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German Pages 122 Year 1968
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 1
Der Begriff der strafrechtswidrigen Handlung Zugleich ein kritischer Versuch zur Systematik des Schuldstrafrechts Von Klaus Michaelowa
Duncker & Humblot · Berlin
KLAUS MICHAELOWA
D e r Begriff der straf rechts widrigen H a n d l u n g
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtelehrern der deutschen Universitäten
Band 1
Der Begriff der strafrechtswidrigen Handlung Zugleich ein kritischer Versuch zur Systematik des Schuldstrafrechts
Von Dr. Klaus Michaelowa
D U N C K E R
& H U M B L O T
/
B E R L I N
Zur Aufnahme empfohlen von Professor Dr. Dr. h. c. K a r l Engisch, München
Alle Rechte vorbehalten © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Buchdruckerei Bruno Lude, Berlin 65 Printed in Germany
Meinen Eltern
Vorwort des Herausgebers I n den Jahren 1896 bis 1942 erschienen, von Hans Bennecke begründet, die „Strafrechtlichen Abhandlungen". Seit ihrem Ende fehlt uns ein gleichermaßen allgemeiner Ort für die Veröffentlichung hervorragender strafrechtswissenschaftlicher Arbeiten. Die deutschen Strafrechtslehrer stimmten daher auf ihrer Tagung i m Herbst 1966 i n Heidelberg dem Gedanken zu, die einst bewährte Reihe zu erneuern. Sie beginnt nunmehr unter dem Namen „Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge" m i t dem alten Ziel, den Arbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses eine angemessene Veröffentlichung zu sichern und damit der Strafrechtswissenschaft zu dienen. Hamburg, i m März 1968 Eberhard
Schmidhäuser
Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Einige Bemerkungen über den Stand der deutschen Strafrechtswissenschaft i m allgemeinen u n d den Stand des Handlungsproblems i m besonderen
13
I I . Über die zur Bestimmung des Handlungsbegriffs eingeschlagene Methode
17
I I I . Die rechtsphilosophische Grundlage: Recht als „ N o r m "
Erster
23
Teil
Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie § 1. N o r m u n d Freiheit. Die Entwicklung des Handlungsbegriffs aus dem Wesen des sittlichen Sollens 27 §2. Blick auf die juristischen Handlungslehren I. Die kausale Handlungslehre
31 32
I I . Die finale Handlungslehre
32
I I I . Die soziale Handlungslehre
35
I V . K r i t i k der finalen Handlungslehre
36
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie
40
I. Die Auffassung Hardwigs
40
I I . Die Auffassung E. A. Wolffs
48
§ 4. Das Recht als (sittliches) Sollen u n d der Begriff der „ o b j e k t i v rechtswidrigen Handlung"
50
I. Darlegung der Problematik: Der Unfreie als „untauglicher N o r m adressat"
50
I I . E i n moderner Lösungsversuch: Die Auffassung A r m i n Kaufmanns
52
I I I . Der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit als Ausdruck der Zwangstheorie
56
10
Inhaltsverzeichnis Zweiter
Teil
Der Handlungsbegriff der Zwangstheorie §5. Eingrenzung des Handlungisproblems haltens"
auf den Begriff
des
„Ver61
I. Die F u n k t i o n des Strafrechts nach der Zwangstheorie
61
I I . Die Bestimmung des Handlungsbegriffs als B e w i r k u n g
62
1. Die verschiedenen Möglichkeiten der Fassung des Handlungsbegriffs als Wirksamkeitsbeziehung zwischen einem Menschen u n d einem „Erfolge" 62 2. Die Unhaltbarkeit des erfolgsbezogenen Handlungsbegriffs bei näherer Betrachtung: Unmöglichkeit des absoluten Rechtsgüterschutzes
64
3. Erläuterung anhand der Entwicklungsgeschichte des Adäquanzgedankens i m Straf- u n d Zivilrecht
66
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
69
I. Aufzählung einiger juristischer u n d nichtjuristischer Verhaltensbegriffe
70
I I . Versuch zur methodischen Bestimmung des Verhaltensbegriffs
72
1. Verhalten als „menschliche Seinsäußerung"
72
2. Die Bedeutung des A t t r i b u t s „menschlich"
73
I I I . Der Handlungscharakter der Unterlassung
Dritter
83
Teil
Das Verhältsnis der Begriffe „objektive Rechtswidrigkeit" und „Schuld" unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit der zugrundeliegenden Prinzipien § 7. Der Handlungsbegriff der Sollens- u n d der Zwangstheorie als Ausdrucksform verschiedener Straftheorien
88
I. Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie als Erscheinungsform der absoluten Straftheorie
88
I I . Der Handlungsbegriff der Zwangstheorie als Erscheinungsform der relativen Straftheorie
89
§8. Das sogenannte Schuldstrafrecht als Versuch der systematischen Vereinigung des Begriffs der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Sollenstheorie m i t dem Begriff der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Zwangstheorie
90
I. Bemerkungen über die systematische Tragweite der bisherigen Erörterungen
91
Inhaltsverzeichnis I I . Der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit i n der modernen Verbrechenslehre
92
I I I . Der Begriff der subjektiven Rechtswidrigkeit i n der Dogmatik des modernen Schuldstrafrechts
93
§9. Die Problematik einer systematischen Vereinigung auf der Ebene der Straftheorien 96 I. Das Schuldstrafrecht als Vereinigungstheorie auch i m Bereich der Straftheorien I I . Die Bedeutung des „Schuldprinzips" I I I . Die grundsätzliche Unvereinbarkeit der absoluten m i t der relat i v e n Straftheorie, dargestellt am Beispiel des Überzeugungstäters § 10. Recht als Sollen u n d Recht als Zwang I. Sollen u n d Zwang als unvereinbare Prinzipien I I . Erläuterung anhand der Auffassungen Launs u n d Binders
96 98
99 103 103 106
Zusammenfassung und Ausblick I. Zusammenfassimg
109
I I . Einige Aspekte zu den einander ausschließenden rechtsphilosophischen Prinzipien selbst 114 Literaturverzeichnis
118
Einleitung I. Einige Bemerkungen über den Stand der deutschen Strafrechtswissenschaft i m allgemeinen und den Stand des Handlungsproblems i m besonderen
I m Jahre 1932 erschien der erste Band eines bemerkenswerten Werkes m i t dem bezeichnenden Titel „Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft". Die Thesen, die der Verfasser — der Schwede Lundstedt 1 — darin aufstellte, waren schockierend. Er behauptete nämlich — i n einer sehr temperamentvollen Weise — nichts Geringeres, als daß die Grundbegriffe des — man kann sagen: abendländischen — Rechtsdenkens wie subjektives Recht, Obligation, Rechtspflicht, Rechtswidrigkeit, Schuld nichts anderes seien als durchaus überflüssige Ausgeburten der Scholastik, Mystik und des Aberglaubens, denen i n der Wirklichkeit keine Realitäten entsprächen 2 . Dringt man i n die Begründung dieser Behauptungen ein, so stellt man fest, daß sie letzten Endes auf der Annahme der Unerweislichkeit objektiver Werte (und damit des Naturrechts) beruhen 3 , einer These, die zumindest ebensowenig wissenschaftlich beweisbar ist, wie ihr Gegenteil 4 . Man kann sich daher mit mindestens dem gleichen Recht auf den entgegengesetzten Standpunkt stellen und von diesem Standpunkt aus die Auffassung Lundstedts, die übrigens i n ähnlicher Weise bis i n die jüngste Zeit von Theodor Geiger vertreten wurde 5 , ablehnen m i t der Begründung, das Recht werde „nicht mehr i n der Sinnhaftigkeit und Vernünftigkeit einleuchtender menschlicher und gemeinschaftlicher Beziehungsverhältnisse gesehen, sondern als ein bloßes Nebeneinander und eine ledigliche Abfolge von Tatsachen und Sachverhalten erfaßt, die i n sich selbst keineswegs die Spur eines wahrhaft geistgeprägten Ordo 6 tragen . . . Fügt man noch die bestürzende Feststellung hinzu, daß die 1 Α. V. Lundstedt, Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, Bd. 1 : Die falschen Vorstellungen v o m objektiven Recht u n d subjektiven Rechten, 1932; Bd. 2, 1. Halbbd.: Strafrecht, Vertragsrecht, Deliktische Haftung, 1936. a Vgl. a.a.O., Bd. 1, S. 48 ff. (Obligation), S. 93 ff. (subj. Recht), S. 171 ff. (Rechtspflicht, Rechtswidrigkeit); Bd. 2, 1. Halbbd., S.25ff. (Schuld). 3 a.a.O., Bd. 2, 1. Halbbd., S. 32 f. 4 Bezüglich der Argumente gegen den Wertrelativismus (ethischen Skeptizismus) vgl. etwa Hessen, Wertlehre, S. 35 ff. 5 Vgl. dazu Henkel, Einführung i n die Rechtsphilosophie, S. 245 f. m i t Nachweisen. 6 Hervorhebungen stammen v o m jeweiligen Autor.
14
Einleitung
Rechtsnormen und Gesetze, die Rechtspflicht, die Rechtswidrigkeit und die Schuld i n ihrem herkömmlichen Sinn lauter rechtswissenschaftliche und die Juristen narrende Hirngespinste bilden, so steht man vor einer völligen Vernichtung alles Rechtlichen. Alle Rechtserscheinungen werden ihres fundamentalen rechtlichen und sittlichen Gehaltes entkleidet und i n einem jeder tieferen Sinnhaftigkeit und Einsichtigkeit baren und grobschlächtigen Psychologismus versenkt, der i n seiner Plattheit kaum das Wenigste von diesen grundlegenden rechtlichen Wirklichkeiten zu erklären vermag" 7 . M i t einer derartigen — vom gegebenen Standpunkt aus verständlichen — empörten Verweisung unter die Rubrik „rechtlicher Nihilismus" 8 ist aber das Werk Lundstedts noch nicht vollständig gewürdigt. Der gleiche Autor, der die sehr fragwürdige erkenntnistheoretische Grundauffassung seines Meisters Hägerström fast unbesehen übernimmt 9 , erweist sich nämlich — und hier liegt wohl sein eigentliches Verdienst — als ein überaus klarsichtiger K r i t i k e r der bisher vertretenen Ansichten bezüglich der genannten Grundbegriffe des Rechts 10 . Teilt man daher aus den angedeuteten grundsätzlichen Erwägungen auch seine positiven Ergebnisse nicht, so muß man doch großenteils seiner sehr scharfsinnigen und oft geradezu souveränen K r i t i k folgend einsehen, daß die kritisierte Auffassung jedenfalls auch nicht richtig sein kann. So stellt sich unvermeidlich bei der Lektüre der Eindruck ein, daß der V o r w u r f der gedanklichen Unklarheit und Unsauberkeit, den Lundstedt so gut wie gegen die gesamte herkömmliche Rechtswis^ senschaft erhebt, leider auch ganz unabhängig von der skeptischen Grundanschauung Lundstedts i n vieler Hinsicht nach wie vor berechtigt ist. Wie zum Jubiläum wurden genau 25 Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes der „Unwissenschaftlichkeit . . . " Lundstedts Behauptungen durch die kleine, aber richtungweisende Schrift Th. Würtenbergers über „Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswissenschaft" bestätigt. Würtenberger umreißt zunächst i n kurzen Zügen die Entwicklung der Strafrechtsdogmatik seit von Liszt und Beling 1 1 und 7 Vonlanthen, Z u m rechtsphilosophischen Streit über das Wesen des subj e k t i v e n Rechts, S. 66. β Ders., a.a.O., S. 65. 9 Vgl. Lundstedt, a.a.O., Bd. 1, S. 16 ff. 10 Dies bestreitet bezüglich der überkommenen Auffassungen v o m subj. Recht auch Vonlanthen, a.a.O., S. 66, nicht. Abgesehen davon sei hier n u r beispielsweise auf die K r i t i k der Lehre Mezgers u n d Kantorowicz' von der Schuld (Lundstedt, a.a.O., Bd. 2, 1. Halbbd., S. 35 ff.), sowie der Theorie des Positivismus von Bergbohm (Lundstedt, a.a.O., Bd. 1, S. 158 ff.) hingewiesen. π a.a.O., S. 2 f.
I. Allgemeine Vorbemerkungen
15
beschreibt anschließend den derzeitigen Stand mit folgenden packenden Sätzen: „Ließen w i r die dogmatische Entwicklung der Verbrechenslehre an uns vorüberziehen, so fällt dem kritischen Blick auf, m i t welcher oft überraschenden Schnelligkeit man Standpunkte wechselt und neue dogmatische Positionen bezieht, indem überkommene dogmatische Begriffe aufgegeben, mit völlig anderem Sinngehalt erfüllt oder in neue Systemzusammenhänge eingeordnet werden, u m freilich bald wieder als Wahrheiten von gestern zugunsten neuer Sehweisen verworfen zu werden. M i t dem sich steigernden Tempo i m Verschleiß dogmatischer Begriffe, aber auch mit der Kurzlebigkeit der Systemgedanken hängt zusammen, daß d i e Art
der Begriffsbildung
u n d d i e Darstellung
der
Systemzusammenhänge immer differenzierter, komplizierter und unübersichtlicher werden 1 2 ." „Desgleichen fällt dem kritischen Blick auf, daß heute . . . die Methodik der Strafrechtsdogmatik oft recht unbekümmert, aber auch unsicher und ohne Bewußtheit der Konsequenz einzelner Standpunkte gehandhabt wird. Die wichtigsten Symptome einer mangelnden theoretischen Durchdachtheit methodischer Ansatzpunkte und Schlußfolgerungen dürften vor allem darin liegen, daß oft recht w i l l k ü r l i c h Begriffe vertauscht, Vorstellungsarten vermischt und Denkebenen ohne Grund gewechselt werden. So spielt man den ontologischen Bereich gegen den normativen aus, so verwechselt man ethische und rechtliche Standpunkte, so verkennt man den Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Betrachtung 1 3 ." Weiterhin werde die moderne Strafrechtswissenschaft dadurch gekennzeichnet, daß es ihr, trotz zunehmender Aufgeschlossenheit für die Philosophie, besonders die Ethik, noch immer an der nötigen Einsicht i n die Notwendigkeit der philosophischen Grundlegung der dogmatischen Begriffe fehle 14 . Wo aber der Versuch zu einer stärkeren Berücksichtigung der Philosophie gemacht werde, komme es zu vorschnellen Verallgemeinerungen oder gar Mißverständnissen 15 . Das Gesagte gilt auch und gerade für die Lehre von der Handlung. Wenn i n dieser Hinsicht heute i n irgendeinem Punkt weitgehend Einigkeit besteht, so darüber, daß die Handlung ein Grundbegriff, wenn nicht gar der „Eckstein" des Strafrechtssystems überhaupt ist 1 6 , wobei 12 a.a.O., S. 3. is a.a.O., S. 4. 14 a.a.O., S. 5 f. is a.a.O., S. 6. 16 Vgl. Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 143. Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 132, bezeichnet die Handlung als „wesentlichster Baustein i m Gebäude des Verbrechens".
16
Einleitung
aber gerade wegen der Unklarheit über die Definition dieses Grundbegriffs die Frage nach der systematischen Tragweite allgemein nicht beantwortet werden kann 1 7 . Nachdem die zunächst von großen Autoritäten gestützte 18 sog. „kausale" Handlungslehre fragwürdig geworden war, wurden i n Auseinandersetzung mit ihr Theorien entwickelt, die ihrerseits nicht befriedigten. Da es aber doch hier offenbar u m einen Grundbegriff ging, der „an Beziehungsreichtum . . . kaum von einem anderen strafrechtlichen Grundbegriff übertroffen" 1 9 wird, und somit eine Stellungnahme zumindest für jeden Straf rechtslehr er unausweichlich schien, wurde das Handlungsproblem zu einer geradezu unerschöpflichen Quelle von Abhandlungen und Kontroversen 20 . So kam es zu einem Meinungsstand, der von einem Zivilrechtler wie folgt gekennzeichnet wurde: „Es gibt kaum einen Strafrechtler ohne wichtigen eigenen Beitrag, die meisten m i t eigener Theorie. Der Meinungsstand ist so komplex, u m nicht zu sagen verworren geworden, daß es für den Außenstehenden schwierig ist, sich i n diesem babylonischen Sprachgewirr zurechtzufinden 21 . " Die genannten Symptome sprechen dafür, daß sich das ganze Strafrechtssystem i m Zusammenhang m i t dem Streit u m den Handlungsbegriff i n einer nun schon länger andauernden schweren Krise befindet, die aber nicht dadurch überwunden werden kann, daß man durch Zugeständnisse i m einzelnen das Auseinanderklaffen der Meinungen i m grundsätzlichen zu überbrücken versucht 22 . Diese Versöhnungsbereitschaft dürfte nicht zuletzt der Ausdruck einer geistigen Erschöpfung sein, die allerdings nach den vorausgegangenen, zum Teil unter Aufgebot von sehr viel Scharfsinn geführten Disputen keineswegs überrascht. Das Ausmaß der Verwirrung, die auch auf die Dogmatik des Zivilrechts übergegriffen hat 2 3 , erfordert es indessen unbedingt, nunmehr auch bis zu Ende durchzuhalten, w e i l ohne eine grandie H a t man sich einmal auf einen bestimmten Handlungsbegriff festgelegt, so lassen sich natürUch auch die Konsequenzen absehen. Vgl. etwa bezüglich der finalen Handlungslehre Maurach, a.a.O., S. 152 f. is Vor allem von Beling, v. Liszt und Radbruch; vgl. Welzel, Lehrbuch, S. 35. 19 So Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 141. 20 Vgl. die Nachweise bei Welzel, a.a.O., S. 28 u. S. 37 u n d Maurach, a.a.O., S. 135. 21 Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 2. Vgl. auch die knappe Übersicht auf S. 3. 22 Vgl. zur Entwicklung der Diskussion ζ. B. Maurach, a.a.O., S. 140 ff. 23 Siehe dazu die i n Anni. 21 zitierte Studie v o n Wiethölter, sowie die Übersicht bei Deutsch, Fahrlässigkeit u n d erforderliche Sorgfalt, S. 46 ff.
I I . Z u r Methode der Begriffsbestimmung
17
sätzliche Klärung des Problems jede strafrechtliche Systematik von Grund auf fragwürdig bleiben muß 2 4 .
I I . Über die zur Bestimmung des Handlungsbegriffs eingeschlagene Methode
I m Hinblick auf die zur Bestimmung des strafrechtlichen Handlungsbegriffs einzuschlagende Methode ist zunächst 1. — negativ — auf einen Standpunkt hinzuweisen, der den von Würtenberger erhobenen Vorwurf der methodischen Unbekümmertheit i n vollem Umfang verdient: die Auffassung nämlich, daß es möglich sei, von vornherein und apodiktisch einen Handlungsbegriff als den für das Strafrecht allein maßgeblichen zu postulieren, weil er aus dem Wesen des Menschen folge und daher, als ein „ontologischer" 25 , als Handlungsbegriff „des Lebens" 2 6 dem „Strafrecht vorgegeben" 27 sei, wie es ζ. B. für die finale Handlungslehre behauptet w i r d 2 8 . Die Ablehnung dieses methodischen 29 Standpunkts findet — ohne daß man sich m i t der schwierigen erkenntnistheoretischen Frage nach dem Sinn und der Zulässigkeit der Berufung auf die Ontologie zu beschäftigen braucht 3 0 — schon darin eine zureichende Begründung, daß die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks für einen Begriff durchaus unserer W i l l k ü r unterliegt 3 1 , und daß daher mit dem Wort „Handlung" grundsätzlich ganz verschiedene Gegenstände bezeichnet werden können. Mag also auch die von Welzel und anderen allein als „Handlung" gefaßte Finalität durchaus eine spezifische Seite des Menschlichen kennzeichnen 32 , so ist doch keineswegs die Gewähr dafür gegeben, daß der gleiche Sachverhalt gemeint ist, wenn i m Strafrecht von „Handlung" die Rede ist.
24 Auch Würtenberger sieht den Ausweg natürlich nicht etwa i n einer A b k e h r v o m System überhaupt; vgl. a.a.O., S. 11 ff. 25 Welzel, U m die finale Handlungslehre, S. 9; Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 156. 26 Maurach, a.a.O., S. 157. 27 Welzel, Das neue Bild, S . X I ; vgl. auch S. 4 f. 28 Bis zu einem gewissen Grade dürfte diese Auffassung auch den kausalen und einem T e i l der sozialen Handlungslehren zugrunde liegen. Anders ist jedenfalls die Aufnahme des Willkürelements i n den Handlungsbegriff k a u m zu verstehen, was i m Laufe der Darstellung näher auszuführen sein w i r d . 2 » Die Frage der Richtigkeit der finalen Handlungslehre als solcher bleibt davon unberührt. 30 Kritisch dazu Klug, Festschrift f ü r Emge, S. 47 f. 31 Die sog. Realdefinitionen sind i n Wirklichkeit Urteile. Vgl. dazu v. Freytag-Löringhoff, Logik, S. 47 ff. 32 Dazu unten § 2 I V . 2 Michaelowa
18
Einleitung
Die Gefahr, durch Übernahme irgendeiner zufälligen Bedeutung des Wortes „Handlung" — die i n anderem Zusammenhang durchaus sinnvoll sein mag — dem Strafrecht einen wesensfremden 33 und daher unbrauchbaren Begriff aufzupfropfen, ist um so größer, als tatsächlich gerade der Ausdruck „Handlung" bzw. „ T a t " 3 4 reich an verschiedenen Bedeutungen ist. So erwähnt etwa Engisch außer dem „finalen" Handlungsbegriff Nicolai Hartmanns 3 5 und der Fassung Hegels 36 , die sich — zumindest dem Wortlaut nach — ebenfalls mit der Definition Welzeis weitgehend deckt 37 , den moralphilosophischen Handlungs-(Tat-)begriff Kants 3 8 , der sich von dem „finalen" durch seine Bezogenheit auf Norm und Freiheit unterscheidet, und einen historischen (politischen) Handlungsbegriff 3 9 , bei dem der Willensbestimmtheit des Geschehens keine entscheidende Rolle zukommt. „ Z u m mindesten dann, wenn es sich nicht so sehr darum handelt, einem Staatsmann oder Feldherrn Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als darum, die Reichweite seiner Taten zu ermessen, w i r d man i m Guten wie i m Schlimmen manches als ,Werk' der betreffenden historischen Persönlichkeit ansehen, was zu ihrer Zeit dem i n die Zukunft eindringenden Blick schlechterdings verborgen bleiben mußte, was aber doch i n einem ,inneren Zusammenhang' mit den Leistungen und Versäumnissen jener Persönlichkeit steht 4 0 ." Daneben wäre noch an den von Max Weber entwickelten 4 1 soziologischen Begriff der Handlung zu denken: „ ,Handeln' soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und sofern der oder die Handelnden mit i h m einen subjektiven Sinn verbinden. ,Soziales' Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinne nach auf das Verhalten anderer bezogen w i r d und daran i n seinem Ablauf orientiert ist 4 2 ." 33 Was hier unter „Wesen" verstanden w i r d , ergibt sich aus dem Folgenden. 34 Z u dem Bedeutungstausch der Ausdrücke „Handlung" u n d „ T a t " innerhalb der idealistischen Philosophie siehe Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, A n m . 5 (S.154f.). 35 Zitiert a.a.O., S. 153. 36 Zitiert a.a.O., S. 154. 37 Z u r Bedeutung des Ausdrucks „ W i l l e " bei Hegel i n dem fraglichen Zusammenhang vgl. Seeberger, Hegel oder die Entwicklung des Geistes zur Freiheit, S. 392 ff. 38 Z i t i e r t Festschrift für Kohlrausch, A n m . 51 (S. 154 f.). sa a.a.O., S. 165. 40 a.a.O., S. 166. 41 Wirtschaft u n d Gesellschaft, 1. Halbbd., S. 3 ff.; siehe dazu auch Francis, Wissenschaftliche Grundlagen soziologischen Denkens, S. 49 f., S. 93 f. 42 M a x Weber, a.a.O., S. 3.
I I . Z u r Methode der Begriffsbestimmung
19
Dieser Handlungsbegriff steht offenbar dem „finalen" recht nahe 43 . Eine weitere, davon gänzlich verschiedene Bedeutung des Ausdrucks findet sich etwa i n dem Wort „Reflexhandlung". Dem hier vorausgesetzten — vielleicht als „physiologisch" zu bezeichnenden — Begriff der Handlung ist wiederum die Zwecktätigkeit nicht wesentlich 44 . Welcher von diesen Handlungsbegriffen nun der ontisch vorgegebene, der Handlungsbegriff „des Lebens" sei — diese Frage hat keinen Sinn. Allen diesen Handlungsbegriffen ist gemeinsam, daß sie gewisse Äußerungen der menschlichen Existenz kennzeichnen, die i n ihnen von verschiedenen Aspekten betrachtet und begriffen wird. Eine Äußerung menschlicher Existenz — soviel läßt sich bei aller Vorsicht von vornherein sagen — dürfte auch der Gegenstand des strafrechtlichen Handlungsbegriffs sein. Es ist natürlich auch nicht ausgeschlossen, daß einer dieser Handlungsbegriffe gerade diejenige A r t der menschlichen Wirklichkeit bzw. Wirksamkeit zum Ausdruck bringt, die für das Strafrecht von Bedeutung ist. Man kann — gewissermaßen als „Arbeitshypothese" — einmal diesen oder jenen Handlungsbegriff aus anderen Wissenschaftsgebieten i m Strafrecht einsetzen, u m zu sehen, ob er — unverändert oder mit bestimmten Modifikationen — paßt, d. h. ob man damit zu sinnvollen Ergebnissen gelangt. Das kann, muß aber nicht sein. Jedenfalls aber — und das war der hier wesentliche methodische Gesichtspunkt — gibt es kein Kriterium, u m von vornherein, unabhängig von dem Verbrechenssystem, w o r i n dieser Begriff funktionieren soll, festzustellen, daß ein bestimmter Handlungsbegriff der richtige sein muß. 2. Damit kommen w i r zu der Feststellung derjenigen Gesichtspunkte, die — positiv — für die Bildung eines strafrechtlichen Handlungsbegriffs leitend sein müssen. Hier bieten sich vor allem zwei Wege an, die auch beide bereits wiederholt beschritten worden sind. a) Die erste Methode geht von der Frage nach der Funktion des Handlungsbegriffs aus: Was soll der Handlungsbegriff i m Strafrechtsoder vielleicht besser Verbrechenssystem 45 leisten? Die A n t w o r t auf diese Frage hängt zunächst einmal davon ab, welche Aufgabe dem 43
A u f die Unterschiede u n d Gemeinsamkeiten i m einzelnen k o m m t es hier nicht an. 44 Eine gute Übersicht über die älteren Auffassungen des Handlungsbegriffs bietet das Wörterbuch der philosophischen Begriffe von Eisler, Stichw o r t „Handlung". 43 Der Ausdruck ist insofern vorzuziehen, als das W o r t „Strafrechtssystem" auch die Bedeutung einer Ordnung der Strafrechtsnormen nach dem Gesichtspunkt der inneren Widerspruchslosigkeit, d. h. die Bedeutung von (Straf-)Rechtsordnung, nahelegt. 2*
20
Einleitung
Verbrechenssystem als Ganzem zukommt. Versteht man das Verbrechenssystem als das System derjenigen Begriffe, die i n ihrer Gesamtheit die Anwendung der Rechtsfolge „Strafe" 4 6 begründen, so lautet sie wie folgt: I m Begriff der Handlung w i r d die Bestimmung derjenigen Merkmale eines Sachverhalts gesucht, die i m Verein m i t den anderen Systembegriffen die Strafbarkeit eines Menschen definieren. Mehr kann man i n dieser Allgemeinheit nicht sagen. Die Rolle, welche der Handlungsbegriff i n einem Verbrechenssystem spielt, läßt sich nur an einem konkreten System näher präzisieren. Ein solches konkretes System setzt etwa Radbruch bei seinem Versuch zur Bestimmung des Handlungsbegriffs voraus, wenn er sagt 4 7 : „ N u n kann strafbar i n der Regel nur eine schuldhafte rechtswidrige Handlung, schuldhaft nach geltendem Recht nur eine rechtswidrige Handlung und rechtswidrig . . . nur eine Handlung sein." Handlung ist also „etwas, was die Eigenschaft der Strafbarkeit zu tragen vermag und, da strafbar nur etwas Schuldhaftes, schuldhaft nur etwas Rechtswidriges zu sein vermag, etwas, was die Eigenschaften Rechtswidrigkeit, Schuldhaftigkeit, Strafbarkeit annehmen kann . . . daraus ergibt sich, daß der Handlungsbegriff durch die Begriffe Rechtswidrigkeit, Schuldhaftigkeit und Strafbarkeit schon notwendig bestimmt ist, so daß, wer Rechtswidrigkeit, Schuldhaftigkeit und Strafbarkeit richtig feststellt, gar nicht umhin kann, den richtigen Handlungsbegriff anzuwenden" 48 . Diese Methode läuft also auf die Frage hinaus: Welche Merkmale muß der Begriff enthalten, welcher, differenziert durch die Begriffe „rechtswidrig" und „schuldhaft", den Begriff der Strafbarkeit ergeben soll? Ist es möglich, aus dem Gesamttatbestand der Strafbarkeit die Merkmale „schuldhaft" und „rechtswidrig" herauszulösen, so muß der Inbegriff der übrigen für die Strafbarkeit relevanten Umstände mit dem gesuchten Handlungsbegriff identisch sein. Diese nicht nur von Radbruch, sondern mehr oder weniger explizit auch von vielen anderen 4 9 benutzte Methode setzt nun freilich eines voraus: nämlich, daß 46 w i r dürfen uns der Einfachheit halber hier auf die Strafe als die charakteristische Rechtsfolge des Kriminalrechts beschränken. A u f die sog. Maßnahmen der Sicherung u n d Besserung als Rechtsfolgen des K r i m i n a l rechts w i r d später i n besonderem Zusammenhang zurückzukommen sein. 4 7 Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 71 f. 48 Radbruch, a.a.O., S. 74. 49 So insbesondere von Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 141 ff. ; Maihof er, Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 6 ff. und Mezger, zitiert bei Maihof er, a.a.O., S. 6 ff. Die einzelnen von Maihofer i m Anschluß an Engisch unterschiedenen Forderungen, die an den Handlungsbegriff zu stellen sind, nämlich seine Eignung als „ G r u n d " - , „Verbindungs-" u n d „Grenzelement" bedeuten n u r eine Entfaltung der Fragestellung, w i e sie sich auf G r u n d dieser Methode unter Voraussetzung des „klassischen" Deliktsaufbaus ergibt.
I I . Z u r Methode der Begriffsbestimmung
21
man die übrigen Systembegriffe, auf Grund deren der Handlungsbegriff bestimmt werden soll, kennt. Konkret, i n bezug auf das heute übliche System gesprochen: Die Begriffe der Strafbarkeit (d.h. der Inbegriff derjenigen Merkmale, bei deren Vorliegen gegen einen Menschen die Rechtsfolge „Strafe" verhängt werden soll), der Schuld und der Rechtswidrigkeit müssen bestimmt sein. Nun stimmt zwar das heute übliche Verbrechenssystem m i t dem von Radbruch vorausgesetzten insofern überein, als das Verbrechen nach wie vor als eine (tatbestandsmäßige) 50 rechtswidrige und schuldhafte Handlung definiert wird. Aber es zeigt sich bei etwas genauerer Betrachtung, daß sich diese Übereinstimmung i m Grunde auf die Identität der Worthülsen beschränkt, während die Bedeutungsinhalte, die Begriffe, kaum vergleichbar sind. Man denke nur an den Übergang vom psychologischen zum „normativen" Schuldbegriff und — damit i m Zusammenhang — an die Entwicklung der Lehre von den subjektiven Unrechtselementen, welche zur Folge hat, daß man unter der „objektiven" Rechtswidrigkeit etwas ganz anderes verstehen muß als früher 5 1 . Das wäre freilich dann kein Hindernis für die Anwendung der fraglichen Methode, wenn die neueren Begriffe der Rechtswidrigkeit und Schuld eine einigermaßen sichere Basis für die Ermittlung des Handlungsbegriffs böten. Das ist aber nun nicht der Fall. Zunächst sind die modernen Begriffe von Rechtswidrigkeit und Schuld i n mancher Beziehung nicht klar umrissen und scharf genug abgegrenzt 52 . Die Übereinstimmung beschränkt sich vielfach auf die Einigkeit i m Negativen, etwa der Ablehnung des psychologischen Schuldbegriffs und des lediglich materielle Vorgänge umfassenden Begriffs der Rechtswidrigkeit. Versteht man indessen den keineswegs eindeutigen 53 normativen Schuldbegriff i m Sinne der heute wohl vorherrschenden Richtung des Schuld50 Die Hervorhebung des Begriffs der Tatbestandsmäßigkeit durch Beling (Die Lehre v o m Verbrechen, 1906) bedeutete i m Grunde keine wesentliche Änderung; jedenfalls dann nicht, w e n n m a n — allerdings i m Gegensatz zu Beling — den Tatbestand als Beschreibung des Unrechts, als „Unrechtstypus", „Unrechtstatbestand" auffaßt, eine Auffassung, die heute w o h l als die durchaus herrschende bezeichnet werden darf (so Schweikert, Die Wandlungen der Tatbestandslehre seit Beling, S. 144). Die K r i t i k , die vielfach an der „Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen" geübt w i r d (vgl. besonders Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, S. 220 ff.; ferner etwa Schweikert, a.a.O., S. 35 ff.), betrifft einen anderen Gegenstand, nämlich die Frage nach der Notwendigkeit auch eines engeren Tatbestandsbegriffs (unter Ausschluß der Rechtfertigungsgründe), die zu bejahen ist. Vgl. zum Ganzen Engisch, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 403 ff. si Vgl. Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 249; H. Mayer, Straf recht, S. 103. 52 Bezeichnend f ü r die derzeitige Lage der Überblick von Engisch, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 413 ff. 53 Dazu näher unten §8111.
Einleitung
22
straf rechts, so w i r d sein Verhältnis zum Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit außerordentlich problematisch 54 . Es verhält sich also keineswegs so, daß es i m Streit um den Handlungsbegriff heute lediglich darum ginge, von einem i n sich fraglosen, festgefügten System aus das einzige noch fehlende Element zu ermitteln. Vielmehr ist mehr oder weniger gleichzeitig m i t der Fragwürdigkeit des Handlungsbegriffs das gesamte Verbrechenssystem ins Schwimmen geraten und bisher — jedenfalls dann, wenn man die Systematik des Schuldstrafrechts als eine Scheinlösung erkennt — noch kein sicherer Grund gefunden worden. Die Auseinandersetzung vollzieht sich gleichzeitig auf vielen Ebenen: der Handlung, der Rechtswidrigkeit, der Schuld und der Straftheorien. Bei dieser Sachlage erscheint aber der i n Frage stehende Weg zur Bestimmung des Handlungsbegriffs nicht gut gangbar. U m eine einigermaßen sichere Basis für die Ermittlung des Handlungsbegriffs zu gewinnen, wäre es i m Grunde notwendig, die Begriffe der Rechtswidrigkeit und Schuld zu überprüfen. Der Umstand, daß eine sinnvolle Bestimmung dieser Begriffe nur auf Grund teleologischer Prinzipien, d. h. ihrer Funktion, möglich ist, würde es erforderlich machen, den „dogmatischen" Bereich zu verlassen und i n das Gebiet der Straftheorien aufzusteigen, und — da auch hier zur Zeit vieles sehr kontrovers ist — womöglich i n den Bereich der Fragen nach dem Wesen, dem Begriff des Rechts überhaupt. Erst danach wäre es möglich, zu dem eigentlichen Vorhaben der Bestimmung des Handlungsbegriffs zurückzukehren. b) Unter diesen Umständen scheint aber ein anderer Weg wesentlich schneller zum Ziel zu führen. Es ist die Methode, aus dem Rechtsbegriff unmittelbar den Begriff der Handlung als Grund- und Eckstein des Verbrechenssystems abzuleiten. Auch dieser Weg ist schon wiederholt beschritten worden 5 5 . Grundlage der Bestimmung des Handlungsbegriffs ist dann die höchste Kategorie des Rechtlichen, der Begriff des r e c h t l i c h e n Sollens,
der
Norm.
54 Diese Problematik bildet i m wesentlichen den Gegenstand des dritten Teils der Untersuchung. 55 Dabei ging es allerdings oft nicht unmittelbar u m den Begriff der Handlung als solchen, sondern u m den Begriff der rechtswidrigen Handlung (der „Rechtswidrigkeit"), w i e ζ. B. bei dem Streit u m den „tauglichen N o r m adressaten". Z u diesen Versuchen siehe besonders Engisch, JuristentagsFestschrift, Bd. 1, S. 413 ff. I n neuerer Zeit finden sich Bemühungen zur A b l e i t u n g des Handlungsbegriffs aus dem Wesen der Rechtsnorm etwa bei Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrswidrigen Verhaltens, S. 35 ff.; Münzberg, Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit u n d Haftung, S. 49 ff. u n d insbesondere A r m i n Kaufmann, Lebendiges u n d Totes i n Bindings Normentheorie, S. 102 ff.
I I I . Die rechtsphilosophische Grundlage
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Es ist das Ziel dieser Untersuchung, i n Verfolgung dieser zweiten Methode den Handlungsbegriff zu bestimmen, um i m Anschluß daran einige Betrachtungen darüber anzustellen, wie sich der so gewonnene Begriff i m Verbrechenssystem auswirkt. I I I . Die rechtsphilosophische Grundlage: Recht als „Norm"
Das Recht — und an dieser formalen Definition dürfte wohl kaum jemand Anstoß nehmen — ist „verbindliche Ordnung sozialer Beziehungen innerhalb einer Gruppe von Menschen und durch diese Gruppe . . ." 5 6 . Als eine soziale Ordnung regelt das Recht das menschliche Zusammenleben. Diese Regelung erfolgt durch allgemeinverbindliche Gebote (Rechtsnormen), welche die Menschen befolgen, indem sie ihre Handlungen danach einrichten. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Rechtsordnung nur aus Gebotssätzen bestehe 57 . Aber auch wenn man, der Rechtswirklichkeit Rechnung tragend, anerkennt, daß die vom Recht ausgeformten Berechtigungen (die subjektiven Rechte), wie ζ. B. das Hypothekenrecht oder das Urheberrecht, nicht lediglich durch das Fehlen eines Verbotes zu erklären sind, so läßt sich andererseits doch nicht leugnen, daß diese Einrichtungen den Charakter von subjektiven Rechten erst durch den Rechtsschutz gewinnen, den sie genießen; m. a. W.: Es sind wiederum Rechtsnormen notwendig, die den übrigen Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft verbieten, die dem Berechtigten zugewiesene Befugnis zu beeinträchtigen 58 . Die subjektiven Rechte sind also nicht aus-, sondern eingeschlossen, wenn gesagt w i r d : „Die Rechtsordnung besteht aus Sollenssätzen 59 ." Was heißt es nun genauer, wenn man vom Recht aussagt, daß es ein System von Normen sei? M i t der Bestimmung der Norm i m Rechtssinne als gleichbedeutend m i t einem „Sollen" ist nicht viel geholfen, denn der Ausdruck „Sollen" w i r d ebenso wie der Terminus „Norm" i n mehreren Bedeutungen gebraucht 60 . Es reicht auch nicht zur Klärung aus, wenn man sagt, das Sollen, die Norm, sei die Denkform der Verbindlichkeit des Rechts 61 , solange man nicht sagt, was man unter se Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 16. 57 So aber die Anhänger der sog. Imperativentheorie, besonders Thon, Bierling, H o l d v. Ferneck u n d Eitzbacher, sämtlich zitiert bei H. A. Fischer, Die Rechtswidrigkeit, S. 20, A n m . 1. 58 Vgl. Engisch, Einführung i n das juristische Denken, S. 26 f. 59 Ders., Die Einheit der Rechtsordnung, S. 7. 60 Vgl. A r m i n Kaufmann, Lebendiges u n d Totes i n Bindings Normentheorie, S. 36 ff., S. 49 ff. ei A r m i n Kaufmann, a.a.O., S. 49, S. 124 f.
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Einleitung
„Verbindlichkeit" versteht. Denn auch der Ausdruck „Verbindlichkeit" ist mehrdeutig 6 2 . Und was für diese Ausdrücke gilt, läßt sich schließlich auch bezüglich der Worte „Geltung" 6 3 und „Pflicht" 6 4 sagen. I m rechtsphilosophischen Gebrauch dieser weitgehend tautologischen und daher an der gleichen Mehrdeutigkeit leidenden Ausdrücke stehen — wie ein Blick auf die Geschichte der Rechtsphilosophie zeigt — zwei Bedeutungen ganz i m Vordergrund: a) Nach der einen Auffassung bedeutet „Norm" soviel wie ein „autonomes" Sollen i m Kantischen Sinne, d. h. eine Forderung von unbedingtem, kategorischem, innerlich verpflichtendem Charakter, von innerer Notwendigkeit. Wie aus diesen Umschreibungen hervorgeht, bedeutet „Autonomie" i n diesem Verstände nicht Selbstgesetzgebung i m Sinne von W i l l k ü r . Denn wie könnte ein willkürliches Gebot von unbedingter Verpflichtungskraft sein? Autonom oder — wie man später vielleicht besser gesagt hat — axionom 6 5 ist ein Sollen, insofern es der Ausdruck der „praktischen Vernunft", einer objektiven, allgemeingültigen, dem Menschen vorgegebenen, keiner weiteren Begründung und Rechtfertigung fähigen und bedürftigen Ordnung des menschlichen Verhaltens ist, wie sie i n den Ausdrücken „Sittengesetz", „ E t h i k " oder „Moral" erfaßt wird. „Norm" i n diesem Sinne ist also gleichbedeutend m i t dem sittlichen Sollen. b) Nach der anderen Auffassung bedeutet der Ausdruck „Norm" i n rechtlichem Zusammenhang ein „heteronomes" Sollen, d. h. eine Verhaltensforderung, die nicht aus der Einsicht des Aufgeforderten selbst i n die absolute Notwendigkeit eines solchen Verhaltens erwächst, ihre Quelle nicht i n der praktischen Vernunft hat, sondern eine äußere A n maßung, Zumutung an den Menschen. Damit besteht aber die Rechtsnorm i n einer Einwirkung auf den Menschen von außen; sie ist kein sittliches Sollen, sondern ein „bedingtes Müssen" 6 6 oder, m i t einem Wort, Zwang. Da es sich u m eine Grundfrage, vielleicht sogar u m das Kernproblem der Rechtsphilosophie schlechthin handelt, taucht diese Problematik i n dem Augenblick auf, indem man sich des Rechts einerseits, der Moral andererseits als selbständiger, begrifflich zu trennender Regelungen menschlichen Verhaltens bewußt wird. Nach Binder 6 7 ist — von der Antike abgesehen — die Auffassung des Rechts als ein heteronomes 62 63 64 es 66 67
Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 285 ff. Verdross, a.a.O., S. 284 f. Vgl. dazu Welzel, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 385 ff. Vgl. Hessen, Ethik, A n m . 82 (S. 95). Laun, Recht u n d Sittlichkeit, S.7. Philosophie des Rechts, S. 242 ff.
I I I . Die rechtsphilosophische Grundlage
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Sollen (im folgenden Zwangstheorie genannt) die ältere. Sie findet sich schon i n der mittelalterlichen Lehre von den „zwei Schwertern", bei Thomas v. A q u i n und bei Hugo Grotius, der zwischen der justitia propria und der Moral als dem uneigentlichen Recht unterscheidet. I n der Folgezeit ist die Frage umstritten; Pufendorf z. B. kennt eine Trennung beider Bereiche nicht. Eine klare Unterscheidung des (als Zwang verstandenen) Rechts von der Sittlichkeit erfolgte durch Thomasius. Diese Auffassung war, obwohl von Christian Wolff abgelehnt, von maßgeblichem Einfluß auf die Stellungnahme der Hauptvertreter des deutschen Idealismus, Kant, Fichte und auch Hegel 68 . I n der neueren deutschen Rechtsphilosophie steht die ethisierende Auffassung, die das Recht als ein sittliches Sollen begreift (im folgenden Sollenstheorie genannt), durchaus i m Vordergrund. Sie wurde bzw. w i r d etwa vertreten von Laun 6 9 , Emge 70 , Radbruch 71 , A r t h u r Kaufmann 7 2 , Welzel 7 3 und wohl auch Coing 7 4 - 7 5 — allerdings m i t der Einschränkung, daß die meisten der genannten Autoren neben dem Sollen auch dem Zwang einen Platz i n ihrem System einräumen 76 . Die (reine) Zwangstheorie des Rechts findet sich i n neuerer Zeit etwa bei der sog. analytischen Schule (Austin und seinen Nachfolgern) 77 , den es So Binder, a.a.O.; vgl. zum Ganzen auch Welzel, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 383 ff. 69 Recht u n d Sittlichkeit, z. B. S. 15, S. 21, S. 29 f. 70 Vorschule der Rechtsphilosophie, S. 34. 71 Rechtsphilosophie, S. 138 ff. 72 Das Schuldprinzip, S. 128; Recht u n d Sittlichkeit, S. 28. 73 Zitiert bei A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 128. 74 Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 18, S. 243 f. 75 Die Auffassung Engischs i n diesem P u n k t ist uns nicht ganz klar. Einerseits bezeichnet Engisch den rechtlichen Imperativ ausdrücklich als „kategorisch" (Einführung i n das juristische Denken, S. 30 ff.; Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 108, S. 404) unter Berufung auf Nelson (Engisch, Einführung i n das juristische Denken, S. 30, A n m . 15), der seinerseits zu den Vertretern der Sollenstheorie gehört (vgl. Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht, etwa S. 14 f., S. 18, S. 139). A u f der anderen Seite scheint aber manches darauf hinzudeuten, daß Engisch die Rechtsnormen desungeachtet als heteronome Imperative ansieht; so etwa w e n n er (Zeitschrift f ü r die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 108, S. 405, A n m . 1) schreibt: „Der Befehlsadressat soll sich also durch die Imperative zu dem i n diesen geforderten Verhalten bewegen lassen, einerlei i m übrigen, welche die ferneren Motive der Befehlsbefolgung sind, ob Einsicht i n die sachliche Berechtigung des Befehls oder Furcht vor Strafe u n d Zwang, oder Hang zum Sichführenlassen oder was sonst." N u r m i t dieser Auffassung des Imperativs als Fremdbestimmung verträgt sich auch Engischs Stellungnahme i n der Problematik des tauglichen N o r m adressaten; siehe dazu unten §4111. 76 Der Ausdruck „Sollenstheorie" w i r d hier u n d i m folgenden auch für diese Theorien verwendet. 77 Siehe dazu Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 188 ff.
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Einleitung
Vertretern des Positivismus 78 , aber auch bei idealistischen Rechtsphilosophen wie Binder 7 9 , ferner häufig i n der Rechtssoziologie, so ζ. B. bei Max Weber 80 . M i t der Frage, welche von beiden Auffassungen die richtige sei, wollen w i r uns hier nicht befassen. W i r beschränken uns vielmehr darauf, beide Auffassungen einmal hypothetisch zugrunde zu legen, u m zu sehen, welche Konsequenzen sich daraus für den Handlungsbegriff und — i n unlösbarem Zusammenhang damit — für das Verbrechenssystem i m Ganzen ergeben. Da, wie uns scheint, die ethisierenden Theorien i n Westdeutschland zur Zeit vorherrschen, beginnen w i r mit der Frage nach dem Handlungsbegriff der Sollenstheorie.
78 Siehe dazu Verdross, a.a.O., S. 172 ff. 79 Rechtsnorm u n d Rechtspflicht, S.45; Philosophie des Rechts, S. 242 ff., S. 352 f f , S. 819 ff. 80 Wirtschaft u n d Gesellschaft, 1. Halbbd., S. 24 f.
Erster
Teil
Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie § 1. N o r m und Freiheit. Die Entwicklung des Handlungsbegriffs aus dem Wesen des sittlichen Sollens
Nach der Sollenstheorie des Rechts bedeutet „Norm" ein autonomes, d. h. sittliches Sollen. Besteht aber eine Rechtsnorm nur kraft sittlicher Verbindlichkeit, sind rechtliches und sittliches Sollen letzten Endes identisch, so müssen auch die übrigen formalen Systembegriffe des Rechts und der Ethik, die auf den Normbegriff bezogen sind wie Pflicht, Normwidrigkeit, Zurechnung, Verantwortung, Schuld und insbesondere auch der gesuchte Begriff der Handlung nicht nur dem Namen nach, sondern auch inhaltlich übereinstimmen. Recht und Sittlichkeit bilden dann zusammen den einheitlichen Bereich des Normativen und weisen daher die gleiche Struktur auf. Diese strukturelle Gleichheit legt es nahe, angesichts der Unklarheit, welche bezüglich des Handlungsbegriffs in der Strafrechtslehre besteht, auf das Gebiet der Ethik überzugehen und sich die Ergebnisse philosophischen Denkens i n diesem Punkt zunutze zu machen. Das Sollenserlebnis findet statt i n der „Stimme des Gewissens". „Das Gewissen ist nicht sowohl mit dem Wertbewußtsein als solchem, sondern m i t dem auf ihm beruhenden Norm- oder Sollensbewußtsein identisch. Gewissen ist ,Normerlebnis' 1 ." „Gewissen ist die Funktion der ganzen menschlichen Persönlichkeit, in der die persönlich verpflichtende Forderung des sittlichen Sollens zum Bewußtsein kommt 2 ." Das Erlebnis des Sollens ist untrennbar verknüpft m i t dem Bewußtsein der Freiheit. Der Mensch „urteilet also, daß er etwas kann, darum, weil er sich bewußt ist, daß er es soll und erkennt in sich die Freiheit, die ihm sonst ohne das moralische Gesetz unbekannt geblieben wäre" 3 . ι Hessen, Wertlehre, S. 209. Th. Müncker, Die psychologischen Grundlagen der katholischen Sittenlehre, S. 26; zitiert bei Hessen, a.a.O., S. 209. 3 Kant, K r i t i k der praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, 1. Hauptstück, A n m . zu § 6 (Werke Bd. 5, S. 35). 2
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Handlungsbegriff der Sollenstheorie
I n ähnlicher Weise w i r d der Zusammenhang von Norm und Freiheit auch von Nicolai Hartmann 4 erfaßt: Der Begriff der Sittlichkeit meint nicht das Bestehen von Werten als solchen, auch nicht deren bloße Erkenntnis und Betrachtung, sondern die Verwirklichung der Werte durch menschliches Verhalten. Dann muß es aber i m Menschen eine Instanz geben, welche zu den Werten Stellung nimmt und sein Verhalten den Werten gegenüber bestimmt 5 . „Dieses Etwas i m Menschen ist eben dasselbe, was man m i t dem freien Willen' meint. Und i n diesem Sinne ist der Satz zu verstehen, daß sittliche Werte wesensgemäß auf Willensfreiheit bezogen sind. Gemeint ist eben m i t diesem Satz, daß sie nur an Akten auftreten, in denen auf irgendeine Weise eine entscheidende Instanz mitspricht . . . Es ist das Eigentümliche des sittlichen Wertes und Unwertes, daß er der Person zugerechnet' wird, daß ihr Schuld, Verantwortung, Verdienst zufällt. Die Person ist nicht einfach m i t dem Wert (oder Unwert) behaftet, sie gilt auch als Urheber von Erfüllung und Verfehlung. Man meint m i t dieser Urheberschaft etwas ganz Schlichtes: wer Unrecht tut, der ,konnte' gleichwohl recht handeln; wer lügt oder Vertrauen bricht, ,konnte' doch anders; er war nicht gezwungen, es stand bei ihm, die Wahrheit zu reden oder erwiesenes Vertrauen zu rechtfertigen. Und nur, sofern es ,bei ihm stand', handelt es sich u m wirkliche Lüge oder Vertrauensbruch. Ebenso, wer Recht tut, die Wahrheit spricht usw., ist nur insofern wirklich gerecht und wahrhaftig, als es bei i h m stand auch anders zu tun 6 ." Die Werte vermögen wegen ihrer Zugehörigkeit zum idealen Sein die reale Wirklichkeit nicht unmittelbar zu verändern, sondern bedürfen dazu eines Vermittlers, der an beiden Sphären teilhat. Dieser Vermittler ist der Mensch, der aber nicht m i t Notwendigkeit, wie nach Naturgesetzen, sondern aufgrund freier Entscheidung die Werte verwirklicht 7 . „Denn so allein ist er sittliches Wesen: die Unvollkommenheit ist seine Freiheit. Sie besteht eben darin, daß er nicht wie der Automat gezwungen ist, ein ihm Vorgezeichnetes zu tun — und sei es auch von den höchsten Werten Vorgezeichnetes — sondern immer wenigstens prinzipiell die Möglichkeit behält, es nicht zu tun 8 ." Diese einzigartige Eigenschaft des Menschen, zurechnungsfähig zu sein als freier Vermittler zwischen Wert und Wirklichkeit, hebt i h n über alle anderen 4 Wenn man davon absieht, daß bei i h m als einem Anhänger der materialen Wertethik die Betonung mehr auf dem Wert liegt, als dessen Ausfluß das Sollen erscheint, s Hartmann, Ethik, S. 565. β a.a.O., S. 566. 7 Hartmann, a.a.O., S. 566 f. 8 Hartmann, a.a.O., S. 568.
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§ 1. N o r m u n d Freiheit
Geschöpfe hinaus, indem sie ihm Anteil an der geistigen Sphäre gibt und dadurch zur Person macht, die Würde hat und Achtung verdient. So formuliert Kant: „Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen . . A " Und: „ I n der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch und mit i h m jedes vernünftige Geschöpf ist Zweck an sich selbst.
Es ist nämlich das Subjekt des moralischen
Gesetzes,
welches heilig ist vermöge der Autonomie seiner Freiheit 1 0 ." Entsprechend 11 betont auch Hartmann 1 2 , „daß Freiheit eine Grundbedingung aller sittlichen Phänomene ist. Das metaphysische Wesen der Person hängt an i h r nicht weniger als der Sinn der Sittlichkeit". Dadurch ist allerdings nach der übereinstimmenden Auffassung Kants und Hartmanns die Freiheit i m strengen Sinne noch nicht erwiesen 13 . Die sich hier naturgemäß anschließende Frage: gibt es Freiheit tatsächlich, d. h. kann sie wissenschaftlich bewiesen oder ausgeschlossen werden? kann i n dieser Arbeit nicht behandelt werden. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß neuere Versuche dieser A r t keineswegs Grund für allzu große Skepsis bieten 14 . I m Gegenteil hat es eine Theorie, welche die Willensfreiheit ablehnt, insofern außerordentlich schwer, als sie erklären muß, wieso es etwas wie ein Frei9 Metaphysik der Sitten, Einleitung I V (Werke Bd. 7, S. 24). 10 K r i t i k der praktischen Vernunft, 1. Teil, 1. Buch, 3. Hauptstück (Werke Bd. 5, S.96). 11 I n dem zuletzt zitierten Satz Kants k o m m t deutlich seine metaphysische Grundeinstellung, der subjektive Idealismus, zum Ausdruck, welcher i m Gefolge Schelers u n d N. Hartmanns heute i n der E t h i k allgemein abgelehnt w i r d (vgl. die K r i t i k Hartmanns, a.a.O., S. 88 ff. sowie Hessen, Ethik, S. 91 ff.). Indessen w i r d dadurch der Gedanke der Menschenwürde nicht hinfällig; i m Gegenteil: Freiheit u n d Verantwortlichkeit werden erst recht verständlich, w e n n das Sittengesetz nicht als dem Subjekt, sondern — wie es die Wertethik lehrt — unabhängig v o m Subjekt vorhandenen (objektiven) Werten entspringend gedacht w i r d . „Nicht, daß ich m i r selbst das Gesetz gebe, sondern daß ich das in den ethischen Werten liegende Gesetz anerkenne und i n freier Entscheidung bejahe — das ist der Sinn der richtig verstandenen Autonomie." (Hessen, a.a.O., S. 95; vgl. auch Hartmann, a.a.O., S. 92). 12 a.a.O., S. 568. 13 Hartmann, a.a.O., S. 568; Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 3. Abschnitt (Werke Bd. 4, S. 315): „Daher ist Freiheit n u r eine Idee der Vernunft, deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist." 1 4 Vgl. ζ. B. die ausführliche Behandlung des Problems bei Hartmann im 3. T e i l seiner „ E t h i k " ; ferner Hessen, Das Kausalprinzip, besonders S. 264 f. u n d Anhang S, 296 f.; derselbe, Wirklichkeitslehre, besonders S. 139, u n d (vom naturwissenschaftlichen Standpunkt) Rabl, Das Problem der Willensfreiheit, besonders S. 92 ff.
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Handlungsbegriff der Sollenstheorie
heitsbewußtsein gibt, wie sittliche Erscheinungen wie Zurechnung und Verantwortung möglich sind, vor allem aber, warum die Person selbst den Anspruch auf Zurechnung erhebt. Gerade hierin „liegt einer der stärksten gegebenen Hinweise auf das ethisch reale Sein der Freiheit. Denn dieser Anspruch läuft allem natürlichen Interesse, allem Bequemmachen und aller allzumenschlichen Schwäche des Abwälzens zuwider. Hier dokumentiert sich eine reale Macht i m Wesen der Person, die dort, wo sie auf ihrer sittlichen Höhe ist, einen Gesichtspunkt ganz eigener A r t ins Leben hineinträgt. Dieser Gesichtspunkt ist der einer streng persönlichen Autonomie" 1 5 . Umgekehrt aber w i r d man sagen können: Eine Theorie, die — m i t welchen Gründen auch immer — den Nachweis der Unfreiheit des Menschen, sein Ausgeliefertsein an ein Spiel von Ursachen, Trieben und Motiven zu erbringen versucht, w i r d auf die Dauer keinen Erfolg haben, w e i l sie — bei aller Anerkennung der menschlichen Schwäche und Beschränktheit i m Einzelfall — für den menschlichen Geist unerträglich ist. „Ob nun gleich hieraus eine Dialektik der Vernunft entspringt, da in Ansehung des Willens die ihm beigelegte Freiheit m i t der Naturnotwendigkeit i m Widerspruch zu stehen scheint, und bei dieser Wegescheidung die Vernunft i n spekulativer Absicht den Weg der Naturnotwendigkeit viel gebahnter und brauchbarer findet als den der Freiheit: so ist doch in praktischer Absicht der Fußsteig der Freiheit der einzige, auf welchem es möglich ist, von seiner Vernunft bei unserem Tun und Lassen Gebrauch zu machen, daher w i r d es der subtilsten Philosophie ebenso unmöglich, wie der gemeinsten Menschenvernunft, die Freiheit wegzuvernünfteln 1 6 ." I m Grunde geht es daher gar nicht um das „ob" der Freiheit, sondern lediglich um die Frage: Wie ist Freiheit — i m Hinblick auf das Kausalitätsprinzip — möglich 17 ? Denn beruht die eigentümliche Würde des Menschen, die ihn vor allen anderen Lebewesen auszeichnet, darauf, daß er nicht etwa kraft einer immanenten Teleologie zur Entfaltung und Vervollkommnung gezwungen, sondern frei ist, zu dem Anspruch der für ihn erkennbaren Werte — also auch gegen ihn — Stellung zu nehmen, so ist eine Auffassung, welche diese Freiheit leugnet oder auch nur in Frage stellt, i m wahrsten Sinne des Wortes entwürdigend, ein geistiger Selbstmord des Menschen, dessen Möglichkeit ebenso wie die des leiblichen i m Grunde noch das bestätigt, was geleugnet werden soll. is Hartmann, a.a.O., S. 665. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 3. Abschnitt Bd. 4, S. 315 f.). 17 Vgl. Kant, a.a.O. (Werke Bd. 4, S. 316).
(Werke
§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
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Ziel der vorstehenden Bemerkungen war es, den ungeheuren geistigen Raum, der i m Begriff des Sollens, der Norm, betreten wird, ein wenig zum Leuchten zu bringen. Denn der Zusammenhang der sittlichen Erscheinungen wie Pflicht, Zurechnung, Verantwortung, Verdienst, Schuld ist ganz gegeben i m Begriff des sittlichen Akts oder der Handlung. Handlung i m ethischen Sinne bedeutet nichts anderes als den Vollzug menschlicher Freiheit gegenüber dem Anspruch des Wertes auf Verwirklichung i n Gestalt der Norm. Folgt der Mensch diesem Aufruf nicht, so w i r d er schuldig aufgrund seiner Freiheit bei der Entscheidung und trägt die Verantwortung. Der Begriff der Handlung, oder, wie Kant sagt, der Tat, läßt sich somit nur definieren i n Bezug auf die Norm einerseits und die Freiheit eines sich entscheidenden Subjekts andererseits, so wie ihn bereits Kant i n klarer und prägnanter Weise gefaßt hat: „Tat heißt eine Handlung sofern sie unter Gesetzen der Verbindlichkeit steht, folglich auch, sofern das Subjekt i n derselben nach der Freiheit seiner W i l l k ü r betrachtet w i r d " 1 8 oder, vom Begriff der Zurechnung her: „Zurechnung . . . ist das Urteil, wodurch jemand als Urheber (causa libera) einer Handlung, die alsdann Tat (factum) heißt und unter Gesetzen steht, angesehen w i r d ; . . . Der Handelnde w i r d durch solch einen A k t als Urheber der Wirkungen betrachtet, und diese zusamt der Handlung selbst können ihm zugerechnet werden, wenn man vorher das Gesetz kennt, kraft welches auf ihnen eine Zurechnung ruhet 1 9 ."
§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
Betrachtet man i m Hinblick auf diesen Handlungsbegriff, der für die Ethik und — nach der Sollenstheorie — auch für das Strafrecht gilt, die modernen strafrechtlichen Handlungslehren, so bedarf es keiner langen Überlegung zu der Feststellung, daß keine dieser Auffassungen, auch nicht die finale Handlungslehre, das Wesen der Handlung, wie es in den Bestimmungen Kants doch schon klar zum Ausdruck gelangt ist, auch nur annähernd erfaßt. Wie i n der Einleitung bereits hervorgehoben, ist der Meinungsstand hinsichtlich des Handlungsbegriffs außerordentlich unübersichtlich. Indessen befinden w i r uns i n der glücklichen Lage, die verschiedenen 18 Metaphysik der Sitten, Einleitung I V (Werke Bd. 7, S. 24). ι» Kant, a.a.O. (Werke Bd. 7, S. 28).
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Handlungsbegriff der Sollenstheorie
Lehren nicht i n allen ihren Spielarten u n d Einzelheiten darlegen zu müssen. Es genügt vielmehr zur Erhärtung der Behauptung, daß sie alle ihrem Gegenstand nicht gerecht werden, drei dieser Lehren herauszugreifen, eine Auswahl, die insofern nicht w i l l k ü r l i c h ist, als es sich bei diesen Lehren u m besonders charakteristische Grundformen handelt, während alle anderen Theorien Spielarten, Abweichungen und Übergänge dieser Grundformen bilden. I. Die kausale Handlungslehre
Nach der „naturalistischen" oder „kausalen" Handlungslehre ist „Handlung" alles, was — so die bekannte Formulierung von Mezger 1 — „durch das Wollen des Handelnden verursacht als ,Wirkung 4 des Wollens erzeugt worden ist". Diese Fassung „ W i r k u n g des Wollens" darf keineswegs i m Sinne der Kantischen „causa libera" mißverstanden werden. Denn der W i l l e w i r d hier nicht als den gesamten Geschehensverlauf beherrschend u n d dadurch zur zurechenbaren Handlung zusammenschließend gedacht, sondern lediglich als „kausales agens" 2 , als Ursache unter anderen Ursachen. „Alle diese Wirkungen sind Bestandteile der Handlung. Ob und inwieweit diese Wirkungen auch Inhalt des Bewußtseins und des Wollens des Handelnden gewesen sind, ist hier ohne Bedeutung . . A " „Was er gewollt hat, ist hier gleichgültig; der Willensinhalt ist n u r v o n Bedeutung f ü r die Schuld 4 ." Praktisch heißt das, daß „Handlung" alles das ist, was durch eine w i l l k ü r l i c h e Körperbewegung ausgelöst wurde. Z u r K r i t i k dieser Auffassung ist inzwischen alles Erforderliche gesagt worden 5 . V o m Standpunkt des Handlungsbegriffs der Sollenstheorie, w i e w i r i h n i m Anschluß an K a n t bestimmten, genügt zur K r i t i k eine einzige Feststellung: Wenn i n der Handlung Freiheit i n F o r m des Willens w i r k s a m w i r d , so kann alles nur-kausale Geschehen, bezüglich dessen der Mensch ohnmächtig, unfrei ist, Handlung nicht sein. I I . Die finale Handlungslehre
Das Verdienst, den naturalistischen Handlungsbegriff als eine heute k a u m begreifliche V e r i r r u n g rechtswissenschaftlichen Denkens i m ι Strafrecht, S. 108. Hardwig, Die Zurechnung, S. 88. 3 Mezger, a.a.O., S. 108. 4 Beling, zitiert bei Mezger, a.a.O., S. 109; vgl. i m übrigen bezüglich der Formulierungen anderer Vertreter dieser Lehre die knappe Darstellung bei Welzel, Das neue Bild, S. 6 f. s Vgl. etwa Welzel, a.a.O., S. 7 ff.; Hardwig, a.a.O., S. 75 ff.; Maihof er, Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 11 ff. 2
§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
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Banne naturwissenschaftlicher Vorstellungen 6 überwunden zu haben, t r i f f t i m wesentlichen die sog. „finale" Handlungslehre Welzeis. Hier spielt nun offenbar der Wille, der bei der kausalen Handlungslehre i n der „ w i l l k ü r l i c h e n Körperbewegung" bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt war, eine wichtige, ja ausschlaggebende Rolle. „Menschliche Handlung ist Ausübung der Zwecktätigkeit. Handlung ist darum ,finales', nicht lediglich ,kausales' Geschehen . . . Da die Finalität auf der Fähigkeit des Willens beruht, i n bestimmten Umfange die Folgen des kausalen Eingreifens vorauszusehen und dadurch diese zur Zielerreichung h i n planvoll zu steuern, ist der zielbewußte, das kausale Geschehen lenkende W i l l e das Rückgrat der finalen Handlung. E r ist der Steuerungsfaktor, der das äußere Kausalgeschehen überformt u n d es dadurch zur zielgelenkten Handlung macht; ohne i h n würde diese, i n ihrer sachlichen S t r u k t u r zerstört, zu einem blinden Kausalprozeß herabsinken . . ." 7 . Der Fortschritt dieser Theorie, welche der Handlungslehre N. H a r t manns 8 und — was vielleicht weniger bekannt ist — der Lehre A r n o l d Gehlens 9 entspricht, ist offensichtlich und erklärt die breite Anhängerschaft, welche diese Lehre trotz a l l ihrer Nachteile gefunden hat. Mußte doch die Einführung des Willens als K r i t e r i u m der Handlung an Stelle der befremdlichen Kausalitätserwägungen, die merkwürdigerweise unter diesem Namen angestellt wurden, von jedem unbefangenen Denker geradezu als Erlösung, ja als endlicher Durchbruch des gesunden Menschenverstandes empfunden werden. Dennoch zeigte sich recht bald, daß die neue Lehre von der finalen Handlung keineswegs i n der Lage war, allen Anforderungen zu genügen, insbesondere die einheitliche Grundlage des Verbrechenssystems zu liefern 1 0 . V o r allem w a r es die Frage der fahrlässigen Handlung, welche eine K r i t i k hervorrief, die Welzel durch immer neue Begründungen u n d Fassungen seiner Lehre abzufangen suchte 11 . Genauso tief, vielleicht noch tiefer an der Wurzel der finalen Hanlungslehre setzt eine Frage an, die ebenfalls bereits von Engisch i n der genannten K r i t i k 1 2 auf« Welzel, a.a.O., S. 6. 7 Welzel, a.a.O., S. 1. 8 So Engisch, Festschrift für Kohlrausch, S. 153; anders dagegen Klug, Festschrift für Emge, S. 33 ff. 9 Gehlen, Der Mensch; seine Natur und seine Stellung i n der Welt, besonders S. 33 ff., S. 251 f f , S. 360 f f , S. 369 ff. 10 So schon Engisch, a.a.O., S. 153 ff. 11 Bezüglich Änderungen i n der Stellungnahme Welzels vgl. ζ. B. Nowakowski, Juristenzeitung 1958, S. 335 ff. und S. 388 f. la Festschrift für Kohlrausch, S. 144 f. 3 Michaelowa
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Handlungsbegriff der Sollenstheorie
geworfen wurde. Wenn Handlung als ein „Leistungsbegriff" 1 3 bedeutet, daß der Wille, die Naturgesetzlichkeit i n seinen Dienst stellend, die Wirklichkeit tätig verändert, dann ist doch offenbar die Unterlassung keine Handlung. Tatsächlich sah sich Welzel zu einem ausdrücklichen Zugeständnis dieser Folgerung gezwungen: „Ontologisch gesehen ist die Unterlassung, da sie ja die Unterlassung einer Handlung ist, selbst keine Handlung 1 4 ." Diese Feststellung ist nun aber systematisch von größter Bedeutung. Je nachdem, wie man zum Verhältnis der Begriffe Handlung und Unterlassung steht, bildet sie entweder die Voraussetzung für den Schluß, daß es den einen begehrten Grundbegriff der Handlung nicht gibt, sondern daß das Verbrechenssystem vom Fundament an zweispurig, nämlich als Handlung und Unterlassung, aufgeführt werden muß — ein Schluß, den schon Radbruch 1 5 resignierend vollzog. Oder aber man muß die Folgerung ziehen, daß das, was man als Handlung bezeichnet, gar nicht der bezielte Gegenstand ist, daß vielmehr die Bezeichnung „Handlung", unter der man doch den einheitlichen Grundbegriff der Verbrechenslehre erfassen w i l l , dem Oberbegriff von Handlung i m engeren Sinne und Unterlassung vorbehalten sein müßte. Indem Welzel i m Gegensatz zu Radbruch einen solchen gemeinsamen Oberbegriff (das „menschliche Verhalten") anerkennt 16 , weist er selbst seinem Handlungsbegriff einen systematischen Platz von sekundärer Bedeutung zu; nicht ihm, sondern dem Begriff des menschlichen Verhaltens gebührt dann das grundsätzliche Interesse. Schließlich hat man der finalen Handlungslehre vielfach einen übermäßigen Subjektivismus vorgeworfen 17 . Wenn nach dieser Lehre der Wille einem Geschehen den Handlungscharakter verleihe, so werde der Handlung aller Sinn durch das handelnde Subjekt beigelegt 18 . Da es sich aber beim Recht um eine soziale Ordnung handele, könne der Begriff der Handlung als eines sozial bedeutsamen Geschehens nicht vom Standpunkt des Individuums, sondern allein vom Standpunkt der Gemeinschaft richtig gefaßt werden 1 9 .
13 Welzel, Das neue Bild, S. 31. 14 Lehrbuch, S. 180. ι 5 Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem, S. 143. 16 Lehrbuch, S. 28. 17
Vgl. etwa. Maihof er, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 70, S. 168 ff. is Maihof er, a.a.O., S. 173. ι» Maihof er, a.a.O., S. 168 ff., besonders S. 173.
§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
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I I I . Die soziale Handlungslehre
Damit kommen w i r zu einem dritten, dem sog. „sozialen" Handlungsbegriff, der seine bezeichnendste Ausprägung vielleicht in der Lehre Maihofers 20 gefunden hat. Die soziale Handlungslehre geht vom „objektiven Erklärungs- und Handlungssinn aus, wie er vom ,Empfängerhorizont 4 der anderen her sich zeigt" 2 1 . Maßgebend ist die Einsicht, „daß ,für den anderen' und damit für die Legalität von Recht und Unrecht die objektive, soziale Sinnhaftigkeit und Zweckhaftigkeit und nicht die subjektive, individuelle Sinngebung und Zwecksetzung für die Handlung als soziales Phänomen entscheidend sind" 2 2 . Aus diesem Gesichtspunkt bestimmt Maihofer den Begriff der Handlung als „auf die Verletzung von Sozialgütern gerichtetes Verhalten" 2 3 . Der Frage, worin Maihofer diesen objektiven Maßstab nun eigentlich sieht, brauchen w i r hier schon nicht mehr nachzugehen. Denn wenn w i r — immer i m Hinblick auf den Handlungsbegriff der Sollenstheorie — wegen der Aufnahme des Willens die finale Handlungslehre gegenüber der kausalen als Fortschritt begrüßten, so w i r d eben dieser Fortschritt i n der Lehre Maihofers, der diesen „Subjektivismus" ablehnt 2 4 , wieder zunichte gemacht 25 . Es ist zwar richtig und selbstverständlich, daß i m Recht ein Verhalten nur insofern von Bedeutung ist, als es die Gemeinschaft berührt, die sich i m „andern", i m jeweils Nächsten, verkörpert. I m Unterschied zu den Pflichten sich selbst gegenüber (Individualethik) setzt das Recht als soziale Ordnung nur Pflichten gegenüber anderen. I n diesem verschiedenen Inhalt der Normen erschöpft sich auch schon der ganze Unterschied des individual- und sozialethischen Bereichs. Es kann daher keine Rede davon sein, daß ein Geschehen, das für mich keine Handlung ist, es für „die andern" trotzdem ist, oder umgekehrt. 20
Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, besonders S. 4 ff. u n d S. 62 ff. sowie Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 70, S. 159 ff. I n der Betonung des sozialen als eines objektiven, d. h. außerhalb des Täterwillens gesuchten Maßstabes besteht wesentliche Verwandtschaft m i t den Gedanken Engischs (Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 160 ff.) und Eberhard Schmidts (Der A r z t i m Strafrecht, S. 76, Anm. 29). Maihofer ist insofern radikaler, als er auch den letzten Rest der Tätersubjektivität, der etwa i n der Definition Engischs (a.a.O., S. 161) noch verblieben ist, aus dem Handlungsbegriff verbannen w i l l . A u f die Abweichungen i m einzelnen k o m m t es aber hier, w i e schon betont, nicht an. 21 Maihofer, Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 70, S. 172. 22 Maihofer, a.a.O., S. 171. 23 Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 72. 24 Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 70, S. 169. 23 Insofern ist die K r i t i k Welzels, Lehrbuch, S. 28, zutreffend. 3
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
Der Mensch w i r d von der Gemeinschaft als das verstanden und anerkannt, was er auch für sich ist, nämlich als freies und verantwortliches Wesen. Wenn es dennoch häufig genug vorkommt, daß „die andern" etwas als meine Handlung auffassen, was ich selbst mir nicht zurechnen muß, so liegt das einfach an der beschränkten Einsicht Außenstehender i n meine Situation, nicht aber daran, daß „Handlung" i m individualen und sozialen Bereich etwas Verschiedenes wäre. Von dieser inhaltlichen Unterscheidung der Normen bleibt vielmehr der Akt, i n dem sich die Stellungnahme der Menschen zur Norm vollzieht — also eben das, was w i r „Handlung" nennen — seiner formalen Struktur nach unberührt 2 6 . Daher fordert der Begriff der Handlung ohne Rücksicht auf den Inhalt der Norm immer die Freiheit eines sich entscheidenden Subjekts. Da aber Träger der freien Entscheidung der Wille ist, kann von ihm auf keinen Fall abgesehen werden. Oder, anders ausgedrückt: Sofern nämlich das Subjekt nur durch den freien Willen eigentlich Subjekt ist — d. h. Träger einer Eigengesetzlichkeit 27 , Axionomie — bedeutet die Außerachtlassung des Willens i m Begriff der Handlung soviel wie die Abstraktion vom Handelnden selbst, wodurch dieser Begriff — der doch immer eine Beziehung zu einer Person i m Wege der Zurechnung herstellen soll — jeden Sinn verliert.
I V . Kritik der finalen Handlungslehre
Damit kommen w i r auf die finale Handlungslehre und ihre K r i t i k zurück. Der entscheidende Fehler 2 8 der finalen Handlungslehre, auf den sich alle Unstimmigkeiten letzten Endes zurückführen lassen, der Grund dafür, daß sie „zu eng" 2 9 ist, liegt darin, daß sie auf halbem Wege stehen bleibt, d. h. daß sie i n ihrem Maßstab, dem Willen, nicht dessen eigentliches
Prinzip,
die Freiheit,
erkennt.
W i r sagten bereits, daß der finale Handlungsbegriff Welzels m i t der Lehre Arnold Gehlens bedeutende Ähnlichkeit aufweist. I n Gehlens 26 Wichtiger als diese unklaren Vorstellungen v o m „Sozialen" erscheint Maihof er s systematische Methode der „radikalen Reduktion" (Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 68), auf die w i r noch zurückkommen werden. 27 „Eigen" soll hier nicht auf den Ursprung des Gesetzes i m Subjekt (im Kantischen Sinne) hinweisen, sondern besagen, daß der Mensch als Subj e k t (Person) einer eigenen, besonderen Gesetzlichkeit, eben der der Werte, unterliegt. 28 Die Beurteilung erfolgt i n diesem ersten T e i l der Untersuchung immer nur v o m Standpunkt der Sollenstheorie. 29 Engisch, Festschrift für Kohlrausch, S. 155.
§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
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philosophischer Anthropologie nimmt der Handlungsbegriff eine zentrale Stellung ein; ja der Mensch w i r d als „handelndes Wesen" bestimmt 3 0 . Auch nach Gehlen ist die Berechtigung dieser Definition begründet i n der menschlichen Freiheit. Diese Freiheit, so sagt Gehlen, Ansätze vor allem Herders, Kants und Nietzsches aufnehmend und mit den Erkenntnissen der neueren Biologie (Portmann, Uexküll, Storch, Lorenz usw. 31 ) verknüpfend, ist zunächst einmal eine Freiheit von etwas i m Sinne eines Mangels. Der Mensch ist ein „Mängelwesen" 32 . Es fehlen ihm, und so w i r d er vom Tier entscheidend abgehoben, die sicheren Triebreaktionen auf einen bestimmten Anreiz und die spezialisierten Organe, m i t denen das Tier von Geburt an zur Bewältigung einer bestimmten Umwelt höchst zweckmäßig ausgerüstet ist. I n diesen Mängeln liegen aber auch die entscheidenden Möglichkeiten des Menschen begründet, die i h n befähigen, seine A r t nicht nur zu erhalten, sondern die Natur in einem Maße zu beherrschen, wie das heute der Fall ist. Durch seine Unspezialisiertheit ist der Mensch nicht an eine bestimmte Umwelt gebunden; vielmehr schafft er sich selbst überall die ihm gemäßen Bedingungen mittels künstlicher Organe, der Werkzeuge. Zur Herstellung und Benutzung von Werkzeugen (d. h. der Technik) ist der Mensch aber wiederum nur dadurch fähig, daß seine Triebungebundenheit ihn i n den Stand versetzt, unabhängig von dem Drang des Augenblicks vorausschauend, planend zu denken und diese Entwürfe zwecktätig durch den Einsatz geeigneter M i t t e l zu verwirklichen. Diese i m Verhältnis zum Tier ganz besondere A r t der Daseinsbehauptung nennt Gehlen „Handlung" 3 3 . Die Parallele zu Welzel liegt auf der Hand. Das Wesen der finalen Handlung besteht darin, daß der Mensch, vorbedachte M i t t e l nach Zwecken einsetzend, gestaltend i n die Wirklichkeit eingreift. Und damit w i r d etwas von der Zugkraft beider Theorien erst recht verständlich: Die ganz spezifisch menschliche Erscheinung der Technik, die uns i n der modernen Industrie besonders eindringlich vor Augen steht, aber i m Gebrauch des Feuers bereits ebenso unverwechselbar zum Ausdruck kommt, w i r d i n beiden Lehren eindrucksvoll erfaßt und dargestellt. 30 Gehlen, Der Mensch, z.B. S. 33, S. 39. 31
Nachweise siehe Namensverzeichnis, a.a.O., S. 439 ff. 32 a.a.O., S. 21, S. 35, S. 89, S. 383. 33 Vgl. den Überblick i n der Einleitung, a.a.O., S. 33 ff.; weiter besonders S. 251 ff., S. 360 ff., S. 369 ff. Selbstverständlich konnte diese inzwischen auch recht bekannt gewordene Lehre hier n u r i n ganz groben Umrissen wiedergegeben werden.
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Daher gilt aber auch für beide Lehren die gleiche K r i t i k . Der finale Handlungsbegriff ist ohne jeden Bezug auf ein verpflichtendes Sollen sinnvoll, weswegen Welzel auch mit Recht behaupten kann, dieser Begriff sei dem Recht vorgegeben 34 . Aber gerade darin, i n seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem Normativen, liegt seine Schwäche. So könnten die Worte Ph. Lerschs zur Lehre Gehlens auch zu Welzel gesprochen sein: „Nur die männliche, aktive, technische Seite erscheint, eben die Idee des homo faber 3 5 ." Der Mensch als homo faber: besser dürfte die finale Handlungslehre kaum zu kennzeichnen sein. Der finale Handlungsbegriff ist ein Begriff der technischen Leistung. Ebenso wie die Technik als solche steht auch die finale Handlung „jenseits von gut und böse". I m Hinblick darauf, daß Gehlens Auffassung von der Handlung einseitig vom Blickpunkt der Selbst- und Arterhaltung konzipiert, also eine biologische Theorie der Handlung ist, kann man auch Welzels Handlungsbegriff, welcher dem Gehlens entspricht, einen biologischen oder einen natürlichen 3 6 nennen, eine Bezeichnung, die hier viel angemessener ist als bei der kausalen Handlungslehre. Damit entspricht es durchaus dem Standpunkt der Sollenstheorie, wenn Welzel sagt 37 : „Die finale Struktur des menschlichen Handelns ist für die strafrechtlichen Normen schlechthin konstitutiv. Rechtsnormen, d. i. die Verbote oder Gebote des Rechts, können sich nicht an blinde Kausalprozesse, sondern nur an Handlungen wenden, die die Zukunft zweckmäßig zu gestalten vermögen. Normen können nur ein zwecktätiges Verhalten gebieten oder verbieten." Wenn also das Recht vom Menschen verlangt, i n die Außenwelt i n einem bestimmten Sinne einzugreifen oder solche Eingriffe zu unterlassen, so kann sich dies nur auf diejenige Verhaltensweise beziehen, wodurch der Mensch wesensgemäß solche Veränderungen der Außenwelt herbeiführen kann, d. h. die finale Handlung. Normwidrig und daher Verantwortung begründend ist aber nicht die finale Handlung als solche, die trotz Verbots erbracht oder trotz Gebots unterlassen wurde, sondern die möglicherweise darin liegende freie Stellungnahme zur Norm. A m klarsten zeigt sich dies bei der Unterlassung: Obwohl eine finale Handlung nicht vorliegt, ist die Unterlassung i m Rechtssinne echte Tat. 34 Das neue Bild, S . 4 f . 35 Philosophische Anthropologie (Vorlesungsnachschrift), S. 26. 36 Worunter gemäß der biologischen Menschennatur die Fähigkeit Zwecktätigkeit, zu technischem Handeln verstanden werden muß. 37 a.a.O., S. 4 f.
zur
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§ 2. Blick auf die juristischen Handlungslehren
Wir können zusammenfassen: Finalität ist die reine Form menschlicher Macht über die Wirklichkeit. Sie besagt, daß und auf welche Weise der Mensch die Wirklichkeit verändern kann. Dazu setzt sie die Erkenntnis des Seins i n seinem So-Sein (der Naturgesetze) voraus. Der Mensch erkennt das Sein aber nicht nur i n seinem So-Sein, sondern erfaßt es auch i n seinem Wert. M i t dem Gefühl des Wertes hat der Mensch die Idee des vollkommenen, beglückenden Seins 38 . I m Vergleich mit der Idee des vollkommenen Seins erscheint das Sein, so wie es wirklich ist, als ein unvollkommenes, verbesserungsbedürftiges Sein; andererseits aber auch niemals als ein ganz wert-loses, sondern immer als ein mehr oder weniger wert-volles Sein. Erst diese Idee des vollkommenen Seins gibt der Finalität als der reinen Form menschlicher Wirklichkeitsbeherrschung einen Sinn. Dieser Sinn ist die Verantwortlichkeit für die Gestaltung des Seins. Aus der bloßen Fähigkeit, die Wirklichkeit zwecktätig zu verändern, w i r d m i t der Einsicht i n den Wert bzw. Unwert des Seins das Sollen. Auf dem Hintergrunde des Sollens erscheint nun auch die Idee der Freiheit. Wäre keine Norm, so gäbe es keinen Grund für eine Entscheidung, so daß Freiheit erst gar nicht fraglich werden könnte. Unter dem Aspekt des Sollens und der Freiheit w i r d die als solche amoralische (technische) Veränderung des Seins zur verantwortlichen Gestaltung. Das Verhältnis von Finalität und Handlung i m Sinne der Sollenstheorie (Tat) läßt sich somit wie folgt kennzeichnen: Ohne die Möglichkeit der Finalität gibt es keine Tat, weil das Sollen, die Norm, die Macht über die Wirklichkeit voraussetzt. Andererseits ist Finalität aber keine Tat, solange sie nicht Ausdruck einer Wertentscheidung, einer freien Stellungnahme zur Norm ist. W i r können daher — i n starker Anlehnung an Kant — Handlung (Tat) bestimmen als freie Gestaltung der Wirklichkeit stalt der Norm (Pflicht).
unter
dem
Anspruch
des Wertes
in
Ge-
Ein Bedürfnis, die eigentliche Freiheit des Willens von der Freiheit der Handlung zu unterscheiden 39 , besteht nicht; vielmehr wäre eine solche Trennung in diesem Zusammenhang geradezu sachwidrig. Denn wenn der Begriff der Handlung dem Wesen des Strafrechts als einer Normwissenschaft entsprechend i m Hinblick auf Zurechnung, Verantwortung gefaßt werden soll, so muß i n ihm die Freiheit i m umfassendsten Sinne anwesend sein, so daß sie alle anderen Arten der Freiheit einschließt: zunächst 88
Vgl. die schöne Formulierung von Alois Wenzl, Philosophie der Freiheit, Bd. 2, S. 15: „Daß das Sein ein beglückendes Sein sein sollte, ist evident, u n d i n dem Z i r k e l : was sein soll, beglückt, u n d Beglückendes soll sein, liegt i n der Tat der Begriff des Wertes umschlossen." 39 Vgl. Hartmann, Ethik, S. 581 f.; Welzel, Das neue Bild, S.49f.
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a) die generelle Fähigkeit des Menschen, überhaupt normgemäß zu wollen (die eigentliche Willensfreiheit i m metaphysischen Sinne), die b) nicht durch besondere Umstände i n der Person eines bestimmten Menschen aufgehoben sein darf (wie z.B. durch Geisteskrankheit), und schließlich c) auch die Fähigkeit, einen normgemäßen Willen zu verwirklichen (die Handlungsfreiheit i m engeren Sinne, Finalität). Damit zeigt sich, daß die Handlung i m Sinne der Sollenstheorie — sofern sie pflichtwidrig ist — identisch ist mit dem Begriff der Schuld. Diese Identität mußte sich ergeben, wenn der Handlungsbegriff wie hier i n Bezug auf ein sittliches Sollen, d. h. als Verantwortung begründend, gefaßt wurde.
§ 3. Moderne Tendenzen z u m Handlungsbegriff der Sollenstheorie I . Die Auffassung Hardwigs
Der vorstehende Gedankengang beruht auf der Kantischen Bestimmung des Handlungsbegriffs (der Tat), ist also keineswegs neu. Auf dem Gebiet des Strafrechts wurden diese Gedanken vor allem von Hardwig 1 wieder aufgenommen. Hardwig gibt zunächst einen Abriß der Geschichte der Zurechnungslehre 2 . Von den i n der geschichtlichen Erörterung des Problems gewonnenen Einsichten ausgehend, versucht Hardwig, das Strafrechtssystem vom Begriff der Zurechnung her neu zu begründen. Der verhältnismäßig schwache Widerhall, den dieses Buch gefunden hat 3 , ist vermutlich teilweise auf die eigenartige „Komplexität" 4 des neuen Denkgebäudes, zum Teil aber auch auf gewisse Unklarheiten und Mängel der systematischen Ausführungen Hardwigs zurückzuführen. M i t großem Nachdruck bekämpft Hardwig das „Kausaldogma", wonach einer Handlung immer eine Kausalbeziehung des Handelnden zu einem Erfolg zugrunde liegen muß, m i t der Behauptung, daß bei ι Die Zurechnung. E i n Zentralproblem des Strafrechts. 2 a.a.O., S. 11 ff. 3 Hardwig hat dies auch selbst vorausgesehen: „ M a n darf nicht erwarten, daß die i n dieser Arbeit angewandte A r t des Sehens sich m i t einem Schlage durchsetzen w i r d . Dazu ist das Kausaldogma viel zu verfestigt." (a.a.O., S. 240.) a.a.O., S. 1 t
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie
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einer Unterlassung eben gerade die Kausalität fehle 5 . Dann folgt die Auseinandersetzung mit der für das überkommene Verbrechenssystem (einschließlich des Systems der finalen Handlungslehre) grundlegenden Schrift Radbruchs über den Handlungsbegriff 6 ' 7 . Hardwig begründet zunächst8 mit zutreffenden logischen Erwägungen die Unrichtigkeit der Behauptung Radbruchs 9 , die Begriffe Handlung und Unterlassung hätten keinen gemeinsamen Oberbegriff. I m Anschluß daran versucht Hardwig, dieser Gemeinsamkeit auf die Spur zu kommen 1 0 . Der folgende Gedankengang ist so wesentlich, die Normbezogenheit des Handlungsbegriffs t r i t t dabei i n so großer Klarheit hervor, daß w i r ihn weitgehend wörtlich wiedergeben wollen. Hardwig schreibt: „ W i r haben gesehen, daß sich das Urteil, daß zwei Begriffe kontradiktorische seien, gar nicht fällen läßt, ehe nicht das Gebiet abgesteckt ist, für welches sie kontradiktorisch sind. Wenn ich feststelle, daß etwas keine Unterlassung ist, dann ist damit noch nicht festgestellt, daß es eine Handlung ist. Ein Baum ist keine Unterlassung, aber er ist auch keine Handlung. Handlung und Unterlassung müssen Glieder einer sinnvollen Begriffsreihe sein, und zwar alternative Glieder der Begriffsreihe. Durch den bestimmten Sinn sind diese Glieder aufeinander bezogen. Erst der gemeinsame Bezugspunkt vermag die Glieder so fest aneinander zu ketten, daß nur ihr gegenseitiges Verhältnis i n Betracht kommt. Welches ist bei Handlung und Unterlassung das verbindende Moment? Gehen w i r von einem sprachlichen Beispiel aus: Ich habe dir geholfen — ich habe unterlassen, dir zu helfen. Sage ich, ich habe nicht unterlassen, dir zu helfen, dann bedeutet dieser Satz, daß ich dir geholfen habe. Machen w i r die Gegenprobe: Bedeutet, ich habe dir nicht geholfen, daß ich unterlassen habe, dir zu helfen? Offenbar jedenfalls nicht m i t derselben Gewißheit! Die Begriffe Handeln und Unterlassen müssen danach nicht ganz gleichwertig sein. Ich habe dir nicht geholfen, ist offensichtlich eine bloße Verneinung. Radbruch gibt nun der Unterlassung den Sinn einer bloßen Verneinung, wie seine Formel a — non-a zeigt. Aber ist es wirklich dasselbe, ob ich sage, ich habe dir nicht geholfen, oder ob ich sage, ich habe unterlassen, dir zu helfen? Ist es z.B. gleichbedeutend, wenn jemand sagt, ich habe eine Arbeit nicht geschafft, weil mein Freund mir nicht geholfen hat, als wenn er sagt, ich habe die Arbeit nicht geschafft, weil 3 a.a.O., S. 90 f f , besonders S. 100. 6 a.a.O., S. 100 ff. 7 Radbruch, Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem. β Vgl. a.a.O., S. 101 ff. 9 Radbruch, a.a.O., S. 140 (zitiert bei Hardwig, a.a.O., S. 101). 10 Hardwig, a.a.O., S. 103 ff.
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mein Freund es unterlassen hat, mir zu helfen? Das Sprachgefühl sagt uns, daß hier mit beiden Wendungen Verschiedenes gemeint ist. Aber worin liegt die Verschiedenheit? Man könnte sagen, von Unterlassen spricht man dann, wenn eine bestimmte Handlung erwartet wurde, also hier das Helfen. Aber was heißt nun wieder ,erwarten'? 11 . . . I m Rechtssinn erwartet ist aber nur eine Handlung, die vorzunehmen Pflicht ist. Eine andere Handlung kann vom Recht gar nicht erwartet sein . . . Der positive Bezugskern der Unterlassung i m Rechtssinn kann daher nur die gemäß einer Rechtspflicht erwartete Handlung sein. Allgemeine Voraussetzung einer erwarteten Handlung ist ihre Möglichkeit oder wenigstens ihre angenommene Möglichkeit . . . Anderenfalls w i r d der Begriff der erwarteten Handlung und damit auch der Unterlassung sinnwidrig . . . Damit sind w i r aber mitten in der Erörterung der positiven Merkmale der Unterlassung. Diese sind innerhalb der Kategorie des Rechts: Die Möglichkeit der vom Recht erwarteten Handlung und die Rechtspflicht zu ihrer Vornahme 1 2 ." Bis zu dieser Stelle ist alles richtig. I n den nächsten Sätzen fällt Hardwig dann jener ungenauen Terminologie zum Opfer, die sich i m Streit um den Handlungsbegriff schon immer außerordentlich störend bemerkbar macht. Es heißt nämlich weiter: „Erst diese Rechtspflicht macht die Unterlassung zu einer rechtlich qualifizierbaren. Die Möglichkeit der erwarteten Handlung macht auch erst die Unterlassung möglich. Damit haben w i r zugleich den gemeinsamen Bezugspunkt von Handlung und Unterlassung gefunden. Handlung und Unterlassung sind rechtlich qualifizierbare mögliche Verhaltensweisen 13 ." Die Bildung dieses Oberbegriffs ist unrichtig, weil Hardwig den Begriff der Handlung i m Sinne von „Tun", den Begriff der Unterlassung aber nicht in dem entsprechenden Sinne von „Nicht-Tun" gebraucht und außerdem den Begriff der Möglichkeit doppeldeutig verwendet. Auch dieser I r r t u m ist sehr lehrreich. Prüfen w i r den Gedankengang nochmals nach, indem w i r statt „Handlung" und „Unterlassung" nach Möglichkeit die Ausdrücke „Tun" und „Nicht-Tun" einsetzen: Eine Unterlassung kann nach Hardwig nur dann vorliegen, wenn das erwartete positive Tun (tatsächlich) möglich ist. Die Möglichkeit des Tuns macht die Unterlassung rechtlich, aber nicht tatsächlich (als Nicht-Tun) möglich. Denn die Möglichkeit des Tuns begründet doch nicht erst die Möglichkeit des Nicht-Tuns. Vielmehr ist das Nicht-Tun selbstverständlich auch dann möglich, und sogar einzig und allein möglich, d. h. notwendig, wenn das Tun unmöglich ist. Hardwig w i l l sagen: Nur wenn eine Einwir11
a.a.O., S. 103 f. unter A n k n ü p f u n g an Mezger, zitiert a.a.O., S. 104, 12 a.a.O., S. 105. 13 a.a.O., S. 105.
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie
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kung auf ein Geschehen tatsächlich möglich ist, kann ein Mensch für dieses Geschehen verantwortlich gemacht werden. I m Begriff der Unterlassung ist also bereits die Zurechnung vollzogen. Dieser durchaus normative Begriff kann aber nicht m i t der Handlung, sofern sie wie bei Hardwig als ein bloßes Tun verstanden wird, in eine Linie gestellt werden. Vielmehr gilt für den der Unterlassung entsprechenden Begriff der Handlung genau das gleiche, was Hardwig für die Unterlassung so überzeugend entwickelt hat: Auch eine Handlung liegt nur dann vor, wenn ein Nicht-Tun möglich ist. Noch eine weitere Korrektur ist hier anzubringen: Eine Unterlassung setzt voraus, daß eine Beeinflussung des Geschehens möglich ist, nicht aber, wie Hardw i g meint, daß sie geboten ist. Eine Unterlassung liegt vielmehr auch dann vor, wenn das Tun verboten ist, nur handelt es sich dann nicht um eine pflichtwidrige Unterlassung, sondern u m eine pflichtgemäße. Genau das gleiche gilt auch für die Handlung i m Sinne der Sollenstheorie. Wesentlich sind Unterlassung und Handlung aber die Freiheit und damit die Normbezogenheit überhaupt. Damit bestimmt sich der Oberbegriff, den w i r Handlung (im weiteren Sinne) oder besser m i t Kant „Tat" nennen, als freie Gestaltung der Wirklichkeit unter den Anforderungen des Wertes i n Gestalt der Norm. Man w i r d nun freilich fragen, wieso bei der Unterlassung von einer „Gestaltung" die Rede sein kann; bedeutet doch dieser Ausdruck immer eine bestimmte Aktivität. Zum richtigen Verständnis führt der Gedanke, daß die Aufgabe des Menschen, gegenüber dem bereits m i t Wert erfüllten, wert-vollen Sein nur im Einsatz für dessen Erhaltung — auch gegenüber eigenen wertwidrigen Neigungen — bestehen kann. Unterlasse ich es daher pflichtgemäß, einen Menschen zu töten, so liegt darin insofern eine Gestaltung, als ich das i n meine Hand gegebene Menschenleben um des ihm innewohnenden Wertes willen bewußt bejaht und daher von seiner Zerstörung abgesehen habe. Die Erhaltung — soweit darunter ein bloßes Absehen von der möglichen Vernichtung verstanden w i r d 1 4 — ist offenbar der Grenzfall der Gestaltung. Indessen ist auch sie noch, sofern in der bewußten Beibehaltung eines Zustandes eine Entscheidung für dessen Wert liegt, echte Tat 1 5 . Die Struktur der pflichtmäßigen Unterlassung hat allerdings für das Strafrecht keine unmittelbare Bedeutung, weil die Strafe nur an 14 Anders, w e n n die Erhaltung i n der Errettung eines Gutes aus einer Gefahr besteht. Hier bedarf es einen aktiven Eingreifens i n den Geschehensablauf, u m den drohenden Schaden zu vermeiden. is Dies erschließt sich auch dem Sprachgefühl, insofern ein „vorhandener" Zustand nur durch eine Beziehung der Freiheit zu einem „erhaltenen" w i r d .
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
rechtswidrige Taten anknüpft Sie mußte jedoch berücksichtigt werden, u m die Richtigkeit des normativen Oberbegriffs (der Tat) auch für diesen schwierigsten Fall zu erweisen. Bei der pflichtwidrigen Unterlassung dagegen, mit der es das Strafrecht zu t u n hat, empfindet man diese Gestaltung deutlich. Sie besteht darin, daß ich einem gefährlichen Geschehen, das den Bestand eines Gutes bedroht, seinen Lauf lasse, obwohl ich helfen könnte und müßte. K o m m t es zum Untergang des Gutes, so ist dieser Wertverlust des Seins nicht Zufall, sondern — aufgrund meiner Freiheit, i h n aufzuhalten — mein Werk. Die pflichtwidrige Unterlassung enthält also eine Entscheidung gegen den Wert. Besteht der Zurechnungsgrund bei der pflichtmäßigen Unterlassung i n der (freien) Aufrechterhaltung eines Zustandes wegen seines Wertes, so liegt der der pflichtwidrigen Unterlassung i n der (freien) Aufrechterhaltung eines Zustandes (oder Geschehens) trotz seines Unwertes 16 . Sowohl bei der Handlung als auch bei der Unterlassung ist Grund der Zurechnung also meine Freiheit bezüglich eines Geschehens i m Hinblick auf den Anspruch des Wertes auf Verwirklichung i n Gestalt der Norm. Radbruch glaubte den Handlungsbegriff aufgrund der Erwägung gewinnen zu können, daß — so seine bekannte Formulierung — strafbar in der Regel nur eine schuldhafte rechtswidrige Handlung, schuldhaft nur eine rechtswidrige Handlung und rechtswidrig nur eine Handlung sein kann 1 7 . Als ein später Nachfahr Radbruchs erweist sich Maihofer, wenn er meint, daß dem Handlungsbegriff als einheitlichem Grundbegriff „Neutralität gegenüber all den erst für den Unrechts- oder Schuldtatbestand konstitutiven Feststellungen und Wertungen" 1 8 zukommen müsse. „Als Subjekt dieser Prädikate (sc. rechtswidrig und schuldhaft) muß der Handlungsbegriff allen diesen Prädikaten gegenüber völlig indifferent sein 19 ." Der Fehler dieser Methode der „radikalen Reduktion" 2 0 dürfte nach den vorangegangenen Erörterungen klar sein: „Rechtswidrig" bzw. „schuldhaft" sind keine Bestimmungen, die von der Handlung i m Sinne gewöhnlicher Attribute ausgesagt werden können; sie sind nicht akzidentiell, sondern essentiell. Eine Handlung i m Sinne der Sollenstheorie ist immer nur als normwidrige oder normgemäße möglich; d. h. der normative Bezug ist ihr wesentlich. Abstrahiere ich von diesem normativen Bezüge, welcher der Handlung be16 Nicht n u r die Beschädigung eines Gutes ist ein Unwert, sondern — davon abgeleitet — auch schon die Gefahrenlage selbst. 17 Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung für das Strafrechtssy stem, S. 71. Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 8. 19 Maihofer, a.a.O., S. 8. «ο Maihofer, a.a.O., S. 68.
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie
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griffsnotwendig innewohnt, so löse ich den Handlungsbegriff selbst auf, so daß mir nichts i n der Hand bleibt, als ein bloßer Name, mit dem nichts Seiendes bezielt wird, ein „blutleeres Gespenst" 2 1 ' 2 2 . Hardwig erkannte also ganz richtig, „daß das Abzugsverfahren Radbruchs einen folgenschweren Fehler enthielt" 2 3 ohne allerdings herauszufinden, worin er bestand 24 . Denn die Gemeinsamkeit von Handlung und Unterlassung besteht gerade i n dem, was Radbruch 25 aus dem Handlungsbegriff ausgeschieden hat: dem normativen Bezug und damit der Freiheit. Gegen diese „Baukastenmethode" 26 , die nicht nur das von Hardwig so genannte „klassische Schema" 27 , sondern auch die finale Handlungslehre insofern auszeichnet, als man die rechtswidrige und schuldhafte Handlung als durch fortschreitende Differenzierung gebildete spezielle Arten der „Handlung an sich" betrachtet, die ohne jeden normativen Bezug gefaßt wird, entwirft nun Hardwig sein „komplexes" System der Zurechnung. „Wenn somit die Rechtspfiicht zum tragenden Prinzip der Zurechnung w i r d 2 8 " , w i r d das Problem der Zurechnung durch zwei Fragen gekennzeichnet: „1. Warum w i r d dir ein rechtswidriges Geschehen zugerechnet? Weil es deine Rechtspfiicht war, daß es nicht geschah. 2. Wann w i r d dir ein rechtswidriges Geschehen zugerechnet? Wenn du es hättest vermeiden oder abwenden können . . . 2 9 ." Die Norm als Ausgangspunkt (Frage 1) verlangt also sofort die Freiheit (Frage 2) eines sich entscheidenden Subjekts. Das einzige, was w i r an dieser Formulierung aussetzen, ist, daß sie den Begriff der Handlung nicht enthält. Denn ein Geschehen w i r d nicht als rechtsw i d r i g zugerechnet, sondern als rechtswidrige Handlung. Die Tatsache, daß Hardwig diesen Ausdruck vermeidet, hat einen besonderen Grund. Hardwig macht nämlich diese Terminologie m i t 21
Nach einm Ausdruck von Beling, Die Lehre v o m Verbrechen, S. 17. Ganz ähnlich neuerdings E. A. Wolff, Der Handlungsbegriff i n der Lehre v o m Verbrechen, S. 18 f. und S. 19, A n m . 6 u n d 7. 2 3 Die Zurechnung, S. 105. 24 a.a.O., S. 105. Der G r u n d dafür liegt, w i e oben S. 42 f. dargelegt, i n der Bildung eines falschen Oberbegriffs f ü r T u n u n d Unterlassen. Dies dürfte seinerseits wieder damit zusammenhängen, daß Hardwig, was i m Anschluß zu besprechen sein w i r d , einen Handlungsbegriff nicht verwendet. 2 5 U n d i h m folgend Maihof er. 2 ® Hardwig, a.a.O., S. 182. 27 a.a.O., S. 174. Gegen diesen Ausdruck, w e i l dogmengeschichtlich unzutreffend, m i t Recht Welzel i m V o r w o r t zu der hier zitierten 9. Auflage seines Lehrbuchs (S.Vf.). 2 8 Hardwig, a.a.O., S. 121. 29 a.a.O., S. 121; entsprechend auf Seite 127. 22
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Erster Teil: Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
verantwortlich für die Entstehung des „Kausaldogmas" und damit für die Spaltung des Verbrechenssystems i n Handlung und Unterlassung 30 , vielleicht mit Recht insoweit, als der Ausdruck Handlung assoziativ mit der Vorstellung Tätigsein, Aktivität, Wirksamkeit i m Sinne eines Energieeinsatzes verknüpft ist. Dieser Gesichtspunkt mag auch für die finale Handlungslehre gelten, i n welcher die spezifisch menschliche A k t i v i t ä t zum Ausdruck kommt. Nichtsdestoweniger ist ein Ausdruck für die eigentümliche normative Erscheinung, daß ein Mensch gegenüber dem Anspruch einer ihn verpflichtenden Norm i n freier Entscheidung Stellung nimmt und sich damit die Folgen dieser seiner Entscheidung gewissermaßen zueignet, unentbehrlich, sei es nun „Handlung", „Tat", „Werk" oder ein ähnlicher. Auch bei den Ausdrücken „Tat" und „Werk" steht ja die Vorstellung des Tätig-seins, Wirkens i m Hintergrund, obwohl ihre normative Bedeutung dem heutigen Sprachgefühl vielleicht etwas deutlicher ist als i n dem neutraleren Wort „Handlung". Die Vorstellung der Aktivität, die in all diesen Ausdrücken erweckt wird, besteht auch nicht von ungefähr; liegt doch i n der Stellungnahme zur Norm, i n der Entscheidung, immer ein A k t der Freiheit, welchem dazu in vielen Fällen ein innerer Kampf zwischen „Pflicht und Neigung" vorausgeht. Die handfestere Urbedeutung w i r d also, wie es i n der Sprache laufend geschieht, beim normativen Gebrauch des Ausdrucks in eine neue Sphäre gehoben, vergeistigt, so daß es keinerlei Widerspruch enthält, von einer sittlichen Leistung 3 1 zu sprechen, wo jemand äußerlich nichts leistet, oder von einer guten oder bösen Tat, wo jemand äußerlich nichts t u t 3 2 . Auch der Begriff der Zurechnung, auf den Hardwig den Ton legt 3 3 , ist für den Handlungsbegriff kein Ersatz, denn Zurechnung ist ja nichts anderes, als das Urteil, daß ein bestimmtes Geschehen auf die Freiheit eines Menschen zurückgeführt werden kann, d. h. das Urteil über den Handlungscharakter eines Geschehens34. Wenn nach Hardwig der Begriff der Zurechnung als „ K e i m des strafrechtlichen Systems" zu einer „Ganzheitsbetrachtung" zwingt 3 5 , so gilt das gleiche für den Begriff der Handlung i m Sinne der Sollenstheorie, denn der von Hardwig m i t Recht stark 30
a.a.O., S. 75 f f , S. 99 f. unter A n k n ü p f u n g an Loening, zitiert a.a.O. Der Begriff „Leistung" bezeichnet i m sittlichen Bereich die verdienstvolle Tat, während i m Sinne des Finalismus jede Handlung (ζ. B. auch ein Mord) eine gelungene (technische) Leistung darstellt. Gerade an diesem Vergleich w i r d die Amoralität des finalen Handlungsbegriffs deutlich sichtbar. 32 Vgl. die vorhergehenden Ausführungen über den Tatcharakter der Unterlassung, oben S. 43 f. 33 Schon i m Titel. 31 Vgl. die oben S. 31 angeführte Definition von Kant. a.a.O., S. . 31
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie
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betonte 36 unlösliche Zusammenhang zwischen Norm, Freiheit, Verantwortung, Schuld usw., d.h. aller Erscheinungen des geistig-normativen Bereichs, ist, wie dargelegt, i m Begriff der Handlung ganz gegeben. Der hier mit der Bezeichnung „Handlung" bezielte Zusammenhang w i r d von Hardwig m i t dem Begriff „rechtswidriges Geschehen" zu fassen versucht. „Rechtswidrig ist ein Geschehen dann, wenn für ein Rechtssubjekt die Rechtspflicht bestand, es zu vermeiden oder abzuwenden, und wenn das Rechtssubjekt das a u c h . . . gekonnt hätte, wenn es gewollt hätte 3 7 ." Abgesehen von ihrer Künstlichkeit ist diese Terminologie Hardwigs aber schon deswegen viel unglücklicher als die Verwendung des Ausdrucks Handlung, w e i l sie dem Sprachgefühl als contradictio in adiecto erscheint; der Bezug auf ein freies Subjekt, den das A t t r i b u t „rechtswidrig" fordert, w i r d in dem Ausdruck „Geschehen" gerade verneint. W i r haben daher Grund, an dem Ausdruck „Handlung" festzuhalten. Der Handlungsbegriff wurde hier — ebenso wie bei Hardwig der Begriff des „rechtswidrigen Geschehens" — i n bezug auf ein (sittliches) Sollen, d. h. als Verantwortung begründend, gefaßt. Handlung i m Sinne der Sollenstheorie ist also immer gut oder böse, Verdienst oder Schuld begründend, pflichtmäßige oder Zuwiderhandlung. Handlung ist freie Stellungnahme zum Anspruch des Wertes in Gestalt der Norm. Fehlt die Freiheit, so entfällt die Verantwortlichkeit; die Norm verliert ihren Sinn. Es wundert daher nicht, daß Hardwig aus der klaren Erkenntnis dieser Zusammenhänge die übliche Unterscheidung zwischen dem „objektiven Unrecht" (der „Rechtswidrigkeit" i m engeren, dogmatisch-juristischen Sinne) und Schuld äußerst unbehaglich ist, und er schließlich erklärt 3 8 : „Ohne die Möglichkeit der Widerlegung kann behauptet werden: Das Recht verlangt von einem konkreten Rechtssubjekt nur das, was zu erfüllen dem Subjekt objektiv und subjektiv möglich ist. Weiter geht eben die konkrete Rechtspfiicht nicht. I n 36 „Aufgabe der Rechtsphilosophie wäre es zu entwickeln, daß die Begriffe Willensfreiheit, Vernunft, Verantwortlichkeit und Schuld i n einem komplexen Zusammenhang stehen, so daß kein Begriff ohne den anderen gedacht werden kann" (a.a.O., S. 168). „ A b e r die Erkenntnis von der K o m p l e x i t ä t aller Beziehungen muß notwendig die B i l d u n g einer Systematik erschweren. Diese A r t von Sicht n i m m t unserem Sehen die Naivität, die für die Ausbildung eines Systems so förderlich ist" (a.a.O., S. 182). 37 a.a.O., S. 127. Das „rechtswidrige Geschehen" ist natürlich kein Ä q u i v a lent für den Begriff der Handlung als solchen, sondern n u r f ü r den Unterfall der rechtswidrigen Handlung. 38 a.a.O., S. 132. Ähnliche Äußerungen finden sich an vielen anderen Stellen, etwa S. 167, S. 170 f , S. 197 u n d dazu A n m . 423.
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
diesem Fall wäre rechtswidrig nur das, was auch schuldhaft ist; und ein schuldloses Verhalten kann auch nicht rechtswidrig sein." Damit sieht sich Hardwig zu einem Schluß gedrängt, der sich allen denjenigen aufzwingen muß, die das Recht als ein echtes, gewissensmäßig verbindliches (sittliches) Sollen auffassen: Nur wer schuldhaft handelt, handelt rechtswidrig (dem Recht zuwider) 3 9 . Dies ist aber nichts anderes als die Umkehrung des oben 40 aufgestellten Satzes, daß Handlung, sofern sie rechtswidrig ist, identisch ist m i t Schuld.
I I . Die Auffassung E . A . Wolffs
Dieses Ergebnis macht eine Auseinandersetzung m i t dem Begriff objektiven Rechtswidrigkeit unvermeidlich. Bevor w i r uns aber Erörterung dieser Frage zuwenden, ist es erforderlich, noch kurz die kleine Schrift von E. A. Wolff über den „Handlungsbegriff i n Lehre vom Verbrechen" einzugehen.
der der auf der
Schon bei der K r i t i k Wolffs an der finalen Handlungslehre lassen folgende Sätze aufmerken: „Zur Handlung gehört nicht die freie, sinnbestimmte Entscheidung. Macht doch ausschließlich die Finalität — das bewußte, vom Ziel her gelenkte Wirken — das Wesen der Handlung aus. — So kann auch ein Geisteskranker ,final· handeln. Die Freiheit der Entscheidung ist nicht Teil der Finalität und bleibt außerhalb der Handlung 4 1 ." Eine solche K r i t i k ist aber nur vom Standpunkt eines auf das (sittliche) Sollen bezogenen Handlungsbegriffs möglich, denn soziale und finale Handlungslehren sind sich ungeachtet aller Gegensätze i n einem Punkt einig: daß die Schuldfrage m i t dem Handlungsproblem nichts zu schaffen habe. Tatsächlich werden die Erwartungen, die man an diese Äußerung knüpft, nicht enttäuscht: M i t geradezu schlafwandlerischer Sicherheit bestimmt Wolff plötzlich — denn die vorhergehenden Ausführungen 4 2 kann man kaum als zureichende Begründung anerkennen — den Begriff der Handlung als „die durch die 39 Hardwig k a n n sich allerdings zu diesem letzten Schritt nicht entschließen. So heißt es etwa i n unmittelbarem Anschluß an die oben unter Anm. 38 zitierten Sätze: „ W i r bleiben aber insoweit bei der herkömmlichen A n s i c h t ; . . . " (a.a.O., S. 132) u n d auf S. 197, Anm.423: „ N u r aus praktischen Gründen halten w i r auch hier an der Trennung zwischen Rechtswidrigkeit u n d Schuld fest." Diese „praktischen Gründe" werden indessen niemals ganz klar. 40 § 2 I V am Ende. 41 a.a.O., S. 12. 42 a.a.O., S. 15 f.
§ 3. Moderne Tendenzen zum Handlungsbegriff der Sollenstheorie Entscheidung
einer
Person
gestaltete
Wirklichkeit
43
".
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W e i t e r h e i ß t es
dann: „Das Sollen ist hier nicht eine von anderen herangetragene Bewertung, sondern ist etwas, das die Entscheidung und damit die Handlung selbst ausmacht 44 ." Damit — es besteht kein Zweifel — ist der Zusamenhang von Norm und Freiheit i m Begriff der Handlung erfaßt. Es wundert daher auch nicht, w e n n Wolff daraus die Folgerung zieht, der Ausdruck „Handlung" habe i m Zusammenhang m i t „schuldhaft" eine andere Bedeutung ( = freie Stellungnahme zur Norm) als i n Verbindung m i t dem A t t r i b u t „objektiv rechtswidrig" ( = unverantwortliches Verhalten) und könne daher nicht den gemeinsamen Gattungsbegriff abgeben 45 . Gegenstück zur schuldhaften Handlung kann somit nicht das schuldlose (d. h. unverantwortliche) Verhalten sein, sondern nur „die dem Sollen entsprechende Entscheidung" 4 6 , m. a. W. die pflichtmäßige, verdienstvolle Handlung. M i t u m so größerer Überraschung erfährt man dann, daß Wolff den Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit, der gerade überwunden schien, nun doch ausdrücklich anerkennt, und die Leistung der eben erst treffend kritisierten Handlungslehren darin erblickt, „einen von der persönlichen Sollensentscheidung unabhängigen Handlungsbegriff der Rechtswidrigkeit" geschaffen zu haben 4 7 . I n starker Anlehnung an Larenz 4 8 sieht Wolff diese „soziale" Handlung 4 9 darin, daß von der Beschaffenheit des Individuums abstrahierend angenommen wird, „der Einzelne sei eine m i t normalem Verständnis begabte verantwortliche Person 5 0 ". Die diesbezüglichen Ausführungen sind i m einzelnen unklar. Was soll man ζ. B. von der Behauptung halten: „Die Beurteilung, die der ,sozialen Handlung 4 Realität gibt, ist nicht eine bloße F i k t i o n — es w i r d also nicht etwas angenommen, was i n Wahrheit nicht ist — sondern man erfaßt hier den Handelnden i n einer generalisierenden Betrachtung" — wenn es i m gleichen Atemzug heißt: „Es w i r d davon 43 a.a.O., S. 16. 44 a.a.O., S. 17. 45 Vgl. a.a.O., S. 18 f. Der Gedankengang Wolffs ist hier frei (dem Sinne nach) unter Anknüpfung an das bereits oben S. 44 f. Gesagte wiedergegeben. 46 Wolff , a.a.O., S. 18. Die von Wolff angeführte dritte A r t , die „dem Sollen nicht widersprechende Entscheidung" (a.a.O., S. 18) gibt es nicht, w e i l eine Entscheidung immer nur i m Hinblick auf ein Sollen erfolgen kann und daher durch das „entweder—oder" gekennzeichnet ist. 47 a.a.O., S. 30. 48 Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, zitiert a.a.O., S. 33 ff. 49 a.a.O., S. 29 i m Gegensatz zu dem vorher entwickelten „individuellen" (a.a.O., S. 15) Handlungsbegriff. so a.a.O., S. 32. 4 Michaelowa
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
ausgegangen, der andere sei (!) i n bestimmter Weise und es werden i h m bestimmte Eigenschaften unterstellt 5 1 "(!)? A u f die einzelnen Argumente, die Wolff für die Notwendigkeit eines solchen Begriffs anführt 5 2 , brauchen w i r hier nicht einzugehen. Soweit nicht die K r i t i k schon in der Würdigung der Lehre Maihofers 53 vorweggenommen wurde, werden die folgenden Erörterungen des Begriffs der objektiven Rechtswidrigkeit Klarheit bringen.
§ 4. Das Recht als (sittliches) Sollen und der Begriff der „objektiv rechtswidrigen Handlung" I. Darlegung der Problematik: Der Unfreie als „untauglicher Normadressat"
Das Sollen, das einer weit verbreiteten Auffassung zufolge das Kennzeichen des Rechts ausmacht, begriffen w i r — auch hier i n voller Übereinstimmung m i t der wohl herrschenden Auffassung 1 — nicht als einen bloß von außen auferlegten, m i t Androhung von Gewalt verbundenen Befehl, ein „bedingtes Müssen", sondern als ein kategorisches Sollen, ein Sollen von unbedingter, d. h. innerlicher, gewissensmäßiger, mit einem Wort: sittlicher Verbindlichkeit. „Das ethische Sollen", so sagt Emge 2 , „ist das ,Sollen schlechthin', für das daher das Wort Sollen allein gebraucht werden sollte." „Pflichten, die das Gewissen binden, kann es daher nur als sittliche Pflichten geben, nur sie erzeugen ein inneres Sollen und nicht lediglich ein zwingendes Müssen. Es gibt also . . . nur ein Sollen 3 ." Ist aber das Recht ein Sollen i n diesem Sinne, wie es etwa von Emge, A r t h u r Kaufmann und vielen anderen nachdrücklich behauptet wird, so sind Rechtspflicht und sittliche Pflicht, Rechtsnorm und sittliche Norm identisch. Demnach kann aber auch die Verletzung einer Rechtspflicht, des von Rechts wegen Gesollten, nur vorliegen, wenn eine Pflichtverletzung i m sittlichen Sinne gegeben ist 4 . Sittliche Pflicht, sittliches Sollen ist aber immer nur i m Rahmen der Freiheit eines bestimmten Subjekts möglich, m. a. W. die sittliche Verpflichtung ist wesensmäßig von vornherein auf die Möglichkeit des in Anspruch genommenen Subjekts eingeschränkt, diese Pflicht auch zu erfüllen. Es handelt sich hier um ein wahrhaft selbst-verständliches si a.a.O., S, 32. 52 a.a.O., S. 32 f. s» Vgl. oben § 2 I I I . 1 2 3 4
Vgl. die Zitate oben S. 25. Zitiert bei A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 128. A r t h u r Kaufmann, Recht u n d Sittlichkeit, S. 28. Vgl. A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 128.
§ 4. Sollenstheorie u n d objektive Rechtswidrigkeit
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Grundprinzip der praktischen Vernunft 5 , das auch — soweit w i r sehen — i n keiner Ethik, die überhaupt das Bestehen verbindlicher Normen anerkennt, bestritten wird. Aus dem Umstand, daß Freiheit nicht ohne Norm, Norm nicht ohne Freiheit denkbar ist, folgt der Grundsatz „nemo ultra posse obligatur". Weil der sittliche Pflichtbegriff schon auf die Freiheit des Subjekts bezogen ist 6 , bedeutet die Verletzung des sittlichen Sollens einer sittlichen Pflicht, immer sittliche Schuld. Ist aber das Recht gleichfalls ein sittliches Sollen, so gilt das für die Sittlichkeit Gesagte analog: Da die Rechtspflicht nur i m Rahmen der Freiheit des Subjekts überhaupt besteht, ist die Zuwiderhandlung identisch mit Schuld und die „objektive Rechtswidrigkeit" ein paradoxer Unbegriff; der Begriff einer „objektiv rechtswidrigen Handlung", der sich gerade dadurch auszeichnet, daß von der subjektiven Freiheit abgesehen wird, erscheint als contradictio in adiecto. Auf der anderen Seite knüpft das Strafgesetz offenbar an einen derartigen Begriff an, wenn es z. B. in § 42 b StGB heißt: „Hat jemand eine m i t Strafe bedrohte Handlung i m Zustand der Zurechnungsunfähigkeit . . . begangen, so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert." Genau dieser Sachverhalt ist es, den die herrschende Meinung als „objektiv rechtswidrig" bezeichnet. Ist das oben Gesagte richtig, weicht also z. B. das Tötungsverbot i m Falle des Geisteskranken, den ein krankhafter Trieb unwiderstehlich zum Töten zwingt, zurück, so kann er diese Norm auch nicht übertreten. Das absurde Ergebnis wäre, daß die Vorschrift des § 42 b StGB gerade i n dem Fall nicht zur Anwendung kommen könnte, für den sie allein gedacht ist. Damit sind wir, von der Theorie des Rechts als eines (sittlichen) Sollens her, auf eine Problematik gestoßen, die i n ähnlicher Weise unter dem Titel des „tauglichen Normadressaten" Berühmtheit erlangt hat. Wenn es richtig ist, daß diese Kontroverse, nachdem sie eine Fülle von Literatur hervorgerufen hatte, schließlich unentschieden ausklang 7 , so scheint die geringe Aufmerksamkeit, die man heute diesem Streit i m allgemeinen entgegenbringt 8 , nicht angebracht. Der Umstand, daß s Vgl. die oben S. 28 f. wörtlich angeführten Zitate Kants u n d N. Hartmanns. 6 Zutreffend Binder, Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine Verpflichtung, S. 71 : „Jede Pflicht setzt, w e n n das W o r t überhaupt einen Sinn haben soll, w e n n es, entsprechend dem stolzen W o r t : D u kannst, denn d u sollst, den Ausdruck eines Sollens bilden soll, ein Sollen u n d ein vernünftiges, sittlich freies Wesen voraus . . . " 7 So A r m i n Kaufmann, Lebendiges u n d Totes i n Bindings Normentheorie, S. 122. β Vgl. z. B. die kurzen Bemerkungen von Engisch, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 414 f.; Horn, Untersuchungen zur S t r u k t u r der Rechtswidrigkeit, 4·
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
in dem Streit u m den „tauglichen Normadressaten" nichts anderes als der Begriff der objektiv rechtswidrigen Handlung (der objektiven Rechtswidrigkeit) — also vom Standpunkt der modernen Verbrechenslehre ein Systembegriff ersten Ranges — i n Frage gestellt wird, macht eine Auseinandersetzung m i t dieser Problematik unvermeidlich, mag das Problem auch schon „bis zum Uberdruß 9 " erörtert worden sein.
I I . Ein moderner Lösungsversuch: Die Auffassung Armin Kaufmanns
W i r wollen diese Frage zunächst anhand der Ausführungen A r m i n Kaufmanns erörtern 1 0 , die insofern von besonderem Interesse sind, als sie vom Standpunkt der finalen Handlungslehre erfolgen 11 . Nach Kaufmann liegt dem ganzen Streit schon eine falsche Fragestellung zugrunde 12 , insofern er auf einer Verwechslung der Begriffe „Norm" und „Pflicht" beruhe 13 . Die Norm ist — so Kaufmann — „Denkform der Gebundenheit von Menschen. I h r Gegenstand ist (finales) Handeln. Als Denkform ist die Norm abstrakt, losgelöst von einzelnen Menschen und konkreten Akten. Sie richtet sich an jeden, der irgendwann und irgendwo als Handelnder oder Teilnehmer des Aktes i n Frage kommt, den sie verbietet oder gebietet. Das aber sind alle Menschen, jedenfalls theoretisch 14 ." Dagegen ist Pflicht das höchst persönliche Sollen. „Pflicht (ist) das Sollen dieses Menschen i n diesem Zeitpunkte, während die Norm das zeitlose Sollen aller formuliert 1 5 ." Die Fassung des Normbegriffs bei Kaufmann, nach der nun freilich jeder Mensch tauglicher Normadressat ist, erscheint zunächst insofern nicht unbedenklich, als man fragen könnte, ob denn ein „zeitloses Sollen aller" überhaupt noch ein Sollen ist, d.h. ob das Sollen nicht begriffsnotwendig nur als je und je ganz bestimmtes Sollen gedacht werden kann 1 6 . Aber entscheidend kommt es auf diese Frage nicht an. Das Problem ist damit nicht gelöst, sondern lediglich auf eine andere S. 57; ausführlicher Oehler, Das objektive Zweckmoment i n der rechtswidrigen Handlung, S. 30 ff. » Engisch, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 414. i° Lebendiges u n d Totes i n Bindings Normentheorie, S. 121 ff. 11 Nachweise weiter unten. 12 a.a.O., S. 123. ι» a.a.O., S. 126. 14 a.a.O., S. 124 f. is a.a.O., S. 131. 16 w i r w ü r d e n f ü r den Normbegriff bevorzugen.
Kaufmanns
den Ausdruck
„Wert"
§ 4. Sollenstheorie u n d objektive Rechtswidrigkeit
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Terminologie gebracht. Denn Binding und Hold v. Ferneck gebrauchen — wie w i r i n dieser Arbeit — die Ausdrücke Norm und Pflicht gleichbedeutend 17 . Die Frage nach dem tauglichen Normadressaten i n ihrem ursprünglichen Sinne ist also, wie Kaufmann zugibt, gleichbedeutend mit der Frage, ob jeder Mensch — auch der Zurechnungsunfähige — durch die Norm verpflichtet werden kann 1 8 . Diese Frage — und das muß betont werden — w i r d aber von Kaufmann verneint. Die von Thon, Bierling, H . A . Fischer und anderen vertretene Gegenmeinung t r i f f t vielmehr nach seiner Ansicht ebenfalls nicht zu. „Denn sie zieht aus der These, daß der Imperativ an jeden, auch an Unzurechnungsfähige, Indisponierte und juristische Personen gerichtet werden könne, meist die irrige Folgerung, daß alle Adressaten von der Norm bzw. vom Imperativ auch verpflichtet würden 1 9 ." Sondern: „Die Norm konkretisiert sich nur auf den Handlungsfähigen, auf diesen aber stets 20 ." Diese Wendung klingt nach einem Bekenntnis zur subjektiven Unrechtslehre, ist es aber nicht. Denn der Begriff „Handlungsfähigkeit" schließt hier keineswegs die Fähigkeit zur Bildung eines freien W i l lens, d. h. die Freiheit i n vollem Sinne, ein 2 1 . Vielmehr ist — verstehen w i r Kaufmann recht — handlungsfähig jeder, der nach seinen besonderen Umständen und Fähigkeiten in der Lage wäre, der Pflicht Folge zu leisten, sofern er einen pflichtgemäßen Willen bilden könnte 2 2 . M i t dieser Auffassung setzt sich Kaufmann gewissermaßen zwischen die beiden Stühle der Lehre von der objektiven Rechtswidrigkeit einerseits und der subjektiven Unrechtslehre andererseits: Für die eine Auffassung ist sein Begriff der Handlungsfähigkeit zu subjektiv, w e i l er nach der Seite der Willensausführung die subjektiven Gegebenheiten voll berücksichtigt, nach der anderen Lehre nicht subjektiv genug, w e i l die Freiheit der Willensbildung ausgeschlossen bleibt. Der Grund für diese Stellungnahme Kaufmanns i m Streit u m den tauglichen Normadressaten w i r d sofort klar, wenn man bedenkt, daß Kaufmann als Schüler Welzels dessen finalen Handlungsbegriff bei 17 Vgl. Kaufmann, a.a.O., S. 110, S. 130 m i t Nachweisen. is a.a.O., S. 126. ι» a.a.O., S. 126. 20 a.a.O., S. 139. 21 a.a.O., S. 160 f. 22 Vgl. Kaufmann, a.a.O., S. 139 ff. Z u r Handlungsfähigkeit bedarf es daher auch nicht der Kenntnis der N o r m (a.a.O., S. 139). Vgl. auch S. 129: „Denn es k a n n nicht Voraussetzung der Verpflichtung des einzelnen sein, daß dieser seine Verpflichtung kennt" u n d a.a.O., S. 148 f f , w o Kaufmann die Sonderstellung der Tätermerkmale als „reiner Pflichtmerkmale" begründet, die nicht v o m Vorsatz umfaßt zu sein brauchen, w e i l sie nichts m i t dem äußeren Handlungsablauf zu t u n haben.
Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
seinen Erörterungen voraussetzt 23 . Die Richtigkeit dieser Lehre findet Kaufmann bei der Untersuchung des „möglichen Sollgegenstandes 24 " bestätigt 25 . Inhalt der Norm („Sollgegenstand") kann nur sein: „,Du sollst (vorsätzlich) handeln!' oder: ,Du sollst nicht (vorsätzlich) handeln!' 2 6 " Dabei erwänht Kaufmann auch den Satz, den w i r den Grundsatz der praktischen Vernunft nannten, und i n dem w i r den Kern der ganzen Problematik sehen: „ D u sollst, wenn Du kannst 2 7 ." Kaufmann behauptet aber, die Möglichkeit der Normfüllung sei „dabei nicht (schon) die Möglichkeit, sich nach der Norm zu richten, sondern (erst) die schlichte Möglichkeit, das zu t u n und zu unterlassen, was in der Norm geboten oder verboten ist 2 8 ." Diese Behauptung, deren Wahrheit immerhin keineswegs evident ist, w i r d von Kaufmann nicht begründet und ist nach unserer Ansicht auch keiner Begründung fähig. Denn wer unbefangen an diese Frage herangeht, sieht leicht ein, daß der sittliche Grundsatz keineswegs i m Sinne Kaufmanns beschränkt werden darf: Das (sittliche) Sollen, die Norm, setzt die Fähigkeit des Subjekts, sich danach zu richten, d. h. dessen Freiheit, i m umfassendsten Sinne voraus. Der Umstand, daß die Unrichtigkeit dieser Beschränkung bei Kaufmann nicht als offensichtlicher Widerspruch i n Erscheinung tritt, liegt letzten Endes darin begründet, daß Kaufmann den Begriff der Verbindlichkeit, auf dem sein Norm- und Pflichtbegriff aufbaut, nicht ausdrücklich als ein sittliches Sollen definiert, sondern diesen von ihm vorausgesetzten Grundbegriff — abgesehen von der negativen Bestimmung, daß er nicht Zwang bedeuten soll 2 9 — unbestimmt läßt 3 0 . So bleibt, wenigstens zunächst, die Möglichkeit, daß er unter Pflicht und Verbindlichkeit nicht ein sittliches Sollen verstanden haben w i l l . Bei einem Blick auf die Problemgeschichte der Rechtsphilosophie scheint es allerdings fraglich, ob man die von Kaufmann vorausgesetzte „Verbindlichkeit" oder „Gültigkeit" des Rechts anders verstehen kann, als entweder i m Zwang — was Kaufmann ausschließt — oder i n einem sittlichen Sollen. Gäbe es noch eine dritte Möglichkeit, und würde diese von Kaufmann vorausgesetzt, so würden jedenfalls seine Ausführungen zum Normadressaten das Problem so, wie es uns in Verfolgung der Sollenstheorie des Rechts aufgetaucht ist, 23 a.a.O., S. 102. 24 a.a.O., S. 103. 25 a.a.O., S. 103 ff. 20 a.a.O., S. 102. 27 a.a.O., S. 106. 28 a.a.O., S. 106, A n m . 20. Gemeint ist offenbar wie oben bei dem Begriff der Handlungsfähigkeit die Freiheit der Willensausführung i m Gegensatz zur Freiheit der Willensbildung. 29 a.a.O., S. 53. so a.a.O., S. 46 ff.
§ 4. Sollenstheorie u n d objektive Rechtswidrigkeit
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nicht betreffen. Legen w i r dagegen seine Ablehnung des Zwanges dahin aus, daß er den Begriff der Verbindlichkeit i n dem rechtsphilosophisch üblichen entgegengesetzten Sinne eines echten (sittlichen) Sollens unterstellt, so sind seine Ausführungen über Verpflichtung und Handlungsfähigkeit und damit auch über den Begriff der Rechtswidrigkeit unzutreffend. Es zeigt sich dann an dieser Stelle das Dilemma, das der finalen Handlungslehre allgemein zugrunde liegt: Der normative Bezug w i r d abgebrochen, die Handlung als rein äußerliche Fähigkeit, das kausale Geschehen (die Natur) zu beherrschen, gedacht. Angesichts des Umstandes, daß die Freiheit der Willensbildung, aufgrund deren die Norm doch zu allererst ihre Wirksamkeit entfaltet und damit den Menschen als Geisteswesen, als Person, begründet, im finalistischen Begriff der Handlung unberücksichtigt bleibt, ist die beliebte Redeweise der Finalisten vom „personalen" Unrecht 3 1 irreführend. Wenn Welzel behauptet, rechtswidrig sei „die Handlung nur als Werk eines bestimmten Täters.. . 3 2 " und Rechtswidrigkeit sei „immer die Mißbilligung einer auf einen bestimmten Täter bezogenen Tat 3 3 ", so kann diese Behauptung vom Aspekt der Sollenstheorie so lange nicht wahr sein, als i m Begriff der Handlung das, was die Personalität i m überkommenen tiefen Sinne ausmacht, nämlich die Freiheit, nicht erfaßt wird. Denn der Täter ist eben nur darum Täter, und ein Geschehen nur darum als seine Handlung, sein Werk zu mißbilligen, weil er darin i n Freiheit Stellung nahm zur Norm. W i r lehnen die finale Handlungslehre ab und müssen — weil sie darauf beruht — auch die Lösung, die Kaufmann für das Problem des tauglichen Normadressaten gibt, ablehnen. Kaufmann unterlag dem typisch finalistischen Fehler, nicht zu bedenken, daß der „Sollgegenstand" keineswegs identisch ist mit dem Gegenstand der Verantwortung (der Handlung i m Sinne der Sollenstheorie). Kaufmann und Welzel stellen zwar richtig fest, daß die Norm eine Tätigkeit zu einem bestimmten Zweck (Finalität) i n einem Falle verbietet, i n einem anderen gebietet 34 , übersehen aber, daß i m strafrechtlichen Begriff der Handlung nach der Sollenstheorie nicht danach gefragt werden kann, was das Gesollte ist, sondern ob das Gesollte aus Freiheit vollbracht oder nicht vollbracht wurde 3 5 . Welzel, Das neue Bild, S. 29; Kaufmann, a.a.O., S. 102. 32 a.a.O., S. 29. 33 a.a.O., S. 30. 34 Kaufmann, a.a.O., S. 102 ff.; Welzel, a.a.O., S. 4 f. 35 Genau genommen ist die letztere Formulierung, welche u m der A n schaulichkeit des Unterschiedes w i l l e n gewählt wurde, nicht korrekt, w e i l wegen der Abhängigkeit der A x i o m e N o r m u n d Freiheit ein bestimmtes Verhalten n u r unter der Voraussetzung der Freiheit überhaupt gesollt ist.
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Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie I I I . Der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit als Ausdruck der Zwangstheorie
Wenn nun auch nicht darum herumzukommen ist, daß man den aus irgendeinem Grunde Unfreien i m sittlichen Sinne und damit auch i m Sinne des als (sittliches) Sollen aufgefaßten Rechts als „untauglichen Normadressaten" bezeichnen muß, so wurde doch das Problem auch von einem ganz anderen Standpunkt behandelt, m i t der Folge, daß auch die Problematik eine andere ist. Ausgangspunkt der Leugnung des Begriffs der objektiven Rechtswidrigkeit war die sog. Imperativentheorie. Nun hat zwar jedes (sittliche) Sollen 36 die bewußtseinsmäßige Erscheinungsform eines I m perativs 3 7 , keineswegs ist aber jeder Imperativ auch umgekehrt schon ein (sittliches) Sollen. „ E i n Imperativ i m sprachlichen Sinne ist entweder heteronom, dann kann er kein Sollen bedeuten; oder er bedeutet ein Sollen, dann kann er nicht heteronom sein . . . 3 8 ." Die Imperativentheorie kann also auch von einem solchen nicht-sittlichen Imperativ ausgehen; sie begreift dann diesen als ein M i t t e l des psychischen Zwanges, eine heteronome „Zumutung", die den Befehlscharakter dadurch gewinnt, daß sie m i t Androhung von Gewalt verbunden ist. So i n aller Klarheit Hold v. Ferneck 39 : „Daraus nun, daß das Recht als objective Macht Motiv i m widerstrebenden Verpflichteten ist, und daß diese Motive als Resultate socialpsychischen Zwanges (!) Pflichten sind (!), folgt, daß das objective Recht ein Complex von Pflichten ist. Und da das Recht nicht denkbar ist ohne Imperativ, d. h. ohne zwingenden (!) Befehl, die Norm (!), ist das Recht ein Complex von Imperativen." Ein solcher heteronomer Befehl ist nun freilich nicht (eo ipso) auf die Freiheit des i n Anspruch genommenen Subjekts, i h n zu erfüllen, eingeschränkt, wie das bei dem sittlichen (autonomen, kategorischen) Sollen gemäß dem Grundsatz der praktischen Vernunft der Fall ist. E i n heteronomer Imperativ ist also zumindest denkbar, begriff lieh möglich, ohne daß der Adressat ihn erfüllen kann; und insofern w i r d die (etwa von Engisch vertretene) Auffassung verständlich, ein Verstoß gegen den Imperativ liege eben schlicht darin, daß das i n dem Imperativ bezeichnete Verhalten nicht erbracht wurde — gleichgültig aus welchem Grunde. „Imperativwidrig ist das, was m i t dem
36
Jedenfalls dann, w e n n der Ausdruck w i e hier n u r i m Sinne von T u n Sollen u n d nicht i m Sinne von Sein-Sollen (N. Harmann) verwendet w i r d . 37 v g l . Binder, Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine Verpflichtung, S. 70. 3
8 Laun, Recht u n d Sittlichkeit, S. 6.
3
» Die Rechtswidrigkeit, Bd. 1, S. 94 (vgl. auch dort S. 75 ff.).
§ 4. Sollenstheorie u n d objektive Rechtswidrigkeit
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Imperativ nicht i m Einklang steht 4 0 ." Da eine derartige Argumentation nur von der Auffassung der Rechtsnorm als heteronomen Befehl möglich ist, kann dieser Versuch, die Imperativentheorie m i t dem Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit zu vereinbaren, unser, vom hypothetisch zugrunde gelegten Begriff des Rechts als (sittliches) Sollen entstandenes Problem des tauglichen Normadressaten i n keiner Weise berühren. Indessen scheint gerade i n Anknüpfung an die Darlegungen Engischs noch ein weiterer Schritt möglich zu sein, der über die Imperativentheorie i m heteronomen Verstände hinausführt. Wir haben festgestellt, daß von der Auffassung der Rechtsnorm als heteronomes „Sollen" die Bildung eines Begriffs der objektiven Normwidrigkeit logisch unbedenklich ist. Weshalb aber ist ein solcher Begriff der objektiven Imperativwidrigkeit, der also nicht nur Ungehorsam, Auflehnung 4 1 , umfaßt, systematisch notwendig, sinnvoll? Doch offenbar deswegen, w e i l daran ein Rechtszwang wie der des § 42 b StGB anknüpft, ein Rechtszwang, der darauf abzielt, das gemeinschädliche Verhalten, das seinen Anlaß bildet, i n Zukunft zu verhindern, der aber nicht psychischer Natur ist, sondern „mechanischer" 42 . Die Imperativentheorie — sofern sie nicht als eine Theorie des sittlichen Sollens auftritt — geht davon aus, daß das Recht sozialschädliches Verhalten verhindern w i l l . „ V o m Recht zum Inhalt der Normen erhoben ist jeweils das, worauf es dem Recht ankommt, nämlich das Ausbleiben sozial gefährlichen Verhaltens und das Platzgreifen sozial nützlichen Verhaltens 4 3 ." Zu diesem Zweck bedient sich das Recht der Imperative als eines psychischen Zwanges. Versagen diese, so verwendet das Recht einen Zwang anderer, unmittelbarer A r t , wie er etwa in den „Maßnahmen der Sicherung und Besserung" zum Ausdruck kommt. Nun ist zwar diejenige Form des Zwanges, wie sie sich i m Imperativ äußert, nämlich die Form einer psychischen Nötigung, sicher die für das Recht bezeichnendste, charakteristische; allein die einzige Form des Rechtszwanges i s t sie o f f e n b a r n i c h t : setzt doch die psychische Nötigung gerade voraus, daß ein unmittelbarer, „mechanischer" Zwang erfolgen kann und auch tatsächlich erfolgt; m . a. W . die Wirksamkeit des Rechtszwanges als Imperativ setzt gerade voraus, daß es noch eine Art des Rechtszwanges gibt, die nicht selbst Imperativ ist. „ W e r n u n z u g i b t ,
40 Engisch, Monatsschrift f ü r Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Bd. 23, S. 424; vgl. auch Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 422 f. 41 Welche j a begrifflich die Fähigkeit zum Gehorsam, d. h. einen „tauglichen Normadressaten", voraussetzen. 42 Der Ausdruck findet sich bei H o l d v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, Bd. 1, S. 82 und öfter (S.82ff.). 43 Engisch, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 422 f. I n der älteren Lehre spricht man gern v o m „Interessenschutz"; vgl. z.B. das nachfolgende w ö r t liche Zitat H o l d v. Fernecks.
58
Erster T e i l : Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
daß eine Aufhebung dieses Zwangsapparates heute nicht möglich ist, weil, wie die Erfahrung zeigt, an die Stelle des Friedens und der Ordnung, die allein den Interessenschutz mit sich führen, die Herrschaft der Gewalt treten würde, der hat bereits eingeräumt, daß das Recht in seiner Totalität nur physischen Machtmittel
insofern psychischen Zwang übt, als ihm die zu Gebote stehen. M a n n e h m e d e m Gesetz-
geber die mechanischen Zwangsmittel, und man w i r d erkennen, daß nur Träumer und Utopisten von unbedingten Pflichten und zwangsfreiem Rechte reden können . . . Der einzelnen Norm ist lediglich der psychische Zwang wesentlich, dem Rechte, i m Ganzen betrachtet, auch der mechanische Zwang 4 4 ." Nicht, w e i l es außer den befehlenden auch noch „gewährende" Rechtssätze gebe, nicht w e i l das Recht außer Bestimmungsnormen auch noch Bewertungsnormen kenne, ist die Imperativentheorie mangelhaft. M i t Engisch sind w i r der Meinung, daß Gewährungen (subjektive Rechte) nur durch den Rechtsschutz möglich sind, den sie genießen, m. a. W. daß sie das Recht i n seiner Bestimmungsfunktion voraussetzen 45 ; desgleichen halten w i r die heute noch verbreitete Unterscheidung zwischen dem Recht als Bewertungsnorm und dem Recht als Bestimmungsnorm deswegen für unzutreffend, weil das Recht, soll es überhaupt Ordnungsmacht sein, notwendig Bestimmungsnorm sein muß 4 6 . Indessen erscheint die Imperativentheorie insofern als die Setzung eines Teiles für das Ganze, als die Bestimmungsfunktion, die dem Recht nun einmal wesentlich ist, keineswegs allein durch den Imperativ, sondern auch durch unmittelbaren, physischen Zwang erfolgt. Gesteht man zu, daß die Imperativentheorie nur einen (wenn auch vielleicht den hervorstechendsten) Ausdruck des rechtlichen Zwanges erfaßt, so muß die Korrektur in der Weise erfolgen, daß man die Imperativentheorie i n der Zwangstheorie des Rechts aufgehen läßt. 44 H o l d v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit, Bd. 1, S. 86 f. Wie Hold v. Ferneck trotz der klaren Erkenntnis dieses Umstandes zu der Behauptung kommt, das Recht sei ein K o m p l e x von Imperativen, ist k a u m begreiflich. Die Erklärung dürfte d a r i n liegen, daß dieser Schriftsteller den äußeren Zwang n u r als „ M i t t e l des Mittels" ansieht: „Der äußere Zwang stellt n u r das M i t t e l dar, welches dem Gesetzgeber ermöglicht, psychischen Zwang zu üben . . . U n d da der psychische Zwang selbst das M i t t e l ist, durch welches die Interessen geschützt werden, erscheint der mechanische als M i t t e l des Mittels." (a.a.O., S. 83) Diese — Gedankengängen Feuerbachs verwandte — These mag als E r k l ä r u n g der Strafe einleuchten. I m Hinblick auf die u n mittelbar präventiven Maßnahmen der „Sicherung u n d Besserung" — die es allerdings zu der Zeit als das zitierte Werk erschien, noch nicht gab — ist sie jedoch offensichtlich unzutreffend. 45 Engisch, Einführung i n das juristische Denken, S. 26 f. 46 Vgl. Engisch, a.a.O., S. 28.
§ 4. Sollenstheorie u n d objektive Rechtswidrigkeit
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Unter dem Gesichtspunkt, daß das Recht zwar eine Zwangsordnung ist, dieser Zwang aber nicht nur i n Imperativen besteht, entfällt n u n auch die Notwendigkeit, die objektive Rechtswidrigkeit unbedingt als einen Verstoß gegen einen Befehl, eine Imperativwidrigkeit, aufzufassen. „Objektiv rechtswidrig" ist vielmehr ein Verhalten, dessen Verhinderung für die Zukunft gerade der Zweck des Rechtszwanges ist, m. a. W. das von der Rechtsgemeinschaft als sozialschädlich gekennzeichnete Verhalten. Die Funktion dieses Begriffs besteht also i n der Kennzeichnung eines Verhaltens als Anknüpfungspunkt des Rechtszwanges. Damit läßt sich auch leicht einsehen, warum, wie Engisch sagt 47 , sich aus der Natur des Imperativs so wenig für den Begriff des objektiven Unrechts ableiten läßt: Einfach deswegen, weil dieser Begriff nicht als sekundärer aus dem Begriff des Imperativs abgeleitet werden kann, sondern weil umgekehrt der Begriff des objektiven Unrechts als der grundlegende von dem Begriff des Zwanges i m allgemeinen und von dem Begriff des Imperativs i m besonderen bereits vorausgesetzt w i r d : Ist doch der Imperativ nichts als ein Mittel, derartiges „objektiv rechtswidriges" Verhalten zu vermeiden, und nicht etwa w i r d umgekehrt das Verhalten zu einem objektiv rechtswidrigen, d. h. sozialschädlichen, w e i l ein Zwangsmittel — der Imperativ — versagt. Insofern kann man i n dem Begriff der Bewertungsnorm durchaus einen Sinn finden: Der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit bezeichnet ein von der Gemeinschaft als schädlich bewertetes Verhalten, welches eben deshalb Gegenstand des Rechtszwanges wird, sei es durch psychische Nötigung, sei es durch unmittelbare körperliche Gewalt. N u r insofern ist diese Auffassung zu bemängeln, als sie glaubt, daß es sich bei dieser Bewertung schon u m eine Erscheinungsform des Rechts selbst handele, welches — als eine Ordnungsmacht — sich doch erst i n dem zur Verhinderung derartigen Verhaltens eingesetzten Zwang manifestiert 48 . Die Erörterung der Imperativentheorie diente hier zur näheren Erläuterung dessen, was eigentlich gemeint ist, wenn man ein Verhalten, wie es die sog. Maßnahmen der Sicherung und Besserung voraussetzen, m i t der ganz herrschenden Meinung als objektiv rechtswidrig bezeichnet. Die Funktion dieses Begriffs besteht i n der Kennzeichnung des von der Gemeinschaft als sozialschädlich angesehenen Verhaltens i m Hinblick auf die Anknüpfung von Rechtszwang zur Verhinderung eben dieses Verhaltens i n der Zukunft. Zugleich ergab sich i n dieser Erörterung bereits die Verbindung dieses Begriffs der objektiven Rechts47 Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 423. 48 Ebenso H. Mayer, Festgabe f ü r Frank, Bd. 1, S. 618.
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Erster Teil: Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie
W i d r i g k e i t m i t d e r A u f f a s s u n g des Rechts als Z w a n g s o r d n u n g . D a m i t k o m m e n w i r zu folgendem vorläufigen Ergebnis: A u s der Auffassung des Rechts als sittliches S o l l e n f o l g t a l l e i n e i n „ s u b j e k t i v e r " 4 9 U n r e c h t s b e g r i f f . U n r e c h t ist g l e i c h b e d e u t e n d m i t „ V o r w e r f b a r k e i t " , (sittlicher) Schuld. D e r B e g r i f f d e r o b j e k t i v e n R e c h t s w i d r i g k e i t i m S i n n e eines sozialschädlichen V e r h a l t e n s setzt dagegen d i e Z w a n g s t h e o r i e des Rechts v o r a u s 5 0 . B e v o r w i r n u n d i e systematischen A u s w i r k u n g e n dieses Satzes w e i t e r e r ö r t e r n , w o d u r c h diese B e h a u p t u n g zugleich eine zusätzliche E r l ä u t e r u n g e r f a h r e n w i r d , w o l l e n w i r zunächst versuchen, den Handlungsbegriff, w i e i h n der Begriff der o b j e k t i v rechtswidrigen H a n d l u n g u n d d a m i t d i e Z w a n g s t h e o r i e des Rechts voraussetzen, n ä h e r zu bestimmen.
49 „ S u b j e k t i v " bedeutet hier freilich nicht „psychisch", sondern „auf die Freiheit eines (sittlichen) Subjekts, einer Person, bezogen". 50 Es wäre i m Rahmen dieser A r b e i t ohne großen Nutzen, die Auffassungen der einzelnen Vertreter der Imperativentheorie, die den Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit anerkennen (wie etwa Thon u n d J. Goldschmidt) auf diesen Zusammenhang zu untersuchen. Erstens w i r d das Problem i n dieser grundsätzlichen F o r m von den fraglichen Autoren gar nicht gesehen. Zweitens leiden die betreffenden Theorien zum T e i l an erheblichen inneren Unklarheiten u n d Widersprüchen. So ζ. B. ist die Konzeption der Goldschmidtschen „Rechtsnorm" (österreichische Zeitschrift f ü r Strafrecht, Jahrgang 1913, S. 145) v o m Standpunkt der Imperati ventheorie schon i n sich widerspruchsvoll, w e i l ein Befehl begrifflich das äußere Verhalten n u r über die Psyche, den Willen, beeinflussen kann. Z u r K r i t i k Thons vgl. etwa Binder, Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine Verpflichtung, S. 66 ff. Eine ausführliche Abhandlung dieser Auffassungen erscheint daher eher v e r w i r r e n d als förderlich.
Zweiter
Teil
Der HandluDgsbegriff der Zwangstheorie § 5. Eingrenzung des Handlungsproblems auf den Begriff des „Verhaltens" I. Die Funktion des Strafrechts nach der Zwangstheorie
U m den Handlungsbegriff der Zwangstheorie zu bestimmen, greifen w i r auf die Funktion des Strafrechts zurück, wie sie sich nach der Zwangstheorie darstellt. Danach hat das Strafrecht die Aufgabe, bestimmte Güter der Gemeinschaft zu schützen1. Ein Gut ist ein Gegenstand — i m weitesten Sinne des Wortes: irgendein Seiendes — dem ein bestimmter Wert eignet 2 , ein Rechtsgut demnach ein Gegenstand, dem die Gemeinschaft einen bestimmten Wert zuschreibt, und der daher vom Hecht geschützt wird. Nun ist das Strafrecht durch diese Funktion des Güterschutzes (welche allgemeiner auch als Schutz der Gemeinschaft und — da der Mensch nur i n der und durch die Gemeinschaft möglich ist — als Schutz der menschlichen Existenz überhaupt aufgefaßt werden kann) noch nicht genügend gekennzeichnet. Es gibt eine Vielfalt von anderen öffentlichen (gemeinschaftlichen) Institutionen, die ebenfalls das Ziel haben, auf irgendeine Weise dem Schutz von Gemeinschaftsgütern zu dienen. So etwa sind die Krankenanstalten der Erhaltung des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesundheit durch Bekämpfung der Krankheiten, der Katastrophenschutz der Abwendung von unmittelbaren Naturgefahren für Leib, Leben und Sachgüter gewidmet. Da sich somit das letzte Ziel des Strafrechts von dem der genannten Institutionen (die offenbar — obwohl rechtlich organisiert — nicht selbst Erscheinungsformen „des Rechts" sind) nicht unterscheidet, kann die Abgrenzung nur durch die Art der Gefahr und nach den Maßnahmen zu deren Bekämpfung, die naturgemäß der A r t der Gefahr angepaßt sein müssen, erfolgen: Aufgabe des Straf rechts ist es i m Gegensatz zu den vorgenannten gesellschaftlichen Institutionen 1 Die Zwangstheorie des Hechts umschließt als eine ihrer Konsequenzen die relative Straftheorie. Darauf w i r d i m dritten T e i l der Untersuchung noch zurückzukommen sein. 2 So die Terminologie von Kraft, Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre, S. 10 f.
62
er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
nicht, die Gemeinschaft gegen Gefahren durch die außermenschliche Natur (die „Naturgewalten" i m engeren Sinne) und auch nicht den einzelnen Menschen gegen die i n seiner eigenen menschlichen Natur begründeten Gefahren zu schützen, sondern die spezifische Funktion des Strafrechts besteht i n dem Schutz des Menschen vor dem Menschen, d. h. das Straf recht ist ein M i t t e l der menschlichen „Selbstdomestikation"; durch das Straf recht beherrscht der Mensch sich selbst.
I I . Die Bestimmung des Handlungsbegriffs als Bewirkung
Das Strafrecht (im Sinne der Zwangstheorie) soll also die Rechtsgüter gegen Beeinträchtigungen durch den Menschen mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen gegen Menschen schützen. Ein Symptom für die Gefährlichkeit eines Menschen und damit ein Grund für die Erwägung einer Zwangsmaßnahme ist i n erster Linie dann gegeben, wenn ein Rechtsgut durch diesen Menschen bereits einmal beeinträchtigt worden ist 3 . Es liegt daher nahe, i n dem Bgriff der Handlung als der Voraussetzung aller kriminalrechtlichen Reaktionen gegen einen bestimmten 4 Menschen den Inbegriff der Merkmale zu erfassen, bei deren Vorliegen von der Beeinträchtigung eines Rechtsguts durch einen Menschen gesprochen werden kann. Damit müßte aber — so läßt sich eine erste, sehr allgemeine Bestimmung treffen — der Handlungsbegriff als eine b e s t i m m t e Beziehung
zwischen
einem
Menschen
und
einem
Ereignis
5
(„Erfolg") zu definieren sein. 1. Die verschiedenen Möglichkeiten der Fassung des als Wirksamkeitsbeziehung zwischen einem und einem „Erfolge"
Handlungsbegriffs Menschen
Zwischen einem Menschen und einem Ereignis können Beziehungen der verschiedensten A r t bestehen, etwa räumliche, zeitliche, gefühlsmäßige usw. Da es dem Straf recht aber nur darauf ankommen kann, ob die Beeinträchtigung eines Rechtsguts eine Wirkung des Menschen, ein Erfolg menschlicher Wirksamkeit ist, kommt als Handlung i m strafrechtlichen Sinne nur eine Real- oder Wirksamkeitsbeziehung i n 3 Der Ausdruck „Beeinträchtigung" bedeutet hier u n d i m folgenden sow o h l die Schädigung eines Rechtsguts als auch die Gefahr einer solchen. Unter „Gefahr" verstehen w i r eine bestimmte Situation, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit f ü r den E i n t r i t t eines Schadens enthält. 4 Anders bei der „Generalprävention", die eine begangene strafbare Handlung nicht voraussetzt. s Dieses Ereignis muß nicht notwendig i n einer Rechtsgutverletzung, sondern k a n n auch i n einer Gefahrenlage bestehen; vgl. A n m . 3.
§ 5. Eingrenzung des Handlungsproblems auf das „Verhalten"
63
Betracht. Eine derartige Wirksamkeitsbeziehung kann wiederum mehrfacher A r t sein. I n Betracht kommen insbesondere a) eine Beziehung der Freiheit; (Das fragliche Ereignis stellt die Wirkung eines freien Entschlusses, eines frei gebildeten Willens dar, aufgrund dessen der Mensch als Urheber für das Ereignis i m sittlichen Sinne verantwortlich ist.) b) eine Beziehung der Finalität; (Eine solche Beziehung besteht dann, wenn sich ein menschlicher Wille — ohne Rücksicht auf seine freie oder unfreie Bildung — das betreffende Ereignis zum Ziel gesetzt und es mit Hilfe des planend-voraussehenden Denkens unter Ausnutzung der Naturgesetze verwirklicht hat 6 .) c) eine Beziehung der Kausalität, gleichgültig welcher Art. (Sie liegt dann vor, wenn das betreffende Ereignis m i t dem Vorhandensein eines Menschen i n irgendeiner, wie auch immer gearteten gesetzmäßigen Beziehung steht 7 .) A l l e drei Auffassungen wurden i n der strafrechtlichen Literatur vertreten. Die erste Auffassung findet sich besonders bei den an Hegel anknüpfenden Autoren, wie etwa Köstlin 8 . Zwar unterscheiden sich die Formulierungen aus dieser Zeit äußerlich nicht wesentlich von den Definitionen der finalen Handlungslehre. Es besteht jedoch insofern ein sehr wesentlicher Unterschied, als der Wille, so wie die Autoren des klassischen Strafrechts diesen Begriff verwenden, immer als ein i m metaphysischen Sinne freier gedacht wird 9 . Dieser Umstand findet seinen Niederschlag darin, daß das Verschulden einen Bestandteil des Begriffs der rechtswidrigen Handlung darstellt 1 0 . Die zweite Auffassung findet sich i n der finalen Handlungslehre. Handlung ist jede Verwirklichung des Willens 1 1 , wobei der Wille lediglich als psychische Realität, ohne Rücksicht auf die Freiheit seiner Bildung, betrachtet w i r d 1 2 . β Vgl. Welzel, Lehrbuch, S. 27 f. 7 Vgl. Engisch, Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen Tatbestände, S. 13 ff. β Vgl. Radbruch, Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem, S. 83 f. m i t Nachweisen. β Vgl. zur zentralen Rolle des freien Willens i n der „klassischen" Periode die Übersicht bei H. Mayer, Strafrecht, S. 212. 10 Vgl. Radbruch, a.a.O., S. 88. 11 Vgl. Welzel, Lehrbuch, S. 27 f. ι 2 Die Freiheit der Willensbildung ist erst Gegenstand der Schuldfrage; vgl. Welzel, Lehrbuch, S. 124 ff.
64
er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
Erscheinungsformen der dritten Auffassung sind die kausalen 13 und teilweise auch die sozialen 14 Handlungslehren. Allerdings wurde und w i r d diese Auffassung, soweit ersichtlich, nirgends ganz rein vertreten, insofern immer ein Willkürakt am Anfang der Kausalkette gefordert wird. Der Wille schließt hier jedoch nicht, wie bei der finalen Handlungslehre, das Geschehen als ein Gewolltes zur Handlung zusammen, sondern spielt nur die Rolle eines „kausalen agens" 15 . Der nächste methodische Schritt wäre nun, die genannten Wirksamkeitsbeziehungen daraufhin zu untersuchen, welche von ihnen dem Recht als Zwangsordnung funktionell am besten entspricht. W i r können uns diese Untersuchung jedoch ersparen, weil sich zeigen läßt, daß das Recht überhaupt nicht die Bewirkung von tatbestandsmäßigen „Erfolgen" durch Menschen schlechthin verhindern w i l l und daß daher der Handlungsbegriff auch nicht als eine Wirksamkeitsbezeichnung zwischen einem Menschen und einem tatbestandsmäßigen Erfolg aufgefaßt werden darf. Zur Begründung dieser Behauptung ist es notwendig, auf den Adäquanzgedanken einzugehen, dessen richtige systematische Einordnung mit der Lösung des Handlungsproblems vom Standpunkt der Zwangstheorie aufs engste verknüpft ist. 2. Die
Unhaltbarkeit des erfolgsbezogenen Handlungsbegriffs bei näherer Betrachtung: Unmöglichkeit des absoluten Rechtsgüterschutzes
Es kann nicht die Aufgabe des Rechts sein, die Herbeiführung von Rechtsgutsverletzungen (tatbestandsmäßigen Erfolgen) schlechthin zu verhindern. Denn es läßt sich unschwer einsehen, daß zwar die verschiedenen möglichen Verhaltensweisen des Menschen für bestimmte Rechtsgüter mehr oder weniger gefährlich sind, daß es aber eine absolut ungefährliche menschliche Tätigkeit nicht gibt. Das bloße Dasein des einen gefährdet unvermeidlich den anderen. Dieser Umstand ist schon früh erkannt worden: „Eine unbeschränkte Pflicht, jede Handlung zu unterlassen, aus der sich als möglich erkannte üble Folgen ergeben können, würde die Menschen zu absoluter Untätigkeit verurteilen 1 6 ." So wäre ein absoluter Rechtsgüterschutz nur um den Preis der Einstellung nicht nur jeder menschlichen Aktivität, sondern — da auch Passivität zur Ursächlichkeit genügen kann — u m den Preis jeder is Vgl. oben § 21. 14 So etwa die Definition Eb. Schmidts i n v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch des Deutschen S traf rechts, S. 154. is v g l . dazu oben § 2 I u n d Radbruch, a.a.O., S. 124 ff. is Hälschner, Gemeines Deutsches Strafrecht, zitiert bei Welzel, L e h r buch, S. 121.
§ 5. Eingrenzung des Handlungsproblems auf das „Verhalten"
65
menschlichen Existenz überhaupt möglich: vivat iustitia pereat mundus. I n diesem äußersten Falle wäre nun aber offenbar auch die Institution des Rechts sinnlos. Da das Recht der menschlichen Gesellschaft und insofern — da der einzelne ohne die Gemeinschaft nicht möglich ist — dem Menschen schlechthin dienen w i l l ; da das Rechtsgut nur für den Menschen ein Gut ist, d. h. insofern es für die menschliche Existenz von Notwendigkeit ist, ist der Gedanke eines absoluten Rechtsgüterschutzes ein Widerspruch i n sich selbst. Ist also die menschliche Existenz sowohl die Voraussetzung als auch der letzte Zweck des Rechts, so muß das Recht die Gefährdungen, die unerwünschten Wirkungen, die von dieser menschlichen Existenz ausgehen, w o h l oder übel i n Kauf nehmen. Die Herbeiführung eines Erfolges kann somit nicht Gegenstand eines Rechtswidrigkeitsurteils sein. Die menschliche Existenz stellt sich dar als ein Inbegriff von Verhaltensweisen. Von jeder dieser Verhaltensweisen gehen nicht nur schädliche, sondern auch nützliche Wirkungen aus. Es kann daher nur die Aufgabe des Rechts sein, den Nutzen jeder Verhaltensweise vom Standpunkt der gesamten Werthierarchie (des höchsten Rechtswertes), anders ausgedrückt: das Maß, in dem die fragliche Verhaltensweise zur Verwirklichung des der Gemeinschaft vorschwebenden Menschenbildes beiträgt, abzuwägen gegen den gleichzeitig i n dieser Hinsicht zu erwartenden Schaden, und ein überwiegend schädliches Verhalten zu verhindern. Das Recht w i l l also die Beeinträchtigung von Rechtsgütern durch den Menschen nicht schlechthin, sondern nur insofern verhindern, als sie Erfolge eines bestimmten menschlichen Verhaltens sind. Gegenstand des Strafrechts ist somit das menschliche Verhalten. Sofern der „Erfolg" 1 7 i n den gesetzlichen Tatbeständen als eine Voraussetzung der Rechtsfolge fungiert, hat er lediglich die Bedeutung einer rein positivrechtlichen Haftungsvoraussetzung 18 , deren rationale Begründung m i t Recht i n Zweifel gezogen worden ist 1 9 . Nicht die Erfolgsherbeiführung, sondern das menschliche Verhalten ist somit der Kern der Tatbestandslehre und der Grundbegriff des Strafrechts. 17 Unter „Erfolg" verstehen w i r also m i t Münzberg (Verhalten u n d Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung, S. 29) „den tatsächlichen Zustand, i n dem sich die Objekte oder Subjekte fremder Interessen wiederfinden, nachdem die Handlung verändernd i n ihren Bereich eingegriffen hat". !8 So Engisch, Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen Tatbestände, S. 4 f. ; vgl. auch Untersuchungen über Vorsatz u n d Fahrlässigkeit i m Strafrecht, S . 3 4 1 1 ι» Vgl. Welzel, Lehrbuch, S. 122 f.; Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 20 f. m i t Hinweisen auf die italienische Doktrin, die — bezeichnend —den Erfolg als objektive Bedingung der Strafbarkeit versteht.
5 Michaelowa
66
er T e i l : Der Handlungsbegriff der 3. Erläuterung anhand Adäquanzgedankens
nstheorie
der Entwicklungsgeschichte im Straf- und Zivilrecht
des
Der vorstehend i m Gerüst skizzierte Gedankengang, der dazu führt, nicht den Erfolg und seine Bewirkung, sondern das menschliche Verhalten als Grundbegriff des Strafrechts — und nicht nur des Strafrechts 20 — anzusehen, ist das Ergebnis einer langen und mühevollen Entwicklung. Ihren Ausgangspunkt dürfte diese i n der von dem Freiburger Physiologen J. v. Kries begründeten 21 Adäquanzlehre haben. Der Adäquanztheorie ging es darum, den als viel zu weit erkannten kausalen Handlungsbegriff, der praktisch 2 2 auf eine Gleichsetzung von Handlung und Erfolgsverursachung hinausläuft, i n einer den Zwecken des Rechts gemäßen Weise einzuschränken, indem man aus der Fülle der schließlich den Erfolg bewirkenden Bedingungen nur solche Verhaltensweisen als rechtlich relevant herauszuheben suchte, welche eine erhöhte Eignung zur Herbeiführung des fraglichen Erfolges i n sich tragen. Nur wenn der tatbestandsmäßige Erfolg auf einem derartigen „adäquaten" Verhalten beruht, sollte er i m juristischen Sinne verursacht sein 23 . I n der Folgezeit bis heute wurde diese Auffassung i n wesentlicher Hinsicht korrigiert und verbessert. Zunächst wurde insbesondere durch M. L. M ü l l e r 2 4 und — auf dessen Ergebnissen aufbauend — von Engisch 25 klargestellt, daß die Bedeutung der Adäquanzlehre nicht auf dem Gebiet der Kausalität, sondern der Rechtswidrigkeit liegt. Ferner wurde die Anwendung des Adäquanzkriteriums — verstanden als reale Wahrscheinlichkeitsbeziehung zwischen einem Verhalten und einem Erfolg („objektive Möglichkeit") — zur Bestimmung des rechtswidrigen Verhaltens mehr und mehr eingeschränkt. Ein erster Schritt i n dieser Hinsicht war das Aufgehen des Adäquanzkriteriums i m Begriff der „erforderlichen Sorgfalt" bei Engisch 26 . Zwar gibt es kein sorgfaltswidriges Verhalten, das nicht adäquat wäre, aber nicht bedeutet umgekehrt ein adäquates Verhalten auch immer einen Verstoß gegen die erforderliche Sorgfalt. Von grundsätzlicher Bedeutung war ferner die Erkenntnis, daß die offenbar gefährlichen (adäquaten), aber wegen ihrer sozialen Notwendigkeit „erlaubten" Verhaltensweisen, die man unter der Bezeichnung
20 Sondern auch z. B. des zivilen Deliktsrechts. 21 Vgl. Engisch, Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen stände, S. 41 m i t Nachweisen. 22 Von dem relativ unwichtigen Willkürelement abgesehen. 23 Vgl. Engisch, a.a.O., S. 41 ff. 24 Zitiert bei Engisch, a.a.O., S. 52. 25 a.a.O., S. 52 f. 2β Vgl. a.a.O., S. 53 u n d A n m . 2 dortselbst.
Tatbe-
§ 5. Eingrenzung des Handlungsproblems auf das „Verhalten"
67
„erlaubtes Risiko" zusammenzufassen pflegt, nicht als „gerechtfert i g t " 2 7 , sondern als von vornherein nicht sorgfaltswidrig, d.h. nicht tatbestandsmäßig, anzusehen sind 2 8 . Hierin w i r d die notwendige Folgerung aus dem Umstand gezogen, daß es i n bezug auf ein vorausgesetztes Rechtsgut zwar mehr oder weniger gefährliche Verhaltensweisen, aber kein absolut harmloses Verhalten gibt, und insofern jedes zulässige Verhalten als erlaubtes Risiko aufgefaßt werden kann und muß. M i t diesem Übergang von der Adäquanz zur „sozialen Adäquanz" 2 9 ist aber der Adäquanzgedanke (verstanden als eine reale Wahrscheinlichkeitsbeziehung zwischen Erfolg und Verhalten) i m Grunde überhaupt aufgegeben: Nicht die Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung eines bestimmten unerwünschten Erfolges aufgrund eines bestimmten Verhaltens ist für die Rechtswidrigkeit (Sorgfaltswidrigkeit) maßgeblich, sondern die Abwägung des Nutzens gegenüber dem jeweils gleichzeitig zu gewärtigenden Schaden, welche sich dann i n einer gesetzgeberischen Entscheidung 30 , der Bestimmung der von Rechts wegen erforderlichen und daher gebotenen Sorgfalt, konkretisiert. Die Gedanken Engischs haben i n neuerer Zeit besonders durch die finale Handlungslehre 31 eine starke Verbreitung und weitere Ausarbeitung erfahren. Dieser Umstand ist wohl nicht so sehr darauf zurückzuführen, daß es sich hier um eine Folgerung gerade der finalen Handlungslehre handelt. Vielmehr läßt sich diese sehr wohl auch als Erfolgsunrechtslehre denken 32 , indem eben nur an die Stelle der Kausalität die Finalität gesetzt wird. Der Grund für die Betonung des „Verhaltensunwerts" dürfte i n den besonderen Schwierigkeiten liegen, welche dieser Auffassung bei der Konstruktion der Fahrlässigkeitstat erwachsen. Versteht man nämlich unter Bewirkung, Herbeiführung, nicht Kausalität, sondern, wie es die finale Handlungslehre tut, Finali27 So die frühere Auffassung v o n Engisch (Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit i m Straf recht, S. 285 ff.), worauf er i n JuristentagsFestschrift, Bd. 1, S. 418, selbst hinweist. 28 Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 418 i m Anschluß an Welzel, der — nach mehrmaligem Wechsel seiner Auffassung — jetzt wieder diesen von Engisch gebilligten Standpunkt v e r t r i t t (Lehrbuch, S. 50 ff.). 2 9 Welzel, a.a.O., S. 50; zur Begriffsgeschichte vgl. Welzel, a.a.O., S. 52. so Bei der Ausfüllung der sog. „offenen Tatbestände" (Welzel, Fahrlässigkeit und Verkehrsdelikte, S. 14 f.), die, w i e etwa § 230 StGB, n u r den Erfolg (das Rechtsgut), nicht ein Verhalten umschreiben, ist — rechtstheoretisch gesehen — der Richter Gesetzgeber, d. h. er hat eine normsetzende F u n k tion. si I h r Hauptvertreter Welzel w u r d e i n diesem Zusammenhang bereits oben zitiert. sa Vgl. oben § 5 I I 1.
6
68
er T e i l : Der Handlungsbegriff der
nstheorie
tät, so ist es unmöglich, die Fahrlässigkeitsdelikte als „Erfolgsherbeiführung" zu konstruieren; zeichnen sich doch die Fahrlässigkeitstaten gerade dadurch aus, daß der Erfolg nicht beabsichtigt, gewollt und daher auch nicht i m Sinne der Finalisten herbeigeführt ist. Es lag daher der Ausweg nahe, das Unrecht nicht i n der Herbeiführung eines Erfolges, sondern bereits i n der Übertretung einer Verhaltensvorschrift, also darin zu sehen, daß die (vom Willen gesteuerte) A r t und Weise der auf einen nicht tatbestandsmäßigen Erfolg gerichteten Handlung (im finalen Sinne) den Anforderungen der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt i m einzelnen Fall nicht entspricht. „ I n den Tatbeständen der vorsätzlichen Delikte (vorsätzlich i m Sinne des Tatbestandsvorsatzes) erfaßt es (sc. das Straf recht) diejenigen finalen Handlungen, deren Handlungswille
auf sozial-unerwünschte Erfolge
gerichtet ist; i n den
Tatbeständen der fahrlässigen Delikte dagegen diejenigen finalen Handlungen, deren Ausführung die i m Verkehr . . . erforderliche Sorgfalt verletzt. Bei ihnen w i r d der konkrete Vollzug (oder die konkrete Steuerung) der finalen Handlung i n Beziehung gesetzt mit einem maßstäblichen, leitbildhaften Sozialverhalten . . . 3 3 ." A u f dem Gebiet des zivilen
Deliktsrechts
ist die Bedeutung des V e r -
haltens als Gegenstand der rechtlichen Regelung erst relativ spät erkannt worden 3 4 . Als Gründe hierfür kommen etwa i n Betracht, daß dem Erfolg, d. h. dem Schaden, i m Zivilrecht, dessen Aufgabe zumindest auch 35 i n der Restitution besteht, naturgemäß eine wichtigere Rolle zufällt, insofern ein Verhalten, das keinen Schaden anrichtet, i m Hinblick auf diese Funktion nicht interessiert. I m übrigen war es insbesondere das Dogma von dem absoluten Schutz der absoluten Rechte, 33 Welzel, Lehrbuch, S. 117. M a n sieht hier deutlich eine Doppelspurigkeit der finalen Handlungslehre: I m Bereich der vorsätzlichen Delikte ist sie (noch?) Erfolgsunrechtslehre; rechtswidrige Handlung ist eine Beziehung der Finalität zwischen einem Menschen u n d einer tatbestandsmäßigen Beeinträchtigung eines Rechtsguts, während bei den Fahrlässigkeitsdelikten der Akzent ganz auf der konkreten Ausführung, d. h. dem Verhalten, ruht. Konsequent wäre die finale Handlungslehre n u r dann, w e n n sie die Verletzung der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch als Voraussetzung der Vorsatzdelikte ansehen würde, w i e es Engisch (Untersuchungen über V o r satz u n d Fahrlässigkeit i m Straf recht, S. 345 ff.) schon lange gefordert hat. Erst dann wäre der Übergang v o m Erfolgs- zum Verhaltensunrecht auf der ganzen L i n i e vollzogen. Die Hinwendung v o m Erfolgs- zum Verhaltensunrecht erscheint übrigens bei Maurach (Deutsches Strafrecht, S. 159 f.) wesentlich folgerichtiger durchgeführt als bei Welzel. 34 Gemeint ist damit die bewußte rechtstheoretische Erfassimg u n d H e r vorhebung. Unbewußt wurde m i t dem Verhaltensbegriff i n der Rechtsprechung schon immer gearbeitet. 35 Diese Einschränkung erfolgt m i t Rücksicht darauf, daß dem zivilen Deliktsrecht teilweise auch eine präventive F u n k t i o n zuerkannt w i r d .
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
69
das einer Anerkennung des Verhaltens als Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils entgegenstand 36 . Indessen zeichnet sich i n der außerordentlich lebhaften Diskussion dieser Problematik unter den Schlagworten „Erfolgsunrecht" und „Verhaltensunrecht", die wohl durch den Einfluß der Vertreter des Finalismus auf zivilrechtlichem Gebiet 37 und insbesondere durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zum „Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens" 3 8 veranlaßt wurde 3 9 , deutlich eine Verlagerung des Akzentes vom Erfolg auf das Verhalten ab, die der Entwicklung i m Strafrecht entspricht 40 . Nach dem Gesagten ist festzuhalten: W i l l man m i t dem Begriff der Handlung den Grundbegriff, den „Eckstein" der Verbrechenslehre fassen, so kann er nicht als eine wie immer geartete Wirksamkeitsbeziehung eines Menschen zu einem Erfolge, sondern nur als menschliches Verhalten definiert werden.
§ 6. D e r Begriff des menschlichen Verhaltens
Wenn der Handlungsbegriff somit nicht als eine Wirksamkeitsbeziehung zwischen einem Menschen und einem tatbestandsmäßigen Geschehen gefaßt werden kann, wenn vielmehr der unverzichtbare Kern des i m Tatbestand beschriebenen Geschehens die Handlung selbst ist, so gewinnt die Frage nach dem Handlungsbegriff eine wesentlich präzisere Form. Sie spitzt sich zu auf die Frage nach der gemeinsamen Bestimmung, die es rechtfertigt, Tatbestandsmerkmale wie „wegnimmt" (§ 242 StGB), ein Fahrzeug „ f ü h r t " (§ 315 c StGB), „nachstellt" (§292 StGB), „tätlich angreift" (§113 StGB), „anwirbt" (§109 h StGB), „aussagt" (§ 153 StGB) zusammenfassend als „menschliches Verhalten" zu bezeichnen.
36 Vgl. etwa Latenz, S. 358 ff.
Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. 2 (4. Aufl.,
37 Vgl. dazu die Übersicht bei Deutsch, Sorgfalt, S. 46 ff. 38 B G H Z 25; 21 ff. (Großer Zivilsenat).
1960)
Fahrlässigkeit u n d erforderliche
39 V o n den außerordentlich zahlreichen kleineren u n d größeren Beiträgen erwähnen w i r hier n u r beispielsweise die Arbeiten von Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens (1960); Deutsch, F a h r lässigkeit u n d erforderliche Sorgfalt (1963); v.Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, Juristentags-Festschrift, Bd. 2, S. 49 ff. (1960); Münzberg, Verhalten u n d Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit u n d Haftung (1966). 40 Z u dem Ergebnis, daß allein das Verhalten als Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils i n Betracht kommt, gelangt insbesondere auch neuestens die genannte ausführliche Monographie v o n Münzberg, a.a.O., z. B. S. 437.
70
er T e i l : Der Handlungsbegriff der
nstheorie
I . Aufzählung einiger juristischer und nichtjuristischer Verhaltensbegriffe
Der Ausdruck „Verhalten" begegnet i n der strafrechtlichen Literatur außerordentlich häufig. Er w i r d meist an Stelle des Ausdrucks „Handlung" verwendet, um entweder einen Gegensatz zum Erfolg zu kennzeichnen 1 , oder aber als Oberbegriff für Handlung i m engeren Sinne ( = positives Tun) und Unterlassung 2 . Der Gebrauch des Ausdrucks Verhalten i n diesem Zusammenhang h i l f t aber nicht weiter. Daß dem Verhaltensbegriff die Beziehung auf einen Erfolg nicht wesentlich ist, w a r bereits die Voraussetzung der obrigen Darlegungen. Die systematische Funktion des Verhaltensbegriffs, Oberbegriff für positives Tun und Unterlassen zu sein, wäre nur dann von Wert, wenn man den genauen Inhalt dieser Begriffe angeben könnte. Denn dann ließe sich durch einen Vergleich der Definition der Handlung (im engeren Sinne) m i t der Definition der Unterlassung diese gemeinsame Basis leicht ermitteln. Diese Möglichkeit scheidet aber deswegen aus, weil Handlung i m engeren Sinne und Unterlassung gerade als Klassen des Verhaltens definiert zu werden pflegen 3 . Der Begriff des Verhaltens als Oberbegriff für positives Tun und Unterlassen bleibt also Postulat, Aufgabe. Halten w i r nun Ausschau nach ergiebigeren Bestimmungen des Verhaltensbegriffs, so können w i r feststellen: Obwohl man diesem Ausdruck i n der juristischen und speziell der strafrechtlichen Literatur auf Schritt und T r i t t begegnet, finden sich sehr selten ausdrückliche Definitionen. So konnte Radbruch 4 seinerzeit lediglich auf deren zwei verweisen: Nach Eitzbacher 5 bedeutet Verhalten „eine Tatsache des 1 So ζ. B. Engisch, Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen T a t bestände, S. 3, A n m . 1 : „ I m engsten Sinne bedeutet Verhalten den Gegensatz zum Erfolg." Engisch unterscheidet a.a.O. noch zwei weitere Verhaltensbegriffe, die aber i n diesem Zusammenhang nicht interessieren. 2 Vgl. etwa Welzel, Lehrbuch, S. 28; v. Liszt- Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S, 170: „Die Willensbetätigung besteht hier (sc. bei der Unterlassung) i n der w i l l k ü r l i c h e n Nichtvornahme einer Körperbewegung. Sie erfordert auch hier ein v o m Zwange freies, durch Vorstellungen bestimmtes Verhalten des Täters." 3 Es ergibt sich daher ein logischer Zirkel, w e n n m a n versucht, den V e r haltensbegriff i m Sinne eines entweder - oder wiederum auf die Begriffe des positiven Tuns u n d der Unterlassung zurückzuführen, w i e es bei Welzel (Lehrbuch, S. 28) geschieht: Verhalten ist „die der Fähigkeit zu zweckhafter Willensbildung unterstehende körperliche A k t i v i t ä t oder Passivität des M e n schen. Dieses Verhalten kann eine Handlung, d. h. die wirkliche Ausübung von Zwecktätigkeit, oder die Unterlassung einer Handlung, d. h. die Nichtausübung möglicher Zwecktätigkeit sein". 4 Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutimg f ü r das Strafrechtssystem, S. 138 f. s Zitiert bei Radbruch, a.a.O., S. 138.
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
71
menschlichen Seelenlebens allein oder i n Verbindung mit anderen von ihr abhängigen Tatsachen". Dagegen wurde dieser Begriff von Landsberg 6 bestimmt als „das Irgendwie-Beschaffensein an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit". I n der Folgezeit finden sich Definitionen, die i n ihrer Allgemeinheit an die Landsbergs erinnern, etwa bei Felix Kaufmann, Alexander und Maihofer. Nach F. Kaufmann 7 umfaßt der Begriff des Verhaltens „sämtliche Zustände und Vorgänge", die sich auf den Menschen „als ihren Träger beziehen". Alexander 8 bestimmt den Verhaltensbegriff als „ein menschliches So- und nicht Anders-Sein". Da diese Definition sowohl Tätigkeit als Untätigkeit, bewußtes wie unbewußtes Verhalten einschließe, sei „durch diesen Begriff jeder menschliche Vorgang ergriffen" 9 . I n neuerer Zeit hat insbesondere Maihofer den Begriff des Verhaltens stark in den Vordergrund gerückt, wenn er sagt 10 : „Erst durch die radikale Reduktion des Begriffs auf die Formel: ,Handlung ist menschliches Verhalten' läßt sich die Begriffsgrundlage für eine einheitliche Begriffsstruktur finden. Es bedarf dazu weder der formalen Kriterien der Körperlichkeit und Willkürlichkeit zur Erfassung dessen, was für das Strafrecht ,Handlung' sein soll, noch gar der Zusammenfassung der Verhaltensformen aus der inhaltlichen Gemeinsamkeit ihrer Willensrichtung oder gar ihres Willensinhalts, sondern lediglich des einfachen, auch empirisch schlüssigen Bezugs auf den Begriff des ,Verhaltens 4 als dem Oberbegriff, unter dem ja schon, auch i m allgemeinen Sprachgebrauch, die unterschiedlichen Möglichkeiten menschlichen Sich-Verhaltens zur Welt zusammengefaßt werden." Der Handlungsbegriff w i r d somit bestimmt durch die „reine Wirklichkeitsbezogenheit auf die Existenz des Menschen i n seinem Sich-Verhalten zur Welt, das heißt, auf die gesamten äußeren Daseinsmöglichkeiten, i n denen die menschliche Person i n Worten wie i n Taten zur »Äußerung 4 ihres Seins i n der Wirklichkeit gelangt und damit selbst als Wirklichkeit wirksam wird .. . " n . W i r wollen diese Aufzählung m i t einem Verhaltensbegriff beschließen, der zwar nicht dem juristischen Schrifttum entnommen, aber insofern von besonderem Interesse ist, als er aus dem gleichen Bereich stammt, wie der finale Begriff der Handlung: Es handelt sich u m den β Zitiert bei Radbruch, a.a.O., S. 138 f. 7 Zitiert bei A r m i n Kaufmann, Lebendiges u n d Totes i n Bindings Normentheorie, S. 108. 8 Das verbrecherische Verhalten des Geisteskranken, S. 25. 9 Alexander, a.a.O., S. 26. 10 Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 68. h a.a.O., S. 68.
72
er T e i l : Der Handlungsbegriff der
nstheorie
(natur-)philosophischen, ontologischen Verhaltensbegriff. Danach bedeutet Verhalten soviel wie endogene Eigentätigkeit i n bezug (als Reaktion) auf die Umwelt und ist damit ein spezifischer Ausdruck eines lebendigen Wesens. „Der Organismus zeigt aber Eigentätigkeit nicht nur i n seinem Innern, sondern auch nach außen hin, i m SichVerhalten i n Kommunikation m i t der Umwelt. Dies erweist sich vor allem an der Selbstbewegung, der Fähigkeit des Organismus, seine Lage von selbst, von innen heraus zu verändern. Die Bewegungen der unbelebten Natur sind kein Sich-Verhalt en, sie geschehen durch äußere Einwirkungen, durch Übertragung von außen wirkender Kräfte. Die Eigenbewegungen des Organismus sind A n t w o r t auf einen Reiz, der das Lebende von außen betrifft . . . Das Sich-Verhalten nach außen stellt einen Dialog dar, d. h. der Organismus antwortet auf das Stichwort der Außenwelt mit Eigentätigkeit 1 2 ." Die angeführten Zitate mögen als Anhaltspunkte für den nun folgenden Versuch einer methodischen Bestimmung des Verhaltensbegriffs genügen. Sie stecken gewissermaßen das Terrain ab, i n dessen Umgebung der strafrechtliche Verhaltensbegriff zu suchen ist. Welcher von den angeführten Verhaltensbegriffen bzw. ob überhaupt einer von ihnen zutrifft, bestimmt sich allein nach teleologischen Gesichtspunkten, d. h. nach der systematischen Funktion des kriminalrechtlichen Verhaltensbegriffs. Diese besteht nach der Zwangstheorie des Rechts darin, alle diejenigen Weisen zu erfassen, auf die der Mensch für Seinesgleichen gefährlich werden kann.
I I . Versuch zur methodischen Bestimmung des Verhaltensbegriffs 1. Verhalten
als „menschliche
Seinsäußerung"
Versuchen w i r nun, den Verhaltensbegriff des Kriminalrechts zu bestimmen, so läßt sich zunächst negativ folgendes feststellen: Der Begriff des Verhaltens kann nicht wiederum i n einer Wirksamkeitsbeziehung zwischen einem Menschen und einem Ereignis bestehen, gleichgültig welcher A r t diese Realbeziehung sein mag. So etwa hat es keinen Sinn zu sagen, jemand sei ursächlich dafür, daß er eine Sache wegnehme, über einen Acker gehe usw., denn das „Gehen über einen Acker", die „Wegnahme" sind nicht als von der Existenz eines Menschen abgelöste Ereignisse denkbar; vielmehr setzt „das Gehen" einen Gehenden, „die Wegnahme" einen Wegnehmenden bereits be!2 Ph. Lersch, Philosophische Anthropologie, S. 45 f. ; vgl. auch Müller, Einführung i n die allgemeine Psychologie, S. 14, S. 18 m i t weiteren Nachweisen.
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
73
grifflich voraus. Es erscheint infolgedessen nicht zutreffend, wenn der Unterschied zwischen Erfolgs- und Tätigkeitsdelikten lediglich auf die größere oder geringere räumliche Entfernung zurückgeführt w i r d 1 3 . Der Unterschied ist vielmehr logischer Natur: Während die Beeinträchtigung eines Rechtsguts, etwa die Zerstörung einer Sache, keineswegs notwendig die Urheberschaft eines Menschen voraussetzt, ist die Bezogenheit auf einen Menschen den fraglichen Tätigkeiten bereits immanent, so daß die Feststellung, jemand sei für seine 14 Tätigkeit ursächlich, nicht nur auf eine Tautologie hinausläuft, sondern unrichtig ist. Dies gilt aber nicht nur von „Tätigkeiten", sondern entsprechend auch von „Untätigkeiten": „er schläft", „er r u h t " , „er t u t nichts". Auch hier wäre es unrichtig, die Kausalität eines Menschen für seine U n tätigkeit feststellen zu wollen. Damit kommen w i r zu einer ersten positiven Feststellung über den Begriff des Verhaltens: Das Verhalten kann deshalb nicht als eine Wirksamkeitsbeziehung zwischen einem Menschen und einem Vorgang, Geschehen, definiert werden, w e i l es eine Befindlichkeit, eine Weise, i n der sich menschliche Existenz vollzieht, eine Äußerung menschlichen Daseins ist. Bedeutet Verhalten i m allgemeinsten Sinne demnach Seinsweise, Seinsäußerung 15 , so umfaßt der Begriff des menschlichen Verhaltens jede Äußerung menschlichen Daseins. 2. Die Bedeutung
des Attributs
„menschlich"
A n diese erste Feststellung knüpft sich die Frage: K o m m t als „ V e r halten" ( = Handlung) i m Rechtssinne jede menschliche Seinsäußerung oder etwa n u r ein bestimmter Teil derselben i n Betracht? Umfaßt 13 So Engisch, Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, S. 3 und Anm. 1 dortselbst unter Anlehnung an v. Liszt- Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 157, w o es heißt: „Aus dem Gesagten ergibt sich, daß zu jedem Verbrechen ein Erfolg erforderlich ist. Es ist also unrichtig, innerhalb des kriminellen Unrechts zwischen ,Erfolgsdelikten' und reinen, einen Erfolg nicht voraussetzenden ,Tätigkeitsdelikten' zu unterscheiden." Es ist zwar richtig, daß jede Handlung i n einer Veränderung der W i r k l i c h keit besteht. Auch der Umstand, daß jemand über einen Acker geht, bedeutet eine solche Veränderung. N u r ist ein derartiger „Erfolg" nicht ein durch die Willensbetätigung — u m i n der Terminologie v. Liszts zu bleiben — verursachtes Ereignis, sondern die Willensbetätigung selbst. E i n Erfolg als ein durch die Tätigkeit bewirkter braucht eben nicht immer vorzuliegen. 14 Das Gesagte gilt natürlich n u r für die eigene Tätigkeit, nicht für die eines anderen. Die Tätigkeit des Β kann als von A unabhängig und daher auch als ein von diesem herbeigeführter Erfolg gedacht werden. Damit w i r d auch klar, w a r u m von einer Verursachung durch einen Menschen i m Hinblick auf dessen eigene Tätigkeit nicht gesprochen werden kann: Der Mensch ist ja nur, indem er auf die eine oder andere Weise ist; sämtliche Seinsweisen machen seine Existenz aus. Infolgedessen kann eine Seinsweise durch die Existenz ebensowenig verursacht sein, w i e etwa der Teil durch das Ganze.
74
er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
insbesondere der Begriff des menschlichen Verhaltens etwa nur die spezifischen Seinsäußerungen, welche gerade nur die menschliche Existenz kennzeichnen, oder umschließt er auch diejenigen Daseinsweisen, d i e auch, aber nicht
allein
d e m Menschen z u k o m m e n ? M i t der l e t z t e r e n
Frage ist bereits eine bestimmte Möglichkeit der Klassifikation angedeutet: die Möglichkeit der Differenzierung der Seinsäußerungen nach bestimmten Seinsbereichen oder „Schichten" der Wirklichkeit, wie sie i n der Nachfolge von Aristoteles 16 von der Ontologie unterschieden zu werden pflegen 17 . So ζ. B. unterscheidet N. Hartmann 1 8 vier Schichten: die des Anorganischen (der Materie), des Organischen, des Seelischen und des Geistigen. Der Mensch als das höchste Gebilde der Wirklichkeit hat an allen vier Seinsbereichen Anteil 1 9 . Infolgedessen sind auch die Äußerungen seines Daseins vierfacher, d. h. materieller, organischer, seelischer und geistiger A r t . Die Äußerungen welcher Schicht des menschlichen Seins w i l l das Recht mit dem Begriff der Handlung erfassen? Das K r i t e r i u m ist nach dem Vorangegangenen klar: Da das Strafrecht nach der Zwangstheorie die vom Menschen ausgehenden Gefahren für die Gemeinschaft bannen w i l l , muß der Begriff der Handlung jede Äußerung menschlichen Daseins erfassen, die sozialschädlich sein kann. Betrachten w i r nun die verschiedenen i m juristischen Bereich entwickelten oder denkbaren Handlungsbegriffe 20 , die w i r — i n freier Anlehnung an die ontologische Schichtenlehre Hartmanns — als Ausdrucksweisen verschiedener Stufen der menschlichen Existenz verstehen können — so ergibt sich folgendes: a) Es ist allgemein anerkannt, daß die Schädlichkeit eines Verhaltens ganz unabhängig davon ist, ob dem Menschen ein Verhalten „vorgeworfen" werden kann, weil ihn diesbezüglich (sittliche) Schuld trifft, oder nicht. Daraus läßt sich folgern, daß der Begriff der Handlung, wie er i m Zusammenhang m i t dem A t t r i b u t „objektiv rechtswidrig" gebraucht wird, nicht auf die (sittliche) Freiheit eines sich entscheidenden Subjekts bezogen ist und daher nicht mit dem sittlichen Handle Vgl. Diemer, „Ontologie" i n : Das Fischer Lexikon, Philosophie, S. 254 f. 17 I n der Philosophie der Gegenwart besonders ausgeprägt bei N. Hartmann u n d A. Wenzl; vgl. dazu Hirschberger, Geschichte der Philosophie, Bd. 2, S. 610, S. 623. ι» Vgl. etwa Einführung i n die Philosophie, S. 120 ff. is Hartmann, a.a.O., S. 121, S. 133. 20 Genauer wäre: Verhaltensbegriffe, da w i r nunmehr —· nach Ausscheidung des Erfolges aus dem Handlungsbereich — die Handlungslehren n u r noch insoweit berücksichtigen, als sie sich m i t dem Verhalten befassen, d. h. — negativ — insoweit nicht berücksichtigen, als die Beziehimg zwischen Verhalten u n d Erfolg i n Frage steht.
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
75
lungsbegriff (dem Handlungsbegriff der Sollenstheorie) identisch sein kann 2 1 . Die Freiheit des Willens, die dem sittlichen Begriff der Handlung immanent ist, ist dem Handlungsbegriff der Zwangstheorie nicht wesentlich. b) Problematischer ist die Frage, ob die Seinsäußerung — wenn es schon auf die Freiheit der Willensbildung nicht ankommt — nicht zumindest von einem steuernden Willen beherrscht sein muß, um als Handlung bzw. Verhalten zu gelten. Diese Auffassung w i r d m i t besonderem Nachdruck von der finalen Handlungslehre vertreten. Sie sieht i n der Finalität, der bewußten, voraussehenden Zwecktätigkeit, der „Willensverwirklichung", eine spezifische Seinsäußerung des Menschen und gründet vornehmlich auf diese „ontologische" Feststellung ihren Geltungsanspruch. I n diesem Sinne ist Verhalten, Handlung, nur die willentliche Seinsäußerung. Prüft man nun diesen finalen Handlungsbegriff anhand des teleologischen Kriteriums der Sozialschädlichkeit, so ergibt sich offensichtlich eine negative Bewertung 2 2 . Ob der Mensch die Fähigkeit zur Verwirklichung eines Willens besaß, ja ob er überhaupt etwas gewollt hat, kann für die Sozialschädlichkeit seiner Seinsäußerungen ebensowenig maßgeblich sein, wie die sittliche Freiheit, wozu insbesondere auch die Freiheit der Willensbildung gehört. c) Der Umstand, daß auch fast alle kausalen und sozialen Handlungsbegriffe ein „willkürliches" Verhalten fordern 2 3 , legt die Auffassung nahe, der Unterschied zwischen der finalen Handlungslehre und den kausalen bzw. sozialen andererseits beschränke sich auf die Zurechnung der Folgen des Verhaltens: Müssen diese, um zur „Handlung" 2 4 zu gehören, nach der finalen Handlungslehre ebenfalls vom Willen umfaßt (bezweckt) sein, so genügt nach den anderen Auffassungen entweder die Kausalität überhaupt 2 5 oder doch die „adäquate Kausal i t ä t " 2 6 . Dagegen sei bei einer Beschränkung des Handlungsbegriffs auf das menschliche Verhalten die finale Handlungslehre m i t der kausalen und sozialen i m Grunde identisch. Diese Auffassung wäre aber 2
1 Vgl. oben §4. Ebenso Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 160; Maihofer, Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 45 ff. 23 Eine Ausnahme bildet der Handlungsbegriff Maihofers, a.a.O., ζ. B. S, 68. 24 Wobei dieser Ausdruck i m Sinne des oben § 5 I I 2 abgelehnten erfolgsbezogenen Handlungsbegriffs verwendet w i r d . 25 So etwa bei Beling, zitiert bei Radbruch (Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem, S. 130), Radbruch selbst (a.a.O., S. 129 f.) und Mezger, Strafrecht, S. 108 (vgl. oben § 2 I). 20 Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 161. 22
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er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
nur dann zutreffend, wenn das „willkürliche Verhalten" i m Sinne der kausalen und sozialen Handlungslehre gleichbedeutend wäre m i t dem gewollten (finalen) Verhalten. Das ist indessen nicht der Fall. Die „ W i l l k ü r l i c h k e i t " erfordert nämlich nur, daß das Verhalten aufgrund eines Willensentschlusses, nicht aber, daß es diesem gemäß erfolgt ist, und umfaßt daher auch die entgleisten, der willentlichen Steuerung entglittenen Verhaltensweisen 27 . Sehr bezeichnend sind die Ausführungen Radbruchs 2 8 : Während die älteren Theoretiker (die Klassiker) „nur
was gewollt
ist, als Wirkung
des Willens
ansahenwurde
von
Binding und Zitelmann 2 9 „umgekehrt alles, was durch den Willen ... bewirkt ist, für gewollt angesehen. U n d jetzt erst w i r d die Erkenntnis reif, daß weder das Gewollte auch durch den Willen das durch den Willen Verwirklichte auch gewollt
verwirklicht, noch zu sein brauche,
beides vielmehr streng zu unterscheiden ist". W i l l k ü r l i c h k e i t bedeutet also bei der kausalen und sozialen Handlungslehre nicht Steuerung, auch nicht bezüglich des Verhaltens, sondern lediglich die Ursächlichkeit eines psychischen Aktes 3 0 . Sind Finalität und W i l l k ü r l i c h k e i t i n dieser Weise zu unterscheiden, so ist doch andererseits auch eine wesentliche Gemeinsamkeit feststellbar: I n beiden Fällen kommt als Handlung n u r ein bewußtes 3 1 Verhalten i n Betracht, das frei ist von physiologischem oder mechanischem Zwang 3 2 . Auch diese Einschränkung ist aber, w i e i m folgenden noch näher auszuführen sein wird, vom Aspekt der Sozialschädlichkeit nicht gerechtfertigt. Die Hartnäckigkeit, m i t der die herrschende Auffassung bei der Bestimmung des Handlungsbegriffs an dem Willens- bzw. Willkürelement festhält, ist u m so weniger verständlich, als i h r die Notwendigkeit, auch unbewußtes und unwillkürliches Verhalten i m Handlungsbegriff kriminalrechtlich zu erfassen, immer wieder eindringlich entgegengehalten worden ist. Wohl der erste 33 , der diesen Sachverhalt anhand des Verhaltens Geisteskranker klar erkannte und würdigte, war 27
Z u den sog. „ungeschickten Bewegungen" vgl. Radbruch, a.a.O., S. 12-8 f. a.a.O., S. 127 f. 29 Z u und gegen deren vom üblichen Sprachgebrauch stark abweichende Konstruktion eines unbewußten Wülens ausführlich Radbruch, a.a.O., S. 110 ff. 30 Vgl. dazu schon oben § 2 I und § 5 I I 1 am Ende. 31 Z u m Merkmal des Bewußtseins i n der kausalen Handlungslehre vgl. Alexander, Das verbrecherische Verhalten des Geisteskranken, S. 22; Domning, M i t Strafe bedrohte Handlungen Schuldunfähiger, S. 11, Anm. 11. 32 Vgl. einerseits v. Liszt- Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 154; Engisch, Festschrift für Kohlrausch, S. 164; andererseits Welzel, Lehrbuch, S. 28; Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 158 f. 3 3 Nach Domning, a.a.O., S. 29. 28
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§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
Alexander 3 4 : „Wohl kann der Geisteskranke bewußt und gewollt handeln, aber es gibt zahllose Fälle unbewußten und ungewollten Handelns, von denen sich keinesfalls sagen läßt, daß sie unbeachtlich seien 35 ." Von den hierzu aus der psychiatrischen Literatur mitgeteilten Beispielen wollen w i r nur eines anführen: „ E i n Schizophrene teilt Schläge aus, schlägt Scheiben ein. Er w i l l dies nicht. Er spürt auch nicht, daß er handelt. Er nimmt davon Notiz wie ein Dritter, indem er zusieht und zuhört. Es sind völlig automatische Handlungen, Handlungen des Unbewußten. Die associative Verbindung zwischen dem bewußten Ichkomplex und der Funktion des Handelns fehlt 3 6 ." Zu den gleichen Ergebnissen wie Alexander gelangte i n seiner i m Jahre 1939 erschienenen Schrift über „ M i t Strafe bedrohte Handlungen Zurechnungsunfähiger" Domning, der u. a. die Auswirkungen der damals gerade eingeführten Vorschriften des § 42 b und § 330 a StGB auf den Handlungsbegriff untersuchte 37 : Wenn die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung i m Rahmen der §§ 42 b und 330 a StGB lediglich das ausschließliche Erkenntnismittel für die Gefährlichkeit des Täters bilden soll 3 8 , die Gefährlichkeit Zurechnungsunfähiger aber häufig unabhängig von einer Willensbetätigung ist 3 9 , so muß die W i l l kürlichkeit „bei der Beurteilung ihres Verhaltens irrelevant bleiben k ö n n e n . Das Vorliegen daher Eintritt
vernünftigerweise der
Rechtsfolge
einer nicht der
Handlung
im
herkömmlichen
zur unbedingten §§ 42 b und
Sinne
Voraussetzung
330 a gemacht
für
werden.
darf den Will
man an dem herkömmlichen Handlungsbegriff trotz der vorgetragenen Mängel festhalten, so w i r d es u. E. unbedingt notwendig, für die Straftaten Zurechnungsunfähiger auf das Erfordernis einer Handlung zu verzichten. Man muß dann jedes Verhalten eines Unzurechnungsfähigen, durch das der objektive Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht wird, für ausreichend ansehen, u m . . . die gesetzliche Rechtsfolge verhängen zu können. Strafbare Handlungen i m Sinne der §§ 42 b und 330 a können dann durch Handlungen oder ein sonstiges Verhalten begangen werden" 4 0 . 34
Das verbrecherische Verhalten des Geisteskranken (1926). Alexander, Das verbrecherische Verhalten des Geisteskranken, S. 24. se Alexander, a.a.O., S. 35. 3 7 a.a.O., besonders S. 9 ff.
33
3 « Domning, a.a.O., S. 28 m i t Hinweisen auf die Begründung des amtlichen Entwurfs u n d eine große Anzahl von Autoren. 39 Wie Domning ebenfalls anhand einer ganzen Reihe von Beispielen a.a.O., S. 25 ff. darlegt. 4 ° a.a.O., S. 28 f.
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er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
I n neuerer Zeit haben insbesondere Maihofer 4 1 und — ebenfalls i m Hinblick auf § 330 a StGB — Cramer 4 2 wiederum diese Auffassung vertreten. Was hat nun die herrschende Auffassung dieser Argumentation entgegenzusetzen? Die Tatsache, daß es gefährliche menschliche Verhaltensweisen gibt, die das Merkmal der Willkürlichkeit nicht erfüllen, läßt sich nicht ableugnen. Sie w i r d daher auch von Vertretern des finalen Handlungsbegriffs anerkannt. So sagt etwa Welzel 4 3 : „Wo der Mensch körperlich ursächlich wird, ohne daß er seine Körperbewegungen durch einen i h m möglichen Willensakt beherrschen kann — sei es, daß er als rein mechanische Masse w i r k t (wie bei plötzlicher Ohnmacht), oder daß er Reflexbewegungen ausführt (wie bei Krampfanfällen) —, da kann er zwar als Objekt vorbeugenden polizeilichen Einschreitens i n Betracht kommen, wenn er auch i n Zukunft sozialgefährlich ist, aber für die Normen des Strafrechts scheiden solche Körperbewegungen aus." Warum aber? Die A n t w o r t lautet: „Auch das Strafrecht kann sich nur darum, weil der Mensch zum Vollzug zweckbewußter Handlungen fähig ist, gebietend und verbietend an den Menschen wenden 4 4 ." Hier w i r d also offenbar die Problematik wieder in den allgemeinen rechtsphilosophischen Bereich, den Normbegriff, abgeschoben. M i t dieser Frage haben w i r uns aber gerade oben 45 auseinandergesetzt. Die Auffassung der Rechtsnorm als Geoder Verbot, also die Imperativentheorie, ist i n zwei Formen möglich: Entweder man betrachtet das Gebot als einen heteronomen Imperativ, als psychischen Zwang. Dann wäre die Auffassung Welzeis nur richtig, wenn das Recht auf die willensbildende, motivierende Funktion beschränkt wäre. Das ist aber nun sicher nicht der Fall, wie Welzel selbst i m Hinblick auf das vorbeugende polizeiliche Einschreiten anerkennt. Das Recht kennt nicht nur den mittelbaren, psychischen, sondern auch den immittelbaren, physischen Zwang, wie er etwa i n den Maßnah41
Der Handlungsfoegriff i m Verbrechenssystem, S. 25 ff., S. 68. Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt (1962), S. 116 ff., etwa S. 122: „Regelmäßig w i r d die tatbestandsmäßige Handlung des Berauschten auch i m natürlichen Sinne gewollt, der Rauschtäter also handlungsfähig kein. Beruht jedoch seine Handlungsunfähigkeit auf dem Rausch, so genügen zur Rauschtat auch sog. Zwangshandlungen wie K r a m p f anfälle, Torkeln und Erbrechen." Vgl. auch den Hinweis auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, w o das Gericht ohne Bedenken hinsichtlich des Handlungscharakters i n dem Umstand, daß ein Betrunkener auf der Straße liegend den Verkehr behinderte, die Erfüllung eines Übertretungstatbestandes erblickte (a.a.O., Anm. 94). 42
« Lehrbuch, S. 28. 44 a.a.O., S. 28. 43 Bei der K r i t i k A r m i n Kaufmanns
u n d der Imperativentheorie (§4).
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
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men der Sicherung und Besserung zum Ausdruck kommt 4 6 . Zwischen Strafrecht und Sicherheitsrecht i m weitesten Sinne besteht so gesehen kein prinzipieller Unterschied. Infolgedessen darf der Normbegriff, wenn man ihn als Denkform des Rechts verwenden w i l l , nicht den zu engen Sinn des bloß psychischen Zwanges, sondern n u r die Bedeutung von staatlichem Zwang überhaupt haben. Nach der Zwangstheorie des Rechts ist also die Auffassung Welzels unzutreffend, weil das Recht eben nicht nur aus Ge- und Verboten (Imperativen) besteht und insofern nicht unbedingt auf die Fähigkeit zur Willensverwirklichung angewiesen ist. Die andere Möglichkeit, die Imperativentheorie zu interpretieren, nämlich die Auffassung des Rechts als ein sittliches Sollen, führt freilich dazu, daß unwillkürliche Handlungen aus dem Bereich der rechtlich bedeutsamen Gegenstände ausscheiden. Aber sie führt darüber hinaus auch zu einer Ausscheidung der nur finalen Handlungen, weil zur Rechtswidrigkeit i m Sinne der Sollenstheorie nicht nur die Freiheit der Willensverwirklichung, sondern auch und vor allem die Freiheit der Willensbildung gehört, welche nach der finalen Handlungslehre ja ausdrücklich aus dem Handlungsbegriff ausgeschlossen w i r d 4 7 . Damit zeigt sich wiederum, daß die finale Handlungslehre vom Standpunkt der Sollenstheorie zu weit, vom Standpunkt der Zwangstheorie des Rechts dagegen zu eng ist 4 8 . Außer dieser unzutreffenden Begründung aus dem Wesen der Rechtsnorm führt Welzel noch ein anderes Argument ins Feld: M i t dem Merkmal der Willkürlichkeit werde das spezifisch menschliche Moment gestrichen. I n diesem Sinne kritisiert er Maihofer: „Sein angeblich ,sozialer' Handlungsbegriff ist von vornherein vor- und untermenschlich, umfaßt auch tierisches Verhalten." Maihofer verkenne, indem er den Begriff der Willkürlichkeit bekämpfe, „sogar dessen schlechthin konstitutive Bedeutung für den menschlichen Charakter der Handlung" 4 9 . Hier finden w i r also wieder das ontologische Argument. Tatsächlich ist ohne weiteres zuzugeben, daß die Finalität, die Willenshandlung, eine spezifisch menschliche Seinsäußerung darstellt 5 0 , und daß der Verhaltensbegriff, wie er etwa von Maihofer vertreten wird, auch Äußerungen nicht spezifisch menschlichen Seins erfaßt. Indessen ist dieser Umstand kein Mangel, sondern gerade der Vorzug dieser 4 6 Deren Zugehörigkeit zum Strafrecht i m weiteren Sinne (Kriminalrecht) auch Welzel nicht leugnet (Lehrbuch, S. 14 f., S. 222 ff.). 47 Vgl. oben § 5 I I 1. 48 Vgl. oben § 4 I I . 49 Welzel, Lehrbuch, S. 28. 50 Vgl. die Darstellung der Auffassung Gehlens oben § 2 I V .
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er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
Auffassung. Daß der Verhaltensbegriff auch Äußerungen nicht spezifisch menschlichen Seins erfaßt, bedeutet natürlich nicht, daß auch das Verhalten von Tieren strafrechtlich relevant und damit Tiere Rechtssubjekte wären. Seine Bedeutung liegt vielmehr darin, daß Seinsäußerungen des Menschen auch dann kriminalrechtlich erfaßt werden können, wenn sie nicht spezifisch menschliche Seinsäußerungen sind. Diese Auffassung ist aber i m Gegensatz zu der Forderung nach Finalität bzw. Willkürlichkeit methodisch (teleologisch) sehr wohl begründet. W i l l das Recht i m Sinne der Zwangstheorie die Gemeinschaft vor gefährlichen Seinsäußerungen des Menschen schützen, so ist die A r t dieser Seinsäußerungen grundsätzlich gleichgültig, sofern nur deren Schädlichkeit feststeht. Insofern diese aber, wie dargelegt, von der spezifisch menschlichen Erscheinung der Finalität unabhängig ist, bedeutet die Definition des Handlungsbegriffs vermöge der Finalität oder Willkürlichkeit die Aufnahme eines sachwidrigen und daher falschen Kriteriums. d) Ist somit der Handlungsbegriff nicht auf die spezifischen Seinsäußerungen des Menschen einzuschränken, so erhebt sich nimmehr die Frage, ob es für den Handlungsbegriff nicht zumindest notwendig ist, daß es sich um einen Daseinsvollzug des Menschen als eines lebendigen psycho-physischen Wesens handelt, daß das Verhalten mithin ein Ausdruck der Lebendigkeit, der organischen Natur ist 5 1 . W i r brauchen uns indessen bei einem derartigen Handlungsbegriff, zumal er i n der modernen kriminalrechtlichen Literatur — soweit w i r sehen — nirgends ausdrücklich vertreten wird, nicht lange aufzuhalten. Denn es ist nicht schwer einzusehen und auch bereits verschiedentlich erkannt worden 5 2 , daß der Mensch auch vermöge seiner rein materiellen Beschaffenheit für Rechtsgüter gefährlich werden kann, d. h. dann, wenn sich seine Existenz auf eine Weise äußert, die nicht durch innere (sei es auch nur unbewußt-organische) Triebkräfte, sondern nur nach den Gesetzen der anorganischen Natur bestimmt wird. Als Beispiele lassen sich besonders diejenigen Fälle anführen, i n denen jemand infolge von Bewußtlosigkeit usw. die Herrschaft über seinen Körper verliert und stürzt. Die dadurch geschaffene Gefahr kann je nach den begleitenden Umständen recht erheblich sein; so etwa, wenn jemand beim Überqueren einer verkehrsreichen Straße bewußtlos zusammenbricht und dadurch einen Unfall nachfolgender Fahrzeuge (infolge von Ausweichmanövern, Schreckreaktionen und dergleichen) herbeiführt 5 3 . 51
Es wäre dies ein Handlungsbegriff, der etwa m i t dem naturphilosophischen Begriff des Verhaltens gleichbedeutend wäre. Vgl. dazu oben § 6 I. 52 Vgl. etwa das oben S. 78 wörtlich angeführte Zitat v o n Welzel. 53 Weitere denkbare Beispiele: Jemand fällt infolge von Bewußtlosigkeit etc. von einem Sprungturm auf einen darunter befindlichen Schwimmer;
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
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W i r können also sagen: Alle möglichen Seinsäußerungen des Menschen (nicht nur die für seine Menschheit kennzeichnenden) sind, weil sie sämtlich für Gemeinschaftsgüter gefährlich werden können, für das Strafrecht
grundsätzlich
gleichwertig.
Dies sei nochmals an einem Beispiel dargelegt: Unterstellen w i r einen Tatbestand, wonach es unter bestimmten Umständen „verboten" ist, sich auf jemanden zu werfen, fallen zu lassen. Der Grund für das Verbot besteht hier letzten Endes i n der materiellen Beschaffenheit des menschlichen Körpers als schwerer Masse, der kraft dieser Eigenschaft geeignet ist, auf den Körper eines anderen mechanisch zu w i r ken. Der Verletzungserfolg bzw. die Möglichkeit einer Verletzung ist also i n der Teilhabe des Menschen am materiellen Sein begründet, i n einer materiellen Seinsäußerung. Daher geht es dem Recht in erster Linie darum, diese materielle Seinsäußerung i n Zukunft zu verhindern Ob diese materielle Seinsäußerung rein mechanisch herbeigeführt wurde, oder ob sie gleichzeitig i m Dienst einer Lebensfunktion, eines Reflexes, eines unbewußten Triebes oder einer bewußten Entscheidung stand und sich insofern als Seinsäußerung auch einer höheren Schicht darstellt, ob m. a. W. das Fallen ein „Sich-Fallenlassen", ein „Sich-Werf en" war — alles das fügt der Gefährlichkeit der materiellen Seinsäußerung nichts mehr hinzu. Dagegen sind diese Umstände — hiermit nicht zu verwechseln — von maßgeblicher Bedeutung für die Art der vom Recht zur Verhinderung zukünftiger gefährlicher Seinsäußerungen dieser A r t zu ergreifenden Maßnahmen. Sieht man etwa i n der Strafe i m Sinne der Zwangstheorie, was ihre spezialpräventive Bedeutung angeht, einen gemäß dem Sprichwort „wer nicht hören w i l l , muß fühlen" verstärkten psychischen Zwang, so kann ein solcher (gegenüber der bloßen Strafdrohung) verstärkter Imperativ gegenüber demjenigen, der aufgrund eines Entschlusses handelte, sehr wohl angebracht sein, um ihn zu einer Änderung seines Verhaltens in der Zukunft zu bewegen. Dieser psychische Zwang ist nur deswegen sinnvoll, weil die materielle Seinsäußerung — etwa der Sprung vom Turm — gleichzeitig der Ausdruck eines selbstbewußten, psycho-physischen Wesens, eine „Willensäußerung" darstellt, und daher über die Psyche, den Willen, gesteuert werden kann. Anders ist es, wenn der Täter nicht i n diesem Sinne „gesprungen", sondern vom Sprungturm „gefallen" ist, etwa weil er bewußtlos wurde. jemand, der eine Maschine bedient, löst infolge des Sturzes auf die Bedienungsapparatur gefährliche Reaktionen der Maschine aus; ein Betrunkener behindert dadurch, daß er auf der Straße liegt, also durch seine bloße Körperlichkeit, den Verkehr. 6 Michaelowa
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er T e i l : Der Handlungsbegriff der
nstheorie
I n diesem Falle war die fragliche materielle Seinsäußerung überhaupt nicht (weder bewußt noch unbewußt) psychisch gesteuert; eine psychische Wirkung des primären Imperativs (der Strafdrohung) war daher nicht möglich. Es ist aus diesem Grunde auch sinnlos, einen sekundären Imperativ zu setzen (den Täter zu bestrafen); hat man doch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß zur Verhinderung der gefährlichen Seinsäußerung in Zukunft — worauf es ja nach der Zwangstheorie allein ankommt — der primäre Imperativ (die Strafdrohung) nicht genügt. Dies gilt für den Fall, daß die Besorgnis einer Wiederholung dieser Bewußtseinsstörung nicht besteht. Droht dagegen eine Wiederholungsgefahr, so ergibt sich für den Betroffenen u. U. die „Rechtspfiicht", nicht mehr auf einen Sprungturm zu steigen; der Imperativ w i r d „vorverlegt". Derartige vorverlegte Imperative sind der Grund für die strafrechtliche Figur der „actio libera i n causa". Die gefährliche Seinsäußerung ist dann zwar nicht unmittelbar, aber doch mittelbar psychisch gesteuert, und dadurch auch vom Recht als psychischem Zwang steuerbar. Physischer Zwang ist grundsätzlich erst dann notwendig, wenn die gefährliche Seinsäußerung auch nicht mehr durch eine psychische Beeinflussung des Verhaltens i n einer die eigentliche Gefahrenlage bedingenden, vorgelagerten Situation gewissermaßen abgefangen werden kann, wenn also die Möglichkeit einer psychischen Steuerung der menschlichen Seinsäußerungen mit Hilfe von Imperativen primärer und sekundärer A r t überhaupt nicht mehr besteht. Die verschiedenen Möglichkeiten menschlicher Seinsäußerung, die sich i n bestimmten Formen der Steuerung offenbaren, sind also nur von Bedeutung für die A r t der rechtlichen Reaktion, des jeweiligen Zwangsmittels, nicht dagegen für den als Anknüpfungspunkt vorausgesetzten Begriff der Handlung (des Verhaltens) selbst. Über den Begriff der Handlung, so können w i r m i t Alexander 5 4 schließen, „läßt sich . . . nichts sagen, als daß es ein menschliches So- und nicht Anderssein ist". Handlung i m Sinne der Zwangstheorie des Rechts ist jede Weise menschlicher Existenz, jede menschliche Seinsäußerung 55 . 54 Das verbrecherische Verhalten des Geisteskranken, S. 25. 55 D a m i t entspricht der hier entwickelte Handlungsbegriff i n seiner A l l gemeinheit den älteren Definitionen Landsbergs u n d F. Kaufmanns (vgl. oben S. 71). Dagegen schließt nach Alexander (Das verbrecherische V e r halten des Geisteskranken, S. 34 ff.) die sog. vis absoluta, d. h. unwiderstehliche physische Gewalt, das Vorliegen eines „Verhaltens" aus (gegen diese Einschränkung auch Domning, M i t Strafe bedrohte Handlungen Schuldunfähiger, S. 29 f.). W i r verstehen also die eben angeführte Formulierung Alexanders weiter als dieser selbst. Ob auch Maihof er den Begriff des V e r haltens i n dieser radikalen Weise — also unter Einschluß rein materieller Seinsäußerungen — verstehen w i l l , geht aus seinen Ausführungen (Der Handlungsbegriff i m Verbrechenssystem, S. 25 ff., S. 68) nicht k l a r hervor.
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
83
I I I . Der Handlungscharakter der Unterlassung
W i r können uns jedoch mit diesem Ergebnis nicht zufrieden geben, solange der Handlungsbegriff seine Berechtigung nicht vor dem Forum der Unterlassungsproblematik nachgewiesen hat. Es muß also noch die bisher aufgeschobene Frage beantwortet werden, ob auch die Unterlassung Handlung i n diesem von uns bestimmten Sinne sein kann u n d damit dieser Handlungsbegriff als einheitlicher systematischer Grundbegriff i n Frage kommt, worauf — durch immer weitere Differenzierung — das kriminalrechtliche System (Verbrechenssystem) errichtet werden kann. Wie bereits erwähnt 5 6 , kam Radbruch 57 zu dem Ergebnis, daß ein das positive Tun und die Unterlassung umfassender Oberbegriff überhaupt unmöglich sei. Radbruch hatte zuvor den Handlungsbegriff i m Sinne der kausalen Hanndlungslehre bestimmt: „Es ist also jener weitere Begriff der Handlung anzunehmen, der lediglich Kausaltität des Willens für die T a t 5 8 fordert, und die Frage, welches der Inhalt des Wollens war, gänzlich der Schuldfrage zuweist . . . 5 9 ." A l l e diese Merkmale liegen nun nach Radbruch bei der Unterlassung nicht vor: „ D i e Unterlassung hat also nicht nur die Merkmale Kausalität zwischen beiden nicht mit der Handlung schöpft sich vielmehr gerade darin, sie zu verneinen.
Wille, Tat und gemein, sie erBesäße sie a n
Stelle jener Merkmale auch positive Merkmale, so wäre noch Hoffnung, sie m i t der Handlung unter einen Hut zu bringen. So aber lassen sich, so wahr man nicht Position und Negation, a und non-a unter einen Oberbegriff bringen kann, auch Handlung und Unterlassung nicht unter einen solchen zusammenbiegen, er nenne sich nun Handlung i m weiteren Sinne, menschliches Verhalten, oder wie immer sonst 60 !" Nun ist für uns — i m Gegensatz zu Radbruch — weder die W i l l k ü r lichkeit, noch die Tat i m Sinne Radbruchs und daher auch nicht die Kausalbeziehung zwischen beiden von Bedeutung. Dennoch könnte diese Argumentation Radbruchs auch für unseren Handlungsbegriff von Bedeutung sein. Bedeutet denn nicht Unterlassung gerade das Nicht-Vorliegen einer (bestimmten) Seinsäußerung, also nur die „Negation" einer Seinsäußerung, die als non-a nicht m i t a unter einen Oberbe56 Bei Behandlung des Unterlassungsproblems i m Zusammenhang m i t dem Handlungsbegriff der Sollenstheorie, oben S. 41. 57 Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das Strafrechtssystem, S. 140 ff. 58 Wobei „ T a t " „das körperliche Verhalten des Täters i m Kausalzusammenhange m i t dem Erfolge" (a.a.O., S. 137) bedeutet. 59 a.a.O., S. 130. so a.a.O., S. 140. 6*
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er T e i l : Der Handlungsbegriff der
nstheorie
griff gebracht werden kann? Kann die Unterlassung als Negation einer menschlichen Seinsäußerung eine menschliche Seinsäußerung sein? Die Lösung dürfte i n folgenden Erwägungen liegen: Die Unterlassung i m Rechtssinne ist „transitiv und relativ" zu verstehen: „Unterlassung ist Etwas-nicht-tun 6 1 ." „Man braucht nicht nichts zu tun, man braucht nur etwas anderes zu tun als das Gebotene, um einer Unterlassung schuldig zu sein . . . 6 2 ." Danach liegt aber schon der Gedanke nahe, ob nicht doch vielleicht der Begriff der Handlung (des Verhaltens) den gesuchten Oberbegriff darstellt. Denn ein Nicht-soHandeln läßt sich sehr wohl verstehen als Vergleich einer gegebenen Handlung mit einer vorgestellten zweiten Handlung, wonach der ersten eine Eigenschaft abgesprochen wird. M i t anderen Worten: Der Begriff der Unterlassung könnte aufgefaßt werden als ein Irgendwie-aber-nurn i c h t - s o - H a n d e l n , eine negativ
bestimmte
Handlung 63.
Dies verkennt merkwürdigerweise Radbruch, wenn er sagt 64 : „Das kann nun natürlich nicht geleugnet werden, daß der Täter, während er die ihm obliegende Handlung unterläßt, sich körperlich irgendwie verhält, nichts, oder etwas anderes tut. Geleugnet werden soll nur, daß dieses Verhalten, etwa als ihre äußere Seite, zum Begriffe der Unterlassung gehöre. Bei der echten Unterlassung ist der Täter strafbar, nicht w e i l er eine andere Körperbewegung als die gebotene oder überhaupt keine Körperbewegung vollzog, sondern allein, weil er die gebotene Körperbewegung nicht vollzog, und bei den unechten Unterlassungsdelikten ist der Erfolg zurückzuführen nicht auf die anderweiten Körperbewegungen oder die völlige Bewegungslosigkeit des Täters, sondern allein auf die Nichtvornahme der gebotenen Körperbewegung." Damit glaubt Radbruch, Landsbergs Begriffsbestimmung 65 ebenfalls als zu eng (!) für die Unterlassung ablehnen zu können 6 6 . „Sie (sc. die Unterlassung) ist nicht ein Irgendwie-, sondern lediglich ein Nicht-so-Beschaffensein . . . Man könnte einwenden, ein Nicht-soBeschaffensein sei doch gleichbedeutend mit einem Anders-, also auch m i t einem Irgendwie-Beschaffensein. Wer das täte, hielte sich nicht innerhalb des Begriffs der Unterlassung. Daß der Täter, während er eines unterläßt, ein anderes oder gar nichts tut, sagt uns zwar die Erfahrung, aber der Begriff der Unterlassung erschöpft sich durchaus ei 62 63 64 es 66
Engisch, Festschrift f ü r Kohlrausch, S. 162. Radbruch, a.a.O., S. 135 i m Anschluß an v. Liszt. So Engisch, a.a.O., S. 162 a.a.O., S. 137. Zitiert bei Radbruch, a.a.O., S. 138 f. a.a.O., S. 139.
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
85
in der Negation 67 einer bestimmten Handlung, er begehrt weder eine andere Handlung noch verneint er jegliche Handlung überhaupt 6 8 ." Sicher besteht die Unterlassung nicht in einem „Irgendwie-Beschaffensein", denn der Gesetzgeber kann eine Rechtsfolge nicht an irgendeinen, d. h. unbestimmten Sachverhalt, sondern immer nur an einen bestimmten Sachverhalt knüpfen. Ebenso sicher ist, daß die Strafe nicht wegen der „irgendwie anderen Handlung", sondern gerade wegen des Nicht-so-Beschaffenseins erfolgt. Damit w i r d aber doch nicht ausgeschlossen, daß das Wesen der Unterlassung in einem IrgendwieBeschaffensein, das nur nicht ein So-Beschaffensein ist, also jedenfalls in einem Beschaffensein besteht, daß also das Beschaffensein nur unter bestimmten negativen Aspekten relevant ist; daß die Unterlassung als die Negation einer bestimmten Handlung doch gleichzeitig die negative Bestimmung einer Handlung sein kann und — bei entsprechender Fassung des Handlungsbegriffs — sein muß. Freilich eignet sich der Begriff des „Tuns" für eine derartige negative Bestimmung nicht. Der Grund dafür liegt darin, daß die Unterlassung, obgleich sie, als ein „Etwas-nicht-Tun", auch nicht ein „Nichts-Tun" voraussetzt, so jedenfalls doch auch durch ein „Nichts-Tun" begangen werden kann 6 9 . So etwa könnte die Unterlassung des schlafenden Schrankenwärters nicht als ein negativ bestimmtes Tun aufgefaßt werden, weil die Körperruhe eben überhaupt kein Tun ist 7 0 . Die Definition der Unterlassung als einer negativ bestimmten Verhaltensweise ist nur dann zutreffend, wenn der Begriff des Verhaltens (der Handlung) so gefaßt
ist,
daß er sämtliche
rechtserheblichen
Vorgänge
erschöpft.
Hier zeigt sich nun der Vorzug der Bestimmung des Handlungsbegriffs als menschliche Seinsäußerung. Der Mensch muß sein Sein immer auf die eine oder die andere Weise äußern; nur darin, daß er auf die eine oder andere Weise „ist", besteht seine Existenz. Eine Seinsäußerung bedeutet immer nur eine bestimmte A r t und Weise der menschlichen Existenz, ein So-Sein. Der Mensch kann nun seine Existenz so oder so äußern, er muß nicht „so" sein, sondern kann auch anders sein, nur überhaupt nicht sein, sein Sein auf keine Weise äußern, kann er nicht. Infolgedessen ist eine Unterlassung als ein Nicht-so-Sein, als Äußerung der Existenz, die nicht i n einer bestimmten Weise erfolgt, nicht gleichzusetzen m i t einer Nichtäußerung der Existenz, mit einem 67 Das nach „Negation" gesetzte K o m m a erscheint v o m Sinn her nicht gerechtfertigt. 68 a.a.O., S. 139. 69 Vgl. das vorangehende Z i t a t Radbruchs. 70 So wie der Begriff des Tuns bei Radbruch (vgl. das vorangehende Zitat u n d a.a.O., S. 135) aufgefaßt zu werden scheint, nämlich als Körperbewegung.
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er Teil: Der Handlungsbegriff der
nstheorie
Überhaupt-nicht-Sein, sondern nur m i t einer Seinsäußerung auf andere Weise, einem Anders-Sein. Die Unterlassung steht also keineswegs der Handlung gegenüber wie a und non-a, sie ist nicht Negation der Handlung 7 1 , sondern nur einer bestimmten Handlung und bedeutet somit nur deren negative Bestimmung. Es handelt sich hierbei grundsätzlich um nichts anderes, als wenn ich sage: „Der Ball ist rot" (positive Bestimmung, entsprechend einer Handlung durch positives Tun) und: „Der Ball ist nicht schwarz" (negative Bestimmung, entsprechend der Unterlassung). Indem ich die Eigenschaft des Balles, schwarz zu sein, verneine, leugne ich nicht, daß der Ball überhaupt eine Farbe besitzt. Nur bleibt eben die A r t der Farbe unbestimmt mit Ausnahme der Feststellung, daß sie nicht schwarz ist. Ganz entsprechend ist es für die Unterlassung kennzeichnend, daß es auf die Art der Seinsäußerung nicht ankommt, daß es gleichgültig ist, ob der Täter geschlafen, gegessen, ein Buch gelesen oder geangelt hat, sofern nur die — negative — Bestimmung gegeben ist, daß diese Seinsäußerung jedenfalls eine bestimmte Seinsäußerung (etwa ein Hilfeleisten) nicht ist 7 2 . Der Grund dafür, daß sich das Gesetz bei der Unterlassung m i t einer negativen Bestimmung der Seinsäußerung begnügt, ist aus der Funktion der Unterlassungstatbestände leicht einzusehen: Das Gesetz w i l l hier nicht eine bestimmte Handlung verhindern, sondern, i m Gegenteil, eine (positiv) bestimmte Handlung bewirken 7 3 . Infolgedessen muß der Rechtszwang an jede Seinsäußerung anknüpfen, muß jede Seinsäußerung den Unterlassungstatbestand erfüllen, die sich dadurch auszeichnet, daß sie die von Rechts wegen erforderliche Seinsäußerung nicht ist. Die Unterlassung ist also die negative Bestimmung einer Seinsäußerung, als einer Seinsäußerung, welche die Merkmale a, b, c nicht auf weist, und damit lediglich eine Sonderform des Tatbestandes. Somit 71 I m Sinne von: jeder Handlung. 72 Z u der Bestimmtheit dieser Seinsäußerung gehören alle Umstände, aus denen die „Rechtspfiicht zum Handeln" erwächst. 73 M a n könnte i m Grunde auch umgekehrt f ü r die positiv bestimmten Tatbestände sagen, daß das Recht eine negativ bestimmte Handlung bew i r k e n wolle. 74 Erweist sich somit die Unterlassung als eine Form des Verhaltens i n dem näher bestimmten Sinne, so gilt auch f ü r sie das oben unter § 6 I I 1 Gesagte. Da die Unterlassung ebenso w i e die positiv bestimmte Handlung nicht eine Realbeziehimg zwischen einem Menschen u n d einem Erfolg, ein Bewirken, sondern eine menschliche Existenzweise bezeichnet, sind Erörterungen über die Kausalität i m Zusammenhang m i t der Bestimmung des Unterlassungsbegriffs fehl am Platz. Das Kausalitätsproblem taucht vielmehr erst auf, w e n n — was gar nicht notwendig ist — i m Tatbestand die Beeinträchtigung eines Rechtsguts als Erfolg der Unterlassung verlangt w i r d . Versteht man unter Kausalität die (natur-)gesetzmäßige Beziehung zweier Erscheinungen, die nicht notwendig eine energetische zu sein braucht (Engisch, Die Kausalität als M e r k m a l der strafrechtlichen Tatbestände,
§ 6. Der Begriff des menschlichen Verhaltens
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erweist sich der Begriff der menschlichen Seinsäußerung als sowohl dem positiven Tun wie auch dem Unterlassen übergeordnet; als eine — wenn auch negativ bestimmte — menschliche Seinsäußerung ist auch die Unterlassung eine Handlung 7 4 .
S. 21 ff.; vgl. auch Festschrift für Kohlrausch, S. 164; v. Liszt- Schmidt, Lehrbuch des Deutschen Straf rechts, S. 167 ff.), so bietet die Frage nach der Kausalität der Unterlassung i n diesem Sinne keine Schwierigkeiten.
Dritter
Teil
Das Verhältnis der Begriffe „objektive Rechtswidrigkeit" und „Schuld" unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit der zugrundeliegenden Prinzipien § 7. D e r Handlungsbegriff der Sollens- und der Zwangstheorie als Ausdrucksform verschiedener Straftheorien I . Der Handlungsbegriff der Sollenstheorie als Erscheinungsform der absoluten Straftheorie
Ausgangspunkt für die Bestimmung des Handlungsbegriffs der Sollenstheorie — Handlung ist freie Gestaltung der Wirklichkeit unter dem Anspruch eines verbindlichen Wertes — war die Annahme, daß das Recht ein „Sollen" sei. Unter „Sollen" verstanden w i r ein verbindliches Verhaltensgebot, derart, daß das befohlene Verhalten zur Pflicht wird. Wie sich bei tieferer Betrachtung zeigt, ist es nicht möglich, die Verbindlichkeit der staatlichen Verhaltensbefehle aus sich selbst zu begründen. Denn die „einfache Tatsache" 1 , daß ein Befehl, ein Imperativ ausgesprochen wird, besagt natürlich noch gar nichts über dessen Verbindlichkeit, w i l l man nicht unter Verbindlichkeit einfach Zwang, Gewalt, verstehen. Der Grund der Verbindlichkeit, ohne die der rechtliche Imperativ niemals zur Pflicht werden kann, muß also irgendwo außerhalb gesucht werden 2 . Diese Instanz, welche den rechtlichen I m perativ erst legitimiert, i h m die Weihe des Sollens verleiht, kann aber ι Lundstedt, Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, Bd. 1, S. 171 m i t Verweisung auf Sigwart. 2 Hieraus folgert m a n oft die Unhaltbarkeit des Positivismus. Vgl. etwa Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 165 : „Es ist i n diesem Zusammenhang hervorzuheben, daß der Positivismus selbst das Problem der Rechtsgeltung aus dem positiven Recht allein nicht lösen kann. Er scheitert an dem Problem, wer denn den Gesetzgeber (bzw. Verfassungsgesetzgeber) zur »kompetenten rechtsbildenden Macht' i m Sinne der Rechtsdefinition Bergbohms gemacht hat. Hier muß auch der Positivist auf etwas Vorrechtliches, auf die N a t u r der Sache i n irgendeiner Form zurückgreifen. Kelsen, der scharfsinnigste Vertreter des Positivismus, hat dieses Problem gesehen u n d deshalb hier die Lehre von der »hypothetischen Grundnorm 4 des Inhalts, daß man die Anordnungen des faktischen Machthabers als Recht ansehen solle, eingeführt. Aber m i t Recht hat Erich Kaufmann . . . i n dieser Lehre auch eine vollständige K a p i t u l a t i o n gesehen. Das Recht ist rein immanent . . . nicht zu verstehen."
§ 7. Die Abhängigkeit des Handlungsbegriffs von den Straftheorien
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nur die Sittlichkeit sein, wie sie sich i m Gewissen des Einzelnen offenbart. Erst wo das Verhaltensgebot als Anspruch eines absoluten, u m seiner selbst willen zu verwirklichenden Wertes eingesehen werden kann, w i r d aus der äußeren Zumutung eine innere Notwendigkeit, w i r d der Fremdbefehl zum Selbstbefehl, zum Sollen, zur Pflicht. Da die verpflichtende Kraft einer Verhaltensforderung nicht daraus erwächst, daß sie vom Staat erhoben w i r d 3 (ebensowenig wie von irgendjemand anderem), sondern letztlich aus ihrer Ubereinstimmung mit dem aus den sittlichen Werten fließenden Sollen, gibt es genau genommen keine Rechts-, sondern nur sittliche Pflichten 4 . Sind Rechtspflichten aber, sofern sie Pflichten sind, immer sittliche Pflichten, so ist Schuld als Pflichtverstoß immer sittliche Schuld. Ihren strafrechtlichen Ausdruck findet diese Auffassung i n dem sog. „Schuldprinzip": Strafe setzt sittliche Schuld voraus 5. Eine Strafe aber, die ihre Begründung 6 i n sittlicher Schuld findet, d. h. die verhängt wird, weil der Täter gegen eine rechtliche = sittliche Pflicht verstoßen hat, kann nur metaphysisch, d. h. als Vergeltung, verstanden werden 7 . Somit folgt aus der Auffassung des Rechts als sittliches Sollen die absolute Straftheorie.
I I . Der Handlungsbegriff der Zwangstheorie als Erscheinungsform der relativen Straftheorie
Ausgangspunkt für die Bestimmung des Handlungsbegriffs der Zwangstheorie — Handlung ist jede menschliche Seinsäußerung — war die Auffassung, daß das Wesen des Strafrechts in einem gegen Menschen gerichteten Zwang besteht, einem Zwang, der dem Schutz der Gemeinschaft vor bestimmten als schädlich bewerteten menschlichen Seinsäußerungen dienen soll. Die Frage, ob ein Mensch sich zur Unter3 Es sei denn, daß m a n m i t Hegel (zitiert bei Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie, S. 159) den Staat als „die Wirklichkeit der sittlichen Idee" betrachtet — eine Auffassung, die heute k a u m viele Anhänger finden dürfte. 4 Vgl. oben S. 24, S. 50. s Vgl. A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 127 ff. u n d die Begründung zum E n t w u r f eines deutschen Strafgesetzbuchs (E 1960, S. 92 und E 1962, S. 96). 6 Nicht dagegen, w e n n die Schuld bzw. das Schuldgefühl nicht als Strafgrund, sondern lediglich als Strafwirksamkeitsvoraussetzung betrachtet w i r d , die vorhanden sein muß, u m m i t der Strafe einen bestimmten — anderweitigen — Zweck zu erreichen. 7 So denn auch konsequent vor allem A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 201 ff.: „Aus der sittlichen Natur der Schuld folgt n u n auch die sittliche N a t u r der Strafe" (a.a.O., S. 201).
90 D r i t t e r T e i l : Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit und Schuld
lassung einer Handlung, die m i t einem Imperativ, einer Strafdrohung erzwungen werden soll, auch sittlich verpflichtet fühlt, ist dem Recht grundsätzlich gleichgültig 8 ; der Ausdruck „Rechtspflicht" bzw. „Rechtsnorm" hat im Zusammenhang m i t der Zwangstheorie lediglich die Bedeutung eines „bedingten Müssens" 9 . Besteht somit das Wesen des Rechts i m Zwang zum Schutz der Gesellschaft, so muß, wie jede andere Rechtsfolge, auch die Strafe als ein Mittel zu diesem Zweck aufgefaßt werden; sie ist nicht Vergeltung sittlicher Schuld, sondern eine „Maßnahme", die sich von anderen nur durch die A r t ihrer W i r kung und die Voraussetzungen ihrer Anwendung unterscheidet, insbesondere durch die „Schuld" als eine besondere Straf Wirksamkeitsvoraussetzung 10 . Aus der Auffassung des Rechts als Zwang folgt somit die relative
Straftheorie.
§ 8. Das sogenannte Schuldstrafrecht als Versuch der systematischen Vereinigung des Begriffs der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Sollenstheorie mit dem Begriff der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Zwangstheorie Damit hat der Unterschied der philosophischen Grundauffassungen des Rechts vielfache Gestalt angenommen. Eine ganze Reihe von Begriffen gewinnen einen durch und durch verschiedenen Inhalt, je nachdem, ob sie i m Rahmen der Zwangstheorie oder der Sollenstheorie gebraucht werden. So bedeuten die Ausdrücke „Rechtsnorm" bzw. „Rechtspflicht" hier den Anspruch eines Wertes, der an ein Subjekt i m Rahmen seiner Freiheit ergeht 1 , dort eine Zwangsdrohung (und damit selbst schon psychischen Zwang); „Handlung" hier freie Gestaltung der Wirklichkeit unter dem Anspruch des Wertes (Vollzug von Freiheit unter Normen), dort eine menschliche Seinsäußerung (ohne Rücksicht auf die A r t der Steuerung), „rechtswidrige Handlung" hier echte (sittliche) Schuld, dort eine sozialschädliche Seinsäußerung ( = objektive Rechtswidrigkeit), und schließlich „Strafe" hier Vergeltung, dort eine 8 Natürlich n u r begrifflich; für die soziologische „Geltung" ist dies dagegen wesentlich. 9 La un y Recht u n d Sittlichkeit, S. 7. So auch m i t aller wünschenswerten Deutlichkeit H o l d v. Ferneck, der selbst diesen Pflichtbegriff v e r t r i t t (Die Rechtswidrigkeit, Bd. 1, S. 94). 10 Vgl. dazu Lundstedt, Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1. Halbbd., S. 60; Klug, Die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens f ü r den Zweck der Strafe, S. 95 f., S. 122 sowie neuerdings Engisch, Die Lehre von der Willensfreiheit i n der strafrechtsphilosophischen D o k t r i n der Gegenwart, S. 56 f. 1
U n d damit dasselbe wie sittliche Pflicht.
§ 8. Schuld u n d Rechtswidrigkeit i n der Systematik des Schuldstraf rechts
91
(Zwangs-)Maßnahme unter anderen zur Verhinderung sozialschädlichen menschlichen Verhaltens in der Zukunft 2 . I . Bemerkungen über die systematische Tragweite der bisherigen Erörterungen
Die Behauptung, daß die genannten Begriffe nur spezifische Ausdrucksformen, Gestalten, Aspekte, „Momente" der jeweiligen rechtsphilosophischen Grundthese, des Rechts als Sollen und des Rechts als Zwang, darstellen, gründet sich darauf, daß jene Definitionen deduktiv aus diesen Prinzipien gewonnen wurden. Für die Methode der Deduktion ist es nun aber kennzeichnend, daß dabei nicht mehr herauskommen kann, als man vorher i n die Axiome und Grundsätze hineingelegt hat. „Die Folgesätze enthalten bei ihr (sc. der Deduktion) nichts, was nicht schon i n den Axiomen enthalten wäre. Neue Erkenntnisse — d. h. neu vom Standpunkte des logischen Ideals, nicht der psychologischen Wirklichkeit — vermag immer nur die Induktion zu liefern 3 ." Insofern können die hier entwickelten Begriffsbestimmungen, sofern sie logisch richtig abgeleitet sind, nur Ausdrucksformen jener Grundpositionen sein. Handelt es sich aber bei derartigen Ableitungen i m Grunde u m Tautologien, worin besteht dann ihr Nutzen? Der Grund für die Notwendigkeit eines deduktiven Systems dürfte vor allem darin liegen, daß der menschliche Verstand zu beschränkt ist, um die ganze Fülle des in einem A x i o m Gesagten, das A x i o m in seiner ganzen Tragweite, auf einmal zu erfassen. Und da w i r über eine solche geistige Gesamtschau nicht verfügen, müssen w i r uns mittels unseres „diskursiven" Denkens Schritt für Schritt den Inhalt eines solchen Grundsatzes erarbeiten 4 . Die Deduktion dient also dazu, die Konsequenzen eines Grundsatzes darzustellen 5 , und damit bewußt zu machen und i n diesem Sinne zu erkennen, was i n dem A x i o m „eigentlich" gesagt ist 6 . Erst auf Grund der Deduktion w i r d somit klar, welche Sätze m i t einem bestimmten Prinzip verträglich sind und welche nicht. I m Falle eines Widerspruchs entstehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man kann das Prinzip aufrecht erhalten und den einzelnen Satz (den man bisher fälschlich als m i t diesem Prinzip verträglich ansah) aufgeben. Ober aber man verwirft das Prinzip wegen seiner Konsequenzen, 2
Wie auch immer die A r t ihrer W i r k u n g i m einzelnen vorgestellt mag. 3 Radbruch, Der Handlungsbegriff i n seiner Bedeutung f ü r das rechtssystem, S. 11; zur Bedeutung der Deduktion f ü r die juristische m a t i k überhaupt siehe a.a.O., S. 9 ff. 4 Vgl. dazu Hessen, Wissenschaftslehre, S. 236. 5 Z u r Deduktion als Darstellung vgl. wieder Radbruch, a.a.O., (der sich seinerseits auf Wundt u n d Sigwart beruft). β Vgl. Vlach, Einführung i n die Logik, S. 45, S. 48.
werden StrafSysteS. 10 f.
92 D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
d. h. man hält den einzelnen Satz für sicherer und verwirft, weil mit diesem unvereinbar, das Prinzip. Für das Verbrechenssystem ist dieser Gedankengang von sehr aktueller Bedeutung. W i r haben i m Vorhergehenden darzulegen versucht, daß die oben 7 genannten Grundbegriffe des Verbrechenssystems vom Standpunkt der Sollens- und der Zwangstheorie des Rechts i n einer ganz verschiedenen Weise aufgefaßt werden müssen. So ist ζ. B. die objektive Bestimmung des Begriffs der rechtswidrigen Handlung (als „objektive Rechtswidrigkeit") vom Standpunkt der Sollenstheorie des Rechts überhaupt nicht zu verstehen 8 , während umgekehrt die subjektive Bestimmung der Rechtswidrigkeit als (sittliche) Schuld vom Standpunkt der Zwangstheorie aus sinnlos ist 9 . I I . Der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit in der modernen Verbrechenslehre
Untersucht man die moderne Verbrechenslehre i m Hinblick darauf, in welcher von beiden Bedeutungen der Begriff der Rechtswidrigkeit ( = rechtswidrige Handlung) in ihr Verwendung findet, so läßt sich zunächst ohne weiteres feststellen, daß sich seine Bestimmung als „objektive Rechtswidrigkeit" seit langem fast uneingeschränkter A n erkennung erfreut. „Die Lehre von der Rechtswidrigkeit beschränkt sich auf die negative Charakterisierung der Tat, sie ist Geschehens-, nicht Persönlichkeitsurteil. Schlagwortartig . . . hat sich dafür der Ausdruck ,objektive Rechtswidrigkeit 4 eingebürgert. Treffender sind die Bezeichnungen als ,Möglichkeit schuldlosen Unrechts 4 oder als ,Trennung von Unrecht und Zurechenbarkeit 4 . Sachlich meinen alle Definitionen das Gleiche. Sie bringen . . . zum Ausdruck, daß das Zurechenbarkeitsurteil durch die Rechtswidrigkeit der tatbestandsmäßigen Handlung nicht präjudiziert werden darf und daß es insbesondere möglich ist, die Rechtswidrigkeit von Handlungen zu bejahen, deren Urheber weder Mißbilligung noch V o r w u r f t r i f f t . . . 1 0 ." „ I n der Gegenwart ist die objektive Unrechtsauffassung allgemein anerkannt 1 1 ." 7
§ 8 am Anfang. Wie oben § 4 1 ausführlich dargelegt. 9 Vgl. oben S. 74 f. Darauf w i r d i m folgenden noch ausführlich einzugehen sein. 10 Maurach, Deutsches Strafrecht, S. 248. 11 Maurach, a.a.O., S. 249. Welzel nennt i m V o r w o r t zur 9. Auflage seines Lehrbuchs (S. V) die objektive Rechtswidrigkeit einen „klassischen" Begriff. Eine Ausnahme von dieser allgemeinen Übereinstimmung bildet etwa — von den bereits ausführlich besprochenen Tendenzen bei Hardwig u n d Ε. A. Wolff abgesehen — bis zu einem gewissen Grade die Auffassung von H. Mayer (Strafrecht, S. 105). 8
§ 8. Schuld u n d Rechtswidrigkeit i n der Systematik des Schuldstrafrechts
93
Da der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit ein Ausdruck der Zwangstheorie ist, wäre nun — so müssen w i r folgern — die ganz herrschende Meinung der heutigen deutschen Strafrechtswissenschaft ihrer rechtsphilosophischen Grundlage nach der Zwangstheorie des Rechts zuzurechnen. I I I . Der Begriff der subjektiven Rechtswidrigkeit in der Dogmatik des modernen Schuldstrafrechts
Indessen w i r d diese Schlußfolgerung dadurch zweifelhaft, daß eine sehr starke, wenn nicht gar vorherrschende Strömung der modernen deutschen Strafrechtswissenschaft 12 nicht nur den Rechtswidrigkeitsbegriff der Zwangstheorie, sondern auch zugleich den der Sollenstheorie kennt, d. h. sie begreift die rechtswidrige Handlung nicht nur als Sozialschädlichkeit, sondern — unter bestimmten Voraussetzungen — auch als (sittliche) Schuld. Wenngleich dies nicht so auf der Hand liegt, wie die Anerkennung des objektiven Rechts Widrigkeitsbegriffs, läßt sich auch die Richtigkeit dieser Behauptung durch eine Analyse des sog. „normativen" Schuldbegriffs, so wie ihn die Vertreter dieser Richtung verstehen, unschwer erweisen. So heißt es etwa bei Maurach 1 3 : „Schuld ist Vorwerfbarkeit eines rechtlich mißbilligten Tuns oder Unterlassens, kürzer: sie ist selbst ein gegenüber dem Täter begründeter Vorwurf. Dieses materielle Wesen der Schuld liegt allen Lehrmeinungen zugrunde ohne Rücksicht auf die Schuldelemente oder -Komponenten, die die einzelnen Auffassungen zur Struktur des Schuldbegriffs heranziehen." Der Klarheit halber ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Schuld ebensowenig ein Vorwurf, ein Unwert urteil über den Täter ist, wie die objektive Rechtswidrigkeit ein Unwerturteil über die Handlung 1 4 . Gemeint ist nämlich m i t dieser mißverständlichen Formulierung nicht etwa, daß die Schuld durch den Vorwurf erst begründet, existent würde, daß also der Schuldausspruch i m Strafurteil für die Schuld konstitutiv sei 15 , sondern genau das Gegenteil: Das Schuldurteil ist 12 Die sich selbst gern schlagwortartig als „Schuldstrafrecht" bezeichnet; vgl. z.B. A. Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 151; Hilde Kaufmann, Festschrift f ü r v. Weber, S. 437. is Deutsches Strafrecht, S. 345. 14 Welche Formulierung sich ebenfalls öfters findet, so etwa bei Maurach, a.a.O., S. 248; Welzel, Lehrbuch, S. 46, der allerdings auf die „Bildlichkeit" dieses Ausdrucks selbst hieweist. 15 So daß also derjenige, dem es gelingt, sich der Strafverfolgung zu entziehen, unschuldig wäre. Das wäre aber die Konsequenz der Behauptung Maurachs, w e n n er (a.a.O., S. 303) sagt: „ D a m i t (sc. m i t dem Übergang v o m psychologischen zum normativen Schuldbegriff) w a r die Schuld aus einem subjektiv-psychologischen Vorgang zu einem objektiven Werturteil geworden; i h r Sitz verschob sich (Rosenfeld) ,aus dem K o p f des Täters i n die Köpfe anderer 4 ."
94 D r i t t e r T e i l : Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
lediglich der Erkenntnisakt, worin die Schuld festgestellt w i r d ; der Vorwurf setzt die Vorwerfbarkeit voraus 16 . Halten w i r uns also lieber an die Definition „Schuld" sei „Vorwerfbarkeit", so muß die entscheidende Frage lauten: Welches sind die Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit einem Menschen als Täter ein Vorwurf gemacht werden kann? Welche Voraussetzungen begründen die Möglichkeit eines Schuldurteils? Darauf erhalten w i r die Antwort: „Der Schuldvorwurf setzt . . . voraus, daß der Täter seinen rechtswidrigen Handlungsentschluß richtiger, normgemäß hätte bilden können, und dies nicht nur i n einem abstrakten Sinne, daß irgend ein Mensch an Stelle des Täters, sondern ganz konkret, daß dieser Mensch in dieser Situation seinen Willensentschluß normgemäß hätte bilden können 1 7 ." Die Schuld w i r d also hier beschrieben als ein Mißbrauch der Freiheit i m Hinblick auf die Forderung des Rechts als eines verpflichtenden Sollens. Die gleiche Auffassung findet sich auch i n der höchstrichterlichen Rechtsprechung: „Strafe setzt Schuld voraus . . . M i t dem Unwerturteil der Schuld w i r d dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht . . . vorübergehend gelähmt oder auf die Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich i n freier sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht. Wer weiß, daß das, wozu er sich i n Freiheit entschließt, Unrecht ist, handelt schuldhaft, wenn er es gleichwohl t u t 1 8 . " Nach diesen repräsentativen Äußerungen, die sich beliebig vermehren ließen, kann es w o h l kaum zweifelhaft sein, daß A r t h u r Kaufmann nicht eine besondere, von der herrschenden Richtung abweichende Meinung vertritt, sondern nur mit aller wünschenswerten Klarheit die Konsequenzen dieser Auffassung zieht, wenn er erklärt 1 9 : „Dem16 Zutreffend A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 178 f. und die von i h m a.a.O., Anm. 295 und 296 Genannten. 17 Welzel, Das neue Bild, S. 45; vgl. auch Maurach, a.a.O., S. 362. is BGHSt, Bd. 2, S. 194 ff. (S. 200 f.), zitiert bei A r t h u r Kaufmann, a.a.O., S. 129. ι« Das Schuldprinzip, S. 128.
§ 8. Schuld u n d Rechtswidrigkeit i n der Systematik des Schuldstrafrechts
95
gemäß g i b t es auch Rechtspflichten n u r als s i t t l i c h e Pflichten u n d m i t h i n rechtliche S c h u l d n u r als sittliche S c h u l d 2 0 . " D a m i t w i r d deutlich, daß d e r „ n o r m a t i v e " S c h u l d b e g r i f f der V e r t r e t e r des Schuldstrafrechts sich v o n dem, w a s m a n u r s p r ü n g l i c h m i t dieser B e z e i c h n u n g i m A u g e hatte, g r u n d s ä t z l i c h unterscheidet. D i e G e m e i n s a m k e i t der insbesondere a n F r a n k , G o l d s c h m i d t u n d F r e u d e n t h a l a n k n ü p f e n d e n L e h r e n besteht d a r i n , daß m a n i n der „ S c h u l d " das n e g a t i v e E r g e b n i s der B e w e r t u n g eines psychischen Sachverhalts a n h a n d v o n besonderen r e c h t l i c h e n M a ß s t ä b e n (bezeichnend d i e „ P f l i c h t n o r m " Goldschmidts) s a h 2 1 . „ A l l e diese v i e l f ä l t i g s c h i l l e r n d e n L e h r e n k o m m e n j a i n der e i n e n G r u n d l a g e ü b e r e i n , daß die seelische V e r f a s sung des T ä t e r s i r g e n d w i e f e h l e r h a f t sei. Das U n w e r t u r t e i l des Rechts bezieht sich also gerade auf die psychische Seite der T a t . . . 2 2 . " D e m gegenüber l ä u f t der n o r m a t i v e S c h u l d b e g r i f f , so w i e er v o n d e n oben z i t i e r t e n V e r t r e t e r n des Schuldstrafrechts v e r s t a n d e n w i r d , auf e i n e n M i ß b r a u c h der (sittlichen) F r e i h e i t h i n a u s 2 3 . Q u o d erat d e m o n s t r a n d u m : D i e A n h ä n g e r des sog. S c h u l d s t r a f rechts v e r w e n d e n s o w o h l d e n B e g r i f f der o b j e k t i v r e c h t s w i d r i g e n H a n d l u n g ( = S o z i a l s c h ä d l i c h k e i t ) 2 4 als auch den B e g r i f f der s u b j e k t i v rechts20 Entsprechend ist auch nach Welzel (zitiert bei A r t h u r Kaufmann, a.a.O., S. 128) „der I n h a l t des Schuldprinzips i n Recht u n d E t h i k grundsätzlich gleich. Der Schuldvorwurf, den w i r i m Strafrecht erheben, k a n n w o h l ein Ausschnitt aus der ethischen Schuld sein, darf dieser aber nicht prinzipiell wiedersprechen". 2 1 Vgl. H. Mayer, Strafrecht, S. 212 u n d A n m . 23 (S. 218). 22 H. Mayer, a.a.O., S. 212. 23 Diesem Ergebnis scheint es zu widersprechen, w e n n Maurach — den w i r ebenfalls als Vertreter des Schuldstrafrechts i n Anspruch nahmen — darauf hinweist, daß hinsichtlich des Verhältnisses der Strafrechtsschuld zur Schuld nach dem Sittengesetz „ i m Prinzip die Unabhängigkeit des einen Begriffs v o m anderen" gelte (Deutsches Straf recht, S. 346 f.). E i n solches Postulat eines rein rechtlichen Schuldbegriffs, wie es schon früher erhoben wurde, u m die Unabhängigkeit des Rechts von der Moral und damit auch von dem metaphysischen Problem der Willensfreiheit zu begründen (dazu und dagegen A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 128 f. u n d schon Lundstedt, Die Unwissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1. Halbbd., S. 35 ff.), ist jedoch m i t den übrigen Ausführungen Maurachs selbst unvereinbar. Denn ist das Recht ein verpflichtendes (sittliches) Sollen, so ist strafrechtliche Schuld gleichbedeutend m i t sittlicher Schuld. Ist aber das Recht ein heteronomer Befehl, Einwirkung, Zwang, so k a n n das D e l i k t lediglich als das Versagen eines Zwangsmittels festgestellt werden; die Redeweise von einem Mißbrauch der Freiheit (Maurach, a.a.O., S. 362 : M i ß brauch der Einsichts- oder Widerstandsfähigkeit) hat keinen Sinn. Es ist also kein Zufall, sondern bezeichnend, daß Maurach wie die übrigen V e r treter des Schuldstrafrechts m i t dem Begriff des Vorwurfs bzw. der V o r werfbarkeit einen Ausdruck verwendet, der von moralischem Pathos erfüllt ist. 24 W i r zitierten vorstehend n u r solche Autoren, die auch — darauf k o m m t es uns j a an — den Begriff der objektiv rechtswidrigen Handlung anerken-
96 D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe
echtswidrigkeit u n d Schuld
widrigen Handlung ( = sittliche Schuld), wobei „Handlung" jeweils etwas durchaus Verschiedenes bedeutet. Da der Begriff der als sittliche aufgefaßten Schuld für die Sollenstheorie ebenso kennzeichnend ist, wie der der objektiven Rechtswidrigkeit für die Zwangstheorie, erweist sich das sog. Schuldstrafrecht rechtsphilosophisch nicht als monistisch, sondern als dualistisch fundiert: Das Wesen des Rechts besteht nach dieser Auffassung — folgerichtig durchgeführt — sowohl i n einem (sittlichen) Sollen, als auch i m Zwang. Da weiterhin der Sollenstheorie die Auffassung der Strafe als Vergeltung (die absolute Theorie), der Zwangstheorie die Auffassung der Zweckstrafe (relative Theorie) entspricht, müßte dieser Dualismus auch hier gelten; d. h. die Anhänger des Schuldstrafrechts müßten auch bezüglich der Begründung der Strafe eine Vereinigungstheorie vertreten 2 5 . Die systematische Vereinigung des Begriffs der objektiven Rechtswidrigkeit mit dem der sittlichen Schuld, deren Möglichkeit die moderne Strafrechtsdogmatik als selbstverständlich voraussetzt, ist aber nur dann zulässig, wenn die zugrunde liegenden Prinzipien sich nicht widersprechen, wenn — zunächst vom Aspekt der Strafrechtstheorien her gesehen — das Strafrecht zugleich die Funktion von Vergeltung und Prävention haben kann.
§ 9. Die Problematik einer systematischen Vereinigung auf der Ebene der Straftheorien I . Das Schuldstrafrecht als Vereinigungstheorie audi i m Bereich der Straftheorien
Die Auffassungen über den Sinn der Rechtsstrafe (Straftheorien) werden herkömmlich in zwei große Gruppen eingeteilt: die „relativen" und die „absoluten". Ist für die relative 1 Theorie die Strafe ein Mittel, um die Gemeinschaft in Zukunft vor schädlichen Verhaltensweisen zu schützen („punitur ne peccetur"), so trägt nach der absoluten Theorie die Strafe ihren Sinn i n sich selbst, ist als „Vergeltung" metaphysisch notwendige Folge des Rechtsbruchs („punitur quia peccatum est") 2 . nen. Davon macht auch A r t h u r Kaufmann keine Ausnahme; vgl. Das Schuldprinzip, S. 248 ff., S. 251. 25 Das ist tatsächlich weitgehend der Fall. Siehe dazu die folgenden Ausführungen. 1 Wenn w i r hier u n d i m folgenden von der absoluten Theorie i m Gegensatz zu der relativen Theorie sprechen, so darum, w e i l n u r der i n diesen Bezeichnungen ausgedrückte Gegensatz, nicht aber die möglichen Variationen innerhalb dieser Unterscheidung interessieren. 2 Vgl. Klug, Die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens f ü r den Zweck der Strafe, S . 5 f f .
§ 9. Die systematische Vereinigung auf der Ebene der Straftheorien
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Nachdem i m sog. Schulenstreit zu Beginn dieses Jahrhunderts 3 der Gegensatz wieder einmal heftig aufgeflammt war, ging die Tendenz in der Folgezeit dahin, eine Synthese zwischen beiden Richtungen herzustellen 4 . So behaupten auch die Vertreter des modernen Schuldstrafrechts, eine Uberbrückung der gegensätzlichen Standpunkte gefunden zu haben, mit der Begründung, daß gerechte Vergeltung gleichzeitig das zweckmäßigste M i t t e l zum Schutze der Gemeinschaft sei 5 . Die Problematik dieser Auffassimg läßt sich, wie uns scheint, an dem folgenden Zitat aus neuerer Zeit 6 am besten demonstrieren: „Es ist die großartige gedankliche Leistung des Schuldstrafrechts, daß es die Strafe strikte gebunden hat an das Vorliegen einer echten Vorwerfbarkeit und ihr Maß eben an deren Maß. Damit hat sie eine rechtlich-ethische Legitimation gefunden für die Strafe, die durch kein noch so ausgeprägtes staatliches oder sonstwie orientiertes Zweckdenken ersetzbar ist. Neuerdings hat Eb. Schmidhäuser wieder versucht, den Streit um die Straftheorien zugunsten der Generalprävention zu entscheiden . . . Schmidhäuser geht jedoch bei seiner Auseinandersetzung m i t den Straftheorien nicht auf die Funktion des Schuldstrafrechts oder der Vergeltungsstrafe ein, das Strafmaß zu bestimmen und es zu beschränken auf das Maß an Schuld . . . Daß dieser Sinn der Institution , Straf rech tspflege' in der Aufrechterhaltung der Gemeinschaftsordnung und nicht i n der Vergeltung um ihrer selbst w i l l e n liegt, was zu betonen sicher richtig ist, w i r d aber a u c h . . . von Anhängern der sog. Vergeltungstheorie vertreten. So m i t aller Deutlichkeit Welzel 7: ,So sehr die Strafe nur als gerechte Vergeltung sittlich gerechtfertigt i s t . . s o wenig ist es das A m t des Staates, für die Verwirklichung der Gerechtigkeit i m allgemeinen Weltlauf einzutreten, unabhängig von dem, was für seinen eigenen Bestand als Rechtsgemeinschaft notwendig ist. Der Staat straft nicht, damit überhaupt i n der Welt Gerechtigkeit, sondern damit Rechtlichkeit des Gemeinschaftslebens (Geltung und Befolgung der Rechtsordnung) s e i . . O d e r von H. Mayer 9: , . . . Hauptzweck der Strafrechtspflege ist die durch gerecht vergeltende Strafe erzielte Generalprävention. 4 (Für H. Mayer ist die Erreichung des generalpräventiven Effektes eine Frage nach dem Strafzweck.) 3 Vgl. Eb. Schmidt, Einführung i n die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, S.387. 4 So Eb. Schmidt, a.a.O., S. 387 f.; vgl. zu dieser Entwicklung auch H .Mayer, Strafrecht, S. 31. s Vgl. etwa Maurach, Deutsches Straf recht, S. 64; A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 206 f. m i t ausführlichen weiteren Nachweisen i n Anm. 422; Welzel, Lehrbuch, S. 221. β Hilde Kaufmann, Festschrift für v. Weber, S. 437 u n d A n m . 63 dortselbst. 7 Z i t i e r t a.a.O., (ebenso auch die 9. Auflage, S. 218 f.). β Zitiert a.a.O. 7 Michaelowa
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D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit und Schuld
Scharf davon zu trennen ist jedoch die Frage, an welche Voraussetzungen die Strafe i n ihrem Ob und ihrem Maß zu binden ist, und gerade diese Freage hat einen wesentlichen Teil des Theorienstreits ausgemacht... Und hier hat die sog. Vergeltungstheorie die ethisch einzig mögliche Bindung der Strafe — nämlich diejenige an das Maß der Schuld — herausgearbeitet, die sicherlich auch Schmidhäuser nicht leugnen will. I m Straftheorienstreit stecken eben mehrere Fragestellungen, die, wenn man sie nicht von einander abschichtet, immer wieder zu MißVerständnissen führen." Diese Argumentation läuft also auf die These hinaus, es handele sich bei der Frage nach dem Zweck der Strafe einerseits und ihrer Bemessungsgrundlage andererseits u m selbständige, unabhängig von einander zu lösende Probleme. Darin liegt aber insofern ein Fehler, als von einem Zweck der Strafe nur so lange die Rede sein kann, als sie sich auch danach bemißt. Ist die Strafe M i t t e l zu einem Zweck, so richtet sich ihr Ob und ihr Maß nach der Dienlichkeit zur Erreichung dieses Zwecks (Zweckmäßigkeit), die grundsätzlich empirisch festzustellen ist. Bestimmt sich die Strafe dagegen nach dem Maße sittlicher Schuld — die Möglichkeit eines solchen Maßstabs einmal unterstellt —, so liegt sie eben damit von vornherein fest, und die Frage nach ihrer Zweckmäßigkeit bzw. -Widrigkeit kann sinnvollerweise nicht mehr gestellt werden. Eine schuldvergeltende Strafe kann zwar erwünschte oder unerwünschte Folgen, aber keinen Zweck haben. Aber auch i n der Weise, daß die „gerechte" Vergeltungsstrafe immer zugleich die vom Standpunkt der relativen Theorie erwünschten Folgen habe 9 läßt sich diese Auffassung nicht halten. Es läßt sich nämlich nachweisen, daß eine solche Koppelung von „Gerechtigkeit" und Zweckmäßigkeit i m Hinblick auf die Präventionswirkung grundsätzlich nicht bestehen kann.
I I . Die Bedeutung des „Schuldprinzips"
Läge nämlich die Vergeltung sittlicher Schuld, von deren metaphysischer Notwendigkeit jedes sittliche Bewußtsein irgendwie überzeugt ist, i n der staatlichen Strafe, so müßte folgerichtig jedes unmoralische Handeln Strafbarkeit bedeuten. „Erst aus dieser Zweiseitigkeit des Schuldprinzips, d. h. daraus, daß nicht nur die Strafe der Schuld zu entsprechen hat, sondern daß Schuld auch Strafe notwendig macht, ergibt sich sein Absolutheitscharakter. Wer leugnet, daß auf Schuld Strafe folgen muß, kann das Schuldprinzip nicht als absolutes Prinzip 9
So die i n A n m . 5 Genannten.
§ 9. Die systematische Vereinigung auf der Ebene der Straftheorien
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und also überhaupt nicht als Prinzip proklamieren. Wer zum Schuldprinzip ja sagt, muß konsequenterweise auch zur Notwendigkeit der Schuldstrafe j a sagen, d. h. er darf nicht aus irgendwelchen Zweckmäßigkeitserwägungen heraus das Strafbedürfnis trotz vorhandener Schuld verneinen 1 0 ." Ein echtes Schuldstraf recht liegt daher — wie Kaufmann richtig feststellt — nicht schon vor, wenn nur beim Vorliegen sittlicher Schuld bestraft wird, sondern erst dann, wenn jede sittliche Schuld bestraft w i r d 1 1 . Bestraft werden müßten somit nicht nur die i n den Tatbeständen des positiven Strafrechts bezeichneten Delikte, sondern jede unmoralische Handlung, und nicht nur Handlungen, sondern auch böse Gesinnung und Gedanken 12 , soweit sie der Freiheit entspringen. Umgekehrt aber müßte derjenige, den keine sittliche Schuld trifft, i n jedem Falle frei von Strafe bleiben. I n beiden Richtungen sind die Konsequenzen des Schuldprinzips (der absoluten Theorie) mit dem Gedanken des Gemeinschaftsschutzes (der relativen Theorie) unvereinbar. Dies zeigt sich besonders deutlich am Fall des sog. „Überzeugungstäters".
I I I . Die grundsätzliche Unvereinbarkeit der absoluten mit der relativen Straftheorie, dargestellt am Beispiel des Überzeugungstäters
Bei dem sog. „Überzeugungstäter" handelt es sich um einen Menschen, der sich nicht i n der Lage sieht, bestimmte Verhaltensforderungen der Rechtsordnung gewissensmäßig zu akzeptieren und auch über genügende seelische Kraft verfügt, um dem psychischen Zwang der Strafdrohung und den mit der Bestrafung verbundenen mittelbaren Nachteilen zu widerstehen. Das „Verbrechen", genauer: die (objektiv) rechtswidrige Handlung, erwächst also hier aus einem Konflikt zwischen Gesetz und Gewissen, wobei die sittliche Überzeugung den Sieg davonträgt. Solche Konflikte zwischen Gesetz und Gewissen sind je nach dem Grade der Homogenität der sittlichen Überzeugung, der Übereinstimmung des Strafrechts m i t dieser Überzeugung und 10 A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 202; vgl. auch S. 205 f. 11 Die verbreitete Gegenmeinung (vgl. die Nachweise bei A r t h u r Kaufmann, a.a.O., S. 205, A n m . 408) ist ein Beispiel dafür, wie wenig grundsätzlich und folgerichtig i n diesem Bereich gedacht w i r d . Wie Kaufmann auch Utz, Rechtsphilosophie, S. 192. 12 Wenn A r t h u r Kaufmann (Recht u n d Sittlichkeit, S. 31) fragt, ob denn das strafrechtliche Prinzip „cogitationis poenam nemo p a t i t u r " nicht auch für die Moral gelte, so ist diese Frage ohne weiteres zu verneinen. Dies ist dem höher entwickelten sittlichen Bewußtsein von jeher selbstverständlich. „ I h r habt gehört, daß zu den A l t e n gesagt worden ist: D u sollst nicht ehebrechen! Ich aber sage euch: E i n jeder, der eine Frau begehrlich ansieht, hat schon die Ehe m i t i h r gebrochen i n seinem Herzen." (Matth. 5,27 f.). Der Satz „cogitationis poenam nemo p a t i t u r " ist daher m i t dem Schuldprinzip unvereinbar. 7*
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Dritter T e i l : Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
schließlich der Toleranz der Rechtsordnung mehr oder weniger zahlreich, überhaupt auszuschalten sind sie jedoch nicht, sofern nicht die Gesellschaft auf eine allgemeine Ordnung überhaupt verzichten w i l l 1 3 . So hat ζ. B. der westdeutsche Gesetzgeber — insofern schon verhältnismäßig tolerant — die Überzeugung von der grundsätzlichen Unsittlichkeit des Kriegsdienstes unter bestimmten Einschränkungen berücksichtigt 14 . Die gesetzliche Regelung sieht aber i n diesem Falle nur eine Befreiung von dem Dienst mit der Waffe vor und setzt an dessen Stelle einen zivilen Ersatzdienst. Bekanntlich w i r d nun die Ableistung auch dieses Ersatzdienstes i n vielen Fällen von den Angehörigen der Religionsgemeinschaft „Zeugen Jehovas" mit der Begründung verweigert, daß es ihre religiöse Uberzeugung verbiete, dem Krieg i n irgendeiner Weise, nicht nur gerade unmittelbar m i t der Waffe, zu dienen. So weit geht nun freilich die Toleranz des Gesetzes wieder nicht, und daher werden gegen die betreffenden Personen zum Teil verhältnismäßig sehr harte Strafen verhängt 1 5 . Das Beispiel wurde nur zum Nachweis dafür angeführt, daß diese Problematik auch nach dem Untergang der nationalsozialistischen Diktatur keineswegs i n den Bereich der „bloßen Theorie" abgeschoben werden kann, sondern auch unter der Herrschaft des von dem Gedanken der Menschenwürde 1 6 geprägten Grundgesetzes keineswegs ihre Aktualität verloren hat 1 7 . 13 Vgl. Welzel, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 397 ff. „Es gibt nichts, i n das der Mensch nicht sein Gewissen — u n d zwar ehrlich und ernsthaft — legen könnte" (a.a.O., S. 398). Demgegenüber bedeutet der Versuch Radbruchs, die sittliche Verpflichtungskraft des positiven Rechts als solchen, k r a f t seines Ordnungscharakters überhaupt, d. h. ohne Rücksicht auf die Qualität dieser Ordnung, zu begründen, keine grundsätzliche Lösung des Problems. Denn erstens sah sich Radbruch selbst zu der Einschränkung gezwungen, es gebe Ordnungen so schrecklicher A r t , daß i h r Ordnungscharakter allein den Normgehorsam nicht mehr sittlich fordere oder rechtfertige. Aber die Fragwürdigkeit der Auffassung Radbruchs ist noch grundsätzlicher: Auch der Ordnungscharakter des positiven Rechts ist n u r für denjenigen ein sittlicher Wert, k a n n n u r denjenigen zum Gehorsam gegen die Forderungen des positiven Rechts sittlich verpflichten, der i h n eben — wie offenbar Radbruch — als persönlich verpflichtend i n seinem Gewissen empfindet (siehe dazu Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 138 f., S. 179 ff., S. 352 ff.). 14 §§25 ff. des Wehrpflichtgesetzes. 15 Aus der Praxis ist uns bekannt, daß ein bestimmtes Gericht regelmäßig eine Gefängnisstrafe von einem Jahr aussprach. Vgl. ferner die i n der N J W 1966, S. 165 abgedruckte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, welche über die dogmatische Konstruktion der „Dauerstraftat" die Möglichkeit eröffnet, den Verweigerer, der auch nach Verbüßung der Strafe seiner Überzeugung treu bleibt, immer wieder (und damit theoretisch i n unbegrenzter Höhe) zu bestrafen. Welcher gleichbedeutend ist m i t der Anerkennung des Menschen als ein sittlich freies Wesen. 17 Was man aber offenbar nicht recht wahrhaben w i l l . So wurde die
§ 9. Die systematische Vereinigung auf der Ebene der Straftheorien
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Das sittliche Sollen ist nur dasjenige Sollen, das sich i m Gewissen des Einzelnen offenbart, die i m Gewissen als verpflichtend erlebte Norm. Auf die Unterscheidung zwischen der objektiven (idealen) Sollensordnung und dem Wertgefühl als dem darauf gerichteten, intentionalen A k t 1 8 kommt es hier nicht an, da jedenfalls das Gewissen und nur das Gewissen die letzte Instanz aller sittlichen Entscheidungen ist 1 9 . Infolgedessen kann sich und muß sich der Einzelne notgedrungen nur danach richten, was sein Gewissen i h m gebietet. Das Sittengesetz ist jedenfalls praktisch, für ihn, mit der Stimme seines Gewissens identisch; und sollte sein Gewissen tatsächlich fehlgehen 20 , so kann doch der Nachweis des Irrtums niemals geführt werden, da man ja zu der Gewissensentscheidung eines Anderen nur wieder mit dem eigenen Gewissen Stellung nehmen kann, welches seinerseits der gleichen I r r tumsmöglichkeit unterworfen ist. Streng genommen ist es daher überhaupt falsch, von der abweichenden sittlichen Überzeugung eines Menschen als von einem „irrenden Gewissen" zu sprechen; vielmehr kann lediglich davon die Rede sein, daß zwei unvereinbare moralische Überzeugungen vorliegen, wobei der Begriff der „Überzeugung" einschließt, daß jeder die jeweils gegenteilige Auffassung für falsch hält 21. Daraus ergibt sich dann für das Problem des Überzeugungstäters die Folgerung, daß derjenige, der seinem Gewissen folgt, nicht bestraft werden kann. Dies gibt schließlich auch A r t h u r Kaufmann, der konsequenteste Vertreter des Schuldstraf rechts, zu: „ A l l e i n da, wo der Täter sich zu dem Gesetzesverstoß deshalb berechtigt glaubt, w e i l er das Gesetz aus naturrechtlichen Gründen für ungültig erachtet, kann man i n Wahrheit von einem Überzeugungstäter sprechen... Ist der I r r t u m aber unvermeidbar, so kann von einer Pflichtverletzung keine Rede sein, wenn der Handelnde sich nach seinem Gewissen richtet. Ja, man muß sogar sagen — und bekanntlich hat schon Ablehnung einer besonderen „Ehrenstrafe" der Einschließung i n den E n t würfen zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch m i t der Erwägung begründet, daß die Strafe von der sittlichen Überzeugung der Allgemeinheit her (!) angedroht werde u n d (daher?) eine Sonderbehandlung des Überzeugungstäters nicht erforderlich sei (E1960, S. 94; E1962, S. 98). Die A r t und Weise, wie m a n sich hier über geschichtliche Erfahrungen von Jahrhunderten hinweggesetzt hat, k a n n m a n n u r m i t Verwunderung zur K e n n t nis nehmen. is Deren Verkennung Welzel, Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 389 ff., Laun vorwirft. 19 So auch Welzel, a.a.O., S. 395. Was einen besonders tragischen F a l l der Unfreiheit darstellen würde. 21 I n der Praxis verführen derartige Formulierungen dazu, das, was die überwiegende oder maßgebliche Ansicht der Zeit ist, für die objektive Sollensordnung zu nehmen u n d i n entsprechender Überheblichkeit über die abweichenden Überzeugungen von ohnmächtigen Einzelnen oder Minoritäten hinwegzuschreiten. Siehe dazu auch oben A n m . 17. 20
102
D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
Thomas von A q u i n diese Folgerung gezogen —, daß das schuldlos irrende Gewissen verpflichtende K r a f t besitzt. Der Handelnde hat hier ja gar keine Möglichkeit, als seinem Gewissen zu folgen. Eine Bestrafung ist i n diesem Falle daher unstatthaft. Sie wäre, da sie jeder sittlichen Rechtfertigung entbehrt, nichts anderes als ein Ausdruck staatlichen Zwanges und daher eine Mißachtung der personalen Würde des Menschen 21a ." Anders entscheidet sich — obwohl ebenfalls ein Anhänger des Schuldstraf rechts 22 — Welzel: „Vor allem würde die alleinige Entscheidung zu Gunsten des Gewissens die Schutzfunktion des Rechts verkürzen . . . Das Recht muß als überindividuelle Ordnung nicht nur eine Ordnung für den Handelnden, sondern auch für den Leidenden, d. h. den von der Handlung Betroffenen sein. Das schließt es aus, beim Widerstreit von Gesetz und Gewissen dem Gewissen grundsätzlich den Vorrang zu geben 23 ." „ U m des Bestandes einer überindividuellen Ordnung und um des Schutzes (!) der anderen Rechtsgenossen willen, die auf diese Ordnung vertrauen, kann es seine Geltung nicht von der Gewissensbildung des Einzelnen abhängig machen 24 ." M i t anderen Worten: Der Täter w i r d bestraft 25, ohne daß i h m sittlich ein Vorwurf gemacht werden kann, und zwar deswegen, weil es zum Schutze der Gesellschaft erforderlich ist. Damit räumt Welzel die Unrichtigkeit seiner eigenen Behauptung, nur die gerecht vergeltende Strafe sei vom Standpunkt des Gemeinschaftsschutzes zweckmäßig, selbst ein. Indem er aber trotz dieser Einsicht die Strafe i n diesem kritischen Falle fordert, gibt er das Schuldprinzip auf und vertritt eindeutig die relative Theorie. Die vorangehenden Erörterungen über den Überzeugungstäter haben den Unterschied zwischen Schuldprinzip und Zweckstrafe weiter aufgehellt. Da der einzige Maßstab für sittliche Schuld das eigene Gewissen ist, ergibt sich für die absolute Theorie die außerordentliche, aber unausweichliche Konsequenz, Strafe immer dann und nur dann zu verhängen, wenn der Täter sittliche Schuld empfindet. Damit w i r d die ganze K l u f t i n den Voraussetzungen der Strafe nach der absoluten und der relativen Theorie offenbar: Nicht nur muß nach der absoluten Theorie derjenige Täter straflos bleiben, der aus sittlicher Überzeu21a
A r t h u r Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 139 f. Vgl. die oben S. 94 u. S. 95 A n m . 20 angeführten Zitate, ferner die Ausführungen i m V o r w o r t zur 9. Auflage seines Lehrbuchs. 2 3 Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 398. 24 Welzel, a.a.O., S. 399. 25 Die Berücksichtigung der ehrenhaften Gesinnung i n einer besonderen F o r m der Strafe, die Welzel fordert, t u t dem keinen Abbruch. 22
§ 10. Recht als Sollen u n d Recht als Zwang
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gung Handlungen, die nach der Auffassung der Gesellschaft sozialschädlich sind, verübt (Fall des Überzeugungstäters), sondern es müßte umgekehrt auch derjenige wegen einer Handlung bestraft werden, die der Gesellschaft höchst erwünscht ist, sofern der Täter nur gegen sein eigenes Gewissen gehandelt hat 2 6 . I n beiden Fällen stehen somit die Voraussetzungen der Vergeltungsstrafe zu dem Schutzbedürfnis der Gesellschaft i n einem krassen Gegensatz. Damit erweisen sich die absolute und die relative Theorie als unvereinbar. Es besteht eine strenge Alternative: Die sog. Vereinigungstheorien, die ein zweckmäßiges Schuldstrafrecht bzw. ein auf dem Schuldprinzip beruhendes Zweckstrafrecht zu begründen versuchen, sind keine möglichen Synthesen, weil sie das grundsätzlich Unvereinbare zu vereinbaren suchen 27 . Es ist für die Straftheorie (unmittelbar) und für die Verbrechenssystematik (mittelbar) von größter Bedeutung einzusehen, daß hier ein Kompromiß nicht möglich ist. Erste Voraussetzung für die Bewältigung eines Problems ist, daß man es überhaupt als solches erkennt. Gerade diese Problematik aber w i r d durch die sog. Vereinigungstheorien verschüttet.
§ 10. Recht als Sollen und Recht als Z w a n g I. Sollen und Zwang als unvereinbare Prinzipien
W i r fanden also, daß es sich bei der relativen und der absoluten Straftheorie um Auffassungen handelt, die einander ausschließen. Ist die Strafe Vergeltung, so muß sie sich in ihrem Ob und ihrem Maß ausschließlich nach dem Vorliegen sittlicher Schuld bestimmen; dient die Strafe dem Schutz der Gemeinschaft, so muß allein die Dienlichkeit zu diesem Zweck für ihre Verhängung maßgeblich sein. Daß hier eine prästabilierte Harmonie bestünde, derart, daß die — vom Gesichtspunkt der absoluten Theorie — schuldangemessene Strafe gleichzeitig jeweils zweckmäßig i m Sinne der relativen Theorie wäre, ist ein Wunschgedanke, dessen offenbare Unrichtigkeit sich nur durch ein gewaltsames Zurechtbiegen des Schuldprinzips einigermaßen verhüllen läßt. Eine solche Deckung von „Gerechtigkeit" und Zweckmäßigkeit wäre nur dann denkbar, wenn die Gemeinschaft jede 26 Beispiel: Nach dem Schuldprinzip dürfte ein Zeuge Jehovas nicht dann bestraft werden, w e n n er den zivilen Ersatzdienst verweigert, sondern umgekehrt dann, w e n n er i h n gegen sein Gewissen leistet. 27 Eine weitere Stütze f ü r diese Auffassung bietet die Untersuchung Klugs, die nach gründlicher Prüfung der älteren „Vereinigungstheorien" (Die zentrale Bedeutung des Schutzgedankens für den Zweck der Strafe, S. 12 ff.) zu dem Ergebnis k o m m t (a.a.O., S. 24), daß keiner von ihnen eine Vereinigung w i r k l i c h geglückt ist.
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D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
unmoralische Handlung, jeden Verstoß gegen eine sittliche Pflicht für gemeinschädlich erachten würde: Das ist aber nach dem geltenden Recht nicht der Fall und kann auch niemals der Fall sein, weil der Gedanke der Nützlichkeit bzw. Schädlichkeit, anders ausgedrückt: der Gedanke der Legalität, immer ein objektives K r i t e r i u m voraussetzt, das außerhalb des Subjekts, seiner Freiheit und damit auch seiner sittlichen Verantwortlichkeit liegt. Erwies sich somit die systematische Vereinigung der absoluten mit der relativen Theorie (als Ausprägungen der Sollens- und der Zwangstheorie des Rechts) als unmöglich, so prüfen w i r nunmehr diese Vereinbarkeit unmittelbar anhand der zugrunde liegenden Prinzipien selbst: Kann das Recht ein Sollen und gleichzeitig Zwang sein? Daß i n dem Phänomen des Rechts der Zwang, wie er sich etwa i n den verschiedenen Formen der Vollstreckung kundtut, eine wichtige Rolle spielt, läßt sich nicht übersehen. Das Recht ist also jedenfalls auch Zwang. Steht dies fest, so kann nur gefragt werden, ob das Recht darüber hinaus auch ein Sollen sein kann. Auch diese Frage pflegt von unbefangenen Juristen meist bejaht zu werden. Die Ausdrücke „Sollen", „Verpflichtung", „Rechtspflicht" sind aus der juristischen Terminologie kaum wegzudenken. Doch sind diese Ausdrücke, wie bereits ausgeführt 1 , sämtlich mehrdeutig. Gerade bei dem Ausdruck „Rechtspflicht" muß bei näherem Hinsehen das Bedenken auftauchen, ob nicht gerade das Kennzeichen dieser „Pflicht" die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung, also der — zunächst psychische — Zwang ist. Dieses Bedenken w i r d durch die Erscheinung der sog. „unvollkommenen Verbindlichkeit" nicht behoben, sondern eher verstärkt. Denn unvollkommen ist hier doch nicht die (sittliche) Pflicht zur Vertragstreue, sondern der Erfüllungszwang. Die Verwendung der genannten Ausdrücke i n der juristischen Fachsprache besagt also für die Lösung des Problems nichts. Auch i n der rechtsphilosophischen Reflexion, der w i r uns nunmehr zuwenden müssen, w i r d indessen die Behauptung, das Recht sei Zwang und zugleich ein verbindliches Sollen, vielfach vertreten 2 . So heißt es etwa bei Welzel 3 : „Verpflichtungskraft und damit normative Geltung besitzt die Rechtsordnung nur kraft eines i h r innewohnenden Wertgehalts, nicht kraft reiner Faktizität . . . Kraft dieses Wertgehalts verpflichtet es den Einzelnen i m Gewissen . . . ι Siehe oben S. 23 f., S. 90. So alle oben S. 25 f. genannten Vertreter der Sollenstheorie m i t Ausnahme Launs, auf dessen Auffassung w i r noch zurückkommen. 3 Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 392 f. 2
§10. Recht als Sollen und Recht als Zwang
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K r a f t dieses Wertgehalts ist auch der Rechtszwang normativ legitimiert, . . . Weil der Rechtsordnung die von ihr gesetzte normative Sollensordnung zu verwirklichen aufgegeben ist, enthält sie die Legitimation zum Rechtszwang." So unproblematisch, wie hier vorausgesetzt, ist indessen die Vereinbarkeit von Sollen und Zwang keineswegs. Die grundsätzliche Antwort auf diese Frage wurde bereits gegeben4. (Sittliches) Sollen setzt begrifflich die Freiheit des Verpflichteten voraus. Wo aber Zwang ist, ist sittliches Handeln nicht möglich; sittliches Sollen kann immer nur i m Rahmen der Freiheit bestehen. So schon — vom zivilrechtlichen Aspekt — zutreffend Binder 5 : „ . . . die Lehre vom Leistenmüssen steht m i t der Idee von der Leistungspflicht, von der doch alle bisherigen Schuldtheorien ausgehen, i m schneidendsten Widerspruch; denn immer setzt die Pflicht eine freie, autonome Persönlichkeit voraus, die durch einen zum Müssen gesteigerten Zwang vernichtet werden würde. Der Pflicht kann nur ein Sollen, kein Müssen entsprechen." Infolgedessen ist eine Parallelität von Sollen und Zwang nicht möglich. Das Recht als Sollen könnte höchstens dort bestehen, wohin das Recht als Zwang nicht reicht. Aber auch eine derartige Auffassung ergäbe keinen guten Sinn. Denn Zwang ist immer ein Zwang zu etwas, d. h. der Zwangstheorie entspricht die relative Theorie, wonach das Recht den Schutz der Gemeinschaft bezweckt. Unterstellt man einmal beispielsweise — u m der blassen Leerformel „Gemeinschaftsschutz" einen anschaulichen materiellen Inhalt zu geben — mit Kant die menschliche Freiheit als das höchste Rechtsgut, so hätte das Recht etwa die Aufgabe, die Freiheit jedes Einzelnen insoweit aufzuheben, als sie Ubergriffe in die Freiheit anderer ermöglicht. Da das Recht (immer vom Aspekt der Zwangstheorie verstanden) um so besser ist, je wirksamer es die Freiheit des Bürgers schützt, je weniger also die Freiheit des einen von dem guten Willen des anderen abhängt, so hat das Recht die Tendenz, sich von einem „bedingten Müssen" zu einem absoluten, unbedingten Müssen fortzuentwickeln. Das Recht — als Zwangsordnung — ist daher seiner Idee nach perfekter Zwang. Daher könnte gerade i n einem — vom Standpunkt der Zwangstheorie — idealen 4 Oben § 1 u. § 41. 5 Rechtsnorm u n d Rechtspflicht, S. 11; ähnlich gegen „Nelson u n d die Lehre von der akzessorischen Natur des Rechtszwangs" (Philosophie des Rechts, S. X X ) : „Wenn das Recht nicht wesentlich die Befugnis zu zwingen enthält, w e n n es i n dem bloßen .Sollen 1 aufgeht, w i e k a n n dann aber Zwang, der doch erfahrungsgemäß auf dem Gebiet des Rechts geübt w i r d , überhaupt zu Recht bestehen? Ist er dem Recht nicht wesentlich, so ist er dem Recht fremd." „Denn das Recht, fahren w i r i m Sinne Nelsons fort, besteht als kategorischer Imperativ ausschließlich i m Gewissen, und dieses kann sich äußerem Zwang nicht unterwerfen" (a.a.O., S. 356 u n d A n m . 7 dortselbst).
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Dritter Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit und Schuld
Rechtszustand (der sich als „Idee" freilich niemals ganz verwirklichen lassen wird) rechtmäßiges Verhalten niemals gesollt sein. Die Frage nach der Verbindlichkeit des Rechts, das Naturrechtsproblem, das Problem des Widerstandsrechts könnten i n einem solchen Falle gar nicht erst auftauchen, da sie eine Entscheidungssituation, d. h. ein M i n i m u m an Freiheit, sich gegen das Recht zu wenden, voraussetzen, die ein absoluter Zwang nicht zuläßt. Die Frage nach dem Sollen könnte somit allein i n der Sphäre der Rechtspolitik gestellt werden: Z u welchem Zweck soll Zwang angewendet werden, welche ist die „richtige" Gesellschaft? Die Pflicht, „das Rechthandeln m i r zur Maxime zu machen" 6 , ist daher n u r möglich, wenn und soweit das rechtmäßige Verhalten nicht erzwungen werden kann, also das Recht — vom Standpunkt der Zwangsordnung — i m Grunde versagt. Somit widerstrebt die Idee des Rechts als einer Zwangsordnung der Sollenstheorie des Rechts. Umgekehrt müßte das Recht nach der Sollenstheorie, welche das rechtliche Handeln als die Bewährung eines freien Subjekts an einer verpflichtenden Wertordnung begreift, die Tendenz haben, den Zwang, der j a die sittliche Freiheit einschränkt, nach Möglichkeit zu verdrängen. Zwangstheorie und Sollenstheorie widersprechen einander somit grundsätzlich.
I I . Erläuterung anhand der Auffassungen Launs und Binders
Es ist daher n u r der eine oder der andere Standpunkt möglich. Entweder man faßt das Recht als reines (sittliches) Sollen — dann w i r d der Zwang vom Rechtsbegriff ausgeschlossen. Oder aber man sieht das Wesen des Rechts i m Z w a n g — dann bleibt f ü r das (sittliche) Sollen i m Rahmen des Rechts kein Raum. Die erstere Alternative findet sich folgerichtig durchgeführt bei Laun: „ E i n Imperativ i m sprachlichen Sinne ist entweder heteronom, dann kann er kein Sollen bedeuten; oder er bedeutet ein Sollen, dann kann er nicht heteronom sein . . Λ " „ D a w i r n u n i m Recht Pflichten, ein Sollen suchen, so kommen w i r zu der Schlußfolgerung: Die Gebote des Rechts können nicht Ausdruck eines fremden, sondern n u r des eigenen Willens sein, die
Gebote
des Rechts
sind
autonom 8"
Jeder faktische,
empirische
Imperativ bedarf dann, u m Recht zu sein, der Transformation i n einen Befehl des Gewissens. „Der einzelne steht demnach dem sogenannten positiven Recht, den Gesetzen, Staatsverträgen usw. i n jedem einzel6 Bd. 7 s
Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung i n die Rechtslehre, § C (Werke 7, S. 32). Recht und Sittlichkeit, S. 6 (bei Laun gesperrt), a.a.O., S. 7.
§10. Recht als Sollen u n d Recht als Zwang
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nen Anwendungsfall i n doppelter Weise gegenüber. Entweder er billigt sie, er erlebt sie i m einzelnen Fall als Sollen, als innere Nötigung seines Gewissens oder Rechtsgefühls, dann sind sie für ihn Recht, auch wenn er sie nicht befolgt; oder es fehlt diese Billigung, dann sind sie für ihn nur Gewalt, auch wenn er sich ihnen beugt 9 ." Recht ist somit die „Summe individueller subjektiver autonomer Erlebnisse des Sollens" 10 . Laun geht also davon aus, daß das Recht ein echtes (sittliches) Sollen ist, und folgert daraus, daß es nicht Zwang sein kann. M i t dieser Auffassung glaubt er, den Gedankengang Kants folgerichtig zu Ende gedacht und auch für das Recht die „kopernikanische Umwälzung" vollzogen zu haben 11 . Die entgegengesetzte Auffassung vertrat — bemerkenswerter Weise gleichfalls unter Berufung auf K a n t 1 2 — i n besonders klarer Ausprägung Binder. M i t Laun teilt er den Ausgangspunkt, daß es ein echtes autonomes, innerlich verpflichtendes Sollen nur als sittliches Sollen, als sittliche Verpflichtung gebe. „ M i r war die Kantische Unterscheidung von Moralität und Legalität geläufig und ich hatte aus ihr die Folgerung gezogen, daß es andere als sittliche Pflichten überhaupt nicht gebe; und überdies war es nicht schwer einzusehen, daß aus dem bloßen Willen der Rechtsgemeinschaft, der als Forderung dem Einzelnen gegenübertrat, aus dem so verstandenen »Sollen4, das ja nur eine empirische und keine transzendentale Bedeutung hatte, eine Verpflichtung dieses Einzelnen nicht hervorgehen könne, so daß, wenn schon eine solche Verpflichtung gegenüber dem Willen der Gemeinschaft angenommen werden müßte, sie nicht auf diesen Willen und seine Äußerung zurückgeführt werden könnte, sondern ausschließlich i m sittlichen Bewußtsein des Untertanen wurzeln müßte 1 3 ." Das Zwangselement i m Recht ist aber nun für Binder unübersehbar: „Dem gegenüber stand für mich die Lehre fest, die m i r die juristische Praxis und das Studium der Rechtsgeschichte gegeben hatte, daß das Wesen des Rechts die Macht und nicht die Ohnmacht ist, daß das Recht nicht von der Einsicht des Schuldners und seinem sittlichen Bewußtsein abhängig sein kann und das subjektive Recht nichts anderes als das objektive Recht i n einer besonderen Erscheinungsform ist, so daß es dieselbe Selbstherrlichkeit besitzen muß wie dieses, das über den a a.a.O., S. 15. i° a.a.O., S. 13. Z u dem von Welzel (Juristentags-Festschrift, Bd. 1, S. 388 f.) gegenüber Laun erhobenen V o r w u r f der Psychologisierung siehe oben S. 101. 11 Laun, a.a.O., S. 28 ff. 12 Vgl. das nachfolgende wörtliche Zitat. 13 Binder, Der Adressat der Rechtsnorm und seine Verpflichtung, S. 3.
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D r i t t e r Teil: Das Verhältnis der Begriffe Rechtswidrigkeit u n d Schuld
Ungehorsamen einfach hinwegschreitet 14 ." Besteht aber das Wesen des Rechts i m Zwang, so muß das Sollen, die Pflicht, allein der Sphäre der Sittlichkeit zugewiesen werden. „Der von der communis opinio zum Ausgangspunkt beinahe aller Rechtsdogmatik gemachte Begriff der Rechtspflicht ist abzulehnen. Die Pflicht ist kein juristischer Begriff; überall da, wo w i r von Pflichten, die durch die Rechtsordnung begründet sind, zu reden gewohnt sind, handelt es sich i n Wahrheit u m etwas ganz anderes" 15 — nämlich u m gesellschaftlich organisierten Zwang 1 6 . Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, sondern w i r d i m Gegenteil häufig der Fall sein, daß das von der Rechtsordnung geforderte Verhalten zugleich von dem Gewissen gefordert w i r d (wobei es zur Begründung dieses gewissensmäßigen Sollens möglicherweise schon ausreicht, daß das betreffende Verhalten überhaupt Gegenstand einer rechtlichen Forderung ist). Aber diese gewissensmäßige, innere Nötigung zur Befolgung des Rechts ist eben gerade keine rechtliche — weil das Recht als heteronome Setzung zu einer solchen Verpflichtung gar nicht i n der Lage ist — sondern eine sittliche Pflicht. „Die Norm, die uns auf die Befolgung der Rechtsnormen verpflichtet, ist die Norm der Ethik, und nicht die Norm des Rechts 17 ." Daher ist es zutreffender, statt von einer Verpflichtung durch die Rechtsnorm von einer Verpflichtung auf die Rechtsnorm zu reden 18 . Für diesen Gedankengang findet Binder die ebenso prägnante wie provozierende Formel 1 9 : „Das Recht verpflichtet rechtlich zu nichts 20 ." Somit ergibt sich für Binder eine klare Zuordnung des Zwanges zum Recht und des Sollens zur Sittlichkeit: „Die Normen der Moral entspringen aus dem Gewissen und verpflichten infolgedessen; denn Verpflichtung ist nichts anderes als das Bewußtsein, der Norm gehorchen zu sollen, was w i r eben Gewissen nennen. Die Gebote der Rechtsordnung setzen sich durch den äußeren Zwang des Staates durch . . . und verpflichten infolgedessen nicht; ihre Geltung ist nicht davon abhängig, daß ich sie i n meinem Gewissen als verpflichtend bejahe 2 1 ." 14 a.a.O., S. 2. is Binder, Rechtsnorm u n d Rechtspflicht, S. 45. 16 I n der vorgenannten Schrift (a.a.O.) spricht Binder — I m Hinblick auf den privatrechtlichen Bereich — von „ H a f t i m g " . ι 7 Binder, Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine Verpflichtung, S. 73. is a.a.O., S. 73. 1 9 Die i h m — nach seinen eigenen Worten — „den U n w i l l e n aller »rechtlich' Denkenden" eintrug (Der Adressat der Rechtsnorm u n d seine V e r pflichtung, S. 23). So wurde i h m daraufhin von Nelson, (Die Rechtswissenschaft ohne Recht, S. 179) ein „privatrechtlicher Nihilismus" vorgeworfen. 20 Rechtsnorm u n d Rechtspflicht, S. 47; Der Adressat der Rechtsnorm und seine Verpflichtung, S. 23. 21 Binder, Philosophie des Rechts, S. 819 f.
Zusammenfassung und Ausblick I . Zusammenfassung
W i r gingen aus von zwei grundlegenden Auffassungen über das Phänomen „Recht" und entwickelten für jede dieser Auffassungen, die Sollens- und die Zwangstheorie, einen charakteristischen Handlungsbegriff. Der Umstand, daß die verbreitete moderne Richtung des „Schuldstrafrechts" sowohl den Begriff der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Zwangstheorie ( = objektive Rechtswidrigkeit) als auch den Begriff der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Sollenstheorie ( = Vorwerfbarkeit, sittliche Schuld) anerkennt, gab Anlaß zu der Frage, ob denn — angesichts der verschiedenen zugrunde liegenden rechtsphilosophischen Prinzipien — eine solche systematische Vereinigung möglich ist. Sind die Prinzipien vereinbar, so mußten — nach den logischen Gesetzen der Deduktion — auch die abgeleiteten Sätze systematisch vereinbar sein, da sie nichts als eine Entfaltung dieser Prinzipien i n einer bestimmten Richtung bedeuten. Umgekehrt war aus einer Vereinbarkeit der abgeleiteten Sätze auf die Verträglichkeit der Prinzipien zu schließen. Insofern war es zulässig, die Problematik des doppelten Rechtswidrigkeitsbegriffs i m Bereich der Straftheorien zu überprüfen. Dieser Wechsel der Betrachtungsweise bot den methodischen Vorteil, daß die Probleme auf der allgemeineren Ebene der Straftheorien grundsätzlicher und anschaulicher zutage liegen, als i n den mehr „technischen" Begriffen des Verbrechensaufbaus. Dabei ergab sich, daß eine Vereinigung der sog. absoluten (als der Ausprägung der Sollenstheorie) und der sog. relativen Straftheorie (als der Ausprägung der Zwangstheorie), wie sie die Vertreter des Schuldstrafrechts bezeichnenderweise auch hier erstreben, nicht möglich ist, w e i l eine prästabilierte Harmonie zwischen Zweckmäßigkeit und „Gerechtigkeit" (Schuldangemessenheit) nicht besteht 1 . Diese Betrachtung fand ihre Ergänzung und Bestätigung i n der Untersuchung der Vereinbarkeit der rechtsphilosophischen Prinzipien selbst. Dabei ließ sich unschwer zeigen, daß die fraglichen Prinzipien einander insofern widersprechen, als es gerade i m Begriff des Zwanges liegt, daß er die 1 U n d zwar auch unter der an sich schon sehr fraglichen Voraussetzung, daß man eine rationale Feststellung darüber, welche Strafe der Täter als Vergeltung oder zur Sühne „verdient" hat, überhaupt treffen kann.
110
Zusammenfassung u n d Ausblick
Freiheit, welche die Voraussetzung des sittlichen Sollens ist, ausschließt. Widersprechen sich somit die Prinzipien, so können — als deren Ableitungen — auch die Begriffe der objektiv rechtswidrigen Handlung ( = Sozialschädlichkeit) und der subjektiv rechtswidrigen Handlung ( = sittliche Schuld) nicht widerspruchsfrei i n einem System nebeneinander bestehen, so daß also die Systematik der sog. Schuldstrafrechts nicht nur i m Bereich der Straftheorie, sondern auch i n der Verbrechenslehre einen schwerwiegenden Widerspruch enthält. Diese Folgerung läßt sich aufgrund der Gesetze des Schließens rein mechanisch ziehen. Aber nach Durchlaufen des Gegensatzes zwischen Sollensund Zwangstheorie i n seinen verschiedenen Gestalten w i r d auch sinnmäßig unmittelbar einsichtig, daß der Begriff der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Sollenstheorie (d. h. der sittlichen Schuld) nicht einfach durch eine weitere Differenzierung der rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Zwangstheorie (der objektiven Rechtswidrigkeit) durch das Merkmal des „Könnens", der „persönlichen Zurechenbarkeit", gewonnen werden kann. Zwar ist es möglich, den Handlungsbegriff der Sollenstheorie, der m i t dem sittlichen Handlungsbegriff identisch ist, auf den Handlungsbegriff der Zwangstheorie (Handlung ist menschliche Seinsäußerung) zurückzuführen, indem man ihn als freie menschliche Seinsäußerung faßt. Aber es ist ein I r r t u m zu glauben — wie es diese Systematik voraussetzt —, daß auch jede rechtswidrige Handlung i m Sinne der Zwangstheorie (objektiv rechtswidrige Handlung) unter der Voraussetzung des weiteren Merkmals des Anders-handeln-Könnens, also der Freiheit, auch schon (sittliche) Schuld und daher „Vorwerfbarkeit" begründen könnte. Das differenzierende Merkmal der Freiheit begründet nur den Satz, daß die (objektiv) rechtswidrige Handlung zugleich eine Handlung i m Sinne der Sollenstheorie und somit Ausdruck der Stellungnahme eines (freien) Subjekts zu einem Sollen ist, nicht aber die Feststellung, daß diese Entscheidung gegen das Sollen ausgefallen ist, also ein Pflichtverstoß, eine rechts widrige Handlung i m Sinne der Sollenstheorie vorliegt. „Rechtswidrig" i m Sinne der Sollenstheorie bedeutet nichts anderes als den Verstoß gegen eine sittliche Pflicht, deren Erkenntnisquelle das Gewissen ist; daß aber die Forderungen des Gewissens mit den Ansprüchen der Gesellschaft nicht übereinstimmen müssen, dürften die Darlegungen zu der Frage des Überzeugungstäters zur Genüge gezeigt haben. Die Gleichung: (objektiv) rechtswidrige Handlung (Sozialschädlichkeit) + Freiheit = (subjektiv) rechtswidrige Handlung i m Sinne der Sollenstheorie, sittliche Schuld, geht nicht auf, weil für einen Gleichklang der Wertungen der Gesellschaft einerseits und des Einzelgewissens andererseits grundsätzlich keine Garantie besteht
I. Zusammenfassung
111
(und zwar ganz unabhängig davon, ob die Forderungen der Gesellschaft das Gute, Richtige „wenigstens anstreben" oder ob es sich dabei um Zumutungen einer unverhüllten Diktatur handelt, denn ob das eine oder das andere der Fall ist, kann ebenfalls nur wieder mit dem Gewissen entschieden werden). So kann nach dem Gewissen des einzelnen eine Handlung verboten sein, welche die Gesellschaft zuläßt oder fordert, und umgekehrt eine Handlung geboten sein, welche die Gesellschaft verbietet; d. h. eine objektiv rechtswidrige Handlung zu begehen, kann sittlich verdienstvoll sein. Die (sittliche) Schuld ist daher von der Sozialschädlichkeit ebenso unabhängig, wie umgekehrt die Sozialschädlichkeit von der (sittlichen) Schuld. Bedarf es aber zur Feststellung einer rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Sollenstheorie, von (sittlicher) Schuld, der vorgängigen Feststellung einer (objektiv) rechtswidrigen Handlung i m Sinne der Zwangstheorie nicht, baut der erstere Begriff nicht auf dem letzteren auf, so verliert die Systematik des Schuldstraf rechts: Handlung — objektiv rechtswidrige Handlung — subjektiv rechtswidrige Handlung (sittliche Schuld) — ihren Sinn. Die systematische Vereinigung der Prinzipien Sollen und Zwang und die darauf aufgebaute Systematik des Schuldstrafrechts, w o r i n zwischen dem Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit und der als sittliche verstandenen Schuld eine Synthese geschaffen werden soll, ist daher nicht möglich. Es gibt hier nur ein entweder-oder. Faßt man das Recht als sittliches Sollen, so ist die rechtswidrige Handlung gleichbedeutend mit (sittlicher) Schuld und der Begriff der „objektiven Rechtswidrigkeit" hat darin keinen Platz. Begreift man das Recht dagegen als gesellschaftliche Zwangsordnung, so ist die rechtswidrige Handlung identisch mit der „objektiven Rechtswidrigkeit" und der Begriff der als sittliche verstandenen Schuld hat darin keine Funktion. „Schuld" kann in einem derartigen System lediglich als eine besondere Voraussetzung gerade der Maßnahme „Strafe" verstanden werden, d. h. als eine besondere Voraussetzung, bei deren Vorliegen die A n wendung der Strafe vom Standpunkt des Gemeinschaftsschutzes allein zweckmäßig ist 2 . M i t der rechtsphilosophischen Grundentscheidung für das Recht als Sollen oder das Recht als Zwang sind daher die Weichen für den weiteren Ausbau des Rechtssystems i m allgemeinen und des Strafrechtssystems i m besonderen ein für allemal gestellt. 2 Welchen I n h a l t der Schuldbegriff der Zwangstheorie i m einzelnen erhält, ist davon abhängig, i n welcher Wirkungsweise man die Bedeutung der Strafe für den Schutz der Gemeinschaft erblicken w i l l .
112
Zusammenfassung u n d Ausblick
a) Aus der Auffassung des Rechts als sittliches Sollen folgt, daß die weiteren Systembegriffe (wie Pflicht, Handlung, Pflichtverstoß = normwidrige Handlung, Schuld, Täter, Subjekt, Strafe) den gleichen Inhalt haben müssen, wie die entsprechenden Begriffe des Systems der Ethik. „Pflicht" ist nur ein anderer Ausdruck für das Sollen, die Norm, vom Standpunkt des Subjekts. Das (sittliche) Sollen setzt ein Wesen voraus, das i n der Lage ist, die Forderungen dieses Sollens sowohl zu vernehmen als auch zu erfüllen; es setzt also die menschliche Freiheit i m sittlichen, d. h. i m weitest denkbaren Sinne voraus. Als ein freies und daher verantwortliches Wesen ist der Mensch „Subjekt" oder „Person". „Handlung" ist ein Geschehen nur dann, wenn es einer Person zugerechnet werden kann, wenn es ein „Werk ihrer Freiheit" ist, oder — noch anders gefaßt — wenn es der Ausdruck einer freien Stellungnahme zu einem als verpflichtend erlebten Wert, einem (sittlichen) Sollen ist. „Handlung" oder „Tat" bedeutet daher eine Relation der Freiheit zwischen einem Menschen und einem Geschehen, kraft deren der Mensch eben für dieses Geschehen, diesen Zustand der Wirklichkeit, verantwortlich gemacht werden kann. N u r wenn ein Geschehen i n diesem Sinne einem Menschen als Handlung zugerechnet werden kann, nur wenn diese Relation der Freiheit und Verantwortlichkeit besteht, ist der Mensch „Täter". Da das Sollen, die Pflicht, Norm, nur i m Rahmen der Freiheit eines Menschen (der insoweit Subjekt, Person heißt) besteht, und dem Begriff der Handlung der Bezug auf ein begrifflich i n dieser Weise eingeschränktes Sollen wesentlich ist, ergibt sich, daß die normwidrige, pflichtwidrige Handlung immer „subjektiv" pflichtwidrig, d. h. bedeutungsgleich m i t (sittlicher) Schuld ist. Wie dem Begriff des Sollens selbst, so ist allen davon abgeleiteten Begriffen (Handlung, Täter, normwidrige Handlung, Schuld) der Bezug auf die Freiheit eines Menschen immanent. Faßt man daher das Recht ebenfalls als ein (sittliches) Sollen, so ist klar, daß von diesem Standpunkt die Begriffe einer objektiven Pflicht (Norm), einer objektiven Tat (Handlung), eines objektiven Täters und insbesondere einer objektiv rechtswidrigen Handlung (wobei „objektiv" die Abstraktion von der Freiheit und Verantwortlichkeit eines Menschen bedeutet) Widersprüche i n sich selbst sind. Die objektive Rechtswidrigkeit ist vom Standpunkt der Sollenstheorie genau so sinnlos, wie die Begriffe einer objektiv unmoralischen Handlung, einer objektiven Sünde. Und ebenso wie nun sittliches Sollen, sittlicher Verdienst und sittliche Schuld i m Grunde nur i m Hinblick auf eine wie auch immer geartete metaphysische Vergeltung (Gerechtigkeit) einen Sinn haben — mag man diese nun volkstümlich-religiös mit dem B i l d von Himmel und Hölle oder, dem Geschmack des Intellektuellen entsprechend, theologisch oder philosophisch subtiler auffassen und formu-
I. Zusammenfassung
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lieren — so entspricht dem i m Bereich des als Sollen aufgefaßten Rechts die Deutung der Strafe als Vergeltung 3 sittlicher Schuld, die absolute Theorie, das sog. Schuldprinzip. W i r d die Strafe verhängt, weil der Täter gegen ein sittliches Sollen verstoßen und damit sittliche Schuld auf sich geladen hat, so kann sie nur unmittelbar metaphysisch verstanden werden, aber keinen Maßnahmecharakter haben 4 . Die Gleichsetzung des Rechts mit dem sittlichen Sollen, wie es die Sollenstheorie fordert, w i r d durch die Auffassung der Strafe als Vergeltung nur folgerichtig zu Ende geführt. b) Die Zwangstheorie des Rechts als die einzige Alternative zur Sollenstheorie hat — als relative Theorie — zum Ziel nicht die Vergeltung (subjektiv) pflichtwidriger Taten, sittlicher Schuld (welche i n einem idealen Rechtszustand als einem absoluten Zwangszustand 5 mangels Freiheit gar nicht möglich wäre), sondern die Erhaltung bzw. Herstellung eines bestimmten gesellschaftlichen Zustandes, folglich die Verhinderung eines i m Hinblick auf diesen erstrebten Zustand objektiv schädlichen Verhaltens. Es liegt nun aber auf der Hand, daß ein Verhalten objektiv schädlich sein kann, ohne daß die moralische Zurechnung als pflichtwidrige Tat möglich ist, wozu ja immer die Freiheit, d. h. die Erkenntnis der sittlichen Pflicht und die Fähigkeit, danach zu handeln, gehört. Schädlich kann vielmehr jede Äußerung der menschlichen Existenz sein, durch die ein Rechtsgut betroffen werden kann, gleichgültig welcher Seinsschicht des Menschen sie zuzuordnen ist. Dies ist aber rechtsphilosophisch und „dogmatisch" insofern von größter Bedeutung, als damit an die Stelle eines subjektiven (subjektiv i m Sinne von freiheitsbezogen) ein objektives Merkmal den Anknüpfungspunkt der Rechtsfolge bildet, die, da sie nicht als Vergeltung aufgefaßt werden kann, als Zwang aufgefaßt werden muß. A n die Stelle des 3 Darunter verstehen w i r nicht n u r diejenigen Auffassungen, welche die Strafe als einen metaphysischen Ausgleich des Rechtsbruchs, eine „Negation der Negation" des Rechts deuten (wie Kant u n d Hegel), sondern auch die heute von Anhängern des Schuldstrafrechts meist vertretene „Sühnetheorie" (dazu etwa Schmidhäuser, V o m Sinn der Strafe, S. 45 ff.). 4 Es ist daher unverständlich, w e n n etwa Frey (Schweizerische Zeitschrift für Straf recht, Bd. 68, S. 405 ff.; Schuld, Verantwortung, Strafe, S. 308) das Schuldstrafrecht gerade i m Hinblick auf die generalpräventive W i r k u n g der Strafe zu verteidigen versucht. D a m i t unterscheidet sich seine Auffassung nämlich n u r bezüglich der Art des f ü r zweckmäßig gehaltenen Zwangsmittels, nicht aber prinzipiell — w i e Frey offenbar glaubt — von der von i h m heftig bekämpften Richtung der „sozialen Verteidigung". 5 Natürlich n u r i n bezug auf das von Rechts wegen geforderte Verhalten, nicht bezüglich des menschlichen Verhaltens überhaupt. Daß der Rechtszwang sehr w o h l i m Dienst der menschlichen Freiheit stehen k a n n (und möglicherweise n u r aus diesem Zweck sittlich zu rechtfertigen ist) hat niemand deutlicher gezeigt als Kant (Metaphysik der Sitten, Einleitung i n die Rechtslehre, § A ff. — Werke Bd. 7, S. 30 ff. —).
8 Michaelowa
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Zusammenfassung u n d Ausblick
Handlungsbegriffs der Sollenstheorie (Handlung ist freie Gestaltung der Wirklichkeit; ein Geschehen, worin sich die Stellungnahme eines Menschen zu einer Norm ausdrückt) t r i t t nach der Zwangstheorie ein Handlungsbegriff, der auf die reine Faktizität abstellt: Handlung ist jede menschliche Seinsäußerung, gleichgültig ob geistig, d. h. von einer sittlichen Entscheidung, psycho-physisch (durch Triebe, Bedürfnisse etc.) oder rein nach Gesetzen der materiellen Natur gesteuert. A n die Stelle des subjektiven Unrechtsbegriffs ( = sittliche Schuld) t r i t t somit der Begriff der objektiven Rechtswidrigkeit; an die Stelle der Auffassung der Strafe als Vergeltung einer Übertretung des sittlichen Sollens t r i t t die Deutung der Strafe als Zwang zur Verhinderung eines sozialschädlichen Verhaltens; an die Stelle der Gerechtigkeit als Ziel des Rechts t r i t t die Erhaltung und Förderung einer „richtigen" Gesellschaft.
I I . Einige Aspekte zu den einander ausschließenden rechtsphilosophischen Prinzipien selbst
Die sich nunmehr aufdrängende Frage: Welches Strafrechtssystem und — da jedes der genannten Strafrechtssysteme auf einem bestimmten rechtsphilosophischen Prinzip gründet — welches dieser rechtsphilosophischen Prinzipien ist n u n eigentlich das richtige? Besteht das Wesen des Rechts i n einem (sittlichen) Sollen oder i m gesellschaftlich organisierten Zwang? — diese ganz grundsätzliche Frage ist nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung. Wir beschränken uns daher darauf, i m Rahmen eines Ausblicks auf die Problematik der einen und der anderen Auffassung hinzuweisen, wie sie i n dieser Erörterung aufgetaucht ist. W i r haben festgestellt, daß nach der Sollenstheorie des Rechts die Begriffe Norm, Pflicht, Handlung, normwidrige Handlung, Schuld, Täter usw. sich m i t den entsprechenden Begriffen des Systems der Ethik decken. Angesichts dieser Identität des ethischen und des Strafrechtssystems nach der Sollenstheorie erhebt sich der dringende Verdacht, daß „Recht" nach der Sollenstheorie nichts anderes bedeutet, als die Einführung eines anderen Ausdrucks für das, was man herkömmlich eben als „Sittlichkeit" bezeichnet, daß also die Sollenstheorie des Rechts i m Grunde eine Identifikation von Recht und Sittlichkeit bedeutet 6 . I n der Tat: Liegt nicht in dem Prinzip: Recht ist sittliches Sollen — gerade die Leugnung des Rechts als einer besonderen, spezifischen Erscheinung der menschlichen Wirklichkeit umschlossen? Jedenfalls ist der Unterschied zwischen Recht und Sittlichkeit vom Stand6 Vgl. Laun, Recht und Sittlichkeit, S. 30.
I I . Einige Bemerkungen zu den rechtsphilosophischen Prinzipien
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punkt der Sollenstheorie ohne weiteres nicht ersichtlich 7 . Insbesondere kann der Zwang, da er sich i n dieses System, w i e w i r uns zu zeigen bemühten, nicht ohne logischen Widerspruch einführen läßt, ein solches Unterscheidungsmerkmal nicht sein. Geht man dagegen unbefangen davon aus, daß unter dem T i t e l „Recht" irgendwelche allgemeinen Aussagen über die Tätigkeit des Juristen, also insbesondere der Gerichte und der damit verbundenen Vollstreckungsorgane, gemacht werden sollen, so w i r d man an der Erscheinung des gesellschaftlich organisierten Zwanges schwerlich vorbeikommen. Dem Umstand, daß der Jurist gewissermaßen auf Schritt und T r i t t auf die Erscheinung des Zwanges stößt, ist es w o h l zuzuschreiben, daß auch fast alle Anhänger der Sollenstheorie sich veranlaßt sahen und sehen, dem Z w a n g i n ihren Systemen einen Platz einzuräumen, ohne freilich den inneren Widerspruch zu bemerken, der dadurch i n ihren Systemen entsteht. Ist man m i t uns der Meinung, daß der staatliche Zwang aus dem Bereich der üblicherweise als „rechtliche" qualifizierten Erscheinungen nicht wegzudenken ist, und folgt man uns weiter darin, daß Z w a n g und Sollen einander ausschließen 8 — ein Satz, dessen Richtigkeit für jeden, der etwas i n die Probleme der E t h i k eingedrungen ist, i m Grunde auf der Hand liegt — ; kann also das Recht n u r entweder Zwang oder (sittliches) Sollen sein, so dürfte die Entscheidung eigentlich nicht schwer fallen 9 . Der G r u n d dafür, daß die Sollenstheorie des Rechts dennoch vertreten w i r d , besteht außer i n dem bereits erwähnten I r r t u m über ihre systematische Vereinbarkeit m i t dem Rechtszwang vor allem w o h l darin, daß man die Zwangstheorie oder (als ihre Ausprägung i m Bereich der Straftheorien) die relative Theorie per se für unsittlich, unmoralisch hält. So heißt es ζ. B. noch i n der 9. Auflage des Lehrbuchs von Welzel 1 0 : „ A l l e Zweckmäßigkeitserwägungen können zwar die Strafe als nützlich oder zweckdienlich für einen vorausgesetzten Zweck erweisen, aber sie nicht als berechtigt legitimieren. Die Rechtfertigung des Zwecks allein reicht 7 Tatsächlich hat etwa A r t h u r Kaufmann (Recht und Sittlichkeit, S. 28) Laun gegenüber den V o r w u r f der Verfehlung des eigentlich Rechtlichen erhoben. Bezeichnenderweise sind aber die Bemühungen Kaufmanns — der i n grundsätzlicher Übereinstimmung m i t Laun die Sollenstheorie v e r t r i t t — u m die K l ä r u n g des Unterschieds zwischen Recht und Sittlichkeit ebenfalls ohne Erfolg geblieben. 8 Daß also eine „Zweispurigkeit" von Sollen und Zwang, Vergeltung und Maßnahme nicht möglich ist. 9 M a n mache sich n u r einmal bewußt, daß etwa für den praktischen Juristen so selbstverständlich zum Recht gehörende Erscheinungen wie die Zwangsvollstreckung i m Zivilrecht und die Maßnahmen der Sicherung und Besserung nach der Sollenstheorie nicht mehr dem Rechtsbegriff unterstehen. 10 S. 220 m i t Verweisung auf M. E. Mayer. 8*
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Zusammenfassung u n d Ausblick
dazu nicht aus, da nicht schon der Zweck als solcher das M i t t e l heiligt. A u f eine sittliche Rechtfertigung muß die Zweckbetrachtung ohnehin verzichten, da sie den Menschen nur als Mittel, nicht auch als Selbstzweck, d. h. als sittliche Person, einsetzt. Der Utilitarismus der Zwecktheorien löst das Strafrecht zwangsläufig von seiner ethischen Grundlage los." Derartige Äußerungen verlieren meist schon dadurch viel von ihrer Glaubwürdigkeit, daß ihre Urheber sich an anderer Stelle keineswegs vor Zweckmäßigkeitserwägungen scheuen: nämlich i m Bereich der „Maßnahmen". So heißt es etwa bei Welzel gleich i m Anschluß 11 : „Ist die Strafe nicht mehr Vergeltung für Schuld, so hört sie auf, sich von Schutzmaßnahmen gegen gefährliche Menschen wesensmäßig zu unterscheiden. Sie ist eine Zweckmaßnahme wie andere Zweckmaßnahmen des sozialen Schutzes (!)." Ist aber das Recht der „Schutzmaßnahmen" nicht auch „Recht"? Und handelt es sich hier nicht offensichtlich um staatlichen Zwang gegen Menschen, der seine Rechtfertigung doch nur i n einem bestimmten Zweck, nämlich dem Schutz der Gemeinschaft, finden kann? Wie kommt es aber, daß hier Zweckmäßigkeitserwägungen zulässig sind, dort dagegen nicht? So gesehen erscheint die angebliche Unmöglichkeit, die Strafe aus einem bestimmten Zweck zu rechtfertigen, eher als eine petitio principii. Tatsächlich liegt die Problematik der Zwangstheorie (relativen Theorie) in der Frage der sittlichen Begründung des Zwanges. Es ist auch zuzugeben, daß die Berufung auf den „Schutz der Gesellschaft" als eine sittliche Rechtfertigung — weil rein formal — nicht ausreicht: Danach wäre auch der zur Aufrechterhaltung einer Diktatur entfaltete brutale Terror sittlich gerechtfertigt. Aber es ist auch schon dem unreflektierten sittlichen Bewußtsein selbstverständlich, daß es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob der Rechtszwang zur Erhaltung eines totalitären „Unrechtsstaates" oder eines freiheitlichen „Rechtsstaates" dient. Die Problematik der Zwangstheorie dürfte sich also dahin zuspitzen, welche Gesellschaft den Schutz durch bestimmte staatliche Zwangsmaßnahmen verdient. Dies sind i n etwa die Aspekte, die sich aus der vorliegenden Untersuchung für die Frage der Richtigkeit der Sollens- oder der Zwangstheorie des Rechts ergeben. Eine gründliche Beantwortung dieser Frage setzt jedoch u. a. eine K r i t i k der Strafrechtstheorien und insbesondere eine ausführliche Untersuchung des Verhältnisses von Recht und Sittlichkeit voraus. Sie ist also i m Grunde nur i m Rahmen eines rechtsphilosophischen Gesamtsystems möglich. W i r wollen aus diesem Grunde u a.a.O., S. 220.
I I . Einige Bemerkungen zu den rechtsphilosophischen Prinzipien
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auch nicht, wie bereits gesagt, die Richtigkeit der Zwangstheorie (relativen Theorie) als ein Ergebnis dieser Arbeit in Anspruch nehmen. Das Ziel dieser Untersuchung bestand vielmehr nur darin, den Handlungsbegriff aus beiden rechtsphilosophischen Prinzipien, also sowohl nach der Sollenstheorie als auch nach der Zwangstheorie, zu entwickeln und damit gleichzeitig die allgemeine systematische Bedingtheit des strafrechtlichen Handlungsbegriffs aufzuzeigen. Insofern war das Ziel der Untersuchung i n erster Linie ein konstruktives. Hauptsächlich kritisch war die Absicht der Arbeit insofern, als w i r uns mit Hilfe der aufgedeckten Systemzusammenhänge, i n die der Handlungsbegriff eingebettet ist, um den Nachweis bemühten, daß eine Vereinigung der beiden Begriffe der „rechtswidrigen Handlung" als Ausprägungen gegensätzlicher Prinzipien nicht möglich ist, woraus sich dann bezüglich der Systematik der modernen Richtung des Schuldstrafrechts bestimmte negative Folgerungen ergaben. Damit aber, daß der Begriff der Handlung bzw. der rechtswidrigen Handlung gewissermaßen nichts anderes ist, als das Destillat einer bestimmten Straftheorie, und daß die beiden möglichen Straftheorien einander ausschließen, findet sich auch der „Dogmatiker" bei der Wahl des Handlungsbegriffs unausweichlich vor die rechtsphilosophische Problematik gestellt, welche die moderne Krise des Strafrechts ausmacht.
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