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German Pages 120 [121] Year 2020
Frank Kell
Demokratie und Sozialismus und Freiheit
Diese Arbeit wurde an der Universität Mannheim als Masterarbeit eingereicht und mit der Höchstnote bewertet. Auf Empfehlung von Frau Prof. Dr. Julia Angster und Frau Prof. Dr. Angela Borgstedt wurde die Arbeit in das Programm von wbg Young Academic aufgenommen.
„Herrn Kells Masterarbeit trägt dazu bei, die Enttäuschung eines nicht geringen Teils der DDR-Gesellschaft – und gerade der demokratischen Opposition im Land – über den 1990 eingeschlagenen Weg in die parlamentarische Demokratie zu erklären.“ Julia Angster
"Frank Kells Masterarbeit ist konzeptionell innovativ, in der Argumentation überzeugend und sprachlich exzellent." Angela Borgstedt
Frank Kell
Demokratie und Sozialismus und Freiheit Die DDR-Bürgerrechtsbewegung und die Revolution von 1989/90 überarbeitete Fassung der Masterarbeit, Universität Mannheim, 22. Januar 2018
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar
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Inhalt 1. Einleitung ....................................................................................................... 7 2. Perspektiven auf 1989/90 ........................................................................... 15 3. Die DDR-Bürgerrechtsbewegung ............................................................. 29 3. 1. Formierung der Bürgerrechtsbewegung in den 1980er Jahren .................................................................................. 29 3. 2. Die „zivile Gesellschaft“ und das „authentische Leben“........... 40 3. 3. Die Bürgerrechtsbewegung und „das Volk“ .............................. 61 4. Herbst 1989 und die Entfaltung der „zivilen Gesellschaft“ ................... 66 5. Winter 1989/90 und der Zentrale Runde Tisch ...................................... 79 5. 1. Demokratische Legitimation – aber wie? ................................... 86 5. 2. Eine neue Verfassung „für unser Land“ ..................................... 94 6. Resümee...................................................................................................... 103 7. Quellen- und Literaturverzeichnis ......................................................... 106 7. 1. Quellen und Quellensammlungen............................................. 106 7. 2. Literatur ......................................................................................... 111
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1. Einleitung „Ein Leiter eines Gemüseladens placierte im Schaufenster zwischen Zwiebeln und Möhren das Spruchband ‚Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‘ – Warum hat er das getan? Was wollte er damit der Welt mitteilen? Ist er wirklich persönlich so für die Idee der Vereinigung der Proletarier aller Länder begeistert? Geht seine Begeisterung so weit, daß er das unwiderstehliche Bedürfnis hatte, die Öffentlichkeit mit seinem Ideal bekannt zu machen? Hat er wirklich irgendwann – und wenn auch nur einen Moment – darüber nachgedacht, wie sich so eine Vereinigung verwirklichen sollte und was sie bedeuten würde?“1
Diese Alltagserscheinung problematisierte der tschechische Dramatiker, Dissident und spätere Staatspräsident Václav Havel in seinem zehn Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings veröffentlichten Essay „Die Macht der Ohnmächtigen“. Der Text sollte zu einem zentralen Dokument nicht nur der Charta 77 in der ČSSR, sondern der gesamten ostmitteleuropäischen Regimekritik, einschließlich derjenigen in der DDR, werden.2 Havels Gemüsehändler hatte sich freilich keine Gedanken über
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Václav Havel: Moc Bezmocných („Die Macht der Ohnmächtigen“), o. V. 1978, zit. nach d. Übers. v. Gabriel Laub: Versuch, in der Wahrheit zu leben, Reinbek 1989, S. 14. Die Schreibweise in den Quellen wurde beibehalten. Hervorhebungen, Kleinschreibungen u. Ä. wurden in ihrer ursprünglichen Darstellungsweise belassen. Grammatische Anpassungen von Zitaten wurden durch eckige Klammern sichtbar gemacht. Vgl. Timothy Garton Ash: Ein Jahrhundert wird abgewählt. Aus den Zentren Mitteleuropas 1980-1990, München 1990; Ulrike Poppe: „Der Weg ist das Ziel“. Zum Selbstverständnis und der politischen Rolle oppositioneller Gruppen der achtziger Jahre, in: Ulrike Poppe/Rainer Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk (Hg.): Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S. 244-272, hier S. 257-259.
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die Folgen einer Vereinigung der Proletarier aller Länder gemacht, als er das Spruchband in sein Geschäft hing. Ihm ging es auch gar nicht um den proletarischen Internationalismus oder den Klassenkampf, sondern um eine Botschaft an die in seinem Laden ein- und ausgehenden Käufer, Passanten, Lieferanten und Parteimitglieder, ein solidarischer Teil ihrer Gesellschaft zu sein. Havel wollte damit auf die Manipulation des Individuums, auf das Verbiegen und Mitmachen im Alltag, den Konformitätsdruck und die Machtstrukturen, letztlich auf eine „Selbstvergewaltigung der Gesellschaft“3 in seiner Zeit aufmerksam machen. „Die vorhandenen Strukturen, die immer wieder übernommenen prinzipiellen Strukturen lassen Erneuerung nicht zu. Deshalb müssen sie zerstört werden. Neue Strukturen müssen wir entwickeln, für einen demokratischen Sozialismus.“4
Mit diesen Worten wandte sich der damals 25-jährige Schauspieler Jan Josef Liefers an die Demonstrierenden auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 und brachte damit den Grundkonsens einer nonkonformen bis oppositionellen Strömung zum Ausdruck, die sich, vereint in der „Absage an das System der Lüge und Manipulation“,5 für eine demokratische Umgestaltung des Sozialismus in der DDR einsetzte. Wie die Charta 77 in der ČSSR, so hatten sich auch in der DDR „freie, informelle und offene Gemeinschaft[en]“6 gegründet, die nun, im Herbst 1989, die Chance gekommen sahen, im Zusammenspiel mit prominenten Künstlern und Intellektuellen die Staatsmacht zum „Dialog“ über Reformen herauszufordern und damit „die vorhandenen Strukturen“ zu brechen. Diese Arbeit erzählt die Geschichte der DDR-Bürgerrechtsbewegung und versteht diese als eine politisch-ideologische Formation, die sich im Laufe der 1980er 3
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Václav Havel: „Dauernde Vergewaltigung der Gesellschaft“, in: Der Spiegel 1980/3, S. 126-130, hier S. 130. Jan Josef Liefers: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Dokumentation 4. November 1989 Berlin/ Alexanderplatz, URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/ lief.html, Stand: 18.01.2018. Poppe: Selbstverständnis, S. 258. Erklärung der Charta 77, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Januar 1977.
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Jahre unter einem gemeinsamen Denk- und Handlungszusammenhang formierte und aus diesem Dispositiv heraus die Inhalte und Praktiken der Revolution von 1989/90 in der DDR entscheidend prägte.7 Dabei fragt sie nach den gemeinsamen Problemdeutungen und Erwartungshorizonten ihrer Akteure sowie jenen Denktraditionen und Erfahrungszusammenhängen, die es vermochten, die innere Diversität dieser sozialen Bewegung zu überspannen und auf eine gemeinsame gesellschaftliche Zielvorstellung hin auszurichten. Damit hat diese Arbeit ihren Ausgangspunkt auf der Ebene der Ideen- und Ordnungsvorstellungen, verbindet diese mit den sozialen Praktiken und Kontexten oppositioneller Lebensformen und revolutionär empfundener Situationen,8 um damit das politisch-ideelle Konglomerat und seine Gestaltungskraft während des inneren Zerfalls des SED-Regimes zu erfassen. Darin zeigt sich, dass bedeutende Protagonisten der Revolution auf eine staatlich eigenständige, reformsozialistisch-zivilgesellschaftlich geprägte Entwicklung der DDR orientiert waren, welche sich gleichermaßen als Absage an die Diktatur der SED und an den liberal consensus des „Westens“ verstand und damit an die konsumkritischen und postmaterialistischen „Abschiede“ von demselben in den westlichen Industriestaaten seit den späten 1960er Jahren anknüpfte.9 Die DDRBürgerrechtsbewegung formulierte aus ihren spezifischen Umständen im Einparteienstaat eine verflochten-eigene Idee – die Idee von der „zivilen Gesellschaft“ –, die ihr gleichermaßen zur politischen Zielvision und Handlungsstrategie werden sollte.10
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Vgl. Eckart Conze/Katharina Gajdukowa/Sigrid Koch-Baumgarten: „1989“ – Systemkrise, Machtverfall des SED-Staates und das Aufbegehren der Zivilgesellschaft als demokratische Revolution, in: dies. (Hg.): Die demokratische Revolution 1989 in der DDR, Köln 2009, S. 7-24. Vgl. Alexander von Plato u.a.: Opposition als Lebensform. Dissidenz in der DDR, der ČSSR und in Polen, Berlin 2013. Vgl. Hubertus Knabe: Neue soziale Bewegungen im Sozialismus. Zur Genesis alternativer politischer Orientierung in der DDR, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1988/40, S. 511-569; Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 85-97. Vgl. Christiane Olivio: Creating a Democratic Civil Society in Eastern Germany. The Case of the Citizen Movements and Alliance 90, New York 2001; Winfried Thaa: Die Wiedergeburt des Politischen. Zivilgesellschaft und Legitimitätskonflikt in den Revolutionen von 1989, Opladen 1996, S. 158-163.
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Den engeren Untersuchungszeitraum der Arbeit bilden jene Monate zwischen Spätsommer 1989 und Frühjahr 1990, die den inneren Zerfall des SED-Regimes und das Ende der DDR besiegelten. Im Zentrum steht also die gemeinhin als Friedliche Revolution bezeichnete Epoche, welche die oppositionellen Gruppierungen und Parteien der Bürgerrechtsbewegung zuerst in die Legalität, dann an den Runden Tisch und schließlich in das seit zwei Generationen erste frei gewählte Parlament in Ostdeutschland führte. Die Arbeit nimmt aber auch die Formierungsphase der Bürgerrechtsbewegung seit Mitte der 1980er Jahre in den Blick und streckt den zeitlichen Horizont mitunter noch weiter in die Vergangenheit, um die Traditionsbestände des Denkens und Handelns ihrer Akteure sichtbar zu machen. Dabei sieht die Arbeit die Akteure der DDRBürgerrechtsbewegung und deren Ideen- und Ordnungsvorstellungen in eine transnationale Konstellation eingebettet, welche nach Ost und West ausgriff und die sowohl durch Ideentransfers und Übersetzungsprozesse, durch personellen Austausch und organisatorische Kooperationen als auch durch adaptierende und ablehnend-abgrenzende Wahrnehmungen geprägt war.11 In diesem Sinne soll die Entwicklung regimekritischen Denkens und Handelns im letzten Jahrzehnt der DDR in ihren über den nationalstaatlichen Rahmen hinausweisenden Abgrenzungs- und Verflechtungstendenzen sichtbar gemacht werden.12 Zudem reicht die Bedeutung des hier behandelten Themas über den engen Zeitraum der späten 1980er Jahre nach vorne hinaus, weshalb sich die Arbeit auch als eine „Problemgeschichte der Gegenwart“13
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Vgl. Michael Werner/Bénédicte Zimmermann: Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 2002/28, S. 607-636. Vgl. mit Blick auf Deutschland: Frank Bösch: Geteilte Geschichte. Plädoyer für eine deutsch-deutsche Perspektive auf die jüngere Zeitgeschichte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2015/12, S. 98-114; Frank Möller/Ulrich Mählert (Hg.): Abgrenzung und Verflechtung. Das geteilte Deutschland in der zeithistorischen Debatte, Berlin 2008; Arnd Bauerkämper: Verflechtung in der Abgrenzung. Ein Paradox als Perspektive der historischen DDR-Forschung, in: Ulrich Mählert (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 71-78. Hans Günter Hockerts: Rezension von: Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, in: sehepunkte 2009/9 (Nr. 5), URL: http://www.sehepunkte.de/2009/05/15019.html, Stand: 12.01.2019.
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versteht, die den zentralen Referenzpunkt des Transformationsprozesses und Beginn eines neuen Epochenzusammenhangs im regionalen Kontext Ostdeutschlands politisch-ideologisch absteckt.14 Inwiefern – so die virulente Frage am Horizont des hier behandelten Themas – kann die heute in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung verbreitete Skepsis gegenüber der liberalen Demokratie westlicher Prägung auf spezifisch ostdeutsche Staats- und Gesellschaftsvorstellungen zurückgeführt werden, die in der Revolution von 1989/90 als Erwartungshaltungen an den Wandel formuliert, im Transformationsprozess aber delegitimiert wurden? Um den politisch-ideellen Kern der Bürgerrechtsbewegung, den sie zusammenhaltenden Denk- und Handlungszusammenhang herauszustreichen, soll vor allem das Demokratieverständnis ihrer herausragenden Akteure, also die Konzeptualisierungen des Politischen auf „Entscheider-Ebene“ untersucht werden. Auch wenn sich die Bürgerrechtsbewegung in weiten Teilen als basisdemokratisch und hierarchiefeindlich verstand, erlaubt die exponierte Stellung einiger ihrer wichtigsten Protagonisten eine akteurszentrierte Sichtweise. Gleichwohl kann somit keine vollständige, alle regionalen Verzweigungen und ideellen Gegenläufigkeiten einschließende Geschichte erzählt werden. In der Ausgestaltung des Demokratiebegriffs – so die Annahme – kondensierten Vorstellungen von Staat und Gesellschaft sowie Bilder vom Menschen. Was für eine Vorstellung von demokratischer Willensbildung und politischen Kultur entwickelten die Akteure und auf welche gesellschaftliche Reichweite waren ihre Konzepte angelegt? Von welchen Ideen und Ordnungsvorstellungen grenzten sich die Akteure ab, auf welche bezogen sie sich positiv? Wie wirkten ihre Erfahrungen im Staatssozialismus auf ihre Konstruktion des Politischen und was für eine Idee von Sozialismus konnte dann überhaupt noch positiv vertreten werden? Inwiefern prägten ihre Ideen von Demokratie die Protestpraktiken und Inhalte des Herbstes 1989 und wie wirkten diese Erfahrungen zurück auf ihr Bild von Demokratie und Gesellschaft? Welche gesellschaftlichen Veränderungen verknüpften sie mit ihrem demokratietheoretischen Programm und warum glaubten sie in der Stärkung plebiszitärer 14
Vgl. Thomas Großbölting/Christoph Lorke: Vereinigungsgesellschaft. Deutschland seit 1990, in: dies. (Hg.): Deutschland seit 1990. Wege in die Vereinigungsgesellschaft, Stuttgart 2017, S. 9-30; Dierk Hoffmann/Michael Schwartz/Hermann Wentker: Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Mählert: DDR, S. 23-70, insb. S. 59-64.
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Elemente ein adäquates Mittel zur Überwindung der Diktatur und Etablierung einer Gesellschaft, die „Demokratie und Sozialismus und Freiheit“15 zusammenführt, zu sehen? Indem mit der DDR-Bürgerrechtsbewegung die Formierung und Geschichte einer politisch-ideologische Formation in ihrer konkreten Zeit- und Kontextgebundenheit untersucht wird, erbringt die Arbeit sowohl einen Beitrag zur Geschichte von Widerstand und Opposition in DDR und zur Geschichte der Revolution von 1989/90 als auch zur europäischen Politik- und Ideengeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts. 16 In ihrem Ansatz konzentriert sie sich auf Wahrnehmungen und Deutungen der Akteure und fragt gezielt nach deren Bedeutungen für die politisch-soziale Praxis. Damit bewegt sich diese Untersuchung im Bereich der Neuen Ideengeschichte, welche „die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen sozialen Situationen, materiellen Bedingungen und lebensweltlichen Konstellationen einerseits sowie Ordnungsvorstellungen, Diskursen und Denkgebäuden andererseits“ herauszuarbeiten sucht. 17 Methodisch interessiert sich dieser Ansatz folgerichtig für die Begriffssprache, für die Argumente, Topoi und Metaphern der Akteure, die als Träger ihrer Ideen, aber auch in ihrer integrativen und mobilisierenden Funktion, also in ihrer strategischen Verwendung durch die Akteure, betrachtet werden. Diese Herangehensweise an das Thema sowie die Eingrenzung des zeitlichen Rahmens auf die Jahre 1989 und 1990 bestimmen auch die Quellenauswahl. Programmatische Schriften, Artikel, Erklärungen, Appelle, Flugblätter und Reden der oppositionellen Gruppierungen und Parteien stehen deshalb an erster Stelle. Hinzu kommen literarische Texte, die die Diskurse der Bürgerrechtsbewegung in fiktiven Szenarien verhandelten und auch Sitzungsprotokolle, Beschlüsse und Entwürfe des Zentralen Runden Tisches, der im Winter 1989/90 zum wichtigsten Ort des bürgerrechtsbewegten Diskurses avancieren sollte. Schließlich spielen zeitgenössische und retrospektive Selbstreflexionen der
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In diesem Dreiklang bei Wolf Biermann: Wer war Krenz?, in: die tageszeitung vom 18. November 1989. Vgl. Jost Dülffer: Zeitgeschichte in Europa – oder europäische Zeitgeschichte?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2005/1-2, S. 18-26. Programmatisch bei Silke Mende: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der Gründungsgrünen, München 2011, S. 14-21, hier S. 15f.
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Akteure eine wichtige Rolle und weil hier die Grenze zur geschichtswissenschaftlichen Forschungsliteratur häufig eine durchlässige war und ist, werden in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit ausführliche Passagen mit Bemerkungen zum Forschungsstand stehen. Der erste Teil der Arbeit (Kapitel 3) verfolgt einen akteurszentrierten Ansatz und versucht die Formierung der DDR-Bürgerrechtsbewegung als die Herausbildung eines gemeinsamen Denk- und Handlungszusammenhangs zu konzeptualisieren, der es erlaubt, die verschiedenen „Wege in die Opposition“18 als eine zusammenhängende und gleichzeitig nach außen abgrenzbare soziale Bewegung zu begreifen. Nachdem im ersten Teil das politisch-ideologische Konglomerat herauspräpariert wurde, verfolgt der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4 und 5) dessen Bedeutung für die soziale Wirklichkeit in der Revolution von 1989/90. Dabei orientiert sich dieser zweite Teil an der gängigen Einteilung des Ereigniskomplexes in zwei Phasen mit je verschiedenen, teilweise gegenläufigen Inhalten und Entwicklungen. Kapitel 4 konzentriert sich auf den Herbst 1989 und damit auf eine Zeit, in der die Massenproteste gegen das SED-Regime und die Forderungen nach demokratischer Mitsprache und Reformierung des Staates im Vordergrund standen. Insbesondere wird hier die Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz vom 4. November 1989 und deren Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung in den Blick genommen. Kapitel 5 beschäftigt sich dann mit dem darauffolgenden Zeitabschnitt bis etwa zur Konstituierung der Volkskammer nach der Wahl im März 1990 – einem Zeitraum, in dem die Frage der Vereinigung der beiden deutschen Staaten vordergründig war. Die gewandelten Bedingungen beeinflussten auch die Debatten des Zentralen Runden Tisches. Zunächst aber soll es um dominante und teils gegeneinanderstehende Deutungen der Ereignisse von 1989/90 gehen, die in ihrer jeweiligen Genese bereits in der Revolution selbst angelegt waren und die bis heute das erinnerungskulturelle, aber auch geschichtswissenschaftliche Bild von 1989/90 prägen.
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Vgl. Martin Gutzeit: Der Weg in die Opposition. Über das Selbstverständnis und die Rolle der „Opposition“ im Herbst 1989 in der ehemaligen DDR, in: Walter Euchner (Hg.): Politische Opposition in Deutschland und im internationalen Vergleich, Göttingen 1993, S. 84-114.
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Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner im Januar 2018 an der Universität Mannheim eingereichten Masterarbeit. Für das produktive Lernumfeld sowie die kritischen und stets konstruktiven Hinweise möchte ich dem gesamten Team des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte von Prof. Dr. Julia Angster am Historischen Institut der Universität Mannheim herzlich danken.
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2. Perspektiven auf 1989/90 30 Jahre danach hat sich in den Auseinandersetzungen mit den Ereignissen von 1989/90 in der DDR das Wortpaar „friedliche Revolution“ bzw. der Eigenname Friedliche Revolution als gültiger Begriff vorerst durchgesetzt.19 Obwohl der Revolutionsbegriff bis heute unter den damals beteiligten Akteuren der Bürgerrechtsbewegung stärker noch als unter den Historikern umstritten ist,20 konnte dieser sich mit seinem auf Gewaltlosigkeit abhebenden Adjektivzusatz im öffentlichen Sprachgebrauch etablieren. Die Charakterisierung der Ereignisse als „friedliche Revolution“ geht wohl auf den damals Regierenden Bürgermeister West-Berlins, Walter Momper, zurück, der in seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus am Tag nach dem Mauerfall „die Bürgerinnen und Bürger der DDR zu ihrer friedlichen und demokratischen Revolution“ beglückwünschte. Nachdem auf den Protestveranstaltungen des Herbstes 1989 viel von der „friedlichen Revolution“ geredet worden war und sich der Resonanzrahmen des Begriffs in ost- und westdeutschen Medien erheblich ausgeweitet hatte, nahmen auch führende bundesdeutsche Politiker wie Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Kohl die Wendung Mompers in ihren umjubelten Ansprachen auf und etablierten damit die Identität eines gewaltlosen und revolutionären Umbruchs. 21 Nachfolgend bezeichnete selbst DDR-Ministerpräsident Hans 19
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Bernd Lindner: Die demokratische Revolution in der DDR 1989/90, 5. Aufl., Bonn 2010, S. 175 meint, dass der Begriff Friedliche Revolution spätestens seit dem 20-jährigen Mauerfalljubiläum im Jahr 2009 allgemeingültige Verwendung gefunden hat. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Philipp Ther: 1989 – eine verhandelte Revolution, in: DocupediaZeitgeschichte, 11.02.2010, URL: http://docupedia.de/zg/1989, Stand: 19.01.2018. Vgl. Konrad H. Jarausch: Der Umbruch 1989/90, in: Martin Sabrow (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, Munchen 2009, S. 526-535, hier S. 532f. Vgl. dazu und für die entsprechenden Zitate: Bernd Lindner: Begriffsgeschichte der Friedlichen Revolution. Eine Spurensuche, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2014/2426, S. 33-39.
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Modrow das „zu Ende gehende Jahr 1989“ in seiner Neujahrsansprache „als das Jahr der friedlichen Revolution“ und auch das erste frei gewählte Parlament der DDR stellte im April 1990 in einer ersten Erklärung fest: „Die Bevölkerung der DDR hat durch ihre friedliche Revolution im Herbst 1989 die trennende Wirkung der menschenverachtenden innerdeutschen Grenze beseitigt.“22 Die Verankerung eines von den politischen Akteuren der Zeit geprägten Revolutionsbegriffs mit dem Adjektiv „friedlich“ als charakterisierendes Auszeichnungsmerkmal im historisch-politischen Sprachgebrauch der Gegenwart ist insofern historisch vereinfachend, als vom SED-Regime noch bis zum Tag des erzwungenen Nichthandelns auf der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 Gewalt in Form von „Zuführungen“, Prügeleien und Drangsalierungen gegen Teilnehmer der von staatlicher Seite zunächst als „Konterrevolution“ kategorisierten Proteste ausging.23 Auch nach diesem „Tag der Entscheidung“,24 der die „Kapitulation der Staatsmacht“25 einläutete, war die Furcht der Demonstrierenden vor Gewalt und Repression nicht plötzlich verflogen, sondern bis in den Winter hinein handlungsleitend präsent. 26 Obwohl das Wortpaar „friedliche
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Hans Modrow: Neujahrsansprache 1990, zit. nach: Lindner: Revolution, S. 148; Gemeinsame Erklärung aller Fraktionen der Volkskammer vom 12. April 1990, zit. nach: Helmut Herles/Ewald Rose (Hg.): Vom Runden Tisch zum Parlament, Bonn 1990, S. 393-396, hier S. 395. Vgl. etwa der Leserbrief eines Kampfgruppenkommandeurs in der Leipziger Volkszeitung vom 6. Oktober 1989 oder die Maßgaben der SED-Bezirksleitung Leipzig, beide abgedruckt in: Lindner, Revolution, S. 176; außerdem dazu Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, 2. Aufl., Bonn 2000, S. 851-853. Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, 3. Neuausg., München 2015, S. 403-406. Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009, S. 85-89. Dass die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation noch bis in den Dezember hinein durchaus real war, zeigt beispielsweise der „Aufruf zum Handeln“ des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera „gegen die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser haßerfüllten Machenschaften“ vom 9. Dezember 1989, abgedruckt in: Uwe Thaysen: Der Runde Tisch oder: Wo blieb das Volk? Der Weg der DDR in die Demokratie, Opladen 1990, S. 60f.
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Revolution“ das Gewalthandeln des Regimes verdrängt und das über den 9. Oktober hinaus bestehende Drohpotential vernachlässigt, trifft das Adjektiv „friedlich“ andererseits bedeutende Aspekte der Entwicklung. Es hebt nicht nur auf das Abrücken der sowjetischen Staatsführung unter Michail Gorbatschow von der seit 1968 gültigen Breschnew-Doktrin als einer wichtigen Bedingung für das Ausbleiben einer „chinesischen Lösung“ in jenen in Bewegung geratenen Peripherien des Imperiums ab, sondern vor allem auf die Gewalt ächtenden Demonstrationsformen und die Protestparole „Keine Gewalt!“, die als Hoffnung, Selbstanspruch und Handlungsstrategie der Opposition im Herbst 1989 omnipräsent war.27 In einem von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren geförderten Selbstverständnis bundesdeutscher Erinnerungskultur wirkt die Friedliche Revolution heute als positiv besetzter Erinnerungsort der jüngsten deutschen und europäischen Zeitgeschichte. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert symbolisiert dieser Begriff den im Gewaltverzicht der Proteste liegenden Erfolg einer von unten herbeigeführten Revolution in Deutschland gegen Diktatur, für die liberale Demokratie und staatliche „Einheit in Freiheit“.28 Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ist das Schlüsselereignis, die Bilder des friedlich-emotionalen Grenzübertritts zahlreicher DDR-Bürger die übliche Visualisierung dieser Erzählung. Mompers Glückwunsch an die friedlichen Revolutionäre in der DDR war ja bereits unmittelbar auf die Ereignisse und Bilder dieses Datums bezogen und auch Kohl wandte sich in seinen Reden über die „friedliche Revolution“
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Vgl. Martin Sabrow (Hg.): 1989 und die Rolle der Gewalt, Göttingen 2012, S. 101-105. Deshalb sprachen nicht nur westdeutsche Politiker, sondern auch die oppositionellen Gruppierungen von einer „friedlichen Revolution“, wie etwa das Neue Forum: Erklärung vom 12. November 1989, zit. nach: die tageszeitung (Hg.): DDR Journal zur Novemberrevolution. August bis Dezember 1989, 2. Aufl., Berlin 1990, S. 132: „Bürgerinnen und Bürger der DDR! Eure spontanen furchtlosen Willensbekundungen im ganzen Land haben eine friedliche Revolution in Gang gesetzt […].“ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen, 2. Deutsche Geschichte vom Dritten Reich bis zur Wiedervereinigung, München 2000. Vgl. dazu auch die öffentliche Debatte um ein Einheitsdenkmal: Peter Carstens: Oder doch lieber ein Reiterstandbild mit Helmut Kohl?, in: zeitgeschichte-online.de, Oktober 2017, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/oder-doch-lieber-ein-reiterstandbildmit-helmut-kohl, Stand: 19.01.2018.
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stets an diejenigen Demonstrierenden, die seit dem Mauerfall und seiner ZehnPunkte-Initiative Ende November vermehrt dem politischen Programm einer staatlichen Vereinigung folgten. Die spätere Aufladung des Begriffs ist also bereits in seiner zeitgenössischen, politisch motivierten Verwendung als Wortpaar „friedliche Revolution“ angelegt. Eingebettet in die Meistererzählung eines „langen Weges nach Westen“ oder einer „geglückten Demokratie“,29 dient die Friedliche Revolution als historisches Schlüsselereignis und erzählerischer Fluchtpunkt der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. In der zeitlich längeren Perspektive enden mit ihr die deutschen Sonderwege;30 in der zeitlich kürzeren fungiert sie als Meilenstein der erfolgreichen politischen und kulturellen Westintegration Deutschlands nach 1945. Insofern irrt Andreas Rödder in seiner als „deutsche Revolution“ gedeuteten „Geschichte der Wiedervereinigung“, wenn er in dem Begriff der Friedlichen Revolution das Wirken „der Opposition bzw. der Bürgerbewegung […] als verursachende Kraft für das Ende des SED-Staates“ überbetont sieht.31 Vielmehr hat sich die Friedliche Revolution zu einem Integrationsbegriff im Pathos einer nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung entwickelt,32 der – zeitgenössische Zielvorstellungen marginalisierend – Akteure und Ereignisse der Jahre 1989/90 zu umschließen versucht und aufgrund seiner narrativen Reichweite gewiss normativ aufgeladen ist, aber nicht, wie Rödder meint, im Sinne der politischen Ideen der „Bürgerbewegung“, sondern im Geiste eines nationalen historischen Fortschritts hin zu einer freiheitlichen Demokratie westlicher Prägung in Deutschland.33
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Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2007. Vgl. Andreas Wirsching: Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., München 2005, S. 117-122. Rödder: Deutschland, S. 116f.; Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989, Berlin 2009. Vgl. etwa Ehrhart Neubert: Unsere Revolution, München 2008, S. 13: „Für die Deutschen ist sie schon deshalb etwas Einzigartiges, da es die erste Revolution war, die erfolgreich die Ideen von Freiheit und Nation miteinander verband.“ Vgl. dazu Martin Sabrow: Der vergessene „Dritte Weg“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2010/11, S. 6-13.
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In Deutungskonkurrenz zur Friedlichen Revolution steht der Begriff der Wende, der sich im alltäglichen Sprachgebrauch der meisten ostdeutschen Zeitgenossen bis in die Gegenwart hinein etablieren konnte. Die Wende geht in ihrer für die Ereignisse von 1989/90 ausschlaggebenden Bedeutung als gesellschaftlicher Reformbegriff auf Michail Gorbatschow, im deutschen Kontext auf den Dresdner Schriftsteller Volker Braun und schließlich auf eine Titelseite des Magazins Der Spiegel vom 16. Oktober 1989 zurück.34 SED-Generalsekretär Egon Krenz, der heute meist als Urheber des Begriffs gesehen wird, versuchte diesen zu einem Zeitpunkt machtkalkulierend zu besetzen, als der Partei nach der Abdankung Erich Honeckers im Oktober 1989 keine andere Option mehr blieb, als zumindest rhetorisch auf einen Kurs der „Umgestaltung“ einzuschwenken. Heute betont die Wende weniger das Wie und Wofür der Demonstrationen im Herbst 1989, als vielmehr die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der staatlichen Vereinigung in den 90er Jahren und die damit verbundene Erfahrung eines tiefgreifenden sozialen Wandels. Diese Feststellung ist umso erstaunlicher, als damit die Protagonisten der Friedlichen Revolution zur Beschreibung ihres Verständnisses von den Ereignissen der Jahre 1989/90 nicht etwa das positiv besetzte Angebot, mit eigener Kraft die SED-Diktatur überwunden und die Voraussetzungen für Demokratie und nationale Einheit geschaffen zu haben, bedienen, sondern stattdessen mehrheitlich die gesellschaftlichen Folgen des Zerfalls der DDR und der staatlichen Vereinigung, die Zeit der Transformation in den Mittelpunkt ihrer Erinnerung stellen. Gegen das Geschichtsbild der Friedlichen Revolution mit seiner Perspektivierung auf den von unten herbeidemonstrierten und von oben realisierten politischen Verfassungswandel, dient einer Mehrheit der Ostdeutschen die Wende heute als unmittelbar lebensweltlicher Erfahrungsbegriff, der die Jahre um 1989/90 als einen kollektivbiographischen Wendepunkt definiert. Dieser Wendepunkt trennt eine historische von einer bis in die Gegenwart reichende Lebenswelt in Ostdeutschland: das Erleben von relativer Eindeutigkeit und Stabilität
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Vgl. Lindner: Begriffsgeschichte, S. 37f. Auch in der sogenannten „Böhlener Plattform“, einem Aufruf „für eine Vereinigte Linke in der DDR“ vom 4. September 1989 taucht der Begriff bereits als Beschreibung der Dringlichkeit “linker alternativer Konzepte“ auf, abgedruckt in: Gerhard Rein (Hg.): Die Opposition in der DDR. Entwürfe für einen anderen Sozialismus, Berlin 1989, S. 105-111.
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in der spätsozialistischen Gesellschaft der „Konsensdiktatur“35 einerseits und die postsozialistische Erfahrung eines grundschürfenden Wandels der sozialen und kulturellen Verhältnisse andererseits. 36 Die erinnerungsmäßige Konzentration auf den Systemwechsel in den 90er Jahren schiebt den Topos der Friedlichen Revolution in den Hintergrund, auch weil die „lange Geschichte der ‚Wende‘“37 von vielen Ostdeutschen selbst im Rückblick nur schwer mit dem Adjektiv „friedlich“ assoziiert werden kann. Gleichzeitig erlaubt der im Vergleich zur Revolution schwächere Bewegungsbegriff der Wende, den Systemwechsel in der Erinnerung durchlässiger für kulturelle Kontinuitätslinien zu gestalten. Während der Revolutionsbegriff zur kritischen Auseinandersetzung und Abgrenzung mit der vorrevolutionären Vergangenheit auffordert, hilft der Begriff der Wende, die Frage der eigenen Rolle in der „heilen Welt der Diktatur“38 nicht in den Kategorien von persönlicher Verstrickung und Verantwortung zu verhandeln. Der Bruch mit der DDR fällt im Sprechen über die Wende weniger stark aus, wie diese überhaupt vieles Diktatorische und Repressive verschleiert. Enttäuschte, womöglich überzogene „Wende-Erwartungen“39 – mögen sie früher oder später auch erfüllt worden sein – speisen bis heute eine vor allem in Ostdeutschland identitätsstiftende Gerechtigkeitsdebatte. Wende und Friedliche Revolution zeigen aber nur die zwei deutungsmächtigsten Perspektiven auf die Ereignisse von 1989/90 an. Einen dritten Standpunkt nehmen zahlreiche Akteure der DDR-Bürgerrechtsbewegung ein. Sie sahen und
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Vgl. Martin Sabrow: Der Konkurs der Konsensdiktatur. Überlegungen zum inneren Zerfall der DDR aus kulturgeschichtlicher Perspektive, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR, Göttingen 1999, S. 83-116. Vgl. Rödder: Deutschland, Kap. VI. Vgl. die Projektskizze zum Forschungsprojekt „Die lange Geschichte der ‚Wende‘. Lebenswelt und Systemwechsel in Ostdeutschland vor, während und nach 1989“ am ZZF Potsdam, URL: http://zzf-potsdam.de/sites/default/files/lange_geschichte_der_wende_ 2017.pdf, Stand: 19.01.2018. Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Herrschaft und Alltag in der DDR 19711989, 3. Aufl., Berlin 2009. Richard Schröder: Deutschland schwierig Vaterland. Für eine neue politische Kultur, Freiburg i.B. 1993, S. 35-51.
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sehen bis heute ihr Denken und Handeln weder mit einem auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse zielenden Revolutionsbegriff noch mit der von den alten Machthabern korrumpierten und einer vermeintlichen vox populi nach dem Mund redenden Wende adäquat beschrieben. Christa Wolf stellte bereits in ihrer Demonstrationsrede am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz fest: „Mit dem Wort Wende habe ich meine Schwierigkeiten. Ich sehe da ein Segelboot, der Kapitän ruft: ‚Klar zur Wende!‘, weil der Wind sich gedreht hat und die Mannschaft duckt sich, wenn der Segelbaum über das Boot fegt.“40
Dieses Bild bemühte die Schriftstellerin gegen die personell erneuerte SED-Führung unter Egon Krenz, der noch im Juni die gewaltsame Niederschlagung des Studentenaufstandes in Peking begrüßt hatte und von dem die Opposition nun fürchtete, seine Ankündigung zur „Wende“ vom 18. Oktober sei der bloß verschleierte Auftakt zur Stabilisierung alter SED-Herrschaft durch neuerliche Disziplinierungsmaßnahmen gegen die gerade „mündiggewordenen Mitbürger“.41 Mit dem unbedingten Anspruch an das eigene Handeln demokratisch legitimiert zu sein und mit dem generell positiven Bezug auf einen „richtigen“ und „schöpferischen Sozialismus“,42 verstanden sich zahlreiche Akteure der Bürgerrechtsbewegung zunächst als Gesellschaftsreformer für eine „friedliche und demokratische Erneuerung“ 43 und weniger als machtstürzende, an einer Alternative zum Sozialismus
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Christa Wolf: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Dokumentation 4. November 1989 Berlin/Alexanderplatz, URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/ cwolf.html, Stand: 18.01.2018. Christoph Hein: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: ebd., URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/hein.html, Stand: 18.01.2018. Stefan Heym: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: ebd., URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/heym.html, Stand: 18.01.2018; Friedrich Schorlemmer: Träume und Alpträume, Berlin 1990, S. 49f. Demokratie Jetzt: Aufruf zur Einmischung in eigener Sache vom 12. September 1989, zit. nach: Rein: Opposition, S. 59-61.
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orientierte Revolutionäre mit eigenem Herrschaftsanspruch. 44 Ihre Vision eines demokratisierten Sozialismus in der DDR zielte „nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengedresch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit“45 auch auf eine „sozialistisch inspirierte Alternative zur Konsumgesellschaft in der Bundesrepublik.“46 Nahezu alle oppositionellen Gruppierungen, die seit September 1989 über verschiedene Wege in die Legalität gedrängt waren, legten in ihren Gründungsaufrufen ein mehr oder weniger klares Bekenntnis zur „Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“47 ab. Wenn es für diese Akteure rückblickend etwas wirklich Revolutionäres im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gegeben hat, dann liegt dieses nicht in der „nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung, die folgerichtig in das Ende der über vierzigjährigen Teilung Deutschlands mündete“, wie es die „erfolgsgeschichtliche Revolutionserzählung“ einer Friedlichen Revolution kolportiert,48 sondern in dem zeitlich vorgelagerten Engagement gegen die politischen und gesellschaftlichen Zustände in der DDR – ein Prozess, den sie als Überwindung von Sprachlosigkeit, als „Aufbruch einer ganzen Generation, einer ganzen Gesellschaft aus selbst mitverschuldeter innerer
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Überhaupt scheint der Revolutionsbegriff erst nach dem Mauerfall und mit der zunehmenden Durchsetzung des Vereinigungsdiskurses präsenter geworden zu sein. Auf den Transparenten des Herbstes dominierten jedenfalls die Reform- über die Revolutionsforderungen. Vgl. Lindner: Revolution, S. 178 und auch die Resolution der Rockmusiker, Liedermacher und Unterhaltungskünstler: „Wenn wir nichts unternehmen, arbeitet die Zeit gegen uns“ vom 18. September 1989, zit. nach: Rein: Opposition, S. 150f.: „Es geht nicht um Reformen, die den Sozialismus abschaffen, sondern um Reformen, die ihn weiterhin in diesem Lande möglich machen.“ Heym: Rede am 4. November 1989. Hubertus Knabe: Die deutsche Oktoberrevolution, in: ders. (Hg.): Aufbruch in eine andere DDR. Reformer und Oppositionelle zur Zukunft ihres Landes, Reinbek 1989, S. 9-20, hier S. 19. Vorläufige Grundsatzerklärung und Diskussionspapier des Demokratischen Aufbruch vom 30. Oktober 1989, zit. nach: Charles Schüddekopf (Hg): „Wir sind das Volk!“ Flugschriften, Aufrufe und Texte einer deutschen Revolution, Reinbek 1990, S. 163. Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 6.
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Unmündigkeit und Feigheit“49 sowie als Erlernen und Praktizieren des „aufrechten Gangs“ begriffen.50 Bärbel Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums, äußerte sich im April 1990 auf den Herbst des Vorjahres zurückblickend: „Dieses Land war anders. Da gab es immer die schweigende Masse. Das große Schweigen in diesem Land. Und ab September haben die Leute wirklich andere Augen gekriegt. Denen war egal, ob da noch jemand am Tisch saß, der von der Staatssicherheit war. Die haben geredet. Die haben sich zum erstenmal frei geredet. Und haben anders geguckt. Und waren sehr stolz auf ihren Mut. Und hatten auch Grund dazu, stolz zu sein. Weil sie irgendwas in sich überwunden haben, was sie jahrelang gehemmt hat. Von diesem ‚aufrechten Gang‘ ist jetzt schon so oft gesprochen worden, daß man es gar nicht mehr hören kann, aber es war eine Befreiung, eine innere Befreiung. Aber dann kam die Berührung mit dem bunten Laden Bundesrepublik. So einfach ist das. Ich sage das, weil ich festgestellt habe, daß sehr viele Dinge wirklich ganz einfach sind.“51
Die hier in den letzten Sätzen greifbare Enttäuschung über die programmatische Wende der Proteste von einem als „Selbstbefreiung“52 erfahrenen „Aufbruch“ der vormundschaftlichen Verhältnisse und von einem „Aufbruch“ in eine „deutsche demokratische Republik“ zu einer Orientierung auf das Wohlstandsversprechen
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So Jens Reich vom Neuen Forum in einem Interview mit Christel Degen: Politikvorstellung und Biografie. Die Bürgerbewegung Neues Forum auf der Suche nach der kommunikativen Demokratie, Opladen 2000, S. 112. Die Rede vom „aufrechten Gang“ ist ein häufig wiederkehrendes Bild in den Äußerungen der Akteure über ihr Erleben des Herbstes 1989, vgl. etwa Heym, Rede am 4. November 1989. Bärbel Bohley: An den Widerständen in diesem Land bin ich ICH geworden, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2010/10, S. 72-77, hier S. 73. Friedrich Schorlemmer: Worte öffnen Fäuste, München 1992, S. 295: „Wir schwebten noch im Traum einer Selbstbefreiung. Wir meinten, nun würde eine deutsche demokratische Republik möglich, eine revolutionäre Frucht des gemeinsamen aufrechten Gangs […].“ Die Kleinschreibung der Nation in der offiziellen Staatsbetitelung der DDR war ein gängiges Stilmittel der Akteure, um auf ihre allgemeine Ablehnung des Einparteienstaates, auch auf ihr Desinteresse an der nationalen Frage aufmerksam zu machen.
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des Verfassungs- und Wirtschafssystem im „Westen“, mündete in der Folge in eine „trotzige oder melancholische Gegenerinnerung ehemaliger Protagonisten“, die „resigniert mit dem Verlauf des Umsturzes von 1989/90 ins Gericht gehen“.53 Dieses Deutungsmuster lässt sich auch bei Konrad Weiß, einem Mitbegründer von Demokratie Jetzt, wiederfinden, der in seinen Worten – den Ausgang der Volkskammerwahl im März 1990 zugunsten der vereinigungsorientierten Allianz für Deutschland vor Augen – zugleich den Gesamtprozess der Entwicklung von 1989/90 tendenziell negativ beurteilt: „Auch die Revolution vom vergangenen Herbst ist mißglückt. Ich selbst gebrauche eigentlich das Wort ‚Revolution‘ in diesem Zusammenhang gar nicht, sondern ich sage ‚Umbruch‘. Es hat sich viel verändert. Wir haben es geschafft, das SED-Regime und den ganzen Mechanismus, der damit verquickt war, zumindest in Ansätzen aufzulösen. Diese Arbeit ist noch lange nicht beendet. Aber wir haben es wieder nicht geschafft, etwas wirklich Neues zu beginnen. Diese Chance ist vertan worden, und ich denke, daß daran nicht zuletzt der 9. November 1989 schuld ist. […] Ich denke, der Umbruch, die Revolution, wenn Sie so wollen, ist von den Warenbergen, die die darauf unvorbereiteten DDR-Bürger zu Gesicht bekommen haben, erdrückt worden.“54
In zahlreichen weiteren Wortmeldungen der Akteure, seien sie mit den unmittelbaren Ereignissen verflochten oder als näher an der Gegenwart liegende Erinnerungen oder Reflektionen formuliert, lässt sich diese zwiespältige oder gar negative Bewertung der Revolution bzw. ihres Ausgangs im Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik nachvollziehen.55 Wolfgang Templin, Gründungsmitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, schreibt in seinem 2010 veröffentlichten Essay über das „unselige Ende der DDR“:
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Sabrow: Dritte Weg, S. 6; Jarausch: Der Umbruch 1989/90. Konrad Weiß: Ich habe keinen Tag in diesem Land umsonst gelebt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1990/5, S. 555-558, hier S. 555. Vgl. exemplarisch und gesammelt: Bernd Gehrke/Wolfgang Rüddenklau (Hg.): …das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster 1999.
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„Im Bewusstsein, auf ihre Weise zum glücklichen Ausgang des kurzen 20. Jahrhunderts beigetragen zu haben, halten die meisten Beteiligten von 1989/90 an der Vorstellung von der Befreiungsrevolution fest – als Teil einer Kette von Befreiungsrevolutionen, in welcher für die DDR die Mauer fiel und für die Länder des Ostblocks der Eiserne Vorhang.“56
Die Formulierung „Befreiungsrevolution“ knüpft in ihrem Wortlaut und ihrer Symbolkraft unmittelbar an den Paradigmenwechsel des bundesdeutschen Umgangs mit der NS-Vergangenheit an, den 8. Mai 1945 nicht als Tag der militärischen Niederlage, sondern als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ zu erinnern, den Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit seiner vielbeachteten Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation einzuläuten begann. Wenn nun das Ende der Diktaturen von 1945 und 1989 durch Templin gleichermaßen mit „Befreiung“ assoziiert wird, spiegeln sich darin zugleich seine persönlichen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat des SED-Staates – er wurde Opfer von „Zersetzungsmaßnahmen“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), 1988 verhaftet und ausgebürgert – und der Einfluss totalitarismus-theoretischen Denkens in der Bürgerrechtsbewegung. Die DDR erscheint in dieser Deutung nicht nur als autoritäres Regime, sondern als totalitärer, Staat und Gesellschaft homogenisierender Ordnungsentwurf, der sich bloß in Farbe und Radikalität, nicht aber im Prinzip von der NS-Diktatur unterschieden habe.57 Für die Revolution von 1989/90 fallen Befreier und Befreite in der Perspektive einer „Befreiungsrevolution“ in eins. Die demonstrierenden Bürger der DDR hätten sich in einem Akt der „Selbstbefreiung“ den entfremdenden Implikationen und repressiven Strukturen der SED-Diktatur entledigt und damit „die Freiheit“, die die Freiheit von staatlicher Bevormundung und die Freiheit zum selbstbestimmten Leben
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Wolfgang Templin: Das unselige Ende der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2010/11, S. 3-5, hier S. 5. Jedenfalls stellt Poppe: Selbstverständnis fest, dass die Abhandlungen von Hannah Arendt, die Dystopien von George Orwell und die Tagebücher von Victor Klemperer unter den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung kursierten, auch wenn diese teilweise verboten waren. Vgl. auch: Eckhard Jesse: Die Totalitarismusforschung und ihre Repräsentanten. Konzeptionen von Carl J. Friedrich, Hannah Arendt, Eric Voegelin, Ernst Nolte und Karl Dietrich Bracher, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1998/B 20, S. 3-18, hier S. 4-9.
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meint, bereits gewonnen, als von nationaler Einheit noch gar keine Rede war. Der Mitbegründer von Demokratie Jetzt und Abgeordnete von Bündnis 90 in der frei gewählten Volkskammer, Wolfgang Ullmann, betonte in seiner Rede auf der Gründungsversammlung des „Kuratoriums für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“ im Juni 1990 diesen Sinnmoment der „Befreiung“, indem er die Bedeutung der Alexanderplatz-Demonstration vom 4. November 1989 für das politische und historische Selbstverständnis der Bürgerrechtsbewegung unterstreicht: „Man stellte die Frage, welches Datum ich für einen künftigen Nationalfeiertag aller Deutschen vorschlage. Zur Auswahl standen der 8. Mai, der 17. Juni und der 9. November. Für keines dieser drei Daten konnte ich mich so recht erwärmen. […] Am nächsten läge mir, den 4. November vorzuschlagen, weil an jenem Tage in Berlin die Volkskammer vom Volk der friedlichen und gewaltlosen Demokratie besetzt worden ist. […] Es könnte die Antizipation eines noch nicht festliegenden Nationalfeiertages sein, an dem wir die Inkraftsetzung einer neuen, von den Deutschen aller Länder beschlossenen Verfassung feiern.“58
Die von Ullmann hier vorgenommene Interpretation des 4. November als vor allem symbolische Inbesitznahme des Staates und seiner Repräsentationen durch die demonstrierenden Bürger der DDR59 beschreibt den Höhepunkt in der bei Bohley, Weiß und Templin greifbaren Erzählung der Revolution von 1989/90 als Akt gesellschaftlicher und individueller „Befreiung“.60 Bis heute ist für die Gesellschaftsreformer der DDR-Bürgerrechtsbewegung daher nicht der 9. November 1989 oder der 3. Oktober 1990 zentraler Bezugspunkt und Erinnerungsort, sondern jene Demonstration der „Kunst- und Theaterschaffenden“
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Wolfgang Ullmann: Für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, zit. nach: Thaysen: Der Runde Tisch, S. 213. So wurde beispielsweise das Emblem der Volkskammer am Palast der Republik mit der Losung „Demokratie Jetzt + Hier“ überklebt. Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 8: „Die Kundgebung blieb vielen Beteiligten als „das zentrale Erlebnis der Wendezeit“ im Gedächtnis, und der Schulterschluss zwischen Opposition, SED-Reformern und Bevölkerung ließ die Verwirklichung der alten Utopie des ‚Dritten Wegs‘ zum Greifen nahe erscheinen […].“
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Ostberlins.61 Dieses Datum steht in den Augen der Akteure wie kein anderes Ereignis der Revolution für den kurzzeitigen Rückhalt der Bürgerrechtsbewegung in der Bevölkerung und für ihr politische Selbstverständnis einer „zivilen Gesellschaft“ abseits von Staatssozialismus und Kapitalismus. 62 Der Wunsch Ullmanns nach einer gesamtdeutschen Verfassungsdiskussion entsprach dabei dem Versuch, das prozessorientierte Politik- und Demokratieverständnis der Bürgerrechtsbewegung in den seit dem Mauerfall einsetzenden und rasch an Bedeutung gewinnenden Wiedervereinigungsdiskurs einzubringen.63 Dass sich die Ereignisse überhaupt in diese Richtung entwickelten bzw. die Zielvisionen der Bürgerrechtsbewegung weder in der Verfassungsdiskussion der staatlichen Vereinigung noch im weiteren Verlauf des Vereinigungsprozesses breitere Gestaltungskraft erlangen konnten, ließ Akteure wie Konrad Weiß von einer „missglückten“, andere von einer „gezähmten“, „unvollendeten“ oder „abgebrochenen“, wiederum andere gar von einer „geklauten“ oder „abgetriebenen Revolution“ schreiben.64 „Wir konnten die Demokratie nicht selbst entwickeln, das Bonner Nilpferd hat die kleine Pflanze totgetreten“,65 lautete das Urteil Jens 61
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Die Emotionalität dieser Ereignisse fand auch ihren literarischen Niederschlag, vgl. etwa: Stefan Heym/Werner Heiduczek (Hg.): Die sanfte Revolution. Prosa, Lyrik, Protokolle, Erlebnisberichte, Reden, Leipzig 1990 und ziert im metaphorischen Sinne bis heute Buchdeckel, vgl. Peter Wensierski: Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution. Wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte, München 2017. Sabrow: Dritte Weg, S. 6 bezeichnet mit „Drittem Weg“ die „Vision eines demokratischen Sozialismus zwischen Markt- und Planwirtschaft“ als Zielvorstellung der Bürgerrechtsbewegung. Diese Orientierung auf die Prozesshaftigkeit von politisch-gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auch im positiven Bezug auf eine „zivile Gesellschaft" ausdrückt und die Poppe: Selbstverständnis im Titel ihres Aufsatzes anspricht („Der Weg ist das Ziel. ") ist für die Zielvision der Bürgerrechtsbewegung m. E. wichtiger, als die stets vage Formulierung eines „Dritten Weges“ zwischen zwei scheinbar monolithischen Gesellschaftsformationen. Vgl. etwa die Übersicht bei Konrad H. Jarausch: Implosion oder Selbstbefreiung?, in: Dietrich Papenfuss/Wolfgang Schieder (Hg.): Deutsche Umbrüche im 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 543-565 oder die Aufzählung bei Karsten Timmer: Vom Aufbruch zum Umbruch. Die Bürgerbewegung in der DDR 1989, Göttingen 2000, S. 15. Zitat in: „Es gibt keine DDR mehr“, in: Der Spiegel 1990/12, S. 20-33, hier S. 30.
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Reichs, Koautor und Erstunterzeichner des im September 1989 veröffentlichten Gründungsaufrufs des Neuen Forums. Diese konkurrierenden Perspektiven auf die Revolution von 1989/90 zeigen an, dass der „demokratische Aufbruch“ in der DDR nicht einheitlich motiviert und nicht zielgerichtet auf die staatliche Vereinigung orientiert gewesen war, sondern von verschiedenen Akteursgruppen mit unterschiedlichen politisch-ideologischen und habituellen Dispositionen initiiert und getragen wurde. Die sich in Begriffen manifestierenden und in Deutungskonkurrenz zueinanderstehenden Sichtweisen auf die Ereignisse und Entwicklungen sind das Ergebnis unterschiedlicher, zum Teil widerstrebender oder konvergierender Problemdeutungen und Selbstverständnisse, Zielperspektiven und Handlungsstrategien, die während des Zusammenbruchs der SED-Diktatur im Herbst und Winter 1989/90 als historisch gewachsene oder spontan entstehende, sich verschränkende oder einander gegenüberstehende und sich abstoßende Konstellationen aufeinandertrafen. 66 Wende, Friedliche Revolution und „Befreiungsrevolution“ sind Begriffe bzw. begriffsähnliche Beschreibungen, die im unmittelbaren Kontext des Geschehens als reine Darstellungen, erste Reflektionen und politische Programmbegriffe entstanden und daher aufs Engste mit den Akteuren der Zeit, ihren Weltdeutungen, Interessen und Handlungsstrategien verbunden sind. Die Erinnerung an die Revolution von 1989/90 in Publizistik und öffentlichem Bewusstsein, die wie kein anderes Ereignis der jüngsten deutschen Zeitgeschichte bis heute in beachtlichem Ausmaße von direkt oder indirekt am Geschehen Beteiligten geprägt wird, aber auch die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex haben diese Quellenbegriffe zu konträren, normativ aufgeladenen Deutungskomplexen fort- und festgeschrieben. Es scheint, als sei bis heute keine adäquate Analysesprache gefunden, um die Geschehnisse von 1989/90 über die zeitgenössischen Selbstdeutungen hinaus zu beschreiben und zu analysieren.
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Detlef Pollack: Politischer Protest. Politisch alternative Gruppen in der DDR, Opladen 2000, S. 243-252 spricht von „interagierenden Handlungslinien“.
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3. Die DDR-Bürgerrechtsbewegung Dieser Befund macht es im Folgenden zunächst notwendig, Kategorien und Konzepte zu finden, die erstens über rein beschreibende Begriffe ohne analytischen Anspruch hinausweisen, die zweitens die zeitgenössischen Perspektiven, Denkweisen und Handlungsbedingungen der Akteure ernst nehmen, sie sich drittens aber nicht zu eigen machen oder sie im Gegenteil unter dem Druck des narrativen Rahmens marginalisieren bzw. zu „Werkzeugen des historischen Fortschritts“67 entmündigen. Ausgehend von diesen Prämissen gilt es ein Verständnis davon zu formulieren, wer und was mit Bürgerrechtsbewegung als eine politisch-ideologische Formation und als ein Kollektivakteur der Revolution von 1989/90 gemeint ist. Was für eine Idee von Demokratie, Gesellschaft und Staat verbarg sich hinter dem „wirklich Neuen“, das für Konrad Weiß nicht erreicht werden konnte oder hinter der „kleinen Pflanze“, die laut Jens Reich durch die Deutschlandpolitik des Bundeskanzlers totgetreten worden ist?
3. 1. Formierung der Bürgerrechtsbewegung in den 1980er Jahren Der Begriff Bürgerrechtsbewegung bezeichnet im Kontext der späten DDR eine heterogene, nicht einheitlich organisierte, aber untereinander vernetzte und personell verflochtene soziale Bewegung von oppositionellen Gruppen und dissident eingestellten Intellektuellen und Künstlern,68 die ihren kulturellen Nonkonformismus innerhalb der DDR-Gesellschaft und ihre politische Gegnerschaft zur Staats-
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Sabrow: Dritte Weg, S. 7. Angelehnt an die Definition von Joachim Raschke: Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1988, S. 77, wonach soziale Bewegungen als
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und Parteiführung im Laufe der 1980er Jahre auf eine fundamentale Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Verfasstheit der DDR gründeten. In der Folge setze sie sich für deren demokratische und bürgerrechtliche Reformierung ein. Die historischen Vorläufer dieser Bewegung waren zum einen die an den theologischen Seminaren und Konvikten der evangelischen Kirche arbeitenden Pfarrer, Pastoren, Vikare und Studenten sowie die politisch-alternativen Gruppierungen der DDRFriedensbewegung,69 die seit den späten 70er Jahren unter ihrem Dach und Einfluss entstehen konnten und sich in Wechselwirkungen mit den Neuen Sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik für sozialethische, globale und postmaterialistische Themen einsetzten.70 In diesen Zusammenhang gehören zweitens auch die kritischen Schriftsteller, Schauspieler, Liedermacher und Künstler einer alternativen Kulturszene, die auf eine zwischen Repression und Privilegierung taktierende SEDKulturpolitik nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahr 1976 zunächst mit desillusionierter Resignation reagierte, ihre Praxis kultureller Abweichung und politischen Widerspruchs aber nie ablegte, sondern vielmehr auf eine radikalere, gleichwohl erzwungen unpolitischere Distanz zum Regime ging.71 Außerdem spielten in diesem Kontext drittens auch die kleineren, meist im privaten oder geheimen debattierenden Intellektuellenzirkel im Umkreis der Akademien und Universitäten eine Rolle, denen „1968“ und ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ auch nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und in der Zeit relativer Systemstabilität als
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ein „durch kollektive Identität abgestütztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen und Organisationen“ verstanden werden können, „welche sozialen Wandel mittels öffentlicher Proteste herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen wollen.“ Vgl. Marc-Dietrich Ohse/Detlef Pollack: Dissidente Gruppen in der DDR (1949-1989), in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. 2008, S. 363-390, hier S. 378-380. Vgl. Hans-Joachim Veen/Ulrich Mählert/Peter März (Hg.): Wechselwirkungen OstWest. Dissidenz, Opposition und Zivilgesellschaft 1975-1989, Köln 2007; Kowalczuk: Endspiel, S. 249-254. Vgl. Wolle: heile Welt, S. 241-246; Günther Rüther: Die Unmächtigen. Schriftsteller und Intellektuelle seit 1945, Bonn 2016, S. 194-212; Wolfgang Engler: Die Ostdeutschen. Kunde von einem verlorenen Land, Berlin 1999; Kowalczuk: Endspiel, S. 144-156.
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historischer und theoretischer Bezugspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Realsozialismus diente.72 Allen Strömungen innerhalb der DDR-Bürgerrechtsbewegung gemein waren emanzipatorische Bestrebungen nach individueller Autonomie gegenüber dem kollektivistischen Gesellschaftsentwurf und absoluten Wahrheits- und Machtanspruch der SED sowie der Glaube an einen gesellschaftlichen Systemwandel von innen, der durch Bewusstseinsbildung und politische Aktivierung der Bürger herbeigeführt werden könne. Diese Bestrebungen wurden in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre durch die Demokratiebewegungen und Reformpolitiken in den „sozialistischen Bruderstaaten“ – allen voran Solidarność in Polen und Gorbatschows „neues Denken“ –73 als auch durch eine steigende Bereitschaft innerhalb der DDR-Bevölkerung, latente Unzufriedenheit mittels Verweigerungen im Alltag, Eingaben und Ausreiseanträgen sichtbar zu machen, befördert.74 Der Glaube an ein verbesserungsfähiges sozialistisches System blieb auf der anderen Seite angesichts gewaltsamer Niederschlagung und repressiver Eindämmung reformsozialistischer und demokratischer Bemühungen, beispielsweise durch die Ausrufung des Kriegsrechts in der Volksrepublik Polen 1981-83 oder durch die sogenannte „Normalisierung“75 in der ČSSR nach dem Prager Frühling 1968 getrübt.76 Nicht zuletzt hatten die meisten Akteure nach mehreren Jahren des Aktivismus, kritischen Schreibens und Debattierens die Erfahrung machen müssen, dass viele Themen in der DDR nicht sanktionsfrei artikuliert werden konnten, obwohl diese doch eigentlich im Einklang mit den Idealen eines sozialistischen „Friedensstaates“ stehen mussten. Als ihnen aber im Laufe der 80er Jahre eine allgemeine
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Vgl. Wolfgang Bialas: Ostdeutsche Intellektuelle und der gesellschaftliche Umbruch der DDR, in: Geschichte und Gesellschaft 2007/33, S. 289-308. Vgl. zum sogenannten „Gorbatschow-Faktor“ Garton Ash: Jahrhundert, S. 263. Zwischen 1980 und 1989 stieg die Zahl der Ausreiseanträge beständig von 21.500 auf 160.000 an und die öffentlichen Reaktionen auf das offizielle Verbot der Zeitschrift „Sputnik“ im Herbst 1988 verdeutlichten, dass die Bindungskräfte des Regimes in einem Maße schwanden, als es den Bogen der Bevormundung zu überspannen drohte, vgl. Kowalczuk: Endspiel, S. 76-84, 189-195. Vgl. zum Eingabewesen: Siegfried Suckut: Volkes Stimmen „ehrlich, aber deutlich“ – Privatbriefe an die DDR-Regierung, München 2016. Vgl. Garton Ash: Jahrhundert, S. 60-71. Vgl. Helmut Fehr: Die Macht der Symbole. Osteuropäische Einwirkungen auf den revolutionären Umbruch in der DDR, in: Jarausch/Sabrow: Untergang, S. 213-238.
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Staats- und Gesellschaftskrise aufgrund wirtschaftlicher Krisenerscheinungen, demonstrativer Reformunwilligkeit in der SED-Führung und schwindender gesellschaftlicher Bindungskräfte immer offensichtlicher erschien, begannen sie die Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit des DDR-Sozialismus sowie die innergesellschaftlichen Voraussetzungen der Probleme in den Blick zu nehmen. Zahlreiche Akteure aus der oppositionellen Szene begannen nun, den seit dem KSZEProzess in Osteuropa keimenden Bürger- und Menschenrechtsgedanken durch die Wendung allgemein zivilisationskritischer Ansätze auf die gesellschaftlichen Zustände und DDR-internen Herrschaftsmechanismen zu politisieren. Durch erste Aktionen und Demonstrationen sollte der begrifflich ausgeweitete und vermehrt innenpolitisch gedachte „Frieden“ in eine breitere Öffentlichkeit getragen werden.77 Die Gründung der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) im Winter 1985/86 und des Arbeitskreises „Initiative für Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ im Mai 1987 waren dabei nur die bedeutendsten Ausdrücke dieser oppositionellen Neuorientierung. Folgen dieses Formierungsprozesses unterschiedlicher Oppositionsströmungen zur Bürgerrechtsbewegung waren die thematische Fokussierung der Kritik auf das SED-Regime bei sich gleichzeitig vollziehendender organisatorischen und strategischen Ausdifferenzierung sowie ansatzweisen überregionalen Vernetzung der einzelnen Akteure. Erst jetzt begann sich auch der Begriff „Opposition“ als Selbstbezeichnung innerhalb der politisch alternativen Szene durchzusetzen.78 Die Bereitschaft der Bürgerrechtsbewegung, der Staatsgewalt konfrontationsbereiter und mit provokativeren Aktionen gegenüberzutreten, führte gleichzeitig zu einem konfliktreicheren Verhältnis mit den evangelischen Kirchenleitungen, die sich nach wie vor auf einen ausgleichenden Dialog verstanden. Auf der politischen Gegenseite wurde zu repressiveren Überwachungs- und Unterdrückungsmaßnahmen gegriffen, welche wiederum dem Oppositionsanliegen generell eine größere Resonanz in der Bevölkerung einbrachten. Die Razzia des MfS in der Umwelt-Bibliothek im November 1987 oder die Verhaftungen und anschließenden Abschiebungen von Aktivisten im Zuge der staatsunabhängigen Proteste rund um den Luxemburg-Liebknecht-Gedenkmarsch im Januar 1988 zeigen an, dass
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Vgl. Pollack: Politischer Protest, S. 96-136; Kowalczuk: Endspiel, S. 237-240. Vgl. Poppe: Selbstverständnis, S. 249.
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sich oppositionelles Denken und Handeln zum Ende der 80er Jahre zu einer neuen Qualität verdichtet hatten.79 Dabei gab es im Gesellschaftsbild der SED und im verfassungsrechtlichen System der DDR keinen rechtlich gesicherten Ort, „keine objektive politische und soziale Grundlage“80 für eine politische Opposition. Vielmehr wurde „[j]ede Kritik staatlichen Handelns, jedes von der staatlichen Doktrin abweichende Denken“81 im offiziellen Sprachgebrauch als staatsfeindlich kategorisiert und entsprechend behandelt. Die aus dem Marxismus-Leninismus abgeleitete Machtstellung der Arbeiterklasse, ihre angenommene Interessenkonvergenz mit der Gesamtbevölkerung sowie die einer kommunistischen Kaderpartei zugeschriebene Avantgarderolle hatte sich als umfassender politischer und gesellschaftlicher Führungsanspruch der SED im ersten Artikel der Verfassung von 1968 niedergeschlagen.82 Obwohl damit einer politischen Opposition jede Daseinsberechtigung abgesprochen und Legalität entzogen war, gab es während der gesamten SED-Herrschaft vielfältige Formen kultureller Abweichung und widerständigen Verhaltens.83 Als Opposition in der DDR können daher „jene Gruppen oder Personen“ verstanden werden, „die sich außerhalb der Nationalen Front der DDR politisch organisierten, bezüglich ihres politischen Gesamtkonzepts oder mehrerer politischer Einzelfragen im Dissens mit der Staats- und Parteiführung
79 80 81
82
83
Vgl. Kowalczuk: Endspiel, S. 256-288. Kleines Politisches Wörterbuch, 7. Aufl., Berlin 1988, S. 707. Markus Meckel: Friedensarbeit im Widerspruch. Zur Friedensarbeit in der DDR, in: Ulrich Albrecht u.a. (Hg.): Stationierung – und was dann?, Berlin 1983, S. 62-79, hier S. 64. Vgl. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968, zit. nach: documentArchiv.de, URL: http://www.documentArchiv.de/ddr-/verfddr.html, Stand: 20.01.2018: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“ Vgl. Karl Wilhelm Fricke: Dimensionen von Opposition und Widerstand in der DDR, in: Klaus-Dietmar Henke/Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand und Opposition in der DDR, Köln 1999, S. 20-43; Ulrike Poppe/Rainer Eckert/Ilko-Sascha Kowalczuk: Opposition, Widerstand und widerständiges Verhalten in der DDR. Forschungsstand – Grundlinien – Probleme, in: Poppe/Eckert/Kowalczuk: Selbstbehauptung und Anpassung, S. 9-26, hier S. 16.
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standen und diesen Dissens auch öffentlich kundtaten.“84 Eine solche organisierte, mit dem Willen zur Breitenwirkung ausgestattete politische Opposition blieb auch in der Honecker-DDR ein weithin isoliertes Randphänomen, welches sich in der Ausprägung als Bürgerrechtsbewegung seit Mitte der 80er Jahre fast ausschließlich auf die Großstädte beschränkte und insgesamt „kaum mehr als zweitausend mutige Köpfe“85 umfasste. Hatten die verschiedenen Gruppen, Initiativen und Personen der DDR-Friedensbewegung oft erst über das Westfernsehen voneinander erfahren, bemühte sich die formierende Bürgerrechtsbewegung seit Mitte der 80er Jahre um einen engeren Kontakt untereinander, etwa über das seit 1983 jährlich stattfindende Seminar „Frieden konkret“, über die Gründung oppositioneller Anlaufpunkte und überregionaler Netzwerke, wie die Umwelt-Bibliothek (1986), den Arbeitskreis Solidarische Kirche (1986), die Kirche von Unten (1987) oder das Grün-ökologische Netzwerk Arche (1988). Dabei zeigte sich auch eine zunehmende Unabhängigkeit von den kirchlichen Einrichtungen, deren Entscheidungsträger und -gremien vor die Wahl gestellt waren, die Politisierung der Szene zu tolerieren oder zu unterstützen und dabei einen Standpunkt der stärkeren Abgrenzung zum Regime einzunehmen oder aber ihre relative Autonomie vor dem Zugriff des Staates zu verteidigen, indem zu kritische, das heißt grundsätzliche Themen veroder behindert wurden. Ein sich von Hand zu Hand ausbreitender Samisdat86 und der Aufbau eines Unterstützernetzwerks in der Bundesrepublik, das Zugang zu Technik, Material und Medien ermöglichte, erfüllten nun eine wichtige, substituierende Kommunikations- und Vermittlerfunktion. So sendete „Radio Glasnost“, eine Sendung des West-Berliner Radio 100 seit 1987 einmal im Monat in der DDR aufgenommene Audiobeiträge und Interviews aus der oppositionellen Szene. In der in West-Berlin erscheinenden tageszeitung erschien eine Ostberlin-Seite, die auch von Akteuren der DDR84
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Torsten Moritz: Gruppen der DDR-Opposition in Ost-Berlin – gestern und heute. Eine Analyse der Entwicklung ausgewählter Ost-Berliner Oppositionsgruppen vor und nach 1989, Berlin 2000, S. 23. Sabrow: Dritte Weg, S. 6; Pollack: Politischer Protest, S. 137-143 nennt weitere Zahlen und regionale Verteilungsstrukturen, die ein ähnliches Bild zeichnen: Opposition war ein Randphänomen, ein Phänomen der Großstädte und in einem Milieu angesiedelt, welches Personen mit höherqualifizierten Abschlüssen dominierten. Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk: Freiheit und Öffentlichkeit. Politischer Samisdat in der DDR 1985-1989, Berlin 2002.
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Bürgerrechtsbewegung bestückt wurde bzw. diese oder deren Themen behandelte. Im ARD-Magazin Kontraste liefen seit 1987 regelmäßig Beiträge über Alltag, Opposition, Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzungen in der DDR, die maßgeblich vom 1983 aus der DDR ausgebürgerten Bürgerrechtler Roland Jahn produziert wurden.87 Diese stärkere organisatorische und personelle Vernetzung untereinander kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der DDR-Bürgerrechtsbewegung insgesamt um ein „sehr differenziertes Geschehen“, um „Wildwuchs“88 und eine „oppositionelle Regenbogenkoalition“89 handelte. Ihren einprägsamsten Ausdruck fand die innere Differenzierung der Bürgerrechtsbewegung im Spätsommer 1989, als sich in Folge der Massenflucht und Staatskrise nicht eine oppositionelle Sammlungsvereinigung, sondern mehrere „Plattformen“ und Parteien mit eigenem Gründungsaufruf und Personal an die Öffentlichkeit wandten. Zu diesen Neu- und Wiedergründungen zählten das Neue Forum (NF) und Demokratie Jetzt (DJ), die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), der Demokratische Aufbruch (DA), die Vereinigte Linke (VL), Grüne Liga (GL) und Grüne Partei (GP) sowie der Unabhängige Frauenverband (UFV). Sie alle gingen aus den oppositionellen Strömungen der 1980er Jahre hervor, organisierten sich aber aufgrund persönlicher Animositäten und regionaler Konkurrenzverhältnisse, vor allem aufgrund divergierender Auffassungen über Maßnahmen und Wege oppositionellen Handelns in verschiedenen Konstellationen. So teilten im Rückblick auch längst nicht alle Akteure der Bürgerrechtsbewegung die zwiespältige Sichtweise Bärbel Bohleys, Konrad Weiß‘ oder Jens Reichs in Bezug auf die Revolution von 1989/90. Der Theologe und Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten in der ersten frei gewählten Volkskammer, Richard Schröder, votierte 1990 innerhalb seiner Partei vehement für eine Koalition mit den Vereinigungsbefürwortern der Allianz für Deutschland, einem von der CDU in der Bundesrepublik 87
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Vgl. Pollack: Politischer Protest, S. 102-104. Beispielsweise wurde der Dokumentarfilm „Bitteres aus Bitterfeld. Eine Bestandaufnahme“ des Grün-ökologischen Netzwerkes Arche über Umweltverschmutzungen in der von Chemiebetrieben geprägten Industrieregion Bitterfeld im Herbst 1988 im ARD-Magazin Kontraste ausgestrahlt. Markus Meckel: Aufbrüche, in: Markus Meckel/Martin Gutzeit (Hg.): Opposition in der DDR. Zehn Jahre kirchliche Friedensarbeit – kommentierte Quellentexte, Köln 1994, S. 25-78, hier S. 27f. Garton Ash: Jahrhundert, S. 271.
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unterstützten Wahlbündnis aus der ehemaligen Blockpartei CDU (Ost) und den neugegründeten Vereinigungen Demokratischer Aufbruch und Deutsche Soziale Union, einem im Januar 1990 initiierten ostdeutschen Ableger der CSU. Auch 25 Jahre später betonte Schröder die positiven Aspekte der deutschen Einheit und zeichnete damit ein ganz anderes, bundesrepublikanisches Geschichtsbild über die Revolution von 1989/90, als die enttäuschten Anhänger des Bündnis 90: „Die Bundesrepublik hatte mit dem Grundgesetz die beste Verfassung, die es je in Deutschland gab. […] Mir schwebte im Herbst 1989 keine eigenständige DDR vor. […] Dritte Wege als Ausweg oder Ausstieg aus einer Extremposition können gerechtfertigt sein. Zwischen zentraler Planwirtschaft und Marktwirtschaft gibt es aber kein dauerhaft stabiles Drittes. Und es gibt zwar Marktwirtschaften ohne Demokratie, aber keine Demokratien ohne Marktwirtschaft. […] Meine Position zur deutschen Einheit war 1990 dieselbe, die in der Koalitionsvereinbarung der Regierung de Maizière formuliert wurde: ‚so schnell wie nötig und so gut wie möglich‘. […] Zur Herbstrevolution und zur deutschen Vereinigung können wir sagen: Da ist uns einiges erstaunlich gut gelungen.“90
Obwohl diese und andere Deutungsmuster über die Revolution von 1989/90 einem verschiedenen und sich gewandelten Gegenwartskontext sowie einer veränderten Positionierung des Beobachters in der Welt unterworfen waren und sind, lassen sich an den widerstrebenden Reflektionen die inneren Konfliktlinien der DDR-Bürgerrechtsbewegung ablesen. Ihr innerer Grundkonflikt drehte sich um die Frage, wieviel Formalisierung und Zentralisierung oppositionellen Handelns in der DDR nötig ist, um die politische Arbeit effektiv gestalten zu können, ohne dabei das Ideal „des Informellen, des Unstrukturierten und des nicht geregelten Konsenses“,91 die selbstgewonnene Autonomie und Eigenständigkeit in höheraggregierten Ordnungseinheiten aufzugeben. Dieser Konflikt erklärt sich zum einen aus der Erfahrung mit Bevormundung, Reglementierung und bürokratischem 90
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Richard Schröder: „Eine verrückte Theorie von zwei Nationen auf deutschem Boden“, in: Eckhard Jesse/Thomas Schubert (Hg.): Friedliche Revolution und Demokratie. Perspektiven nach 25 Jahren, Berlin 2015, S. 29-41; ders.: Um das Erbe der Revolution betrogen?, in: Die Zeit vom 9. Dezember 1999. Pollack: Politischer Protest, S. 189.
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Formalismus im durchorganisierten SED-Staat, gegen den die Oppositionellen dezidiert politische Vielfalt und Spontaneität setzen wollten und zum anderen aus der praktischen Anforderung, ein gewisses Maß an Kontinuität und Übereinstimmung abzusichern, um als Kollektiv politisch handlungs- und konfliktfähig zu sein. Auf diese Herausforderung fanden die Akteure der Bürgerrechtsbewegung verschiedene Antworten, die sich im Selbstverständnis der ab September 1989 gegründeten oder voneinander abgespaltenen Vereinigungen, eher Partei mit festen Strukturen, Abstimmungsverfahren, Grundsatzprogramm, Herrschaftsanspruch und hierarchischer Funktionsteilung oder eher „Plattform“ mit fluktuierendem Zusammenhalt, basisdemokratischer Konsens- und idealerweise herrschaftsfreier Debattenkultur zu sein, widerspiegelten. Markus Meckel, Theologe und zusammen mit Martin Gutzeit Initiator der Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR, begründete die Position der SDP in dieser Grundsatzfrage wie folgt: „In diesen Gruppen versammelten sich Leute, denen die gesellschaftlichen Verhältnisse ein gemeinsames Problem darstellten und die etwas verändern wollten. Was dann aber geschehen sollte, was man positiv wollte, war offen und mußte in langen Gesprächsprozessen erst geklärt werden. Dieser Prozeß aber wiederholte sich immer wieder, da es keine festen Strukturen gab und vergangene Ergebnisse bei neuer fluktuierender Zusammensetzung immer wieder zur Disposition standen. […] Wir wollten nicht mehr nur Diskussionsforen sein mit der Hoffnung auf eine Minimalposition am Ende oder etwa dem guten Gefühl, die Meinung mal richtig gesagt zu haben, sondern eine klare und bestimmte politische Alternative schaffen. Dafür wurden langfristige Konzepte und Programme gebraucht, die zu entwickeln waren. […] Es war der Versuch, aus dem unbestimmten Allgemeinen oder dem je einzelnen von Forderungen herauszukommen zu der konkreten Bestimmtheit des Tuns, das die Pluralität unterschiedlicher Interessen und politischer Programme anerkannte und sogar herausforderte. Inhaltliche Positionen mußten in einem offenen Prozeß erstritten werden und, wenn sie dann beschlossen waren, eine gewisse Stabilität haben.“92
92
Meckel: Aufbrüche, S. 61f.
37
Indem sich die SDP dezidiert als politische Partei und in der Tradition der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung gründete, brachte sie ihre politische Frontstellung zur SED und deren Machtmonopol innerhalb der Bürgerrechtsbewegung am schärfsten zum Ausdruck.93 Das in Meckels Worten zu Tage tretende Politikverständnis ist deutlich stärker an die Idee liberaler Repräsentativdemokratien angelehnt („Pluralität unterschiedlicher Interessen und politischer Programme“), als jenes des Neuen Forums, der IFM und von Demokratie Jetzt, die sich erst im Vorfeld der Volkskammerwahl im März 1990 und unter heftigen internen Debatten zu dem parteiähnlichen Bündnis 90 zusammenschlossen. Neben der SDP und den sich in das bundesrepublikanische Parteiensystem emanzipierenden Blockparteien wollten sich auch die Grüne Partei (in Abspaltung von der Grünen Liga), der Demokratische Aufbruch (als stärker strukturierte Gruppe als das Neue Forum gegründet) und die Deutsche Forumpartei (in Abspaltung vom Neuen Forum) als Parteien verstanden wissen und damit dezidiert nicht als eine politische Vereinigung, deren Legalität und Legitimität vom Befinden einer anderen Partei abzuhängen habe.94 So wählten diese politischen Zusammenschlüsse einen anderen Weg der organisierten Kritik am realsozialistischen System als die „Plattformen“, welche ihre Konstituierung durch Antrag auf Zulassung nach Art. 29 der DDRVerfassung innerhalb des rechtlichen Rahmens zu vollstrecken suchten. Gerade diese stärker basisdemokratisch orientierten Gruppierungen waren es aber, welche die zivilgesellschaftlichen Deutungsmuster der Bürgerrechtsbewegung maßgeblich und das Wie und Wofür der Revolution entscheidend prägten, weshalb ihnen im Folgenden ein besonderes Interesse zukommen wird. Die institutionelle und gruppenmäßige Zerfaserung der Bürgerrechtsbewegung verlief aber nicht nur entlang unterschiedlicher Organisationsvorstellungen und -formen, sondern ist auch auf persönliche und mediale Abgrenzungstendenzen sowie auf die Unterwanderung der oppositionellen Szene durch die Staatssicherheit zurückzuführen, deren Agenten Konflikte in und zwischen den Gruppierungen bewusst schürten oder verschärften.95 Von diesen Punkten 93
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Vgl. Peter Gohle: Von der SDP-Gründung zur gesamtdeutschen SPD. Die Sozialdemokratie in der DDR und die Deutsche Einheit 1989/90, Bonn 2014, S. 69-82. Vgl. exemplarisch die Geschichte der Grünen Partei und der Grünen Liga: Wolfgang Kühnel/Carola Sallmon-Metzner: Grüne Partei und Grüne Liga, in: Helmut MüllerEnbergs/Marianne Schulz/Jan Wielgohs (Hg.): Von der Illegalität ins Parlament. Werdegang und Konzepte der neuen Bürgerbewegungen, 2. Aufl., Berlin 1992, S. 166-220. Vgl. Kowalczuk: Endspiel, S. 289-293.
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abgesehen, lag eine thematische und sachliche Ausdifferenzierung des Oppositionsspektrums aber auch im politischen Denken der Bürgerrechtsbewegung selbst begründet, die ja gerade nicht einheitlich und homogen agieren wollte. Was die Akteure der Bürgerrechtsbewegung bei aller gewollten und unbeabsichtigten Binnenpluralisierung dennoch verband, war die grundlegende Kritik an den realsozialistischen Verhältnissen und das Streben nach Reformen, der Wille nach gesellschaftlicher Veränderung und der Glaube an die Möglichkeit einer Demokratisierung der DDR. Obwohl dieser Reformwille und der Demokratieglaube bei vielen Akteuren auf einer theoretischen Revision des Sozialismus gründete, ist die DDRBürgerrechtsbewegung nicht als systemimmanente, sondern als antisystemische Opposition treffend charakterisiert.96 Allein ihre Existenz und ihre öffentliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen ließ sie – anders als die Reformströmungen innerhalb der SED – außerhalb des offiziellen Rahmens der DDR-Gesellschaft stehen. Aus dieser Prämisse ergaben sich nicht nur die gemeinsame Erfahrung der „Opposition als Lebensform“, sondern auch entscheidende Impulse für die gemeinsame Konstruktion des Politischen. Der Begriff „DDR-Bürgerrechtsbewegung“ bündelt die verschiedenen Ausprägungen, Strategien und Organisationsgrade von Opposition in der späten DDR unter einem gemeinsamen Denk- und Handlungszusammenhang. Dieser formte eine kollektive Identität, der im Grundthema „gemeinsame Ziele, Überzeugungen und Deutungen der gesellschaftlichen Verhältnisse“97 zugrunde lagen. Nur so war ihr ein einigermaßen zielgerichtetes und kollektives Handeln im Herbst und Winter 1989/90 überhaupt möglich. Nur so ist die Solidarisierung innerhalb der Opposition in Folge repressiver Aktionen des Regimes gegen einzelne Akteure oder Initiativen zu erklären. Und nur so kamen Aufforderungen zum gemeinsamen Oppositionshandeln, gemeinsame Erklärungen sowie Koordinierungsgespräche zustande.98 Dieses integrative Dispositiv wurde von den Akteuren im wechselseitigen
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Vgl. Rainer Eckert: Das Programm einer demokratischen Revolution. Debatten der DDROpposition in den „radix-blättern“ 1987-1989, in: Deutschland Archiv 1999/32, S. 773-779. Roland Roth/Dieter Rucht: Einleitung, in: Roth/Rucht: Die sozialen Bewegungen, S. 9-36, hier S. 23. Beispiele für gemeinsames Oppositionshandeln oder Aufforderungen dazu finden sich etwa in einem Aufruf der IFM vom 11. März 1989 und dann im Herbst 1989 vermehrt, etwa in den gemeinsamen Erklärungen vom 4. Oktober und 3. November oder in den
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Austausch und unter dem Eindruck transnationaler Ideenflüsse sowie sich wandelnder internationaler Rahmenbedingungen aus der gemeinsam erfahrenen Wirklichkeit des Staatssozialismus heraus entwickelt und auf den normativen Erwartungshorizont einer „zivilen Gesellschaft“ hin projiziert. Wie lässt sich nun das politisch-ideelle Konglomerat inhaltlich fassen, das den gemeinsamen Denk- und Handlungszusammenhang der Bürgerrechtsbewegung begründete?
3. 2. Die „zivile Gesellschaft“ und das „authentische Leben“ Das Individuum als sich seiner von den gegenwärtigen Verhältnissen beraubten Potentiale bewusster, mündiger und freier Bürger bildete den Ausgangs-, End- und zentralen Bezugspunkt im politischen Selbstverständnis der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Die sich selbst organisierende, dem Einfluss staatlicher Bevormundung entrissene Gesellschaft unabhängiger Menschen stellte für sie zugleich Zielvision und Subjekt emanzipatorischen Wandels dar. Nicht von ungefähr war der Begriff des „Bürgers“, in dem sich diese Vorstellungen bündelten, im Herbst und Winter 1989/90 in verschiedenen Kontexten und begrifflichen Komposita omnipräsent: Bürgerbüro, Bürgerkomitee, Bürgerwache, Bürgerdialog, Bürgerpflicht, Bürgerkontrolle, Bürgerinitiative oder eben: Bürgerbewegung.99 Die Bewegung des Bürgers zielte im Sinne der Bürgerrechtsbewegung auf die Selbstfindung des Menschen als Mensch, auf die Rückgewinnung dessen, wovon die Akteure glaubten, es sei seine ursprüngliche, menschlich-zivile Natur: „das authentische Leben“, in welchem sich das Individuum, geprägt durch das Ideal freier und selbstzweckhafter Tätigkeit, im solidarischen und verantwortungsbewussten Miteinander gleicher Bürger und im Einklang mit der Natur und dem Rest der Welt ein
99
wöchentlichen Treffen der Kontaktgruppe zur Vorbereitung des Runden Tisches. Vgl. Neubert: Opposition, S. 850-873. Der Begriff „Bürgerbewegung“ tauchte im Kontext von 1989/90 zuerst im Gründungsaufruf von Demokratie Jetzt auf, die sich als erste und einzige Gruppierung ausdrücklich als Bürgerbewegung bezeichnete. Vgl. Lindner: Begriffsgeschichte, S. 34.
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gerechtes Gemeinwesen in der öffentlichen und basisdemokratischen Auseinandersetzung selbst gestaltet und verwaltet. Von diesem Menschenbild eingenommen, nahmen die Akteure der DDR-Bürgerrechtsbewegung eine Vielzahl individueller und zwischenmenschlicher, nationalstaatlicher und globaler Probleme ihrer zeitgenössischen Wirklichkeit wahr. Der Psychoanalytiker Ludwig Drees schrieb 1988 in einem Artikel „Abgrenzung – die Mauer in den Köpfen“, der zunächst im Samisdat und wenig später in der tageszeitung erschien: „Unser Leben ist in der Einengung eintönig, privatisiert, dumpf und provinziell geworden […]. In den Fähigkeiten demokratischer Mitwirkung verkümmert und mit kleinbürgerlich verengtem ästhetisch-kulturellem Horizont haben wir unser Selbstgefühl klein und unmündig gelassen.“100
In dieser lebensweltlich-kulturorientierten Problemwahrnehmung, die ein Streben der Menschen in einer „durchherrschten Gesellschaft“101 nach dem „individuellem Glück im Winkel“102 konstatiert und die gesellschaftlichen Folgen des kollektiven Rückzugs aus der öffentlichen Sphäre und des kollektiven Abtretens politischer Verantwortung kritisiert, wird schon deutlich, dass die Opposition der späten 1980er Jahre ihre Kritik am politischen System aus einem anderen Blickwinkel heraus formulierte als die Reformkommunisten der 60er und 70er Jahre, die – wie Robert Havemann oder Rudolf Bahro – zwar das politische Problembewusstsein und positive Sozialismusverständnis der späteren Bürgerrechtsbewegung inspirierten, die aber in ihrer Analyse und Katego-
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Ludwig Drees: Abgrenzung – die Mauer in den Köpfen, in: die tageszeitung vom 16. August 1988. Jürgen Kocka: Eine durchherrschte Gesellschaft, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/ Hartmut Zwahr (Hg.): Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 547-553. Der Begriff der „durchherrschten Gesellschaft“ meint die nahezu vollumfängliche Prägekraft des Staates bis in alle Bereiche der Gesellschaft hinein. Günter Gaus charakterisierte mit dem Begriff „Nischengesellschaft“ eine alltagsgeschichtliche Beobachtung, wonach der Rückzug ins Private vielen DDR-Bürgern als Möglichkeit galt, sich der „Durchherrschung“ zu entziehen und sich Freiräume zu schaffen. Vgl. Günter Gaus: Wo Deutschland liegt. Eine Ortsbestimmung, Hamburg 1983.
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rienbildung noch stärker von einem materialistischen Geschichtsverständnis ausgegangen und auf einen "geistig-politischen Führungsanspruch der Kommunisten" ausgerichtet waren.103 In einem ethisch-moralischen Gestus der Wirklichkeitsdeutung und der Vision des „authentischen Lebens“ in einer „zivilen Gesellschaft“ scheinen deutlicher noch die Wurzeln der DDR-Bürgerrechtsbewegung in der Friedensbewegung der späten 70er und frühen 80er Jahre hervor, die eben nicht nur „unter dem Dach der Kirche“ agierte, sondern nicht unerheblich von deren protestantischer Ethik und Synodaldemokratie geprägt war.104 Hans-Jürgen Fischbeck, aktiv in verschiedenen kirchlichen Friedensgruppen und Synodale der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, brachte im April 1987 den Antrag „Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ 105 in die Synodalversammlung ein, in welchem er der DDR-Gesellschaft am Beispiel der eingeschränkten Reisefreiheit eine allgemeine „Isolationskrankheit“ attestierte: „[Da] ist vor allem ein falscher Minderwertigkeitskomplex […]; da ist eine Arme-Vetter-Mentalität, die uns fast schamlos die Hand aufhalten läßt gegenüber westlichen Besuchern und unser schon gemindertes Selbstbewußtsein weiter mindert; da sind falsche Sehnsüchte und Begehrlichkeiten nach der bunten Konsumwelt der grundsätzlich viel besseren Waren von drüben; da sind Resignation und Perspektivlosigkeit bei vielen jungen Menschen, die keine Aussicht auf ein selbstbestimmtes, schöpferisches Leben zu haben meinen; […]
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Vgl. Neubert: Opposition, S. 220-237; Alexander Amberger: Bahro – Harich – Havemann. Marxistische Systemkritik und politische Utopie in der DDR, Paderborn 2014. Vgl. Gerhard Rein: Die protestantische Revolution 1987-1990. Ein deutsches Lesebuch, Berlin 1990; Ehrhart Neubert: Protestantische Kultur und DDR-Revolution, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1991/B 19, S. 21-29. In Punkt IV des Antrages, zit. nach: Stephan Bickhardt (Hg.): Recht ströme wie Wasser. Christen in der DDR für Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung. Ein Arbeitsbuch aus der DDR, Berlin 1988, S. 17 heißt es: „Die Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung und das Einstehen für diese Forderungen können helfen, unser Leben aus verengten Perspektiven herauszuführen. Erst dann werden wir unsere Existenz nicht mehr als bevormundet und zweitrangig erfahren, sondern uns als freie und mündige Bürger betrachten.“
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da ist Verantwortungsscheu unter starkem Anpassungsdruck; da sind Stagnation der Kultur und Abwanderung von Künstlern und Literaten […].“106
Die „Einengung“ des Lebens und das Abgrenzungsprinzip,107 wie es Drees und Fischbeck diagnostizierten, standen in einer engen ideengeschichtlichen Verbindung zu der von Havel beschriebenen und hier eingangs zitierten Loyalitätsbekundung eines tschechischen Gemüsehändlers zu Partei, Staat und Sozialismus. Das Aufhängen eines Spruchbandes „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ im Schaufenster seines Gemüseladens steht dabei metaphorisch für die laut Havel unzähligen und tagtäglich vollzogenen Akte „ritueller Kommunikation“, die die Menschen in die „Eigenbewegung“ und „Autototalität“ des Systems einbeziehen würden.108 Dabei verberge der Gemüsehändler eher unbewusst „seinen ‚Existenzverfall‘, seine Verflachung und seine Anpassung an die gegebene Lage“ hinter einem ideologischen Schleier – „jene ‚alibistische‘ Brücke zwischen dem System und dem Menschen“, die er nach seinem Entschluss, das Spruchband aufzuhängen, betreten habe, obwohl er dem aufgedruckten Inhalt gleichgültig gegenübersteht und vielmehr die Proklamation seiner Zugehörigkeit aus Angst vor Ausgrenzung verfolgte. Der gesellschaftliche und politische Handlungs- und Konformitätsdruck auf den Einzelnen prägte die Wahrnehmung der Akteure von den sozialistischen Regimen als Staat und Individuum verschmelzende Totalitarismen. Die Auswirkungen dieser Verschmelzung auf den Menschen, sein Denken und Handeln standen im Mittelpunkt der oppositionellen Versuche, die Diktatur zu begreifen und Strategien zu ihrer Überwindung zu entwickeln.
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Hans-Jürgen Fischbeck: Gedanken zur Einbringung des Antrags in die Synode BerlinBrandenburg, zit. nach: ebd., S. 18-23, hier S. 21. Als Ursache für diese diagnostizierte Einengung benennt Fischbeck „die tief gestaffelte Abgrenzung im System des demokratischen Zentralismus zwischen den Macht- und Entscheidungsträgern einerseits, deren Bestreben, für das Wohl des Volkes handeln zu wollen, nicht bestritten werden soll, und der übrigen Bevölkerung andererseits, deren erste Bürgerpflicht es ist, ziemlich glücklich und zufrieden zu sein, und deren Recht es ist, sich in EingabenPetitionen an den Souverän zu wenden, wenn es daran hapert.“ Zit. nach: ebd., S. 19. Vgl. Havel: Wahrheit, S. 24.
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Havel konstruiert im weiteren Verlauf seines 1978 in deutscher Übersetzung erschienen Essays ein interpretatives Gegensatzpaar zwischen den „Intentionen des posttotalitären Systems“109 einerseits, welche den Menschen ein „Leben in der Lüge“ durch Uniformitätsdruck und Disziplinierung aufzwängen und den „Intentionen des Lebens“ andererseits, welche ihrem Wesen nach „zur Pluralität, zur Vielfarbigkeit“110 tendieren und damit einem „Leben in der Wahrheit“ entsprächen. Dagegen sei „das Leben in diesem System“, so Havel, „von einem Gewebe der Heuchelei und Lüge durchsetzt: Die Macht der Bürokratie wird Macht des Volkes genannt; im Namen der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse versklavt; die allumfassende Demütigung des Menschen wird für seine definitive Befreiung ausgegeben […]. Die Macht muß fälschen, weil sie in eigenen Lügen gefangen ist. Sie fälscht die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Sie fälscht statistische Daten. Sie täuscht vor, daß sie keinen allmächtigen und zu allem fähigen Polizeiapparat hat, sie täuscht vor, daß sie die Menschenrechte respektiert, sie täuscht vor, daß sie niemanden verfolgt, sie täuscht vor, daß sie keine Angst hat, sie täuscht vor, daß sie nichts vortäuscht.“111
Die Ursache für das Funktionieren des Systems sahen Havel und die Oppositionellen in der DDR in der praktischen Wirkmächtigkeit eines Ordnungsentwurfs, der „die ganze Gesellschaft durchdringt“ und der „von der ganzen Gesellschaft gemeinsam geschaffen wird“.112 Zwar leugnet Havel den Zwangscharakter des Systems nicht, tatsächlich müsse „der moderne Mensch“ aber „bestimmte Veranlagungen“ besitzen, „solch ein System zu schaffen oder zumindest zu ertragen.
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Havel begreift die staatssozialistischen Regime in Abgrenzung zu den „klassischen Diktaturen“ als „posttotalitäre Systeme“, die sich von jenen „in Hinsicht auf den Charakter der Macht“ tiefgreifend unterscheiden würden. Vgl. ebd., S. 10-13. Ebd., S. 16. Ebd., S. 17f. Vgl. dazu auch das Nachwort von Daniel Kehlmann in: George Orwell: 1984, 42. Aufl., Berlin 2017, S. 377-384. Havel: Wahrheit, S. 25.
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Es steckt in ihm offenbar irgend etwas, woran dieses System anknüpft, das es widerspiegelt und dem es entspricht; etwas, was jeden Auflehnungsversuch seines ‚besseren Ichs‘ paralysiert. […] Jeder Mensch hat selbstverständlich das Leben in seinen wesentlichen Intentionen in sich: Jeder hat eine gewisse Sehnsucht nach menschlicher Würde, moralischer Integrität, nach der freien Erfahrung des Seins, nach der Transzendenz der ‚Welt des Daseins‘. Jeder ist aber im größeren und kleineren Maße zugleich fähig, sich auf ein ‚Leben in Lüge‘ einzulassen, jeder verfällt auf gewisse Art der profanen Versachlichung und Zweckdienlichkeit, in jedem ist ein Stück Bereitschaft, sich in der anonymen Masse aufzulösen und mit ihr bequem im Fluß des Pseudolebens mitzuschwimmen.“113
Diese von Havel entfaltete Dichotomie zweier gegeneinander gerichteten Prinzipien von „Lüge“ und „Wahrheit“ fand – vielfach auf die politische und gesellschaftliche Situation in der DDR nachvollzogen und als „Praxis und Prinzip der Abgrenzung“ übersetzt – Eingang in die Denkwelt der sich formierenden DDRBürgerrechtsbewegung.114 So stellte Rolf Henrich, Rechtsanwalt und Delegierte des Neuen Forums am Zentralen Runden Tisch, in seiner im April 1989 in der Bundesrepublik erschienenen Studie „Der vormundschaftliche Staat“ fest: „Das Versagen des Staatssozialismus besteht aus der Sicht einer universalistischen Ethik nicht in seiner strukturell bedingten ökonomischen Unterlegenheit gegenüber den Gesellschaften des Westens, denn diese Unterlegenheit schließt ein besseres Leben in Wahrheit und Gerechtigkeit nicht aus; der Sozialismus scheitert bisher überall auf der Welt an der Morallosigkeit. […] Um die Verhältnisse aber gültig zu gestalten, muß der sozialistische Mensch vor allem der Tatsache gewahr werden, daß sein wahres Leiden letztendlich aus der Unerfülltheit seines menschlichen Wesens herrührt.“115
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Ebd. Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 69. Rolf Henrich: Der vormundschaftliche Staat. Vom Versagen des real existierenden Sozialismus, Reinbek 1989, S. 210, 264.
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Die politische Verfolgung und Unterdrückung durch die Staatssicherheit, die wirtschaftlichen Probleme, die Umweltverschmutzung, der Verfall der Innenstädte, der attestierte gesellschaftliche Stillstand, die steigende Fluchtbewegung in die Bundesrepublik, die außenpolitische Isolation der DDR – dies waren für die Bürgerrechtsbewegung einerseits Indikatoren, andererseits auslösende Momente und zugleich Folgen einer grundsätzlichen, nicht allein DDR-internen oder allein auf die Politik der SED-Führung zurückzuführenden Menschheitskrise in der „Moderne“. In ihrem Versuch das Wesen des Systems intellektuell zu durchdringen, zeigt sich der Einfluss und die theoretische Überlagerung zweier Diskurse der antiautoritären und undogmatischen Linken in West und Ost,116 die beide auf einen „demokratischen Sozialismus“ ausgerichtet waren. Einerseits konfrontierten staatskritische Dissidenten im Osten und marxistisch inspirierte Intellektuelle im Westen in einer revisionistisch-reformsozialistischen Diskussion die realsozialistischen Systeme seit Beginn des Kalten Krieges mit deren Gründungsabsichten und befragten diese auf die Gesellschaftsutopie einer freien Gesellschaft aus den marxschen Frühschriften hin. 117 Dieser Revisionismus ging andererseits einher mit einem entschieden zivilisations- und kulturkritischen Denkansatz. Dieser war den Auseinandersetzungen marxistischer Gesellschaftstheorie zwar seit jeher inhärent, wurde aber unter dem Einfluss der Kritischen Theorie, neomarxistischer Denker und Dissidenten seit den „Aufbrüchen“ der 1960er Jahre118 und im Westen insbesondere in der Zeit „nach dem Boom“ prägender Bestandteil der Neuen Linken und der Neuen Sozialen Bewegungen und diffundierte damit als handlungsleitende Idee in breitere Bevölkerungskreise.119 Für die Geschichte der DDR spielten diese Diskurse eine insofern wichtige Rolle, als sie das politische 116
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Vgl. exemplarisch Vladimir Klokočka/Rudi Dutschke: Demokratischer Sozialismus. Ein authentisches Modell, Hamburg 1969. Dies auch als Beispiel für theoretische Konvergenzen zwischen Ost und West. Die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte („Pariser Manuskripte“) aus dem Jahr 1844 wurden erst postum entdeckt, 1932 veröffentlicht und hatten eine bedeutende Wirkung auf das politische Denken der späteren Studentenbewegung. Vgl. Stefan Wolle: Der Traum von der Revolte. Die DDR 1968, Bonn 2008. Vgl. Wolfgang Fach: Das Modell Deutschland und seine Krise (1974-1989), in: Roth/ Rucht: Die sozialen Bewegungen, S. 93-108; Doering-Manteuffel/Raphael: Nach dem Boom; Mende: Geschichte der Gründungsgrünen.
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Selbstverständnis der Opposition formten und damit als Ausdruck ost-west-deutscher Verflechtung auf ideeller Ebene verstanden werden können. In der eklektischen Verbindung dieser beiden Denkstränge liegt ein Aspekt des positiven Sozialismuskonzepts der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die damit aber weniger einen utopischen Idealstaat oder auch nur ein zu verwirklichendes gesellschaftliches Gesamtkonzept bezeichnete, schon gar nicht den Politikentwurf des SED-Staatssozialismus einbezog, als vielmehr eine von sozial-ethischen Elementen geprägte „Metapher für eine sozial gerechte Ordnung“ meinte, die zudem anzeigte, dass „nicht einfach die Kopie des westlichen Systems angestrebt wurde.“ Zwar erkannten die Akteure an, dass die Demokratien im Westen anders als die Staatssozialismen im Osten grundlegende Freiheitsrechte gewähren würden, dennoch stünde dort der „Monopolanspruch der Parteien“ ähnlich dem Alleinvertretungsanspruch der kommunistischen Staatsparteien im Gegensatz zur politischen Basisaktivität und Selbstorganisation des Bürgers; würde dort der Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftsform die Grundlagen „authentischer zwischenmenschlicher Beziehungen“ nicht minder stark bedrohen und infrage stellen, als der „bürokratische Sozialismus“ im Osten.120 „Uns geht es nicht darum“, schrieb die IFM in einem Brief an Gorbatschow 1987, „bürgerliche Verhältnisse nach westlichem Muster zu übernehmen, sondern ein Gesellschaftssystem zu befördern, das die Einheit von Demokratie und Sozialismus ermöglicht.“121 Dieser Bezug auf einen „verbesserlichen Sozialismus“ findet sich in den Äußerungen der Akteure der DDR-Bürgerrechtsbewegung zahlreich und bis weit in die Revolution von 1989/ 90 hinein.122 Daher ist die These Karsten Timmers, die DDR-Opposition sei „nicht nur nicht-sozialistisch ausgerichtet“ gewesen, sondern sie habe „Ansätze“ verfolgt, 120
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Alle Zitate finden sich bei Poppe: Selbstverständnis, S. 270; vgl. auch Rainer Eckert: Sozialismusvorstellungen im Herbst 1989: Opposition und SED-interne Kritiker, in: Horch und Guck 1998/24 (3), S. 25-32. IFM: Brief an den Generalsekretär des ZK der KPdSU Michail Sergejewitsch Gorbatschow vom 27. Mai 1987, zit. nach: Poppe: Selbstverständnis, S. 269f. So etwa Volker Braun, Günter de Bruyn, Stefan Heym u.a. in Michael Naumann (Hg.): Die Geschichte ist offen … Schriftsteller aus der DDR über die Zukunftschancen ihres Landes, Hamburg 1990. Nahezu alle Beiträge in Knabe: Aufbruch argumentieren aus dieser Denke und für einen demokratischen Sozialismus.
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„die jeglicher Art von reformsozialistischen Überlegungen diametral entgegengesetzt waren“, ebenso zurückzuweisen, wie dessen Argumentation, positive Sozialismusbezüge in den Quellen seien ausschließlich „taktischer Verwendung“ und einer bloß vordergründigen „Betonung sozialistischer Loyalität“ geschuldet gewesen.123 Für die DDR-Bürgerrechtsbewegung hatte der Begriff „Sozialismus“ als Versprechen einer „solidarischen Gesellschaft“ durchaus weltanschauliche Bedeutung.124 Gleichwohl sie sich in ihrem politischen Selbstverständnis von den totalitären Herrschaftsstrukturen des SED-Regimes unterdrückt und verfolgt sah und bewusste oder unbewusste Selbstschutzmechanismen im Reden vom Sozialismus eine Rolle gespielt haben mögen, bleibt gegen die Interpretation Timmers festzuhalten, dass die zeitgenössische Problemanalyse und der zivilgesellschaftliche Gegenentwurf der Bürgerrechtsbewegung maßgeblich aus marxistischen und neomarxistischen Theorietraditionen heraus formuliert wurde. Die Kritik am Realsozialismus wurde „von links“ formuliert und bezog sich auf eine als universell konstruierte Ursprungsidee, von der geglaubt wurde, dass sie einst auch die herrschenden Parteien im Osten verpflichtet hatte, nun aber zu bloßer Propaganda und Grünungsmystik zerronnen sei.125 Oppositionelle Einstellungen entstanden in dieser Hinsicht also zugleich aus emanzipatorisch-sozialistischer Perspektive und gegen das Herrschaftssystem des SED-Regimes gerichtet. „Sozialismus“ bezog sich zudem auf die DDR als ein Land, welches den allermeisten Beteiligten über die Zeit ihres Lebens Mittelpunkt war oder im Exil Bezugspunkt blieb. Der positive Sozialismusbezug diente den Akteuren daher auch als Argument für den Erhalt dieser lebensweltlich bekannten, eigenständigen und damit reformierbaren, „kleinen“ DDR, von der man annahm, dass ihre staatliche Existenzgrundlage angesichts der deutschen Teilung und der relativen Stabilität und Prosperität der Bundesrepublik allein in der Entwicklung einer Alternative zum westlichliberalen Modell liegen würde. 123
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Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 71-75. Neuerdings auch bei Detlef Pollack: „Eine Eintrittskarte für Gesellschaftskritik“, in: Das Parlament vom 8. Januar 2018. Sonst wären die positiven Bezüge auf einen „demokratischen Sozialismus“ auch nach 1989/90 nicht zu erklären. Vgl. Markus Trömmer: Der verhaltene Gang in die deutsche Einheit. Das Verhältnis zwischen den Oppositionsgruppen und der (SED-)PDS im letzten Jahr der DDR, Frankfurt a.M. 2002, S. 112-118. Vgl. Henrich: Der vormundschaftliche Staat, S. 9-22.
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So ist das Konzept der „Entfremdung“, ein zentraler Bestandteil der Kritik in den Frühschriften Marx‘ an der Einschränkung der „freien Entwicklung des Individuums“ unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen, nicht nur in die Gesellschaftskritik der Kritischen Theorie und Neuen Linken im Westen eingeflossen, sondern auch in die intellektuellen Auseinandersetzungen der osteuropäischen Dissidenz mit den zeitgenössischen Staatssozialismen im speziellen und mit dem Schicksal des Menschen in „der modernen Welt“ im allgemeinen. Letztlich, so meinte Marx inmitten eines sich industrialisierenden Europas, würde dem Arbeiter in der warenmäßigen, arbeitsteilig-monotonen Massenproduktion die Erfüllung seines normativen Gattungscharakters als Mensch, „die bewußte Lebensthätigkeit“ und damit das authentische Verhältnis zum Menschen und zu sich selbst unmöglich gemacht werden.126 Marx‘ Vorstellungen einer „solidarischen Gesellschaft“, in der das Individuum frei von materieller Not und existenziellem Zwang – „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen!“ – seiner sozialen und schöpferischen Natur entsprechen kann, sind in seinem Gesamtwerk zwar nur fragmentarisch anzutreffen, am eindringlichsten jedoch in einer Passage der Pariser Manuskripte dargelegt: „Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, musst du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein; wenn du Einfluss auf andere Menschen ausüben willst, musst du ein wirklich anregend und fördernd auf andere Menschen wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen – und zu der Natur – muss eine bestimmte, dem Gegenstand deines Willens entsprechende Äußrung deines wirklichen individuellen Lebens sein.“127
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Vgl. Karl Marx: Arbeitslohn. Profit des Capitals. Grundrente [Die entfremdete Arbeit], in: Johannes Rohbeck/Peggy H. Breitenstein (Hg.): Karl Marx. Philosophische und ökonomische Schriften, Stuttgart 2008, S. 28-45. Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. 1844, zit. nach: MEW 40, S. 465-588, hier S. 567.
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Marx‘ Idee vom „wirklich individuellen Leben“ wurde in der Studentenbewegung und in den Neuen Sozialen Bewegungen der Bundesrepublik, ebenso in der ostmitteleuropäischen Dissidenz und speziell in der Bürgerrechtsbewegung der DDR den wahrgenommenen Krisenerscheinungen und Mängeln der zeitgenössischen Verhältnisse in den modernen Industriegesellschaften als Bewertungsmaßstab und positive Kontrastfolie gegenübergestellt.128 Die Zeitdiagnosen der Akteure gingen damit in ihren zentralen Bezugspunkten über die nationalstaatlichen Grenzen und den internationalen Blockzusammenhang hinaus, indem sie erstens ihren Kritikrahmen global aufzogen und indem sie zweitens Weltbezüge über universelle Kategorien, wie eben das von Marx eingeforderte „wirklich individuelle Leben“, herstellten. Gesellschafts- und Diktaturkritik gründeten dabei auf einem stets diffus bleibenden Konzept von „Moderne“, das als Chiffre für gesellschaftliche Prozesse verwendet wurde, die als außerhalb des unmittelbaren eigenen Einflussbereichs liegend, aber gleichzeitig als für die Lebenswelt des Individuums bedeutend angesehen wurden. In dem Maße wie die Ursache für die „Entfremdung“ des Menschen in globalen Entwicklungen gesehen wurde, glaubten die Akteure die Lösung in möglichst kleinen, nach außen abgrenzbaren und damit kontrollierbaren Strukturen zu finden, in denen der einzelne Mensch sein schöpferisches und gestalterisches Potential wieder verwirklichen könne.129 Die DDR-Bürgerrechtsbewegung kann demnach als Bestandteil einer transnationalen und blockübergreifenden Konstellation verstanden werden, deren Akteure – als
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Vgl. Hans-Ulrich Thamer: Sozialismus als Gegenmodell. Theoretische Radikalisierung und Ritualisierung einer Oppositionsbewegung, in: Matthias Frese/Julia Paulus/Karl Teppe (Hg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2003, S. 741-758; Pavel A. Richter: Die Außerparlamentarische Opposition in der Bundesrepublik Deutschland 1966 bis 1968, in: Ingrid GilcherHoltey (Hg.): 1968 – vom Ereignis zum Mythos, Frankfurt a.M. 2008, S. 47-74. Vgl. Havel: Wahrheit, S. 87: „Es können und müssen offene, dynamische und kleine Strukturen sein; über eine gewisse Grenze hinaus können solche ‚menschlichen Bindungen‘ wie persönliches Vertrauen und persönliche Verantwortung nicht mehr funktionieren.“ Dieser theoretische Ansatz findet sich als politisches Aktionsprogramm umgesetzt in: Demokratie Jetzt: Flugblatt „Was können wir tun?“ vom 30. September 1989, URL: http://www.ddr89.de/dj/DJ_Zeitung_1.html, Stand: 20.01.2018.
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Träger einer von Ulrich Beck zeitgenössisch konstatierten „reflexiven Modernisierung“ – gesellschaftliche Entwicklungen benannten, die sie als globale Phänomene und von den negativen Auswirkungen der „Moderne“ durchzogen sahen und die sie überwinden wollten.130 Dabei interpretierten sie die staatssozialistischen Regime als eine spezifische Ausprägung dieser „Moderne“, deren Gegenwart und gesellschaftlichen Implikationen ihnen als Symptome einer globalen Krisenzeit erschienen. „Das posttotalitäre System“, so Havel, „ist nur ein Gesicht der allgemeinen Unfähigkeit des modernen Menschen, ‚Herr seiner eigenen Situation‘ zu sein. […] Die planetare Krise der menschlichen Situation durchdringt freilich die westliche Welt genauso wie die unsere, nur dass sie dort andere gesellschaftliche und politische Formen annimmt. […] Es sieht nicht so aus, als ob die traditionellen parlamentarischen Demokratien ein Rezept zu bieten hätten, wie man sich grundsätzlich der ‚Eigenbewegung‘ der technischen Zivilisation, der Industrie- und Konsumgesellschaft widersetzen könnte. Auch sie befinden sich im Schlepptau und sind ihr gegenüber ratlos. Nur ist die Art, wie sie den Menschen manipulieren, unendlich feiner und raffinierter als die brutale Art des posttotalitären Systems.“131
Für die DDR-Bürgerrechtsbewegung bildete die Bundesrepublik die präsenteste Erscheinungsform westlich-liberaler Demokratie und Marktwirtschaft und damit den zentralen Referenzpunkt ihrer Kritik an der „Industrie- und Konsumgesellschaft“. Dass diese Bundesrepublik nach dem Fall der Berliner Mauer drohte, für
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Vgl. Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986; Die Kategorie Becks scheint für die Akteure der DDR-Bürgerrechtsbewegung angemessener, da sie der Kritik an der These von Hubertus Knabe: Neue soziale Bewegungen entgeht, Annahmen der „westlichen“ Bewegungsforschung ließen sich nicht auf die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR anwenden. Vgl. dazu Karl-Werner Brand: „Neue soziale Bewegungen“ auch in der DDR? Zur Erklärungskraft eines Konzeptes, in: Detlef Pollack/Dieter Rink (Hg.): Zwischen Verweigerung und Opposition. Politischer Protest in der DDR 1970-1989, Frankfurt a.M. 1997, S. 235-251. Havel: Wahrheit, S. 84f.
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die DDR-Bevölkerung nicht mehr nur Sehnsuchtsort zu sein, erkannten die führenden Köpfe des Neuen Forums rasch. In einem Aufruf vom 12. November 1989 hieß es: „Bürgerinnen und Bürger der DDR! Eure spontanen und furchtlosen Willensbekundungen im ganzen Land haben eine friedliche Revolution in Gang gesetzt, haben das Politbüro gestürzt und die Mauer durchbrochen. Lasst euch nicht von den Forderungen nach einem politischen Neuaufbau der Gesellschaft ablenken! […] [L]asst euch jetzt keine Sanierungskonzepte aufdrängen, die uns zum Hinterhof und zur Billiglohnquelle des Westens machen! […] Ihr seid die Helden einer politischen Revolution, lasst euch jetzt nicht ruhigstellen durch Reisen und schuldenerhöhende Konsumspritzen!“132
Die in der DDR-Bürgerrechtsbewegung identitätsstiftende und konsensbildende Leitidee des „demokratischen Sozialismus“ bedeutete den Akteuren dabei nicht so sehr einen „dritten Weg“ zwischen Markt- und Planwirtschaft, eine Melange der Vorzüge beider Systementwürfe und -welten,133 sondern eine grundlegende politisch-kulturelle und lebensweltliche Alternative außerhalb der etablierten Wirtschafts-, Gesellschafts- und Staatsformen in Ost und West. „Demokratie und Sozialismus und Freiheit“ in einem allumfassenden Sinne zusammenzubringen, hieß für die Akteure zunächst, eine sich durch ihren Prozess und Vollzugscharakter auszeichnende demokratische Selbstorganisation aller privaten und öffentlichen Lebensbereiche zu befördern. Das Konzept der „zivilen Gesellschaft“ entzieht sich einer eindeutigen Zuordnung in die staats- und gesellschaftspolitischen Ismen des 20. Jahrhunderts allein dadurch, dass ihre Anhänger bis auf vage Vorstellungen räte- oder basisdemokratischer Verfahren keine bestimmte institutionelle, politikwissenschaftlich klar zu benennende Staatsform anstrebten; ihr Entwurf des Politischen vielmehr auf eine überpolitische Sphäre zielte, die sich in
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Aufruf des Neuen Forums „Die Mauer ist gefallen“ vom 12. November 1989, zit. nach: die tageszeitung: DDR Journal, S. 132. Vgl. dagegen Alexander Gallus/Eckhard Jesse: Was sind Dritte Wege? Eine vergleichende Bestandsaufnahme, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2001/B 16-17, S. 6-15, hier S. 11.
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dem Begriff der Zivilität ausdrückte und die auf die Wiedererlangung von „Authentizität“ in den sozialen Beziehungen zielte. „Zivile Gesellschaft“ meinte demnach zweierlei: zivile Umgangsformen im Sinne von Toleranz, Verständigung und Gewaltfreiheit einerseits und ein utopisches Gesellschaftskonzept andererseits. Bei Havel, der hier aufgrund seiner herausgehobenen Bedeutung für die DDR-Bürgerrechtsbewegung erneut zitiert sei, bedeutete „[d]ie Perspektive der ‚existentiellen Revolution‘“ in ihren Konsequenzen: „die Perspektive einer sittlichen Rekonstitution der Gesellschaft, das heißt der radikalen Erneuerung der authentischen Beziehungen des Menschen zu dem, was ich ‚menschliche Ordnung‘ nannte (und was durch keine politische Ordnung ersetzt werden kann).“134
Die „menschliche Ordnung“, gleichbedeutend mit einem Zustand „inneren Friedens“ in einer Gesellschaft bedeutete – in politische Programmsprache übersetzt – die radikale Demokratisierung der bestehenden Verhältnisse in der DDR. Dieses Ziel sah die Bürgerrechtsbewegung aber nicht nur und nicht in erster Linie durch die Herstellung einer staatsförmigen demokratischen Ordnung erreicht, sondern vielmehr durch die schrittweise Diffusion der „Demokratie als Lebensform“135 in die Gesellschaft. Ins Zentrum ihrer politischen Arbeit stellte die Bürgerrechtsbewegung daher die gesellschaftliche Bewusstseinsbildung hin zur Etablierung einer bestimmten Art sozialen Verhaltens, welches im kollektiven Lebensentwurf des oppositionellen Milieus bereits vorweggenommen schien. Aus diesen Überlegungen ergaben sich die Protestformen der Mahnwache, des Friedensgebets, der Fastenaktionen oder der Menschenkette, die Gewaltlosigkeit und offenen Austausch praktizieren und die dahinterstehende Idee gleichsam verbreiten sollten.136 Dass dieser als „Selbstentfaltung der Bürger“ konzipierte gesellschaftliche Emanzipationsprozess freilich auch mit ebenso grundlegenden staatspolitischen Veränderungen in der DDR einhergehen musste, ergab sich den Akteuren der
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Havel: Wahrheit, S. 87. Vgl. der Bezug zu „68“: Oskar Negt: Demokratie als Lebensform, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2008/14-15, S. 3-8. Vgl. Neubert: Opposition, S. 868-870.
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Bürgerrechtsbewegung allein angesichts ihrer Erfahrungen mit den Unterdrückungs- und Verfolgungsmaßnahmen, die ihre politischen Aktionen hervorriefen. Ihr aus der Erfahrung staatlicher Reformunfähigkeit und Repression entwickeltes Verständnis von Staatlichkeit kann als dezidierter Gegenentwurf zu dem als allumfassend wahrgenommenen Staat des SED-Regimes interpretiert werden. Staat sollte zukünftig nicht mehr leisten, als die Möglichkeiten gesellschaftlicher Basisprozesse und Selbststeuerung zu ermöglichen – durch die Gewährung von Menschen- und Bürgerrechten und durch die Ermöglichung des demokratischen Durchgriffs „von unten“. Weil der Staat ihnen erfahrungsmäßig als Bereich repressiver Machtausübung, technischer Bürokratie und persönlicher Korrumpierung gegenübertrat, sollte er zukünftig zu einer Art Minimalstaat gestutzt werden, unter dem zwar die „sozialen Errungenschaften“ des DDR-Sozialismus von staatlicher Seite sichergestellt, dessen Organisation und Verwaltung aber auf die Gesellschaftseinheiten übertragen sein sollten. Verbindendes Element der Vorstellungen von „ziviler Gesellschaft“ war gerade die Abgrenzung zum Staat, zur staatlich verfassten Herrschaft.137 Aus ihrem Lebensweg in der DDR und ihren Erfahrungen unter dem SED-Regime abstrahierten die Akteure der Bürgerrechtsbewegung ein allgemein negatives Verständnis von staatlicher Macht, welches in eine skeptische Haltung gegenüber Parteien und Repräsentativsystemen mündete, deren Wettbewerb als bloße Machtkonkurrenz aufgefasst und deshalb abgelehnt wurde. 138 Angesichts 137
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Vgl. Saskia Richter: Zivilgesellschaft – Überlegungen zu einem interdisziplinären Konzept, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 08.02.2016, URL: http://docupedia.de/zg/richter_ zivilgesellschaft-_v1_de_-2016, Stand: 21.01.2018. Die bereits bei Havel angeklungene Skepsis gegenüber dem Stellvertreter- und Wettbewerbsprinzip in repräsentativen Demokratien lässt sich bereits bei Vertretern der Studentenbewegung wiederfinden, wenn etwa Rudi Dutschke in einem Fernsehinterview mit Günther Gaus vom 3. Dezember 1967 sagte: „Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Das heißt, wir haben in unserem Parlament keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung – die wirklichen Interessen unserer Bevölkerung – ausdrücken. […] Aber das kann es nur verwirklichen, wenn es einen kritischen Dialog herstellt mit der Bevölkerung. Nun gibt es aber eine totale Trennung zwischen den Repräsentanten im Parlament und dem in Unmündigkeit gehaltenen Volk.“ Zu einer ähnlich gelagerten Parlamentarismuskritik einer Strömung der Gründungsgrünen vgl. Mende: Geschichte der Gründungsgrünen, S. 352363.
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perzipierter Globalisierungsprozesse wurde dem Staat als Nationalstaat aber auch ganz grundlegend, unabhängig von seiner Ausprägung als totalitärer Einparteienstaat, die Fähigkeit ordnend zu reagieren bzw. zu agieren abgesprochen: „Der Staat, einerseits direkt oder potentiell Unterdrückungsinstrument und andererseits anachronistisch geworden, unfähig, auf die Herausforderungen des Atomzeitalters mit der notwendigen Innovationskraft und Flexibilität zu reagieren, müsse zur Machtabgabe an die aufgeklärte, zivile Gesellschaft gezwungen werden.“139
In dieser Passage einer rückblickenden Standortbestimmung des politischen Selbstverständnisses der DDR-Bürgerrechtsbewegung durch Ulrike Poppe, die seit den frühen 1980er Jahren in der oppositionellen Szene aktiv war und 1989 zu den führenden Köpfen von Demokratie Jetzt zählte, zeigt sich zweierlei: Erstens blieb die Problemwahrnehmung der Akteure nicht auf den nationalen Rahmen der DDR und auf ihre innergesellschaftlichen Verwerfungen beschränkt, sondern wies über diesen, auf einen globalen Bezugsraum hinaus, in dem staatliche Handlungsfähigkeit unter dem Einfluss zunehmender struktureller Verflechtungsprozesse verloren zu gehen schien. Der bürgerrechtsbewegte Anti-Etatismus speiste sich einerseits aus der Gegnerschaft zu den Herrschaftsstrukturen des SED-Regimes und andererseits aus der Überlegung, dass die Nationalstaaten nicht mehr für handlungsfähig gehalten wurden, über ein ihnen zugeordnetes Objekt, die nationalstaatlich verfasste Gesellschaft, wirkungsvoll und zielorientiert zu bestimmen. Ihre politische Antwort – „Entstaatlichung von Gesellschaft“ – verband die Hoffnungen, Möglichkeitsstrukturen von Repression und Bevormundung zu unterbinden und gleichzeitig solche kleinskalierten Gesellschaftseinheiten zu erschaffen, die den Menschen zur Entfaltung seiner selbst und dem Gemeinwesen zur Ordnung bzw. zum Ausschluss außerhalb liegender Entwicklungen und Prozesse gereichen würden.140 Zweitens wird in dem Statement von Poppe deutlich, dass Staat und Gesellschaft im politischen Denken der Akteure als gegensätzliche, sich einander 139 140
Poppe: Selbstverständnis, S. 261. Vgl. das Konzept „Territoriality“ von Charles S. Maier: Transformations of Territoriality 1600-2000, in: Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz (Hg.): Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 32-55.
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ausschließende Ordnungsentwürfe funktionierten. Von einem freiheitlich-aufklärerischen Menschenbild ausgehend erschien den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung der realsozialistische Staat als eine nahezu alle Lebensbereiche der Menschen durchdringende, bevormundende und manipulierende Institution, die als formalisiertes und sich selbst dienendes System dem Menschen und seinen a priori vorhandenen Bedürfnissen keinerlei Raum zur gesellschaftlichen Selbstentfaltung lasse. Gesellschaft, in den Augen der Akteure verstanden „als unabhängige Macht“,141 als moralische Erfüllung und prozessualer Vollzug des menschlichen Naturwesens, könne, so die Folgerung, unter dieser Totalität des Staates nicht mehr stattfinden. Das SED-Regime verneine in seinem praktizierten Zentralismus vielmehr die Existenz des Individuums als Mensch und solidarischer Bürger, dessen Dasein und Zivilität sich gerade erst in der Verantwortung für die „Selbstverwirklichung des anderen“142 und in seinen Möglichkeiten zur geistig-kulturellen Betätigung als „authentisches Leben“ einlösen könne. In der weiteren Reflektion über die Bedingungen der Existenz solcher „entfremdend“ auf das Individuum wirkenden Herrschaftsmechanismen im Staatssozialismus kamen die Akteure der Bürgerrechtsbewegung auch aus der Erfahrung ihrer eigenen, häufig als „Befreiung“ empfundenen bzw. reflektierten Sozialisierung in der oppositionellen Szene zu dem Schluss, dass nicht „die Mächtigen“ allein schuld seien, „weil sie uns aus der gesellschaftlichen Verantwortung ausgrenzen, sondern wir alle, die wir dieses System mit unserem willfährigen oder zumindest duldenden Verhalten mittragen.“143 Havels Gemüsehändler tritt uns hier als Kollektivsingular gegenüber. Die der „Entfremdung“ zugrundeliegenden Prinzipien der „Lüge“ bzw. der „Abgrenzung“ erschienen den Akteuren als wirkmächtige soziale Konstrukte, die in ihrer Existenz auf der beständigen Reproduktion und Routinisierung in der alltäglichen Praxis beruhen würden. Aus dieser Interpretation von Staat und Gesellschaft entwickelte die Bürgerrechtsbewegung 141
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Vgl. ders.: Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, Frankfurt a.M. 1999, S. 298. Markus Meckel: Zur Selbstverständigung von Friedenskreisen vom Januar 1984, zit. nach: Meckel/Gutzeit: Opposition, S. 124-130, hier S. 129. Ulrike Poppe: Das kritische Potential der Gruppen in Kirche und Gesellschaft [1988], zit. nach: Detlef Pollack (Hg.): Die Legitimität der Freiheit. Politisch alternative Gruppen in der DDR unter dem Dach der Kirche, Frankfurt a.M. 1990, S. 63-79, hier S. 71.
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eine zivilgesellschaftliche Veränderungsstrategie, die in der individuellen Absage und in der Veränderung des eigenen Lebensstils den Ausgangspunkt der Überwindung „entfremdender“ Prinzipien und die Voraussetzung einer „sittlichen Rekonstitution der Gesellschaft“ sah. 144 Hatte die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 der oppositionellen Szene bereits bewiesen, dass grundlegende Reformen auf nationaler Ebene und von der führenden Partei getragen im Machtbereich der Sowjetunion nicht möglich sind, machten ihr die zeitweiligen Erfolge von Solidarność in Polen oder der Charta 77 in der ČSSR im Zusammenspiel mit der anhaltenden Reformunwilligkeit der SED-Führung in den 80er Jahren deutlich, dass Veränderungen auch in der DDR nur über die Schaffung gegenkultureller Kommunikationsräume durchzusetzen sein würden. 145 Als bewusstseinsbildende Keimzellen und praktische Vorwegnahmen der „zivilen Gesellschaft“ sollten diese unabhängigen „Parallelstrukturen“ in die politische Kultur des Landes wirken, um somit die Herrschaftsmechanismen des Staates in der kollektiven Negation zu entroutinisieren und damit das politische System auf lange Sicht „von unten“ zu demokratisieren.146 Der ungarische Schriftsteller György Konrád bezeichnete diesen Politikansatz in einem 1985 in deutscher Übersetzung erschienenen Essay als „Antipolitik“: „Antipolitik ist das Politisieren von Menschen, die keine Politiker werden und keinen Anteil an der Macht übernehmen wollen. Antipolitik betreibt das Zustandekommen von unabhängigen Instanzen gegenüber der politischen Macht, Antipolitik ist eine Gegenmacht, die nicht an die Macht
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Vgl. Hans Jochen Tschiche: „Horizonte unserer Kirche“, zit. nach: Bickhardt: Recht, S. 35-37, hier S. 36: „Gesellschaftliches und politisches Handeln kann sich dauerhaft nur ändern, wenn das Verhalten der einzelnen Menschen sich ändert.“ Außerdem dazu Garton Ash: Jahrhundert, S. 188-226. Vgl. Patrick von zur Mühlen: Aufbruch und Umbruch in der DDR. Bürgerbewegungen, kritische Öffentlichkeit und Niedergang der SED-Herrschaft, Bonn 2000 erzählt die Geschichte des Endes der DDR als Entstehung und Durchbruch einer „Öffentlichkeit“. Dieses bei Antonio Gramsci greifbare Konzept zum sozialen Wandel durch die Herstellung „kultureller Hegemonie“ fand ihren Niederschlag bereits in der transnationalen Studentenbewegun der 1960er Jahre und den aus ihr hervorgegangenen Neuen Sozialen Bewegungen.
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kommen kann und das auch nicht will. Die Antipolitik besitzt auch so schon und bereits jetzt Macht, nämlich aufgrund ihres moralisch-kulturellen Gewichts.“147
In Lesekreisen und Debattierzirkeln, privaten Theater- oder Konzertvorstellungen, Lesungen, Ausstellungen, Arbeitskreisen und Friedensgruppen, im Samisdat und in Bibliotheken, im Atelier und am Küchentisch wurde demnach jene autonome, begrenzt öffentliche Sphäre geschaffen, die als pluralistischer und selbstorganisierter, als eigendynamischer und offener Gegenentwurf zur Praxis staatlicher Bevormundung und Durchdringung das Potential besitzen sollte, demokratische Reformen anzustoßen und diese durch ihre diskursive und lebensweltliche Verankerung in einer erneuerten Alltagskultur der DDR unumkehrbar zu machen. „Im unkontrollierbaren Meer der Privatgespräche“, so Konrád, „nimmt unser eigenes Wertesystem Gestalt an.“148 In der Absolution ihres eigenen Lebensentwurfs erblickte die Bürgerrechtsbewegung die Chance zur Etablierung jener kleinskalierten Strukturen, innerhalb derer menschheitsverträgliche und demokratische Selbststeuerung einer Gesellschaft nur praktizierbar sei. Die im Herbst 1989 von der Bürgerrechtsbewegung beständig vorgetragene Forderung nach „Dialog“, die Konzeption der oppositionellen Vereinigungen als „Plattformen“ oder auch die im ersten Satz des Gründungsaufrufs des Neuen Forums („In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört.“) prononcierte Tendenz, das Grundproblem der Gesellschafts- und Diktaturkrise in der DDR zeige sich in „Verdrossenheit“ und „Passivität“,149 machen deutlich, dass der Politikansatz der Bürgerrechtsbewegung vorrangig ein kultureller war. Freilich war dieser allein deshalb auch politisch, weil er innerhalb der SED-Diktatur Daseinsberechtigung beanspruchte. Diese zivilgesellschaftlichen Überlegungen, die von der ostmitteleuropäischen Dissidenz formuliert wurden, hatten sich zwar bereits in der DDR-Friedensbewegung praktisch verwirklicht, wurden als Theorie und politisches Konzept aber erst 147
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György Konrád: Antipolitik. Mitteleuropäische Meditationen, Frankfurt a.M. 1985, S. 213. Ebd., S. 184f. Gründungsaufruf des Neuen Forums: Eine politische Plattform für die ganze DDR, zit. nach: Rein: Opposition, S. 13f.
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seit Mitte der 1980er Jahre in der oppositionellen Szene rezipiert. Der durch einen transnationalen Ideentransfer stimulierte Prozess markierte den Übergang der Opposition zu einer Bürgerrechtsbewegung, die den bis dahin unreflektierten Grundkonsens der Friedensbewegung nun nicht mehr nur praktisch vollzog, sondern theoretisch fundierte und ihre bis dahin vollzogene Praxis selbst zur künftig unhintergehbaren Zielsetzung des angestrebten Emanzipationsprozesses erklärte. Indem sich die Akteure der Opposition unter dem Eindruck sich wandelnder Rahmenbedingungen und Ideentransfers also selbst reflektierten, theoretisierten und historisierten, wandelte sich zugleich ihre Idee des Politischen und damit auch ihre Strategien politischen Handelns. Daher geht die angebliche Konzept- und Programmlosigkeit der Bürgerrechtsbewegung, die ihr in der Revolutions- und „Nachwendezeit“ häufig zum Vorwurf gemacht wurde,150 unmittelbar auf ihr politisches Selbstverständnis zurück, das sich eben nicht erstrangig auf der Ebene politischer Inhalte bewegte. Die Mehrheit ihrer Akteure wollte kein parteienmäßiges Grundsatzprogramm mit inhaltlichen Positionen zu konkreten politischen Sachfragen festschreiben, weil allein die Positions- und Konsensfindung, der zur Entscheidung führende Prozess selbst Objekt ihres Entwurfs des Politischen, Kriterium von Demokratie und Ausweises von „innerem Frieden“ einer Gesellschaft war. 151 Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der „Plattformen“ verstehen, die diese im Vorfeld der Volkskammerwahl im März 1990 beschäftigten. Als „Anti-Parteien-Partei“152 sahen diese sich mit der Festsetzung eines Wahltermins gezwungen, ihr Verhältnis zur politischen Machtlogik anzupassen und, wollten sie ihre in den Massendemonstrationen des Herbstes 1989 und am Runden Tisch gewonnene Gestaltungskraft nicht einbüßen, den parlamentarischen Anforderungen politischer Positionsbestimmung nachzukommen.
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Vgl. Templin: Das unselige Ende der DDR, S. 5. Vgl. Bärbel Bohley: Jetzt muß der Westen seine Demokratiefähigkeit beweisen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1991/1, S. 28-30, hier S. 28: „Es ist uns damals vorgeworfen worden, wir hätten kein Programm. Aber darin lag unsere Stärke. Wir wollten zusammen ein Programm entwickeln.“ Vgl. das politische Selbstverständnis der Gründungsgrünen bei Mende: Geschichte der Gründungsgrünen, S. 458-461.
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Nehmen wir also zusammenfassend die Prägekräfte, Ideen und Ordnungsvorstellungen der DDR-Bürgerrechtsbewegung in den Blick, so sind diese nicht entweder ausschließlich reformsozialistisch und herausgelöst aus dem osteuropäischen Kontext oder nur zivilgesellschaftlich und unabhängig westlicher Bezüge adäquat zu begreifen.153 Die politisch-ideologische Formation „DDR-Bürgerrechtsbewegung“ meint gerade, dass die Akteure in transnationale und blockübergreifende Diskurse und Netzwerke eingebettet waren, deren Themen von den Akteuren unter den Voraussetzungen des SED-Regimes und ihrem lebensweltlichen DDR-Bezug in reformsozialistische und zivilgesellschaftliche Politikansätze übersetzt wurden. Der spezifische Charakter der DDR-Bürgerrechtsbewegung lag gerade darin, dass sowohl reformsozialistische, als auch zivilgesellschaftliche Ideen, sowohl Konzepte von der osteuropäischen Dissidenz, als auch Ideen von Akteuren der undogmatischen Linken in der Bundesrepublik in ihr politisches Selbstverständnis einflossen. Hieraus ergab sich für die DDR-Bürgerrechtsbewegung eine nach beiden Richtungen hin offene Position zwischen Ost und West, zwischen Dissidenz und Protagonisten der Neuen Linken.
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Während Timmer: Aufbruch und Fehr: Die Macht der Symbole die zivilgesellschaftlichen Prägungen betonen und die positiven Sozialismusbezüge ignorieren, verhält es sich bei Christian Joppke: East German Dissidents and the Revolution of 1989. Social Movement in a Leninist Regime, New York 1995 und bei John Torpey: Intellectuals, Socialism, and Dissent: The East German Opposition and its Legacy, Minneapolis 1995 genau umgekehrt, indem diese vor allem auf die sozialistische Orientierung der Bürgerrechtsbewegung abheben.
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3. 3. Die Bürgerrechtsbewegung und „das Volk“ Soziale Bewegungen sind politisch-ideologische Formationen bzw. „Denkkollektive“, die von einem gemeinsamen „Denkstil“, gemeinsamen Themen und Handlungsformen zusammengehalten werden, die in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und in Interaktion mit anderen Denk-, Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen geprägt werden.154 Sie zielen in ihrer Aktion erstrangig auf eine Veränderung der politischen Kultur, die sich im Sinne ihres Politik- und Gesellschaftsentwurfes verändern soll. Da die Legitimität der Formulierung, der organisierten Ausprägung und öffentlichen Kundgebung politischen Dissens im Einparteiensystem der DDR bestritten und verfolgt wurde, konnte über vereinzelten und niedrigschwelligen Widerspruch hinausgehende Kritik am Führungsund Herrschaftsanspruch der SED nur „von unten“ und außerhalb des politischen Systems, das heißt nur bewegungsmäßig, in informellen Arbeitsstrukturen und „halbstrukturierten“ 155 Kommunikationsnetzwerken entfaltet werden. Die Bürgerrechtsbewegung machte sich diesen äußeren Zwang seit Mitte der 1980er Jahre zum politischen Programm, indem sie ihre Versuche der Selbstbehauptung zur Zielvision einer „zivilen Gesellschaft“ erklärte. Auch wenn der sichtbare Protest nur die Spitze des Eisbergs kollektiven Handelns in sozialen Bewegungen darstellt, sind diese doch auf eine kontinuierliche Protestmobilisierung von zunächst außerhalb der Bewegung liegenden Teilen der Bevölkerung angewiesen, um ihr Anliegen aus der subkulturellen Latenz ins öffentlich Sichtbare und damit in einen größeren gesellschaftlichen Relevanzbereich zu tragen. Der kulturelle Resonanzboden und die Voraussetzungen für eine solche Mobilisierungsfähigkeit sind in Diktaturen, ob autoritären oder totalitären, eng bemessen und stark von politischen und gesellschaftlichen Gelegenheitsfenstern
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In Anlehnung an Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 2002 und die Definition sozialer Bewegungen bei Donatella della Porta/Mario Dani: Social Movements. An Introduction, Oxford 1999, S. 16. Joachim Raschke: Zum Begriff der sozialen Bewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht: Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1991, S. 31-39, hier S. 38.
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abhängig, weshalb eine hohe Protestmobilisierung hier nur selten geplant oder gezielt initiiert werden kann, sondern viel eher spontan und abhängig von sich abrupt ändernden politischen Rahmenbedingungen auftritt.156 Daher ist auch die Diskussion, ob die Revolution von 1989/90 von der Bürgerrechtsbewegung initiiert wurde oder diese auf einen fahrenden Zug aufgesprungen sei, irreführend, weil unter den gegebenen Verhältnissen staatsunabhängige Initiativen stets von mehreren, eben auch außerhalb ihres Einflusses liegenden Faktoren abhängig waren.157 In der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR-Opposition und der Geschichte der Revolution von 1989/90 konnte sich aus diesen Prämissen der Bewegungsforschung die Deutung Karsten Timmers etablieren, wonach in der späten DDR von sozialer Bewegung sinnvoll erst ab den Spätsommermonaten 1989 gesprochen werden könne, weil erst jetzt, unter dem Eindruck einer allgemeinen Staats- und Gesellschaftskrise, die Dynamik für eine breite Mobilisierung gesellschaftlicher Unzufriedenheit – „Existenzbedingung und Kennzeichen“ sozialer Bewegungen158 – vorhanden gewesen sei. „Die Bürgerbewegung in der DDR“ bezeichnet deshalb bei Timmer „das spannungsreiche und oft widersprüchliche Wechselverhältnis zwischen den organisierten und mobilisierten Teilen“, das Verschmelzen von sogenannten Bewegungsorganisationen und protestierender Bevölkerung zu einem kollektiven Handlungszusammenhang, „der zwischen September und Dezember 1989 den Massenprotest in der DDR trug.“159 Es handele sich bei dem Gesamtzusammenhang der Bewegung, so Timmer weiter, „nicht um eine Identität der Interessen, Ziele und Vorstellungen, sondern um eine Konstellation, in der Individuen mit verschiedensten Hintergründen,
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Roth/Rucht: Einleitung, S. 19f.; Detlef Pollack: „Wir sind das Volk!“ Sozialstrukturelle und ereignisgeschichtliche Bedingungen des friedlichen Massenprotests, in: KlausDietmar Henke (Hg.): Revolution und Vereinigung 1989/90. Als in Deutschland die Realität die Phantasie überholte, München 2009, S. 178-197, hier S. 180 spricht mit Blick auf die späte DDR von einem „extrem bewegungsfeindliche[m] Umfeld“. Vgl. etwa die verschiedenen Positionen in dieser Frage bei Klaus-Dietmar Henke: 1989, in: ebd., S. 11-46, hier S. 28f. Timmer: Aufbruch, S. 18. Ebd., S. 20, 24.
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Interessen und Zielen für eine gewisse Zeit in eine soziale Interaktion treten, um miteinander Ziele zu erreichen, die sie alleine nicht verwirklichen können.“160 Auch wenn diese mobilisierungszentrierte Sichtweise, die den Bewegungsbegriff als Analysekategorie für Widerstand und Opposition in der DDR erst mit der Formierung von Initiativgruppen und Massenprotest im Spätsommer 1989 gelten lassen will, mit Blick auf eine sich bis dahin in lebenspraktischer Konformität übenden Masse nachvollziehbar erscheint, ist sie bezogen auf die oppositionellen Gruppen und Dissidenten zeitlich zu kurz gegriffen und konzeptionell zu abhängig von den zeitgenössischen Selbsteinschätzungen und -beschreibungen der Akteure angelegt. Der Ausdruck „Bürgerbewegung“ lässt sich als Selbstbezeichnung oppositioneller Gruppen in den Quellen zuerst im „Aufruf zur Einmischung in eigener Sache“ von Demokratie Jetzt vom 12. September 1989 nachweisen, also tatsächlich erst in der Zeit der akut werdenden Staats- und Gesellschaftskrise. In dieser Verwendung betont „Bürgerbewegung“ den basisdemokratischen Politikansatz der „Plattformen“, das heißt ihr Bestreben, „keine Vereinigung mit festen Mitgliedschaften und natürlich keine Partei“161 zu sein, da nur in dieser „freien“ Form der „Durchgriff der Bürgerbasis in die politische Entscheidung“162 gewährleistet werden könne. In der Folge avancierte der Begriff im medialen Sprachgebrauch allerdings zur Sammelbezeichnung für alle einschlägigen Formationen in der DDR, die sich im Laufe der Revolution konstituierten. Damit schloss der Begriff nun auch solche Vereinigungen ein, die sich explizit als Partei verstanden, also weniger basisdemokratisch und auf den Prozess der Konsenssuche, sondern stärker auf ein parlamentarisches System hin ausgerichtet waren. Indem Timmer nun unter dem Begriff „DDR-Bürgerbewegung“ die hier als Bürgerrechtsbewegung konzeptualisierte Formation und die seit September 1989 in Aufruhr geratene 160 161
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Ebd., S. 25. Interview mit Ulrike Poppe und Dieter Hildebrandt, in: Aktuelle Kamera vom 24. November 1989, URL: 1989.dra.de/no_cache/themendossiers/politik/buergerbewegung.html, Stand: 20.01.2018: „Wir sind wie Sie selbst sagten ne Bürgerbewegung, das heißt, wir haben informelle Arbeitsstrukturen, wir sind keine Verbindung mit festen Mitgliedschaften und natürlich keine Partei. Das ist besonders wichtig, die Betonung keine Partei, das bedeutet für uns, dass wir keine Mitglieder zu werben haben, dass wir doch in gewisser Weise sehr locker und frei auch für uns reagieren können.“ Die Sturm- und Drangzeit ist vorbei, in: die tageszeitung vom 29. Januar 1990.
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DDR-Bevölkerung zu einem „Protagonist[en], der den Prozeß des Protests strukturiert[e], seine Ziele bestimmt[e] und auf die Umwelt einwirkt[e]“,163 zusammenfasst, drohen wichtige Sinnmomente und Differenzierungen des Geschehens verloren zu gehen, wie beispielsweise der Bewegungscharakter der Opposition vor 1989 oder auch die politisch-kulturelle Verschiedenheit der bloß kurzzeitigen „Verschmelzung von Opposition und Volksprotest“164 im Herbst 1989, die Timmer zwar anerkennt, wegen der Prämissen im weiteren Verlauf seiner Ausführungen allerdings zwangsläufig zugunsten eines „kollektiven Handlungszusammenhangs“ glätten muss. Diesen Einwänden trägt eine Konstruktion Rechnung, welche die Revolution von 1989 vor dem Hintergrund der Binnenzäsur des Mauerfalls von einer Konstellation zweier aufeinander bezogener, aber doch voneinander abgrenzbaren Bewegungen getragen sieht: die oppositionellen Gruppen und Dissidenten als Bürgerrechtsbewegung einerseits und der demonstrierende Teil der Bevölkerung als Volksbewegung andererseits.165 Beide Bewegungen führte im Herbst 1989 die Gegnerschaft zum SED-Regime zusammen, wobei die „Volksbewegung“ nicht unmittelbar auf den „Denkstil“ der Bürgerrechtsbewegung bezogen war, das heißt deren Idee des Politischen nicht adaptierte bzw. überhaupt rezipierte. Dieser boten sich aber über die Initiative sowie Koordinations- und Organisationsleistung einzelner Akteure der Bürgerrechtsbewegung Gelegenheitsstrukturen, dem eigenen Unmut über Staat und Partei Ausdruck zu verleihen und politisch aktiv zu werden. Insofern waren diese beiden Akteursgruppen im Herbst 1989 voneinander abhängig und aufeinander angewiesen, auch wenn sie keine gemeinsame Idee entwickelten, die über die Gegnerschaft zum Regime hinauswies. In Bezug auf die oppositionellen Gruppierungen, Parteien und Intellektuellen scheint es vor dem Hintergrund ihres oben dargelegten Denk- und Handlungszusammenhangs dagegen sinnvoll, auch im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1989/90 nicht von mehreren Bürgerbewegungen oder Bürgerrechtsbewegungen zu sprechen – so wie dies in der Forschung in der Regel geschieht – und damit die einzelnen Initiativen und Gruppierungen der Revolution als eigenständige, abgrenzbare
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Timmer: Aufbruch, S. 20. Henke: 1989, S. 28. Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 6.
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Einheiten zu konstruieren, sondern Erscheinungen von Opposition ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre als Teil einer Bürgerrechtsbewegung zu begreifen, die sich in der Interaktion einzelner bereits existierender Denk- und Handlungskollektive formierte und von einer gemeinsamen Idee des Politischen getragen war. Erst im Laufe des Jahres 1989 vermehrten sich aber die Anzeichen, dass diese Formation auch außerhalb ihres Milieus auf Gehör stoßen könnte. Erstmals hatte im Mai das weithin bekannte Phänomen der Wahlfälschungen zu größeren Protesten geführt. Im Sommer sollte sich die zunehmende Legitimationskrise des Regimes durch die steigenden Flüchtlingszahlen weiter verschärfen und den im Herbst folgenden Massenprotesten den Weg bereiten. Wie konnten nun die Akteure der Bürgerrechtsbewegung auf diese Entwicklung Einfluss nehmen? Inwiefern konnten sie die Inhalte und Formen der Proteste beeinflussen und welche Bedeutung sollten diese für das eigene Denken und Handeln entwickeln?
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4. Herbst 1989 und die Entfaltung der „zivilen Gesellschaft“ Während der sich zuspitzenden Staats- und Gesellschaftskrise der DDR im Jahr 1989 – für jedermann augenfallig geworden durch die massenhafte Flucht von Angehörigen, Freunden und Kollegen in die Bundesrepublik – trat die Bürgerrechtsbewegung im Spätsommer 1989 als Katalysator und Projektionsfläche allgemeiner Unzufriedenheit aus ihren bis dahin beschränkten Selbstverständigungsforen mit dem Ziel heraus, die DDR und ihre Gesellschaft zu demokratisieren. Die Bürgerrechtsbewegung und die DDR-Bevölkerung hatten bis dahin kaum Berührungspunkte. Ihr Habitus alternativer Subkultur und ihr sozialethischer Politikansatz standen vielmehr konträr zu einem in der Ära Honecker ungeschriebenen „Gesellschaftsvertrag“, welcher der ostdeutschen Bevölkerung soziale Sicherheit und bescheidenen Wohlstand als Gegenleistung für die Unterwerfung unter den Herrschaftsanspruch der SED versprach.166 Trotzdem vermochte die gemeinsame und sich zu Massenprotesten ausweitende Ablehnung des Regimes und des Machtmonopols der SED, die für die allgemeine Krise verantwortlich gemacht wurde, die Milieu- und Sprachgrenzen über die erste Phase der Revolution zu überbrücken. Insofern spielte die Bürgerrechtsbewegung vor allem zwischen September und November 1989 eine wichtige Rolle in der Entfaltung, Konsolidierung und Koordination der verschiedenen Protestveranstaltungen und Massendemonstrationen, deren Durchbruch Mitte Oktober zum maßgeblichen Ausgangs- und Bezugspunkt aller weiteren Entwicklungen der Revolution werden sollte. 167 Diese erste Phase der Revolution war durch die Verschmelzung von Bürgerrechts- und Volksbewegung einerseits und durch den erst widerwilligen, dann abrupten 166
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Vgl. Sigrid Meuschel: Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945-1989, Frankfurt a.M. 1992. Vgl. Henke: 1989, S. 28.
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Rückzug der Staatspartei von ihrem Machtmonopol sowie einer schleichenden Implosion des von ihr aufrechterhaltenen Regimes andererseits geprägt. Das unausgesprochene Bündnis von organisierten Oppositionsgruppen, dissidenten Intellektuellen und „einfachen Bürgern“ war allgemein von der Gegnerschaft zur SED und zunehmend auch von der gemeinsam erlebten Protest- und Revolutionserfahrung getragen. „[E]s ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen“ – mit diesen Worten leitete der Schriftsteller Stefan Heym am 4. November 1989 seine Rede auf der AlexanderplatzDemonstration vor etwa 200.000 Protestierenden ein. Seit dem forcierten Rücktritt von Erich Honecker und der Ankündigung zur „Wende“ durch seinen Nachfolger Egon Krenz am 18. Oktober hatte sich die Handlungsinitiative auf die Protagonisten der Straße übertragen; war die Agenda der Auseinandersetzung über die weitere Entwicklung der DDR auf die Diskurse der Bürgerrechtsbewegung und die Proteste der Massen übergegangen.168 Auf den zahlreichen Dialogveranstaltungen – Demonstrationen, auf denen sich SED-Vertreter den Fragen bürgerrechtsbewegter Akteure und protestierender Bürger stellen mussten und die nach Honeckers Rücktritt in der gesamten DDR, auf kommunaler und betrieblicher Ebene stattfanden – wurde dies, der Machtverfall der SED und der Einflussgewinn der Bürgerrechtsbewegung und der protestierenden Massen offensichtlich. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war an jenem Samstag, den 4. November 1989 erreicht, als sich das Protestgeschehen in die Hauptstadt und damit ins Zentrum der DDR verlagerte. Nun konnten nach zahlreichen Stadt-, Kreis- und Bezirksgrößen auch Vertreter der obersten Partei- und Staatsführung zur öffentlichen Aussprache, zum „Dialog“ gezwungen werden. 169 Damit waren im Grunde genommen die erst später folgenden, als „Demokratisierung“ kommunizierten formalen Konzessionen des Regimes („Aktionsprogramm“ und Zulassung des Neuen Forums am 8. November; Streichung des Führungsanspruchs der SED aus der Verfassung und die Abschaffung von Zensur und Druckgenehmigungsverfahren am 1. Dezember durch die Volkskammer, Rücktritt des Zentralkomitees am 3. Dezember etc.) faktisch in dem Maße vorweggenommen, wie die SED-Vertreter 168 169
Vgl. zur Mühlen: Aufbruch, S. 219-276. Vgl. dazu Timmer: Aufbruch, S. 270-280. Timmer sieht den Höhepunkt des „Demonstrationsherbstes“ zwischen dem 30. Oktober und dem 5. November 1989 erreicht, als in der gesamten DDR etwa 210 Demonstrationsveranstaltungen mit insgesamt ca. 1,4 Mio. Teilnehmern stattfanden.
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die Akteure der Bürgerrechtsbewegung nicht nur als legitime Opposition und gleichberechtigte Sprecher, sondern auch als Kritiker, Kontrollorgan und Themensetzer auf den Demonstrationen, Bürgerforen und einberufenen Kommissionen anerkennen mussten.170 So konnten die oppositionellen Organisatoren dieser Dialogdemonstrationen Ablauf, Inhalt und Redner der Veranstaltung bestimmen. Die Vertreter des Regimes mussten den Unmut der Protestierenden im öffentlichen Raum über sich ergehen lassen und fortan Akteure der Bürgerrechtsbewegung in die politische Entscheidungsfindung einbeziehen.171 Diese Vorgänge machten für alle am Protest Beteiligten das Ausmaß der Staatskrise und die Erfolgspotentiale ihres Protesthandelns sichtbar. Es zeigt aber auch, dass das Protestgeschehen mindestens bis zum Mauerfall auf die SED, das Regime und die Verhältnisse in der DDR fixiert war und dass die Bürgerrechtsbewegung unter „Dialog“ die gleichberechtigte Kooperation mit Partei und Staatsmacht verstand und nicht deren revolutionäre Überwältigung. Die SED sollte auch in einer demokratisierten und pluralisierten DDR einen ihr wie allen anderen politischen Vereinigungen zustehenden Platz einnehmen können, würde sie sich glaubhaft an der Erneuerung ihrer selbst und der Gesellschaft beteiligen. Die Kundgebung auf dem Alexanderplatz wurde als Demonstration für die Verfassungsartikel 27 und 28, also für Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit angemeldet, für einen politischen Aspekt also, der die „Kulturschaffenden“ in besonderem Maße betraf, der ihnen und der Bürgerrechtsbewegung als zentral für „eine demokratische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft in der DDR“172 erschien. Dass die gehaltenen Reden dann freilich auch auf den Führungsanspruch der SED, programmatisch also auf eine Verfassungsreform und freie
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Beispielsweise wurde Anfang November in Berlin eine Untersuchungskommission zu den Ereignissen am 7. und 8. Oktober 1989, als es rund um die offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR zu Übergriffen auf die Demonstrierenden kam, ins Leben gerufen, in der zum Teil hochrangige Funktionsträger des Regimes von Akteuren der Bürgerrechtsbewegung befragt wurden. So etwa die „Gruppe der 20“ in Dresden, die während einer Demonstration ernannt und beauftragt wurde, mit den städtischen Behörden über politische Reformen zu verhandeln. Vgl. dazu Michael Richter/Erich Sobeslavsky: Die Gruppe der 20. Gesellschaftlicher Aufbruch und politische Opposition in Dresden 1989/90, Köln 1990. Gemeinsame Erklärung von DJ, DA, Arche, IFM, VL, NF und SDP vom 3. November 1989, URL: http://www.ddr89.de/ddr89/texte/erklaerung1.html, Stand: 21.01.2018.
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Wahlen zielten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die thematische Ausrichtung der Demonstration der in die Defensive geratenen Staatsmacht Anschlussmöglichkeiten für ihr Interesse, „die gesellschaftliche Bewegung auf die Mühlen der SED umzuleiten“, bot. Insofern zeigten sich hier bereits erste Tendenzen eines politisch-ideellen Arrangements zwischen Reformkräften in der SED und Akteuren der Bürgerrechtsbewegung, das in der Phase nach dem Mauerfall in eine partielle Interessenkonvergenz bezüglich der Eigenständigkeit der DDR mündete. Dass die Versuche der SED, die oppositionellen Kräfte zu inkorporieren am 4. November (noch) scheiterten, lag wohl auch daran, dass die Kundgebung live im DDR-Fernsehen übertragen wurde und sich hier für jeden und jede offenbar der sich seit dem Machtwechsel an der Staatsspitze beschleunigte und zunehmend unumkehrbare Wandel der Verhältnisse in der DDR zeigte. Die Visualisierung der Ohnmacht des Staates verstärkte seinen Zerfall und unterstützte die Absicht des Protests, diesen unumkehrbar zu machen. Das politische Überleben der SED konnte in der Folge nur von solchen Personen sichergestellt werden, auf denen sich der Niedergang der Staatspartei in dieser Phase der Revolution nicht allzu eindeutig verdichtet hatte.173 Als der „Nestor unserer Bewegung“ – so die Ankündigung Stephan Heyms durch den Moderator der Demonstration – das improvisierte Holzpodest betrat, hingen die Pfiffe der Demonstrierenden gegen seinen Vorredner, Politbüromitglied Günter Schabowski, noch in der Luft. Der Kontrast zwischen diesen beiden Personen, zwischen Regime und Dissidenz hätte kaum größer sein können und so erklärt sich der besonders laute Jubel, der Heym und seinen Worten zuflog. Diese vermochten es zudem, dem von den Akteuren zahlreich dokumentierten Gefühl der „Herbstgesellschaft“ im Moment ihrer Aktion, Ausdruck zu verleihen. Für die Bürgerrechtsbewegung bedeuteten die Politisierung breiter Bevölkerungskreise und der scheinbar grenzenlos anschwellende Massenprotest gegen das SED-Regime, der sich seit September entfaltete und dann ab Mitte Oktober enorm verstärkte, die Rückkehr der Zivilität, die Entfaltung der „zivilen Gesellschaft“ in der DDR. Jenen als Selbstbefreiung empfundenen Emanzipationsprozess in den oppositionellen Gruppen sahen die Akteure nun
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Vgl. Matthias Geis: Der Weg zurück ist jetzt versperrt. Die Demonstration am Alex und das „Aktionsprogramm“ der SED, in: die tageszeitung vom 6. November 1989.
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in den Protesten gegen das Regime auf die DDR-Gesellschaft ausgedehnt. Die Entfaltung der Zivilgesellschaft verwirklichte sich aber nicht nur in den Protesten auf den Straßen, sondern auf vielen Ebenen, so etwa in den zahlreichen kommunalen Bürgerinitiativen und Runden Tischen, in den politischen Deklarationen und staatsunabhängigen Organisationsgründungen in Betrieben, Schulen und Universitäten, in Gefangenenrevolten und Verlagseröffnungen. Gerade die Improvisation, die der Mangel an Struktur und Material bedingte sowie die Offenheit der sozialen Beziehungen und der schwach reglementierten Auseinandersetzungen entsprachen dabei dem eingeübten Oppositionshandeln der bürgerrechtsbewegten Akteure und ihren Vorstellungen der „zivilen Gesellschaft“. In dem Maße wie der Volksbewegung die oppositionellen Gruppen und Initiativen zu Beginn der Proteste im September als Katalysator und Projektionsfläche für eine allgemeine Unzufriedenheit diente, wirkten die Massenproteste und vielfältigen Formen des „Bürgerengagements“ nun im Erleben der Bürgerrechtsbewegung als Realisierung der „zivilen Selbstorganisation“, als Projektionsfläche und bestärkendes Moment für ihr politisches Selbstverständnis.174 „Die Straße ist die Tribüne des Volkes überall dort, wo es von den anderen Tribünen ausgeschlossen wird“,175 attestierte die Schauspielerin Marion van de Kamp und ebenso bezog sich ihre Kollegin Johanna Schall auf die um sie versammelte Protestbevölkerung, wenn sie ihre Ansprache einleitete: „Die Regierung ist eingesetzt, um dem Allgemeinwillen zur Anerkennung zu verhelfen.“176 Auch der Schriftsteller Christoph Hein verwies in seiner Rede auf die Bedeutung des Straßenprotests für den angestoßenen Wandel in der DDR:
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Vgl. etwa Erich Rathfelder: Der Sozialismus ist ein offener Prozeß (Interview mit Wolfgang Templin), in: die tageszeitung vom 7. November 1989. Marion van de Kamp: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Dokumentation 4. November 1989 Berlin/Alexanderplatz, URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/kamp.html, Stand: 18.01.2018. Johanna Schall: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: ebd., URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/schall.html, Stand: 18.01.2018.
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„Schaffen wir eine demokratische Gesellschaft, auf einer gesetzlichen Grundlage, die einklagbar ist! Einen Sozialismus, der dieses Wort nicht zur Karikatur macht. Eine Gesellschaft, die dem Menschen angemessen ist und ihn nicht der Struktur unterordnet. […] Ich denke, unser Gedächtnis ist nicht so schlecht, daß wir nicht wissen, wer damit begann, die übermächtigen Strukturen aufzubrechen, wer den Schlaf der Vernunft beendete. Es war die Vernunft der Straße, die Demonstrationen des Volkes. Ohne diese Demonstrationen wäre die Regierung nicht verändert worden, könnte die Arbeit, die gerade beginnt, nicht erfolgen.“177
In diesen Worten zeigt sich, dass die angestrebte Erneuerung der DDR von den Akteuren zunächst in der Logik des sich praktizierenden Geschehens selbst gedacht wurde; dass ihnen „zivile Gesellschaft“ zuallererst die Verselbständigung und Verstetigung des Revolutionsereignisses bedeutete. Der Prozess des Protests, allen voran das öffentliche Diskutieren der Bürger über Anliegen der Allgemeinheit und damit die Wendung „aus der Vereinzelung zur Gemeinschaft“ markierte für die Akteure der Bürgerrechtsbewegung den Anfang eines basisdemokratischen Lernprozesses und den Auftakt zur Wiederherstellung des inneren Friedens „unseres Landes“, der ihnen Voraussetzung für eine „gleichberechtigte solidarische Nachbarschaft mit allen Völkern“ war.178 Weil die öffentliche Austragung von Konflikten und Entscheidungsfindungen in der DDR unterdrückt wurde oder meist erst gar nicht stattfand, war es den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung ein besonders wichtiges Anliegen, so wenig Delegation und Repräsentation wie nötig zuzulassen und so viel direkten Einfluss des Einzelnen wie möglich abzusichern und durchzusetzen.179 Für Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einzustehen, hieß für die Akteure demnach, die verfassungsmäßigen Bedingungen des absoluten Durchgriffs des „Bürgerwillens“ zu schaffen. Gegen das Herrschaftsprinzip der totalitären Poli-
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Hein: Rede am 4. November 1989. Zitate: Demokratie Jetzt: Flugblatt „Was können wir tun?“ vom 30. September 1989, URL: http://www.ddr89.de/dj/DJ_Zeitung_1.html, Stand: 20.01.2018. Vgl. etwa Neues Forum: Ansätze zur Basisdemokratie vom 23. Oktober 1989, URL: http://-www.ddr89.de/ddr89/nf/NF172.html, Stand: 21.01.2018.
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tisierung der Gesellschaft im Sinne von Staat und Partei setzte die Bürgerrechtsbewegung die umfassende Entstaatlichung der Gesellschaft.180 Basisdemokratie, Konsensprinzip und die Bevorzugung einmütiger- über Mehrheitsentscheidungen waren die Parameter, an denen die Akteure der Bürgerrechtsbewegung die Umsetzung ihres politischen Konzepts maßen.181 Weil dieser Politikansatz nicht mehr nur die bewegungsinternen Auseinandersetzungen bestimmte, sondern sich ausweitete und selbst im Protest von SED-Basisorganisationen gegen die Parteiführung angewendet wurde,182 schien sich hier die Vision einer „zivilen Gesellschaft“ in ihrer revolutionsdemokratischen Ausprägung zu verwirklichen. Wenn Stephan Heym am 4. November mahnte, dass der „richtige Sozialismus“ nicht ohne Demokratie denkbar sei und diese wiederum „Herrschaft des Volkes“ bedeute, so offenbarte sich in diesen Worten ein Verständnis demokratischer Willensbildung, das nicht zuerst auf einen in Parlamenten ausgetragenen Ausgleich konkurrierender Interessen bedacht, sondern stärker von dem Glauben getragen war, Demokratie müsse einen konsensualen Willen hervorbringen und dessen Verwirklichung ermöglichen.183 Der Aufruf von Demokratie Jetzt für einen Volksentscheid über die verfassungsmäßige Führungsrolle der SED bildete diesen radikaldemokratischen Konsens der Bürgerrechtsbewegung und deren unbedingtes Beharren auf volksherrschaftlicher Legitimation ebenso ab, wie die zahlreichen Forderungen auf den Demonstrationen nach Demokratisierung der politischen Verhältnisse durch direktdemokratische Willensbekundungen und -entscheidungen über die Verfassung und insbesondere das Wahlrecht.184 Die zentrale Losung vieler Demonstrationen „Wir sind das
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Vgl. Ludwig Mehlhorn: Wir brauchen eine vom Staat unabhängige Gesellschaft, abgedruckt in: Rein: Opposition, S. 73-83. Vgl. Demokratie Jetzt: Thesen für eine demokratische Umgestaltung in der DDR vom 12. September 1989, abgedruckt in: ebd., S. 62-65. Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 314f. Vgl. Degen: Politikvorstellung, S. 132-151. Vgl. Demokratie Jetzt: Aufruf zu einem Volksentscheid 1990 vom Oktober 1989, zit. nach: Rein: Opposition, S. 68: „Die Zeit drängt. Das Volk soll entscheiden. Wir brauchen Demokratie für unser Land jetzt. […] Wir meinen: Sozialismus sollte auf dem Mehrheitswillen der Bürger und Bürgerinnen und nicht auf der festgeschriebenen
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Volk!“185 meinte ja neben der symbolischen Manifestation des demokratischen Souveräns gegen die Staatspartei auch die Bekundung einer volonté générale, eines von unten wachsenden, direkten Bedürfnisses des Volkes, welches in Staat und Partei nicht oder nicht mehr zur Geltung gelange und deshalb gezwungen sei, sich über den Weg der Straße und in einem revolutionären Wandlungsprozess auszudrücken. Christa Wolf griff den „tausendfachen Ruf“ der Demonstrierenden in ihrer Ansprache am 4. November auf: „Also träumen wir mit hellwacher Vernunft: Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg! Sehen aber die Bilder der immer noch Weggehenden, fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun! Das fängt jetzt an, wenn aus den Forderungen Rechte, also Pflichten werden: Untersuchungskommission, Verfassungsgericht, Verwaltungsreform. Viel zu tun, und alles neben der Arbeit. Und dazu noch Zeitung, essen! Zu Huldigungsvorbeizügen, verordneten Manifestationen werden wir keine Zeit mehr haben. Dieses ist eine Demo, genehmigt, gewaltlos. Wenn sie so bleibt, bis zum Schluß, wissen wir wieder mehr über das, was wir können, und darauf bestehen wir dann: Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei. Unglaubliche Wandlungen. Das ‚Staatsvolk der DDR‘ geht auf die Straße, um sich als ‚Volk‘ zu erkennen. Und dies ist für mich der wichtigste Satz dieser letzten Wochen - der tausendfache Ruf: ‚Wir - sind - das - Volk!‘“186
Als wenige Tage nach der Alexanderplatz-Demonstration die Berliner Mauer fiel, dem SED-Regime damit ein weiteres Herrschaftsinstrument entrissen war und die Selbstauflösung der Staatspartei in den darauffolgenden Wochen rasch voranschritt, begannen sich für die Bürgerrechtsbewegung – abseits der Freude über
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Führungsrolle der SED beruhen. Sozialismus hört mit dem Ende solcher Vorherrschaft nicht auf. Er fängt mit lebendiger Demokratie erst richtig an.“ Diese Parole wurde wohl zuerst am 2. Oktober 1989 in Leipzig als Antwort auf eine Lautsprecherdurchsage der Polizei („Hier spricht die Volkspolizei“) massenhaft ausgerufen. Vgl. dazu Lindner: Begriffsgeschichte, S. 38f.; Michael Wildt: Volk, Volksgemeinschaft, AfD, Hamburg 2017. Wolf: Rede am 4. November 1989.
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die noch vor kurzem für schwermöglich gehaltene und nun in rasantem Tempo erreichten Demokratisierungsprozesse – neue Bedingungen und Herausforderungen abzuzeichnen. So führte der in der Folge des Mauerfalls intensivierte und nun legalisierte innerdeutsche Reiseverkehr nicht nur zu einer nachlassenden Protestmobilisierung, sondern auch zu einer noch stärkeren politischen und wirtschaftlichen Orientierung der Demonstrationen auf die Bundesrepublik, sodass sich auch deren Inhalte verschoben und sich die Akteure der Bürgerrechtsbewegung nun zunehmend gezwungen sahen, einen noch vor dem 9. November unhinterfragten, weil selbstverständlichen Konsens verteidigen zu müssen: die politische und staatliche Eigenständigkeit der DDR.187 Hatte die „deutsche Frage“ oder gar eine mögliche Wiedervereinigung bis dahin weder in den Diskussionen der Bürgerrechtsbewegung noch auf den Demonstrationen eine Rolle gespielt, rückte die Vereinigungsdebatte mit dem Mauerfall erst allmählich, dann – angesichts eines steigenden öffentlichen Krisenbewusstseins und vor dem Hintergrund intensivierter ost-westdeutscher Beziehungen – stetiger aufs Tapet der Revolution.188 Hinzu kam, dass die von der Bürgerrechtsbewegung und den Protestierenden geforderte und beförderte Offenlegung von Informationen über den 187
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Die zunehmende Ausreisebewegung fand aber auch schon vor dem Mauerfall ihren Niederschlag in den Wortmeldungen der Bürgerrechtsbewegung, wie etwa in einer Erklärung von Christa Wolf, zit. nach: die tageszeitung: DDR-Journal, S. 97, die von vielen anderen Akteuren unterschrieben war und am 8. November im DDR-Fernsehen verlesen wurde: „Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, wir alle sind tief beunruhigt. Wir sehen die Tausende, die täglich unser Land verlassen. Wir wissen, dass eine verfehlte Politik bis in die letzten Tage hinein ihr Misstrauen in die Erneuerung dieses Gemeinwesens bestärkt hat. […] Was können wir Ihnen versprechen? Kein leichtes, aber ein nützliches und interessantes Leben. Keinen schnellen Wohlstand, aber Mitwirkung an großen Veränderungen. Wir wollen einstehen für Demokratisierung, freie Wahlen, Rechtssicherheit und Freizügigkeit. […] Helfen Sie uns, eine wahrhaft demokratische Gesellschaft zu gestalten, die auch die Vision eines demokratischen Sozialismus bewahrt. Kein Traum, wenn Sie mit uns verhindern, dass er wieder im Keim erstickt wird. Wir brauchen Sie. Fassen Sie zu sich und zu uns, die wir hier bleiben wollen, Vertrauen.“ Vgl. bei Rödder: Deutschland, S. 118-144 verhandelt als „nationale Wende“; MarcDietrich Ohse: „Wir sind ein Volk!“ Die Wende in der „Wende“, in: Henke: Revolution, S. 269-283.
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allgemeinen Zustand des Landes zeigte, dass die Ausmaße der wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Krise der DDR sowie die Verbreitung von Amtsmissbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption in der SED weit größer waren als angenommen. In der Folge setzte ein rasch um sich greifendes Krisenbewusstsein ein, das angesichts von Auflösungstendenzen des staatlichen Gemeinwesens vor Ort sowie drohender Racheakte und gegenrevolutionärer Aktionen rasch zu einem Schreckbild von Chaos und allgemeiner Unordnung ausgemalt wurde, welches die Anliegen der Bürgerrechtsbewegung nach prozessierter Demokratisierung und offener Debatte über die Zukunft der DDR zu überlagern begann. Hierin zeigen sich die ambivalenten Folgen des bürgerrechtsbewegten Denkmodells, die Wirklichkeit des SED-Regimes mit seinen angeblichen „humanistischen Idealen“ zu konfrontieren. In der zeitgenössischen Interpretation des Umbruchs wurde das Auseinanderklaffen von sozialistischem Anspruch und korrupter Wirklichkeit während des Prozesses der Selbstauflösung des Regimes besonders offensichtlich und bot den Protestierenden ein Interpretationsmuster, das die Proteste noch zu Beginn zusammenzuhalten vermochte, nun aber, weil die Enthüllungen mit den Alltagserfahrungen der Menschen im SED-Staat korrelierten, in Wut und Zorn über die ehemaligen Machthaber übersetzt wurde und in der Folge die zivilgesellschaftlichen Voraussetzungen des Protests in Frage stellte.189 Für die Bürgerrechtsbewegung selbst provozierte die als Krise verhandelte Entwicklung der Revolution eine neuerliche Selbstbeschäftigung. Zwar hatten sich die Arbeitsbedingungen der oppositionellen Akteure seit der offiziellen Anerkennung der Gruppierungen verbessert, doch brach in den darauffolgenden Wochen der oben bereits angesprochene Grundkonflikt, Partei oder Sammlungsbewegung zu sein, quer durch die verschiedenen Initiativen verschärft wieder auf und begünstigte eine weitere thematische und institutionelle Atomisierung der Bürgerrechtsbewegung. 190 Während SDP, Demokratischer Aufbruch und Grüne Partei mit ihrer Parteiwerdung die Hoffnung verbanden, zu handlungsfähigen Strukturen und aussagekräftigen Positionen zu kommen ohne dabei direkt- und basisdemokratischen Elementen eine gänzliche Absage zu erteilen, beharrten das Neue Forum, Demokratie Jetzt, die IFM und die Vereinigte Linke
189 190
Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 314-324. Vgl. Gutzeit: Weg in die Opposition, S. 96-109.
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darauf, gesellschaftliche Diskussion auf entsprechenden Plattformen zu ermöglichen und zu moderieren, anstatt in ihr kanalisierte Positionen über Delegierte zu vertreten und durchzusetzen, gleichwohl auch sie sich in dieser Zeit zu exekutiven Elementen durchrangen.191 Die zunehmend offene und krisenhafte Situation Ende November 1989 rückte aber gerade die Frage nach der politischen Ausgestaltung des Wandels, also nach klaren Positionsbestimmungen sowie die Anforderung nach exekutivem Krisenmanagement in den Vordergrund des Geschehens, so zumindest die auf den Protesten zunehmend vernehmbare Meinung. Als bis Anfang Dezember das Machtmonopol der Partei gebrochen war, grundlegende Bürgerrechte zumindest für den Moment gesichert schienen und ein sich in Auflösung befindliches Gemeinwesen neue Handlungsbedingungen schuf, zeigte sich daher zugleich die zunehmende „Inkompatibilität“ der Bürgerrechtsbewegung „mit den Zielen und Interessen der in Bewegung geratenen Massen“. Es offenbarte sich nun die Fehlannahme „einer gesamtgesellschaftlichen Verankerung“ der zivilgesellschaftlichen Zukunftsvorstellungen eines „demokratischen Sozialismus“.192 Die gemeinsame Orientierung von Bürgerrechts- und Volksbewegung trug nur solange, wie auch das SED-Regime als gemeinsames Gegenbild existierte. In dem Maße aber, wie sich dieser Handlungszusammenhang, der die Revolution in ihrer ersten Phase prägte, zu lösen begann, knüpften sich die Verbindungen zwischen westdeutschen Parteien, Bundesregierung und Kanzler einerseits und der demonstrierenden Bevölkerung in der DDR sowie Teilen der Bürgerrechtsbewegung und ehemaligen Blockparteien andererseits enger, weil zuvor identitätsstiftende Ziele, allen voran die Zurückdrängung des SED-Regimes erreicht und sich neue Herausforderungen – die politische Ausgestaltung des Erreichten unter sich verschärfenden Krisenbedingungen – stellten. Während also die SED nicht mehr in der Lage war, ihre alte Machtposition zu behaupten und bedeutende Teile der Bürgerrechtsbewegung der Machtoption nach wie vor äußerst skeptisch gegenüberstanden, entwickelte sich das „Modell Deutschland“ – ob medial vermittelt oder selbst in Augenschein genommen – für viele Demonstrierende zu einer ernsthaften und anzustrebenden Alternative und sie fanden in 191
192
Vgl. beispielsweise Klaus-Helge Donath: Außerparlamentarische Opposition, Partei oder Plattform mit politischem Arm? (Interview mit Hans-Jochen Tschiche), in: die tageszeitung vom 15. November 1989. Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 9-12, Zitate S. 10.
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der Bundesregierung und insbesondere in Helmut Kohl einen machtbewussten Instinktpolitiker, dem die deutsche Einheit seit November 1989 mehr und mehr zum politischen Programm wurde.193 Gegen diese Tendenz wandten sich die Akteure der Bürgerrechtsbewegung in entschiedenen Wortmeldungen, etwa mit dem Aufruf „Für unser Land“, der von Christa Wolf verfasst und am 28. November 1989 von Stefan Heym auf einer Pressekonferenz verlesen wurde. Darin wurden der DDR-Bevölkerung zwei Zukunftsperspektiven eröffnet: „Entweder können wir auf der Eigenständigkeit der DDR bestehen und versuchen, mit allen unseren Kräften und in Zusammenarbeit mit denjenigen Staaten und Interessengruppen, die dazu bereit sind, in unserem Land eine solidarische Gesellschaft zu entwickeln, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind. Oder wir müssen dulden, daß, veranlaßt durch starke ökonomische Zwänge und durch unzumutbare Bedingungen, an die einflußreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik in der Bundesrepublik ihre Hilfe für die DDR knüpfen, ein Ausverkauf unserer materiellen und moralischen Werte beginnt und über kurz oder lang die Deutsche Demokratische Republik durch die Bundesrepublik Deutschland vereinnahmt wird. Laßt uns den ersten Weg gehen. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind.“194
193
194
Vgl. Hermann Wentker: Helmut Kohl als Deutschlandpolitiker: Vom Regierungswechsel zum Zehn-Punkte-Programm, in: Deutschland Archiv, 28.11.2017, URL: www.bpb.de/254773, Stand: 21.01.2018; Andreas Rödder: Das „Modell Deutschland“ zwischen Erfolgsgeschichte und Verfallsdiagnose, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2006/3, S. 345-363. „Für unser Land“, in: Neues Deutschland vom 29. November 1989. Vgl. außerdem Christiane Peitz: Angst vor der Wende der Wende, in: die tageszeitung vom 30. November 1989 und der Offene Brief der Vertrauensleutevollversammlung des Deutschen Theaters Berlin an Bundeskanzler Kohl: „Trittbrettfahrer der Reformbewegung“, in: ebd.
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Trotz der sich im November und Dezember 1989 anbahnenden Vereinigungsinitiativen und der Polarisierung des Protestgeschehens,195 war der Ausgang der Revolution zu diesem Zeitpunkt offen. Den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung bot sich an einem Runden Tisch die Möglichkeit, eine politische Perspektive „für unser Land“ zu verhandeln.
195
Vgl. etwa den Gegenaufruf der Plauener Initiative zur demokratischen Umgestaltung: „Für die Menschen in unserem Land“ vom 28. November 1989, URL: http://www. ddr89.de/ddr89/d/-plauen_land.html, Stand: 21.01.2018: „Wer auf Eigenständigkeit der DDR beharrt, verkennt die verheerenden Ausmaße der vom SED-Regime heraufbeschworenen Krise und muss sich fragen lassen, ob er sich damit nicht zum Werkzeug jener immer noch einflussreichen Kräfte machen lässt, die nach wie vor unter dem Deckmantel des Sozialismus das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen und die alten stalinistischen Verhältnisse herbeisehnen.“
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5. Winter 1989/90 und der Zentrale Runde Tisch Neben der Alexanderplatz-Demonstration vom 4. November bedeutete die Konstituierung des Zentralen Runden Tisches 196 im Dezember 1989 die wichtigste Manifestation des bürgerrechtsbewegten Diskurses in der Revolution von 1989/ 90 in der DDR. Die Bedingungen dieses Diskurses hatten sich im Laufe des Monats freilich gewandelt: Das „Volk“, das nach dem Mauerfall vermehrt eine Vereinigung mit der Bundesrepublik forderte, war aus der Sicht der Akteure offenbar nicht mehr jenes „Volk“, das noch Anfang November für die Anliegen der Bürgerrechtsbewegung in Ostberlin auf die Straße gegangen und für die Entwicklung eines demokratischen Sozialismus eingestanden war. Diese sogenannte „Wende der Wende“ sollte auch Auswirkungen auf das Wirken des Runden Tisches haben, der nach Uwe Thaysen schon zu Beginn seiner Tätigkeit ein „Anachronismus“ gewesen sei, weil seine Akteure von Bedingungen ausgegangen seien, die längst nicht mehr gegeben waren, zumindest aber habe sich der Runde Tisch im Laufe seiner Existenz von einer starken zu einer schwachen Öffentlichkeit gewandelt, da dieser im gesamtdeutschen Kontext zunehmend an Einfluss verlor. 197
196
197
Die Bezeichnung „Zentraler Runder Tisch“ hat sich zur Unterscheidung von den zahlreichen in der DDR zu dieser Zeit konstituierten Runden Tischen auf lokaler, regionaler, Bezirks- und Betriebsebene etabliert. Wenn ich im Folgenden von dem Runden Tisch spreche, so meine ich damit den Zentralen Runden Tisch der DDR in Ostberlin. Vgl. Uwe Thaysen/Hans Michael Kloth: Der Runde Tisch und die Entmachtung der SED. Widerstände auf dem Weg zur freien Wahl, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Band VII/2, Baden-Baden 1995, S. 1706-1852, hier S. 1715; Eva Sänger: Einfluss durch Öffentlichkeit? Zur Bedeutung des Zentralen Runden Tisches im Umbruch der DDR, in: Conze/Gajdukowa/Koch-Baumgarten: Revolution 1989, S. 154-169.
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Während sich die landesweiten Demonstrationen seit Mitte November zunehmend auf die Bundesrepublik hin zu orientieren begannen, debattierten Akteure der Bürgerrechtsbewegung am Runden Tisch in Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit den „alten Kräften“ über Schritte zur Überwindung der Krise und über Wege zur Erhaltung und freiheitlich-demokratischen Erneuerung der DDR, über jene Themen also, die bereits einen Monat zuvor oppositionelle Erklärungen und Reden überspannten. Gleichwohl war der Runde Tisch eine dem in Auflösung begriffenen Regime aufgezwungene Institution eines zwar angestrebten aber im Ziel vagen Übergangs, in dem zu allererst die Abgabe und Art der Neuverteilung von politischer Macht zu verhandeln war. Die Vorbereitung freier Wahlen sowie die Erarbeitung eines neuen Wahlgesetzes und einer neuen Verfassung sollten dabei ebenso im Mittelpunkt der Überwindung des Einparteiensystems und der Demokratisierung der DDR stehen, wie die Auflösung des MfS. Zwischen dem 7. Dezember 1989 und dem 12. März 1990 trafen die Diskutanten des Runden Tisches, Vertreter aus den verschiedenen Gruppierungen und Parteien der Bürgerrechtsbewegung sowie Vertreter von SED, Blockparteien und Massenorganisationen zu insgesamt 16 Sitzungen unter der Moderation von Kirchenvertretern und vor den Kameras des live übertragenden DDR-Fernsehens zusammen. Für die Akteure der Bürgerrechtsbewegung bedeutete die seit dem 10. November öffentlich vorgetragene Initiative für einen Runden Tisch die logische Fortführung des in der „Herbstgesellschaft“ eingeleiteten zivilgesellschaftlich motivierten Demokratisierungsprozesses in einen institutionalisierten und damit verbindlichen Kommunikationsrahmen, der den Prozess zugleich auf die höchste politische Ebene hob und in den Bahnen des eigenen ideenpolitischen Konzepts hielt. Eine erstmals am 4. Oktober zusammengekommene „Kontaktgruppe“ aus den verschiedenen oppositionellen Gruppierungen und Parteien arbeitete seit dem 3. November in wöchentlichen Treffen auf die Konstituierung eines Runden Tisches hin. Dieser sollte nach dem Vorbild ähnlicher Gremien auf nationalstaatlicher Ebene in Polen und Ungarn die verfassungsrechtlichen Weichen für die „demokratische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft in der DDR“ stellen, nachdem die Idee des gleichberechtigt-konsensualen Austauschs mit den Machthabern bereits im Sommer des Jahres diskutiert wurde und nun, unter den neu geschaffenen Voraussetzungen gleichsam politisch adäquat und historisch erprobt erschien, den revolutionären Umbruch im Sinne der eigenen politischen 80
Ideen auszugestalten.198 Dabei wurde die Frage, ob und inwiefern „die Reform mit den Genossen [zu] machen“ sei,199 unter dem Eindruck der innenpolitischen Folgen des Mauerfalls für die DDR zunehmend in eine Richtung beantwortet, die sich den „in der SED reformwillige[n] Kräfte[n]“ öffnete.200 Das gemeinsame Auftreten von Vertretern der Bürgerrechtsbewegung und der SED auf der Alexanderplatz-Demonstration, aber auch die bereits praktizierte Zusammenarbeit auf lokaler Ebene, etwa in Leipzig, Dresden oder Potsdam nahmen ja diese neue Konstellation bereits vorweg. Diese war von dem gemeinsamen, im Einzelfall mehr oder weniger stark ausgeprägten Verlangen getragen, die DDR zu reformieren und dadurch zu erhalten. Dennoch zeigen die Einbeziehung der Kirchen in die oppositionelle Vorbereitung für einen Runden Tisch als neutrale, einladende Instanz und Mittler zwischen Bürgerrechtsbewegung und Staatspartei, als auch die Vereinnahmung des Konzepts „Runder Tisch“ durch die SED in einer Erklärung im Neuen Deutschland vom 23. November 1989 an, dass die Beziehungen zwischen Opposition und Staatsmacht auch mit einem sich herauskristallisierenden gemeinsamen Ziel gegenläufig blieben.201 In dem Entschluss der „Kontaktgruppe“ über die Zusammensetzung des Runden Tisches zeigte sich dann auch, dass die politischen Verhältnisse nach wie vor als bipolare Auseinandersetzung gedeutet wurden: beiden politischen Lagern, also den Gruppierungen und Parteien der Bürgerrechtsbewegung auf der einen und der SED sowie den Blockparteien
198 199
200
201
Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 296-302. Sebastian Pflugbeil: Wir müssen die Reform mit den Genossen machen, zit. nach: Rein: Opposition, S. 20-26. Matthias Geis: Endlich gibt es ein DDR-Staatsvolk (Interview mit Wolfgang Ullmann), in: die tageszeitung vom 18. November 1989. Darin hieß es, zit. nach Thaysen: Der Runde Tisch, S. 33: „Das Politbüro des Zentralkomitees der SED hat in Verwirklichung des Aktionsprogramms der Partei den Vorschlag unterbreitet, daß sich die in der Koalitionsregierung vereinten politischen Parteien gemeinsam mit anderen politischen Kräften des Landes an einem ‚Runden Tisch‘ zusammenfinden […].“ Vgl. auch Matthias Geis: Nach Polen und Ungarn jetzt die DDR. Die SED greift auf das beliebte Möbelstück des runden Tisches zurück, in: die tageszeitung vom 24. November 1989. Vgl. dazu Rainer Land/Ralf Possekel: Fremde Welten. Die gegensätzliche Deutung der DDR durch SED-Reformer und Bürgerbewegung in den 80er Jahren, Berlin 1999.
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auf der anderen Seite sollten jeweils 15 Sitze am Runden Tisch zugestanden werden. Als aber in den ersten beiden Sitzungen auch die von der SED abhängigen Massenorganisationen Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) und Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) erfolgreich an den Runden Tisch drängten, mussten jene neuen Sitze auf der einen Seite durch Mandate auf der anderen Seite – durch die Zulassung des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) und der Grünen Liga (GL) – ausgeglichen werden, sodass nach der zweiten Sitzung die Parität auf 19:19 ausgebaut wurde. Der Runde Tisch als Idee war in der Konzeption der Bürgerrechtsbewegung zunächst eine Metapher für eine Idealsituation basisdemokratischer Praxis. Die Idee des Kreisrunds als eines räumlichen Ordnungsprinzip politischer Auseinander- oder besser Zusammensetzung insinuierte die Gleichstellung und Gleichberechtigung der beteiligten Mitglieder, die in einer freien Gedankenzirkulation auf einen gemeinsamen Konsens hin diskutieren, wobei der Mittelpunkt des Kreises – die Machtposition – stets unbesetzt, die Diskussion also idealerweise herrschaftsfrei blieb.202 Vielmehr sollte das gemeinsame Ringen um ein gemeinsames Ziel, der von allen Beteiligten herbeigeführte und am Ende auch allgemein getragene Konsens handlungsleitendes Strukturprinzip der politischen Entscheidungsfindung sein. In dieser Konzeption spiegelte sich nicht zuletzt die Überzeugung des zivilgesellschaftlichen Fundamentalkonsenses der Bürgerrechtsbewegung wider, der die Interessen und Anliegen der Bürger in einem gesamtgesellschaftlichen „Dialog“ auf ein Allgemeinwohl hin kanalisiert sehen wollte. Dieser subjektivistische Politikansatz entwuchs dem Debattieren und Ringen um gemeinsame Standpunkte, wie es die oppositionelle Praxis und Idee in den 80er Jahren unter den gegebenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen der DDR hervorbrachte. Aus dieser Perspektive entwickelte sich zugleich eine für die Bürgerrechtsbewegung typische Skepsis gegenüber Repräsentativsystemen und Stellvertreterpolitik, die 202
Vgl. Francesca Rigotti: Der „runde Tisch“ und der Mythos der symmetrischen Kommunikation, in: Ludgera Vogt/Andreas Dörner (Hg.): Sprache des Parlaments und Semiotik der Demokratie, Berlin 1995, S. 290-297, hier S. 296f.: „Jeder, der dem Kreis der Interessenten angehört, soll die Perspektive aller anderen einnehmen (das heißt, sich an allen Kreisumfangspunkten entlang bewegen), um den allgemeinen Rollenwechsel, der dem Verallgemeinerungsprinzip vorgestellt ist und in einer kreisförmigen und zirkulierenden Lage entsteht, zu erleben […].“
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zu Bevormundung und stets zu Partizipationsverlusten der „mündigen Bürger“ tendieren würden. Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt betonte im Sommer 1990: „Die Perspektive des Runden Tisches ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch nicht aus der Welt, in der die Linearperspektive der Parteien und Parlamente mit ihrem System Rechts-Links-Mitte herrscht. Es ist eine Linearperspektive. Aus dem Blickwinkel eines Präsidiums, eines Machtzentrums, blickt man auf die Interessengruppen und Tendenzen, die von diesem Zentrum rechts angezogen, links abgestoßen und in der Mitte neutralisiert werden. […] Ganz anders die umgekehrte Perspektive des Runden Tisches in der keine Seite der anderen den Rücken zukehrt, weil sie alle auf ein unsichtbares Zentrum orientiert sind: die nicht mit Gewalt und Konkurrenz erzwingbare, sondern nur im gemeinsamen Diskurs und gemeinsamer Entscheidung realisierbare Zukunft. Der Runde Tisch hat uns die Zirkularperspektive gelehrt.“203
Das mit Lobbyismus, eigennützigen Parteifunktionären und inneren Machtkämpfen assoziierte Parteienparlament wird in der Argumentation der Akteure mit der erfahrungsgesättigten Deutung der DDR als „vormundschaftlicher Staat“ und als „Organisationsgesellschaft“204 parallelisiert. Sowohl in einer Parteiendemokratie als auch im Einparteienstaat hätten die Bürger – freiwillig oder unter Zwang – ihren individuellen politischen Einfluss abgetreten und damit zugleich ihre ureigene Veranlagung zur Mündigkeit untergraben. Als politischen Gegenentwurf zum Einparteien- und Repräsentativsystem entwickelte die Bürgerrechtsbewegung im Laufe der 80er Jahre ein radikaldemokratisches Konzept, nach dem die politische Durchsetzung von Interessen und Absichten möglichst unmittelbar und unvermittelt geschehen sollte, da somit zugleich die Individuen politisch aktiviert und der politische Willensfindungsprozess vor Manipulation und Bevormundung abgeschirmt sei. Freilich spielten dabei auch die repressiven 203 204
Ullmann: Bund deutscher Länder, S. 210. Vgl. Detlef Pollack: Das Ende einer Organisationsgesellschaft. Systemtheoretische Überlegungen zum gesellschaftlichen Umbruch in der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie 1990/4, S. 292-307.
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Strukturen des Regimes gegen unabhängige politische Betätigung eine Rolle, die fast keine andere Form der politischen Organisation zuließen, als die der kleinstrukturierten und unmittelbaren, meist persönlich bleibenden Auseinandersetzung, die dann wiederum zum anzustrebenden Politiksystem erhoben wurde. In den „Ansätzen zur Basisdemokratie“ des Neuen Forums, ein Flugblatt, dass im Oktober 1989 als eine Art Leitfaden zur politischen Betätigung ausgegeben wurde, heißt es im zweiten Punkt: „Nimm Deine Interessen selber wahr, überlasse das nicht anderen Gremien – Du kannst für dich selbst am besten sprechen.“205 Ein in der gleichen Zeit erschienener Aufruf „Was können wir tun?“ von Demokratie Jetzt schreibt diese basisdemokratische Grundhaltung zu einer Aufforderung zur gesellschaftlichen Selbststeuerung und -verwaltung fort: „Wir schlagen Ihnen vor, sich in selbstverwalteten Bürgerkomitees zusammenzuschließen: in den Betrieben und Wohngebieten, in den Schulen und Hochschulen, in den Städten und Dörfern. Sprechen Sie miteinander über die Probleme, die Sie bewegen. Bringen Sie sich mit Ihren Erfahrungen und Ihrem Wissen, Ihren Gefühlen und Ihrer Hoffnung ein. Wir alle müssen politisches Handeln jetzt lernen.“206
Mit dieser „Politik der ersten Person“ war zugleich eine Absage an revolutionäre Imperative erteilt – gleichwohl dem politischen Denken der Bürgerrechtsbewegung ein umfassendes normatives Gesellschaftskonzept zugrunde lag – und die direkte Verknüpfung von politischer Überzeugung und persönlicher Lebenspraxis angesprochen. Die Institutionen der Revolution, die zum Teil spontan entstandenen Bürgerkomitees in Betrieben, Städten und Schulen sowie die Runden Tische selbst wurden demnach als Höheraggregation einer politischen Kultur verstanden, die sich als eine der wenig möglichen Gegenreaktionen auf die politische und gesellschaftliche Gegenwart in der DDR bereits vor 1989/90 herausgebildet hatte. Die Diskussion am Küchen- oder Wohnzimmertisch einer Prenzlauer Künstlerwohnung fand ihre
205
206
Neues Forum: Ansätze zur Basisdemokratie vom 23. Oktober 1989, URL: http://www. ddr89-.de/ddr89/nf/NF172.html, Stand: 21.01.2018. Demokratie Jetzt: Flugblatt „Was können wir tun?“ vom 30. September 1989, URL: http://-www.ddr89.de/dj/DJ_Zeitung_1.html, Stand: 20.01.2018.
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praxeologische Fortsetzung und politisch-institutionelle Festsetzung in den Debatten über die Rettung und Zukunft der DDR am Runden Tisch. Das demokratiepolitische Selbstverständnis der Akteure und der Weg in die Opposition wurden dabei entscheidend in der dissidentischen Literatur- und Künstlerszene geprägt. Die Verflechtung von organisierter politischer Opposition in den Gruppierungen und dissidentischer Szene zeigte sich im Herbst 1989 in der von „Kulturschaffenden“ organisierten und durchgeführten Kundgebung auf dem Alexanderplatz und in den Appellen der Künstler für den Erhalt und die Erneuerung der DDR, die von den allermeisten Oppositionsgruppen mitgetragen oder sogar mitorganisiert wurden. Wenn der Schriftsteller Stefan Heym als „Nestor unserer Bewegung“ bezeichnet wurde, so verwies dies allgemein auf die ideelle und auch personelle Verankerung der Bürgerrechtsbewegung in der literarischen Dissidenz und im konkreten Fall unter anderem auf Heyms Roman „Schwarzenberg“, der 1984 in der Bundesrepublik erschienen war und die bürgerrechtsbewegte Idee des Politischen zwar historisch fiktionalisiert, in der Sache aber pointiert und eindrücklich beschrieb. Der Autor projiziert darin die Utopie eines freiheitlichen Sozialismus und die Idee einer sich selbststeuernden Gesellschaft auf die während der sechs Wochen nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten besatzungslos gebliebenen Region Schwarzenberg im westlichen Erzgebirge. Die von einem basisdemokratischen und räteähnlichen Aktionsausschuss verwaltete sozialistische „Republik Schwarzenberg“ kann dabei zugleich als literarischer Gegenentwurf Heyms zum staatssozialistischen SED-Regime gedeutet werden; der Roman damit als politischer Kommentar auf die Verhältnisse in der DDR der 1980er Jahre gelesen werden, die nichts mit jenen wahrhaft sozialistischen Ursprüngen mehr zu tun hätten, in deren Sinne die Protagonisten seines Werkes in ihrer historischen Situation agieren. Die Idee der Konsensdemokratie, die aus Sicht der Bürgerrechtsbewegung ja auch die selbstverwalteten Komitees und die Runden Tische durchziehen sollte, verhandelte Heym an jenem Aktionsausschuss, der in der Erzählung des Autors als Objektivierung einer Idealpraxis demokratischer Willensbildung erscheint.
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5. 1. Demokratische Legitimation – aber wie? Mit dem Runden Tisch war bei den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung also von Beginn an auch die Hoffnung auf die Schaffung einer neuen, authentisch demokratischen politischen Kultur verbunden, die das „Repräsentationssystem und das Repräsentationsdenken überwinden [würde] zugunsten eines mündigen Bürgers, der selbst an der Meinungs- und Willensbildung partizipiert, aus der sich dann die politische Kraft entwickelt, über die im Staat Politik gemacht werden kann.“207 Damit ist die Idee des Runden Tisches als Ausdruck plebiszitärer Demokratie gegen das Prinzip der politischen Repräsentation beschrieben und die in der „Herbstgesellschaft“, insbesondere auf den Massenkundgebungen bestärkte Tendenz der Bürgerrechtsbewegung umrissen, wonach „das Volk selbsttätig bei der Vollziehung staatlicher Machtbefugnisse mitwirken und die Ausübung öffentlicher Hoheitsgewalt einer vorherigen Autorisierung oder nachträglichen Billigung unterziehen [solle].“208 Die Losung „Wir sind das Volk“, die noch die Kundgebung am 4. November 1989 bestimmte, meinte deshalb die „Rückforderung des demokratischen Rechtstitels von der herrschenden Partei […] und die Zurückweisung eines nicht an den Volkswillen rückgebundenen Herrschaftsanspruchs.“209 Diese Zurückweisung war in der Konzeption der Bürgerrechtsbewegung eine doppelte. Sie bezog sich zugleich auf den Machanspruch der führenden Staatspartei in der DDR und auf jenen der Parteien in den westlich-liberalen Parlamentsdemokratien.210
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Hans-Jürgen Fischbeck in einem Interview 1990, zit. nach: Hagen Findeis/Detlef Pollack/Manuel Schilling (Hg.): Die Entzauberung des Politischen. Was ist aus den politisch-alternativen Gruppen der DDR geworden? Interviews mit ehemals führenden Vertretern, Leipzig 1994, S. 78-98, hier S. 95. Ernst Fraenkel: Artikel „Repräsentation“, in: Ernst Fraenkel/Karl Dietrich Bracher (Hg.): Staat und Politik, Frankfurt a.M. 1967, S. 294. Ulrich K. Preuß: Revolution, Fortschritt und Verfassung, Berlin 1990, S. 52. Die Kriterien, die die Akteure an eine demokratische Legitimation legten, zeigten sich schlaglichtartig in einem kurzem Rededuell zwischen Gerd Poppe von der IFM und Hartwig Bugiel vom FDGB während der ersten Sitzung des Runden Tisches, zit. nach: Uwe Thaysen (Hg.): Der Zentrale Runde Tisch der DDR. Wortprotokoll und Dokumente,
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Verschiedentlich ist im Rückblick auf 1989/90 die Frage diskutiert worden, warum die Akteure der Bürgerrechtsbewegung nicht zu irgendeinem Zeitpunkt während des inneren Zerfalls des SED-Regimes im Herbst 1989 die angeblich „auf der Straße liegende Macht“ übernahmen.211 Die Antwort ist nicht allein gegeben mit einem Verweis auf die allgemeine Machtaversion der Bürgerrechtsbewegung, die mit Machtgebrauch unmittelbar Machtmissbrauch assoziierte.212 Vielmehr noch liegt der Grund für die machtpolitische Selbstbeschränkung der Bürgerrechtsbewegung in der Überzeugung ihrer Akteure, dass allein „das Volk“ selbst zu Grundsatzentscheidungen, wie die einer Machtübertragung befugt sei.213 Daraus ergab sich eine streng legalistische Auffassung über die Art und Weise, wie politische und gerade staatspolitische Veränderungen in der DDR erreicht werden sollten. Nicht über den radikalen Sturz der alten Verfassungsordnung, sondern durch die schrittweise Demokratisierung derselben sollte sich ein reformiertes Gemeinwesen neu konstituieren. Deutlich wurde diese Auffassung und die sich aus ihr ergebenden praktischen Probleme in der Diskussion um die demokratische Legitimation und das daraus abgeleitete Selbstverständnis des Runden Tisches.
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Band I, Wiesbaden 2000, S. 12: Bugiel hatte sich gerade als „Vorsitzender des Zentralvorstandes der IG Metall der DDR“ vorgestellt, durch welchen er „demokratisch gewählt“ worden sei, wobei er nicht vergisst zu erwähnen, dass es bei dieser Wahl mehrere Kandidaten gegeben habe. „Poppe: Eine Frage. […] Können Sie nochmal wiederholen, wie hoch das Wahlergebnis war? | Bugiel: 63 zu 17. | Poppe: Das heißt, 80 Personen? | Bugiel: Ja. | Poppe: Können Sie sagen, wie viele Mitglieder die IG Metall hat? | Bugiel: Rund zwei Millionen. | Poppe: Danke.“ So erklärte Stefan Heym in einem Interview zum ersten Jahrestag der deutschen Einheit, zit. nach: André Hahn: Der Runde Tisch. Das Volk und die Macht – Politische Kultur im letzten Jahr der DDR, Berlin 1998, S. 159: „Ich frage mich, ob es an diesem Novembertag [4. November 1989, F.K.], mit diesen auf so merkwürdige Art veränderten und erregten Menschen, nicht möglich gewesen wäre, die Macht zu übernehmen, für das Volk und durch das Volk. […] Es war keiner da, der die Stimmung im Lande in politische Realität verwandelt hätte. Es war keiner da, der etwas organisiert oder gebildet hätte, was praktisch eine provisorische Regierung gewesen wäre. Das ist völlig versäumt worden.“ Vgl. Poppe: Selbstverständnis, S. 260-262. Vgl. Klaus Michael Rogner: Der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches in der DDR, Berlin 1993, S. 31-35.
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Die Teilnehmer der verschiedenen Parteien und Gruppierungen am Runden Tisch (insgesamt 276 Personen) waren nicht durch eine demokratische Wahl legitimiert, sondern kraft ihrer Position im politischen System der DDR oder aufgrund ihrer prominent vorgetragenen Opposition gegen dasselbe und der dieser auf den Demonstrationen entgegengebrachten Akklamation bzw. durch die gegenseitige Kooptation in dieses Gremium gelangt. Ingrid Köppe vom Neuen Forum verlas während der ersten Sitzung des Runden Tisches vor dem Hintergrund dieses angenommenen demokratischen Legitimationsdefizits eine gemeinsame Erklärung der Opposition: „Am Runden Tisch haben sich politische Kräfte des Landes versammelt. Wir gehen davon aus, daß keine dieser Kräfte, auch nicht die Volkskammer, und auch nicht die Regierung, eine hinreichende Legitimation durch freie und demokratische Wahlen hat. Sie können deshalb keine grundlegenden Entscheidungen für unser Land treffen. Der Runde Tisch kann keine Regierungsfunktion ausüben. Wir wollen nicht daran schuldig werden, daß dieser Tatbestand vor dem Volk verschleiert wird. Wir erklären, daß wir nur eine Politik unterstützen wollen, die die Eigenständigkeit unseres Landes wahrt. Wir unterstützen die Tätigkeit der unabhängigen Volkskontrollausschüsse und Bürgerkomitees sowie der unabhängigen Interessenvertretungen der Werktätigen.“214
Drei Dimensionen über die zeitgenössische Problemwahrnehmung der Bürgerrechtsbewegung werden in dieser Erklärung erkennbar. Erstens: „Für unser Land“ entwickelte sich zu einem programmatischen Sprachsymbol derjenigen, die sich gegen eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten engagierten – allen voran die reformsozialistisch orientierten Personen und zivilgesellschaftlich organisierten Gruppierungen der Bürgerrechtsbewegung. Dieser in den Äußerungen dieser Zeit häufig vorkommende Verweis auf „unser Land“ und das energische Bestehen auf dessen Eigenständigkeit zeigt zugleich, für wie elementar die Akteure die seit Ende November stark an Resonanz gewinnende Debatte um die deutsche Einheit
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Erklärung der Opposition am Runden Tisch vom 7. Dezember 1989, zit. nach: Thaysen: Wortprotokoll und Dokumente, Band I, S. 13.
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hielten. Neben der basisdemokratischen und zivilgesellschaftlichen Grundsatzausrichtung beschrieb diese Formulierung eine der wenigen unhintergehbaren Grundpositionen der Bürgerrechtsbewegung, gleichwohl die parteiorientierten Gruppierungen der Opposition (SDP, DA) und die CDU bereits im Laufe des Dezembers damit begonnen hatten, sich von diesem Obersatz zu lösen. Zweitens: In der vorgetragenen Sorge, zur demokratischen Kaschierung nicht legitimierter Regierungstätigkeit instrumentalisiert zu werden, drückte sich die anhaltende Skepsis der Akteure gegenüber dem SED-Regime aus.215 Drittens: Demokratische Legitimation als Ausgangspunkt aller weiteren politischen Entscheidungen im Land wurde einzig dem „Volk als Macht der Straße, verbunden mit den Organisationen aus den oppositionellen Gruppen, sowie den Werktätigen in den Betrieben“216 zugesprochen. Die Frage, die sich aus diesem Verständnis ergab war natürlich, welche gemeinorientierten Aufgaben sich der Runde Tisch überhaupt auferlegen durfte, wenn doch seine Teilnehmer ihre Legitimation zu sprechen und zu beschließen entweder nur moralisch oder erst nachträglich durch den Nachweis, dass der Runde Tisch „etwas zustande bringt für unser Land“217 begründen konnten? Die Antwort auf diesen Konflikt findet sich in der Selbstverständniserklärung des Runden Tisches, die während der ersten Sitzung von den Punkten der oppositionellen Erklärung ausgehend formuliert und von den Teilnehmern einstimmig angenommen wurde. Darin hieß es:
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Dies blieb ein anhaltender Konflikt, der im Januar 1990 in der Diskussion um einen Beitritt einiger Akteure der Bürgerrechtsbewegung in die Regierung Modrow gipfelte. Auch wenn diese Formulierung inhaltlich weitergeht als die gemeinsame Erklärung der Opposition am Runden Tisch, wird auch hier keine Legitimation für eine Machtübernahme ausgesprochen. Vgl. Information der Wirtschaftssprecher des Neuen Forum DDR, Material zum Runden Tisch vom 18. Dezember 1989, zit. nach: Rogner: Verfassungsentwurf, S. 32. So Wolfgang Ullmann von Demokratie Jetzt zu Beginn der ersten Sitzung des Runden Tisches, zit. nach: Thaysen: Wortprotokoll und Dokumente, Band I, S. 6: „Dieser Runde Tisch ist kein Repräsentativgremium und er besitzt keine andere Legitimität als die, daß er etwas zustande bringt für unser Land.“
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„Die Teilnehmer des Runden Tisches treffen sich aus tiefer Sorge um unser in eine Krise geratenes Land, seine Eigenständigkeit und seine dauerhafte Entwicklung. Sie fordern die Offenlegung der ökologischen, wirtschaftlichen und finanziellen Situation in unserem Land. Obwohl der Rundtisch keine parlamentarische oder Regierungsfunktion ausüben kann, will er sich mit Vorschlägen zur Überwindung der Krise an die Öffentlichkeit wenden. Er fordert von der Volkskammer und der Regierung, rechtzeitig vor wichtigen rechts-, wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen informiert und einbezogen zu werden. Er versteht sich als Bestandteil der öffentlichen Kontrolle in unserem Land. Geplant ist, seine Tätigkeit bis zur Durchführung freier, demokratischer und geheimer Wahlen fortzusetzen.“218
Diese politische Selbstvergewisserung des Runden Tisches kann als selbstbeschränkende Antwort auf das perzipierte Legitimationsdefizit gedeutet werden. Der Runde Tisch wollte sich nicht als Konkurrenz zur Regierung und zur Volkskammer verstanden wissen, wenn er auch faktisch mehr und mehr in eine gesetzesinitiierende Position gelangte bzw. gelangen musste. Anfang Februar 1990, unter dem Eindruck der sich verschärfenden Krise übernahm er sogar partielle Regierungsverantwortung, indem acht Teilnehmer des Runden Tisches aus dem Kreis der Bürgerrechtsbewegung als „Minister ohne Geschäftsbereich“ in die „Regierung der nationalen Verantwortung“ eintraten und damit halfen, das in Selbstauflösung begriffene Regime bis zu den Wahlen am 18. März 1990 zu retten. Diese Entwicklung ist allerdings nur vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Krise von Staat und Staatspartei sowie dem voranschreitenden Stimmungswandel innerhalb der Bevölkerung zu verstehen – eine Entwicklung, die den bürgerrechtsbewegten Diskurs allgemein an den Rand der Revolution drängte und deren politische Herausforderungen einzelne Gruppierungen der Bürgerrechtsbewegung in heftige Selbstbeschäftigungsdebatten stürzte, allen voran die Vertreter der „Plattformen“, die eigentlich bloß Diskussionsforen sein wollten und sich nun mit Regierungsverantwortung und Parteisystemlogik konfrontiert sahen.
218
Erklärung Runder Tisch: Zum Selbstverständnis des Runden Tisches, zit. nach: Thaysen: Wortprotokoll und Dokumente, Band I, S. 62.
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Zu Beginn der Verhandlungen am Runden Tisch waren die Akteure aber überzeugt, dass sich „unser in eine Krise geratenes Land“ auch mit der Beschränkung des Gremiums auf die Herstellung von Öffentlichkeit und Informationsgabe, die Kontrolle der Regierung und die beratende Unterstützung bei der Herbeiführung von demokratischen Entscheidungen in seiner Eigenständigkeit und frei von Chaos bewahren und demokratisieren ließe. Damit war zwar klar gesagt worden, dass der Runde Tisch durch die Vorbereitung freier Wahlen an seiner Selbstabschaffung arbeiten würde, doch blieb durch diese zunächst selbstreferentielle Entscheidung noch ungeklärt, wann und wie „das Volk“ in die Arbeit des Runden Tisches einzubeziehen sein sollte, wann und wie also dieses Gremium und seine Beschlüsse nachträglich demokratisch legitimiert werden sollten. Im Kern ging es in dieser Frage darum zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt eine Volksabstimmung über die beiden zentralen, vom Runden Tisch zu erarbeitenden Themen, das neue Wahlgesetz und die neue Verfassung abgehalten werden sollte. Während Gregor Gysi und Wolfgang Berghofer für die SED sowie Rainer Schramm für den FDGB, Manfred Gerlach für die LDPD und Lothar de Maizière für die CDU gegen einen Volksentscheid und für schnelle Wahlen nach einer vom Runden Tisch beschlossenen Demokratisierung des geltenden Wahlgesetzes argumentierten, verlief die Bruchlinie in dieser Frage innerhalb der Bürgerrechtsbewegung erneut zwischen den Parteien auf der einen und den „Plattformen“ auf der anderen Seite. Die SDP hatte sich in einer Vorstandserklärung vom 3. Dezember „[a]us der Verantwortung für unser Land“ und weil sich „die politische Lage […] von Tag zu Tag zum Negativen“ verändere bereits für den 6. Mai 1990 als Datum „für demokratische, geheime und freie Wahlen zur höchsten Volksvertretung“ ausgesprochen und diesen Standpunkt durch Ibrahim Böhme auch am Runden Tisch vertreten.219 Gegen diesen Vorschlag wandten sich Rolf Henrich und Reinhard Schult vom NF sowie Gerd Poppe von der IFM, Anett Seese von der VL und Ina Merkel vom UFV, die „das Volk“ zunächst über das zu erarbeitende Wahlgesetz vor dem Hintergrund einer auf diesem Wege erreichbaren höheren demokratischen Legitimation abstimmen lassen wollten, ehe zunächst aufgeschobene Wahlen
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Sozialdemokratische Partei in der DDR. Vorstand, 3. Dezember 1989, zit. nach: Thaysen: Der Runde Tisch, S. 53.
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und eine fortgesetzte, nun parlamentarische Verfassungsdiskussion mit anschließender Volksbefragung und erneuter -abstimmung stattfinden sollten. Mit dieser Argumentation verbanden die „Plattformen“ auch die Hoffnung, sich für die anstehende Wahl und vor allem den anstehenden Wahlkampf besser organisieren und aufstellen zu können. Ihre Vertreter schlugen daher den 10. Juni 1990 als Termin für eine Wahl vor, wissend, dass dies einer der letztmöglichen Termine vor der politischen Sommerpause war, vor der – so die allgemeine Überzeugung – die Wahlen abgehalten sein sollten, um nicht ins Kielwasser des anstehenden Bundestagswahlkampfes zu geraten. In der Abstimmung über die Frage des Wahltermins, die laut der Geschäftsordnung des Runden Tisches nach einfacher Mehrheit entschieden wurde, setzten sich die „alten Kräfte“ und die Parteien durch, die mit der sich verschärfenden Krise im Land und dem angeblichen Volkswillen nach schnellen Wahlen sowie der Ermüdung der Menschen durch demokratietheoretische Paragraphendiskussionen und zu vielen Abstimmungen in kurzer Zeit argumentierten. Die „Plattformen“ stimmten nicht gegen diesen Termin, enthielten sich aber ihrer Stimme und machten damit deutlich, dass am Runden Tisch ein breiter Konsens über anzuberaumende Wahlen vorhanden war,220 nicht aber über die Frage, wie demokratisch legitimiert der Weg dorthin beschritten werden sollte und in wie naher Zukunft diese stattfinden sollten. Am Ende der ersten Sitzung wurde daher ein Fahrplan für die kommenden Monate beschlossen: Der Runde Tisch sollte ein Wahlgesetz und einen Verfassungsentwurf ausarbeiten, am 6. Mai 1990 sollten Wahlen stattfinden und schließlich sollte „das Volk“ über eine vom neugewählten, demokratischen Parlament fortgeschriebene Verfassung abstimmen, nicht aber vor der Parlamentswahl über das die Wahl regulierende und vom Runden Tisch auszuarbeitende Gesetz selbst. Die Festsetzung des Wahltermins und die politische Ausgestaltung des Prozederes dorthin interpretiert Karsten Timmer als eine Zäsur der Revolution, da mit dem Übergang basisdemokratischer Trägergruppen des Protests zu politischen Entscheidungsträgern am Runden Tisch der Handlungszusammenhang von Opposition und demonstrierenden Massen auseinanderzubrechen begann und mit
220
Vgl. dazu Hans Michael Kloth: Vom „Zettelfalten“ zum freien Wählen. Die Demokratisierung der DDR 1989/90 und die „Wahlfrage“, Berlin 2000, S. 549-563.
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dem Wahltermin der Grundstein für ein parlamentarisches Repräsentativsystem gelegt worden sei, was neue Handlungslogiken bedeutete, die von den Parteien besser bespielt werden konnten als von den „Plattformen“, die an ihren reformsozialistisch-zivilgesellschaftlichen Überzeugungen festhielten.221 Dem ist hinzuzufügen, dass die „Plattformen“ durch ihren Gang an den Runden Tisch nicht ihre basisdemokratische Orientierung aufgaben, sondern diese – im Gegenteil – fortgesetzt verwirklicht sahen und mit den gegebenen Erfordernissen praktischer Politik abzustimmen versuchten. Während in der Einlassung Ludwig Mehlhorns, der Volkskammerwahlkampf bedeute eine „Entmachtung des Bürgerwillens in der DDR“,222 das Festhalten an der Idee der basisdemokratischen Umgestaltung deutlich wird, zeigt der Zusammenschluss der Gruppierungen NF, IFM und DJ zum Bündnis 90 im Februar 1990 an, dass die Akteure auch pragmatisch mit ihrer Situation umzugehen versuchten, selbst wenn dieses Bemühen bei der dann nochmals vorgezogenen Volkskammerwahl am 18. März nicht belohnt wurde: Das Bündnis 90 konnte gerade 2,9 % der Stimmen auf sich vereinigen, zog aber aufgrund einer fehlenden Sperrklausel dennoch mit 12 Vertretern in das erste frei gewählte Parlament der DDR ein.
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Vgl. Timmer: Aufbruch, S. 364-386. Auf der offiziellen Gründungskonferenz am 28. Januar 1990 definierte sich das Neue Forum als „unabhängige politische Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern, die Demokratie in allen Lebensbereichen durchsetzen wollen.“ Diese Entscheidung gegen die Parteiwerdung führte zur Abspaltung der Deutschen Forumpartei, die sich dann im Vorfeld der Volkskammerwahl dem liberalen Wahlbündnis Bund Freier Demokraten (BFD) anschloss. Ludwig Mehlhorn: Leichenfledderei, in: die tageszeitung vom 16. Februar 1990.
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5. 2. Eine neue Verfassung „für unser Land“ Am Höhepunkt des Romans „Schwarzenberg“ lässt Stefan Heym seinen Protagonisten, den von den Nazis verfolgten Sozialisten und Intellektuellen Max Wolfram in einer mitternächtlichen Szene feierlich „die politischen Grundzüge des Heymschen Zukunftsstaates“223 entwerfen: „Er schob seine Papiere zurecht, deren zuoberst liegendes in säuberlich voneinander getrennten Buchstaben die Überschrift Republik Schwarzenberg Verfassung trug, und überlas, was er während der letzten halben Stunde niedergeschrieben hatte: nur einen Satz, der da lautete, Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Ein schöner, ein ergreifender Satz. Er ließ im Herzen die Eröffnungstakte von Beethovens Fünfter aufklingen; ihn lesend, womöglich laut und getragen, erschaute man die endlosen Scharen des Volkes, erhobenen Haupts aus grauer Ebene hervorsteigend, den leuchtenden Blick in die Zukunft gerichtet, tat-tat-tat – tah – ta – tah.“224
Die Akteure der Bürgerrechtsbewegung maßen einer neuen Verfassung für die DDR spätestens seit dem Mauerfall höchste Priorität bei, weil sich nun „unabweisbar die Frage nach der Selbstbestimmung des Volkes und damit nach den Grundlagen seiner rechtlichen Verfaßtheit gestellt“225 habe. Entsprechend lautete der erste Beschluss des Runden Tisches auf seiner ersten Sitzung: „Die Teilnehmer des Runden Tisches stimmen überein, sofort mit der Erarbeitung des Entwurfs einer neuen Verfassung zu beginnen.“226 Abschließend soll daher der Verfassungsentwurf des Runden Tisches auf das Demokratieverständnis der Akteure hin
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Doris Lindner: „Schreiben für ein besseres Deutschland“. Nationenkonzepte in der deutschen Geschichte und ihre literarische Gestaltung in den Werken Stefan Heyms, Würzburg 2002, S. 163. Stefan Heym: Schwarzenberg, München 1984, S. 137. So Gerd Poppe in seinem Bericht über „Gesichtspunkte für eine neue Verfassung“ an den Runden Tisch am 12. März 1990, zit. nach: Thaysen: Wortprotokoll und Dokumente, Band V, S. 1097. Ebd., Band I, S. 50.
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befragt und der Versuch unternommen werden, den Gehalt dieses Entwurfes im Lichte der ideellen und erfahrungsmäßigen Prägungen der DDR-Bürgerrechtsbewegung einzuordnen. Die seit 1968 geltende, 1974 revidierte „Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik“ hatte das Staatsrecht gemäß sozialistischer Staats- und Rechtstheorie durch den übergreifenden Führungsanspruch „der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“ in Art. 1 festgeschrieben und damit den politischen Gegebenheiten der späten Ulbricht- und frühen Honeckerjahre angepasst. Dieser alleinige Führungsanspruch wurde durch einen Volkskammerbeschluss im Dezember 1989, noch vor der Konstituierung des Runden Tisches, aus der Verfassung gestrichen. In den Augen der Akteure war aber die gesamte geltende Staatsrechtsordnung durch die Ereignisse des Herbstes in Frage gestellt, da „den Menschen“, die sich laut Christa Wolf auf der Straße „als Volk“ erkannten und als deren „legitime Sachwalter“ 227 sich die Akteure der Bürgerrechtsbewegung in der Folge glaubten, der Wille zu einer neuen staatsrechtlichen Selbstkonstitution, der legitime Anspruch eines pouvoir constituant zugeschrieben wurde. Von diesem auf den Straßen ostdeutscher Großstädte zum Licht schreitenden Volk, um Stefan Heyms Bild aus „Schwarzenberg“ aufzugreifen, sollte alle verfassungsgebende- und künftige Staatsgewalt ausgehen: „[D]ie Kompetenz zum Erlaß einer Verfassung [liegt] unmittelbar und unveräußerlich beim Volk. Niemand darf dem Volk, das in einer friedlichen Revolution seine Fesseln selbst gesprengt hat, dieses Recht bestreiten. Diejenigen, die die Voraussetzung für eine neue Ordnung geschaffen haben, dürfen ihres Rechts nicht beraubt werden.“228
Aus dieser Überzeugung und in Verwirklichung des Beschlusses des Runden Tisches, „sofort“ einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten, tagte in den Wintermonaten 1989/90 eine Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“, die – ähnlich einem Parlamentsausschuss – in 16 nichtöffentlichen, abseits des Hauptplenums stattfindenden Sitzungen und einer nichtnachweisbaren Anzahl von Besprechungen
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Ebd., Band V, S. 1097. Ebd.
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in Unterarbeitsgruppen zusammenkam. Entscheidend für den Gehalt des Verfassungstextes sollten sich die gewandelten Konfliktlinien des Gesamtprozesses erweisen, die sich auch in der Arbeitsgruppe widerspiegelten. Zum Zeitpunkt der Konstituierung war diese, wie das Hauptplenum des Runden Tisches auch, noch an der Parität zwischen „alten“ und „neuen Kräften“ orientiert. Zwar wurde diese Parität de facto aufrechterhalten, doch gewannen im Laufe der Zeit die reformsozialistisch und zivilgesellschaftlich ausgerichteten Gruppierungen und Parteien ein Übergewicht, da diese aufgrund der an Bedeutung gewinnenden deutschdeutschen Dimension der Revolution in der Verfassungsfrage inhaltlich und politisch zueinanderfanden und damit den Konflikt „alte Kräfte“-„neue Kräfte“ überbrückten, 229 während die auf eine rasche Wiedervereinigung orientierten Parteien (SPD, CDU, DA, DSU) der neuen Verfassung zunehmend skeptisch oder ablehnend gegenüberstanden und aufgrund ihrer repräsentativdemokratischen Überzeugung viel stärker noch am Wahlkampf und Ausgang der anstehenden Volkskammerwahlen interessiert waren als an einer neuen Verfassung für die DDR. Hinzu kam, dass die der Arbeitsgruppe als Experten hinzugezogenen Juristen entweder – kamen sie aus der DDR – bereits an reformsozialistischen „Umbauprojekten“ arbeiteten bzw. in diese politische Richtung orientiert waren, oder – kamen sie aus der Bundesrepublik – als dezidiert „linke“ Staatsrechtler galten und aus ihren Erfahrungen um eine direkt-demokratische Reform des Grundgesetzes in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren heraus auf den Inhalt des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches wirkten. 230 Aus diesen Entwicklungslinien ergab sich für die in der Arbeitsgruppe vertretenen Akteure der Bürgerrechtsbewegung die zunehmend widerspruchsfrei bleibende Möglichkeit, ihre Vorstellungen von Demokratie, Sozialismus und Freiheit als Traditionsbestände und ideelle
229
230
So hatte beispielsweise die SED-PDS auf ihrem Parteitag vom 24./25. Februar 1990 die Stärkung plebiszitärer Elemente festgeschrieben und sich damit inhaltlich der Bürgerrechtsbewegung angenähert. Vgl. Andreas Malycha/Peter Jochen Winters: Geschichte der SED. Von der Gründung bis zur Linkspartei, Bonn 2009, S. 376-378. Aus der DDR: Rosemarie Will, Hans-Jürgen Will, Bernhard Graefrath, Karl-Heinz Schöneburg. Vgl. dazu Rainer Land: Eine demokratische DDR? Das Projekt „Moderner Sozialismus“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2010/11, S. 13-19; Aus der Bundesrepublik: Ulrich K. Preuß, Helmut Simon, Axel Azzola, Bernhard Schlink. Vgl. dazu „Ist das Volk untergegangen?“, in: Der Spiegel 1990/21, S. 34-45.
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Eckpunkte einer „zivilen Gesellschaft“ in einen Verfassungsentwurf, eine „Gesellschaftsverfassung“231 zu gießen. Neben der Profilierung der Menschen- und Bürgerrechte im ersten Kapitel (Art. 140);232 neben der Verbindung der aus dem Grundgesetz übernommenen Menschenwürde-Klausel in Art. 1 mit dem Gleichheitsgrundsatz „Jeder schuldet jedem die Anerkennung als Gleicher“ und einem weitreichenden Diskriminierungsverbot (Art. 1 Abs. 2); neben der Festschreibung sozialer Grundrechte, wie dem Recht auf Arbeit (Art. 27 Abs. 1), soziale Sicherheit (Art. 23), Bildung (Art. 24) und Wohnung (Art. 25), dem Recht auf eine menschenwürdige Umwelt (Art. 33) und Verfahrensbeteiligung an der öffentlichen Planung (Art. 21 Abs. 4, 5) sowie der starken Ausgestaltung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 29, 32), die alle als Voraussetzung für die politische Aktivierung der Bürger, als Grundbedingung der „zivilen Gesellschaft“ konzipiert wurden, standen vor allem das weitreichend ausgelegte Demokratieprinzip, insbesondere die Stärkung von plebiszitären Elementen für die von den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung angestrebte Vergesellschaftung des Staates. Dies lässt sich schon in der von Christa Wolf entworfenen und von der Arbeitsgruppe ergänzten Präambel erkennen, die als vorangestelltes Verfassungskonzentrat ein „demokratisches und solidarisches Gemeinwesen“ zum Staatsziel ernennt, welches aus der fernen und nahen Vergangenheit – „den humanistischen Traditionen“, „der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen“ sowie der „revolutionären Erneuerung“ – abgeleitet wird.233 Als verfassungsgebendes Subjekt tritt dann nicht einfach „das Volk“, sondern treten folgerichtig die „Bürgerinnen und Bürger der DDR“, also jene „besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes“, die sich in der Revolution als mündig erwiesen haben, in Erscheinung. Im Grundrechtekatalog wird
231
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Ulrich K. Preuß: Auf der Suche nach der Zivilgesellschaft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. April 1990. Alle Zitate aus dem Verfassungsentwurf stammen aus: Arbeitsgruppe Neue Verfassung: Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches, Berlin 1990, URL: http:// www.documentarchiv.de/ddr/1990/ddr-verfassungsentwurf_runder-tisch.html, Stand: 15.01.18. Dieser Argumentation der Präambel folgend wird auch die Schaffung der staatlichen Einheit Deutschlands in Aussicht gestellt, allerdings als Folge und unter der Bedingung des europäischen Einigungsprozesses und damit in der weiteren und bedingten Zukunft. Vgl. dazu auch Rogner: Verfassungsentwurf, S. 130.
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jedem Bürger „das gleiche Recht auf politische Mitgestaltung“ (Art. 21) zugesichert und „Vereinigungen, die sich öffentlichen Aufgaben widmen und dabei auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken (Bürgerbewegungen), genießen als Träger freier gesellschaftlicher Gestaltung, Kritik und Kontrolle den besonderen Schutz der Verfassung“ (Art. 35). Dagegen wird „[d]ie Freiheit der Parteien, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung in der Gesellschaft mitzuwirken“ (Art. 37) zwar „gewährleistet“, ihre Bedeutung für die politische Willensbildung im Vergleich zur verfassungsmäßigen Institutionalisierung und exponierten Stellung der „Bürgerbewegungen“ relativiert.234 In der Staatsorganisation folgt der Verfassungsentwurf des Runden Tisches westlich-liberalen Vorbildern, wenn er die Volkssouveränität (Art. 42 Abs. 1), ihre parlamentarische Verwirklichung in der Volkskammer (Art. 51 Abs. 1) und den Staatsgrundsatz in Art. 41 Abs. 1 festschreibt, der die DDR als „rechtsstaatlich verfassten demokratischen und sozialen Bundesstaat“ definiert, dem auch die wiederzugründenden Länder zu entsprechen haben sollten (Art. 47 Abs. 1). In anderen Punkten geht der Entwurf in seiner Verwirklichung des Demokratieprinzips aber auch sehr viel weiter als beispielsweise das Grundgesetz der Bundesrepublik. So wird der Opposition als ein „notwendiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie“ Verfassungsrang (Art. 52 Abs. 2), der Volkskammer das Recht zur Vorladung (Art. 60 Abs. 1) und zur Abwahl von Kabinettsmitgliedern (Art. 77 Abs. 2) zugesprochen. Die Beschlussfähigkeit der Kammer wird von der „Anwesenheit von mindestens der Hälfte der gewählten Abgeordneten“ (Art. 59 Abs. 2) abhängig gemacht. Außerdem stechen die Bestellung eines „Bürgeranwalts“ und drei weiterer Beauftragter „zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte und als Hilfsorgan der Volkskammer“ (Art. 65) ins Auge. Ähnlich der Kontroll- und Mittlerfunktion des Runden Tisches bzw. seiner Moderatoren sollten diese Grundrechtsbeauftragten Demokratie und Grundrechte, Bürger und Parlament so eng wie möglich miteinander verzahnen.
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Die konkurrierende Rechtsstellung von „Bürgerbewegungen“ und „Parteien“ fiel in einem früheren Arbeitspapier, verfasst von Rosemarie Will, noch stärker aus: Darin wurde den Bürgerbewegungen die Möglichkeit eröffnet, „Kontrollräte“ einzuberufen, die als paritätisch Gremien zwischen Parlament und Bürgern vermitteln sollten. Rogner: Verfassungsentwurf, S. 113 sieht in diesen Räten eine „Perpetuierung des Runden Tisches“.
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Auch in der Gesetzgebung weist der Verfassungsentwurf plebiszitären Elementen durch die Einrichtung von Volksbegehren und Volksentscheid (Art. 89, 98) hohe Bedeutung zu. Im Gesetzgebungsverfahren durch Volksbegehren führt die Verfassung zudem sogenannte „Vertrauensleute“ (Art. 98 Abs. 1) ein, denen eine Mittlerrolle zwischen Begehrenden und Parlament zukommen soll. In diesen schreibt sich – ähnlich wie bei den Grundrechtsbeauftragten – die „Verbändedemokratie des Runden Tisches“235 fort. Für einen Volksentscheid festgeschrieben werden die Annahme des Verfassungsentwurfes des Runden Tisches (Art. 135 Abs. 1) und künftige Verfassungsänderungen (Art. 100 Abs. 1), wobei die Menschenwürde-Klausel und der Gleichheitsgrundsatz, die Geltung der Menschen- und Bürgerrechte, das Volkssouveränitätsprinzip, die Rechtsstaatlichkeit, als auch die Gesetzgebungskompetenz von Volkskammer und Volksentscheid von Änderungen ausgenommen werden (Art. 100 Abs. 2). Auch über Vereinbarungen, die den Weg der Einheit durch einen Beitritt zur Bundesrepublik (nach Art. 23 Grundgesetz) vorbereiten, soll ein Volksentscheid stattfinden (Art. 132 Abs. 1, 2) und ferner ist „[z]ur Verwirklichung des Rechts der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik auf Beteiligung an der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen Volkes […] auf das Zusammentreten einer gesamtdeutschen verfassungsgebenden Versammlung hinzuwirken“ (Art. 132 Abs. 3, gemäß Art. 146 Grundgesetz). Gerade in diesem Art. 132 wird die Doppelfunktion deutlich, welcher dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches im Laufe seiner Ausarbeitung im Frühjahr 1990 aus Sicht des „Für unser Land“-Bündnisses zukam: Nicht mehr nur als eine neue Verfassungsrechtsordnung für die DDR sollte der Entwurf dienen, sondern zunehmend auch als Positionsbestimmung der Bürgerrechtsbewegung und der PDS für Verhandlungen über den Weg einer nicht mehr abzuwendenden und in naher Zukunft anstehenden Vereinigung mit der Bundesrepublik.236
235 236
Rogner: Verfassungsentwurf, S. 118. Vgl. dazu auch die Erklärung von Gerd Poppe auf der letzten Sitzung des Runden Tisches, zit. nach. Thaysen: Wortprotokoll und Dokumente, Band V, S. 1097: „Dabei [der Verfassungsentwurf, F.K.] handelt es sich um eine Verfassung für die DDR, mit deren Annahme wir eine gegenüber der durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik gegebenen gleichrangige und damit gleichberechtigte Ordnung schaffen. Mit diesem Entwurf einer neuen Verfassung tritt der Runde Tisch Bestrebungen entgegen, sich durch die Abgabe von Beitrittserklärungen einer anderen Verfassungsordnung, dem Grundgesetz der BRD nach Artikel 23, zu unterwerfen.“
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Zusammenfassend lassen sich aus dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches folgende Strukturmerkmale extrahieren: die Betonung einer besonderen staatlichen Friedfertigkeit, die sich nicht nur in der Präambel und in Art. 41 und Art. 45, sondern auch in der Definition des Staatswappens – die „Darstellung des Mottos ‚Schwerter zu Pflugscharen‘“ (Art. 43) – manifestierte und damit auf die Wurzeln der Verfassung und der Bürgerrechtsbewegung in der Friedensbewegung abhob; die Profilierung weitreichender Menschen- und Bürgerrechte und die besondere Betonung des Gleichheitsprinzips; die weitgehende direktdemokratische Auslegung des Demokratieprinzips, auch bezogen auf eine mögliche Vereinigung mit der Bundesrepublik, der eine gesamtdeutsche verfassungsgebende Versammlung samt Volksentscheid auferlegt wurde sowie schließlich die starke Stellung und Ausformulierung der Sozialstaatlichkeit, die sich auch in der vom Runden Tisch ausformulierten und vorgelegten „Sozialcharta“ niederschlug. Inwiefern lassen sich diese Strukturmerkmale mit der bürgerrechtsbewegten Idee des Politischen sowie den Erfahrungen der Akteure im Herbst 1989 in Verbindung bringen? Im Verfassungsentwurf des Runden Tisches transsubstantiierten sich – so die These – das politische und insbesondere demokratietheoretische Denken der Akteure sowie ihre Erfahrung der „Herbstgesellschaft“, als deren staatsrechtliche Konsolidierung die Verfassung angelegt war. Wenn die Verfassung die Beteiligung der Bürger an öffentlichen Projekten garantierte, so ist dies der unmittelbare Ausfluss der im Herbst 1989 überall in der DDR aus den Boden gesprossenen Bürgerkomitees und lokalen Runden Tische, die die Revolution „vor Ort“ machten. Die plebiszitären Elemente der Verfassung wurzelten in den basisdemokratischen Strukturen und Überzeugungen der Bürgerrechtsbewegung sowie den Massendemonstrationen im Herbst 1989. Dem Ziel der Verfügbarmachung der Gesellschaft als Experiment, ihrer Selbstermöglichung und -behauptung gegen den Staat, der Wiedergewinnung der Freiheit zur Entfaltung der Vielfalt und Spontaneität ihrer Bürger, so sinngemäß Ulrich K. Preuß,237 war nicht nur der Verfassungsentwurf des Runden Tisches verpflichtet, sondern zugleich das politische Denken und Handeln der Akteure überhaupt. Im Konflikt mit dem Staatssozialismus und in Reibung mit den existenzbedrohenden Überformungen der „Moderne“ entwickelt, schien den
237
Vgl. Preuß: Revolution, Fortschritt und Verfassung, S. 87-89.
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Akteuren jene „zivile Gesellschaft“ als Wiederbelebung des Menschlichen in den Monaten des Herbstes 1989 Wirklichkeit geworden zu sein. In der Folge diente ihre Reinkarnation den Akteuren als Bestätigung und Legitimation für die politische und verfassungsrechtliche Festschreibung und Absicherung auch gegen „andere“, womöglich „raffiniertere Formen und Mechanismen“ der „Verstaatlichung der Gesellschaft“, wie sie etwa „im Westen vorhanden“ seien.238 Dagegen sollte die demokratische Willensbildung nach dem Grundsatz voluntas populi suprema lex im vorstaatlichen Raum und so direkt und unmittelbar wie möglich gehalten werden. Die „volle, reale Demokratie“,239 die nicht verordnet, sondern nur gelebt und von den Bürgern in ihrer alltäglichen Praxis selbst verwirklicht werden könne, fand – in den Augen der Akteure – ihre verfassungsmäßige Entsprechung im Entwurf des Runden Tisches und nicht im Grundgesetz der Bundesrepublik, das während seiner 40-jährigen Geltung zwar äußeren Frieden und Wohlstand gesichert, gesellschaftlich aber bloß eine „Zuschauerdemokratie“,240 letztlich „repräsentativen Absolutismus“241 hervorgebracht habe. Schließlich wurde aber am 17. Juni 1990, dem Jahrestag des Aufstandes von 1953, nicht wie von der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ beabsichtigt, über eine neue Verfassung für die DDR per Volksentscheid abgestimmt, sondern das sogenannte Verfassungsgrundsätzegesetz „in der Erwartung einer baldigen Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands“ von der Volkskammer beschlossen. Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, der der neuen, frei gewählten Volkskammer am 4. April 1990 von der Arbeitsgruppe zur „Inkraftsetzung“242 übergeben worden war, erfuhr unter den Mehrheitsverhältnissen dort, nach einer Aktuellen Stunde am 19. April und einem ablehnenden Votum am 26. April keine weitere Befassung. Allerdings fand der Entwurf im ebenfalls am 17. Juni einberufenen „Kuratorium für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“, einer ersten gesamtdeutschen 238 239 240
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Vgl. Bohley: Demokratiefähigkeit, S. 29. Ebd. Rudolf Wassermann: Eine demokratisch-rechtsstaatliche Verfassung für die DDR, in: Recht und Politik 1990/1, S. 1-3, hier S. 2. Helmut Simon: Markierungen auf dem Weg zu einer gesamtdeutschen Verfassung, in: Neue Justiz 1990/12, S. 516-519, hier S. 519. So die Formulierung im Begleitschreiben der Arbeitsgruppe, zit. nach: Rogner: Verfassungsentwurf, S. 133.
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Bürgerinitiative, die – getragen von Akteuren der Bürgerrechtsbewegung und westdeutschen Verfassungsreformern – im Vorfeld der Vereinigung eine öffentliche Verfassungsdiskussion befördern wollte, seine ideelle und konzeptionelle Fortführung.
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6. Resümee Der Zentrale Runde Tisch als politische Institution war nach seinem Selbstverständnis und in seiner zeitlichen Verortung zwischen dem Ende des SED-Regimes und der Vereinigung der neuen Länder mit der Bundesrepublik eine Einrichtung des Übergangs.243 Als soziale Praxis bedeutete der Runde Tisch den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung die Rückkehr von Zivilität und Gesellschaftlichkeit ins Politische sowie die institutionalisierte Fortführung des „immerwährenden Gesprächs“ unter den Bürgern, wie es sich – in ihren Augen – im Herbst 1989 tausendfach ergab. Sein Entwurf einer Verfassung war der Versuch, die rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Verstetigung jener politischen Kultur der „Herbstgesellschaft“, der „zivilen Gesellschaft“ zu schaffen. Dieser Versuch scheiterte am Ende, weil sich die Argumente der Verfassungsstabilität und -kontinuität sowie des angeblich kurzen Zeitfensters für eine Vereinigung als geeigneter erwiesen, das seit November 1989 um sich greifenden Bedürfnis nach stabilen Verhältnissen und Wohlstand zu bedienen. Mit dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, die vielfältigen Formen und inhaltlichen Ausprägungen von Opposition und Dissidenz in der DDR der späten 1980er Jahre mittels eines ideengeschichtlichen Zugriffs als eine politischideologische Formation – DDR-Bürgerrechtsbewegung – zu begreifen, die in ihrer Auseinandersetzung mit und Kritik an den politischen Verhältnissen vor Ort
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Vgl. Birgit Sauer: Der „Runde Tisch“ und die Raumaufteilung der Demokratie. Eine politische Institution des Übergangs?, in: Birgitta Nedelmann (Hg.): Politische Institutionen im Wandel, Opladen 1995, S. 108-125, hier S. 115: „Der Runde Tisch läßt sich somit als Institution einer Passage, nämlich vom entdifferenzierten Einparteiensystem der DDR hin zum differenzierten, obzwar mit Herrschaftsstrukturen durchzogenen System westlich-parlamentarischer Demokratien, wie auch als Passageritual selbst begreifen.“
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zugleich eine Gesellschafts- und Kulturkritik an „der Moderne“ formulierte. Dabei waren die Akteure der Bürgerrechtsbewegung in einen transnationalen Denkund Handlungsrahmen eingespannt, der von reformsozialistischen und zivilgesellschaftlichen Überlegungen geprägt war und sowohl von der Studentenbewegung der 60er Jahre und den Neuen Sozialen Bewegungen in den folgenden Jahrzehnten, aber auch von den oppositionellen Gruppierungen und Dissidenten in den sozialistischen Regimen Ostmitteleuropas getragen wurde. In der Rezeption dieser Strömungen entwickelte die DDR-Bürgerrechtsbewegung ein am gesellschaftlichen Konsens orientiertes, auf das Private der Individuen und das Kulturelle der Gesellschaft zielende Konzept von Demokratie. Das in den Texten, Reden, Entwürfen und Praktiken der Bürgerrechtsbewegung greifbare Verständnis von Demokratie kann in der Perspektive einer europäischen Demokratiegeschichte als ostdeutscher Kristallisationspunkt eines seit den 1970er Jahren in Europa greifbaren Strukturprozesses gelesen werden, in dem verschiedene Akteure neue Erwartungshaltungen an die Demokratie formulierten. Der Historiker Gerd Koenen schreibt in seinem ideengeschichtlichen Monumentalpanorama über die „Ursprünge und Geschichte des Kommunismus“ mit Blick auf das Ende der staatssozialistischen Regime um 1990: „Immerhin scheint das Schicksal der Machtformationen kommunistischen Typs im 20. Jahrhundert zu beweisen, dass totalitäre Überspannungen ganzer Gesellschaftssysteme sehr lange, aber nicht ewig dauern können, dass sie sich früher oder später von innen heraus erschöpfen und Prozessen einer neuen, sich reorganisierenden zivilen Gesellschaftlichkeit Platz machen müssen.“244
Diese Arbeit hat jene Konzepte und Versuche der Reorganisation ziviler Gesellschaftlichkeit zum Gegenstand, die von der Bürgerrechtsbewegung seit Mitte der 1980er Jahre in der DDR zu einem politischen Programm erklärt und zu einem umfassenden normativen Gesellschaftskonzept erhoben wurden. Die daraus abgeleiteten Handlungsformen prägten die sozialen Praktiken der demokratischen
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Gerd Koenen: Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, München 2017, S. 983.
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Revolution von 1989/90 entscheidend. Demokratie bedeutete in der bürgerrechtsbewegten Konzeption die verfahrensmäßige Sicherstellung des umfänglichen Zugriffs der Gesellschaft und ihrer Bürger auf die Aushandlung politischer Entscheidungen im Staat, der die DDR meinte. Demokratie sollte den „Willen des Volkes“ kanalisieren und zur Durchsetzung verhelfen. Dieses Demokratiekonzept hatte sich in der Erfahrung der „Herbstgesellschaft“ versinnbildlicht und verstärkt. Hier zeigte sich bereits ein von den westlichen Demokratien abweichendes Verständnis darüber, was Gesellschaft sein solle und Demokratie zu leisten habe. Im Verfassungsentwurf des Runden Tisches transsubstantiierten sich die den vorherigen Protesten zugrundeliegenden und in diesen aufscheinenden Staats- und Gesellschaftsvorstellungen in eine staatspolitische Form. Diese wurden auch, so die über diese Arbeit hinausgehende Vermutung, als Erwartungshaltungen an den sozialen Wandel der 1990er Jahre, an „das vereinigte Deutschland“ – nicht nur von den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung – herangetragen und sie sind bis in die Gegenwart hinein wirksam, weshalb ihre Untersuchung erhellend für ein Verständnis der heute in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung zu beobachtenden Skepsis gegenüber der liberalen Demokratie sein kann. Das Engagement der Bürgerrechtsbewegung in den 1980er Jahren und vor allem während der Revolution von 1989/90 besaß in erster Linie eine kulturelle Dimension, die als Reaktion auf die „Entfremdung“ des Individuums in der „modernen Welt“ im Allgemeinen, auf die Unterdrückung des „freien Menschen“ im SED-Regime im Speziellen formuliert wurde. Mit Ulrich Beck gesprochen können die von der Bürgerrechtsbewegung aufgeworfenen kollektiven Handlungsformen als „Foren und Formen konsensstiftender Zusammenarbeit“ begriffen werden, denen von den Akteuren das Potential zugesprochen wurde, die „Ambivalenzen“ der „reflexiven Modernisierung“ gesellschaftlich verträglich zu moderieren.245 Letztlich verdichtete sich also im politischen Denken und Handeln der DDR-Bürgerrechtsbewegung jenes transnationale Phänomen von Globalisierungsperzeptionen, die seit den 1980er Jahren zu einer bis heute anhaltenden Neuaushandlung der Verbindung von Staat und Gesellschaft führten, in die jene oben benannte ostdeutsche Skepsis eingebunden zu sein scheint.
245
Ulrich Beck: Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, Frankfurt a.M. 1993, S. 172-247.
105
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