Der Ausbruch des Weltkrieges: Nach den Behauptungen Lichnowskys und nach dem Zeugnis der Alten [Reprint 2019 ed.] 9783486744828, 9783486744811


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Vorwort
Der Ausbruch Des Weltkrieges
Nachwort
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Der Ausbruch des Weltkrieges: Nach den Behauptungen Lichnowskys und nach dem Zeugnis der Alten [Reprint 2019 ed.]
 9783486744828, 9783486744811

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Der Ausbruch des Weltkrieges nach öen Behauptungen LichnowskuS unh nach öem Zeugnis öer Akten

von

Moriz Dritter

München unb Berlin 1918

Druck unb Verlag von R. Glbenbourg

By

Vorwort. Die vorliegende Schrift ist aus zwei Artikeln hervor­ gegangen, die ich unter dem Titel „Lichnowskys politische Anschauungen und Tätigkeit in den Jahren 1912—14" in

der Kölnischen Zeitung am 22. und 23. Mai veröffentlicht habe.

Im Vergleich mit dem ersten Entwurf erscheint sie

indes als eine völlig neue Arbeit.

Gemeinsam ist beiden

Abhandlungen, daß sie von der Absicht ausgehen, die an­ geblichen Aufschlüsse Lichnowskys über die dem Weltkrieg

vorausgehende deutsche Politik einer Prüfung zu unterziehen. Da diese Prüfung aber ohne die vorausgehende aktenmäßige Feststellung der Vorgänge, aus denen seit der Abfassung

des österreichischen Ultimatums an Serbien der Krieg un­ mittelbar hervorging, nicht vorzunehmen war, so siel in

der neuen Bearbeitung noch mehr als in der ersten Skizze das Hauptgewicht auf die genaue Erfassung der Natur und

des Zusammenhangs jener Vorgänge*). Als die Macht, die den allgemeinen Krieg in raschem Zug herbeisührte,

erscheint dabei Rußland. Wäre ich fteilich von der unmittel*) Gleich hier nenne ich als die Vorgänger, denen ich am meisten verdanke, Ludwig Vergsträßer, Die diplomatischen Kämpfe vor Kriegs­ ausbruch (Histor. Zeitschrift B. 114 S. 489; auch besonders erschienen), und Hermann Oncken, Vorgeschichte, Ausbruch und Ausdehnung des Weltkrieges (Deutschland und der Weltkrieg II2). Eine polemische Aus­ einandersetzung über die Einzelheiten, in denen ich von meinen Vor­ gängern abweiche, glaubte ich einstweilen vermeiden zu dürfen.

baren Veranlassung zu den tieferen Gründen des Kriege

zurückgegangen, so hätte ich neben -en feindlichen Anschlägen Rußlands gegen die österreichisch-ungarische Monarchie die

Feindschaft Frankreichs und Englands gegen die neu empor­

gestiegene Macht des Deutschen Reichs nach Arsprung und Entwicklung darlegen müssen.

Aber so weit den Rahmen

meiner Darstellung zu spannen, lag nicht in meiner Absicht;

ich wollte nicht die Vorgeschichte des Weltkriegs, sondern

nur einen bescheidenen Beitrag zu seiner Vorgeschichte bieten. Bonn, im Juli 1918.

M. Ritter.

„Die Schuld der deutschen Regierung am Kriege."

Unter diesem Titel wurde um den Anfang des laufenden

Jahres eine Denkschrift veröffentlicht (Druck und Verlag:

W. Paul, Görlitz**), welche gegen Ende 1916*) von dem

in den Jahren 1912—1914 als deutscher Gesandter in London tätigen Fürsten Lichnowsky versaht und als Manuskript

in vertrauten Kreisen mitgeteilt war.

Druck und Titel

fällt nicht dem Verfasser zur Last, aber der Titel entspricht durchaus dem Inhalt.

In Kürze zusammengesaht besagt

letzterer etwa folgendes:

nach dem österreichischen Ulti­

matum an Serbien vom 22. Juli und nach der serbischen Antwort vom 25. Juli „berieten"

Lichnowsky und

der

englische Minister des Auswärtigen, Sir Edward Grey, einen „Vermittlungsvorschlag", der unter der einen Voraus­

setzung, daß Deutschland zustimmte, rasch und leicht zu einem Ausgleich des serbischen Streites, also zur Ver­

meidung des Krigees, zu führen versprach.

Aber Deutsch­

land stimmte nicht zu und hat dadurch die Schuld des Krieges

auf sich geladen. Mag

man

nun

über

Lichnowskys

Urteilsfähigkeit

denken wie man will, sicherlich erfordern bei der Stellung,

die er einnahm, seine Aussagen eine genaue Prüfung,

zumal ja unsere Feinde sich derselben bereits für die Zwecke

’) Wie ich in der Bonner Buchhandlung von Behrendt hdre, ist dieser Verlag erdichtet. *) S. 22 der Denkschrift heiht es: „jetzt nach zwei Fahren".

ihrer Propaganda bemächtigt haben. Nebenbei wird diese Prüfung auch zu einem schärfern Einblick, wenn nicht in die wahren Gründe des Krieges, so doch in die Vorgänge, unter denen sich der Ausbruch desselben vollzog, führen. — Zunächst ein Wort über die Persönlichkeit des Verfassers. Karl Max Lichnowsky (geboren 1860) hatte sich als Sprößling des ältesten schlesischn Adels dem Beruf des Diplomaten gewidmet. In der Zeit von 1889 bis Ende 1899 erscheint er als zweiter, schließlich als erster Sekretär bei den Botschaften von Konstantinopel**) und Wien. Don da wird er, ausgestattet mit dem Titel eines außerordent­ lichen Gesandten, in die politische Abteilung des auswärtigen Amtes versetzt. Gleich hier aber hören wir von einem ersten Konflikte mit seinem Vorgesetzten. Don dem ersten Mitglied seiner Abteilung — es war Herr v. Holstein — sagt er, ohne ihn zu nennen, er habe an Wahnvorstellungen gelitten und die Räte „schrullenhafte Erlasse mit krausen Instruktionen" verfassen lassen. Das Ende war, daß er mit Ablauf des Jahres 1904 den Staatsdienst ausgab und sich der Bewirtschaftung seiner in Preußisch- und Österreichisch-Schlesien gelegenen Güter widmete. Um

indes den Zusammenhang mit der Politik nicht zu ver­ lieren, versuchte er sich gleichzeitig (in den Jahren 1908 bis 1912) in einigen kurz gefaßten Aufsätzen mit Betrach­ tungen über die Politik und die gegenseitigen Beziehungen der mächtigsten Staaten der Gegenwart, mit besonderer Rücksicht auf die Interessen Deutschlands?). *) Vorher wohl in Bukarest. (Denkschrift S. 9.) *) Ich berücksichtige drei Artikel in der Deutschen Revue: Sb. 33, 4 (1908), 34,1, 4 (1909), einen Artikel im Berliner Tageblatt, 28. Aug. 1909, (n. 435), einen in Nord und Süd, Sb. 142 (1912 Juli).

Von den fünf führenden Weltmächten, die er auf diesem Wege fand, schienen ihm drei, nämlich Rußland, Nordamerika und Japan, wenig geneigt, die Zirkel einer be­ sonnenen deutschen Politik zu stören. Dor allem von Rußland nahm er an, daß es trotz der von Japan erlittenen Niederlage seine Zukunft in Ostasien suche, nicht im türki­ schen Reich, auch nicht in Konstantinopel im besondern: es „will den Türken am Bosporus erhalten, nicht ihn ver­ treiben'"); es will auch den Balkanstaaten bei ihren Dergrößerungsabsichten „nicht mehr als diplomatische Förde­ rung gewähren'"). Denn es braucht Friede in Europa; an seiner „Friedensliebe wird kein ernsthafter Politiker zweifeln'"). — In diesem Zusammenhang kommt er auch aus Frankreich zu sprechen. Er rechnet diesen Staat nicht mehr zu den führenden Mächten, ebensowenig wie OsterreichUngarn. Aber da im Fall eines Konfliktes sei es Rußlands, sei es Englands, mit Deutschland Frankreich seinen Platz auf der Seite des Feindes des Deutschen Reichs einnehmen wird»), so ist die Richtung, welche die französische Politik gegen das Deutsche Reich einschlägt, von größter Bedeutung. Da aber meint Lichnowsky, daß, wie Rußland zur Unter­ stützung „kriegerischer Abenteuer gegen uns" nicht bereit ist, so auch Frankreich an einen Überfall Deutschlands nicht

denkt. Wohl birgt „der Revanchegedante" noch eine Ge­ fahr in sich, aber er verliert „mit der Zeit naturgemäß an Kraft"»). 1) 2) 3) *) S. 28. s)

So im Berliner Tageblatt. Deutsche Revue 34,4, S. 3; vgl. 34, 1, S. 167. a. a. O. Bezüglich Englands hervorgehvben. Deutsche Revue Bd. 33,4» Revue 34, 4, S. 4, Berliner Tageblatt a. a. O.

Wenn so von den fünf führenden Weltmächten drei

dem Deutschen Reich gegenüber eine im ganzen wohl­

wollende Stellung

einnehmen,

Verhältnis der beiden andern-

so

bringt dagegen das

nämlich Englands und

Deutschlands, die gewaltigsten Schwierigkeiten und die Lichnowsky leitet sie ab

ernstesten Gefahren mit sich.

aus dem Wettbewerb des Welthandels,

des Kolonial­

erwerbs und schließlich der Seemacht, der überall auf den­

selben Kampfplätzen, im Weltmeer und in Afrikas, sich entfaltet.

Er verhehlt es nicht, dah diese Gegensätze der

Machtentwicklung leicht in einen Krieg ausbrechen könnten; aber, so fügt er alsbald hinzu, notwendig ist der kriegerische

Austrag nicht.

Als das schlechteste Mittel, den Krieg

hintanzuhalten, würde er den Verzicht auf den Ausbau unserer Flotte, soweit sie nämlich unsere Selbständigkeit

in dem Schutz unserer Rüsten, unseres Seehandels und

unserer

Kolonien

verbürgt,

ansehen.

Unsere

Kriegs­

bereitschaft zu Wasser und zu Land wird unsere Widersacher

ebensosehr aus ftiedliche Gedanken bringen, wie das Er­ schlaffen der Rüstungen die würde').

gegenteilige

Folge

haben

So aber, in starker Stellung, werden wir der

Gegenpartei das Gesetz vom ftiedlichen Wettbewerb der

Einzelnen, wie der Völker, nach dem auch ohne Rrieg „das Wohl der menschlichen Rasse durch das Überleben

der Geeignetsten, durch das Emporkommen der tüchtigsten

Menschenart gefördert" roirb3l ), * klarzumachen haben.

Und

dies kann uns um so eher gelingen, da zurzeit noch für

uns beide, Engländer wie Deutsche, genügend Platz in l) Revue 33, 4, 6.27. *) Revue 34, 1, S. 165. *) Nord und Süd Bd. 142, S. 16.

Afrika und aus dem Weltmeer ist1). Was wir also England gegenüber brauchen, ist „eine vorsichtige und kluge Leitung unserer auswärtigen Politik, welche jede Verschärfung der gespannten Lage zu verhindern und „die Dahnen friedlicher Arbeit und gemäßigter Rüstungen" einzuhalten versteht^). Lichnowsky trug seine Ansichten in magistralem Tone vor, ohne seine Leser mit statistischen, historischen oder andern Belegen, aus denen sie abzuleiten waren, zu be­ helligen. Zum Abschluß derselben versagte er sich nicht, ein Weltbild der Zukunft zu zeichnen, in dem die Staaten zweiten Ranges als Trabanten um die Achse der führenden Weltmächte kreisen würden. Als „philosophiren" be­ zeichnete er diese Behandlungsweiseb). Ob aber nicht andre, die gewohnt waren, mit greifbaren Wirklichkeiten zu rechnen, eine bedenkliche Verwandtschaft mit dem Verfahren der politischen Kannegießer entdecken konnten? Jedenfalls war indes diese letztere Beurteilung in unserm auswärtigen Amt nicht maßgebend; denn von hier aus erging im Oktober 1912, wie er selber sagt, zu seiner „großen Überraschung", das Anerbieten an ihn, den durch den Tod des Freiherrn von Marschall erledigten Posten eines Gesandten am englischen Hof zu übernehmen, also die Wahrnehmung derjenigen Beziehungen, die nach seinen eigenen Auseinandersetzungen den wichtigsten Teil unserer auswärtigen Politik**) bildeten. Wer war es, dem er 1) Revue 33, 4, S. 29. 2) Revue 33, 4, S. 3. Nord und Süd Bd. 142, S. 19. Tageblatt a. a. O. •) Der Ausdruck in Nord und Süd S. 15. *) Revue 33, 4, S. 24.

Berliner

diesen erstaunlichen Beweis des Vertrauens verdankte? Es war, wie er selber sagt, nicht der Kaiser allein, auch nicht der Staatssekretär v. Kiderlen-Wächter, der ihm vielmehr mit unverkennbarem Übelwollen begegnet sei; sollte es also wohl der Reichskanzler gewesen sein? Wirklich hatte Bethmann Hollweg den Fürsten nicht lange vorher aus seiner Herrschaft in Hsterreichisch-Schlesien besucht, und wie

damals der Gedanke einer Verständigung zwischen Deutsch­ land und England noch immer ein Grundmotiv seiner Politik abgab, so konnte es nicht anders sein, als daß beide Männer in der Frage des Verhältnisses zu England viel­ fach übereinstimmende Ansichten austauschten, und da liegt denn die Vermutung nahe, daß Bethmann in Lichnowsky den geeigneten Mann für die Durchführung seiner Absichten gefunden zu haben glaubte. Jedenfalls war es im Zeichen der Anfreundung mit England, daß der schlesische Magnat im November 1912 seine englische Bot­ schaft antrat. Aber die Frage war, ob Bethmann Hollweg die wahre Natur von Lichnowskys Anschauungen und Charakter richtig beurteilt hatte. Und sehr bald erhielt diese Frage ihre erste Beantwortung, als kurz nach der Ankunft des neuen Botschafters, im Dezember 1912, unter Edward Greys Leitung jene Londoner Konferenz zusammentrat, die den Versuch machte, die unter den Stürmen des neu entbrannten Balkankrieges sich durchsehende Neuordnung der Baltanstaaten nach den Interessen der europäischen Großmächte zu regeln. Gleich hier entwickelte Lichnowsky Anschauungen, die weit über die von seiner Regierung gezogenen Grenzen hinausgingen. Für die-Reichsregierung war dasjenige auswärtige Verhältnis, das allen andern

vorging, das Bündnis mit Österreich, und unter den Pflichten, welche dieses Bündnis nach sich zog, verlangte die wichtigste und schwerste die Unterstützung der österreichischen Macht­ interessen in dem Balkangebiet. Nach Lichnowskys schon vorher festgestellter Ansicht sollte das Verhältnis Öster­ reichs zu Deutschland auf dem Fuß der Abhängigkeit des erstem1) geregelt werden, und die deutsche Balkanpolitit sollte vom Vertrauen gegen Ruhland erfüllt sein; denn auch jetzt noch glaubte er an Rußlands Verzicht auf den Erwerb Konstantinopels — in Wahrheit freilich wurde dieser Erwerb im Kabinett des Zaren spätestens seit November 1913 wieder ernsthaft ins Auge gefaßt3) —, und die Sorge, daß die Balkanstaaten, in eine allgemeine Klientel Rußlands gezogen werden möchten, redete er mit der kurzen Bemerkung weg, daß dieselben, wenn „einmal befreit, alles eher als russisch finb"3). Der so zwischen dem Gesandten und seiner Regierung bestehende Zwiespalt kam zur Aussprache, als Serbien, unterstützt von Rußland, die Erweiterung seines Gebiets über das nördliche Albanien bis an die Küste des Adriati­ schen Meeres durchzukämpfen suchte, Österreich aber auf der Absperrung des feindlich gesinnten Staates von der Meeresküste unerbittlich bestand. Bei den hieraus ent­ stehenden, zeitweilig einen Zusammenstoß zwischen Österreich

und Rußland androhenden Auseinandersetzungen schrieb die deutsche Regierung ihrem Gesandten die Unterstützung *) Revue 33, 4, S. 28. Denkschrift S. 6—7. *) Denkschrift Sasonows vom November 1913. Konferenz hoher Staatsmänner und Offiziere, 21. Februar 1914. (Nach den Enthül­ lungen der Nowaja Schien in der Kölner Zeitung, 6. April 1918; n. 319.) *) Denkschrift S. ö.

Österreichs vor, er selber aber lieh sich's nicht verwehren,

aus seinen besondern persönlichen Anschauungen eine eigene Politik zu entwickeln. Deren Ausgang sollte die Beschrän­ kung Deutschlands auf lediglich wirtschaftliche Interessen im Orient und das gutmütige Vertrauen, daß man in Petersburg den Sultan „nicht aus Konstantinopel ent­ fernen wollte", bilden. Auf diesem Grunde werde sich unser Zusammengehen mit Rußland und als Folge dieses Zusammengehens die dem österreichischen Staat zukommende „Abhängigkeit von uns" von selber ergeben. Wir würden zugleich in die glückliche Lage kommen, daß wir ohne eigene Bemühung den Balkanvölkern die Gestaltung ihrer Grenzen überlassen könnten. Als ein Exempel, wie diese Gestaltung erfolgen sollte, schlug er kurzer Hand die Zuweisung des südlichen Albaniens an Griechenland, des nördlichen an Serbien und Montenegro vor. Lichnowsky dachte hoch von seinem Berus, nicht nur Aufträge auszusühren, sondern auch Rat zu erteilen, und so konnte er sich's nicht versagen, sein Heilmittel zur Lösung der albanischen Frage dem Kaiser unmittelbar vorzutragen. Aber das warmehr, als der Reichskanzler vertragen konnte: er müsse sich, so erklärte er dem eigenwilligen Botschafter, „solche Eingriffe in die direkte Korrespondenz verbitten" *). Wiederum geriet Lichnowsky somit in einen Konflikt mit seinem Vorgesetzten, und es sollte nicht der einzige bleiben; es scheint vielmehr, daß unter fortgesetzten Reibungen das Verhältnis sich immer unerfteulicher gestaltete. Der Staatssekretär von Iagow empfand es übel, daß er, Lich­ nowsky, „immer klüger sein wollte als das auswärtige Amt". Er selber aber schätzte, besonders da er zwei schon vor ihm an») Denkschrift S. 5—7.

gebahnte Kompromisse mit England über die Mündung der Dagdadbahn und das eventuelle Eingreifen in die finanziellen Nöte der portugiesisch-afrikanischen Kolonien zum Abschluß brachte, seine Leistungen so hoch ein, daß sie ihm, wie er meinte, den Neid des auswärtigen Amtes und das Mißgönnen weiterer Erfolge eingetragen hätten, Za er bildete sich ein, daß Bethmann-Hollweg die Furcht hege, er „strebe nach seinem Posten'"). Und gewiß war es ein Beweis von gesunkenem Vertrauen, daß die Re­ gierung, als ihr im März 1913 die im November 1912, zwischen dem englischen Minister und dem französischen Botschafter ausgetauschten Erklärungen, welche zwar noch kein Kriegsbündnis enthielten, aber zur Unterhandlung über ein gemeinsames, eventuell kriegerisches Vorgehen im Falle unprovozierten Angriffs oder der Bedrohung des allgemeinen Friedens verpflichteten, zur Kenntnis kamen, diesen Aufschluß über Englands wahre Gesinnung dem Botschafter vorenthielt?). Als Konsequenz eines strengen Begriffs von Beamten­ disziplin hätte man nun wohl entweder Lichnowskys Rück­ tritt oder seine Abberufung vonseiten der Regierung er­ warten können. Aber man fand den Entschluß weder auf der einen noch auf der andern Seite, und so trieb man in die Krisis hinein, welche am 28. Juni 1914 mit der serbischen Mordtat gegen den österreichischen Thronfolger begann und mit dem Weltkrieg sich löste. *) Denkschrift S. 13. *) v. Iagow in seinem Artikel über Lichnowsky in der Dossischen

Zeitung (24. März 1908, n. 153) weist den Dorwurf, dah man ihm die wichtigsten Dinge vorenthalten habe, im allgemeinen zurück, stellt aber diese besondere Dorenthaltung nicht in Abrede.

Will man die Stellung erkennen, die Lichnowsky in

dieser Zeit einnahm, und die Angaben prüfen, die er über die entscheidenden Vorgänge macht, so ist es unumgänglich,

daß man sich zunächst das Gewirre der Verhandlungen, welche die verhängnisschweren zehn Tage vom 22. Juli, da das österreichische Ultimatum an Serbien ausgesertigt

wurde, bis zum 1. August, da die Entscheidung des Krieges

fiel, ausfüllten, an der Hand der bisher veröffentlichten Akten in großen Zügen vergegenwärtige.

Auszugehen

ist dabei von dem am Abend des 23. Juli in Belgrad über­

gebenen österreichischen Ultimatum an Serbien. Drei Fragen waren es, welche bei diesem Schritt der österreichischen Regierung sich den Beteiligten sofort aus­

drängten.

Die erste war, ob das Vorgehen übereilt oder

für die Erhaltung des Staates notwendig war. Beantwortung war davon abhängig,

Ihre

ob der serbischen

Regierung eine weitgehende Mitschuld an dem Mord­

anschlag gegen den österreichischen Kronprinzen und dann weiter an der dies Verbrochen nur als ein letztes Glied in sich befassenden Kette der Umtriebe zur Losreißung Bosniens

und der serbo-kroatischen Lande vom österreichisch-ungarischen Staate zuzumessen war.

Die österreichische und mit ihr

die deutsche Reichsregierung bejahten diese Frage: die

serbische Propaganda, so erklärte man in Wien, würde,

wenn zum Ziel führend, den Anfang zur Auflösung des österreichischen

Staatswesens bedeuten.

Und so

erging

denn die Forderung an die serbische Staatsleitung, dem politischen Leben, das von dec Feindschaft gegen Österreich ganz und gar durchdrungen war, die entgegengesetzte Rich­ tung aus fteundliche Nachbarschaft in jähem Wechsel vor­

zuschreiben: diesem Ziel entsprechend sollte der Unterricht

und die Unterrichtenden, das Offiziers- und Beamtenpersonal gereinigt, eine mit unnachsichtigen Unterdrückungen ein­ greifende Preß- und Vereinspolizei sollte ins Leben treten, es sollten schließlich nach dem viel berufenen fünften und sechsten Punkt österreichische Kommissare mitwirken, so­ wohl bei den vorbeugenden Maßregeln gegen neue, Öster­ reichs Unversehrtheit gefährdende Umtriebe, als bei der Ermittelung des Materials zur gerichtlichen Verfolgung der in Serbien an der jüngsten Mordtat Beteiligten. Jedes Verhandeln über diese Forderungen wurde ausgeschlossen: binnen zweier Tage von der Stunde ihrer Überlieferung

ab mußte entweder ihre unverkürzte Annahme ausge­ sprochen werden, oder es erfolgte der Abbruch der diplo­ matischen Beziehungen und danach der noch nicht offen angekündigte, aber im weitern Gang der Dinge sich von selbst verstehende Beginn der Feindseligkeiten *). Gegenüber dieser Schärfe des Auftretens erhebt sich nun aber sofort die zweite der oben angedeuteten Fragen. An sich schloß die Art des Vorgehens jede Zwischen­ kunst dritter Mächte, sei es als Vermittler, sei es als Schieds­ richter, aus; aber ist nicht während der dreiwöchigen Ar­ beit, die an die Abfassung der Note an Serbien gesetzt wurde, eine Einwirkung aus die österreichische Regierung, sei es im Sinne der Aufmunterung, sei es in Form des Abmahnens,, ausgeübt worden? Bekannt ist in dieser Be­ ziehung nur, daß die deutsche Reichsregierung auf eine an sie gerichtete Anfrage eine Antwort gab, in der sie für eine Aktion, welche Österreich zur Beendigung der serbischen Feind­ seligkeiten nötig finden werde, im voraus ihre Billigung T) Erläuterung des Begriffs des Ultimatums durch Meusdorf: Grey, 25. Juli 1914 (Engl. DI.B. n. 14).

aussprach und dadurch auch für den Fall, dah diese Aktion von Rußland mit einer Kriegserklärung beantwortet wurde, ihre Verpflichtung zur Bundeshilfe anerkanntes. Man teilte eben in Berlin die Ansicht, daß die serbischen Um­ triebe den Bestand d-s österreichischen Staates bedrohten, und gedachte, sich selber zu schützen, indem man -en Bundes­ genossen errettete. Es lag in diesem Verhalten der Reichs­ regierung kein Antrieb, wohl aber eine Bestärkung Öster­ reichs zum Beharren auf der eingeschlagenen Bahn. Hiermit aber tritt nun auch die dritte Frage hervor. Als während der Londoner Konferenz Österreich der Vergrößerung Serbiens nach der adriatlschen Meeresküste entgegentrat, hatte Sasonow, der russische Minister des Auswärtigen, den österreichischen Staatsmännern offen zu verstehen gegeben, dah ein Angriff Österreichs gegen Serbien „unvermeidlich" von einem Ätieg mit Rußland gefolgt sein werde**). Haben nun aber nicht die öster­ reichische wie die deutsche Regierung, verführt durch die Berichte ihrer Gesandten, sich trotzdem der Täuschung hin­ gegeben, daß bei einem festen Vorgehen gegen Serbien Rußland geradeso zurückweichen werde wie im Jahre 1908/09 und 1912? Hoffnungen dieser Art sind unzweifelhaft von den Staatsmännern beider Reiche gehegt, deren Äußer­

ungen dann von Gesandten und Staatsleitern der Gegen­ seite, ihren Zwecken entsprechend, übertrieben wurden; wie wenig sie aber am Sitze der Regierung maßgebend waren, zeigt ein Blick auf die vertrauten Erlasse sowohl des *) Deutsches W. B., einleitende Denkschrift.

*) Erwähnt von Sasonow am 1. August 1914. (Buchanan, 1. August 1914. Engi. Bl.B. n. 139.) Eine ähnliche Äußerung aus 1913 erfuhr

Lichnowsky von Take Zonescu.

(Denkschrift 0.9.)

österreichischen auswärtigen Ministers als des deutschen Reichskanzlers. Dom Grafen Berchtold wurde der öster­ reichische Gesandte in Petersburg von Anfang an vor die doppelte Aussicht geführt'), entweder daß die russische Regierung sich „von den kriegslustigen Elementen nicht hinreißen zu lassen" gewillt sei, oder daß sie umgekehrt den Zeitpunkt „der Abrechnung mit den europäischen Zentralmächten" für gekommen halte und „von vornherein zum Krieg entschlossen" sei. Für erstern Fall wurde der Verzicht auf jede Gebietserweiterung gegen Serbien — solange wenigstens der Krieg mit ihm „lokalisiert bleibe"') — jetzt, wie nachher noch so oft, aufs nachdrücklichste aus­ gesprochen, für den andern Fall wurde die Notwendigkeit der Selbsterhaltung Österreichs hervorgehoben: für diesen

Zweck werden wir „zur Durchsetzung unserer Forderungen bis zum Äußersten gehen." Man möchte sagen, es ist eine grimmige Entschlossenheit, die aus diesen Worten spricht. Und derselbe Geist — die Erkenntnis von dem der öster­ reichischen Monarchie aufgedrungenen Kampf um ihren Fortbestand, von der Gefahr des Eintrittes Rußlands in diesen Kamps und der dann an das Deutsche Reich heran­ tretenden Pflicht zur Leistung der Bundeshilse mit ganzer Macht — weht in dem Erlaß, den Vethmann Hollweg am 28. Juli an die verbündeten deutschen Regierungen richtete'). Wenden wir uns nach diesen Feststellungen zu dem Gang der Dinge, wie er sich an die österreichisch-serbische Note anschloß, so können wir zwei nebeneinander gehende l) An Szapary, 25. guli.

(Österreich. R.B. n. 26.)

*) Dieser Vorbehalt, 27. guli (a. a. O. n. 32). •) Deutsches W.B. n. 2.

2

17

Reihen von Vorgängen unterscheiden: die erste führt uns die unverdrossen angestellten Ausgleichsversuche vor, die immer wieder, wie im Kreise, auf einen toten Punkt zu­ rückführen, die zweite weist auf das geräuschlose, teilweise verdeckte, aber unerbittliche Voranschreiten in dem 8usammenschluß der kampfbereiten Mächte und in der Vor­ bereitung des Krieges. Suchen wir zunächst, soweit unsere Quellen es gestatten, die ersten Glieder der zweiten Reihe aufzudecken. Am 23. Juli wurde die österreichische Rote in Serbien überreicht und am selben Tag auch in Berlin vorgelegt, am 24., also nur einen Tag vor Ablauf der den Serben gesetzten Frist, wurde sie den übrigen Mächten amtlich zur Kenntnisnahme mitgeteilt. Gleich nach dem ersten Einblick in das Aktenstück veranlaßte der russische Minister des Äußern eine Besprechung mit dem englischen und franzö­ sischen Gesandten, und gleich hier ließ er vor seinen Hörern das Bild des kommenden Krieges aufsteigen *). Was für Österreich den wahren Grund des Vorgehens bildete, daß

nämlich dieser Staat in den Grundlagen seines Bestandes angegriffen sei, wurde von Sasonow, und nach seinem Muster fortan auch von Frankreich und England ohne Untersuchung zur Seite geschoben, und dafür die Frage in den Vordergrund gerückt, was Serbien als ein sou­ veräner Staat sich bieten lassen könne und nicht. Und da nun stand für Sasonow alsbald das Urteil fest, daß die Durchführung der österreichischen Forderungen Serbien in eine dauernde Abhängigkeit von der Donaumonarchie *) Hauptbericht über Sasonows Vorgehen am 24. Juli von Buchanan (Engi. BI.B. n. 6; dazu n. 17). Dgl. Pourtalds, 24. Juli (Deutsches W.B. n. 4). Szapary, 24. Juli (Österreich. R.V. n. 14, 16).

herabdrücken werde, der in weiterer Folge auch die andem Balkanstaaten sich nicht würden entziehen können: eben die österreichische Hegemonie im Balkangebiet aufzurichten unter Verdrängung Nußlands, das sei der wahre Zweck des Vorgehens; Rußland sei es, das in Wirklichkeit getroffen werden solle1). Der Schluß der Erwägung lautete also: besteht E)sterreich auf ausnahmsloser Durchführung seiner

Forderungen, so tritt Rußland ihm in offenem Krieg ent­ gegen; noch ist jedoch der Krieg zu verhindern, wenn Ruß­ land, Frankreich und England ihre „Solidarität prokla­ mieren" und so, wie ein Mann, den übertriebenen Forde­ rungen Österreichs entgegentreten. Ohne Umschweife wurde hiermit der Zusammenschluß der drei Verbandmächte für friedliches, wie kriegerisches Vorgehen gefordert; die eine Macht aber, welche unverzüg­ lich dem russischen Ansinnen entsprach, war Frankreich. Der französische Gesandte Paleologue konnte sofort, ohne Bescheiderholung, im Namen seiner Regierung die Unter­ stützung Rußlands „in jeglichen diplomatischen Verhand­ lungen" und die Erfüllung aller Bundesverpslichtungen, „wenn die Notwendigkeit hervortrete" (if necessity arose), in Aussicht stellen. Zurückhaltender hatte sich der eng­ lische Gesandte Buchanan zu äußern. England, sagte er, ist an den österreichisch-serbischen Streitfragen als solchen, also auch an ein^m daraus entspringenden Krieg zwischen Rußland und Österreich unbeteiligt; sein Interesse beginnt erst, wenn Frankreich und alsdann auch Deutschland in den Krieg gezogen wird: in dem Falle wird es für England schwer fallen werden, unbeteiligt zu bleiben. Der Minister *) Austria's action in reality directed against Russia. (Buchanan, 25. Juli, n. 17.) 2*

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Edward Grey billigte diese Erklärung des Gesandten, aber angesichts der schweren Folgen fügte er alsbald hinzu: darum bin ich ängstlich besorgt, dem Krieg vorzubeugen**). Hiermit werden wir auf die erste Reihe der Vorgänge geführt, die Bemühungen um einen gütlichen Ausgleich. War in dieser Beziehung ein geheimes Einverständnis zwischen den Derbandmächten vorbereitet, das sich unserer Kenntnis entzieht, oder lag die Übereinstimmung in der

Natur der Sache? — genug, gleich im Beginn der Ver­ handlungen über die österreichische Note, am 24. und 25. Juli, sehen wir in Petersburg, in Paris und in London gleichmäßig den Gedanken einer Vermittlung zwischen Österreich und Serbien hervortreten. Sasonow erklärte sich am 25. Juli bereit, den Streit in die Hände von Eng­ land, Frankreich, Italien und Deutschland, als selber nicht interessierter Mächte, zu legen, wobei denn Serbien vielleicht Erledigung der Sache durch einen Schiedsspruch beantragen werde*). Schon einen Tag vorher hatte der französische Ministerialdirektor Bertelvt dem serbischen Ge­ sandten den wenigstens sehr ähnlichen Rat erteilt, sich zur Unterwerfung unter den Schiedsspruch Europas bereit zu erklären*). Und wieder, an demselben 24. Juli, wandte sich der englische Minister mit dem Vorschlag an den deut­ schen Gesandten Lichnowsky, daß die vier auch von Sasonow genannten Mächte bei Österreich und Rußland im Sinne des Friedens vorstellig werden und dabei anstatt des Schieds­ spruches das sanftere Verfahren der Vermittlung zwischen T) Dl.B. *) *)

Anxions to prevent it (the war). An Buchanan, 25. Juli. (Cngl. n. 24.) Buchanan, 25. guli (Lngl. Bl.D. n. 17). Franz. ) Deutsches W.B. (Eint Denkschrift. Dgl. 10, 10b. *) Sasonow, 29. Juli (Russ. Or.B. n. 58). Vioiani, 30. Juli (Franz. G.B. n. 101). Iswolski, 29. Juli (Rufs. Or.B. n. 55).

Zusammenschluß der zum Eintritt berufenen Mächte. Zwischen Österreich und Deutschland verstand sich dieser Zusammenschluß von selbst, -wischen Frankreich und Ruß­ land war er neuerdings bestätigt; also blieb nur noch Eng­ land übrig, England aber trat jetzt Schritt für Schritt aus seiner vieldeutigen Haltung heraus. Was für die Ent­ schließung Deutschlands die allgemeine Mobilmachung Ruß­ lands bedeutete, das besagte für England, wie es von An­ fang an erklärt hatte (S. 19), die Einbeziehung Frankreichs in den Krieg. In den Tagen nun, da die Aussicht, daß Deutschland an der Seite Österreichs gegen Rußland,

Frankreich an der Seite Rußlands gegen Deutschland in den Krieg gezogen würde, immer näher trat, machte der deutsche Reichskanzler einen entscheidenden Versuch, das Verhältnis zu England zu klären mittels eines Neutralitäts­ abkommens: Deutschland, so schlug er am 29. Juli vor, gibt jede verlangte Versicherung der Unversehrtheit des französischen Staatsgebietes und erhält dafür von England die Zusicherung der Neutralität in dem Kriege mit Frank­ reich. Aber so weit war jetzt das Gefühl der Verbindung zwischen England und Frankreich gediehen, daß Grey diesen Vorschlag als eine geradezu unehrenhafte Zumutung ablehnte*). Die Abkehr von Deutschland war damit in aller Form ausgesprochen. Ihr gegenüber stand eine weitere Annäherung an Frankreich. Am 30. Juli bestätigte Grey dem französischen Ge­ sandten jene im November 1912 zwischen beiden getroffene Abrede (S. 13), deren vieldeutige Worte durch den Gang der Ereignisse den eindeutigen Sinn erhielten, daß bei Ausbruch des allgemeinen Krieges England und Frank-) Goschen, 29. Juli (Gngl. Dl.B. n. 85). Grey, 30. guli (n. 101).

reich sich über gemeinsame kriegerische Aktionen zu einigen hätten. Denn, so sagte Grey am folgenden Tag dem deut­ schen Gesandten, wenn infolge ausgleichsfeindlicher Haltung Österreichs und Deutschlands ein allgemeiner Krieg unter Einziehung Frankreichs ausbricht, so werden auch wir hineingezogen (we should be drawn in). An demselben Tag konnte er auch nach gehaltenem Kabinettsrat dem französischen Gesandten den voraussichtlichen Anlaß zum Eintritt Englands in den Krieg angeben: es war die nach der Besprechung Bethmanns mit dem englischen Ge­ sandten^) in den Bereich der Wahrscheinlichkeit getretene Verletzung der belgischen Neutralität durch Deutschlands. Noch einmal wurde ein Versuch gütlichen Austrags ge­ macht. Er ging aus von teilweise ineinander greifenden Be­ mühungen Deutschlands und Englands. Die deutsche Regie­ rung, indem sie an ihrem Widerspruch sowohl gegen Greys Konferenzplan, — wie gegen jedes nach einem Schiedsgericht aussehende Eingreifen anderer Mächte in die Auseinander­ setzung zwischen Österreich und Serbien festhielt, glaubte

doch gerade in der serbischen Antwort und dem daran sich anschließenden langsamen Vormarsch österreichischer Streit­ kräfte gegen die serbische Grenze einen Anlaß zur Wieder­ aufnahme der unmittelbaren Besprechungen zwischen Öfter*) In dem Bericht Goschen» vom 29. Juli ist hinter die Frage, wie es mit den Kolonien stehe, die weitere Frage, wie es mit Holland und Belgien stehe, zu ergänzen; denn auch hierauf beziehen sich die berichteten Antworten Bethmanns. *) Grey, 30. Juli (Engl. BI.D. n. 105). Derselbe, 31. Juli (n. 111, 112). — Auf die am 2. August ausgesprochene Erklärung de» Schutze» der franz. Küsten und Schiffe gehe ich nicht mehr ein, da inzwischen die Entscheidung de» Krieges Deutschlands mit Rußland und Frankreich gefallen war.

reich und Rußland zu finden. Das Thema dieser Be­ sprechungen sollte dadurch gegeben werden, daß Österreich

infolge der durch Eröffnung der Feindseligkeiten gegen Serbien veränderten Lage Zweck und Umfang seines Vor­ gehens gegen Serbien in befriedigender Weise darlege4*),* * wobei denn Deutschland sich bereit zeigte, die Bürgschaft für die Unversehrtheit Serbiens zu übernehmen?). Der Tag, an dem die Reichsregierung mit diesem neuen Vorschlag hervor­ kam, war der 28. Juli. Etwas weiter in der Zeit griffen dagegen die Bemühungen des englischen Ministers) zurück. Am frühen Nachmittag des 25. Juli, als die serbische Antwort an Österreich noch nicht übergeben war, erhielt

Grey von dem englischen Geschäftsträger in Belgrad tele­ graphisch eine ganz kurze Inhaltsangabe derselben. Sofort benutzte er seine nahen persönlichen Beziehungen zu dem deutschen Gesandten, dem Fürsten Lichnowsky, um ihm den Bericht zu übersenden und in einem Privatbries die Hoffnung auszusprechen, daß seine Regierung in Wien für die Annahme der Antwort eintreten werde. Eine amtliche Besprechung sowohl mit Lichnowsky, wie mit dem öster­ reichischen Gesandten, dem Grafen Mensdors, konnte er indes erst am 27. Juli vornehmen, als der Text des Schrift­ stücks Dorldg4), und hier nun faßte er seinen Gedanken *) Bethmann H-, 28. Juli (Deutsches W.B. n. 14). Grey, 29. Juli (Engl. Dl.B. n. 84). Goschen, 29. Juli (n. 75). *) Buchanan, 30. Juli (Engl. Dl.D. n. 97). a) Ich bemerke, daß die von Grey neu angeregten Verhandlungen und die Ausläufer der Verhandlungen über seinen Konferenzplan viel­ fach in einem und demselben Aktenstück ineinander greifen. Sachlich müssen aber beide Reihen auseinander gehalten werden. 4) Crackenthorpe, 25. Juli (Engl. Dl.B. n. 22). Graf Berchtold, 26. Juli (Osten. R.B. n. 29). Grey, 27. Juli (Engl. Bl.B. n. 46, 48).

Bunsen, 28. guli (a. a. O. n. 62).

Goschen, 28. guli (n. 71).

dahin, daß die serbische Antwort als Grundlage für neue Ausgleichsverhandlungen dienen solle (a fair basis of discussion). Als dann der deutsche Vorschlag vom 28. Juli einging, glaubte er da die Möglichkeit eines Zusammen­ arbeitens mit Deutschland zu erkennens. Mit Deutschland stimmte er darin überein, daß die Verhandlung zwischen Österreich und Rußland, aber nicht etwa zugleich mit Serbien

als berechtigter Derhandlungspartei, zu führen sei; Deutsch­ land zuliebe erklärte er sich auch nochmals bereit, von der vermittelnden Tätigkeit einer in London zu haltenden Konferenz abzusehen, wenn nur den vier unbeteiligten Mächten ihr vermittelnder „Einfluß" (influence of the four powers) gewahrt bleibe, ein Vorbehalt, den die deutsche Regierung sich, wie es scheint, gefallen lief}2). In einem stillen Widerspruch mit den Absichten dieser Regierung, deren Leiter noch am 28. Juli wiederholt hatte, daß der besondere Streit Österreichs mit Serbien „eine rein öster­ reichische Angelegenheit" sei2), dürste sich dagegen Grey von vornherein befunden haben, insofern er als Zweck der vermittelnden Tätigkeit nicht jene von Deutschland gewollte genaue Begrenzung des kriegerischen Vorgehens gegen Serbien, sondern die von Serbien an Österreich zu ge­ währende „Genugtuung" ansah2). Indes, vielleicht verlor auch dieser Gegensatz für die Reichsregierung seine Rroft *) Für das Folgende: Grey, 29. Juli (a. a. O. n. 84). r) So schon im wesentlichen durch Lichnowskys Erklärung am 27. Juli (Engl. Dl.D. n. 46), durch Schöns Erklärung in Paris am 28. Juli (Bicnvenu-Martin» 28. Juli; Franz. Gelb-D. n. 78. Hier auch neue Verwer­ fung von Konferenz und Schiedsgericht.) s) Goschen, 28. Juli (Engl. Bl.D. n. 71). 4) Dies ergibt sich aus Greys weiteren Weisungen, besonders 30., 31. Juli (n. 103, 111).

durch die seit der Kriegserklärung gegen Serbien völlig verschobene Lage der österreichisch-serbischen Beziehungen. Jedenfalls hinderten diese Meinungsverschiedenheiten nicht, daß England und Deutschland gemeinsam in Peters­ burg, und Deutschland für sich und mit besonderem Nach­ druck in Wien für die Aufnahme der Ausgleichsbesprechungen eintraten. Es ist nötig» hier dasjenige, was dabei erzielt wurde, scharf ins Auge zu fassen. Am 30. Juli bat der deutsche Gesandte den russischen Minister um Angabe der Bedingung, unter der Ruhland bereit sei, den Fortgang seiner Kriegsvorbereitungen ein­ zustellen. In einer darauf sofort diktierten Formel faßte Sasonow diese Bedingung dahin, daß Österreich sich bereit erkläre, aus dem Ultimatum vom 22. Juli die den Sou­ veränitätsrechten Serbiens abbrüchigen Punkte zu streichens. Da hiermit der österreichischen Regierung das Bekenntnis zugemutet wurde, daß sie in der Tat der serbischen Staats­ hoheit zu nahe getreten sei, was sie doch jedenfalls nicht als eine auf die Dauer berechnete Absicht anerkannte, da anderseits hinsichtlich der Suspension der russischen Kriegs­ rüstungen die von Österreich zu fordernde Gegenleistung übergangen war, aus welche zu verzichten doch nicht in Sasonows Sinne war, so wurde unter Einwirkung am folgenden Tag, am 31. Juli, Formel durch eine zweite ersetzt. In dieser war lich das Österreich zugemutete Schuldbekenntnis

durchaus englischer die erste nun frei­ beseitigt,

es hieß jetzt: die vier Mächte werden die der serbischen Regierung anheim zu gebende, der Staatshoheit Ser­ biens unabbrüchige Befriedigung Österreich-Ungarns zu *) Sasonow, 30. Juli (Rufs. Or.B. n. 60). (Engl. Bl.B. n. 97).

32

Buchanan, 30. Juli

ermitteln suchen*). Damit aber waren nicht.nur, wie in der ersten Formel, die österreichisch-serbischen Streitpunkte in den Mittelpunkt der Verhandlung gerückt, sondern es war auch dasjenige, was Österreich und Deutschland von Anfang an zurückgewiesen hatten, nämlich die Verweisung des österreichisch-serbischen Streites vor das Forum der vier Mächte, durch England und Rußland ebenso, wie in dem ersten Verhandlungsabschnitt, wie im Kreislauf wieder hervorgezogen. Und damit auch die Londoner Konferenz von neuem auflebe, wies Sasonow in seinen begleitenden Erklärungen darauf hin, daß nur in London die Vermitte­ lung mit Erfolg werde geführt werden sönnen2). Ebensowenig Aussicht aus eine leichte Lösung eröffnete der zweite Teil der Formel, der wesentlich nach Sasonows Verlangen gefaßt wurde. Gegenseitigkeit des russischen und österreichischen Verhaltens war hier allerdings an­ geordnet; aber während man dasselbe in der ersten Formel aus die kriegerischen „Vorbereitungen", d. h. die Mobil­ machung bezogen hatte, schränkte man es jeht auf die stra­ tegischen Bewegungen der mobil gemachten Streitkräfte ein: Österreich, so hieß es, wird den Vormarsch seiner Truppen auf serbischem Gebiet einhalten, dagegen wird Rußland seine „abwartende Haltung" bewahren2). Es war das eine tiefgreifende Änderung, deren wahren Grund *) Grey, 30., 31. guli (®ngl. Bl.B. n. 103, 111). Sasonow, 31. guli (Rufs. Or.V. n. 67). Scharfe kritische Vergleichung der beiden Formeln durch Vergfträher, Hist. Zeitschr. Bd. 114, S. 581—584. Dgl. H. Oncken, Vorgeschichte des Weltkriegs. Deutschland und der Weltkrieg II2, S. 648. *) Sasonow, 29. guli, 1. Aug. (Engi. Bl.B. 93, 2, 133). Paleologue, 30. guli (Franz. G.B. n. 103). Buchanan, 31. guli, 1. Aug. (Engl. Bl.B. n. 120, 139). Szapary, 1. Aug. (Öftetr. R.B. n. 56). ') Rufs. Or.V. n. 67.

3

33

uns die nachher noch aufzuweisende Entwicklung der Dinge zeigen wird. Wie weit nun gab gleichzeitig die österreichische Re­ gierung dem deutschen Drängen nach? Am 30. Juli er­ mächtigte der Minister Graf Berchtold den Gesandten in Petersburg, dem russischen Minister die einzelnen Punkte des Ultiyiatume an Serbien zu „erläutern" (nicht über ihre Annahme oder Rücknahme zu verhandeln) und zu­ gleich alle die österreichisch-russischen Beziehungen unmittel­ bar angehenden Fragen zu erörterns. Am folgenden Tag ergänzte er dies erste Schreiben durch ein zweites, in dem wir den maßgebenden Ausdruck des nunmehr von Öster­

reich eingenommenen Standpunktes erkennen dürfen*). Die zweite Sasonowsche Formel lag ihm noch nicht vor, wohl aber die Greyschen Vorschläge, aus denen die Stelle über die Vermittlung zwischen Österreich und Serbien hervorgegangen war; und da nun tat auch er aus der bis­ her gegen solche Dermittlungspläne eingenommenen ab­ wehrenden Stellung einen halben Schritt heraus: er erklärte sich bereit, jenen Vorschlag zur Güte nicht zwar kurzweg anzunehmen, aber doch ihm „näher zu treten". Indes auf welchem Grund sollte dieses Nähertreten er­ folgen? Sasonow hatte gesagt: auf Grund der Einstellung der kriegerischen Operationen gegen Serbien bei gleich­ zeitigem Fortgang der russischen Mobilmachung; Berchtold sagte: aus Grund des einstweiligen Fortgangs der Opera­ tionen gegen Serbien, bei gleichzeitigem „Stillstand" der ») Grey, 31. guli (Sngl. Dl.D. n. 110). Berchtold, 30. Juli (Öftere. R.B. n. 49). Szapary, 1. Aug. (n. 56). *) A. a. O. n. 51, vgl. n. 53. Grey scheint dieses Schreiben in seiner Depesche an Buchanan vom 1. Aug. ($1.-3. n. 135) im Sinn zu (>aben.

34

gegen Österreich gerichteten russischen Mobilmachung und

Aufhebung der in Galizien getroffenen Gegenanstalten. Man sieht, von einer Verständigung war man bei

dem Meinungsaustausch zwischen Ruhland und Österreich noch unabsehbar weit entfernt.

Noch weiter jedoch rückte

die Möglichkeit derselben für diejenigen zurück, welche die

Arbeiten kannten, die damals Sasonow in Gemeinschaft

mit dem Kriegsminister und dem Chef des Generalstabs hauptsächlich beschäftigten: sie richteten sich aus den bevor­ stehenden Waffengang mit Deutschland, den ja Sasonow

schon am 29. Juli für kaum abwendbar hielt (S. 27). Nur

ungern hatte sich demgemäß der russische Minister in jener

ersten Formel zum Einhalten der

Mobilmachung bereit

erklärt, und gleich damals hatte er seine Nachgiebigkeit

dahin erläutert, daß solche Verhandlungen den Österreichern und Deutschen nicht zum Zeitgewinn für die Fortsetzung

ihrer Rüstungen dienen dürften, daß also, sobald Österreich

die Formel verwerfe, die Mobilmachung, und zwar jetzt die

allgemeine

Mobilmachung

vor

sich

gehen

müsse1).

Und so sehr wuchs der Eifer Sasonows und seiner beiden

Mitarbeiter, daß sic eine Ablehnung Österreichs nicht ab­ warteten, sondern noch vor Ablauf des 30. Juli dem Zaren

die Zustimmung zu dem allgemeinen Mobilmachungsbefehl abrangen, worauf die Ausführung des Befehls in der Nacht des 30. „bereits im Gange" roar2) und am Morgen des 31. aller Welt kund wurde. Klar wurde damit zugleich

der Grund, weshalb Sasonow in der zweiten Formel die

*) Sasonow, 30. Juli (Nuss. Or.D. n. 60). Buchanan, 30. gull ((Engi. Bl.B. n. 97). ’) Aussage ganuschkewih' (Köln, gejtung 1917, n. 829). Höniger, a. a. O. S. 29/30.



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Einstellung -er militärischen Vorbereitungen durch die Worte „abwartende Haltung" ersetzte. Ob sich die russische Regierung über den Ernst der längst abgegebenen deutschen Erklärungen, daß eine all­ gemeine russische Mobilmachung die deutsche Gegenmobil­ machung, beides aber den Rrieg bedeute, einer Täuschung hingab? Äußerlich konnte es so aussehen, da der Zar, der mit dem Kaiser Wilhelm in diesen Tagen einen telegra­ phischen Meinungsaustausch pflog, den kaiserlichen Freund damit zu beruhigen suchte, daß, solange die Ausgleichs­ verhandlungen mit Österreich dauerten, die russischen Trup­

pen keine „herausfordernde Aktion" vornehmen, oder, wie Sasonow die Worte deutete, die Grenze nicht überschreiten würden**). Aber wie ganz anders der Sinn der deutschen Regierung gerichtet war, das konnten diese Männer aus den Ausführungen entnehnlen» die der Staatssekretär Iagow am l. August dem englischen Gesandten vortrug-). Er wies aus die zahlenmäßige Überlegenheit der russischen Armee, die natürlich, was er nicht näher berührte, erst durch die französische Mobilmachung ihre wahre Bedeutung gewann. Diese Überlegenheit, das war sein Schluß, kann

Deutschland nur wettmachen durch Geschwindigkeit. Also nicht Abwarten, sondern Vorwegnahme des zu erwartenden Angriffs. Ünd diesem Grundsätze entsprach das Vorgehen, mit dem die deutsche Regierung die russische Mobilmachung beantwortete. Für sie war die Zeit der Verhandlungen jetzt abgeschlossen und die der Ultimaten und Rricgserklärungen gekommen. Am Abend des 1. August erfolgte *) Deutsches W.B. Einleitende Denkschrift. — Buchanan, 31. Juli (Engl. Bl.B. ii. 120). *) Goschen, 1. Aug. (a. a. O. n. 138).

die Kriegserklärung gegen Rußland, am Abend des 3. August

gegen das mit Rußland -usammenstehende Frankreich, und aus der Gegenseite schloß sich der Ring der Feinde Deutschlands, indem am 5. August England in den Krieg eintrat. Ich schließe hiermit die aktenmähige Feststellung der für den Ausbruch des großen Krieges unmittelbar ent­ scheidenden Vorgänge. Erst jetzt ist der sichere Boden ge­ wonnen, von dem die nunmehr noch erforderliche Prüfung des Lichnowsky'schen Pamphlets angestellt werden kann. Don vornherein ist bei dieser Prüfung zu beachten, daß das Bestreben Lichnowskys, nicht so sehr durch überzeugende Auseinandersetzung, als durch allgemein gehaltene kühne Aussprüche auf seine Leser Eindruck zu machen, hier seinen Höhepunkt erreicht. Seine Darstellung ist sprunghaft und von zunehmender persönlicher Leidenschaft erfüllt. Gleich der leitende Gedpnke, der seinen sämtlichen Ausführungen zugrunde liegt, enthält eine ebenso kühne, wie allgemein gehaltene Ansicht: die Reichsregierung, so lautet er, war für den Fall, daß Rußland Serbien nicht im Stiche ließ, von vornherein zum Rrkg entschlossen. In diesem Sinn werden schon die Vorgänge, die dem an Serbien gerichteten Ultimatum vorausgingen, wenigstens gefärbt. Die „Billigung" eines von Österreich für den Be­ stand der Monarchie nötig befundenen Vorgehens gegen Serbien, welche die deutsche Regierung aussprach (S. 15), wird zu einer „unbedingten Zustimmung", zur Anseuerung des österreichischen Ministers „zu möglichster Energie",' die ruhige Entschlossenheit sodann, mit der man in Berlin der Möglichkeit eines Krieges mit Rußland ins Auge sah, wird in die ftivole Äußerung gekleidet: „es werde auch nichts

schaden, wenn daraus ein Krieg mit Rußland entstehen sollte"1). Don da aus springt dann der Bericht zu dem Zeitpunkt über, da der Wortlaut -er serbischen Antwort aus das österreichische Ultimatum vorlag und Grey seine Besprechungen derselben begann, also zum 27. Juli (S. 30). Nachdem der Verfasser noch rasch das den Akten ganz un­ bekannte Verdienst hervorgehoben hat, -aß die gemäßigte Fassung der Antwort seinen und Greye Ratschlägen ent­ sprochen habe1), nachdem er sich ebenso unbedenklich das russisch-französische Urteil, daß alles von Österreich Ge­ forderte mit Ausnahme von zwei auf weitere Verhand­ lung gestellten Punkten „tatsächlich angenommen" war, zu eigen gemacht hat, trägt er nun über seine weitere Tätigkeit einen erstaunlichen Bericht vor: Grey habe mit ihm die serbische Antwort durchgegangen, dann hätten beide einen von Grey ausgedachten „Vermittelungs­ vorschlag" beraten, nach dem die in London zusammen­ tretenden Bevollmächtigten von England, Deutschland, Frankreich und Italien über die beiden noch unerledigten Punkte eine für beide Teile „annehmbare Form" zu er­ mitteln hätten. Deutschlands Zustimmung vorausgesetzt, wäre die Konferenz sofort zusammengetreten, die annehm­ bare Form leicht gefunden, und Österreich aus einen „Wink von Berlin" bewogen, „sich bei der serbischen Antwort zu beruhigen." „In einer oder zwei Sitzungen war alles bei gutem Willen zu erledigen." Aber diese gute Wille fehlte in Deutschland. Die Reichsregierung wies Lichnowskys x) Denkschrift S. 20 fg. Er beruft sich dabei aus das Protokoll des erdichteten Potsdamer Kronrats vom 5. Juli. *) Grey weiß nur von einer mäßigenden Einwirkung Rußlands (Engl. Dl.B. n. 46). Über seine eigene Zurückhaltung vgl. n. 12, 22.

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dringende Befürwortung des Vorschlags zurück, und -war aus dem doppelten Grunde, einmal weil sie „den Ärieg unter allen Umständen wollte", sodann weil man Lichnowsky den „Erfolg, mit Sir Edward Grey den Frieden zu retten," nicht gönnte. Vergleicht man diesen Bericht mit den Akten, so ver­ mißt man nicht nur den leisesten Niederschlag der dort erzählten Vorgänge in den Dokumenten, sondern man stößt auch von einem Widerspruch aus den andern. Uner­ schütterlich beharrte in jenen Tagen die deutsche Regierung auf der Ablehnung einer Londoner Konferenz und der Unterstellung der österreichischen Forderungen an Serbien unter deren Vermittlung, — und da soll ihr Gesandter in aller Harmlosigkeit mit Grey einen Vorschlag beraten haben, der auf beides, die Konferenz und die abgelehnte Vermittlung, hinauslief! Noch war der österreichische Kommentar zu den scheinbaren Zugeständnissen der ser­ bischen Antwort am 27. Juli nicht eingegangen (S. 24 Anm. 1), aber daß bei ernsthafter Prüfung das Schriftstück so unverfänglich erscheinen konnte, wie es Lichnowsky ausgibt, scheint doch unmöglich zu seiy. Seine ganze Dar­ stellung macht den Eindruck von Willkür und Leichtfertig­ keit. Bis ins Unerträgliche wird dieser Eindruck verstärkt, wenn man die hingeworsenen Bemerkungen liest, in denen Lichnowsky nun die weitere Entwicklung bis zum Ausbruch des Krieges zusammensaht. Es sind nur zwei Vorgänge, die er in dieser Beziehung überhaupt berührt: die letzten durch Sasonows Formeln und die zwischen Kaiser Wilhelm und dem Zaren gewech­ selten Telegramme bezeichneten Ausgleichsverhandlungen mit Rußland und die am 30. und 31. Juli vom Grafen

Berchtold versuchte Annäherung an die russische Politik2). Ader wie werden diese Dinge behandelt! Don Sasonow hören wir weiter nichts, als daß „inständige Bitten und bestimmte Erklärungen" von ihm nach Berlin kamen, von dem Zaren, daß er „geradezu demütige Telegramme" an den Äaiser sandte. Ist dies schon eine Verzerrung der wirklichen Verhältnisse, so erfährt die verwegenste Umkehr der Schritt des Grafen Berchtold. Nach Ausweis der Akten erfolgte derselbe im Sinn einer noch sehr unbestimmten Annäherung an Rußland und aus scharfes Drängen der deutschen Regierung. Nach Lichnowsky war es Berchtold, der sich entschloß, „einzulenken", ja sogar „bereit war, sich mit der serbischen Antwort zu begnügen". Die deutsche Regierung dagegen war es, welche diese letzte Wendung zum Frieden durchkreuzte, indem sie ohne Not — denn die russische Mobilmachung erkennt er als genügenden Grund nicht an — zu dem Ultimatum und der Kriegserklärung sott stürmte2). Etwas ausführlicher wird Lichnowsky erst wieder, da er die Freundschafts- und Ehrenbezeugungen erzählt, die ihm del seiner Abreise aus England zuteil wurden, bis zu dem monumentalen Schluß: „ich wurde wie ein abrei­ sender Souverän behandelt." Anders freilich mußte sein Empfang in Berlin aussallen. Offen oder schonend, jeden­ falls scheint man ihm die üble Vertretung seiner Auftrag­ geber, besonders seine vertrauensvolle Hingabe an die *) Denkschrift S. 22, 25.

‘) In der Denkschrift folgen noch einig« Worte, die sich auf die letzten,

am

I. August zwischen

Reutralitätsgespräche beziehen.

Grey und

Lichnowsky

gewechselten

Ich gehe darauf aus dem doppelten

Grunde nicht mehr ein, weil sie einerseits durch die Ereignisse über­ holt waren, anderseits da» Einzelne,

besonder» da» angebliche Mih-

oerständni» und L.» Schuld dabei noch zu wenig aufgeklärt ist.

freundschaftlich gefärbten Vorstellungen Greys, zum Vor­ wurf gemacht zu haben. Die Folge ist, daß er in ge­ steigerter Leidenschaft seiner Denkschrift einen Schluß gibt, in dem er sich in einer wahren Schimpftede gegen den Geist deutscher Staatsverwaltung ergießt und noch ein­ mal seiner Vorliebe für die Zeichnung des Weltbildes der Zukunft nachgeht. Jetzt — Ende 1916 — teilte er die Weltherrschaft an England und Nordamerika, an Rußland und Japan aus, während das für seine falsche Politik be­ strafte Deutsche Reich nebst Österreich-Ungarn sich mit der bescheideneren Herrschaft „des Gedankens und des Handels" zu begnügen hat. Faßt man nach solcher Prüfung die Denkschrift noch­ mals als Ganzes ins Auge, so wird man gewiß nicht sagen können, daß sie geeignet ist, sei es für den Inhalt, sei es für die Person des Verfassers die Vorliebe des Lesers zu erwecken. Der Inhalt ist dürftig und in den wichtigsten Stellen mit Fälschungen durchsetzt; der Verfasser selber drängt sich dem Leser auf mit einer ans Lächerliche streifen­ den Selbstgefälligkeit und einer sein Urteil sowohl, wie sein Pflichtgefühl verwirrenden Erbitterung über angeblich nicht anerkannte Verdienste. Man könnte darüber, daß die Feinde des Deutschen Reichs aus der Reihe der deutschen Staatsmänner keinen besseren Eideehelfer zu finden ver­ mochten, verächtlich die Achseln zucken, wenn nicht die Tat­ sache, daß in der deutschen Diplomatie ein solcher Mann

eine solche Stellung erringen tonnte, gar so betrübend wäre.

Nachwort.

Nach Abschluß meines Manuskriptes wird mir von zuverlässiger Seite mitgeteilt, daß Herr von Bethmann Hollweg die nach Lichnowskys Angaben zu vermutende Initiative bei Lychnowskys Ernennung zum Gesandten in England ablehnt. Da ich indes zur Aufstellung einer positiven andern Ansicht nicht ermächtigt bin, so lasse ich die aus­ gesprochene Vermutung einstweilen stehen, in der Erwartung, daß sie auf Grund zuverlässigerer Zeugnisse beseitigt oder eingeschränkt wird.

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Borträgen fordert, daß sie sich „ganz von selbst zu einem Ganzen runden" müssen, ist bei der vorliegenden Tatsache geworden, für die ihm lebhafter Dank nicht nur der Historiker gebührt, sondern die auch die Anteilnahme

aller politisch denkenden Leser erregen werden.

R. Richter im „Literarisches Zentralblatt für Deutschland".