Der Begriff der Bekehrung im Lichte der heiligen Schrift, der Kirchengeschichte und der Forderungen des heutigen Lebens: Eine Untersuchung [Reprint 2019 ed.] 9783111599748, 9783111224671


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German Pages 128 Year 1903

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsüberischt
Leitsätze die dem vortrage zu Grunde lagen
Einleitung
I. Der biblische Stoff
II. Die hervorragenden kirchengeschichtlichen Beispiele
III. Das Problem der Bekehrung im Lichte der Forderungen der Gegenwart
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Der Begriff der Bekehrung im Lichte der heiligen Schrift, der Kirchengeschichte und der Forderungen des heutigen Lebens: Eine Untersuchung [Reprint 2019 ed.]
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Der Begriff der Bekehrung.

Der

Begriff der Bekehrung im Lichte der heiligen Schrift, der Lirchenge schichte und der Forderungen

des heutigen Lebens.

Eine Untersuchung von

Johannes Herzog Pfarrer.

Gießen 3. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmamr)

1903.

Druck von T. G. Röder in Leipzig.

Uorrrrort. Dieser Versuch, das Problem der Bekehrung zu beleuchten, macht weder auf Originalität, noch auf erschöpfende Vollständigkeit Anspruch. Das Absehen des Verfassers ist hauptsächlich darauf gerichtet, Klarheit in die Frage zu bringen, ob dieses Datum des inneren Lebens vor­ behältlich seiner mannigfachen individuellen Modifikationen und psycho­ logischen Vermittlungen eine solche innere Tatsache darstelle, welche nicht in diesen Vermittlungen und Entwicklungen restlos aufgeht, sondern den Einschlag der göttlichen Kraftwirkung bekundet. Daß nun die Zeugnisse der Schrift, die Bildergalerie der kirchengeschicht­ lichen Zeugen, die Forderungen der Gegenwart übereinstimmend auf die Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit dieses supranaturalen Koeffizienten Hinweisen, daß mit andern Worten die Bekehrung ein göttlich-mensch­ liches Geschehen sei, ist, kurz gesagt, das Ergebnis dieser Untersuchung. Es kommt überein mit der merkwürdigen Gleichung, die der Apostel Paulus vollzogen hat (Eph. 119.20) zwischen der Gottestat in Christus und der Gotteswirkung in den Gläubigen, und mit dem Paradoxon des tiefsinnigen Hamann: „Alle Wunder der heiligen Schrift ge­ schehen in unserer Seele." Der Inhalt dieses Aufsatzes kam nur teilweise zum Vortrag bei der am 5. Juni 1903 stattgefundenen Zusammenkunft der „Freunde der christlichen Welt aus Süddeutschland und der Schweiz" in Heppen­ heim a. B. Daß die an denselben sich anschließende Diskussion, was den bezeichneten Grundgedanken betrifft, mehr Zustimmung als Wider­ spruch ergab (es wurde nur betont, daß man weder den Begriff der Neuschöpfung, noch den der Entwicklung, also auch nicht die Alter­ native: Entwicklung oder Neuschöpfung? Überspannen dürfe), darf als ein erfreuliches Zeugnis davon begrüßt werden, daß im Gebiet des subjektiven, des persönlichen Christentums, genauer in dieser heiligsten, tiefsten Gewissens- und Lebensfrage die Kluft zwischen dem sogenannten

VI altgläubigen und dem modernen Standpunkt sich ohne weiteres Über­ drücken lasse, wofern nur beiderseits eine Voraussetzung zutrifft und in Kraft tritt, eine Voraussetzung, die für den ehrlichen Menschen selbstverständlich ist, der Respekt vor den Tatsachen, hier den Tatsachen des inneren Lebens. Wem die Zerriffenheit unserer theologischen Gegenwart, der oft nicht lediglich sachlich begründete, sondern leiden­ schaftlich verschärfte Streit der theologischen Lager auf der Seele brennt, der wird daraus die Hoffnung schöpfen, daß es noch einen Boden der Verständigung gibt, auf dem man sich von hüben und drüben die Hand reichen kann, nicht gegen, sondern mit und für einander kämpfen darf und muß, nämlich eben den Boden der sittlich­ religiösen Tatsachen, Nöte und Bedürfnisse, die nach der Offenbarung und Selbstmitteilung des lebendigen Gottes schreien. Recht besehen kann man sich doch einen religiösen und mittelbar dadurch auch einen wahren theologischen Fortschritt nur auf dem Wege von Joh. 7 17 denken, nicht auf dem des Intellektualismus, der zwar nicht ausschließlich, aber großenteils die Gegensätze der Standpunkte mit verschuldet oder verschärft hat. Was gerade das hier besprochene Problem betrifft, so wird man im Gebiet des Erkennens nie so weit kommen, den göttlichen und menschlichen Faktor, oder die Begriffe: Ent­ wicklung und Neuschöpfung völlig und reinlich gegeneinander abzu­ grenzen, auf dem Boden der Erfahrung aber stets auf das Be­ dürfnis sich angewiesen sehen, ja gestoßen fühlen, das Joh. 3 3.5 als Grundbedingung für den Eintritt ins Reich Gottes bezeichnet wird. An diesen Axiomen und Postulaten ändern unsere theologischen Richtungen und Standpunkte nichts. Vielmehr wird im Herzen jedes sittlich-strebenden und aufrichtig religiösen Menschen das Bekenntnis seinen Widerhall finden, das derselbe Hamann in den Gebetsworten zum Ausdruck bringt: „Großer Gott, unsre verderbte Natur, in welcher du Himmel und Erde hast vereinigen und zugleich erschaffen wollen, ist dem Chaos nur gar zu ähnlich, seiner Ungestalt, seiner Leere und Dunkelheit nach, welche die Tiefe vor unserem Auge bedeckt, welche dir allein bekannt ist. Mache diese wüste Erde durch den Geist deines Mundes, durch dein Wort, zu einem fruchtbaren Lande, zu einem Garten deiner Hand!" Gerlingen, im Juni 1903.

I>er Verfasser.

Irchattsüöerstcht. Leitsätze.......................................................................

Seite 1—7

Einleitung..................................................................

7—8

9—41

I. Der biblische Stoff........................................... 1. Die aus dem Alten Testament zu ent­ nehmendenGrundlinien..............................

(9—16)

Abraham 10. — David 11 f. — Hesekiels Bußpredigt 12 f. — Übersicht über die Formen 13 ff. — Das Problem etwas menschheitliches 15 f. 2. Das Neue Testament................................. (16—41) Johannes' Bußpredigt und ihre 3 Momente 16 ff. — Predigt und Wirksamkeit Jesu (gipfelt in Joh. 3«) 19 ff. Typen: 1. Jünger 22 ff. — 2. Sünder 24 ff. — 3. Gerechte und Fromme 28 ff. — 4. Totliegendes 31 f. — 5. Der reiche Jüngling 32 ff. — Paulus 35 ff. — Die eschatologische Spannung, in ihrer Tragweite nicht zu überschätzen 40 f.

II. Die kirchengeschichtlichen Beispiele . . . .

41—78

1. Augustin............................................................ (42—44)

2. Franz von Assisi............................................

(45—50)

3. Luther............................................................

(50)

4. Francke............................................................

(50—57)

5. Moser......................................................................... (57—66) 6. Wesley................................................................... (66—69) 7. Finney............................................................

(69—78)

vm ©eite

m. Das Problem der Bekehrung im Lichte der Forderungen der Gegenwart

78—120

Querschnitt durch die heutige Situation 78 ff.

1.

Die Notwendigkeit der Bekehrung

.

.

(81—87)

Einwände gegen dieselbe und ihre Beant­ wortung 81 ff. — Hülsmanns Lösung der Frage 83 f. — In welchem Sinne ist von allgemeiner Notwendigkeit der Bekehrung zu sprechen? 85 f. — Goethe und Carlyle 86 f. 2. Der Umfang des Begriffs Stufen seiner Verwirklichung und Vermitt­ lungen 87 f. — Die Gegensätze, die den Be­ griff konstituieren, nach Carlyle 89 ff. — Drei Linien in der Richtung auf die Bekehrung hin, die ethische, intellektuelle und die religiöse (Bei­ spiel Hamanns) 92 ff. 3.

Der Vollzug der Bekehrung . . . . Das göttliche agens 95 f. — Die Organe und Instrumente 96ff.: a) Tatzeugnis (die persönlichen Muster) 96 f. — b) Wortzeugnis 97 f. — c) Beweis 98. — d) Verschiedene Formen: Typus der Evan­ gelien und paulinischer Typus in ihrem Ver­ hältnis (vgl. Hülsmann) kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als auch 98 ff. — e) Ge­ sichtspunkte für die Praxis 103 ff.

4.

Die Möglichkeit und Durchführbarkeit der Bekehrung a) Ob allgemein zugänglich? (Herrmanns und Baumgartens Bedenken) 107 ff. b) Ob probehaltig? (110—114); Armesündertum und Perfektionismus 110 f. — Finneys und Ötingers Ansichten 111 ff.

c)

Blick auf die sozialen Zusammenhänge (114—119); der christliche Sozialismus und sein Rückzug 115 ff.: Carlyle und Ruskin Propheten einer neuen Zeit 118. — Forderung des Heroismus 118 f.

Schluß 119 f.

(87-95)

(95-107)

(107—119)

Leitsätze die dem vortrage zu Grunde lagen: I. Heilige Schrift. 1. Der Begriff der Bekehrung ist etwas allgemein Mensch­ liches, insofern das höhere sittliche Leben der Persönlichkeit gegen­

über dem natürlichen etwas wesentlich Neues bedeutet.

Indessen

begegnen uns außerhalb der Offenbarungsreligion der Bibel nur

wenige Andeutungen von dieser entscheidenden Krisis im Person­ leben.

In scharfer Ausprägung tritt sie erst hervor auf dem Boden

des Alten Testaments, weil hier durch die persönlich geartete Offenbarung des Bundesgottes und die Ethik des Gesetzes neue Bedingungen gegeben sind, um sowohl in religiöser, als ethischer Richtung den Menschen auf eine höhere Potenz zu erheben, wiewohl

auf dieser Stufe die Gottesgemeinschast und das Menschheitsideal

noch nicht zur vollen Reinheit, d. h. Freiheit von irdischen und partikularen Motiven gedeihen konnte. 2. Das ist geschehen auf der Sonnenhöhe der neutestament-

lichen Offenbarung Gottes durch Christum:

a) Hier ist die Bekehrung wesentlich gleichbedeutend mit Wieder­ geburt, und die Formel „Religion als Schöpfung" wird hier Er­

eignis. b) Daher kann man dem Neuen Testament,

besonders der

evangelischen Geschichte, die in ihren Grundzügen auch für spätere Zeiten geltenden Paradigmen für den Bekehrungsweg entnehmen.

Derselbe differenziert sich aber nach Maßgabe der gegebenen Vor­

bedingungen (b. h. äußeren und inneren Verfassungen), von denen Herzog

Begriff der Bekehrung.

1

2 sich das neue Leben ablöst und abhebt, so bedeutend, daß eine

Schablonisierung ausgeschlossen ist. fikationen

„Sünder",

bieten

die

Typische Formen und Modi­

Jünger (Johannes

die Tugendhaften

und

und

Religiösen.

dann —

Jesu),

die

Mischformen.

Totliegendes. c) Als ein Hauptmerkmal der Belehrung im christlichen Sinne

ergibt sich aus allen diesen Typen: nicht Entwicklung, sondern Neu­

schöpfung ist die Formel, nach der sie verläuft; in der Statik und

Dynamik des geisüichen Lebens ist der göttliche Exponent die maß­ gebende Größe (Matth. 19 r«).

d) Dasselbe beweist der Typus Saulus-Paulus, der bei Aus­

merzung des ttanszendenten Faktors eine völlig imaginäre Figur

würde. Die besondere Bedeutung, die bleibende sittlich-religiöse Er­ rungenschaft seines Bekehrungslaufs besteht im übrigen in der Über­ windung des Moralismus durch die Kraft des Pneuma.

Diesen

Erwerb hat der theologische Intellektualismus beeinttächtigt durch die Zurückstellung des „Mannes in Christo" hinter sein System.

II. Kircheugeschichte. 3. Augustins Bekehrung vollzieht sich auf zwei Linien oder successiv in zwei Schritten. Vom Gesichtspuntte des Erkenntnisstrebens aus ist sie der Übertritt aus religiösen Wahnvorstellungen in die Wahrheit. Von dem der Charatterentwicklung aus ist sie die Überwindung des selbstischen und die Befreiung des gebundenen Willens durch die Erfassung des höchsten Gutes.

wurden nach einander bekehrt.

Kopf und Herz

Seine Schranken zog er nicht sich

selber, sondern sie wurden ihm gezogen durch die vis major der offiziellen Kirche.

4. Franz von Assisi ist mit seiner Bekehrung (und der

Praxis der Nachfolge Christi) dem Urbild des Jüngers Jesu im Sinne des Evangeliums in der ganzen Geschichte der Kirche am

nächsten gekommen.

flexion.

Er war ein Mann der Tat, nicht der Re­

Er wäre imstande gewesen, das römisch-katholische System

3 aus den Angeln zu heben, wenn ihm nicht eine doppelte Schranke angehastet hätte; erstens dachte er die evangelischen Gedanken nicht

konsequent durch, und zweitens hat sich seine reine Demut vor Gott, dem Absoluten, unvermertt in die Unterwürfigkeit vor der relattven

kirchlichen Autorität umgebogen. Daher hat in ihm „der Heilige über den Reformator gesiegt", und so ist er selbst der persönliche Beweis dafür geworden, daß für eine völlige Bekehrung zu Gott im System des Katholizismus kein Raum ist. 5. Luthers Werk hat in beiden Beziehungen diese Lücken ausgesüllt. Daher hat er mit seiner Bekehrung die Höhe der

Gotteskindschaft und der Freiheit eines Christenmenschen erklommen und das Christentum im Sinne des Evangeliums erneuert, aber, wohlgemertt, zunächst auf der Stufe und in der Form des Pauli­ nismus, wie denn auch die folgenden Beispiele von Bekehrung nach

der Formel des paulinischen Evangeliums verlaufen.

Im Zu­

sammenhang damit steht, daß der Intellektualismus der Doppel­ gänger des Evangeliums geworden ist. 6. August Hermann Franckes religiös-sittliche Entwicklung hat typische Bedeutung nach drei Richtungen. Erstens wird ihm die Überwindung des Kopfglaubens durch die persönliche Erfahrung des Evangeliums, ferner die Überwindung des Relativismus durch

den Dienst des lebendigen Gottes offenbar, und endlich hat man

an ihm ein brauchbares Paradigma für „die Bekehrung der Pa­ storen". 7. Johann Jakob Mosers Bekehrung bedeutet den Über­

tritt aus dem Jndifferenttsmus in den bewußten Glauben und in das Leben eines Bekenners durch Wort und Tat.

Bedeutsam ist

diese Entwicklung besonders, weil sie in der der Religion eigentüm­

lichen Interessensphäre, im Gebiet der sittlichen Urteilskraft (des allgemeinen Wahrheitsgefühls) nach Joh. 7 u entsprang und ver­ lief, weil sie in der Übung des plastischen Christentums in alle Lebensgebiete gleichmäßig sich ergoß, und weil sie dabei bis in den

innersten Mittelpunkt des Heilsglaubens und der Heilsgewißheit vordrang.

Dadurch hat Moser sowohl die Enge des landläufigen

4 Pietismus gesprengt, als die Flachheit des Rationalismus über­

wunden.

Wenn bei irgendwem, so kann man bei ihm von einem

christlichen Normalmenschen reden.

8. John Wesleys Entwicklung ist orientiert an der Frage nach der individuellen Seligkeitsgewißheit, und seine Bekehrung be­ deutet den Schritt aus dem gesetzlichen Zustande in den Heilsbesitz,

die Wertung und Betonung des subjekttven Fattors in der Heils­ aneignung, wodurch der Weg zum neuen Leben eine eminent prak­ tische Angelegenheit wird; ein Sprung aus dem toten Geleise des

Intellektualismus in die Empirie der Gnadenerfahrung.

Insofern

nun der Methodismus -ls. System diese Spur weiter ausbaut und

den Menschen sozusagen experimentell sein Heil, d. h. den Empfang der Gnade, in seine Hand nehmen lehrt, begibt er sich auf die schmale Grenzlinie zwischen Natur und Kunst, zwischen objekttver

Geisteswirkung und subjettiver menschlicher Mache im inneren Leben;

ein Wagnis, dessen Gefahren für seine Gesundheit fast unüberwind­ lich sind. 9.

Die eigenartige Bekehrung und die darauf fußende Wirk­

samkeit des amerikanischen Evangelisten Finney hat chre bedeut­ samen Züge darin, daß an ihr besonders deutlich wird, wie die intellektualisttsch bestimmte Verkündigung des Evangeliums den Weg

zu Gott ihm erschwert, d. h. umständlich gemacht hat.

Nach

Durchbrechung dieser Schranke verwirklicht er eine Innigkeit und

Energie des Verkehrs mit Gott, der Gemeinschaft und des Wirkens mit Gott, die in der modernen Kirchengeschichte einzig dasteht.

Schließlich hat er die Tragkraft und Tragweite des Bekehrungs­

ereignisses geprüft und dadurch den Anstoß zu der modernen Heili­ gungsbewegung gegeben.

HI. Gegenwart. 10.

Die Notwendigkeit des Bekehrungsvorgangs im all­

gemeinen ist unter dem Vorbehalt der (seltenen) Möglichkeit einer

geradlinigen Entwicklung unter Abweisung jeder Schablonisierung

umsomehr festzuhalten, als das Bedürfnis darnach, ob bewußt oder

5 unbewußt, schon auf der Stufe der ethischen Entwicklung der Men­ schen in den Zeugnissen der tiefsten Denker seinen Widerhall findet

(Goethe, Carlyle). 11.

Deshalb ist für die Fassung des Umfangs dieses Be­

griffs eine größere Weitherzigkeit zu fordern, als der fromme Sprach­ gebrauch zumeist übt.

Und nicht Verschwommenheit, sondern Klar­

heit wird in den Begriff gebracht, wenn man sowohl verschiedene Stufen, als verschiedene Linien in der Richtung auf das Ziel des

Bekehrungsstandes unterscheidet. Gibt es in jener Beziehung eine weite Stufenfolge zwischen

dem Höhepunkte Eph. 413, Kor. 21» (Mannesalter Christi) und

der Minimalforderung, daß Pflicht und Gewissen, Wahrheit und

Gerechtigkeit im inneren Haushalte des Menschen den Primat er­ rungen haben, so lassen sich in dieser Beziehung verschiedene Linien

unterscheiden, die demselben Ziel zustreben: die allgemein ethische, die intellektuelle, die im engeren Sinn religiöse oder sittlich-religiöse

Linie der Lebensläufe in aufsteigender Linie". 12. Für den Vollzug der Bekehrung kommen, wenn er sach­ entsprechend beurteilt werden soll, in Bettacht:

a) die Anerkennung und Wertung des göttlichen agens, das in das Geistesleben des Menschen eingreift;

b) die Mannigfaltigkeit der Form und des Instruments,

deren sich die göttliche Kraft bedient, um dem Menschen sich mit­

zuteilen; c) die Modifikationen des Vorgangs der Bekehrung nach Maßgabe der gegebenen individuellen und sozialen Vorbedingungen

(Charakter und Milieu).

(Zu a.)

Dem religiösen Menschen ist die Tatsache der gött­

seiner Bekehrung;

diesem

subjektiven Tatbestand entspricht der objekttve Sachverhalt.

Ohne

lichen

Wirkung

der

tragende

Grund

göttliche Offenbarung und Kraftmitteilung,

als

bloß

subjekttves

Phänomen, kommt sie nicht zustande, geschweige daß sie Bestand hätte (vgl. die biblischen und kirchengeschichtlichen Beispiele nach­ einander).

6 (Zu b.)

Instrumente der Bekehrung können die Verkündig­

ung und die persönlichen Beispiele (Muster) oder Beides zusammen

sein. Die Formen der ersteren sind mannigfaltig: überwiegt in der herkömmlichen Verkündigung der paulinische Typus, der sich um

das Kreuz und die Erlösung, um die Grundbegriffe Sünde und

Gnade krystallisiert, so machte sich heutzutage, zumal enffprechend

der Grundstimmung unserer Gegenwart, in welcher der Hunger nach Leben energischer pulsiert als das Gefühl der Schuld, die Hin­ lenkung zum Typus der evangelischen Geschichte geltend.

Ein aut-

aut dabei festzustellen, ist falsch, es gilt ein Sowohl-Alsauch.

(Zu c.) Die verschiedenen Vorbedingungen erfordern Individu­ alisierung in der Beurteilung und Behandlung des Bekehrungs­

vorganges (die Gegensätze: Indifferente und Religiös-Interessierte, Tugendhelden und Sünder, Skeptiker und Selbstgewisse, wollen be­ achtet sein).

Die Möglichkeit, d. h. Durchführbarkeit einer völligen

13.

Bekehrung, sollte nicht zur Debatte stehen.

Denn wie mit ihrer

Notwendigkeit, so noch mehr mit ihrer Möglichkeit stellt das Christen­ tum, genauer

das Evangelium, sozusagen

die Kabincttfrage. —

Wohl aber fordert die Wahrheit der Sache, in Bezug auf die

Möglichkeit der Bekehrung über gewisse Antinomieen sich klar zu werden: a)

Die auf dem sittlich - religiösen Gebiet der individuellen

Entwicklung sich ergebende Antinomie zwischen der Grundlegung

und dem Aufbau des neuen Lebens, welche die Tragkraft des Bekehrungsereignisses in Frage stellt. b)

Die Antinomie zwischen der Verantwortung des Indi­

viduums und den sozialen und wirffchastlichen Zusammenhängen,

in denen sich die Sünde zu objektiven Größen verdichtet und ver­ härtet hat.

Beide legen Zeugnis ab von einem auch

unsere christliche

Gegenwart drückenden Relativismus, der seinerseits die von gewich­ tigen Stimmen bellagte Glaubens- (d. h. zugleich Vernunft- und

Willens-) Schwäche unseres Geschlechts bekundet.

7 Zur Lösung der ersten Antinomie bringt einerseits die heutige Heiligungsbewegung ihren Beitrag, sofern sie Joh. 15 > ff. betont,

andrerseits kommt es „auf tägliche Auflösung des größten Rüffels, das Jeder in sich selbst trägt" (Oetinger) an.

Nicht unrichtig ist

die Formel Finneys: der Christ, dessen Bekehrung eine richtige sein

soll, darf und kann nicht mehr in einer bewußten Sünde leben. Zur Lösung

der zweiten Antinomie dient die Erkenntnis

und die Erfüllung der Christenpflicht, die den Einzelnen nicht nur zur Rettung seiner Seele und zur Pflege seines persönlichen Lebens, sondern zur ernsten Mitwirkung an der sozialen Arbeit in ihren verschiedenen Zweigen aufruft.

Mosern

aber

in

dieser oder jener Beziehung noch Lücken

bleiben und eine Kluft gähnt, fühlt sich je und je wieder ein Marcus

Curttus gedrungen, um der Wahrheit und des Absoluten willen die Selbstaufopferung bis zum Ende zu vollziehen und sich in die

Kluft hineinzustürzen, damit sie sich schließe.

Denn „die Wahrheit

fordert ihre Kämpen und Märtyrer, und die Feuerprobe der Ver­ folgung hört niemals auf" (Emerson).

Einleitung. Auf der ersten Eisenacher Konferenz (vom 26.—28. Mai 1902), welche

„eine Verständigung zwischen

der

Gemeinschaftsbewegung

und der Kirche, einschließlich ihrer theologischen Schulen und Lehrer, über die grundlegenden Fragen der christlichen Lehre und Ver­ kündigung" erstreben will, hat das Thema: „Die Notwendigkeit der

Bekehrung" den Gegenstand einer ernsten und eingehenden Dis­ kussion gebildet.

Mit vollem Rechte.

Denn es leuchtet ein, daß

an einer deutlichen, die Sache im Kernpunkte treffenden Erfassung

dieses Geheimnisses des subjekttven Christentums, das so recht die

Mitte desselben bildet, so gut wie alles liegt, wenn es zu einer

zielbewußten Predigt, einer gesunden Evangelisatton, einer folge-

8 richtigen Seelsorge und einem brauchbaren Unterricht im Christen­ Da hat sich nun freilich die Tatsache heraus­

tum kommen soll.

gestellt, daß über diesen zentralen Begriff unter den enffchiedensten

Vertretern eines lebendigen, bekennenden und tätigen Christentums weder Einhelligkeit noch volle Klarheit zu erzielen war.

Der Begriff der Bekehrung ist in einer Zeit regen Suchens und Schaffens auf dem Gebiete des inneren Lebens wie des prak­

tischen

Christentums

Interesses getreten.

begreiflicherweise

in

den

Vordergrund

des

Das Prädikat „bekehrt" und „unbekehrt" ist

unvermerkt zu einem Schibboleth geworden, mit dem man operiert als mit einem exakten Begriff, der eine unzweideutige Sache be­

zeichnen soll.

So voreilig und unvorsichtig das oft geschieht, so

gewiß verbirgt sich hinter dieser fragwürdigen Observanz die richtige Ahnung, daß es sich hierbei nicht um eine Hypothese, sondern eine

Hypostase, nicht um einen bloßen Gesichtspunkt, sondern um einen Tatbestand des inneren Lebens handeln könne.

Darum suchte man

auf jener Versammlung diesem wichtigen Datum in der Weise auf die Spur zu kommen, daß man nach der Notwendigkeit des

Faktums fragte.

Es stellte sich aber, wie gesagt, bald heraus, daß

der Begriff und das Wesen der Bekehrung selbst noch kontro­

vers sei und zur Klarheit erst herausgearbeitet werden müsse: eine

Aufgabe, die selbstverständlich im Rahmen eines, wenn auch viel­

seitigen und von reicher Erfahrung befruchteten Gedankenaustausches nicht zum Austrag gebracht werden konnte. Es wird sich daher lohnen, den Versuch zu machen, durch biblische Begründung

und

mit

Hilfe

des

reichen Anschauungs­

materials, das die Kirchengeschichte in ihren „Zeugen der chrisllichen Wahrheit" darbietet, die Grundzüge des Begriffs festzustellen und aus der Fülle der Typen und Paradigmen die gemeinsamen und

einheitlichen Hauptmerkmale herauszufinden, um für die Forderungen

der Gegenwart, so vielgestaltig und verwickelt sie sein mögen, eine solide Grundlage und richtige Norm zu gewinnen, auf der und

nach der die Verkündigung des Evangeliums zu operieren hat.

9 I.

Der biblische Stoff. 1. Daß man schon aus dem Alten Testament gewisse Grund­

linien für den Begriff der Bekehrung entnehmen kann, dafür bürgt außer einzelnen charakteristischen Lebensführungen und Bildern das gewichtige

Wort

des

großen

Evangelisten

des

Alten

Bundes:

„Wendet euch zu mir und lasset euch erretten, all' ihr Enden der

Erden!

Denn ich bin Gott, und keiner sonst" (Jes. 45 22).

Die

persönlich geartete Offenbarung des Bundesgottes bringt das schon mit sich.

Der Zielpunkt der Bekehrung ist der lebendige Gott,

sie selbst ist nichts anderes als die Wendung zu ihm hin, und

setzt als Ausgangspunkt voraus den Zustand der Gottesferne, des im Kreise des Kreatürlichen sich verlierenden, und daher ver­ derbenden Menschendaseins und -Lebens, das teils im Götterdienste

seinen religiösen, bez. irreligiösen Stempel sich selbst aufprägt, teils

im sittlichen Verderben, in der Verwüstung des persönlichen Lebens sich kundgibt

und

richtet.

Daher hat

es nicht nur religions­

geschichtliches oder alttestamentlich-theologisches

Interesse, sondern

einen bleibenden ethisch-religiösen Wert, den mannigfach differen­

zierten Gestaltungen nachzugehen, in welchen sich dieses an sich einheitliche Gesetz der religiösen Entwicklung ausgeprägt hat.

Bald

handelt es sich um eine ausgesprochene Krisis, die einen spürbaren

Einschnitt in der Geschichte der Persönlichkeit ausmacht, bald um

ein andauerndes Ringen entgegengesetzter Potenzen um die Herr­ schaft und eine daherrührende Zickzackbewegung in der Entfaltung

des religiösen Charakters, bald um eine Konversion, die soviel ist als der Übertritt von einer Religion in die andere, bald um ein Hineinwachsen in den schon ererbten, aber persönlich noch nicht er­ griffenen Wahrheitsbesitz.

Mag der Boden, d. h. die geistige Höhen­

lage, auf welcher sich diese Prozesse des inneren Lebens vollzogen, am Ideal des sittlich-religiösen Lebens gemessen, noch eine niedere Stufe bezeichnen, gewiß ist doch, daß die israelitische Religions-

10 geschichte sich soweit über das Mllieu des allgemeinen Völkertums

und seiner Religionen erhebt, als die Morgenröte des anbrechenden Tages

über

das Düster

der

auch

ob

sternbeschienenen

Nacht.

Darum gewinnt das Problem, mit dem wir uns beschäftigen, und das man ja wohl als ein allgemein menschheitliches fassen darf (vgl. darüber weiter unten), auf der Stufe der alttestament-

Sittlichkeit

lichen

und

Frömmigkeit

schon

fester

umrissene

und

klarer beleuchtete Konturen.

Dem ersten Schimmer des Morgenrots vergleichbar tritt vor das Auge des Beobachters die Gestalt

des Abraham,

dessen

Auszug aus seinem Lande, seiner Verwandtschaft und seines Vaters Hause" nichts anderes bedeutet, als die Herstellung der Beziehung zum lebendigen Gotte, welche ihm in der götzendienerischen Um­ gebung unmöglich war.

Da sehen wir die bedeutsame Wendung,

die in der Entwicklung der Persönlichkeit einen Einschnitt ohne

gleichen bildet, und von diesem Wendepunkt an einen neuen Lebens­ inhalt, der sich von dem in einem bloßen Kreislauf des Werdens

und Vergehens bewegenden, rein natürlich besttmmten Dasein der Umgebung

in

spezifischer

Weise

abhebt.

Alle

bemerkenswerten

Charatterzüge seines Bildes gruppieren sich um diese feste Mitte als Krystallisationspuntt herum, so sehr, daß die einzelnen tiefen

Schatten, die seine Verirrungen darauf werfen, das Gesamtgepräge zwar trüben, aber nicht verwischen können: er und seinesgleichen „standen über ihrer Zeit und waren nicht von der Welt: Sie waren

Fremdlinge und Pilgrime auf Erden" (Robertson), ebendarum, weil sie einen höheren Lebensinhalt gewonnen hatten.

Mochte er auf

ihrer Stufe noch der Bestimmtheit und der Reinheit ermangeln,

gewiß

ist, daß er von sittlich-religiöser Natur war.

Aber, wir

dürfen dabei eines nicht außer acht lassen: wenn wir auch das stets ein Geheimnis bleibende Verhältnis des göttlichen und des menschlichen Faktors in den inneren Vorgängen, die eine solche

ttefgreifende Wendung teils konstituieren, teils begleiten, nicht weiter

zu verfolgen haben, so ist doch von vornherein festzuhalten, daß das Moment der Offenbarung — wie man sie sich auch ver-

11 mittelt denken möge — als fester und unentbehrlicher Stützpunkt der inneren Auseinandersetzungen und Entscheidungen vorauszusetzen

ist.

Denn „der Glaube ist ein Erleben Gottes".

Dies tritt be­

sonders hervor in der Geschichte des Mannes, der durch eine ähn­ liche Krisis hindurch gegangen ist, wie Abraham, und der durch diese seinen Beruf fand, der Begründer einer durch die Beziehung

auf den

lebendigen Gott bestimmten

Volksgemeinde zu werden;

Moses ist das zweite typische Beispiel einer solchen persönlichen

Entwicklung, in welcher sich ein Mensch von irdischen, weltlichen

und natürlich-selbstischen Trieben und Zwecken entschlossen

abge­

wendet und zum Gefäß für einen höheren, ewigen Lebensinhalt

hergegeben hat.

Die Beispiele ließen sich vermehren; Hebr. 11 ist

die Ahnentafel der Glaubcnsmänner, der Gottesmenschen, ausge­

zeichnet. Anders gestaltet sich die religiös-sittliche Entwicklungsgeschichte der israelitischen Persönlichkeit auf dem Boden der schon bestehenden Bolksreligion.

Hier gilt es nicht ein Neues zu finden, zu entdecken,

sondern in das Ererbte hinein zu wachsen, es innerlich zu erwerben, um es zu besitzen.

Da fehlt zumeist der Zug des Heroischen, der

Originalität, und doch ist im Grunde die gestellte Aufgabe eine ebenso große, wenn nicht schwierigere.

Der Ausgangs-, Wende- und

Zielpunkt des Gesamtvorgangs ist ein anderer.

Sowohl-Alsauch,

ein

Halbundhalb,

eine

Ist der erste ein

Mischung

von

reli­

giösen Trieben und Verantwortlichkeitsgefühl mit der selbstischen, ungebrochenen Naturbasis, so zersplittert sich die entscheidende Wende

zumeist in eine Reihe von Anstößen, zuweilen von Zickzackbewegungen im Kampfe der widerstreitenden Mottve, und auch der schließlich

krönende oder wenigstens versöhnende Abschluß läßt vielfach die Völligkeit und Klarheit des gereiften Charakters, den Eindruck des

Mannes aus einem Guß vermissen.

Das bezeichnendste Beispiel

ist die Gestalt Davids, des Königs von Gottes Gnaden, dessen Ehrenschild doch mit tiefen Flecken getrübt bleibt, weil der Wende­ punkt in seinem Leben der tiefe Fall und die schwere Buße, die die Ehebruchsgeschichte ihm eintrug, werden sollte, zum ewigen Be-

12 weis dafür, daß die Formel vom „Segen der Sünde" zwar der Erfahrung, aber nimmer dem Ideal des Menschen und seiner gott­ gewollten Bestimmung entspricht.

Aber es wäre ungerecht, wenn man in Abrede ziehen wollte,

daß im Schoße der alttestamentlichen Frömmigkeit nicht auch die

Form eines normaleren, völligeren und reineren Hineinwachsens in ein göttliches Leben, „den Wandel mit (Sott" (Gen. 5 24) ganz deut­ lich nachzuweisen sei.

Die Tiefe der Selbsterkenntnis, das Gefühl

der Gottesnähe, die Empfindung der Allgegenwart und Allwissen­ heit, die aus dem 139. Psalm spricht, noch mehr das Durchdringen zur Erfassung des höchsten Gutes, die ungeteilte Hingabe an Gott

in Lieben und Leiden, Hoffen und Verttauen, von der Ps. 73 Zeugnis gibt, stellte eine Höhenlage der Bekehrung zum lebendigen

Gott dar, die kaum überboten werden kann.

Aber es kann auch

nicht geleugnet werden, daß hier der alttestamentliche Geist sich selbst übertrifft, oder besser gesagt, der heilige Geist schlechthin, der

den Menschengeist mit seinem elektrischen Schlage berührt hat, den letzteren, ob auch nur auf Momente, von allen anhaftenden Schlacken, dem „Erdenrest, zu tragen peinlich", gelöst hat. Überwiegend bleibt

auch bei dem Frömmsten und Gottesfürchtigsten die Richtung auf Gott an parttkulare Mottve, oder an gesetzliche Maßstäbe gebunden. Das tritt besonders hervor in der so lehrreichen Ethik des

Seelsorgers unter den Propheten, des Hesekiel, der die Bekehrungs­

predigt in fast technisch besttmmbarem Sinne übt.

Zwei Merkmale

sind für sie bezeichnend, die in einer gewissen Spannung zu stehen scheinen: Einerseits tritt ein gewalttger Fortschritt darin zu Tage,

daß er die persönliche Verantwottung des Individuums zur vollen

Klarheit herausgearbeitet hat.

Auf dieser Grundlage bekommt erst

der Begriff der Bekehrung für den Menschen als solcher und für

jeden Menschen als Einzelnen (also auch nicht nur für die hervor­

ragenden Spitzen der Menschheit, die Offenbarungsttäger, Bahn­ brecher, Helden und Heroen) seinen Gehalt und seine Gestalt, seine

Norm und seinen Maßstab.

Es ist nicht recht begreiflich, wie in

dem Kommentar zu Hesekiel von Bertholet (S. 21) eine „Atomistik

13

Les sittlichen Individuums" aus dem Grunde bei ihm entdeckt werden will, weil „Gerechtigkeit für ihn nicht ein einheitliches Lebenswerk,

sondern die Summe einzelner Handlungen" sei.

Nein, umgekehrt

ist das die göttliche Tat des Propheten, daß er mit der Forderung

Der Bekehrung der menschlichen Charakterentwicklung ihr Rückgrat gewahrt und

den

unreifen,

noch

oberflächlichen Sophisten und

Schwätzern im Volk (diese sind die „Atomisten") cap. 18 so oppV. 25. 29; cfr. auch 33 ro u. a. die Konsequenz der Sache mög­

lichst klar gemacht hat.

Aber andererseits ist nicht zu leugnen, daß,

wie es denn nicht anders sein konnte, der angelegte Maßstab die

Werke des Gesetzes sind, an welchen „das Wesen", d. h. die Grund­ richtung, die Gesinnung des Menschen zur Erscheinung kommt. Schon dieser kurze Überblick über die Fingerzeige, welche das

Alte Testament für die Frage nach der Bekehrung aufweist, läßt die Mannigfaltigkeit der Linien erkennen, in welchen dieser wichtige Vorgang verlaufen kann.

inhaltlich

Es treten einerseits formell, andererseits

betrachtet, je zwei wesentlich unterschiedene Paare von

Formen hervor. Formell betrachtet der Unterschied der scharf umrissenen Wendung, des Übertritts in ein neues Sein, von der anderen Art der allmählichen Auseinandersetzung und Schlichtung

kämpfender Potenzen durch den Sieg der einen, nämlich der gött­

lichen, materiell betrachtet der Unterschied der spezifisch religiös­ bestimmten, daher auch von dem Pathos des Persönlichen ge­

tragenen und durchglühten Bekehrung zum lebendigen Gott, der Herstellung des lebendigen Gottesverhältnisses, von der ethisch­

bestimmten Veränderung der Lebensrichtung, des Lebenskurses,

für welche das Gesetz Gottes sachlich maßgebend ist. Daß der letztere

Unterschied im prattischen Leben kein absoluter, sondern ein fließen­ der ist, das liegt in der Natur der Sache; daß er aber auch keine

bloße Abstraktton ist, sondern in der Tat verschiedene Typen von

Bekehrungen kennzeichnet, das beweisen die Erfahrungen ganz deut­ lich, welche sich auf dem Gebiete des christlichen und kirchlichen Volkslebens — das ja doch dem der alttestamentlichen Volksge­

meinde mehr gleicht, als der Urchristenheit — heutzutage wieder-

14 holen.

Und noch ein dritter Unterschied, formell und materiell

zugleich, tritt schon im Alten Testament bei den hervorragenden religiösen Entwicklungen hervor: es ist ein anderes, ob der Um­

schwung sich vollzieht innerhalb des gegebenen Lebenskreises durch

die Reinigung, Erneuerung und Umschmelzung der Ziele

und Zwecke, Gefühle und Triebe, wie z. B. bei einem Jakob, der

in und nach der Kampfesnacht zum Israel wird, die falschen, un­ reinen Motive der Gottesfurcht und Gottesgemeinschast opfert und

so seinen Wandel prinzipiell ändctt, und ein anderes ists, wenn der Mensch zugleich einen neuen Lebensinhalt gewinnt, einen

neuen Lebenslauf bekommt und erwählt, wie Moses.

Und wenn

es begreiflich ist, daß zumeist die in letzterem Sinne verlaufenden

Typen den Eindruck eines größeren Schwungs, eines großen Wurfes und geschlossenen Ganzen erwecken, so darf das uns das Auge nicht gegen die Tatsache verschließen, daß sowohl die innerlich auf­

gewendete Arbeit um die Umschmelzung des gegebenen Lebensinhalts

im religiös-ethischen Sinne eine mindestens ebenso große, als auch

diese sozusagen bescheidenere Form der Bekehrung das allgemeinere Paradigma ist, dessen Benützung und Befolgung den Bekehrungs­ gedanken für die Gemeinde im Großen und das Einzelleben wirk­ lich fruchtbar macht.

Hiervon gilt das schöne Wott Emersons

(„Geistige Gesetze", Essays in, Hendelsche Ausg. S. 78): „Wirk­ liche Tätigkeit liegt in stillen Augenblicken.

Die Epochen unseres

Lebens bestehen nicht in den sichtbaren Handlungen unserer Berufs­

wahl, unserer Heirat, unseres erworbenen Amtes und dergleichen,

sondern in einem stummen Gedanken, wenn wir am Wegesrand schreiten; in einem Gedanken, der unsere ganze Lebensweise prüfend durchgeht und sagt: so hast du getan, doch besser wäre es so. Und alle unsere späteren Jahre dienen und warten, gleich Knechten,

dieses Gedankens und führen seinen Willen nach ihren Kräften aus.

Diese Nachprüfung oder Korrettur ist eine ständige Macht, die als Richtschnur durch unser ganzes Leben reicht.

Der endliche Zweck

des Menschen, das Ziel dieser Augenblicke ist es, daß das Tages­ licht ihn durchleuchte, daß er sich ohne Widerstand vom Rechten

15 ganz durchdringen lasse, sodaß jede Seite seines Tuns, wohin dein Blick auch reiche, ein wahres Bild seines Wesens gebe".

Die angeführten Worte beweisen zugleich, was wir anhangs­ weise zu dem Überblicke über die alttestamentlichen Fingerzeige zu unserer Frage nicht übergehen dürfen, daß dieselbe in ihrer Grund­ form eine allgemein menschhcitliche ist, eine Frage, die an

jede Brust klopft, darin ein zum Bewußtsein der Verantwortlichkeit gegen das moralische Gesetz gekommenes Herz schlägt, und wie not­

wendig es ist, — was leider oft von frommer, gläubiger Seite teils nicht verstanden, teils nicht anerkannt wird — dieser in die Wurzeln unseres Daseins und unserer Bestimmung hinabreichenden umfassen­

den Zusammenhänge des Bekehrungsgedankens bewußt und klar zu werden, wie zu bleiben. Etwas dem menschlichen Dasein eingestiftetes ist das Sittengesetz, denn „einen moralischen Strom hat Gott unserem

Blute gegeben", und wenn unsere Bestimmung auf ein höheres sitt­

liches Personleben geht, so gilt hier die Tatsache: „daß das höhere sittliche Personleben im Verhältnis zum natürlichen etwas wahrhaft

neues sei, mithin auch nicht auf dem Wege allmählicher Entwicklung aus dem natürlichen hervorgehe, sondern durch einen Neuanfang, Umschwung, Bruch, das bezeugen in den verschiedensten Zungen

religiöse Mysterien, Sprüche der Weisen, Gestalten der Dichter" (Häring, „Das christliche Leben").

Man muß sich das gcgenwärttg

halten, nicht nur um weitherzig zu bleiben in der Beurteilung und Bestimmung dessen, was man Bekehrung heißt, sondern zum Ver­

ständnis der Sache selbst, damit man begreife, wie es sich bei ihr um einen auf verschiedenen Stufen und Höhenlagen der Be­

ziehung zu Gott, dem Inbegriff aller Wahrheit, Güte und Schön­ heit, doch verwandten, ja prinzipiell identtschen Vorgang handelt.

Ein Beispiel aus dem klassischen Heidentum ist bezeichnend genug:

Timoleon war stets ein edler Geist gewesen, der sttebend sich bemühte, aber im schweren Widerstteit von Bruder- und Vaterlands­ liebe hatte er in den Brudermord gewilligt und sein Gemüt drohte,

von den Erinnyen verfolgt, in die Nacht des Trübsinns zu versinken. Da hat ihn der neu an ihn ergangene Ruf in den Dienst des

16 Vaterlands herausgerissen, weil er seinem Leben einen neuen zweckund

wettvollen Inhalt

zu

versprach.

verleihen

Die

aufwärts

führende Bahn war betreten und wurde nie wieder verlassen.

Er

hatte sein besseres Selbst wieder gefunden. — Und weiter: was ist die Fabel von Herkules am Scheidewege, von Ödipus' Schuld und Sühne anders als eine in Hieroglyphenschrist gegebene Deutung der menschlichen Bestimmung, wonach der Mensch über die rein

natürlichen und sinnlichen, selbstischen Triebe hinauswachsen und, wie in Selbstbeherrschung die niedere Natur unter sich zwingen, so

im Dienst der Menschheit, bezw.

des Vaterlands seinen Beitrag

für den gemeinen Nutzen leisten muß.

Das ist ja wenig, der Maß­

stab des Guten, der dabei an Pflicht und Gewissen angelegt ist, noch gering und teilweise ungeklärt, aber es sind Schritte in der wahren Richtung, in der Aufwärtsbewegung, die den Menschen über sich selbst emporführt.

Die Sonnenhöhe des Ziels und Zwecks, wonach das Menschen­ leben orientiert sein soll und kann, tritt uns auf der Stufe der

neutestamentlichen Offenbarung entgegen. 2. Das Neue Testament trägt gleich über seiner Pforte die Inschrift: „Ändert euren Sinn, d. h. bekehret euch, denn das Himmelreich ist herbeigekommen".

Der Gesichtspunft dieses höchsten

Gutes, dessen Besitz den Einzelnen zum Menschen Gottes, die Ge­

samtheit zur Familie Gottes macht, das die höchste Gabe und Auf­

gabe für die Menschheit bedeutet, beherrscht den ganzen Horizont des Evangeliums.

Damit tritt eine völlige Umwertung aller Wette

ein und alle aufwättsdringenden Kräfte des menschlichen Geistes haben ihr einheitliches Strebeziel gefunden, der Generalnenner ist entdeckt, in welchem alle Bruchteile des Wahren, Guten und Schönen, die seither unter ihrer Zersplitterung litten, d. h. nicht zur Boll­

auswirkung gelangen konnten, ohne Rest aufgehen. So bekommt denn auch der Begriff der Bekehrung eine ein­

fachere und bestimmtere Orientierung. Gleich der Vorläufer und Bahnbereiter des Evangeliums, der

Täufer Johannes, war berufen, denselben in eine neue Beleuchtung

17 •)U stellen.

An seiner Predigt ging den Zeitgenossen ein neues

Licht auf über des Menschen ^Bestimmung und Verantwortlichkeit, n dessen durchdringendem Scheine die sittlichen Maßstäbe schärfere

Umriffe und die göttlichen Realitäten greifbarere Gestalt gewannen. Kein Wunder, daß seine granitene Größe in dem kirchlichen System

keine passende Stelle fand und seine Taufe und Bußpredigt in der rraditionellen Theologie der geistlichen Würdenträger biblisch nicht

rubriziert werden konnte (Joh. 11» ff.).

Der Grund war einfach

der, daß Johannes frei war von dem Banne der kirchlichen Routine

und den Formeln der Schriftgelehrsamkeit, d. h. von den zwei ge-

'ährlichsten Mächten,

die das echt religiöse Leben bedrohen: dem

Relativismus und Intellektualismus. sittlichen

Maßstäbe

verwirrt,

Wenn jener die absoluten

verbiegt

und

verfälscht,

insofern

das Gefühl für das, was Gottes Wille ist: „das Gute, Wohlge­

fällige und Vollkommene" (Röm. 12 r), durch die Berührung und

die Kompromisse mit der Welt und Weltlichkeit abgestumpft oder aufgeweicht wird, so ist dieser geeignet, die sittliche Energie und die Empfänglichkeit gegenüber den von Gott ausgehenden Einwirkungen

zu lähmen.

In dieses abgestandene Religionswesen hinein rief der

Täufer: bekehret euch!

Heraus aus aller Lüge, allem Scheinwesen,

aller Gewohnheit und Sattheit mit der überkommenen Gerechttgkeit

und Frömmigkeit. Das Charakteristische

an

diesem Ruf

zur Sinnesänderung

war aber nicht nur der Appell ans Gewissen, sondern zu dieser

Richtung in die Tiefe der Selbstprüfung trat als durchaus selbst­

ständiges Mottv

ein attuelles Interesse,

der Blick auf das im

Kommen begriffene höchste Gut, das Himmelreich.

Das gab seinem

ganzen Wirken die Spannkraft: ein gewichtiges Vorwärts war dadurch

in alles sittlich-religiöse Stteben hineingesttftet.

So ge­

winnt die Bußpredigt des Täufers einen vorbildlichen Charakter: Hier ist einmal die Ursprünglichkeit des Bekehrungsgedankens gegenüber allen die Entwicklung der Persönlichkeit zu Gott hin

lähmenden relattven Maßstäben des Wollens und Wandels ins Licht gestellt; hier ist fürs zweite das Ziel der entscheidenden Wendung Herz»,, Begriff der Bekehrung.

2

18 im Menschenleben ins Auge gefaßt: wenn nicht ein höchstes Gut das Strebeziel aller innersten, sittlich-religiösen Regungen wird und

die Entwicklung der Persönlichkeit bestimmt, so ist nicht darauf

zu rechnen, daß jene Sttebungen zu einem Ganzen in seiner Art führen, sondern höchst wahrscheinlich, daß sie sich nur in eine bruch­

stückartige Besserung des Lebens zersplittern oder ein kümmerliches Flickwerk bleiben.

Wohl hat Johannes dem unmittelbar praktischen

Interesse Rechnung getragen, als er den einzelnen Individuen und Ständen die Früchte der Sinnesänderung in konkreten Anweisungen

und Pflichten klar machte (Luk. 310 ff.); aber das war nur die conditio sine qua non für das neue Leben, das im Himmelreich beschlossen lag.

Und mit dieser Abzielung hing fürs dritte zusammen die Taufpraxis in ihrer originalen Eigenart.

Für die sittliche Um­

wandlung der Lebensführung in jedem Stande und Lebenslaufe

Wenn aber

hätte doch die herzerschütternde Bußpredigt genügt.

das große Gut der Zugehörigkeit zum Himmelreich, zur Neuordnung der Dinge und Gottesgemeinschast in Frage kam, so trieb diese

intensive Spannung dazu, durch einen einschneidenden sinnbildlichen Akt — das Sündenbekenntnis und die Taufe — die inneren Vor­ bedingungen zu schaffen, das Neue zu empfangen.

War es doch

von so überragender Größe, daß ein radikaler Bruch mit der Ver­ gangenheit, die sich teils in verkehrter Richtung bewegt, teils mit

lauter Relattvitäten beholfen hatte, naturnotwendig war.

So wurde

die entscheidende Wendung im inneren Leben zu einem besttmmten,

fixierten Puntte in der Lebensführung. Man kann sagen, daß diese drei charakterisüschen Züge des

Bekehrungswcges, die Absolutheit des sittlich-religiösen Maßstabes, die inhaltliche Fülle des Zieles, die Schroffheit der Wendung bei

der

Entwicklung

der Persönlichkeit immer da

große Geistesbewegungen im Gange sind.

wiederkehren,

wo

Die untrüglichen Kenn­

zeichen einer großen Zeit, so hat Schleiermacher einst im Jahre

1813 beim Beginn der Freiheitskriege gepredigt, sind die Tatsachen: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden

rein x."

Indessen weist dieser Gesichtspuntt über sich selbst hinaus.

19 Mag man das Gewicht der Himmelreichsnähc und der damit ver­

bundenen eschatologischen Spannung in jener Zeit noch so sehr betonen, und daraus erklären, wie der Zug nach Wahrheit und

göttlichem Leben in größere Energie versetzt wurde: die Wahrheit

der Sache zwingt doch zu der Erkenntnis, daß das menschliche Bedürfnis und daher auch die Notwendigkeit des göttlichen Entgegen­

kommens zu jeder Zeit dieselben bleiben, mit anderen Worten, daß die menschliche Nachfrage (nach Wahrheit und Heil) und das

göttliche Angebot sich immer und überall entsprechen müssen. Zeit ist groß — welche wäre es nicht?"

„Die

Diese Wahrheit gilt in

Bezug auf das Ewige und Zeitlose unbedingt. Daher werden wir, was von der Epoche des Täufers gesagt werden durfte, vollends von der evangelischen Geschichte im engsten Sinne, von der Predigt und Wirksamkeit Jesu Christi selbst,

dem Zenith des göttlich-menschheitlichen Geschehens, festhalten dürfen: Die hier niedergelegten Grundzüge des Bekehrungsgedankens sind,

recht verstanden, maßgebend für alle Zeiten. Und zwar um so mehr, als die besonders charakteristischen Vorgänge, so tief sie in das

Leben der Beteiligten eingreifen mochten, sich in einer außerordent­

lichen Einfachheit und Ungezwungenheit, gewissermaßen in einer

Natürlichkeit höherer Potenz, abspielen.

Wenn der alte Blumhardt

in Boll seinerzeit den paradoxen Ausspruch getan hat, der unter

unseren Verhältnissen eine ganz richttge Tatsache wiederspiegelt; der Mensch

müsse sich zuerst vom natürlichen Leben zum geist­

lichen und dann vom geistlichen zum natürlichen Leben bekehren (weil eben so oft einseitige Begriffe oder schiefe Verhältnisse die Wahrheit des Bekehrungsstandes verstellen oder verschränken) —

so wäre das im Lichtbereiche des ursprünglichen Evangeliums, in der Machffphäre der Persönlichkeit und des Wirkens Jesu eine gänzlich überflüssige Umständlichkeit gewesen.

In ihm und durch

ihn kam gerade die gottgewollte Natur des Menschen aus aller Verschrobenheit und Unnatürlichkeit wieder zu sich selbst und wurde die Wahrheit des Menschen erst recht aufgerichtct.

Daher läßt sich

die vorbildliche Bedeutung der auf dem Boden der evangelischen

2*

20 Geschichte verlaufenden Bekehrungswege

nicht

leicht überschätzen.

Wenn die in dem Lauf der Kirchengeschichte austauchenden hervor­ ragenden Beispiele persönlicher Entwicklungen immer nur beschränkten typischen Wert haben, den Wert von Paradigmen mit nur teil­ weiser Mustergiltigkeit — so können wir in den Beispielen der

evangelischen Geschichte die Wurzeltypen erkennen, die eine viel

allgemeinere Anwendung gestatten, deren Variation und Kombi­

nation für alle Zeiten und Verhältnisse maßgebende Bedeutung hat. Und noch etwas: während die kirchengeschichtlichen Beispiele zu­ meist die hervorragenden Spitzen der Großen, der besonderen Rüst­

zeuge im Reiche Gottes zeichnen, welche für die Bedürfnisse des gemeinen

Mannes und

die Verhältnisse

das

Alltagsleben als

praktische Vorbilder nicht gelten können, führt die evangelische Ge­ schichte in die Niederungen des gewöhnlichen Lebens herein und läßt, ob in oder hinter den Zeilen, die Grundlinien hervortreten,

nach denen sich die Bekehrungspredigt für die Allgemeinheit richten muß und kann. Ötinger hat auf seiner Studienreise dereinst einen Originalmenschen, den Bauern Markus Völker kennen gelernt,

an dem er im Unterschied von andern dogmattstisch befangenen Christen, zumal Theologen, einen eigenartigen frischen Blick in die

Evangelien entdeckte: dieser machte die Worte und Geschichten der Evangelien zum Maßstab für die Beurteilung der christlichen Lebens­ fragen, wie der Lebensführung, also auch der Bekehrung der christ­

lichen Persönlichkeit und „sah gleich, wo man der Einfalt nach

diesem Muster verfehlte".

Gewiß wäre auch heute noch, wo man

doch viel mehr als ehedem in das Mld des Urchristentums, in „die Anfänge unserer Religion" sich vertteft, zu wünschen, daß man von

allen dogmattschen Formeln und von aller so oder anders kon­

struierten „Heilstechnik" den Bekehrungsgedanken mehr frei machte, und das kann nur im Lichte der ursprünglichen Evangeliums­ geschichte und Verkündigung geschehen.

Sie begleitet mit ewiger

Gleichzeitigkeit den Werdegang des Christentums in der Gemeinde und den Einzelnen durch die Jahrhunderte. Daß dabei Vorbehalten bleibt, daß die Signatur jeder Zeit und

21

jeder Zone, die aus den kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen Daseinsdedingungen sich ergebenden Forderungen für die Entwickelung der

christlichen Persönlichkeit immer neue und bald mehr, bald minder komplizierte Probleme mit sich führen, versteht sich für den Nach­

denkenden von selbst. Das erste Moment, das auf dem Grunde der evangelischen

Verkündigung die Frage der Bekehrung ins Licht stellt, ist die durch­

gängige Voraussetzung der Notwendigkeit derselben, nicht nur für die Sünder, sondern auch für die relativ Gerechten und Frommen. Hierfür ist die klassische Belegstelle das Wort Jesu an den Nikode­

mus:

„Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde aus

Wasser und Geist, so kann er nicht ins Reich Gottes kommen". Noch triftiger wird dieses Gesetz durch die Begründung: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch und was vom Geist geboren wird,

das ist Geist".

Man darf nicht sagen, dieses Wort rede von der

Wiedergeburt, nicht von der Bekehrung.

Vielmehr ist zu sagen:

diese beiden Begriffe sind Wechselbegriffe, ja auf neutestamentlichem Boden fast Synonyme, oder besser gesagt: auf diesem Niveau ist

die Bekehrung auf die Potenz der radikalen Neugeburt erhoben (vgl. 2. Kor.

5k: zcuw/j zTiat;), d. h. der Umschwung der Lebens­

bewegung ist ein so radikaler, daß das Wesen des Menschen ein

neues geworden, das Alte vergangen ist.

Die Voraussetzung hier­

bei ist freilich, daß es sich um den Gewinn des Reiches Gottes, d. h. seiner Mitgliedschaft handelt.

Dieses Ziel beherrscht, wie oben

gezeigt, die ganze Verkündigung. Von dieser Voraussetzung aus lassen sich die einzelnen Bei­

spiele, die besonderen Fälle von Bekehrung auf ihren typischen

Wert untersuchen.

Es lassen sich als Objekte der rettenden und

erneuernden Wirksamkeit Jesu am sachgemäßesten folgende Gruppen

unterscheiden:

1. Jünger, 2. Zöllner und Sünder, 3. Fromme,

bezw. pharisäisch gesinnte Gerechte; dazu gab es selbstverständlich

4. Zwischenstufen und Kombinationen und 5. Totliegendes.

Im

übrigen rechtfertigt sich diese Unterscheidung durch die Verschiedenheit

22 der Ausgangspunkte und des Milieu, aus welchem diejenigen her­ kamen, die in den Wirkungsbereich Jesu traten.

1. Die besonders ausgewählten Jünger, „die er auch Apostel

nannte", stammten überwiegend aus dem Kreise, Täufer angeregt, ja erweckt war.

der von

dem

Da waren die geistlichen Be­

dürfnisse nicht nur erwacht, sondern es hatte auch eine gewiß in

die Tiefe gehende Vorarbeit stattgefunden und die Seelen für ein

Ideal begeistert, von dem die Wirklichkeit des Volks- und Einzel­

lebens weit abstach.

Bei solchen Persönlichkeiten handelte es sich

nicht mehr um eine Umwandlung des Lebens, sondern um eine Pflege der schon gepflanzten Keime und um eine Schulung der

Erkenntnis und des Willens.

Daher tritt bei dem Umgang des

Herrn mit seinen Jüngern alles absichtliche Handeln in den Hinter­ grund.

Sie lernten, sie schöpften aus seiner Fülle Gnade um

Gnade.

Aber eines dürfen wir nicht übergehen.

Einen Wende­

punkt gab es für sie, und der war die Grundlage für alle Jünger­ schaft.

DaS Wort: Folge du mir nach! forderte die Hingabe des

ganzen Lebens; das Eigenleben war weggegeben (vgl. Matth. 19 n ff.), damit waren alle irdischen Güter materieller und geistiger, bezw.

persönlicher Art, geopfert.

Dieses Opfer galt dem Berufe, der es

seiner Natur nach verlangte, der absolute Unabhängigkeit von wirt­ schaftlichen, sozialen, familiären Rücksichten und Banden forderte, aber auch einem Berufe, dessen Inhalt und Zweck, so groß und ideal er war, zunächst sich lediglich im Gebiet des Unsichtbaren,

des Gehofften und Geglaubten bewegte.

So gewiß sie von der

Aufrichtung des Reiches Israel grobe und massive Vorstellungen

hatten: zunächst hatten sie für die Gegenwart nur das zu genießen, was der Evangelist in die geheimnisvoll tiefen, aber schlichten Worte

faßte: „Gnade und Wahrheit," „Worte des ewigen Lebens," Taten der Liebe und des Erbarmens, neue, ungeahnte Heilswirkungen für Seele und Leib.

Wenn man sich dies vergegenwärtigt, so ist ein

doppeltes klar: es ist doch ein riesengroßer Schritt gewesen, den die

Jünger mit der Nachfolge Jesu taten, ein Wagemut ohnegleichen, den sie bewiesen,

und

andererseits:

dieser Wagemut

war aber

23 Glaubensmut, der ganz und ungeteilt auf der Persönlichkeit Jesu ruhte, d. h. mit dem persönlichen Vertrauen auf ihn zusammenfiel,

daß ihr eigenes und ihres Volkes Heil in ihm verbürgt sei.

Und

dieser Glaube war nicht Sache der Reflexion, sondern unmittelbare Lebensempfindung, ein Fortschwingen der Lebens- und Liebeskräfte

ihres Meisters in ihrer Seele. Das „credo, ut intelligam“ war bei ihnen volle Wirklichkeit und das Überströmtwerden mit der

neuen Lebensenergie überwog das Moment des Kampfes.

Dabei

ist aber in der Methode des Herrn, seine Jünger zu schulen, ein

Zug charakteristtsch, dessen Wichtigkeit und Vorbildlichkeit für das Zustandekommen einer lebendigen Bekehrung nicht leicht überschätzt

werden kann, ein Zug, auf den in seiner Weise einmal Kierkegaard

hingewiesen hat (vgl. „Zur Selbstprüfung", zweite Reihe, S. 90). „Wollte einer sein Jünger sein, so war sein Verfahren — nicht das, daß er ihm etwas andozierte.

Er sagte zu so einem ungefähr:

wage eine entscheidende Handlung, so können wir beginnen.

soll das heißen?

WaS

Das heißt: ein Christ wird man nicht damit,

daß man vom Christentum etwas hört, liest und sich darüber Ge­

danken macht 2C.; nein, es bedarf einer Situation — wage einen entscheidenden Schritt!

Der Beweis geht nicht voraus, sondern

folgt nach, ist in, kommt mit der Nachfolge, die Christo nachfolgt.

Hast du nämlich den entscheidenden Schritt getan, infolge dessen du

dein Leden dem Leben dieser Welt entfremdest rc.: so wirst du nach und nach in eine solche Spannung versetzt werden, daß du

auf das aufmerksam werden kannst, wovon ich rede.

Vielleicht wird

auch die Spannung so mächttg auf dich wirken, daß du verstehst,

wie notwendig du deine Zuflucht zu mir nehmen mußt, um sie auszuhalten — und dann können wir beginnen."

Vgl. hierzu

Luk. 9 57 ff. Diese Experimentalmethode, die ja auch dem berühmten Worte

zu gründe liegt (Joh. 7 n): „So jemand will des Willen tun, der

wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selber rede" — ist übrigens ein durchgehender Grundzug der

Pädagogik Jesu, aus dem einfachen Grunde, weil er der Wahrheit,

24

d. h. der Wirklichkeit der Dinge und bett Bedürfnissen des Menschen entspricht.

Das ist in doppelter Hinsicht der Fall.

Erstens be­

hauptet nicht der Intellekt, sondern der Wille und die Willens­ richtung im Menschen den Primat; und zweitens ist insbesondere die Tat, die energisch getroffene Entscheidung, der Akkumulator der

Geisteskraft für die Folgezeit, sei's zum Guten, sei's zum Bösen (Röm. 6 16. i9b).

Aber das führt von selbst zu der Frage, welche

Tragweite die von den Jüngern getroffene grundsätzliche Ent­

scheidung für ihre Gesamtentwicklung hatte, d. h. wieweit der Er­ folg reichte.

Da ist es bedeutsam, was wir an der Gestalt des

Petrus, des gewiß tatkräftigen Mannes wahrnehmen.

Wie groß

war der Restbestand an ungebrochenem Eigenwillen, unüberwundener

Natürlichkeit, und darum das Defizit an folgerichtiger Glaubens­ festigkeit und Treue, da er aus Angst für sein Leben und seine

Ehre den Herrn verleugnete und von ihm sich sagen lassen mußte (Luk. 22 32):

„Ich aber habe für dich gebeten, daß dein Glaube

nicht ausgehe, und du, wenn du dich dereinst bekehrt, stärke deine Brüder!"

Und noch späterhin, bei der Begegnung und Konfron­

tation mit Paulus in Anttochien, war es doch nicht bloß und in erster Linie Trübung der Erkenntnis, sondern Schwäche des Willens, die er sich infolge der Verleugnung der brüderlichen Gemeinschaft

mit den Heidenchristen vorwerfen lassen mußte.

Diese Tatsachen

würden zwar mißdeutet, wenn man um ihretwillen den Begriff der

Bekehrung auflösen oder ihn in eine Reihe von bruchstückartigen

Sitten zersplittern wollte, wohl aber beweisen sie die Notwendigkeit, von dem grundlegenden einmaligen Vorgang der Bekehrung die successiven Auswirkungen desselben in der Ausgestaltung, Befestigung

und Verüefung des neuen Lebens zu unterscheiden.

Sonst gewinnt

man keine gesunde, der Wirklichkeit entsprechende Anschauung.

2. Und wenn das ist am grünen Holze, was will am dürren werden?

Wenn

es

sich

um die Rettung und Bekehrung der

Sünder, d. h. solcher Menschen handelt, die vor der Welt und ihrem eigenen Gewissen als Gefallene, Entgleiste dastehen?

ihnen mußte das Evangelium seine Meisterprobe bestehen.

An Aber

25 es ist auffallend, wie wenig bei den hierhergehörigen Beispielen, einem Zachäus, der großen Sünderin u. ä., dieser große Vorgang

einer grundsätzlichen Wendung des Lebens von Gewaltsamkeit be­

gleitet oder mit Umständlichkeit umgeben ist. Wesen wird vom neuen verschlungen.

Das alte Leben und

Bei Zachäus ging es, was

den Weg des Herrn zu ihm betrifft, nach dem Spruch: veni, vidi, vici, was ihn selbst betrifft, nach des Apostels Wort:

„Wo die

Sünde völlig wurde, da ist die Gnade überreich geworden" (Röm. 5 20). Und die heißen Bußtränen der großen Sünderin (Luk. 7 37 ff.), die angesichts eines verlorenen und verwüsteten Lebens in der Ver­

gangenheit so begreiflich find, find von dem Herrn selbst mehr als Zeichen der Liebe (V. 47), d. h. des Dankes für die erfahrene

Barmherzigkeit, denn als Ausdruck des Schmerzes, geschweige des

Seelenkampfes, gewertet worden.

Auch hier gilt: der Tod wird

verschlungen vom Leben, die Sünde von dem großen Heile.

Die

„büßende Magdalena" in der von der christlichen Kunst reprodu­

zierten Gestalt stimmt nicht überein mit den Grundlinien der evan­ gelischen Geschichte. Der hier geschilderte obwohl ernste, doch schlichte Verlauf dieser Bekehrungen — die erzählte ist ja doch

nur ein

Beispiel unter vielen — kontrastiert auch nicht wenig mit der Um­ ständlichkeit und Gewaltsamkeit, die wir von den entsprechenden (tat­

sächlichen, nicht erfundenen) Bekehrungsgeschichtcn gewohnt sind. Wie ist dieser Tatbestand des Verfahrens Jesu mit ausgesprochenen, groben Sündem und Sünderinnen zu erklären?

zwei wichtige Momente Hinweisen.

Man kann auf

Einmal aus die Situation der

Betreffenden: Standen sic nicht so wie so schon genugsam unter dem

Gerichte? Dem Gerichte der Menschen als Verworfene, Ausgestoßene oder, wie die Zöllner, zum mindesten Anrüchige und eben darum unter dem Selbstgerichte?

sie ihn höreten",

Wenn sie darum zu ihm „naheten, daß

also zum wenigsten den Beweis erbrachten, daß

sie ein Bedürfnis nach einem besseren Zustande hegten, so war es nicht erforderlich, das Amt des Richters oder auch nur des Buß­

predigers an ihnen auszurichten.

Dem tritt aber ergänzend zur

Seite die andere noch wichtigere Tatsache, daß Jesus gekommen

26 war als der Arzt, der die Kranken heilen wollte. irreführend, mit Schrempf zu sagen:

Jesus war

ES wäre ja

„chemisch rein

von allem Ekel an der Sünde", aber doch birgt dieses paradoxe Urteil einen Wahrheitskern — so sehr er als Mensch und gerade als der, welcher von keiner Sünde wußte, eine besonders

zarte

Empfindung für den Schmutz der Sünde haben mußte, so gewiß

hat er sich als Arzt nicht geschont, und allen Ekel überwunden.

Man darf vielleicht noch weitergehen und sagen: der Gesichtspunkt des Arztes und sein heilendes Tun überwog völlig: die Seele, die es zu retten galt, von der Sünde, die auszuscheiden war, völlig

und ganz zu unterscheiden, das war das Geheimnis seiner sünder­ Wie sehr er damit sowohl nach vorwärts wie

rettenden Liebe.

nach rückwärts, d. h. nach der Richtung des erfahrungsmäßigen Erfolges, wie nach der des ursächlichen Zusammenhanges des Sündenwesens in Übereinstimmung mit der Wirüichkeit der Dinge

sich befindet, das tut heute nicht not, auszuführen.

Ist doch schon

die Gerechtigkeit Gottes im Alten Testament in ihrem tiefsten

Grunde eine von Schuld und Sünde rettende Kraft! Ps. 51 >«. — Darum

findet

diese Liebe nicht an der gegebenen Sündentiefe,

sondern nur an der sich verfestigenden und verstockenden Heuchelei ihre Schranke. —

Das führt aber von selbst zu der anderen Seite hinüber, die hier das Problem der Bekehrung hat.

Die heilende und also be­

freiende Kraft, die von Jesu ausgeht auf die geisllich Erkranken und Gebundenen, eine Kraft,

die gerade bei dem Beispiel des

Zachäus besonders deutlich sich auswirkt, in sofortigen „Früchten der Buße", dem Tatbeweis der Sinnesänderung, läßt sich nicht er­ klären ohne die auch ohne Worte, d. h. umständliche Überführung,

wirksame Ausstrahlung der heiligen, reinen Persönlichkeit Jesu.

In

diesem Einfluß ist Gericht und Gnade unauflöslich verbunden. Das ist die Ursache, warum aller, wir wollen einmal sagen, methodisttsche Beigeschmack, wie

schlossen bleibt.

beim

sogenannten Bußkampf,

ausge­

Die objekive Realität und Energie des richtenden

und sichtenden, wie lösenden und erlösenden Einflusses erübrigt alle

27 Mache, allen Zwang, alle Umständlichkeit. Der innere Kampf, „das

Gericht bis zum Siege", blieb darum dem Sünder nicht erspart. Man merkt dem Zachäus, wie er aufstand (orafret;) und sein Be­ kenntnis und Gelöbnis ausspricht, deutlich die innere Erregung an, in die er versetzt ist. — Und dieses selbe Moment ist es, was die in der Schmelzglut des äußeren und inneren Gerichts erfolgende

Bekehrung des Schächers am Kreuze erklärt. Der fülle aber un­ widerstehlich auf das empfängliche Gemüt wirkende Einfluß Jesu hat die Sinnesänderung zu stände gebracht.

Aber noch bleibt eine Frage offen, die beim Schächer der nahe Tod von selbst glücklich löste, die bei den anderen die weitere Zu­

kunft beantworten mußte: Wie steht es mit der Dauer und Probehaltigkeit dieser Umkehr?

Man kann das Gewicht dieser Frage

nicht leicht zu hoch anschlagen, wenn man nur ehrlich die eigene Erfahrung zu Rate zieht. Es erscheint doppelt groß, wenn man

erstens daran denkt, daß der Mensch mit seiner Vergangenheit als einem Kapital von angesammelter Energie zu rechnen hat — die Gewohnheit ist die zweite Natur geworden — sodann daran, daß diese bekehrten Sünder in ihre früheren gefährlichen und schlüpftigen

Verhältnisse zurückkehren und fortan im Kriegszustände mit ihrer Welt und ihrer Umgebung — Dingen wie Personen — leben mußten. Und diesem allem zum Trotze finden wir bei Jesu nicht die mindeste

Spur eines sorglichen Gedankens ausgesprochen, es könnte ihnen

noch fehlen, sondern eine freudige Siegeszuversicht! Man kann dieses Rätsel damit lösen wollen, daß die evangelische Erzählung über die weitere Entwickelung der betreffenden Persönlichkeit nichts präjudiziert, — der Name des Zachäus verschwindet aus der Ge­ schichte, so auch der der Samariterin, und so vieler anderen rc. — daß mit anderen Worten hier wie sonst nur die Höhepunkte der

persönlichen Entwickelungen stizziert werden. Aber mit dieser Aus­ kunft würde uns nicht nur der große evangelische Trost dieser Vor­

bilder geraubt — das würde noch nichts beweisen — sondern wir

würden dem Tatbestände nicht gerecht, wonach offenbar Jesus selbst

den Sieg für gewonnen hielt.

Wir haben vielmehr das Rätsel so

28 zu lösen, daß wir unter Anerkennung jener gebieterischen Forde­

rungen der Erfahrung die weitere Entwickelung dieser Persönlichkeiten in positivem Sinne denken und die Auswirkung der neuen Lebens­ potenz durch Proben und Prüfungen, Fort- und vielleicht Rück­ schritte, Übung und Erziehung, die wir bei den Jüngern, z. B. bei

Petrus im Hellen Lichte der Geschichte sich vollziehen sahen, hier

einfach supplieren.

Dazu ermächtigt uns die interessante und

folgerichtige Erörterung dieses Problems bei Paulus, Röm. 5 i-n. — Daß die hypothetische Möglichkeit eines Rückfalls überhaupt

damit nicht ausgeschlossen sein soll, versteht sich unter der Voraus­ setzung der inneren Freiheit im Laufe der irdischen Prüfungszeit —

denn das Leben ist ein Examen bis zuletzt — von selbst.

Das

Präservattv, das jeder zur Hand haben muß und haben kann, ist das Bleiben in der Gemeinschaft und unter dem Einfluß Jesu,

(Joh. 151 ff.), das sich praktisch in den Wahlspruch übersetzt, den

Jesus seinen Jüngern eingeschärft hat: wachet

und betet, daß

ihr nicht in Anfechtung fallet. 3. Diese Sieghastigkeit des Verfahrens Jesu, die wir bei den

beschriebenen zwei ersten Gruppen antreffen, finden wir nicht mehr

bei der dritten, weitverbreiteten Klasse der pharisäisch Frommen und

Gerechten.

Die zu vollbringeude Arbeit ist eine viel schwerere, der

zu überwindende Widerstand ein viel härterer.

War bei der ersten

Gruppe eine innere Wahlverwandtschaft mit Jesu vorhanden — die

Johannesjünger streckten sich aus nach dem Himmelreich, der neuen Ordnung der Dinge — und bei der zweiten das Verhältnis der

Polarität, insofern das bittere Gefühl des Mangels sie zu der Fülle

Jesu hinzog, so fand der Bringer des neuen Lebens hier ein voll­ besetztes Terrain vor, bei dem es schwer, wo nicht unmöglich war,

anznkommen.

Es ist aber ein wichttger Unterschied zu machen.

Wenn anders das Wort Jesu Luc. 15 7 von den „Gerechten, die der Buße nicht bedürfen", und von den „Starken, die des Arztes

nicht bedürfen" Mt. 912 gewiß nicht bloß ironisch, sondern im Zu­

sammenhang mit der vorliegenden Frage ernst gemeint ist, so hat er das Gerechttgkeitsstreben an sich anerkannt, zumal, wo es lauter

29

war.

Aber die ganze Geistcsströmung, der pharisäische Sauerteig,

war leider

Seele.

untauglich zum Himmelreich

und

gefährlich

für

die

Je nachdem ein Charakter dieser Seelengefahr widerstand

oder erlag, kam die Möglichkeit einer Bekehrung noch in Betracht.

Die Notwendigkeit stand außer aller Frage.

Denn die bloße

Tugendhaftigkeit, welche auch in den relativ besten Vertretern dieser Geistesströmung den Wesensbestand ihrer Gerechtigkeit aus­

machte, ist der Gerechtigkeit des Himmelreichs, die Barmherzigkeit

und Liebe ist, so ungleich wie das kalte Licht des Mondes den

Licht und Leben spendenden Strahlen der Sonne. Luc. 15,

Darum hat er

wie Matth. 913 den Pharisäern das eine Wort ins

Stammbuch geschrieben: „lernet, was das sei: ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer".*)

Wo aber vollends der

Gesetzesmensch der Scelengefahr erlag, die mit einem Worte die der Heuchelei ist, da war er völlig unbrauchbar, da hatte Jesus nur ein „Wehe" für ihn übrig Matth. 23

Unterschied, ob nämlich

— Nach diesem scharfen

der pharisäisch gestimmte Mensch seinen

Weg, den Weg des Gesetzes und der Tugend, auch gerade ging,

und auf demselben eine nur eben zum Himmelreich nicht zureichende

Gerechtigkeit produzierte, oder ob er der Heuchelei (in ihren ver­

schiedenen, sittlichen, religiösen, kultischen Formen) schon verfallen war, schieden sich innerhalb der Formen die betreffenden Lebens­ läufe in auf- und absteigender Linie.

Ein klassisches Beispiel ist

der gewichtige, bedeutende Nikodemus.

Seine Geschichte bekundet

ein dreifaches: 1. die unverbrüchliche, folgerichtige Haltung Jesu, der die Forderung der Wiedergeburt mit ihrer ganzen Paradoxie

♦) Umgekehrt hat eben darum Jesus jenem Schriftgelehrten, der nach dem vornehmsten Gebot gefragt und auf die Antwort Jesu hin damit erwidert hatte, daß er sie mit Betonung wiederholte und hinzusetzte: „Das (die Gottes- und Nächstenliebe) ist mehr denn Brandopfer und alle Opfer" (Marci 12 28 ff.), das Zeugnis ausgestellt: Du bist nicht ferne vom Reich Gottes. Der entscheidende Schritt vorwärts, der ihn über seinesgleichen emporhob, war eben der Durch­ blick aus der bloßen Tugendhaftigkeit und Religiosität in das Element der Liebe, mit dem ein dahin zielendes Streben verbunden war.

30 gerade ihm gegenüber betont, und die selbstproduzierte Gerechtigkeit

als verkehrte Bahn bezeichnet und mit dem Urteil richtet: „was

vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch"; 2. die verhältnismäßige Schwierigkeit der Durchbrechung dieses Bannes und Wahnes

der

selbstgemachten Frömmigkeit; 3. die Umständlichkeit und Kompliziert­ heit des Prozesses der Umkehr.

Letzteres hängt wohl nicht zum

wenigsten zusammen mit einem erschwerenden Momente, das für seinen Fall gerade recht bezeichnend ist: das ist die soziale Situation

und die damit zusammenhängende Menschenfurcht und -Rücksicht. Das ist nicht zufällig.

Denn je mehr der Mensch selber macht und

aus sich macht, auch im Verhältnis zu Gott, desto mehr muß er

an die Menschen und ihr Urteil denken und auf sie halten.

Daher

finden wir auch dieses Charakteristikum des Pharisäismus Matth. 6 so naturgetreu gezeichnet.

Auch ein Nikodemus mußte diesem Motto

seinen Zoll entrichten. Da der Fall dieses „Meisters in Israel" gerade für eine

weitverbreitete Geistesrichtung zu allen, auch zu unseren Zeiten eine typische Bedeutung hat — in den verschiedensten Formen und

Gewandungen, vom Kirchlich-Frommen bis zum Moralisten der

ethischen Kultur hin gibt es Spielarten genug — so dürfen wir einige bezeichnenden Züge seiner Führung aus der Nacht, oder sagen

wir lieber, aus der Dämmerung zum Licht nicht mit Stillschweigen

übergehen.

Bezeichnend sind die drei Knotenpunkte seiner Ent­

wickelung.

Hatte die Unterredung mit Jesu bei der Nacht, die —

der

mit

einer Paraphrase

des Inhalts

schließende Bericht des

Evangelisten läßt es erschließen — zunächst ergebnislos war, ein­

mal wenigstens den Widerhaken in die ringende Seele hineingesenkt, so ist die nächste Station seiner Entwickelung nicht etwa durch

einen direkten Lebensimpuls von feiten Jesu hervorgerufen, sondern

durch einen indirekten Anstoß, bezw. eine Abstoßung von der Seite, nach der hin er immer noch gravitterte, auf die er Rücksicht ge­

nommen hatte.

Da, als ihn seine Gesinnungsgenossen brüstterten,

erkannte er die Unvereinbarkeit von Menschenehre und Ehre bei Gott, und spürte die Wahrheit des Wortes an seinem eigenen Leibe:

31 „roa-o vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch".

Und endlich der dritte

schritt, das Hervortreten mit dem tatsächlichen Bekenntnis zu dem Gekreuzigten, bezeichnet nur die Tatsache, daß gewiß nach schwerem inneren Kampf der Widerstand gebrochen und erschöpft war, er­

schöpft durch die siegende Geduld dessen, der die Welt und seine

Feinde geliebt hat, bis in den Tod. — Fassen wir alles zusammen, so sehen wir an diesem Beispiel, wie ungleich schwerer nnd ver­

wickelter die innere Entwickelung eines Menschen ist, der

einen

ethisch-religiösen Besitzstand sein eigen nennen darf, aber sich, viel­

leicht durch Religion, den Weg zum lebendigen Gott verbaut hat

— als desjenigen, der entweder ein Suchender oder gar ein Ver­ irrter gewesen war.

Es gibt eine „Religion wider Gott", wie Fr. Denison Maurice es einst treffend zum Ausdruck gebracht hat, von der frei zu werden

gleich notwendig wie schwierig ist. — Und wie viele Menschen bis auf den heutigen Tag mitten in der Christenheit nach diesem Para-

digma zu flektteren sind, davon können wir uns leicht überzeugen. 4. Der Überblick über den reichen Stoff, den die evangelische Geschichte für die Frage der Bekehrung darbietet, wäre indessen

ganz unvollständig, wenn wir der negativen Seite nicht noch

unsere Aufmerffamkeit schenkten, d. h. der Erscheinung im geistigen Leben der Zeitgenossen Christi uns zuwendeten, daß die Bekehrung bei vielen entweder nicht gelang, teilweise sogar noch gar nicht in

Betracht kam.

Es gab ein tieferes Niveau, als das der gesunkenen

aber innerlich unruhigen Sünder und Zöllner oder der ausge­ sprochen unlauteren, von Heuchelei angeftessenen Pharisäer: Abge­

sehen von den ausgesprochenen Welt- und Genußmenschen, wie solche in den Parabeln und Gleichnissen mit plasüscher Deutlichkeit

gezeichnet und z. B. in der Person des Herodes uns in der Weise vorgestellt werden, daß Jesus einen solchen leeren Menschen keines

Wortes, keiner Antwort würdigt — gibt es auch sonst ein großes

Gebiet des Totliegenden: man kann, bezw. muß hierher auch die

sadduzäisch-gesinnten Kreise rechnen, denen mit einem Wort der Ernst, d. h. die Innerlichkeit abging, weil ihnen entweder die reli-

32 die Politik

giöse Routine genügte oder

den Charakter verdarb.

Ihnen ging das höhere Streben ab, sie waren, geistlich betrachtet,

Philister; religiös für den Weltbrauch, politisch klug, aber gegen die höchsten Fragen indifferent, gleichgiltig und lau. Geistesverfassung ist nichts anzufangen (Offb. 3 is f.).

Mit dieser

Daher kommt

es kaum zu einer direkten, weder freundlichen noch feindlichen Be-

rührung zwischen Jesus und ihnen. Und wenn er dem sadduzäischen

Priester zuletzt zum Opfer fiel, so war es nicht auf Rechnung reli­ giösen Eifers, sondern politischen Räsonnements zu schreiben.

So gab und gibt es Geistesverfassungen, für die der Begriff der Bekehrung in seinem Vollsinn zunächst noch nicht in Be­

tracht kommt, d. h. unzugänglich ist, sowohl dem Verständnis, als vollends der Praxis nach.

Wie wichtig dieser Blick auf die dem

höheren Geistesleben noch unzugänglichen Gebiete für die Verkündi­ gung des Evangeliums und die Bekehrungspredigt insbesondere ist, um vor Enttäuschungen bewahrt zu werden, bedarf nur der An­

deutung. 5. Aber zum Schlüsse gilt es noch das Augenmerk zu richten

auf

die

lehrreichen,

bedenllichen Fälle, in

denen ein wirkliches

Streben nach dem neuen Leben festzustellen ist, das bis an die

Pforte hin, aber nicht durch die Pforte hindurchzubrechen vermochte.

Das ergreifendste Beispiel ist die Begegnung mit dem reichen Jüng­ ling (Marci 10 n ff.).

Die typische Bedeutung dieser Geschichte be­

steht, formell betrachtet,

in der Mannigfaltigkeit der in Betracht

kommenden Motive —

der Fall läßt sich unter keine

der

be­

sprochenen Gruppen subsumieren, sondern kombiniert die einzelnen

Züge derselben — inhaltlich betrachtet hebt er die ernste Kehrseite

des Problems

der Bekehrung

hervor,

wonach

auch unter den

günstigsten Umständen die Pforte eng und der Weg schmal ist. Die Hauptmomente sind folgende:

1) Hier ist ein wirklich

suchender Mensch, der das Zeug hat, ein Jünger zu werden, der

nach einer .Religion höher hinauf" strebt, wie Hilty sie in seinem

Auffatz „Excelsior" treffend zeichnet; hier ist ein Gerechter, der die Gebote Gottes

gehalten

hat

auf

der Stufe, darauf er stand.

33 Dieser Tatbestand ist nicht nur vorhanden, sondern wird durch das Zwiegespräch festgestellt, ebenso auch der andere, daß er wahres,

ewiges Leben sucht und nicht schon besitzt.

Da ist Innerlichkeit,

Ernst, Streben, Idealismus, lauter gute Vorbedingungen.

die vielsagende Notiz: Jesus gewann ihn

liebend an.

Daher

lieb und schaute ihn

2) Ihm zum Ziel seiner Sehnsucht zu verhelfen, gibt

es nur ein Mittel: wegzutun, was ihn von Jesu trennt (den er den guten Meister genannt und also mit seinem Vertrauen umfaßt

hat, da er vor ihm auf die Knie gefallen).

Darum soll er sich

seines Besitzes entäußern, sich davon losmachen, um ganz frei zu

sein für den Dienst Gottes, der ewiges Leben ist.

Dann hat er

beides: einen Schatz im Himmel, d. h. die Krone des ewigen Lebens und in der Nachfolge Jesu den höchsten, reichsten Lebenszweck und In­

halt.

Es ist ganz irrig, in dieser Aufforderung eine unnötige Härte

zu finden; es ist ungenügend, darin nur ein Mittel zu sehen, ihn zu tieferer Selbsterkenntnis zu leiten; es ist auch irreführend, darin

nur „einen evangelischen Ratschlag", statt einer strikten Pflicht zu

erkennen.

Vielmehr ist das Geheimnis dieses Verfahrens der große,

schlichte Ernst, der der gegebenen Situation und ihren Forderungen

gerecht wird.

Formell bettachtet begegnet uns hier wieder die

Experimentalmethode: hic Rhodus, hic salta!

Erkennen

Das

tuts nicht, die Gefühle und frommen Wünsche reichen nicht zu — nur die Tat hilft, und inhaltlich angesehen ist diese Forderung die einzig gegebene Wahl. 3)

Es ist nun die Frage, wie weit die typische Bedeutung

dieses Falles reicht.

Es ist ganz richtig, wenn man annimmt, er

wäre, wenn er in die dargebotene Hand einschlug, ein Apostel Jesu Christi geworden; und als solcher hatte er gar keine andere Wahl,

als seine Güter zu verlassen, so gut wie die andern.

Er konnte

nicht beides, den Botendienst ausrichten und jene verwalten.

Aber

cs genügt nicht, darauf alles abzustellen, d. h. auf den besonderen

Beruf zu verweisen.

Jesus wollte nicht zuerst einen Mitarbeiter

haben, sondern er wollte der suchenden Seele zum ewigen Leben, zur

Vollkommenheit verhelfen; fiel beides auch in concreto zusammen, Herzog, Begriff der Bekehrung.

3

34

so zeigte gerade der Erfolg, daß die gestellte Forderung für ihn selber notwendig war.

Das Entweder — Oder des alten oder des

neuen Lebenszwecks und Inhalts übersetzte sich für ihn von selbst in das andere: Entweder Gott oder Mammon — Niemand kann

zwei Herren dienen.

Daher wirst diese kurze Auseinandersetzung

des Herrn mit dem reichen Jüngling ein helles, aber auch grelles Licht auf die Grenzlinie zwischen altem und neuem Leben, die wir

„Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen

Bekehrung nennen. keine Halben".

Die Geschichte hat die Bedeutung eines Schein­

werfers, der nach allen Richtungen hin sein Licht sendet, um dem Menschen die Mächte, die Bande, die Dämonen zu enthüllen, welche

sein wahres Leben binden und lähmen, und damit die Maßregel

anzeigen, die er treffen muß, um frei zu werden. Diese Maßregel, die unausweichlich ist, ist die radikale: „Ärgert dich dein rechtes Auge 2C."

„Der nicht absagt allem, was er hat, kann nicht mein

Jünger sein." 4) Darum hat die Geschichte uns noch etwas zu sagen: Der

Jüngling, der voll Unmuts von dannen ging, war noch nicht reif für die Wahl des besten Teils.

Den Stachel im Herzen behielt

er und er bohrte in ihm weiter.

Es ist eine müßige Frage, was

schließlich aus ihm

geworden sein mag, aber

eine andere läßt

sich nicht abweisen: wenn dem einen der Sprung gelingt, dem

anderen nicht, worauf beruht dieser Unterschied?

Jesus, selbst be­

trübt, gab den erschütterten Jüngern beim Weggang des Jünglings

den Bescheid: „Bei den Menschen ists unmöglich, bei Gott sind alle

Dinge möglich".

Also auch hier der Beweis: die Bekehrung ist

ein Wunder Gottes.

Der Mensch kann mit seiner Kraft nicht

die Fesseln brechen, Gott zerbricht sie, und zwar sofort, sobald du

willst, d. h. ihn zum Bundesgenossen anrufst.

„Stirb und Werde!"

Das Problem des

bedeutet auf christlichem Boden den Sprung

aus der menschlichen Ohnmacht in die allmächtige Gnade Gottes hinein.

(Von hier aus läßt sich, belläufig gesagt, auch die Korrek­

tur, die Jesus der Anrede: „Guter Meister" angedeihen läßt: Nie­ mand ist gut denn der einige Gott, unschwer deuten).

„Ein Mensch,

35 der da glaubt, ist ein viel größeres Wunder, als eine durch die Hand Gottes neugeschaffene Welt", sagt Monod. Nicht Entwick­ lung, sondern Verwandlung, bzw. Neuschöpfung, ist die Formel,

auf die die christliche Bekehrung gebaut ist. — Die Ausführlich­

keit, mit der wir bei den evangelischen Geschichten uns verweilt haben, rechtfertigt sich von selbst durch die oben betonte Vorbild­ Wir haben in ihnen die Urschrift des Bekehrungs­ in der Folgezeit der apostolischen Periode und in der

lichkeit derselben. weges,

Kirchengeschichte

die Variationen, Umschreibungen

und

Glossie­

rungen derselben.

Aus der Apostelzeit bedarf nur die Bekehrung des Paulus In Betracht kommt sie für uns nicht nach

einer Skizzierung.

ihrem pragmatischen Verlaufe, sondern nach ihren inneren Grund­

zügen. Das Wunderbare, Supranaturale der äußeren Vorgänge, das die historische Kritik immer eingeladen hat, ihre Künste an ihnen zu versuchen, läßt sich ja wohl auf ein psychologisches

Phänomen nicht reduzieren.

Wozu auch diese Bemühungen, wenn

doch zu allen Zeiten bis in die unsrige herein nüchterne Männer im Bekehrungsstadium wenigstens ähnliche Entzückungen oder Er­

scheinungen erlebt haben (Joh. Jak. Moser, Finney, L. Hofacker)!

Bei Paulus kommt vollends in Betracht, daß die Fäden der rein psychologischen Entwicklung — deren Vorhandensein kein Ver­ ständiger leugnet — für sich allein zu schwach wären, um das

Gewicht des vollständigen Bruchs mit der Vergangenheit und des

gewonnenen neuen Lebensinhalts zu tragen.

Der unauflösliche

Rest einer wunderbaren und einen bestimmten Lebensmoment vor anderen ausfüllenden Offenbarung, und zwar einer solchen, die

mit den Erscheinungen des Auferstandenen an die anderen Jünger dem Gewichte (oder auch der Art?) nach auf derselben Stufe steht, bleibt unerschüttert stehen.

Das läßt auch die historisch-kritische

und psychologische Analyse des Problems, welche in feinsinniger Weise Weizsäcker (in seinem „apostolischen Zeitalter") gibt, als un­

auflöslichen Rest weilige

übrig, wobei

Erblindung

durch

er

in Erinnerung an die zeit­

die Lichterscheinung ausdrücklich 3*

an-

36 merkt,

daß

es zu denken

gebe, daß Paulus

später an einem

Augenübel litt.

Aber viel wichtiger als die Aufklärung über die äußere Pragmattk des Vorgangs ist die Frage nach dem Wunder der inneren

Umwandlung selbst. Sie ist als Tatsache schon das kräftigste Wunder, well eben die von der verständigen Überlegung mit aller

Sorgfalt gesuchten inneren Vorbereitungen, Vorbedingungen und

Vermittlungen sich auf keinem Wege so lückenlos und folgerichtig aufzeigen lassen, daß als Resultante die radikale Bekehrung aus

ihnen sich logisch erschließen ließe. Sofern jedoch mit dieser negattven

Auskunft uns gar nicht gedient und die Flucht in das Geheimnis­

volle ebenso wert- wie zwecklos wäre, müssen wir alle Punkte herausstellen, welche die Bedeutung, wenn auch nicht den Vor­

gang derselben durchsichtig zu machen geeignet sind.

Maßgebend hierfür sind folgende Tatsachen: 1) Paulus hat Christum im Fleische nicht gekannt; er kam auch nicht in eine

solche innere Berührung mit seinen Anhängern, daß man sagen

könnte, ein Funke ihres Geistes sei auf ihn übergesprungen (etwa

durch ihren Duldersinn, Heroismus u. ä.); endlich ging der inneren (und äußeren) Katastrophe kein Übergangszustand der Vermittelung voran.

Nach diesen Seiten hin gab es keinerlei Überbrückung des

Gegensatzes zwischen dem Zuvor und dem Nachher.

2) Anderer­

seits gab es einzelne tatsächliche Data seiner inneren Verfassung,

die ohne sein Wollen und Wissen — rein als solche durch ihr

inneres Gewicht — den Wert einer Vorbereitung für den zu seiner Zeit erfolgenden wunderbaren Ruf zur Umkehr behaupten: das ist

erstlich ganz im allgemeinen die bona fides seines Strebens, seines leidenschaftlichen, zum Haß sich steigernden Eifers, sodann im be­

sonderen die Tatsache, daß der Pharisäer, der Gesetzesmensch, den

— wahrhaft herzzerreißenden — Zwiespalt in sich trug, von dem er

Röm. 7 offen redet, und die entsprechende andere, daß auch (vgl. Weizsäcker) sein Messiasideal statt Festigkeit und Zuversicht, nur

Unruhe und innere Konflikte ihm erregte. Gegenwart

für seine

glühende

Seele?

Was bot ihm die jüdische

Diese

Schwäche

seiner

37 Position geht mit seinem Fanatismus nach dem Gesetz der Polarität

psychologisch recht gut zusammen. lich,

daß

3) So wird es gerade begreif­

die transcendente Offenbarung in das Räderwerk des

inneren Getriebes so sehr am passenden, entscheidenden Orte eingriff, daß die Besiegung des Alten eine plötzliche und völlige war: der Haß war erschöpft und erlag der Liebe; der Gesetzeseifer war zer­

rieben, die Gesetzeswege durchlaufen und durchgetreten; und endlich,

die Ohnmacht des idealen Strebens nach dem Heil und dem Mes­ sias sah sich gestellt und kapitulierte vor der Macht der Wirklichkeit lind des „Menschen vom Himmel", des Auferstandenen, der ihm

erschienen war. — Daher ist für weiteres Schwanken kein Raum, für nachheriges Zögern und „Sichbesprechen mit Fleisch und Blut"

kein Mut mehr vorhanden in der ehrlichen Seele. — Aber damit hängt noch etwas zusammen: 4) Für Paulus fiel Bekehrung und Berufung, der neue Kurs und der neue Dienst in Eins zusammen,

inhaltlich, wie zeitlich.

alten Lebens.

Sein neuer Beruf war der Widerruf des

Er mußte das Evangelium (und er mußte es den

Heiden) verkündigen, und in diesem Beruf ging sein ganzes neues Ich auf. — Das war das providentielle Moment in seiner Be­ kehrung, das er selbst erkannte, wenn er sich „von Mutterleibe her"

ausgesondert wußte zum Dienst des Evangeliums. Scheint hiermit, gerade durch den letztgenannten Punkt, das

besondere Beispiel des Paulus aus der Analogie mit anderen ganz herauszusallen und auf eine einsame Höhe gestellt zu werden, so

ist das nur teilweise richtig.

Schon daß er selbst „die Barmherzig­

keit, die ihm widerfahren ist", ausdrücklich als typisch hinstellt, bez.

gelten läßt (1. Tim. 1 ie ist gewiß in und aus seinem Sinn ge­

schrieben), gibt uns das Recht und die Pflicht, zu fragen, welche allgemeine und vorbildliche Bedeutung der Bekehrung des Paulus zukomme, abgesehen von der besonderen providentiellen und reichs-,

bezw. kirchengeschichtlichen, welche sie für ihn als den Völkerapostel und Herold der evangelischen Freiheit haben mußte.

Und in welcher

Richtung wir sie zu suchen haben, das deutet gerade das ange­ führte paulinische Wort an: „Darum ist mir Erbarmen wider-

38 fahren, daß an mir zuerst zeige Jesus Christus seine ganze Lang­

mut".

Es handelt sich auch bei ihm, dem Denker, dem Manne

der Reflexion,

um ein persönliches Verhältnis,

eine persönliche

Auseinandersetzung mit dem Christus, nicht nur um die Logik der Wahrheit, der er als ehrlicher Mensch die Ehre geben, um die Wucht

der neuen Tatsache, der seine Meinungen und Vorurteile erliegen

mußten.

Dieser doppelte Zug ist das Vorbildliche in seiner Führung.

Bon hier aus fällt ein Helles Licht auf die Seelenführung der

Spätgeborenen, die sich je zu Christus und durch Christus zu Gott bekehrt haben.

Wenn die Selbstbekundung des Lebendigen, d. h. des

Auferstandenen für Paulus den vollwertigen Ersatz bedeutete für

den Mangel sowohl der persönlichen Bekanntschaft mit dem histo­ rischen Christus, als auch nur des Anschlusses an seine Gemeinde, bezw. des Einflusses persönlicher Vorbilder, so bedeutet seine wunder­

bare Erfahrung die Brücke hinüber in das Gebiet der Kirchen­ geschichte und der darin geschehenen, gründlichen und als

liche Wirkungen sich bekundenden Bekehrungen.

gött­

Was uns darin

besonders veranschaulicht wird, das ist die Tatsache, daß sich im

Gemüte des von der Gnade erfaßten und überwältigten Menschen

der Zusammenschluß mit der transcendenten Größe des Christus zu einer persönlichen Begegnung verdichtet. nis des Paulus lautet:

Das Selbstbekennt­

„Ich lebe im Glauben an den Sohn

Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich hingegeben hat" (Gal. 2 20).

In wieviel unzähligen Variationen wiederholt

sich im Laufe der Kirchengeschichte diese Erfahrung!

Und eben

damit ist verbunden die schöpferische Kraft dieses Erlebnisses, die im Personleben ein Neues schafft, eine neue Kreatur.

Man kann

geradezu sagen, die neu geprägte Formel „Religion als Schöpfung"

hat in dem Hergang der spezifisch-christlichen Bekehrung den eigent­ lichen geometrischen Ort, in den ihr Jncidenzpunft fällt.

Das ist

um so wichtiger, als gerade an den Paulinismus, d. h. an das Lehrsystem des Paulus, sich die doppelte Gefahr teils des Intellek­

tualismus, teils des Methodismus geheftet hat, von welchen die erstere die lebendige Potenz, auf die alles an kommt, in Reflexionen

39 zu verflüchtigen droht, die zweite aber durch das Surrogat der menschlichen Mache zu ersetzen sucht.

Hat jener in der Orthodoxie

den lebendigen Christus hinter die vollbrachte Erlösung zurückgestellt,

so meinte er doch auf den Schultern des Paulus zu stehen; dieser hinwiederum hat unwillkürlich aus der Lehre des Apostels das Gesetzter christlichen Entwicklung herauskonstruiert, dessen Formel

maßgebend sein sollte für alle Führungen aus dem natürlichen in das neue Leben des Glaubens.

Wie wenig Klarheit, geschweige

Einstimmigkeit über diese fundamentale Frage inmitten des Pro­

testantismus, der sich doch auf des Paulus' Gedanken aufbaute, vorhanden ist, davon möge die Gegenüberstellung zweier Stimmen Zeugnis ablegen, die von der richtigen Verkündigung des Evan­

geliums reden. Adolf Monod, der selber unter großen Schwierigkeiten und

Kämpfen und schließlich durch ein über 1. Kor. 12 4 ihm plötzlich aufgegangenes Licht zum neuen Leben durchdrang, erinnert ein­

mal in einem Briefe an den Rat, den ein Herrnhuter Bruder einst Wesley gegeben und dieser mit Erfolg befolgt habe - - er selber

offenbar noch nicht —: Verkündige die Rechtfertigung durch den Glauben, auch noch ehe du selbst daran glaubst, und du wirst sie bald

verkündigen, weil du daran glauben gelernt haben wirst — dagegen

halte man das Bekenntnis von Maurice (Biogr. S. 242): „Bis

Gott seinen Sohn in uns geoffenbart hat, können wir ihn nicht so predigen, daß die Leute fühlen, daß wir von etwas reden, was

sie wirklich angeht und ihnen zu hören Not tut.--------- Aber einen veralteten Christus aus dem Evangelienbuch zu predigen, der nicht vor allem unser Herr, unserer Seele Herr, ist ein klägliches Ding".

— Es ist unschwer zu entscheiden, welche Maxime dem Sinn des

Paulus näher steht. Noch in anderer Beziehung, was nur kurz berührt sein mag, ist der ursprüngliche und der traditionelle Paulus wohl zu unterscheiden: ist

es nicht eine fast schmerzliche Ironie, daß aus seinen Zeug­

nissen das System einer solchen Rechffertigungslehre gebaut werden konnte, die dem Durchschnittschristen zur Beruhigung, zur Passivität,

40 zum Quietismus ausschlug, während für ihn seine Rechtfertigung und Erlösung lauter Aktivität, rastlose Energie, völlige Selbsthingabe an den einen großen Lebenszweck bedeutete, mit anderen Worten

Bekehrung und Berufung, Begnadigung und Bedienstung eins war? Es greift hier fteilich noch ein wichtiges Moment ein, das die neuen Motive, die mit der Bekehrung zu Christo gegeben waren, in die mächtigste Schwingung und in die größte Geschwindigkeit

der Betätigung versetzen mußte, das Moment, welches dem ganzen

ursprünglichen Christentume einen Stempel aufprägte, den in dieser

Form aufzufrischen unmöglich zu sein scheint: die Erwartung der Parusie in nächster Nähe war die alles beherrschende Stimmung.

Der Blick auf diese endgeschichtliche Stimmung bedarf aber, wenn er nicht schief und irreführend werden soll, einer genauen Wertung, welche ihren nicht lediglich historischen und damit sozusagen nur

zufälligen, sondern innerlich maßgebenden und bleibenden Wert feststellt. Es wäre ganz verkehrt, darin nur Enthusiasmus zu sehen, auf den die Ernüchterung folgen mußte. Es sprach sich darin vielmehr, wie Gal. 1« beweist, zugleich und zu allernächst ein tat­

sächliches, d. h an den Zuständen orientiertes Urteil über die „gegenwärtige böse Welt", ihre Zweck- und Hoffnungslosigkeit aus.

Ist dieses etwa falsch oder „einseitig" zu nennen?

Oder trifft es

nur auf jene Zeit und Welt zu und nicht vielmehr auf den je­ weiligen, von dem Licht und der Kraft göttlicher Erlösung noch nicht berührten und verwandelten, d. h. von der Gottesherrschaft neugeordneten Weltzustand?

Ist es darum nicht träge Selbsttäu­

schung und oberflächliche Kulturseligkeit, wenn etwa heute die ent­ sprechenden Motive erschlafft sind? Eine Analogie aus der Missions­

aufgabe, die uns antiertraut ist, macht den Ernst der Sache klar. Warum dürfen wir, ob die Endzeit nahe oder ferne vorgestellt

werden mag, die Heiden nicht einfach der Barmherzigkeit Gottes überlassen, da sie für ihre Unwissenheit nicht verantwortlich gemacht und der Verdammnis schlechtweg verfallen vorgestellt werden dürfen? Jsts nicht darum, weil ihre gegenwärtige sittlich-religiöse Not ein­ fach gen Himmel schreit?

Ohne ein brennendes Gefühl hierfür

41 hätten wir keine Mission, und alle ihre Vorkämpfer mußten zuerst

den Bann der sie umgebenden Indolenz durchbrechen!

Nicht viel

anders, d. h. nicht viel besser steht es um die Situation der Durch­

schnittschristenheit.

Ist erst einmal dem Christenmenschen der Blick

geschärft worden für die geistliche Not der sei es mehr kultursatten,

sei es mehr religiösverdrossenen christlichen Welt, für die zerstörenden Mächte im Volksleben, für die Vielheit und Gefährlichkeit der Ärger­ nisse, von denen uusere Atmosphäre geschwängert ist, so werden sich

heute dieselben Motive, d. h. die Missionspflicht im weitesten Sinn,

mit eben derselben Wucht auf die Seele legen, wie damals auf die Seele der ersten Jünger, und die Bitte: Dein Reich komme! die­

selbe Dringlichkeit

bekommen — (Vgl.

darüber die ergreifenden

Ausführungen Kierkegaards in der „Einübung im Christentum" S. 244 ff. und als biblische Grundlage Matth. 18? ff.). Damit wird erwiesen sein, welch reichen und umfassenden Er­

trag der Blick auf die Bekehrung des Paulus für unsere Frage liefert.

II.

Die hervorragenden kirchengeschichtlichen Beispiele. Es versteht sich von selbst, daß es sich nur handeln kann um

eine kurze Skizzierung der hervorstechenden typischen Fälle.

Aber

wird die Auswahl eine andere als eine willkürliche sein können? Wenn oben daran erinnert worden ist, daß die klassischen Beispiele der Kirchengeschichte zumeist die Großen im Reiche Gottes betreffen,

welche als auserwählte Rüstzeuge berufen waren, die Entfaltung desselben in der Welt immer um einen Ruck vorwärts zu bringen, und daher als allgemein giltige und vorbildliche Paradigmen weniger

in Betracht kommen, so schließt das nicht aus, daß sie vermöge

ihrer Durchsichtigkeit und der Tragweite ihrer großen Zusammenhänge einen bleibenden Wert behaupten.

zugleich

Andererseits werden wir uns

nach solchen Beispielen umsehen müssen,

die Bilder aus

42 den Niederungen des Lebens vorstellen und, der Breite der zeitge­ schichtlichen Verhältnisse angehörend, zugleich aus ihr hervorragen. Unter diesen Gesichtspunkten möge sich folgende Auswahl recht­

fertigen:

1. Augustinus; 2. Franziskus; 3. Luther; 4. Francke;

5. Joh. Jac. Moser; 6. Wesley; 7. Finney.

1. Augustins Bekehrung kann man nach zwei Seiten ins Auge fassen. Entweder mehr unter religiösem Gesichtspunkte als den durch viele einzelne Schritte und Kämpfe vorbereiteten Über­

tritt aus dem Heidentum zum Christentum, oder unter dem ethischen

Gesichtspunkte des Bruches mit der sündigen Vergangenheit und der vollen Übergabe des Selbst an den schon erkannten lebendigen

Man

Gott.

kann

sagen,

daß diese doppelte Entscheidung sich

successiv vollzog und der zweite Schritt den ersten ergänzte und

vollendete.

In beiderlei Bettacht ist seine Entwicklung lehrreich.

Dem Zweck unserer Untersuchung entsprechend wird der Hauptakzent

auf den zweiten Akt fallen müssen; interessant ist dabei, wie der dieser Bekehrung das gerade Widerspiel zur Entwicklung

Gang

Luthers bildet, bei dem die Vollerkenntnis der Wahrheit auf die ethisch schon vollzogene Entscheidung zum unbedingten Gehorsam gegen

Gott folgt.

93 f.

(Trotz Schmid in Zeitschr. f. Th. und K. VII (1897)

Daß bei den Konfessionen Augusttns darnach ein Unterschied

gemacht werden darf, bezw. muß, inwiefern sie als lautere Geschichts­

quelle gelten dürfen, oder nur als „Dichtung und Wahrheit" unter dem Einfluß der späteren Rettospekttve von dem gewonnenen viel

höheren

Standpuntte aus — das ist für das Verständnis des

Wesentlichen und Bedeutungsvollen in der Bekehrung des großen

Mannes nicht von Belang.)

Ebenso wenig ist seine Bekehrung

eine gerade Parallele zu der des Paulus, dessen Stteben nach Gerechttgkeit schon vorher rein und lauter gewesen, aber auf ver­ fehlter Linie, auf totem Geleise sich bewegt hatte, während Au-

gusünus auch vor dem Aufleuchten der christlichen höheren Gesichts­

punkte und schärferen Maßstäbe alle Ursache hatte, sich seines sitt­ lichen Habitus wo nicht vor der Welt, so doch vor dem Urteil seines Gewissens zu schämen.

43 Als Augustinus, der Wahrheitssucher, seinen brennenden Durst nach Erkenntnis derselben in dem immer besser und tiefer verstandenen

christlichen Glauben gestillt fand, blieb er immer noch vor einer ihm unüberwindlichen Schwierigkeit ratlos stehen:

„Ich hatte, so

lautet sein Bekenntnis, die schöne Perle gefunden; ich sollte nun

verkaufen, was ich besaß, um sie einzuhandeln, und ich trug noch Be­ denken" (Äons. Vin, 1 Schluß!. So war denn dies der Kulminations­ punkt seines Ringens, dies die eigentlichen Wehen seiner geistlichen Geburt, wie er mit dem Willen, dem teils verzagten, teils trotzigen,

fertig werden sollte: „Der Wille, der Wille!

Es gebietet der Geist

dem Körper, und er gehorcht; es gebietet der Geist dem Geiste, daß er etwas tue; dieser ist kein anderer, und er tut es doch nicht.

Woher dies Unglaubliche?

Wille, es sind zwei Willen.

Es ist der halbe Wille, der geteilte

Also

suchte ich und quälte mich,

mich schärfer verklagend als je und mich in meiner Fessel windend

und wälzend, bis ich sie ganz zerbräche".. .(VIII, 9). Augustinus war

sich so weit über seinen Zustand ganz klar, daß er sah: 1. sein

Leben sei ein zweck- und inhaltloses, ja verlorenes, wenn er sich nicht dem Gott, den er erkannt, übergebe und zur Verfügung stelle [man denke an den Vergleich mit dem trunkenen Bettler, der über die bargebotene Gabe so froh war (VI, 6)], ferner 2. die Gewohnheiten,

zumal die sinnlichen, die er aufgeben müsse, binden ihn mit über­

menschlicher Gewalt; daher braucht er 3. einen übernatürlichen Bei­

stand, um den er flehte, um diese Ketten zu zerreißen.

Besonders

lehrreich ist dabei, wie er wiederholt bekennt, daß er die negative

Vorbedingung der Heilung, das Büßen der verbotenen Lust, wohl

gekannt und bitter durchgekostet habe; aber dieses Erziehungsmittel reicht eben für sich selbst noch nicht aus, um zum Bruch mit der

Sünde zu führen. Diese Hilfe ward ihm unter dem Feigenbaum durch die Stimme: „Nimm und lies!" und die aufgeschlagene Stelle Röm. 13 is. Das

war die lebendige Hand des Herrn, die in das Triebwerk seiner Ge­ danken und Gefühle eingriff und den Riegel entfernte, der es still

gestellt hatte. Großmacht wider Großmacht! Wir werden nicht fehl-

44 gehen, wenn wir gerade in dem scharfen Worte „nicht in Kammern

und Unzucht" die Springfeder der göttlichen befreienden Einwirkung

auf den gebundenen Mann erkennen.

Jetzt hatte er die Grundlage

gewonnen, auf der er fortan in seinem inneren Leben fußt: „Da

quod jubes, et jube quod vis“, eine Grundlage, von der er nicht mehr wich und auf der sich ein für die damalige Stufe christlicher Wahrheitserkenntnis und Lebensideale großer und har­

monischer Aufbau des Lebens und Wirkens errichten ließ. Ein Überblick über die Entwickelung Augusttns ergibt daher folgende

typische Momente: 1. ein schrittweises Vordringen auf der Linie des Wahrheitsstrebens, das nach Überwindung eines Vorurteils nach dem andern in der Vollerkenntnis des Christentums zur Ruhe kommt — gewiß ein Entwicklungsgang, der zu jeder Zeit in jeweils neuer Form sich wiederholt; 2. den ethischen Kampf um einen wert­

vollen, ewigen Lebensinhalt nach dem Durchkosten der Nichtigkeit irdischer und selbstsüchtiger Zwecke; 3. zugleich die für menschliche

Willenskräfte unüberwindliche Macht der zur andern Natur ge­ wordenen sündlichen (d. h. verkehrten) Gewohnheit, und daher 4. die

Unentbehrlichkeit, wie die Wirklichkeit der dargereichten göttlichen Kraft zum Bruch mit der Vergangenheit und zur Neugestaltung

des ganzen Lebens, einer Kraft, die aus psychologischen Fattoren nicht erklärbar ist, die den Menschen wahrhaft elektrisiert, und

fortan den treibenden Motor des geistlichen Lebens bildet. Man sieht deutlich, wie diese Momente nicht sowohl eine spe­ zifisch-individuelle, als vielmehr allgemein menschliche Bedeutung

haben.

Der Mann, von dem das geflügelte Wott stammt: „Du,

Herr, hast uns zu dir hin geschaffen und unser Herz bleibt un­

ruhig, bis es seine Ruhe findet in dir", hat darin wohl die Kämpfe und Siege seines eigenen Lebens niedergelegt, aber eben damit zu­ gleich in dieser Formel die Wahrheit, die Gesetze, die Besttmmung

des menschlichen Daseins zum Ausdruck gebracht*).

*) Das muß man anerkennen, auch wenn man sich vollauf der Schranken bewußt bleibt, mit welchen diese große kirchengeschichtliche Gestalt behaftet ist.

45 2. Wir treten aber an ein ungleich reicheres und in seinen Wirkungen noch fruchtbareres Lebensbild heran, wenn

wir die

liebenswürdigste Gestalt des Mittelalters, Franziskus von Assisi, ins Auge fassen. Das Eigentümliche und wahrhaft Herzerquickende an diesem Jünger Jesu ist dies, daß er so ganz eine in den Rahmen des Mittelalters hineingezeichnete ursprüngliche, evangelische Gestalt darstcllt. In ihm ist das Evangelium wieder Fleisch geworden und

hat, soweit es unter der Herrschaft der Hierarchie und der mittel­ alterlich besttmmten

und

beschränkten Weltanschauung überhaupt

möglich war, die zeitgenössische christliche Welt aus den Angeln gehoben. Und gerade die Art seiner Bekehrung trägt formell wie materiell echt evangelische Züge.

Formell, denn hier ist nichts

von intellektualistischer Vermittelung und mühsamer Reflexion, hier ist

alles Leben und Praxis; materiell, denn der große Zweck des

Nicht nur, daß er unter die Autorität der Kirche sich beugen lernte und bei

aller ihrer Enge ihr gehorsamer Sohn ward — das ist aus seiner Zeit heraus zu verstehen — sondern daß er mit dem vollzogenen radikalen Bruch auch alle Brücken zu dem, was vorher und außerhalb des Christentums ihm groß, wahr

und gut erscheinen mochte, hinter sich abgebrochen zu haben scheint — man denke an das scharfe Urteil, daß die Tugenden der Heiden glänzende Laster seien! — kann als Beweis dafür dienen, daß sein Bekehrungsweg ihn nicht

nur in die Höhe, sondern auch in die Enge führte.

In dieser Beziehung

kann Augustinus uns selbstverständlich nicht als Normaltypus für den Verlauf, geschweige den Ertrag einer christlichen Bekehrung gellen.

Aber diese Schranken

können das Originelle und aus dem göttlichen Quell Kommende an ihm zwar

verhüllen, aber nicht ausheben. — Von Bedeutung sind sie indessen, wie bei der an den Vortrag sich anschließenden Diskussion besonders von Prof. Tröltsch hervorgehoben wurde, für die Frage: ist die christliche Bekehrung ein Unikum

oder ein Spezialfall einer allgemein menschlichen Sache?

An seinem Bei­

spiele wird nämlich besonders klar, wie der christliche Bekehrungsgedanke ganz

unvermerkt in die Bahn der Verengerung einlenkte, wonach vor und außer dem Kreis des christlichen Glaubens und Lebens lauter Nacht wäre — und

auf dieser dunkeln Folie muß das Licht des Christentums um so heller strahlen. — Und diese bestimmtere, spezifische Klangfarbe hat der herkömmliche Begriff der Bekehrung mehr und mehr gewonnen: heute nennt man sie „pietistisch".

— Vgl. bezüglich des Rechtes und Unrechtes dieser Beurteilung die genauere

Darlegung der Zusammenhänge weiter unten im III. Teil!

46 Reiches Gottes gießt sich sofort in seine Persönlichkeit hinein und gibt ihr die Füllung, nachdem sie den Schritt von der Welt zu Gott, aus der Zerfahrenheit einer wertlosen, genießenden Existenz in den Ernst und die Konzentration des persönlichen Lebens getan

hat.

In jener Beziehung erinnern wir uns daran, daß, nachdem

ihm der Ekel über das schale Treiben seiner Jugend erwacht war und er ein Ritter Gottes werden wollte, die erste entscheidungsvolle

(einen Wendepuntt begründende) Stunde die war, wo er bei der Begegnung mit dem Aussätzigen die Probe machte, daß in der

opferwilligen Liebe die höchste Seligkeit zu finden sei, worauf er

sodann mit der Armut dieselbe Erfahrung machte.

Das war für

ihn die Jüngerprobe, von der oben die Rede war in dem Sinn,

daß durch diese und ähnliche der Herr seine Schüler erzog.

Und

mit diesem Sprung war er in eine solche Unmittelbarkeit zu Gott

und seinem Christus versetzt, daß er nicht nur die Gottesnähe im allgemeinen, sondern die volle Gleichzeitigkeit mit Jesus erreicht

hatte und die Fähigkeit gewann, von ihm Offenbarungen zu em­

pfangen.

Ja noch mehr, er wurde einer so bestimmten Leitung

und Jnstruktton gewürdigt, daß sein Leben und Wirken sich fast wie die nach jahrhundertelanger Unterbrechung wieder aufgenommene

geradlinige Fortsetzung des Werkes Christi und seiner Jünger an­ mutet.

Die Matth. 10 beschriebene Jnstruktionsrede gab seinem

Leben ein für allemal Direktive, Zweck und Inhalt.

Damit war

er in stand gesetzt, durch die Schranken einer falschen kirchlichen

Autorität, alle Schemen eines trügerischen und sich selbst betrügen­ den Religionswesens hindurchzuschreiten und ein im besten Sinne natürliches Christentum — ein Christentum, das Natur, das von

Gottes Gnaden war — dem vorhandenen, das Manier und mensch­

liche Konstruktton war, entgegenzusetzen.

Deshalb steht er, der ur­

sprüngliche Franziskus, inmitten seiner Zeit und Welt und Kirche da, wie ein erratischer Block aus dem Urgebirge in den sumpfigen, öden Niederungen.

Deshalb waren auch die Wirkungen, die von

ihm ausgingcn, unermeßlich.

Das Große an ihm und seiner Wirk­

samkeit war, daß er in der vom Geiste seiner Zeit gegebenen Um-

47

grenzung die Wahrheit des persönlichen Christentums subjektiv und objektiv darstellte und verwirklichte: er selber das wahrhaftige Para­

digma, der lebte wie er lehrte, seine Verkündigung die einleuchtende

und

brauchbare

Anweisung

Verwirklichung

zur

des

christlichen

Lebensidcals, d. h. der völligen Bekehrung, sei's losgelöst von dem

Verband des Weltlebens, wie bei dem engeren Kreis der Jünger,

sei's inmitten der gegebenen weltlichen Beziehungen, wie bei der Bruderschaft der Tertianer, die innerlich der Welt entsagen, das

Joch Christi in Sanftmut und Demut auf sich nehmen und des überflüssigen Besitzes sich entäußernd den Armen und Kranken in Liebe dienen.

Diese große Tatsache: „Jahrhunderte lang ist das

Mysterium Christi zugedeckt gewesen, in der Religion der Brüder ist es wieder der Welt aufgeschlossen, nicht durch Weisheit eines

Menschen, sondern durch Offenbarung Gottes an Franziskus. Er über­

springt die jahrhundertelange Entwicklung der Kirche, um an Christus und die Apostel anzuknüpfen; in der Religion Jesu sieht er das Heil­ mittel für alle Schäden der kranken Gesellschaft, der bedrohten Kirche"

(Hegler, Franziskus von Assisi, Zeitschr. f. Th. u. K. 1896; S. 452 f.) — diese große Tatsache bezeichnet die kirchengeschichtliche Bedeutung der Bekehrung des Franziskus.

Seiner Selbständigkeit und Ur­

sprünglichkeit tut die andere Tatsache keinen Eintrag, daß schon zu

seinen Lebzeiten und noch mehr nachher das kirchliche System mit seiner unerbittlichen Konsequenz wie mit Polypenarmen sein evan­

gelisches Werk umklammerte und unter die engen Schranken und Gesetze seines Organismus beugte, wodurch es seiner Ursprünglich­

keit enffremdet und sein Geist verflüchtigt werden mußte.

Wenn

eben dies für seine älteren Tage sein herbstes Leiden, sein tiefster Schmerz war, so bezeugt er damit ja selber nur, daß er sich und

seinem Ideale treu geblieben war.

Wohl aber hat es nicht nur

kirchengeschichtliche Bedeutung, sondern es gehört zum unmittelbaren Verständnis der inneren Lebensgeschichte des HeUigen, wenn wir in

ihr selber die Ursachen dafür zu suchen das Recht und die Pflicht haben, warum es so kommen mußte.

Es lassen sich unschwer die

Schranken bestimmen, die in seinem Wesen begründet lagen, die

48 Schranken, die die tragischen Schatten auf den Ausgang seines

Lebens und die Fortentwicklung seines Werkes warfen.

Er,

der

von der kirchlichen Autorität keine Privilegien haben und genießen,

sondern nur aus Gottes Hand solche empfangen wollte, er hielt sich zum kindlichen Gehorsam gegen sie verpflichtet, auch dann, wenn seine heiligsten Überzeugungen sich gegen das kirchliche Gebot auf­

bäumten: gab er ihr so den Finger, so nahm sie die ganze Hand. Es ist das ein ethischer Mangel, nicht etwa in dem Sinn, daß er gegen sein Gewissen gehandelt hätte, aber in dem andern, daß er von der Stufe der kindlichen Unbefangenheit und Harmlosigkeit

nie zu der männlichen Reife und Entschiedenheit emporgedrungen ist.

Sonst hätte er diese Konflitte anders als nur mit dem Ge­ Eben dämm hing dieser ethische Mangel mit

müte ausgefochten.

einem intellektuellen zusammen.

Daß er chemisch rein von allem

Jntellettualismus war, daß er mit der Weihe zur Tat des Lebens

ein Jünger und Rüstzmg des Herm wurde, ein Täter des Wortes aus einem Gusse, das ist das Große an ihm; dicht daran grenzt seine Schwäche, daß es ihm um die Pflege der Erkenntnis gar

zu wenig zu tun war.

Weder verfügte er über theologische Bildung

— er konnte auch ohne diese seinen Bemf erfüllen — noch ver­

mochte er die Grundgedanken des Evangeliums zu Ende durch­ zudenken — und das allerdings hätte er tun müssen, wenn er sein

Werk, die Nachfolge und den Dienst Christi, durchführen wollte. Dann hätte er die Fesseln der Hierarchie gesprengt. Dieses doppelte

Manko war schuld daran, daß in ihm „der Heilige über den Re­ formator siegte".

Und in beiden Beziehungen blieb er trotz seiner

sonstigen Originalität zurück hinter der ihm so verwandten zeit­

genössischen Erscheinung, hinter Petrus Waldes und den Wal­

densern, die ersttich ganz anders als er in das Verständnis des Evangeliums hineinwuchsen und es ausbreiteten, und zweitens dem

Erzbischof von Lyon gegenüber zu dem entschlossenen Proteste sich emporschwangen: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Men­

schen".

Darum gehörte seine Sache der Gegenwart, die ihrige

hatte die Zukunft.

49 Die Bedeutung des Franziskus und seiner Bekehrung ist demungeachtet groß genug.

Er selber mit seinen Idealen und seinem

Lebenswerk hat gelebt für alle Zeiten.

Was an ihm vorbildlich

bleibt, läßt sich kurz in folgende Punkte zusammenfassen: 1. Der mit einem kühnen, plötzlichen Sprung vollzogene Übergang aus

dem Dienst der Eitelkeit und dem Bannkreis nichtiger Zwecke in das unmittelbare Gottesverhältnis und in den Dienst Gottes stellt sich bei Franziskus in eine so ermuttgende, hoffnungsvolle Beleuch-

mng, wie sonst selten: wäre es auch eine Verkennung des Sach­ verhalts, wenn man die nachfolgenden heißen inneren Kämpfe (bereit Spuren ihn zuerst in den Verdacht der Verrücktheit brachten) ver­

gessen wollte, so bleibt doch die Tatsache zu Recht bestehen, daß ihm eine überschwängliche göttliche Kraft fortan zu Gebote stand,

die alle inneren und äußeren Widerstände besiegte. Auch hier wieder der aus psychologischen Faktoren und menschlichen Kräften nicht abzuleitende Tatbestand göttlicher Selbstbekundung und Mitteilung! 2. Die besondere Form des Anschlusses an Christum, der An­

knüpfung ans Evangelium, der Nachfolge Jesu, erweist sich an ihm

wieder als der kürzeste und sicherste Weg, als der kräftigste Halt, als das fruchtbarste Feld der Betätigung für ein zweckvolles Dasein

mit ewigem Lebensinhalt: als der

kürzeste Weg, denn die Tat

des Lebens, die Probe der Jüngerschaft führt schneller zum Ziel des neuen Lebens, als der Weg des Nachdenkens — Gott sucht

den Willen; als der kräftigste Halt, denn hier ist die weltüber­ windende Kraft zu finden; als das fruchtbarste Feld der Lebcns-

betättgung, denn hier ist das Reich, d. h. die Herrschaft Gottes, die alles Leben und alle Lebensgebiete für Gott wiedererobern toiH, die in Verwirrung und Verstörung, Zerrissenheit und Krankheit, in

Not und Tod gebunden liegen.

3. Damit ist auch gegeben eine

Rückkehr zur Wahrheit des Lebens aus allem Schein und Betrug der weltlichen und religiösen Routine — wie denn Fran­ ziskus deutlich sowohl gegenüber der Weltlichkeit als gegenüber dem

Kirchenwescn Front macht, wenn auch dem letzteren gegenüber nicht

konsequent, darum auch nicht erfolgreich — und endlich last not Herzog, Begriff der Bekehrung.

4

50 least — die Rückkehr zur Natur, gegenüber einer falschen Kultur­ einer asketischen Gesetzlichkeit — das Innerste in

seligkeit, wie

Franziskus, der ideale Franziskus, erhob sich über die arotyeia toü xoaptoo.

3. Wenn wir für das, was Franziskus nicht erreichte, die Durchbrechung

der

kirchlichen

Schranken

in

Bezug

auf

Welt­

anschauung und Sittlichkeit, die positive Ergänzung suchen wollten,

so wäre sie gefunden in der religiösen Entwickelung des Reforma­ tors Luther, der zur Freiheit des Christenmenschen hindurch ge­ drungen ist.

Wir setzen dieselbe als bekannt voraus und von einer

Schilderung desselben darf um so mehr Umgang genommen werden, als der Weg Luthers wie sein Ziel mit dem entsprechenden Gang

des Paulus übereinkommt und die Reformation eine Erneuerung des Paulinismus ist (vgl. oben Thesen II, 5!). —

Dagegen kommt für unsere Frage wesentlich in Bettacht die

besondere Gestalt, welche der Bekehrungsbegriff in der pietistischen Bewegung gewonnen hat.

Unter den vielen Beispielen greifen wir

zwei verschiedenarüge heraus, die beweisen mögen, welchen weiten

Spielraum für die individuelle Gestaltung der Bekehrungsgeschichte

auch die nach herkömmlicher Ansicht enge Bahn des Pietismus ge­

stattet hat.

Die zwei Gestalten sind August Hermann Francke

und Johann Jakob Moser, jeder ein Mann aus einem Guß, ein

Ganzes in seiner Att. — 4.

Die Entwicklung Franckes vollzog sich von vornherein

unter günstigen Sternen.

Eine fromme Erziehung, früher kindlicher

Umgang mit Gott im Gebete, das alles hätte den Grund legen können zu einem Gange wie dem von Ph. Jak. Spener.

kam anders.

Aber es

Welche inneren und äußeren Umstände dazu auch

mitgewirtt haben mochten, auch ein siebenjähriges Studium der

Theologie brachte ihn, den 24jährigen, nicht weiter, als daß er von sich bekennen mußte*):

„Meine Theologie war in meinem Kopfe,

*) Francke hat den „Anfang und Fortgang seiner Bekehrung- selbst be­

schrieben.

51 nicht in meinem Herzen.

Sie war eine tote Wissenschaft, die mein

Gedächtnis und meine Phantasie beschäftigte!...

Ich hatte auch

wirklich viele ansehnliche Hefte zusammengeschrieben.

In

mein

Herz etwas zu schreiben, das war mir ein zu seltener Gedanke." Läßt nun dieses Geständnis einen trüben Blick tun in den zeit­ genössischen Betrieb der Theologie, in die Öde des Dogmattsmus,

so ist damit nicht alles erklärt.

Kam er doch auf seinen Wan­

derungen mit herzlich frommen Männern, z. B. Anton (in Leipzig) zusammen, mit dem er sogar ein Kollegium für Bibelfteunde ein­ richtete. — Es waren vielmehr in ihm selber schwere Widerstände

zu überwinden.

Obwohl er jeweils stärker angefaßt war, so bekennt

er gleichwohl: „Doch konnte ich immer noch nichts unrechtes darin

finden, durch alles Wissen und Lernen nur nach Ehre, Reichtum und guten Tagen zu trachten.

Daß die Welt vergehe mit ihrer

Lust, und daß es bleibendere Güter als diese vergänglichen gebe, — der Gedanke konnte immer noch zu wenig Wurzel in meiner Seele fassen."

Aber er war doch ehrlich genug, sich einzugestehen, daß

sein Zustand ein unhaltbarer sei; der Kampf zwischen den Zügen

von oben und den Dämonen in seiner Brust — Ehrgeiz und Welt­

sinn — war entbrannt:

„Ich war gleichsam in der Dämmerung.

Einen Fuß hatte ich schon auf die Schwelle des Tempels gesetzt, und doch ward ich von der so tief eingewurzelten Weltliebe zurück­ gehalten, vollends hineinzugehen. . . .

Das Böse war so stark wie

ein Riese, gegen den sich etwa ein Kind auflehnt. Wer wäre elender gewesen als ich, wenn ich in einem solchen Zustande geblieben wäre, da ich mit der einen Hand den Himmel, mit der anderen die Erde

ergriff, Gottes und der Welt Freundschaft zugleich genießen wollte

und es also mit keinem recht hielt?" In solchem Zustande kam er nach Lüneburg, wo stille einsame Tage nach der bisherigen Viel­

geschäftigkeit seiner warteten, die die Selbstbesinnung vertteften, und wo seine Stunde schlagen sollte.

Der Knoten war geschürzt; lehr­

reich ist der Anlaß und das Mittel, wodurch er ein für allemal gelöst ward. Er sollte eine Predigt halten über den Text: Joh. 20 31.

Da fiel es ihm bei der Vorbereitung wie ein Zentnerstein auf das

4*

52 Herz, daß er selber nicht diesen Glauben habe, in dem man das

Leben hat.

Diese Zwangslage brachte die heilsame Krisis herbei.

Er sah ganz deutlich, daß sein Glaube ein Wahnglaube sei, daß er nicht in ihm lebe, d. h. kein Leben daraus ziehe.

In der Glut­

hitze des inneren Kampfes um sein inneres Sein oder Nichtsein erhellt sich der Blick zuerst einwärts: „Mir kam mein ganzes bis­

heriges Leben vor Augen wie einem, der von einem hohen Turm die ganze Stadt übersieht.

zählen.

Erstlich konnte ich gleichsam die Sünden

Aber bald öffnete sich auch die Hauptquelle, nämlich der

Unglaube oder bloße Wahnglaube, womit ich mich bisher so lange

betrogen hatte." . . .

„Dieser Jammer preßte mir viele Tränen

aus den Augen, dazu ich sonst nicht geneigt bin."

Was konnte

er in dieser Not anderes tun als an den Gott appellieren, den er

„Doch sagte ich, wenn ein Gott wahrhafttg

doch nicht kannte!

wäre, so

möchte er sich mein erbarmen."

offenbarte sich ihm.

Und der Unbekannte

Es geschah auf mannigfache Weise.

Dem

schweren inneren Konflitt fehlte nicht eine dramatische Episode. So sehr er die innere Pein verbergen wollte, es gelang nicht ganz.

Dem Freunde, Konrektor Mezendorf, gegenüber ließ er eine An­ deutung enffchlüpfen, über die derselbe höchlich erstaunt war.

Es

war bei Gelegenheit eines gemeinsamen Ganges zu dem frommen

Superintendenten Scharff.

Da geschah ein doppeltes, was sich wie

ein spürbarer Zug von oben anmutete: nicht nur daß beim Auf­ schlagen des griechischen neuen Testaments sein Blick gerade auf 2. Kor. 4 7 fiel:

„wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen,

daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns",

ein Wort, aus dem sich ein verborgener Trost in sein Herz senkte — er konnte das immerhin Zufall nennen, aber der Zufall hat

ost steundliche und lebendige Züge, wie wenn ein Auge aus ihm

und durch ihn hindurch uns anblickte! — sondern bei dem gemein­ samen Gespräch mußte Scharff gerade die Frage aufwerfen: „Wo­ raus der Mensch erkennen sollte, ob er Glauben habe oder nicht."

Der Diskurs kam in Gang.

Francke schwieg dabei, und wie er sich

einerseits fragte, ob sie wohl von ungefähr auf diesen „ihm höchst

53 nötigen" Diskurs gekommen wären, — da doch keiner von seinem Zustande das geringste wußte! — so wurde er andererseits aus dem Gehörten in dem Urteil über sich selbst bestärkt, daß er keinen Da konnte er denn auf dem Heimwege es nicht

Glauben habe.

unterlassen, seinem gepreßten Herzen Lust zu machen und zu sagen:

„ich habe keinen Glauben,"

und den Versuchen des überraschten

Freundes, ihn zu beschwichtigen, hatte er nur die trostlose Antwort

entgegenzusetzen:

„Was

er anführe, möchte wohl einen anderen

stärken, aber ihm könne es nicht helfen."

Leidens bis zur Neige leeren.

Er sollte den Kelch deS

Das war Gottes Fügung.

Der

Kopfglaube (b. h. der Intellektualismus) sollte sich in seiner ganzen Ohnmacht offenbaren, um dem Herzensglauben Bahn machen zu

können.

So kam der große Sonntag und sein Abend heran, an

dem das ganze und volle Licht ihm aufgehen sollte.

„In solch

großer Angst legte ich mich an diesem Sonntag Abend nieder auf meine Knie und rief an den Gott, den ich doch nicht kannte noch

glaubte, um Rettung aus solch elendem Zustand, wenn anders ein

wahrhaftiger Gott wäre.

Da erhörte mich der Herr, der lebendige

Gott, von seinem heiligen Throne, da ich noch auf meinen Knieen

lag.

So groß war seine Vaterliebe, daß er mir nicht nur nach

und nach solche Zweifel und Unruhe des Herzens benehmen wollte,

daran mir wohl hätte genügen können, sondern damit ich desto mehr überzeugt würde und meiner verirrten Vernunft ein Zaum

angelegt würde, gegen seine Kraft und Treue nichts einzuwenden, so erhörte er mich plötzlich.

Denn wie man eine Hand um­

wendet, so waren alle meine Zweifel hinweg.

Ich war versichert

in meinem Herzen der Gnade Gottes in Christo Jesu, ich konnte Gott nicht allein Gott, sondern auch meinen Vater nennen, alle Traurigkeit und Unruhe des Herzens ward auf einmal weggenommen,

hingegen ward ich als mit einem Strom der Freuden plötzlich über­

schüttet. ...

Da ich mich niederlegte,

glaubte ich nicht, daß ein

Gott wäre, da ich aufftand, hätte ich's wohl ohne Zweifel und Furcht mit Vergießung meines Bluts bekräftigt. ...

Ich war tot und

siehe ich bin lebendig geworden." — So erfuhr er in dieser Nacht,

54 in der er vor Freuden nicht mehr schlafen konnte, die Wahrheit des LutherworteS, das ihm in den Sinn gekommen war: „Glaube

ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus

Gott und tötet den alten Adam, machet uns ganz andere Menschen von Herz, Mut und Sinn und allen Kräften und bringet den

helligen Geist mit sich."

Daß er am anderen Tage seinem Freunde

das gewonnene Glück freudesttahlend mitteilte und seine Mittwochs­ predigt nun im Geiste des Glaubens abhielt, nach dem Worte: „ich

glaube, darum rede ich", das braucht nur berühtt zu werden.

Aber

wesenttich zum Ganzen gehört die andere Errungenschaft, daß er

bezeugen durfte,

1. wie diese unvergeßliche Stunde ihm treu ge­

blieben sei und es von da an mit seinem Christentum einen Bestand gehabt habe, 2. daß es ihm leicht geworden sei,

„das ungöttliche

Wesen und die weltlichen Lüste zu verleugnen und züchttg, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt".

„Von da an habe ich mich

beständig zu Gott gehalten und Beförderung, Ehre, Ansehen vor der Welt, Reichtum und gute Tage und äußerliche weltliche Ergötz-

lichkeit für nichts geachtet." — Diese Bekehrung Franckes beansprucht unser Nachdenken nach

verschiedenen Richtungen.

Mag die besondere Form, welche teils

der geistliche Beruf, teils der pietistische Vorstellungskreis ihr ge­

geben hat, noch so sehr in Anschlag gebracht werden, so kann man doch nicht leugnen, daß darin das eigentliche Problem der Bekehrung einen besonders anschaulichen Ausdruck gefunden hat.

a) Die Voraussetzungen derselben lagen nicht nur in der Not des Jntelleftualismus, der ihn dem Kopfglauben ausgeliefert hatte, sondern hinter und in ihm verbarg sich ein tieferer Mangel,

der dem gewohnheitsmäßigen Christentum als seine verbreitetste Be­

gleiterscheinung zur Seite geht: es ist der Bann des Relativismus, der dem Glauben seine Lebenskraft und seinen Lebenssaft raubt.

Entweder ist Gott dem Menschen der Absolute, und seine Wahr­ heit und Gnade das höchste Gut, oder er ist für ihn gar nicht

vorhanden, der „Unbekannte".

Das ist auch dann der Fall, wenn

er und was man von ihm weiß, in die Relativitäten des noch

55 weltlich und selbstisch bestimmten Lebens und Strebens verflüchtigt

ist.

In diesem Banne lag auch Francke und aus ihm wurde er

befreit durch die heilsame Krisis, in die ihn die Verpflichtung der Predigt, d. h. des Zeugnisses, versetzte. Es galt entweder zu lügen, oder zu schweigen — oder aber Gott und die Wahrheit in neuem

Licht, in neuer Kraft zu schauen, zu erleben. b) Deshalb lag auch die Tatsache, daß, wie die Art, auf welche sich Gott ihm offenbarte, ganz in der Linie seiner Bedürf­ nisse. Es wurde ihm kein Gesicht, keine Erscheinung oder Ver­

zückung zu teil, sondern die göttliche Wahrheit und Gabe, die ge­ bunden und verzaubert in ihm schlummerte, wurde zu Kraft und Leben erweckt; er schaute Gott in Christo, die Wahrheit stieg aus dem Kopf ins Herz herab.

Es war ihm, als ob er seither in

tiefem Schlaf gelegen wäre und alles nur im Traume getan hätte und nun eben jetzt aufgewacht wäre, so bekennt er selber. Der Akt seiner Bekehrung war eine Entzauberung.

c) Dementsprechend waren die Folgen und der bleibende Ertrag dieser Errungenschaft: hatte er das höchste Gut entdeckt, so konnte

er die niederen verleugnen und wegschätzen, nunmehr ohne Zwang

und Mühe, aus innerer Lust und Freude.

Aber noch etwas wird

Das Wunderbarste an diesem Siege war, daß er ein für allemal gewonnen blieb, daß er Bestand hatte. Man sollte verständlich.

das nicht erwarten im Blick auf unzählige ähnliche Entwicklungen,

denen man einerseits den Ernst und die Schärfe, wie die Lauterkeit und Echtheit der inneren Krisis nicht absprechen, und doch anderer­ seits dieselbe Nach- und Probehaltigkeit (das „donum perseverantiae“) nicht nachrühmen kann.

Recht besehen aber lag diese

Bewährung und Beharrung bei Francke nur in der inneren Folgerichtigkeit der Sache begründet; die Festigkeit des weiteren Aufbaus

seines Lebens und Lebenswerkes war in der Solidität des gelegten Grundes verbürgt.

Denn war einmal das Ganze der Glaubens­

wahrheit, das vorher nur im Kopfe saß, der ihm eigentümlichen, heimatlichen Sphäre des Herzens und Lebens wiedergegeben, so

konnte es nun unter sich wurzeln und über sich Frucht tragen, und

56 war einmal der höchsten Realität, dem in Christo lebendigen Gott,

die ihm gebührende Stellung zugewiesen, so konnte und mußte sie

sich auch darin behaupten. — So wenig man daher berechtigt sein mag, eine grundlegende

Krisis im Christenleben, wie die Franckes gewesen ist, zur Norm für seine Entwickelung zu machen, so gewiß wird an ihr eine Wahrheit und ein Gesetz anschaulich, welche maßgebende Bedeutung

beanspruchen können.

Eine Wahrheit: Für das christliche Leben,

das in sich gegründet und gefestigt sein soll, ist das Bedürfnis un­

umgänglich, daß es zu einer Berührung und Auseinandersetzung mit dem lebendigen Gott kommt, welche den Menschen aus der

Routtne des Lebens, dem Ewig-Gesttigen heraushebt und reißt, das Bedürfnis, daß, subjektiv ausgedrückt, die ihm schon eigenen ob

ererbten

oder

erlernten

Glaubensvorstellungen

zu

solchen

gewichtigen Realitäten sich verdichten, daß sie die ganze Summe der natürlichen Triebe und Motive aufwiegen, bestimmen, ordnen

und in ihre Dienste ziehen, objektiv ausgedrückt, daß der lebendige Gott sich ihm kund- und zu erfahren gibt.

Dadurch tritt der

Mensch aus dem Relattvismus heraus und in den Dienst des Ab­

soluten ein.

Und das Gesetz seiner Entwicklung wird das sein:

Je völliger, gründlicher, lauterer und rücksichtsloserer sich einmal diese Auseinandersetzung vollzogen hat, desto folgerichtiger wird die

Entfaltung des wahren Lebens sein, desto eher wird er vor Rück­

fällen und Unregelmäßigkeiten bewahrt werden.

Innerhalb des

Kreises des christlichen Lebens handelt es sich aber besonders darum,

daß der Mensch aus der Zerfahrenheit eines, sei's intellektuell, sei's nur gewohnheitsmäßig religiös bestimmten Lebens hindurch

den

Weg zu der Einheit und Geschlossenheit eines christlichen Charakters finde.

Hierfür ist Franckes Entwicklung vorbildlich. —

Wenn man aber immer noch sagen möchte, es

halte doch

schwer, an diesen und ähnlichen Mustern sich über das in Frage

stehende, sicherlich jeden Einzelnen betreffende Problem der Be­

gründung eines christlichen Lebens, das aus einem Gusse wäre, llar zu werden, well es sich hier und bei den anderen geschildetten

57

Beispielen um besondere hervorragende Gestalten handele, die zudem durch ihren Beruf mehr als die Übrigen auf diese Bahn geführt wurden, so können wir uns an dem Beispiel eines Mannes, der

mitten im Weltlcben stand, über die Frage weiter orientieren, wie sich die Bekehrung inmitten dieser Beziehungen vollziehen und ge­

stalten kann.

5. Johann Jakob Moser gehört in die Reihe der zu allen

Zeiten allzu seltenen Menschen, die den Stempel der Ursprünglich­ keit und Echtheit an sich tragen, die im Grunde ihres Wesens einen

eigentümlichen, von Mode und Konvenienz, Erziehung und Ver­ ziehung unverfälschten Kern in sich hegen und daher inmitten der

Masse der so oder anders von den Umständen, dem Milieu, be­ gemodelten Dutzendmenschen

stimmten und

die erquickenden und

leuchtenden Gegenbeweise gegen die entwürdigende Hypothese dar­ stellen, daß der Mensch das Produkt seiner Verhältnisse sein müsse. Bei ihnen tritt immer beides hervor: wie die Wirklichkeit der der Dinge sich in ihnen gerade und ungebrochen spiegelt, so prägen

sie derselben wiederum den Stempel ihrer Originalität und schöpfe­

rischen Gestaltungskraft auf, sodaß sich bei ihnen das Paradoxon

bewährt:

les

affaires

sont l’homme.

Ein Carlyle,

Gordon,

Bismarck gehörten in diese Reihe der Zeugen der Wahrheit.

Wenn

nun in dem Bilde einer solchen zentralen Persönlichkeit, die das Widerspiel der Larven und Charlatane ist, in ihrem Denken und

Erleben auch die religiöse Frage, die Frage nach dem lebendigen Verhältnis zu Gott, sich spiegelt, so wirft das immer einen reichen

Ertrag ab, weil man da auf das feste Grundgestein der großen Wirklichkeiten stößt.

Bei Moser ist das in besonderem Maße der

Fall, weil er in seiner Selbstbiographie sich und der Mitwelt ehr­ lich und eingehend Rechenschaft gibt über seine innere Entwicklung. In

dem Abschnitt „Geschichte meiner Religion" beschreibt er den

Gang derselben.

Als die wichtigsten Stadien treten folgende hervor:

In seiner Jugend sammelte er einerseits, weil er ein Bücher­

wurm ohnegleichen war, so viel Religionskenntnisse, „als wohl viele 100 Pfarrer auf dem Lande nicht haben mögen", und kam anderer-

58 seits „bet einem tugendhaften Leben, nicht aus Lesung irreligiöser Bücher, sondern bei dem Nachdenken über die theologischen Wahr­

heiten" und weil „das wahre Christentum damals noch als Pietisterei angesehen" wurde, nach und nach ganz von der Religion ab; außer daß eine „formido oppositi“ übrig blieb.

Diese be­

schreibt er näher dahin, daß er öfters aus dem tiefstem Grunde seines Herzens seufzte: „Wenn ein Wesen aller Wesen sei, so möchte es sich meiner erbarmen! und wenn die Bibel Gottes Wort und die christliche Religion wahr sei, so möchte mich Gott nicht in diesem

Zustande sterben lassen." So war denn von allen Zweifeln das im Grunde des Herzens liegende allgemeine Wahrheitsgefühl, welches Ötinger den sensus communis nennt, unberührt oder unerschüttert geblieben, wie er denn sowohl in der Betrachtung des Weltbaus und der Kreaturen

genug Spuren der Allmacht und Weisheit fand, um den Zweifeln ein Übergewicht entgegenzustellen, das nicht zu entfrosten war — als auch in Wien dem Versuch, ihn katholisch zu machen, auf eine

ebenso ehrliche, wie vernünftige Weise siegreich widerstand.

Diese

Probe seiner praküschen Redlichkeit und Wahrheitsliebe ist zu be­

zeichnend, als daß wir sie ganz übergehen dürsten.

Der Antrag

kam an ihn in der verführerischesten Gestalt und dem auffttebenden Beamten wurde die schönste Karriere, dem armen Mann die glän­ zendste Existenz in Aussicht gestellt.

Aber obwohl er damals noch

„keinen Funken wahrer Religion, nicht einmal einer natürlichen"

besessen zu haben bekennt, so war er 1. viel zu ehrlich dazu, als

daß er sich äußerlich hätte stellen mögen, er halte die katholische

Religion für besser als die evangelische, 2. dachte er: „Sei die christ­ liche Religion wahr, so könne die katholische nicht die wahre christ­ liche Religion sein, als deren Kirchenverfassung und Lehrsätze ich schlechterdings nicht weder mit dem Kreuzreich Jesu auf Erden, noch

mit den Lehrsätzen des Reuen Testaments, noch mit dem Vorbilde Jesu Christt und seinen Aposteln reimen konnte."

So gab er dem

katholischen Prälaten die treffende Antwort, mit der er den Knoten

frischweg zerschnitt: der Handel komme ihm verdächtig vor, denn er

59 biete ihm auf seinen Luther freiwillig so viel auf.

Wenn er ge­

sagt hätte, ob er nicht tauschen wolle, so hätte er es noch über­ legen können; da er ihm aber bei der Vertauschung der Religionen zu der seinigen so viel zulege, so müsse seine Ware schlechter sein,

als seine eigene. So siegte die Ehrlichkeit im Bunde mit dem ge­ sunden Menschenverstand über die Versuchung. Aber der innere Ertrag war für ihn der, daß er nicht duldete, daß das Licht in ihm, d. h. das Wahrheitsgefühl, Finsternis ward. Wenn er nun im Lauf der Zeit zu „einem mehreren Besinnen"

kam und eine

„natürliche Religion" hatte, den Glauben an die

Gottheit (nach dem I. Artikel), so war der zweite Schritt, der zum posittven christlichen Glauben, ein viel entscheidungsvollerer.

„Nachher machte in Ansehung der Wahrheit der christlichen Religion eine von dem seligen S Pen er einem Naturalisten erteilte Antwort

einen starken Eindruck auf mich, da er sonderlich auf den Spruch Joh. 717, viel setzte: So jemand will rc. Anfangs däuchte mich diese Forderung unbillig. Ich fand aber nachher aufs Über­

zeugendste, daß sie selbst in der Vernunft unbeweglich gegründet, mithin auch einer, so sich derselben nicht unterwirft und sie nicht befolget, einesteils unentschuldbar sei, wenn er verdammt wird, und anderenteils kein Atheist oder Naturalist, er habe auch gegen die Wahrheit der christlichen Religion noch so viel einzuwenden,

mit Recht sagen könne, sie sei ungegründet, so lange er dieses

Probiersteins sich nicht bedient hat. Wenn z. B. ein kunstvoller Uhrmacher mir sagt: Will er meine Uhren machen lernen, so muß er tun, was ich ihn heiße, und mir folgen: tut er es, und er lernt alsdann nicht, solche Uhren machen, so kann er mich für einen Betrüger und Stümper halten; tut er es aber nicht, und

folgt mir nicht, so kann er auch nicht sagen, daß meine Kunst

falsch und mein Vorgeben unbegründet sei; er mag auch so viel darüber räsonnieren als er will.

Hat nicht der Uhrmacher recht?"

„So ergab ich denn", sagt er weiter, „meinen Willen darauf,

der Lehre Jesu in meinem Leben und Wandel zu folgen.

Und als

ich das tat, fielen mir nach und nach immer mehr Zweifel hinweg,

60 ich fand bei Jesu Ruhe für meine Seele; und so ging es von Grad

zu Grad weiter", sodaß er später bekennen kann: „Ich habe nun gegen 40 Jahre lang das ununterbrochene Zeugnis, daß ich bei Gott

um Jesu Christi willen in Gnaden stehe; ... ich lebe und wandle

also im Frieden Gottes, bin dabei ruhig und vergnügt und sehe dem Ende meines Lebens getrost und freudig entgegen, in einer

gewissen Hoffnung eines ewigen seligen Lebens. Der ganze Grund meines Glaubens und meiner Hoffnung beruht also einzig und

allein auf der Gemeinschaft durch den Glauben mit Jesu Tod und Auferstehung, und wenn mir dieser Grund wankend würde oder entginge, so hielte ich mich für eine unglückselige Kreatur."

Aus diesen Bekenntnissen geht ja deutlich hervor, daß die ent­

scheidende Probe, welche Moser mit dem Gehorsam gegen Christi

Worte veranstaltete, ihn sofort in die rechtgläubige Heilslehre, das heißt in den Glauben an den Heilswert des Lebens und Sterbens Christi hineinführte. Man kann die entsprechenden Überzeugungen immer noch verschieden sich vermittelt denken, sei es mehr so, daß

er bei dem ernsthaften Versuch, sein Leben nach Gottes Willen ge­

wissenhaft einzurichten, und zwar nicht mehr lediglich nach seinem

Gutdünken und Wohlmeinen, sondern im Lichte des Evangeliums Christt, die Unzulänglichkeit seiner Bemühungen erkennend, in die dargebotene Gnade der Versöhnung flüchtete, daß er also, kurz ge­ sagt,

den Weg vom Gesetz und durchs Gesetz zum Evangelium

suchte und fand — sei es mehr in der Art, daß er in dem Worte

einen Ruf Christi sah und sich gleich dem Herrn zur Verfügung

stellte, wie etwa Paulus nach seiner Berufung fragte: „Herr, was

willst du, daß ich tun soll", und daher eine enffchlossene Wendung in seinem Verhalten gegenüber der Welt und ihrem Ton, ihren Gewohnheiten und Grundsätzen, die ja mit der Nachfolge Jesu

nicht stimmen, vornahm.

Aber ob so oder anders die inneren

Auseinandersetzungen und die praftischen Schritte geschehen mochten — die mannigfachen Selbstbekenntnisse lassen für beide Möglich­

keiten Raum und sie selber liegen in der Wirklichkeit des Lebens nicht weit auseinander —

die Hauptsache ist, daß Moser den

61

Schritt zum Glauben oder in den Glauben hinein aus der Sphäre des Intellekts in die des Willens, aus dem Gebiet der philoso­

phischen Erwägung in das des praktischen Experiments verwies. Daher sagt er in diesem Zusammenhang unter andern, er leugne nicht, daß auch Atheisten rc. durch Schriften zur Verteidigung der christlichen Wahrheit zur Überzeugung von derselben gebracht werden

können, aber deswegen „sind sie noch nicht bekehrt" (vergl. Simon

den Magier) und weiter: „gegen 10, 20, wo die wahre Bekehrung in dem Verstand den Anfang nimmt, gibt es allemal 50, 100, wo die Bekehrung am Willen oder Herzen anfängt." —

Das von Moser besprochene Problem duldet nun freilich nicht

eine sich so ausschließende Gegenüberstellung der Potenzen des Er­

kennens und des Willens, aber die Hauptfrage ist die, auf welche Seite der Accent fällt und in dieser Beziehung bezeugt seine, wie Franckes oben beschriebene Entwickelung die Unumstößlichkeit des

Kanons: das Experiment, nicht das Räsonnement macht den Christen. Die Entdeckung des neuen Landes geht der Erforschung voran, und

die Umdenkung der Begriffe folgt auf die Umwälzung des Lebens, das

neue Erfahrungen gemacht hat.

So ist die Bemerkung Mosers zu

verstehen: „es ist die unmöglichste Unmöglichkeit, daß ein Unbekehrter (mit Überzeugung und einem lebendigen Gefühl des Herzens) denken könne, wie ein Bekehrter: ich schrieb daher unlängst von mir selbst:

Seitdem das Herz den Kops gelehrt, Hat dieser sich ganz umgekehrt In seinen Grundideen" — und die andere: „Auf den Satz: man muß die Leute zuerst vernünftig machen, alsdann sind sie erst fähig, die christliche Religion zu fassen, halte

ich schlechterdings nichts, und so kann man zwar natürlich tugend­

hafte Leute bilden, welche aber zu einem wahren Herzens- und tätigen Christentum dadurch meistens noch viel unfähiger werden, als sie zuvor waren.

Sondern die Regel und Praxis Jesu und

seiner Apostel ist und bleibt: Tut Buße (ändert euren angeborenen natürlichen Sinn) und glaubet alsdann an das Evangelium von

62 der Gnade Gottes in Christo Jesu.

Dieses ist der gerade, von Gott

geordnete und mit seines heiligen Geistes Kraft begleitete Weg zu

einem wahren Christentum, wodurch auch der Verstand zugleich so erleuchtet und der Wille so kräftig geneiget wird, als durch keine

Weltweisheit je geschehen kann, wobei also auch der gesunde natür­ liche Verstand nichts verspielt, sondern vielmehr gewinnt." — Diese Ergüsse beweisen,

daß die selbständige Art, auf welche

Moser das lebendige Christentum fand, ihn ebenso über den Bann einer toten Rechtgläubigkeit, wie über die Sphäre des „praktischen Christentums" seiner Tage, des Rattonalismus, emporhob.

Weil

er seinen Standort jenseits des Intellektualismus genommen

und seinen Anschlußpunkt in der Gemeinschaft mit dem Jesus des

Evangeliums gefunden hatte, war er für die Partei dieser feindlichen Brüder, die sich auf dem Boden des Intellektualismus gegenseitig

bekämpften, verloren. Den gegebenen Anschluß fand er daher natur­ gemäß im Pietismus, ohne sich mit seinem weiten Herzen und Horizont in die landläufige Enge desselben einschließen zu können

oder zu müssen.

Und war nicht nur sein theologischer, sondern sein

religiöser Standpuntt auch durchaus der der Rechtgläubigkeit, so war er es darum, weil er mit gutem Gewissen die grundsätzliche Wahr­

heit desselben an seiner inneren Erfahrung erprobte.

Ein besseres

Gefäß gab es für den lebendigen Glaubensinhalt nicht, der sein Herz erfüllte und sein Leben beseelte.

Der schlagendste Beweis hierfür liegt vor in der merkwürdigen Erfahrung, die er im weiteren Verlauf seiner inneren Entwickelung

machte und die so recht den Schlußstein im Aufbau seines christ­

lichen Lebens bildet. er zu einem

Im Jahre 1737, bezeugt Moser, gelangte

bleibenden Zeugnis der Vergebung seiner Sünden,

nachdem mehrere Jahre zuvor er und seine Ehegattin angefangen

hatten, sich von ganzem Herzen „der Welt ab und zu Gott zu be­

kehren", alles abzulegen, was sie als Sünde erkannten, im Worte Gottes sich zu erbauen, die Schmach Christt vor der Welt auf sich

zu nehmen, fleißig die Knie vor Gott zu beugen rc. — Aber noch hatten sie keinen bleibenden Frieden, und als sie von christlichen

63 Freunden geradezu apostrophiert wurden: „Nun, ihr lieben Brüder, Habt ihr Vergebung der Sünden?" — da

wie steht's um euch?

stutzten sie und wollten nicht recht mit der Sprache heraus.

End­

lich sagte Moser, das sei etwas so großes, daß er sich nicht getraue, „sich dessen anzumaßen".

falsche Demut".

Ihm wurde entgegnet: „ei, das ist eine

So trieb ihn die Sache lange um.

Nachdem

aber später andere christliche Brüder auf ermutigende Art von ihren

diesbezüglichen Erfahrungen erzählt hatten, faßte sich Moser ein Herz und bat wochenlang Gott alle Tage darum, er möchte ihn gleich anderen seiner Kinder mit dieser Versicherung der Vergebung erfreuen oder wenigstens möchte er ihn nicht eher aus dieser Welt

hinwegnehmen, als bis er eine gewisse Versicherung seines Gnaden­

standes erhalten habe

Da geschah

es an einem Sonntagnach­

mittag, daß er eine Verzückung erlebte — er sagt selbst, wie Pau­ lus 2. Cor. 12 2 — in der er im Geiste sich vor Gottes Gericht

gestellt und die Sünden seines Lebens an sich vorüber ziehen sah,

die Fürsprache Jesu hörte und im Innern den Antrieb fühlte, zu­ zugreifen.

Da wurde er von dem Gefühl des Friedens wie über­

flutet und sein Mund ergoß sich im Loben und Danken. Trotzdem nun, wie ja natürlich, die fühlbare Wonne wieder nachließ und auch

spätere Erschütterungen des Friedens nicht ausblieben, so wich doch die Grundsttmmung nicht mehr von ihm.

Moser selbst ist nüchtern genug, in einem Schlußwort zu dem Selbstbekenntnis

von diesem Höhepunkt seines inneren Erlebens

ausdrücklich zu bemerken, daß er keine Norm aus solcher Erfahrung machen wolle und wohl wisse, daß man auch ohne solche aufs Wort hin und auf Grund des bloßen Wortes die Versicherung der Ver­

gebung genießen könne.

Auch ist es nicht zufällig, sondern recht

bezeichnend, daß die Entzückung — man nenne die Sache wissen­ schaftlich, wie man will — gerade zu diesem Bilde sich gestaltete: wie nahe lag ihm, dem Juristen, gerade diese Form des transcen­ denten Vorganges?

Und weiter: waren nicht die näheren inhalt­

lichen Züge des Gesamtbildes sowohl durch das entsprechende Gesicht bei Sacharja (3 i ff.),

wie durch die orthodoxe Lehre von der

64 intercessio Christi präformiert?

Also der Rahmen wie das Bild

Aber andererseits gibt es doch zu denken, daß

waren gegeben.

einem Manne von so ausgesprochener, hausbackener Trockenheit, der über die Armut an Phantasie selber klagt, solche innere Erfahrung zuteil wurde.

So wird ihre Bedeutung zu mindesten dahin zu be­

stimmen sein, daß sie nicht nur ein Denkmal ist für den großen

Ernst, mit welchem Moser selbst nach der Perle einer gewissen, festgegründeten Überzeugung von seinem Gnadenstande suchte und rang, sondern auch für die göttliche Kondeszendenz, welche sich zu

den menschlichen Bedürfnissen, ja wohl auch zur Schwachheit, wenn man's so heißen will, herabläßt. — Insbesondere aber, und das

ist die Hauptsache, ist dadurch die Berechtigung erwiesen, die ein

Christenmensch haben, der Anspruch, den er erheben darf, zu einer zweifellosen Heilsgcwißheit durchzudringen, die allein der tragende Grund eines freudigen und sieghaften Christentums sein kann und

daher auch den objektiven Wert der Bekehrung sicherstellt.

Und, wenn man gerade den Lebens- und Leidensgang I. I. Mosers in Erwägung zieht, der als Mann namenlose Prüfungen erduldet

und siegreich überstanden hat, so wird die Notwendigkeit, wie die Tragkraft

einer

solchen sozusagen

transzendenten Bürgschaft er­

wiesen*). So gibt der Überblick über die religiöse Entwicklung dieses im

vollen Weltleben mit allen seinen weitgreifenden und vielfach ver*) Die schönste Probe von dem Heroismus eines in Gott gesetzten Geistes

legte er, der politische Märtyrer, ab, als er die Ungnade seines Fürsten in dem mit raffinierter Grausamkeit verschärften, jahrelangen Festungsarrest aus dem

Hohentwiel durchkosten mußte. zu

Ludwigsburg

vor

der

Was er dort in der Garderobe des Schlosses

verhängnisvollen

Eröffnung desselben zu

einem

anwesenden Gchcimsekretär „aus der Fülle seines Herzens" geschwind gesagt: „Unverzagt und ohne Grauen, soll der Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen",

das hat er in dem Dunkel seines Kerkers gehalten, und was er dem Herzog auf die Androhung der Untersuchung „durch die allerschärffte Inquisition" erwidert hat: „Euer Durchlaucht werden einen ehrlichen Mann finden", das hat er durch

alle Versuchungen, vom Pfade

weichen, hindurch behauptet.

der Wahrheit um seines Vorteils willen zu

65 suchlichen

Beziehungen

verlaufenden

wichtige und

Lebensganges

fruchtbare Gesichtspunkte an die Hand.

Lehrreich sind

gleicher­

maßen die Vorbereitung, der Vollzug und der sich im gesamten inneren und äußeren Leben entfaltende Ertrag der gründlichen Bekehrung dieses Mannes, bei dem man neben aller Entschiedenheit

des Pietisten und Gemeinschaftsmannes nichts von Beschränktheit, Ängstlichkeit und Schablonenhaftigkeit, bei aller traditionellen Recht­ gläubigkeit nichts von Engherzigkeit und dogmatischer Befangenheit wahrnimmt.

In ersterer Beziehung kann er freilich, auch als er

noch „Naturalist" war, als „anima naturaliter christiana“ gelten, aber wenn an ihm sichtbar wird,

daß Ehrlichkeit und Redlichkeit

die beste Prädisposition für den Schritt zum positiven Glauben ist, — das ist ja auch der Sinn des Petruswortes Apostelgesch. 10 34 f.

— ist damit nicht der wichtigste Fingerzeig gegeben für die Frage,

wie man von evangelischem

Gesichtspunkt

verfolgen soll, die noch mehr „draußen"

stehenden Menschen

aus

das große Ziel

oder weniger geistlich toten oder jedes Standes

für

das

höhere

Leben zu gewinnen? Es gilt, diesen Schritt in gesunder Weise vorzubereiten durch die Betonung dessen, was Ötinger „das große Einmaleins des Gewissens" nennt, des allgemeinen Wahrheitsge­

fühls, das zuerst

erweckt, geschärft, gepflegt sein

will, ehe aus

eine Empfänglichkeit für das Angebot des Evangeliums gerechnet werden darf. Nur auf dieser Grundlage wird daher auch die Experimental­

methode, welche das Wort Joh. 7 n an die Hand gibt, Sinn und Verständnis, Inhalt und Zweck gewinnen und zum Vollzug der Be­

kehrung helfen.

Welch wichtiger Wink hierin für die Evangelisation

im weiteren und engeren Sinn, sei's die allgemeine des kirchlichen Predigtamts, sei's die besondere methodische der freiwilligen Kräfte, gegeben ist, braucht nur angedeutet zu werden.

Auf der anderen

Seite ist ebenso bedeutsam, daß Moser sich mit der Moral des

Christentums nicht begnügen wollte noch konnte, sondern das reli­ giöse Gut desselben mit ganzer Seele als unentbehrlichen Besitz er­

griff — weil er es beduffte, weil er nur durch dieses, das er schlicht Herzog, Begriff der Belehrung.

5

66

und einfach als Sündenvergebung

und Gotteskindschast

erfaßte,

über sich selbst sich hinausgehoben wußte. Dementsprechend finden wir in diesem reichen Christenleben

auch eine Orientierung über das zu erstrebende Ziel selber: An Moser kann die Wahrheit der Begriffsbestimmung deutlich werden:

der Christ ist der in die rechte Ordnung gebrachte Mensch. Ist das nicht das allgemeinste und schönste Ziel, das wir erstreben können?

An Moser wird das in den verschiedensten Beziehungen,

im Wirken und Leiden, im privaten und öffentlichen Leben, in der Freiheit von und der Herrschaft über die Welt ins Licht gestellt. Der lebendigste Beweis hierfür liegt vor in dem reichen geistlichen

Erbe, das er seinen Kindern hinterließ, das in ihnen fortlebte und das in seinem ihm ebenbürtigen Sohne Friedrich Karl das Ebenmaß

eines christlichen Charakters und den Heroismus eines politischen

Märtyrers gezeitigt hat. — 6. Es würde ein wichtiges Verbindungsglied in der Ent­ wicklung des christlichen Bekehrungsgedankens bis zur Gegenwart

fehlen, wenn wir die große Bewegung des Methodismus, des eng­ lischen Gegenbildes des deutschen Pietismus, ganz übergehen wollten. ES kann sich aber hierbei nicht um eine Erörterung des methodisti­

schen Systems handeln (das neuerdings durch den Artikel von Loofs in der Realenzyklopädie so gründlich dargelegt worden ist), sondern

nur darum, die grundlegenden Erfahrungen des Stifters und deren Nachwirkungen in der Bewegung, die von ihm ausging, heraus­

zustellen. Es ist eigentlich ein wunderbares Spiel der göttlichen Zu­ sammenhänge, daß John Wesley zuerst aus dem Jungbrunnen

der deuffchen Reformation schöpfen mußte, um über die erstarrte

Kirche Englands neue Ströme des Glaubenslebens ergießen lassen zu können, und andererseits später die von ihm ausgegangene Be­

wegung auf die deutsche Reformationskirche eine nicht sowohl be­ fruchtende, als aggressive Wirkung ausüben sollte.

Schon diese

Tatsache treibt zu der Frage, ob nicht und wenn ja, inwiefern Wesley und der Methodismus ein Wahrheitsmoment entdeckt und

67 betont hat, welches nicht nur individuelle Geltung hat und An­

wendung verstattet, sondern eine wesentliche Seite der Wahrheit und der Entwicklungsgesetze des geistlichen Lebens hervorkehrt —

ein Wahrheitsmoment, an dem achtlos oder nur ablehnend vorüber­ zugehen ungerechtfertigt wäre? Mit anderen Worten ist es die Frage, ob nicht gerade in dem Problem der Bekehrung bei der

Abhör der verschiedenen Stimmen und Standpunkte der Metho­ dismus

mit

geschichtlichem

Rechte

ein

gewichtiges

Wort mit­

zusprechen hat? Dieser Frage wollen wir nähertreten: Die Bekehrung des John

Wesley vollzog sich nach seinem eigenen Geständnis dadurch, daß

er aus einem gesetzlichen, ernsten Christentum heraus, das wesentlich Askese, dem „auch der Glaube an den Sohn Gottes selbst eigent­ lich nur Gesetz" war, durch mancherlei Anregungen zum Ergreifen

der freien Gnade durchdrang und zwar in der Art, daß er am 24. Mai 1738 abends bei dem Vorlesen der Vorrede Luthers zum

Römerbrief von der Veränderung, welche Gott durch den Glauben

an Christus wirkt, in eigentümlicher, spürbarer Weise eine Erfahrung machte.

„Ich fühlte," sagt er, „mein Herz eigentümlich erwärmt.

Ich fühlte, daß ich auf Christus vertraute, Christus allein, zur Seligkeit; und mir war die Gewißheit gegeben, daß er meine, eben meine Sünden hinweggenommen und mich errettet habe vom Gesetz der Sünde und des Todes." Diese Gnadenstunde, die ihm

schlug und fortan durch sein Leben treu blieb, war dadurch vor­ bereitet, daß er einmal an persönlichen Mustern den Abstand seiner

gesetzlichen Stufe von dem kindlichen Glaubensstand inne geworden

war, nämlich damals, als er in Meeressturm und Todesnot die Gelassenheit und Furchtlosigkeit der Leute aus der Brüdergemeinde

bewundern gelernt hatte, sodann später im Verkehr mit dem mähri­ schen Bruder Peter Böhler auf die Gerechtigkeit, die umsonst, aus

Gnaden, durch den Glauben an Jesus erlangt wird, kräfttg hin­ gewiesen ward. Dies ließ ihn nimmer los. Was hätte nun näher gelegen, als daß diese Spur ihn zur Flucht aus dem Ergismus

in das Extrem des Quietismus eingeladen oder getrieben hätte? 5*

68 Aber das gerade Gegenteil war der Fall.

Man würde ihm zwar

Unrecht tun, wenn man kurzweg sagen wollte: Wesley nahm seine

gesetzliche Vergangenheit in die neue Glaubenspredigt hinüber und machte sowohl den Weg durch Buße zum Glauben (repent and

believe) zum Gesetz, als er auch die besondere Gestalt der gegen­ seitigen Beeinflussung im inneren Leben, die er mit seinen Brüdern

vorher gepflegt, mit herübergepflanzt hat („Klassen").

Aber das

ist gewiß der Nerv seines Denkens und Strebens: Der Weg zum

neuen Leben ist eine eminent praktische Sache, also muß man praktisch, nicht unpraktisch mit ihr umgehen, so im Reden wie

im Hören, in der Mitteilung wie in der Aneignung.

Von diesem

zentralen Gedanken aus lassen sich alle weiteren Positionen und

Motive des ursprünglichen und späteren Methodismus ableiten, seine Kraftwirkungen wie seine Übertreibungen, seine Wahrheits­ momente wie seine Irrwege.

Der Zweckgedanke, der das doppelte,

in seiner Realisierung einheitliche Ziel verfolgt, objektiv betrachtet, dem Menschen die Botschaft von der fteien, für alle bereitliegenden

Gnade darzubieten, und subjektiv betrachtet, des Menschen Denken

und Streben in die Linie der Formel zu lenken: was muß ich tun, daß ich errettet werde, d.h. wie soll ich's angreifen?— dieser

Gedanke beherrscht das ganze System.

Wer wollte sagen, daß er

falsch, d. h. erzwungen und gemacht sei?

Falsch, bezw. einseitig

und mißverständlich wird er erst durch die verkehrte Anwendung, welche den Ton auf die falsche Stelle legt.

Das kann in ver­

schiedener Weise geschehen: entweder so, daß der Accent auf die subjektiven Vorgänge, statt auf das objettive Zeugnis von der Gnade Gottes fällt, was selbstverständlich sowohl die Sicherheit des gelegten Fundaments, als die Nachhalttgkeit der Wirkungen, d. h.

den Bestand des Heilsbesitzes gefährdet — oder aber so, daß inner­ halb der nun einmal erforderlichen subjekttven Vorgänge und Tat­

sachen nicht die naturgemäße Stufenfolge eingehalten wird,

Bermittelungen übersprungen oder Zusammenhänge verschoben werden.

Gerade die Frage: Was muß ich tun, daß ich gerettet werde? erfordett je nach der inneren Situation des Subjektes eine verschiedene

69 Beantwortung. Es kann sich entweder um vorbereitende sittliche Entscheidungen, oder um die religiöse Übergabe an den der Seele

offenbar gewordenen Gott und sein Heil handeln. Wenn jene erste Sprosse übersprungen wird, so ist die Gesundheit des inneren Lebens gefährdet.

Dies führt auf eine dritte Gefahr in der Behand­

lung der Bekehrungspredigt, die vielleicht die größte ist: Soll der objektive und subjettive Faktor richtig ineinandergreifen, so ist die erste Bedingung das Dasein, die wirksame Gegenwart der göttlichen Kraft und Wahrheit.

Das war der Fall Apostelgesch. 2 a? f. und

16 30 f. Nur in dem Maße, als sie vorhanden ist und sich selbst beweist, kann der Mensch zur Entscheidung aufgerufen werden. Wo sie fehlt, tritt das Surrogat an die Stelle des Wesens, die Manier an die Stelle der Natur. Hier liegt das Geheimnis der

Evangelisation; der eherne, sieghafte Schritt und die verwundbare Ferse dieses Achilles sind nahe beieinander.

Es ist ein rührender

Zug der Wahrhaftigkeit bei dem großen Franziskus, daß er, wenn der Quell der großen Gottesgedanken versiegte, mit dem Segen des

Herrn die Scharen entließ, die gekommen waren, ihn zu hören. Wenn alle Evangelisten so dächten, so handelten! — So ist das große Wahrheitsmoment des Methodismus, daß

er in der Frage der Bekehrung, d. h. der Entscheidung für Gott, ein zielbewußtes Handeln teils betätigt, teils fordett, mit einem

Wort, praktisch vorgeht, einerseits an die Grundvoraussetzung ge­

knüpft, daß eine vollwertige göttliche ssouaia zur Stelle ist, anderer­ seits ist es für ihn, so, wie seine Praxis sich entfaltet und verzweigt hat, schwer, das Überwiegen und -Wuchem menschlicher Rouüne

über die reinen, authenttschen göttlichen Wirkungen zu vermeiden. 7. Eine schon moderne Gestalt dieser Richtung, die man zwar nicht geschichtlich als Ausläufer des Methodismus bezeichnen darf,

die aber ihre innere Wesensverwandtschast mit ihm nicht verleugnet, ist zu bedeutend und eigentümlich, als daß sie übergangen werden

dürste. Es ist der amerikanische Evangelist Charles Finney, dessen Bekehrung so gut wie sein ungeheures Lebenswerk den Stempel göttlicher Machtwirksamkeit an sich trägt. —

70 Zuerst eine kurze Skizzierung seiner Bekehrung: Im religiösen Jndifferentismus ausgewachsen, kam er mit ernsten Gewissensfragen

und mit dem Suchen nach Wahrheit und seines Lebens Bestimmung erst in Berührung, als er die juristische Laufbahn, als Gehilfe eines

Advokaten, eingeschlagen hatte.

Zweierlei wurde ihm klar, einmal,

daß er „in seinem gegenwärtigen Gemütszustände keineswegs in den

Himmel kommen würde", sodann, daß das kirchliche und christliche Wesen um ihn herum in der presbyterianischen Gemeinde in Adams

der Klarheit und Wahrheit sehr ermangle. Unruhe in seiner Seele.

So stritten Zweifel und

Die kalvinisch-rechtgläubige Verkündigung

des Evangeliums bewegte sich mehr in den ttadittonellen Begriffen, wie Buße, Bekehrung, Wiedergebutt rc., als in den dadurch be­ zeichneten Sachen und Wirklichkeiten.

Insbesondere fiel ihm auf,

daß soviel gebetet wurde, gerade auch um den heiligen Geist, und daß doch alles beim Alten blieb, ttotz der biblischen Verheißungen (Luc. Illi).

Die Frage, ob die Bibel recht habe oder das Ge­

wohnheitschristentum um ihn herum, löste sich — das war der erste Schritt vorwärts — dem klaren, scharfen Denker, der er war,

dahin, daß die heilige Schrift die unttügliche Quelle der Wahrheit

sei und die Bekenner des Christentums, ihn selbst eingeschlossen, im Unrecht seien.

Nun faßte er im Jahre 1821, schon 29 Jahre alt, den Ent­ schluß, mit Gott ins Reine zu kommen.

Die Richtung, in welcher

er suchen mußte, war durch die geschilderten Vorbedingungen ge­

geben: es handelte sich darum, zur Realität, zum lebendigen Gott vorzudringen, und die Verwirllichung der erkannten oder geahnten Wahrheiten in seiner Gegenwart, insbesondere durch Stillung

seines Bedürfnisses nach Frieden und Gewißheit des eigenen Heils

zu finden.

Er rang Tag und Nacht im Gebete, bis er eine Stimme

in seinem tiefsten Innern hörte: „Worauf wartest du?

Gott nicht versprochen, ihm dein Herz zu geben? du dich so vergeblich ab?

Hast du

Weshalb mühst

Suchst du dir etwa selbst das Hell zu

erwirken, deine eigene Gerechttgkeit aufzurichten?" In diesem Augen­ blick enthüllte sich ihm das Geheimnis der Erlösung.

Das geschah

71 morgens, als er auf dem Weg in sein Bureau begriffen war.

Er

stand stille und konnte sich nicht losreißen von dem Bilde, das der Geist Gottes vor seinen

Augen entrollt hatte.

Dann hieß es

weiter in seinem Innern: „Willst du das Heil annehmen? heute?

„Ja", antwottete er, „heute noch, und

in diesem Augenblick?" sollte ich darüber sterben!"

Statt in sein Bureau zu gehen, lenste er seine Schritte in ein nahes Wäldchen, um allein zu sein und sein Herz vor Gott auszufchütten.

würde?

beten.

Wie, wenn er entdeckt

Aber es regte sich sein Stolz.

Er suchte ein Versteck und fand es.

Aber er konnte nicht

„Mein Herz ist kalt und tot; es will nicht beten... es ist

zu spät! für mich."

Gott hat mich dahingegeben, es ist keine Hoffnung mehr Schon wollte er unverrichteter Sache heimkehren, da

vermeinte er ein Geräusch zu hören und stand auf, um nachzusehen. Ta wurde ihm klar, daß sein Stolz das Hindernis sei, das ihn

nicht zum Frieden

kommen ließ.

Regung: weshalb sollte er,

Er schämte sich sogleich dieser

der fluchwürdige Sünder, sich vor

anderen, die ebenso fluchwürdig, sich genieren?

der Stelle, wie gebrochen.

So blieb er auf

Da fiel ihm das Wort Jer. 2913,14 wie

ein Lichtstrahl in die Seele, wiewohl er sich nicht erinnerte, es ge­ lesen zu haben, also wie eine unmittelbare Gottesstimme, und es

tönte fort in ihm:

„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen

werdet, so werdet ihr mich finden", und er hatte den Mut, auszu­

rufen: „Herr, ich nehme dich beim Worte".

Und nun fiel ihm eine

Verheißung um die andere tief in sein Herz.

war:

Sein erster Gedanke

„wenn ich mich je bekehre, so werde ich ein Prediger des

Evangeliums". Nachdem er heimgegangen — mehrere Stunden hatte er im

Walde zugebracht — verwunderte er sich über eines, das ihn fast wieder irre gemacht hätte: er war nicht mehr um sein Seelenheil bekümmert wie vorher.

Vergeblich bemühte er sich, das frühere

Schuldbewußffein in sich wachzurufen.

Der Seelenfriede war da;

der Gedanke an Gott unaussprechlich süß, anstatt ihn, wie vor-

72 her, zu beängstigen.

Gegen den Abend, da es schon dunkel war,

hatte er eine Vision.

Das Bild Jesu Chrisü stand in wunder­

barem Glanze vor seiner Seele.

„Er sah mich mit einem Blicke

an, der mich vor Ihm in den Staub warf."

Und, so erzählt er

weiter: „Da strömte plötzlich der Geist Gottes auf mich nieder und

überflutete mich ganz und gar ... nach Geist, Seele und Leib, ohne daß ich je von einer Geistestaufe gehört, geschweige denn eine solche für mich erwartet oder erfleht hatte.

Es war mir, als stehe ich

unter dem Einflüsse eines elektrischen Sttomes, der mir durch und

durch ging.

Liebeswelle auf Liebeswelle schien sich über mich zu

ergießen..."

Und ein ähnliches Gefühl erlebte er am folgenden

Tage, als der Morgensttahl der Sonne in sein Zimmer fiel.

Zweifel war nun weg und ausgeschlossen.

das Schuldgefühl gewichen war.

Aller

Er sah ein, warum

Er hatte das Verständnis ge­

wonnen für die Rechtfertigung aus dem Glauben, für das Wott:

„Nun wir denn sind gerechtferttgt durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum".

Die Folgerung, die er aus der ihm gewordenen Offenbarung zog, — von der er keusch und klug genug war, gegen andere zu

schweigen — war für ihn die, der jurisüschen Laufbahn frischweg

zu entsagen und „in den Dienst des Königs aller Könige zu treten und keine andere Sache mehr zu führen als die seinige". was er seinem Chef zu sagen hatte.

Das war,

Die Dinge dieser Welt —

Ehre, Ansehen, Reichtum und irdische Vergnügungen — hatten ihren

Reiz für ihn verloren.

Und nun begann seine Laufbahn als Evan­

gelist, eine Siegeslaufbahn ohne gleichen. Das nachgeholte theologische Studium war darin nur eine Episode, und zwar nicht die wichttgste.

Denn die Schule hatte ihm nichts zu bieten, was an die Höhen und Tiefen seiner lebendigen Erfahrung herangereicht, und nichts,

was die Schärfe und Klarheit seines Geistes befriedigt oder die Selbständigkett seines theologischen, bezw. gläubigen Denkens hätte angreifen oder ankränkeln können.

Bon der Otthodoxie nahm er

nicht mehr an, als sich an seinem Gewissen beglaubigte, wiewohl er in seinen Überzeugungen und in seiner Praxis sich im allge-

73 meinen in ihren Formen bewegte.

In allen diesen Beziehungen ist

ihm Originalität nicht abzusprechen.

Nicht verschwiegen darf werden,

daß der von diesem ent­

scheidenden Wendepunkte an sich selbst konsequent und seinem Herrn treu gebliebene christliche Charakter späterhin noch einmal eine innere

Krisis durchmachte, als er das Opfer der persönlichen Willenshingabe in der schmerzlichen Form vollziehen sollte, daß er seine Gattin hin­

siechen sah.

Diese Erfahrung führte den so wie so im Vergleich mit

anderen Menschen in einer seltenen, von wenigen erreichten Gottes­ nähe wandelnden Mann noch auf eine höhere Stufe des inneren

Lebens, einer Gottesminne und Innigkeit der Gottesgemeinschaft, über welche anderen ein Urteil nicht zusteht. Fragen wir nach den bedeutungsvollen Zügen dieser einzig­

artigen christlichen Entwickelung im 19. Jahrhundert — einzigartig

im Verhältnis zum Geist der Zeit und noch mehr im Verhältnis zum amerikanischen Geiste — so stoßen wir auf einige Momente

von besonderem und gerade für das

christliche Gewohnheitsleben

beherzigenswertem Gewichte. Haben wir doch nicht einen Schwärmer und Enthusiasten, sondern einen Karen, nüchternen Geist mit einem

scharfen

Blick

für

das

Reale

und

gesundem

Menschenverstand

vor uns. Zunächst frappiert uns die Umständlichkeit und Gewaltsam­ keit, mit der bei ihm aus dem unbefriedigten Suchen und Zweifeln

der Durchbruch zur Gewißheit und Festigkeit erfolgte.

Die Er­

klärung hierfür liegt gewiß nicht in seiner Individualität, sondern vielmehr in dem traurigen Milieu um ihn herum, sowohl in dem

Umstande, daß sich die christliche Gemeinde so recht

mit

einer

Surrogatwirtschaft der Formeln und der Tradition behalf, statt in lebendigem Glauben sich zu bewegen, als in der Tatsache, daß er

christliche, kräftige und maßgebende Paradigmen in seiner Umgebung nicht antraf.

So war er auf sich und auf den unsichtbaren Gott

geworfen, von dessen Leben und Lieben ihm die Schrift Kunde ge­ geben, wenn er durch allen Schein hindurch nach der Erfahrung der

göttlichen Realitäten rang, und der „Kampf um Gott und um das

74 eigene Ich" war um so heißer — seine Frucht und sein Sieg um so völliger.*)

In die alten Formen ergoß sich der lebendige In­

halt und so konnte er sie auch, weil er, bez. der Geist Gottes in ihm, sie belebte und beseelte, im Wesentlichen beibehalten und bei aller inneren Freiheit nach dem Muster des evangelisch-paulinischen

Evangeliums seine Erweckungs- und Bekehrungsarbeit tun.

Wie

richtig und tief er den Kern erfaßt hatte, statt sich mit den Schalen

des Dogma zu begnügen, davon zeugt sein großes Wort, das er

gegenüber den in Boston auf die Lehre von der Gottheit Christi

gerichteten Angriffen aussprach: „Wenn doch die Christen in dieser Stadt nur einmal durch ihr Leben zeigen wollten, was Chrisü

Geist in uns auszurichten vermag, so würde damit der beste Be­

weis für die Gottheit Christi geliefert sein." — Damit hängt zusammen der andere wichttge Zug, daß das Gebetslebcn

bei

ihm

der

tragende Grund

der

Bekehrung,

Glaubens und des Wirkens geworden und geblieben ist.

des

Es war

bei ihm nicht nur ein Blld, sondern Wirklichkeit, wenn er vom

Strome göttlicher Kräfte sich durchflutet fühlte, und was er von seinen Erfahrungen nach der Richtung der Wirkungskraft des Ge­ bets mitteilt, das entzieht sich durch die merkwürdigen pragmatischen

Zusammenhänge von selbst der Krittk derjenigen, welche von dieser

*) Die hierbei an dem bedeutsamen Wendepunkt der Bekehrung zutage

getretenen wunderbaren Erscheinungen und Verzückungen dürsten nur von einem

sehr beschränkten und voreingenommenen Standpunkt aus als befremdlich und minderwertig beurteilt werden.

Was wäre damit gesagt, wenn man sie nur

auf psychische Erregungen zurückführen wollte?

Mögen solche die Disposition

hierfür fördern oder begründen, so ist doch das nicht zu bezweifeln: daS, was in der Seele aufflammt und sie so durchglüht und gewissermaßen umschmelzt,

daß nachher das Denken, Fühlen, Wollen einen andern Zug, Inhalt und Zweck hat, beweist sich selbst als eine Realität auf dem Gebiet des geistigen Lebens,

welche über bloß psychologische Phänomene, Phosphorescenz der Nerven u. ä. weit übergreist.

Und die sonstige Nüchternheit und Klarheit des Geistes, die

Finney eignete, erhebt ihn über jeden Verdacht, als ob er in seiner Arbeit für

die Bekehrung täuscht hätte.

anderer

mit seelischen

Erregungen

sich

begnügt und — ge­

75 Sache doch nur reden, wie der Blinde von der Farbe.

Will man

ihn nach dieser Seite verstehen, so muß man an die Propheten denken, die in ihrem Reden und Handeln nur aus einer so innigen Berührung des menschlichen mit dem göttlichen Geiste heraus be­

griffen werden können, wie sie für den Durchschnitt der Menschen, auch der religiös angeregten, einfach eine terra incognita ist. — Dies muß umsomehr im Auge gehalten werden, als die so sehr in die Erscheinung oder in den Vordergrund tretende Übung des Ge­ bets zuerst auf uns den Eindruck erweckt, als ob dabei die Routtne

viel mitwirke, in welcher Beziehung wir vor dem amerikanischen

Wesen einen horror haben. — Je mehr man sich in den Mann vertieft, desto klarer und bestimmter blickt hinter aller scheinbaren Manier das feste Grundgestein einer tief-religiösen Persönlichkeit

hervor, welche (trotz Ablehnung der starren Prädestination) den Grundgedanken des Calvinismus, wie Dr. Kuyper ihn treffend

gekennzeichnet hat, zur Ausprägung gebracht hat, „daß wir mit unserem ganzen Leben vor dem Angesicht Gottes stehen". Von hier aus versteht man auch drittens die straffe, ziel­ bewußte Art seiner Verkündigung.

Er unternimmt es, von dem

festen Standpunkt des Glaubens, dem „sich durchsichtig Gründen in Gott" (Kierkegaard) aus, den in der Welt der Gottesferne, des Scheines, der Eitelkeit, der Verkehrtheit hinwandelnden und taumeln­

den Menschen innerlich aus den Angeln zu heben und vor Gottes Angesicht zu stellen, wofür ihm seine eigene Erfahrung teils den Ausgangspunkt, teils die Norm, und die Predigt von der Recht-

fertigung aus dem Glauben das von chm meisterhaft gehandhabte Instrument darbietet. Die Einförmigkeit der Methode wird hierbei durch die Spannkraft der Energie und die Fülle der Individuali­

sierung ausgeglichen. Aber noch eine andere Frage taucht hier auf: Wenn die Evangelisatton, wie sie Finney ausübte, den Menschen so ungeteilt

auf „das Eine, was not tut", hinlenkte, ihn im religiösen Mittel­ punkt der Persönlichkeit erfaßte und über sich selbst emporhob —

was konnte der bleibende Ertrag des inneren Vorgangs sein,

76 den er und der Betreffende selbst als Bekehrung erkannte und be­ zeichnete?

Was damit gegeben war, das bedeutete wohl den An­

stoß zu einer ewigen Bewegung.

Aber sowie der Mensch in

seinen Lebenskreis zurückkehrte, um ihn mit dem neuen Sinn und

Geist zu durchdringen, nach neuen Grundsätzen zu ordnen und auszufüllen, wieviel innere und äußere Widerstände mußten seiner

warten, um die Nachwirkung des gegebenen Impulses zu lähmen, wo nicht gar zum Süllstande zu bringen!

Finney wäre nicht der

klare Geist gewesen, der er war, wenn er dieses Problem nicht ge­ sehen und

durchdacht

hätte,

und

nicht

der rückhaltlos ehrliche

Charakter, wenn er nicht das Seine getan hätte, um die Gefahr des Rückfalls und der Erlahmung zu beschwören.

Aber eine deut­

liche und befriedigende Auskunft über diese Frage vermißt man in seinen Erinnerungen und Mittellungen.

Man ist fast versucht, an­

zunehmen, daß er von der eigenen Lebensführung und Entwicklung, wonach der neugelegte Grund sich für den folgerichügen Aufbau des

christlichen Lebens als ttagfähig erwiesen hatte, den zuversichtlichen Schluß auch für die anderen zog, es müsse auch ihnen gelingen. Wo er aber offenkundigen Nachlaß und Rückgang der von ihm aus­

gegangenen Wirkungen wahrnahm, da begnügt er sich wieder mit der Behandlung der Frage vom Gesichtspunkt

des inneren

Lebens aus und geht nicht — das ist schwer zu vermissen — auf das ebenso wichüge Problem ein, wie sich die neue Potenz des­

selben mit den alten Wirklichkeiten auseinandersetzt.

Das erklärt sich

wohl daraus, daß die von ihm ausgegangenen Erweckungen immer

so große, weite Kreise erfaßten, daß tells eine neue Atmosphäre,

ein neues sittlich-religiöses Milieu, tells ein neues Gemeinschaftsleben sich bildete, welches dem Einzelnen einigen Rückhalt gewährte.

Daß

freilich die Schwierigkeiten nur in neuer Form wiederkehren werden — aufgeschoben ist nicht aufgehoben — weil naturgemäß die Wir­

kungen sich nicht nur

differenzieren, sondern auch sich verflachen

müssen — mußte er sich selber auch sagen.

Dagegen aber ist es von großem Interesse, zu sehen, wie er

in der Beschränkung auf das Gebiet des inneren Lebens über

77 den Fortschritt von der Erweckung (= Bekehrung) zur Heiligung zu gewissen festen Überzeugungen gekommen ist, zu Überzeugungen, die sich nach zwei Richtungen in lehrreicher Weise abgrenzen: Einer­

seits protestiert er mit aller Kraft gegen die Meinung, als ob

die nach dem Höhepunkt der Erweckung und Bekehrung, dieser Zeit

der ersten Liebe, wieder eintretende rückwärtsschreitende, statt vor-

wättsdringende Entwicklung des Christenlebens wo nicht für nor­ mal, so doch wegen der Schwachheit der Menschen für unabweisbar

notwendig gehalten werden müsse — eine Meinung, die unter dem Deckmantel der Demut doch nur ein Ruhekissen für die Trägheit

und den

Ungehorsam sei. — Andererseits macht er ebenso

ent­

schieden Front gegen die methodistischen Perfektionisten, die von der Vollkommenheit des Christen in diesem Leben reden und

sie darin finden, daß der Christ in die Gemeinschaft Gottes aus­

genommen, nunmehr in allem vom Geiste Gottes getrieben werde, und dieser innere Trieb sein einziges Gesetz sei — eine Anschauung und ein Standpunkt, dessen Konsequenzen selbstverständlich für die Lauterkeit des inneren Lebens furchtbar sind. Beiden Extremen gegenüber hatte er sich zu der Überzeugung

durchgerungen, daß allerdings von dem Christen eine Heiligung

verlangt, wie auch ihm verheißen sei, welche den Gläubigen von jeder bewußten Sünde befreie und daß diese Heiligung nur be­

ruhe auf völliger Hingabe des eigenen Lebens in den vollkommenen

Willen Gottes. Man kann darüber ja sehr verschiedener Meinung sein, ob

diese Formel von der Freiheit von jeder bewußten Sünde die christliche Vollkommenheit, bez. den Stand der Heiligung in ein­ wandsfreier Weise und mit genügender Bestimmtheit umschreibe,

wird aber zugleich nicht leugnen können, daß es diejenige ist, auf welche man sich am ehesten vereinigen und sich verständigen kann,

da weder zuviel noch zu wenig damit gesagt ist.

Aber ebenso

wichtig wie diese Bestimmung des auf Erden möglichen und er­ forderlichen Heiligungsziels sind die Wege, bez. die inneren Aus­ einandersetzungen und Überlegungen, die ihn zu diesem Ergebnis

78 führten.

Wenn er mit sich selbst nicht- weniger als zufrieden war,

so suchte er vorerst durch ernste Selbstbetrachtung, Gebet und Fasten der Heiligung nachzujagen. Dann erkannte er darin etwas Drücken­

des, daß es solcher Mittel bedürfe, und die Frage stieg in ihm auf: „Reichen denn die Kräfte der Gnade nicht weiter?

Ist dieser

Zustand das, was Gott aus seinen Kindern auf Erden machen

will?"

Er mußte nicht nur, er durfte die Frage verneinen, als

sodann das Bewußtsein der Gnade dem der Schuld so überwälti­ gend entgegenttat, daß er zur Überzeugung durchdrang, daß Gott

den Seinen einen höheren Grad der Vollkommenheit in Aussicht stelle und ihnen dazu verhelfe. — Hier liegen unstreitig die Wurzeln des nachher systematisch entwickelten Gedankens von der ,Heiligung

durch den Glauben", den die moderne Heiligungsbewegung bewußter­ weise pflegt. Es ist nach dem Gesagten nicht schwer, den Wahr­ heitskern dieser Besttebung zu würdigen, ohne ihre Übertreibungen

und schwärmerischen Ingredienzien in Kauf nehmen zu müssen. Wir sind hiermit schon an die Schwelle unserer Gegenwart

herangetteten und haben die Aufgabe, das Problem der Bekehrung

im Lichte der gegebenen christlichen Wirklichkeit zu erörtern.

III. Das Problem der Bekehrung im Lichte der Forderungen der Gegenwart. Die geschilderten Beispiele aus der biblischen und der Kirchen­ geschichte haben uns auf eine Höhe geführt, von der eine Aussicht und ein Überblick verstattet ist, der uns auch orientieren kann über

die richtige Beutteilung, wie die Verwendung und Behandlung des

Problems in der Gegenwatt.

Einen Querschnitt durch die heutige Situation zu ziehen, um ihr spezifisches Gepräge hervortreten zu lassen, ist hierfür teils nicht

79

erforderlich — einzelne besonders kennzeichnende Züge werden im

folgenden von selbst sich bemerkbar machen — teils wäre es ein unsicheres Beginnen, das leicht Täuschungen ausgesetzt ist, teils

endlich wäre es eine unabsehbare, weitläufige Aufgabe.

Nur ein

geistiger Charakterzug unserer Gegenwart verdient es, sowohl um

deswillen, weil er für unsere den Menschen in seinem tiefsten,

innersten Selbst aufrufende Frage von wesentlicher Bedeutung, als weil er von gewichtigen Stimmen bezeugt, als endlich, weil er aus

der kulturellen Lage unserer Zeit logisch erschlossen werden kann, ausdrücklich namhaft gemacht zu werden.

u. Ä."

In der „Zeitschr. f. Th.

1899, S. 311 ff. bezeichnet A. Hoffmann die „Willens­

schwäche, d. h. das Fehlen eines bewußtgewollten

und zugleich

deutlich gegebenen Zwecks, wodurch der Gemeinwille stetig ange­ zogen wird", als den Hauptmangel unserer Generation.

Ganz

übereinstimmend hiermit erklärt ein französischer Nervenarzt (Levy,

L’education rationnelle de la volonte etc., vgl. Uphues, Reli­ giöse Vorträge S. 70 f.) die Willenslosigkeit für das charakte­

ristische Kennzeichen der Menschen der Gegenwart und für die Ur­ sache vieler Krankheiten.

Und die Ursache dieser Erscheinung?

Die

Antwort auf diese Frage ist noch bedeuffamer, als die Konstatierung der ersteren selbst.

Er sagt: „Wir haben nichts mehr, was wir

unbedingt verehren, dem wir uns rückhaltlos unterwerfen, an das wir uns ganz hingeben.

Die Ideale der Vergangenheit, die Reli­

gionsideale haben wir solange kritisiert, daß sie, zersetzt und zerstört, in den Staub gesunken sind.

Die Stelle, die sie in unserem Innern

einnahmen, ist leer geblieben.

Wir haben nichts mehr, an dem wir

uns begeistern, erheben, erwärmen könnten, wie das unsere Vor­ fahren an der Religion taten.

Wenn wir an allen zweifeln, woher

soll dann der Antrieb zum Wollen kommen, woher sollen wir den

Mut zum Wollen nehmen?"

Es sind ja damit wohl spezifisch —

aber doch nicht ausschließlich — französische Zustände getroffen. Die

Blasiertheit und Pietätslosigkeit des nil admirari und des Skeptizis­ mus legt sich wie ein Alp auch im deutschen Volk auf weite Kreise.

Aber es genügt nicht, hierauf zu verweisen.

Die Ursache liegt außer-

80

dem noch anderswo. Es ist die Begleiterscheinung einer umfassend entwickelten äußeren Kultur, daß sie den Einzelnen, wie den Massen die Bahnen des Lebens ebnet, Schwierigkeiten erleichtet, Engpässe und Entscheidungen erspart. Das ist ja an sich erfreulich, und die

Tatsache, daß die kulturelle Aufgabe des Staates sich immer mehr erbreitert und verzweigt, auch in der Richtung auf das moralische

Gebiet, nur zu begrüßen. Aber in der Wirkung auf das Willens­ und Gemütsleben der Individuen wird durch dieses positive Mo­

ment int Zusammenhang mit dem vorangehenden negativen un­ vermerkt eine Atmosphäre der Kulturseligkeit und Sattheit erzeugt, welche für ernste, tiefgreifende innere Entscheidungen geradezu un­ günstig ist. Denn einmal wird die Spannkraft des sittlichen Wollens unter den erweichenden Einfluß eines gegen frühere härtere,

rauhere Zeiten gehobenen, aber an den höchsten Maßstäben gemessen,

doch minderwertigen geistigen Durchschnitts gestellt — dem Zeitgeist gilt in dieser Beziehung das Strafwort an die Laodizäer Offb. 3 — sodann ist die Gefahr ungemein groß, daß die bequem und billig zu

habenden Kulturgüter zum Surrogat für das höchste Gut werden. Es gibt zu denken, was Lagarde (Deutsche Schriften, S. 158)

darüber sagt: „Wenn irgend etwas für unsere Zeit charatteristisch ist, so ist es die brutale Tyrannei des Allgemeinen, dessen, was die alte Kirche Welt nennt, mag diese Welt sich als Gewohnheit, Mode, Sitte, Kultur, Gesellschaft, Staat, Kirche verkleiden." seits:

Und anderer­

„Wenn irgend etwas in unserer Zeit erquickend und be-

fteiend wirft, so ist es das Dasein — selten genug ist dies Dasein — origineller, ganz ihren eigenen Weg gehender, von Grund ihres

Herzens mutiger und frommer Menschen, welche nur um Gottes willen handeln und leben." (Bergl. auch die mit höchster pro­ phetischer Kraft gegebene Charatteristik unserer Zeit mit ihrer „dy­

namischen Entkräftung" von Dr. A. Kuyper in seinem Vorttag: „Die Verwischung der Grenzen", S. 34 ff.) Ist die in vorstehenden und ähnlichen anderen Urteilen — ihre

Zahl ließe sich leicht vermehren, man denke nur noch an Carlyles Wort (Sartor Resartus 2. Buch 9. Kap.): „Im Vergleich mit der

81 großen Aufgabe unseres Lebens, Krieg zu führen auf Leben und Tod, wider den Geist der Zeit, erscheint mir jeder andere Kampf

von fragwürdiger Bedeutung" — gegebene Diagnose richtig, so stellt

sich vom Gesichtspunkte der Bedürfnisse unserer Zeit das Problem „Bekehrung" in doppelter Beleuchtung dar: Einerseits ist es der Stimmung der Gegenwart, die ein erklärter Relativismus ist, nichts

weniger als homogen oder sympathisch, andererseits ist sein Ver­ ständnis

und seine Wertung ebendarum höchst nötig und unent­

behrlich und cs bedarf nur einer möglichst sachgemäßen Verständigung über die Notwendigkeit dieses Datums im geistigen Leben, über

den Umfang und Inhalt desselben, über den Vollzug dieses Vorgangs und über seine Durchführbarkeit, um im Zeugnis der Wahrheit an unser Geschlecht ihm die rechte Stellung anzuweisen.

1. Die erste Frage ist die nach der Notwendigkeit.

Ist

und in welchem Sinne ist die Bekehrung notwendig, wenn es zu einem richtigen, gesunden, sittlich-religiösen, genauer christlichen Leben kommen soll?

Man könnte gegen die Bejahung dieser Frage zwei

Bedenken von vornherein erheben und sagen: Zugegeben, daß es

nötig ist für den Fortschritt der Menschheit, für die Rührung und Unterhaltung der Glut göttlichen Lebens in ihr, daß immer wieder einzelne führende Geister und hervorragende Kämpfer durch diesen

Engpaß hindurch müssen, um für andere durchzubrechen und sittlich­ religiöses Terrain zu erobern, auf dem sie sich bewegen können —

aber das seien eben Ausnahmegestalten, nicht Paradigmen für die

Allgemeinheit; man könnte eben die beschriebenen kirchengeschichtlichen Beispiele nacheinander unter diesen Gesichtspunkt bringen.

Und

weiter kann man notorisch feststellen, daß es auch — sogar unter

den unbestrittenen Größen in der kirchengeschichtlichen Entwicklung — genug solche gibt, die nach ihrem eigenen Zeugnis, wie dem der

Zeitgenossen nicht durch den entscheidungsvollen Wendepuntt einer bewußten Bekehrung hindurchgegangen sind, sondern still und un­

merklich heran- und hineinwuchsen in ein vollwertiges sittlich-reli­ giöses Leben.

Und

diese Entwicklung könnte man

für die normalere erklären. Herzog, Begriff der Bekehrung.

billigerweise

Man denke z. B. an einen Bengel, 6

82 einen Zinzendorf u. a.

Wir würdigen aber sowohl jenen Gesichts­

punkt als diese Tatsache genügend, wenn wir in Bezug auf die behauptete Notwendigkeit der Bekehrung folgendes im Auge behalten: einmal, wenn selbstverständlich das Ziel, nämlich der sichere und

bewußte Besitz und Bestand des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Gott und seinem Dienste, wichtiger ist, als der so oder anders

verlaufende Weg zu demselben, so kann es

einer klardenkenden

und nüchternen christlichen Ethik nie einfallen, diese Hauptsache der Reglementierung und Schablonisierung einer Bekehrungstheorie opfern zu wollen oder je die individuellen Führungen in ein Schema

zu pressen.

Man darf noch mehr sagen: die chrislliche Pädagogik

setzt sich geradezu die Aufgabe, soviel an ihr ist, dem im Schoße

des Gemeindelebens aufwachsenden Zögling eine geradlinige Ent­ wicklung, ein Hineinwachsen in die Fülle der christlichen Erkenntnis

und die Energie des persönlichen Christentums zu ermöglichen.

Und

bei den genannten Beispielen läßt sich so gut wie immer nachweisen,

was für ein reiches Erbgut väterliche oder mütterliche Treue den Kindern zu erwerben vermochte — man denke nur wieder an die

Kinder des Johann Jakob Moser. — Aber die Anerkennung dieser Tatsache schließt ganz und gar nicht aus, daß auch bei diesen „nor­ malen"

Entwicklungsgängen ernste innere Entscheidungen so un­

ausbleiblich, wie unentbehrlich waren, um Klarheit und Energie in

den Bestand des inneren Lebens zu bringen, Entscheidungen und Kämpfe, die das Geheimnis ihrer Bekehrung ausmachen.

Der

durch dieses Wort bezeichnete Vorgang liegt im Grunde auch hier vor.

Aber, und das ist für die Notwendigkeit der Bekehrung der

andere wichtige Gesichtspunkt, ist es nicht einfach eine unbestrittene

Tatsache, daß dieser ideell angesehene normale, geradlinige Verlauf

des christlichen Lebens in der Wirklichkeit einen seltenen Aus­ nahmefall bedeutet, gegenüber der Überzahl derer, welche eben nur unter schweren Kämpfen sich empor- und herausringen aus dem

Zustand der schlechten Natürlichkeit oder Gebundenheit in die Wahr­ heit und Freiheit des neuen Lebens und vollends der viel größeren Menge der Unglücklichen, die, selbstgenügsam oder verzweifelt, unter

83 der Schwelle der Erneuerung der Persönlichkeit bleiben und selbst

die schlagendsten Beweise für die Notwendigkeit einer entscheidenden

Krisis darstellen?

Nimmt man alles zusammen, so läßt sich die Frage, in wel­ chem Sinne von einer Notwendigkeit der Bekehrung gesprochen

werden muß, vielleicht am richtigsten int Anschluß an Hülsmann

(Beiträge zur christlichen Erkenntnis S- 42 ff. und 169 ff.) beant­ worten, dessen Ausführungen über dieses Problem darum so wert­ voll sind, weil sie bei aller Weitherzigkeit über den entscheidenden

Punkt, auf den es ankommt, bestimmte Auskunft geben.

Er geht

von seiner eigenen Erfahrung aus und bekennt einerseits, daß er

eines (radikalen) Umschwungs in seinem Leben sich nicht entsinnen könne, wie andere ihn erfahren haben wollen, wiewohl er ein anderer

zu

ihm

sein hoffe, als er vor Jahren gewesen; aber nicht nur biete keine einzelne Tatsache

einen

erkennbaren Wendepunkt

für

seine Erinnerung, sondern er sei auch jetzt noch über den Kampf

(Röm. 7 iS ff.) nicht hinaus.

Ferner: die ganze kirchliche Theorie

von der Bekehrung, in der andere leben, halte er für irrig, für eine falsche Auffassung der wirklichen Tatsachen des Bewußtseins und des echten Lebens, sowie der heiligen Schrift.

Andererseits

glaube er allerdings an eine allmähliche Umwandlung, die sich dem

beobachtenden Blicke entziehe.

Aber sowohl des Paulus als Luthers

Entwickelung werde gemeiniglich falsch gedeutet.

aus

einem Fleischesmenschen

im Sinne

Weder sei Paulus

unserer Gläubigen zu

einem Geistesmenschen geworden, noch dürfe man bei Luther, wie

cs so einer dem andern eben nachspricht, von Gewissensqualen reden, als er ins Kloster ging und im Kloster war.

scheidenden Punkt treffe man dabei

gar nicht.

Den ent­

Dieser sei ein

doppelter bei beiden Männern: „Einmal: es fehlte ihnen — — das, wonach ihre Seele dunkel und unbewußt schrie und rang: das

Gefühl eines solchen Lebens in Gott und aus Gott, daß sie sich

von diesem erfüllt und getragen und getrieben wissen, daß sie nur dieses Gottes Werkzeug, Organ und Kind sind;... die Gesetzes­ religion, in der sie lebten, speiste sie mit Werken ab, mit Einzel-

e*

84 leistungen

und Einzelbüßungen,

sprach

ihnen

von Sünden,

während sie dunkel ahnten: es gibt eine Sünde und das ist die tiefe Gottlosigkeit (Gottentferntheit der Seele), in der ich stehe

und die die heilig-zeremonielle Religion, in der ich mich bewege,

nicht aufheben kann... das ist das eine!

Das andere ist dies

es fehlte ihnen vor ihrer Umwandlung die Hoffnung, dieses un­ sagbare Mittel, die heilige, geheimnisvolle Kraft des Lebens.

Mit

dem Christentum lernte Paulus erst die Welt und die Geschichte

verstehen; er erkannte: es giebt eine Möglichkeit für die Menschheit, wie für den Einzelnen, gerettet zu werden aus diesem Chaos von

Unrecht, von Sünde, von Finsternis um mich her und in mir, von Druck und Jammer der Tyrannei und des sittlichen Todes".. .

und weiter: er bekam einen Beruf (das ist die Hauptsache), an

den er mit tiefster Seele glauben, dem er mit dem freudig­ sten Gehorsam

folgen

daß man für ihn lebte...

konnte,

wert war,

der der Mühe

Ganz ähnlich ist es bei Luther ge­

wesen, nur daß er seines (ähnlichen) Berufes mehr allmählich

und ohne eine solche göttlich gegebene äußere Erschütterung gewiß wurde." — Ganz ebenso gehe es, sagt Hülsmann weiter, noch

jetzt bei aller wahren, christlichen Bekehrung oder: bei der

eines neuen Menschen im alten her,

allmählichen Geburt er erzählt

sodann

ein Beispiel

aus

der

Erfahrung

und

in seinem

Freundeskreise. Das Bemerkenswerte an dieser Auffassung, die von subjektiv, bez. individuell bedingter Einseitigkeit im übrigen nicht ganz frei­

zusprechen ist — er generalisiert zu sehr seine persönliche Entwick­ lung — ist das doppelte: einmal erkennt er die Notwendigkeit

einer Umwandlung, ja einer Neugebutt des Menschen auch bei den denkbar günstigsten ethischen Vorbedingungen rückhaltlos an, so­

dann aber legt er so recht den Nerv des Bekehrungsgedankens

bloß, wenn er den terminus a quo in der Gottlosigkeit, im Sinne der Gottesferne, des selbstischen Lebens, der Grund- und General­ sünde der Menschheit,

an der die Besten und die

Schlimmsten

partizipieren, den terminus ad quem in der Gottesgemeinschaft,

85 dem Leben in und aus Gott, findet*).

In diesem Sinne, im Blick

auf diese unsere tiefste Not und unser höchstes Bedürfnis, ist die Bekehrung für alle und jede menschliche Persönlichkeit eine sch lecht-

hinige Notwendigkeit, die conditio sine qua non der echten Religion, so verschieden im übrigen die Formen, die inneren Vor-

*) Eine gute philosophische Unterlage hat dem in Frage stehenden persön­ lichen, also ethischen Verhältnis des Menschen zu Gott Uphues

a.

a. O.

S. 72 ff. gegeben, wenn er sagt: „Ist Gott die Liebe, so muß sich das auch in seinem Verhältnis zur Welt, insbesondere zu den Menschen, kundtun.

Um Ge­

schöpfe zu haben, die an seiner Seligkeit teilzunehmen im stände sind, hat er in überströmender Gütigkeit durch einen Akt der Selbstentäußerung und Selbst­ entfremdung auf sein Berfügungsrecht an den Menschen, deren Sein ihm wahr­

haft zugehört und von ihm durchaus abhängig ist (denn ,wir sind getrennt von ihm nichts, wir können unsere Hände nicht gebrauchen . . . nicht denken, nicht sprechen ohne ihn, ja wir tun alles durch ihn re/), verzichtet, diesem Berfügungs­ recht entsagt und den Menschen damit eine Selbständigkeit geliehen, die ihnen

eigentlich nicht zukommt... und nun üben wir alle diese Tätigkeiten aus, als

ob uns Gott nichts anginge, ja wir benutzen sie, um seinem Willen entgegen­

zuhandeln... Gottes Selbstlosigkeit wird durch unsere Sünde zu einer Quelle der Selbstsucht..."

stand abzuhelfen?

Er folgert daraus weiter: „Wie ist diesem Zu­

Nur dadurch, daß wir unS ganz an Gott hingeben, dem

wir ja, wie dieBernunft lehrt, ganz und ungeteilt angehören" („es wäre

doch einzig vernünftig, den Akt der göttlichen Selbstentäußerung, durch den uns eine Freiheit und Selbständigkeit geliehen wird, zu wiederholen und gleich­

sam umzukehren, d. h. die geliehene Freiheit rc. Gott zurückzugeben, seinem Willen uns völlig zu unterwerfen, d. h. unsere Person, unser Wesen, unser

ganzes Sein ihm zur Verfügung zu stellen und dadurch die von der Vernunft geforderte völlige Abhängigkeit von ihm anzuerkennen?")... „das ist der Akt deS Glaubens nach der Lehre des Christentums ... die Hand, mit der wir das höchste Gut ergreifen und in Besitz nehmen". — Von diesen Voraussetzungen aus

fällt jedenfalls ein Licht auf die Selbstverurteilung des Paulus: Röm. 4 5

(Gott spricht den „Gottlosen" gerecht), wie auf die Sünder rettende und Feinde

liebende Offenbarung Gottes in Jesu Christo (Röm. 5 6-8).

Wo, d. h. in wem

dieser Grundgedanke, dieses eigentliche Leitmotiv des Evangeliums sich zu einer inneren Erfahrung verdichtet, da ist die christliche Bekehrung erfolgt. Vgl.

auch Lotze, der (Mikrokosmus LU, 359) sich dahin ausspricht, das tiefste Be­

dürfnis und zugleich das höchste Glück des Menschen, des frömmsten Christen als des wahrsten Menschen sei: „sich von Gott geliebt zu wissen".

86 gütige, die Konjunkturen sein mögen, in denen die suchende und

irrende Seele ihren Gott findet, oder vielmehr noch von ihm ge­ funden wird. Dieser alles beherrschende Mittelpunkt des Bekehrungsgedankens

wirst

seine Strahlen nach

allen Seiten.

Die Gottsucher aller

Schattierungen, aller Standpuntte werden von ihnen berührt; auch

die dem Glauben an den persönlichen Gott, geschweige der Gottes­ offenbarung in Jesus Christus Fernstehenden geben in ihrer Sprache — deren Worte vielleicht weniger religiös, als ethisch klingen —

von diesem tiefsten Lebensbedürfnis, daß der Mensch über sich selbst hinauskommen und im Ewigen, im Guten, in der Pflicht oder im

höchsten Gut sein Leben und seines Lebens Inhalt suchen und

finden muß — Zeugnis.

Was in Goethes vielberufenem Verse

ausgesprochen liegt: „Lange hab' ich mich gesträubt,

Endlich gab ich nach — Wenn der alte Mensch zerstäubt.

Wird der neue wach — Und so lang du dies nicht hast, Dieses: Stirb und Werde!

Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunkeln Erde" —

was in Carlyles ergreifenden Selbstkenntnissen im „Sartor Resartus", worin er das Denkmal seiner Bekehrungsgeschichte niederge­ legt hat, laut wird, das ist nichts anderes, als ein Widerhall des nach dem lebendigen Gott schreienden Bedürfnisses der Menschenseele.

Wenn man im „Sartor Resartus" die großartigen Gedanken verfolgt, die im 7., 8., 9., 10. Kapitel des H. Buchs niedergelegt sind, wo die Entwicklung des Wahrheitssuchers durch die vorbereitende Stufe des „ewigen Nein", durch das mittlere Stadium der Gleichgilttgkeit

(Passivität) zu dem positiven Ziel des „ewigen Ja" in glühenden

Farben geschildert wird, so hat man nicht nur den Eindruck: kein Evangelist und Bußprediger könnte lauter die Notwendigkeit der

Bekehrung

seinen Hörern ins Gewissen rufen,

als ein Carlyle

87 seiner Mitwelt es tut, sondern es liegt auch klar zu Tage, daß er

seine Waffen aus der Rüstkammer des christlichen Glaubens hierfür geholt hat.

Die Hauptstelle sei hier angeführt.

Im 10. Kapitel

des II. Buchs im Sartor Resartus sagt er zu Anfang: „So sind wir denn... unserem Teufelsdröckh durch die verschiedenen einander ablösenden Zustände und Stufen der Entwicklung, der Verwirrung,

des fast bis an die Grenze der Verstockung hinabsinkenden Unglaubens hindurch bis zu jenem Punkte eintretender größerer Klarheit gefolgt,

den er selbst als «Bekehrung» bezeichnet wissen zu wollen scheint.

«Nimm nicht Anstoß an dem Worte,» sagt er, »freue dich vielmehr,

daß ein solches Wort, dem gerade solche Bedeutung eigen, obwohl es den Alten verborgen geblieben, in unseren Tagen ans Licht ge­ kommen ist. Die alte Welt wußte von einer «Bekehrung» nichts; an­

statt eines Ecce homo kannte sie nur einen »Herkules auf dem

Scheidewege».

Jenes bedeutet im moralischen Entwicklungsgänge

der Menschheit einen bisher unerreichten Fortschritt: das Höchste ist damit in das Herz des Beschränttesten herabgestiegen, und was

einem Plato als Sinnentrug und einem Sokrates als Wahn er­ schienen wäre, das ist unsern Zinzendorfs und Wesleys, ja den Ärmsten unter den ihnen anhangenden Piettsten und Methodisten

deutlich und gewiß. — Hier also beginnt Teufelsdrökhs geistige

Mündigkeit und fortan sehen wir ihn an dem Werke, Gutes zu

schaffen, mit dem Geiste und den klaren Zielen eines Mannes". Wenn aber demnach die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Bekehrungsgedankens

für

das Verständnis

und die Pflege

des

christlichen Lebens und die Verkündigung der Wahrheit außer aller Frage steht, so geht aus dem eben Gesagten zugleich hervor, wie

nötig es ist, sich der vielseitigen Zusammenhänge bewußt zu werden, mit denen dieser Begriff in das gesamte sittlich-religiöse Leben der

Menschheit eingreift.

2. Daher gilt es den Umfang der Sache möglichst allseitig

zu fassen, besonders die Stufen ihrer Verwirklichung zu erkennen und zu unterscheiden, die Linien, in denen sic verläuft, sorgfältig

zu skizzieren, um alle dahin zielenden Regungen zu pflegen und

88 zu verwerten.

Je fester und klarer, je bewußter und tiefer man

in dem (eben bezeichneten) Mittelpunkt Fuß gefaßt hat, um so weit­

herziger kann man (wenn man nur diesen als das Ziel unent­

wegt im Auge behält) verfahren, um allen Bedürfnissen entgegen­

zukommen (1. Kor. 9 20 ff.).

Mit der landläufigen Formel „bekehrt

und unbekehrt" ist, das sagen alle besonnenen Stimmen von der Rechten, wie von der Linken, nichts anzufangen.

Es verhält sich

damit leicht wie mit dem Papiergeld, dessen Nennwert etwas be­ stimmtes, dessen Kurswert aber etwas höchst fragliches sein kann.

Denn es kommt auf den Kredit an, den die Autorität genießt, die die Werte ausgibt.

Es ist darum kein Wunder, daß man bei der

notorischen Unsicherheit der Verwendung dieses großen Prädikats

„bekehrt"

zu Distinktionen sich veranlaßt sah und vorsichtig die

Stufe „erweckt" von der höheren der Bekehrung unterschied. — Wenn wir als den beherrschenden Mittelpunkt der christlichen Entwicklung

des Individuums dies fassen, daß es zu einer be­

wußten Erfassung und dadurch auch entschlossenen Erwiderung der

ihm entgegenkommenden, zugleich die höchste Gabe (Heil und Selig­

keit) und die größte Aufgabe (Dienst Gottes als neuer Lebensinhalt­ verleihenden

Liebe Gottes kommt,

so kann

man einerseits ver­

stehen, wie der Apostel Paulus das Ideal des Bekehrungsstandes in den Worten zum Ausdruck bringen konnte: „daß wir darstellen einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo Jesu" Kol. 128 —

ein Ziel, das wir für uns selbst und alle uns Anvertrauten immer

im Auge behalten müssen — wie andererseits, daß von diesem Höhe­ punkt aus die Wirllichkeit, in der wir uns bewegen und bemühen, unsäglich traurig sich ausnimmt.

Diesem idealen Maßstab gegen­

über erscheint die allgemeine Lage zunächst fast inkommensurabel. Aber es ist darum noch keine Preisgabe dieses Ziels, wenn wir

nach Bermittelungen und Etappen uns umsehen, welche Anhalts­ punkte dafür darbieten, ob aus dem Chaos des natürlichen, selbsti­

schen Lebens die Spuren eines höheren, idealen Strebens auftauchen.

Das gebieten nicht nur taktische Rücksichten, sondern die Natur der

Sache selbst.

So fest ist das Gefüge des geistigen und geisllichen

89 Lebens, daß alle Fortschritte in einer wahren Richtung zugleich Schritte auf dem Wege zu Gott sind.

Und wenn „Bekehrung"

eine Wendung, eine Umkehr bezeichnet, also den Wechsel und Um­

schlag von entgegengesetzten Zuständen oder Bewegungen — wie

mannigfach sind die Gegensatzpaare, mit denen nicht die Theorie,

sondern die Wirklichkeit des Lebens dieses Problem veranschaulicht und exemplifiziert! Man achte nur, um einen Überblick zu haben, auf die Anttthesen, die Carlyle a. a. O. bietet: „Unser Leben ist

von Notwendigkeit umzirkelt und doch liegt des Lebens wahre Bedeutung in dem Gewinn der wahren Freiheit, der Kraft des eigenen Willens" (Sartor Resartus S. 187). Also: Gebundenheit

oder Freiheit? — Weiter:

„das von Gott ausgehende Gebot:

„Wirke Gutes!" steht geheimnisvoll im prometheischen, prophettschen

Zügen in unseren Herzen beschrieben. Tag und Nacht läßt er uns

keine Ruhe, bis es entziffert worden und Gehorsam gefunden hat, bis cs hervorleuchtet in unseren Handlungen, in unseren Taten sicht­ bar, erkennbar wird als das Evangelium der Freiheit (Jakobus 125 f.).

Aber das vom Staube uns aufgedrungene Gebot: „Iß und sättige dich", macht sich zu gleicher Zeit in jedem Nerv überzeugend geltend.

Und muß daraus nicht Verwirrung und — Kampf entstehen, soll

der bessere Wille auch zum Siege gelangen?"

Pflicht?

Sinnlichkeit oder Geist?

Also Genuß oder

Lust oder Gehorsam?

Daran schließt sich eine weitere Anttthese, die das Geheimnis unserer

Bestimmung tiefer berührt:

„Es leuchtet mir ein — ich ahne es

von ferne; es gibt noch etwas Höheres im Menschen, als den Hang nach Glück.

Er kann des Glücks entarten und selig werden.

Ist es nicht eben dieses „Höhere", was Weise und Märtyrer, was die Dichter und Priester aller Zeiten gepredigt und — gelitten haben?

Legten sie nicht lebend und sterbend Zeugnis dafür ab,

daß das Göttliche im Menschen lebe und einzig in ihm Kraft und

Freiheit zu finden sei?"

Die Alternative, ob glücklich oder ob

seligwerden unsere Bestimmung sei, welche er also kurzerhand so entscheidet: „Du Narr; welche Gesetzgebung befahl denn, daß

du glücklich werden sollest?

Bist du denn nichts anderes, als ein

90 Geier, der das ganze Weltall nach Fraß durchspähen und durchfliegen

möchte? Schlag deinen Byron zu, und nimm deinen Goethe vor" — führt ihn weiter zu der größten und wichtigsten Polarität in dem

Geheimnis

der

menschlichen Existenz.

„Sehr

wahr schrieb der

Weiseste unserer Zeit (Goethe), daß da, wo die Entsagung beginnt,

auch das Leben erst anfängt."

Darum „danke deinem Gott für

deine Leiden, und dankbar trage, was dir noch zu tragen bleibt,

du bedarfft ihrer; das Selbst in dir sollte zu nichte werden.

In

wohltätigen Fieberschauern gräbt das Leben dem tiefeingewurzelten chronischen Übel die Wurzel ab und macht dich zum Sieger selbst

über den Tod.

Die brandenden Wogen der Zeit können dich nicht

verschlingen, sondern heben dich doch empor zum Azur der Ewig­ keit.

Hab nicht lieb die Lust, sondern liebe Gott.

Das ist das

ewige Ja, in dem sich jeder Widerspruch auflöst".

Diese

Antithese zwischen des Menschen Zeitlichkeit und Ewigkeit, die unsere Existenz umspannt, bringt erst die große Lebensbewegung, das mächtige Vorwärts in dieselbe hinein, das dem Erdendasein Sinn

und Zweck gibt.

„Da glaube ich sagen zu dürfen, daß des Menschen

Unseligkeit in seiner Größe begründet liegt: sie entspringt daraus, daß ein Unendliches in ihm lebendig ist, welches er aller List zum Trotz doch nicht ganz über dem Endlichen vergessen kann".

Hier haben wir eine ganze Fülle von Material, das zum Be­ griff der Bekehrung und zum Aufbau des neuen Lebens gehört. Sind es auch nur Bruchstücke, und zwar ungleichnamige Brüche, die er auf einen Generalnenner noch nicht zu bringen, zu einer

durchsichtigen Klarheit und Einheit noch nicht zusammenzuarbeiten

vermochte, so ist es doch nicht nur an und für sich ein Beweis davon, wie reich und mannigfaltig die Anknüpfungspunkte und die Fäden sind, die das allgemein-menschheitliche Leben in seiner ge­

gebenen Tatsächlichkeit für die Verwertung des Bekehrungsgedankens darbietet — er ist so recht ein Schlüssel für die Rätsel unserer

geist-leiblichen, zcitlich-ewigkeitlichen Existenz — sondern auch davon, wie die einzelnen Fäden und Linien der darin gegebenen Wahr­

heiten, Forderungen und Aufgaben ineinander verknotet sind.

Faßt

91 man eine Aufgabe recht an, z. B- die Überwindung des Fleisches

durch den Geist, oder des Genusses durch das Pflichtgefühl, des Eigennutzes durch das Gewissen rc. — so treibt sie von selbst über

sich selbst hinaus und in eine höhere hinein. Fall, daß auch Carlyles

„ewigen Nein"

Das ist so sehr der

innere Auseinandersetzungen, die vom

zum „ewigen Ja"

ihn emportrugen, ideell noch

über sich selbst hinausweisen, und er selber wäre über sein Selbst

hinausgewachsen, aus dem Rest von Selbstleben in den Dienst des Gottes, der die Liebe ist, hinein, wenn er den Gedanken von dem Heiligtum des Schmerzes, die Tatsache des ecce homo konsequent zu durchdenken den Mut gehabt hätte.

Hier ist seine Schranke, und

Hilty hat nicht ganz Unrecht, wenn er von ihm sagt: „Unendlich

wohltätiger für ihn selbst, für seine Angehörigen und sein Volk aber wäre sein Leben noch geworden, wenn er nicht bloß ein solcher

abstrakter Idealist,

sondern

(„Schlaflose Nächte" S. 126).

ein

positiver Christ gewesen wäre"

Das ist indessen gar nicht zufällig,

sondern bedeutsam: Carlyles Gestalt und Lebenswerk bezeichnet das

non plus ultra des

verwirklichten Bekehrungsgedankens auf der

Stufe des allgemeinen sittlich-religiösen Bewußtseins.

Er verkörpert

das Ideal des Menschen, in dessen innerem Haushalt Pflicht und Gewissen, Wahrheit und Gerechtigkeit den Primat errungen und

die niederen, sinnlichen, zeitlichen, weltlichen Motive und Mächte, die Götzen, die der natürliche Mensch anbctet, niedergezwungen haben. Aber keine Brücke der

„eigenen Vernunft und Kraft" trägt den

Menschen hinüber und empor zu der höheren Stufe der Bekehrung

zu dem lebendigen Gott, dem Vater Jesu Christi, welche die volle Wiedergeburt deö Menschen bedeutet, wie sie an einem Paulus und Luther zu sehen ist.

Der Kleinste im Himmelreich, in dem eben

die Herrschaft Gottes, des Gottes der Liebe, Erlebnis und Tat­ sache geworden, ist größer denn er.

Carlyles Bekehrungsweg und

seine Bekenntnisse darüber verhalten sich zur christlichen Idee von

der Sache, wie die Weissagung zur Erfüllung. „Das Unzulängliche, hier wird's Ereignis."

So notwendig es daher ist, in den genannten Beziehungen

92 diese Bruchteile des BekehrungSgedankens zu würdigen, zu Pflegen, zu benützen — denn sie sind die Unterlagen, Anknüpfungspunkte

und Vorbereitungen für den Schritt ins Reich Gottes hinein —

so falsch wäre es, die selbstgenügsame Meinung zu hegen und gar befördern, als sei damit das Ziel der menschlichen Besttmmung er­

reicht.

Das hieße den Weg des Lebens verbauen.

Denn wie es

eine satte Religiosität gibt, die die Forderungen des Gewissens lähmt:

„Peut-Gtre vaudrait-il mieux n’avoir point de religion

du tout, que d’en avoir une ext^rieure et mani^rde, qui, aans

toucher le coeur, rassure la conscience“ (Hilth a. a. O. S. 150),

so gibt es einen Moralismus, der sich gegen die Einwirkungen der

den Menschen von sich selbst erlösenden göttlichen Autorität ver­ festigt*). Unter diesem Vorbehalt wird man behufs eines gesunden und

weitherzigen, allen Bedürfnissen Rechnung tragenden Standpuntts nicht nur verschiedene Stufen, sondern auch verschiedene Linien in der Richtung auf das Ziel der Bekehrung hin unterscheiden dürfen, die sozusagen die geometrischen Örter sind, in welche jeweils

der Jncidenzpunkt der Bekehrung, der entscheidenden Krisis selber fällt.

Dazu

fordert

schon

die Verschiedenheit der individuellen

Führungen und Voraussetzungen auf.

Die erste Linie ist die der

ethischen Entwicklung, wenn aus dem Chaos der ungeordneten, selbsüschen, blinden und

ungezügelten Triebe der Kosmos eines

zweck- und zielbewußten persönlichen Lebens erstehen soll.

Dabei

wird sich die ethische Umwandlung der gesamten Lebensrichtung er­ fahrungsgemäß verbinden mit der Bekämpfung und Überwindung

♦) In dieser Beziehung ist ein Blick auf die Lebens- und Entwicklungs­

geschichte Joh. Jak. Mosers (vgl. oben S. 69) besonders lehrreich.

Wie gut

war eS für diesen Mann, daß er auf der Stufe der Rechtschaffenheit, die er

früh und zwar in seltener Völligkeit erstiegen, nicht stehen blieb, sondern zum

Glauben an Christum durchdrang!

Es ist nicht zuviel behauptet — der Ein­

blick in seine Selbstbiographie überführt einen förmlich davon — wenn man sagt: er hätte ein unausstehlicher Pharisäer, ein Tugendprotz werden müssen,

wenn er nicht ein so demütiger, kindlicher, liebender Christ geworden wäre. —

93 der besonderen Verkehrtheiten (oder des präponderierenden Sünden­

hanges), in denen das Böse seine individuelle Gestalt bekommen hat.

Es handelt sich hierbei, praktisch angesehen, zumeist darum, daß an

einem besonderen Punkte Ernst gemacht und grundsätzliche Ent­ scheidungen getroffen werden.

Diesem Bedürfnis hat z. B- die Me­

thode des Herrn selbst gegenüber dem reichen Jüngling Rechnung getragen. So diente einem Ötinger der sensus communis als das

geeignete Wahrheitsinstrument, um die Gewissen zu schürfen, die Seelen zu erleuchten — er gebrauchte hierzu die Sprüche Salomos,

z. B. auch für die Vorbereitung zum heiligen Abendmahl. — Hier liegt eine seelsorgerliche Aufgabe vor, deren Wichtigkeit und Frucht­

barkeit ein Blick in den tatsächlichen Zustand der Christenheit sofort

erkennen lehrt.

Und jede „Zurechtweisung" im vollen Sinne des

Worts, jede Einrenkung und Heilung eines erkrankten oder ver­ unglückten Gliedes im Organismus des inneren Lebens kommt bei der Geschlossenheit seines Gefüges dem Ganzen zu gute.

Der wirk­

liche bleibende Erfolg aber wird eben darum davon abhängen, daß

man nicht beim konkreten ethischen Bedürfnis stehen bleibt, sondern die Verbindungslinie mit der höchsten Lebensfrage, — der ewigen

Bestimmung des Menschen — vor Augen und in der Hand behält. Nirgends ist in diese Zusammenhänge klarer hineingeleuchtet worden, als von Jesus Luk. 16 1 ff. und Matth. 5 r». »o. zusammen mit 2». 30 b.

Relativ selbständig geht dieser ethischen

die intellektuelle

Linie der Vorwärtsbewegung zur Seite, auf welcher der suchende oder im Finstern tappende Mensch aus den Nebeln religiöser oder

irreligiöser Wahnideen heraus und zum Lichte der Wahrheit empor­

geführt wird.

Wie wichtig für Unzählige in unserer Zeit, denen

der Zweifel, Vorurteile oder Verblendung durch andere den Blick

für die Wahrheit verbaut haben, diese Handreichung ist, liegt klar

zu Tage und erst kürzlich hat Baumgarten („Neue Bahnen "rc.) nachdrücklich darauf hingewiesen, wie für die Predigt die Aufgabe der klaren Unterweisung die große Hauptsache sei.

Aber

eine

Tatsache

ist unbestreitbar: der Wille

Herz sind schwerer zu bekehren als der Kopf.

und

das

Die im engsten

94 Sinne religiöse Linie des Bekehrungsweges richtig zu deuten und

zu behandeln in Predigt, Unterricht und Seelsorge, vollends in der Evangelisation, das ist doch im Grunde der Schlüssel des Rätsels der Bekehrung.

Hier kommt es darauf an, daß der Mensch vor

das Angesicht Gottes geführt werde, daß Gott und die Seele zu­ sammenkommen.

Die Bekehrung im vollen Sinne wird doch nur

verwirklicht durch einen Beweis des Geistes und der Kraft Gottes, welcher das ttotzige Herz beugt, das gebundene befreit.

Stärkung

und Schärfung des Gewissens einerseits, Klärung und Erleuchtung

der Intelligenz andererseits, sind notwendige Hilfslinien und Vor­ bereitungen für den entscheidenden inneren Vorgang, aber der aus­

schlaggebende Zug, den es über den Menschen gewinnt, geschieht in der Tiefe der Menschenseele durch eine Berührung, d. h. durch ihr

Berührtwerden von Gott selbst, eine Offenbarung, die in den Geist des Menschen hineinspricht: es werde Licht! — und es wird Licht — eine Kraftmitteilung, die der Ohnmacht des gebundenen menschlichen Willens aufhilst. — Wer je das Wott Miltons

durchgekostet hat:

„Schwachsein

bedeutet erst das wahre Elend",

der kann und wird auch von dieser Erfahrung etwas zu sagen

haben.

Ausdrücklich sei indessen hingewiesen auf einen klassischen

Zeugen einer christlichen Bekehrung vor andern: I. G. Hamann*). ♦) Bei ihm tritt der spezifisch-christliche Einschlag im Gewebe des göttlich­ menschlichen Ereignisses der Bekehrung besonders deutlich hervor, sowohl formell wie materiell.

Jenes insofern, als seine, des halb Verzweifelten, herzliche,

dringende Bitte um einen Freund, der ihm einen „Schlüssel zu seinem Herzen"

und einen „Leitfaden für sein Labyrinth" geben könnte, in der Weise erhört wurde, daß er diesen Freund

in

der

Schrift,

Mittelpunkt derselben, in Christus, sand.

genauer

in

dem

lebendigen

Die Wahrheit verdichtet sich ihm

zu einer greifbaren Realität, an der er sich halten und aufrichten konnte.

Er fand „die Einheit

des göttlichen Willens in der Erlösung Jesu

Christi, daß alle Geschichte, alle Wunder, alle Gebote und Werke Gottes auf diesen Mittelpunkt zusammenliefen, die Seele des Menschen aus der Sklaverei, Knechtschaft, Blindheit, Torheit

größten Glück, zur höchsten Seligkeit rc.

und dem Tode

zu

bewegen".

der Sünden

Diese

innere

zum

Offen­

barung war so stark, so durchdringend, daß er — es war am 31. März 1758, als er 5.

Mose 5 las

— in Tränen zerfloß

im

Blick

aus

den

Tod

des

95 Daß die bezeichneten Linien der Bekehrungswege nicht etwa ge­ sondert nebeneinander hergehen, sondern in verschiedener Weise sich

durchdringen oder ergänzen, bedarf nach dem Gesagten keiner Aus­ führung. (Sie aber zu unterscheiden, hat den Wert notwendiger Orien­

tierung über die Bewegungen auf dem Terrain des geistlichen Lebens.) 3. Hiermit sind wir schon an die Frage nach dem Vollzug der

Bekehrung herangetreten. Die Anerkennung und Wertung des gött­ lichen agens, des ersten hierfür maßgebenden Momentes, welches

in das Geistesleben des Menschen eingreift, um

darin den ent­

scheidenden Anstoß zu einer ewigen Bewegung zu geben, bedarf nach

dem eben Gesagten und den angeführten biblischen

und kirchen­

geschichtlichen Beispielen keiner weiteren Begründung mehr.

Es sei

nur darauf hingewiesen, daß es Fälle gibt, in welchem das zweite,

gleich zu besprechende Moment, das der menschlichen Vermittelung

durch Wort oder Werk oder persönliche Ausstrahlung

göttlichen

Lebens, so sehr zurücktritt, daß das göttliche Wirken gleichsam

transparent wird.

Es sei der Merkwürdigkeit halber nur auf zwei

Beispiele von Bekehrungen aus der Gegenwart hingewiesen, die in ihrem pragmatisch diametral entgegengesetzten Verlaufe doch

selbe religiöse Phänomen darbieten.

das­

Welche Mühe hat der wieder­

holt mit selbstmörderischen Gedanken und Selbstmordsversuchen um­ gehende spätere Pfarrer I. M. Ludwig in Davos seinem Gott

Heilandes:

Tiefe

„Ich

desselben

fühlte seufzen

mein Herz und

klopfen,

jammern,

als

ich die

hörte eine Stimme Stimme

eines

in der

erschlagenen

Bruders, der sein Blut rächen wollte, wenn ich selbiges beizeiten nicht hörte, und sortführe, mein Ohr gegen selbiges zu verstopfen---------------- ich konnte es

nicht länger meinem Gott verhehlen, daß ich der Brudermörder, der Bruder­

mörder seines eingeborenen Sohnes war." haltlich bedeutsam.



Und das ist auch in­

Die Berührung des göttlichen und menschlichen Geistes

geschieht hier durch das Geheimnis des Kreuzestodes Jesu hindurch.

Was ihm

da widerfahren, das hat sich von Paulus an in unzähligen Beispielen wieder­ holt.

Vgl. nur Novalis Lied:

„Unter tausend frohen Stunden" rc. — Wie

sehr diese Stunde auch Hamann selbst treu geblieben ist, davon legen viele Stellen seiner Werke ein lebendiges Zeugnis ab.

von Roth I, S. 210 ff.)

(Vgl. Hamanns Schriften

96 gemacht, bis er chm durch Mnke sozusagen handgreiflich bewiesen hatte, daß er nicht seinen Tod, den Tod des Sünders, sondern

sein Leben und seinen Dienst wolle!

Andererseits hat die göttliche

Jnnenwirkung einen kurzen, raschen und siegreichen Verlauf ge­

nommen bei dem originellen W. H. Rule (f 1890), Missionar und späterem Militärgeistlichen in Aldershot, dessen Bekehrung ver­

anlaßt wurde durch ein wunderliches Geburtstagsgeschenk, das ein Freund ihm sandte: eine Schachtel mit Äpfeln, einer Hirnschale und einer Bibel: die Äpfel zum Essen und zur Erinnerung an den

Sündenfall, der Schädel als Mahnung an den Tod, die Bibel zum Lesen und Beherzigen!

Dieser summarische Anschauungsunterricht

hat bei ihm durchgeschlagen — eine Wirkung, von der man wohl sagen kann, daß direkte menschliche Bermittelung so gut wie gar

nichts zu ihr beigettagen hat.

Selbstverständlich wäre es ober­

flächlich, darüber vergessen zu wollen, wie viele unmeßbare christ­

liche Einflüsse und Eindrücke, die das im Schoße des christlichen Gemeindelebens aufwachsende Individuum immer umspielen, die Vor­

bedingungen für einen solchen entscheidenden Vorgang geschaffen haben mögen. — Das ist ja auch die Regel.

Wie die Fügungen und Schickungen

im Menschenleben einerseits, so sind der Einfluß der persönlichen Beispiele

und

die

Verkündigung

des Evangeliums die ge­

gebenen Organe und Instrumente, in und durch welche die erleuch­

tenden, erlösenden, den Menschen über sich selbst hinaushebenden Wirkungen an ihn gelangen. Es ist heutzutage eine so gut wie allgemein errungene Überzeugung, auch bei den verschiedensten theo­

logischen Richtungen, daß hierbei, was die durchschlagende Kraft betrifft, der lebendigen Ausstrahlung der Persönlichkeit der Vorrang

gehöre vor dem Wortzcugnis.

In sehr ansprechender Weise hat

das z. B. Kingsley in seinem Alton Locke geschildert, wo er von dem seelsorgerlichen Verkehr des Gefängnispastors mit dem Sträfling erzählt:

jener brachte diesen mit seinen Disputen, so wohl­

gemeint sie waren, keinen Schritt vorwärts.

Dieser aber war von

der schlichten, edeln, lauteren Persönlichkeit des Mannes innerlich

97 längst überwunden und hätte ihm allen Aufwand an Mühe und Scharffinn schenken können.

Dies ist denn auch die ttagfähigste

Brücke, welche den von Gott Fernen zum Glauben führt.

Gilt es

eine Bekehrung zum persönlichen Gott, so ist hierfür nichts taug­ licher und beweiskräftiger, als das Bild des persönlichen Lebens,

das die Spuren der Neuschöpfung an sich trägt. sagt Lagarde,

Wiedergeborenen,"

und Befteiung.

„In ihm, dem

„ist Gott; an ihm

ist Freude

Er ist der lebendige unter uns wandelnde Beweis

des Daseins der Ewigkeit, des Wirkens der Mächte der Ewigkeit... der allereinzigste Beweis für das Dasein eines persönlichen Gottes. Nehmet diese Menschen aus der Welt, so ist alles dunkel in ihr." Aber es ist durchaus nicht nur die Unzulänglichkeit und verhältnis­

mäßige Minderwertigkeit der persönlichen Muster, welche das andere

Organ der Wahrheitsvermittelung und Kraftmftteilung — die Ver­ kündigung durchs Wort — schlechthin unentbehrlich macht, sondern

die Natur der Sache fordert es selber. Plan, so will sie bezeugt werden.

Ist die Wahrheit auf dem

Wohl ist diese Wahrheit des

Christentums keine neue Lehre über Gott, sondern neues Leben aus Gott, aber es ist nicht stumm, sondern redend. darum rede ich."

einander verbunden.

Und das drängt von selbst weiter: soll es dem

geistigen Verständnis übermittelt werden,

werden.

„Ich glaube,

Tatzeugnis und Wortzeugnis ist unttennbar mit­

so muß es gedeutet

So enthält die Verkündigung ihrer Natur nach zwei Ele­

mente und stellt zwei Aufgaben, erstens das Zeugnis, sodann den Beweis.

Das Zeugnis ist das Erste, das Grundlegende.

reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben."

„Wir

Das

ist das unentbehrliche Siegel der Wahrheit für jede Verkündigung,

sei's die Gemeindepredigt, sei's die Evangelisatton.

Kierkegaard

hätte nicht nötig gehabt, den Unterschied zwischen „einem Apostel und einem Genie" durch eine weitläufige und scharffinnige Abhand­ lung ins Licht zu stellen, wenn die „Bekehrung der Pastoren" nur

bis zu dem Punkte gediehen wäre, daß sie predigten, was sie glauben.

Hierfür ist Franckes Bekehrung, wie schon gesagt, das klassische Zeugnis.

Man muß die Gegenden des geistigen Lebens selbst be-

Herzog, Begriff der Bekehrung.

7

98

reist haben und aus eigener Anschauung kennen, in und durch welche man andere führen will.

Das ist die Minimalforderung,

die an jeden Prediger zu stellen ist.

So gewiß die Wahrheit des

Evangeliums größer ist als er, d. h. der Besitzstand seines geist­

lichen Lebens, ein Zeuge muß er sein, oder er hat keine Existenz­

berechtigung und soll schweigen.

Kann man von ihm nicht ver­

langen, daß er mit seiner Persönlichkeit die Wahrheit seiner Pre­

digt decke, so doch dies, daß er sie damit vertrete.

Und das

Volk hat ein feines Gcmerk dafür, ob diese Authentie, diese eEooaia

ihm eignet oder nicht, ob er ein Zeuge oder ein Schwätzer sei, ob

er die Kunde aus erster Hand, oder von andern abgeschrieben habe. Die Kontroverse über die theologia irregenitorum konnte im Zeit­

alter des Intellektualismus unerledigt bleiben, heute ist der Prozeß entschieden. In dieser Beziehung sei verwiesen auf die Ausführungen

von Lhotzky, Leben und Wahrheit (2. Auflage.

1903) in dem Auf­

satz über „Aufgaben der Theologie". — Erst wo diese elementare Forderung nach ihren objektiven und subjektiven Zusammenhängen in der christlichen Verkündigung erfüllt ist, kann von derselben als einem brauchbaren Instrumente zur

Mitteilung von Wahrheit und neuem Leben gesprochen werden und erst auf dieser Grundlage kann auch die andere Aufgabe angefaßt

werden, zu beweisen, d. h. Dogmatik und Apologetik zu

treiben, durch welche dieser neue Tatbestand mit dem übrigen Geistesbesitz

der

Menschheit

an

Wissenschaft

und

Kulturgütern

vermittelt wird. Aber die Frage drängt weiter: die Formen und Gefäße, in

welche die Botschaft von dem neuen Leben gefaßt ist, wandeln sich ebendarum unaufhörlich mit den Zeiten und ihren Bedürfnissen

und das um so mehr, als die beiden genannten Aufgaben des Wahr­ heitszeugnisses, das Zeugnis von den Wirklichkeiten und die denkende Durcharbeitung desselben, oder anders ausgedrückt, die religiöse und die theologische Fassung desselben immer ineinander flössen.

Das

hat, wie wir sahen, zur Folge gehabt, daß die Verkündigung in

der Fassung des großen Apostels den Jntellettualismus zum Doppel-

99 ganger bekommen hat. Ist das Grundgestein des Paulinismus auch

durchaus die sittlich-religiöse Frage, wie der Mensch zum neuen Leben durchbricht, und die denkende Verarbeitung der „Lehre" nur

die mehr oder weniger durchsichtige Hülle um dasselbe her, so hat schon diese genügt, um in der Tradition das Glaubensleben des Mannes hinter sein System zurückzustellen. Das ist auch gar nicht zufällig: es wird dem Verstände des Menschen leichter, einem hohen Gedankenfluge zu folgen, als es dem Willen und Gemüte ist, sitt­

lich-religiöse Entscheidungen zu treffen, was die Hingabe der Person fordert. Und die Kehrseite ist dann unvermeidlicher Weise die, daß

der Weg der Bekehrung, die einfache Aufgabe: „Glaubet an das Evangelium", mit Schranken umhegt und mit Umständlichkeiten be­

schwert wird, die gar nicht zu seinem Wesen gehören und die, wie die geschilderten Beispiele aus evangelischen Kirchengeschichten be­

weisen, oft mühsam genug durchbrochen werden müssen, um für die rettende Sövajvx frsoü, die das Evangelium ist, die direkte Berührung mit und den Eingang in das Herz des Menschen zu ermöglichen. So entsteht die Frage: was ist die adäquateste Form, das durchsichtigste Gefäß für die Mitteilung göttlichen Lebens und evan­

gelischer Wahrheit? Es wäre ein voreiliger Schluß, den paulinischen Typus der Verkündigung um des schmarotzerähnlichen Beiwerks

willen, der sich daran gehängt hat, als rein antiquiert abzulehnen,

so gewiß es nicht nur im Zuge der heutigen Zeifftimmung liegt, sondern

der Natur der

Sache

entspricht, das authentische

Evangelium Jesu in Theorie und Praxis mehr und mehr zu er­

fassen, also eine Hinlenkung zum Typus der Evangelien sich je länger je mehr kundgibt. Direkter Anschluß an die Person Christi, als „den Weg zum Vater", Unterstellung unter den Einfluß seiner

Person, die Ausstrahlung seines Geistes und Sinnes: das ist die Parole, die allerwärts «vergl. in England: „the mind of the

master“ von Watson; in Deutschland besonders die Anregungen von Dr. Joh. Müller und H. Lhotzky) ausgegeben wird. Das ist

ganz

gewiß

richtig

und jeder Fortschritt

auf

dieser Linie mit

Freuden zu begrüßen, aber eine doppelte Erwägung läßt sich nicht 7*

100 leicht umstoßen, welche die Entscheidung der zwei Möglichkeiten nicht im Sinne eines aut-aut, sondern eines Sowohl-als auch nahelcgt:

Einmal ist der evangelische Typus der Bekehrung im Sinne der

Nachfolge oder Jüngerschaft Christi erst im Fluß des Werdens, und der Klärung in seiner theoretischen und praktischen Behandlung

bedürftig, während der paulinische Typus der Erlösung, der um die Gegenpole Sünde und Gnade sich bewegt, ein wiewohl umständ­

licheres, aber doch der herkömmlichen Frömmigkeit geläufiges und auch für viele echte und warme Christen erprobtes Paradigma darstellt,

das an der tiefsten Erfahrung der nach Befteiung von der Not der Sünde ringenden ehrlichen Seelen sich immer wieder beglaubigt. Und sodann ist es, worauf wieder Hülsmann (a. a. O. S. 42 ff.), wie

mir scheint, mit Recht hingewiesen hat, gar nicht an dem, als ob die

paulinische Rechffertigungslehre nur an dem Begriffe der Sünden­ schuld und Sündenvergebung orientiert wäre, also an den Werten,

die dem heutigen Geschlechte nicht so am Herzen liegen und auf der Seele brennen, wie der Hunger nach Leben. Vielmehr tritt diese

Seite des Erlösungsbedürfnisses mindestens so stark, wo nicht stärker hervor, als die erstere, wenn man nur an Röm. Kapitel 7 im Ver­ hältnis zu Kapitel 8 denkt. Hülsmann stellt gleich zu Anfang seiner Erörterungen zum

Römerbrief, ausgehend von den Stellen, die „die Mitte seiner (des Apostels) innersten religiösen Erfahrung unmittelbar und deutlich auszusprechen scheinen" (im Unterschied von der „theologisierenden Entwicklung"), die Behauptung auf, „daß die kirchlich-rechtgläubige

Bibelerklärung durch und durch auf dem Boden der Gesetzesreligion steht, während gerade Paulus diese Gesetzesreligion bekämpft," und findet in Röm 51 ff. nicht bloß und nicht sowohl Aufhören der Feindschaft gegen Gott, als Friede und Hell (im positiven Sinne

des Lebensgefühls) im Verhältnis zu Gott.

„Dieses innige, ver­

trauende persönliche Verhältnis zu dem heiligen Gott des Gewissens

muß das höchste Gut sein, das wir suchen, Lebensgefühl, Heil, Segen", nicht etwa bloß: Vergebung der Sünden, d. h. Straflosigkeit und die Gewißheit derselben. Und in Röm. Tu erkennt er

101 als das tiefste Bedürfnis dies: „Wie komme ich aus dieser Ohn­

macht heraus?

Aus dieser Ohnmacht der guten Regungen und

Vorsätze, wie komme ich in einen Strom des Lebens und des Guten hinein, der mich trägt und beglückt?...Also: Leben, Freiheit

und Kraft der guten Triebe, Harmonie des Daseins, Leben aus der tiefsten Wurzel der Seele, die bis in Gottes Herzen hinein­ reicht und von da aus ihren Pulsschlag erhält: das ist es, was er als das höchste Bedürfnis . .. fühlt.. .; von diesem Leben spricht er nun Kapitel 8 weiter :c."

„Von dem, was nach der gewöhn­

lichen Auffassung hier bei Paulus erwartet werden müßte: Zer­ knirschung über die Vergangenheit, über die begangenen Sünden ic.,

von alledem finden wir hier nichts."

Daran knüpft er im An­

schluß an 828 die weitere Argumentation, daß mit der Berufung durch Gott auch die Gerechtmachung und Verherrlichung verbunden

sei.

„In uns vollzieht sich dann ein ewiger Gnadenratschluß Gottes

über unseren Eintritt in diesen Gnadensttom, diesen Lebenssttom des Segens, des Friedens, der Liebe, des Segens."

Und damit

sei, fährt er fort, eine neue Lebensaufgabe gegeben, ja jetzt fühle der Mensch erst, daß er eine Lebensaufgabe habe, denn Gott rufe

uns, indem er uns etwas zu tun gebe. leuchtet sofort

Dieser Gedankengang, das

ein, bringt die religiösen Selbstzeugnisse wie die

Grundideen der Lehre des Paulus in eine viel größere Nähe und Verwandtschaft mit der Entwickelung der ersten Jünger und den

Typen der evangelischen Geschichte, weshalb er zum Schluß das Ergebnis zieht: „Nirgends sehen wir da . . . die werdenden Christen und Apostel (wie wir nach der kirchlich gilttgen Forderung erwarten

müßten,) von der Furcht vor dem strafenden Gott, von der Angst über die eigene Verschuldung zum Heiland getrieben. . . nirgends

hören wir dort etwas von der Auflösung jener Angstkämpfe in ein für allemal sicherstellendes Vergebungsgefühl, das ihnen als göttliche Zusage in die Seele geschrieben würde."

Man kann, unstreitig mit gutem Grund, gegen diese Deutung des Paulinismus ein doppeltes einwenden: einmal den Eindruck,

daß Hülsmann mit der Brille des modernen Menschen oder durch

102 die schon charakterisierte, dm Hunger nach Leben mehr als das

Schuldgefühl empfindende Stimmung der Gegenwart hindurch den Paulus betrachtet und mindestms seine juridischen Maßstäbe gänz­ lich übersehen habe; sodann ist, und das ist wichtiger, die (Römer

Kapitel 3, 4 und 5) sich um das Geheimnis des versöhnenden Kreuzestodes Jesu herum kristallisierende Gedankengruppe hier ein­

fach ausgeschaltet geblieben. Aber damit sind weder die hier hervor­ gehobenen Wahrheitsmomente entkräftet, noch ist dieses argumentum

ex silentio bett, des Erlösungstodes dahin zu deuten, als

ob

Hülsmann das diesem entsprechende, tiefe und allgemeine Bedürfnis

nach Stellvertretung und Erlösung(-Vergebung) überhaupt ignorieren wolle: wie könnte das mit 2. Kor. 5 in Einklang gebracht werden! Vielmehr sind diese Ausführungen eben nach der Seite hin wert­ voll, daß sie uns überzeugen können, 1. der ursprünglich-paulinische

Typus der Bekehrungspredigt sei nichts weniger als antiquiert;

2. die traditionelle protestantische Deutung desselben aber, die die Hülsen vom Mittelalter mit herübernahm und unseren heutigen

Bedürfnissen und sittlich-religiösen Maßstäben inkommensurabel ge­ worden ist, ungenügend.

Bedeutsam ist auch, daß schon 100 Jahre

vorher die Unzulänglichkeit unserer Schulbegriffe über Paulus von Ötinger durchschaut worden ist, wenn er in einem Briefe einmal

schreibt: „Ich übergehe gern die aus Zank mit Katholiken ent­ standenen Subtilitäten.

Die Epistel an die Römer ist von der

Hauptfrage, von Abschaffung des jüdischen Gesetzes, auf den Streit

mit Papisten gezogen worden.

Ich suche daher mehr eine Recht­

fertigung zu einem Kind Gottes, als eine Rechffertigung von

den Beschuldigungen."

Dieses Urteil liegt ganz in derselben

Linie, die eine Konvergenz des paulinischen

Erlösungsgedankens

gegen die Spuren des synoptischen und des johanneischen Zeug­

nisses darstellt. Daher ist soviel bewiesen: für den ursprünglich evangelischen und den paulinischen Typus der Bekehrungspredigt ist nicht ein Ent­

weder-Oder, sondern ein Sowohl-als auch bezüglich ihrer Wertung und Verwertung festzustellen.

Das Ziel — der neue Lebenszweck

103 und Inhalt — ist hier wie dort dasselbe.

Des näheren sind dabei

aber zur Klarstellung des Sachverhalts und zur richtigen Behand­

lung des zarten Problems in bet Praxis einige Gesichtspunkte fest

im Auge zu behalten: Erstens gilt es, das paulinische Para­ digma nicht falsch zu flektieren.

Das würde geschehen, wenn man

vergäße, daß schon geschichtlich betrachtet die Bekehrungspredigt des Paulus gewiß nicht mit seiner Rechtfertigungslehre in eins zu setzen ist, wie sie im Römerbrief systematisch entwickelt ist. Inter­

essant ist in dieser Beziehung schon eine treffende Bemerkung in Pf. Epplers Schrift: „Die neuere Mission im Spiegel der alt­ christlichen nach Harnack"