und imstande, euch gegenseitig zurechtzuweisen. 15 Gleichwohl habe ich euch teilweise recht kühn geschrieben als einer, der euch erinnert wegen der mir von Gott verliehenen Gnade, 16 ein Diener Christi Jesu für die Heiden zu sein, der das Evangelium Gottes priesterlich verwaltet, damit die Darbringung der Heiden wohlgefällig, geheiligt durch den Heiligen Geist sei. 17 Also habe ich den Ruhm in Christus Jesus vor Gott. 18 Denn ich werde mir nicht herausnehmen, etwas zu sagen, was nicht Christus durch mich gewirkt hat zum Gehorsam der Heiden, mit Wort und Tat, 19 in der Kraft von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes Gottes. Dementsprechend habe ich von Jerusalem aus und im Umkreis bis nach Illyrien das Evangelium von Christus zur Entfaltung gebracht, 20 aber so, daß ich meine Ehre darin gesehen habe, das Evangelium zu verkündigen, wo der Name Christus noch nicht genannt wurde, damit ich nicht auf fremdem Fundament baue, 21 sondern so, wie es geschrieben steht: „Denen noch nicht über ihn verkündet wurde, die sollen schauen, und die noch nicht gehört haben, sollen Einsicht gewinnen". Vers 21: Jes S2,1

A

In V. 14 und 15 führt Paulus aus, weshalb er den geistlich selbständigen Christen von Rom so freimütig geschrieben hat, wie er es tat, und weist zur Begründung auf

15,14-21: Der Dienst des Heidenapostels

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die ihm von Gott verliehene Gnade der apostolischen Sendung hin. Wie er dann in V. 16-19 weiter ausführt, ist ihm durch Christus der vor Gott ruhmvolle Auftrag zuteilgeworden, das Evangelium Gottes von Jerusalem aus im ganzen Osten der Mittelmeerwelt mit dem Ziele zu verkündigen, die Heiden zum Glaubensgehorsam zu führen. Der Apostel fügt in V. 20 f. hinzu, daß er dabei jeweils Pioniermission geübt und nicht anderen nachmissioniert habe. Mindestens diese Bemerkung, aber auch schon die Ausdrucksweise von V. 17ff. machen deutlich, daß Paulus sich abgrenzt gegen die Meinung derer, die ihm keinen Ruhm vor Gott zubilligen und es auch mit dem Missionsverfahren anders halten als er. Auf diese Weise erklärt sich auch die von Gal 1,15-20 her höchst erstaunliche Aussage, Paulus habe das ihm aufgetragene Evangelium „von Jerusalem aus" verkündigt: In Jerusalem sind einst auf dem sog. Apostelkonzil die Aufgabenbereiche und Grenzen der Juden- und Heidenmission abgesteckt worden (vgl. Gal 2,6-10). Der Apostel nimmt für sich in Anspruch, eben diese Abmachungen eingehalten zu haben, und zwar mit Einschluß der Kollekte „für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem" (vgl. unten V. 26). Diejenigen, die ihm den Rang streitig machen und von Galatien an ständig in den Paulusgemeinden auftauchen (vgl. 2. Kor 10,14 f.) und die paulinische Verkündigung korrigieren und ergänzen wollen, die Gegenmissionare also (s.o. S. 130), sie und nicht er haben es illegitimerweise anders gehalten. Wir werden in unserem Abschnitt also wieder der Front ansichtig, gegen die sich Paulus im Römerbrief durchgängig verteidigt, und die zunächst so grundsätzlich erscheinende Äußerung zum paulinischen Apostolat und Missionswerk in V. 15 ff. gewinnt (wieder) ganz praktischen briefstellerischen Sinn. Nachdem er seine Paraklese beendet hat, macht Paulus vor den Christen von Rom noch eine Verbeugung. Schon in 1,8 hat er ihren in der ganzen Welt bekannten guten Glaubensstand gerühmt, und nun versichert er ihnen erneut, daß sie seiner Uberzeugung nach durchaus auch in der Lage sind, sich kraft der sie beseelenden Güte und ihrer geistlichen Erkenntnis selbst zurechtzufinden und (im Falle von Konflikten auch) zurechtzuweisen. Im Grunde bedürfen sie also der Ermahnung des Apostels nicht. Daß er sie gleichwohl „teilweise recht kühn" ermahnt (vgl. nur 3,8; 6,19; 11,13 ff.; 12,3 und besonders 14,1-15,13) und an das erinnert hat, was sie als getaufte Christen über Gott, Christus, das Evangelium, Gesetz, Gericht usw. bereits wissen konnten (vgl. z.B. 2,2; 3,19.29f.; 6,3ff.; 7,1.14; 8,22.28f.; 13,11 ff.; 15,4), ist in dem göttlichen Gnadenauftrag begründet, den Paulus durch Christus erteilt bekommen hat (vgl. 1,5). Er darf und soll sein ein „Diener Christi Jesu für die Heiden". Für „Diener" gebraucht der Apostel hier dasselbe Wort wie in 13,6. Es bezeichnet sowohl in der griechischen Ubersetzung des Alten Testaments als auch im Neuen Testament den Bediensteten eines Menschen (Jos 1,1 v.l.; 2. Sam 13,18; 1. Kön 10,5; Phil 2,25), aber auch spezieller den Priester, der im Tempel Dienst tut (Neh 10,40; Sir 7,30; Hebr 8,2). In Jes 61,6 wird übertragen davon gesprochen, daß alle Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes „Priester des Herrn" heißen sollen; das Neue Testament hat das übernommen (vgl. Offb 1,6; 20,6; Hebr 13,15f.; Rom 12,1 f.; 1. Petr 2,5). Die in unserem Text folgenden Worte „priesterlich verwalten" und „(Opfer-)Darbringung der Heiden" lassen keinen Zweifel daran, daß Paulus den speziellen Auftrag, den er als Apostel Jesu Christi in dem endzeitlichen

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15,14-16,27: Briefschluß

Gottesvolk der durch Jesu Opfertod Geheiligten und ins Priestertum aller Gläubigen Berufenen erhalten hat, als geistlichen Priesterdienst beschreibt (vgl. ebenso in 1,9 und Phil 2,17). Er hat nicht mehr, wie die diensttuenden Leviten und Priester im Jerusalemer Tempel, für die geordnete Darbringung materieller Opfer zu sorgen (vgl. z.B. Ex 30,20; N u m 8,22; 16,9; 18,6ff.), sondern ihm ist die Liturgie, der er zu folgen hat, durch das Evangelium vorgegeben. Die Opferdarbringung, die ihm aufgetragen ist, besteht in der Darbringung der zum Christusglauben bekehrten, durch den Opfertod Christi und den Empfang des Hl. Geistes geheiligten und so Gott wohlgefälligen Heiden. Paulus hat also von dem ihn beauftragenden Herrn her ein spezielles Amt vor Gott, dessen er sich rühmen darf, und diesen Ruhm braucht er sich von nichts und niemandem streitig machen zu lassen (vgl. 1. Kor 9,15-18). Auch seine Amtsführung war und ist untadelig. Was immer er bisher in Wort und Tat ausgerichtet hat, um die Heiden in den Gehorsam gegenüber Christus, ihrem Herrn, zu stellen, ist Resultat der Paulus bestimmenden Kraft des auferstandenen Christus (vgl. Gal 2,20). Er hat das Evangelium bezeugt und die für einen Apostel Jesu Christi kennzeichnenden Taten und Wunder getan, d.h. er hat Glauben gewirkt, Gemeinden begründet und Heilungen vollbracht (vgl. 1. Kor 2,4f.; 2. Kor 12,12; Apg 5,12; 14,3; 15,12). Und mehr noch: Paulus hat den ihm in Gottes endzeitlichem Heilsplan mit der Welt zuerkannten Auftrag, das Evangelium zur vollen Entfaltung zu bringen (vgl. M k 13,10), wahrgenommen, wie es der gemeinsamen apostolischen Ubereinkunft zwischen den „Säulen" Jakobus, Petrus, Johannes auf der einen und Barnabas und Paulus auf der anderen Seite in Jerusalem entspricht (Gal 2,6-10), nämlich von dem heilsgeschichtlichen Vorort (auch) der christlichen Heilsgemeinde, Jerusalem, ausgehend bis nach Illyrien. Illyrien (Dalmatien) grenzt an das von Paulus mit seinen Missionsreisen nach Philippi und Thessalonich missionierte Mazedonien an. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß der Apostel selbst „nur" in der römischen Kolonie Philippi und in den Provinzhauptstädten Ephesus, Thessalonich, Korinth missioniert, die Mission im Umkreis und Hinterland aber jeweils seinen Mitarbeitern und den neubegründeten Gemeinden überlassen hat, stellt die hier von Paulus geographisch ganz knapp umrissene Erfüllung seines Sendungsauftrages eine ungeheure Arbeitsleistung dar. Sie erscheint umso größer, je mehr man die antiken Reisebedingungen und Lebensumstände bedenkt. Der Apostel hat seine Mission in den weltweiten Dimensionen von Gottes heilsgeschichtlichem Plan mit Heiden und Juden begriffen, und er hat sich wirklich mehr als alle anderen Apostel abgemüht (1. Kor 15,10), die von Gott vorherbestimmte „Vollzahl der Heiden" noch vor der Erlösung ganz Israels der endzeitlichen Heilsgemeinde zuzuführen (vgl. 11,25). Paulus gibt über Reichweite und Bedeutung seiner apostolischen Sendung nicht Rechenschaft, ohne ausdrücklich und erklärend hinzuzufügen, daß er bei all seinem missionarischen Wirken seine Ehre stets darin gesehen habe, das Evangelium nur dort zu verkündigen, wo der Name Christi noch nicht genannt worden sei. Auf ein Fundament zu bauen, das andere Missionare schon vor ihm gelegt haben, war (und ist) nicht Art des Apostels! Ihm ist vielmehr der Auftrag zuteilgeworden, die Botschaft vom Gottesknecht Jesus Christus unter denen auszurichten, „denen man noch nie davon verkündigt hat" (Jes 52,15; vgl. 66,19). Erneut klingt die globale Missionskonzeption des Apo-

15,22-24: Ü b e r R o m nach Spanien

211

stels an und wird gleichzeitig ein klarer Trennstrich gegenüber all denen gezogen, die Paulus ständig nachreisen und meinen, die Paulusverkündigung nachbessern zu sollen (vgl. 2. Kor 10,13 ff. u.o. S. 11.130). Vor dieser Art von Menschen wird der Apostel die Christen von Rom in 16,17-18 noch einmal ausdrücklich warnen. Jetzt aber faßt er zunächst sein missionsstrategisch nächstes Ziel ins Auge: Uber und mit Hilfe Roms nach Spanien vorzudringen.

II. 15,22-24: Über Rom nach Spanien 22 Daher bin ich auch die vielen Male gehindert worden, zu euch zu kommen. 23 Jetzt aber habe ich keinen Raum mehr in diesen Gegenden, habe aber schon seit vielen Jahren Sehnsucht, zu euch zu kommen, 24 sobald ich nach Spanien reise. Ich hoffe nämlich, euch auf der Durchreise zu sehen und von euch dorthin weitergeleitet zu werden, wenn ich mich zuvor habe einigermaßen an euch erfreuen können. V. 22 schließt mit „daher" an V. 14-21 an und führt das bereits in 1,13 ff. angeschnittene Thema der Reise des Apostels nach Rom neu ein. In V. 23 f. behandelt Paulus dieses Thema und macht seine Adressaten „fast beiläufig" (U. Wilckens) mit dem eigentlichen Anliegen seines bevorstehenden Rombesuches vertraut. Für die umstrittene Frage nach dem Abfassungszweck des Römerbriefes (s. o. S. 13 ff.) sind unsere Verse deshalb von besonderer Bedeutung. Sie stellen endgültig klar, daß der Apostel in Rom nicht etwa entgegen seinem in V 2 0 f . feierlich vorgetragenen Grundsatz, nur dort Christus zu verkündigen, wo noch niemand vor ihm missioniert habe, Mission mit dem Evangelium treiben, sondern wirklich nur mit den Christen von Rom geistliche Gemeinschaft pflegen will, um getragen von dieser Gemeinschaft anschließend weiterzureisen nach Spanien. Schon in 1,12 f. hatte sich Paulus in dieser Richtung geäußert und hinzugefügt, ursprünglich habe er zwar weiterreichende Pläne gehabt und auch in Rom als erster das Evangelium verkündigen wollen, aber er sei von Gott daran gehindert worden (1,13-15). Jetzt wiederholt er das eingangs Gesagte. Was er den römischen Christen im Römerbrief vorgetragen hat, ist nur „Erinnerung" an das, was sie schon von anderen Missionaren erfahren haben (V. 15); und was er von ihnen erhofft, ist das Geleit nach Spanien, nachdem sie und er sich ganz über dem Evangelium gefunden haben. Der Römerbrief will die Voraussetzung für diese Gemeinschaft schaffen und damit zugleich die Pioniermission des Paulus im Westen der Mittelmeerwelt vorbereiten. Seine vielfältigen Aufgaben haben Paulus bisher daran gehindert, über Mazedonien und Achaia hinaus nach Rom vorzustoßen, und er bemüht sich noch einmal, den Römern sein bisheriges Ausbleiben verständlich zu machen. Wie schon in 1,13 benützt er dabei wieder eine passivische Formulierung, die anzeigt, daß die Behinderung von Gott ausgegangen ist und nicht vom Apostel selbst. Er wollte schon längst nach Rom kommen und sieht nun endlich die Gelegenheit dazu vor sich, weil er in den Gegenden zwischen Jerusalem und Illyrien (vgl. V. 19) keinen Raum mehr für die ihm aufgetragene Erstlingsmission unter den Heiden sieht. In jenen Gegen-

A

Β 22

23

212

15,14-16,27: Der Briefschluß

24 den hat er getan, was ihm aufgetragen war. Nunmehr will er weiter bis nach Spanien vorstoßen. Die Straße von Gibraltar galt z.T.. des Paulus als die Grenze der (Mittelmeer-)Welt (1. Clem 5,7). Nachdem seine Missionsaufgaben im Osten dieser Welt erfüllt sind, drängt der Apostel weiter nach Westen, d.h. „bis ans Ende der Welt" (vgl. 10,18). Nimmt man diese Äußerung mit V. 19 zusammen, steht man vollends vor dem Konzept der paulinischen Weltmission. Paulus will als der von Gott durch Christus berufene Apostel der Heiden nach Spanien vordringen, um auf diese Weise der Erlösung ganz Israels und der Parusie des Christus vom Zion her den Weg zu bereiten (vgl. 11,13 ff.). Seine Mission ist von der apokalyptischen Hoffnung getragen, einer der missionarischen Wegbereiter der Erlösung für Heiden und Juden sein zu dürfen (E. Käsemann). Rom soll für den Apostel nur Zwischenstation sein, allerdings eine sehr bedeutsame: Nachdem er sich mit den Christen von Rom geistlich verständigt, ihnen das ihm Mögliche mitgeteilt und von ihnen zur Genüge Trost und Erbauung erfahren hat (vgl. unseren Vers mit 1,12), erhofft er sich das Reisegeleit nach Spanien. Bedenkt man die enormen Kosten, die die paulinische Weltmission (auch bei bescheidenem persönlichen Aufwand und dem Bemühen des Apostels, seinen Lebensunterhalt möglichst aus eigener Hände Arbeit heraus zu bestreiten, vgl. 1. Kor 9,6; 2. Kor 11,7; Phil 4,10-18) mit ihrem riesigen Reiseprogramm und dem vom Apostel dabei beschäftigten Mitarbeiterstab gemacht hat, erkennt man, was mit „Reisegeleit" konkret gemeint ist (vgl. dazu auch 16,23). Die Christen von Rom sollen Paulus mit ihren Verbindungen, ihrem Geld und u.U. auch durch die Entsendung von mit Paulus zusammenarbeitenden Missionsgehilfen helfen, bis nach Spanien voranzukommen. Paulus läßt das zwar nur erst anklingen, aber er wagt es doch schon, seine Wünsche und tiefergehenden Absichten bei der angekündigten Romreise zum Ausdruck zu bringen. Rom soll für Paulus der Standort werden, von dem aus er seine Heidenmission zum Abschluß bringt.

III. Ii, 23-33: Die Kollektenreise

nach

Jerusalem

25 Jetzt aber breche ich auf (zur Reise) nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen. 26 Denn Mazedonien und Achaia haben beschlossen, (gemeinsam) einen Beitrag zu leisten für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem. 2 7 Sie haben nämlich den Beschluß gefaßt und stehen (ja) auch in ihrer Schuld: Denn wenn die Heidenvölker an ihren geistlichen Gütern Anteil gewonnen haben, dann sind sie auch verpflichtet, ihnen mit fleischlichen Gütern zu dienen. 28 Wenn ich dies nun zum Abschluß gebracht und ihnen diesen Ertrag versiegelt übergeben habe, werde ich über euch nach Spanien weiterziehen. 29 Ich weiß aber, daß ich, wenn ich zu euch komme, in der Fülle des Segens Christi kommen werde. 30 Ich bitte euch aber, Brüder, (getragen) durch unseren Herrn Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes, zusammen mit mir in euren Bittgebeten für mich dafür zu kämpfen, 31 daß ich errettet werde vor den Ungehorsamen in Judäa und (daß) mein Dienst für Jerusalem den Heiligen (dort) wohlgefällig sei, 32 damit ich dann vermöge des Willens Gottes in Freude zu euch kommen und mich zusammen mit euch erholen kann. - 33 Der Gott aber des Friedens (sei) mit euch allen. Amen.

15,25-33: Die Kollektenreise nach Jerusalem

213

Der Text hängt unmittelbar mit V. 22-24 zusammen. Im Eingangssatz, der paral- A lei zu V. 23 formuliert ist, informiert Paulus die römischen Christen von seinem unmittelbar bevorstehenden Aufbruch nach Jerusalem und begründet diesen dann in V. 26f. inhaltlich. In V. 28f. kommt er auf seine Spanienreise und den angekündigten Besuch in Rom zurück. In V. 30-32 bittet er seine Adressaten in einer an 12,1 erinnernden Form um ihre geistliche Mithilfe und Fürbitte für den bevorstehenden Jerusalembesuch und den gesegneten Abschluß des Kollektenwerks. V. 33 schließt die Ausführungen mit einem Segenswunsch ab. Nachdem die Urgemeinde von Jerusalem in Ermangelung dauernder eigener Einkünfte und wegen der Palästina zwischen 46 und 48 n. Chr. heimsuchenden Hungersnöte (vgl. Josephus, Ant 20,101) in wirtschaftliche Bedrängnis geraten war (Apg 11,27-29), hatten Barnabas und Paulus auf dem Jerusalemer Apostelkonzil im Jahre 48 n. Chr. die Verpflichtung übernommen, im Verlaufe der ihnen übertragenen Heidenmission „der Armen zu gedenken", d.h. der Muttergemeinde durch eine Geldsammlung unter den Heidenchristen zu helfen, die den Gemeindearmen in Jerusalem zugutekommen sollte (Gal 2,10). Paulus fügt schon im Galaterbrief hinzu, er sei um diese Sammlung eifrig bemüht gewesen. Wie bemüht er war, dokumentieren 2. Kor 8 und 9. Wir haben in diesen beiden Kapiteln zwei Spendenaufrufe vor uns, in denen Paulus die Gemeinde von Korinth (Kap. 8) und die Gemeinden in Achaia insgesamt (Kap. 9), an die der 2. Korintherbrief mitadressiert ist (2. Kor 1,1), bittet, die ihnen bereits angekündigte Sammlung nunmehr vollends durchzuführen und zu Ende zu bringen. Er weist dabei hin auf die in Mazedonien (d.h. vor allem in Philippi und Thessalonich) bereits mit erstaunlich gutem Resultat erfolgte Spendensammlung. In Rom 15,26f. gibt er nun zu erkennen, daß die Kollekte auch in Achaia zum Abschluß gekommen ist. Er stellt sie den Römern in der sakralrechtlichen Dimension dar, die sie für Paulus (wahrscheinlich) von Anfang an gehabt hat: Von Jerusalem ist das Evangelium ausgegangen (vgl. 15,19) und hat den Heidenchristen die endzeitliche Errettung eröffnet. Diese geistliche Gnadengabe verpflichtet ihre Empfänger, den notleidenden Christen in Jerusalem beizustehen. Denn Jerusalem mit der Urgemeinde ist nicht nur die Stadt der Kreuzigung und Auferweckung Jesu, sondern wird auch die Stätte seiner Parusie vom Zion her sein (vgl. 11,26). Die Verpflichtung der Heidenchristen gegenüber der Urgemeinde ist geistlicher Art und gerade deshalb vor Gott bindend; ihre Erfüllung ist mehr als nur eine Sache der Barmherzigkeit und Nächstenliebe. In und mit der Kollekte wenden sich die (Herzen der) Heiden(-Christen) sichtbar dem Zion zu, wie es in Jes 2,3; Mi 4,2 verheißen ist, und mit ihnen strömen auch die Schätze der Völker in die Gottesstadt zurück (vgl. Jes 60,5 ff.). Und mehr noch! Nach 2. Kor 9,12-14 erhofft sich Paulus für die Stunde der Entgegennahme der Beisteuer in Jerusalem Dankgebete der dortigen Christen, in denen die geistliche Gemeinschaft von Juden- und Heidenchristen vor Gott zum Ausdruck kommt. Weil das Kollektenwerk für den Apostel letztlich die Glaubensgemeinschaft zwischen Heiden- und Judenchristen erweisen soll, liegt ihm daran, das gesammelte Geld, ordnungsgemäß versiegelt, persönlich in Jerusalem zu übergeben und erst dann zur Mission in den Westen aufzubrechen. V. 30-32 verraten, daß Paulus seiner Reise nach Jerusalem mit gewisser Sorge entgegensieht. Der Widerstand weiter Teile der Judenschaft gegen seine Per-

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15,14-16,27: Briefschluß

son und sein Werk war Paulus wohlbekannt (vgl. Apg9,23-30; 2. Kor 11,24 und Rom 10,16; 11,13 f.), und in Jerusalem drohten dem zu Christus abgefallenen ehemaligen Musterpharisäer besondere Nachstellungen. Paulus war sich aber nach all den Auseinandersetzungen, die es seit dem Apostelkonzil zwischen ihm und judenchristlichen Gegnern gegeben hatte (s.o. S. 130), offenbar auch nicht mehr sicher, in welchem Maße „seine" Kollekte den Christen in Jerusalem willkommen sein würde. Apg21,18ff. zeigen, daß es in dieser Hinsicht tatsächlich Probleme gegeben hat. Eben deshalb bittet Paulus die Christen von Rom, sich in ihren Gebeten nach Kräften für das Gelingen seines Vorhabens einzusetzen. Wenn die in der ganzen Christenheit wohlangesehenen Adressaten, nach der Lektüre des Römerbriefes von der guten Sache des Apostels überzeugt, sich außerdem noch bei ihren christlichen Freunden in Jerusalem für Paulus verwendeten, wäre er dafür gewiß auch dankbar. Der faktische Ausgang der Jerusalemreise, über den von Apg 21,27 an berichtet wird, zeigt, wie berechtigt die Sorgen des Paulus waren. Da man die konkrete Frontstellung, in der der Römerbrief steht, in der Forschung oft unterschätzt hat, hat man V. 31 verschiedentlich zum Anlaß genommen, im Römerbrief den Entwurf einer Apologie des paulinischen Evangeliums zu sehen, die ihren eigentlichen Adressaten in den Jerusalemer Judenchristen hat und von Paulus gleichsam nur zusätzlich auch den Christen von Rom bekanntgemacht wird (J. Jervell u.a.). So wenig zu bestreiten ist, daß der Apostel bei dem Diktat seines Briefes in Korinth immer wieder auch daran gedacht haben wird, mit welchen Argumenten er seinen judenchristlichen Kritikern in Jerusalem gegenübertreten könnte, so sehr erscheint der Grundgedanke, im Römerbrief sei faktisch ein Brief nach Jerusalem zu sehen, überzogen. Da der Apostel mit Jakobus niemals gebrochen oder sich von den Jerusalemer Judenchristen distanziert hat, wäre es für ihn im Bedarfsfalle durchaus möglich gewesen, direkt nach Jerusalem zu schreiben ohne den seltsamen Umweg einer indirekten Mitteilung seiner Apologie nach Rom zu gehen (vgl. zum Problem auch o. S. 9 ff.). Paulus informiert die Christen von Rom nun auch davon, daß er im Begriff ist, nach Jerusalem aufzubrechen und den Heiligen dort einen seiner Meinung nach wichtigen Dienst zu tun. Die Christen in Mazedonien und Achaia haben auf Betreiben des Apostels den Beschluß gefaßt, eine Beisteuer für die Gemeindearmen in Jerusalem einzusammeln. Dieser Entschluß ist darin begründet, daß sie als Heidenchristen der Urgemeinde von Jerusalem geistlich tief und fest verpflichtet sind. Sie haben durch das von Jerusalem ausgehende Evangelium an den geistlichen Schätzen der Muttergemeinde Anteil gewonnen und sind dementsprechend vor Gott verpflichtet, den Brüdern und Schwestern in Jerusalem wenigstens mit den irdischen Mitteln zu dienen, die diese benötigen. Die Beisteuer, die zusammengekommen ist, soll eine sichtbare Dokumentation der geistlichen Gemeinschaft sein, die zwischen Jerusalem und den heidenchristlichen Gemeinden besteht und bestehenbleiben muß, wenn diese ihre heilsgeschichtlichen Wurzeln nicht durchtrennen wollen, die in der gemeinsamen Abrahamskindschaft bestehen (vgl. 11,16 ff.). Wenn Paulus das ihm (und Barnabas) schon auf dem Apostelkonzil aufgetragene Werk der Kollekte (vgl. Gal 2,10) in Jerusalem persönlich zu einem guten Ende gebracht und die ihm anvertrauten Gelder ordnungsgemäß übergeben hat, schließt

Exkurs X V : Gehört Kap. 16 zum Römerbrief ?

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sich zeichenhaft der Ring: Paulus ist mit dem Evangelium von Jerusalem ausgegangen und mit dessen Ertrag in die Gottesstadt zurückgekehrt (vgl. V. 19). Anschließend kann er dann auch daran denken, über die Zwischenstation Rom nach Spanien weiterzuziehen (s.o. V. 24). Der Apostel ist überzeugt davon, daß er dann nach Rom kommen wird in der Segensfülle der sichtbar unter Beweis gestellten Einheit der Heilsgemeinde aus Heiden- und Judenchristen, die denselben einen Gott und Herrn anbetet (vgl. 2. Kor 9,12-14). Damit alles so kommt, hat der Apostel eine konkrete Bitte an seine Adressaten. Er äußert sie nicht minder dringlich als seine in 12,1 einsetzende programmatische Paraklese insgesamt, nämlich getragen von der Autorität des ihn bestimmenden auferstandenen Herrn und der ihn erfüllenden geistlichen Liebe zu Gott und allen Glaubensgeschwistern (Gal 2,20; l.Kor 13; Rom 5,5). Die Christen von Rom sollen zusammen mit Paulus in ihren Fürbittgebeten vor Gott für Paulus und seine Sache kämpfen, damit er bei seiner Reise verschont bleibt von den Nachstellungen der in Judäa und Jerusalem dem Evangelium nicht gehorchenden Juden und damit die Kollekte von den dortigen Heiligen (d.h. Christen) auch wohlgefällig angenommen wird. Beide Gebetsanliegen verraten, daß Paulus Verfolgungen durch die Judenschaft befürchtet und daß er von Widerständen gegen sein Werk in den Reihen der Jerusalemer Urgemeinde weiß. Da die Beziehungen der römischen Christen zur Muttergemeinde in Jerusalem wahrscheinlich schon z.Z. des Paulus gut waren, mißt er ihrer Fürbitte (und vielleicht auch praktischen Verwendung für Paulus in Jerusalem) große Bedeutung zu. Paulus möchte den einst übernommenen Auftrag zur Kollekte der Heiden gern zu einem geistlich guten Abschluß führen und dann in der Freude über das vollendete Werk nach Rom kommen, um sich zusammen mit den Römern (von den Strapazen, die dann hinter ihm liegen werden) zu erholen. Daß ihm dies nur kraft des guten Willens Gottes zuteilwerden wird, fügt er, wie schon in 1,10, ausdrücklich hinzu (vgl. Jak 4,15), — Paulus ist damit am Ende seiner brieflichen Erörterungen angelangt. Wie in seinen anderen Briefen schließt er deshalb mit einem Segenswunsch, der zu den Schlußgrüßen überleitet (vgl. l.Thess5,23; 2. Kor 13,11; Phil 4,9 und 2. Thess 3,16). Der Apostel gebraucht die jüdische Bezeichnung „Gott des Friedens" (TestDan 5,2) gern (vgl. 16,20; 2.Kor 13,11; Phil 4,9; l.Thess 5,23); sie steht auch Hebr 13,20. In unserem Zusammenhang meint sie dies: Gott, der für die Glaubenden Grund und Quelle allen Friedens ist, weil er sie mit sich versöhnt hat (5,1.11 ), möge mit allen Gliedern der (Haus-)Gemeinde(n) sein und sie geleiten. Paulus bekräftigt diesen Segenswunsch mit seinem „Amen", d.h. der gläubigen Versicherung: So möge es sein und gelten!

Exkurs XV: Gehört Kap. 16 zum Römerbrief? Die Frage, ob der Apostel in einem Brief an ihm persönlich noch unbekannte Christengemeinden in Rom so viele Mitchristen grüßen lassen könne, wie dies in Rom 16 geschieht, und der Umstand, daß uns in den Anfangsjahrhunderten der Kirche verschieden lange Fassungen des Römerbriefes bezeugt sind, machen das 16. Kapitel des Römerbriefes zu einem besonderen Problem: Es ist zu klären, ob

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15,14-16,27: Briefschluß

Kap. 16 ein ursprünglicher Bestandteil des Römerbriefes ist oder ob wir eine nachträgliche Ergänzung des Briefes vor uns haben. Man hat in diesem Zusammenhang vermutet, daß es sich bei Kap. 16 um ein (nach Ephesus adressiertes) Empfehlungsschreiben für die Patronin Phoebe (16,1 f.) gehandelt habe, das erst von späteren Abschreibern des griechischen Textes zum Bestandteil des Römerbriefes gemacht worden sei. Da Paulus jahrelang in Ephesus missioniert hat, ist es sehr gut verständlich, daß er in Ephesus eine ganze Reihe von Mitchristen grüßen läßt, während eben diese Grüße im Römerbrief aufs erste befremden. Faßt man die komplizierten Befunde der griechischen Textüberlieferung zusammen, lassen sich drei Fassungen des Römerbriefes erkennen: Die uns aus allen ökumenischen Bibelausgaben der Gegenwart vertraute Langfassung ( = R o m 1 - 1 6 ) wird von den besten, uns vor allem aus Ägypten erhaltenen Textzeugen (dem sog. Sinaiticus, dem Vaticanus, dem Kodex Ephraemi Syri rescriptus, dem Kodex Claromontanus usw.) geboten. Eine Kurzfassung des Römerbriefes, die nur die Kapitel 1-14 enthalten hat, wird von dem Kirchenvater Orígenes auf den kleinasiatischen Reeder Markion und seine Sonderkirche zurückgeführt (vgl. den Römerbriefkommentar des Orígenes, VII 453 Lommatzsch); sie war aber nicht nur unter den Anhängern Markions verbreitet. Schließlich bietet der um 200 n.Chr. anzusetzende Papyrus 46 eine zunächst nur Rom 1-15 umfassende Version des Römerbriefes; in 15,33 wird das abschließende Amen weggelassen und statt dessen der Lobspruch aus Rom 16,25-27 (mit Amen) angefügt. Dann erst folgen R o m 16,1-23, wobei es sich offenbar um einen Nachtrag handelt. Versucht man diese drei Fassungen in eine textgeschichtlich sinnvolle Beziehung zueinander zu setzen, ergibt sich folgende Lösung: Am Anfang steht die Langfassung des Briefes, die Rom 1-16 umfaßt. Sie ist von Markion aus sachlichen Gründen um zwei Kapitel gekürzt worden, so daß ein Römerbrief entstand, der nur aus Kap. 1-14 bestand. Diese Kurzfassung ist dann nach und nach wieder ergänzt worden, und zwar zunächst um Kapitel 15. Diesen Stand der Dinge spiegelt der Papyrus 46, ohne daß er in der Textüberlieferung tiefere Spuren hinterlassen hätte. Schließlich ist die ganze Länge des Briefes wiederhergestellt worden, nur daß jetzt der Kap. 16 beschließende Lobspruch ( = 16,25-27) entweder zweimal erschien, nämlich nach Kap. 14 und 16 (so. z.B. im Kodex Alexandrinus), oder nur nach Kap. 14 und mit einem auf 16,23 folgenden anderen Segenswunsch: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus (sei) mit euch allen. A m e n " (16,24), wie es die große Mehrzahl der im altkirchlichen Gebrauch befindlichen Abschriften des Briefes bezeugt. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist, daß die historisch authentische Fassung des Römerbriefes in dem 1 , 1 - 1 6 , 2 7 umfassenden Langtext (ohne 16,24) vorliegt. Gehen wir von ihr aus, erübrigen sich alle komplizierten Hypothesen über eine nachträgliche Ergänzung des Römerbriefes, die ohnehin nur schwer zu begründen sind. Wir haben dann in R o m 16 eine Liste von Empfehlungen und Grüßen zu sehen, die tatsächlich nach R o m adressiert waren, und zwar von Anfang an. So erklärt sich auch am besten die in einem Schreiben nach Ephesus kaum erklärliche Tatsache, daß Paulus seine Empfehlungen und G r ü ß e nicht direkt ausspricht (wie seine Mitarbeiter in 16,21-23), sondern den Betroffenen die G r ü ß e nur über die Briefempfänger ausrichten läßt (vgl. so auch in Kol 4 , 1 5 und zur Sache u. S. 220).

16,3-16: Grußliste

217

IV. 16,1-2: Empfehlung für die Phoebe 1 Ich empfehle euch aber Phoebe, unsere Schwester, die in der Gemeinde von Kenchreä den (Fürsorge-)Dienst versieht, 2 damit ihr sie aufnehmt im Herrn, wie es sich für die Heiligen gebührt, und ihr beisteht in jeder Angelegenheit, in der sie euch braucht. Denn auch sie ist Patronin für viele geworden, auch für mich selbst. Schon zur Zeit des Paulus hat es in den Missionsgemeinden neben Aposteln, Propheten, Lehrern und Gemeindevorstehern (1. Kor 12,28) auch ein diakonisches Amt gegeben, das vor allem mit Betreuungs- und Fürsorgepflichten ausgefüllt war (vgl. Rom 12,7f.; Phil 1,1; 1. Tim 3,8ff.); es wurde von Männern und Frauen gleichermaßen wahrgenommen. Phoebe versah dieses Amt in der Gemeinde von Kenchreä, und zwar so umfassend, daß Paulus ihr den seltenen Titel „Patronin" gibt. Phoebe ist in Kenchreä also mehr gewesen, als wir heute mit den Begriffen „Diakonisse" oder „Gemeindeschwester" bezeichnen; sie war finanzielle Wohltäterin, Fürsorgerin und Vertrauensperson (Gemeindemutter) in einer Art und Weise, die ihr in der Gemeinde Autorität gab und ihr die Gemeindeglieder verpflichtete. Wir werden in Rom 16 noch häufiger auf die Tatsache stoßen, daß Frauen in der Arbeit der frühchristlichen Missionsgemeinden eine keineswegs nur untergeordnete, sondern vielmehr konstitutive Rolle gespielt haben; Phoebe ist nur die erste von ihnen, die Paulus namentlich nennt (vgl. weiter zu V. 3.6.7.12 und 15). Paulus empfiehlt den Christen von Rom Phoebe, seine Glaubensschwester, die in der Gemeinde von Kenchreä, d.h. der östlichen Hafenstadt von Korinth am Saronischen Golf, das diakonische Amt bekleidete. Es ist zu vermuten, daß sie die Urschrift des Römerbriefes, den Paulus während seines letzten dreimonatigen Aufenthaltes in Griechenland (Apg 20,3) in Korinth geschrieben bzw. diktiert hat (vgl. unten V. 22 f.), in Rom überbracht hat. Paulus bittet, daß Phoebe in Rom gastliche Aufnahme findet und Unterstützung in all den „Angelegenheiten", die sie nach Rom führen. Das von Paulus für „Angelegenheit" gebrauchte griechische Wort kann alle Arten von Geschäften bis hin zu Rechtssachen bezeichnen (vgl. l.Thess4,6). Wenn sie die Phoebe aufnehmen, sollen die römischen Christen bedenken, daß Phoebe immerhin Patronin der Gemeinde von Kenchreä ist und ihr viele Christen, darunter auch Paulus, verpflichtet sind. Das Wort „Patronin" hatte in Rom besonderen Klang und wurde vom Apostel vermutlich bewußt eingesetzt, um der Phoebe in Rom Respekt und Hilfsbereitschaft zu sichern.

V. 16,3-16: Grußliste 3 Grüßt Priska und Aquila, meine Mitarbeiter in Christus Jesus. 4 Sie haben für mein Leben ihren eigenen Hals hingehalten; ihnen habe nicht nur ich allein, sondern auch alle Gemeinden der Heiden zu danken. 5 (Grüßt) auch die Gemeinde in ihrem Haus. Grüßt meinen geliebten Epaenetus, der die Erstlings-

A

Β 1

2

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15,14-16,27: Briefschluß

gäbe der Provinz Asien an Christus ist. 6 Grüßt Maria, die sich vielfältig um euch abgemüht hat. 7 Grüßt Andronikus und Junia, meine Stammesverwandten und meine Mitgefangenen, die unter den Aposteln hochangesehen sind, und die auch eher in Christus waren als ich. 8 Grüßt meinen im Herrn geliebten Ampliatus. 9 Grüßt Urbanus, unseren Mitarbeiter in Christus, und meinen geliebten Stachys. 10 Grüßt den in Christus bewährten Apelles. Grüßt die (Christen) aus dem Hausstand des Aristobul. 11 Grüßt Herodion, meinen Stammesverwandten. Grüßt diejenigen aus dem Hausstand des Narzissus, die im Herrn sind. 12 Grüßt Tryphaena und Tryphosa, die sich im Herrn abgemüht haben. Grüßt die geliebte Persis, die sich vielfältig im Herrn abgemüht hat. 13 Grüßt Rufus, den im Herrn Auserwählten, und seine Mutter, (die) zugleich meine (ist). 14 Grüßt Asynkritus, Phlegon, Hermes, Patrobas, Hermas und die Brüder bei ihnen. 15 Grüßt Philologus und Julia, Nereus und seine Schwester und Oly ñipas und alle Heiligen bei ihnen. 16 Grüßet einander mit dem Heiligen Kuß. Es grüßen euch alle Gemeinden Christi. A

Die Grußliste ist gestaffelt aufgebaut: Zuerst läßt Paulus Grüße an diejenigen in Rom ausrichten, denen er von seiner Mission her besonders verbunden ist (V. 3-7); dann folgen Grüße an weitere Freunde und Bekannte mit Einschluß ganzer Hausgemeinden (V. 8-15); den Abschluß bildet V. 16 mit der Aufforderung zum Heiligen Kuß und dem Gruß aller von Paulus vertretenen Gemeinden im Osten an die Christen von Rom. An der Grußliste ist historisch vieles interessant und aufschlußreich. In unserem Zusammenhang ist folgendes besonders hervorzuheben: Paulus läßt einige Frauen und Männer grüßen, die, wie er selbst, als Juden geboren wurden und nun Judenchristen sind (vgl. V. 3.7 und 11). Priska und Aquila, Andronikus und Junia hat der Apostel schon während seiner Mission im Osten kennen und schätzen gelernt. Ahnlich steht es mit Rufus und seiner Mutter (V. 13). Daß sie sich nunmehr alle (wieder) in Rom befinden, dokumentiert zweierlei: einmal die uns historisch auch sonst bezeugte Mobilität von Menschen, die aus dem Osten nach Rom und von Rom wieder wegziehen (vgl. dazu kritisch Jak 4,13 ff.); zum anderen aber die Tatsache, daß nach dem Ungültigwerden des Claudiusedikts (s.o. S. 12 f.) tatsächlich auch Judenchristen wieder nach Rom (zurück-)gegangen sind. Das ist eine Bestätigung der Situation, die wir für die Auslegung von Kap. 14 vorausgesetzt haben (s.o. S. 195ff.). Als Paulus den Römerbrief schrieb, gab es nicht nur wieder Judenchristen in Rom, sondern sie konnten auch wieder ungehindert in die Welthauptstadt reisen und dort leben. Nicht minder interessant ist, daß Paulus in V. 5.14 und 15 die Angehörigen dreier christlicher Hausgemeinden grüßen läßt. Wie sich in Rom (und anderwärts) die Juden z.T. in einzelnen über die Stadt verstreuten Haus-Synagogen versammelten und Heiden sich in häuslichen Kultgemeinschaften trafen, haben es auch die Christen getan. Sie sind z.B. im Hause von Priska und Aquila und dort, wo die in V. 14 f. aufgezählten Frauen und Männer wohnten, zusammengekommen. Da ihnen öffentliche Gebäude oder große gemeindeeigene Räume noch nicht zur Verfügung standen, trafen sich die Christen in den Häusern, die wohlhabendere Gemeindeglieder zur Verfügung stellen konnten, und sie haben dort Gottesdienste gefeiert,

16,3-16: Grußliste

219

gemeinsame Mahlzeiten gehalten und christlich gelebt. Nach archäologischen Ausgrabungen in Rom und anderwärts lag die Größe einer Hausgemeinde bei (höchstens) 70 oder 80 Menschen, die in einem Haus Platz finden konnten. Der Römerbrief ist in solchen einzelnen häuslichen Gemeindeversammlungen vorgelesen und besprochen worden. Natürlich kann unsere Grußliste keinen repräsentativen Einblick in die soziale Zusammensetzung der stadtrömischen Hausgemeinden geben. Dennoch ist es interessant zu sehen, daß die Freunde und Bekannten des Apostels aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammen. Während es sich bei Priska und Aquila um von Stadt zu Stadt wechselnde freie (Klein-)Unternehmer handelt, sind in den Christen aus dem Hausstand des Aristobul und des Narzissus (V. 10 f.) Sklaven oder Freigelassene der beiden Patrone zu sehen, in deren Auftrag sie arbeiten. Auch bei Urbanus, der Mitarbeiter des Paulus war (V. 9), und bei Rufus, dessen Mutter auch Paulus betreut hat (V. 13), scheint es sich, den Namen nach zu schließen, um Männer freier Herkunft zu handeln. Andere Personen erscheinen dagegen von ihren schichtenspezifischen Namen her als Sklaven oder Freigelassene, also als Menschen unfreier Herkunft. Zu ihnen gehörten sicherlich Persis (V. 12), Hermes (V. 14) und Nereus (V. 15) und sehr wahrscheinlich auch Ampliatus (V. 8), Herodion (V. 11), Tryphaena und Tryphosa (V. 12) und Julia (V. 15). Auch der Name Junia (V. 7) weist darauf hin, daß die Frau zu den Freigelassenen oder den Nachkommen eines Freigelassenen der römischen Adelssippe Iunius gehört; ihr entstammten z.B. der Mörder Cäsars, Brutus, und zahlreiche hohe römische Beamte, die z.T. auch im Osten des Reiches tätig waren. Doch hat es mit diesem Namen nicht nur geschichtliche Bewandtnis. In den üblichen Bibelausgaben wird der im Text des Paulus stehende griechische Namensakkusativ Ί ο υ ν ι α ν (= Jounian) in einen Männernamen, J u n i a s " , aufgelöst. „Junias" ist allerdings eine in der gesamten antiken Literatur nicht nachgewiesene Kurzfrom des (in den Quellen häufiger bezeugten) Namens Iunianus. In Rom 16,7 von einem „Junias" zu sprechen, ist also bloße Vermutung. N u n ist aber der Frauenname „Junia" in Inschriften vielfach belegt. Da der Akkusativ von Junia Ioduocv (=Jounian) lautet, ist es sprachlich das beste, in Rom 16,7 einen Gruß des Paulus an Andronikus und (seine Frau?) Junia zu sehen. Die griechischen Kirchenväter haben Rom 16,7 auch immer in diesem Sinne verstanden, und es besteht kein Grund, den Frauennamen durch einen (nur hypothetisch belegbaren) Männernamen zu ersetzen. Andronikus und Junia waren geborene Juden und sind schon vor Paulus Christen geworden. Im Kreis der Apostel, die eher als Paulus in ihr missionarisches Amt berufen worden sind (vgl. Gal 1,17; 1. Kor 15,7), waren sie hoch angesehen; sie haben wahrscheinlich diesem Kreise zugehört. Daß auch Frauen zum Kreis der Apostel gezählt haben, kann nur den befremden, der die Apostel auf den Zwölferkreis beschränken will, den Jesus selbst gesammelt hatte (vgl. Mk 3,13 ff. Par.). Dieser Kreis wird aber in 1. Kor 15,5 bewußt von der größeren Gruppe „aller Apostel", die Paulus in 15,7 erwähnt, unterschieden. Ohne die aktive Mitwirkung von Frauen wären bei den antiken Gesellschaftsverhältnissen Frauen teilweise nur schwer missionarisch erreich- und ansprechbar gewesen. Die Zugehörigkeit von (Andronikus und) Junia zu den Aposteln läßt sich also auch aus missionarischen Sachgründen sehr gut verstehen.

220 Β

3.4

5

6

7

8.9 10

15,14-16,27: Briefschluß

In den nachfolgenden Versen grüßt Paulus seine Freunde und Bekannten nicht einfach selbst, sondern läßt seine Grüße an sie durch die römischen Christen ausrichten. Gerade im Römerbrief hat diese Bitte um die Bestellung von Grüßen guten Sinn: Paulus vermeidet damit jedes mögliche Befremden über eine voreilige Vereinnahmung der römischen Hausgemeinden; er wahrt höfliche Distanz. Er vermeidet auch die Isolierung seines Freundeskreises. Er zählt vielmehr darauf, daß seine speziellen Freunde beim Ausrichten der Grüße von den anderen Christen in Rom „angenommen" werden, wie er es ihnen allen in 15,7 ff. angeraten hat. Wenn und indem sie die Grüße des Paulus bestellen, können die römischen Christen auch deutlich machen, daß sie mit den Wünschen des in R o m ja nicht unumstrittenen Apostels einverstanden sind. Die indirekte Grußbestellung ist also wohlüberlegt und liegt in der briefstellerischen Absicht des Paulus. An der Spitze der Paulusfreunde stehen Priska (Verkleinerungsform: Priskilla) und ihr Mann Aquila; die Voranstellung des Namens der Frau signalisiert ihre Bedeutung für die Mission. Paulus hatte das judenchristliche Ehepaar in Korinth kennengelernt und bei ihnen Arbeit und Unterkunft gefunden. Vom Claudiusedikt (s.o. S. 12 f.) aus Rom vertrieben, hatten sie ihren Betrieb für Lederverarbeitung — wir würden heute sagen: ihre Sattlerei — nach Korinth verlegt (vgl. Apg 18,2f.). Nachdem sie den Apostel schon bei seiner Mission in Korinth tatkräftig gefördert hatten, sind sie zusammen mit ihm nach Ephesus weitergereist und waren dort wieder jahrelang seine Gönner und Helfer (vgl. Apg 18,18f.; 19,8-10). Nun sind sie Paulus vorausgereist und wieder nach Rom zurückgekehrt. Auch hier haben sie — wie zuvor schon in Ephesus, vgl. 1. Kor 16,19 — eine christliche Hausgemeinde um sich geschart. Wahrscheinlich war es in Ephesus, daß sie den in große Bedrängnis geratenen Apostel unter Einsatz ihres Lebens in Sicherheit brachten (vgl. Apg 19,23-20,1 und 1. Kor 15,32; 2. Kor 1,8 ff.). Paulus verdankt ihnen seine Rettung und entscheidende Mithilfe bei der Mission in Korinth und Ephesus. Eben dies verpflichtet alle heidenchristlichen Gemeinden den beiden gegenüber zu Dank. Epaenetus, den Paulus als nächsten grüßen läßt, ist als erster in Ephesus, der Hauptstadt der römischen Provinz Asien, zum Glauben gekommen. Vielleicht ist er zusammen mit Priska und Aquila nach Rom gezogen. Der Name Maria entspricht dem hebräischen Mirjam (vgl. Ex 15,20f.), ist aber in lateinischen Inschriften auch als Name von Heidinnen bezeugt. Wenn Paulus eine Frau dieses Namens in der ersten Gruppe seiner Freunde grüßen läßt und hinzufügt, sie habe sich missionarisch sehr um die Römer bemüht, handelt es sich wohl um eine ihm von seiner Arbeit her bekannte, um die Mission in Rom verdiente Judenchristin. Daß es sich bei Andronikus und Junia um zwei im Kreise der vor Paulus berufenen Apostel hervorstechende Missionare handelt, haben wir eben schon gesehen (s.o. S. 219). Paulus hat das Ehepaar(?) kennengelernt, als er mit ihnen zusammen im Gefängnis lag (vgl. 2. Kor 11,23); sie waren also offenbar wie Paulus selbst in der Heidenmission tätig. Daß sie nunmehr in R o m ansässig sind, könnte darauf schließen lassen, daß sie, wie Maria, in Rom missioniert haben. Uber die in V. 8 und 9 Genannten wissen wir nicht mehr als das, was Paulus schreibt. Da Aristobul ein Name ist, den vornehme Juden getragen haben, könnte es sich auch bei dem hier erwähnten Mann um einen nach R o m gezogenen wohlhabenden Juden handeln. Er war offenbar selbst kein Christ. Wohl aber gab es unter den zu seinem

16,3-16: G r u ß l i s t e

221

Hausstand gehörigen Sklaven oder Freigelassenen eine Gruppe von Christen, von denen Paulus gehört hat und die er grüßen läßt. Als Christen bilden sie eine Art von Berufsgilde. Vom Namen her zu schließen handelt es sich bei dem Judenchristen Herodion um einen Sklaven oder Freigelassenen des herodianischen Königshauses. Ob Paulus ihn schon aus dem Osten kannte oder ob er in Rom zuerst der dort bezeugten „Synagoge der Herodier" angehörte und von dort aus zum Glauben fand, wissen wir nicht. Auch die aus dem Besitz des Nichtchristen Narzissus stammenden Christen stellen wie die Leute aus dem Hause des Aristobul eine gemeinsame Gilde dar. Die beiden wohl miteinander verwandten Frauen Tryphaena und Tryphosa haben sich nach Paulus in der Mission bewährt. Ebenso wie die gleich anschließend erwähnte Persis haben sie geholfen, das Evangelium auszubreiten. Mission war in urchristlicher Zeit keine bloße Männersache. Paulus nennt allein in seiner Grußliste acht Frauen, die in der Mission tätig waren! Rufus ist der von Gott zum Glauben erwählte (vgl. 8,33; Kol 3,12) Sohn einer Mutter, die auch Paulus schon (irgendwo auf seinen Missionsreisen) betreut hat. Wiederum handelt es sich also um zwei Personen, die aus dem Osten nach Rom übergewechselt sind. In welchem Verhältnis die in V. 14 genannten fünf Männer zueinander stehen, ist nicht erkennbar. Sie bilden mit einigen christlichen Brüdern zusammen eine Hausgemeinde bzw. eine christliche Bruderschaft. Aus den nun folgenden Grüßen, die Paulus bestellen läßt, können wir ersehen, daß ein Ehepaar (Philologus und Julia) und ein Geschwisterpaar (Nereus und seine Schwester) zusammen mit Olympas den Kern einer weiteren Hausgemeinde bildeten, von der Paulus positive Kenntnis erhalten hatte. Er würde die in V. 14 und 15 namentlich genannten Personen mitsamt ihren Hausgemeinden sicherlich nicht besonders grüßen lassen, wenn sie seinem Evangelium fernstünden. In allen von V. 3 an genannten Frauen und Männern dürfen wir vielmehr Christen sehen, die nicht zu den Kritikern, sondern zu den Verfechtern der paulinischen Lehre gehörten. Der Apostel schließt seine Grußliste mit der Aufforderung zum Heiligen Kuß, der die geschwisterliche Gemeinschaft unter allen Gemeindegliedern in Rom besiegeln soll (vgl. ebenso in 1. Thess 5,26; 1. Kor 16,20; 2. Kor 13,12 und 1. Petr 5,14). Der Heilige Kuß war in der Urchristenheit das Zeichen der gegenseitigen Annahme und Vergebung; er scheint jeweils den Abendmahlsfeiern in den Gemeinden vorangegangen zu sein (vgl. 1. Kor 16,20-22 mit Did 9,5; 10,6; Justin, Apol 165,2 und Hippolyts Kirchenordnung 46,8). Die Besonderheit unserer Grußliste wird vollends darin deutlich, daß Paulus nunmehr zur direkten Form des Grußes übergeht und den Christen von Rom die Grüße „aller Gemeinden Christi" übermittelt. Das kann praktisch nur alle die Gemeinden meinen, die Paulus selbst begründet hat und die an dem der Einheit der Gesamtkirche dienenden Werk der Kollekte aktiven Anteil genommen haben (vgl. 15,25 ff.). Während er im Begriff ist, die Kollekte nach Jerusalem zu bringen, um damit die Verbundenheit der Heidenchristen mit der Muttergemeinde auf dem Zion zu dokumentieren, entbietet er den Christen von Rom den Gruß derselben Gemeinden. Er will damit die Einheit aller Glieder des Leibes Christi unter dem Evangelium befördern und die römischen Christen an den Früchten seines im Osten zum Abschluß kommenden Missionswerkes beteiligen. Es geht dem Apostel in seinem Brief letztlich darum, der Einheit von Heiden- und Judenchristen im Glauben und damit der Kirche insgesamt zu dienen.

222

15,14-16,27: Briefschluß

VI. 16,17-20: Warnung vor

Irrlehrern

17 Ich ermahne euch aber, Brüder, achtzugeben auf die, die Zwistigkeiten und Ärgernisse gegen die Lehre betreiben, die ihr gelernt habt; wendet euch doch von ihnen ab! 18 Denn solche Leute dienen nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch Schönrednerei und Segenssprüche täuschen sie die Herzender Arglosen. 19 Euer (Glaubens-)Gehorsam ist ja zu allen gedrungen; so freue ich mich denn an euch, möchte aber, daß ihr weise seid zum Guten, aber unverdorben gegenüber dem Bösen. 20 Der Gott des Friedens aber wird in Bälde den Satan unter eure Füße zermalmen. — Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit euch! A

Es hat Ausleger des Römerbriefes verschiedentlich befremdet, daß Paulus in seine abschließenden Grüße eine so scharfe Warnung vor Irrlehrern einflicht und in ihr Ausdrücke und Vorstellungen gebraucht, die sonst bei ihm selten sind oder überhaupt nicht mehr vorkommen: Von „Schönrednerei", „Segensformeln" im abschätzigen Sinn, „Arglosen" und vom „Zermalmen Satans" spricht der Apostel sonst nie. Unter diesen Umständen hat man unseren Abschnitt als Nachtrag von anderer Hand verstanden oder ihn nur aus der briefstellerischen Gepflogenheit des Paulus heraus erklären wollen, am Schluß seiner Briefe vor Menschen zu warnen, die der Gemeinde gefährlich werden können (vgl. Gal 6,12f.; 1. Kor 16,22; 2. Thess 3,14). Von der Textüberlieferung her gibt es aber keinen Grund, den Abschnitt als nachträglichen Einschub in den Paulustext anzusehen. Wenn man außerdem bedenkt, daß Paulus im Römerbi ief von 2,16 an ständig Argumente aufgreift und widerlegt, die judenchristliche Gegner gegen ihn vorgebracht haben, erscheint die Warnung vor Irrlehrern keineswegs mehr unmotiviert. In ihr faßt sich vielmehr die Kritik an den Opponenten zusammen, die der Apostel bisher schon im Sinn gehabt und in 3,8 auch schon einmal geäußert hat. In V. 17 trägt Paulus zunächst in aller Form seine Warnung vor, in V. 18 begründet er sie, in V. 19 führt er die Warnung fort, und in V. 20a fügt er eine endzeitliche Verheißung hinzu. V. 20b bietet den in den Paulusbriefen üblichen Schlußgruß (vgl. 1. Kor 16,23; 1. Thess 5,28; 2. Thess 3,18). Da die besten griechischen Handschriften ihn bieten, ist an seiner Zugehörigkeit zum Text nicht zu zweifeln. Β Wie in 12,1 und 15,30 setzt Paulus noch einmal mit einer ausdrücklichen Bitte 17 ein: Die Christen in Rom sollen sich hüten vor Personen, die es auf kritische Dispute über den Glauben anlegen und von der in R o m anerkannten Lehre (vgl. 6,17 mit 1. Kor 15,3—5) in Ärgernis erregender Weise abweichen; von ihnen sollen sich die Römer tunlichst abwenden. Paulus warnt also nun ausdrücklich vor Agitatoren, die in den Hausjemeinden Unruhe stiften und das in Rom angestammte Evangelium anfechten. Ni. h Gal 5,20 ist das Erregen von Zwistigkeiten ein von Gottes kommender Königsherrschaft ausschließendes fleischliches Tun, und zu Glaubensärgernissen kommt es, wenn den Heidenchristen von judenchristlicher Seite zusätzlich zum Glaubensgehorsam Beschneidung und andere Formen von Gesetzesobservanz abverlangt werden (vgl. Gal 1,7; 5,7-12) oder wenn in Gemeinden, in denen Heiden- und Judenchristen zusammenleben, die Frage nach erlaubten und

16,17-20: Warnung vor Irrlehrern

223

unerlaubten Speisen hochgespielt wird (vgl. Gal 2,11-14; 1. Kor 8,13; Rom 14, 13.21). Wer in Rom Ärgernisse schürt, das sind diejenigen, die die Evangeliumspredigt des Apostels als Botschaft von der billigen Gnade „verlästern" (3,8). Wie die von ihm selbst begründeten Gemeinden im Osten sieht Paulus auch die römischen Hausgemeinden von reisenden Judenchristen bedroht, die nach und gegen Paulus Mission betreiben (vgl. 15,20f.). Er rät den Römern in aller Form, von diesen falschen Aposteln Abstand zu halten, wann und wo immer sie in Rom auftauchen. Zwischen Paulus und den Christen von Rom einerseits und „solchen Leuten" andererseits kann und darf es keine Gemeinschaft geben, handelt es sich bei ihnen doch um verkappte Satansdiener. Statt Christus zu dienen, leben sie für ihren eigenen Bauch, d.h. sind auf Einnahmen und Versorgungsleistungen aus den Gemeinden erpicht, in die sie kommen (vgl. Phil 3,18 f.; 2. Kor 11,7-11.20; 12,14). Wie einst die Schlange im Paradies Eva „verführte" (Gen 3,13), so „verführen" sie die Herzen der Arglosen, einem „anderen Christus" und einem „anderen Evangelium" anzuhängen, als es die Römer gelernt haben und Paulus es lehrt (vgl. 2. Kor 11,2-4. 13-15; Gal 1,6-9). Um dies zu erreichen, befleißigen sie sich einer eingängigen und mit Segensverheißungen ausstaffierten Verkündigung; Paulus könnte damit die Art und Weise meinen, wie z.B. die in Galatien missionierenden Judaisten von den Segnungen des Abrahambundes sprachen, die erst und nur den Beschnittenen zuteilwerden (vgl. Gal 3,8 f. 14). Paulus sieht (auch) in Rom das Evangelium und den Glauben bedroht; es geht ihm bei seiner Warnung um Heil oder Heilsverlust. (Dennoch entschuldigt dies nicht einfach den plakativ herabsetzenden und brandmarkenden Stil seiner Ketzerpolemik! Paulus schlägt diesen Ton auch in seinen anderen Briefen an, und er ist mit ihm leider keineswegs allein, vgl. z.B. 2. Joh 7f.; Jud 4ff.; 2. Petr 2 usw. Gleichwohl verstößt er überall gegen die Weisungen Jesu und das Verhalten, das Paulus selbst den Römern anbefohlen hat, vgl. 12,14 ff. mit Mt 5,44; 7,1 !) Ein letztes Mal rühmt Paulus den Glaubensstand der Christen von Rom (vgl. 1,8; 15,14) und bemüht sich, sie von den eindringenden Irrlehrern zu unterscheiden. An den römischen Christen, deren Glaubensgehorsam weltbekannt ist, hat Paulus seine geistliche Freude. Es ist deshalb sein Wunsch, daß sie auf das Gute bedacht bleiben, sich aber gegenüber Einflüssen des Bösen (d.h. der Satansdiener) lauter und unnahbar zeigen; im Hintergrund der Anweisung des Apostels scheint Mt 10,16 zu stehen. Außerdem sollen sie wissen und darauf vertrauen, daß es mit den Helfern Satans bald ein Ende haben wird. Die endzeitliche Erfüllung des sog. „Protevangeliums" aus Gen 3,15 steht vor der Tür. Der Gott des Friedens (vgl. 15,33) wird die in den verführerischen Worten der Irrlehrer wirksame Schlange, den Satan, in Bälde „unter eure Füße zermalmen". Wie in parallelen frühjüdischen Texten (vgl. TestLev 18,12 und TestSim 6,6) handelt es sich um eine Endzeitverheißung, deren Inhalt man sich von Offb 20,1-4 (vgl. mit 1. Kor 6,2f.; 15,23ff.) her schön verdeutlichen kann. Die Christen werden in nächster Zukunft mit Gottes Hilfe über Satan und seine Helfer triumphieren und mit dem lebendigen Christus zusammen leben und herrschen dürfen. Der Apostel ist damit endgültig am Ende seines Schreibens angelangt und schließt, wie in seinen Briefen auch sonst, mit einem Schlußsegen. Dieser nimmt den Segenswunsch von 15,33 auf und erfleht den Beistand der Gnadenmacht des gekreuzigten und auferweckten Christus für die Adressaten.

224

15,14-16,27: Briefschluß

VII. 16,21-23(24¿ Grüße der Mitarbeiter des Apostels 21 Es grüßt euch Timotheus, mein Mitarbeiter, und Lukius und Jason und Sosipater, meine Stammesgenossen. 22 Ich, Tertius, grüße euch, der ich diesen Brief im Herrn geschrieben habe. 23 Es grüßt euch Gaius, mein Gastgeber und der der ganzen Gemeinde. Es grüßt euch Erastus, der Stadtkämmerer, und Bruder Quartus. [ 24 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus (sei) mit euch allen. Amen.] V 2 1 bietet zuerst die Grüße der Mitarbeiter des Paulus, in V 2 2 grüßt dann der Sekretär des Paulus, und in V 2 3 werden schließlich noch die Grüße einiger korinthischer Gemeindeglieder nachgetragen, die Paulus nahestehen. - V 2 4 steht nur in solchen griechischen Handschriften, die nicht noch V 2 5 - 2 7 bieten. Es handelt sich um eine sekundäre Ergänzung des Textes; zu ihrer Geschichte s.o. S.215f. Die historisch interessanteste Bemerkung in unserem Textstück findet sich in V. 22. In den Paulusbriefen ganz ungewöhnlich, erhält der Schreiber des Briefes, Tertius, die Gelegenheit zu einem persönlichen Gruß. Wir erfahren zugleich, daß er es war, der den Römerbrief „geschrieben hat". Für die Ausführung des Briefes gibt es drei Möglichkeiten: Entweder hat Tertius (was in der Antike durchaus üblich war!) den ganzen Brief selbst entworfen und komponiert und dafür nur ein paar grundsätzliche Anweisungen des Apostels gehabt. Der hochkomplizierte und z.T. ganz persönlich akzentuierte Inhalt des Briefes (vgl. z.B. 1,8-17; 2,16; 3,8; 6,19; 9,1-5; 11,13 usw.) schließt diese Möglichkeit aus. Oder Tertius hat das Diktat des Apostels abschnittweise in griechischer Kurzschrift aufgenommen, anschließend ausgearbeitet und Paulus dann zur Ergänzung und Korrektur vorgelegt. Dieses Vorgehen ist besser vorstellbar, doch sprechen unvollständig gebliebene Sätze (sog. Anakoluthe) wie in 2,20; 5,6.12; 9,22 f. eher dagegen. Das Wahrscheinlichste ist deshalb, daß Paulus dem Tertius den Römerbrief in mühsamer Kleinarbeit Wort für Wort diktiert hat und er dem treuen Sekretär um seiner enormen Arbeitsleistung willen die Möglichkeit gibt, sein christliches Werk mit einem eigenen Gruß an die Christen in R o m zu versehen. Auf keinen Fall bietet V 2 2 Anlaß, den Römerbrief deshalb für unecht zu erklären, weil er nicht von Paulus, sondern von Tertius verfaßt sei! Die Grüße der Mitarbeiter des Paulus werden eröffnet durch Timotheus. Seit Paulus ihn in Lystra getroffen und für den Glauben gewonnen hat (Apg 16,1 ff.; 1. Kor 4,17), war er der Missionshelfer des Apostels schlechthin. Nach 1. Thess 1,1; 2. Kor 1,1; Phil 1,1; Kol 1,1 und Phm 1 hat er sogar gewichtige Briefe des Apostels mitverantwortet. In Phil 2,20 bescheinigt ihm Paulus öffentlich Gleichgesinntheit mit sich; Timotheus war des Paulus „rechte Hand" (W.H. Ollrog). Zusammen mit ihm grüßen drei Judenchristen: Lukius, Jason und Sosipater. Da Lukas die Koseform von Lukius ist, besteht die Möglichkeit, Lukius mit dem in Kol 4,14 und 2.Tim 4,11 erwähnten Lukas gleichzusetzen. Paulus wäre demnach mit Lukius/ Lukas enger bekannt gewesen und von ihm auf der Kollektenreise nach Jerusalem begleitet worden (s. u.). Auf diese Weise würde sich die z.T. auffällige Nähe des Paulus zu Lukastraditionen (s.o. S. 22.179.206) ebensogut erklären wie die Augenzeugenschaft des Lukas für seinen Bericht von der Reise des Paulus nach Jerusalem

16,25-27: Abschließendes Gotteslob

225

(Apg 20 ff.) bestätigen. Bei Jason handelt es sich wohl um den Mann, der Paulus in Thessalonich aufgenommen hatte und deshalb in Bedrängnis gekommen war (vgl. Apg 17,5-7). Sosipater dürfte mit dem aus Beröa stammenden Sopater aus Apg 20,4 identisch sein. Alle drei Männer gehören offenbar zu der Gemeindedelegation, die Paulus nach Jerusalem begleiten und dort das Werk der Kollekte vollenden soll. Ihre Grüße nach Rom befestigen die Kirchengemeinschaft, auf die der Apostel hinarbeitet (vgl. 15,25-33; 16,16). Um der im Herrn vollbrachten gewaltigen Mühe der Niederschrift des Briefes willen darf der Sekretär des Apostels, Tertius ( « der Dritte), die Christen von Rom eigenhändig grüßen. Paulus läßt zusätzlich auch noch Gaius aus Korinth zu Wort kommen, in dessen Haus er während seines in Apg 20,3 erwähnten letzten Besuches in Griechenland beherbergt wurde und den Römerbrief diktieren konnte; Paulus hat ihn einst selbst in Korinth getauft (vgl. 1. Kor 1,14). Gaius erweist seine Gastfreundschaft auch der „ganzen Gemeinde", d.h. durchreisende Christen werden von ihm aufgenommen, und wahrscheinlich darf sich auch die Gemeinde von Korinth bei ihm versammeln. Es handelt sich also um einen nicht unbemittelten Mann. Mit ihm grüßt Erastus, der Stadtkämmerer von Korinth, ebenfalls ein Angehöriger der korinthischen Oberschicht. Nimmt man die Namen Phoebe (16,1), Priska und Aquila (16,3), Gaius und Erastus zusammen, erkennt man, welcher Menschenkreis Paulus geholfen hat, die beträchtlichen Kosten für seine Missionsreisen aufzubringen; es waren die Wohlhabenderen. In Notfällen hat der Apostel aber auch Unterstützungssammlungen aus seinen Gemeinden erhalten (vgl. Phil 4,10 ff.). Als letzter grüßt der christliche Bruder Quartus ( - der Vierte). Sein einfacher Zahlenname weist ihn ebenso wie Tertius als Mann unfreier Herkunft aus. Vielleicht war er im Hause des Gaius für die Versorgung des Apostels zuständig. V. 24 gehört nicht zum ursprünglichen Text des Römerbriefes und bietet einen Segenswunsch, der 1. Kor 16,23; Gal 6,18; Phil 4,23 und 1. Thess 5,28 nachgebildet ist. VIII. 16,25-27: Abschließendes Gotteslob 25 Dem aber, der mächtig ist, euch zu stärken, (und zwar) nach meinem Evangelium und der Verkündigung von Jesus Christus, nach der Offenbarung des Geheimnisses, das ewige Zeiten verschwiegen war, 26 jetzt aber offenbart und durch prophetische Schriften nach der Anordnung des ewigen Gottes zum (Eröffnen von) Glaubensgehorsam für alle Völker kundgetan ist, 27 dem allein weisen Gott, durch Jesus Christus, ihm (gebührt) die Herrlichkeit in die Ewigkeiten. Amen. Wie der Römerbrief in 1,1-7 mit einem überaus sorgsam stilisierten Präskript (= Briefeingang) beginnt, so schließt er in den besten uns erhaltenen griechischen Handschriften mit einem ausführlichen Gotteslob. Es entspricht 1,1-7 und ist ebenfalls mit großem Bedacht formuliert. Dieses bewußt an das Präskript erinnernde Gotteslob ist keine sekundäre Zutat zum Text, wie die Kommentatoren immer wieder meinen, sondern ursprünglicher Bestandteil des Römerbriefes von Anfang an (s.o. S. 215 f.).

226

15,14-16,27: Briefschluß

Zum Aufbau: Ein kurzer Lobspruch: „ D e m aber, der mächtig ist, euch zu stärken, . . . dem allein weisen G o t t , . . . ihm (gebührt) die Herrlichkeit in die Ewigkeiten!" (V. 25a + 27) ist durch eine Reihe von Näherbestimmungen erweitert worden, die bewußt an die Ausdrucksweise des Briefpräskripts erinnern und ebenso liturgisch geprägt sind wie dieses. In V. 25 und 26a wird in paralleler Formulierung (vgl. das doppelte „nach . . . " ) noch einmal hervorgehoben, worum es sich bei dem Paulus anvertrauten Evangelium handelt, aufgrund dessen er Christus verkündigt, und in V. 26b wird noch einmal zum Ausdruck gebracht, wozu dieses Evangelium der Völkerwelt kundgetan worden ist. Der Schluß von V. 27 ist so formuliert, daß die (Haus-)Gemeinde, die dem Vorleser bis hierher gefolgt ist, selbst nach- und mitsprechen kann: „ . . . ihm (gebührt) die Herrlichkeit in die Ewigkeiten. Amen." Das Präskript signalisierte den Lesern, daß es im nachfolgenden Römerbrief um das Paulus anvertraute Christusevangelium gehen werde; das abschließende Gotteslob macht ihnen deutlich, daß es im ganzen Brief um nichts anderes als eben dieses Evangelium gegangen ist. In 1,11 hatte Paulus betont, er möchte gern nach Rom kommen, um die dortigen Glaubensgenossen aus der ihn beseelenden Gnade Gottes heraus zu stärken. In seinem Brief hat er dann Einblick gegeben in seine Christusbotschaft. Sie gründet in dem ihm anvertrauten Evangelium von der Gottesgerechtigkeit. Sie ist, allem Glauben zuvor, in der Sendung, dem Sühnetod und der Auferweckung Jesu heilsgeschichtliche Wirklichkeit geworden (3,21-26; 5,6-8). In und durch Christus hat der allmächtige Gott, der die Welt geschaffen und Israel zu seinem Eigentumsvolk gemacht hat, Juden und Heiden zum Gewinn des Heils durch die Rechtfertigung allein aus Glauben (3,28) erwählt (8,29 f.; 11,32). N u n schließt der Brief mit einem Gotteslob, das eben dem Gott gilt, der die Römer aus seiner freien G n a d e heraus auf ihrem Glaubensweg so stärken kann und will, wie es das paulinische Evangelium und die Christusverkündigung des Apostels darlegt (vgl. ähnlich 2. Thess2,17; 3,3; l.Petr5,10). Bei dem Evangelium des Paulus handelt es sich nicht um irgendeine Offenbarungsbotschaft, sondern um die Offenbarung des von Uranfang an gehegten, allen früheren Geschichtsepochen jedoch verborgen gebliebenen Heilsratschlusses Gottes in und durch Christus (vgl. 1. Kor 2,6 ff.). Was zuvor im göttlichen Schweigen ruhte, ist durch Gott nunmehr offenbar gemacht worden: Christus ist als der „Herr der Herrlichkeit" (1. Kor 2,8) erschienen. Die Bedeutung seiner Erscheinung läßt sich für die vom Hl. Geist erfüllten Glaubenden aus den „prophetischen Schriften" heraus ersehen. Wenn Philo von Alexandrien vom „prophetischen Wort" spricht (Plant 117) und 2. Petr 1,19 diese Redeweise aufgreift, meinen sie das von Gottes Geist erfüllte Prophetenwort des Alten Testaments. Die „prophetischen Schriften" sind daher — in Entsprechung zu 1,2 — die Prophetenbücher der Hl. Schrift mit ihren auf Christus weisenden und dabei auch die Heiden einbeziehenden Verheißungen (vgl. z.B. 9,33; 11,26 f. und 15,12). Vom Zeugnis der Propheten angeleitet, darf und soll nach dem Willen „des ewigen Gottes" (vgl. Gen 21,33; 1 Q H 7,31), der in der Sendung der Apostel durch den auferstandenen Christus zur Durchführung gelangt (vgl. l,4f.; 10,14f.), die heilsame Wende der Menschheitsgeschichte nunmehr „allen Heidenvölkern" kundgemacht werden (vgl. die Berührung mit dem Tauf- und Sendungsbefehl aus Mt 28,19f.!).

16,25-27: Abschließendes Gotteslob

227

Diese Kundgabe soll den Heiden den Glaubensgehorsam eröffnen (vgl. 1,5). Paulus hat mit seinem Werk an diesem Missionsgeschehen entscheidenden Anteil (vgl. 11,13f.; 15,16).Kol l,25ff.;Ephl,7-10;3,5.9f.;2. Timl,9f.;Tit l,2f.; 1. Petr 1,20 zeigen zusammen mit 2. Thess 2,17; 3,3 und 1. Petr 5,10, daß die Ausdrucksweise unserer beiden Verse weit über den Römerbrief hinaus Schule gemacht hat. Wahrscheinlich bot sie sich dem Apostel (und anderen neutestamentlichen Autoren) aus der urchristlichen Liturgie heraus an, über die wir leider nur bruchstückhaft orientiert sind (vgl. z.B. Kol 3,16). Mit V. 27 bringt Paulus das Gotteslob zum Abschluß. 27 Es gilt dem „allein weisen G o t t " (vgl. äthHen 63,2). Er hat in seiner schöpferischen Weisheit alles durch Christus zum Heil geordnet (vgl. l . K o r 1,30; 2,6ff.; 8,6; Kol 1,15-20). Daher gebührt ihm der Lobpreis, kraft dessen er in seiner Herrlichkeit anerkannt wird. Das „Amen" ( = So sei es!) des Paulus und aller derer, die seinen Lobpreis nach- und mitsprechen, beschließt das Gotteslob.

Literatur"' (Auswahl)

Wissenschaftliche

Kommentare

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Namen- und Sachweiser (Bearbeitet von Jürgen Schwarz, Edda Weise und Hanna Stettier) (Exk. η. = Exkurs

A Abba, Vater S. 118; Röm 8,15 Abfassungs-verhältnisse S. 9 ff. -zweck S. 21 lf.; Röm 16,16 Abraham S. 65; S. 66; S. 71; Röm 8,3; S. 115; S. 126; Rö 9,4.6; S. 151; Röm 11,18.27; 15,27 -Vater Röm 4,22; 11,27 -Wurzel S. 150; Röm 11,17 Adam S. 78; S. 98; S. 115; Röm 8,29; S. 171 -neuerS. 78; S. 124; S. 171 Althaus, Paul S. 8; S. 76 Apostel Exk. n. 1,7 S. 22ff.; S. 142-144; Röm I,14; 11,14; S. 166 -der Heiden S. 22; Röm 1,14; 11,14; S. 166 Augustin S. 105 Β Barth, Karl S. 8; S. 185 Baur, Ferdinand Christian S. 9 Begierde Röm 6,12; 7,5.7; 13,14 -Begehren Röm 1,24; Bekehrungspredigt S. 34; S. 90 Bekenntnis S. 84; Röm 10,12 -formel S. 21; Röm 4,25 -tradition S. 108 Berger, Klaus S. 17 Beschneidung S. 47; Röm 2,25; S. 65 f.; Röm 4,9; S. 164; S. 196; Röm 15,8 Blut S. 56; Röm 3,25 Bornkamm, Günther S. 15; S. 98; S. 167 Bultmann, Rudolf S. 8 Bund S. 66; S. 108; Röm 8,4; 9,4 -neuer S. 108; Röm 8,4; S. 114f.; Röm II,27 Buße, B u ß -gebet S. 161

nach)

-texte S. 100 -tradition Rom 7,18 C Christen S. 91 -in Rom S. 12f.; S. 28; Rom 7,1; S. 131; S. 172; S. 195; Röm 15,13.14; S. 214; Röm 15,31; S. 219-221; Rom 16,17.19 Christus Röm 2,16; 3,25; 10,2; 11,26 Claudiusedikt S. 12; S. 171; S. 196 D David Röm 1,3 Dankgebet Röm 1,8; 14,6 Dekalog Röm 1,18; S. 99; S. 115; S. 174; S. 186; Röm 13,10; S. 193; Röm 14,5 Diatribe S. 38 E Eifersucht R ö m 10,19; S. 165 Erbauung Röm 14,19 Erbsünde R ö m 5,12; 6,11 Erlösung R ö m 3,24; 8,23; S. 146; Röm 11,15; 11,26 Erwählung Röm 8,29; S. 133; S. 147-149; Röm 11,16.29 Evangelium S. 14; S. 15; Röm 1,2; Exk. S. 24 ff.; S. 28; Röm 1,16; Röm 2,16; 6,17; S. 93; S. 97; S. 129; Röm 11,15; 13,10; S. 209; Röm 15,19.28; S. 226; Röm 16,25 -Verkündigung des S. 24 ff.; Röm 1,14; S. 144; Röm 10,15 F Feiertagsheiligung Röm 14,5 Fleisch S. 95; Röm 7,14.25 b; S. 109; Röm 8,4.13

233

N a m e n · und Sachweiser

Frauen S. 217; S. 219 Frevler s. Gottloser Friede S. 74; Rom 12,18; 14,17; 15,33; 16,20 G Gegner, Kritiker, Verlästerer S. 11; S. 13; S. 23; S. 48; S. 49; Röm 3,7.8.9.31; S. 65; Rom 4,13; S. 83; Röm 6,1.5.15; S. 94; Röm 7,7; 8,4; S. 113; S. 130; S. 135; S. 163; Röm 13,10; S. 196; S. 214; S. 222 -Gegenmissionare S. 11-13; S. 49; S. 65; S. 130; S. 196; S. 209 Geist S. 93; Röm 8,9.23.26 -des Lebens Röm 8,2 -der Sohnschaft Röm 8,15 -Heiliger Geist Röm 5,5 -und Fleisch S. 95; Röm 7,14.25 b; S. 109; Röm 8,4 Gemeinde Röm 14,19 -Gemeindeermahnung S. 167; Röm 12,1; S. 188; Exk.n.Röm 13,14 S. 191 ff.; Röm 15,13 -Hausgemeinden in Rom S. 12 f.; S. 171; S. 175 f.; S. 180; Röm 13,2; S. 195; S. 218 Gerechtigkeit Röm 6,16; 14,17 -Dienst an der Röm 6,19; S. 114; S. 166 -des Glaubens S. 62; Röm 3,22.28; 4,5.13; 10,7 -Gottes S. 15; Rom 1,17; Exk. n. Röm 1,17 S. 30ff.; S. 35; Röm 3,8.25; 10,3; 11,32 Gericht Röm 1,16.18; S. 35; Röm 1,24; Röm 2,5.13.25; S. 126; Röm 8,34; 11,11; 12,19; 13,12; S. 194; Röm 14,10 -nach den Werken Exk. S. 44ff.; S. 117 -Endrechtfertigung S. 93; S. 117; Röm 8,34 Gesetz S. 41; S. 45; Röm 3,20; S. 62; Röm 4,13; 5,13.20; S. 97; S. 98; Röm 7,7.12.14; 8,2; Exk. n. Röm 8,11 S. 112ff.; Röm 9,4; 13,10 -Ende des S. 114; Röm 10,4 -Freude am S. 101; S. 115 -Christi S. 116; S. 192; Röm 15,1 -und Evangelium S. 113 Gewissen S. 41; Röm 2,15; S. 196 Glaube Röm 1,17; 3,22; S. 61; Röm 4,6-8; Exk. n. Röm 4,25 S. 71 ff.; Röm 6,9; 12,3; 14,1.23 -allein aus/sola fide Röm 3,28 -fides ex auditu S. 72 -Gerechtigkeit des S. 62; Röm 3,22.28; 4,5.13; 10,7 -Gehorsam des Röm 1,5; 6,16 Glosse S. 41; Röm 2,16; S. 104; S. 143 -Röm 13,1-7 S. 178 -Röm 16 Exk. n. Röm 15,33 S. 215f. Gnade Röm 5,2; 11,6

-Gnadenwahl S. 67; Röm 8,28; S. 133 Gottesdienst Röm 9,4; 12,1; S. 180 -vernünftiger S. 168; Röm 12,1 Gotteserkenntnis, natürliche Exk. n. Röm 2,16 S. 43 ff. Gottesfürchtige S. 12; S. 65; Röm 7,1; S. 130 Gottesherrschaft, Reich Gottes S. 26; Röm 14,7 Gottesknecht S. 60; S. 67; Röm 8,32 f.; S. 144; S. 191 Gottessohn Röm 1,3; 8,3 Gottloser/Frevler Röm 1,18-20; 4,5; 5,6 H Heiden S. 34; Röm 6,19; 9,24.30; S. 193; Röm 16,26 -HeidenchristenS. 12f.;Röm 11,13; S. 195; Röm 15,8-13.16; S. 213 Heiligung Röm 6,19; S. 93; S. 193; S. 194; Röm 15,16 -Heilige S. 183 Heilsgeschichte Röm 11,24.36 Hofìus, Otfried S. 53 Homosexualität Röm 1,26 f. I Ich Exk. n. Röm 7,2-8,1 S. 105 ff. Isaaks Fesselung S. 67; S. 126 braci S. 129; Röm 9,4.32; 10,21; 11,26.32; Exk. n. Röm 11,36 S. 160ff.

J Jakobus S. 11; S. 113; S. 163; S. 195 -brief S. 14; S. 73 Jerusalem Röm 15,19; S. 213; Röm 15,24 Jervell, Jacob S. 214 Jesus Röm 1,4; S. 26; Röm 3,25; S. 62; Röm 4,25; S. 72; Röm 5,6; S. 79; S. 91; S. 116; S. 118; Röm 9,24; 11,27; S. 194; Röm 14,9.14; 15,3.7.8.12 -Sendung Jesu S. 108 -Jesus-Tradition S. 26; S. 193 -Verhalten und Vorbild Jesu Röm 12,21 Johannes Chrysostomos S. 7 Juden Röm 12,17-19; 2,28f.; 3,1; 9,4f.; 11,1 -und Heiden Röm 1,16; S. 39; Röm 15,8 f. Junia S. 219; Röm 16,7 Κ Käsemann, Ernst S. 8; S. 15; S. 33; S. 212 Katechismus S. 193

234

Namen- und Sachweiser

Kollekte S. 11; S. 213 Kreuzigung S. 164 Kuß, heiliger Rom 16,16 L Lang, Friedrich S. 76; S. 170 Lasterkatalog R o m 1,31; S. 189; R o m 13,13 Lehre Rom 6,17; S. 93; S. 167; Rom 16,17 -Lehrformel S. 21 -Lehrsatz S. 105; Rom 8,18; 9,16 -Lehrtradition S. 31; S. 55; Rom 12,7 Lehrer S. 105 Leib Rom 6,6.12; 8,10.11.13; 12,1 -Christi Rom 7,4; S. 170; Rom 13,14 Leiden S. 74; Rom 8,17; S. 121; Rom 8,18; S. 126; Röm 8,35 f. Leser in R o m Röm 11,13 Liebe S. 180 -Gottes Röm 5,8; 8,39; 12,9 -zum Bruder Röm 12,10 -zum Feind Röm 12,14; S. 192 -zu Gott S. 192 -zum Nächsten S. 186; S. 192 -Liebesgebot Röm 13,8 Lukius/Lukas Röm 16,21 Luther S. 7; S. 32; S. 106; S. 180 M Markion S. 112 Melanchthon S. 8 Mensch S. 41; S. 92; S. 100; Röm 8,29 -äußerer/innererS. 101 Mensch/Menschensohn S. 78; S. 79; S. 92; Röm 8,20.29; S. 171 messianische Wehen S. 121 Mission S. 26; S. 27; Röm 1,14; S. 130; Röm 11,31; S. 163; S. 208; Röm 15,19; S. 211; Röm 16,23.26 -Gegenmission s. Gegner -Heidenmissionar Röm 1,5; S. 161 -Heidenmission S. 130; Röm 9,24; 11,32; S. 163 -Judenmission S. 129f; Röm 9,24; 10,16; S. 162 -Pläne S. 15; Röm 1,15; 15,24 -Weltmission Röm 15,24 Mysterienvereine S. 92 Ν Naherwartung S. 35; Röm 13,11 f.; S. 194

O Opfer Röm 12,1; s. auch Sühnopfer Opfergang, Opfertod Röm 5,8.15; 8,3f.27 Orígenes S. 7 Ρ Paraklese s. Gemeindeermahnung Parusie S. 35; Röm 11,26 Paulus S. 11; Röm 1,1; S. 22; S. 24; S. 59; S. 90; S. 105; S. 106; S. 115; S. 129; Röm 9,3; 10,2; 11,1.14.32; S. 160; S. 183; S. 214 Petrus S. 11 S. 113; S. 129; S. 162; S. 163; S. 196 Phoebe S. 217 Priska und AquilaS. 13; S. 196; S. 219; Röm 16,3f. R Rechtfertigung Röm 3,20.25f.; 4,3.5.24; S. 93; Röm 8,33; S. 133; Röm 11,16; S. 161; S. 191 -bei Paulus Exk. n. Röm 3,25 S. 58 ff. -und Versöhnung Exk. n. Röm 5,11 S. 76 f. -Endrechtfertigung S. 93; S. 117; Röm 8,34 rein und unrein Röm 14,14 Rest Röm 9,28; S. 146; S. 147; Röm 11,26.32 Ringgren, Helmer S. 177 Römerbrief S. 13; S. 208; S. 214; S. 215; S. 224; S. 226 R ü h m e n / R u h m Röm 3,27; 4,2 S Schlatter, AdolfS. 8; S. 15; S. 32; S. 33 Schmithals, Walter S. 20 Schöpfung Röm 8,19 Schrift, heilige Röm 3,10.21.27; 4,6-8; S. 133; S. 135; S. 138; S. 139; Röm 11,27; Röm 14,11; S. 204; Röm 15,4; 16,26 Sohn s. Gottessohn Söhne, Kinder Gottes S. 118 SohnschaftS. 118 Staat Röm 13,2 -Staatsgewalt Exk. n. Röm 13,7 S. 183ff. Starke und Schwache S. 195; Röm 14,lf.l3; 15,7 Stephanus S. 62; S. 115 -kreis S. 56; S. 116 Sühne S. 56; Röm 3,25; 5,9; S. 77; S. 92 -Sühnetod Jesu S. 45; S. 60; Röm 5,16; 6,7; S. 113; Röm 8,34; 11,27 -Sühnopfer S. 56; Röm 11,9

235

Namen- und Sachweiser

Sünde Rom 1,32; S. 45; Rom 3,20; S. 55; Röm 5,12.20; 6,16; 7,7.13 -Sundenfall S. 55; S. 121 -Sünder und Gerechter zugleich S. 106 -Sündopfer Röm 8,3 Τ Taufe S. 61; S. 84; Röm 6,3; Exk. n. Röm 6,23 S. 90; Röm 8,15; 12,2; 13,11 -Taufermahnung Röm 14,17 -Taufpredigt S. 90; Röm 7,5; S. 166 -Tauftradition Röm 8,28ff. Tertius S. 224 Thomas von Aquin S. 7 Timotheus Röm 16,21 Tod Röm 5,17; 6,23; s. auch Sühnetod, Opfertod -Erbtod Röm 5,12 Tora S. 186; S. 192; S. 204; s. auch Gesetz Tradition S. 14; S. 121 Trieb S. 109 -guter und böser S. 101; Röm 7,23; 8,6 V Väter S. 66; Röm 4,22; 9,5; 11,27 Verheißung S. 131; Röm 9,6; 11,24; S. 162

Verkündigung S. 26; Röm 10,17 Vernunft, Verstand Röm 1,28; 7,23; 12,2; S. 192 Versöhnung Röm 5,10; Exk. n. Röm 5,11 S. 76 f.; Röm 11,15 VerStockung Röm 11,8.25.27 die Vielen Röm 5,19 Völkerwallfahrt S. 154 VoUzahl -der Heiden S. 150, Röm 11,25; 15,19 -Israels S. 150 W Weisheit S. 35; S. 43; Röm 5,13; S. 95; S. 98; S. 108; Röm 12,2 Weizsäcker, Carl S. 10 Werke S. 44; Röm 4,4; 8,34 -böse/gute S. 191 -des Gesetzes S. 44; Röm 3,20; S. 191 Wesley, Charles S. 8 Wikkens, Ulrich S. 8; S. 15; S. 28; S. 33; S. 92; S. 117; S. 211 Wurzel S. 150; Röm 11,17 Ζ Zion S. 155; Röm ll,25f; S. 213 Zorn Gottes S. 35; S. 44; Röm 3,8

Inhalt

Verzeichnis der Abkürzungen

3

Einleitung

7

1. Die Begegnung mit dem Römerbrief heute

7

2. Der Römerbrief als historisches Problem

9

2.1 Die Problemlage

9

2.2 Die Situation des Paulus

11

2.3 Die Situation der römischen Christen

12

2.4 Der Römerbrief als Rechenschaftsbericht

13

3. Thema und Bedeutung des Römerbriefes

15

DER BRIEF AN DIE RÖMER Gliederung Briefeingang:

des Briefes

17

1,1-17

19

Erster Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Juden und Heiden: 1,18-8,39

33

Zweiter Hauptteil: Gottes Gerechtigkeit für Israel: 9,1-11,36

129

Dritter Hauptteil: Die Bezeugung der Gottesgerechtigkeit im Leben der Gemeinde: 12,1-15,13

166

Briefschluß:

207

15,14-16,27

Literatur

228

Namen- und Sachweiser

232

Inhalt

237

Verzeichnis der thematischen Ausführungen (Exkurse) I: „Apostel Jesu Christi"

22

II: Evangelium bei Paulus

24

III: Gottes Gerechtigkeit bei Paulus

30

IV: Natürliche Gotteserkenntnis

43

V: Das Endgericht nach den Werken VI: Rechtfertigung bei Paulus VII: Glaube bei Paulus VIII: Rechtfertigung und Versöhnung

44 58 71 76

DC: Das Verständnis der Taufe

90

X: Das „Ich" in Rom 7,7-25

105

XI: Die paulinische Lehre vom Gesetz XII: Paulus und Israel

112 160

ΧΠΙ: Das Leben der Christen unter der Staatsgewalt

183

XIV: Zur paulinischen Gemeindeermahnung (Paraklese)

191

XV: Gehört Kap. 16 zum Römerbrief?

215

Peter Stuhlmacher - eine Titelauswahl Vom Verstehen des Neuen Testaments Eine Hermeneutik (Grundrisse zum Neuen Testament, Band 6). 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage 1986. 275 Seiten, kart. ISBN 3-525-51366-6 Der Verfasser leitet zu einem Bibelverständnis an, das die Liebe zur Schrift mit den Anforderungen des neuzeitlichen Wahrheitsbewußtseins vereint und den Leitlinien folgt, die Luther und Calvin für den Umgang mit der Bibel aufgestellt haben. Er zeichnet den Weg nach, den die kirchliche und wissenschaftliche Schriftauslegung von den neutestamentlichen Anfängen bis zur Gegenwart zurückgelegt hat. Abschließend beantwortet er die Frage, wie sich das Neue Testament und die Bibel im ganzen der von ihm skizzierten „Hermeneutik des Einverständnisses mit den biblischen Texten" erschließt.

Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit Aufsätze zur biblischen Theologie 1981. 320 Seiten, kart. ISBN 3-525-53568-6

Biblische Theologie des Neuen Testaments Band 1 : Grundlegung. Von Jesus zu Paulus 2., durchgesehene Auflage 1997. XI, 419 Seiten, kart. ISBN 3-525-53595-3 Die Verkündigung Jesu und die der Urgemeinde und des Paulus werden in diesem Band in ihrer Kontinuität zu den 'heiligen Schriften' Israels gedeutet. Das Werk bietet Traditionsgeschichte des Urchristentums und Theologie des Neuen Testaments in einem.

Jostein Ädna / Scott J. Hafemann / Otfried Hofius (Hg.)

Evangelium Schriftauslegung - Kirche Festschrift für Peter Stuhlmacher zum 65. Geburtstag In Zusammenarbeit mit Gerlinde Feine. 1997. X, 460 Seiten mit 1 Frontispiz, geb. ISBN 3-525-53643-7 Die annähernd 30 Beiträge behandeln vor allem Fragen der Hermeneutik und der Paulusexegese, aber zum Beispiel auch Zugänge zum Herrenmahl, traditionsgeschichtliche Voraussetzungen des Neuen Testaments und das Verständnis des Urchristentums.

V&R

Vandenhoeck Ruprecht