Der alte Kant: Hasse’s Schrift: Letzte Äußerungen Kants und persönliche Notizen aus dem opus postumum [Reprint 2019 ed.] 9783111535357, 9783111167312


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German Pages 92 [100] Year 1925

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Table of contents :
Einleitung
I. Teil: Hasse, Letzte Äußerungen Kants
II. Teil: Die persönlichen Notizen aus dem opus postumum
Anmerkungen zum I. Teil
Anmerkungen zum II. Teil
Inhalt
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Der alte Kant: Hasse’s Schrift: Letzte Äußerungen Kants und persönliche Notizen aus dem opus postumum [Reprint 2019 ed.]
 9783111535357, 9783111167312

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Der alse Kant Hasse's Schrift: Letzte Äußerungen Kants

und persönliche Notizen aus dem opus postumum

Herausgegeben von

Artur Buchenau und Gerhard Lehmann

Mit einem Bildnis und einem Faksimile

Berlin und Leipzig 1925

Verlag von Walter de Gruyter & C 0.

’m i. und 7. Konvolut des Nachlaßwerkes findet sich eine Reihe persönlicher Notizen, auf die bisher von allen Bearbeitern als Zeugnis für den senilen Charakter des Nachlaßwerkes hingewiesen wurde, die jedoch, abgesehen von einigen Stellen in der Reickeschen Ausgabe (Alt­ preußische Monatsschrift 1884), noch nicht veröffentlicht worden sind. Sie finden sich zumeist am unteren Rande der Folioblätter und sind häufig von Kant selbst durchstrichen. Das i. Konvolut, an welchem Kant noch 1803 arbeitete und das daher den Abschluß bildet, enthält die meisten dieser „Allotria". Wir geben hier diejenigen Stellen, die am inter­ essantesten und am wenigsten verstümmelt sind, und zwar geben wir sie imAnschluß an das kleineBüchelchen vonHasse (der als „Consist. R. Hasse" in den Personenverzeichnissen bei Kant oft auftritt): „Letzte Äußerungen Kants". Diese unter dem Eindruck persönlichen Erlebens stehenden Zeilen sind die beste Einleitung und Erläuterung zu dem Kantischen Text: man wird, wenn man sie mit Aufmerk­ samkeit gelesen, eines umfassenden Kommentars kaum noch bedürfen. Dementsprechend sind auch unsere „Anmerkungen" nur zur Erläuterung einiger unverständlichen Notizen an Hand anderer Belegstellen und zur Vertiefung des gewonnenen Bildes bestimmt. Daneben kam es uns auf eine genaue Wiedergabe des Textes an. Schreibfehler, Durchstreichungen und Zusätze müssen hervorgehoben werden, wenn man sich

ein Urteil über den mehr oder weniger pathologischen Cha­ rakter dieser letzten Aufzeichnungen bilden will. Wir haben darum ebenfalls von allen Änderungen der Orthographie (und Interpunktion) Abftand genommen. Auch Hasses Schrift haben wir, abgesehen von einigen Druckfehlern, wörtlich abgedruckt. Zur Begründung dieses Vorgehens genügt es wohl, auf die Seite 18 sich findende Aus­ einandersetzung über Kants stilistische und orthographische Eigenheiten hinzuweisen: hier modernisieren, hieße den Sinn ganz unverständlich machen. Die Trennung der „philo­ logischen" von den „sachlichen" Anmerkungen schien uns mit Rücksicht auf die leichtere Lesbarkeit geboten. Unsere Arbeit geht der erstmaligen, vollständigen Aus­ gabe des opus postumuin voran: in dieser wird eine ins einzelne gehende Beschreibung der „persönlichen No­ tizen" folgen. Artur Buchenau.

Gerhard Lehmann.

I. Teil

Hasse, Letzte Äußerungen Kants

Lezke Aeußerungen

Kant 's von einem seiner Tischgenossen, Ioh. Gottfr. Hasse

Zweyter Abdruck

Königsberg

bei Friedrich NikoloviuS

1804

ie vor wenigen Wochen von mir herausgegebenen

„merkwürdigen

Äußerungen

Kant's"

haben

sich

so schnell vergriffen, daß ein zweyter Abdruck für mehrere Liebhaber nöthig war, den ich hiermit unter der Firma:

„Lezte Äußerungen K." auftreten lasse, weil sie das wirk­

lich sind, und

unter

diesem Nahmen nicht zu viel ver­

sprechen. Übrigens sollen diese wenigen Blätter weder einer

Skizze seines Lebens — noch einer Biographie von ihm, — noch irgend Einem, der etwas Wichtigeres und Besseres von diesem großen Manne melden kann, in den Weg treten; sondern nur meinem Dankerfüllten Herze Luft machen.

der Vers.*

Kank r ist zu höheren Sphären gedrungen, der unsterblich-große, und allen Denkern, seinen Verehrern und seinen Freunden

ewig unvergeßliche Mann, der die Welt mit seinen Schriften erleuchtete; der die Grenzen unseres Wissens, Glaubens

und Hoffens bestimmte; der Tausende seiner Schüler zu Denkern und gescheuten Geschäfts-Männern schuf, dessen Ver­

dienste, besonders als akademischer Lehrer, und dessen liebens­ würdige Seiten, als Mensch im Privat-Leben, noch lange nicht theils genug gewürdiget, theils genug bekannt sind. —

Von Seiten seines gründlichen Wissens und tiefen Denkens getraue ich mich jedoch nicht, ihn zu schildern, oder auch nur

einScherstein zurWürdigung seinerPhilosophie beyzutragen; aber als Mensch und Bürger, im täglichen Leben, als Freund,

belehrender und vergnügender Wirth am Tische — wo eine Rede, gleich dem Nestor, süßer als Honig, von seinem Munde stoß — möchte ich ihm, aus Dankbarkeit, eine Blume

auf sein Grab streuen; nicht nur, weil ich hier sehr viel frohe

Stunden verlebt, sondern auch vieles gelernt habe, was wohl werth wäre, zur Kunde anderer Verehrer von ihm gebracht

zu werden.

Ueberhaupt aber intressirt ein großer Mann

nicht blos im äußerlichen und öffentlichen Handeln, sondern auch im kleinen, vertrauten Cirkel, und es ist alles von ihm merkwürdig, weil es größtentheils originell ist; welches bei

Kant, selbst bey einigen Alters-Schwächen, der Fall war.

Don derZeit meines Aufenthalts in Königsberg, (von 1786) an, wo er noch ziemlich lebhaft, sehr gesellig und unterhaltend war, auch wohl gern das Wort allein führte, bin ich zwar öf­ ters bey ihm,* er bey mir, und ich mit ihm am dritten Orte zusammen gewesen; ich schäzte aber damahls seine Schriften mehr, als seine Reden, (wie man denn in Gesellschaften, wenn man nicht gerade bey ihm saß, auch wenig von seinem Gespräche profitiren konnte- weil sein Ton zu leise war) aber in den lezten drey Jahren war ich wöchentlich ein oder zveymahl sein Gast, und habe ihn in seinen Unterredungen erst recht vertraulich und belehrend gefunden. Seit 1793 hielt er keine Dorlesungen mehr, sondern arbeitete vielmehr seine lezten Schriften aus. Er stand regelmäßig früh 5 Uhr auf, trank etwas Thee und rauchte eine Pfeisfe Taback. Dann sezte er sich an seinen Arbeits-Tisch bis gegen halb ein Uhr, wo er sich zum Essen anzog. Don 1 bis 3 Uhr, bisweilen etwas länger, wurde gespeißt, und nun gieng er etwa eine Stunde, und zwar allein spatzieren, (er wollte im Gehen nicht sprechen) im Winter und Sommer, im Regen und Schmutz, Schnee und Eis. Im leztern Fall begleitete ihn der Bediente, und er beobachtete, wenn es glatt war, wie er sagte, den Trampel-Gang, d. i. er hob die Füße hoch auf, und machte äußerst kleine Schritte, um nicht zu fallen; welches er, so wie seine übrigen Rathschläge, die aus seinem Streit der Fakultäten, in dem Schreiben an Herrn Geheimerath Hufeland bekannt sind, allen dringend empfahl. Wenn er davon zurück kehrte, that er noch einige häusliche Geschäfte ab, las gelehrte, politische Zeitungen (bey leztern unterbrach er auch wohl seine Dormittags-Arbeiten, und siel * Wo immer eine Elite von intreffanten Männern, z. E. Geh. Rath von Hippel u. a. m. waren.

mit Heis-Hunger über sie) und Journale, gieng dann im Zimmer auf und ab, dachte sonst über feine Vorlesungen, und jetzt über seine Schriften nach, schrieb sich das merk­ würdigste auf kleine Zettelchen, und eilte, ohne etwas zu Abend zu genießen, um 9, im Sommer Vs10 Uhr zu Bette. Seit 1798 aß er selten mehr auswärts, und machte auch einen immer kürzern Spatzier-Gang; bis er gegen 1800 auch diesen aufgab, und sich an seinen Tisch mit seinen Freunden zurückzog. Er hatte deren gewöhnlich nur 2, den einen Tag nur einen um sich, und hier öffnete sich sein Mund zu den süßesten Vertraulichkeiten. Ich schätzte mich ausserordentlich glücklich, in die Zahl seiner Tisch-Freunde mich ausgenommen zu sehen. Wenn man sich seinem Hause näherte, so kündigte alles einen Philosophen an. Das Haus war etwas antik, lag in einer zwar gangbaren, aber nicht viel befahrnen Straße, und fties mit der Hinter-Seite an Gärten und SchloßGräben, so wie an die Hinter-Gebäude des vielhundertjähri­ gen Schloßes mit Thürmen, Gefängnissen und Eulen. Im Frühling und Sommer aber war die Gegend recht roman­ tisch; nur daß er sie nicht eigentlich genoß — (denn es war nicht sein Garten, der an der Seite lag, wohin kein Fenster ging) sondern nur sah. Trat man in das Haus, so herrschte eine friedliche Stille, und hätte einen nicht, die offene und nach Essen riechende Küche, ein bellender Hund, oder eine mauende Katze, Lieblinge seiner Köchin, (mit denen diese, wie K. sagte, ganze Sermone hielte) eines andern überzeugt, so hätte man denken sollen, dies Haus sey unbewohnt. Stieg man die Treppe hinauf, so zeigte sich freylich rechts der beym Tischdecken geschäftige Bediente; jedoch gieng man links durch das ganz einfache, unverzierte, zum Theil räuchrigeDor-

T3

Haus in ein größeres Zimmer, das die Putz-Stube vorstellte; aber keine Pracht zeigte.* Ein Sopha, etliche, mit Leinwand überzogene Stuhle, ein Glaß-Schrank mit einigem Porcellan, ein Bureau, das sein Silber und vorräthiges Geld befaßte, nebst einem Wärmemesser und einer Console (ich weiß nicht mehr, ob unter einem Spiegel, oder unter einer Büste) waren alle die Moeubeln, die einen Theil der weißen Wände deckten. Und so drang man durch eine ganz einfache, arm­ selige Thür, in das eben so ärmliche Sans-Souci, zu dessen Betretung man beym Anpochen, durch ein frohes „herein" eingeladen wurde. (Wie schlug mir das Herz, als dies das erstemahl geschah!) Das ganze Zimmer athmete Einfach­ heit und stille Abgeschiedenheit vom Geräusche der Stadt und Welt. 2 gemeine Tische, ein einfacher Sopha und etliche Stühle, worunter sein Studier-Sih war, (kleine grün­ seidene Vorhänge an den kleinscheibigen Fenstern, mochten noch das Kostbarste seyn) und eine Commode unter einem mäßigen Spiegel, ließen in der Mitte einen leeren Raum übrig, vermittelst dessen man zum Baro und Thermometer kommen konnte, die er fleißig consulirte. Hier saß der Denker auf seinem ganz hölzernen Halbcirkel-Stuhle, wie auf dem Dreifuß, entweder noch am Arbeits-Tische, oder schon nach der Thür gekehrt, weil ihn hungerte, und er seine TischGäste sehnlich erwartete. Don da kam er seinem Gaste, fast bis auf die lezte Zeit, entgegen, machte die Thür etwas auf, und bewillkommte ihn herzlich. Man mochte ihn übrigens treffen, wie und wo man wollte, so war, wenn er auch sonst die gespannte Erwartung dessen, der ihn zum erstenmahl sah, nicht ganz erfüllte, sein Gesicht heiter, sein ♦ Es galt von ihm durchaus, was Nepos von Atticus sagt: elegans, non magnlficus.

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Auge lebhaft, seine Miene freundlich; und, sprach er, so gab er wirklich Orakel von sich, und bezauberte. Nun mahnte er den Bedienten zum Anrichtenlassen, gab die silbernen Löffel (das Silber genannt) selbst aus dem Bureau, und eilte mit allem, was er zu sprechen hatte, so bald als möglich, an den Tisch, damit es da Unterhal­ tung gäbe. Seine Gäste gingen voran in die Eß-Stube, die eben so ungeschmückt und prachtloß war, wie die andern. Man sezte sich ohne Weitläufigkeit an den Tisch, und wenn man Anstalten zum Beten machen wollte, so unterbrach er sie, durchs Nöthigen zum Sitzen. Hier war alles reinlich und sauber; nur 3 Schüßeln, aber sehr gut und wohl­ schmeckend zubereitet, 2 Bouteillen Wein, und, war's die Jahreszeit, so kündigte der Neben-Tisch auch Obst und Nach-Tisch an. Alles hatte hier seine angewiesene Ord­ nung: Nachdem die Suppe vertheilt und zum Theil ver­ zehrt war, wurde das Fleisch, (gewöhnlich mürbes Rindsteisch) geschnitten, wozu er, so wie zu den mehresten Speisen, englischen Senf nahm, den er selbst präparirte. Das MittelGericht mußte eins seiner Leib-Gerichte seyn (fast jeden Tag in der Woche dasselbe) und davon aß er, bis auf die lezte Zeit, so stark und viel, daß er sich, wie er sagte, den Bauch da­ von füllte, und vom Braten oder Zten Gerichte nicht viel genoß. Saß er nun einmahl an der Suppe, und fand er das Suppenfleisch recht mürbe, so war ihm ungemein wohl (wo nicht, so schalt er, und war etwas verdrüßlich) und dann sagte er: „Nun, meine Herren und Freunde! lassen Sie uns auch etwas sprechen! Was giebt's guts Neues?" Ob er nun gleich gern die EfsenS-Zeit der Erhohlung gewidmet wissen wollte, von gelehrten Sachen gern abstrahirte, und sich dergleichen Berührungs-Punkte sogar

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verbat; dagegen sich am liebsten von politischen Dingen, in denen er fast schwelgte, von Stadt-Neuigkeiten und Sachen des gemeinen Lebens unterhielt, und unterhalten seyn wollte: so sielen ihm doch, ans seinen früheren Jahren, unwillkührlich Gegenstände ein, über die er nachgedacht, und die er durchs Nachdenken genauer erforscht hatte; diese Beobachtungen brachte er gleich an, und knüpfte damit einen Faden an einen Haltungs-Punkt, von dem er, wider seinen Willen wünschte, daß er fortgesponnen würde. Und wurde er gleich seit 1601 merklich kraftloser, und waren seine Gedanken nicht mehr so geordnet wie sonst; so fuhren ihm doch nicht selten Helle Einsichten, wie Blitz-Strahlen, durch den Kopf, die von seinem ungemeinen Scharfsinn zeigten, und werth waren, aufgefaßt zu werden. So hatte ich kaum einige Wochen regelmäßig bey ihm gespeißt, als ich bemerkte, daß er gern etymologisire; sey es nun daß er mir damit ein Vergnügen machen wollte, weil er wußte, daß ich ein Freund der Etymologie war; (inzwischen haben mich doch andere seiner Tisch-Freunde versichert, daß er eö in ihrem Beyseyn auch gethan hätte,) oder daß er einen natürlichen Hang dazu hatte, welches daraus erhellte, daß er diese Etymologieen, so oft das Wort vorkam, mit eben denselben Ausdrücken wiederhohlte. Den Hang zur Etymologie konnte ich mir übrigens sehr gut erklären. Gewohnt als bündiger Systematiker, bey jedem Worte etwas bestimmtes zu denken, und es nach seinem innern Gehalte zu erschöpfen, maß er auch jedes, das er im gemeinen Leben brauchte, nach dem Begriffe genau ab, den es andeuten sollte; und ihn sprach jedes fremde Wort so an, daß er es nicht losließ, bis er es in seiner wahren Abkunft, so viel ihm möglich war, erforscht hatte. Daher that ihm in seinem System, zur genauen Be-

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Zeichnung der feinen Unterschiede der Begriffe, weder die Mutter- noch die lateinische Sprache Genüge; er wandte sich zu der reichen, bedeutsamen und gerundeten griechischen:

und dadurch gelang eö ihm, die subtilsten

und

feinsten

Unterschiede mit einem einzigen Worte (z. E. Antinomie, Analysis,

Synthesis,

Amphibolie,

Kategorie,

Empirie,

Phaenomenon, Naumenon u. s. w.) zu zergliedern und zu bezeichnen.

Don solchen Adäquirungen des Ausdrucks, will

ich jezt einige populäre Beyspiele aus seinen Tisch-Reden ansühren, die um so belehrender sind, weil ihm hier seine so ausgebreiteten Lebens-Kenntniße, die er aus der Lektüre,

und bey Wörtern ausländischer Sprachen (z.E. der arabischen,

hebräischen, die er nicht verstand) aus Reisebeschreibungen geschöpft hatte, so herrlich zu Statten kamen. Wenn man im Sommer bey heißer Witterung etwa zu

ihm sagte: „Die Hize macht einen doch ganz schachmatt"

so faßte er gleich das lezte Wort auf, und sagte: „matt in

Schachmatt ist gar nicht das deutsche Wort matt, sondern das orientalische mLt, sterben, tod; Schach, Scheich*

ist bekanntlich

der persische Regent oder König.

daher im Schach-(Königs-) Spiel

mat,

Wenn

gesagt wird, Schach

so heißt es, Tod dem König.

Es

dürfte also

Schachmat, und nicht Schachmatt zu schreiben und zu

sprechen seyn." Wenn (frische oder eingemachte) Stachel-Beere, die in

Preußen (sonderbar genug) Christor-Beere heißen, auf den Tisch gesezt wurden, so psiegte er, besonders für Aus­ länder, das leztere Wort, das er selbst brauchte, fast jedes­ mahl zu erklären, und sagte: Christorbeeren heißen eigent* Mut, mLt im Hebr. Arab. sterben, todt seyn. Regent, Scheich, arab. der Alte, Fürst, Anführer.

-

Schach, persisch der

lief) Christi Doruen-Beereu.*

Weil die Stachel-Beere um

die Zeit der CreutzeS-Feyer Christi ausschlageu, so glaubt der

gemeine Mann, daß die Dornen-Krone Christi aus solchen Stachel-Beer-Sträuchen bestanden, und daher sein Haupt

so zerrissen habe.

Aber dem ist nicht also.

Die Dornen-

Krone Christi bestand nicht aus Dornen und Stachel-Beer-

Sträuchen, sondern aus Akanth, d. i. Beerenklau, einem

sanften Gewächse, das gar nicht stachelt." Und nun sieng er an, Trotz demgelehrtstenbiblischenExegeten,an,uberAkanth

als schönes Laubwerk, das auch bey den Korinthischen Säulen angebracht sey** zu commentieren, und mit der bekannten Liebesgeschichte, die den Künstler auf die Idee gebracht habe, zu unterhalten. In den lezten Jahren wünschte sich der edle Greis oft,

wenn er die Alters-Schwächen fühlte, (die auch ein So­ krates fürchtete) sehnlichst den Tod. Zwar hieß es noch im

Jahre 1802, wenn man ihn fragte:

wie er sich besinde?

„Ich habe alle vier Requisite !! eines gesunden Menschen, guten Appetit, guten Schlaf, gute Verdauung und Schmerz­

losigkeit. (er klagte nur bisweilen über ein Drücken im Kopfe) Ich bin noch nie in meinem Leben krank gewesen; habe nie

einen Arzt nöthig gehabt, und hoffe, ihn nicht nöthig zu haben. — Daß ich so kraftlos werde, rührt wohl von

einer Revolution in den Luft-Straten her, die seit einigen * So sprach und schrieb, nach einem Preuß. Provincialisrn, der trefliche

Mann.

Er lies das n im Plural weg, wo es stehen sollte, z. E. „die gütige

Menschen: eine mächtigere Triebfeder, als alle nur erdenkliche"; sagte es aber auch zu, wo es nicht stehen sollte, wie im obigen Beyspiele.

kleine Flecken in seinem sonst so richtig-deutschen Ausdrucke!

Fast der einzige

Ich nahm mir die

Freyheit, bisweilen diesen Punkt leise zu berühren; er nahm meine Gründe an,

aber zu der Zeit schrieb er nichts mehr. ** Und sogar in die Kleider in Ranken eingestickt wurde — croceo velamen acantho.

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Virgil Aeneid. I.

Jahren statt hat;* und wenn die sich ändert, und alles wieder ins Geleiß kömmt, so kann ich doch wohl noch aufkommen." Aber ein Jahr später klang's anders. „Das Leben, sprach er dann, ist mir eine Last; ich bin müde, sie zu tragen. Und wenn diese Nacht** der TodeS-Engel*** käme und mich abrief, so würde ich meine Hände aufheben und sagen: Gott sey gelobt!" „Ich bin, fuhr er dann fort zu sagen, kein Poltron; ich habe noch so viel Kraft, mir das Leben zu nehmen, aber ich halte es für unmoralisch. Wer sich selbst entleibt, ist ein Aas, das sich selbst auf den Anger wirft. Bey dem Worte Poltron etymologisirte er fast jedesmahl also: „Poltron ist eigent­ lich pollex truncatus (ein abgeschnittener Daumen). Die, die zu Rekruten enroullirt wurden, schnitten sich, aus Furcht vor dem Soldaten-Dienst, den rechten Daumen ab, um das Pulver nicht auf die Pfanne legen zu können, und folglich zum Dienst unbrauchbar zu werden, und da­ von hießen sie pol-troncs, d. i. Poltrons." So oft man gelegentlich auf den Persischen Dualism, oder Ormuzd und Aryman, zu reden kam, sezte er * Diese Revolution leitete er von der Zeit des Katzen-Todes in Koppenhagen her, von dem einige Jahre vorher in den Zeitungen viel zu lesen war. — Ueberhaupt sprach er von den Luft-Straten sehr oft und viel, ließ aber die Sache in einem gewissen Hell-Dunkel. Er hielt den Galvanism auch für ein eignes Cuff- Stratum, wie die Elektricität. ** Er glaubte immer, er würde des JTachts sterben, und gleichsam einschlafen. Die Fürsehung hat es bekanntlich anders beschloßen. *** Man schließe nicht hieraus auf Aberglauben oder Bigotterie. Der biblische Ausdruck hieng ihm von der frühen Jugend her an; und er dachte stch dabey, die ihm noch unbekannte Urfache der nahen Herbeyführung seines Lebens-Endes. Eben fo drückte er das ein andermahl mit den Worten eines GesangbuchsLiedes so aus: „Soll diese Ilacht die lezte seyn" ungeachtet er Gesangbücher nicht leiden konnte, und warlich keines las, auch vielleicht nicht besaß.

2'

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gleich hinzu: „2lryman ist deutsch, arger Mann; die persische Sprache hat viel deutsche Wörter."* Wenn weißer Kohl, Weiß-Kraut, Kumst genannt, (den er sehr gern aß,) auf seinen Tisch kam, sagte er: „das ist compositum (wegen der Lage der Blätter über einander) Kumstum, Kumst." Wurde ein Gericht Fische aufgetragen, und darunter war Zand, so erklärte er diesen Nahmen „das ist Sander, Zander; das Z. ist Holländisch ein S. also Sand, Zand."** War von den Raub-Staaten, Tunis, Tripolis und Algier die Rede, so sezte er gleich zu: „Sie heißen eigentlich nicht Raub-Staaten, blos fremde Mächte haben sie so genannt, sondern Berberen, Barbaresken; und man muß eigent­ lich nicht aussprechen: Aldschier, sondern Algier", wobey er ein ganz gewöhnliches deutsches g aussprach.*** Bernstein leitete er, mit mir, und anderen von Bern en, Börnen, altpreußisch und schwedisch, Brennen her, und hielt ihn für einen Stein, der in der Sonne verhärtet sey. Er war mit meinen Untersuchungen über den Eridanus und den Bernstein sehr zufrieden, und versprach mir sogar, seine Gedanken hierüber aufzusetzen, damit ich sie zur Ver­ besserung dessen, was davon in seiner physischen Geographie * Diese Ableitung, däucht mich, sieht schon in der Berliner Monaths-Schrift,

April St. 1792. ** Dabey pflegte er zu erzählen, daß er sich in der Jugend Cant geschrie­ ben habe; das hätten einige, zu seinem Verdruß, Zant ausgesprochen; und seitdem schreibe er sich Kant. **♦ Dies bedarf wohl einer kleinen Berichtigung. Derberen heißt eigentlich

von bar (arabisch und hebräisch) wild, Barbar, sehr wild, wilde, Barbaren; und dann ist das Wort in seiner Bedeutung nicht sanfter als Räuber.

Und wenn man das g der Araber, auf die Art, wie Busching (Erdbeschreib.

Th. 5, Vorrede) lehr^ ausspricht, so isi Aldschier richtiger ausgesprochen als Algier.

stehe, gelegentlich bekannt machen könne; aber er ver­ gaß es immer wieder, und, ungeachtet ich ihn öfters daran (seit 1602) erinnerte, so wurde doch nichts daraus. Seinen Vornahmen Immanuel hatte er in besondere Affektion genommen, und sprach mit Wohlgefallen und oft von ihm. Er pflegte mir auch mehr als einmahl die Schmeicheley zu sagen: „Er habe sich sonst Emanuel ge­ schrieben; aber von mir belehrt, was es heiße, und wie es geschrieben werden müße, schreibe er sich beständig Im­ manuel." Ich erwiederte ihm zwar, daß ich mich nie er­ kühnt hätte, ihn über etwas zu belehren, da ich von ihm lernen müßte; daß er sich, meines Wissens, schon Imma­ nuel geschrieben habe, ehe ich nach Königsberg gekommen, und das Glück gehabt hätte, ihm bekannt zu seyn; (sezte auch wohl hinzu: Emanuel sey, meiner Meynung nach, auch nicht falsch; man könne den ersten Buchstaben (Ain) auch E lesen, wie die jetzigen Juden thäten, und die Ver­ doppelung des m sey nicht wesentlich, es bedeute doch das­ selbe) aber das half alles nichts; er blieb dabey; und bey feiner lezten Geburts-Tags-Feyer (1803) wartete er ängst­ lich auf mich, damit ich ihm, in Gegenwart aller seiner Tischfreunde, das Wort buchstabirt und syllabirt (Im, mit, Jmmanu mit uns, El Gott; also Immanuel, Gott ist mit uns) in sein Bemerkungs-Büchelchen, das er sich hielt, um die Merkwürdigkeiten des Tages darinne aufzuzeichnen, einschreiben könnte. Und wie subtil unterschied er! Davon nur einige Bey­ spiele: Wenn er ausspiee, zu der Zeit, wo er an Obstruk­ tionen litte, sagte er: „Das ist sputum, eine Art von Schleim, der zu nichts taugt, und aus dem Körper weggeschaft werden muß; aber die saliua, oder die Flüßigkeit im Munde, die

aus den Backen-Drüsen quillt, und zur Verdauung der Speisen dient, die muß nicht excreirt, sondern verschluckt werden; und die ist's, die mir jetzt ihren Dienst entzieht, daher meine Unverdaulichst!" Er meynte auch, der Deutsche habe nicht 2 Wörter, die das vollkommen ausdrückten, und die man ihm dazu vorschlug: Auswurf (sputum) und Speichel (saliua) fand er, besonders das leztere, nicht adäquat genug. Wenn man bey Tische, zu der Zeit, als er fast zahnlos, das Fleisch immer zu hart fand, beym Dorschneiden etwa sagte: „heute scheint das Fleisch recht weich zu seyn" so konnte er sich nicht halten, den, der dies sagte, zu verbessern und zu sagen: „es muß heißen mürbe." Weich geht auf die Natur des Fleisches, mürbe aufs Kochen. Rindsieisch Lft von Natur hartes Fleisch; aber es kann sehr mürbe gekocht werden: Kalbfleisch dagegen ist von Natur weiches Fleisch; aber ist es nicht mürbe gekocht, so ist eö immer hart. Ueberhaupt wenn er Ausdrücke und Redensarten er­ klären, und bis zu ihrem wahren Ursprung zurückführen konnte, so that er es nicht mehr als gerne. So erinnere ich mich, daß er einst auf meine Aeußerung, „daß der Januarius es mit der Kälte mehrentheils sehr ernstlich meyne" erwiederte: O! der Februarius giebt ihm nichts nach, daher sagt man im Sprichwort, „sich einen guten Februarius machen lassen" d. h. einen sehr warmen Rock oder Pelz.* — Wenn es ihm recht gut schmeckte, sagte er „man muß essen, was das Zeug hält" und das er­ klärte er richtig so, daß es vom Reuter hergenommen sey, der da reute „bis der Gurt springt". * Eine Redens-Art, die ich vorher nie gehört hatte.

Angemessenheit des Ausdrucks liebte er ungemein, und

das gieng bis auf die gemäße Stimme.

sehr sonorisch und fein.

Er selbst sprach

Sprach einer seiner Gäste etwas

stark und zu laut, so mußte er es

nicht übel

nehmen,

wenn er zu ihm sagte: „Sie schreyen mir zu sehr" oder

zu rapid, so bemerkte er den Fehler gleichstes, und mir selbst gab er zu erkennen,

daß ich zu

ausländisch

(der

sächsische Dialekt, der gegen den Preußischen, den Mund zu voll nimmt, war ihm unangenehm) spräche. — Wie er gewisse Dinge benannte und bestimmte, so mußte

man sie genau nachbestimmen, wenn man ihm verständ­

lich seyn wollte. bekam,

nannte

Ein gewisses Ausstößen, das er bey Tisch

er, wenn

er

sich

entschuldigte

deshalb

„Blähungen auf dem Magenmunde" und sezte dazu: „sie

sind weder säuerlich

Luft."

noch

fäulich,

sondern

bloße, reine

Gerade diese Worte mußte man hierüber auch

brauchen. — Seine Leibgerichte, die er

oft nannte, be­

zeichnete er immer mit denselben Worten, und die Worte in derselben Ordnung, und sie schienen ihm kräftiger zu

seyn, wenn man sie so kräftig ihm nachsprach z. E. „ge­ trocknete Pasternack (Pastinak) mit geräuchertem Bauch­

speck" (nie, Schweinsieisch) „Dicke Erbsen mit Schweins­ klauen"

(nie, Schweinsfüßen)

„Pudding

mit

trockenem

(getrocknetem) Obst" u. s. w.

Doch genug hievon!

Ich komme zu andern merkwür­

digen Aeußerungen, die ich von ihm selbst, die mehresten

mehr als einmal, gehört habe, und daher verbürgen kann. Schon seit mehreren Jahren lag auf seinem ArbeitsTische ein handschriftliches Werk von mehr als Hundert

Folio-Bogen, dicht beschrieben, unter dem Titel: System der

reinen

Philosophie,

in

ihrem

ganzen

Jn-

begriffe, an dem ich ihn oft, wenn ich zum Essen kam,

noch

schreibend

antraf.

Er

ließ

mich

es mit

Willen

mehrere male an- und einsehen, und durchblättern.

Da

fand ich denn, daß es sich mit sehr wichtigen Gegenständen: Philosophie, Gott, Freyheit, und wie ich hörte, haupt­

sächlich mit dem Uebergange der Physik zur Meta­ physik beschäftige.*

Bey dem Begriffe der Philosophie

schien der erhabene Denker mit sich selbst lange im Kampfe gewesen zu seyn; so sehr war dieser Artickel durchstrichen, überarbeitet und durchgeackert! Einst äußerte ich meine Ver­

wunderung darüber, und so entspann sich an einem mir sehr merkwürdigen Mittage den iLten Juny 1802 folgende

Unterredung: Ich.

Noch sind die Philosophen doch nicht einig dar­

über, was eigentlich Philosophie sey.

Er.

Wie können sie das seyn?

Sie streiten ja noch,

ob es eine Philosophie gebe? Ich.

Aber wie der Nahme „Philosoph und Philo­

sophie" aufkam, war Sophos und Sophia schon da.

Mit diesem Worte mußten doch die Griechen einen be­

stimmten Begriff verbinden, und den sollte man aufsuchen; * Dieses Werk pflegte Kant im vertraulichen Gespräche „sein Hauptwerk,

ein Chef d’oeuvre" zu nennen, und davon zu sagen, daß es ein (absolutes) sein System vollendendes Ganze, völlig bearbeitet, und nur noch zu redigieren

sey, (welches leztere er immer noch selbst zu thun hoste.) Gleichwohl wird sich der etwanige Herausgeber desselben in Acht nehmen müssen, weil K. in den

lezten Jahren oft das ausstrich, was besser war als das, was er überschrieb, und auch viele Allotria (z. E. die Gerichte die für denselben Tag bestimmt waren) dazwischen fezte. Damahls hieß es, daß es unserm Hrn. Prof. Gen sich en (dem K. auch seine Bibliothek und 500 Rthlr. Geld vermacht hat) zur Heraus«

gäbe übergeben werden sollte.

Iezt ist es vorläufig dem Hry. Hofpred. Schultz

(Kants Commentator, einem rompetenten Richter) zur Beurtheilung commu« nicirt, der mich aber verficherte, daß er darinne nicht fände, was der Titel ver«

spräche, und zu der Herausgabe desselben nicht rathen könne.

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besonders da die Alten mit ihren Worten auch das Wesen der Sache ausdrückten, wenigstens so wie sie es dachten. Er. Aber hier hilft Etymologie weiter nichts; mit Sophos sind wir schon am Ende. Sophos heißt sapiens, ein Weiser; Philosophie, Weisheitsstudium, wie es Cicero giebt, und damit Punktum! Ich. Um Verziehung! sapiens ist die bloße Uebertragung vom griechischen Saphes (ein Weiser) und nun muß man erst wissen, was dazu gehörte, Saphes zu seyn. Die Deutschen nennen den einen Weisen, der viel weiß, aber ein solcher ist dennoch nicht Philosoph im griechischen Sinne. Cicero übersezt blos das Wort pbilosophia (er sagt selbst: si interpretari velis) nachher giebt er eine Sachdesinition, die synthetisch ist, und in dem Worte sapientia nicht liegt.* Er. Nun, etwas besseres giebt's doch nicht. Ich. Erlauben Sie! Die Griechen waren nicht Genies inventeurs, sondern cultivans; sie haben die Philosophie nicht erfunden und ausgedacht, sondern überkommen und ausgebildet. Man untersuche, von welcher Nation sie die Sache und folglich das Wort her haben, und was es da­ selbst zuerst bedeute. Er. Das wären doch nur Aegyptier und Phönicier. Ich. Im Koptischen und Aegyptischen sindet sich das Wort nicht als inländisch vor; aber im Phönicischen und Hebräischen. Er. Da kann es durch das Griechische hingedrungen sein. Phönicier und Hebräer sind eben keine Philosophen. Ich. Sie haben aber doch das Wort; und aus der * Cic. de offic. L. II. c. 2. Estautem sapientia rerum human arum ac diuinarum caussarumque, quibus hae res continentur, sclcntia.

Gegend, nicht aus Aegypten, ist die Kenntniß eines ein­ zigen Gottes hergekommen, die, wenn man nicht eine über­ natürliche Offenbarung zu Hülfe nehmen will, (ich spreche zu einem Philosophen) einen hohen Grad von Philosophie voraussezt. Anzunehmen, daß das Wort Sophos aus dem Griechischen nach dem Orient gedrungen sey, streitet wider die Chronologie. Denn die hebräischen Propheten heißen Sophim (Philosophen) zu einer Zeit, wo die Griechen noch wenig wissenschaftliche Cultur hatten, und Sanchuniathon hat schon Zopha Semin d. i. HimmelsPhilosophen (Theologen) zu einer Zeit, als die Griechen als solche, noch nicht exsiftirten, und ihre Autochthonen Eicheln fraßen. Er. Was würde es denn in diesen Sprachen zuerst heißen? Ich. Das Verbum: Safah, heißt im hebräischen speculari, speruliren; das Nomen in concreto Sofeh (Sophos) ein Spekulateur; und das Abstraktum Sofiah, Spekulation. Er. Das gäbe einen recht guten Grund-Begriff von Philosophie. Wollen Sie dieses nicht weiter auseinandergesezt, der gelehrten Welt mittheilen? Ich. Ich fürchte, daß man es für Wortklauberey und Mikrologie halten werde.

Er. Solche Recherchen halte ich nicht für überslüßig. —* Es war also den iLten Jun. 1802, als ich auf diese Unterredung mit ihm kam, und er mir eröffnete, daß er den Morgen viel über den Begriff „Gott" gedacht und geschrieben hätte; es sey ihm aber sehr schwer geworden. * Daraus ist eine Abhandlung entstanden, die nächstens im Druck er­ scheinen wird.

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Das

leitete

er

aber

nicht

von

einer Schwäche

seiner

Denkkraft, sondern von der Schwierigkeit des Gegenstandes

selbst her.

„Es ist ein Gott" rief er einst aus, und bewies das aus dem Benehmen der Schwalbe gegen ihre Jungen, die,

wenn sie sie nicht mehr ernähren könne, sie aus dem Neste

stoße, um sie nicht vor ihren Augen sterben zu sehen. Und dabey sprach er viel zu Gunsten des Physiko-theologischen

und teleologischen Arguments für das Daseyn Gottes. Als ein angehender Philosoph ihm gesandt

in

hatte,

seine Schrift zu­

der auf der Rückseite des Titels ein

algebraisches Verhältniß von Gott angegeben war, hatte

er mit Bleystift darunter geschrieben: „das wäre ja — o"

mit Ausrufungs-Zeichen,

und mündlich war er sehr un­

willig darüber.

„Heute ist Buß- oder Bettag," sagte ich ihm an dem Tage 1602.

Anfangs bespöttelte er die Sache

wurde aber bald ernsthaft, und meynte,

etwas,

„es konnte die

Anstalt sehr nüzlich werden, wenn jeder an diesem Tage

recht lebhaft an seiner Sünden-Schuld erinnert,

und zur

möglichst größten Restitution alles dessen, was er böses

gethan hätte, auf das kräftigste angehalten würde. Matth. 5, 23. „Sey willfährtig deinem Widersacher" u.s.w.

(Diese Stelle sagte er ganz ohne Anstoß her) sey dazu ein sehr schicklicher Buß-Text. Er wollte selbst über den Text einst

als Kandidat,

eine Predigt ausgearbeitet (aber nicht ge­

halten) haben, die sich noch unter seinen Papieren sinden

müßte; aber bey

allem Nachsuchen

wurde nichts

vor­

gefunden.*^ ♦ Seine Papiere waren damahls schon weg, und es war nichts mehr vor»

Handen, als einige unbedeutende Scripturen, die wahrscheinlich Herr Diakonus

Den Zten Marz 1803 äusserte er den Gedanken „Wäre

die Bibel nicht schon geschrieben, sie würde wahrscheinlich nun nicht geschrieben werden."

Jeder Denker wird fühlen,

wie viel darinne liege.

Seinen moralischen Sinn, den er in seiner „Religion innerhalb

der

Grenzen

der Vernunft,"

und

in seinem

„Streit der Fakultäten" als Erklärungs-Grundsatz der Bibel

angenommen hatte, behauptete er steif und feste. müsse,

sagte

er, „als Theolog

und Prediger,

„Man

den Aus­

sprüchen der Bibel, einen solchen Sinn unterlegen und unter­ schieben, an sich liege er nicht darinne". Die Sache ist zu

bekannt,

als daß sie hier weiter erörtert werden dürfte.

Als ich ihm anzeigte, daß gerade nicht Theologen, sondern biblische Philosophen (auf Befragen, welche? nannte ich

ihm

Eichhorn, auf den er sonst viel hielt)

über den

moralischen Sinn viel lesenswürdiger geschrieben, und seiner

Behauptung starke Gründe entgegen gesezt hätten, wünschte er eö zwar zu lesen,

las es aber nicht,

und wiederholte

immer seine vorige Behauptung.*

Auch über das radikale Böse äußerte er sich rigoristisch

und fast Augustinisch. „Am Menschen sey nicht viel Gutes. Jeder hasse fast den andern, suche sich über seinen Neben-

Menschen zu erheben, sey voller Neid, Mißgunst und an­ derer teuflischer Laster. Homo homini nicht deus, sondern

diabolus.

Jeder greife in seinen Bußen!"

Wasjanski, fein intimer Freund, an sich genommen hat. Er bedauerte es bis­ weilen, sich so ganz entblößt zu haben. Vielleicht fände sich obige Predigt noch bey Herrn Tieftrunk, oder Rink oder Jäfche, unter den Papieren, die sie bekommen haben. Sie wäre wenigstens eben so werth, gedruckt zu werden, als manches andere. ♦ Prüfet alles rc sage man, wenn man feine eigne Meynung nicht sagen könne, oder nicht zn sagen sich traue.

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Des Sonntags hielt er sich oft über das Singen in der Kirche auf, „es sey nichts als Geplerre." Das machte, er hatte den Tag das Singen in dem ihm nahen Ge­ fängniß (der sogenannten Schützerey) gehört, an dem freylich nichts sonderlich erbauliches war. Den 2ten Junius 1803 sagte er sehr herabgeftimmt: „Mit mir kann es nicht lange dauren, ich werde täglich schwächer." Dabey entblößte er seinen Dorder-Arm, und sagte dazu, daß kein Loth Fleisch an seinem ganzen Leibe sey. — Ich fragte ihn, was er sich denn von der Zukunft verspräche? Er antwortete, nach einiger Tergiversation: „Nichts bestimmtes" eine Zeit vorher, als ihn ein anderer fragte: „Don dem Zustande weiß ich nichts" und noch ein andermal erklärte er sich für eine Art von Metempsychose oder Seelen-Wanderung. „Ewigkeit", rief er einst aus, zwischen dir und hier ist eine große Kluft befestigt. Mit einem Fuße da, und mit dem andern dort stehen, heißt, dem Engel im Koran gleichen, von dessen einer Augenbraue zur andern 4000 Meilen sind."* Aber nicht blos theologische Gedanken bot sein Gespräch dar; diese waren vielmehr die lezten Gegenstände, wenn die politischen, humanistischen und doktrinellen schon er­ schöpft waren. Nur war in den lezten Jahren sein politisches System etwas zerrüttet, er hatte seine eignen Gedanken, z. E. von Bonaparte, dessen Zug nach * Uebrigens hielt er den Catholirism für sehr konsequent, und das Derbst des Bibellesens für den Schluß-Stein desselben. Calvins absolutum decretum vertheidigte er; — und als er von Schrökhs größerm Werke der Kirch. Geschichte die Theile gelesen hatte, die von Ketzereyen handeln, sagte er: „Man kann in der Lehre von der Gottheit Christi, mit keiner Meynung mehr dazwischen kommen; es ist alles erschöpft."

Aegypten ll s. IP.3 Die Fortschritte in der Gelehrsamkeit aber und in den Wissenschaften z. E. in der Chemie, von der er voraussagte, daß sie noch Wunder thun würde, u. s. w. fesselten ihn ungemein. Dom Galvaniöm versprach er sich sehr viel, und man sah die neuesten Schriften darüber auf seinem Tische liegen; dagegen hielt er von der SchuzPocken-Jmpfung gar nichts, und meynte, „es sey eine Brutalität mehr, deren wir nicht bedürften." Die Er­ findung der Thermolampe in unsern Holzarmen Zeiten, Gall's Schädelorganen - Lehre, die Erweiterungen der Geographie,* Aufklärungen in der Geschichte rc. intressirten ihn auf das lebhafteste. Als er meine kleine Schrift „Ueber die Zigeuner" gelesen hatte, sagte er: „Die Zigeuner sind gewiß aus Indien; das verräth am mehresten ihre Farbe, die so gelb ist, daß sie das Hemde färbt." Was Gelehrte betrifft, so bekümmerte er sich um Theologen und Juristen fast gar nicht: (Herrn D. Stäudl in schäzte er sehr, als Moral-Philosophen; des Herrn Geh. R. Schmalzens Beförderung nach Halle, machte ihn auf feine Schriften aufmerksam.) Aerzte hielt er für sich entbehrlich, schäzte sie aber sehr, wenn sie mit Chemie (hier stund ihm unser Herr D. und Medirinal R. Hagen oben an) Galvanism und andern neuen Entdeckungen beschäftigten. Daher zog er die hiesigen jungen Aerzte, die von gelehrten Reisen zurück kamen, Herrn D. Motherby, Reusch, Elsner, Lob­ meyer 2c. an seinen Tisch, damit sie ihm viel neues er­ zählen möchten. Don Philosophen gieng ihm ReinmaruS über alle; unsern Herrn Prof. Kraus und Hofprediger * Don Hornemann's und v. Humbolds Reifen sprach er so oft, daß

ihm auch der Bediente einhalf, wenn ihm der Nahme entfallen war. 30

Schultz hatte er so oft im Munde,

daß er es mußte

und erzählte, daß ersterer 30, lezterer 15 Jahr jünger sey, als er; über Reinhold zuckte er die Achseln; an Fichte

und

dessen Schule

durfte

man

ihm

gar nicht denken.

Ueber Herder urtheilte er fast leidenschaftlich: „er wolle Diktator seyn, und gern Jünger machen."

Die Lehrer

der Beredsamkeit standen bey ihm in keinem Vortheilhaften Lichte, wie schon seine Anthropologie lehrt; er verglich ste mit den Advokaten.

Dichter waren nicht seine Lieblinge,

ausgenommen Haller, dessen Gedichte er fast auswendig wußte, Wieland, Göthe, Schiller u. s. w.

Wurde der Herausgabe seiner physischen Geographie

bey Dollmer gedacht, so wurde er fast wüthend, und sagte, es sey alles Lug und Trug, versicherte auch, er

habe seine ächten Papiere dem Herrn O. Rink in Danzig übergeben. Biographie"

Als

die

erschienen

„Fragmente zu seiner ihm zugeschickt waren, so

bekannten

und

zeigte er das Buch über Tische, mit einer Art von Wohl­ gefallen,

und schien es nicht übel zu nehmen/ daß bey

seinen Lebzeiten über ihn geschrieben wurde; urtheilte aber weiter nicht darüber, als daß er im Derzeichniß der Druck­

fehler einen aufsuchte (ich glaube, eS war das Wort trans­

scendental)

der

durch Verbesserung

noch

schlimmer ge­

worden (oder, wie er sagte, „verballhornisirt") war. Fast täglich erhielt er Briefe aus den entferntesten Ge­ genden, z. E. Holland, Frankreich,

Schweiz, Italien,

in

Sprachen und Zungen, die er bisweilen selbst nicht verstand,

sondern sich übersetzen lassen mußte (die italienischen hatte ich den Auftrag zu übersetzen) er beantwortete die wenig­

sten, ließ die wichtigsten durch Herrn Diak. Wasjanski beantworten, und zuletzt wurde fast auf keinen mehr ge-

rücksichtigt.

Eben so gieugs mit denen Gelehrten, die ihm

Exemplare ihrer Schriften zuschickten, dedicirten.

oder

ihre Bücher

Fast die Hälfte seiner Bibliothek,* besteht aus

dergleichen schon gebundenen Büchern; aber zulezt werden die mehresten vergeblich auf eine Antwort oder einen Dank

dafür gehostet haben.

Er hatte dafür keinen Sinn mehr.

Inzwischen war er nicht immer so ernsthaft und gespannt,

sondern auch erheiternd und vergnügend. Wie oft enrouragierte er seine Gäste zum Esten und Trinken, und wünschte nur,

daß es ihnen eben so gut schmecken möchte, als ihm!

Wie

oft brach er selbst von einem ernsthaften Gespräche ab, und

fragte von neuem: Was giebt es denn sonst gut's Neues?

Bisweilen forderte er so gar, daß man ihn unterhalten solle,

und meynte, „so lange er gekonnt habe, sey eS ihm an­ gelegenes Geschäft gewesen, andere zu unterhalten, nun aber

wünsche er, daß er von andern unterhalten würde."

Um nun zur Unterhaltung alles beyzutragen, was ihm möglich war, reritirte er oft Gedichte, die er aus früheren

Zeiten behalten hatte. Dazu brauchte er einen angenehmen

Ton, der ihm allein wohl am besten stand: und dabey ward feine Wange röther, sein Auge feuriger, er selbst froher gestimmt, und seine Gäste mit ihm.

Und das alles

mit der größten Besonnenheit!** * Sie war gar nicht stark.

Denn er schaffte sich nicht leicht Bücher selbst

an, sondern ließ sie sich roh aus dem Buchladen geben, las sie, und schickte sie wieder zurück.

** Am öftersten hörte

man ihn

ein Hochzeit-Gedicht von

einem Dichter

Rich au recitiren, in welchem, ganz unerwartet, der Ehestand als Wehestand

beschrieben, und der Cölibat auf das lebhafteste empfohlen wurde; nur in der

lezten Zeile wendete sich die Sache plötzlich.

Die Strophen

„Ich selbsten, mit Erlaub zu sagen. Ich selbsten habe keine Frau." und die lezte — „doch exclpe dies würd'ge Paar" sprach er mit besonderer

®ra