Das Zeitalter des Marius und Sulla


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Das Zeitalter des Marius und Sulla

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KUO BEITRÄGE ZUR ALTEN GESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON

FRANZ MILTNER UND LOTHAR WICKERT SECHSUND VIERZIGSTES BEIHEFT (NEUE FOLGE, 33. BEIHEFT)

DAS ZEITALTER DES MARIUS UND SULLA VON

WERNER SCHUR

DIETERICH'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG LEIPZIG 1942

| ,

DAS ZEITALTER DES MARIUS UND SULLA VON

WERNER SCHUR

K K L I O , B E I H E F T XLVI . NEUE FOLGE, HEFT 55

DIETERICH'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG . LEIPZIG

Inhaltsübersicht Vorwort

Ill

Einleitung Die Ursachen der römischen Revolution Reformbestrebungen vor den Gracchen Das Zeitalter der Gracchen

1 1 15 21

I. Die Die Der Die Das

V o r h e r r s c h a f t des Marius Wurzeln der neuen Revolution Aufstieg des Marius Militär monarchie des Marius Ende der Herrschaft des Marius

. Das Zeitalter der Bürgerkriege Der Reformversuch des Drusus Der Bundesgenossenkrieg Die erste Phase des Bürgerkrieges Zwischen den Bürgerkriegen Der Krieg zwischen Sulla u n d den Erben des Marius

46 46 58 73 82

.

100 106 114 125 146 158

III. Sullas D i k t a t u r Sullas Verhältnis zum Staate u n d zur Politik Die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen Die sullanische Staatsordnung Sullas R ü c k t r i t t u n d sein Ende

176 178 181 189 214

Das Erbe

224

des Marius u n d des

Namenregister Sachregister

.

Sulla

244 248

Einleitung Die Ursachen der römischen Revolution Das römische Reich ist die Frucht einer dreißigjährigen Periode heroischer Kriege, die mit der Niederzwingung Antiochos des Großen im Jahre 189 ihren Abschluß findet. Zwei große Probleme waren der neuen Weltmacht gestellt. Wird der römische Staat der Aufgabe gewachsen sein, ein Weltreich zu regieren? Und wird das römische Volk, wird insbesondere die römische Aristokratie im Genüsse unbeschränkter Macht und in ständiger Berührung mit dem individualistischen Geiste des Griechentums jene herbe Sittenstrenge und jene unverbrüchliche Gebundenheit des einzelnen an die Gemeinschaft bewahren können, auf der die Überlegenheit dieses Volkes über alle Mitjwerber beruht? Der Staat und das Volk haben beide die Probe nicht bestanden. Die langwierige Krise, die aus diesem Versagen hervorging, trägt für uns den Namen der römischen Revolution. Der Hannibalische Krieg hatte dem neuen Herrenlande Italien, auf dessen Boden er fünfzehn Jahre lang geführt worden war, die schwersten Wunden geschlagen. Die Verödung des einst so reichen und blühenden Südens und die Entwurzelung breitester bäuerlicher Schichten römischen Bürgerrechts durch den mittelbaren und Unmittelbaren Druck des Krieges waren wirtschaftliche und soziale Schäden schwerster Art, die nicht ohne Einfluß auf die Entwicklung der politischen Verhältnisse bleiben konnten. Das römische Volk war beim Ausbruch des großen Krieges eben im Übergang von den einfacheren Formen eines naturalwirtschaftlich eingestellten Bauernvolkes zu den groß- und geldwirtschaftlichen Formen des hellenistischen Ostens. Im Laufe des 3. Jahrhunderts bildete sich ein römisches Großunternehmertum in Handel und Gewerbe und sein Korrelat, das großstädtische Proletariat in den Elendsvierteln auf dem Aventin. Die 30er Jahre ziehen die regierende Aristokratie mehr und mehr in die neuen Wirtschaftsformen hinein und schaffen die Einheitsfront der Reichen gegen den bäuerlichen S c h u r , Das Zeitalter des Marius und Sulla

I



2

Einleitung

Mittelstand. Der Bauernführer C. Flaminius, selbst dem senatorischen Adel entstammend, leitet von 232 ab die Reaktion gegen diese grundstürzende Wandlung der Verhältnisse ein. Die Besiedlung des ager Galliens mit römischen Bauern, die Eroberung der Poebene und ihre Durchsetzung mit römischen Bauernstellen bezeichnen seinen Weg. Und durch ein Gesetz, das den Senatoren den Besitz von mehreren und von größeren Schiffen verbietet, wird endlich unter der Zensur des Flaminius im Jahre 220 der Versuch unternommen, den agrarischen Charakter der politischen Aristokratie für alle Zeiten festzulegen und eine dauernde Interessengemeinschaft zwischen der Nobilität und dem Bauernstande zu begründen. Seit dieser Zeit tritt scharf abgegrenzt neben die politische Aristokratie eine Geldaristokratie der Bitter, die vom Regiment ausgeschlossen ist und deshalb leicht einmal in Gegensatz zum Herrenstande geraten kann. Entsprechend stehen am anderen Pol des sozialen Lebens die alte Bauernschaft und das neue, nun wieder etwas verminderte Proletariat unvermittelt nebeneinander. In diese Lage platzte der große Krieg hinein. Die ersten schweren Jahre des Bewegungskrieges haben die Blüte der Jugend, ein Viertel der erwachsenen Männer, dahingerafft. In dem Jahrzehnt nach Cannä standen alle waffenfähigen Männer ununterbrochen im Heeresdienst. Das bedeutete namentlich für den Bauernstand, den auch der Druck des Bewegungskrieges am härtesten getroffen hatte, eine ganz schwere Belastung. So beschleunigte der Existenzkampf eine Entwicklung, die schon vorher das Gewicht des Bauernstandes im sozialen Organismus langsam herabgedrückt hatte. Auf der Bauernschaft lastete während des großen Krieges ein fast unerträglicher Druck. Zehntausende von Bauernhöfen waren des Herrn beraubt. Von anderen Zehntausenden waren der Besitzer oder seine erwachsenen Söhne durch jahrelangen Kriegsdienst ferngehalten. Während der Steuerdruck stieg, ging der Ertrag der von Frauen, Kindern und Greisen bestellten Äcker immer weiter zurück. Dazu kam in den vier ersten Kriegsjahren die Verwüstung der fruchtbarsten Teile der römischen Mark. Das mußte sich in einer wachsenden Verschuldung des Bauernstandes auswirken. Und nun begann noch während des Krieges das große Bauernlegen. Manche Witwe mußte ihren Hof den Gläubigern überlassen. Auch von den Veteranen, die seit Scipios spanischem Siege allmählich in die Heimat zurückzufluten begannen, fand sich munch einer nicht in die schwierig gewordenen Verhält-

Die Ursachen der römischen Revolution

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nisse zurück und gab den Hof hin, um in der Stadt ein besseres Leben zu suchen. So setzte bereits am Ende des Krieges die Entwurzelung der Bauernschaft und ihr Abströmen nach der Hauptstadt ein. Diese Elemente, denen das kleine gerettete Kapital meist schnell zerrann, sanken rasch von Stufe zu Stufe und verschmolzen mit dem Abschaum der Menschheit, der in der Hauptstadt der Welt zusammenströmte, zu dem arbeitslosen und jeder Schandtat fähigen Lumpenproletariat der Eevolutionszeit. So hat die Not und die Verschuldung im großen Kriege die Kraft und die Gesundheit des römischen Bauernstandes gebrochen. Der senatorische Großgrundbesitz und das ritterliche Geldkapital stiegen immer höher und schlössen das Bündnis zur gemeinsamen Eroberung und Beherrschung der Welt, das Flaminius hatte verhindern wollen. Das innere Gleichgewicht des Staates war gestört und mußte durch den Fortgang der Entwicklnug immer weiter aus der Ordnung geraten. Die beiden Aristokratien waren so die eigentlichen Kriegsgewinnler dieser Zeit. Der große Krieg hat die endgültige Loslösung der römischen Politik vom Bauernstandpunkt gebracht, der Land nahm, um den jüngeren Söhnen eine Bauernnahrung geben zu können. Die neuen spanischen Provinzen lagen so weit ab, daß ihre Besiedlung mit römischen Bauern nicht in Frage kam. So hat man hier das Statthalterregiment über einer tributären TJntertanenschaft fortbestehen lassen, wie es in der karthagischen Zeit gewesen war. Die Konsuln, Prätoren und Prokonsuln der römischen Republik, die den Staat hier und in den anderen bald hinzutretenden Ländern jenseits des Meeres vertraten, wurden für ihre Amtszeit Könige mit unbeschränkter Macht über weite Reiche. Aber sie blieben Ehrenbeamte ohne Gehalt, wie es die leitenden Männer des römischen Stadtstaates immer gewesen waren. Sie durften sich dann natürlich für den Aufwand, der ihnen aus der fürstlichen Hofhaltung erwuchs, an den Staatseinnahmen ihrer Provinz schadlos halten. Völlig unkontrolliert in ihrer Finanzgebarung, legten sie Quartierlasten, Spanndienste, Proviantlieferungen und Sondersteuern nach eigenem Ermessen auf, ganz abgesehen von den reichen Geschenken der Untertanen, die sehr bald zu festen Abgaben von wachsender Höhe wurden. Es leuchtet ein, daß mit dieser unklaren Regelung der finanziellen Verhältnisse dem Mißbrauch der Amtsgewalt zur eigenen Bereicherung Tür und Tor geöffnet war. Eine Ordnung, die in den kleinen Verhältnissen des Jahres 228 befriedigend funktioniert hatte, muütu im Weltreich schnell zu un1*

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Einleitung

erträglichen Zuständen führen. Zugleich wurde der Staat durch den großen Krieg immer tiefer in das Getriebe der hellenistischen Kabinettspolitik hineingezogen. Die auswärtigen Beziehungen wurden eine Geheimwissenschaft, die nur noch den Eingeweihten im Senat verständlich war. So wurde diese Körperschaft der regierungsfähigen Männer tatsächlich der souveräne Träger der großen Politik. Im Jahre 200 konnte der Senat bereits dem widerwilligen Volke den Krieg mit Mazedonien aufzwingen. Und im Jahre 194 vermochte der gewaltige Scipio Africanus nicht durchzusetzen, daß ihm das Kommando im Osten mit der Ermächtigung zum Antiochoskriege übertragen wurde. So war die Nobilität mehr denn je Herrin im römischen Staate. Zugleich fiel ihr auf legalem und illegalem Wege ein sehr großer Teil des Eeichtums zu, der als Tribut einer unterworfenen Welt in der Hauptstadt zusammenströmte. Dieser neue Reichtum des Adels ist aber gesetzlich gezwungen, seine Anlage im häuslichen Luxus und im Großgrundbesitz zu suchen. So kaufen die Senatoren in größtem Maßstabe die Güter der verschuldeten Bauernschaft auf. Und zugleich stürzt sich der adlige Landhunger auf die riesigen ödflächen des verheerten italischen Südens, die zum ager publiais populi Romani geworden sind. Eben damals wurde allem Anschein nach das licinische Gesetz erlassen, das jedem Römer gestattete, gegen Zahlung eines kleinen Rekognitionszinses bis zu 500 Morgen des unkultivierten ager publicus in Nutzung zu nehmen 1 . Der Senatorenstand mit seinen riesenschnell anwachsenden Vermögen hat von diesem Recht den umfassendsten Gebrauch gemacht. So ist die Nobilität ein Fürstenstand geworden, dessen Reichtum auf seinen italischen Latifundien und auf der fiskalischen Ausbeutung der Provinzen beruhte. Von dieser politischen Aristokratie ist scharf geschieden die ritterliche Geldaristokratie, die sich mit der wirtschaftlichen Ausbeutung der unterworfenen Welt befaßt. Aber auch diese 1 Diesen zeitlichen Ansatz des Ucinisehen Ackergesetzes h a t B . N i e s e (Hermes 23, 1888, 410fl.) gegeben. M. E . haben die Ausführungen von E . P a i s (St. crit. di R o m a I I I , 102'fi., 347fi.), M. W e b e r (Handwb. d. Staatswiss. I, 111) u n d Vancura (R.-E. X I I , 1164fi.) das -wesentliche Argument N i e s e s, daß die Möglichkeit einer Okkupation von 500 Morgen und mehr brachliegenden Staatslandes erst nach dem H a n n i balischen Kriege gegeben war, nicht entkräftet. Doch gebe ich T a e g e r (Tiberius Gracchus 112ff.) gerne zu, daß bereits die starke Ausdehnung des römischen Staatsgebiets u m die Mitte des 4. J a h r h . eine Bestimmung über die Grenzen des Okkupationsrechtes notwendig gemacht haben wird.

Die Ursachen der römischen Revolution

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Leute sind zum allergrößten Teil nicht selbst Kaufleute oder Gewerbetreibende im modernen Sinne, sondern Kapitalrentner. Sie leben als große Herren in Eom und auf ihren italischen Gütern und lassen ihre freien oder unfreien Agenten mit dem anvertrauten Kapital wuchern. So ist Ciceros Freund AttieusGroßgrundbesitzer in Epirus. Daneben besitzt er eine große= Schreibstube, deren wertvollster Verlagsartikel die Erstausgaben der Werke Ciceros sind. Wichtig für den Eitterstandi sind weiter die ausgebreiteten Darlehensgeschäfte. Hier sind einerseits Politiker, die ihre Liegenschaften nicht mobilisieren können oder wollen, andererseits Untertanengemeinden, die wegen ihrer naturalwirtschaftlichen Struktur oder wegen finanzieller Erschöpfung das Tributgeld zum Zahlungstermin nicht aufbringen können, die wichtigsten Arten der Schuldner. Dazu tritt endlich als Geschäftszweig von wachsender Bedeutung die Staatspaeht, an der die Senatoren sich nicht beteiligen dürfen. So wird die Ritterschaft durch Zeitpacht, die für die Dauer einer zensorischen Periode von fünf Jahren läuft, Verwalterin der riesigen Domänen in allen Teilen der Mittelmeerwelt, die der römische Staat als Erbe der hellenistischen Könige des Ostens und des Westens erworben hat 1 . In Spanien waren es die Staatsgüter und Bergwerke, die einst Karthago besessen hatte, in Afrika die Güter Jugurthas und das Stadtgebiet von Karthago. In Mazedonien gehörte der Grundbesitz der Antigoniden mit den thrazischen Goldbergwerken jetzt dem römischen Volke. Dazu kam bald in Kleinasien der ungeheure Domanialbesitz der Attaliden. Die Verwaltung aller dieser Werte und Besitzungen einschließlich der campanischen Domäne wird ein immer wesentlicheres Arbeitsgebiet der ritterlichen Geldaristokratie, die allein die vorgeschriebenen Sicherheiten für die Zahlung des festen Pachtzinses zu geben vermag. Dazu tritt seit dem jüngeren Gracchus in wachsender Bedeutung die Steuerpacht. Aber alle diese Geschäfte führt der große Herr durch seine Agenten, die ihm aus allen Teilen der Welt brieflich berichten. Nur in schwierigen Fällen reist er selbst in die Provinz. Und er selbst führt namentlich die Verhandlungen mit den Statthaltern und mit den maßgebenden Männern des Senats, von deren Wohlwollen vielfach die Möglichkeit des geschäftlichen Gelingens abhängt. Damit kommen wir zu dem gegenseitigen Verhältnis der beiden römischen Oberklassen. Wie alle Geldaristokratien der 1 Hauptquellen hierfür sind Ciceros Reden de rege Alexandrino u n d de lege agraria, nach denen wir im folgenden don Stand seiner Zeit geben.

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Einleitung

Welt hatte auch die römische Ritterschaft kein Interesse an der unmittelbaren Ausübung der politischen Macht. Sie war es zufrieden, wenn die Nobilität ihr die ungestörte Ausbeutung der Untertanen garantierte. Sie erwies sich gern dafür erkenntlich, indem sie die regierenden Männer an ihren legalen und illegalen Gewinnen beteiligte. Sonst wollte sie vom Staate so wenig merken als irgendein Großunternehmer der Vorweltkriegszeit bei uns. Aber noch immer zog sich die zweite oder dritte Generation gerne vom Geschäft zurück, um sich im Besitze des großen ererbten Vermögens den vornehmeren Aufgaben der Staatsführung zu widmen. So blieb auch in der neuen Zeit die Bitterschaft, was sie immer gewesen war, die Pflanzschule der Nobilität. Diese Entwicklung hat aber auch in der Nobilität das Gelddenken zur Herrschaft gebracht. In dem hellenistischen Weltreich der Römer ward das Geld mehr und mehr zum Maß aller Dinge. Auch die Senatoren brauchten mehr und mehr bares Geld, nahmen Geld in den Provinzen ein und sahen dort die großzügigen Geldgeschäfte der Ritter. Bald ward das große Amt auf der einen Seite, die große Landwirtschaft auf der anderen Seite nur noch als Geldquelle aufgefaßt, weil den Senatoren jeder andere Gelderwerb durch die geltenden Gesetze unmöglich gemacht war. Der Plantagenbetrieb mit Sklavenarbeit ward auf den Gütern der Großen herrschend. Und selbst Cato, der Bauernsohn aus der Campagna, ist in seinem Buche de agri cultura nur der smarte Geschäftsmann, dem Gelderwerb das höchste Ziel ist 1 . So finden sich die beiden oberen Stände zusammen in dem Streben nach möglichst großem und möglichst sicherem Gelderwerb. Das damals zwischen ihnen abgeschlossene Bündnis, das Flaminius hatte verhindern wollen, hat ihnen 50 Jahre ungestörter Weltherrschaft gesichert. Aber neben diesen Strukturänderungen innerhalb der römischen Gesellschaft hat der Krieg eine starke Umschichtung im gesamtitalischen Wirtschaftskörper zur Folge gehabt. Die weiten Landschaften des Südens, die bis zu ihrem Übertritt auf die Seite Hannibals die reichsten Länder Italiens gewesen waren, lagen wüst. In Campanien, Lucanien, Calabrien und Bruttium hatte der Krieg ein Jahrzehnt oder länger gewütet Und die Römer hatten ihn mit um so größerer Schonungslosig1 S. hierzu H. G u m m e r u s , Der römische Gutsbetrieb als wirtschaftlicher Organismus nach den Werken Catos, Varros und Columellas (Klio, Beih. 5, 1906).

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keit geführt, als gerade der Abfall dieser südlichen Verbündeten Rom an den Rand des Abgrundes gebracht hatte. Capua ward vom Erdböden vertilgt, seine Mark zum ager publicus geschlagen und mitsamt den rechtlos gewordenen Bebauern an römische Bürger verpachtet. Erst der Konsul Caesar hat im Jahre 59 das Unrecht wieder gutgemacht, das an der zweiten Stadt Italiens und ihrem gesegneten Lande geschehen war. Während das samnitische Bergland von der Latinerstadt Benevent in Gehorsam gehalten wurde und deshalb wenig gelitten hat, sah es in den Ebenen und Hügelländern rundum um so schlimmer aus. Diese einst so blühenden Landschaften sind damals zu den menschenleeren Steppenweiden geworden, die sie durch mehr als zwei Jahrtausende geblieben sind. Die Ansiedlungen wurden abwechselnd von den Römern und von den Puniern zerstört, die Einwohner erschlagen, in die Sklaverei verschleppt oder ins Elend getrieben, das Land beschlagnahmt und zum römischen Domanialgebiet erklärt. Die früher so machtvollen und glänzenden Griechenstädte Tarent, Croton, Locri, Rhegium waren teils vernichtet, teils gänzlich herabgekommen. Und selbst die wenigen Latinerstädte des Landes hatten so schwer gelitten, daß sie dringend einer Auffüllung bedurften. So wuchs dem römischen ager publions ein ungeheures Gebiet fast ohne Menschen zu, das völlig verwüstet war. Es entstand unter stärkster Mitschuld der römischen Feldherren und Heere die questionne del mezzogiorno, die noch heute zu den ungelösten Aufgaben der italienischen Regierung gehört. Man muß es der römischen Regierung zugestehen, daß sie diesen Problemen gegenüber zunächst durchaus den richtigen Weg eingeschlagen hat. Die beiden drängendsten Nöte, die Verödung des Südens und die Entwurzelung breiter bäuerlicher Schichten, wiesen auf eine gemeinsame Lösung hin, auf die Besiedlung des ager publicus mit den werdenden Proletariern der Weltstadt. Der Senat hat den durch die Tradition gewiesenen Weg alsbald mit Energie beschritten und schon vor dem Eintreffen des Siegers Scipio aus Afrika eine zehngliedrige Ansiedlungskommission aus seiner Mitte bestellt, die den Veteranen von Zama Bauernland geben sollte. So wurden in den 90er Jahren die schwer geschädigten Latinerstädte des Südens verstärkt und durch Erweiterung ihrer Mark gekräftigt. Zugleich wurden in Campanien und in den Landschaften des Südens mehrere neue Bürgerstädte angelegt, die das wirtschaftliche Wiedererwachen dieser Gebiete ebensosehr förder-

Einleitung

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ten wie ihre Eomanisierung 1 . In den 80er Jahren wird dann ein zweites großes Kolonisationswerk von nachhaltigerer Wirkung durchgeführt, die Besiedlung der Poebene mit römischen Bauern, die in latinischen Kolonien von eigener Staatlichkeit abgeschichtet wurden. Damals wurde durch die Ansetzung von mehr als 10000 Bauernfamilien die Grenze des latinischen. Volkstums in der Eomagna bis an den Po vorgeschoben2. Und von hier aus ergoß sich der Strom latinischer Bevölkerung und Kultur in die nördliche Ebene, die sofort administrativ mit Italien verbunden ward. So entstand in der größten Fruchtebene Italiens ein neues latinisches Bauernland von höchster Ertragsfähigkeit. Das Kolonialvolk, das sich hier aus den Einwanderern und der nahe verwandten keltischen Vorbevölkerung bildete, wuchs schnell zu großer Kraft heran. In der cäsarischen und augusteischen Zeit übernahm es die Führung der italischen Gesamtnation. Das war die letzte kolonisatorische Großtat der römischen Eepublik, der erst in der Kaiserzeit die Eomanisierung der Westprovinzen als ebenbürtige Leistung zur Seite tritt. Denn 20 Jahre nach dem großen Kriege hört die Siedlungsbewegung mit einem Schlage auf. Offenbar war damals ein statisches Gleichgewicht erreicht, die Eeserven an siedlungswilligen Städtern, aber auch die Eeserven an Domanialland erschöpft. Der Proletarier, der sich in den städtischen Verhältnissen zurechtgefunden hat, wollte damals ebenso ungern wie heute zu der schweren Landarbeit zurück. Auch fehlte ihm der wirtschaftliche Eückhalt für die Urbarmachung des wüsten Landes, was durch staatliche Unterstützung nie ganz auszugleichen ist. Mit dem halben Hunderttausend neuer Bauernfamilien, die in den ersten 20 Jahren nach dem Kriege angesiedelt wurden, werden alle Möglichkeiten erschöpft gewesen sein3. Inzwischen hatte man aber Mittel und Wege gefunden, die kapitalkräftigen Elemente des römischen Volkes für die Urbarmachung der großen ödländereien des Südens zu interessieren. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist in diesen Jahren das bereits erwähnte Gesetz über die Okkupation geschaffen worden. Nur 1

Über diese Siedlungsaktion im alten Italien s. Liv. X X X I , X X X I I , 2, 29; X X X I V , 45,53; X X X V , 40; X X X I X , 23, 44, 50; X L , Vell. I , 15. 2 Liv. X X X V I I , 46, 47, 57; X X X I X , 55; X L , 29, 4 3 ; X L I , X L I I I , 17. 5 Die Gesamtzahl ist aus den bei Livius gegebenen Einzelposten rechnet und ergänzt.

49, 29; 13; er-

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die wohlhabenden Leute konnten jahrelang auf den Ertrag des investierten Kapitals warten, bis die neue Kultur zur Reife kam. Nur sie konnten lebendes und totes Inventar in dem notwendigen Ausmaß beschaffen. Und so geht neben der Bauernsiedlung die Bildung großer Gutskomplexe auf dem ager publions einher. Aber alle diese Bemühungen um die Wiedereinordnung des zerstörten Südens in die italische Wirtschaft werden entscheidend durchkreuzt durch eine grundstürzende wirtschaftliche Revolution, die sich ebenfalls als Folge des großen Krieges einstellt. Italien war bisher ein kornbauendes, in seinen gesegnetsten Teilen sogar ein kornausführendes Land gewesen. Die hohen Frachtraten, die durch die Unsicherheit des Seeverkehrs bedingt waren, hatten dem italischen Bauernkorn bisher den Wettbewerb mit dem in der Erzeugung billigeren Sklavenkorn der überseeischen Plantagengebiete ermöglicht. Aber als sich die pax Romana immer weiter über die Meere ausdehnte, konnte das Plantagenkorn selbst auf dem italischen Markt billiger auftreten. Um so schwerer wurde der Existenzkampf des italischen Körnerbaus, der bereits durch die unmittelbaren Folgen des Krieges schwer gelitten hatte. Die Regierung hat in kurzsichtiger Verblendung diesen Prozeß noch gefördert, indem sie das Tributgetreide aus Afrika, Sizilien, Sardinien und Südspanien zu Schleuderpreisen auf den Markt warf oder gar unentgeltlich an die Proletarier verteilte. Und mancher heimkehrende Statthalter hat sich durch riesige Kornschenkungen die Gunst des Volkes für künftige Wahlen gesichert. Diesem starken Preisdruck erlag der italische Körnerbau sehr schnell. Die großen Herren konnten sich durch den Übergang zur Weidewirtschaft oder zu den Edelkulturen des Weinstocks, des Ölbaums oder der Obstbäume aus der Not ziehen. Aber der Bauer, der kein Geld hatte und deshalb nicht auf den Erfolg der Umstellung warten konnte, ging zugrunde. So hielt nach dem Kriege trotz aller Siedlungsmaßnahnien der Zustrom entwurzelter Bauern nach der Hauptstadt an. Extensive Nutzung im Großbetrieb und intensive Nutzung in kleinen eingesprengten Gartenkulturen wurde die Signatur der italischen Landwirtschaft. Zuerst ward der Süden ein ungeheures Weideland, nur ab und zu von Weingärten und Ölwäldern unterbrochen. Die riesigen Herden mit ihren halbwilden Hirten wurden damals charakteristisch für das Land, wie sie es heute noch auf weite Strecken sind. Auch die Ebene um Rom auf beiden Ufern des Tiber wurde bald in diese Entwicklung hineingezogen, aus

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Einleitung

der erst Mussolinis Tatkraft die Campagna di Eoma langsam herauszuziehen beginnt. So ward Italien, vor dem Kriege das größte Bauernland der Mittelmeerwelt, sehr schnell zu dem menschenarmen Lande der großen Gutsbezirke. Immer höher wurde die Bedeutung der nach griechischem und karthagischem Vorbild angelegten Plantagenbetriebe mit Sklavenarbeit. Und immer stärker ballte sich die verarmte freie Bevölkerung in den Städten, besonders aber in der Hauptstadt zusammen. Römische und latinische Bauern, die ihr Land verloren hatten, strömten nach Rom hinein. Dazu trat als drittes Element des neuen Proletariats die wachsende Masse von Freigelassenen aus allen Teilen des Reiches und seiner Nachbarländer, die nach dem geltenden Recht ein nur wenig beschränktes Bürgerrecht besaßen. Endlich wurde die Hauptstadt der Welt, wie im 4. Jahrhundert Athen, im 3. Jahrhundert die Hauptstädte der Diadochenreiche, der Sammelpunkt aller Abenteurer und unternehmenden Naturen, eine internationale Stadt, wo die Besten der Menschheit, aber auch ihr Abschaum zusammenflössen. Auf dem rechten Tiberufer entstand die neue Proletarierstadt mit ihren Mietskasernen, in denen das Elend und die Verkommenheit massenweise zusammengepfercht waren. Immerhin machte die Bedürfnislosigkeit des südlichen Menschen, die Gewohnheit des Lebens im Freien und die Möglichkeit häufigen Gelegenheitsverdienstes das Los dieser Ärmsten etwas erträglicher. Moralische Verwilderung war allerdings bei diesen Verhältnissen unvermeidlich. In den Slums von Rom verschmolz das entwurzelte Landvolk Italiens mit dem Mob der ganzen Welt zu dem Lumpenproletariat der Weltstadt, das in der Revolutionszeit die Szene beherrscht. So hat der Krieg die innere Struktur des römischen Volkes von Grund aus verändert. Die politische Auswirkung dieser wirtschaftlichen und sozialen Revolution zeigt sich besonders deutlich, wenn wir die Lage dieser Zeit mit den Zielen des Flaminius vergleichen. Von dem alten Bauernstaate ist nichts mehr übrig. Ohne daß die Formen sich geändert hätten, war ihr Inhalt ein völlig anderer geworden. Die Bauernschaft war vom Lande vertrieben und proletarisiert. Dieser mißvergnügte Haufe, der um Geld für alles zu haben war, füllte von Rechts wegen alle Stimmkörper der Volksversammlung. So wurden die Comitien aus dem wirksamen Kontrollorgan der Vorkriegszeit zum willenlosen Werkzeug der Männer, die am schönsten redeten oder am besten zahlten. Sie gerieten also zunächst in

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volle Abhängigkeit von den beiden herrschenden Ständen: Nobilität und Bitterschaft. Das gemeinsame Geldinteresse hatte diese beiden maßgebenden Elemente nun doch zu dem engen Bündnis geführt, das ihnen bei der Lage der Dinge den ungestörten und unkontrollierten Alleinbesitz der Weltherrschaft garantierte. Und die gemeinsame Geldmacht ward sehr bald ohne jedes sittliche Bedenken eingesetzt, um durch Bestechung des wählenden, gesetzgebenden und richtenden Volkes alle eigensüchtigen Ziele zu erreichen. Es war ein System der Ausbeutung einer unterworfenen Welt, dessen Großzügigkeit nur von seiner Unsittlichkeit übertroffen wurde. In dieser neuen Zeit ist der Wille des vornehmen und reichen Mannes fast von jeder Schranke der Sitte und des Gesetzes entbunden. Es konnte nicht ausbleiben, daß diesen unumschränkten Gebietern der Maßstab für die Folgen ihrer Taten verloren ging. Auch hier war fortschreitende sittliche Verwilderung die unausbleibliche Folge der neuen Verhältnisse. Aber je größer durch den Lauf der Entwicklung der Abstand zwischen der Nobilität und dem übrigen Volke wurde, desto fester schloß sich die Herrenkaste in sich zusammen, und desto eifriger wachte sie über ihren Privilegien. In den 90 er und 80 er Jahren organisierte sich die Nobilität endgültig als Stand mit exklusiver Haltung, eigener Tracht und offen zur Schau getragener Absonderung von der Menge. Dieser standesmäßige Abschluß führte aber auch zu einem Streben nach möglichst weitgehender Nivellierung innerhalb des Herrenstandes selber. Im Kampfe gegen den Führungsanspruch des Scipio Africanus, der auf seinen einzigartigen Verdiensten begründet war. hat sich während der 90 er und 80 er Jahre das Prinzip der aristokratischen Gleichheit vollkommen durchgesetzt 1 . Den Abschluß gibt im Jahre 173 die lex Villia annalis2, in der das Mindestalter und die Reihenfolge bei der Bekleidung der senatorischen Ämter zum ersten Male geregelt wurde. Die Laufbahn 1

S: mein Buch : Scipio Africanus u n d die Begründung der römischen "Weltherrschaft. 1927, 69ff. 2 Bezüglich dieses Gesetzes scheinen mir die neueren Forschungen nicht über die grundlegenden Erkenntnisse M o m m s e n s hinausgekommen zu sein. Die Ämter mußten von nun a a in der Reihenfolge des Ranges bekleidet -werden. Der amtlose Zwischenraum zwischen je zweien m u ß t e mindestens zwei J a h r e betragen. Da die Erledigung des Militärdienstes Vorbedingung war, war ein Mindestalter für den E i n t r i t t in die höhere Amterlaufbahn gegeben. Die Festlegung auf ein bestimmtes Lebensjahr für jede Stufe h a t aber wohl erst Sulla vollzogen.

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Einleitung

wurde mehr und mehr systematisiert,- und dadurch jedem Mitgliede der Herrenkaste nach Möglichkeit der gleiche Anteil an der Ausbeutung der Welt gesichert. Der sittliche Verfall der Nobilität zeigt sich zunächst darin, daß die Pinanzgebarung der Statthalter und Heerführer immer schamloser wird. M. Livius Salinator, der Konsul des Jahres 219, wurde als erster wegen Beuteunterschleifs vom Volksgericht verurteilt und mußte noch ein Jahrzehnt auf seine Behabilitation warten. Um 190 ist es schon so weit, daß man jeden politischen Gegner vernichten kann, indem man ihm aufs Geratewohl einen Bestechung«- oder Unterschlagungsprozeß anhängt. Im Jahre 189 ließ Cato seinen aussichtsreichsten Mitbewerber um die Censur, M\ Acilius Glabrio, wegen Beuteunterschleifs vor Gericht ziehen. Als Glabrio vor der Urteilsverkündung seine Kandidatur zurückzog, schlug Cato die Anklage nieder 1 . So wenig ernst nahm selbst dieser strenge Sittenrichter damals schon diese Dinge. Auch der Rückzug des großen Scipio Africanus aus dem politischen Leben wurde durch zwei Prozesse dieser Art erzwungen, wobei wieder Cato die Seelo des Angriffs war. Abor auch das Anwachsen der senatorisehen Sultanslaunen läßt sich in dieser Zeit bereits feststellen. Im Jahre 184 stieß der Censor Cato don Consular L. Quinctius Flamininus wegen Mißbrauch« dor Amtsgewalt aus dem Senat 2 . Flamininus hatte als Konsul des Jahres 192 in Ligurien Krieg geführt. Bei einem Mahle hutte sein Lustknabe, der ihm ins Feldlager gefolgt war, don Wutisch ausgosprochen, einmal eine Hinrichtung mitanzusohen. Und der römische Pascha hatte alsbald einen ligurischen Kriegsgefangenen horbeiholen und vor versammelter Gesellschaft enthaupten lassen. Dabei war dieser Flamininus ein hochgebildeter Mann und der Bruder des Mazedonensiegers Titus. Darin zeigt sich erschütternd der schnelle sittliche Verfall der römischen Nobilität. Und noch erschütternder ist,es, daÜ das römisch« Volk, vom (leide und von der persönlichen Beliebtheit des großen Bruders mißleitet, dem Einspruch des AiMffetitoUmimi stattgab und ihm die triumphierende Rückkehr in den Senat ermöglichte. In (How» Zeit der Auflösung alles Überkommenen trifft nun mit vollor Wiioht der lOinfluU griechischer Sitte und grie«IIUOIIWI DmikmiN. ! W römische Aristokrat, den die Entwicklung von wllofi Mtthriuikmi iUir Nitto und des Gesetzes entbunden ' l.lv. X X X V I I , n7.

• Liv. X X X V , 10; Plut. Flam. 18.

Die Ursachen der römischen ^Revolution

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t a t , empfängt aus Hellas die Lehre von der Autonomie des freien Individuums. Für diese untheoretischen, ganz auf das praktische Leben gerichteten Naturen bedeutet das zunächst nur eine Bestätigung zur Willkür und rücksichtslosen Gewalt. Und man versteht sehr wohl, wie Cato in dieser Wirkung der griechischen Philosophie eine Gefahr für die Zukunft Korns erkennen konnte. Denn die griechische Philosophie bedeutet ja diesem Geschlecht nichts als die Befreiung von jeder heteronomen Ethik. Und nun vollzieht sich die Entwertung aller überkommenen Werte unter ähnlichen Umständen und mit derselben reißenden Schnelligkeit, wie wir selbst das in der Kriegsund Nachkriegszeit erlebt haben. Alle Maßstäbe der alten Zeit werden unbrauchbar, alles Sichere und Heilige wird zweifelhaft. Die abweichenden Wertungen der griechischen Welt beschleunigen die Zersetzung. Und noch weiß kein Mensch, was werden will. Denn das Neue, das heraufzieht, ist noch so unreif und unklar in seiner Gärung, daß man es nicht zu fassen und zu greifen vermag. So wird die innere Zerrissenheit und Unsicherheit allgemein. Ein fieberhaftes Suchen nach neuen Idealen setzt bei den Besten der Nation ein. Und jedermann betont seine Überzeugung um so stärker, je weniger er selbst an ihren unerschütterlichen Wert glaubt. Die Grenzkriege dieser Zeit gegen Mazedonien und Karthago, insbesondere aber die schweren Kämpfe gegen die Keltiberer der innerspanischen Hochebene enthüllten schnell den Verfall der alten Kraft und Tüchtigkeit. Wieder und wieder wurden die römischen Heere geschlagen, weil die Truppe nichts mehr leistete und weil die römischen Heerführer sich besser auf Wahlmache und Gelderwerb als auf die Künste des Krieges verstanden. Endlich mußte der römische Senat seinen besten Mann, den jüngeren Scipio Africanus, in Spanien einsetzen, um in mehr als einjähriger schwerer Arbeit die kleine Bergfeste Numantia einzunehmen. Es war für alle Weiterblickenden eine ernste Sorge, ob das Weltreich bei diesem raschen Absinken des Herrenvolkes und seines regierenden Standes auf die Dauer aufrechtzuerhalten sein werde. Zugleich prägte sich der Eigennutz der herrschenden Stände immer stärker aus. Nachdem es im alten Italien nur noch ganz wenig Bauernland gab, wurde der ager publions immer mehr zum Tummelplatz des adligen Landhungers. Schon um 170 wurde die Fünfhundertmorgengrenze bei der Okkupation des brachliegenden ager publicus als eine unerträgliche Beschränkung empfunden. Cato rügt in seiner Rede für die Rhodier

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Einleitung

vom Jahre 167 das kaum verhüllte Streben der Nobilität nach Umgehung und Übertretung dieses Gesetzes1. Wie die spätere Lage zeigt, gewöhnte man sich daran, weitere große Flächen für die unmündigen Söhne in Besitz zu nehmen. Ein Unterschied zwischen Privateigentum und okkupiertem Domanialland ward bald nicht mehr gemacht. Die rechtlich verschiedenartigen Liegenschaften der großen Herren verschmolzen völlig zu einer Einheit, deren einzelne Teile ganz nach Belieben vererbt, verpachtet, verkauft oder vertauscht wurden. Und als die Gracchen ein Menschenalter nach der Bhodierrede an die Rücknahme des entfremdeten ager publions herangingen, waren fast überall seine Grenzen vergessen. So rücksichtslos war das Eigeninteresse der regierenden Schicht über die Staatsgesetze hinweggeschritten. Eine so deutliche Fehlentwicklung konnte nicht ohne Gegenwirkung bleiben. So setzt bereits in den 80 er Jahren ein heißes Bemühen ein, die Dinge wieder in vernünftige Bahnen zurückzulenken. An der Spitze steht der Kampf Catos um die Rückkehr zu den Sitten der Väter. Sein Zeitgenosse L. Aemilius Paullus hat die Verbindung mit der griechischen Philosophie vollzogen, die dann im Scipionenkreis eine entscheidende Stellung gewonnen hat. Mit diesen Vorläufern der Gracchen müssen wir uns in Kürze auseinandersetzen. 1

Gell. N . A. IV, 3. Vgl. F . T a e g e r , Tib. Gracchus 113 m. A. 777.

Reformbestrebungen vor den Gracchen Schon in den 80 er Jahren ist Cato der vornehmste Träger der Gegenbewegung. Als Frontkämpfer aus dem großen Kriege hatte er noch das alte kraftvolle Rom der Landjunker und Bauern gekannt und sich einen klaren Blick für die zunehmenden Schäden des Volkslebens bewahrt. So ist dieser Bauer aus der Campagna, den seine soldatische und menschliche Tüchtigkeit an die Spitze der römischen Aristokratie emporgehoben hatte, der erste Bußprediger Roms geworden. Er blieb sein Leben lang der römische Bauer alten Schlages, derb und einfach in seinen Gewohnheiten, schonungslos gegen sich selbst wie gegen die anderen, ehrlich bis zur Grobheit und doch vollendet in den Künsten des politischen Truges, konservativ bis auf die Knochen und ein Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle. Die Schäden des Staates und der Gesellschaft geißelte er jederzeit in scharfer Rede, die volkstümliche Treffsicherheit des Ausdrucks und derben Mutterwitz mi^ der Eindruckskraft des geborenen Redners zu verwenden wußte. Alle Anfeindungen vermochten ihn nicht von der großen Aufgabe abzuschrecken, das unerbittliche Gewissen der Nobilität zu spielen. Jeder Verstoß gegen die Sitten der Väter ward von ihm in öffentlicher Rede vor dem Senat oder der Volksversammlung gerügt. Er war der unermüdliche Vorkämpfer für die Rückkehr zu den mores maiorum, die wieder zu Ehren kommen müssen, wenn der Staat leben soll1. Aber sein Kampf richtete sich nur gegen die Symptome des Verfalls, ohne die wirtschaftliche und soziale Fehlentwicklung anzugreifen, die den sittlichen Niedergang herbeigeführt hatte und fortgesetzt begünstigte. So mußte ihm der dauernde Erfolg versagt bleiben. Die mores maiorum waren nicht zu halten, weil die Voraussetzungen ihrer Gültigkeit verlorengegangen waren. Aber dieser zähe und unermüdliche Vorkämpfer altrömischer Art und Sitte ringt zugleich mit am ehrlichsten und nachhaltigsten von den Männern seiner Geheration um ein inneres VerDie pristina res publica und die mores maiorum sind seitdem stehende Schlagworte jedes konservativ-aristokratischen Reformstrebens.

Einleitung

•Itoi8 z u der griechischen Weltkultur, deren überragende Beb ütüHg für die Zukunft seines Volkes er voll erkannt hat. Die d e ,j v idualistische und rationalistische Grundeinstellung dieses i ^ e o Griechentums erschien ihm mit Eecht verderblich für s ^ Zusammenhalt des Staates. Zeitlebens hat er die griechische ^.jjosophie mit der ganzen Kraft seines Hasses verfolgt, weil . den Glauben an die Götter und damit die Grundlage der sitts ] ken Welt zerstöre. Dabei konnte er sich jedoch der Einsicht vb* verschließen, daß sein Volk bei den Griechen viel zu 11 jjen habe und daß ein Eintauchen in die griechische WeltItur unvermeidlich sei. Hier galt sein Kampf dem hohen \-e\e, dem Eömertum eine möglichst große geistige Selbständigkeit im Eahmen der größeren Kulturgemeinschaft zu . jjern- So hat er selbst durch die Herausgabe von Handfflcbern der Landwirtschaftslehre, des römischen Eechts und , r römischen Heilkunst, durch die Publikation seiner zahl•ctien Kampf reden und nicht zuletzt durch das erste Ge„liiclitswerk in lateinischer Sprache wesentlich dazu beitragen» daß eine römische Literatur und eine lateinische Ljjriftsprache ins Leben trat. fruchtbarer und tiefer war das Verhältnis zum GriechenJJJ, das Catos jüngerer Zeitgenosse L. Aemilius Paullus gegjm1. Der sittenstrenge Schwager des Scipio Africanus gab •JJ erhabenes Beispiel makellosen Wandels in einer sinkenden ^ejt. Im Kreise Scipios hatte er den Sinn für griechische DenkejSe und griechische Lebensart gewonnen. Mit 40 Jahren ejlte er länger in Kleinasien und hat hier neben seiner amt,-gjjen Tätigkeit eine innere Beziehung zur stoischen Lehre funden. Er hat wohl mit als erster die Wesensverwandtschaft ,}eSer Lehre mit der römischen Adelstradition herausgefühlt flCl richtig erkannt, daß nur mit ihrer Hilfe eine zeitgemäße ßrfleuerung der mores maiorum möglich sei. In diesem Sinne . a t er auch seine Söhne erziehen lassen. Die Teilnahme an dem rtjazedonischen Feldzuge des Vaters und eine gemeinsame Befeisung der vornehmsten griechischen Kulturstätten bildete ieu Abschluß ihrer Erziehung. Damit sind wir bei der neuen generation angelangt, die, in den 80 er Jahren geboren, schon ga0z im Banne des griechischen Einflusses steht. Scipio Africanus, der ältere Sohn des Paullus, ist ja der Führer eines greises von römischen Aristokraten geworden, die ihr Leben 3

1 Über Paullus und sein Verhältnis zum Griechentum, insbesondere Stoa s. K l e b s , R.-E. I . 578 ff.

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Pveformbestrebungen vor den Gracchen

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in den Dienst der Wiedergeburt des echten Römertums aus dem Geiste des besten Griechentums gestellt haben. Der Generation Scipios war die Selbstverständlichkeit des sittlichen Bewußtseins abhanden gekommen. Die ehrwürdige Tradition der mores maiorum, die einem Cato und Paullus noch unverbrüchlich feststand, war den Söhnen einer im Tiefsten gewandelten Zeit fragwürdig geworden. Und während die Altersgenossen sich in wachsender Zahl von jeder Bindung frei wähnten, suchten Scipio und seine Freunde die Rechtfertigung des sittlichen Handelns aus dem Verstände. Sie fanden sie in der stoischen Lehre, die ihnen zunächst der verbannte griechische Staatsmann Polybios von Megalopolis, nach ihm das herbeigeeilte stoische Schulhaupt Panaitios darbot. Im Zusammenwirken dieser Männer ist die römische Stoa entstanden, die zu größter geschichtlicher Wirkung gelangte. Für römisches Empfinden ist es eine Selbstverständlichkeit, daß der römische Staat, der die Welt unterworfen hat, der beste Staat ist. Ebenso selbstverständlich ist es für diese politischen Menschen, daß der Bürger für den Staat da ist und deshalb in erster Linie die politischen und soldatischen Tugenden zu pflegen hat. Polybios bewies seinen Freunden die Richtigkeit dieser beiden gefühlsmäßig gegebenen Tatsachen aus den Lehren des Dikaiarchos. Und Panaitios brachte ergänzend und vertiefend die alte platonische Anschauung hinzu, daß Wert und Dauer einer Staatsverfassung nicht durch ihre Formen, sondern durch den Geist der Bürger bestimmt wird 1 . So finden wir bei den Freunden Scipios einerseits die Überzeugung von der Heiligkeit der alten Staatsordnung, die nicht durch leichtfertiges Experimentieren angetastet werden darf. Andererseits ruht für sie das Staatswesen auf einer tatkräftigen, ihrer sittlichen Verantwortung bewußten Führerschicht. Denn der Zweck des Staates ist gemäß der von Plato begründeten Lehre 1 Zur Vorgeschichte der römischen Stoa s. E . K o r n e m a n n , Zum Staatsrecht des Polybios (Philol. 86, 1931, 169fl\), der die Bedeutung der durch Panaitios übernommenen platonischen Elemente richtig herausgestellt h a t . S. a. F . E g e r m a n n , Die Proömien zu den Werken Sallusts (Sb. d. Wien. Akad. 214, 3, 1932), wo Dikaiarchos als der Vater des Gedankens der idealen Mischverfassung u n d als der einzige Vertreter eines praktischen, dem Staate zugewandten Lebensideals unter den griechischen Philosophen nachgewiesen ist. Gegenüber zu weitgehenden Folgerungen E.s aus seinen neuen Erkenntnissen habe ich (Nachträgliches zu Sallust; Klio 29, 1936, 60fï.) gezeigt, daß die platonischen und