258 104 3MB
German Pages 242 [244] Year 2015
Ramón Reichert Das Wissen der Börse
2009-09-21 13-22-42 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221432917206|(S.
1
) T00_01 schmutztitel - 1140.p 221432917214
XTEXTE zu Kultur und Gesellschaft Das vermeintliche »Ende der Geschichte« hat sich längst vielmehr als ein Ende der Gewissheiten entpuppt. Mehr denn je stellt sich nicht nur die Frage nach der jeweiligen »Generation X«. Jenseits solcher populären Figuren ist auch die Wissenschaft gefordert, ihren Beitrag zu einer anspruchsvollen Zeitdiagnose zu leisten. Die Reihe X-TEXTE widmet sich dieser Aufgabe und bietet ein Forum für ein Denken ›für und wider die Zeit‹. Die hier versammelten Essays dechiffrieren unsere Gegenwart jenseits vereinfachender Formeln und Orakel. Sie verbinden sensible Beobachtungen mit scharfer Analyse und präsentieren beides in einer angenehm lesbaren Form.
Denken für und wider die Zeit
Ramón Reichert (Dr. phil. habil.) ist Gastprofessor für Film- und Medienwissenschaft am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medientheorie, Neue Medien und Visuelle Kultur.
2009-09-21 13-22-43 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221432917206|(S.
2
) T00_02 seite 2 - 1140.p 221432917238
Ramón Reichert
Das Wissen der Börse Medien und Praktiken des Finanzmarktes
X T E X T E
2009-09-21 13-22-43 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221432917206|(S.
3
) T00_03 titel - 1140.p 221432917286
Diese Publikation wurde gefördert durch das Referat Wissenschaftsund Forschungsförderung der Kulturabteilung Wien/Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (bmwf), Wien.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Seymour M. Klein, 2008, New York Stock Exchange Lektorat: Ramón Reichert Korrektorat: Christian Meier zu Verl, Bielefeld Satz: Alexander Masch, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1140-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
2009-09-21 13-22-43 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ea221432917206|(S.
4
) T00_04 impressum - 1140.p 221432917318
Inhalt Abkürzungsverzeichnis ...............................................................................
7
Einleitung ......................................................................................................
11
I. I.1 I.2 I.3 I.4 I.5 I.6 I.7 I.8 I.9
Ströme, Turbulenzen, Blasen .............................................................. Inmitten der Finanzströme ................................................................ Meteorologie der Börse ........................................................................ Turbulenzen und Blasen ..................................................................... Ökonomik und Chrematistik .............................................................. E-Empire ............................................................................................... Das Medium ist der Markt .................................................................. Geld ist Bit/s ......................................................................................... Orderströme im Netz .......................................................................... Die Deregulierung der Börse ..............................................................
21 21 28 36 46 49 55 60 69 74
II. II.1 II.2 II.3 II.4 II.5 II.6
Technologien der Finanzmärkte ......................................................... Eine andere Geschichte des Internets ............................................... Informationseffizienz .......................................................................... Genealogie der elektronischen Netze ................................................ Börsenfernsehen .................................................................................. Im Betriebssystem der Finanzderivate .............................................. Das charttechnische Wissen ..............................................................
83 87 109 119 130 135 142
III. Performativität der Börse .................................................................... III.1 Mikropraktiken im Daytrading .......................................................... III.2 Ein Foto der Wallstreet ........................................................................ III.3 Medienarchäologie des Tippfehlers ................................................... III.4 Finance Art ...........................................................................................
159 160 179 187 196
Anmerkungen ............................................................................................... 213 Literatur ......................................................................................................... 221
Abkürzungsverzeichnis
AMEX AMLC ANSI ARPA ATS
American Stock Exchange Australian Meat and Live-stock Corporation American National Standards Institute Advanced Research Projects Agency Alternative Trading System
BASIC BBS BEHG
Banking and Securities Industry Committee Bulletin Board System Börsen- und Effekten-Handels-Gesetz
CAD CALM CATS CBOE CCS CDS CNS CME CMS COMEX CQS CRS CRT CTS
Computer Aided Design Computer Aided Livestock Marketing Computer Assisted Trading System Chicago Board Options Exchange Central Certificate Services Credit Default Swaps Continuous Net Settlement System Chicago Mercantile Exchange Common Message Switch New York Commodities Exchange Consolidated Quotation System Computerized Reservation Systems Cathode Ray Tube Consolidated Tape System
DAX DOT DTB
Deutscher Aktienindex Designated Order Turnabout Deutsche Terminbörse
8 | Das Wissen der Börse EBS ECN EDI EFT EOE EPC EUREX
Elektronische Börse Schweiz Electronic Communication Network Electronic Data Interchange Electronic Fund Transfer European Option Exchange Electronic Product Catalog European Exchange
FOREX FTSE
Foreign Exchange Market Financial Times Stock Exchange
GATT
General Agreement on Tarifs and Trade
IBIS IDC ISO ISDN IT ITS
Integriertes Börsenhandels- und Informationssystem Interactive Data Corporation International Standardization Organisation Integrated Digital Services Network Informationstechnologie Intermarket Trading System
LAN LIFFE LSE
Local Area Network London International Financial Futures Exchange London Stock Exchange
MAN
Metropolitan Area Network
NASD NASDAQ NBBO NMS NSS NYSE
National Association of Securities Dealers National Association of Securities Dealers’ Automated Quotation System National Best Bid and Offer National Market System Negotiation Support System New York Stock Exchange
OARS OSI OTC
Opening Order Automated Report Service Open Systems Interconnection Over The Counter
PTS
Proprietary Trading Systems
SAA SAGE SEA SEGA SEMPER
Securities Acts Amendments Semi Automatic Ground Environment Securities Exchange Act Schweizerische Effekten-Giro AG Secure Electronic Marketplace for Europe
Abkürzungsverzeichnis | 9 SEC SEI SET SIAC SMF SMTP SOES SOFFEX SWIFT SWX
Securities and Exchange Commission Scantlin Electronics Incorporation Secure Electronic Transaction Securities Industry Automation Corporation Swiss Market Feed Simple Mail Transfer Protocol Small Order Execution System Swiss Options and Financial Futures Exchange Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication Swiss Exchange
UN/EDIFACT
United Nations/Electronic Data Interchange for Administration, Commerce and Transport
XETRA
Exchange Electronic Trading
WKN WTO
Wertpapierkennnummer World Trade Union
Einleitung
›Der‹ Finanzmarkt ist seit dem Beginn der 1980er Jahre zum Leitbegriff politischer Diskurse und sozialer Regulation aufgestiegen. Entsprechend entstanden in finanznahen Bereichen neue Organisationsformen, Denkweisen und Wissensbegriffe. Vom Bekenntnis zur Risikowirtschaft nach Bretton Woods, der Wirtschaftspolitik der Reagonomics bis zur Marktexpansion in den osteuropäischen EU-Beitrittsländern – die Debatten haben stets versucht, den Markt gegen kulturelle Repräsentationen und soziale Strukturen zu immunisieren (Helleiner 1994). In dieser Hinsicht erscheinen Finanzmärkte in idealtypischer Weise zweideutig. Unter dem Paradigma der Entzweiungsthese wird Marktwirtschaft und Marktlogik bis heute als ein von sozialer Kontrolle und Normierung sowie von kultureller Semantik und medialen Rahmungen entfesseltes Feld entworfen (Jameson 1997: 136-161). Eine technologievermittelte Ontologie der Finanzmärkte grenzt sie vom gesellschaftlichen Feld ab und deklariert sie als selbständige Sphäre. In der langen Geschichte der Ontologie des Marktes haben sich die klassischen Verhältnissetzungen etabliert, die bis heute gültig sind. Protagonisten wie Max Weber (1907), Karl Polanyi (1944) und Jürgen Habermas (1962) diagnostizierten die historische Loslösung der kapitalistischen Tauschwirtschaft von den sie ursprünglich ermöglichenden sozialen, kulturellen und normativen Bedingungen. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund konnte sich die neoklassische Vorstellung des Marktes als Mechanismus und Maschine konsolidieren. Heute sind es vor allem die Bilder des Wachstums und die Metaphern des Organismus, die den Sprachgebrauch der Ökonomie und der Finanzpresse prägen: überall treffen wir auf Bilder und Metaphern eines Kapitalismus, der sich in Form globaler Netzwerke organisieren soll. So erfasst der Gebrauch einer für alle möglichen Interpretationen offenen Lebensmetaphysik die Vorstellungen vom Finanzmarkt (Klamer/Leonard 2000: 20-51; White 2003: 131-151).
12 | Das Wissen der Börse Vor dem Hintergrund der Entzweiungsthese erscheint ein menschliches Einwirken auf die Märkte bloß als eine Linderung. Anhand von Krisen kann aber aufgezeigt werden, dass das Feld der medialen Öffentlichkeit für die Finanzmärkte ein maßgebliches Bewährungsfeld bildet. In Krisenzeiten ist der Finanzmarktjournalismus ein Austragungsort für Aushandlungsprozesse zwischen den Ansprüchen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und den professionellen Akteuren des Finanzmarktes. Unter den Vorzeichen der Krise wird der Börse ein öffentlich deklarierter Nutzen attestiert und sie rückt in das Zentrum der Debatten. Eine ultraliberale Lesart vertraut auf die Selbstregulation des Marktes; eine moderate Lesart konstatiert die versagende Selbstheilungskraft des Finanzmarktes und toleriert das Eingreifen in Marktprozesse durch staatliche Institutionen. In der Regel dominiert ein vager und für Interpretationen offener Sprachgebrauch die öffentlichen Diskurse über die Finanzmärkte. Im Falle einer Finanzmarktkrise werden »Preisschwankungen« und »Kurseinbrüche« vielfach als physikalische oder natürliche Phänomene interpretiert, die unabhängig vom menschlichen Handeln als übermächtige Schicksalsmacht auf die Märkte einwirken. Die Börsensprache des Finanzmarktjournalismus kultiviert eine bildhafte und metaphernreiche Sprache der Finanzströme, die abstrakt und rätselhaft erscheinen und damit allen möglichen Deutungen offen stehen soll. Dieser hegemoniale Börsendiskurs zielt vor allem darauf, Grenzziehungsdiskurse und ihre Forderungen nach regulierenden Maßnahmen als obsolet darzustellen. Im Unterschied zur gängigen neoklassischen Auffassung vom Markt als ›freiem Spiel der Kräfte‹ argumentiert die folgende Untersuchung im Anschluss an die Cultural Economy dafür, dass dem Aufstieg und der Konsolidierung der Finanzmärkte eine gesellschaftliche und kulturelle Dimension zu Grunde liegt (Clark/Thrift/ Tickell 2004; MacKenzie 2005). Die Informations- und Kommunikationstechnologien der internationalen Finanzmärkte haben heute zur Entstehung globalisierter Netzwerke geführt, die verschiedenste Gesellschaftsbereiche beeinflussen (Knorr-Cetina/ Bruegger 2002: 905-950). Neben den klassischen Faktoren wie Konjunktur, Wechselkurs, Bruttoinlandsprodukt, Inflation und Deflation, die auf die Finanzmärkte einwirken, bestimmen die globalen Netzwerke, die Deregulierung der Börsen und die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien die Entwicklung der Märkte (Barnet/Cavanagh 1994). Die seit den 1960er Jahren entwickelten elektronischen Handelssysteme haben die unterschiedlichen Teilmärkte (Kapital-, Devisen-, Geld-, Terminmarkt) anhaltend verändert. Die über Handels- und Informationssysteme ermöglichte Vernetzung der Märkte, die Beschleunigung der Transaktionsvorgänge und die Abwicklung hoher Transaktionsvolumina zwischen den Marktteilnehmern haben die Hegemonie der institutionellen Investoren, der Banken und Börsen, aufgelöst. Das vorliegende Buch versucht, diese durch die Prozesse der Medialisierung entstehenden Transformationen der Finanzmärkte nachvollziehbar
Einleitung | 13 zu machen. Dazu ist es notwendig, sich mit der kulturellen Institutionalisierung von Märkten und dem sich normalisierenden Markthandeln zu beschäftigen. (Appadurai 1990: 295-310) Im Anschluss an Studien, die sich auf die sozialen, kulturellen und normativen Bedingungen der kapitalistischen Tauschwirtschaft konzentrieren (Jameson 1991), wird hier das Beziehungsverhältnis der den Finanzmärkten zugrundeliegenden Medien, Technologien und Praktiken untersucht. Diese transdisziplinäre Perspektivierung der Ökonomie bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Diskurse aus den Bereichen der Informatik, der Mathematik, der Ökonomie oder der Medien- und Kulturwissenschaft zusammenzubringen, die gemeinsame Schnittpunkte haben, aber bisher getrennt untersucht worden sind. Eine solche kulturalistische Perspektivierung der Börse kritisiert die Entkopplungsthese, welche die Absonderung des Marktes aus seinen sozialen und kulturellen Bedingungen postuliert: Markdynamiken und Markthandel erscheinen somit als bedingt durch Politiken der Repräsentation. Diese Sichtweise der Finanzwirtschaft bildet den Ausgangspunkt für eine weiterführende medienwissenschaftliche Vorgehensweise, die von der Annahme ausgeht, dass Finanzmärkte als ein mediales Dispositiv anzusehen sind, darin auf unterschiedlichen Ebenen Wissenselemente und -ordnungen wirksam werden, die sich in gesellschaftlich hegemonialen Subjektformierungen und alltagspraktischen Subjektivierungsweisen manifestieren. (Langenohl 2007a: 7-36) Vor diesem theoretisch-methodischen Hintergrund beschäftigt sich das Kapitel I mit den Rahmenbedingungen der medialen Dispositive für die globalen Finanzmärkte und begreift die Entstehung, Zirkulation und Distribution von Finanzmarktwissen als Effekte medial strukturierter Praktiken. Dabei wird in Kapitel I.1 davon ausgegangen, dass das Wissen der Börse historischen Dynamiken und Prozessen, Situationen und Komplexitäten unterliegt und folglich als ein Resultat des Medienwandels und seiner Umbrüche aufgefasst werden kann. Demzufolge kann das Finanzmarktwissen weder als ahistorische Gegebenheit betrachtet werden, dem universal gültige Strukturen zu Grunde liegen, noch als Resultat von historischen Gesetzmäßigkeiten, welche die Wissens- und Praxisformen der Marktteilnehmer wirkmächtig determinieren. Diese Relativierung des Stellenwerts medialer Ordnungen hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Forschungspraxis, die sich von einem objektiven und neutralen Beobachtungsstandpunkt außerhalb der geltenden Macht- und Wissensordnungen verabschiedet und ihren Forschungsgegenstand grundsätzlich als Effekt des Zusammenspiels von Machtprozessen, kulturellen Praktiken und Wissenstechniken versteht. Demgegenüber hat der Finanzjournalismus die digitalen Medienumbrüche der Finanzmärkte bisher mehr oder weniger ausgeblendet und hat – wie in der Berichterstattung über die Finanzkrise im Herbst 2008 – eine individualistisch-reduktionistische Perspektive in den Vordergrund gerückt. So zeigten die dominanten Medienbilder in der ersten Phase ihrer Ereignisberichterstattung (September/Oktober 2008) Affektbilder männlicher Börsianer in Großaufnahme und behaupteten in ihren Erzählformen der
14 | Das Wissen der Börse Personalisierung, Lokalisierung und Chronologisierung eine grundsätzliche Erklärbarkeit der Krise. Mit der Diskursformation der metaphorisch-erklärenden Signifizierung beschäftigen sich die Kapitel I.2 und I.3 und gehen dabei von der Grundannahme aus, dass der Einsatz meteorologischer Metaphern in der Finanztheorie auf maßgebliche Weise die Physikalisierung ökonomischer Prozesse eingeleitet hat. Es wird aufgezeigt, dass Metaphern wie etwa »Barometer« und »Kompass« als wichtige Bausteine des alltäglichen Sprechens über Finanzmärkte fungieren und einen Aussagewert über das Selbstverständnis der Finanzmarktdiskurse darstellen. Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, ob der metaphorische Sprachgebrauch der Börse einen handlungswirksamen Einfluss auf die Marktteilnehmer aufweist. Lässt sich zeigen, dass Steuerungs- und Organisationsmetaphern fi nanznahes Entscheidungswissen generieren, dann kann damit auch die These von der kulturellen Dimension des Marktes untermauert werden. Die Automatisierung der Märkte im vollelektronischen Computerhandel umfasst heute den gesamten Handelsprozess vom Orderrouting bis zur vollständigen Abwicklung. Mit dem Einzug der rechnergestützten Datenkommunikation und -verarbeitung in alle Teilaspekte des Börsenhandels hat sich die Finanzmarktkommunikation derart beschleunigt, sodass heute eine rein technische Beobachtung des Finanzmarktes die menschliche Wahrnehmung und den Präsenzhandel mehr oder weniger ersetzt (Kap. I.5 und I.6). Zentrale Fragestellungen des Finanzmarktwissens kreisen daher um mathematische Optimierungsprobleme in Modellen für stochastische Finanzmärkte vor dem Hintergrund hochkomplexer Derivatkonstruktionen und beschleunigter Transaktionsgeschwindigkeiten und setzen sich mit möglichen Risikofaktoren (z.B. Volatilität) auseinander (Kap. I.7). Diese statistischen Berechnungen zur Bewertung und Absicherung von Finanzpositionen für unvollständige Märkte bringen jedoch kein perfektes und in sich abgeschlossenes Wissen hervor, da das Risiko nicht vollständig eliminiert, sondern nur minimiert werden kann. Da es kein endgültiges Wissen der Finanzmärkte geben kann, müssen die Finanzmärkte stets wandelbar, unvorhersehbar und unzyklisch in ihrem Verhalten erscheinen. Sie verweisen auf die Löschung stabiler Demarkationen und konfrontieren uns mit der dynamischen Auflösung statischer Ordnungskonzepte (Kap. I.8). Daher erscheinen sie als schlecht defi nierte Systeme, die sich durch schwach strukturierte Datenmengen und eine dementsprechend unscharfe Logik auszeichnen. Dementsprechend erweist sich das Finanzmarktwissen als ein extrem volatiles und aggregatähnliches Wissen, das kein diskursives Zentrum erzeugt und einem empirischen Umherirren gleicht. Die Verbreitung virtueller Finanznetzwerke verweist also darauf, wie unsicher, notorisch schwankend und unzuverlässig das Terrain der Spekulation geworden ist und dass diese Unschärfe mit der ständigen Bewegung zu tun hat, in welche die Finanzmärkte die Apparate ihrer Kontrolle zu versetzen imstande sind (Arnoldi 2006: 381399). Die Volatilität der Märkte erzeugt gleichermaßen eine Volatilität des
Einleitung | 15 Wissens, dem es nicht mehr gelingt, einen analytischen Referenzraum zu konstruieren, der die globalen Finanzströme in einem System stabiler und diskreter Unterscheidungen zu repräsentieren vermag (Kap. I.9). Das Kapitel II entwickelt mit seiner mediengeschichtlichen Perspektivierung der »Technologien der Finanzmärkte« neue Zugangsweisen für die soziale, symbolische und kulturelle Einbettung der Finanzmärkte. In dieser Blickweise erscheint der Börsenhandel als zentraler Bestandteil der Finanzwirtschaft weniger als eine autonome Marktsphäre, die ihren sozialen und kulturellen Bedingungen entwunden ist, sondern vielmehr als ein mehrdeutiges Feld, das mit medialen Dispositiven, kulturellen Zeichenpraktiken und sozialen Normierungen verflochten ist. Die Finanzmärkte und die Börse folgen als Institutionen des Finanzmarktwissens einem technologischen Trend der Vernetzung, der sich im 19. Jahrhundert mit der Nutzung der Elektrizitätstechnik allmählich herausbildete und veränderliche Wissensformen, kulturelle Hybridisierungen, multimediale Anordnungen und symbolische Verarbeitungsweisen hervorgebracht hat (Preda 2006: 753-782; Stäheli 2007: 305-362). Telegrafie, Telefonsysteme, Computer, elektronische Netzwerke, Fernsehen und zuletzt das Internet haben mediale, soziale und kulturelle Strukturen des Marktes – nicht nur des Finanzmarktes – konfiguriert (Garbade/Silber 1978: 819-832; Gitelman 1999). Sie haben den ortsunabhängigen Handel zu Echtzeitkursen sowie die Abwicklung hoher Handelsvolumina bei sinkenden Transaktionskosten ermöglicht und damit maßgeblich an der Durchsetzung marktförmiger Praktiken mitgewirkt. Das Kapitel II.1 geht von der These aus, dass die fi nanzielle Globalisierung, wie wir sie heute kennen, nicht ohne die kontinuierliche Weiterentwicklung der computerunterstützten Handelssysteme möglich gewesen wäre (Cortada 2006). Vor diesem Hintergrund wird dafür plädiert, die Entwicklungsgeschichte des Internets nicht mehr ausschließlich aus dem militärisch-industriellen Komplex abzuleiten. Es entsteht eine andere Geschichte des Internets, wenn der Forschungs- und Entwicklungsprozess elektronischer Finanznetzwerke miteinbezogen wird. Ende der fünfziger Jahre formierte sich im Feld der Finanzmärkte eine produktive Anwendung der elektronischen Telekommunikation: neben der Fabrik und der Kaserne tauchte mit der Börse ein neuer Schauplatz der beginnenden Computertechnologie auf. Die jeweiligen Teilmärkte der Finanzmarktspekulation können auch als Ausdruck eines historischen Medienwettstreits gesehen werden (vgl. Kap. II.2). Diese Medienkonkurrenz prägt auf entscheidende Weise das Wissen und die Praktiken der Marktinstitutionen und ihrer teilnehmenden Akteure. Der einfache Zugang zu allen relevanten Informationen der Finanzinvestition hat das Tätigkeitsfeld traditioneller Finanzmarktintermediäre massiv verändert. Diese technologievermittelte Verfügbarkeit wurde in öffentlichen Debatten häufig als ein Indikator für die ›Demokratisierung‹ der Spekulation interpretiert und hat maßgeblich zur Popularisierung der Börse beigetragen (Bourne/Trudi 2003: 17f). In der medialen Öffentlichkeit firmiert
16 | Das Wissen der Börse die Außendarstellung der Börse als Spiegel der allgemeinen Wirtschaftslage und ist ein privilegierter Ort ökonomischer Sinnstiftung. Mit der Integration von Telekommunikation, Computertechnologie und Datenverarbeitung in alle Teilbereiche der Börsenkommunikation haben sich die kategorialen Apparaturen zur Marktbeobachtung und Kalkulation von Entscheidungswissen verfeinert (Kap. II.3 und II.4). Dementsprechend verändern sich die Finanzmärkte und bewegen sich von einer Medienkultur, die das Speichern privilegiert, zu einer Medienkultur der permanenten Übertragung und Vernetzung. Diese zur Aufzeichnung, Verwaltung, Archivierung und Übermittlung von Börsendaten verwendeten Speicher- und Übertragungsmedien haben die Accessibility zu den Devisen- und Wertpapiermärkten erleichtert. In diesem Zusammenhang generieren die Technologien der Finanzmärkte sowohl Habitualisierungen als auch Ritualisierungen und haben einen maßgeblichen Einfluss bei der Entstehung einer Anlegermentalität durch private Investoren (MacKenzie/Beunza/Hardie 2007: 135-150). Kapitel II.5 untersucht den Stellenwert der Computertechnologie für die finanzmathematische Modellierung von Derivaten, Futures und Optionen und geht von der Ansicht aus, dass die heutige Dominanz der Finanzderivate eng mit dem Aufstieg rechnergestützter Systeme verknüpft ist. Im Zentrum von Kapitel II.6 steht die geschichtliche Analyse der visuellen Wissenstechniken des Finanzmarktwissens von Charles Henry Dows Charttechnik bis zur Charting Software. Formeln, Zahlzeichen, Charts, Diagramme und Tabellen schaffen nicht nur die Möglichkeiten der kalkulativen Praktiken der Bankwirtschaft und Finanzmärkte, sondern strukturieren das gesamte ökonomische Geschehen, indem sie es neu ordnen, beschleunigen und unter permanenten Innovationsdruck setzen (Thussu 1999). Das damit erzeugte Finanzmarktwissen steht mit gesellschaftlichen Institutionen und Subjektkonstitutionsprozessen in einer engen Wechselbeziehung, insofern es anordnend, strukturierend und regulierend wirkt und Deutungspraktiken des Finanzmarktgeschehens generiert (Link 2007: 107-128). Andererseits resultiert die Überzeugungskraft des charttechnischen Wissens aus der Glaubwürdigkeit, die der Lesbarkeit der Bilder entgegengebracht wird und enthält immer auch Repräsentationstraditionen, Prozesse der Ikonisierung und nicht mehr hinterfragte Sehtraditionen. In diesem Sinne wird die Charttechnik gegen den Strich gelesen und der kulturelle Subtext der populären Kurvendiagramme offengelegt. Um der Problematik eines vom Dispositiv umstellten Menschen und der ihr zugehörigen Annahme eines autonomen und sich selbst setzenden Subjekts zu entgehen, muss die Formung der subjektiven Wahrnehmung mittels der Technologien der Finanzmärkte genauer differenziert werden, ohne sie als deterministisches Zwangsverhältnis festzulegen. In diesem Zusammenhang geht es also nicht darum, auf der Ebene der Individuen und ihrer Verhaltensweisen die allgemeine Form dominanter Technologien wieder zu finden. Mit dieser Schnittstelle von Medium, Technologie und Subjekt beschäftigt sich das abschließende Kapitel.
Einleitung | 17 Während die Kapitel »Ströme, Turbulenzen, Blasen« und »Technologien der Finanzmärkte« eine medientechnologisch fundierte Makroorientierung herausarbeiten, fokussiert das Kapitel III die »Performativität der Börse« und stellt die Mikropraktiken in das Zentrum der Thesenbildung. In Abgrenzung zur geregelten und auf Dauer gestellten Fungibilität des Börsenhandels, die in der Finanzierungstheorie für die permanente Austauschbarkeit von Devisen und Wertpapieren einsteht, verlässt die performative Perspektivierung der Börse die Frage nach der überindividuellen Strukturierung der Praxisfelder und Handlungsbereiche und konzentriert sich vielmehr auf die Störungen, Unfälle und Fehler, die ein situatives Wissen generieren und neue Praxisfelder eröff nen. In diesem Sinne können im Kapitel III.1 Fragen nach den dispositiven Wirkungen in Bezug auf die Subjektivierung der Marktteilnehmer gestellt werden. Um die Effekte des Mediums in seiner Handlungswirksamkeit bestimmen zu können, muss also sein Mediengebrauch genauer bestimmt werden, der die Dimensionen der eigensinnigen Medienaneignung nicht vernachlässigen darf. Andererseits bedeutet die Grundannahme einer Handlungsfähigkeit der Subjekte nicht zwangsläufig, diese fraglos mit Ganzheitlichkeit und Autonomie gleichzusetzen. Wenn sich die Subjekte in einer imaginären Verkehrung selbst als Urheber, Inhaber und Beherrscher des Wissens ansehen, dann erreichen sie nicht notwendig eine höhere Stufe von machtfreier Selbstverwirklichung, sondern setzen immer auch bestimmte Machteffekte eines bereits institutionalisierten Wissens um. So ist die Mutmaßung von einem im Mediendispositiv gefangenen Subjekt weder zutreffend noch zielführend und kann durch die Grundannahme einer dispositiven Subjektpositionierung abgelöst werden, die von einem aktiv mitgestaltenden Faktor der Subjekte ausgeht. Schließlich produzieren mediale Dispositive in dieser Hinsicht auch nicht-intendierte Verknüpfungen und Vernetzungen von Finanzmarktwissen, Machtbeziehungen und Subjekten, die im Selbstbezug handlungswirksam werden und auf die Aussage- und Wissensordnungen der Finanzmärkte zurückwirken können. Vor diesem Problemhorizont untersucht die »Medienarchäologie des Tippfehlers« (Kap. III.3) den Zusammenbruch des Finanzmarktes als soziale Institution geregelter Aussageordnungen. Die sogenannten ›Turbulenzen‹ der Finanzmärkte bieten einen willkommenen Anlass (vgl. auch Kap. I.2 und I.3), sich mit der konstitutiven Unschärfe der Wissensordnungen von Finanztheorien auseinander zu setzen. Der Börsencrash als Unterbrechung institutionalisierter Aussagepraktiken versetzt die Finanzmarktspekulation in eine Glaubwürdigkeitskrise. Dieses Rauschen im Finanzmarktwissen bewältigt eine über sich selbst aufgeklärte Vernunft mit einer Bedeutungsproduktion, mit der versucht wird, die Lücken der Sinnstiftung zu schließen. In diesem Sinne entfaltet das Deutungsregime der Finanzmarktberichterstattung eine diskursive Machtwirkung, da es die Strukturiertheit des Ereignisses in den Raum stellt. Das Kapitel III.2 thematisiert die Medialisierung der Börse als Kapitalmarktmodell und beschäftigt sich mit den populari-
18 | Das Wissen der Börse sierenden Diskursen der massenmedialen Beobachtungsanordnungen, die der Börse eine bestimmte Außenwirkung zuschreiben. Es wird aufgezeigt, dass die Medialisierung der Börse in den hegemonialen Interdiskursen des Finanzjournalismus auf die Erwartungen der Marktteilnehmer zurückwirkt und damit auch auf eine gewisse Weise die Praxisfelder der Märkte beeinflusst. Im Rahmen ihrer Medialisierung bleibt die Börse jedoch auch immer mit zielgruppenspezifischen Repräsentationsformen der ökonomischen Selbstverständigung verbunden. Demgemäß erfasst der Gebrauch von popularisierenden Mechanismus- und Organismus-Metaphern auch die mediale Darstellung des Börsengeschehens. Wie kann vor diesem Hintergrund ein Zugang zum Finanzmarktwissen entwickelt werden, dem es darum geht, das Finanzhandeln als Resultat medialer Dispositive, sozialer Prozesse und historischer Konjunkturen zu beschreiben? Auch in den Debatten um die Standortbestimmung der zeitgenössischen Kunst zeigt sich ein zunehmendes Interesse an medialen Repräsentationen des Finanzmarktes (Beunza/Muniesa 2005: 628-633). Das Kapitel III.4 beleuchtet diese sich neu formierende Schnittstelle von Kunst und Finanzwirtschaft, mit der ein neuer künstlerischer Wahrnehmungs- und Reflexionsraum entstanden ist, in dem sich künstlerisches Wissen und die Technologien der Finanzmärkte zu verzahnen beginnen. Hierbei soll der Frage nachgegangen werden, auf welche Weise das künstlerische Wissen die wissenschaftlichen Darstellungskonventionen reflektiert und inwiefern es in der Lage ist, den Objektivitätsanspruch des Finanzmarktwissens einer künstlerischen Repräsentationskritik zu unterziehen. Im Allgemeinen ging die Medienberichterstattung zur Finanzkrise 2008 von der Grundannahme aus, dass die Krise immer schon der symbolischen Ordnung zugehörig sei. Folglich sollte es nach Ansicht der Finanzpresse nur noch darum gehen können, die Krise auf der Ebene von Begründungsverfahren, Erzählhandlungen und Visualisierungstechniken zu verorten. Die Finanzpresse produzierte Geltung beanspruchendes Wissen über die Finanzmärkte, an dem sich Handeln als Effekt diskursiver Praktiken orientieren sollte. Andererseits zeigten die Medienberichte im Jahr 2008 aber auch auf, dass sich die Krise nicht restlos innerhalb der imaginären oder symbolischen Ordnung verorten lässt und vielmehr eine inkommensurable Spur innerhalb der geregelten Redeweisen bildet. Obwohl sich die Finanzpresse wiederholt um die lückenlose Aufklärung der Krise bemühte, produzierte sie doch selbst immer wieder neue Transformationen des Rauschens, die sie als vorgebliche Instanz der aufgeklärten Vernunft aus ihrem eigenen Kontrollblick verlor. Dieser Widerspruch ist auch heute noch gültig und wirksam. Auch die aktuelle Medienberichterstattung zur »Weltwirtschaftskrise« oder (mittlerweile abstrahiert und generalisiert) zur »Krise« an und für sich kann sich mit dem Ereignis selbst nicht decken, da sie die Krise ausschließlich – medial gefi ltert – als konstitutiven Bestandteil diskursiver Formierungen und Diskurse abrufen kann. Während die Aussage der Krise eine Funktion dar-
Einleitung | 19 stellt, die wiederholbar ist, da sie die wiederkehrenden zeichenhaften Verkettungen von Bedeutungen impliziert, können die Aussagen über die Krise nicht wie das Ereignis der Krise an und für sich behandelt werden. Dementsprechend verweisen die Medienberichte über die Finanzkrise nicht auf das »reale« Ereignis der Krise, sondern vielmehr auf einen medienspezifischen Reproduktionsprozess der Aussageordnung und ihrer visuellen Kultur, die der gesellschaftlichen Sicherung von Wahrheit im Kontext eines anerkannten Wissens verpflichtet bleibt. Zusammenfassend erweist sich die hier vorgelegte performative Sondierung der Finanzmärkte in mehrfacher Hinsicht als vielversprechende Forschungsperspektive, da sie das umfassende kulturerzeugende Prinzip des Finanzmarktwissens in den Blick nehmen kann. Gemäß der in Kapitel I.1 erörterten kritischen Dispositivanalyse der globalen Finanzmärkte und ihrer Konstruktionsprozesse erscheint es also sinnvoll, davon auszugehen, marktförmiges Handeln als übergreifendes Modell sozialer Interaktionen zu begreifen, dass auch anderen Bereichen der Kultur zu Grunde liegt und in einem engen Wechselverhältnis mit der Emergenz medialer Praktiken steht.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen
»Die Mitte ist hier kein Mittelwert, sondern im Gegenteil der Ort, an dem die Dinge beschleunigt werden. Zwischen den Dingen bezeichnet keine lokalisierbare Beziehung, die von dem einen zum anderen geht und umgekehrt, sondern eine Pendelbewegung, eine transversale Bewegung, die in die eine und die andere Richtung geht, ein Strom ohne Anfang oder Ende, der seine beiden Ufer unterspült und in der Mitte immer schneller fließt.« Gilles Deleuze und Felix Guattari, Tausend Plateaus, 1992
I.1 I NMIT TEN
DER
F INANZSTRÖME
Ungebändigte und entfesselte Finanzströme verändern die Welt. Die Finanzströme bilden die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaften. Sie verbreiten sich global und durchdringen die gesamte gesellschaftliche Struktur, die Macht und die Kultur. Die Macht der Ströme führt zur sozialen Determination auf höherer Ebene und gewinnt Vorrang gegenüber den Strömen der Macht. Ein Netzwerk globaler Finanzströme bildet den neuen Kapitalismus. Das Finanzkapital funktioniert global als Einheit in Echtzeit und wird primär in der Sphäre der Zirkulation realisiert, investiert und akkumuliert. Ausgehend von den globalen Finanzmärkten, wo die Kapitalakkumulation erfolgt, wird Kapital in die unterschiedlichsten Sektoren investiert. Die Ströme des globalen Finanzkapitals erfassen alle möglichen Bereiche: sie zirkulieren auf Aktienmärkten und verbreiten sich über die angrenzenden Dienstleistungszentren auf die Nachrichtensysteme, infi ltrieren die öffentlichen Diskurse und verstreuen sich im globalen Netzwerk der digitalen Kommunikationsmedien, mit denen gleichzeitig Signale erzeugt, übertragen und empfangen werden. Die Ströme sind die Quelle der
22 | Das Wissen der Börse drastischen Neuorganisation von Machtbeziehungen, Organisationen und Unternehmen. Sie formieren die neue Gesellschaftsordnung, die in globalen Netzwerken von Kapital, Management und Information organisiert ist. Vorstellungen wie diese postulieren eine andauernde Dynamik der Finanzmärkte, die nur durch krisenhafte äußere Einwirkungen unterbrochen werden kann. In Krisenzeiten verlieren die statischen Bilder des Marktes weitgehend ihre Glaubwürdigkeit und dynamische Bilder treten an ihre Stelle. Allokationsbehauptungen, die früher den Markt als die überlegenste und effizienteste Organisationsform beschrieben haben, büßen ihre überzeugende Erzählkraft ein. Eingebettet in eine journalistische Krisenrhetorik evozieren Finanzmarktdiskurse Bilder von kontinuierlichen, beständigen und nicht enden wollenden Finanzströmen, die sich scheinbar verselbständigt haben, die niemand mehr aufhalten kann und die keiner mehr durchschauen kann. In Sprachbildern von außer Kontrolle geratenen Strömen kehrt sich das Argument des Sachzwanges um und das totale Primat der Ökonomie vor dem Politischen erscheint in seiner totalen Desintegration als apokalyptisches Schreckensszenario. Das Finanz-Narrativ der globalen Ströme steht nun selbst unter Misskredit und wendet sich zum grundlegenden Prinzip von permanenter Verunsicherung. Das metaphernreiche Bild der deterritorialisierten Finanzströme blendet aber die Tatsache aus, dass die Finanzwirtschaft mittels der digitalen Medien nicht kontinuierlich, sondern diskontinuierlich organisiert ist: »Die Währungsströme, die um die Welt zirkulieren, werden initiiert, aufgeteilt und mit Energie versehen, wenn Händler u.a. Interessenten eine Konversation eröff nen.« (Knorr-Cetina/Bruegger 2005: 153) Es haben sich digitale Märkte herausgebildet, auf denen eine diskret operierende Signalstruktur den Ton angibt: »Es gibt auf Märkten keine ›Ströme‹, das heißt keine sich stetig-kontinuierlich verändernden Phänomene, sondern nur voneinander unterscheidbare, das heißt diskrete Einzelschritte.« (Tanner 2002: 142) Die Metapher des »Fließens« als ein räumlich und zeitlich gleichmäßiger, ununterbrochener und einheitlicher Prozess ist das Leitbild der Kapitalmarktforschung (vgl. Tellmann 2007: 242). Fluss- und prozessorientierte Konzeptionen zielen vornehmlich darauf ab, die raumzeitlichen Bedingungen der gegenseitigen Transaktionen von Gütern und Informationen zwischen den Wirtschaftssubjekten als möglichst durchlässig, das heißt möglichst ohne materielle oder informatorische Medienbrüche bedingte Flussunterbrechungen, darzustellen. Die Metaphern des Fließens und Strömens sind auch Leitbilder und -konzepte für das Logistiksystem der Finanzwirtschaft und sagen daher etwas Zutreffendes über die Zeitverhältnisse der Informations- und Kommunikationstechnologien aus: »Der Strom benennt eine über eine lange Zeit durchgehende Bewegung. Viele einzelne Ereignisse und Veränderungen erzeugen in ihrer Summe die Kontinuität eines Stroms. Was Fernsehen und Radio senden, ändert sich
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 23 laufend, aber als Strom bleiben die Programme dieselben.« (Heidenreich 2004: 28) Die Flussmetapher propagiert aber auch das betriebswirtschaftliche Ideal der System- und Totalkostenmentalität, das die meisten Technikdiskurse der Finanzwirtschaft prägt. Denn dort wird gebetsmühlenartig der kostensparende Faktor der Finanzmarkttechnologien beschworen. Dementsprechend entspringt das Bild des Finanzstromes immer auch einer bestimmten Übersetzung, welche die relative Ortsunabhängigkeit der digitalen Praktiken in das Konstrukt eines zusammenhängenden Flusses transformiert. Vor diesem Hintergrund dient die Aktienkurve zur Bändigung der delokalisierten und dezentrierten Transaktionen: sie schaff t einen kontinuierlichen Verlauf, einen narrativen Plot, eine visuelle Verschmelzung zerstreuter Aktivitäten zu einer stetigen Bewegung, die eine übersichtliche Linie formt, die entweder nach oben oder nach unten zeigt. Somit schaff t die grafische Repräsentation der Aktienkurve Einheitlichkeit, Beständigkeit und eine harmonische Perspektivierung der Finanzmärkte. Finanzmarktkrisen bedeuten immer auch eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. In Krisenzeiten steigern sich in Finanzmarktdiskursen die Austragungs- und Aushandlungsprozesse zwischen den Repräsentationsfiguren der Finanzmarktöffentlichkeit und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Auch das Bild der Börsen ändert sich. Sie verlieren ihr positives Casino-Image der spontanen Bereicherung und gelten schlagartig als unkontrollierbare Bedrohungen für die gesamte Wirtschaft und die soziale Wohlfahrt. Damit einhergehend ändert sich auch das Image vom neoliberalen Subjekt. Die in den 1990er Jahren massiv betriebene Popularisierung der Wertpapiermärkte hat die Gegebenheit eines ›hemmungslosen‹ Wirtschaftssubjekts in den Raum gestellt, das in der Lage sein sollte, sich von kulturellen Traditionen und sozialen Reglementierungen zu entwinden. Es wurde als flexibilisierter Spekulant aufgebaut, der sich standortungebunden zu orientieren hatte und die sich permanent wechselten Macht- und Kräfteverhältnisse im weltweiten Handel als ›Beteiligungschance‹ wahrnehmen sollte. In diesem Sinne wurden die global agierenden Spekulanten immer auch als Netzwerkarbeiter angesprochen, die durch ihre Aktivitäten unvermeidlich zum Ausbau der sozialen/ökonomischen Transaktionen beitragen sollten: »Immaterielle Arbeit konstituiert unmittelbar kollektive Formen, Netzwerke und Ströme.« (Lazzarato 1998: 61) Immaterielle Arbeit ist eng mit der Struktur des Netzwerks als Produktionsparadigma verbunden und bezieht sich dabei ausdrücklich auf die durch ein Netzwerk zu generierenden Angebote und Produkte. Der Wert der durch immaterielle Arbeit hervorgebrachten Produkte ist damit auf ihren informativ-kulturellen Inhalt begründet. Damit beginnt der Markt, die kreative Aktivität der Teilnehmer aufzusaugen und zwar in enger Verknüpfung mit der Aufforderung, sich selbst permanent einzubringen. Die Computer-Börse im Netz hat eine neue Machttechnik entstehen lassen: den partizipativen Finanzmarkt für Hobby-Spekulanten. Die Digitalisierung der Finanzmarktspekulation tradiert
24 | Das Wissen der Börse ferner das alte Narrativ von der Universalisierung der Geldwirtschaft, demzufolge die Freiheit des Individuums auf entscheidende Weise durch das Geld gesellschaftlich konstituiert ist. Das Geld ermöglicht den Individuen eine gewisse soziale Mobilität und erscheint als ein Medium der Entgrenzung. In seiner Theorie des Geldes zeigt Simmel, dass sich die entgrenzenden Wirkungen des Geldes auf alle Dimensionen des sozialen Alltagslebens beziehen (1900/1989: 265). Das Geld ist nicht nur ein Mittel, um die derzeitig am Markt angebotenen Waren und Leistungen zu bezahlen, sondern dient auch als ein Einsatz für etwas, das erst in der Zukunft hergestellt werden könnte. Insofern hat das Geld – neben seiner sachlichen Kaufkraft – immer auch einen imaginären Aspekt. Das Geld ermöglicht also als Investition Optionen für zukünftiges Handeln und erweitert als ein globales Medium auch die räumliche Freiheit des Individuums. Es erschließt neue soziale Reichweiten und macht dadurch seinen Besitzer von lokalen Ressourcen unabhängig (Simmel 1900/1989: 663). Die elektronische Börse hat in vielfacher Hinsicht eine Abstraktionsrhetorik in Gang gebracht, die im wesentlichen auf das Argument hinausläuft, dass Geld noch indifferenter und effektiver zirkulieren kann und sich als vollkommen abstrahiertes Medium des spekulativen Imaginären der sozialen und kulturellen Kodierungen entziehen kann. Diese durch die Digitalisierung der Finanzströme angeheizte Ausprägung der transnationalen und in allen Zeitzonen operierenden Spekulation hat allerdings in der Finanzökonomik eine Gegenbewegung entstehen lassen, die für die soziale, symbolische und kulturelle Einbettung der Finanzmärkte steht. In dieser Hinsicht entwickeln die Akteure am Finanzmarkt Deutungen des Marktgeschehens, »die sich nicht funktional aus der Operationsweise der Märkte ableiten lassen« (Langenohl 2007a: 9). In dieser Hinsicht kann ›Markt‹ als eine Chiffre aufgefasst werden, die für gravierende, weltweite Transformationsprozesse in den Beziehungen zwischen Ökonomie, Politik und Kultur einsteht (vgl. Jameson 1991). Die Kulturökonomie von Arjun Appadurais (1990) entwickelt für diesen Forschungsbereich einen perspektivreichen Ansatz. Er konzipiert eine kulturalistische Theorie des Finanzmarktes, die auf der Grundannahme von globalen kulturellen Strömen aufbaut, die er als Überlagerungen von Ethnoscapes, Mediascapes, Technoscapes, Finanscapes und Ideoscapes begreift. Diese aufeinander aufbauenden soziokulturellen Ströme versteht er als jeweils nichtterritoriale Netzwerke, die Akteure und Institutionen in imaginären Räumen – sowohl hierarchisch als auch räumlich verteilt (Zentrum/Rand) – miteinander in Beziehung setzen. Die technologische Infrastruktur, die diese Netzwerke maßgeblich konstituiert, definiert den Raum der Informations- und Geldströme. Kommunikationstechnologien, Rechnernetze, Funksysteme, computergestützte Verarbeitung bilden insgesamt die materielle Basis für die strategisch entscheidenden Prozesse der finanziellen Netzwerke. Sie ordnen ein Netzwerk von Interaktionen an und ermöglichen eine räumliche Verbindung zwischen den herrschenden Funktionen. Innerhalb dieser Netze existiert kein Ort aus sich heraus, weil die Positionen und Relationen in ers-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 25 ter Linie durch die Austauschprozesse der Ströme im Netzwerk definiert sind. Eine theoretische Schwäche des Ansatzes von Appadurais liegt möglicherweise darin, dass er den kulturökonomischen Raum der Ströme im Modus der Gleichzeitigkeit beschreibt. In seinem Raummodell herrscht also das Prinzip der Echtzeit. Dieses Zeitregime hat schließlich auch massive Auswirkungen auf die sozialen Interaktionen und die betroffenen Akteure selbst. Sicherlich strukturiert das durch die digitalen Kommunikationsmedien angeheizte Echtzeitregime die Entscheidungsmöglichkeiten des börslichen Handelns: es eröff net einen »flexiblen Zeithorizont, in dem jeder Teilnehmer beinahe jederzeit Transaktionen vollziehen kann« (Grzbeta 2007: 134). Medienspezifische Echtzeittechnologien erzeugen neue Konjunkturen der Flussmetapher, indem sie immer auch Visionen einer lückenlosen Verfügbarkeit von Datenstrukturen produzieren: »Als ›Streaming‹ taucht die Metapher des Stroms ein weiteres Mal auf. Man spricht davon, seit es möglich ist, Video- und Tonsignale, die selbst zeitlich definiert sind, so schnell über Datennetze zu senden, dass sie in Echtzeit gehört oder gesehen werden können.« (Heidenreich 2004: 28f) Allerdings ist der Begriff der ›Echtzeit‹ nicht unproblematisch, da er die Zeitvorstellung eines Hier und Jetzt suggeriert und in Aussicht stellt, dass wir alle im gleichen Augenblick am Handel teilnehmen können und damit an einem einzigen unendlichen Bewusstsein im Internet angeschlossen sind. Diese kulturalistische Perspektivierung der Finanzmarktzeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der kapitalistische Produktionsprozess ein operatives Zeitkonzept etabliert hat, das eine Transformation der Zeit in ein »knappes, unter Effizienzgesichtspunkten zu bewirtschaftendes Gut [hervorgebracht hat], welche dafür verantwortlich ist, dass Zeit als eine lineare, qualitätslose und abstrakte Größe erfahren wird« (Rosa 2005: 258). Daher darf das von Appadurais theoretische legitimierte Echtzeitregime nicht fraglos wie eine faktische Gegebenheit behandelt werden, welches das Finanzmarktgeschehen in seiner Gesamtheit determiniert, da es sich zwischen zwei Börsenzeiten, der subjektiv erlebten und der objektiv gemessenen Zeit, aufspannt. Die Zeit der subjektiven Beobachter ist mit dem kollektiven Erwartungshorizont der Börse verkoppelt, während die objektive Temporalisierung der Börse auf die Zeit als einer quantitativen Mess- und Steuergröße abhebt: »Die Zeit gibt den Geschäften an der Börse nicht nur ein externes Maß, sondern sie wird durch die Ereignishaftigkeit dieser Geschäfte zuallererst produziert […].« (Baecker 1999: 304) Mit dieser Aufspaltung der zwei Zeitachsen kann das objektivistische Echtzeitregime in seiner scheinbaren Machtfülle in Frage gestellt werden. Eine in sich geschlossene Zeit des Finanzmarktes kann es in dieser Hinsicht nicht mehr geben. Die Markt-Zeit ist immer auch mit einer narrativen und interpretativen Zeit verknüpft und verweist daher immer auch auf eine Praxis der Messung und auf eine normative Politik der Setzung. Die Zeitlichkeit der Finanzwirtschaft hat einen irreduziblen Bezug zu kulturellen Konventionen und medialen Rahmenbedingungen und »beinhaltet immer schon selbst die Setzung
26 | Das Wissen der Börse eines Maßes, welches sich selbst nicht aus einer inhärenten Logik einer monetären Ökonomie ergibt und die keinen Grund in einer Rationalität, Natur oder Notwendigkeit besitzt« (Tellmann 2007: 258). Diese unterschiedlichen Zeitebenen des Finanzmarktes bilden keine gemeinsame Einheit; und auch keine sukzessive Folge. Die interpretative Zeit entwickelt sich nicht kontinuierlich, sondern zeigt sich als wiederkehrender Einbruch in die Geschichte der Finanzmarkttransaktionen. Der flow steht nicht für einen kontinuierlichen Strom, sondern für wiederkehrende und singuläre Einbrüche, die den Ereignischarakter des Finanzmarktes betonen. Im Globalisierungsdiskurs der Finanzmärkte wird immer wieder darauf verwiesen, dass es für das reibungslose Funktionieren der Geld- und Kreditmärkte quasi-natürlich ›notwendig‹ sei, dass sich die ›Finanzströme‹ gleichsam ›zeitlos‹ (d.h. idealiter ›ungehindert‹ in ›Echtzeit‹) über den Globus bewegen. Der Triumph des deterritorialisierten Geldes räumt den sogenannten ›Modernisierungsverlierern‹ negativ konnotierte Diskurspositionen ein und deklassiert sie als reterritorialisierende Kräfte eines Beschleunigungsregimes, in dem alles und jeder im Fluss sein soll: »We are witnessing the revenge of nomadism over the principle of territoriality and settlement. In the fluid stage of modernity, the settled majority is ruled by the nomadic and exterritorial elite.« (Bauman 2000: 13) Gegenüber einem institutionalisierten Beschleunigungsimperativ sollen die zeitlich und räumlich Fixierten ins Hintertreffen geraten. Währenddessen auch heute noch flexibilisierte Trader zur globalen Elite zählen, gelten orts- und zeitgebundene Praktiken als hemmende Flussbedingungen. Die Vorstellung von frei zirkulierenden Finanzströmen ist also unter allen Umständen nicht frei von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, sondern entspringt vielmehr einer neuen Form von Macht, die eine verflüssigte und entpersonalisierte Form angenommen hat. In Anlehnung an Foucaults Konzept der »Gouvernementalität« (2000: 41-67) nennen Hardt und Negri (2000) den verflüssigten Machttypus auch »governance without government« und machen damit auf den strategischen Zusammenhang von Beschleunigungsbefähigung, Flexibilisierung und Selbsttechnologien aufmerksam. Diese Idee eines sich permanent in Bewegung befindlichen flows charakterisiert Zygmunt Bauman treffend als Diskursfigur der vorherrschenden »liquid modernity« und beschreibt dieses veränderte Raum-Zeit-Regime als neuen sozialen Aggregatzustand: »Fluids, so to speak, neither fi x space nor bind time. While solids have clear spatial dimensions but neutralize the impact, and thus downgrade the signifiance of time (effictively resist its flow or render it irrelevant), fluids do not keep to any shape for long and are constantly ready (and prone) to change it; and so for them it is the flow of time that counts, more than the space they happen to occupy: that space, after all, they fill but ›for a moment‹. In a sense, solids cancel time; for liquids, on the contrary, it is mostly time that matters. […] These are reasons to consider ›fluidity‹ or ›liquidity‹ as fitting metaphors when we wish to grasp the nature of the present, in many ways novel, phase in the history of modernity.« (Bauman 2000: 2)
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 27 Die Vorstellung, dass sich Transaktionen von orts- und zeitgebundenen Märkten gelöst haben und sich gleichsam ohne Zeitverluste in alle möglichen Richtungen ausweiten, dominiert nicht nur die Diskurse der Trader, sondern ist mittlerweile dabei, kulturelle Hegemonie zu erlangen. Kapitalinvestitionen und Informationstransfers sind beide gleichermaßen von der Logik der technischen Beschleunigung affi ziert. Mit der Globalisierung hat sich die Temporalisierung (Erhöhung der globalen Transaktionsgeschwindigkeit), die Extensität (weltweite Ausdehnung) und der Wirkungsgrad (Steigerung der Transaktionszahlen pro Zeiteinheit) der Finanzmarkttransaktionen maßgeblich und nachhaltig verändert. Diese Reduktion von Transaktionskosten und infrastrukturellen Widerständen hat auch weitreichende soziale und kulturelle Folgen, die durchaus eine sich wandelnde Selbstbeziehung der Subjekte zu eröff nen vermag. Diese Vorstellung einer ununterbrochenen Akzelerationsdynamik behauptet auch Manuel Castells in seiner Netzwerkanalyse, wenn er davon ausgeht, das die elektronischen Netzwerke der Börsen einen »space of flows« (»Raum der Ströme«, Castells 2004: 83) erzeugen, der diversifizierte Lokalitäten in einem interaktiven Netzwerk von Aktivitäten und Akteuren miteinander verbindet. Er sieht den »Raum der Ströme« durch ein hierarchisch nicht stabilisiertes Netzwerk gekennzeichnet, dass sich mittels temporärer Verdichtungen und dezentraler Verzweigungen organisiere: »Our societies are constructed around flows: flows of capital, flows of information, flows of technology, flows of organizational interactions, flows of images, sounds and symbols. Flows are not just one element of social organization: they are the expression of the processes dominating our economic, political, and symbolic life.« (Castells 1996: 412) Castells unterteilt den space of flows in eine materielle Ebene der technischen Infrastruktur für globale Kommunikation in annähernder Echtzeit, in eine hierarchische Ebene von Knoten, die nach ihrem Gewicht im Netzwerk organisiert sind und schließlich in eine machttechnologische Ebene der räumlichen Organisation, in der bestimmte Eliten den Raum der Ströme steuern. Die Konzeption des Finanzmarktes als space of flow setzt einen netzwerkförmigen, durch ununterbrochene Bewegung konstituierten Raum der Informations-, Kommunikations-, Geld- und Warenströme voraus. Die Finanzmärkte sind also um Ströme herum konstruiert. In topologischer Hinsicht gelten globale Netzwerke (Informations- und Kommunikationsnetzwerke) als Repräsentanten des Raums der Ströme, der den Raum von Orten (Präsenzbörsen) ersetzt. Auch die Positionen innerhalb der Netzwerke werden durch Ströme definiert. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass der Raum der Ströme gänzlich ortlos organisiert ist. Denn die Börsen als materielle Orte der Finanztransaktionen verschwinden nicht, sondern werden als Bestandteile des Netzwerks absorbiert. Diese Örtlichkeit der Börsen verwandelt sich unter den Bedingungen von Netzwerk und Strömen in Schaltstellen, Verbindungslinien und Knotenpunkte. Die Finanzströme im Netz schaffen also neue Formen von Raum, die neue Ordnungen sozialer Organisation hervorbringen.
28 | Das Wissen der Börse Fasst man den Markt – nicht nur den Finanzmarkt – als eine Sphäre auf, die selbst historischen, kulturellen und sozialen Veränderungen unterworfen ist und Wissens-, Macht- und Medienpraktiken miteinbezieht, dann erscheinen Marktdynamiken und Markthandeln auch als bedingt durch epistemologische, mediengeschichtliche und kulturtechnische Dimensionen. Eine solche Herangehensweise an die Frage des Marktes bedeutet folglich, die Analyse an jene Schauplätze zu verlagern, in denen die Ambiguität seiner Sinnstruktur sichtbar werden kann. Ein solcher medial vermittelter Schauplatz, der gleichzeitig Raum für Allmachtsfantasien und Untergangsszenarien gibt, ist die Börse.
I.2 M ETEOROLOGIE
DER
B ÖR SE
»The stock market is the barometer of the country’s, and even of the world’s business, and the theory shows how to read it.« William P. Hamilton, The Stock Market Barometer, 1922
Als junger Mann kam Charles H. Dow im Jahr 1879 nach New York und arbeitete als Reporter bei der Kiernan News Agency. Diese Agentur für Finanznachrichten hatte sich seit geraumer Zeit auf die Zusammenstellung von Börsennachrichten für Banken und Maklerbüros spezialisiert. Nur fünf Jahre später machte sich Dow selbständig und gründete gemeinsam mit Edward D. Jones und Charles M. Bergstresser eine eigene Nachrichtenagentur mit dem Namen Dow Jones & Company. Das Unternehmen handelte mit Finanznachrichten – handgeschriebenen Nachrichten für die Broker, die von Eilboten im Wall-Street-Bezirk verteilt wurden. (Abb. 1) Diese News wurden »Flimsies« genannt; dünne, mit Kohlepapier vervielfältigte Zettelchen aus besonders leichtem Papier. Aus diesem Nachrichtenmedium entstand am 8. Juli 1889 das »The Wall Street Journal«, dessen erster Herausgeber er wurde.
Abbildung 1: Wall Street, 1867, National Archives Am 26. Mai 1896 erinnerte sich Dow an ein Rechenverfahren zur Vorhersage von Aktienkursen, das er bereits im Juli 1884 ausprobierte. Für die Nach-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 29 mittagsausgabe seines Börsenblattes »The Wall Street Journal« addierte er die Kurse von zwölf bedeutenden Unternehmen und berechnete daraus einen Durchschnittswert, der an diesem Tag bei 40,94 Punkten lag. Am 26. Mai 1896 wurde erstmals der Dow Jones Industrial Average veröffentlicht. Er umfasste 12 Industrie-Aktien und sollte die veränderten Wirtschaftsstrukturen auf übersichtlichere Weise abbilden. Die 12 Gesellschaften des Industrial Average wurden 1928 auf 30 erweitert und diese Anzahl hat bis heute Bestand (vgl. Bishop 1960: 34, weiterführende Literatur: Rosenberg 1982; Stillman 1986). Überzeugt davon, dass der Markt wie eine Art kollektives Gedächtnis fungieren müsse, von dem man nicht nur vergangene, sondern auch zukünftige Kursentwicklungen ablesen könne, entwickelte er seinen Index, der den Markt in seiner Gesamtheit abbilden sollte. Auf einen einzigen Blick sollte er alle relevanten Börsentransaktionen der Vergangenheit im Überblick zu erkennen geben. Diese Annahme Dow’s entspricht der grundlegenden Prämisse der Technischen Analyse1 , wonach der Markt jeden bekannten Faktor im Kurs reflektiert. Die technische Analyse, das ist die Beurteilung und Prognose von Börsenkursen und verschiedenen Kennzahlen, geht auf Charles Dow und Edward Jones zurück, nach denen auch der Dow-Jones-Index benannt ist. Bis heute gelten die Dow-Jones-Indikatorzahlen als einer der wichtigsten Referenzwerte für generelle Markttrends der Weltwirtschaft. Dow’s Index trat mit dem Anspruch an, weit mehr als eine gewöhnliche Börsennachricht zu sein. Mit der Analyse ökonomischer Prozesse konstituierte er ein neues Kalkül des Finanzmarktwissens, ein Referenz- und Basiswissen, das als Argument und Grenze gegen das periodisch auftretende speculation craze aufgestellt wurde.2 Die als Dow-Theorie bekannte Analyse von Aktienkursbewegungen wurde in Form einer 255 Artikel umfassenden Kolumne im Wall Street Journal der Jahre 1900 bis 1902 abgedruckt und von seinem Nachfolger William Peter Hamilton in dem 1922 erschienenen Buch »The Stock Market Barometer: A Study of Its Forecast Value Based on Charles H. Dow’s Theory of the Price Movement« in der uns bekannten heutigen Form der Dow-Theorie zusammengefasst.3 Im Mittelpunkt des Buches steht die Ableitung von Vorhersagen über den zukünftigen Kursverlauf von Wertpapier, Börsenindizes oder sonstigen Finanzhandelsobjekten. Zur populären Plausibilisierung künftiger Entwicklungen auf den Finanzmärkten benutzte Hamilton das technische Bild des Barometers. Aufgrund seiner Verwendung zur Vorhersage des Wetters bezeichnet Hamilton auch andere Prognoseinstrumente des Börsengeschehens umgangssprachlich als »Barometer« und umschreibt mit der Metapher vom Börsenbarometer die Vorhersagefähigkeit von Aktienkursen. Im Unterschied zum Thermometer, das bloß gegenwartsbezogene Zustandsgrößen abbilden könne, liefere seiner Ansicht nach das Barometer auf verlässliche Weise prognostische Messwerte: »Das Thermometer misst die aktuelle Temperatur – so wie der
30 | Das Wissen der Börse Ticker die aktuellen Kurse angibt. Die maßgebliche Aufgabe eines Barometers dagegen ist die Prognose. Genau darin liegt sein besonderer Wert und auch der Wert der Dow’schen Theorie. Der Aktienmarkt ist das Barometer der Volks- und sogar der Weltwirtschaft, und die Theorie zeigt auf, wie es abzulesen ist.« (Hamilton 1922/1999: 65) Hamilton zufolge gibt das Barometer die maßgeblichen Markttrends – das sind die primären Auf- oder Abwärtsschwingungen, die sekundären Reaktionen (Rallye) und die täglichen Fluktuationen zu erkennen. Die Beobachtermetapher des Barometers stützt Hamilton auf die Annahme, dass der Preis der Aktien selbst der regulierende Faktor ist, über den sich der Markt und damit das Verhältnis von Angebot und Nachfrage organisiert. Seine Konstruktion unterstellt hiermit, dass jede Preisfeststellung eine Zahlung ist und somit wieder auf Preise und Preisfeststellungen zurückwirkt. Dabei gilt der Preis als diejenige Information, die Rückmeldung über Wirkungsvorgänge im System liefert und diese Wirkungen zugleich bewirkt. Infolgedessen wird der Output des Systems gleichermaßen zum Input desselben Systems, und damit vollzieht sich dessen Stabilisierung durch ein konstitutives Ungleichgewicht, das eine Zukunft kontingenter Ereignisse eindringen lässt. Die Instrumentenmetapher des Barometers impliziert auf den ersten Blick eine klare und eindeutige Lesbarkeit der Kursentwicklungen an der Börse (vgl. ausführlich zur Wissenschaftsgeschichte des Barometers Middleton 2002). Sie signalisiert auch eine Regelung und Kontrolle der Abläufe an der Börse. Der metaphorische Sprachgebrauch vom Börsenbarometer zielt mit dem technischen Bild der Mess- und Kontrollierbarkeit der Finanzmärkte auf die Herstellung sowohl faktischer als auch erklärender Evidenz. Andererseits muss aber auch eingeräumt werden, dass die Barometer-Metapher kein ausgeglichenes oder konstantes Optimum abbilden kann, sondern auf beständige Regressionen und Progressionen verweist und damit auf eine Art schwingender Bewegung als grundlegende Form ökonomischer Regelmäßigkeit. Hamilton war aber keineswegs der erste Ökonom, der das Finanzmarktwissen in Abhängigkeit physikalischer Messinstrumente beschrieb. Seit dem 17. Jahrhundert erschloss man zur Sichtbarmachung unsichtbarer Finanzmarkttransaktionen mit Hilfe von Wissensapparaten und Mediendiskursen einen technologieinduzierten Wahrnehmungsraum. 4 Dabei ging es vor allem darum, ein intuitives Handlungswissen zu etablieren, das in erster Linie einen Orientierungsraum zu eröff nen hatte. In diesem Zusammenhang erfüllte die Beobachtermetapher des Barometers eine wichtige Funktion: sie beschrieb den Finanzmarkt nicht als deterministisches Zwangsverhältnis von Sachverhalt und Entscheidungswissen, sondern etablierte – mit dem Verweis auf eine irreduzible Komplexität empirisch schwer nachvollziehbarer Dynamiken – im Finanzmarktwissen einen deutungsoffenen Horizont. Um die Mitte des 19. Jahrhundert wurden Messgeräte wie das Barometer (stock barometer) und der Kompass (stock compass) in wachsendem Maße zu
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 31 populären Medien der Außendarstellung von Börsen. Warum aber konnten diese beiden Messgeräte so rasch zur Standardbezeichnung des Börsengeschehens aufsteigen? (Abb. 2) Einen ersten Hinweis liefert die Materialkultur der Instrumente. Denn das Barometer und der Kompass waren geläufige Instrumente des Alltagslebens. Sie waren den meisten vertraut und wurden auf den ersten Blick verstanden. Die mit dem Börsenbarometer angekündigte Meteorologisierung der Finanzmärkte verstärkte die Vorstellung, dass seinen Beobachtern oft keine (oder nur wenige) feste und sichtbare Anhaltspunkte zur Verfügung stehen. Messinstrumente wie etwa das Barometer oder der Hygrometer produzierten eine Serie von Daten, mit denen sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die entstehende Meteorologie als statistisches Erhebungsprogramm etablierte: die Luftströmungen konnten zwar mit Hilfe der Messgeräte gemessen und dargestellt, aber nicht ergründet werden. So steht die Luft als die Versinnbildlichung des Nicht-Festen für das Bodenlose und Schwankende der unwägbaren Kursentwicklungen; zugleich plausibilisiert sie die Entwicklung des Neuen und steht für die Vorstellung von endlosen Spielräumen der Börsenspekulation.
Abbildung 2: Börsenkompass für ihren persönlichen Erfolg, Business Week, 2008
Indem die Barometer-Metapher etwa von Hamilton wörtlich genommen wurde, konnte in diesem Zusammenhang die Börse als eine Art zentrale Messstation wirtschaftlicher Aktivitäten geltend gemacht werden. In den breit gestreuten Mediendiskursen zur Meteorologie der Märkte galt für ihn
32 | Das Wissen der Börse die Börse als Barometer für die allgemeine ›Wirtschaftslage‹ mit ihren Auswirkungen auf die politische ›Wetterlage‹. Die Vorstellung, die finanzwirtschaftliche Dynamik als meteorologischen Prozess zu modellieren, bewirkte harmonisierende Effekte, da es bei der Vermessung von Wetterphänomenen ja immer auch darum ging, kontinuierliche Größen aufzuzeichnen. Das Bild der stetigen Bewegung meteorologisch-physikalischer Messapparaturen (Barometer, Kompass) sollte den Eindruck vermitteln, dass sich die Finanzmärkte ohne menschliche Einwirkung gleichsam ›selbsttätig‹, ›linear-gleichmäßig‹ und ›naturgesetzlich‹ organisieren würden. Ein Messinstrument wie das Barometer hatte aber nicht nur eine metaphorische, sondern auch eine explikative Funktion. Mit dem von Charles J. Bullock (1869-1941) und Warren M. Persons (1878-1937) entwickelten DreiKurven-Börsenbarometer wurde 1918 erstmals der Versuch unternommen, die empirischen Untersuchungen zur gesamtwirtschaftlichen Konjunktur in einem Kurvendiagramm abzubilden.5 Die Entwicklung des Börsenbarometers verdankt sich dem gestiegenen Wissensbedarf nach Markt- und Konjunkturtheorie nach dem Ersten Weltkrieg: »In dieser Zeit wurden in vielen Ländern Konjunkturforschungsinstitute gegründet, von denen die meisten heute noch bestehen. […] In den Vereinigten Staaten war schon 1917 von Bullock und Persons das Harvard University Commitee for Economic Research gegründet worden, das das erste wissenschaftlich anerkannte Konjunkturforschungsinstitut der Welt darstellte.« (Schohl 1999: 3) 1919 begannen Bullock und Persons in der Review of Economic Statistics mit der Veröffentlichung des sogenannten Harvard-Barometers, das in regelmäßigen Abständen über die ›Wetterlage‹ an den US-Börsen informieren sollte. Die Grundidee dieses Konjunkturbarometers war, mehrere statistische Reihen von empirischen Daten in einem Diagramm abzubilden, die für den Konjunkturverlauf als besonders aussagekräftig angesehen wurden. Die erhobenen statistischen Reihen wurden in drei Gruppen zusammengefasst und repräsentierten den Effekten-, Waren- und Geldmarkt (drei Teilindexe). Die grafische Repräsentation der Konjunkturdaten überlagerte diese drei Kurven, aus deren Phasendifferenz die Ökonomen eine spezifische Vorhersage ableiteten. Allerdings wurden in die Berechnung des Konjunkturindikators nicht die Entwicklung der Löhne und des Konsums oder Angaben zur Arbeitslosigkeit miteinbezogen. Das gesamte erste Heft der Review of Economic Statistics war dem prognostischen Diskurs umfangreicher Konjunkturanalysen vorbehalten. (Persons 1919: 5-107) Diese meteorologische Konzeption ökonomischer Prozesse hat bis heute Gültigkeit und prägt den metaphernreichen Prognosediskurs im Finanzmarktjournalismus (vgl. zur kulturellen Semantik der technischen Analyse von Aktienindizes Tanner 2002: 129-180). Seither werden immer wieder Großwetterlagen zur Beschreibung von Finanzmarktaktivitäten geltend gemacht. So herrscht in fi nanzwirtschaftlichen Prosperitätsphasen ein »Hochdruck«, der sich in einem komplexitätsreduzierenden »Hoch« der Kurse niederschlägt, währenddessen wirtschaftliche Krisenzeiten als »Tief-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 33 druckzone« ausgewiesen werden. Mit der neoliberalen Umgestaltung der Finanzmärkte und der Börsenderegulierung in den 1980er Jahren haben Naturmetaphern erneut Konjunktur. Sie sollen die politische Dimension der Märkte verschleiern und einen verhaltensmoderierenden Wahrnehmungsraum des Ökonomischen herstellen: »So bietet zum Beispiel eine amerikanische Firma seit einigen Jahren heat maps an, die Börsennotierungen rund um die Welt auf eine Art ›Wetterkarte‹ übertragen und mit denen es möglich ist, die Großwetterlage auf den erdumspannenden Devisen- und Kapitalmärkten zu visualisieren. Kurs- und Volumenbewegungen, Markt- und Kreditrisiken, Kursstürze und Arbitragemöglichkeiten werden in verschiedenen Farbtönen dargestellt; Topmanager sollen jederzeit wissen, wie es mit dem Barometer steht – und so ein Bericht über dieses Informationsinstrument – ›am Morgen auf einen Blick erkennen können, ob sich über Nacht ein Tiefdruckgebiet aufgebaut hat oder gar ein Sturm aufzieht.‹« (Tanner 2002: 145) Die Meteorologisierung der Märkte ist Teil einer historisch veränderlichen Rechtfertigungsstrategie, die zur diskursiven Herstellung von Evidenz und Selbstverständlichkeit abgerufen wird. Sie dient zur Naturalisierung des Ökonomischen und koppelt fi nanzwirtschaftliche Motive an soziale Normalisierungsprozesse wie sie etwa Jürgen Link in seinem »Versuch über den Normalismus« (1996) beschrieben hat. Meteorologische Figuren haben in der medialen Beobachtung von Finanzmärkten also eine spezifi sche Funktion. Sie stellen öffentlichen Konsens her und sorgen für die Aufrechterhaltung der kulturellen Hegemonie. Die einfache Übertragbarkeit des meteorologischen Wissens auf Prozesse der Finanzmarktspekulation verweist auf die Vorherrschaft der physikalischen Metaphern innerhalb der Ökonomie, die Apparate und Technologien genauso einschließt wie Institutionen, symbolische Formen oder konkrete Darstellungsformen. Jeweils unterschiedliche Medienkonzepte spielen eine geschichtsmächtige Rolle bei der Entstehung der modernen Finanzmärkte. Sie schaffen die medialen Infrastrukturen, die Nachrichten- und Informationssysteme der Finanzmarkttransaktionen und ermöglichen darüber hinaus die Kodierung historischer Prozess- und Ereignishaftigkeit selbst. Technische Bilder wie etwa das Börsenbarometer und alltägliche Visualisierungstechniken wie die Infografiken sind maßgeblich an der Formierung, Strukturierung und Produktion von Finanzmarktwissen beteiligt und können als Armaturen individueller und kollektiver Deutungen sowie als Dispositive des Wissens in ihrer historischen Genese untersucht werden. Diese visuelle Kultur der Börse dauert bis heute an: die Wissensmedien »Kurven« und »Charts« gelten bis heute als sensible »Barometer« der Wirtschaftslage (vgl. Bartz 2007: 269-282). In ihrer Eigenschaft als Beobachtungs- und Steuerungsinstrumente produzieren sie neue Sichtbarkeitsordnungen und sensorielles Wissen zur Entscheidungsgrundlage für die Spekulation. In seiner Studie zur »Sprache des Aktienhandels« beschreibt
34 | Das Wissen der Börse Thomas Schwarz die meteorologische Semantik der Börsenberichterstattung der »Frankfurter Allgemeine Zeitung«: »Die regelmäßig wiederkehrende Metaphorisierung des Dax als ›Börsenbarometer‹ (30.10.1993) weist ihn wie sein Pendant aus der Meteorologie als Instrument zum Fällen von Tendenzaussagen aus. Als sich der Dax Mitte Januar 1997 hart der Grenze von 3.000 Punkten nähert, wird dieser Prozess als ein etwas verfrühter ›Börsenfrühling‹ naturalisiert (17.1.1997). […] Anfang Februar heißt es, die Frankfurter Aktienbörse habe nach ›stürmischem Beginn‹ deutlich ›unter dem Tageshoch‹, aber dennoch ›freundlich geschlossen‹. […] Diese Form der meteorologischen Allusionen lassen den Handel als ›jahreszeitlich‹ bedingt ›natürlich‹ und insofern als relativ normal erscheinen.« (Schwarz 1998: 52) In der Medienberichterstattung über die Börse fi nden sich zahlreiche Beispiele für Naturalisierungen, da der Aktienhandel Gegenstand prognostischer Diskurse ist und daher ein Vergleich mit der Wettervorhersage ausreichend motiviert zu sein scheint. Eine auf meteorologischen Protokollsätzen auf bauende Börsensemantik erklärt den Finanzmarkt aus der Natur der Dinge heraus und bestimmt damit die mit ihm verwobenen sozialen, geschichtlichen und technologischen Prozesse als eine Form der Natur. Die gleichermaßen popularisierende und populäre Meteorologie der Börse, die häufig im Finanzmarktjournalismus anzutreffen ist, rückt damit die Diskurse der Geschichte, der Soziologie, der Technologie und nicht zuletzt der Medien in den Hintergrund. Nach Roland Barthes besteht eine maßgebliche Funktion des Mythos darin, an die Stelle der Geschichte der Dinge, eine sich vorgestellte ›Natur‹ zu rücken (Barthes 1964: 19). So werden etwa zyklische Abweichungen »in der Börsenberichterstattung durch einen Rückgriff auf den meteorologischen Diskurs naturalisiert« (Schwarz 1998: 54). In diesem Sinne basiert auch das Konzept der meteorologischen Börse auf einem ontologisch verstandenen Naturbegriff, der die historische, soziale, technische und mediale Organisation des Finanzmarktes zurückweist. Eine derart naturalisierter Finanzmarkt soll alle Probleme, die im Kontext der Spekulation entstehen können (z.B. soziale Ungleichheit), der Kritik entziehen und die Krisen der Geld- und Kreditmärkte als ›unverrückbare‹ Naturtatsachen festschreiben. Die Naturalisierung des Aktienhandels muss aber weniger unter dem Aspekt der Popularisierung, sondern vielmehr als ein Effekt von Normalisierungspraktiken gesehen werden. Denn die Denkfigur der Naturalisierung zielt auf die Herstellung gesetzesähnlicher Aussagen, die fraglos gelten sollen und zielt damit in erster Linie auf eine wirkmächtige Evidenz, um kritische Fragen zur menschlichen Einflussnahme zurück zu drängen. Andererseits darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die meteorologische Normalisierung des Aktienhandels keineswegs ›naturnotwendig‹ eine Leitdifferenz von Norm und Abweichung konstituiert, sondern als eine umkämpfte diskursive Praxis immer auch Verschiebungen und Veränderungen ausgesetzt ist. So kann auch der meteorologische Börsendiskurs die Normalitätsgrenzen des Marktes nicht
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 35 starr unter das Naturgesetz fi xieren und bleibt selbst von seiner flexiblen Umdeutung betroffen. Obwohl sich Finanzmärkte als äußerst irreguläre Phänomene präsentieren, die durch Zufallsbildung entstehen und im Grunde nicht als Objekt existieren, gesteht man ihnen einen umfassenden Einfluss auf die soziale, politische und ökonomische Ordnung zu: »Finanzmärkte sind die Maschinen, in denen sich ein Großteil menschlicher Wohlfahrt entscheidet.« (Mandelbrot/Hudson 2007: 347) Mit der Transformation der Finanzmärkte zu rechnergestützten Systemen prägt heute der algorithmische Computerhandel die Dynamik von Aktienmarkt und Wertpapierhandel und hat dazu geführt, dass die gigantischen Datenmengen der Finanzprodukte, Derivate und Transaktionen von ihrer manuellen Lesbarkeit bedroht sind. Auch wenn heute der automatisierte Börsenhandel mehr als die Hälfte der Transaktionen abwickelt: die Finanzmärkte bleiben schwierige Objekte (vgl. Arnoldi 2006: 381-399). Sie präsentieren sich den Marktbeobachtern als instabile zeitliche Objekte, die in ihrer irreversiblen Veränderlichkeit und Singularität nur in der Zeitdauer existieren. Folglich können sie gar keinen Gegenstand repräsentieren, sondern verweisen vielmehr auf ein Werden, das sie zu einem Ereignis an der Schwelle der Wahrnehmbarkeit werden lässt. Sie schaffen permanent Abweichungen und ändern im Übergang auch ihre Messbarkeiten. Damit unterscheiden sie sich von geradlinigen Bewegungen, wie sie den Bewegungen im metrischen Raum zu Grunde liegen. Die Temporalisierungen der Finanzmärkte verweisen vielmehr auf das Ungleiche und Inkommensurable von Handlungszusammenhängen, welche die Kategorien der chronologischen Zeit und des vermessenen Raumes sprengen (vgl. zur Theorie des Unmessbaren Rancière 2002: 39). In der deutschen Übersetzung trägt William Hamiltons Buch über die Grundsätze der Dow Theory – bis heute – den Titel »Der ultimative Börsenkompass« und signalisiert damit, dass es den Leser durch die Unwägbarkeiten der Finanzmarktspekulation manövrieren könne. Andererseits basiert sein Wissen der Finanzmärkte auf prognostischen Erwartungen und muss daher einräumen, dass den Marktbeobachtern oft keine (oder nur wenige) feste und sichtbare Anhaltspunkte zur Verfügung stehen. Der häufige Gebrauch von Navigationsmedien und -metaphern verstärkt diese Sichtweise. Die Charakterisierung der Börse mit Metaphern wie Barometer, Kompass, Seismograph, Thermometer und Indikator verweist auf den Umstand, dass Börsen eine öffentliche Plattform für Parallelentwicklungen in anderen gesellschaftlichen Ordnungen darstellen und damit einflussreiche gesellschaftliche Effekte hervorbringen: »Geht es um Bewegungen in außerordentlichen Höhen, dann kommt das high-tech Vehikel des Flugzeugs ins Spiel. Sowohl 1993 in der 2000erals auch 1997 in der 3000er-Hausse ist wiederholt von einem ›Höhenflug‹ der Kurse die Rede, wobei letztere maßgeblich von einem ›Absturz der Mark‹ provoziert worden ist. ›Turbulenzen an den Märkten‹ (F.A.Z., 1.3.1997) verursachen bei den Passagieren Panikschübe und bei den handlungsunfähi-
36 | Das Wissen der Börse gen Flugzeugkapitänen Denormalisierungsalarm. 1997, als der Höhenmesser 3000 Punkte anzeigt, werden die ›Aktienkurse‹ durch den festen Dollar ›beflügelt‹ (F.A.Z., 18.1.1997).« (Schwarz 1998: 51) Die Vorstellung einer Kursveränderung in der Zeit veranschaulichen räumliche Bewegungs- oder Navigationsmetaphern, die hauptsächlich mit dem Bild des Kompasses abgerufen werden. In seiner metaphorischen Verwendung suggeriert der Börsenkompass eine zielgerichtete Standort- und Routenbestimmung der Kursentwicklungen auf den Finanzmärkten. Die im Buch häufig aufgerufene Kompass-Metapher adressiert folglich einen Spekulanten, der, ausgerüstet mit den technischen Medien der Moderne, versucht, die unberechenbaren Unsicherheiten des Marktes in den modernen Traum von der Berechen- und Beherrschbarkeit der Welt zu transformieren. In diesem Zusammenhang fungieren Metaphern als ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Sprechens über Finanzmärkte und liefern Hinweise auf ihren konzeptionellen Auf bau. Daraus kann die These abgeleitet werden, dass der metaphorische Sprachgebrauch der Börse auch einen bestimmten Einfluss auf das fi nanzmarktliche Handeln selbst besitzt. Barometer und Kompass können in dieser Hinsicht als instrumentelle Metaphern und handlungsleitende Bilder angesehen werden, die zumindest einen Aussagewert über das Selbstverständnis der Spekulanten darstellen. Im folgenden Abschnitt soll nun aufgezeigt werden, dass die anhaltende Konjunktur atmosphärischer Diskurse im Finanzmarktwissen auf eine vielschichtige epistemische Verflechtung zwischen Ökonomie und Meteorologie verweist.
I.3 TURBULENZEN
UND
B L A SEN
»Die neuesten Entwicklungen in der Finanzmarktkrise haben an der Wall Street heftige Turbulenzen ausgelöst.« Der Spiegel, 17. September 2008 »The post 9/11 global economy is a new and turbulent system; vastly more flexible, resilient, open, self-directing, and fast-changing than it was even twenty years ago.« Alan Greenspan, The Age of Turbulence, 2008
Die geläufige Redefigur von den ›Turbulenzen an der Börse‹ verweist auf eine ungeahnte Mehrdeutigkeit. Bekanntlich zählen meteorologische Metaphern nicht nur bis heute zum standardisierten Repertoire der Ökonomie und des ökonomischen Journalismus (Klamer/Leonard 2000: 20-51; McClosky 1994: 215-237); die Börsenturbulenz wurde vielmehr zu einer Art »master metaphor« (Henderson 1982: 148), die gemeinsam mit weiteren meteorologischen Metaphern einen Assoziationsraum eröff net, in dessen Zentrum Bilder unkontrollierbarer Finanzmärkte stehen.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 37 Thomas Schwarz untersucht die Kollektivsymbolik in der Semantik des Aktienhandels und hat vier Themenfelder herausgearbeitet, aus denen der Börsendiskurs seine kollektiven Metaphern und Bilder bezieht. Diese vier Bereiche der Kollektivsymbolik sind der Sport, die Fortbewegung mit Vehikeln, die Meteorologie und der Krieg. In seiner Arbeit versucht Schwarz, den Börsendiskurs in den Kategorien des flexiblen Normalismus zu denken und möchte zeigen, »in welchem Ausmaß an der Börse in den Kategorien des flexiblen Normalismus gedacht wird« (Schwarz 1998: 50). Hierzu ein Beispiel: »Der normalistische Diskurs hält für die Ausdehnung des Spekulationsrisikos nach unten ein Arsenal kollektiver Bilder und magischer Zahlen bereit, die suggerieren, dass im Durchschnitt nichts anderes als eine Aufwärtsentwicklung zu erwarten sei.« (Schwarz 1998: 54) Schwarz sieht zwischen der quantitativ wie auch qualitativ anwachsenden Partizipation am Aktienhandel und einer sich transformierenden Börsensemantik einen geschichtlich relevanten Zusammenhang: »Angesichts einer zunehmend breiteren Partizipation am Aktienhandel könnte die Entwicklung der shareholder-valueKultur und ihrer kollektiven Bilder in Zukunft zu einem gewichtigen Faktor bei der sozialen Integration der Gesellschaft werden.« (Schwarz 1998: 54) Die ›Turbulenz‹ ist zur populären Beobachtermetapher aufgestiegen und benennt eine auff ällige Unordnung von Aktienkursen: »Turbulenzen an den Märkten‹ (F.A.Z., 1.3.1997)« verursachen nach Schwarz (Schwarz 1998: 51) bei »Passagieren Panikschübe« und bei »Flugzeugkapitänen Denormalisierungsalarm«. Die Turbulenz-Metapher und die mit ihr zusammenhängenden rhetorischen Figuren bleiben jedoch vage, indem sie der Preis- und Kursbildung an den Börsen jegliche Intentionalität und Finalität absprechen und dadurch Ereignisse konstruieren, die unabhängig von menschlichem Handeln auf Finanzmärkte einwirken (White 2004: 71-88). Dass bestimmte Dynamiken an den Finanzmärkten mit der Metaphorik der Meteorologie beschrieben werden, ist seit langem bekannt und Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.6 Sie zeigen, dass die ökonomische Theorie, der Finanzjournalismus und die Populärkultur von Themen, Konzepten und Metaphern aus wissenschaftlichen Diskursen und Repräsentationen geprägt sind. Weniger bekannt ist hingegen die Tatsache, dass sich in der jüngeren Gegenwart eine Turbulenztheorie der Finanzmärkte etablieren konnte, die eine Ähnlichkeit zwischen turbulenten Strömungen und dem Finanzmarktgeschehen postuliert. Turbulenzdiskurse der Börse gehen dabei von der Annahme aus, dass die Dynamiken der Kurzzeitschwankungen mit alltäglichen Phänomenen der Turbulenz, die etwa beim Kochen von Wasser oder beim Entstehen von Windböen auftreten, verglichen werden können. In anderen Risikomodellierungen interpretiert die statistische Finanzdatenforschung die Krisensituationen der Börse als ›Extremereignis‹ und entdeckt dabei mathematische Gemeinsamkeiten zwischen Monsterwellen, Wirbelstürmen, Erdbeben, Kriegen und Börsenkrisen. Sie werden alle von der statistischen Physik unter dem Titel ›Extremereignis‹ beschrieben.
38 | Das Wissen der Börse In der physikalischen Strömungslehre bezeichnet der Begriff ›Turbulenz‹ einen Zustand von Flüssigkeiten und Gasen mit statistisch ungeordnetem Charakter der Bahnen ihrer Teilchen. (Abb. 3) Diese Zwischenzustände sind auf alle Deregulierungserfahrungen anwendbar, die symbolisch gefasst werden können – entsprechend der Begriffsgeschichte der Turbulenz, die ihren Ausgangspunkt im 15. Jahrhundert hat und im 18. Jahrhundert mit einem Rekurs auf das lateinische Begriffsfeld turbulentus, turba und turbo fortgeführt wird. Eng verwandt ist die Turbulenz mit dem Trouble und mit dem Trubel (»Verwirrung« oder »Wirbel«), der – ehemals entlehnt aus dem Französischen – bis ins 19. Jahrhundert im Deutschen ebenso trouble hieß.7 Turba benennt den Zustand der Verwirrung und der Konfusion und zum anderen die lärmende Unordnung der Menge selbst. Der Infinitiv turbare bezeichnet den Vorgang der Unruhestiftung, turbo dagegen umschreibt das Phänomen einer wirbelförmig rotierenden Bewegung, also alle Bewegungsphänomene, die sich im Kreise herumdrehen – den Sturm, den Kreisel oder auch den Kreislauf. Turbulente Strömungen bezeichnen also eine Art Übergang von einer geordneten (laminaren) Strömung in eine ungeordnete (turbulente) Strömung. In einer turbulenten Strömung ändern sich Geschwindigkeit und Richtung auf unvorhergesehene Weise. Ilya Prigogine leitet vom Umschwung von der laminaren zur turbulenten Strömung sein Modell für das clinamen ab:
Abbildung 3: Simulation einer Fluiddynamik, Institut für Physik, Universität Oldenburg »Das ›clinamen‹, diese spontane, unvorhersehbare Abweichung, ist vielfach als eine der größten Schwächen der Lukrezschen Physik, als ein ad hoc eingeführter Kunstgriff kritisiert worden. Aber ist diese Erkenntnis nicht im
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 39 Gegenteil ein Ausdruck der Tatsache, dass eine laminare Strömung ihre Stabilität einbüßen und sich spontan in eine turbulente Strömung verwandeln kann? Die Hydrodynamiker testen heute einen Flüssigkeitsstrom, indem sie eine Strömung einführen, in der die Wirkung von molekularer Unordnung auf den normalen Strom zum Ausdruck kommt. Soweit sind wir vom ›clinamen des Lukrez nicht entfernt!« (Prigogine 1998: 150) Für Prigogine firmiert die Turbulenz nicht mehr als eine Zustandsgröße der Unordnung, da er zwischen einer makroskopischen und mikroskopischen Wahrnehmungsebene unterscheidet. Auf der makroskopischen Ebene mag die Turbulenz als ein irreguläres Phänomen erscheinen, die mikroskopische Betrachtung zeigt jedoch, dass die turbulente Bewegung hochgradig organisiert ist und auf ein kohärentes Verhalten einer endlichen Menge von Molekülen hinweist. In diesem Sinne kann die Turbulenz heute als Phänomen von ausgedehnten nichtlinearen Bewegungsvorgängen betrachtet und berechnet werden: Turbulenzen treten erst in Erscheinung, wenn bestimmte Parameter groß genug sind. Diese kritischen Parameterwerte beschreibt die Chaosforschung als Verzweigungspunkte oder Bifurkationen. Die Turbulenzforschung der Finanzmärkte steckt einen engen Rahmen ab: sie widmet ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich dem deterministischen Chaos der Finanzströme, der Turbulenzen und Blasen. Mit der epistemischen Einhegung der Krise als ›Finanzkrise‹ blendet das naturwissenschaftliche Meister-Narrativ aber die sozialen Verwüstungen der Finanzspekulation aus. Die Krise wird auf das wissenschaftliche Problem der Berechnung und Visualisierung reduziert. Mit Hilfe dieser Reduktion inszeniert sich das wissenschaftliche Wissen als unentbehrliches Deutungs- und Regierungswissen. Es formuliert einen Geltungsanspruch für die Erklärung von Krisen auf den Finanzmärkten und beschränkt deren Entstehung und Auswirkungen auf die Sphäre der Börsenspekulation. In ihren vergleichenden Untersuchungen versuchen die Turbulenzforscher – das sind Physiker, Mathematiker und Statistiker – Gemeinsamkeiten zwischen den Kursentwicklungen an Devisenmärkten und den Geschwindigkeitsverteilungen in turbulenten Strömungen herauszufinden. (Abb. 4, 5) Solche Turbulenzen sind nicht nur als chaotisches Phänomen interessant, sondern auch als Metapher für die Beziehung zwischen chaotischen und sich selbst organisierenden Vorgängen, wie sie typisch sind für zahlreiche Phänomene in der Natur. So vergleicht etwa der dänische Geophysiker Per Bak den Kursrutsch an den Börsen mit dem Abgang von Sandlawinen (Bak 1996). Andere Physiker, angeführt von Rosario N. Mantegna von der Università di Palermo und Eugene H. Stanley von der University of Boston, untersuchen Strukturähnlichkeiten zwischen Kursentwicklungen und dem Verhalten von Flugzeugtragflächen innerhalb einer turbulenten Luftströmung (Mantegna/Stanley 1996: 587-588). Die finanziell hochdotierten Forscherteams operieren mit Skalengesetzen und Potenzverteilungen, die der Begründer der Chaostheorie, Benoît Mandelbrot, seinerzeit verwendete, um die Ausdehnung von Küstenlinien, die Oberfläche von Blumenkohl
40 | Das Wissen der Börse oder die Schwankungen der Wechselkurse von Dollar und Euro zu erforschen. Ein zentrales Problem in der statistischen Beschreibung aller untersuchten Systeme ist das Auftreten anomaler Wahrscheinlichkeiten. Um zu verstehen, inwiefern extreme Kursschwankungen und spezifische Naturereignisse ähnliche Charakteristiken aufweisen, muss aus der Sicht der Turbulenztheoretiker herausgefunden werden, was der Grund für das weit verbreitete Auftreten von Potenzverteilungen sei. Die physikalischen Phänomene und die Börsendynamik weisen eine ausschlaggebende Gemeinsamkeit auf: es sind unzählige Elemente in strukturellen Netzen miteinander verknüpft. Diese Phänomene mit multiplen Interaktionen lassen sich nur mit Potenzverteilungen beschreiben. Eine Aussage über die korrekte Verteilung von Kursschwankungen kann also nur dann erklärt werden, wenn auch die vielfachen Interaktionen zwischen den Investoren und den daraus resultierenden Verhaltensweisen berücksichtigt werden. Im Unterschied zur neoklassischen Finanzmarkttheorie, die repräsentative Individuen annimmt, die ihr Vermögen optimieren, modellieren Mantegna und Stanley die Marktteilnehmer als Agenten, die wie die Teilchen eines Gases interagieren und so ein bestimmtes Marktverhalten hervorbringen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Didier Sornette und sein Kollege Wei-Xing Zhou von der University of California in Los Angeles. Sie beobachten die Bewegungen des Börsenbarometers Standard & Poor’s 500 Stock Index und entwickeln daraus ein Modell, das die Aktivitäten von Maklern und Investoren mit Hilfe physikalischer Magnetmodelle visualisiert. Mit Computermodellen versuchen sie herauszufinden, ob sich Nachahmungs- und Herdentrieb, positive Rückkoppelung, Panikreaktionen und spontane Selbstorganisation physikalisch darstellen lassen.
Abbildung 4: Simulation von Windturbulenzen, Center for Computational Sciences and Engineering, Lawrence Berkeley National Laboratory Abbildung 5: Simulation einer Fluiddynamik, Laboratory for Computational Science & Engineering, University of Minnesota
Die Analyse der sogenannten »Ökonophysiker« (Mantegna/Stanley 1999) basiert weitgehend auf den Methoden der statistischen Mechanik, die ur-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 41 sprünglich entwickelt worden war, um makroskopische Eigenschaften von Gasen wie Druck oder Temperatur auf das mikroskopische Verhalten der Atome und Moleküle zurückzuführen. Um das Verhalten von Märkten – genuin ein sozialwissenschaftliches Phänomen – zu studieren, werden Magnetmodelle verwendet. Sie veranschaulichen die wechselseitige Anziehungskraft der Teilchen/Akteure und sollen die Genese kollektiven Verhaltens plausibilisieren (Lux/Marchesi 1999: 498-500). In diesen Versuchsanordnungen stehen die Teilchen für die Händler, die jeweils das machen, was andere Marktteilnehmer auch tun, bis eine neue Information auf den Markt kommt. Aus diesem Material der Versuchsanordnungen errechnet der Computer schließlich statistische Zeitreihen, die sich ähnlich verhalten wie Zeitreihen von Aktienindizes. Innerhalb dieser Zeitreihen interagieren viele Agenten nach möglichst einfachen Regeln. Manchmal treten dann kollektive Phänomene wie Panikreaktionen auf, die es in der ›rationalen‹ Welt der klassischen Finanzmarkttheorie gar nicht geben sollte. So stellte sich bei den Simulationen heraus, dass Anlagestrategien, die gewöhnlich nicht korrelieren, in Krisenzeiten durch das ›irrationale‹ Verhalten der interagierenden Investoren stark zu korrelieren beginnen. Mit zunehmender Volatilität werden Wertpapierbestände, die gut diversifiziert schienen, plötzlich anfällig und als Risikofaktor wahrgenommen. Die Entwicklung leistungsfähiger Computer hat jedoch nicht dazu beigetragen, die Komplexität der Finanzmärkte zu reduzieren (Voit 2000: 15f.). Im Gegenteil. Mit computergestützten Rechenanlagen können irreguläre Ereignisse selbst aus Systemen mit nur wenigen Freiheitsgraden herausgerechnet und auf aussagekräftige Weise visualisiert werden. Somit umschreibt das semantische Feld der Turbulenz auch weiterhin das Unruhige und Mannigfaltige und meint damit auch eine trübe und verworrene Empirie, die sich dem wissenschaftlichen Blick immer wieder aufs Neue entzieht. Auf welche Bilder rekurriert man, um Finanzmarktphänomene in einer diversifizierten Empirie zu veranschaulichen? Das charakteristische Modellbild der Turbulenz ist die Kaskade (Arneodo/Muzy/Sornette 1998: 277-282). Sie visualisiert die modellhaften Bedingungen der Turbulenz: einen äußeren Antrieb auf großen Skalen, die Entstehung großer instabiler Wirbel und die Verzweigungslinien kleinerer Wirbel, die noch kleinere Wirbel erzeugen. Turbulenzen in Flüssigkeiten und Gasen werden bevorzugt im Kaskadenmodell als Beispiele für ausgedehnte nichtlineare Vorgänge behandelt: sie treten erst auf, wenn ein bestimmter Parameter groß genug ist, dies ist die Rolle der Verzweigungspunkte, der Aufzweigungen. Dieses Modell der Aufzweigungen bezieht sich nicht auf den Raum der linearen und festen Dinge, sondern auf einen offenen Raum, in dem sich die Ereignisse und Strömungen verteilen. Das ist der Unterschied zwischen einem geschlossenen (metrischen oder gekerbten) Raum und einen offenen (topologischen oder glatten) Raum der Eventualitäten und Gelegenheiten: im einen Fall zählt man den Raum, um ihn zu besetzen; im anderen durchkreuzt man den Raum, ohne ihn zu zählen – ein turbulenter Raum ohne jede Einkerbung und Raster, der sich als permanentes
42 | Das Wissen der Börse Hinübergleiten von einer Seite zur anderen definiert (vgl. zur Definition des glatten Raums der Strömung Deleuze/Guattari 1997: 658f.) Die Kaskadenprozesse, welche die Energie in der Turbulenz von großen auf kleine Wirbel übertragen, haben nach Ansicht der Turbulenzforschung auch für die typischen Phänomene der Kurzzeitschwankungen am Finanzmarkt eine grundlegende Bedeutung: »Für die Finanzdaten ist folgendes Bild einer Transaktionskaskade nahe liegend: Die treibende Kraft sind große Aufträge wichtiger Kunden. Eine Bank in Deutschland beispielsweise, die eine große Menge (mehrere Hundert Millionen) Dollar gekauft hat, behält dieses Geld in der Regel nicht, sondern versucht aus Gründen der Risikominimierung, ihre Position glattzustellen, d.h. einen großen Teil des Geldes an andere Händler weiterzuverkaufen. Die anderen Händler verhalten sich ebenso. Dieses Verhalten führt unserer Ansicht nach zu einer Kaskade von Transaktionen.« (Breymann et al. 1997: 340) Heuristische Grundlage aller Kaskadenmodellierungen ist eine statistische Datenbank. Ein Computer errechnet die Statistik der Fluktuationen in bestimmten Zeitintervallen und definiert schließlich die Wahrscheinlichkeit für extreme Ereignisse. Für die Ausbildung von extremen Ereignissen (Börsencrash u.a.) macht die Turbulenzforschung die kaskadenartigen Prozesse in komplexen Systemen verantwortlich: »Aus diesem Ansatz heraus könnte man vermuten, dass die zurzeit auf Grund von Globalisierungstendenzen stattfi ndende, politisch immer weniger eingeschränkte weltweite Vernetzung von Märkten einen Einfluss auf die Statistiken unserer Gesellschaft hat.« (Peinke et al. 2004: 18) Die Turbulenzforscher geben sich also nicht damit zufrieden, mit ihren Modellen das statistische Verhalten von Finanzmärkten zu simulieren. Schließlich geht es ihnen darum, einen Beitrag zur verbesserten Risikoabschätzung anomaler Ereignisse zu leisten und Marktmodelle zu konzipieren, die in der Lage sein sollen, zukünftige Börsencrashs rechtzeitig vorherzusagen (vgl. die maßgebliche Monografie von Sornette 2004). Allenfalls bleibt das Modell der Turbulenz problematisch und lässt sich nicht in einem Theorem auflösen. Somit bleibt die Turbulenz eine problematische Grenzfigur des Wissens. Während das Theorem der rationalen Ordnung zugehörig ist, bleibt die Turbulenz ein unauflösbares Problem und ist auf affektive Weise mit den Schöpfungen der Wissenschaft selber verbunden. Als eine Grenzfigur des Wissens zeigt die Turbulenz nicht nur die Veränderungen in den Konfigurationen der Finanzmärkte an, sondern bezieht sich auch immer auf diejenigen, die sich mit ihr befassen. Die Forscher können hier nicht durch Deduktion von einem beständigen Wesen zu Eigenschaften fortschreiten, sondern befinden sich im Raum der Möglichkeiten und Vielheiten, der sie immer wieder an zufällig auftretende Ereignisse verweist, die sich unauf hörlich aufzweigen. Es gibt hier alle möglichen Umwandlungen und Annäherungen an die Grenze; Arbeitsschritte, bei denen jede Figur eher ein Ereignis bezeichnet als ein Wesen. Da sich auch die Beobachter
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 43 selbst an den schwankenden Erscheinungen der Finanzmärkte erproben, werden sie selbst in jene Schwebe versetzt, die ihnen mit den Turbulenzen und Blasen begegnen: »Betrachtet man einen turbulenten Fluss, wie er sich etwa bei einer Strömung aus einer Düse ergibt, so erkennt man leicht die komplexe Unordnung, die hier auftritt. Der Idealfall, dass man die Bewegung jeder Einzelheit in der Strömung wissen und verstehen will, stellt sich nach kurzer Überlegung als illusorisch heraus. Um etwa 1 Meter der Strömung aus Abbildung 1 zu erfassen, müsste man die lokale Geschwindigkeit in alle Drei Raumrichtungen an 1010 Stellen, dies sind 10.000.000.000 oder 10 Milliarden Stellen, erfassen und hätte damit die Strömung nur zu einem einzigen Zeitpunkt erfasst. Auch wenn es mit modernen Computern prinzipiell möglich sein sollte, so viele Daten zu speichern, stellt sich die Frage, was hieraus an Erkenntnis gewonnen werden kann.« (Peinke 2004: 18) Die Finanzmärkte konfrontieren sie mit einem Phänomen, das nicht nur die Annahmen geordneter und kontinuierlichen Entwicklungen unterminiert, sondern sich insgesamt durch ein unklares Verhältnis von Ursache und Wirkung darbietet. Turbulenzen und Blasen sind mit den Standardverfahren der ökonomischen Statistik nicht zu erfassen. Die üblichen Verfahren der statistischen Berechnung von Devisenmärkten gehen davon aus, dass auch die größte Blase lediglich exponentiell wächst wie eine Geldanlage mit festem Zinssatz. In der fi nanzmathematischen Turbulenzforschung hat man hingegen die These aufgestellt, dass Blasen stets überexponentiell wachsen. Ähnlichkeiten zwischen der Unordnung in turbulenten Strömungen und im Finanzmarktgeschehen werden auf der Basis von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen vorgestellt. Eine stochastische Analyse der Märkte privilegiert eine statistische Datensammlung, die weniger die Gründe von Ereignissen, sondern vielmehr Ereignisserien verzeichnet. Die Hypothese unbeständiger Märkte verfügt darum ein Verfahren, das unabänderlichen Erkenntnissen systematisch misstraut. In dieser Hinsicht werden Finanzmärkte zu einem hypothetischen Objekt, das nur noch mögliche Regeln einschließt. Das Diktum von den »Turbulenzen am Finanzmarkt« ist weit mehr als nur eine populäre Metapher. Das Ungeordnete und Improvisierte wiederholt sich in den wissenschaftlichen Diskursen über die Devisenmärkte, die mit ihren hypothetischen Aktivitäten selbst in die Schwebe geraten. Heute wird der Handel mit Futures und Optionen mehrheitlich über elektronisch betriebene Börsen, den Computerbörsen, abgewickelt. Ihr herausragendes Charakteristikum sind hohe Transaktionsgeschwindigkeiten. Nach der Beendigung des Bretton-Woods-Abkommens und der Freigabe der Wechselkurse im Jahre 1973 sind die Devisenmärkte zu einem weltweiten Markt zusammengewachsen, dessen Teilnehmer über ein globales Datennetz miteinander verbunden sind. Neue Kursnotierungen treffen im Sekundenrhythmus ein und stehen nahezu in Echtzeit den Marktteilnehmern zur
44 | Das Wissen der Börse Verfügung. Gehandelt wird per Telefon oder per Computer, und so vergeht oft nur sehr kurze Zeit vom Entschluss eines Händlers bis zur Ausführung einer Transaktion. Im computerisierten Futures-Handel (e-trading) liegen die Latenzzeiten (order latency) derzeitig im unteren Bereich von 5 bis 35 Millisekunden. Datentechnisch sind den einzelnen Computerbörsen weltweit eine Vielzahl von Handelsterminals (user devices) über eigene Benutzerschnittstellen angeschlossen, die allesamt nach einheitlichem technischem Standard arbeiten. In Anbetracht der Forschung und Entwicklung im Bereich der computertechnischen Marktorganisationsformen zeichnet sich bereits heute ab, dass sich die einzelnen Börsenhandelsplätze auflösen und sich ein weltumspannender Terminmarkt herausbilden wird, auf welchem internationale Investoren – ungeachtet unterschiedlicher Zeitzonen – in der Lage sein werden, über dezentrale Terminals (access point) standortunabhängig mit Hilfe eines ausschließlich auf Computerbasis arbeitenden Kommunikationssystems, und einem dadurch ermöglichten Marktzugang, ohne Schließzeiten zu jeder Tages- und Nachtzeit Handel zu treiben. Die Verbreitung virtueller Finanznetzwerke verweist darauf, wie unsicher, notorisch schwankend und unzuverlässig das Terrain der Spekulation geworden ist und dass diese Unschärfe mit der ständigen Bewegung zu tun hat, in welcher die Finanzmärkte die Apparate ihrer Kontrolle zu versetzen imstande sind. Aber kann es grundsätzlich und prinzipiell gelingen, einen analytischen Referenzraum zu konstruieren, in dem die unendlich vielen geringen Verschiedenheiten der Kursbewegungen, die kontinuierlichen Übergänge und die lückenhaften Kausalketten der Finanzströme in einem System stabiler und diskreter Unterscheidungen restlos aufeinander abbildbar sind? Es zeichnet sich hier eine semiotische Problemlage ab, die die Bezeichnungsrelation auf dezidierte Weise gefährdet und für eine unaufhebbare referentielle Verwirrung sorgt, die sowohl in der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung der Finanzstochastik als auch in der populären Metaphorik der Finanzpresse mit dem Begriff der Turbulenz gekennzeichnet wird. Hochgradig volatile Finanzmärkte werden häufi g mit einer Semantik reiner Aktivität beschrieben. Dabei versuchen vitalistische Finanzmarktdiskurse, die unkörperlichen Wirkungen der Transferdynamik zu beschreiben und favorisieren dabei infinitive und partizipiale Verbformen, wenn etwa der Finanzmarkt von einem ›Geldstrom‹ oder einer ›Liquiditätswelle‹ erfasst wird. Als ein Aggregat diskursiver, medialer, visueller und technischer Prozeduren bleibt das Marktgeschehen konstitutiv unterbestimmt und muss in erster Linie als ein Prozess verstanden werden, der keinen Ursprung, kein Objekt und kein Ziel kennt. Dementsprechend erweist sich das Finanzmarktwissen als ein aggregatähnliches Wissen, das kein diskursives Zentrum erzeugt und einem empirischen Umherirren gleicht. Da es den Ereignissen auf den Märkten kein Ziel zuordnen kann, bleibt es der Strategie ohne Finalität verhaftet. Diese Blickweise legt eine stochastische Interpretation der Märkte nahe: Akausalität und Regellosigkeit aller Vorgänge an der
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 45 Börse erscheinen dem meteorologischen Blickregime der Unschärfe als angemessene Beschreibungen des Ganzen. Vitalistische Finanzmarktdiskurse nutzen meteorologische und maritime Metaphern, um das Bild eines in stetigem Wandel befi ndlichen Flusses zu entwerfen (vgl. Henderson 1982: 147-153). In ihrer ökonomisch-organischen Rhetorik knüpfen sie an biologische Erklärungsmodelle an, die in ihrer fraglosen Übernahme mehr Probleme schaffen, als neue Denkformen wissenschaftlicher Praxis zu etablieren. So wird der Finanzmarkt oft auch als eine organische Entität von Zeichen- und Geldströmen aufgefasst (vgl. Gareth 2000: 43). Die Anknüpfung des Praxisbegriffs an die biologischen Leitbilder »Leben«, »Organismus«, »Gefäßsystem«, »Fremdkörper« oder »Blutkreislauf« treibt die Kritik an den statischen Metaphern der Finanzwirtschaft wiederum in eine neue Bio-Ontologie eines globalen Stromes, für dessen optimale »Durchblutung« (»Zirkulation«) permanent gesorgt sein soll. Der Finanzmarktvitalismus ist dichotom organisiert: es ist der Kampf für das Leben und gegen seine Feinde und Krieger, die das organische »Gefäßsystem« der Transaktionen schädigen. In diesem Zusammenhang werden oft medizinale Drohbilder aufgestellt, um die Dichotomie zwischen dem Leben und seinen Negationen in ein Drama des Überlebens zu setzen: »Consider the word ›crisis‹. An illness comes to a crisis, and passes, or else the patient dies. The very word puts a medical spin on the story. The Washington doctors could not agree on a treatment for the crisis and so the American economy was wheeled off to the morgue. […] The words of the budget crisis are not mere rhetoric, because there is nothing mere about wordcraft. The choice of plot, to take a piece of wordcraft, is crucial for how the budget story turned out.« (McCloskey 1994: 50-51) Im Finanzmarktjournalismus wird der Geld- und Kreditmarkt häufig mit Organismusmetaphern umschrieben: »Gegenwärtig befi ndet sich der Finanzmarkt in einer Schwächephase. Die Technologiewerte zeigten sich in einer schwachen Verfassung.« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 2008: 31) Eingebettet in Gesundheit- und Krankheitsbildern kann eine globale Entwicklungsdynamik etabliert werden, die in einem einzigen Innenraum gefasst ist, worin sich sämtliche Handlungen und Ereignisse aufeinander beziehen ließen. In der vitalistischen Konzeption des Finanzmarktes als Gesamtorganismus gilt die unaufhörliche Steigerung seiner Produktionstätigkeit als faktische Gegebenheit. Dies gilt als dogmatischer Lehrsatz, insofern es sich bei der Geldvermehrung um eine Lebenstatsache handeln soll. Die Ausweitung der börslichen Aktivität innerhalb einer grenzenlosen Zirkulationssphäre von Information und Geld gilt hier als das oberste Ziel. Hier erscheint die bloße Vermehrung des Geldes als Selbstzweck. Hierbei wird von der bloßen Tatsache zunehmender Vernetzung bereits auf die Optimierung des Marktes geschlossen, was fragwürdig ist. Mit der Gleichsetzung von Leben und Finanzwirtschaft gibt es in dieser Raummetaphysik kein Außen mehr. Die totale Vernetzung des Finanzmarktwissens bildet idealiter die höchste Form der Wissensproduktion. Die Frage bleibt aller-
46 | Das Wissen der Börse dings offen, warum der vitalistische Finanzmarktdiskurs die Bedingungen der Produktion von Finanzmarktwissen in den Begriffen des Lebens und der Steigerung der Lebendigkeit des Wissens beschreibt. Mit diesen Bildern wird jedoch nichts erklärt; sie verdunkeln vielmehr grundlegende Zusammenhänge und erschweren mögliche Antworten auf die Frage, wie die globalen Finanzmärkte zu regulieren wären. Erst vor diesem Hintergrund kann verständlich werden, warum die Metapher der Ströme das Selbstverständnis des Finanzmarktwissens bislang konkurrenzlos geprägt hat. In diesem Zusammenhang haben zahlreiche Studien bereits auf die Dynamisierung der Beschreibungssprache in der Finanzpresse hingewiesen und die diskursiven Strategien und Effekte der Eingrenzung und Entgrenzung von Krisen untersucht (vgl. die rezente Krisenanalyse des Finanzdiskurses bei Heidenreich/Heidenreich 2008). Dabei geht es den meisten Studien um die Frage, durch welche Argumente, Konzepte und Metaphern die Gefahr einer sich entgrenzenden Kreditkrise im theoretischen framing einer dunklen und verworrenen Empirie der Finanzwelt beschworen und gleichzeitig eingegrenzt wurde und welche Migrationen diese rhetorischen Figuren in der Folgezeit unternahmen, um die unterstellte ›Endlosigkeit‹ der spekulativen Geldvermehrung zu plausibilisieren (Löfgren/ Willim 2005: 19f.).
I.4 Ö KONOMIK
UND
C HREMATISTIK
Geht es nach der ökonomisch-organischen Rhetorik, dann scheinen in der Finanzkrise die sogenannten ›Selbstheilungskräfte‹ des Marktes unaufhörlich zu schwinden. Die Banken betreiben nun Code-Switching und wechseln das semantische Register. Sie rufen nach dem Staat, streifen ihren vitalistischen Jargon ab und defi nieren nun den Mechanismus als geeignetes Mittel zur Eingrenzung von Finanzmarktkrisen. Dieses diskursive Krisenszenario ist keineswegs ein neues Phänomen des globalisierten Finanzmarktes, sondern wird bereits in der aristotelischen Staatstheorie ausführlich beschrieben. In seiner Theorie der griechischen Polis verdeutlicht Aristoteles die Gefahr für das Gemeinwesen, die vom maßlosen Streben nach Erwerb ausgeht. Wenn für die politische Stabilität der Polis eine Bedrohung durch eine Vereinseitigung des individuellen Gewinnstrebens entsteht, dann besteht nach Aristoteles die Aufgabe der Politik wesentlich in deren Begrenzung. Im Krisendiskurs gerät also die Plausibilisierungsrhetorik des freien und unregulierten Marktgeschehens selbst in eine Krise. Finanzkrisen sind daher immer auch diskursive Krisenzeiten, in denen nun eine rhetorische Figur an Gewicht gewinnt: der Ruf nach dem Staat. Angerufen wird der Staat als Subjekt der Geschichte und moralische Instanz: in beiden Fällen firmiert der Staat als eine regulative Kraft des Marktes (Sicherheit, Ordnung etc.). Vom Staat erwartet man sich auch heute noch ökonomische ›Weitsicht‹ zur Bändigung der ›Kurzfristig-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 47 keit‹ des Spekulationsgeschäftes. So gesehen tradieren Krisendiskurse auch heute noch den »pompösen Common Sense« (Schumpeter 1957: 57) der aristotelischen Gegenüberstellung von allgemeiner Haushaltskunst und individueller Kaufmannskunst. Aristoteles unterscheidet zwei Verfahren des wirtschaftlichen Handelns: erstens die Lehre vom planvollen Haushalten, die Ökonomik; zweitens die am Marktgeschehen orientierte Kaufmannskunst, die Chrematistik (Aristoteles 1995: I/8, 1256a, 11). Die Ökonomik ist auf den Haushalt ausgerichtet und zielt auf die Bedarfsdeckung ab, konkret auf die Ordnung, Sicherung und Bewahrung des Besitzes (Tierzucht, Landwirtschaft). Die Chrematistik gliedert sich nach Aristoteles in folgende Bereiche auf: Handelsgeschäfte, Ausleihen von Geld auf Zinsen und Lohnarbeit. Mit der Erfindung des Geldes entwickelte sich nach Aristoteles der Tauschhandel notwendig zum Warenhandel. Im Widerspruch zu seiner ursprünglichen Tendenz bildete sich der Warenhandel letztlich zur Chrematistik aus: zur Kunst, Geld zu machen. Die Unterscheidung von Ökonomik und Chrematistik ist bei Aristoteles wertend und normativ. Während sich die Ökonomik auf das ›gute Leben‹ der ›freien Bürger‹ bezieht, die ihr Haus und ihren Besitz selbständig verwalten, zählt zur Chrematistik das »widernatürliche« Gewerbe des »Wucherers«: »Das Geld ist für den Umlauf aufgekommen, der Zins aber weist ihm die Bestimmung an, sich selbst zu vermehren.« (Aristoteles 1995: I/10, 1258, 4) Aristoteles bezeichnet den Zins selbst als ›widernatürlich‹, da er aus sich selbst erwächst und keine ›innere‹/›natürliche‹ Grenze aufweist. Diese Maßlosigkeit eines aus sich selbst erwachsenen Ertrages stilisiert Aristoteles in der Folge zum Charaktermerkmal des Kaufmanns, dessen Streben nach Gewinn angeblich keine Grenze mehr kennt.8 Mit dieser normativen Unterscheidung zwischen wahrem Reichtum (ho alâthinos ploutos) und Gelderwerb markiert das antike Denken des Aristoteles das bis heute gültige Image des skrupellosen Spekulanten und eigennützigen Bankiers. Diese Personifizierungsstrategie im moralischen Gewand ist zugleich eine Immunisierungsstrategie, weil sie die Spekulation zur Angelegenheit einer charakterlichen Veranlagung, einer sozialen Herkunft oder einer elitären ›Kaste‹ machen kann. Bei der Personifizierungsstrategie bleibt das Wissen eng an die Person gebunden: sie reterritorialisiert das spekulative Wissen und suggeriert eine klare und eindeutige Ordnung zwischen der Welt des ›arbeitsbasierten Gelderwerbs‹ und der Welt des ›leistungslosen Einkommens‹ (Dichotomie: Arbeit/Spiel). In seiner Schrift »Über das Preislose, oder ›The Price is Right‹ in der Transaktion« setzt sich Jaçques Derrida mit der Wirtschaftstheorie der ökonomischen Spekulation auseinander und rekurriert dabei auf die aristotelische Unterscheidung zwischen der Ökonomie und der Chrematistik und versucht in diesem Zusammenhang, diese antike Gegensatzlogik einer dekonstruktivistischen Lektüre zu unterziehen: »Das Geld zieht das Kalkül ins Unendliche oder ins Unkalkulierbare, zum Abgrund einer Spekulation, die nicht mehr strikt börsenhaft oder in
48 | Das Wissen der Börse den Institutionen der ökonomischen Transaktion enthalten ist. Man fi ndet hier eine alte Unterscheidung wieder, die Aristoteles vorgeschlagen hatte. Sie ist interessant, sie gibt immer zu denken […]. Das ist die Unterscheidung zwischen Chrematistik und Ökonomie. Ökonomie, das ist die Kunst, die Güter des Oikos zu verwalten, des Hauses, der Familie, des Foyers, sogar der Stadt (Nation oder Staat), die notwendige Technik, um die Güter im Verhältnis zu den Bedürfnissen zu erlangen oder zu tauschen, die im Prinzip bestimmbar sind und endlich. Die Chrematistik kennt solche Grenzen nicht. Sie ist die Kunst, Güter oder Reichtümer für sich selbst zu erlangen, durch Handel oder Spekulation, gemäß des Marktgesetzes, uneingeschränkt und indem sie etwas vortäuscht (das ist, sagt uns Aristoteles, die künstliche, nicht-natürliche, denaturierte Illusion des chrematistischen Triebs). Die Chrematistik tut so, als ob der wahre Reichtum in der Quantität des Geldes bestünde. Und das ist auch der Beginn dessen, was man seit dem 18.Jahrhundert und in Analogie den Fetischismus des Geldes nennt.« (Derrida 1999: 15) Derrida argumentiert dafür, dass das ›frei‹ bewegliche Geld die Grenze zwischen der allgemeinnützlichen ökonomischen Warenzirkulation (der Ökonomie) und der Kunst der persönlichen Bereicherung (der Chrematistik) aufhebt. Seiner Ansicht nach ist es also das monetäre Zeichen, die Einführung des Geldes als Tauschmittel, das für das Vorhandensein des chrematitischen Begehrens (nach mehr Geld) verantwortlich gemacht werden muss. Diese Intervention von Derrida hat weitreichende Folgen, weil mit seiner Hybridisierung von Ökonomie und Chrematistik die wirtschaftsethische Unterscheidung von natürlicher Erwerbskunst und widernatürlicher Erwerbskunst dekonstruiert werden kann. Diese Unterscheidung von ›natürlicher‹ Erwerbskunst, die auf die ›nützliche‹ und ›notwendige‹ Bedürfnisbefriedigung des Menschen abzielt, und ›widernatürlicher‹ Erwerbskunst, bei der es nur darum geht, Geld zu akkumulieren und Reichtum anzuhäufen, prägt bis heute die Vorstellung vom ›guten‹ und ›schlechten‹ Handel. Im Unterschied zur ›guten‹ Ökonomie des Bedarfsdeckungsprinzips betreibe die Finanz- und Börsenspekulation den Tausch nicht zur Bedarfsdeckung. Diese Art der ›negativen‹ Wirtschaftskunst wirtschaftet nicht für die Autarkie des Hauses und des Staates, sondern zielt auf die ›reine‹ Kapitalakkumulation: Reichtum und individueller Wohlstand firmieren in dieser Logik als individueller Selbstzweck. Dieses normative Werturteil über die Spekulation prägt bis heute das Vorurteil gegenüber dem Spekulanten, dessen Handeln ausschließlich zur persönlichen Bereicherung dient. Für eine umfassende Untersuchung ökonomischen Handelns ist die Chrematistik ungeeignet, weil sie erstens die in der Spekulation angelegte Einbindung der Zeitlichkeit ausschließt9 und zweitens die heutige Anlage- und Unternehmensfinanzierungskultur respektive die signifikant gestiegene Aktionärsquote (Schweden: 38 %; USA: 24 %, UK: 21 %, Quelle: Deutsches Aktieninstitut, www.dai.de) vernachlässigt. In Deutschland werden verstärkt seit den 1980er Jahren Maßnahmen zur Erhöhung der Aktionärsquo-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 49 te bei Nicht-Selbstständigen und niedrigen Einkommensgruppen durchgeführt (Belegschaftsaktien, Volksaktien, Förderung von Aktienfonds). Diese Regierungsmaßnahmen verdeutlichen, dass die Spekulation nicht mehr als Gegensatz zu Haus (Oikos) und Staat aufgefasst werden kann, sondern – im Gegenteil – als gesamtwirtschaftlich relevante Fixgröße angesehen wird. Wirtschaftswissenschaftliche Studien waren immer bemüht, die ökonomische Bewertung der Spekulation zu überdenken und die positiven Effekte der Spekulation für die Gesamtwirtschaft hervorzuheben. Die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive vernachlässigt allerdings weitgehend die Frage nach den Kosten der Spekulationsmärkte, also jene Kosten, die von den Bürgerinnen und Bürgern getragen werden müssen.
I.5 E-E MPIRE »It is the flow of money, moving quickly and silently to those who are sufficiently wise and creative to establish themselves as players in this new arena.« Steffano Korper, Juanita Ellis, The E-Commerce Book: Building the E-Empire, 2000
Das Wissen der Börse prozessiert heute auf der Grundlage digitaler Kommunikationsmedien, die eine konstitutive Rolle in allen Teilaspekten des Börsenhandels und des Finanzmarktwissens spielen. Um zu analysieren, in welcher Weise heute die Herstellung von Subjektivität im Zentrum des Prozesses der kapitalistischen Wertschöpfung steht, muss man bei der informationsökonomischen Analyse des Finanzmarktes ansetzen. Das elektronische Empire ist ein aufstrebendes Narrativ der Informationsgesellschaft und es ist das Netz der Finanzströme (Barnet/Cavanagh 1994). Im E-Empire formieren sich neue Akteure und bislang getrennte Industriesektoren wie die Telekommunikationsindustrie, die Computerindustrie und die Elektroindustrie. Sie überlagern sich seit den späten 80er Jahren mit der Kultur- und Unterhaltungsindustrie zu netzabhängigen Kapitalformationen. Im Unterschied zum alten Empire, das sich nach Ali (2003) organisch entwickelt, ist das E-Empire nicht-organisch, autodidaktisch und performativ strukturiert: »Thus, in contrast to the organic figures and evolutionary paradigms so prevalent in current critical theory of capital, information, and Empire, I would like to suggest that the automatism of the network is instead paradigmatic for our period, the speculative stage of fi nance capital, and thus befits our move into the twenty-first century.« (Raley 2004: 120) Das expansive Machtstreben des Internets spiegelt sich in der eigentümlichen begriffspolitischen Inflationierung des Präfi xes »E« (Abk. für Electronic). »E-« ist zum universalen Signifi kanten der Internetkultur aufgestiegen und soll eine neue Entwicklungsstufe des globalen Kapitalismus markieren (Thussu 1998). Seine Wortschöpfungen scheinen sich unaufhörlich zu
50 | Das Wissen der Börse vervielfältigen: E-Business, E-Commerce, E-Government, E-Health, E-Learning, E-Market und E-Trade bilden ein Geflecht medialer Technologien, Prozeduren der Macht und Praktiken der Wissensherstellung. Im Mai 2008 meldete das US-Wirtschaftsmagazin Forbes, dass der USGroßinvestor Warren Buffet den Microsoft-Gründer Bill Gates als reichsten Mann der Welt abgelöst habe. Der Umstand, dass ein Finanzinvestor der New Economy erstmals an die Spitze der legendären Liste der »World’s Richest People« rücken konnte, verweist auf eine Strukturveränderung der Weltwirtschaft und die Hegemonie der Finanzmärkte. Ein globaler, sekundenschneller und kaum regulierter Aktienmarkt reagiert auf die schwindende Produktivität industrieller Warenmärkte (Arrighi 1994) und ist der dominante Wirtschaftssektor der fortgeschrittenen Gesellschaften. Die digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien und das Internet ermöglichen dem Finanzkapital nicht nur Geldübertragungen, sondern auch fluide, mikrostrukturelle Prozeduren und Praktiken, die vorher unmöglich waren (Knorr-Cetina/Bruegger 2002: 905-950). Im Rahmen dieser informationellen Entwicklungsweise besteht die Quelle der Produktivität in der Technologie der Wissensproduktion, der Informationsverarbeitung und der symbolischen Kommunikation. Der Handel mit gegenwärtigen Erwartungen über zukünftige mögliche Gewinne ist das am schnellsten wachsende und sich verändernde Segment des modernen Finanzmarktes. Es sind nicht mehr die Geldströme, sondern die Erwartungen und Antizipationen möglicher Gewinne und Verluste, die den Profit und Verlust von Finanzinvestitionen bestimmen. Das charakteristische Merkmal der Kreditmärkte ist nicht die bankwirtschaftliche Bestellung der Kapitalnachfrage nach Kredit, sondern der Handel mit gegenwärtigen Aussichten über zukünftige Gewinnmöglichkeiten. In ihrem Business Guide »The E-Commerce-Book: Building the E-Empire« beobachten Steffano Korper und Juanita Ellis eine Konvergenz der digitalen Informationstechnologien und der Kommerzialisierung der Märkte und beschreiben das E-Empire als »the newest pairing of global business and top-notch-technology« (Korper/Ellis 2000: xiii). Ihr Postulat einer schrankenlosen Kommunikation jenseits geographischer Grenzen bleibt allerdings einer postindustriellen, neokolonialen Idee verhaftet, die Oliver Boyd-Barrett in seinem Buch »Communications Media, Globalization, And Empire« als »media imperialism« und »colonization of communications space« kritisiert (Boyd-Barrett 2007: 17). Die Entkoppelung der Realökonomie von der virtuellen Finanzökonomie zeigte sich bereits in der New Economy-Blase der 1990er Jahre. Da die Profite in der Realökonomie stagnierten, strömte das Venture-Kapital (smart money) in den Finanzsektor. Das Finanzkapital erzwang die Abschaff ung von Kapitalkontrollen, mit dem Ergebnis, dass sich das Spekulationskapital rapide globalisierte, um Unterschiede zwischen Zinssätzen und Wechselkursen auf verschiedenen Kapitalmärkten auszunutzen. Diese sprunghaften Bewegungen, das Ergebnis der Befreiung des Kapitals von den Fesseln
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 51 des Finanzsystems der Nachkriegszeit, Bretton-Wood, waren eine Quelle der Instabilität. Eine andere war die Verbreitung neuartiger ausgeklügelter Spekulationsinstrumente wie Derivative, die sich einer Überwachung und Regulierung entzogen. In seiner 1996 veröffentlichten Studie »The Rise of the Network Society« gelangte Manuel Castells zur Einschätzung, dass die Netzwerke der Informations- und Kommunikationstechnologien einen maßgeblichen Anteil an der Neustrukturierung der globalen Finanzmärkte haben: »Von diesen Netzwerken aus wird Kapital global in die unterschiedlichsten Sektoren investiert: Informationsindustrie, Mediengeschäft, fortgeschrittene Dienstleistungen, landwirtschaftliche Produktion, Gesundheit, Bildung, Technologie, alte und neue Industriebranchen, Transport, Handel, Tourismus, Kultur, Umweltmanagement, Immobilien, Kriegsführung und Friedensvermarktung, Religion, Unterhaltung und Sport.« (Castells 2001: 530) Der Umstand, dass das globale Finanzkapital primär in der Sphäre der Zirkulation realisiert, investiert und akkumuliert wird, kommt in den Daten über die täglichen Umsätze auf den Devisenmärkten zum Ausdruck. Diese sind von 600 Milliarden US-Dollar Ende der 1980er Jahre auf gegenwärtig 2,1 Billionen US-Dollar gestiegen. (Weltbank 2007) An jedem Börsentag wird auf den internationalen Finanzmärkten die Summe von über 2 Billionen USDollar umgesetzt. Das Volumen des Welthandels (Handel mit Gütern und Dienstleistungen) belief sich 2007 auf vergleichsweise dürftige 11 Billionen US-Dollar (WTO 2007). Um den weltweiten Handel zu finanzieren, würden die Umsätze von fünf Börsentagen ausreichen. Die dynamische Entwicklung der Finanzmärkte hat also zu der Situation geführt, dass die Gewinnmargen auf dem Aktienmarkt, auf dem Devisenmarkt, bei Optionsscheinen oder Futures heute ein viel größeres Ausmaß haben, als die Geldströme, die auf Direktinvestitionen und die Realwirtschaft zurückzuführen sind. Der vernetzte Computer ist ein Apparat, dessen Einsatz globale Suchabfragen nach günstigen Investitionsmöglichkeiten ermöglicht. Vergleichbar dem Geld als einem ökonomischen Medium ist der Binärcode zur semiotischen Universalmünze geworden, der es ermöglicht, dass sich informationelle Kapitalerträge rund um den Globus verschieben lassen. Computernetzwerke dienen nicht nur der neutralen Übermittlung von Botschaften, sondern ermöglichen anschlussfähige Wechselbeziehungen zwischen den sozialen, politischen und kulturellen Dimensionen der Finanzmärkte. Die digitale Informations- und Kommunikationstechnologie fördert bis heute die Konzentration von globalem Spekulationskapital. Auf der Suche nach höheren Zinsen in Bankeinlagen und nach möglichen höheren Einnahmen auf den Aktien- und Immobilienmärkten organisieren die Trader globale Telekonferenzen und elektronische Beratungen, ›parken‹ ihr Kapital zwischenzeitlich, um dann zu beschließen, das Spekulationskapital zu einem bestimmten Zeitpunkt zurückzuziehen oder es auch mit wenigen Mausklicks neuen, profitablen Märkten zuzuführen. All dies ermöglicht die computergestützte Technologie und Kommunikation im Finanzsystem.
52 | Das Wissen der Börse Die globale Medienkultur, die neuen Informationstechnologien und die spekulativen Finanzmarkttransaktionen bedingen sich wechselseitig und sind zu grundlegenden ökonomischen Aktivitäten geworden. Im Internet versucht diese Ökonomie, ihre Dynamik zu optimieren: »The increasing speed and reliability of digital communications have facilitated the popularity of markets such as the NASDAQ and on-line auctions such as e-Bay. In these electronic markets, the physical proximity of traders to the exchange is no longer an issue – they are dispersed geographically. The success of electronic exchanges has led to the speculation that these traditional exchanges will eventually disappear.« (Gode/Sunder 2000: 4) Deshalb kann die ökonomische Spirale der zunehmenden Abstraktion in ihren kulturellen Ausdrucksformen erfasst werden. Somit wirkt eine spezifische, kulturelle Ökonomie der Neuen Medien auf den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhang zurück und transformiert »die moderne Gesellschaft in eine postmoderne Aktiengesellschaft«. (Jameson 1997: 252) Die globale Ausweitung der Börsenspekulation erfolgte mit der am 30. April 1993 vollzogenen Freigabe des World Wide Web zur allgemeinen Benutzung. Seither werden Finanzmarkttransaktionen zum großen Teil über großtechnische Datennetzwerksysteme abgewickelt. Mit dem frei zugänglichen Internet trat 1993 ein neuartiges Transaktionsmedium auf die Bühne der Finanzspekulation, das die Idee der Konnektivität zu einem zentralen Merkmal der kapitalistischen Globalisierung machte. Das Internet brachte die ›neue Freiheit‹ im Kapitalismus auf den Punkt: im Netz soll es kein Außerhalb und keine Freiheit vom Netz mehr geben. Es transformierte die kapitalistische Wirtschaftsordnung zum Immanenzraum konnektivistischer Fluidität: »Im Horizont des Atopischen verlieren sich die Stützpunkte erdenschwerer Verlässlichkeit und gravitätischer Traditionen. Sie machen einer konnektivistischen Fluidität Platz, deren Muster und Gestalten kommunikativ konstituierte Figuren bilden und die als Verdichtungen von Kommunikationen sich ebenso schnell auflösen können, wie sie entstanden sind.« (Willke 2001: 175) Das Empire, wie es Michael Hardt und Toni Negri entwerfen, hebt die räumlich bedingte Asymmetrie auf: Alle Differenzen werden in seinem Inneren produziert und absorbiert (Hardt/Negri, 2000: 198). In der Immanenz der einen und einzigen Weltgesellschaft fi nden alle einen Anschluss, die über Anschlussfähigkeit verfügen. Die dezentral organisierten Kommunikationsnetzwerke des World Wide Web sorgen für die räumliche Entgrenzung der Börse und der elektronische Börsenhandel kann sich mit allen gesellschaftlichen Funktionssystemen verschalten. Das von der US-amerikanischen Bankenaufsicht vorangetriebene und fi nanzierte elektronische Kommunikationsnetzwerk vollzieht nicht nur eine geopolitische Globalisierung, sondern sichert zugleich den an der Einrichtung beteiligten Börsen und Banken eine strategische Vormachtstellung, an der niemand Anstoß findet, weil die technischen Medien zu einem völlig neutralen ›Anwendungsfeld‹ nivelliert worden sind. Computernetzwerke sind
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 53 aber weit mehr als neutrale Gebrauchsgegenstände: sie sind auch Mittel der Überwachung und der Kontrolle. In diesem Immanenzraum ohne Außen hat auch das Geld seinen Referenten verloren, da es in seiner digitalen Codierung eine verschlüsselte Zeichenfolge darstellt. Weder die Welt noch die Dinge sind dem Geld als vor- oder außersprachliche Entitäten gegeben. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass der Rekurs auf die Referenz hinfällig wird. Die technischen Medien der Finanzindustrie beschränken den Markt auf abstrakte Zeichenspiele im Immanenzraum medialer Repräsentationen, Signifikanten und Visualisierungen. Digitales Geld ist ein zeitlich begrenzter Impuls, der durch die Glasfaser verschickt wird und kann daher als ein rastloser Proteus verstanden werden, da es sich andauernd selbst verwandelt und demzufolge keine originäre Form mehr aufweist. Für den Spekulanten scheint es unmöglich und zudem überflüssig, den Sinn eines Zeichens durch Referenz auf einen (äußeren) Gegenstand zu bestimmen, denn der Sinn ergibt sich ja bereits aus der Stellung im Netzwerk. Die Online-Brokerage ist ein Raum ohne Zentrum und Ursprung, erfüllt von Relationen, Beziehungsnetzen, Tag Clouds oder einer Hypertextur von Differenzen. Da die hypertextuelle Vernetzung der Daten/Finanzströme an keine Grenzen stößt, ist der Raum nach allen Seiten offen. Das einzige, was ihn je begrenzen könnte, wäre die Wiedereinführung eines Strukturprinzips, also ein Rückfall in die Metaphysik der Präsenz. Und genau an diesem Punkt setzen die Bilder der Finanzkrise ein. Sie versuchen, den grenzenlosen Immanenzraum des Spekulationskapitals in ein überschaubares Territorium zu verwandeln. Ihre Strategie heißt: Reterritorialisierung. E-Börsen, E-Lotterien, E-Auktionen, E-Casinos, E-Wetten und E-Poker sind zu sozialen Institutionen aufgestiegen und sorgen für die Ausweitung der Spekulation auf offene Milieus. Im Web sind zahlreiche Hybridformen zwischen sequentieller und simultaner Entscheidungsfindung entstanden, die entlang der technischen Beschränkungen begrenzter Synchronisierbarkeit der Kommunikation dynamische Auktionsprozeduren ermöglichen. Dementsprechend sind die Praktiken der Spekulation kurzfristig, veränderlich und auf schnellen Umsatz gerichtet. Spekulation bezeichnet in der Wirtschaftssprache kurzfristige Investitionen, die aufgrund höherer Risiken meist eine höhere Rendite haben. Die Spekulation ist dadurch abgrenzbar von der langfristigen, strategisch geplanten Investition. Die Beschleunigung der Börsenkommunikation wird nicht nur durch die Perfektionierung der technischen Übertragungs- und Verbreitungsmedien gesteigert, sondern auch durch eine effizientere und effektivere Organisation der Kommunikationsprozesse im Backoffice der Börse. Die wirtschaftliche Spekulation und die mit ihr verknüpften Möglichkeiten, einen finanziellen Vorteil durch die künftige Realisierung einer erwarteten Markteinschätzung zu erzielen, haben neue gesellschaftliche Formationen entstehen lassen. Innerhalb der aktiengesellschaftlichen Profitspirale agieren die sogenannten Scalper stets an den Grenzen der Echt-
54 | Das Wissen der Börse zeitübertragung. Sie kaufen und verkaufen an den Derivatebörsen Terminkontrakte in mitunter großer Zahl für jeweils nur sehr kurze Zeitspannen und versuchen hierbei, auch kleinste Kursdifferenzen gewinnbringend auszunützen. Daytrader sind ebenfalls im Eigenhandel tätige, kurzfristig orientierte Spekulanten und agieren mit der Entwicklung und Verbreitung elektronischer Börsenhandelsplattformen (Computerbörsen) und damit allgemein sinkender Handelskosten heutzutage zunehmend außerhalb des Börsenparketts. Sie versuchen zumeist, die »Augenblickstimmung« über kurzlebige Trends innerhalb einer Handelsperiode (intra-day) gewinnbringend wahrzunehmen, handeln aber bei weitem nicht in der Häufigkeit, wie dies für Scalper typisch ist. In der fortgeschrittenen Ökonomisierung der Lebensstile oszillieren die Medien und Praktiken des Finanzmarktes in digitalen Netzwerken und durchqueren den Alltag und die Lebenswelt bis in ihre Mikrologien. Sie bilden eine Welt der instabilen Modulationen und machen die Einzelnen zu Schnittstellen von Mikroprozessoren, Informationsströmen und Signalverarbeitungen. Die Popularisierung der spekulativen Märkte wäre ohne die digitalen Technologien undenkbar. Gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Formationen durchqueren sie die digitalen Finanzströme und machen aus ihnen wechselhafte ökonomische, politische oder militärische Konstellationen. Die Ausweitung des Kreditkapitalismus hat folglich zur Vervielfältigung der Verwertungsprozesse geführt. Es ist eine immense Nachfrageökonomie entstanden, die aus einer beständigen Kreditierung ihrer selbst hervorgeht. Mit der symbolischen Ordnung der Kreditsicherung und ihrer Reallasten wurde aber auch ein Realitätsindex zerstört. Die Kreditkrise unterbricht die Linearität der Zeit und die Homogenität des Raums. Da die traditionellen Apparate der Spekulation nicht mehr genügend Kapital zur Verfügung stellen können, weitet das E-Trading die Wertschöpfung aus und dringt jenseits einer Makroperspektive auf die Moderne in die Mikrologien des Alltags ein. Anstelle der Face-to-Face-Kommunikation schafft das Echtzeitmassenmedium des Computerhandels einen anonym fluktuierenden Adressatenkreis – ein letztlich unbestimmbares Systempublikum. Die Popularität der Börse hat dazu geführt, dass das Finanzwissen dem Denken, den Körpern und den Affekten implementiert worden ist und die Normierung von Wahrnehmungsweisen prägt. Börsenförmige Konstellationen haben lebensweltliche Auswirkungen und erfassen Subjektentwürfe und Selbsttechnologien bis in die Mikrostrukturen hinein. Bei der Computerbörse sind die Börsenteilnehmer nicht mehr persönlich auf dem Börsenparkett anwesend, sondern können von außerhalb der Börse via Computer-Bildschirm ihre Abschlüsse tätigen. Auf den Finanzmärkten der Gegenwart werden unermüdlich Informationen und Daten gehandelt. Wie auch immer Aktien, Wertpapiere und Devisen heute aussehen, sie müssen sich durch Nullen und Einsen darstellen lassen. Als reines Zeichengeld macht der Binärcode von 0 und 1 alle Zei-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 55 chen und Bedeutungen austauschbar. Er fungiert als ein Universalcode und entspricht daher dem Geld, das innerhalb des ökonomischen Systems der Transaktionen als Tauschmittel des Warenaustausches fungiert. Wie alle anderen Daten im Computer auch sind Shareholder Values in Nullen und Einsen kodiert. Die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen der Konsumelektronik ermöglicht auf der Basis neuer Speichertechnologien und Übertragungsverfahren eine grenzenlose und ubiquitäre Spekulation. Die Digitalisierung der Finanzmärkte, der elektronische Börsenhandel, die Verwandlung der Börsen in private Kapitalgesellschaften und die globale Markterschließung haben zur Vervielfachung, Partikularisierung und Streuung der Spekulation geführt. Seit Ende der 80er Jahre haben die meisten Börsen elektronische Handelssysteme eingeführt und damit die Parkettbörsen in vollelektronische Börsen transformiert. Heute hat sich die physische Parkettbörse weitgehend aufgelöst. Der Handel wird weitgehend von Computern ausgeführt und nicht mehr von schreienden Brokern. In computergestützten Systemen werden in Sekundenbruchteilen alle Angebote abgesucht, bis die entsprechenden Gegengeschäfte gefunden sind. Die nahezu in Echtzeit operierenden Modulationen der Zinssätze, Devisen und Wertpapierkurse bringen damit einhergehend verfeinerte Techniken der Macht hervor, ein subtileres Regime der Selbstführung und der Affekte. Zu klären bleibt, inwiefern Medien Teil der Praktiken der Finanzmärkte sind und inwiefern Theorien und Modelle der Finanzmärkte nicht schon Teil der Praktiken der Medien sind. Haben wir es mit einem wechselseitigen Gründungsverhältnis zu tun? Kann das Geflecht des wechselseitigen Beziehungsverhältnisses von Medien und Praktiken der Finanzmärkte entwirrt werden? Vor diesem Hintergrund kann gefragt werden, was diese neuen Medien der Informations- und Kommunikationstechnologien eigentlich sind und was spezifisch neu an ihnen ist. Wenn diese Frage geklärt ist, dann kann auch der kulturelle und soziale Umbruch, den die neuen Medien der Finanzmärkte verantworten, nachvollziehbar werden.
I.6 D A S M EDIUM
IST DER
M ARK T
Am 23. April 1964 präsentierte die Nachrichtenagentur Reuters auf einer Pressekonferenz ein neues handliches Computerterminal zur Übermittlung von Finanzinformationen: den Stockmaster. Der Stockmaster wurde von der IT-Firma Ultronic Systems Corporation entwickelt. Er zeigte die aktuellen Aktienpreise auf einem dreistelligen Nummerndisplay an und ermöglichte auf einem Keybord Kursabfragen amerikanischer Börsen annähernd in Echtzeit. Wenige Monate später erteilte die Zürcher Börse der Ticker AG den Auftrag, die Möglichkeiten der Informatik für den Einsatz an der Börse zu evaluieren. In der Zwischenzeit führte die Chicago Mercantile Exchange (CME) die ersten Futures auf lebende Produkte (Rinder) ein. Und die größ-
56 | Das Wissen der Börse te selbstverwaltete Organisation in der US-Wertpapierbranche, die National Association of Securities Dealers, stellte die Entwicklung eines elektronischen Börsenhandels in Aussicht. Als sich 1964 die Studentenbewegung in den USA zu formieren begann, bemängelte Marshall McLuhan an der Marx’schen Analyse des Kapitalismus, dass sie nur die Produktionsmittel, nicht aber die Informationsmittel berücksichtige und stellte in einem beiläufigen Kommentar die Behauptung auf, dass »alle Formen von Reichtum das Ergebnis von Informationsbewegung sind« (McLuhan 1968: 99). Er leitete im Unterschied zu Karl Marx die Strukturen der modernen Informationsgesellschaft nicht aus einer materiellen Basis ab, sondern aus den Mitteln ihres Informationsaustausches und formulierte damit nicht nur einen Baustein für eine Theorie der neuen Medien, sondern machte auf die tiefgreifende soziale Wirkung des Binärcodes aufmerksam. Sein Ansatz, die Struktur einer Gesellschaft aus den Mitteln ihres Informationsaustausches zu erklären, kann auch heute noch einen perspektivenreichen Ausgangspunkt liefern, sich mit der konstitutiven Rolle der technischen Medien auf den globalen Finanzmärkten auseinander zu setzen. Die Finanzmärkte der Gegenwart haben jedoch seit langem die Schwelle des digitalen Zeitalters überschritten. Die wachsende Bedeutung und Verbreitung elektronischer Märkte im Business-to-Business-Bereich ist das Resultat der raschen Verbreitung des Internets in den vergangenen Jahren. Mit dem Einzug der Computertechnologie in alle Teilaspekte des Börsenhandels hat sich eine rein technische Beobachtung des Finanzmarktes etabliert. Die Globalisierung der Finanzströme und der Datenkommunikation hat dazu geführt, dass die visuelle Abbildung als äußerer Sehvorgang zurückgetreten ist und an ihre Stelle eine universelle Datenverarbeitung der Finanzströme rückte, die heute weitgehend ein »Sehen ohne Blick« (Virilio 1987: 33) durchgesetzt hat. Das physische Bezugsverhältnis von Sehen und Gesehen-Werden prägte den historisch dominanten Präsenzhandel der sogenannten Parkettbörsen, die Teil der urbanen Repräsentationsarchitektur waren und einen Versammlungsort für Marktteilnehmer bildeten, die am Handelsparkett im Rahmen ihrer Waren- und Geldgeschäfte kontinuierlich Informationen über Preise, Angebot/Nachfrage und konjunkturelle Prognosen austauschten. Das Handeln an den Parkettbörsen war ein physischer Vorgang, bei dem sich die einzelnen Marktteilnehmer über Gesten, Mimik und Zeichen verständigten. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verändern technische Medien die Praktiken des Finanzmarktes und haben maßgeblich an der Durchsetzung marktförmiger Praktiken mitgewirkt (vgl. Garbade/Silber 1978: 819-832). Telefon, Telegraf, Ticker, Computer, elektronische Netzwerke und zuletzt das Internet haben mediale, soziale und kulturelle Strukturen des Marktes – nicht nur des Finanzmarktes – generiert. (Abb. 6, 7) In dieser Blickweise erscheint der Börsenhandel als zentraler Bestandteil der Finanzwirtschaft
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 57 weniger als eine autonome Marktsphäre, die ihren sozialen und kulturellen Bedingungen entwunden ist, sondern vielmehr als ein mehrdeutiges Feld, das mit bestimmten Repräsentationsordnungen, sozialen Normierungen und Signifizierungen konstitutiv verflochten ist. Mit dieser Perspektivierung der Medien kann der instrumentelle und technizistische Ansatz der Mediengeschichtsschreibung verlassen werden und demgegenüber die Übertragungs- und Mittlerfunktionen der elektronischen Finanzmedien in den Vordergrund rücken:
Abbildung 6: Tintenfedern zeichnen Order auf, Brokerfirma Hutton & Co., New York, 1940, Life Magazine, Foto: David E. Scherman Abbildung 7: Broker Gerald M. Loeb telefoniert, während der Stockticker Börsendaten ausdruckt, Brokerfirma Hutton & Co., New York, 1940, Life Magazine, Foto: David E. Scherman »Die entscheidende Leistung von Medien (Elektrizität oder Papiergeld oder Sprache) ist nicht, irgendetwas zu repräsentieren, sondern Fernwirkungen herzustellen, Übertragungen zu bewirken. […] Current ist wie Currency: Elektrizitätsströme haben ebenso wenig einen Referenten außerhalb der Zirkulation wie Geldströme.« (Siegert 2003: 205) Entlang dieser Fragestellung kann sich eine Medienreflexion des Finanzmarktes von der Botschaft der Medien abwenden und sich mit der medialen Übertragung auseinandersetzen. Damit kann die Evidenz der Botschaft nicht nur inhaltlich – auf der Ebene der Bedeutung – in Frage gestellt werden: vor diesem Fragehorizont können die medialen Bedingungen zur Herstellung von Evidenz sichtbar gemacht werden. Damit einhergehend wird der soziale Ort der Medien eingegrenzt und der Beitrag, den Medien zur Herausbildung von Wissensordnungen leisten, kann aufgezeigt werden. Die Elektronifizierung der Börsen fing bereits in den 1950er Jahren an, als das Unternehmen Quotron Systems mit der Übertragung von Kauf- und Verkaufspreisangeboten begann. Weitere Beispiele für erste Innovationen im Bereich des elektronischen Handels sind die Handelssysteme AutEx (1969), Instinet (1969) und das Automated Quotation System der National Association of Securities Dealers’ (NASDAQ): »Each of these services provided state-of-the-art delivery of information to users. Each service introduced upto-the-minute quotations on recent stock and bond prices, as well as world news information.« (Marshall/Carlson 2003: 287) In den 1970er Jahren ermöglichte der Entwicklungsstand der Informations- und Kommunika-
58 | Das Wissen der Börse tionstechnologie eine elektronische Vernetzung der Marktteilnehmer und die Börsenautomatisierung. Das erste elektronische Börsenhandelssystem (Computer Assisted Trading System, CATS) wurde 1977 an der Toronto Stock Exchange eingesetzt. Seit Beginn der 1990er Jahre befi nden sich die medialen und sozialen Praktiken des Finanzmarktes in einem grundlegenden strukturellen Wandel. (Abb. 8) Das Jahr 1999 markiert einen symbolischen Wendepunkt in der Geschichte der Finanzwirtschaft. Erstmalig war eine vollelektronische Computerbörse – die weltweit größte Terminbörse EUREX – der umsatzstärkste Marktplatz für Terminkontrakte.10 Beinahe alle Händler haben heute Zugang zu Echtzeit-Online-Diensten, arbeiten mit computergestützter Analysesoftware und nutzen Orderrouting-Möglichkeiten zu den angeschlossenen Börsen. Im Gegensatz zum Parketthandel gibt es bei der Computerbörse oder dem Computerhandelssystem keine visuelle Interaktion und Kommunikation zwischen den Handelspartnern. Die Transaktionsprozesse sind an den Computerbörsen vollständig automatisiert: Handelsentscheidungen und Operationsweisen des Finanzmarktes werden von Maschinen getroffen. Die Eingabe der Order, die Weiterleitung der Zahlungs- und Lieferverpflichtungen und die Verbreitung von Informationen erfolgen voll automatisch.
Abbildung 8: Telefonvermittlung des Stock Quotation Service, NYSE, 1961, Life Magazine, Foto: Eliot Elisofon Ein medien- und kulturwissenschaftlicher Ansatz, der sich ausschließlich auf die populäre Informationsfi lterung und -selektion der Medienbilder der Finanzkrise konzentriert, verliert das technisch-apparative Dispositiv des Börsenhandels aus dem Blick. Wie alle anderen Daten im Computer auch sind Shareholder Values numerisch kodierte, diskrete Einheiten. Das Wissen der Börse prozessiert nicht in Bildern, sondern in Datensätzen. In computergestützten Systemen werden in Sekundenbruchteilen alle Angebote abgesucht, bis die entsprechenden Gegengeschäfte gefunden sind.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 59 Mittels ihrer binären Kodierung haben Wertpapiere eine entscheidende Veränderung als Medium vollzogen. Digitale Finanzströme sind nichts Visuelles. Sie bestehen aus Elementar- und Universalzeichen, mit deren Hilfe beliebig andere Zeichen und Zeichensysteme kombiniert werden können. Auf den Finanzmärkten der Gegenwart werden unermüdlich Informationen und Daten gehandelt. Wie auch immer Aktien, Wertpapiere und Devisen heute aussehen, sie müssen sich durch Nullen und Einsen darstellen lassen. Der Umschlagplatz für Aktien, Wertpapiere, Devisen, Obligationen, Versicherungen oder Immobilien entsteht mit dem Internetzugang. (Abb. 9) Die maßgebliche Kultur des Finanzkapitals manifestiert sich in der Entwicklung und Gestaltung von konsumästhetisch optimierten Benutzeroberflächen, Browsern und Suchmaschinen im Medium der vernetzten Computer. (Harris 1998; Weber 1999) Mit der Entwicklung der Finanzmärkte war in der Geschichte des Geldes immer auch eine spezifische Raum- und Zeitordnung verknüpft. Dieser Ordnung entsprach immer auch eine dementsprechende Idee des Marktes – als Wochen- oder Jahrmarkt, Arbeitsmarkt oder Kapitalund Geldmarkt. Die Digitalisierung der Finanzmärkte und das Computer Trading bringen hier eine tiefgreifende Umwälzung. Der Markt löst sich von einem verbindlichen Raum- und Zeitgefüge und fi ndet hauptsächlich im Medium statt: Screen und Enduser Interface werden zum Markt. Diese technische Innovation verändert auf grundlegende Weise unseren Umgang mit Raum und Zeit. Im Zeitalter des elektronisch vernetzten Finanzmarktes ist es gleichgültig, wo sich die Trader aufhalten, weil sie immer und überall durch universelle Bits miteinander verbunden sind: »The paradigm for such an assemblage is the network, which involves new geopolitical orderings, a reconfigured sense of center and periphery and an attendant complication of the world-system idea.« (Raley 2004: 132)
Abbildung 9: Schnellimbiss »Manhattan«, Honkong
60 | Das Wissen der Börse
I.7 G ELD
IST
B IT / S
In der traditionellen Sichtweise war die Börse ein eindeutig bestimmbarer Ort, an dem sich professionelle Händler während festgelegter Handelszeiten versammelten. Mit der Deregulierung der Börse entstand eine unternehmensorientierte Sicht auf die Börse als wettbewerbliche Kapitelgesellschaft. Die Delokalisierung der Börse durch den Handel in elektronischen Kommunikationsnetzen hat das Merkmal der Ortsgebundenheit der Börse obsolet werden lassen. In seiner nicht nur räumlichen, sondern auch zeitlichen Entgrenzung besitzt der global vernetzte Finanzmarkt kein Zentrum, sondern ist zerstreut. Er bezeichnet kein lokalisierbares Beziehungsverhältnis von in sich ruhenden Elementen, sondern eine transversale Bewegung, die in die eine und die andere Richtung geht, »ein Strom ohne Anfang oder Ende, der seine beiden Ufer unterspült und in der Mitte immer schneller fließt.« (Deleuze/Guattari 2002: 42) Heute ist ein globaler Wettbewerb um Orderströme entstanden und der Handel findet in einem ubiquitären Computernetz statt. Auf Internetplattformen können die Kunden von heute ihre Börsenaufträge von ihrem privaten PC aus eingeben. Die Computerbörse amalgamiert Kauf- und Verkaufskurse (Geld-Brief-Spannen) mit digitalen Informationsströmen und verlagert die spekulativen Märkte an die Peripherie. Vor diesem Hintergrund fungieren Börsen als Finanzdienstleistungsunternehmen in einem weltweiten Wettbewerb. Ausschlaggebend für den Boom des Börsenhandels via Internet waren mehrere Faktoren. Seit Mitte der 80er Jahre wurde die physikalische Basis der Netzwerke weitgehend privatisiert (die Übertragungsmedien Kabel, Speicher und die Backbones wie die Internet Exchanges). Ebenso wurden die Schnittstellen zur Nutzung und der dort laufenden Anwendungen und des Adressraums kommerzialisiert. Das Online-Trading versprach die Minimierung der Provisionen der traditionellen Händler und die allgemeine Senkung der Transaktionskosten. »Tiefstpreis«-Broker im Netz verlangen heute in der Regel weniger als 20 Dollar pro Transaktion und gehen den Markt bewusst von der Preisseite her an. Wertpapierhändler des Hausse-Marktes wie etwa E*Trade, Ameritrade, Waterhouse Securities und Suretrade versprechen eine größtmögliche Usability beim Geldverschieben per Mausklick. Das E-Trading wird fixer Bestandteil der populären Alltagskultur, da die traditionellen Apparate der Spekulation nicht mehr genügend Kapital zur Verfügung stellen können. E-Trading verleiht den Anlegern ein neues Gefühl von Macht im Spiel um das vermeintlich große Geld. Eine andere Strategie verfolgen die Discount Broker, die Produkte für eine eher wohlhabende Klientel anbieten, deren Risikobereitschaft nicht ganz so ausgeprägt ist. Die Dienstleistungen dieser Firmen sind naturgemäß etwas teurer als die ihrer Konkurrenten, die mit besagten Dumping-Angeboten arbeiten. Die sogenannten Full-Service-Retail-Brokern – Internet-Plattformen wie Merrill Lynch, Morgan Stanley oder Goldman Sachs – grenzen sich von den Discount- und Billigst-Brokern ab und stellen den Aktienkauf via Web als eine längerfristige Investition dar.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 61 Spekulative Praktiken haben sich heute verallgemeinert. Börsen, Lotterien, Wettbüros und Versteigerungen sind zu sozialen Institutionen aufgestiegen. Die Modulationen der Zinssätze, Devisen und Wertpapierkurse bringen verfeinerte Techniken der Macht hervor, ein subtileres Regime der Selbstführung und der Affekte. Die Medientechnologien des Finanzmarktes definieren nicht nur die Verfahrensmodi der Transaktionen, sondern etablieren einen definitorischen Rahmen für den gesamten Finanzmarkt: »Another aspect present in this definition is that market technologies have definitional power: in order to generate compromises and bring market actors to common standpoints, technologies introduce distinctions and classifications which endow exchange items with market-specific properties.« (Preda 2007: 37) Diese Perspektive stärkt die Relevanz der Medientechnologien, die nicht länger auf neutrale und einseitige Informations- und Kommunikationskanäle zu reduzieren sind, sondern einen aktiven Part bei der Konstruktion der Märkte spielen: »In such cases, technology-generated data can be used as a definitional resource in marking the boundaries of these systems.« (Ebd.) Das universelle Medium Computer integriert nicht nur alle relevanten Informationsträger zur Speicherung von Text, Bild oder Ton, sondern ermöglicht eine neuartige Informationsinfrastruktur der Finanzwirtschaft und entfaltet neue Möglichkeiten der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung ökonomischer Kommunikationsräume: »Market technologization (as we encounter in financial markets), then, can be seen not simply under its functional aspects (speed, broad diff usion), or with respect to domain-internal uncertainties. Market »technologization« is a definitional resource which consolidates and reproduces specific social and cultural boundaries of exchange systems. In this sense, among others, technology constitutes markets.« (Ebd.) Auf ähnliche Weise argumentieren Stefan und Ralph Heidenreich, die den Kredit als allgemeinen »Operator der Macht« verstehen, der soziale Beziehungen dauerhaft in asymmetrische Anordnungen transformiert: »Das Kredit-Verhältnis wird zu einem Machtverhältnis. Der Gläubiger hat das Recht, etwas zu fordern. Er erhält damit eine Macht über seinen Schuldner, der die Pflicht anerkannt hat, etwas zurück zu geben. Diese Macht hat die Tendenz, ihren ursprünglichen Bereich zu überschreiten, sobald der Schuldner seiner Zusage nicht nachkommt.« (Heidenreich/Heidenreich 2008: 128) Die zunehmende Digitalisierung in allen Bereichen der Konsumelektronik macht die Einzelnen zu Amateuren der Spekulation. Die Digitalisierung ermöglicht auf der Basis neuer Speichertechnologien und Übertragungsverfahren eine grenzenlose und ubiquitäre Spekulation, die von Online-Brokern in global operierenden Netzen nahe der Echtzeit evaluiert, kontrolliert und delegiert werden können. In seinem Vortrag »Du sans prix, ou le juste prix de la transaction« hat Jacques Derrida Anfang der neunziger Jahre die Frage aufgeworfen, ob nicht
62 | Das Wissen der Börse »die heutigen Kommunikationstechnologien die Entfaltung der Essenz des Geldes selbst als Zeit« (Derrida 1999: 18f) bedeuten. Für Derrida hat die universalisierende und abstrahierende Medialisierung des Mediums Geld ›an sich‹ eine Beschleunigung hervorgebracht. Allerdings setzt er die Medialisierung des Geldes durch die Technologien der Finanzmärkte voraus, ohne auf sie näher einzugehen: »Dank der Satelliten und der Ressourcen der Informatik können sie [die Transaktionen] mit maximaler Geschwindigkeit – die Netze und Zeitverschiebungen auf der gesamten Erdoberfläche ausspielend – historische Beben auslösen, von denen die Menschheit in lang währenden geschichtlichen Perioden, in ihrer Erfahrung von Krieg und Frieden, in ihrer Arbeit und ihrem Leiden und in ihrer Lebensweise betroffen sein wird bis in den hintersten Winkel des Dorfes, das scheinbar am weitesten von den Börsen der Wall Street, von London, Paris oder Tokyo entfernt liegt.« (Derrida 1999 [1992]: 11) Hier soll es aber darum gehen, das Geld in seinen konkreten Netzwerken zu untersuchen. Die Beschleunigungen durch das Geld ergeben sich weniger aus der Logik des Geldes selbst, sondern aus einer Vielzahl medialer Dispositive, Netze und Institutionen, die erst in ihrem Zusammenspiel das Geld zu einem Medium der Beschleunigung machen: »The Internet technology has played a big role in the development of electronic trading systems over the past few years since it has enabled the business model of financial networks to change from a closed system with proprietary standard to a more open system.« (Sabourin/Serval 2007: 589) Auf der 9th Annual Financial Markets Conference propagierte der Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve System Alan Greenspan die Vorteile des elektronischen Handels11: »Electronic broking has expanded rapidly in recent years, with each system specialising in certain currencies. This has been at the cost of traditional means of dealing such as through voice broking or direct dealing. The advance of electronic broking owes much to its lower cost, higher efficiency and, most importantly, greater transparency compared with traditional trading channels.« (Greenspan 2000: 14) Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde müssen Broker und Händler heute im Experimentierfeld des algorithmischen Handels agieren. In der Online Brokerage ist es üblich geworden, dass menschliche Beobachter durch Maschinen ersetzt werden, die in der Lage sind, die fortschreitende Differenzierung der Anlagehorizonte zu überblicken, Opportunitäten rascher zu erkennen und Verkauf- oder Kaufentscheidungen kurzfristiger umzusetzen. Von ihrer physischen und intentionalen Referenz entkoppelt, wird die Börsenkommunikation damit extrem zeitkritisch. Wenn in Betracht gezogen wird, dass sich mit der Deregulierung der Börsen, der Computertechnologie und der globalen Informationssysteme der Finanzmärkte die medial-technische Beobachtung des Finanzmarktes hochgradig multipliziert hat, dann werden sowohl seine subjektzentrierte Beobachtbarkeit als auch seine objektivierende Vergegenständlichung problematisch.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 63 Anders als bei den Vertretern der Klassik hat sich die Bedeutung der Zeit in den Modellen der Mikroökonomik radikal gewandelt. Die Mikroökonomie des Börsenhandels abstrahiert von Raum und Zeit; das gesamte ökonomische Geschehen wird so betrachtet, als würden Raum und Zeit in einem einzigen Punkt konvergieren. Die Konvergenz der Telekommunikations-, Informations-, Medien- und Entertainmentindustrie ist immanent mit Veränderungen von Zeit, Zeitstrukturen, Zeitrechnungen und Zeitwahrnehmung verbunden und führt zur Herausbildung von neuen Wertschöpfungsstrukturen und zur Formation einer neuen ökonomischen Geographie mit veränderten räumlichen Verteilungsmustern der Wertschöpfung. So gesehen ändert sich im elektronischen Börsenverkehr der relative Wert der Währungen in Millisekunden. Die Roundtrip-Zeit beschreibt die Zeitspanne, die eine Order vom Kundensystem über das Netzwerk bis zum Backend und deren Bestätigung zurück zum Kunden benötigt. Zeit hat damit selbst die Funktion einer Verrechnungseinheit und eines Zahlungsmediums übernommen. Auf globaler Ebene konvergieren Zeitstrukturen immer stärker und treffen sich in einem einzigen Punkt einer ökonomisierten Weltzeit. Neue Zeitstandards werden zu einer bedeutenden Ressource ökonomischer Transaktionen innerhalb der globalen Echtzeitökonomie. Zeitgemäße Finanzdienstleistungen sind auf die Beschleunigungstechnologien der digitalen Verbindungstechnik angewiesen. Die Datenübertragungsrate bezeichnet die digitale Datenmenge, die innerhalb einer Zeiteinheit über einen Übertragungskanal übertragen wird. Die kleinste Dateneinheit ist das Bit, weshalb sie häufig als Bitrate in der Einheit Bit pro Sekunde (bit/s) angegeben wird. Die Instantaneität der Datenübertragung – das große Glücksversprechen der virtuellen Börse – räumt den Händlern allerdings kaum noch Zeit des Nachdenkens ein. Bei der Kursbildung ist der Begriff Spread von zentraler Bedeutung. Der Spread ist die Differenz zwischen dem Kaufs- und dem (höheren) Verkaufskurs. Die Angabe kann entweder absolut oder prozentual erfolgen. Ist der Handel abgeschlossen, folgt das Clearing, das ist die Abrechnung. Dabei werden die Differenzbeträge der am Börsentrade teilhabenden Finanzinstitute und Broker abgerechnet, ohne dass eine physische Lieferung der Wertpapiere stattfindet. Auch das Settlement, der Abschluss und die Erfüllung eines Börsengeschäfts, findet nur in Bits und Bytes statt. Anders als bei den Vertretern der Klassik hat sich die Bedeutung der Zeit in den Modellen der Mikroökonomik radikal gewandelt. Die Mikroökonomie abstrahiert von Raum und Zeit; das gesamte ökonomische Geschehen wird so betrachtet, als würden Raum und Zeit in einem einzigen Punkt konvergieren. In ihrer Untersuchung der elektronischen Kommunikationstechnologien der NASDAQ nennen Sabourin und Serval zwei Kriterien für das Wachstum der ECNs in den 1990er Jahren: »Although private trading networks have existed since 1969, the growth of electronic communication networks (ECNs) is a very recent phenomenon. Accounting for 30 % of Nasdaq share volume by 1999, these new players
64 | Das Wissen der Börse were attracting nearly half of the order flow by the and of 2002 (source: Nasdaq Economic Research). […] Two causes can be discerned fort his substantial growth pattern. First, the changing SEC regulations introduced in 1997 enabled existing networks to complete directly with Nasdaq dealers. Furthermore, when ECNs like Instinet fi rst developed, they served primarily as trading vehicles for institutional investors and broker-dealers. This rule forced dealers who place limit orders on ECNs to display their ECNs quotes in the Nasdaq market.« (Sabourin/Serval 2007: 589f) Medien der Information und Kommunikation, insbesondere Internet und globale Telekommunikationssysteme, schaffen gegenwärtig neue Voraussetzungen für ökonomisches Handeln. Besonders deutlich wird das Aufeinandertreffen verschiedener Zeitstrukturen im Internet. Beim Eintauchen in die Netzwelt wechselt der Nutzer in Sekunden und ohne Bewegung im geographischen Raum von der Ortszeit in die zeitlose Zeit des Netzes oder in das Zeitregime der informationellen Ökonomie. Tradierte und geographisch gebundene Formen von Zeitkonvergenz und Zeitdivergenz werden durch neue Muster ersetzt, die nun nicht mehr an geographische Räume gefesselt sind, sondern an virtuelle, künstliche, kognitive Räume: »Die Lichtgeschwindigkeit der elektronischen Prozesse löscht alle Markierungen und Grenzziehungen, die noch im traditionellen Medien-System des Buches dafür gesorgt hatten, dass Intervalle den Prozess kultureller Kommunikation systematisch unterbrachen. […] Implosionsartig scheint das ganze System der Intervalle auf einen einzigen Punkt hin zusammenzustürzen.« (Großklaus 2002: 6) Bei der Zirkulation des Kapitals auf globaler Ebene tritt diese Logik klar zu Tage. Das Zusammentreffen der globalen Deregulierung des Finanzsystems mit der Verfügbarkeit neuer Informationstechnologien und Managementtechniken hat zur Entstehung eines globalen Kapitalmarktes beigetragen, der als Einheit in ›Echtzeit‹ funktioniert: »Money has become increasingly deterritorialized […] as previously separate financial markets have lost their regulatory and geographical distinction« (Pryke/Allen 2000: 282). Innerhalb von Stunden, Minuten und manchmal Sekunden wird dasselbe Kapital zwischen den Volkswirtschaften hin- und hergeschoben; Zeit ist der Faktor, der über die Rentabilität des gesamten Systems entscheidet. Deleuze und Guattari (2000) sprechen in diesem Zusammenhang von der Deterritorialisierung, um die Anschlussfähigkeit und Flexibilität des spekulativen Kapitalismus zu kennzeichnen. Während die Finanzströme deterritorialisierende Effekte erzeugen, wirken die Bedingungen der Kreditvergabe und der Rückzahlung der Zentralbanken auf reterritorialisierende Weise: die Zentralbank reterritorialisiert die wirtschaftlichen Transaktionen, die durch die globalen Finanzströme deterritorialisiert wurden (ebd.: 258). So folgen den Tendenzen der Deterritorialisierung immer auch nivellierende Tendenzen der Reterritorialisierung. In dieser Hinsicht entwickelt sich der Finanzkapitalismus sowohl deterritorialisierend als auch reterritorialisierend, da das »Wiederauftauchen reaktionärer Weltanschauungen, Nationalismen und Rassismen sich mit weiteren kulturellen Freisetzungsprozessen
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 65 verbindet, vor allem in den medialen Repräsentationen, zum Teil aber auch in den Lebensstilen« (Diefenbach 1999: 95). Die technische Beschleunigung von Information und Geld hat sich durch die digitalen Medienkanäle verhundertfacht. Es hat sich die Geschwindigkeit der Datenverarbeitung vertausendfacht und die Übermittlung von Informationen ist um einen sieben- bis zehnstelligen Faktor schneller geworden. Die technischen Medien sind selbst von der Beschleunigung erfasst und durchdrungen. Hat es nach der Erfindung des Radios noch 38 Jahre gedauert, bis 50 Millionen Empfänger eingerichtet waren, brauchte das Fernsehen nur noch 13 Jahre dafür. Das Internet schaff te innerhalb von vier Jahren 50 Millionen Anschlüsse. Um im Konkurrenzkampf bestehen zu können, müssen sich die technischen Innovationen auch auf kapitalwirtschaftlich organisierten Börsenschauplätzen schneller durchsetzen (vgl. Evans/Wurster 2000). Der fortschreitende Einbezug von IT in die Handelssysteme wird im einschlägigen Diskurs als Elektronisierung zusammengefasst. Allerdings sind die elektronisch unterstützten Teilprozesse in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen verschieden. So werden 1) bei computerunterstützten Handelssystemen die Wertpapieraufträge bloß in einem elektronischen Orderbuch angezeigt, 2) bei Computerhandelssystemen wird hingegen auch der Handelsabschluss automatisch durchgeführt und 3) bei Computerbörsensystemen wird zusätzlich das Clearing und Settlement in das elektronische System integriert. Die Elektronisierung des Wertpapierhandels befreit sich von den Merkmalen der klassischen Börse. Aus der Sicht von Day Tradern, die mit einer sehr kurzen Anlagedauer spekulieren, bieten die Terminbörsen eine lukrative Anlagemöglichkeit, da Termingeschäfte mit geringerem Kapitalaufwand aufgebaut werden können, als dies am Kassamarkt möglich wäre. Mit dem Einsatz von computerunterstützten Analyseprogrammen versuchen sie ihre Prognosefähigkeit zur Gewinnerzielung zu verbessern. Mit der Beschleunigung des elektronischen Handels hat sich auch die Rechtsform der Börsen entscheidend verändert. In der Zeit des traditionellen Präsenzhandels12 waren die Börsen noch als Verbandsbetriebe organisiert, die von den Börsenmitgliedern finanzierten wurden und nicht gewinnorientiert ausgerichtet waren. Mit der systematischen Deregulierung der Finanzmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Kassa- und Terminbörsen13 zu gewinnorientierten Unternehmen gewandelt. Die Börsen der Gegenwart sind also in erster Linie Dienstleistungsunternehmen in einer globalen Konkurrenzsituation. Damit einhergehend werden die Börsenmitglieder zu Aktionären privater Kapitalgesellschaften. Bei den aufgezeigten Medienumbrüchen der Finanzmärkte geben Terminbörsen den Ton an. Im Unterschied zu Kassabörsen besteht die Produktpalette der Terminbörsen ohne regionalen Bezug zu den Emittenten und sie ermöglicht einen grenzüberschreitenden Wettbewerb. Elektronische Börsen, Online Brokerage und Börsenplattformen konfrontieren uns heute mit einer neuen digitalen Form des Handels mit Aktien, Anleihen und Devisen. (Abb. 10) Die computergestützten Informations-
66 | Das Wissen der Börse und Kommunikationstechnologien haben dazu geführt, dass der Handel heute allen Internet-User/-innen offen steht. Alles, was Anwender/-innen an Hardware brauchen, um online mit Wertschriften handeln zu können, ist heute bei handelsüblichen Computern Standard. Zu klären bleibt, was diese neuen Medien der Informations- und Kommunikationstechnologien eigentlich sind und was spezifisch neu an ihnen ist. Wenn diese Frage geklärt ist, dann kann auch der kulturelle und soziale Umbruch, den die neuen Medien der Finanzmärkte verantworten, nachvollziehbar werden. Investoren brauchen keine Börsenmitgliedschaft mehr und benötigen keine Intermediäre (Broker) mehr, um am Markt teilzunehmen. Schließlich werden nicht mehr ausschließlich standardisierte Wertpapiere gehandelt. Elektronische Handelsplattformen von Börsen (wie XETRA der Deutschen Börse, SETS der London Stock Exchange und NCS der Euronext Paris) stellen die Transaktionsdienstleistungen dazu bereit. In ihrem Innersten werden die Technologien des Finanzmarktes von der normativen Gewalt der Beschleunigung zusammengehalten. Durch den Einsatz von Technologie produziert, konsumiert und transformiert die Börse permanent Zeit: »Die Materialität von Preisen ist ein wichtiger Aspekt beim Arbitragehandel, denn die Art ihrer Verknüpfung beeinflusst Ausmaß und Geschwindigkeit ihrer Verbreitung. So wurden die bei der klassischen Arbitrage ausgenutzten Preisunterschiede zwischen verschiedenen Orten mittels sozialer Netzwerke und bilateraler Kommunikationstechnologien – zum Beispiel der Telegrafie und der Standleitungen – ausfindig gemacht. Die Entwicklung elektronischer Systeme untergrub diesen Weg zur Erlangung von Zeit- und Raumvorteilen weitgehend.« (MacKenzie/Beunza/Hardie 2007: 138)
Abbildung 10: Trading Room, Broker Office in Los Angeles Die elektronische Übertragung und Verbreitung von Kursinformationen bedeutet jedoch keineswegs das Ende der technischen Beschleunigung der
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 67 Nachrichtenmedien. Im Gegenteil. Die Zeitunterschiede haben sich bloß verfeinert und haben eine neue technologische und soziale Elite hervorgebracht, die mit hohem Kostenaufwand versucht, anderen Marktteilnehmern Verluste zuzufügen. Die Zeitvorteile bewegen sich heute in einem Zeitraum von Sekundenbruchteilen und unterlaufen oft die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit. Daher bedienen die Broker und Trader heute automatische Börsensoftware und beschränken sich auf die Eingabe von Parametern, mit denen der Programmalgorithmus selbsttätig spekuliert. In diesem Feld der technischen Beschleunigung muss der Trader neue physische Fähigkeiten erlernen, um den Erfordernissen gestiegener Geschicklichkeitsakrobatik zu genügen: »Während sie verkauften, verkauften wir […] hier haben sich die Händler an den Aufträgen die Finger blutig geschrieben. Wir haben binnen einer Stunde 2 Millionen Dollar gemacht, bis sie gemerkt haben, was los war.« (Beunza/Stark 2004) Diejenigen Broker, die sich auf die statistische Analyse der Kurse verlassen, stellen ihre Rechner immer näher an den Rechenzentren der Börsen auf. Die Deutsche Börse bietet Brokern und Banken inzwischen die Möglichkeit, ihre Server im Börsen-Rechenzentrum aufzustellen. Schneller als dort kommt man kaum ins Xetra-Handelssystem. Wenn die Börsendaten in Frankfurt bekannt gegeben werden, haben die Frankfurter Broker einen großen Vorteil. Aber auch London hat nach 6 Millisekunden die Daten; bis New York dauert es dagegen rund 30 Millisekunden. Durch die Bereitstellung von Handlungsmöglichkeiten und Finanzinformationen können Online-Broker im Internet jederzeit am Börsenhandel teilnehmen. Heute ist aus dem ehemals punktuellen und partikulären Kontakt mit der Börse eine kontinuierliche Börsenkommunikation geworden. Damit einhergehend hat sich der ökonomische Wert des Börsenberichts massiv geändert. Der abendliche Börsenbericht ist in der Regel bereits Börsengeschichte und kein Ereignis mehr, auf das die Börsianer reagieren. Denn durch den Einsatz der Computertechnologie müssen Transaktionen in zunehmend kürzeren Zeitabschnitten abgewickelt werden. Nach dem Motto »Je schneller der Computer, desto höher der Gewinn« hat sich heute ein Wettrüsten um die schnellsten Rechner, die effi zienteste Software und die schnellste Datenleitung entwickelt. Automatische Handlungssysteme wie das 1997 gegründete Handelssystem Xetra schließen die Börsengeschäfte eigenständig ab, wenn ein passendes Angebot auftaucht. Es müssen keine menschlichen Händler mehr reagieren, sondern Computer. Wenn Computer in der Lage sind, schneller als jeder Broker zu kaufen und zu verkaufen, dann verlieren sowohl der Präsenzhandel auf Zuruf (open outcry) als auch die Telefonnetzwerke an Bedeutung. (Abb. 11) Seither müssen alle führenden Börsen in ihre elektronischen Handelssysteme investieren. Auf der Basis von technischen Berechnungen, Handels-Mustern und Arbitrage-Modellen verfolgen Investmentbanken und Hedge-Funds auf der Basis computerunterstützter Rechner algorithmische Handelsstrategien und programmieren automatisierte Aufträge. Dabei versuchen Computer
68 | Das Wissen der Börse auf der Datenbasis mathematischer Modelle billige Wertpapiere zu sondieren. Wenn sie ein günstiges Angebot aufspüren, dann schlagen sie sofort zu und wickeln automatisch den Kauf oder Verkauf ab. Die wechselseitig sich bedingende Verflechtung von Computertechnologie, Internet und der Deregulierung der Finanzmärkte verdeutlicht den strukturellen Zusammenhang von Medienumbrüchen und globaler Ökonomie. Gesellschaften, die über leistungsstarke Betriebssysteme und Rechnernetze verfügen, erweitern damit ihre eigene Beobachtbarkeit. Systematische Evaluation und Feedbackschleifen schaffen eine komplexe Beobachtungssituation auf den Finanzmärkten, insofern Computertechnologie und algorithmischer Handel nicht nur Finanz- und Datenströme beobachten, sondern auch beobachten, dass sie beobachten und beobachten, was aus ihren Beobachtungen gemacht wird. Systematische Evaluation und Feedbackschleifen schaffen eine komplexe Beobachtungssituation auf den Finanzmärkten. Die fortschreitende Differenzierung im Bereich der Datenverarbeitung und Visualisierung des Finanzmarktwissens hat eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine Proliferation von Optionen, Derivaten und Präferenzen geschaffen. Der Sinn des Finanzmarktes besteht in seiner Veränderlichkeit und relativen Unvorhersehbarkeit. Die Schaffung von genereller Beobachtbarkeit durch Börsenteilnehmer oder Handelscomputer normalisiert zwangsläufig Kontingenzerfahrungen. Die Beweglichkeiten und Veränderbarkeiten von Datenund Finanzströmen haben einen scheinbar unendlichen Raum von Spielund Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen, der prozessual ausgerichtet ist.
Abbildung 11: »Warroom«, Online-Brokerage Medientheorien, die ihren Blick auf eine sich stets beschleunigende Proliferation der Medien, Daten und Formate richten, verweisen oft auf die technische Potenz der Computertechnologie, Wahrnehmungsschwellen zu unterlaufen oder Datenflüsse zu prozessieren, die von Menschen nicht mehr verarbeitet werden können (vgl. Kittler 1991: 205). Dabei wird immer wieder die utopische Grundannahme vertreten, dass der Computer als universale
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 69 diskrete Maschine wesentlich dazu beiträgt, den Menschen endgültig zu verabschieden. In diesem Argumentationszusammenhang wird »Foucaults These, dass der Mensch durch eine Verschiebung der Dispositionen des Wissens aus seiner Zentralposition, die er selbst wieder von Gott übernommen hat, herausrückt, recht umstandslos mit der Machtübernahme der Maschinen, also mit deren Einrücken auf die Zentralposition, zusammengedacht.« (Schröter 2000: 17) Die weitgehende Automatisierung und Deregulierung der Börsen und die globalen Informationssysteme der Finanzmärkte legen eine Auseinandersetzung mit der konstitutiven Rolle technologischer Medien nahe. Vor diesem Hintergrund darf es keinesfalls darum gehen, die traditionellen Mythen des technologischen Fortschritts zu reproduzieren und an die Stelle des verabschiedeten Humanismus eine neue Techno-Metaphysik zu setzen, um die Computertechnologie als technologisches Subjekt der Geschichte zu behaupten. Vielmehr sollte es darum gehen, die technisch-medialen Bedingungen und multifaktoriellen Möglichkeiten des Finanzmarktes aufzuzeigen, um die in seinem Zusammenhang entstehenden Medien, Technologien und Praktiken als ein »komplexes Netz aus unterschiedlichen Elementen« (Foucault 1994: 396) denken zu können.
I.8 O RDER STRÖME
IM
N ETZ
Algorithmischer Handel ermöglicht es, auf Basis vordefinierter, quantitativer Modelle Orders ohne menschliches Eingreifen an der Börse aufzugeben. Es ist der Versuch, den Menschen als Makler und damit als direkten Teilnehmer am Wertpapierhandel zu ersetzen. Der Algorithmus legt die distinkten Elemente und das Timing der Orders anhand vordefi nierter Parameter fest. Diese Parameter nutzen üblicherweise sowohl historische als auch aktuelle Marktdaten. Algorithmischer Handel wird von Brokern zum einen für den Eigenhandel verwendet, zum anderen aber auch den Kunden der Broker als Dienstleistung angeboten (Aufgrund der Komplexität und Ressourcenlage haben institutionelle Investoren einen gewissen Drang, auf Lösungen von Brokern zuzugreifen). Der Vorteil automatisierten Handels ist die hohe Geschwindigkeit, in der sie Geschäfte platzieren können, und die im Vergleich zum Menschen höhere Menge an relevanten Informationen, die sie beobachten und verarbeiten. Damit gehen auch geringere Transaktionskosten einher. Die Schwierigkeit beim algorithmischen Handel liegt in der Aggregation und Analyse historischer Marktdaten, dem Testen mathematischer Modelle und der Aggregation von Real-time-Kursen, um den Handel zu ermöglichen. Voraussetzung für algorithmischen Handel ist, dass bereits eine Order bzw. eine Handelsstrategie vorliegt. Hier geht es im Gegensatz zum automatischen Handel darum, eine Order intelligent auf verschiedenen Märkten zu verteilen. Denn elektronische Handelssysteme unterliegen immer bestimm-
70 | Das Wissen der Börse ten Einschränkungen. Sie werden etwa mitverantwortlich gemacht für den Crash am 19. Oktober 1987. So sollen ihre »Wenn-dann«-Algorithmen dafür gesorgt haben, dass immer mehr Aktienpakete abgestoßen wurden, nachdem die Kurse begonnen hatten, zu fallen – was letztlich zu panikartigen Verkäufen geführt habe. Im Gegensatz zur Computerbörse, bei der Computer nur als Kommunikationsplattform für die Verknüpfung von passenden Kauf- und Verkaufsangeboten dienen, platziert das System selbständig solche Angebote und sucht sich Handelspartner. Das mechanische Modell gehorcht den vorangehend festgesetzten Regeln bzw. Algorithmen, die eine oder mehrere Variablen enthalten können. Diese Parameter werden so lange verändert bis die zugrundeliegende Handelsregel unter möglichst vielen Marktbedingungen zu optimalen Ergebnissen führt. Algorithmisch operierende Handelssysteme sind nichts anderes als eine Kombination von Regeln, aufgrund derer automatische Kauf- und Verkaufssignale für eine Währung oder eine Aktie gegeben werden. Die Kauf- und Verkaufssignale werden vom Verhalten einer zugrundeliegenden Zeitreihe gesteuert, die in der Regel die Marktpreise abbildet. Die Signale werden laufend neu berechnet und folgen einem programmierten Algorithmus, der keinerlei Auslegungsspielraum mehr erlauben soll – egal, unter welchen Umständen der Marktpreis zustande kam. Im halbautomatischen Mediensetting bleibt das einzig subjektive Element der Nutzer, der die Signale befolgen muss. Mit der Einführung des algorithmischen Handels werden die Ordererfassung und die Vermittlung der Kauf- und Verkaufsaufträge automatisiert. In einem ersten Schritt unterstützen die Handelscomputer die Entscheidungsfindung; im zweiten Schritt generieren die entsprechend programmierten Computersysteme die Handelsentscheidung auf automatische Weise und leiteten diese an elektronische Börsen weiter. Die algorithmische Programmierung der Handelscomputer erhöht die Geschwindigkeit des Handels und die Umschlaghäufigkeit der gehandelten Daten und Informationen: »Auf algorithmischen Handel spezialisierte Banken können bei Bedarf über 100 Orders pro Sekunde generieren und diese unmittelbar an die Börse leiten. Eine Order braucht derzeit, je nach Ort und Börse, zwischen 5 und 150 Millisekunden, um vom Teilnehmersystem zur Börse gesendet und dort im Börsensystem verarbeitet zu werden. Der Takt des Handels wird also nicht mehr von der Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit des Menschen, sondern von der Leistungsfähigkeit der eingesetzten Computersysteme und – auf der Ebene der Latenzzeit zwischen Ordergenerierung und Verarbeitung im Börsensystem – letztlich von physikalischen Grenzgrößen bestimmt.« (Grzebeta 2007: 140) Der Rhythmus eines Handelstages hat sich mit der Automatisierung und Elektronisierung derart beschleunigt, dass ein Händler die aktuellen Informationen nicht in einer angemessenen Geschwindigkeit verarbeiten kann und die von der Maschine vorgegebene Zeitspanne nicht mehr bewältigen kann. Handelscomputer treten an die Stelle der Händler und generieren
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 71 sowohl die Kauf- als auch die Verkaufsentscheidungen automatisch. Mit der ständigen Ausweitung des digitalen Börsenhandels hat sich der Horizont der einzelnen Entscheidungen im automatisierten Handel verlagert: heute sind es die Maschinen, die nach Maßgabe einschlägiger Zahlenverhältnisse und Algorithmen untereinander handeln. Die Dynamik der technischen Beschleunigung mittels der Computerbörsen hat eine maschinelle Kontrolle der Orderströme etabliert, die den Prozessverlauf einer Order von der Eingabe bis zur Ausführung elektronisch protokolliert. Handelscomputer übernehmen den Status der primordialen Beobachtung und lösen die menschlichen Agenten als Instanz der Beobachtung ab. Damit einhergehend verändern sich die Temporalisierungen und die Zeitrelationen der Börse. Handelscomputer setzen die gültigen Vergleichsmaßstäbe zur Synchronisation der Börsenereignisse, indem sie – effi zienter als menschliche Agenten – die relevanten Opportunitäten kurzfristiger erkennen und zur Beschleunigung der Börsenzeit beitragen. Computer entscheiden nicht vor dem Hintergrund zeitstabiler Werte, sondern bestimmen ihre Optionen im Vollzug ihrer algorithmischen Programme. Die Optimierung von Handelssystemen mit genetischen Algorithmen stellt eine besondere Abweichung von den traditionellen Verfahren der Modellierung von Handelssystemen dar. Die genetischen Algorithmen folgen keiner determinierten Programmschrift, sondern verändern selbst die Handelsregeln. Dabei werden mehrere anfänglich voneinander unabhängige Regeln oder Indikatoren im Optimierungsverfahren getestet. Um ein Signal aus einer Regel ableiten zu können, muss jeweils eine bestimmte Bedingung erfüllt oder nicht erfüllt sein. Diese Ergebnisse werden als Boolean Daten dargestellt. Eine Kombination mehrerer Regeln wird als eine Kette von binären Zahlen (z.B. 10010) dargestellt. Letztere werden mit einer Kursdatenbank (z.B. Daten einer Währung) gefüttert. Die daraus resultierenden Kauf- und Verkaufsignale werden dann schließlich mit einer »Fitness-Funktion« ausgewertet. Zu Beginn einer Optimierung wird mittels Computer eine sog. Startpopulation zufällig erzeugt. Dieses Start Up besteht aus mehreren Ketten binärer Zahlen. Um nun zur veränderten (optimalen) Lösung zu gelangen, wird die Startpopulation, also die erste Generation von Regelkombinationen, den folgenden drei, aus der Biologie entlehnten, »genetischen Prozessen« unterworfen. Im Selektionsverfahren werden zunächst diejenigen Regelketten innerhalb der Population ermittelt, die zu den jeweils besten und schlechtesten Ergebnissen geführt haben. Die besten Ketten werden daraufhin kopiert und ersetzen die schlechtesten Regelkombinationen. Damit erhalten die besseren Regeln eine doppelt so hohe Chance, sich in späteren Generationen zu reproduzieren. Beim Kreuzungsprozess werden zwei Ketten zufällig ausgewählt und jeweils zertrennt. Aus den dabei entstehenden Einzelteilen werden dann – ebenfalls zufällig – völlig neuen Chromosomen gebildet, die dann einem er-
72 | Das Wissen der Börse neuten Selektionsprozess unterworfen werden. D.h., die bisherigen Kombinationen von Regeln oder Indikatoren werden in ihre Einzelteile zerlegt, neu miteinander verknüpft und einer abermaligen Optimierung unterworfen. Eine Kreuzungsprozess findet jedoch nicht in jeder Generation statt. Da jede Regelkombination modifiziert werden kann und somit einen neuen Beitrag zur Optimierung leistet, können mehrere Handelsregeln bzw. Indikatoren gleichzeitig miteinander kombiniert und untersucht werden, während bei den herkömmlichen Verfahren jeweils nur eine einzige Kombination verschiedener Regeln optimiert werden kann. Das elektronische Geld flackert als ausdehnungsloses Zeichen auf dem Computerbildschirm auf. Es ist eine ephemere Erscheinung wie Derridas Spur, die sich selbst nicht vergegenwärtigen kann, nie selbst in Erscheinung tritt und immer nur vage Andeutungen hinterlässt (Derrida 1983: 122-128). Für ihn zeigt sich in der Spur etwas, das im Augenblick des Spurenlesens nicht mehr wahrnehmbar ist. Demnach würde die monetäre Spur von einem uneinholbar Abwesenden zeugen. Mit dem Begriff der Spur wie ihn Derrida verwendet, kann die Unentscheidbarkeit des Sinns beim Versuch, Bedeutungen zu verstehen, beobachtet werden. In einer Vielzahl an Konstellationen unterlaufen Spuren eindeutige und entscheidbare Urteile, bleiben vielmehr unbestimmbar und mehrdeutig und transformieren evidenzstiftende Praktiken. In dieser Sichtweise kann die Frage nach der prozessualen Dimension der monetären Spur aufgeworfen werden: entstehen Spuren nicht erst im Akt des Lesens? Wenn die Spur der Spurensicherung nicht als bereits faktisch Gegebenes vorausgeht, sondern erst im Spurenlesen selbst aktiv hervorgebracht werden muss, dann müssen die Diskurse, Medien und Technologien, die ja maßgeblich die Wahrnehmung der Spur strukturieren, in das Nachdenken über die Spur – und das Spurenlesen – hereingenommen werden. In dieser Sichtweise würde die monetäre Spur immer auch auf das verweisen, was der Interpret in sie ›hineinliest‹ oder aus ihr ›herauszuholen‹ im Stande ist. Dieses Spiel des Auslegens und Deutens von Texten, Bildern und Zahlen, die sich auf dem Monitor in Sekundenbruchteilen verändern, ist selbst monetär und mit einer monetär vermittelten Entscheidungslogik (Kauf/Verkauf) verknüpft. (Abb. 12) Im spekulativen Wissen durchdringen sich die Kommunikation und das Geld wechselseitig. Das Entziffern der monetären Spuren, die ein Ereignis ankündigen und im nächsten Augenblick schon wieder verschwunden sein können, unterliegt also einem rigiden Temporalitätsregime. Kai von Eikels unterstreicht die Relevanz von Zeitlichkeitsordnungen an den Kreditmärkten: »Die moderne Bedeutung des Geldes ist aus dem Kredit erwachsen. Indem eine Bank oder eine Privatperson jemandem Kredit einräumt, gibt sie ihm Zeit, um etwas anzufangen. Die mit einer Geldsumme gegebene Zeit ist die der unternehmerischen Initiative, das heißt einer Form des Handelns, die sich vollends in die Frist eines Aufschubs einfügt und den Zeitdruck, unter dem sie steht, für eine neue Art von Produktivmachen nutzt.
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 73 Die Entschlossenheit zum Produzieren und die Entschlossenheit zur Steigerung der Produktion, diese entrepreneurial determination, ohne die der Kapitalismus mit seinem alternativenlosen Bekenntnis zum Wachstum nicht denkbar wäre, entspricht der Zeitbindung des Geldes im Kredit. Der Kredit verkörpert den Glauben dieses Kapitalismus an sich selbst, den Glauben daran, dass das Schaffen von Möglichkeiten ein unendlich fortzusetzender und unendlich differenzierbarer Prozess ist, der zu seiner Absicherung nichts weiter als einer Verfahrensreglementierung hinsichtlich der Zumessung von Mitteln, einer gewissen Reserve des im Realen zurückbehaltenen Möglichen bedarf.« (Eikels 2004: 4)
Abbildung 12: Forex Live Trading Chat Room, www.tradinghouse.net Die Börse kann als eine moderne ökonomische Beobachtungsanordnung verstanden werden, in welcher die Übergänge zwischen Regel und Zufall fließend sind. Wenn die zeitliche Dimension – die Fluktuation, die Dynamik – der Börse akzentuiert wird, dann kann es die Ordnung am Finanzmarkt nur noch als vorübergehende Zustandsbeschreibung geben, die von einer kontinuierlichen Beweglichkeit gekennzeichnet ist. Geht man also von einer konstitutiven Unbestimmtheit der Spur aus, dann muss die Entzifferung der monetären Spur selbst als ein unabschließbarer Prozess erscheinen. Eine methodische Erweiterung dieser Grundannahme kann somit auf das Vieldeutige und das arbiträr Zeichenhafte der Spurensicherung abzielen. In Anlehnung an Derridas Theorie der Spur kann versucht werden, das Objektivitätspostulat des wissenschaftlichen Finanzmarktwissens zurückzuweisen, um davon ausgehend die Frage nach der Poetologie, der Kunst oder der Ästhetik des Monetären in den Vordergrund zu rücken (vgl. Vogl 1999). Die Daten- und Geldströme sind aber nicht gänzlich formlos, sondern sind in der Regel als fließende Formen funktional organisiert und von daher mit der von Gilles Deleuze in »Kontrolle und Werden« beschriebenen Herrschaftsform der Kontrollgesellschaft durchaus vereinbar (1990: 243-253). So
74 | Das Wissen der Börse gibt es auf den globalen Finanzmärkten zwar keine zentralen Erzählungen und Sinngebungsinstanzen mehr, aber an ihrer Stelle eine vernetzte Wissensproduktion mutierender Sozietäten, die ihre eigenen, für sie nützlichen Daten verarbeiten und taktisch ausdifferenzierte Archive anlegen, die erneut horizontal vernetzt werden können. Damit wird ersichtlich, dass die digitalen Kommunikationsmedien dem Finanzmarkt nicht äußerlich sein können, sondern seinen integralen Bestandteil bilden. Infolgedessen sind die Informations- und Kommunikationstechnologien kein instrumentelltechnizistischer Appendix des Marktes, sondern sie konstituieren Tauschverhältnisse, sie regulieren kommunikative Praktiken und sie ordnen Transmissionen, Interferenzen und Wechselbeziehungen.
I.9 D IE D EREGULIERUNG
DER
B ÖR SE
Deregulierung, Derivatisierung und die Automatisierung der Finanzmärkte bilden ein wechselwirksames Bezugsverhältnis. Bis tief in der 1960er Jahre haben sich die Kriegs- und Krisenzeiten auf die Wirtschaftsordnung ausgewirkt. Die internationale Börsenlandschaft dominierte ein kooperativer Kapitalismus, der darauf abzielte, staatliche Wirtschaftsplanung, Marktwirtschaft und korporatistische Ordnungselemente auf einen national orientierten Nenner zu bringen. Die amerikanische Auf kündigung des Abkommens von Bretton-Wood und die damit einhergehende Auflösung der fi xen Devisenkurse läutete 1971 aus wirtschaftlicher Sicht das Ende der stabilen Nachkriegsordnung ein. 1971 ordnete die US-amerikanische Börsenkommission, die Securities Exchange Commission (SEC), das Ende fester Gebühren an, und 1975 wurden die Gebühren gänzlich abgeschaff t. Gleichzeitig führte man den elektronischen Handel ein. Die Elektronisierung des Handels erzeugte auch für die klassischen Börsen einen medialen Anpassungsdruck. Daher musste die NYSE ihre Regeln überdenken, sie übernahm elektronische Handelshilfen und gewann ihre früher dominante Stellung sukzessive zurück. Diese Veränderungen erhöhten den Druck auf die Wertpapiermärkte kontinentaleuropäischen Börsen, ähnliche Reformen durchzuführen; schließlich wollte man verhindern, dass anlagesuchendes Kapital zunehmend nach New York und London abwanderte. Im Jahre 1975 folgte an den US-Börsen ein weiterer entscheidender Deregulierungsschritt: die Aufhebung der fi xen Börsenkommissionen (Courtagen). Die schwankenden Wechselkurse schufen für die Wirtschaft neue Risiken und als Folge davon den Bedarf nach entsprechenden Absicherungsmöglichkeiten. Die Antwort darauf waren die Finanzderivate: die Übertragung einer lange bewährten Absicherungstechnik von den Rohwarenmärkten auf den Finanzbereich. Von den Devisenmärkten wurde die Technik bald auf die Wertpapiermärkte übertragen. 1973 entstand mit der Chicago Board Options Exchange die erste Börse, die ausschließlich Finanzderivate handelte. Vor diesem wirtschaftspolitischen Hintergrund erlebt die Automatisie-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 75 rung des Börsenhandels bis in die jüngste Gegenwart einen beispiellosen Aufschwung. Die Automatisierung der Börse bezeichnet im Allgemeinen die elektronische Unterstützung der Marktorganisation: »Erstens sind in diesem Zusammenhang elektronische Handelssysteme zu nennen, die an der Auftragserfassung, der Auftragsweiterleitung, der Preisbildung und dem Geschäftsabschluss anknüpfen können. Des weiteren können elektronisch gestützte Geschäftsabwicklungssysteme geschaffen werden, durch die Abrechnung, Lieferung und Erfüllung stattfinden. Einen dritten Bereich stellen die Marktinformationssysteme dar; hier erfolgt eine Automatisierung über Kursentwicklungen, Handelsvolumina, bestimmte Titel und Branchen sowie den Gesamtmarkt. Darüber hinaus kann eine elektronische Unterstützung im Rahmen von dem Anlegerschutz dienenden Marktüberwachungssystemen erfolgen, durch die die Kurs- und Umsatzbewegungen an der Börse beobachtet werden. Nicht zuletzt spielt die Automatisierung einen entscheidende Rolle bei der Errichtung von Verbindungssystemen zwischen unterschiedlichen, voneinander getrennten Börsenplätzen.« (Matschke/Olbrich 2000: 173) Zunächst wurden vor allem einzelne Teilbereiche der Wertschöpfungskette – insbesondere die Abwicklung von Finanzmarkttransaktionen – standardisiert und automatisiert. Als eine »Wertschöpfungskette« bezeichnet die Theorie des Wertpapierhandels die Gesamtheit der Handelsprozesse von der Erfassung der Aufträge über die Zusammenführung bis hin zu den Transaktionen, der Kursbildung, der Abschlussbestätigung, der Lieferung und Bezahlung. Zur Wertschöpfung in einem weiteren Sinne gehören auch die Finanzanalyse und die Entwicklung von Finanztechnologien. Mit dem Instinet wurde im Jahr 1969 in den USA bereits ein elektronisches Handelssystem in Betrieb genommen. Die eigentliche Automatisierung des Börsenhandels setzte erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein. Am Toronto Stock Exchange ging 1977 mit dem Computer Assisted Trading System (CATS) das erste automatisierte Börsensystem in Betrieb – wenn auch noch für lange Zeit in einem sehr beschränkten Ausmaß. In den 70er-Jahren entwickelten sich drei Einflussfaktoren, welche auf Jahre hinaus und auch heute noch die Entwicklungen an den Finanzmärkten ganz wesentlich prägen: Deregulierung, Derivatisierung und Automatisierung. Die fortschreitende Digitalisierung der Märkte auf der Grundlage der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien hat in der Folge das Volumen und die Geschwindigkeit der Finanztransaktionen beträchtlich gesteigert und hat – gemeinsam mit Deregulierungsschüben – maßgeblich zur Globalisierung der Kapital- und Finanzströme beigetragen. Es entstand ein weltweiter Markt für Derivate und andere Finanzprodukte mit spekulativer Ausrichtung. Neben den klassischen Produkten der Spekulation, wie Aktien, Devisen oder Anleihen, hat sich der Handel mit derivativen Finanzinstrumenten in den 1970er Jahren global ausgeweitet, als erstmals die finanzwissenschaftlichen Voraussetzungen gegeben waren, die Preise für derivative Finanzinstrumente berechnen zu können. Aufgrund
76 | Das Wissen der Börse der global vernetzten Kommunikation überlagerte sich die Entwicklung der technologischen Infrastruktur für weltweite Finanztransaktionen mit den Deregulierungsmaßnahmen des Börsenhandels und brachte neue Derivate (Futures, Optionen, Swaps etc.) hervor, die das Volumen der globalen Finanzströme drastisch ansteigen ließen (Castells 2001: 109). Der Name »derivativ« (lateinisch von derivare, »ableiten«) deutet bereits darauf hin, dass der Kurs bzw. Wert von Finanzderivaten grundsätzlich von der Wertentwicklung eines zugrunde liegenden, bereits etablierten Marktgegenstandes (underlying asset) abhängt (contingent claims). Derivate sind abgeleitete Wertpapiere, deren Auszahlung vom Preisverlauf eines zugrunde liegenden Guts wie einer Aktie oder einer Zinsrate abhängt. Damit ist gemeint, dass der Preis oder der Kurs dieser Instrumente von einem ihnen zugrunde liegenden Marktgegenstand abhängt. Derivat ist ein Oberbegriff für Finanzprodukte, die aus anderen Produkten abgeleitet sind. Einen ersten Eindruck von der Weitflächigkeit der Erscheinungsformen derivativer Finanzinstrumente vermittelt die folgende Auflistung allein der bedeutendsten Derivate (core derivatives): derivative Finanzmarktinstrumente umfassen Vertragsformen wie etwa Futures (Terminkontraktgeschäfte), Forwards (die klassischen Termingeschäfte), Optionen und Swaps sowie Caps, Floors, Collars und Swaptions. Derivate sind das am schnellsten wachsende und sich verändernde Segment des modernen Finanzmarktes. In den letzten drei Jahrzehnten ist an den internationalen Finanzmärkten eine unüberschaubare Vielfalt von neuartigen Finanzkonstrukten entstanden, die nur mittels fortgeschrittener Mathematik verstanden werden können. Finanzderivate weiten die Wertpapier-, Devisen- und Kreditmärkte aus und führen zu ihrer beschleunigten Integration in den Weltmarkt. Die Fachliteratur spricht u.a. von einem entfesselten disembedding der Geld- und Finanzkapitalströme, d.h. ihrer Freisetzung aus den Regulierungskontexten nationalstaatlicher oder internationaler Regulierungssysteme (Altvater/Mahnkopf 2004). Heute ist das System der Derivate selbst zu einem systemischen Stabilitätsrisiko für das internationale Finanzsystem geworden. Die weltweite Börsenkapitalisierung hat sich in den 1990er-Jahren beinahe verdoppelt. (Rajan/Zingales 2003: 17) Aus den Daten der Weltbank geht hervor, dass im Jahr 1999 (1990: 61 Prozent) der Marktpreis aller an den Börsen gehandelten Aktien in den etablierten Demokratien der OECD-Länder um durchschnittlich 123 Prozent anstieg. (Quelle: www.worldbank.org) Im jüngsten Erhebungszeitraum des Jahres 2008 bewegten sich täglich rund eineinhalb Billionen Dollar durch die Devisenmärkte ( foreign exchange) und nur ein kleiner Teil davon knüpfte sich direkt an Investitionen und Handel. Im 19. Jahrhundert wurde der Terminhandel mit der Gründung des Chicago Board of Trade (CBOT) salonfähig. Diese Termingeschäfte konnten in großen Volumen abgewickelt werden, weil es einheitliche Standards der gehandelten Waren gab. Diese standardisierten Termingeschäfte nennt man Futures. Während das Wachstum von Terminkontrakten im 19. Jahrhundert
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 77 dort stattfand, wo sich der Kassamarkt für den Rohstoff befand, zeigte sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges ein anderes Bild. Weil der Welthandel nach 1945 rasch expandierte, stieg das Bedürfnis nach Absicherung markant. An der Chicago Mercantile Exchange (CME) führte man seit 1964 die ersten Futures auf lebende Produkte (Rinder) ein. Den Börsen in Chicago gelang es, zwei neue Produkte zu entwickeln: die Futurefonds und die Aktienoptionen.14 Insbesondere die Erfindung der Futurefonds ist eng mit dem Zusammenbruch des Systems der fi xen Wechselkurse verknüpft. Mit der Aufkündigung des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse 1973 begann der moderne Derivatehandel. Durch die frei schwebenden Wechselkurse entstanden neue Risiken. Daraus resultierte ein neuer Bedarf nach Absicherung durch derivative Instrumente. Gleichzeitig aber wuchs das Spekulationspotenzial. Bereits ein Jahr später wurde der Handel mit Währungsfutures an der Chicago Mercantile Exchange (CME) eröff net.15 Mit der im Jahr 1973 neu eröffneten Optionenbörse, der Chicago Board Options Exchange (CBOE), festigte Chicago sein Image als Weltzentrum des Derivathandels und blieb mit seinen drei Derivatbörsen bis Ende der 1990er Jahre das Maß aller Dinge. In Europa wurde die erste Derivatebörse erst 1978 in Amsterdam (EOE) gegründet; in Deutschland eröff nete 1990 die Deutsche Termin Börse (DTB) den Derivathandel. Die erste vollständig automatisierte Options- und Futures-Börse nahm 1988 in der Schweiz mit der SOFFEX ihren Betrieb auf. Die SOFFEX automatisierte den Börsenhandel von der Auftragserfassung bei den Banken bis zur Transaktion an der Börse. Die Fusion der DTB und der SOFFEX zur Eurex schuf die weltweit größte Options- und Futures-Börse, die Rivalen LIFFE überholte. Das Prinzip der Derivate lässt sich mit einem konkreten Beispiel erklären. Ein Vergnügungspark in Japan möchte den fi nanziellen Schaden, der ihm eventuell durch eine Naturkatastrophe (Erdbeben, Taifun) entsteht, kompensieren. Der Vergnügungspark bringt Kapital in eine Zweckgesellschaft (special purpose vehicle) ein.16 Als Entschädigung hierfür erhält er, sofern keine vorher definierte Naturkatastrophe eintritt, die Zinsen, welche die Zweckgesellschaft durch die Kapitalanlage erwirtschaftet. Nach Ende der Laufzeit erhält der Vergnügungspark, für den Fall, dass die defi nierte Naturkatastrophe nicht eintritt, sein Kapital zurück. Ein Derivat ist in diesem Fall ein Papier, das durch unsichtbare Fäden mit einer Katastrophe verknüpft ist: tritt diese ein, wird automatisch die Auszahlung ausgelöst. Der Derivatehandel an der Börse führt also Akteure zusammen, die gegenläufi ge Risiken besitzen. Risiko-Anleger, die einen Katastrophen-Bond zur Absicherung gegen Nordatlantik-Hurrikane halten, werden unruhig, wenn der Luftdruck in den kritischen Zonen in die Nähe jener Auslöser-Werte (Trigger) sinkt, ab denen der Sturm als Katastrophe gilt. Je nach Luftdruck sind möglicherweise 25 Prozent, 50 Prozent oder das ganze Geld verloren. Der Vorteil für den Emittenten liegt in der Weitergabe des Katastrophenrisikos an den Kapitalmarkt, was unter Umständen günstiger sein kann als die traditionelle Absicherung
78 | Das Wissen der Börse von derartigen Risiken über Versicherungen bzw. Rückversicherungen. Die Emittenten wollen sich gegen eventuelle Schäden absichern, die anderen übernehmen hingegen einen Teil des Risikos, weil sie damit auf schnellen Gewinn hoffen, wenn die Katastrophe nicht eintritt. Ein Katastrophen-Bond galt zur Absicherung gegen Hurrikane in Florida am 10. September 1999 im Markt rund 100 Prozent des Nennwertes. Plötzlich lag der Hurrikan »Floyd« 1200 Kilometer vor der Küste und näherte sich Miami. Der Marktwert des Katastrophen-Bonds fiel bis am 13. September, als der Hurrikan 500 Kilometer entfernt war, auf 80 Prozent. Dann drehte jedoch der Sturm 200 Kilometer vor der Küste wieder ab und ein paar Stunden darauf lag der Kurs wieder bei 100 Prozent. Eine kalifornische Versicherung vergibt etwa »Hagel-Bonds«, die sich nur dann auszahlen, wenn in einer genau definierten Region in einem bestimmten Zeitraum kein Hagel fällt. Hier gibt es Derivate, die nur dann gewinnbringend sind, wenn auf dem Flughafengelände vom Herbst bis zum Frühjahr zwischen 43 und 69 Zentimeter Regen fällt. Die Grundidee der Derivate ist es in diesem Zusammenhang, die Risiken auf viele Akteure zu verteilen. Bei hohen Schadenssummen spannt ein Versicherungsunternehmen ein vielstufiges Netz von Rückversicherungen, um sich selbst abzusichern. Unternehmen, Regierungen und Kommunen versuchen ihre finanziellen Risiken mit der Übertragung von Rückversicherungen auf den Finanzmarkt abzusichern. Sich auf dem Finanzmarkt gegen Risiken abzusichern, ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Optionen, Futures und Swaps, wie die neuen Finanzprodukte heißen, werden nicht nur für Währungen benutzt, sondern auch bei Aktien und anderen Finanzprodukten. An diesen Punkt kommt die Finanzmathematik ins Spiel, um den angemessenen Preis der Derivate zu berechnen. Dazu benötigt man Informationen darüber, wie oft die bezifferten Naturereignisse zu erwarten sind. Banken und Brokerfirmen beauftragen in der Folge Mathematiker mit der Darstellung und Analyse der Wahrscheinlichkeitsverteilungen aus den vorhandenen Daten. Aus den untersuchten Daten und Informationen sollen schließlich mit Hilfe wahrscheinlichkeitstheoretischer Algorithmen und Formeln ›faire Preise‹ für die Derivate ermitteln werden. In ihrem Essay »Mehr Geld« beschreiben Stefan und Ralph Heidenreich das Finanzmarktverfahren der Securization, das ist die finanztechnische Prozedur zur Absicherung (Verbriefung) von Kreditpositionen, um deren Handelbarkeit herzustellen: »Die Securization hat sich zu einem allgemeinen Geschäftsmodell entwickelt, dem keine Bank aus dem Weg gehen konnte, wollte sie nicht in der Rendite weit hinter den Konkurrenten zurück bleiben.« (Heidenreich/Heidenreich 2008: 133) Für die Entstehung der Securization machen sie in allgemeiner Hinsicht die seit Mitte der 1980er Jahre massiv einsetzende Deregulierung der Finanzmärkte verantwortlich, die den globalen Zahlungsverkehr vereinfachte und den Gestaltungsspielraum für die Banken erweiterte. »Dann ein Berechnungsmodell für die Bewer-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 79 tung von Derivaten. Und schließlich eine Reihe so genannter Finanzinnovationen und damit den entstehenden riesigen Markt an Futures, Optionen und Swaps.« (Ebd.) Die Securization verringert aber nur vordergründig Kreditrisiken in Gläubiger-Schuldner-Beziehungen und produziert vielmehr in einem gigantischen Ausmaß neue Kreditpakete, Kreditpyramiden und Kreditsysteme: »Mit den Credit Default Swaps ist in einer dieser Ausfaltungen das Kreditgeld bei sich selbst angekommen. Versicherungen gegen Kreditausfall falten den Kern der Geldschöpfung reflexiv auf sich selbst zurück. Kredit und Derivate verschmelzen, indem Derivate Nichtzahlung von Krediten ›versichern‹. Umso obskurer, dass dabei Kredite in weit höherem nominellen Wert versichert wurden, als tatsächlich vergeben wurden. Also sichern die überzähligen Swaps gegen die Rückzahlung nicht in Anspruch genommener Kredite. Die doppelte Negation des Geldes hat ein Ersatzgeld auf einer neuen Stufe hervorgebracht, auch wenn ihm wohl keine Dauer beschert sein wird.« (Heidenreich/Heidenreich 2008: 133) Der Terminus der Absicherung (Securization) suggeriert, dass die derivativen Finanzinstrumente letztlich doch einen ›realen Kern‹ haben, dass sie durch endlose Schuldverschiebungen hindurch einen tatsächlichen Schuldner treffen würden, der endlich die wahren Schulden begleichen kann. Doch der Begriff der Absicherung ist ein Euphemismus und die Papiere zur Absicherung des Ausfallrisikos von Krediten (Credit Default Swaps und ähnliche, in ihrer mathematischen Komplexität kaum mehr durchschaubare Instrumente) beziehen sich nicht mehr auf realwirtschaftliche Werte, sondern auf Erwartungen – letztlich Imaginationen, die auf entscheidende Weise zur Stabilität oder Instabilität der Märkte beitragen: »Das Geld zieht das Kalkül ins Unendliche oder ins Unkalkulierbare, zum Abgrund einer Spekulation, die nicht mehr strikt zur Börse gehört oder in den Institutionen der ökonomischen Transaktion enthalten ist.« (Derrida 1999: 14) Die Erwartung, dass man mit Spekulation endlos Geld zu vermehren vermag, beruht nicht notwendig und ausschließlich auf mathematischer Kalkulation, sondern auf bestimmten Imaginationen: »Als imaginär kann diese Vorstellung deswegen bezeichnet werden, weil sie sich der Möglichkeit subjektiven Erlebens entzieht und stattdessen eine Abstraktionsleistung des Erlebenden voraussetzt. Gerade dieser Unerfahrenheit und daher auch erfahrungsmäßigen Unwiderlegbarkeit der Imagination des Finanzmarktes ist aber eine kulturelle Strukturierungskraft inhärent, die Handeln am Finanzmarkt wenn nicht direkt orientiert, so aber rationalisiert und legitimiert. Die Imagination des Finanzmarktes ist somit eine ›enabling fiction‹, die zur kulturellen Institutionalisierung und Legitimierung des Finanzkapitalismus entscheidend beiträgt.« (Langenohl 2007a: 2) Die Mikropraktiken des Finanzmarktes basieren nicht ausschließlich auf dem Handel mit abstrakten Symbolen und monetären Zeichen, sondern
80 | Das Wissen der Börse rekurrieren immer auch auf die kulturelle Einbettung der beteiligten Akteure in historisch bedingte und sozial differenzierte Lektüre-, Schreib-, Erzähl- und Wahrnehmungspraktiken, die Aktienindizes mit Populärkultur oder Chartanalysen mit Marktontologien überlagern. Technische Analyse, algorithmischer Handel, finanzmathematische Berechnungsverfahren, rechnergestützte Datenverarbeitung sind brüchige und instabile Autoritäten, die in einer Vielzahl taktischer Möglichkeiten unterwandert werden können. Die Grundannahme, dass kulturelle Praktiken immer vieldeutig und veränderlich sind und ihre theoretische Reflexion immer auch ein aktiver Konstruktionsprozess ist, kann als Ausgangspunkt für die Thematisierung kultureller Praktiken und ihrer Bedeutungen genommen werden, vereinfachende oder vereinheitlichende Interpretationen von Kultur zu vermeiden. Daraus kann gefolgert werden, dass kulturelle Formationen von den sich im veränderlichen Feld von Beziehungen verortenden Praktiken immer wieder aufs Neue transformiert werden: »Wie die ökonomische Spekulation im allgemeinen bleibt der Akt der Börsennotierung ein Akt des Chiff rierens, der Information, der Kommunikation und der Informatik, aber auch eine Schrift und eine Rede, in der das Medium nicht gänzlich formalisiert ist.« (Derrida 1999: 11) Eine nichtstatische/temporalisierte Konzeption des Finanzmarkthandelns muss folglich einer teleologischen Indoktrination der Medienkanäle aus dem Weg gehen; vermag aber im Umkehrschluss die Perspektive der Medientechnologien zu verändern, die dementsprechend permanenten Aneignungsprozessen unterworfen sind. Kulturelle Praktiken haben eine größere Reichweite als das in Medien investierte technische Wissen der Finanzingenieure, die nur einen kleinen, wenn auch unverzichtbaren Teil der Handelsaktivitäten planen und kontrollieren können. Andererseits muss auch eingeräumt werden, dass die Autorität des rechnergestützten Handels von der Bereitschaft der Marktteilnehmer abhängt, die elektronische Wissenserfassung und -repräsentation als neutral, evident und selbsterklärend anzuerkennen. Einer solchen Akzeptanz können in der Forschung kulturell akzeptierte Lese- und Schreibgewohnheiten zu Grunde gelegt werden (z.B. Buchhaltung, Prüfungs- und Testverfahren). Die technischen Medien der Börsenkommunikation versuchen die Gouvernementalität der Finanzströme zu gewährleisten und etablieren Kontrollraster innerhalb der Konversationsinteraktionen von Händlern und Verkäufern; ihre auf den Handelsbildschirmen ausgetauschten »Messages werden automatisch gespeichert und ausgedruckt und diese haben Nachweisfunktion bei gelegentlichen Nachfragen oder Unklarheiten« (Knorr-Cetina/Brugger 2002: 11). In diesem Feld der fortwährenden Differenzierungen und Transformationen fungieren die Medien der Börsenkommunikation nicht nur zur technisch-neutralen Übertragung und Beschleunigung digitaler Informationscluster, sondern bilden flüchtige Aggregatzustände, die auch kulturellen Sinn prozessieren: »War es nicht die unter dem zweiten Bush hegemonial gewordene neo-
I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 81 liberale Interpretation des amerikanischen Traums, die, im Verbund mit betont christlichen Werten und dem beschleunigten Zerfall der Innenstädte, diesen Menschen kaum eine andere Wahl ließ, als sich um jeden Preis die Last eines Eigenheims auf ihre schmalen Schultern zu laden? Wiederum ungedeckte Erwartungen auf künftigen Wohlstand also.« (Sarasin 2008: 16) Die soziokulturelle Performativität der Medien und Technologien des Finanzmarktes, die nicht an sich, sondern immer nur für sich, d.h. in konkreten alltäglichen, sozialen Zusammenhängen existieren, kann also die Schlussfolgerung nahe legen, dass Medientechnologien der Finanzmärkte in diesem Sinne kein geschlossenes System abbilden, sondern immer auch die Möglichkeit von Abweichungen, Fehlleitungen, Irritationen und Umbrüchen beinhalten.
II. Technologien der Finanzmärkte
Die Geschichte der Kommunikationsmedien zeigt, dass sich die Börse seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem tiefgreifenden medialen Umbruch befindet. Der Börsenticker (1867), das Telefon (1878), das elektronische Display (1923), der Fernschreiber in den 1940er Jahren und das computerunterstützte Aufzeichnungs- und Speichersystem der frühen 1960er Jahre haben die räumliche Repräsentationsordnung der Börse in ein temporal organisiertes Kommunikationsnetz transformiert (vgl. Cortada 2006: 151-188; Evans/Wurster 2000; Bruchey 1991). Im Zeitraum von 1867 bis in die frühen 1960er Jahre hat etwa die New Yorker Stock Exchange eine Serie maßgeblicher Technologien zur Aufzeichnung, Verwaltung, Archivierung und Übermittlung von Börsendaten eingeführt. (Preda 2007: 31; vgl. auch Eames 1984) Diese Wissensmedien produzieren gemeinsam mit den Übertragungsmedien – von der Telegrafie bis zum Internet – immer auch neue Formationen ökonomischen Wissens. Garbade und Silver haben in ihrem vielbeachteten Aufsatz »Technology, Communication and the Performance of Financial Markets« (1978) die Bedeutung von Medienumbrüchen für die Preisbildung an Parallelmärkten im Zeitraum von 1840 bis 1975 untersucht. Als Medienumbrüche kennzeichnen sie die Einführung des Telegraphen um das Jahr 1840, die transatlantische Kabelverbindung im Jahr 1866 sowie den einheitlichen Stockticker der New Yorker Stock Exchange und der amerikanischen Regionalbörsen im Jahr 1975. Trotz ihrer unterschiedlichen Ausprägungen ermöglichen die Umbrüche der technischen Medien differenziertere Transaktionen in kürzeren Zeitabschnitten. Die technologievermittelte Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Börsendaten und -informationen wurde in öffentlichen Debatten häufig als ein Indikator für die ›Demokratisierung‹ der Spekulation interpretiert und hat in jedem Fall maßgeblich zur Popularisierung der Börse beigetragen. Ohne ein neues technisches Subjekt der Geschichte herauf beschwören zu wollen, geht es im Folgenden aber weniger darum, die Konstruktionsregeln der Medienberichterstattung, sondern
84 | Das Wissen der Börse vielmehr die konstitutive Rolle der technischen Medien auf den globalen Finanzmärkten nachvollziehbar zu machen. Wie können also die an der Herstellung des Finanzmarktwissens beteiligten Medien in ihrer sozialen und kulturellen Kontextabhängigkeit sichtbar gemacht werden, welche die ›unsichtbare Hand‹ des Marktes eigentlich sorgfältig verbergen sollte? Es ist aber weniger die chronologische Geschichte der technischen Innovationen, welche die Medienumbrüche auf den Finanzmärkten erklären kann. Denn die neuen Medien sind immer auch schon in den Verfahren, Prozeduren und Strukturen enthalten, die ihnen vorausgehen und die sie schließlich voraussetzen – ohne sie damit auch schon kausal zu determinieren. Bekanntlich wurden Märkte bereits vor der Elektronisierung der Börsenkommunikation in den 1960er Jahren durch Informations- und Kommunikationstechnologien konstituiert. (Cortada 1993) So sind etwa die ersten Vernetzungen des Alternative Trading System (ATS) im Jahr 1969 (AutEx, Xerox; Instinet, Institutional Networks) ohne die vorherigen Nachrichtentechnologien Ticker, Telegraf und Telefon, die den Fernzugriff auf den Börsenmarkt schon lange vorher ausgeführt haben, nicht denkbar. Insofern folgen die Finanzmärkte und die Börse als Institution des Finanzmarktwissens einem technologischen Trend der Vernetzung, der sich im 19. Jahrhundert mit der Nutzung der Elektrizitätstechnik allmählich herausbildete und veränderliche Wissensformen, kulturelle Hybridisierungen, multimediale Anordnungen und symbolische Verarbeitungsweisen hervorgebracht hat. (Calomiris 2002: 285-313) Eine breite Durchsetzung von Finanzmarkttechnologien ist immer auch abhängig von Institutionen, die einen aktiven Faktor im strategischen Spiel einer Definitionsmacht bilden. (Book 2001: 1-4) So hat die für die Kontrolle des Wertpapierhandels in den Vereinigten Staaten zuständige United States Securities and Exchange Commission (SEC) Anfang der 1960er Jahre die Forschung und Entwicklung im Bereich der rechnergestützten Verwaltungsmodernisierung maßgeblich unterstützt: »Beyond this data-supplying function, a system of continuous classification and identification would serve as a basis for whatever degree of further regularization and regulation of over-the-counter markets may seem warranted, now or in the future, in what should be a continuing effort to improve and strengthen such markets generally.« (SEC 1963: 670) Mit dieser Konvergenz von Telekommunikation, Computertechnologie und Datenverarbeitung einhergehend formieren sich neue Instrumente und kategoriale Apparaturen zur Marktbeobachtung und Kalkulation von Entscheidungswissen: Kurven, Graphen, Charts, Indizes, Bilanzen und Statistiken ermöglichen neue Ordnungen der Wissensrepräsentation. Die Medialität der Börse liegt in den Apparaturen der Datenspeicherung (Tickertape, Lochkarte, Computer) begründet, die als Mittler von Signalen den Tradern meist konstitutiv verborgen bleiben. Die Börse verändert sich auch als Institution und bewegt sich von einer Medienkultur, die das Speichern privilegiert, zu einer Medienkultur der permanenten Übertragung und Vernetzung. Die neuen Technologien generieren neue Praktiken des
II. Technologien der Finanzmärkte | 85 Finanzmarktes und haben einen maßgeblichen Einfluss bei der Entstehung neuer sozialer Gruppen (vgl. zur Transformation sozialer Praktiken durch Finanzmarkttechnologien Shapiro/Varian 1999). So hat etwa der Ticker drei Gruppen von Akteuren hervorgebracht: offi zielle Broker, Ingenieure und Hersteller von Telegrafen (vgl. Preda 2006: 753-782). Mit der in den 1980er Jahren beginnenden Börsenderegulierung und der sich in den 1990er Jahren beschleunigten Verankerung der Börse im neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wurde das Medienpublikum in der Rolle einer potenziellen Anlegerschaft adressiert. In dieser Phase, die in der Literatur als eine allgemein positive Entwicklung an der Börse bezeichnet (»Hausse«) wird, hat sich eine Börsialisierung der Mediendiskurse durchsetzen können. Vor diesem Hintergrund konnten sich in der Medienberichterstattung Börsenakteure als soziale Leitbilder etablieren und die Medien verstärkten die berufsoptimistische Vertrauensrhetorik der Börsenakteure an ein anonymes Laienpublikum, das nicht auf die physische Anwesenheit in den clubähnlich geregelten Börsenorganisationen angewiesen war. Heute zirkuliert das Finanzmarktwissen nicht mehr ausschließlich in den elitären Clubräumen der Börsenräume, sondern hat sich in den Onlineforen epistemischer Communities vervielfältigt und verstreut. (Lightman/Rojas 2002) Damit einhergehend müssen sich die Akteure der Finanzmärkte mit einer neuen Transitivität des Wissens auseinandersetzen (vgl. Kap. III.1). Im engeren Sinn stehen die Binnengeschäfte der Börse für die Kapitalgenerierung und die Steuerung von Kapitalflüssen. In ihrem Inneren überlagern sich Finanz- und Informationsströme: tagtäglich zirkulieren marktrelevante Daten, Informationen und Wissen über Verbreitungsmedien. Die idealtypische Entkopplungsthese der Finanzmärkte interpretiert die Übertragungsmedien und die durch diese ermöglichte Transitivität von Daten und Informationen aber bloß als ein Schmiermittel der Preisbildung. Diese Annahme legt nahe, dass Medien primär als einseitige Informationskanäle fungieren würden und blendet aber die Tatsache aus, dass Mediendiskurse auch die Erwartungen der Marktteilnehmer und damit auch die Märkte beeinflussen. In der medialen Öffentlichkeit dient die Außendarstellung der Börse zur ökonomischen Selbstvergewisserung: sie firmiert als ein Spiegel der allgemeinen Wirtschaftslage und ist ein privilegierter Ort ökonomischer Sinnstiftung. In diesem Sinn ist sie Gegenstand populärer Aufmerksamkeit und popularisierender Diskurse, die ihr bestimmte Außenwirkungen – etwa als ein Gradmesser der konjunkturellen Entwicklung der Wirtschaft und der sozialen Wohlfahrt – zuschreiben. (Stäheli 2007) Mit der gesellschaftlichen Institutionalisierung der Börse rückt sie als Medium des Wirtschaftssystems in das Blickfeld popularisierender Diskurse. Im Rahmen ihrer Medialisierung bleibt sie jedoch auch immer mit zielgruppenspezifischen Repräsentationsformen des ökonomischen Sprachgebrauchs untrennbar verbunden. So erfasst der Gebrauch von popularisierenden Mechanismus- und Organismus-Metaphern auch die mediale Darstellung des Börsengeschehens.
86 | Das Wissen der Börse Wie kann vor diesem Hintergrund ein Zugang zum Finanzmarktwissen entwickelt werden, dem es vor allem darum gehen soll, das Finanzhandeln als Resultat medialer Dispositive, sozialer Prozesse und historischer Konjunkturen zu beschreiben? In seiner technisch-soziologischen Beschreibung der Finanzmärkte (2006) untersucht der britische Soziologe Alex Preda die Einführung des Börsentickers im angelsächsischen Raum im Zeitraum von 1870 bis 1913 und geht dabei von einem erweiterten Praxisbegriff aus. Ausgehend von einer kritischen Bestandsaufnahme der bisherigen Beschreibungen von Technologien auf Finanzmärkten, versucht der Autor, weitreichendere Funktionen der Technologien von Finanzmärkten in seinen Forschungsansatz zu integrieren. Dabei geht er von der Auflösung der Unterscheidung von Subjekten und Objekten aus und begreift »Handlungen«, »Praktiken« und »Interaktionen« als Austausch zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. In seiner Sichtweise sind menschliche und nicht-menschliche Akteure weder ontologisch noch methodologisch unterscheidbar: beide sind Produkte von Relationen und Effekte von Netzwerkverbindungen. Er versteht Subjekt und Objekt als Produkte von Relationen verschiedener heterogener Entitäten, deren Bezugssystem er als Prozess beschreibt, der kontextlose und abstrakte Entitäten auf eine formalisierte Weise schaff t (z.B. Preise): »Accordingly, markets are technological arrangements, comprising formulae, artifacts, and algorithms which process uncertainties and project paths of future action. These arguments highlight the agential features of technology, as well as its standardizing capabilities: i.e., the fact that market actors trust the technology to generate constant, homogeneous, iterable data across various contexts, data which is taken as a basis for future actions and decisions.« (Preda 2007: 37) Andererseits relativiert Preda die konstitutive Rolle der Medien und damit auch die herausragende Stellung des Computers bei der Hervorbringung von Praktiken und Wissen und führt zur gehaltvollen Beschreibung von Märkten fünf »agentical aspects of fi nancial technologies« an: 1. »temporal structures«; 2. »visualization models«; 3. »(representational and interpretive) language«; 4. »cognitive tools & categories«; 5. »group boundaries« (ebd.). Mit dieser Auffaltung von Analysekategorien macht Preda auf die bedeutungsgenerierenden Nutzungskontexte der jeweiligen Finanzmarkttechnologien aufmerksam, die sich mit ihrer Eingebundenheit in Kognitions- und Verstehensprozesse permanent verändern. Mit dieser Perspektive kann die vorschnelle Hypothesenbildung, wonach Technologien soziale Praktiken einfach so ›konstituieren‹ würden, vermieden werden. Die Sichtbarmachung der Wissensprozesse und -prozeduren der Finanzmärkte steht also vor der Herausforderung, das Verhältnis von Wissen, Technologie und Subjekt nicht nur methodologisch, sondern auch methodisch näher zu bestimmen, ohne es dabei als deterministisches Zwangsverhältnis festzulegen. Von dem hier skizzierten erweiterten Praxisbegriff ausgehend versucht die nachfolgende Studie, eine Perspektivierung des Finanzmark-
II. Technologien der Finanzmärkte | 87 tes zu entwickeln, die Praktiken und Wissen gleichermaßen involviert. Die Technologien, Medien und Diskurse der Finanzmärkte gehen aber nicht in den klassischen Zweckmittelbegriffl ichkeiten und friktionsfreien Übertragungsmöglichkeiten auf, sondern enthalten immer auch nicht-intendierte Signifizierungen und Symbolisierungen, die für eine kulturwissenschaftlich orientierte Medientheorie der Börsenkommunikation von Interesse sein können (vgl. Berghoff 2004). Welche Möglichkeiten bieten sich vor diesem Hintergrund für die Subversion des Marktes? Deleuze plädiert für die Verwerfungen der Kommunikationsgesellschaft und moniert: »Das Wichtige wird vielleicht sein, leere Zwischenräume der Nicht-Kommunikation zu schaffen, störende Unterbrechungen.« (Deleuze 1993: 235) Der hier eingeschlagene Weg versucht, die medial verbindlichen Lücken des Wissens der Börse aufzuzeigen. Dabei geht es nicht bloß darum, den konstruktiven Stellenwert der Medien aufzuzeigen, sondern die performative Dimension des Finanzmarktwissens sichtbar zu machen (vgl. Kap. III). Ein anderer Blick auf die Finanzmärkte ergibt sich, wenn diese in ihrer kulturellen Breite betrachtet werden. So folgen die Diskurse über die positiven oder negativen Entwicklungen an den Finanzmärkten (Hausse/Baisse1) immer auch spezifischen Deutungsordnungen, Stilen, Narrativen und Rhetoriken und sind bereits mit mehr oder weniger stark ausgeprägten Erwartungen konnotiert. Finanzmärkte sind ohne medienvermittelte Diskurse nicht denkbar und weisen daher eine kulturelle Dimension auf. Insofern haben die Krisendiskurse der Finanzmärkte immer auch einen performativen Charakter, der keineswegs auf die Medienarena beschränkt bleibt, sondern auch auf die Erwartungen der Marktteilnehmer zurückwirkt. Eine kulturalistische Perspektivierung der Börse kritisiert die Entkopplungsthese, welche die Selbstentwindung des Marktes aus seinen sozialen und kulturellen Bedingungen postuliert: Markdynamiken und Markthandel erscheinen somit als bedingt durch Politiken der Repräsentation. Somit stellt die mediale Öffentlichkeit nicht mehr länger eine sekundäre Sphäre der Finanzmarktkommunikation dar, sondern eine relevante Bezugsgröße. Rückwirkend ergibt sich schließlich die Perspektive, dass Finanzmärkte selbst als öffentliche Phänomene verstanden werden können.
II.1 E INE
ANDERE
G ESCHICHTE
DES
I NTERNETS
Am 4. Oktober 1957 startete der sowjetische Satellit Спутник I ins All. Die Sputnik-Mission der sowjetischen Raumfahrtbehörde Роскосмос stellte den bis dahin sicher geglaubten, technologischen Überlegenheitsanspruch der USA in Frage und löste eine Krise in der Selbstwahrnehmung des Westens aus. Der Wettlauf zum Mond steht für einen wissenschafts- und kulturgeschichtlichen Paradigmenwechsel, welcher das Fundament für die soziale Modernisierung und die Grundlagenforschung im Bereich der Mikroelekt-
88 | Das Wissen der Börse ronik und der Biotechnologie schuf. Der Sputnik-Schock markiert »den medienhistorisch bislang wenig beachteten Übergang zwischen mechanischer Informationsverarbeitung und elektronischer Informationsvernetzung, die Geburtsstunde einer neuen Technokultur. Aus der amerikanischen Bildungs- und Forschungsoffensive entstand die computergestützten Technologie der 1960er-Jahre, […] die wegweisend für die Computervernetzung und – auf Umwegen – auch für das heutige Internet sein sollte.« (Hartmann 2006: 150) Die auf dem »Sputnikschock« auf bauende und weit verbreitete Ansicht, dass die vom US Department of Defense mit der Entwicklung eines dezentralen Kommunikations- und Informationssystems beauftragte Advanced Research Projects Agency (ARPA) als ›Geburtsstätte‹ der Interconnected Networks zu gelten habe (Hafner/Lyon 1998), hat dazu geführt, dass es heute in der Medienkulturgeschichte beinahe selbstverständlich geworden ist, die Entwicklungsgeschichte des Internets aus dem militärisch-industriellen Komplex abzuleiten.2 Faktisch gibt es zahlreiche Anhaltspunkte, die diese These untermauern. Tatsächlich entwickelte die Rand Corporation (»Research and Development«), die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, um die US-Streitkräfte militärtechnologisch zu beraten, in den 1960er Jahren das Modell eines Computernetzes mit paketvermittelter Datenübertragung.3 Dieses dezentral organisierte Rechnernetz sollte das Risiko eines kompletten Ausfalls der Kommunikations- und Informationssysteme des Militärs bei einem atomaren Angriff minimieren. Und Ende der 1960er Jahre beauftragte das US-Verteidigungsministerium die ARPA mit dem Auf bau einer dezentralen Kommunikationsstruktur. Obwohl es sich nur um vier Rechner amerikanischer Universitäten handelte, die mit einem Großrechner im Pentagon vernetzt waren, wird das physikalisch realisierte ARPA-Netzwerk bis heute oft mit dem Beginn des Internets gleichgesetzt (Hörisch 2001: 372). Zahlreiche Funktionen der Vernetzung von Wissensressourcen fanden sich aber jenseits militärischer Verwendungskontexte. Ende der fünfziger Jahre formierte sich im Feld der Finanzmärkte jedoch eine weitere produktive Anwendung der elektronischen Telekommunikation. Neben der Fabrik und der Kaserne tauchte mit der Börse ein neuer Schauplatz der beginnenden Computertechnologie auf. Die Elektronifizierung der Finanzbörsen motivierte ein neuerliches Ausschwärmen des Kapitals und brachte den Machtverlust der klassischen Parkettbörse. Damit einhergehend formierte sich – neben militärischen und wissensbasierten Nutzungskontexten – eine ökonomische Geschichte des Internets. Sie bietet eine merkantile Alternative zur kriegsorientierten Mediengeschichtsschreibung des Internets. Die finanzielle Globalisierung, wie wir sie heute kennen und täglich erleben, wäre nicht ohne die kontinuierliche Weiterentwicklung der computerunterstützten Handelssysteme möglich gewesen. Die ersten Fäden der elektronischen Finanznetzwerke entstehen in der Zeit des Kalten Kriegs und der Sputnik-Mission. Seither entstand in der Wertpapierbranche allmählich eine Rechnernetzarchitektur, die es schließlich ermöglichen sollte, Finanznachrichten über standortübergreifende, geographisch weit
II. Technologien der Finanzmärkte | 89 verteilte und miteinander verbundenen Netzwerken zu versenden. In der ersten Vernetzungsphase wurden n-fache dezentrale und isolierte SingleSites in jedem Standort aufgebaut. Dabei entstanden große und kostenintensive Systeme, die signifi kante zusätzliche Investitionen für die Implementierung, Konfiguration und Schulung erforderten. Im Jahr 1955 erhielt IBM aus der Wertpapierbranche den Auftrag, zehn Computer der 650er-Serie für einen neuen Einsatzbereich, die finanzwirtschaftliche Datenverarbeitung, zu modifizieren. (Abb. 13) Bereits um 1957 wurden die umgestalteten Computersysteme zur Bearbeitung von Aufträgen und zur Allokation neuer Aktienangebote von Firmen benutzt, deren Geschäftsvolumen groß genug war, um den Kostenaufwand zu rechtfertigen. Aber das Interesse daran war schon seit einigen Jahren gestiegen und mündete schließlich in die erste Installation eines Computers in der Branche. Für die Mehrzahl der Händler war dieses Modell der erste Kontakt mit einem Computer. IBM war aber keineswegs das Unternehmen, das Datenverarbeitungssysteme für Finanzdienstleistungen entwickelte. (Calomiris 2002: 285-313)
Abbildung 13: IBM 650, IBM Corporate Archives So installierte die Francis I. Dupont & Company im November 1955 ein elektronisches Datenverarbeitungssystem zur Verwaltung von Kundendepots, der Berechnung der Unternehmensfinanzierung (Sicherheitsleistungen) und anderer Kontendaten. Später installierten Maklerfirmen und Regionalbörsen weitere Generationen von Computern u.a. den weitverbreiteten IBM S/360 aus den 1960er Jahren. Der IBM 650 wurde mit 2000 verkauften Maschinen zum »Modell T der Computerindustrie« (Hurd 1981: 165). Mit dem Modell 650 legitimierte IBM einen neuen Industriezweig und schuf die Grundlage für die Vorherrschaft auf dem Computermarkt für die nächsten Jahrzehnte. Wie ein Manager von Merrill Lynch in einem Statement berichtet, hatten die Büros der Firma mit ihren drei Rechnern jeden Tag zum Börsenbeginn
90 | Das Wissen der Börse die Berechnungen zur Verfügung, die über Nacht im New Yorker Büro der Firma im Herzen des Finanzdistrikts elektronisch erstellt worden waren (vgl. Merrill Lynch 1967: 11). Diese Rechner waren bereits technologisch in der Lage, den Marktwert aller kreditfähigen Wertpapiere, den Eigenkapitalanteil der Kunden und alle zusätzlich notwendigen Sicherheitsleistungen zu berechnen. Daneben nutzten die Börsen aber auch weiterhin ihre Tabelliermaschinen, um ihr Geschäftsvolumen zu bearbeiten. Zum Beispiel benutzte die NYSE Hochleistungs-Rechenmaschinen und Hollerith-Tabulatoren (Lochkartentabulatoren) für ihre alltägliche Buchführung. Trotz der Einführung des Computers, so ein Kommentator aus dem Jahr 1955, verrichteten die Schreibmaschine, die Addiermaschine, die Registrierkasse und die Buchungsmaschine immer noch den Löwenanteil der anspruchsvollen Bankund Maklerarbeit (vgl. Gifford 1955: 131). In den späten 1950ern hatte IBM den Bedarf der Maklerfi rmen an Rechnerkapazitäten für Transaktionen und Verwaltung von Kundendaten erkannt und kündigte die Einrichtung von Informationsagenturen an, die von professionellen Händlern in Anspruch genommen werden konnten. Die erste Agentur sollte im Herzen des Financial District in New York eingerichtet werden. Die internen Berichte der Administration von IBM aus den 1950er Jahren zeigen aber, dass die Bereitschaft der Wall-Street-Broker, Computer zu benutzen noch recht gering war. (Cortada 2006: 162) Allerdings erhöhte sich mit der Zunahme des Börsenhandels der verwaltungstechnische Aufwand in den Büroräumen der Händler – ein Modernisierungsschub lag daher in der Luft. Bereits seit den frühen 1950er belastete das erhöhte Verkaufsvolumen die vorhandenen Arbeitskapazitäten zunehmend. Das alltägliche Pensum im Back Office bei Merrill Lynch konnte nur noch mit einem strikten fordistischen Arbeitsregime aufrecht erhalten werden. (Abb. 14) In den frühen 1960ern nahm dieses verwaltungstechnische Problem bereits krisenhafte Proportionen an und 1968 und 1969 hätte es fast zu einer Unterbrechung des Börsengeschehens geführt. Mit den Hochleistungsrechenmaschinen hatten sich die Vorteile der elektronischen Unterstützung bereits erwiesen. Es war die Rede davon, die Zahl der Börsenstunden an der NYSE zu kürzen, um der Flut der »paperwork problems«, die mit dem Handel und der Abrechnung einherging, Herr zu werden: »The NYSE began reducing its trading hours to allow the brokerage fi rms to catch up their increased volume.« (Markham 2001: 362) Die Makler hatten Angst, dass ihre Angestellten kündigen würden. Und die Probleme sollten sich noch verschärfen, bis die Branche allmählich begann, diese offensiv und umfassend anzugehen. Schon 1956 hatten jedoch einige Firmen bereits angefangen, sich mit der Informationslogistik zu beschäftigen. (Investor’s Reader 1956) In diesem Jahr installierten Bache & Company einen der ersten speicherprogrammierten IBM 650 in der Branche. 1959 setzte Bache & Company zusätzlich das Modell 705 zur Bearbeitung von Aktientransaktionen ein und war somit die erste Maklerfirma, die dieses Gerät einsetzte. Dieser Rechner konnte 780 Handelsvorgänge in der Minute verarbeiten und wurde zur Abrechnung
II. Technologien der Finanzmärkte | 91 der Käufe und Verkäufe, zur Verwaltung der Aktienberichte, zur Margenberechnung, zur alltäglichen Buchhaltung und für die Vorbereitung der monatlichen Kundenauszüge eingesetzt. (Hurd 1981: 171f)
Abbildung 14: Back Office bei Merrill Lynch, 1958, Merill Lynch Corporate Archives Ende der 1950er wurde die Konkurrenz der US-amerikanischen Börsen mehr und mehr auf dem Feld der Informations- und Kommunikationstechnologien ausgetragen. (Abb. 15) Ambitionierte Regionalbörsen, die sich darauf konzentrierten, mit der überragenden NYSE Schritt zu halten, setzten auf den technologischen Vorsprung und begannen allmählich, die interne Verwaltung auf die Erfordernisse der elektronischen Datenverarbeitung vorzubereiten. Ein bemerkenswertes Beispiel aus dieser frühen Periode ist die Detroit Stock Exchange, die sich schon ab 1961 bei der täglichen Verbuchung ihres Aktienhandels auf rechnergestützte Methoden stützte. In der NYSE zeichnete sich erst in den frühen 1960er Jahren ein zäher Prozess der teilweisen Automatisierung der Datenerhebung und -weitergabe ab. Die NYSE gab eine Reihe von Pressemitteilungen heraus, mit denen sie ihre Absicht verkündete, die Weitergabe von Marktinformationen zu automatisieren und so ihren Mitgliedern unter den Maklern Informationen über aktuelle Aktienkurse, Kauf- und Verkaufspreise zugänglich zu machen. Diese Informationen kommunizierte die NYSE mittels telefonischer Leitungen, die mit Computern verbunden waren. Ab den 1960er Jahren wurden Telefonverbundsysteme mit großen Kapazitäten in weiten Bereichen der Finanzwirtschaft eingeführt, oft im Tandem mit Fernschreiberanwendungen. In den späten 1960ern zeichneten diese Telefonsysteme Daten mittels Magnetbändern und später Diskettenlaufwerken auf. (Abb. 16) Aber woher kam dieses plötzliche Interesse an der Verwendung von Computern Mitte der 1960er Jahre, wo doch das Phänomen im Versicherungs- und Bankenwesen, wie auch im Produktionsbereich schon viel früher deutlich geworden war? Die Börsen haben die massive Steigerung des Transaktionsvolumens offensichtlich unterschätzt, denn in der Zwischenzeit entwickelte sich die Büroarbeit
92 | Das Wissen der Börse an den führenden Börsen zu den papierintensivsten Arbeitsvorgängen der amerikanischen Wirtschaft. (Benn 2000: 10-14)
Abbildung 15: Electronic Data Processing Center, Stock Brokerage Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, 1958, Merill Lynch Corporate Archives Abbildung 16: Magnetaufzeichnung Ramac18, 1954, Magnetic Disk Heritage Center, San Jose Mehr oder weniger überrascht vom sprunghaft angestiegenen Volumen des Aktienhandels an der New York Stock Exchange (NYSE) arbeiteten die IT-Ingenieure fieberhaft an der Optimierung der Nachrichtenübertragung und gründeten 1960 das Department of Operational Planning and Development, das sich mit der Forschung und Entwicklung des computerunterstützten Börsenhandels befasste: »In 1960, the NYSE had established the Department of Operational Planning and Development, charged with pursuing computerized trading. In a survey published in 1963, and occasioned by a market crash in May 1962, NYSE stated that it had set up plans for technological expansion in the early 1950s.« (Preda 2007: 37) An der New Yorker Börse stieg der verwaltungstechnische Aufwand und damit der technologische Bedarf, den Aktienhandel nicht nur mit Hilfe von Aufzeichnungsmedien zu dokumentieren, sondern darüber hinaus gleichzeitig in eine klassifizierende Ordnung einzuschreiben, die es ermöglichte, die bei der Transaktion entstehenden Datenmengen für künftige Transaktionen weiter zu verarbeiten. Dabei sollten die Schreibkräfte des Backroom Office durch Maschinen ersetzt werden und mit ihnen der ›menschliche Störfaktor‹ ausgeräumt werden. Das erklärte Ziel der Planungs- und Entwicklungsabteilung an der NYSE bestand zunächst aus der Einrichtung eines vollautomatischen Datenverarbeitungssystems, »which will mechanize virtually all present manual operations in the Exchange’s stock ticker and quotations services«. (NYSE 1963: 48f) Dieses Kommunikationssystem sollte »automatically locate the latest trading data, assemble a message from a pre-recorded vocabulary of 126 words, and ›speak‹ it out over the phone to the caller – all in a few seconds« (NYSE 1963: 49). Die NYSE arbeitete eng mit dem Ingenieurbüro der Teleregister Company zusammen, das bereits in den 1930er Jahren die ersten Fernschreiber für die Börse entwickelte: »In 1934, the Teleregister Service was introduced in New York brokerage houses;
II. Technologien der Finanzmärkte | 93 it tabulated and displayed price data, replacing conventional quotations boards. The electro-mechanical price data tabulation opened the possibility of memorizing and archiving data while these latter were generated.« (Preda 2007: 37) Die erste Innovation im Bereich der Nachrichtenübermittlung von Finanzmarktdaten war nach der Entwicklung des Edinson’schen Börsentickers das electronic quotation board (Abb. 17), eine elektromechanische Anzeige, welche die handgeschriebenen Kurstafeln allmählich ablöste: »A typical electromechanical board covered the front wall of the office and displayed from 50 to 200 of the some 2500 stocks traded on the New York and American exchanges.« (Phister 1989: 110) Die quote boards waren Vorrichtungen zur optischen Signalisierung von Kurswerten und bildeten eine Schnittstelle zwischen Tafelbild und Display, weil sie nicht nur statistische Zahlenwerte präsentierten, sondern einen theatralischen Wahrnehmungsraum erzeugten. Als Tafelbilder übernahmen die quote boards teilweise die Repräsentationsästhetik der Salonmalerei, da die Kurswerte oft von einem eleganten Holzrahmen oder von allegorischen Bildmotiven umrahmt wurden. (Abb. 18) Elektromechanische Boards eroberten mit ihrer versachlichten Schriftästhetik ›reiner‹ Börseninformation den öffentlichen Raum der Metropolen: sie beerbten die Leuchtreklamen und trugen den Dow Jones Index als urbanes Ereignis in die Alltagskultur. (Abb. 19) 1962 waren die elektronischen Displays der Börsenkurse bereits fi xer Bestandteil in Manhattan. Sie wurden oft mit (männlichen) Beobachtern für das Feuilleton der Illustrierten fotografiert, um das öffentliche Interesse für den Aktienhandel zu stimulieren. (Abb. 20) Mit dem electronic quotation board kommunizierte die Börse direkt mit dem städtischen Raum und öff nete sich der anonymen Allgemeinheit. Der Dow Jones wurde zum kollektiven Allgemeingut stilisiert und damit zu einem Bestandteil großstädtischer Lebenskultur. Die Geschichte der elektronischen Boards reicht bis in die 1930er Jahre zurück. Das 1928 von Robert Daine gegründete Unternehmen Teleregister installierte bereits ein Jahr nach seiner Firmengründung Boards mit diskreten elektromechanischen Anzeigeelementen, das sind bistabile Anzeigeelemente mit Fallklappenmelder: »The Teleregister System made it possible to display, on special boards in brokers’ offices from coast to coast, complete data from leading stock and commodity exchanges within seconds after any financial transaction. As high-speed digital computers, magnetic storage units and other electronic components were perfected, the company advanced rapidly in the field of special purpose electronic engineering. Teleregister was the first to design and install a successful magnetic drum system for commercial use.« (Teleregister 1956: 5)
94 | Das Wissen der Börse
Abbildung 17: Quotation Board, Stock Ticker, 1958, Merrill Lynch, Pierce, Fenner & Smith, 1958, Merill Lynch Corporate Archives Abbildung 18: Quotation Board, Kansas City, April 1962, Life Magazine, Foto: Francis Miller 1934 installierte Teleregister die elektrischen Displays an der New Yorker Stock Exchange. (Neill 1950: 127) Sie ersetzten die konventionellen Anzeigetafeln und zeigten die Kurswerte in tabellarischer Form an. Die Daten wurden bei der Geschäftsabwicklung aber immer noch auf Papier aufgezeichnet: »retrieving them was still a manual operation, performed by armies of operators, who worked in the quotation department, in groups differentiated according to classes of securities. Each group was assigned a telephone number. The broker wanting the price history of a certain security dialed the respective number and got the data from the operator.« (New York Curb 1931: 31) Diese elektronischen Kurstafeln hatten ein ähnliches Aussehen wie die Übersichtstafeln der Fahrpläne in Bahnhofstationen und in Flughäfen. Die Ingenieure von Teleregister verknüpften den telegrafischen Informationsfluss des Tickers mit dem elektromechanischen Board, das in der Lage war, gleichzeitig die Preise von 50 bis 200 Produkten anzuzeigen. Das electronic quotation board war aber weit mehr als eine mechanische Infografi k, da es bereits Adressierungselemente für ein beschleunigtes Finanzhandeln enthielt. Damit kann es in einen strategischen Zusammenhang mit den anderen Nachrichtentechnologien der Beschleunigung (Ticker, Telegraf, Telefon) gestellt werden. Im Jahr 1960 brachte das Unternehmen Scantlin Electronics Inc. (SEI) den ersten elektronischen Mikrorechner mit dem Namen »Quotron« auf den Markt, der die außerbörslichen Marktteilnehmer mit Informationen über Wertpapierkurse und weitere Finanzinformationen versorgte. Mit dem Quotron, einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage der Control Data 160A-Serie, konnten Brokerfi rmen ihre Order mit Hilfe von Fern-
II. Technologien der Finanzmärkte | 95 schreibern direkt zu den auf dem Trading Floor befi ndlichen Brokern weiterleiten:
Abbildung 19: Leuchtanzeige, Financial District, New York, 1961, Life Magazine, Foto: Eliot Elisofon Abbildung 20: Elektronische Kursanzeige, 5th Avenue, New York, 1961, Life Magazine, Foto: Eliot Elisofon »Each Quotron I system included a master unit, in which ticker data was recorded on magnetic tape, and one or more keyboard operated printing desk units. When a broker wanted a price, he used his desk unit to select an exchange and enter the stock symbol; he then pressed the »Last« button. The master unit would search the magnetic tape for the requested symbol (meanwhile continuing to record the ticker data), would print the fi rst transaction it found, and would then rewind the tape ready for another request. The printed reply appeared on a strip of paper tape fed from a slot in the top of the desk unit.« (Phister 1988: 109f) Die schriftlichen Aufzeichnungen zwischen den Brokerfirmen und den Brokern auf dem Börsenparkett nannte man »reports of execution«. Diese Berichte über die Handelsabschlüsse wurden via Fernschreiber wieder in das Büro der Brokerfirmen gesendet, wo die Dokumente im Buchhaltungssystem registriert und archiviert wurden. Diese einfachen Magnetbänder wurden von den Brokern enthusiastisch aufgenommen und innerhalb der nächsten beiden Jahre wurden annähernd achthundert Exemplare in Brokerfirmen installiert. Als der Quotron entwickelt wurde, waren Mainframes und die Arbeitsweise der Stapelverarbeitung die konventionellen Bausteine der Computerwelt. Die Mainframes waren proprietäre Systeme: Hard- noch Software waren untereinander austauschbar und der im Betriebssystem implementierte Funktionsumfang schwankte von Hersteller zu Hersteller. Mit der Entwicklung rechnergestützter Datenverarbeitung setzte sich allmählich die elektronische Vernetzung des Finanzmarktes durch und der Schwerpunkt der Ökonomie verlagerte sich aus den Zentren der Finanzmärkte an die Peripherie. (Rappaport/Cushman/Daroff 1991: 211) Anfang der 1960er etablierte sich eine neue Rechnertechnologie. Als schnelleres Schaltelement setzte sich der Transistor durch und IBM baute seine erfolgreiche 7090er Serie auf der Grundlage der Transistortechno-
96 | Das Wissen der Börse logie. (IBM Press Release 1960) Mit diesem leistungsstarken Rechner, der die störanfälligen Röhren-Computer mit hohem Energieverbrauch ersetzte, begann IBM allmählich, seine Vormachtstellung im Sektor der Brokerage Industry auszubauen. Mit den raumfüllenden Rechenanlagen der 1960er Jahre etablierte sich eine erste netzförmige Struktur, in deren Zentrum der Rechner stand. Er markierte die medienspezifische Macht dieses Netzes, das sich aus einem zentralen Knotenpunkt und einem peripheren Netzwerk zusammensetzte. 1964 begannen die Börsenmakler kleine Röhrenmonitore (CRTs) zu nutzen, um Kauf- und Verkaufsangebote zu visualisieren. Das »Telequote 111« genannte System wurde mit Hilfe raffinierter Brandingstrategien zum Aushängeschild des modernen Maklerbüros stilisiert. Am 23. April 1964 lancierte der globale Anbieter von Nachrichten, Finanzinformationen und Technologie-Lösungen für Medien Reuters in enger Zusammenarbeit mit der IT-Firma Ultronic Systems Corporation aus New Jersey den Stockmaster. 4 (Cortada 2006: 167) Der Stockmaster war ein handliches Computerterminal, zeigte die Aktienpreise auf einem dreistelligen Nummerndisplay an und ermöglichte auf einem Keybord eine Kursabfrage amerikanischer Börsen annähernd in Echtzeit. (Abb. 21) Die Grundlage möglicher Datenabfragen lieferten Ticker als Datenlieferanten und der Zentralrechner bei Reuters, der die Börseninformationen an die dezentralen Terminals weiterleitete. Die Broker waren somit gleichzeitig auch Kunden der Agentur und konnten vier alphabetische Tastaturen und drei runde LED-Anzeigefenster bedienen. (Gelder 1964: 37-41) Die LED-Anzeige war mit je einem Satz verdrahteter Zahlenelemente von 0 bis 9 ausgerüstet. Die beiden ersten visual displays kodierten die Zehner- und die Einerpositionen der jeweiligen Kurse, das letzte Fenster zeigte den Kurswert im Achtel-Dollar an – damals wurden die Kurse in US-Amerika nicht in Dezimalzahlen, sondern in Achtel-Dollar abgestuft. Der Stockmaster erwies sich bald als eine erfolgreiche Investition. In der Zwischenzeit begann die Nachrichtenagentur Reuters mit der Einrichtung eines Zentralcomputers in London, um auch den europäischen Börsenmarkt mit Hilfe der neuen Kommunikationstechnologien zu vernetzen. Ende der 1960er Jahre wurden von Reuters mehr als eintausend Stockmaster installiert und der IT-Service wurde in der Folge in Tokyo, Hong Kong, Australien und Südafrika ausgebaut. (Abb. 22) 1971 beenden die USA ihre Verpflichtung, Dollar in Gold einzulösen. Am 15. August gab US-Präsident Nixon in einer sonntäglichen Fernsehansprache an die Nation bekannt, dass die USA die Golddeckung des Dollars aufheben würde. Der Auflösung der Golddeckung des Dollars folgte die Beseitigung der festen Wechselkursrelationen und die Einstellung der Beschränkungen von Kapitalbewegungen während der achtziger Jahre, in denen sich ein Land nach dem anderen gezwungen sah, unter dem Druck der internationalen Märkte die nationalen Kontrollen aufzuheben. Die Folge war eine Reihe von Krisen im internationalen Finanzsystem, die zunehmend heftiger wurden. (Carruthers/Stinchcombe 2001: 100-137)
II. Technologien der Finanzmärkte | 97
Abbildung 21: Ultronic Stockmaster, 1964, Reuters Corporate Archives Abbildung 22: Früher Gebrauch des Stockmaster in der American Stock Exchange, 1963, Charles Babbage Institute 1964 begann Reuters mit der Nutzung von Computern zur Übertragung von Börsen- und Wirtschaftsinformationen. (Read 2003: 342-370) Durch den Stockmaster war Reuters ein Pionier beim Einsatz von Computern für die internationale Übermittlung von Finanzdaten und folgte in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts weiter seinem Kurs der schnellen Modernisierung. Die Einführung einer Reihe von computergestützten Produkten für internationale Händler zog Änderungen nach sich. Diese Veränderungen begannen mit der Stockmaster-Dienstleistung, bei der Finanzdaten in alle Welt verschickt wurden und die bald sehr erfolgreich war. Neben Reuters gab es ein halbes Dutzend IT-Unternehmen, die ebenfalls mit der Entwicklung computergestützter Börsenhandelssysteme beschäftigt waren. Eine dieser Unternehmen war Teleregister, die im gleichen Jahr das Am-Quote System der Wirtschaftswelt vorstellten: »The Am-Quote system, built by Teleregister Corp. of Stamford, Conn., is based on a relatively simple computer that records all the figures reported from the floor of the exchange and holds them available for questioning. From the broker’s telephone, an extra line runs to the computer. After pressing a button to activate the line, the broker merely dials the code numbers of the stock in which he is interested. In a second the computer answers in a toneless but pleasant voice. It repeats the stock’s code letters, then gives the latest information – the bid price, the high, the low etc. The 57 words and letters of the machine’s vocabulary were originally spoken into a recording device by Walter Jennison, a Teleregister Corp. engineer who could speak with the necessary clarity. Then the words were recorded on a revolving magnetic drum. What the computer does is to extract the latest quotations from its continually refurbished memory, translate them into the proper words taken from the drum, and transmit them to the listening
98 | Das Wissen der Börse broker over the telephone line. It makes no mistakes, never gets tired, and costs $100 per month. Other companies present instant stock information visually. Scantlin Electronics Inc. prints figures on a tape when questioned in a proper code; Ultronic Systems Corp. uses small lights that give three digits of information at a time. In this fiercely competitive field, Teleregister will have an advanced entry: a desk device hooked to its computer that will flash the information on a screen. But none of these visual systems are likely to be quite so impressive as the embalmed voice of Walter Jennison speaking tonelessly for Am-Quote’s computer.« (Anonym, Time Magazine, 22. Mai 1964) Eine weitere Innovation bestand in der 1968 vorgenommenen Einführung des Monitors durch das Informationsanzeigeterminal Videomaster (Abb. 23), das in der Folge zu einem elektronischen Marktplatz für den Devisenhandel wurde. Anfang Juni 1973 startete Reuters sein Kommunikationssystem Reuter Monitor Money Rates Service. Damit erhielten die angeschlossenen Abonnenten wie Banken, Broker und Industrieunternehmen die Möglichkeit, sich augenblicklich über Devisen- und Wertpapierkurse, Warentermine sowie über Weltnachrichten zu orientieren: »Nach der Einführung von Reuters Monitor wurden Kurse plötzlich weltweit für jeden verfügbar, der an das Netz angeschlossen war.« (Knorr-Cetina/Bruegger 2002: 395) Reuters Kommunikationssystem wurde in der Folgezeit um Nachrichten und Kurse für die Wertpapier-, Waren- und Geldmärkte ergänzt und 1981 wurde der Monitor durch die Einführung des Dealing-Systems noch weiter verbessert. Nach einem enormen Rentabilitätszuwachs wurde Reuters 1984 als Aktiengesellschaft an die Londoner Börse und die US-amerikanische NASDAQ gebracht. Durch die erfolgreiche Marktkapitalisierung übernahm Reuters verschiedene Unternehmen, unter anderem Instinet (1986), TIBCO (vormals Teknekron) und Quotron (beide 1994). Das 1969 gegründete und später von Reuters übernommene Instinet ist das älteste außerbörsliche Handelssystem (vgl. Gomber 2000: 70f.).5 Heute ist es das weltweit größte Kommunikationsnetz computerunterstützter Finanzmarkttransaktionen. Ans weltumspannende Reuters-Monitor-Netzwerk auf real-time-Basis sind derzeit über 30.000 Terminalbenutzer weltweit angeschlossen. 1965 etablierte die NYSE einen effizienten Medienverbund aus Telefon, Ticker und Elektronik. (NYSE 1964: 39) Die Kursabfrage erfolgte am Telefon mittels der Eingabe des Tickersymbols. Die Antwort wurde von einem Sprachcomputer generiert, der mit einem Wortschatz von 126 Wörtern programmiert war. Der Computer erhielt die Kursinformationen vom Ticker und konnte innerhalb eines Tages bis zu 400.000 telefonische Kursabfragen abwickeln. In den 1960ern wurden Order-Matching-Systeme, die Kauf- und Verkaufsorders automatisch elektronisch zusammenführten (matchen), eine wichtige Anwendung im digitalen Bereich, da in den Händlerbüros und an den Börsen zunehmend computergestützte Operationen mit der Nachrichtentechnik der Telekommunikation verbunden wurden. So operierte al-
II. Technologien der Finanzmärkte | 99 so die nächste Generation datenverarbeitender Maschinen seit 1968 bereits mit dem System des order matching.6 Die Rechenanlagen Control Data 3300 und IBM 360 eliminierten die manuelle Eingabe der Daten und Informationen und erlaubten einen automatischen Datenfluss vom Börsenparkett zu den Buchhaltungssystemen. (Abb. 24) Der Rechner Control Data 3300 arbeitete mit einem Takt von 800 kHz, mit 192 KByte Hauptspeicher und 24 MByte Plattenspeicher und konnte ca. 300.000 Instruktionen pro Sekunde verarbeiten. (IBM Press Release 1965) Zusätzlich ausgestattet mit einem Lochkartenleser und einem Schnelldrucker war die Rechenanlage für die damalige Zeit eine fortschrittliche Maschine und erlaubte bereits den Teilnehmer- und den Dialogbetrieb über Fernschreibterminals, die mit 110 bps über Telefonleitungen angeschlossen waren. Kommandos und Benutzerprogramme standen meist auf Lochkarten aus steifem Papier mit 80 Spalten, die man im Stapel und unbedingt in der richtigen Reihenfolge beim Operateur abzugeben hatte.
Abbildung 23: Videomaster, 1970, Reuters Corporate Archives Die zunehmende Zusammenführung der Auftragsströme der Kunden in den Bank- und Maklerbüros hatte bedeutende Auswirkungen auf das Handelsumfeld an den Börsen. In der Vergangenheit hatten Fernschreiber die Daten als visuelle Symbole auf Papier oder Bildschirmen dargestellt. Computer unterstützten die Fernschreibersysteme, die während des ganzen Jahrhunderts benutzt worden waren, indem sie die automatische Nachrichtenübermittlung möglich machten und z.B. eine elementare Genauigkeitsprüfung bei den Aufträgen durchführten, sowie offensichtliche Fehlerkonstellationen ausräumten – ohne Mitwirkung von Angestellten oder Maklern.
100 | Das Wissen der Börse Insbesondere große Firmen begannen in den 60er Jahren Computer zu benutzen, die an Telefonanlagen gekoppelt waren. Goodbody & Company war 1969 die erste Maklerfirma, die ihr System, das den Maklern CRTs zur Beobachtung der Transaktionen zur Verfügung stellte, zufriedenstellend einsetzen konnte.
Abbildung 24: IBM 360, IBM Corporate Archives Die Börsen bekamen eine Konkurrenz nicht nur aus den eigenen Reihen. Als ernst zu nehmende Wettbewerber erweisen sich zunehmend auch die Proprietary Trading Systems (PTS). Proprietäre Handelssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass sie von einzelnen privaten Initiatoren (vor allem Banken) auf Basis eines Computer-Netzwerks betrieben werden und ihre Dienste (noch) ausschließlich Wertpapierhändlern, Banken und institutionellen Investoren anbieten. Der nächste Schritt war die teilweise rechnergestützte Auftragsübermittlung von Kauf- und Verkaufspreisangeboten. Die automatische Auswertung von Börsentickern verkürzte die Zeit für die Suche nach den aktuellen Kursen von einigen Minuten auf wenige Sekunden. Bereits 1969 nahmen die ersten elektronischen Handelssysteme Autex Systems und Instinet (Institutional Networks) ihren Betrieb auf. Das Institutional Network (Instinet) ist das älteste elektronische Aktienhandelssystem und wurde 1969 von Jerome Pustilnik, dem Forschungsdirektor von Spingarn Heine, gegründet. In den frühen 1980er Jahren wurde es von Bill Lupien gekauft, der es zu einem computerbasierten Handelssystem ausbaute. 1987 wurde Instinet von Reuters, dem führenden globalen Anbieter von Nachrichten, übernommen. In seinen Anfängen war Instinet noch nicht als eine vollelektronische Handelsplattform konzipiert: »Using Instinet, any trading firm that rented a dedicated video display terminal could theoretically patch into a global network.« (Ingebretsen 2002: 181-184) Die Abschlüsse wurden
II. Technologien der Finanzmärkte | 101 aber immer noch über das Telefonnetz abgewickelt, während Computerterminals das Orderaufkommen visualisierten. Im Jahr 1979, als Xerox die kabelgebundene Datennetztechnik Ethernet, das erste schnelle Local Area Network (LAN) entwickelte, übernahm der Technologie- und Dienstleistungskonzern die elektronische Handelsplattform Autex Systems und baute sie zur internationalen Drehscheibe des globalen Aktienhandels auf. Es kündigte sich ein neuer Börsenhandel an, der die Transaktionen vollautomatisch ohne Intermediäre durchzuführen plante. Ein erstes derartiges Börsen-System war »NASDAQ« (»National Association of Securities Dealers’ Automated Quotation System«), das im Jahr 1971 in New York seinen Betrieb aufnahm. (Sabourin/Serval 2007: 588-616) Dieses elektronische Informationssystem löste die früheren Kurszettel, die sogenannten pink sheets, ab und sollte die Grundlage liefern für einen kostensparenden telefonischen Handel. Im Jahr 1974 lancierte die Pacific Coast Stock Exchange das System ComEx zur effizienten Abwicklung von Kleinstaufträgen (Fraktionen). Die New York Stock Exchange führte 1976 DOT ein, ein Börsensystem, das Kleinaufträge elektronisch von einem Broker zum Trader an der Börse übermittelte, wo sie schließlich automatisch abgewickelt werden konnten. (NYSE 1984) Eines der größten Systeme, das DOT (Designated Order Turnabout), erwies sich als höchst erfolgreich. Es war entstanden aus Bedenken gegenüber ComEx, einem automatischen System zur Bearbeitung der Aufträge von Kleinanlegern, das die Pacific Stock Exchange entwickelt hatte, und gegenüber einem ähnlichen System, das gerade an der Philadelphia Stock Exchange entwickelt wurde. (Teweles/Bradley 1998: 114-119 und 198-199) Bevor DOT 1976 ins Leben gerufen wurde, brachten die Makler alle Aufträge persönlich über das Parkett zu einem Spezialisten in die Kabine, wo dann die Makler gegeneinander und gegen die Spezialisten boten, um den besten Preis für den Kunden zu erzielen. DOT machte es möglich, einen Auftrag elektronisch vom Computer der eigenen Firma aus direkt an den Spezialisten zu schicken, der ihn dann entweder zum notierten Preis ausführte oder einen besseren Preis dafür erzielte. Nachdem der Auftrag ausgeführt war, übermittelte DOT die Bestätigung an den ursprünglichen Makler, der dann wiederum seinem Kunden die gute Nachricht telefonisch durchgab. (NYSE 1984) In den 70er und frühen 80er Jahren hatten andere Börsen bereits ihre Handelsprozesse so beschleunigt, dass die NYSE dagegen langsam und schwerfällig wirkte und überdies für die Makler teuer werden konnte, da sich der Preis der Aktie zuweilen während der Ausführung des Auftrags änderte. Mit der Zeit war DOT zur Hauptanwendung an der Börse geworden, die im Effekt die NYSE von einem Auktionsmarkt in einen Händlermarkt verwandelte, indem die Masse der Makler, die auf dem Parkett miteinander an irgendeinem beliebigen Platz wetteiferten, aufgelöst wurde. Mit DOT konnten die Händler ihre Aufträge mittels einer elektronischen Buchführung ausführen, die das Program Trading ermöglichte. (Cortada 2006: 172-173) Das bedeutete, dass ein Investor dutzende oder hunderte von Aktien gleichzeitig handeln konnte, weil DOT oder SuperDOT Aufträge in großer Zahl
102 | Das Wissen der Börse zur unmittelbaren Ausführung an das Parkett senden konnte. Das Program Trading beschreibt computergestützte Marktanalyseprogramme, bei denen die Kauf- und Verkaufsentscheidungen von Computern auf der Basis vorher eingegebener mathematischer Modelle erfolgt und wurde in den 80er Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil des Wertpapierhandels, da alle Maklerfirmen und die Daytrader der 1990er Jahre täglich Computer benutzten, um Aktien zu kaufen und zu verkaufen. (Galison 1996: 118-157) In den USA wurde nach dem Börsencrash vom Oktober 1987 der Programmhandel an der Wall Street beschränkt, um so Indexarbitragegewinne an der Börse zu verhindern, indem feine Kursdifferenzen zwischen dem Kassa-Markt und einem Kontrakt auf diesen Markt ausgenutzt werden. Die Computeranwendung in der Wertpapierbranche hat die Finanzmarktspekulation erheblich beeinflusst. Die Automatisierung der Daten hat dazu geführt, dass bis in die Gegenwart immer größere Aktienvolumen gehandelt werden und der Anteil von privaten Investoren kontinuierlich angestiegen ist. Mit der Einführung neuer Funktionen und der Ausnutzung der technischen Weiterentwicklungen nahm die digitale Datenverarbeitung weiter zu. Das seit März 1977 in Betrieb befindliche DOT bearbeitete in den späten 1980er Jahren im Durchschnitt 35.000 Aufträge pro Tag, das sind grob geschätzt etwa die Hälfte aller Aufträge, die an der NYSE täglich ausgeführt wurden. In dem Maße, in dem DOT im Börsengeschäft eine immer größere Rolle spielte, musste es erweitert und verbessert werden und wenn es nur darum ging, größere Volumen zu handhaben. Die Börse integrierte ein weiteres System in SuperDOT, den Opening Order Automated Report Service (OARS), der die täglich auf dem Parkett einlaufenden Börsenaufträge auf Widerruf sammelte und abspeicherte, damit die Spezialisten den täglichen Eröffnungskurs ermitteln können. (Teweles/Bradley 1998: 202ff ) Die gleichzeitig entstandenen Pionierunternehmen elektronischer Handelsformen mit dem Firmennamen »Instinet« in den USA oder »Ariel« in Großbritannien wurden ebenfalls mit dem Ziel eingerichtet, institutionelle Investoren mit ihren Handelswünschen direkt zusammenführen. (Peltz 1995: 9) Instinet hatte einen maßgeblichen Anteil daran, dass 1975 die fi xen Börsenkommissionen in den USA aufgehoben wurden. Unter dem Druck der internationalen Wettbewerbsbehörden vollzogen auch die meisten anderen Nationen diese Maßnahme zur Deregulierung ihrer Finanzmärkte. In den Gremien der Securities and Exchange Commission (SEC) war Mitte der 1970er Jahre das technische Abwicklungskonzept mit der Bezeichnung Consolidated Tape System (CTS) ein großes Gesprächsthema. Es wurde im April 1976 an der America Stock Exchange, an der NYSE und einigen Regionalbörsen in den USA eingeführt und bestand aus der Zusammenführung der Tickerströme der verschiedenen Börsen zu einem einzigen Datenstrom. Das Consolidated Tape System konnte Transaktionsinformationen der meisten gelisteten Wertpapiere binnen 90 Sekunden nach der abgeschlossenen Transaktion verbreiten. (Millman 1999: 34) Mit der technischen Konsolidierung der Börseninfor-
II. Technologien der Finanzmärkte | 103 mation wurden die lokalen Börsen in das nationale Netzwerk integriert. Damit konnten die Kurse der national verstreuten Börsen auf einem Blick miteinander verglichen werden und wurden damit in eine Konkurrenzbeziehung gestellt. Das CTS-System vernetzte nicht nur die Börsenkurse für die Entscheidungsökonomie der best execution, sondern eröff nete in seiner Eigenschaft als Speichermedium eine historische Dokumentation über getätigte Abschlüsse und bezahlte Kurse. Zusätzlich konnten im Jahr 1976 die Kunden bereits ein Call Center anrufen, die Makler nach den Notierungen verschiedener Aktien fragen (die Makler benutzten in der Regel immer noch das Rechnersystem Quotron) und ihre Aufträge zu Gebühren platzieren, die wesentlich geringer waren als bei einem traditionellen Makler, der die Abwicklung der gesamten Order in Rechnung stellte. Eines der ersten größeren Call Center, das Back-Office Settlement System, ging 1979 mit einem IBM 360 in Betrieb. (Cortada 2006: 173) Gleichzeitig stellte die SEC den seit 1934 bestehenden Securities Exchange Act (SEA) als die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Regulierung des Sekundärmarktes radikal in Frage. In diesem Börsengesetz sind die Anforderungen an und Pflichten von Wertpapiermärkten und Marktteilnehmern geregelt. Mit den 1975 erlassenen Securities Acts Amendments (SAA) demontierte die SEC den institutionellen Hintergrund des Securities Exchange Act und deklarierte die Abschaff ung fester Kommissionen und die Auf hebung wettbewerbsbehindernder Handelsrestriktionen für Börsenmitglieder. Das strategische Ziel des SAA war es, die Entstehung eines nationalen Marktes (National Market System, NMS) zu fördern. Das National Market System war ein System, das die Suche des besten verfügbaren Preises unabhängig vom Ausführungsplatz unterstützte. Sein Betriebsystem basierte auf dem Intermarket Trading System (ITS), das fünf Börsen elektronisch verband, die Liquidität des Marktes steigerte und die Volatilität reduzierte. Entscheidend für das Entstehen des nationalen Marktes war also in erster Linie die Disponibilität technischer Medien. Es waren drei elektronische Kommunikationssysteme, welche die Märkte in den USA miteinander verbanden: das Consolidated Tape System (CTS), das Consolidated Quotation System (CQS) und das Intermarket Trading System (ITS). Das CTS verbreitete Informationen über Transaktionen der gelisteten Wertpapiere innerhalb von 90 Sekunden nach der abgewickelten Transaktion (Beny 2002: 399). Am Consolidated Tape System partizipieren auch einige von der NASDAQ betriebene Handelssysteme, welche die neuesten Transaktionsinformationen mit dem technischen Gebrauchswertversprechen der real time für beinahe alle nicht an einer Börse gelisteten Wertpapiere übermittelten. Das Consolidated Quotation System informierte dagegen über die Kauf- und Verkaufsangebote von Marktteilnehmern nach dem System des National Best Bid and Offer (NBBO), die an der NASDAQ und anderen Börsen mit börsengelisteten Wertpapieren handelten, die den Status eines NASDAQ/National MarketWertpapiers hatten.
104 | Das Wissen der Börse Ein anderer Ausgangspunkt der heutigen elektronischen Kommunikationsnetzwerke waren die in den 1960er Jahren weiter entwickelten internen Buchungssysteme der Fluggesellschaften zur automatisierten Sitzplatzverwaltung und Flugscheinausstellung. (Abb. 25) Die computergestützten internen Reservierungssysteme entwickelten sich zu eigenständigen strategischen Geschäftsfeldern. Die ersten elektronischen Netzwerke wurden als geschlossene elektronische Märkte konzipiert. Frühe Beispiele für solche Systeme sind die Reservierungssysteme Apollo von United Airlines (1976) und Sarbre von American Airlines (1978), die sich als erste Computerreservierungssysteme auf dem Markt etablieren konnten (Malone/Yates/Benjamin 1989). An diese Online-Buchungssysteme wurden zahlreiche Reisebüros und Flughäfen angeschlossen, die dort in freiem Wettbewerb ihre Order für bestimmte Flugreisen abgeben konnten.
Abbildung 25: Automatische Buchungssysteme für Fluggesellschaften, 1961, American Airlines Corp. Anfänglich beteiligte sich Teleregister u.a. mit anderen IT-Firmen an der anwendungsorientierten Entwicklung kommerzieller Flugbuchungssysteme für die zivile Luftfahrt: »Computers had been used for online fi le searching for online passenger seat reservations since 1951 when Teleregister installed a system for American Airlines, serving LaGuardia Airport in New York. In September 1962, Herbert Mitchell, who had previously worked with Parker at UNIVAC, joined Teleregister as vice president for advanced research. For two years, Mitchell worked there on the design of a high-speed switching computer and proposals for a major upgrade of their airline seat reservation.« (Teleregister 1956: 22) Diese Erfahrung mit der technischen Organisation von komplexen Suchvorgängen in umfangreichen Datenbeständen in Verbindung mit einer weit gestreuten Datenkommunikation prädestinierte das Unternehmen für die elektronische Expansion des Wertpapierhandels. (Abb. 26) Seit Mitte der 1960er Jahre spezialisierte sich Teleregister daher vermehrt auf die Forschung und Entwicklung im Bereich der elektroni-
II. Technologien der Finanzmärkte | 105 schen Börsenkommunikation: »Its principal business was to provide realtime stock and commodity information to brokers all over North America and to develop and install airline seat.« (Bourne/Hahn 2003: 56) Mit dieser Spezialisierung auf die Technologie der Finanzmärkte zog sich Teleregister aus der Geschäftsbeziehung mit den American Airlines zurück und investierte das technische Know How beinahe ausschließlich auf das zukünftige Internet der Finanzmärkte. Dabei ging es um die Frage, wie sich das bei der Entwicklung des Online-Buchungssystems angesammelte Expertenwissen für die Entwicklung eines online information retrieval fruchtbar machen lassen könne: »For more than a quarter of a century the Teleregister Network of automatic electric quotation boards, engineered and designed by the Corporation, has served America’s leading brokers from coast to coast. These boards make it possible for brokers to display instantaneously the latest stock and commodity quotations from the following leading trading centers: New York Stock Exchange, American Stock Exchange, Midwest Stock Exchange, Chicago Board of Trade, Chicago Mercantile Exchange, Commodity Exchange, Inc., New York Cocoa Exchange, New York Coffee and Sugar Exchange, New York Mercantile Exchange, New York Produce Exchange, New York Cotton Exchange, New Orleans Cotton Exchange.« (Teleregister 1956: 22)
Abbildung 26: Business Automation, 1961, Teleregister Company Archive Mit der Entwicklung weltweit konkurrierender Buchungssysteme, die von internationalen Fluggesellschaften angekurbelt wurden, begann auch die Herausbildung elektronischer Märkte im Finanzsektor. Die Reisebranche und die Finanzmärkte besaßen eine Vielzahl ähnlicher Strukturmerkma-
106 | Das Wissen der Börse le, die den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien begünstigten und die Ausdifferenzierung elektronischer Handelssysteme förderten. (Bourne/Hahn 2003: 54) Weite Bereiche der elektronischen Märkte sind auch heute noch als Business-to-Business-Netzwerke organisiert. In diesen Netzwerken bleibt der Kreis der zugangsberechtigten Akteure und Institutionen beschränkt, da Banken und Makler versuchen, ihre exklusive Zugangs- und Vermittlungsposition zu behalten und andere Investoren an der direkten Teilnahme am Handel ausschließen. So ist das deutsche Wertpapierhandelssystem XETRA als geschlossener elektronischer Markt organisiert, das von der Deutschen Börse AG betrieben wird und an das nur zugelassene Wertpapierhändler angeschlossen werden dürfen. XETRA steht unter der Kontrolle eines zentralen Market Maker, der den elektronischen Markt als Dienstleister für eine beschränkte Gruppe von Anbietern und Nachfragern betreibt. XETRA bedeutet auch das Ende für das Orderbuch. Damit vollzieht das elektronische Handels-System einen Bruch mit einer 400 Jahre alten Börsentradition. Die Orderbücher liegen nunmehr elektronisch vor und werden – anders als bisher – für jeden Marktteilnehmer einsehbar. (Book 2001: 100-164) Die Weichen für die automatisierten Finanzmarkttechnologien des elektronischen Börsenhandels werden Mitte der 1970er Jahre gelegt. Im Jahre 1977 ging an der Toronto Stock Exchange mit dem Computer Assisted Trading System (CATS) das erste automatisierte Börsensystem in Betrieb – in einem für lange Zeit sehr beschränkten Ausmaß. Das seit 1978 eingeführte Intermarket Trading System (ITS) vernetzte erstmals mehrere Börsen auf der Ebene der elektronischen Auftragseingabe und organisierte das Routing der Orders und konfigurierte die Medienkanäle von einem Marktplatz zum nächsten. Dadurch wurde potenziell jedem Marktteilnehmer – unabhängig vom Handelsplatz – der Zugang zur Liquidität des Gesamtmarktes eröff net. (Bernstein 2005: 22ff ) Die nachrichtentechnische Dezentralisierung des Börsengeschehens verlangte von den Mitgliedern, sogenannte trade through rules zu beachten. So durften etwa die Händler eine Order nicht zu einem schlechteren Preis als die NBBO abwickeln. Zum Auf bau eines nationalen Netzwerkes der Finanzmarktkommunikation waren schließlich die jeweiligen Knotenpunkte der Transaktionen mit dem Computer Assisted Execution System (CAES) miteinander verbunden. Da die Elektronisierung der Handelsstruktur die Transparenz erhöhte und auf die Handelsmargen der Börseneigentümer und Parketthändler drückte, wurden die elektronischen Kommunikationsnetzwerke oft verhindert. Bis 1984 wurden an der NASDAQ bevorzugt die Kurse von den großen Maklerhäusern untereinander ausgehandelt. Verkaufs- oder Kauforder wurden oft nicht vollzogen, wenn sie den Großhändlern nicht in das Konzept passten. Das an der NASDAQ – später an der NYSE (1986) – eingeführte Small Order Execution System (SOES) hat dieses Informationskartell aufgebrochen. Es ermöglichte jedem Nutzer den Zugang zum gesamten Orderbestand, also zu allen eingehenden Kaufs- und Verkaufsangeboten. Da die Kurse im SOES in Vierteln und nicht mehr in
II. Technologien der Finanzmärkte | 107 Achtelgrößen notiert wurden, konnten die Marktmacher aus den daraus entstehenden Kursspannen massive Profite erzielen. (Solomon 1974: 122-123) Die neuen Technologien haben folglich immer wieder entscheidende Beiträge bei der Veränderung des traditionellen Börsenhandelssystems geleistet. SOES eröffnete den Händler neue Möglichkeiten, ihre Computerprogramme zum Handeln einzusetzen. Die Händler operierten hauptsächlich im Tagesgeschäft und begannen, kleinste Kursdifferenzen für ihre Handelsaktivitäten auszunutzen. In dieser Zeit etablierte sich das Day-Trading. Im Börsendiskurs wurde diese Art von kurzfristigem Tageshandel sofort als ›schädlich‹ für langfristige Investitionen und damit für die Nachhaltigkeit angesehen und die Händler als »SOES-Bandits« kriminalisiert. (Ebd.) Die Händler selbst waren aber nur ein von der Computertechnologie erzeugter technologischer Effekt. Denn sie nutzten bloß die vorhandenen technischen Möglichkeiten auf ihre Weise. Sie waren die ersten Marktteilnehmer, die SOES gewinnbringend einsetzten und erhöhten damit den Druck für die Konkurrenten, diese ebenfalls anzuwenden. Neue Technologien wie die SOES veränderten jedoch weit mehr als bloß die Logistik der Order; sie erzeugten neue Geschäftsabläufe, neue Firmenstrukturen, modifi zierten letztlich auch die Wertschöpfungskette und neue berufliche Praktiken. Die Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnologien verliefen inhomogen und ungleichzeitig und müssen daher differenziert betrachtet werden. Die Automatisierung des Börsenhandels erfasste zunächst die administrativen Prozeduren im Back Office nach dem eigentlichen Handel. In diesem Bereich gab es keine nennenswerten sozialen Konflikte, da die datenverarbeitende Technik die zusätzlichen Handelsvolumina fortlaufend absorbierte. Als die Elektronik jedoch mehr und mehr zum eigentlichen Handel, zum Börsenparkett, vordrang, wurden intensive Auseinandersetzungen und Kämpfe um den Einsatz und das Ausmaß der Computerisierung geführt. (Cortada 2006: 176-178) Denn mit der Automatisierung des Börsenhandels wurden bestimmte Teilprozesse des Wertpapierhandels einer rigiden Rationalisierung unterworfen. In zunehmendem Maße strukturierten die Befehlsanordnungen auf den Tastaturen und Bildschirmen den Rhythmus des Handels. Computerunterstützte Systeme zerlegten den Börsenhandel in isolierte Elemente (beobachten, entscheiden, kaufen, verkaufen) und setzten sie mit Feedbackschleifen wieder neu zusammen (vgl. zur sozialen Regulation der Daytrader Millman 1999: 157). Das im Jahr 1991 aktualisierte »Fact Book« der New York Stock Exchange hat die maßgeblichen Technologien der Finanzmärkte aufgelistet und auf die Rezeptionskontexte der NYSE bezogen: »1867 1878 1881 1919 1930
Stock tickers fi rst introduced. First telephones introduced in the NYSE. Announciator board installed for paging members. Seperate ticker system for bonds installed. Faster ticker (500 characters a minute) installed.
108 | Das Wissen der Börse 1957 1964 1966 1969
1971 1974 1976
1977 1978
1979
1980
1982 1983 1984
1990
Quotron Systems, Inc., begins disseminating Information on last sale. New ticker (900 characters a minute) put in Service. Transmission of trade and quote data from floor fully automated. Autex Systems, a subsidiary of Xerox Corporation, offers block traders a means of seeking out interests. Instinet, a trading system developed by Institutional Networks Corp., begins operation. COMEX, an order-routing system of the Pacific Stock Exchange (later known as SCOREX) begins accepting order flow. NASDAQ begins operation in OTC securities. Consolidated tage pilot initiated. New high-Speed data live at the NYSE transmitting up to 36,000 characters a minute. The NYSE’s Designated Order Turnaround (DOT) system inaugurated. The Philadelphia Stock Exchange’s PAGE system begins operation. The NYSE’s Automated Bond Systems begins. The American Stock Exchange begins its PER system. The Intermarket Trading System begins. The Cincinnati Stock Exchange’s National Securities Trading System (NTS) begins. AutoQuote is initiated. The COMEX system on the Pacific Stock Exchange is upgraded and renamed SCOREX. The NASD adds an automatic execution capability to the NASDAQ system (CAES). The NYSE begins its OHRS system. The Midwest Stock Exchange introduces its automated execution system (MAX). The NYSE begins its Registered Representative Rapid Response experiment (R4). Experimental linkage between ITS and CAES begins. The American Stock Exchange introduces HUTOPER. Instinet adds automatic execution capabilities. The American Stock Exchange experiments wich AUTO AMOS, adaptation of HUTOPER to options. Herzog, Heine, and Geduld introduce their COLT system for executing Orders automatically. The Midwest Stock Exchange introduces MAX OTC, an automated trading system for OTC securities. The NASD plans to introduce a Small Order Execution System (SOSS) allowing automated executions. The NYSE introduces super-DOT, which allows automated execution in certain Stocks when the bid-ask spread equals one-eighth. SuperDOT – Electronic order-routing system used by member firms to
II. Technologien der Finanzmärkte | 109 transmit market and limit orders to NYSE and report back executed orders. Opening Automated Report Service (OARS) – Accepts member fi rm’s pre-opening orders. Market Order Processing – Designed to execute and report market orders from member firms. Limit Order Processing – Designed to collect and execute orders when specific price limits are reached. Electronic Book – Used by the specialists to handle large volumes of transactions. Post Trade Processing – Compares orders received with those processed, providing audit trail Prior to settlement and delivery of stock securities.« (New York Stock Exchange Fact Book 1991: 285; 1999: 177)
Mit dieser chronologisch strukturierten Tabelle soll der Eindruck entstehen, dass die NYSE in ihrer modernen Geschichte gegenüber den Finanztechnologien besonders innovativ und aufgeschlossen gewesen sei. Soziale Aspekte der technischen Rationalisierung der Börse werden in den großzügig angelegten Wirtschaftserzählungen prinzipiell ausgeblendet. Stattdessen rücken Narrative des chronologisch angeordneten technischen Fortschritts in das Zentrum der Selbstdarstellungsstrategien von Institutionen. Wie kann die ›gesäuberte‹ Erzählung von der lückenlosen Erfolgsgeschichte der technischen Innovation historisch kontextualisiert werden? In der nachfolgenden Fragestellung wird versucht, die politisch-strategische Dimension der Technologien aufzuzeigen.
II.2 I NFORMATIONSEFFIZIENZ »When time is money, speed becomes an absolute and unassailable imperative for business.« Benjamin Franklin, Advice to a Young Tradesman, 1748
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich in den USA mit der Rhetorik der »Informationseffizienz« eine Deutungsmacht, mit der die epistemischen Gegenstände zahlreicher Disziplinen eine Neuordnung erfuhren. In der Zeit des Kalten Krieges erhöhte die US-Administration die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt. Eine massive Investition in die Forschung und Entwicklung im Bereich der Waffensysteme bedeutete für die Wall Street, dass »viele Aktien von Rüstungsunternehmen und Elektronikfi rmen für das restliche Jahrzehnt gefragte Titel waren« (Geisst 2007: 319). Zahlreiche Wirtschaftszweige profitierten vom Umsatzanstieg im Rüstungsbereich und wandten sich der Hochtechnologie zu, um mit Hilfe staatlicher Subvention Waffensysteme zu entwickeln. An den Börsen konnte sich eine nachhaltige Haussee etablieren, die mehr und mehr Anleger anzog. In den
110 | Das Wissen der Börse frühen 1950er begann die NYSE mit der Durchführung von empirischen Sozialstudien, um damit aufzeigen zu können, dass sie sich über die traditionelle Klientel (Investoren, Parketthändler) hinausgehend für neue Anlegergruppen öffnete: im Jahr 1949 waren Kleinanleger an der Börse kaum vorhanden, zehn Jahre später hatte sich die Zahl der Kleinanleger im Aktienbereich verdoppelt. Diese Wachstumstendenz nimmt der erste Hedgefonds, der am 1. Januar 1949 von Alfred W. Jones aufgelegt wurde, vorweg (vgl. zur Geschichte und Entwicklung der »Hedgefonds-Industrie« Hornberg 2006: 9-24). Um das Marktrisiko zu begrenzen, fügte er zwei risikobehaftete Investitionsinstrumente zusammen: Leerverkäufe und den Einsatz von Fremdkapital (Leverage). Der Fonds war somit »gehedgt« (abgesichert), denn Jones verknüpfte kreditfinanzierte Aktien, deren Wert bei positiver Marktentwicklung steigen würde, mit Short-Positionen, die positive Ergebnisse erbringen, wenn der Markt sich negativ entwickeln würde. Jones verwendete bei der Absicherung die folgende Formel:
Unter Verwendung dieser einfachen Formel konnte Jones das systematische Risiko seines Fonds je nach Markteinschätzung vergrößern oder vermindern. Der moderne Begriff »hedge«7 verdankt sich also einer alternativen Anlageform der Grundidee des Absicherns von Wertpapiergeschäften. Jones strukturierte fernerhin die Vergütung des Fondsmanagers als Anteil am Gewinn und investierte daneben sein eigenes Kapital in den Fonds. Das gestiegene Handelsvolumen und die zunehmenden Anlageaktivitäten initiierten einen langanhaltenden Wachstumstrend, der sich Jahr für Jahr beschleunigte. (Weber 2004: 20) Da es Anfang der 1950er für Kleinanleger keine Medienöffentlichkeit gab, wurde diesem Fond anfangs nicht viel Aufmerksamkeit zuteil. Diese Situation änderte sich jedoch während der Haussee der späten 1960er Jahre und so konnte der Artikel »The Jones nobody keeps up with«, den Carl Loomis im April des Jahr 1966 für das populäre Fortune Magazine verfasste, die Investorennachfrage anheizen. Innerhalb der nächsten beiden Jahre wuchs die Hedgefondsbranche in den USA auf mehr als zweihundert Fonds an. (Kaiser 2007: 3) Die durch das Verteidigungsministerium, die Rüstungsunternehmen und die Elektronikfirmen mitgetragene Hausseeperiode am Aktien- und Anleihemarkt führte zu nachhaltigen Veränderungen an der Wall Street. Im Wertpapiergeschäft der 1950er und 1960er Jahre zählten die Investmentfonds als kollektive Akteure an den Finanzmärkten zu den größten Wachstumsbereichen. Investmentfonds waren in dieser Zeit ein neues Anlageprodukt für Kleinanleger, die mit diesem Finanzierungsinstrument versuchten, am Wachstum der Wall Street zu partizipieren. Im Unterschied zu den Banken bauten die Investmentfonds ihre Geschäftsidee nicht auf dem Kreditgeschäft auf, sondern sammelten das Kapital ihrer Kunden, um es in Aktien, Anleihen oder andere Wertpapiere zu investieren. Vor dem Hinter-
II. Technologien der Finanzmärkte | 111 grund der Feindseligkeiten in der Ära des Kalten Kriegs zeigten sich die Fonds in einem anderen Licht: ihr Betätigungsfeld hatte sich auf die Kapitalakkumulation für die Rüstungsindustrie konzentriert. In der Aufrüstungsspirale wurden die Risiken für die Kleinanleger minimiert und satte Renditen erwirtschaftet. (Eames 1984: 17) Mit diesem massiven Andrang von Anlegern auf dem Aktienmarkt und der stark zunehmenden Anzahl von Abwicklungen erhöhten sich die Kosten für die Verwaltung und Buchführung des Aktienhandels an der Wall Street in den gesamten 1950er Jahren. Diese Tendenz setzte sich unter den Demokraten in den 1960er Jahren fort. Damit einhergehend erhöhte sich das Tempo des Handels insgesamt und führte zu überdurchschnittlichen Fehlerquoten im Bereich der Auftragsverarbeitung: »In New York mussten als direkte oder indirekte Folge der so genannten paperwork crisis der Jahre 1968 bis 1970 etwa hundert NYSE-Mitglieder ihren Betrieb einstellen. Abhilfe versprach die noch junge Computertechnologie. Es begann die große Zeit der Lochkartenapplikationen in den back offices der Broker und Banken.« (Meier/Sigrist 2006: 279) Da sich die zentrale Verrechnung von gegenseitigen Verbindlichkeiten bei Geldtransaktionen und Wertpapieren (clearing) nicht über Nacht lösen ließ, begannen zunächst im Januar 1968 die NYSE und die Over-The-Counter Markets (OTC) ihre Büros um zwei Uhr nachmittags anstatt um drei Uhr nachmittags zu schließen, um dem Personal in den Abrechnungsstellen mehr Zeit für das Clearing des täglichen Transaktionsvolumens zu ermöglichen. (Cortada 2006: 165) Dieser Ansatz verfehlte seine Wirkung angesichts des immer größer werdenden Transaktionsvolumens und das Problem der anwachsenden Komplexität der Datenverarbeitung. Als zweites entstand im März 1970 das Banking and Securities Industry Committee (BASIC), das die Probleme auf längere Sicht angehen sollte. Eines dieser Probleme betraf die Aktienzertifikate, ohne die die Käufer und Verkäufer nur ungern zu Transaktionen bereit waren. Die Branche schuf eine Organisation, Central Certificate Services (CCS) genannt, und 1975 umbenannt in The Depository Trust Company, um die nötige Logistik abzuwickeln, aber sogar dies erwies sich nur als geringfügige Verbesserung. Mittlerweile hatten die verschiedenen Börsen unabhängig voneinander diverse rechnergestützte Verfahren eingeführt, um die Papierflut einzudämmen und den Abgleich der Konten und Transaktionen zu beschleunigen. (Shiller 2003) 1972 gründete die NYSE die Securities Industry Automation Corporation (SIAC), die den Großteil der IT-Ausrüstung und der kommunikativen Infrastrukturen zu koordinieren hatte und zusätzlich die Verantwortung für diverse Clearing Funktionen zu übernehmen hatte. Mit der Zeit verbesserte sie nicht nur die Effizienz, sondern führte auch eine ganze neue Generation von Managern in der Branche an Computer und ihre Vorzüge heran. Nachdem sie das Continuous Net Settlement System (CNS) aufgebaut hatte, begann sie die Arbeit an einem System zur Automatisierung der Auftragsabwicklung, dem Common Message Switch (CMS),
112 | Das Wissen der Börse das 1976 in Betrieb genommen wurde. Die Krise im Back Office der Börsen und Banken der Jahre 1968 und 1969 führte dazu, dass sich die Wertpapierbranche auf breiter Ebene mit der Automatisierung der eigenen Büroarbeit beschäftigte. In diesem Zusammenhang wurde die logistische und organisatorische Grundlage für die Entstehung der modernen Finanznetzwerke geschaffen (vgl. Chandler 1977; Williamson 1985). Regionale Börsen erwiesen sich in der Nutzung von Computern als dynamischer als die NYSE, da sie die NYSE in erster Linie als Konkurrenz sahen. Ihr Interesse war daher, Kosten zu senken und die Auftragsausführung zu beschleunigen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die Branche kam jedoch auch zunehmend zu der Erkenntnis, dass die Installation von Computern zur Beschleunigung des Geschehens allein nicht ausreichen würde. (Cortada 2006: 166) Da die Maklerfirmen bei der Ausstellung von Aktienzertifikaten8 sehr eng miteinander kooperierten, waren Verbesserungen in einzelnen Firmen oder Maklerbüros nicht genug; die Veränderungen mussten in der gesamten Branche geschehen, was diese jedoch erst noch in Angriff nehmen musste. In den späten 1960ern waren Anbieter und Computerexperten immer noch dabei, dem Management der Branche zu zeigen, wie mit Computern Arbeitsprozesse verbessert werden könnten, während zur gleichen Zeit die Branche schon eine Pressekampagne in Gang setzte, um die Umstellung auf Automatisierung anzuzeigen. Man muss jedoch bedenken, dass die Branche schon über ein halbes Jahrhundert telegrafische und telefonische Anlagen genutzt hatte und diese permanent verbesserte und aufstockte, sodass Firmen Computer nutzten, die mit antiquierten Telekommunikationsanlagen vernetzt waren – zu einer Zeit, als die dritte Generation der General Purpose Computer Mitte der 1960er Jahre verfügbar wurde. Die Umstellung auf elektronische Informationssysteme brachte einen Automatisierungsschub im Börsenhandel in Gang, der bestimmte Teilprozesse des Wertpapierhandels einer rigiden Rationalisierung unterwarf. Mit der ständigen Weiterentwicklung der Informationssysteme in verschiedenen Teilbereichen der Börsenkommunikation wurden die Handlungsabläufe in einzelne Elemente zergliedert und dabei stark normiert und entsprechenden Kontrollroutinen unterworfen. Im Kontext der beginnenden Automatisierung des Handels tauchte ein neuer Begriff auf: Informationseffizienz. (Freedman 2006: 9f) Die Frage der Informationseffizienz beeinflusste die Entwicklung der ersten Computernetzwerke auf maßgebliche Weise: ein fortschrittlicher Begriff wie etwa »Speicherkapazität« warb nicht nur für eine neue Generation von Computersystemen, sondern versprach kosteneinsparende Begleitmaßnahmen für die betriebliche Organisation. (Abb. 27) Die Produktwerbung des Computerherstellers Remington Rand veranschaulicht, dass die Büroverwaltung insgesamt als wirtschaftlich organisiertes Speichermedium angesehen wird. Diese Reklame kann auch als Indikator für die Neubewertung des menschlichen Gedächtnisses gelesen werden. Sie zeigt, dass das Gedächtnis mit Leistung, Effizienz und planerischem Kalkül gleichgesetzt
II. Technologien der Finanzmärkte | 113 werden soll. Das Zeitgemäße wird hier einem normativen Wertemaßstab deklariert. Im Mittelpunkt dieser Umwälzungen steht der Computer, der den Informationsstrom und den Finanzstrom auf rentable Weise vereint. Die technische Erzeugung von Informationseffizienz durch direkte Kommunikation entspringt folglich nicht nur einer militärischen Logik. Die Informationstechnologie der 1950er Jahre wurde nicht nur zur militärischen Kommunikation genutzt, sondern war in betriebswirtschaftliche Diskurse eingebettet. Einerseits lieferten die ökonomischen Berechnungen der Information den diskursiven Rahmen bei der technischen Umsetzung der frühen Computernetze; andererseits stützte sich die Elektronifizierung der Finanzmärkte auf die ökonomische Kalkulation der Kommunikationsnetze. (Book 2001: 9)
Abbildung 27: Computersystem Univac, 1958, Remington Rand Inc. Company Archive
Die derart betriebswirtschaftlich ökonomisierte Börse stand für eine neue demokratische Kultur: die Ermöglichung der schrankenlosen Zugangsmöglichkeit durch die rechnergestützten Technologien wurde im Modernisierungsdiskurs als demokratische Errungenschaft dargestellt (Sabourin/ Serval 2007: 601). Das Kosten-Nutzen-Verhältnis schrankenloser Geld- und Informationsströme sollte gleichermaßen für die ökonomische Kalkulation demokratischer Entscheidungsprozesse stehen. Die Börse wurde also zu einer Institution aufgebaut, die eine soziale Dynamik auf technische Weise multiplizieren sollte. Dementsprechend wurden Marktpreise als vollständig effizient bezeichnet, wenn sich in ihnen alle vorhandenen Informationen
114 | Das Wissen der Börse widerspiegeln.9 Damit sich die vorhandenen Informationen vollständig im Preis widerspiegeln können, muss auf dem Kapitalmarkt zunächst eine Informationsverarbeitung stattfi nden. Setzt man eine vorurteilsfreie Informationseffizienz des Kapitalmarkts voraus, dann reflektiert der Marktpreis alle vorhandenen Informationen. Bei vorurteilsfreier Informationseffizienz gibt es keine Insiderinformationen mehr, da alle Informationen im Preis berücksichtigt werden. Diese Sichtweise macht den technischen Dezisionismus zur Grundlage demokratischer Entscheidungsprozesse und stilisiert die Börse zum Bindemittel von Demokratisierung, Betriebswirtschaft und Social Engineering. Die Theorie effizienter Märkte wird so zum Kriterium demokratischer Partizipation. Wenn Volatilität zum Beurteilungskriterium demokratischer Zugangschancen wird, dann liegt es nahe, den Beitrag von Bürgerinnen und Bürgern als Inputsignal zur Erhaltung der Effizienz des demokratischen Systems zu interpretieren. Diese Lektüre verstärkt die Rolle der Börse als effektive Demokratisierungsinstanz. So gilt Marx’ Diktum, dass letztlich »alle Ökonomie zu Zeitökonomie werde« (Marx 1983: 105) und Benjamin Franklins allgemein bekannte Formel »Time is Money« gleichermaßen für die Börse und die sich formierende Computertechnologie. (Abb. 28) Von den Rechnertechnologien erwartet man sich, dass sie die finanziellen Transaktionen schneller und damit kostengünstiger bewältigen: »Denn sowohl für die Entwicklung von Börsenkursen, also den Aktienwert, wie auch für den Nachrichtenwert gilt für den, der damit sein Geschäft machen will, das Prinzip der Echtzeitübertragung: Schon die geringste Verzögerung kann die übertragene Information völlig wertlos machen.« (Hartmann 2006: 59) Dieses Narrativ der KostenNutzen-Kalkulation der Börseninformation dominiert die Entwicklung der Finanztechnologien in den 1950er Jahren und besteht – mehr oder weniger ungebrochen – bis heute. Die Ende der 1950er Jahre entstehenden Börsennetzwerke stehen nicht nur für ein optimiertes Kosten-Nutzen-Verhältnis, sondern auch für das rationalistische Kapitalmarktmodell einer betriebswirtschaftlich demokratisierten Börse. Die Finanztechnologien der Börse machen die Demokratisierung von Institutionen zur modernen Angelegenheit der Informationseffi zienz: Finanzmarktwissen soll für alle gleichermaßen zugänglich werden. Demokratisierung erscheint in dieser Hinsicht als wirtschaftlicher Prozess der Markttransparenz: die Maximierung der Marktteilnehmer sorgt für den undemokratischen Abbau von effektiver und effi zienter Bewirtschaftung von Information. Es muss hier aber auch eingeräumt werden, dass der Begriff Informationseffi zienz die computertechnologische Beschleunigung der Börseninformationen in erster Linie rhetorisch einbettet, jedoch kein in sich geschlossenes Paradigma formuliert. So gesehen kann Informationseffi zienz als eine diskursive Figur verstanden werden, mit der variable Versuchsanordnungen eine Orientierung erhalten und technische Bedingungen und mediale Strukturen fokussiert werden.
II. Technologien der Finanzmärkte | 115
Abbildung 28: Effizienzsteigerung durch Computerisierung, 1952, Telecomputing Corporation, Burbank, California »Their 1961 system was based on a central computer ›ticker plant‹ located near Philadelphia that redistributed prices to regional brokerage offices. Market data were distributed with the new AT&T Dataphone lines and stored at local brokerage offices on Ultronic magnetic drums (not tape). Because of the combination of storage with computation, brokers could obtain transaction prices as well as data derived from the trades, including (1) ticker symbol; (2) the previous day’s closing price; (3) today’s opening; (4) high, (5) low, and (6) closing prices; (7) the total accumulated shares traded (volume); (8) the net change from the previous trade; and (9) the exchange where the stock is traded. The distribution of market data from the ticker was now tied to algorithmic computation – market analysis – designed to help traders assess the market conditions.« (Freedman 2006: 221) Die hier aufgezählten medientechnologischen Prozeduren zur Durchführung komplexer Finanztransaktionen stellen epistemische Praktiken dar, da sie sowohl die Sammlung und Aufzeichnung (Marktdaten) als auch die Auswertung und Zusammensetzung von Wissen (Marktanalyse) konstitutiv bedingen und ermöglichen. Sie erzeugen weit gestreutes ökonomisches Wissen und bilden dabei neue Transformationen zwischen theoretischen Darstellungsweisen (z.B. Formeln und Zahlzeichen), Datenmodellen (z.B. Diskretisierung/Digitalisierung von Variablen/Parametern) und Datenauswertungen (z.B. Modellierung von Feedbackprozessen). Die neuen Kommunikationsnetze strukturieren die ökonomischen Objekte und Praktiken im operativen Handel. Sie konfigurieren die kulturellen Ausdrucksmodalitäten der Marktakteure und homogenisieren die mediale Wahrnehmung auf den Finanzmärkten. Informationseffi zienz beschränkt sich nicht nur auf die Medienkanäle, sondern ist immer auch eingebunden in informationsästhetische Strategien. Die Praxis der Generierung und Prozessierung von Formeln, Zahlzeichen, Charts und Tabellen ist eine Wirklichkeit erzeugende Praxis, die immer wieder von neuem
116 | Das Wissen der Börse verhandelt und ausgedeutet werden muss. Technische Darstellungsformate sind folglich immer in Ordnungen der Repräsentation eingebunden, die sich an die Grenzen des Darzustellenden heranführen. Märkte existieren folglich nur durch die Wissenspraktiken oder die Wissenskulturen der accounting societies (vgl. Miller 1992; Hopwood/Miller 1994). Die technischen Medien der Bank- und Finanzwirtschaft generieren Sachverhalte, deren Sinn und Referenz vermischte Konstellationen von distinkten Elementen und beweglichen Variablen bilden. Insofern sind sowohl die ökonomischen Objekte der Bank- und Börsenwirtschaft als auch die kalkulativen Praktiken des Finanzmarktwissens immer auch Ergebnisse spezifi scher Kulturtechniken, welche die Performanz und Reflexivität der beteiligten Akteure miteinschließen. Das Netzwerk von Ticker, Telefon, Lochkartenleser, Schnelldrucker, Fernschreibterminals und Plattenspeicher verschaltet die Prozessierung von Zeichen, Daten und Informationen mit den Entscheidungsprozessen auf den Finanzmärkten. Diese Speicher- und Verarbeitungsmedien operieren ausschließlich mit kalkulierbaren Objekten. Durch Unterscheidung und Einteilung machen sie die jeweiligen Elemente berechnungsfähig und erstellen schließlich eine kalkulierbare Ordnung, die zur Entscheidungsgrundlage der Finanztransaktionen wird. (Callon/Muniesa 2005) Die im Bereich der Ökonomie tätigen Medien und Technologien schaffen nicht nur die Möglichkeiten der kalkulativen Praktiken der Bankwirtschaft und Finanzmärkte, sondern strukturieren das gesamte ökonomische Geschehen, indem sie es neu ordnen, beschleunigen und unter permanenten Innovationsdruck setzen. Die hier beschriebene Assemblage unterschiedlicher Medien generiert Wissen für Investoren, Kleinanleger, Broker, Manager und Unternehmer, die das Wissen für ihre eigenen Zwecke nur nutzen können, weil es die Medien wissen. Das rechnergestützte algorithmische Wissen fließt in sekundäres Beobachtungswissen ein – wie es etwa im Bereich des Risikomanagements erstellt wird, wo mit Hilfe von diversen Geschäftsberichten, Marktanalysen und Bilanzierungsmethoden weiterführende Formate kalkulativer Wissensrepräsentationen und ökonomischer Bewertungsverfahren hergestellt werden. »Mit diesen technischen Dingen wird das epistemische Objekt erkundet: Das zentrale epistemische Objekt in der Bankwirtschaft und auf den Finanzmärkten ist die ökonomische Zeit von Märkten und Investitionen. Die bankwirtschaftliche Infrastruktur der Kalkulation besteht nun aus folgenden Elementen: Erstens verfügen Groß- und Geschäftsbanken über ein globales Netzwerk an Rechnern, das Daten und Software bereitstellt und mobil hält. Tägliche Backups aller Niederlassungen, Filialen und Tochtergesellschaften werden über Sattelitenleitungen an die jeweiligen zentralen Standorte (London, Frankfurt, Paris, New York etc.) übermittelt […]. Zweitens, die Formate, in denen die Daten repräsentiert, geordnet und zugerechnet werden (etwa Listen, Tabellen oder Kartogramme).
II. Technologien der Finanzmärkte | 117 Drittens, ein System ökonomischer Kennziffern: Diese Kategorien klassifizieren ökonomische Praktiken, ordnen und gruppieren sie. Viertens, Berechnungsverfahren und ökonomische Modelle, mit denen Kennziffern und andere ökonomische Werte berechnet werden. […] Fünftens, die Risikomanager und Risikoanalysten selbst: Als menschliche Akteure machen sie Gebrauch von der Technologie, den Kategorien und Formaten der Repräsentation; ihr Ziel ist es, die ökonomische Zeit der Investition herauszufinden und ihre Entscheidung durch eine kohärente und plausible Darstellung zu legitimieren.« (Kalthoff 2007: 9) In einer weiterführenden Betrachtung von kalkulativen Praktiken in Organisation und Gesellschaft kann die grundsätzliche Frage aufgeworfen werden, in welcher Weise sie in der ökonomischen Welt der Finanzmärkte zur Konstruktion und Durchsetzung neuer Beziehungen zwischen sozialen Objekten, Personen und Dingen in der Gegenwartsgesellschaft beitragen. Welche Verbindungen gibt es zwischen Medien, Regierungstechniken und den Technologien des Selbst in einer sich fortschreitenden Vermarktlichung des Sozialen? In diesem Sinne können die Wissens- und Praxisformen des Accounting nicht nur als eine language of business aufgefasst werden, sondern machen den Strukturwandel der Gegenwartsgesellschaft erfahrbar. So erzeugen kalkulative Praktiken soziale Sachverhalte und Tatbestände immer auch auf aktive Weise. Das Prinzip der Kalkulation und Kalkulierbarkeit prägt unsere Gesellschaften nicht nur in allgemeiner Hinsicht, sondern auch ausgehend von jenen kalkulativen Steuerungs- und Regulierungsformen, die wir im Bereich der Marktaktivitäten vorfi nden.
Abbildung 29: Maklerbüro in New York, 1962, Life Magazine Mit der in den späten 1950er Jahren einsetzenden Elektronisierung der Börsenkommunikation erhält die Kommerzialisierung des Accounting einen bedeutenden Anschub. (Abb. 29) Die vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs finanzpolitisch geförderten Rüstungskonzerne und Elektronikfi rmen ver-
118 | Das Wissen der Börse änderten mit ihrer Informatisierung der globalen Finanzmärkte nicht nur die ökonomische Geordnetheit der Geld- und Kreditmärkte, sondern haben zur umfassenden Informatisierung des Sozialen maßgeblich beigetragen – ein Prozess der Ökonomisierung der Gesellschaft, der bis heute andauert (vgl. die von Schimank und Volkmann untersuchte »Ökonomisierung« der nichtwirtschaftlichen Sozialsysteme Bildung, Wissenschaft, Forschung, Gesundheit und Kultur, 2008). Die Informations- und Kommunikationstechnologien in der Securities Industry haben eine neue Qualität der Kalkulation in Gang gesetzt. Heute kann alles, was informatorisch erfasst wird, auch dementsprechend berechenbar gemacht werden und in einem globalen Informationsraum kommuniziert werden. Kalthoff nennt die Performanz ökonomischen Rechnens ein »formales Drama« und untersucht in seinen Studien zur Wirtschafts- und Finanzsoziologie die »Arbeit an der Zeichenhaftigkeit«, die er in den ökonomischen Versuchsanordnungen der Finanz- und Bankwirtschaft beobachtet. Dabei geht es ihm weniger darum, »[…] dass ökonomische Objekte und Praktiken durch Formeln, Gleichungen und Berechnungen dargestellt werden oder Abwesendes durch Inskriptionsprozesse repräsentiert wird, sondern darum, dass sie durch die tools der Kalkulation hervorgebracht werden. Eine Kalkulation, die ihrerseits Uniformität, Vergegenständlichung und Herrschaft einschließt. Deutlich geworden ist, dass der praktische Vollzug ökonomischer Berechnungen nicht auf das In-Gang-Setzen rechnergestützter Kalkulationstools beschränkt werden kann, sondern impliziert, dass die Kalkulation als eine objektive und legitime zuverlässige Berechnung von den Akteuren auch dargestellt wird. Diese Auff ührung ist eine Routinepraxis und geschieht in den rechnergestützten rhetorischen Formaten der Kalkulation (etwa Zahlzeichen, Charts, Listen) sowie in den interaktiven Akten der menschlichen Akteure, die füreinander Rationalität, Effizienz und richtige Entscheidung darstellbar machen und damit die soziale Anerkennung der Kalkulation als eine für das Geschäft richtige, ökonomische Repräsentation vollziehen.« (Kalthoff 2007: 14) Mit der Transformation der Finanzmärkte zu rechnergestützten Systemen prägen digitale Zeichenpraktiken heute zunehmend die Dynamik von Aktienmarkt und Wertpapierhandel. Die gigantischen Datenmengen der Finanzprodukte, Derivate und Transaktionen bleiben jedoch stets bedroht – von ihrer Lesbarkeit. An diesem Knotenpunkt überlagern sich die medialen Kanäle mit normativen Mediendiskursen: der Durchbruch der informationsökonomischen Moderne ist mit dem Auftauchen des »Menschen« als »Bedienfehler« eng verknüpft; die Diskursfi gur der »menschlichen Fehlleistungen« im Computersystem begleitet die kybernetische Maschinenrhetorik der »Informationseffizienz«. In der digitalen Moderne verwandelt sich die Börse zum Zentrum informationsökonomischer Diskurse und wird selbst zum Gegenstand betriebswirtschaftlicher Monitoring-Programme.
II. Technologien der Finanzmärkte | 119
II.3 G ENEALOGIE
DER ELEK TRONISCHEN
N ETZE
»It was an absolute miracle to be able to push a button and pull up on the screen everyone from all over the country, and all of their current bids and offers.« Gordon Macklin, Präsident der National Association of Securities Dealers
Das Jahr 1961 markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Welt der Finanzmärkte. In diesem Jahr gab der US Kongress bei der US Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) eine Studie der US Wertpapiermärkte mit Fokus auf die außerbörslichen Geschäfte (Over the counter, OTC) in Auftrag. Die Studie der SEC untersuchte die Möglichkeiten einer Segmentierung und Automatisierung des Börsenhandels und empfahl die Einrichtung eines Computersystems zur Erfassung aller OTC-Geschäfte: »If securities markets are to be truly public institutions, as they have been under the law for 30 years, the public interest in questions of automation must have a voice. The Commission should equip itself to keep abreast of electronic and computer developments in the securities industry.« (SEC 1963, Bd. 5: 93). Der Report der Börsenaufsicht betonte neben den üblichen Hinweisen auf die Senkung der Transaktionskosten die neuen Möglichkeiten der »lückenlosen« Datenüberwachung bei der Automatisierung der Börse: »Beyond this datasupplying function, a system of continuous classification and identification would serve as a basis for whatever degree of further regularization and regulation of over-the-counter markets may seem warranted, now or in the future, in what should be a continuing effort to improve and strengthen such markets generally.« (SEC 1963, Bd. 5: 670) Der Bericht verknüpft damit die Idee eines öffentlichen elektronischen Marktes mit der Einrichtung protokollarischer Aufzeichnungsmedien in allen Teilaspekten des Börsengeschehens. Die Geschichte der digitalen Informations- und Kommunikationsmedien an der New Yorker Börse kann auf zweierlei Weise erzählt werden: entweder als die Geschichte der kontinuierlichen Einführung neuer digitaler Anwendungen über den gesamten Zeitraum oder als die Geschichte vom Widerstand gegen die regulatorischen Bestrebungen der SEC. Mit der Implementierung der neuen Technologien der 1960er erwartete sich die Börsenaufsicht einerseits die Schaff ung eines nationalen Aktienmarktes, andererseits eine Einschränkung der ökonomischen Macht der führenden Börsen. Beide Projekte sind eng miteinander verschränkt. (Seligman 1977: 265) Zusammen zeigen sie, wie die Informationstechnologie den Lauf der Ereignisse beeinflusste und zur gleichen Zeit ein gewichtiger Bestandteil einer breiteren Entwicklung der gesamten US-Wirtschaft wurde. Die SEC war maßgeblich an der infrastrukturellen Expansion des Geld- und Kreditmarktes beteiligt. Ihr Ziel war es, allen potentiellen Käufer und Verkäufern von Aktien Informationen über die aktuellen Preise zugänglich zu machen; überdies sollten sie ihre Aufträge an jedem beliebigen Börsenort platzieren
120 | Das Wissen der Börse können. Die Repräsentanten der SEC begannen, Computertechnologien und Telekommunikationssysteme so miteinander zu verknüpfen, dass es für NYSE und AMEX, Regionalbörsen sowie dritte und vierte Märkte möglich werden sollte, miteinander im Wettbewerb zu stehen, und so die Notwendigkeit weiterer Regulierung entfallen würde. Als die SEC in den 1970er Jahren diese Vernetzung forcierte, sah die NYSE dies als Angriff auf ihre Souveränität am Markt und stellte sich dagegen. Die SEC strebte überdies ein konsolidiertes System der Börsennotierung an, wogegen sich die NYSE wie auch die AMEX sträubten, denn eine bessere Notierung an einer andern Börse würde ihrer Ansicht nach die Makler veranlassen, ihre Transaktionen dementsprechend zu verlagern. Aber die SEC setzte sich durch und im Januar 1978, nach einem Jahrzehnt des Widerstandes, wurde das System umgesetzt. Während der 1970er Jahre diktierte die SEC den US-Börsen ihre Vorstellung von einem nationalen Markt, der durch den Einsatz von Computern ermöglicht werden sollte. (Cortada 2006: 173f) Der Computer wurde infolgedessen als ein operatives Medium eingesetzt, das den US-amerikanischen Finanzmarkt einerseits vereinheitlichen sollte, andererseits von traditionellen Monopolstellungen liberalisieren sollte. (Abb. 30) Vom fl ächendeckenden Einsatz der Computertechnologie erwartete man sich die automatische Ausführung der Aufträge, wenn die Preise übereinstimmten. Auf diese Weise versuchte man, die Struktur eines Auktionsmarktes beizubehalten. Die SEC ging dabei schrittweise vor. Sie strebte zum Beispiel ein nationales konsolidiertes Limitauftragsbuch an, das alle Aufträge in einem System beinhalten könnte. Dieses stieß jedoch auf größten Widerstand, weil dadurch die Arbeitsplätze der Makler und der Spezialisten vor Ort an den Börsen bedroht gewesen wären, und die Führungsrolle der NYSE irrelevant geworden wäre. Die Börsen antworteten 1978 mit einem Gegenangebot und etablierten das Intermarket Trading System, das den Händlern erlaubte, an jedem beliebigen Markt zu handeln und die besten Preise für Kauf und Verkauf zu erzielen. Kurz, es war eine, durch technologische Entwicklung möglich gewordene Gegenmaßnahme, die den Impetus der SEC, in den 1970ern einen nationalen Markt zu schaffen, abbremsen sollte. (Seligman 1977: 285f) Der Trend, Makler mit Echtzeit-Daten über Aktien auszustatten, die nicht an den Großbörsen notiert waren, hatte sich inzwischen verfestigt. Als Ergebnis begann die NASD (National Association of Securities Dealers), welche die größte selbstverwaltete Organisation in der US-Wertpapierbranche darstellt, mit der Entwicklung eines elektronischen Handelssystems. Am 8. Februar 1971 erfolgte schließlich der erste Tradingtag der National Association of Securities Dealers Automated Quotation System (NASDAQ). Als der Handel am 8. Februar 1971 begann, war dies die erste elektronische Börse auf der technologischen Basis von zwei Univac-Computern. (Cortada 2006: 177-178) Die an die Electronic Communications Networks (ECN’s) angeschlossenen Unternehmen konnten nun in ›Echtzeit‹ die Preisstellungen sehen und darauf reagieren. (Ingebretsen 2002: 184-188) Zum ersten Mal konnte man aktuelle Notierungen für eine große Anzahl von Aktien sehen, unabhängig
II. Technologien der Finanzmärkte | 121 davon, wo sie gehandelt wurden. So verringerten sich die Spreads und damit auch die Verdienstspanne der Makler. In den 80er Jahren begann dieses System schließlich, Aufträge automatisch auszuführen. Die Entstehung von NASDAQ kann folglich als ein integrierender Faktor in der nachrichtentechnischen Transformation der Branche bezeichnet werden, denn es schuf die Infrastruktur für ein nationales Netzwerk auf digitaler Basis.
Abbildung 30: Grenzenlose Informations- und Geldströme, Firmenlogo Bunker Ramo, 1972 Obwohl in der allgemeinen Wahrnehmung das Internet die Organisation der Büroarbeit in den USA ab Mitte der 90er Jahre zu verändern begann (mit dem Erscheinen neuer Tools zur vereinfachten Nutzung des Telekommunikationsnetzwerkes), waren schon seit den 1980ern Veränderungsprozesse im Gange, die durch die Verbindung von Telekommunikation und Datenverarbeitung ausgelöst wurden. Bevor das Internet weitreichend zugänglich wurde, konnte man Dienstleistungen in Anspruch nehmen, indem man entweder einen Anbieter anrief oder eine 800er Nummer wählte. Die Benutzer benötigten dazu Software, die es ermöglichte, von einem PC aus mit einem Online-Dienst zu kommunizieren. Dies waren Angebote, die man abonnierte und durch die man individuellen Zugang zu verschiedenen Dienstleistungen und Informationsquellen erhielt. Die Zahl der Nutzer blieb jedoch gering und Versuche, Dienstleistungen für Online-Wertpapierhandel anzubieten, steckten noch in den Anfängen und waren noch kaum verbreitet. Eine der frühesten erfolgreichen Online-Händler war DLJdirect, der ab 1988 den Kontakt über Telefon und über den PC der Investoren herstellte. Diese Art der Finanzdienstleistung wurde bereits in den frühen 1980er Jahren von Charles Schwab & Fidelity angeboten. (Kador/Schwab 2002) Die Einführung von Personal Computern in der Wertpapierbranche in den 1980ern etablierte eine neue Diskursfigur im Börsenhandel: die Rechnerkapazität. Damit einhergehend verändert sich auch die Sozialstruktur im Börsenhandel, indem sich technisch induzierte Mikropraktiken und dezentralisierte Communities herausbildeten. In der Folgezeit wanderten erfolgreiche Abschlüsse vom Börsenparkett auf den Desktop. Der Personal Computer ersetzte
122 | Das Wissen der Börse allmählich das Auftragsbuch der Makler und wurde zur Experimentalanordnung für individuelle Investment-Portfolios. (Teweles/Bradley 1998: 202-208) ›Flexibilität‹ und ›Mobilität‹ waren nicht nur die Kennzeichen der aufsteigenden Kommunikationstechnologie, sondern auch das neue Image der Selbstunternehmer in der Wertpapierbranche. (Abb. 31) Der Zugriff auf Daten von Aktienpreisen galt noch bis Beginn der 1980er Jahre als das ureigenste Monopol der Professionellen der Branche. (SEC 1997: 26) In den frühen 1980er wurden eine Vielfalt neuer Anwendungsmöglichkeiten entwickelt, in Form von Informationsprodukten von Firmen, die auf das Sammeln finanzieller und ökonomischer Daten, die für den gesamten Finanzsektor nützlich waren, spezialisiert waren. (Rappaport 1988: 104-108) Aktiendaten wurden auch in maschinenlesbarer Form vom Center for Research and Security Prices an der University of Chicago zugänglich gemacht, und die Media General Financial Weekly errichtete eine Datenbank, die in den späten 80ern Informationen über mehr als 3000 Gesellschaften/Firmen hatte. Die Interactive Data Corporation (IDC) wurde zu einem der populäreren Zulieferer von Daten sowohl in batchform (in einer Form, die nicht online zugänglich ist) als auch etwas später online. Sie sammelte tägliche Informationen zu Preisen und Handelsvolumen von der NYSE und von der AMEX und später von OTC-Transaktionen. Es gab Dutzende solcher Angebote, die sich an zwei Abnehmergruppen richteten: den professionellen Portfolio Manager in einer Maklerfirma, einer Bank oder in einer Finanzberatungsfirma; und an den individuellen Investoren, der von seinem heimischen PC aus agierte. (Benn 2000: 1-22)
Abbildung 31: TRS 80 Taschencomputer, März 1982, Mechanix Illustrated
II. Technologien der Finanzmärkte | 123 Zu Beginn der 1990er Jahre hatte sich schließlich eine ganze Reihe digitaler Anwendungen in der Wertpapierbranche durchgesetzt. Kurz vor der Einführung des Internets waren in der Branche die Geschäftsvolumen sprunghaft angestiegen und Datenverarbeitung und Telekommunikation waren allgegenwärtige Themen. Große Wertpapierfi rmen hatten ihre Zweigstellen mit Onlinesystemen ausgestattet, mit denen das Börsengeschehen beobachtet und Konten geführt werden konnten. Die Branche hatte sich die digitalen Verfahren umfassend angeeignet, auch wenn die grundlegenden Arbeitsverfahren im Wesentlichen die gleichen blieben wie noch zwei Jahrzehnte zuvor. (SEC 1997: 27, 60) Mit dem Aufstieg der ECN’s entstanden seit den 1960er Jahren börsenähnliche Organisationen, die seit der Deregulierung der US-amerikanischen Aufsichtsbehörden im Jahr 1997 das technisch-mediale Dispositiv der Deregulierung repräsentieren: sie stehen in erster Linie für die effi ziente elektronische Ausführung von Börsenaufträgen. (Book 2001: 100-127; Ingebretsen 2002: 175-194) Beim elektronischen Vorgänger, dem 1991 gestarteten Integrierten Börsenhandels- und Informationssystem (IBIS), sammelten Computer zwar auch Aufträge. Doch selbst wenn jemand ein Wertpapier für damals 50 D-Mark verkaufen und ein anderer zum selben Preis kaufen wollte, passierte nichts ohne den Eingriff eines Menschen. Denn bei IBIS mussten die Händler für eine Kauf- oder Verkaufsorder an ihren TerminalComputern immer noch die Taste »K« (für Kaufen) drücken. Während traditionelle Börsen erst in den vergangenen Jahren vom Parketthandel zum Computerhandel übergegangen sind – etwa die Deutsche Börse mit ihrem XETRA-System beim DAX, wurde die NASDAQ bereits bei ihrer Gründung als automatisierte Börse konzipiert. Sie wurde zum Inbegriff des amerikanischen Wirtschaftswunders der 1990er Jahre (Fabozzi/Modigliani 2003: 235). Die NASDAQ-Aktionsbörse notierte nahezu 5.000 Firmen, Informationstechnologie- und Softwareunternehmen, Internet Start-Ups und Biotechnologiefirmen, besaß ein größeres Dollarvolumen und handelte täglich mit mehr Aktien als alle anderen Märkte der USA. So betrug die Börsenkapitalisierung Ende Juni 2000 etwa 5,5 Billionen Euro im Gegensatz zu lediglich 200 Milliarden Euro am Neuen Markt in Frankfurt. Da die Marktschwankungen im Technologiesektor größer waren als bei den Dow-Werten, zeichnete sich die NASDAQ durch erhebliche Volatilitäten aus. Die durch die Vernetzung in Aussicht gestellte ›Markttransparenz‹ blieb jedoch das Ergebnis historisch sich wandelnder Wissensrepräsentationen und -kulturen. So repräsentierten 1971 sogenannte »Median Quotes« die Mittelwerte der Kurse für jedes Wertpapier. Erst im Jahre 1980 wurde das alte System der Mittelwertanzeige durch die Visualisierungstechnologie des Inside Market ersetzt. Nun konnten die Markteilnehmer das beste Kaufangebot (das teuerste) und das beste Verkaufsangebot (das billigste) für jedes NASDAQ-Papier überblicken. Die digitalen Netzwerke und die sich daraus entwickelnden elektronischen Handelsmöglichkeiten haben in den Vereinigten Staaten zu einer Vielzahl von Gründungen von Unternehmen in
124 | Das Wissen der Börse einem sich rasant entwickelnden Hochtechnologie-Markt geführt. Die achtziger Jahre stehen vor allem in den angelsächsischen Ländern für marktwirtschaftliche Reformen, eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, die Bekämpfung der Inflation, weltweite Liberalisierungen an den Börsen und die Globalisierung der Finanzmärkte. Diese wurde durch rasante Entwicklung der Informationstechnologie vorangetrieben. Die nationalen Begrenzungen für Kapital verringerten sich, so dass Anleger weltweit nach den besten Renditen suchen konnten. Seither prozessiert Spekulationskapital hauptsächlich in elektronischen Netzwerken. Die Leistungen der Telekommunikation haben dazu geführt, dass Marktinformationen nicht nur übertragen, sondern gleichzeitig modifiziert, transformiert und evaluiert werden. Da sich der Marktprozess von Börsen vor allem als ein Kommunikationsprozess darstellt, ist ihr Aufstieg als Vorreiter weltumspannender Märkte in erster Linie das Resultat des Medienumbruches der digitalen Automatisierung. Die neunziger Jahre standen an den Finanzmärkten im Zeichen der Elektronisierung und der Globalisierung. Die Asien-Krise hatte weltweite Auswirkungen und massive Einschnitte zur Folge. In Thailand verlor der Aktienindex in Lokalwährung in einem Jahr über 50 % seines Wertes und vernichtete damit die Gewinne der letzten neun Jahre. Die Börsen investierten in die Modernisierung ihrer Systeme. 1991 wurde in Deutschland das elektronische Börsenhandels- und Informationssystem IBIS eingeführt, das sechs Jahre später durch das jetzige Handelssystem XETRA abgelöst wurde. (Book 2001: 289-195) In der Schweiz wurde der Ringhandel durch das elektronische System der Schweizer Börse SWX abgelöst. Das Handelsvolumen an der Wachstumsbörse NASDAQ überstieg 1994 erstmals dasjenige der traditionellen New Yorker Börse. Alle Transaktionsprozesse der NASDAQ, die Eingaben der Order, die Weiterleitung der Zahlungs- und Lieferverpfl ichtungen und die Verbreitung von Informationen erfolgen voll automatisch. Die NASDAQ war die erste Börse, die ohne Parketthandel auskam und somit geringere Transaktionskosten versprach. (Ingebretsen 2002: 175-194) Heute prägt ein im MarketSite-Tower untergebrachtes interaktives Besuchscenter und ein gläsernes dreistöckiges Sendestudio das mediale Bild der NASDAQ. Sie verfügt auch über den größten Video-Bildschirm der Welt, der in New York am Times Square Ecke Broadway errichtet wurde. Der Bildschirm misst hier allein acht Stockwerke. Spätestens im Jahr 1999 hatte das Börsenparkett als physischer Schauplatz von Finanzmarkttransaktionen ausgedient. In diesem Jahr nahm die NASDAQ sowohl bezüglich des Handelsvolumen in Dollar als auch der Marktkapitalisierung den ersten Platz ein. Und auch die vollelektronische Computerbörse European Exchange, kurz EUREX, wurde zum ersten Mal der umsatzstärkste Marktplatz für Finanzderivate.10 (Book 2001: 135-140) Dabei fungieren Computerbörsen als Versuchsanordnungen für die Zirkulation von Geldströmen. Sie transformieren Geld in maschinenlesbare Zeichen. Rechner verarbeiten operationale Schriften und numerische Kodes
II. Technologien der Finanzmärkte | 125 und überlagern dabei Geldströme mit Informationsströmen. Idealiter sollen Informationsströme ebenso wenig einen Referenten außerhalb der Zirkulation wie Geldströme aufweisen. Erst Computerbörsen haben den Casinokapitalismus auf den Begriff gebracht und vom metaphorischen Apercu abgelöst. Denn die Proponenten der Online Brokerage11 definieren Zirkulation und Transaktion als einen reinen Symbolismus. Aktienströme werden – wie auch Güter- und Geldströme – von Informationsströmen begleitet. Beschaffungs- und Absatzmarktinformationen sind nicht bloß sekundäre Effekte, sondern die Bedingung der Möglichkeit der Börsenspekulation. (Sabourin/ Serval 2007: 588-616) Die digitalen Medien der »e-Empires« (Raley 2004: 111) repräsentieren nicht etwas, sondern stellen Fernwirkungen her und bewirken Übertragungen. Sie richten sich nicht mehr notwendigerweise an Menschen, sondern in erster Linie an andere Maschinen, die ihre Daten und Informationen verarbeiten und weiterverarbeiten. Die Computerbörse ist folglich nicht unbedingt ein Tool, mit dem Daytrader ihre persönliche Performance optimieren, sondern vorrangig ein Medium, das Datenströme und Finanzströme überlagert. Auf dem Weg zur gegenwärtigen elektronischen Dienstleistungswirtschaft des »Mobile Commerce« und des »Ubiquitious Computing« haben sich die Möglichkeiten zur Organisation von Märkten seit Beginn der 1990er Jahre grundlegend verändert. (Abb. 32) Auf elektronischen Märkten wird tendenziell global operiert. Heute ist die Marktarchitektur der Börsen vor allem durch elektronischen Handel und Abwicklung gekennzeichnet. Elektronische Märkte sind globale Weltmärkte, die in ihren Organisationsformen mit technischen, offenen Systeme operieren. Diese offene Organisationsform ermöglicht neue Formen der Telekooperationen und hat dazu geführt, dass der traditionelle Präsenzhandel auf dem Börsenparkett auf Zuruf (»Open Outcry«) weitgehend durch elektronische Handelssysteme ersetzt wurde. Damit können Transaktionsservices für mehr Marktteilnehmer/-innen angeboten werden und sogenannte Time-Lags bei der Informationsverteilung vermieden werden. Die Automatisierung des Börsenhandels setzt formalisierte Marktsprachen mit verbindlicher Standardisierungstendenz voraus, mit deren Hilfe Informations- und Kommunikationsprozesse zwischen heterogenen Partnern über Regeln zum elektronischen Dokumentenaustausch organisiert werden. Mobile Datenfernübertragungen sorgen dafür, dass das Finanzmarktwissen und die Praktiken der Transaktionen ein nahezu unbeschränktes Absatzgebiet erreichen. Die Emission von Wertpapieren erfolgt heute vermehrt über Internetplattformen, welche den Investmentbanken mit ihren traditionellen Emissionsverfahren zunehmend Marktanteile entziehen. Es entstehen virtuelle Emissionshäuser, die das Internet als einzigen Distributionskanal für die festverzinslichen Wertpapiere verwenden. Mit der Entstehung elektronischer Emissionsmärkte in der Internetökonomie ergeben sich infolgedessen strukturelle Veränderungen der Finanzintermediation.
126 | Das Wissen der Börse
Abbildung 32: Online-Kursentwicklungen auf dem Blackberry-Display Das elektronische Empire der Börse etabliert neue Marktmodelle, die im Präsenzhandel nicht möglich waren. Der entscheidende Unterschied der beiden Finanzhandelssysteme besteht darin, dass im Gegensatz zum Präsenzhandel auf dem Börsenparkett ein physisches Aufeinandertreffen der Marktteilnehmer in elektronischen Kommunikationsnetzwerken nicht mehr erforderlich ist. (Abb. 33) Die Online-Brokerage hat die klassischen Grenzen der Spekulationsmärkte aufgelöst und eine medial induzierte respektive kulturell etablierte Beschleunigungsspirale entstehen lassen (vgl. zur sozialen Beschleunigung als Motivgeber für technische Akzelerationsprozesse Rosa 2005). Damit ist die ökonomische Bedeutung sowohl der regionalen als auch der nationalen Börsen mehr oder weniger hinfällig geworden. Im 19. Jahrhundert wurde in den USA noch an mehr als hundert Börsen gehandelt. Ende der 1980er Jahre des 20. Jahrhunderts schrumpfte die Anzahl der regionalen Börsen auf sieben Handelsplätze. Mit der Ausdehnung der Reichweite durch den Stockticker etablierte sich bereits im 19. Jahrhundert in zahlreichen Ländern ein Zentralmarkt für nationale Produkte. In dieser Phase fungierten die Börsen als nationale Marktplätze. Heute haben sich mit der technischen Beschleunigung der Informations- und Kommunikationstechnologien die Ermöglichungsbedingungen der Börsenspekulation maßgeblich verändert. Die technische Beschleunigung hat im Daytrading aber auch die materielle Basis für eine veränderte soziale Beschleunigung in Gang gesetzt (vgl. Kap. III.1). Derartige Akzelerationsprozesse entfalten ihre Wirkungskraft aus einer historischen Dimension, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen.
II. Technologien der Finanzmärkte | 127
Abbildung 33: Arbeitsplätze bei Financial Associates, New York Der Einfluss technischer Entwicklungen auf ökonomische Strukturen ist eine bekannte Themenstellung. Garbade und Silber (1978) rekonstruieren die Bedeutung technischer Innovationen in der Kommunikationstechnologie und beschreiben in diesem Zusammenhang die exemplarischen Auswirkungen der Einführung der Telegrafenleitung zwischen New York und Philadelphia im Jahr 1846. Das telegrafische Netzwerk hat die Preisbildung an Parallelmärkten maßgeblich beeinflusst und zu einer signifi kanten Annäherung der Börsenkurse an den jeweiligen Wertpapierbörsen geführt. In richtungsweisenden Studien wurden bisher die bei der Einführung des Börsentickers umwälzenden Folgen für die Abläufe auf den Finanzmärkten sowohl systematisch als auch materialreich untersucht. (Stäheli 2007: 305-362; Preda 2006: 753-782) Beide Untersuchungen machen darauf aufmerksam, dass die Technologien nicht bloß kommunikatives Handeln effizienter machen, sondern soziales Handeln konstituieren und transformieren. Der Börsenticker hat freilich keine einzigartige Monopolstellung, er steht in einer Reihe relevanter Schlüsseltechnologien im Börsenhandel. Heute sind es die inzwischen allgegenwärtig gewordenen computergestützten Handelssysteme zur Weitergabe von Kursinformationen, die das Verhalten der Marktteilnehmer zueinander ändern. Andererseits muss auch eingeräumt werden, dass die Mediendiskurse, welche das Auftauchen des Tickers gefördert haben, bereits wesentliche Vorstellungen über das strategische Zusammenwirken von Technologien, Praxisformen des Handelns, Risikomanagement und Wissenssystematisierung vorweggenommen haben. Um welche sozialen und kulturellen Strukturen handelte es sich konkret, die der Ticker erstmals verkörpern konnte und die ihn zum Vorläufer der nachfolgenden Technologieschübe und Medienumbrüche machten? Der Ticker war ein Gerät, dass alle Marktbewegungen in Buchstaben- und Zahlenform zu Papier brachte und stand in der New York Stock Exchange sowie in einigen Brokerfirmen. Aufgezeichnet wurden die Bezeichnungen der Finanzgüter, die Preise und das Handelsvolumen. Der Ticker konnte einerseits Preisvariationen und Markttransaktionen sichtbar machen, andererseits lieferte er abstrahierte Informationen, die sich deutlich von der Face-toFace-Transaktion unterschieden. Der Ticker homogenisierte die Zeitstruktur
128 | Das Wissen der Börse der Finanzmärkte und koordinierte eine Preiskommunikation, indem er die unterschiedlichen Preisvariationen und Markttransaktionen simultan abbilden konnte. Die den Ticker als zuverlässige Informationsquelle interpretierenden Broker entwickelten außerdem auch einen einheitlichen Fachjargon, der zum Verstehen zwingend notwendig war. Der Ticker ermöglichte einen überregionalen Markt, in welchem Preisinformationen zirkulieren konnten, die kontinuierlich und in Echtzeit übertragen wurden. Der Ticker hat aber nicht nur das reale Marktgeschehen effektiver und zeitnäher übertragen, sondern damit einhergehend auch die Denkweise der Marktteilnehmer geändert, deren Vorstellungen über das Funktionieren der jeweiligen Märkte auf entscheidende Weise geändert wurde. In dieser Hinsicht ist der Ticker nicht bloß ein technisches Übertragungsmedium, sondern auch ein soziales Regulationsmedium, das dabei mitwirkt, Praktiken am Finanzmarkt nicht nur zu beeinflussen, sondern in struktureller Hinsicht zu generieren (vgl. zu diesem finanzsoziologischen Ansatz den einschlägigen Sammelband von Beckert/Diaz-Bone/Ganssmann 2007). Mit der Tickertechnologie im Hintergrund konnten sich ab Mitte der 1960er die Hedgefonds etablieren, die somit technologisch in der Lage waren, durch sogenannte Leerverkäufe auf fallende Preise zu wetten und mit der mit zeiträumlichen Schrumpfung des realen Marktgeschehens Spekulationspraxis Gewinne zu lukrieren. In seiner Finanzmarktanalyse verweist Preda (2006: 753-782) auch auf die mit Charles H. Dow entstehende Chartanalyse als einer neuen Methode zur Datenerfassung, die erst mit der Einführung des Tickers und den nun detaillierter zur Verfügung stehenden Daten ihren Durchbruch auf den Finanzmärkten erlangen konnte. Preda untersucht die Technische Analyse und die computergestützte Charttechnik unter dem Aspekt der sozialen, kulturellen und politischen Einbettung ihre Nutzer und geht dabei davon aus, dass sie auf Subjektkonstitutionsprozesse anordnend, strukturierend und regulierend wirken, da sie Speicher- und Zugriffstechnologien, Wissenstechniken, soziale Gebrauchsweisen und Denkweisen zueinander in Beziehung setzen. Die sozialen Beziehungen und kulturellen Ordnungen sind den Wissenstechniken nicht als ein Gegebenes vorgelagert, denn die Wissensgenerierung muss selbst als eine soziale Praxis aufgefasst werden. Dies bedeutet, dass die Prozeduren des Wissens auf ihre Repräsentationsformen hin untersucht werden müssen, um die Wirkungen, die sie auf der Subjektseite erzeugen, aufzuzeigen; denn die soziale Wahrnehmung ›wissenschaftlich‹ erzeugter Daten und Informationen hängt immer auch davon ab, inwiefern sie als legitimes, normalisiertes und relevantes Wissen anerkannt werden. Diese Sichtweise führt zur Annahme, dass Wissenstechniken Formen sozialer Kommunikation sind und die darin gängigen Praktiken, Identitäten und Subjektpositionen klassifi zieren, ordnen und stabilisieren. Noch vor wenigen Jahren basierten die elektronischen Handelssysteme meist noch auf proprietären Datennetzwerken, an welche die Börse alle Börsenmitglieder mit relativ hohen Kosten verlinken musste. Heute sind globa-
II. Technologien der Finanzmärkte | 129 le Kommunikationsnetzwerke wie das Internet leistungsfähiger geworden, verfügen über einen höheren Sicherheitsstandard und sind besser verfügbar geworden. Damit kann das Internet als Vertriebsnetz für Börsenleistungen dienen und die proprietären Netzwerke sukzessive ersetzen. Mitte der neunziger Jahre machte der Durchbruch der digitalen Vernetzungstechnologien im Internet nicht nur die Finanzmarktkommunikation effi zienter, sondern veränderte auch die Mentalität der Marktteilnehmer. (MacKenzie/Beunza/Hardie 2007: 135-150) Im Februar 1995 durfte die Spring Street Brewing Company von Andrew Klein mit behördlicher Genehmigung Aktien seines Unternehmens im Internet emittieren. Erstmals wurden Aktien für Internet-Kunden platziert. Mit dieser spektakulären Aktion wollte das Unternehmen auch auf die überdurchschnittlichen Underwriting-Fees der New Yorker Broker aufmerksam machen. Im September des gleichen Jahres kündigte das IT-Unternehmen Electronic Share Information (ESI) und der Discountbroker Sharelink an, im Internet die erste elektronische Aktienbörse zu eröffnen. Ein paar Monate später, im Oktober 1995, brachte die Mark Twain Bank in den USA zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte digitales Geld auf den Finanzmarkt, das ausschließlich im computerunterstützten Zahlungsverkehr gültig war. In enger Zusammenarbeit mit dem Zürcher Internet-Provider EUnet etablierte schließlich die finnische Bank Merita den digitalen Zahlungsverkehr in ganz Europa. Das Online-Wissen der Märkte ist mit dem Versprechen behaftet, die Transaktions- und Informationskosten des Tauschens zu senken. Netzdiskurse über die technischen Implikationen effizienter Finanzmärkte beschwören oft einen theologischen Hintergrund, wenn sie eine Vervollkommnung der Märkte oder eine allgegenwärtige Markttransparenz antizipieren. Computergestützte elektronische Kommunikationssysteme haben durch die Automatisierung der Finanzmarkttransaktionen Kosten eingespart und Personal abgebaut. Damit einhergehend ist die Notwendigkeit entstanden, das Individuum vor dem Bildschirm als einen sozialen und kulturellen Protagonisten zu adressieren. Am 29. Juni 2000 etablierte das Online-Brockerage-Unternehmen BrokerTec in den USA einen globalen elektronischen Interdealer-Handelsservice. Am 3. Juli 2000 schaltete BrokerTec seine Partnerseite in Europa online. BrokerTec Global LLC ist ein privates Unternehmen, das 1999 gegründet wurde, um Händlern für festverzinsliche Werte elektronischen Interdealer-Handel mit hoher Liquidität anzubieten. Mit einem täglichen Transaktionsvolumen von 1,5 Mrd. US-Dollar, die Hälfte davon über elektronische Handelssysteme, ist ICAP laut eigenen Angaben der weltweit größte Broker. Die Gruppe bietet ihre Dienste hauptsächlich professionellen Marktteilnehmern an und ist in den Märkten für festverzinsliche Wertpapiere, Geldmarkt-, Devisen-, Energie-, Kredit- und Equity-Derivaten aktiv. Sie ist in den drei wichtigsten Finanzzentren, London, New York und Tokio, stark vertreten und ist zudem an 20 weiteren Finanzplätzen präsent. In einer globalisierten Börsenkommunikation bilden die Anleger virtu-
130 | Das Wissen der Börse elle Anlageausschüsse: weltweit verstreute Expertenteams bilden epistemische Communities und kommunizieren über Datenbanken und Terminals in unterschiedlichen Zeitzonen per Internet. Die Technisierung der Finanzmärkte eröffnet individualisierten Marktteilnehmern die Möglichkeit, internationale Finanztransaktionen in Sekundenbruchteilen durchzuführen. Heute erhalten potentiell alle angeschlossenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieselben Informationen, auf deren Grundlage sie Aufträge nach bestimmten Transaktionsregeln ausführen können. Im außerbörslichen Wertpapierhandel agieren flexibilisierte und dezentral agierende Marktteilnehmer heute mittels Blackberry, Mobiltelefon oder iPhone. Schlagworte wie E-Commerce, Netzwerkökonomien, Softwaremanagement für E-Business-Anwendungen, Internetagenten, Finanzintermediation, Online-Brokerage oder Multichannel Banking schaffen die neuen Voraussetzungen von Subjektkonstitutionsprozessen beim Trading.
II.4 B ÖR SENFERNSEHEN In Basel und Zürich wurde 1961 mit dem Börsenfernsehen eine Weltneuheit eingerichtet, welche die Kommunikationsmöglichkeiten an der Börse maßgeblich veränderte. Das Börsenfernsehen war die erste Online-RealtimeÜbermittlung des Schweizer Börsengeschehens. Realisiert wurde sie durch die Ticker AG, die erstmals den Börsenhandel einem breiteren Abonnenten-Publikum zugänglich machte. Ab 1962 wurden auch ausländische Aktien gehandelt und die Fernsehdienste entsprechend ausgeweitet. In Zürich folgten später der Börsentelex und an den Börsenringen die elektronischen Verlosungsanlagen. Vor der Einführung des Börsenfernsehens erfolgte der Börsenhandel mehr oder weniger sequentiell, d.h. es wurde Titel um Titel gehandelt. Mit dem Auftreten des Börsenfernsehens konnten die Händler und Anlageberater die aktuellen Kurse in einer fi xen Ordnung ablesen. Jedes Monitorbild zeigte eine bestimmte Anzahl von Aktien und enthielt weitere Angaben zu den Schlusskursen des Vortages, die aktuellen Geld- und Briefkurse sowie alle bezahlten Kurse des laufenden Tages. Die Ankunft des Fernsehens in der Börse vollzog sich fließend, nicht abrupt. Es waren weniger radikale Zäsuren und unerwartete Brüche, sondern allmähliche Verknüpfungen und Anschlüsse zwischen den Technologien und den sozialen Praktiken, die mit der Einführung des Börsenfernsehens korrelierten. Einerseits adaptierte das gemeinsam mit Autophon entwickelte Börsenfernsehsystem die klassischen Formen der Börsenkommunikation, anderseits institutionalisierte die Fernsehtechnologie neue Kommunikationsstile. Wie früher für den Börsenticker wurde inmitten des Börsenringes ein Nachrichtendienst eingerichtet. Im Ring saß ein Sprecher, der über eine Mikrofonanlage alle neu ausgerufenen respektive bezahlten Geld- und Briefkurse telefonisch zum Schreiber im ›Fernsehstudio‹ übermittelte. Der im Studio
II. Technologien der Finanzmärkte | 131 anwesende Kursschreiber hörte die Kurse über Kopf hörer oder Lautsprecher ab und notierte sie auf einem Kursformular, auf dem alle gehandelten Aktien aufgeführt waren. Die ausgefüllten Blätter wurden auf einem Aufnahmetisch montiert. Über dem Aufnahmetisch befand sich ein Kamerablock mit elf Fernsehaufnahmekameras. Jede Kamera nahm ein abgegrenztes Feld des auf dem Aufnahmetisch liegenden Kursblattes auf. Die Fernsehbilder wurden an den Börsenring und über die neuen Koaxialkabel an die Subskribenten des Börsenfernsehens übertragen. Über eine zentrale Verteilstelle konnte man von allen Videomonitoren in den Telefonzimmern und -kabinen und am Ring jedes der insgesamt zehn TV-Bilder wahlweise, mit einer einfachen Tastatur, abrufen. Unabhängig davon wurde das ganze Fernsehkursblatt von einer gesonderten Abtastkamera aufgenommen. Damit entstand auf dem Fernsehempfänger ein von unten nach oben durchlaufendes Bild des Kursblattes, das sich zirka alle zwei Minuten wiederholte. Dieses rollende Bild wurde über einen Fernsehsender laufend über das gesamte Stadtgebiet ausgestrahlt. Die Infrastruktur des Börsenfernsehens wurde von Telekurs in der Folgezeit weiterentwickelt und mit einer zusätzlichen Kamera versehen, die mit einem drehbaren Prismaspiegel ausgestattet war. Der drehbare Spiegel ermöglichte eine gleitende Abtastung des Kursblattes. Diese technische Adaption der Kamera für Börsenzwecke erzeugte eine Art ›laufendes Bild‹. Beim Betrachten der TV-Monitore entstand der Eindruck, dass sich die einzelnen Abschnitte der Kursblätter von unten nach oben bewegen würden. Mit dieser Präsentationstechnik referierte das Börse-TV auf die Ästhetik des Abspannes wie er vom Kino bekannt war. Gleichermaßen mobilisierte es den Blick und signalisierte mit der kontinuierlichen Inszenierung von Bewegungsabläufen die dynamische Veränderlichkeit der Kursverläufe. Eine eigene Sendeanlage auf dem Dach der Zürcher Börse übertrug das Fernsehbild aus dem Börsenstudio in den öffentlichen Raum der Stadt. Wegen des staatlichen Fernsehmonopols durfte die Sendestation bloß schwache Signale aussenden, sodass das Börsenfernsehen nur im engeren Umfeld der Stadt Zürich zu empfangen war. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet im gleichen Jahr, dass in einigen Bankschaufenstern Fernsehbildschirme aufgestellt wurden, welche die aktuellen Kurse übertrugen. (Neue Zürcher Zeitung 1962: 1) An der Schnittstelle zwischen dem Modernitätsversprechen des Fernsehens und einer partizipatorischen Aktionärskultur wurden die Börsenkurse in die urbane Wahrnehmung eingeschleust. Flimmernde Bilder der Börsenkurse in den Schaufenstern gehörten bald zum Stadtbild und wurden Teil des kollektiven Gedächtnisses. Als das Börsenfernsehen 1962 in Betrieb genommen wurde, schrieb die Zürcher Börse in einer Begleitschrift: »Zürich erhält die modernste Kursübermittlungsanlage der Welt«. (Börse Zürich 1962: 2) Mit der Einführung des Börsenfernsehens in Zürich konnten neunzig Titel laufend verfolgt und übertragen werden: »Die Schweiz hatte die weltweit einmalige Kombination eines hoch integrierten Marktes mit weitgehend selbständigen Börsen und dies im Rahmen
132 | Das Wissen der Börse eines sehr föderativen Systems. Das Börsenfernsehen erlaubte den Händlern, die Entwicklung an den andern Börsen sekundennah zu verfolgen.« (Meier/Sigrist 2006: 2) Im Jahr 1969 wurde nach ähnlichen Überlegungen ein Börsentelex angelegt. Dieser mit der Telex-Technologie ausgestattete Kursinformationsdienst erreicht – im Unterschied zur restringierten Fernsehübertragung – die Empfängerinnen und Empfänger in der gesamten Schweiz. Im Unterschied zum regionalen und exklusiven Börsenfernsehen der Ticker AG zielte die Telebörse als das älteste Börsenmagazin im deutschen Fernsehen auf die Masse der Kleinanleger und ging wenige Wochen vor dem »Schwarzen Montag« im Jahr 1987 beim Privatsender Sat.1 auf Sendung: »Am 5. Oktober 1987 begann ein privater Fernsehsender mit der Ausstrahlung einer ›Tele-Börse‹, die zunächst börsentäglich um 13 Uhr, inzwischen ab 12.30 Uhr live aus dem Frankfurter Börsensaal wie auch aus dem Studio über die Zusammenhänge am Kapitalmarkt und das Geschehen an den Weltbörsen informiert. Am 2. Oktober 1989 nahmen auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten die Live-Berichterstattung von der Börse in ihr Programm auf.« (Pohl 1992: 353) Finanziert wurde die Telebörse durch ein Konsortium von sechs Banken und drei Verlagen, das zur rechtlichen Absicherung des Nachrichtenmagazins die Gesellschaft »Deutsches Börsenfernsehen« gründete. Die Telebörse berichtete mittags eine Stunde ab 13.00 Uhr live vom Frankfurter Parkett (die Börsenhandelszeiten waren in dieser Zeit nur von 11.30 bis 13.30 Uhr). Sie verfolgte zweifellos extradiegetische Absichten: sie sollte das deutsche Fernsehpublikum durch Börsennachrichten für die Anlage in Aktien und später auch diversen Wertpapieren begeistern. Mit dem Einstieg der Telebörse beim Privatsender Sat.1 wurde das Schweizer Börsenfernsehen durch das »elektronische Ringinformationssystem« abgelöst. (Meier/Sigrist 2006: 4) Damit wurden die Börsen von Zürich, Basel und Genf aufs Engste miteinander verbunden. Mit der Einführung der elektronischen Transaktionssysteme, die nicht nur über die Abwicklung der Abschlüsse, sondern auch über die noch ausstehenden Angebote im Bereich der Geld- und Briefkurse informierten, wurden die Preisdifferenzen zwischen den Börsen nivelliert, sodass sich der Arbitragehandel kaum mehr zu lohnen schien. Mit dem Internet erlebte das Börsenfernsehen ein Revival. Zahlreiche Börsenstandorte bilden heute ein virtuelles Netzwerk, um damit ihr globales Imagedesign übertragen zu können. Auch die Homepage der Deutschen Börse verfügt über eine sogenannte »Parkettkamera«, mit deren Hilfe die aktuelle Entwicklung des Deutschen-Aktien-Index (DAX) in Echtzeit (live) zwischen 9 und 20 Uhr auf dem Computer-Bildschirm beobachtet werden kann. Seit ihrer Einführung im Netz steht die Live-Übertragung der großen Anzeigetafel mit dem aktuellen Stand des DAX für die glaubwürdige Erneuerung des Wahrnehmungsvertrages zwischen dem Produzenten und dem Rezipienten. Das Medienverständnis der Betreiber wird dabei weithin davon bestimmt, dass die am Börsenparkett installierte Webcam die Realität
II. Technologien der Finanzmärkte | 133 abbilde und den Beobachtern somit eine ›verlässliche Handlungsgrundlage‹ für ihre Spekulation zur Verfügung stellen würde. Was zeigt uns die im Handelssaal der Frankfurter Börse installierte Webcam, die Live-Bilder von der DAX-Tafel am Frankfurter Parkett liefert? Sie suggeriert eine maximale Annäherung zwischen der Aufnahmetechnik und der prozesshaften Wahrnehmungstechnik. Ihre Bilder gelten als authentische und unverfälschte Übertragung des DAX-Aktienkurses. Die Parkettkamera vermittelt in ihrer scheinbar unmittelbaren Beobachterrolle eine per Knopfdruck erreichbare Wirklichkeit und suggeriert eine uneingeschränkte Freiheit und Autonomie der sich ihrer bedienenden Subjekte. Die sogenannte »Realtime-Übertragung« macht die Innenseite der Börse erfahrbar und transformiert die raumgebundene Börseninteraktion in eine raumüberschreitende Preiskommunikation. Die Medienpräsenz der Kamera steht für den Umbau des physischen Präsenzhandels in einen raumüberschreitenden Markt. Sie löst die räumlichen Beschränkungen der Börse auf und produziert eine Standortlosigkeit der Beobachter. Die globale Verbreitung aktueller Kurse mit minimaler Zeitverzögerung hat neue Imperative aktiver Marktpartizipation etabliert. Die Fähigkeit zum schnellen Handeln gehört seither zum Imageprofi l der Daytrader. Die Webcam für ein globales Publikum macht Börsenkurse für einen anonymen Adressatenkreis verfügbar und zählt zum Ensemble jener Verbreitungsmedien, die in sogenannter ›Echtzeit‹ kommunizieren. Echtzeitmassenmedien haben bereits bei der Entfaltung des modernen Wirtschaftssystems die Ausweitung der persönlichen Handlungsfreiheit gefördert. So etablierte bereits die Telegrafie ein weltweites Kommunikationsnetz, das die Kommunikation in einem einheitlichen zeitlichen und räumlichen Kontext nahezu in Echtzeit erlaubte, die für die Entstehung von überregionalen Märkten und Börsen erforderlich war. Als weiteres Echtzeitmedium erhöhte der Börsenticker die Geschwindigkeit der Finanzkommunikation und verband die Echtzeitkommunikation mit einem kontinuierlichen Kommunikationsmodus während der Börsenöffnungszeiten. Echtzeitmassenmedien wie die Parkettkamera bilden hingegen nicht nur die technische Infrastruktur der digitalen Kommunikationsgesellschaft, sondern vermitteln in derselben Weise auch Glaubwürdigkeit. Die Kommunikation von Glaubwürdigkeit wird heute überwiegend von elektronischen Massenmedien geleistet, die einerseits das notwendige Betriebssystem der Finanzwirtschaft bereitstellen, andererseits auch ein gewichtiges Medium der popularisierenden Außendarstellung der Börse darstellen. Die Webcam repräsentiert folglich Börsenkommunikation auch außerhalb des Börsengebäudes und wird zum Werbemedium für die Börse und die Kapitalanlage in Aktien. Mit der Auflösung der Präsenzbörse und der Face-to-Face-Kommunikation beim Börsenhandel ändern sich auch die Kulturtechniken der Vertrauensbildung. Im Börsenhandel mit anonymen Kooperationspartnern muss das Medium selbst ein glaubwürdiges Erscheinungsbild vorweisen. Authentizität und Evidenz verlagern sich in die mediale Repräsentation.
134 | Das Wissen der Börse Die rechnergestützte Echtzeit-Übertragung der Parkettkamera etabliert einen neuen Mythos von der ungefi lterten Faktizität des Wirklichen, der behauptet, dass wir alle gleichgestellte Beobachter des Börsengeschehens sein könnten. Die Parkettkamera zeigt zweidimensionale visuelle Szenen des Finanzmarktes – darin besteht ihre Kodifizierungsleistung, die immer auch eine ästhetische Inszenierung ist. Denn ihr statischer Blick auf die Kurstafel reduziert die Dynamik des Finanzmarktes auf die grafische Repräsentation des Finanzmarktwissens. ›Echtzeit‹, das ist die körperlose und schnelle Übertragung von Informationen, ist in diesem Sinne ein Kernbegriff der neueren sozialen Integration. Aber ist nicht bereits die Installation der Überwachungskamera des Aktienkurses eine Form der Realitätskonstruktion? Wird nicht bereits mit dem Aufstellen der Kamera ein bestimmter Blickwinkel und ein bestimmter Bildausschnitt gewählt, der ein bestimmtes Deutungsmuster vorgibt? Was blendet die statische Kameraeinstellung der DAX-Kurstafel aus? Der Kamerastandort der Parkettkamera fängt die Szene aus einer Vogelperspektive ein und reproduziert somit erste ästhetisch-technische Merkmale der Überwachungskamera. Durch die statische Einstellung mit großer Tiefenschärfe der fest installierten Kamera werden abgeschnittene oder sich verdeckende Protagonisten gezeigt. Während der gesamten Übertragungsdauer gibt es kein Zoomen oder andere Kameraoperationen. Damit suggeriert die LiveSchaltung eine subjektiv nicht manipulierte Direktschaltung zum Börsenschauplatz. Die sich im Minutentakt aktualisierende Webcam hinkt allerdings mit ihrem zeitlich verzögerten Handelstakt der Marktzeit hinterher, denn »alle 15 Sekunden bringt der DAX, der Leitindex der Deutsche Börse AG, die deutsche Wirtschaft auf einen einfachen Nenner. Ab dem 2. Januar 2006 berechnen wir ihn sogar im Sekundentakt. Schneller und genauer können sich professionelle und private Anleger nicht über den Stand der 30 wichtigsten Aktien in Deutschland informieren.« (www.deutsche.boerse.com) Oft bleibt das Bild der Webcam ›stehen‹ und wird nicht immer automatisch aktualisiert. Um den aktuellen Kurs empfangen zu können, muss oft die Funktionstaste F5 (Refresh) gedrückt werden. Diese Eventualitäten der individuellen Intervention verdeutlichen, dass die Übertragung der aktuellen Kursbewegungen in einem nicht vollständig determinierten Raum zwischen der Erwartungshaltung nach einem perfekten Handlungsplan und der zufallsbedingten Eröff nung von Handlungsräumen verläuft. In der sogenannten ›Direktübertragung‹ können immer auch Authentizitätsirritationen auftauchen, die den Nimbus eines unmittelbaren Zugangs zur Börse fragwürdig erscheinen lassen. Das störungsanfällige Bild und die unberechenbaren Serverausfälle lenken die Aufmerksamkeit nicht auf die Kurstafel des DAX, sondern auf die medialen Zeitformen der Börsenrepräsentation selbst. Die Störung der Echtzeitübertragung ermöglicht die Wahrnehmung einer untergründigen Ungleichzeitigkeit und hintertreibt den Eindruck einer authentischen Gleichschaltung zwischen Börse
II. Technologien der Finanzmärkte | 135 und Beobachter – die Störung ermöglicht einen oszillierenden Zeitraum, in dem sich mediale Gegenwart ausweiten kann und bietet zumindest die Chance zur Medienreflexion.
II.5 I M B ETRIEBSSYSTEM
DER
F INANZDERIVATE
Derivate sind ein Kunstprodukt der Finanzmathematik und der Computertechnologie. Dem ersten Anschein nach haben Finanzderivate als abgeleitete Wertpapiere und technische Medien kaum Berührungspunkte. Denn an den Warenbörsen konnte schon früher der Handel von Futures und Optionen auch ohne Computer vollzogen werden. Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass die Erfindung der Finanzderivate erst mit der technologischen Unterstützung des Computers möglich wurde. Die heutige Dominanz der Finanzderivate ist eng mit dem Aufstieg rechnergestützter Systeme verknüpft. Hinter dem Höhenflug der EUREX, der weltweit größten Terminbörse für Finanzderivate, steht die Aufrüstung der Computertechnologie, die mehrere Tausend Transaktionen pro Sekunde rechnen kann. In der Zwischenzeit ist der Computer in der statistischen Wissenschaft nicht mehr nur das wichtigste Hilfsmittel zur Umsetzung mathematisch begründeter und untersuchter Verfahren, sondern durch ihn können neue Finanzmarktmodelle und neue statistische Verfahren der Datenanalyse entwickelt werden, die bis heute im Präsenzhandel nicht möglich sind. Durch die Liberalisierung der Kapitalmärkte, die technische Unterstützung der digitalen Kommunikationsmedien und die Verbriefung der Vermögenswerte ist es möglich geworden, Bewertungsdifferenzen am Finanzmarkt profitträchtig zu nutzen. Diese Bewertungsdifferenzen können wiederum selbst bewertet und zur Grundlage neuer Finanzinstrumentente (Derivate) gemacht werden. Neben dem produktiven Verwertungsprozess kristallisiert sich ein spekulativer Verwertungsprozess heraus, der sich in der Folge reflexiv vervielfältigen kann. Die Weichen des modernen Derivatehandel werden allerdings bereits im 19. Jahrhundert gestellt. So entstehen die wesentlichen Voraussetzungen für den modernen Terminhandel um 1850. Obwohl durch den Brand von Chicago 1871 keine schriftlichen Dokumente erhalten sind, kann davon ausgegangen werden, dass Terminkontrakte in Chicago bereits ab 1860 gehandelt wurden.12 Mit dem zunehmenden Terminhandel entstand das wachsende Bedürfnis nach Risikoabschätzung. Mathematische Derivatkonstruktionen reichen bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts: »From the beginning of the nineteenth century, it was common to value stocks, tables were compiled that compared their relative price differences with the chosen bond and grouped them according to the size of the fluctuations in these differences.« (Davies/Etheridge 2006: 5) Im Jahr 1900 reicht schließlich der französische Mathematiker Louis Bachelier seine Dissertation »Théorie de la Spéculation« ein, in der er einen probabilistischen Zugang zu Aktienkursbewegungen formuliert und explizite Preis-
136 | Das Wissen der Börse formeln für Put- und Call-Optionen sowie Barrier-Optionen berechnet – 73 Jahre vor der bahnbrechenden Optionspreis-Berechnung durch Black und Scholes. Während die Arbeit von Bachelier seit den fünfziger Jahren vom US-amerikanischen Ökonomen Paul A. Samuelson rezipiert wurde, blieb ein anderes Modell zur Berechnung von Optionsprämien weitgehend unbekannt: Vinzenz Bronzin veröffentlichte im Jahr 1908 sein Buch »Theorie der Prämiengeschäfte«, in dem er die Optionsbewertung mittels Risikoneutralität beschrieb und damit ein Modell entwickelte, das in verschiedenen Punkten identisch ist mit der von Black, Scholes und Merton entwickelten Formel.13 (Vgl. Hafner/Zimmermann 2009) So anspruchsvoll bereits u.a. die wissenschaftliche Verwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung zur Modellierung der Preise für Prämienkontrakte auch war, so kommt die Geschichte der modernen Derivate doch erst mit einem politischen Ereignis in die Gänge, nämlich mit der Beendigung des Bretton-Woods-Abkommens im Jahre 1971 und mit der 1973 vollzogenen Freigabe der Wechselkurse (vgl. Helleiner 1994). Das 1971 in Washington beschlossene SmithsonianAbkommen ermöglichte eine Anpassung der Währungen innerhalb der Schwankungsbreite von +/- 2,25 Prozent: »Als die Währungen frei handelbar waren, stieg die Volatilität zunächst an den Devisenmärkten, dann auch im Zinsbereich. Und das hat Absicherungsbedarf erzeugt. Am Anfang gab es im Wesentlichen nur Aktienoptionen und Währungsfutures. Seit 1990 ist die Entwicklung nur noch schwer zu beschreiben, weil sie so schnell vor sich geht.« (Schlag 2006: 146) Am Tag nach der Bekanntgabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1997 taucht auf der Titelseite der New York Times erstmals eine mathematische Formel auf. Der Preis ging an zwei amerikanische Wissenschaftler, Robert C. Merton und Myron S. Scholes. Gemeinsam mit Fischer Black veröffentlichte Myron Scholes in den 1970er Jahren das theoretische Fundament zur Bewertung von Finanzoptionen, dass mittlerweile als ein Meilenstein der modernen Finanzwirtschaft gilt und auf der präferenzfreien Bewertung derivater Finanztitel beruht. Die in der Finanzwelt allgemein bekannte »Black-Scholes-Formel« zur Bewertung von Derivaten ist auch heute noch von großer praktischer Relevanz, wenn an den internationalen Finanzmärkten täglich riesige Volumina von Optionen gehandelt werden. 1970 reichten Scholes und Fisher ihr Paper mit dem Titel »A Theoretical Valuation Formula for Options, Warrants and Other Securities« bei dem renommierten Fachblatt Journal of Political Economy ein. Zunächst lehnte die renommierte Fachzeitschrift das Forschungspapier der beiden Ökonomen ab. (Mehrling 2005: 17) In der Zwischenzeit wurde 1972 der International Monetary Market eingerichtet, der erstmals den Handel mit Futures auf Währungen, Münzen und Edelmetalle gestattete. Auf den Finanzmärkten stieg der Absicherungsbedarf und es wurde fieberhaft nach Rechenmodellen gesucht, die es endlich ermöglichen sollten, den Preis einer Option anhand eines mathematischen Modells exakt zu berechnen. (Pryke/Allen 2000: 264-84)
II. Technologien der Finanzmärkte | 137 Erst drei Jahre später, im Jahr 1973, kam es zur Einigung zwischen Scholes, Fisher und dem Verleger und der überarbeitete Beitrag wurde schließlich unter dem Titel »The Pricing of Options and Corporate Liabilities« abgedruckt. (Mehrling 2005: 21) Mit der Entwicklung des Black-Scholes-Bewertungsmodells für Optionen, bei der die Risikopräferenz der Anleger keine Rolle mehr spielen sollte, sondern nur mehr das Ausnutzen von Preisunterschieden (Arbitrage) verlangte, nahm in den Folgejahren das Interesse an Derivaten sprunghaft zu. Ihre Theorie zur Bewertung von Derivaten verhalf in der Folge der modernen Finanzmathematik zu einem rasanten Aufstieg im Finanzgeschäft. Mit diesem Rechenmodell wurde es möglich, den Preis einer Option anhand eines mathematischen Modells exakt zu berechnen. Anfänglich standen allerdings keine ausreichend schnellen Computerkapazitäten für die komplexen Rechenoperationen zur Verfügung. Das anfängliche Problem, keine für die komplexen Rechenoperationen ausreichend schnellen Computerkapazitäten zur Verfügung zu haben, verflüchtigte sich mit dem technischen Fortschritt. Nachdem anfangs vergleichsweise einfache Marktrisiken wie Aktienprodukte gehandelt wurden, kamen später auch Derivate auf Zinsen, Kreditausfälle, Rohstoffe und Lebensmittel hinzu. Diese neuen Methoden und Modelle für die Berechnung und Absicherung von Risiken haben einen beachtlichen Einfluss auf die Derivatindustrie und etablierten sich rasch in den anwendungsnahen Bereich des Finanzmarktwissens. Erst 1974 kam Texas Instruments mit einem Taschenrechner auf den Markt, der für die prominente Bewertungsformel von Black-Scholes Resultate für das Day Trading lieferte. So konnte 1975 das Chicago Board of Trade die erste Interest Rate Future ausgeben. (Falloon 1998: 127) Erstmals lag einem Börsenterminkontrakt kein festes (reales) Produkt mehr zugrunde. In Europa wurden spezielle Derivatbörsen mit einiger Verspätung etabliert: 1978 wurden erste standardisierte Finanzderivate an der Amsterdamer European Options Exchange (EOE) und am London Traded Options Market (LTOM) gehandelt. Am gegenwärtigen Finanzmarkt werden laufend neue Finanzprodukte und -instrumente entwickelt, für deren Beschreibung und Bewertung adäquate mathematische Modelle und Methoden konzipiert werden. Folglich müssen Banken und Brokerfirmen in wachsendem Maße mit den Methoden der Finanzmathematik operieren, um das Risiko ihrer Börsentransaktionen zu kontrollieren. »Keine Bank, die auf dem wachsenden Markt der Derivate aktiv ist, kann mehr auf die neuen mathematischen Methoden verzichten, wenn sie konkurrenzfähig sein will. In den letzten Jahren gab es einen Boom in der Finanzmathematik. Absolventen dieses Gebiets haben keine Schwierigkeiten, interessante Jobs in Banken und Versicherungen zu finden«, sagt Marlene Müller, Abteilungsleiterin am Fraunhofer Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik, auf einer Tagung zum Thema »Klassifi kationsverfahren in Medizin, Wirtschaft und Technik«. Mit den neuen Finanzprodukten konstituierte sich ein neuer Typus des Börsenhändlers. Akademisch ausgebildete Händler berechneten ihre Handelsstrategien auf
138 | Das Wissen der Börse Taschenrechnern und PCs mit quantitativen Modellen. Die Händler füttern ihre Computermodelle mit Schlüsseldaten wie Indizes, Umsatzzahlen und Kurse und überlassen den Auftrag und den Abschluss einem automatisch ablaufenden Algorithmus. Finanzderivate sind digitale Medienformate und haben in kürzester Zeit die medialen und sozialen Praktiken der Börse auf fundamentale Art und Weise geändert. (Günther/Jüngel 2003) Seither gehören mathematische Klassifi kationsverfahren und Hochleistungsrechner zur Grundausstattung des elektronischen Börsenhandels. Die Derivate haben aber auch innerhalb der Börsenorganisation einen weiteren Automatisierungsschub bewirkt: die Ausdehnung der Handelszeiten, eine multimediale Vernetzung und Online-Präsenz mit Remote Access Service zählen heute zu den Grundvoraussetzungen einer international agierenden Börse, die ihren lokalen Standort verlieren möchte, um virtuell präsent zu sein. (Wriston 1992: 77) An die Stelle des Insiderwissens rückte die Bereitschaft, Umsätze zu publizieren und Handelszeiten zu verlängern. Mit der massiven Senkung der Kommunikationskosten ist heute ein globaler Zugang zum Börsenhandel entstanden. Einschlägige Softwarepakete erlauben es heute den Händlern, mit einem einfachen Mausklick von der einen zur anderen Börse zu wechseln. Ein einzelner Börsenterminal ermöglicht einen Überblick über eine Vielzahl von Börsenschauplätzen. Für die Übermittlung von Ordern ist die geographische Distanz zwischen Sender und Empfänger eines Börsenauftrages belanglos geworden. Vor diesem Hintergrund suggeriert das Internet eine ›bestmögliche‹ Koinzidenz von virtuellen Börsen und Finanzmärkten. Die Internetplattform steht idealiter für 1) die vollständige Konzentration des Handels pro Titel, 2) eine maximale Liquität pro Titel, 3) die optimale Preisfindung, 4) die Transparenz der handelsrelevanten Informationen und 5) die Konsolidierung des Finanzmarktes. Damit einhergehend haben die Stochastik der Finanzmärkte, die Mathematik im Investment Banking oder die Technische Analyse von Finanzmärkten neue Einsatz- und Berufsfelder der Finanzmathematik entstehen lassen. (Baxter/Rennie 2001: 44) Finanzmathematiker arbeiten heute für Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen im Bereich der Unternehmensfinanzierung, des Portfolio-Managements, des Risikomanagements und entwickeln dabei neue Produkte im Finanz- und Versicherungswesen. Kommunikationstechnologie und Kapitalmarkt sind am weitesten durchdrungen vom Prozess weltweiter Vernetzung. Die Aufrüstungsspirale der Informations- und Kommunikationstechnologien führt zu neuen Möglichkeiten des Vertriebes von Finanzdienstleistungen. Neue Finanzmarktprodukte wie Derivate und Hedgefonds haben die kurzfristige Mobilität bisher unvorstellbarer Finanzmassen ermöglicht und Finanzmarktkrisen mit immensen gesellschaftlichen Kosten in den betroffenen Ländern produziert. (Tickell 2000: 87-99) Die derivativen Geschäfte der Finanzökonomie sind jedenfalls wissensbasiert, da formale Verfahren der Berechnung eine entscheidende Rolle
II. Technologien der Finanzmärkte | 139 spielen, um nummerische Ordnungen mit Objektivitätsgehalt auszustatten (vgl. Heintz 2000). Gleichermaßen sind die formalen Berechnungsverfahren aber auch bei der Mobilisierung von Akzeptanz und Vertrauen ein wichtiger Bestandteil der Finanzingenieure. Die Durchsetzung des Derivatehandels ist das Resultat einer Kopplung von Finanzökonomie und formalmathematischen Wissenschaftsdiskursen, die sich mit den Theorien stochastischer Prozesse beschäftigen (vgl. Kremer 2005: 11). Der Handel mit gegenwärtigen Erwartungen über zukünftige mögliche Gewinne ist das am schnellsten wachsende und sich verändernde Segment des modernen Finanzmarktes. Es sind nicht mehr die Geldströme, sondern die Erwartungen und Antizipationen möglicher Gewinne und Verluste, die den Profit und Verlust von Finanzinvestitionen bestimmen: »Im Terminhandel findet man eine zugespitzte Form des temporalen Aufschubs: Geschäfte in Futures, Optionen und anderen Derivaten werden in der Gegenwart geschlossen, aber die Erfüllung des Geschäfts geschieht erst in der Zukunft. […] Hier ist der Aufschub der Erfüllung wesentliches explizites Merkmal des Finanzprodukts.« (Grzbeta 2007: 134) Das charakteristische Merkmal der Kreditmärkte ist nicht die bankwirtschaftliche Bestellung der Kapitalnachfrage nach Kredit, sondern der Handel mit gegenwärtigen Erwartungen über zukünftige Gewinnmöglichkeiten. Den Hintergrund für diesen Ansatz liefern Wahrscheinlichkeitsberechnungen von Glücksspielen und Lotterien. Das Handeln mit Derivaten, Optionen und Futures bewegt sich im Feld radikaler Unsicherheit und zeigt einen Schwund des Repräsentierten in den Repräsentationen an. Mit der computergestützten Sequenzialisierung von möglichen Entscheidungen durch die Börsensoftwareprogramm soll an die Stelle menschlicher Ungewissheit eine kalkulierbare Leistungsfähigkeit der elektronischen Börsenhandelssysteme treten: »Der Takt des Handels wird also nicht mehr von der Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit des Menschen, sondern […] von den physikalischen Grenzgrößen der Computersysteme bestimmt.« (Grzbeta 2007: 140-41) Der heutige Finanzmarkt orientiert sich folglich weniger an der sich an den Bedürfnissen des Marktes orientierenden Allokation von Kapital, sondern befindet sich in einer ausdrücklichen Abhängigkeit vom Risikomanagement. Somit verschiebt sich der Gegenstand möglicher Regulation: es geht nicht mehr um die Überwachung der Transaktions- und Kontrollkosten realer Geldströme, sondern um die Kalkulation systemischer Risiken: anstelle der Kapitalnachfrage nach Kredit rückt das Risikomanagement, das zum Charakteristikum kreditwirtschaftlicher Werteermittlungen aufsteigt. (Arnoldi 2006: 381-399) Mit der Verbreitung der Derivate hat sich daher das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft an den Finanzmärkten maßgeblich verändert. Die Beschleunigung der Zeitdimension in den Finanzmärkten »verändert die Art und Weise, wie Akteure sich und andere Marktteilnehmer beobachten, wie Erwartungen aufgebaut, geändert und revidiert werden, und damit verändern sich auch die Konturen von Krisen.« (Kessler 2008: 206) Charakteristisch für die derivativen Finanzprodukte ist
140 | Das Wissen der Börse die Tatsache, dass es sich dabei um Verträge handelt, die den Austausch von in der Zukunft liegender Lieferungen und Zahlungen vereinbaren (z.B. im Rahmen von Terminkäufen und -verkäufen), deren Zeitpunkt und Geldumfang zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch unbestimmt sind. Derivate sind Verträge über die zukünftige Lieferung einer Ware (Futures) oder auch eine Absicherung gegen kurzfristige Preisschwankungen oder eine Risikoversicherung, wenn etwa die Zins- und Tilgungszahlung ausfällt (Credit Default Swaps). Die Bilder der Finanzkrise haben demgegenüber ihre visuellen Argumentationen ausgehend von einer Anthropomorphisierung des Marktes entwickelt und die Präsenzmetaphysik des Subjektes in das Zentrum gerückt: »Das Zentrum erhält nacheinander und in geregelter Abfolge verschiedene Formen oder Namen. Die Geschichte der Metaphysik wie die Geschichte des Abendlandes wäre die Geschichte dieser Metaphern und Metonymien. […] Man könnte sagen, dass alle Namen für Begründung, Prinzip oder Zentrum immer nur die Invariante einer Präsenz (eidos, arche, telos, energeia, ousia [Essenz, Existenz, Substanz, Subjekt], aletheia, Transzendentalität, Bewußtsein, Gott, Mensch usw.) bezeichnet haben.« (Derrida 1992: 423f) In diesem Zusammenhang sind Bilder persönlich betroffener Subjektivität und individueller Affektivität entstanden. Die Medienberichterstattung über die Finanzkrise im Herbst 2008 hat etwa versucht, die technozentrischen Diskurse der virtuellen Börse (Stichwort: fi ktives Kapital bei Marx) auszublenden, indem sie versucht, fi nanztechnische Verkettungen in personalisierten Pathosformeln auszudrücken: »Bisher beschränkte sich die Panik auf die handelnden Personen hinter den Kulissen, auf die Banker und Politiker, die das wahre Ausmaß der Katastrophe zunehmend ahnten. Bis vergangene Woche – da erreichte die Panik die Börse. Weltweit brachen die Aktienkurse ein, am Anfang stand ein Schwarzer Montag, in den folgenden Tagen wurde es kaum besser. […] Offenbar haben die Börsianer begriffen, dass die Finanzkrise mit einer Wucht auf die reale Wirtschaft durchschlagen wird, die vor kurzem nicht für möglich gehalten wurde.« (Der Spiegel, 13. Oktober 2008: 24) Die Krisenberichterstattung des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel konnotiert die Finanzkrise mit einem affektiven Vokabular (»Panik«, »Katastrophe«, »Wucht«) und konstruiert eine Ereigniskette der Ansteckungen. Stilprägend ist in dieser Berichterstattung ein Diskurs der Epidemiologie, der nach Ansteckungsherden, Verbreitungswegen und Bekämpfungsmaßnahmen fahndet. Er vermischt sich mit einem schicksalshaften Katastrophendiskurs, der die Ohnmacht der Beteiligten und die Schicksalsmacht einer übergeordneten Instanz beschwört, die sich dem menschlichen Eingriff zu entziehen droht. Beide Register dienen dem journalistischen Reportage-Stil zur Herstellung einer affektgeladenen Aufmerksamkeitsrhetorik. Über die Funktionsweisen des rezenten Börsenhandels werden die Leser jedoch kaum in Kenntnis gesetzt. Die konkrete Struktur der derivativen Finanzkonstrukte, die maßgeb-
II. Technologien der Finanzmärkte | 141 lich zur Entstehung der gegenwärtigen Finanzkrise beigetragen haben, beschreibt die marxistische Theorie als »fiktives Kapital« und versteht darunter Vermögenswerte, die sich ohne Bezug zu realen Produktionsprozessen im Rahmen der Finanzspekulation akkumulieren. Fiktives Kapital verwertet sich, indem es durch den Handel mit Anspruchstiteln auf zukünftige (gegenwärtig noch »fiktive«) Wertschöpfung Kapitalmassen bindet und so einen Zugriff auf noch gar nicht existierende Werte simuliert. Fiktives Kapital ist pyramidenförmig aufgebaut: mit »realen« Werten als Grundlage und abgeleiteten Titeln, welche sich auf dieses reale »Basiskapital« beziehen, darüber. Das Kreditsystem ist ein wesentlicher Nährboden für fi ktives Kapital, weil hier zukünftige Zahlungsversprechen gegeben und in entsprechenden Kreditderivaten zu Papieren mit eigenem Wert umgewandelt und gebündelt werden. Im unvollendeten fünften Abschnitt des dritten Bandes des »Kapitals« unterscheidet Karl Marx drei Formen der Krise: die Kreditkrise, die Bankenkrise und die Börsenkrise. Die aktuelle Finanzkrise subsumiert alle von Marx genannten Krisen und hat in der ersten Phase zur massiven und massenhaften Vernichtung von fi ktivem Kapital geführt. Daraus ist eine Kreditkrise und eine Krise des Geldmarkts entstanden, da die Banken auch im Interbankenverkehr solche entwerteten Wertpapiere nicht mehr als Kreditgrundlage akzeptieren. Die heutige Verflechtung im internationalen Bankensystem hat dazu geführt, dass teilweise der Zahlungsverkehr zusammen gebrochen ist und mit ihm die funktionierende Form des kommerziellen Kredits. Es gilt partiell nur noch Barzahlung und die heutige Geldzirkulation ist dramatisch geschrumpft. Die globale Krise äußert sich weltweit nicht nur in Verlusten und Insolvenzen bei Unternehmen der Finanzbranche, sondern grundsätzlicher in einer Krise der Zeichen. Diese Krise ist immer latent vorhanden, weil die derivativen Finanzkonstrukte per definitionem bereits Teil der Botschaft sind, die ihre Erfinder (die Autoren der Konstrukte) entworfen haben. Im Derivatehandel dominiert herkömmlich die Ansicht, man könne eine Ökonomie der Zeichen stabilisieren, obwohl sich Derivatkonstruktionen durch ihr Fehlen von referentieller Bedeutung auszeichnen. Bis zur Krise wurde dieses Fehlen von Referenz als Erwartungshaltung positiv besetzt; die Finanzkrise transformierte dieses wirtschaftsliberale Markenzeichen in ein Mängelzeichen und machte darauf aufmerksam, dass derivative Zeichen auch nur fiktive Konstruktionen sind, die auf noch nicht gesicherten Werten aufbauen. Folglich stellen Derivatkonstruktionen nicht Zeichen von etwas dar, sondern firmieren als referenzlose Zeichen, die grundsätzlich auf Erwartungen und Versprechungen auf bauen. Sie denotieren nichts mehr auf eindeutige Weise und erzeugen daher eine Virtualisierung, aber kein Zeichenobjekt. Sie sind jeglicher Substanz, jeglicher Materie und jeglichem Subjekt gegenüber indifferent und bilden einen abstrakten Strom, der sich zu jeder beliebigen Figur formen lassen kann. In einem konsolidierten Finanzmarkt verwandelt das Banken- und Börsensystem diese abstrakten Erwartungen
142 | Das Wissen der Börse in Zahlungsgeld. Dieser Zustand von institutionalisierter Beglaubigung ändert sich, wenn die Derivatkonstruktionen nicht mehr befragbar werden, ob sie einen bestimmten Geldwert repräsentieren. Plötzlich wird auf den Märkten nach der Bedeutung der Derivate gefragt. Die Marktteilnehmer interessiert nicht mehr allein die durch das Wort evozierte Imagination. Die Einsicht, dass Derivate ein nicht-referentielles Kommunikationssystem darstellen, führt zu einem massiven Vertrauensverlust in die Börse. Das, was früher die Derivate als positives Kennzeichen geprägt hat, nämlich eine sich selbst genügende Sinnstruktur, bricht nun in sich zusammen und wird als eklatantes Fehlen von Bedeutung und als Aufhebung von Wahrheitswerten wahrgenommen. Die derivative Konstruktion bricht in sich zusammen, wenn ihre bloße Möglichkeit, die ebenso eine Hypothese oder eine Fiktion sein kann, das heißt ihr fiktionaler und konstruierter Charakter, nicht mehr verdrängt oder vergessen werden kann. Diese Situation impliziert also einen Übergang von einer referentiellen Figur zu einer rhetorischen Bedeutung, in der letztlich keine klare Unterscheidung zwischen außertextlichen und textimmanenten Sprachformen getroffen werden kann. In dieser Konstellation erfahren die Marktteilnehmer die Bedeutungslosigkeit der Derivate. Ihr Glaube, dass die Glaubwürdigkeit an die referentielle Bedeutung nur innerhalb der Sprachsysteme der Spekulation gerechtfertigt sein kann, erleidet eine schwere Begründungskrise. Damit gerät letztlich das Spekulieren mit den Möglichkeiten und den Erwartungen in eine veritable Krise. Obwohl Finanzderivate nur abgewandelte Konstruktionen darstellen, inhäriert ihnen eine destruktive Macht. Diese erweist sich in den Krisen und zeigt, dass börsengehandelte Derivate, deren Umfang mittlerweile die Größenordnung des Weltbruttosozialproduktes übersteigt, einen Kontrollverlust der gesamten Weltwirtschaft herbeiführen können.
II.6 D A S
CHART TECHNISCHE
W ISSEN
Als der amerikanische Wirtschaftsjournalist Charles Henry Dow am Ende des 19. Jahrhunderts damit anfing, das Kursverhalten von Aktien in einem Index zusammenzufassen, begann die moderne Geschichte der Chartanalyse. Seit 1883 publizierte die von Dow und Jones gegründete Dow Jones & Company einen zweiseitigen »Costumers’ Afternoon Letter«, für dessen Leser Dow Börsenkurse zusammenstellte. (Rosenberg 1982: 33) Am 3. Juli 1884 machte Dow seinen ersten Aktienindex publik, der sich aus den Schlusskursen von elf Aktien, neun Eisenbahngesellschaften und zwei produzierenden Unternehmen, zusammensetzte: Dow ging von der Annahme aus, dass diese elf Aktien einen aussagekräftigen Indikator für die ›Gesundheit‹ der nationalen Wirtschaft darstellten. In dieser Zeit spezialisierte er sich auf die Anfertigung eines allgemeinverbindlichen Börsenindex und gründete 1889 schließlich das »Wall Street Journal«. Seit 1897 firmierte seine Börsen-
II. Technologien der Finanzmärkte | 143 analyse unter dem Titel »Dow Jones Index«, der Industrie-, Transport- und Versorgungswerte beinhaltete und zur weltweit anerkannten Datenbasis für Kurvendiagramme in der Börsenberichterstattung avancierte. Die unterschiedlichen Methoden der Chartkonstruktion hatten über die Jahre unterschiedliche Namen. In den 1880er und 1890er Jahren war die Charttechnik als »Buchmethode« allgemein bekannt. Das war auch jene Benennung, die ihr Dow in seinem Editorial des »Wall Street Journal« am 20. Juli 1901 gab. (Bishop 1960: 39) Mit der Buchmethode etablierte sich ein Finanzmarktwissen, das die komplexe Dynamik des Marktes auf visuelle Repräsentationen numerischer Größen reduzierte. In seinen Charts beschränkte er die Funktionslogik des Marktes auf die Preisentwicklung und das Volumen der Transaktionen. In den Preisen bildete er alle Informationen, über die alle am Markt beteiligten Wirtschaftssubjekte potenziell verfügen können, ab. Da für ihn aber das Wirtschaftssubjekt und seine sozialpsychologischen Übertragungsmechanismen keine Rolle als verlässliches Aussageobjekt spielte, reduzierte er die Finanzwirtschaft ausschließlich auf statistisches Material, das er im Chart anordnete (vgl. zu seiner visuellen Wissenstechnik Tanner 2002: 129-180; Bartz 2007: 269-282). Sein Grundsatz, dass die Märkte jeden möglichen – Angebot und Nachfrage beeinflussenden – Faktor reflektieren, ist eine heute noch gültige Prämisse der Technischen Analyse und der Trendkonzeption der Charttechnik, die Dows Partner William Peter Hamilton 1922 in seinem Buch »The Stock Market Barometer« mit folgenden Worten zusammenfasste: »Die Summe und Tendenz der Börsentransaktionen repräsentieren das gesamte Wissen der Wall Street der Vergangenheit, sofort und aus der Entfernung, im Hinblick auf die Vorhersage der Zukunft. Es besteht keine Notwendigkeit, den Indizes etwas hinzuzufügen, wie es manche Statistiker tun, Anpassungen an Rohstoffen auszuarbeiten, Devisenkursschwankungen, inlands- und auslandsbasierende Transaktionen oder irgendwas sonst. Die Börse berücksichtigt all diese Dinge.« (Hamilton 1922: 40f) Dow erkannte, dass sich die Kurs- und Umsatzentwicklungen in typischen Erscheinungsbildern (Trends), die günstig beim Auffi nden von Kaufund Verkaufssignalen sind, darstellen lassen können. Dabei unterschied er je nach Dauer der Trends typische und wiederkehrende Kursbilder bzw. Formationen. Er unterschied mehrjährige Primärtrends, wochenlange Sekundärtrends und Tertiärtrends im Tagesbereich, mit denen er Kursprognosen für die Zukunft abgab. Um zu erkennen, wie aufsteigend oder abfallend ein Trend verläuft, verzeichnete er sogenannte Trendlinien. In der Ära von Dow geschah dies noch mit Bleistift und Lineal, heute bedienen die Analysten eine hochentwickelte Trading Software, mit der sie versuchen, Aufund Abwärtstrends mit Hilfe rechnergestützter Methoden zu bestimmen. Ein Aufwärtstrend beginnt auch heute noch, wenn nach einem Kurstief der Preis für das Produkt, für das der Kurs dargestellt wird, steigt und in der anschließenden Abwärtskorrektur das alte Tief nicht mehr erreicht wird. Die Trendwende ist dann vollendet, wenn der nächste Anstieg über den vorhe-
144 | Das Wissen der Börse rigen reicht. Für die Prognose eines Abwärtstrends gilt die spiegelverkehrte Annahme. Seit Dow zählt die Chartanalytik zu einer profitorientierten Repräsentationstechnik, welche die Performance der Spekulation verbessern soll. Die heutigen Börsensoftwareprogramme können auf praktisch jeden Finanzmarkt angewendet werden und haben einen globalen Absatzmarkt geschaffen. Mit der Computerbörse ist ein Informationssystem global prozessierender Datenflüsse entstanden, das eine sich beschleunigende Proliferation der Medien, Daten und Formate erzeugt. Eine zeitgemäße Charting Software suggeriert die Darstellung aller relevanten Daten und Informationen auf einem einheitlichen Tableau und hat die Utopie eines Meta-Mediums entstehen lassen, das Sicherheit und Kompetenz verkörpert. Ein Trader, der nicht mit den technischen Routinen, die in der Chartingsoftware enthalten sind, vertraut ist, und der die Konzepte, die den verschiedenen Indikatoren zugrunde liegen, nicht kennt, mag von dem vielfältigen Aufgebot der heute erhältlichen Computersoftware überwältigt sein. Denn die Chartingsoftware bietet in ihrer Gesamtheit multifaktorielle Modelle, die selbst ein veränderliches und komplexes Netz aus unterschiedlichen Elementen bildet – ohne auf einen (gleichwohl stets begehrten) Mittelpunkt der eindeutigen Lesbarkeit von Börseninformationen hinauszulaufen. (Abb. 34)
Abbildung 34: Trading Demo, Direct Pro Trader Der Computer versetzt den Trader in die Lage, die unterschiedlichen Indikatoren auf Profitabilität zu testen. Dieses medienspezifische Merkmal der Chartingsoftware macht die Indikatoren, Systeme und Programme selbst zum Kostenfaktor. Damit muss die Formel ›Zeit ist Geld‹ um den Faktor ›Wissen‹ erweitert werden, da die Wissensformen in die Lage versetzt werden, sowohl Zeit als auch Geld zu generieren. Allerdings wird die Profitabilität des charttechnischen Wissens nicht mehr manuell, sondern automatisch berechnet und ausgewertet. Mechanische Handelssysteme funktionieren aber nicht in allen Marktumgebungen und bleiben daher dem allgemeinen System der Profitabilität unterworfen. Börsensoftwareprogramme tradieren das Gebrauchswertversprechen mechanischer Handelssysteme: »Vorteile mechanischer Systeme sind: 1. Die menschliche Emotion wird eliminiert.
II. Technologien der Finanzmärkte | 145 2. Man erreicht eine größere Disziplin. 3. Eine größere Konsistenz ist möglich. 4. Trades werden in Richtung des Trends getätigt. 5. Eine Partizipation in Richtung jedes bedeutenden Trends ist praktisch garantiert. 6. Gewinne können laufen gelassen werden. 7. Verluste werden minimiert.« (Murphy 2003: 377) Börsenkurse sind heute für die meisten Privatinvestoren in Echtzeit verfügbar. Auf den Plattformen für Online Trading, Forex Trading und Online Brokerage werden für die Anleger andauernd Informationen zur Analyse sichtbarer Kursentwicklungen aktualisiert. Sichtbar gemacht werden die Kurse mit den sogenannten Charts. Bei Chartanalysen handelt es sich um visuelle Analysen: sie interpretieren ausschließlich den Kursverlauf von Aktien, Zinsen und Währungen. Insofern kommt der Darstellungsform eine große Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund hat sich die technische Analyse mittlerweile als die bedeutendste Methode der Finanzmarktspekulation herausgebildet. Die technischen Handelsmodelle der Charttechnik wurden erst mit der allgemeinen Verfügbarkeit der Computertechnik seit den 1980er Jahren berechenbar und zur marktbeeinflussenden Einflussgröße. Ohne rechnergestützte Kalkulation wäre das tägliche Handeln voluminöser Investitionssummen auf den internationalen Finanzmärkten nicht möglich. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass die technische Analyse gegenwärtig einen großen Boom erlebt. Private Anleger müssen sich mit verfeinerten Analysemodellen auseinandersetzen und haben eine immense Nachfrage im Bereich der Prognose über den zukünftigen Kursverlauf von Wertpapieren, Indizes oder sonstigen Finanzinstrumenten erzeugt. Bei der technischen Analyse von Aktien werden anders als bei der Fundamentalanalyse nicht die Daten oder der volkswirtschaftliche Kontext des Unternehmens berücksichtigt. Während sich die Fundamentalanalyse mit Kennzahlen aus der klassischen Makroökonomie, der Branchenanalysen oder der Betriebswirtschaft beschäftigt, geht die Chartanalyse von der Annahme aus, dass sämtliche entscheidungsrelevante Informationen über Vergangenheit und Zukunft bereits im Chart, nämlich als eine sichtbare Kursentwicklung, enthalten sind. Die Charttechnik als eine Variante der praktischen Finanzanalyse besteht also aus einer Vielzahl mathematischer und visueller Techniken, die eine Vorhersage zukünftiger Börsenkurse anhand historischer Kursentwicklungen anstreben. (Abb. 35) Sie stellt sich die Aufgabe, geeignete Zeitpunkte zum An- und Verkauf von Finanzwerten zu erkennen. Dieses Verfahren zur Herstellung von prognostischem Orientierungswissen hat sich heute auf den internationalen Finanzmärkten durchgesetzt. Um einen Aufwärtstrend grafisch zu kennzeichnen, verbindet man die ersten zwei Tiefpunkte in dem Zeitabschnitt, den man untersuchen möchte. Ein Abwärtstrend wird durch die Verbindung zweier Kursspitzen dargestellt. Wird eine solche Linie vom Kurs durchbrochen, gilt der Trend als nicht mehr intakt und häufig kommt es dann zu einer Trendwende oder zu einem neuen Trend auf verändertem Niveau. Chartisten positionieren sich in der Regel erst, wenn ein klarer Trend erkennbar ist. Der sogenannte Trendfolge-An-
146 | Das Wissen der Börse satz ist aber nicht mehr die einzige Anlagestrategie der Charttechniker. Neben den Trendlinien kennt die Charttechnik auch Unterstützungs- und Widerstandslinien. Dies sind horizontale Linien auf einem markanten Niveau. Als markantes Niveau kann ein Preis des Underlyings bezeichnet werden, bei dem der Chartist eine spekulative Kaufempfehlung geben kann.
Abbildung 35: Multimonitor Workstation, Trading PC Die Chartanalyse ist ein Visualisierungsverfahren, das finanzstatistisches Wissen auf zweierlei Hinsicht zugänglich macht. Einerseits stellt es ein technischinstrumentelles Wissen zu Verfügung, das die Privatanleger zu bestimmten Entscheidungen führen soll; andererseits zielen die unterschiedlichen Visualisierungsmethoden auf die Herstellung einer bestimmten Erlebbarkeit des Finanzmarktwissens und seine Einbindung in bestimmte Kulturtechniken und Lebensstile. Dabei gehen die technischen Trader in der Regel situationsbezogen vor. Sie versuchen, das Verhalten von Wertpapierkursen bis zu einem künftigen Zeithorizont möglichst exakt vorherzusagen, um das Wertpapier zu kaufen oder zu verkaufen, um mit den daraus gewonnenen Informationen Gewinn zu erzielen und Verluste zu vermeiden. Die Popularisierung der Börsenspekulation hat zur Entprofessionalisierung des Spekulanten geführt. Jeder Anleger ist heute aufgefordert, sich eigenständig und regelmäßig zum Thema der Analyse von Charts umfangreich in der Literatur zu informieren. Damit einhergehend ist ein neuer Beratungsmarkt entstanden, auf welchem Experten ihr Insiderwissen dem interessierten Laienpublikum zur Verfügung stellen. Einer der renommiertesten Experten im Fachbereich der Technischen Analyse ist der US-Analytiker John Murphy. Er war sieben Jahre lang technischer Analyst in einer von CNBC-TV produzierten Börsensendung, in der er zu Fragen der technischen Analyse Stellung nahm und arbeitet mittlerweile seit mehr als 30 Jahren professionell im Börsengeschäft. 1992 bekam er auf dem fünften Weltkongress der Internationalen Vereinigung der Technischen Analysten als erster den Award der International Federation of Technical Analysts – ein Preis für herausragende Leistungen im Bereich der technischen Analyse. Inzwischen ist er Chef der Abteilung Technische Analyse bei StockCharts.com und Präsident des Murphy-Morris ETF Fund. Weiterhin tritt er in Fernsehshows wie Bloomberg TV und CNN Moneyline als Experte in Erscheinung.
II. Technologien der Finanzmärkte | 147 Murphy ist Autor des Standardwerkes »Technical Analysis of the Financial Markets« (1. Auflage: 1986), die erfahrene Daytrader als die »Bibel« für Charttechniker rühmen. In seinem Buch beschreibt er die gängigsten Chartformationen und Indikatoren und entwickelt Modelle zur Erklärung von Trendverhalten. Mit seiner 1991 veröffentlichten Monografie »Intermarket Technical Analysis« etablierte er einen neuen Zweig der technischen Analyse – die Intermarket Analyse, die Beziehungen zwischen verschiedenen Finanzmarktinstrumenten untersucht. Charttechnische Analysemodelle gehen grundsätzlich von Annahme aus, dass der Kursverlauf von Finanzwerten aus beobachtbaren Ereignisse besteht, die sich in einer bestimmbaren Zeit wiederholen und daher Prognosen voraussichtlicher Kursentwicklungen ermöglichen. Die Chartanalyse visualisiert das prognostische Wissen mittels bestimmter geometrischer Muster oder statistischer, quantitativer Indikatoren, die als Richtungsanzeiger verwendet werden. Gemeinsames Ziel sämtlicher Methoden ist die Ermittlung von Kauf- und Verkaufsignalen für das analysierte Wertpapier. In jedem Fall versuchen die Chart-Analytiker, den Markt zu übertreffen (beat the market). Dieser Fall tritt dann ein, wenn ein Spekulant eine höhere Rendite erreicht als der dem Kurswert zugrundegelegte Index anzeigt. Bei der Chartanalyse handelt es sich um ein heuristisches Verfahren, das ohne empirische Belege aus Kursbewegungen grafische Interpretationen ableitet: »Chartists attempt to predict share price movements by assuming that past price patterns will be repeated. There is no theoretical justification for this.« (Buckley 2000: 110) Die Methodik der Chartanalyse betrachtet die Ursache-Wirkungsbeziehungen der Kursentwicklungen als außerordentlich multifaktoriell und folgert daraus, dass diese aufgrund ihrer hochgradigen Komplexität wissenschaftlich nicht erklärt werden können. Infolgedessen operiert die Chartanalyse mit dem Modell der »Black Box« (Murphy 2003: 59), wenn eine erste Annäherung an ein noch unbekanntes Zusammenspiel von Elementen erzielt werden soll. In diesem Sinne setzen die Händler beispielsweise ein Signal auf den »Eingang« und versuchen davon ausgehend ein »Ausgangssignal« abzulesen. Mit einer genügend großen Zahl und Varianz von Ein- und Ausgangsmustern soll sich so eine erste Hypothese darüber bilden, was im »Inneren« der Black Box geschieht. Indem sich das chartanalytische Wissen auf die Informationsverarbeitung der Signale einlässt, beschränkt es sich auf die technische Oberfläche des Finanzmarktes. In dieser Hinsicht sind die Charts nur die Oberflächen und die fi nanzwirtschaftlichen Transaktionen fi rmieren als eine Black Box. Die Chartanalytiker haben aber den Eindruck, dass sie mittels der direkten Manipulation auf dem Monitor alle Daten und Informationen des Finanzmarktes unter Kontrolle hätten. Aber in Wirklichkeit wissen sie nicht, was tatsächlich im schwarzen Kasten des Finanzmarktes passiert. Die Chartanalyse ist also ein außerordentlich eingeschränktes Wissen, das sich nur innerhalb eng gesetzter Regeln behaupten kann. Es ist zudem angewiesen auf eine intelligente Agentensoftware, welche die Chartanalyse bei ihren
148 | Das Wissen der Börse Entscheidungsprozessen assistiert. Die technischen Agentensysteme werden von den Händlern aber nur benutzt. Die Händler haben diese Agenten nicht selbst geschaffen, sondern können sie nur bei Bedarf aufrufen. Insofern sind die ›wahren‹ Transaktionen nicht beobachtbar: was die Händler sehen und für Trends halten, sind lediglich die Effekte der Analysesoftware. Wenn die Händler versuchen, nur den eigenen Befehlen zu folgen, dann unterliegen sie der Illusion des Benutzers. Die Händler sind in diesem Sinne selbst nur Agenten, die innerhalb eines eng gesteckten Rahmens das ausführen, was ihnen das Programm nahelegt, das sie selbst nicht geschrieben haben. Agieren die technischen Analytiker also im Grunde nur in der Rolle von »Anwendern« (Kittler 1996: 150-162)? Es ist ein Faktum, dass das charttechnische Wissen sich nur innerhalb enger Geltungsregeln realisieren kann. Sein mediales Setting führt also zu einer paradoxen Situation des entzogenen Anfangs und zu einer entsprechenden Reglementierung einer auf Ein- und Ausschlussverfahren fi xierten Methodik. Denn die Chartanalyse muss mit ihren statistischen Erhebungsmethoden immer auf eine dichotom organisierte Entscheidung hinarbeiten und damit einhergehend erkenntnistheoretische Widersprüche und Unklarheiten in Kauf nehmen. Der Balkenchart mit täglichen Kursen ist der am häufigsten verwendete Charttyp in der technischen Analyse. (Abb. 36) Sein Name referiert auf die grafische Darstellung der täglichen Schwankungsbreite, die durch einen senkrechten Balken visualisiert wird. Aus dem Tages-Balkenchart können der Eröff nungskurs, der Tageshöchstkurs, der Tagestiefstkurs und der Tagesschlusskurs abgelesen werden. Jeder vertikale Balken repräsentiert die Marktbewegungen eines Börsentages. Die täglichen Eröff nungskurse konnotieren die waagrechten Striche auf der jeweils linken Seite der Balken. Die kleinen waagrechten Striche rechts der Balken markieren die jeweiligen Schlusskurse. Die Konstruktion des Balkencharts enthält auf der senkrechten Achse die Kursskala und die Zeitskala markiert die waagrechte Achse. Der Tageschart des Balkendiagramms enthält zusätzlich eine Leserichtung, die von links nach rechts ausgerichtet ist und die dementsprechenden Informationen anordnet. Die Logik zeitlicher Sukzession ergibt sich durch einen nächstfolgenden Balken in der Leserichtung von links nach rechts. Der senkrechte Balken wird vom höchsten Kurs des Tages zum niedrigsten Kurs des Tages (das ist die Handelsspanne oder Bandbreite) gezogen. Balkencharts können für jede Zeitperiode konstruiert werden und können Monate-, Wochen-, Stunden- und Minutenperioden verkörpern. Jeder Charttypus richtet sich an spezifische Gruppen von Anlegern, welche die Charts und ihre grafischen Repräsentationen in erster Linie als ein Informationsmedium konsumieren. Während sich langfristig orientierte Investoren an die übergreifenden Trends halten, interessieren sich die mit Minuten- und Sekundenintervallen spekulierenden Daytrader ausschließlich für die kurzfristigen Trends.
II. Technologien der Finanzmärkte | 149
Abbildung 36: Tages-Balkenchart, 1998, John J. Murphy, Technische Analyse der Finanzmärkte, 2003 Abbildung 37: Tages-Linienchart, 1998, Murphy, Technische Analyse
Dieselbe Marktbewegung stellt der Linienchart dar, der eine feste Linie durch die Verbindung der aufeinander folgenden Schlusskurse produziert. (Abb. 37) Somit lenkt er die Aufmerksamkeit auf den Schlusskurs als den wichtigsten Kurs eines Handelstages. Damit wird ersichtlich, dass der Linienchart eine klare Präferenz darstellt und einer spezifischen Blickführung dient. Liniencharts sind Kurscharts, welche die Schlusskurse eines gegebenen Marktes über eine bestimmte Zeit miteinander verbinden. Das Ergebnis ist eine Kurskurve auf dem Chart. Diese darstellerische Vereinfachung hat dazu geführt, dass diese Variation der Wirtschaftskurve zu einer populären Visualisierungsform wurde. In seiner einfachsten Darstellung zeigt dieser Charttypus nur eine einzige Zeitreihe; diese Präsentationstechnik wird vor allem bei der Wiedergabe tagesaktueller Kursentwicklungen im Finanzjournalismus genutzt. Die Intermarket-Analyse der Chartisten verwendet häufiger Liniencharts mit mehreren Zeitreihen, die zum Vergleich übereinander gelegt werden.
Abbildung 38: Tages-Kerzenchart, 1998, Murphy, Technische Analyse Kerzencharts oder Candlestickcharts sind die japanische Version des Balkencharts. (Abb. 38) Die visuelle Repräsentation von Marktdaten in Kerzenform (wörtlich: Leuchter) nutzt dieselbe Kurseinteilung wie der westliche Balkenchart: Eröffnungs-, Hoch-, Tief- und Schlusskursen. Beim Kerzenchart zeigt
150 | Das Wissen der Börse eine dünne Linie, die »Schatten« genannt wird, die tägliche Schwankungsbreite von Hoch- und Tiefkurs an. Das Rechteck misst die Differenz zwischen dem Eröffnungs- und Schlusskurs des Tages und wird »Körper« genannt. Weiße Kerzen kennzeichnen einen Schlusskursen, der höher ist als der Eröffnungskurs (positiv); schwarze Kerzen markieren einen Schlusskurs, der niedriger als der Eröffnungskurs liegt (negativ). Die beiden Linien ober- und unterhalb des Körpers werden als »Docht« (auch: »oberer Schatten«) und »Lunte« (auch: »unterer Schatten) bezeichnet. Auf der Benennungsgrundlage von Eröffnungs-, Hoch-, Tief- und Schlusskurse haben sich zahlreiche Namen der jeweiligen Kerzenformationen herausgebildet. Eine Kerzenformation kann aus einer einzelnen Kerze oder einer Kombination aus mehreren Kerzen bestehen. Die meisten Candlestick-Formationen kennzeichnen Umkehrpunkte (Trendwechsel) im Markt und weniger Trendfortsetzungen. Die Formationen zielen auf schnelle Erkennbarkeit komplexer Situationen und enthalten in ihrer Definition eine Menge Detailwissen (Abb. 39).
Abbildung 39: Candlestick-Formationen, Murphy, Technische Analyse
Die technische Analyse der vielschichtigen Formationen wird heute computerunterstützt bewerkstelligt. Ein Börsensoftwareprogramm, das auf Formationenerkennung ausgerichtet ist, trägt dazu bei, Fehlsignale von Candlesticks zu eliminieren. Stochastische Softwareprogramme berechnen technische Indikatoren auf wechselnde Kursdaten. Dabei werden Stochastik-Indikatoren so interpretiert, dass ein Verkaufssignal automatisch dann
II. Technologien der Finanzmärkte | 151 gegeben wird, wenn ein bestimmter Signalbereich numerisch überschritten wird. Das Konzept des Candle Pattern Filtering setzt bereits vorher ein und nutzt den Vor-Signal-Bereich zur technischen Analyse: »In Verbindung mit anderen technischen Indikatoren als Filter werden Candlestick-Formationen Handelssignale beinahe immer zeitlich vor anderen kursbasierten Indikatoren anbieten.« (Murphy 2003: 303) Ein weiterer geläufiger Charttyp ist der Point & Figure-Chart, der dieselbe Kursentwicklung in komprimierter Form darstellt, jedoch mit alternierenden x- und o-Säulen operiert. (Abb. 40) Die x-Säule stellt steigende Kurse dar, die o-Säule zeigt hingegen fallende Kurse. Im Unterschied zu Balken- und Linienchart fokussiert der Point & Figure-Chart die Kauf- und Verkaufssignale der jeweiligen Kursentwicklungen.
Abbildung 40: Point & Figure Chart, Murphy, Technische Analyse Das »Wall Street Journal« begann bereits in seinen Ausgaben von 1886 mit der Veröffentlichung der täglichen Hoch-, Tief- und Schlusskurse von Aktien. Die Visualisierungstechnik der Point & Figure-Charts wurde also lange vor dem Auf kommen der Balkencharts als erste Methode der Chartkonstruktion verwendet. Der Begriff »Point & Figure« wurde erstmals von Victor de Villiers in seinem 1933 veröffentlichten Werk »The Point & Figure Method of Anticipating Stock Price Movement« geprägt. Seither ist diese Methode unter vielen verschiedenen Bezeichnungen allgemein bekannt. Im Unterschied zu Balkencharts, die Kurs und Zeit aufzeichnen, bilden Point & Figure-Charts ausschließlich Kursbewegungen ab und integrieren die Zeitkomponente nicht in ihre grafische Repräsentation. Point & FigureCharts zeichnen also nur aktive Marktbewegungen auf; sie enthalten kein zeitliches Kontinuum und fokussieren ausschließlich diskontinuierlich auftretende Trading-Signale. Es wird zwar von allen hier gezeigten Charts das allgemeine Kurs- und Trendbild dargestellt, allerdings unterscheidet sich die Methode der Kursaufzeichnung in wesentlichen Punkten. Im Unterschied zum Balkendiagramm vermögen die Point & Figure-Charts spezifische Breakouts präziser zu lokalisieren und erleichtert die Erkennbarkeit
152 | Das Wissen der Börse von Trading-Signalen. Ein weiterer Unterschied liegt in der Flexibilität der Point & Figure-Methode. Es können sowohl die Anzahl als auch die Größe der Kästchen variiert werden, um Aussagekriterien zu modifi zieren. In der Zeit von Charles Dow mussten die Point & Figure-Charts manuell konstruiert und interpretiert werden. Eigens für diese Zwecke geschulte Schreibkräfte zeichneten und berechneten die x- und o-Säulen. Heute übernehmen die Chartprogramme der Daytrader die Chartkonstruktion und sind in der Lage, die Kästchengröße und die Umkehrregel mit einem Mausklick zu modifizieren. Computerisierte Point & Figure-Charts lassen sich auf der Basis von Intraday- oder Tagesschlusskursen berechnen. Ein Screening-Prozess bemisst die Volatilität einer Aktie der letzten drei Jahre und definiert die entsprechende prozentuale Kästchengröße für jede Aktie. Der technische Ansatz der Marktanalyse ist auf das Trendkonzept angewiesen. Die Charttheorie defi niert den Trend in einem allgemeinen Sinn als die Richtung des Marktes, in der er sich bewegt: »Marktbewegungen werden charakterisiert durch eine Serie von Zacken. Diese Zacken gleichen einer Reihe aufeinander folgender Wellen, mit recht eindeutigen Gipfel und Tälern. Es ist die Richtung dieser Gipfel und Täler, die einen Markttrend konstituiert.« (Murphy 2003: 63) Diese Annahme von sich sukzessive entwickelnden Aufwärts- und Abwärtstrends setzt die Vorstellung eines temporalisierten Kontinuums voraus. Der mit Hilfe einer Verbindungslinie konstruierte Graph homogenisiert die unterschiedlichen Marktbewegungen und schaff t die Anschauung einer einzigen Trendlinie. Gipfel und Täler stehen für bestimmte Umkehrpunkte, die eine bestimmte Aussage über einen Richtungswechsel enthalten. Ein Aufwärtstrend wird definiert als eine Serie sukzessive höherer Gipfel und Täler; der gegenteilige Abwärtstrend ergibt sich aus einer Serie niedrigerer Gipfel und Täler; mit gleich hohen Gipfeln und Tälern identifiziert der Trader einen seitwärts gerichteten Kurstrend (Trading Range). Die übliche Verwendung von Bildmetaphern zur Kennzeichnung von Kursformationen wie z.B. »Flagge« oder »Wimpel« macht auf das Verhältnis von visueller Repräsentation und diskursiver Deutung aufmerksam. So offensichtlich die Evidenz des Gezeigten auch sein mag, so muss das Offensichtliche und Einleuchtende immer erst gedeutet werden. Dieser Umstand verweist uns darauf, dass die verwendeten Daten immer erst auf eine gewisse Weise in Szene gesetzt werden müssen, um auf eine bestimmte (gewünschte) Art und Weise gelesen und interpretiert zu werden. In diesem Sinne sind die statistischen Visualisierungen der Märkte immer auch stilistische Varianten ohne ursächliche oder letztgültige Referenz. Insofern sind die Datenbilder genauso ein Konstrukt wie die diskursive Deutung selbst. Genau genommen enthält die visuelle Repräsentation immer schon eine diskursive Deutung des Gezeigten. Diese Vermischung gilt auch für grafische Umsetzungen quantitativer Primärinformationen, wenn der Präsentation aggregierter Rohdaten immer schon die Entscheidung für einen bestimmten Darstellungsmodus vorausgeht – dieser Modus kann freilich
II. Technologien der Finanzmärkte | 153 alternierend verwendet werden. Diese Tatsache kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Modus selbst bereits eine Interpretation des Gezeigten enthält und folglich eine spezifische Aussage über das visualisierte Datenmaterial tätigt – und somit eine bestimmte Lesart nahe legt. Die meisten technischen Systeme werden für die trendfolgende Analyse entwickelt und evaluieren Märkte, die sich entweder nach oben oder nach unten bewegen. Diese Trendfolgesysteme benötigen in ihrer Defi nition also einen Trend, um zu funktionieren. Kurse bewegen sich aber nicht nur in zwei Richtungen, sondern erzeugen auch flache, horizontale Muster, die keinen klaren Trend anzeigen (vgl. zu allen drei Optionen Abb. 41). Diese Seitwärtsbewegungen induzieren einen Mangel an Entscheidungsgeladenheit. Die visuelle Repräsentation der trendlosen Marktsituation entzieht sich somit einer eindeutigen Lesbarkeit – ihre Unentschiedenheit prägt keine klar erkennbaren visuellen Merkmale aus und führt dazu, dass sich die Marktteilnehmer aus dem Marktgeschehen zurückziehen. Diese Kodierung des Marktes verdeutlicht, dass das Funktionieren des Spekulationsgeschäftes wesentlich von der binären Organisation von Kaufen/Verkaufen abhängt. Der trendfolgende Trader wird mit zwei Entscheidungen konfrontiert. Er kann ›long gehen‹, d.h. einen Markt kaufen; oder ›short gehen‹, d.h. einen Markt kaufen. Freilich kann er auch nichts tun und aus dem Markt aussteigen – diese Entscheidung bleibt aber außerhalb des Trendfolge-Ansatzes.
Abbildung 41: Trendanalyse, Murphy, Technische Analyse Abbildung 42: Beispiel einer Aufwärtstrendlinie, Murphy, Technische Analyse
Die einfache Trendlinie ist im Arsenal der technischen Analyse ein unverzichtbares Instrument. Trends sind grundsätzlich binär organisiert. Eine Aufwärtslinie ist eine gerade Linie, die unter die steigenden Reaktionstiefs gezeichnet wird. (Abb. 42) Um Trendlinien überhaupt zeichnen zu können, müssen Anzeichen eines Trends vorhanden sein. Wie können aber Anzeichen eines Trends zuverlässig und dauerhaft erkannt werden? Diese Frage beantwortet die Chartanalyse wiederholt auf wissensimmanente Weise und setzt bei einer ›gegebenen‹ Kurvenmorphologie an. Für das Ziehen einer Aufwärtslinie bedeutet dies, dass es mindestens zwei Reaktionstiefs geben muss, von denen das zweite höher liegen muss als das erste Tief. Trend-
154 | Das Wissen der Börse linien werden dazu benutzt, um Kauf- und Verkaufsbereiche zu defi nieren. Im ersten Schritt geht es für den Trader also darum, die Aufwärtslinie zu etablieren, um dann aufeinanderfolgende Vertiefungen nahe der Linie als Kaufzonen zu markieren. Diese Kaufzonen werden schließlich zur Entscheidungsgrundlage für Longpositionen gesetzt. Die Trendlinie gilt so lange als ›intakt‹, solange sie nicht durchbrochen wird. Der Bruch einer Trendlinie firmiert als ein Indikator einer bevorstehenden Trendumkehr. Neben vielen anderen Kriterien misst der Trader die Grade der Trendlinie, um die Zeitdauer des Trends zu prognostizieren und beschäftigt sich mit Fragen der Trendumkehr, Widerstands- und Unterstützungslinien. In diesem Zusammenhang setzt sich das charttechnische Wissen vor allem aus numerischstatistischen Auswertungsmethoden zusammen. Eine andere Perspektive entsteht, wenn sich der Chartist mit den Kursformationen auseinandersetzt: »Formationen sind Bilder oder Muster, die auf Charts von Aktien oder Rohstoffen auftauchen, die in verschiedenen Kategorien unterteilt werden können und die einen Prognosewert besitzen.« (Murphy 2003: 112) Bei den meisten Kursformationen stellen Börsensoftwareprogramme Projektionstechniken zur Verfügung, die dem Analysten helfen, Mindestkursziele zu definieren. Diese Zieldefinitionen können jedoch nur Annäherungswerte an die mögliche Ausdehnung der künftigen Kursbewegungen darstellen, sollen aber den Trader bei seiner Risikobewertung unterstützen. In der Analyse der Formationen geht es darum, von visuellen Formationen klar definierte Prognoseeigenschaften abzuleiten. Von typischen Formationen leitet der Trader schließlich ein regelmäßig wiederkehrendes Marktverhalten ab. So verdeutlich etwa eine bestimmte Formation des »Aufsteigenden Dreiecks« (Abb. 43) für den Analysten, dass »die Käufer aggressiver als die Verkäufer sind. Es gilt als bullish und wird gewöhnlich durch einen Ausbruch nach oben aufgelöst.« (Murphy 2003: 146) Das Risiko-Chance-Verhältnis der Formationen bemisst sich folglich nach einer prozentual ermittelten Häufigkeitsstatistik. Zusammenfassend erscheint das Finanzmarktwissen in besonderer Weise von Visualisierungstechniken, bildgebenden Verfahren und gruppenspezifischen Kommunikationskulturen geprägt. Unübersichtliche Marktentwicklungen, hochkomplexe Derivatkonstruktionen und Transaktionen in Sekundenbruchteilen können nicht empirisch beobachtet werden und sind daher grundsätzlich von bestimmten medialen Repräsentationen abhängig. In einer schwer verständlichen Welt der Finanzmarkttransaktionen stiften nummerisch-statistische Darstellungsverfahren übersichtliche Zeitstrukturen, räumliche Anordnungen und identifi katorische Klassifikationssysteme. Ihre visuellen Repräsentationen standardisieren das Finanzmarktwissen nicht nur technisch, sondern normieren es auch auf kommunikative Weise. In dieser Hinsicht firmiert die Wirtschaft als das sichtbar gemachte Unsichtbare und das Bild als das Medium, das Evidenz vermittels spezifischer Wissenstechniken und -kulturen herzustellen versucht. Das hieraus entstehende Finanzmarktwissen steht mit gesellschaftlichen Institutionen und Subjekt-
II. Technologien der Finanzmärkte | 155 konstitutionsprozessen in einer engen Wechselbeziehung, insofern es anordnend, strukturierend und regulierend wirkt und Deutungspraktiken des Finanzmarktgeschehens hervorbringt. Die erzeugten Bilder und Wahrnehmungsformen der Finanzmärkte dienen der sozialen Kommunikation über einen Sachverhalt, der zwar nicht mit eigenen Augen zu sehen ist, aber einen hochgradigen Evidenzstatus enthalten soll. Die Evidenz der Entwicklungen und Transaktionen auf den Finanzmärkten kann nie alleine technisch hergestellt werden, sie enthält immer auch Repräsentationstraditionen und nicht mehr hinterfragte Sehtraditionen: »Damit das sichtbar gemachte Unsichtbare auch einen Evidenzstatus enthält, muss es sich in Gewohnheiten einschreiben.« (Gugerli/Orland 2002: 11) Die Überzeugungskraft des charttechnischen Wissens resultiert aus der Glaubwürdigkeit, die der Lesbarkeit der Bilder entgegengebracht wird. Im Unterschied zur akzidenziellen Fieberkurve medizinischer Versuchsanordnungen suggeriert die Wirtschaftskurve der Chartanalysen eine objektiv-nüchterne Machtbeobachtung, da sie mathematische Gesetz- und Regelmäßigkeiten grafisch repräsentiert. Der Chartgrafik inhäriert aber nicht per se Eigenschaften wie »Glaubwürdigkeit« und »Überzeugungskraft«: diese entspringen einem sekundären Vermittlungsprozess und sind daher immer auch in Kontexte sozialer Einschreibungen und historischer Konjunkturen eingebunden. Die Bilder verkörpern also nicht an und für sich die mathematische Fassung der Finanzströme, sondern bedürfen zur didaktischen Evidenzstiftung und Aufmerksamkeitssteigerung immer erst einer nachträglichen Kontextualisierung. (Abb. 44)
Abbildung 43: Aufwärtsdreieck, Murphy, Technische Analyse Abbildung 44: Beispiel für Kaufsignale, Murphy, Technische Analyse An seinem Anfang steht die Institutionalisierung einer neuen Bildtradition, die Charles H. Dow am Ende des 19. Jahrhunderts einführte. Das, was wir heute Technische Analyse der Finanzmärkte nennen, hat seine Ursprünge in den Theorien, die Dow zur Jahrhundertwende formulierte. Er etablierte eine Diagnosetechnik für die Spekulationsmärkte und bediente sich dabei einer bereits vorhandenen Visualisierungstechnik, die er in den Verwendungszusammenhang der Finanzmarktanalyse überführte. In weiterer Folge hat sich seine nummerisch-statistische Bildtechnik allmählich von seinem professionellen Umfeld gelöst und ist für Laienkon-
156 | Das Wissen der Börse texte popularisiert worden. Heute prägt seine Charttechnik nicht nur das Orientierungs- und Entscheidungswissen potenzieller Anleger, sondern ist als ›Wirtschaftskurve‹ zur Bildikone populärer und popularisierender Wirtschaftsdiskurse aufgestiegen. In der visuellen Kultur der Gegenwart hat sich – gegenüber anderen Charttechniken – der Linienchart als dominanter Visualisierungstypus von Marktbewegungen mit starken Identifi kationsappellen durchgesetzt. Er dominiert nicht nur das gesellschaftsübergreifende Vertrauen in eine bestimmte Darstellungskultur, sondern hat sich von seinem ursprünglichen Verwendungskontext gelöst: heute gibt die Wirtschaftskurve generell Auskunft über langfristige Entwicklungen. Die Wirtschaftskurve hat visuelle Karriere gemacht und steht für die Veralltäglichung abbildbarer Zeitverläufe. (Schulte-Holtey 2001: 93-114; Link 2002: 107-128; Tanner 2002: 129-180) Sie dominiert die populäre Bilderwelt des Orientierungswissens und dient dem kundigen Laien in Beziehungsratgebern, Horoskopen, Mode- und Lifestyle-Berichten als verhaltensmoderierendes Wahrnehmungsdispositiv. (Abb. 45) Die Popularität des Kurvendiagramms liegt in seiner vereinfachenden Darstellungsweise. Wenn es einen klar erkennbaren Trend anzeigt, dann ermöglicht es eine entscheidbare Orientierung und erfüllt die Funktion eines Wegweisers, der eine bestimmte Richtung anzeigt. Wenn das Kurvendiagramm nach oben oder nach unten zeigt, dann ordnet es die vergangene und zukünftige Zeit nach und schaff t Signalmuster, auf deren Datenbasis letztlich dichotom organisierte Kaufentscheidung ausgelöst werden sollen.
Abbildung 45: Alfred Frueh, Just around the Corner, New Yorker vom 16. Januar 1932. Kommentar zum Statement von US-Präsident Hoover, der meinte, dass der Aufschwung um die Ecke ist.
II. Technologien der Finanzmärkte | 157 In ihrer populären Lesart besitzt die Aktienkurve vor allem eine metaphorische Qualität. Da sie hauptsächlich in unterhaltsame Kontexte eingebettet ist, referiert sie weder auf statistische Materialgrundlagen noch auf empirischen Informationen, sondern kann als rein fiktionale Grafik inszeniert werden. Diese ironische Konstruktion der populären Aktienkurve kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie Bilder des sozialen Erfolgs und Misserfolgs kommuniziert. Das diagrammatische Koordinatensystem der Kurvenlandschaften enthält »ein großes Repertoire von Metaphern, die sich auf Oben und Unten, auf Erfolg und Scheitern beziehen. Karrieren beginnen unten und verlaufen nach oben. […] Die Börse verkörpert diesen zweiten, profanen Typus, es geht hier um das Hochkommen aus eigener Kraft und – als Korrelat – um die zahlreichen Absturzgefahren.« (Tanner 2002: 134) In ihrer sozialen Dimension konnotiert die Aktienkurve einen manichäischen Weltentwurf, der mit dem zweidimensionalen Darstellungsraum des Kurvendiagramms zusammenfällt und sich in Oben und Unten oder in Aufstieg und Abstieg gliedert. Vor diesem Hintergrund verkörpert die grafische Repräsentation der Aktienkurse immer auch einen persönlichen Handlungsraum, in welchem das Erfolgreiche und Positive im oberen Teil, das Scheitern und Negative im unteren Teil angesiedelt ist. Abbildung 46 zeigt eine fiktionalisierende Kurve, die im Rahmen einer pars-pro-toto-Synekdoche eingesetzt ist und vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel als Logo (mit einem schwarzen Trauerhintergrund) zur besseren Wiedererkennung einer Serienberichterstattung designt wurde. Die ikonografi sche Migration der Aktienkurve in das populärkulturelle Feld kann unter Umständen als ein Indikator für die Ökonomisierung des Sozialen geltend gemacht werden. Im kulturellen Subtext ist es weniger das rechnerische Kalkül, sondern vielmehr die visuelle Herstellung von Selbstverständlichkeit, die das Soziale normalisieren soll. In diese populäre Kurvenlandschaft ist also immer auch ein Wertemaßstab mit eingeschrieben, der das ›Naturhafte‹ der Kurve an das Soziale weitergibt.
Abbildung 46: Coverstory »Die Finanzkrise«, Der Spiegel vom 13. Oktober 2008
III. Performativität der Börse
Das Finanzmarktwissen geht – wie jedes andere Wissen auch – aus dynamischen Prozessen und historischen Konjunkturen hervor, in denen es hergestellt und weiterentwickelt wird. Dabei ist es auf handlungsetablierende Kommunikationsformen angewiesen, die daran beteiligt sind, das Finanzhandeln medial, symbolisch und visuell zu repräsentieren. Im Unterschied zum Alltagswissen wird es zur Aufrechterhaltung und Rechtfertigung von Herrschaftsverhältnissen ungleich reproduziert und verteilt. Derrida hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Iterabilität und Zitathaftigkeit wesentlich dazu beitragen, dass performative Äußerungen innerhalb anerkannter Konventionen und Normen überhaupt gelingen können (Derrida 1988: 291314). Um dieses diskursive Geflecht von kognitiven und normativen Aussagen im Finanzmarktwissen als strategisches Handeln zu untersuchen, soll dieses unter dem Gesichtspunkt der Performativität bestimmt werden. Vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Debatten ist es wichtig, zwischen Performanz und Performativität zu differenzieren. Während die Sprechakttheorie Performanz als den Vollzug einer Handlung durch ein handelndes Subjekt voraussetzt (Austin 1975), distanziert sich der Begriff Performativität von der Vorstellung eines autonomen, intentional agierenden Subjekts. Die Konzeption des Performativen versetzt die Finanzmarktanalyse folglich in die Möglichkeit, das Interesse auf die Tätigkeiten des Produzierens und Herstellens zu lenken, mit denen Handlungen vollzogen, Tatsachen geschaffen und Identitäten gesetzt werden (vgl. Benveniste 1974: 297-308). Die Analysekategorie der Performativität schärft den Blick für die soziale Konstruktion des Finanzmarktwissens und kann daher die diskursiven Prozeduren seiner Selektivität thematisieren. Auf diese Weise können die Selektivität der dominanten Kodes, die strukturierenden Kräfte der Finanznetzwerke und konkret die »Konversationsstrukturen als die performativen Vehikel globaler Transaktionen und Beziehungen« (Knorr-Cetina/Bruegger
160 | Das Wissen der Börse 2002: 35) problematisiert werden. In diesem Zusammenhang fi rmiert Performativität als ein Gegenbegriff zur vorgeblichen Handlungsmacht der Trader. Das Konzept der Performativität versucht, die Selbstinszenierungs- und Immunisierungsstrategien im Elitismus der Finanzmarktdiskurse gegen den Strich zu lesen. Unter diesem Gesichtspunkt versuchen die nachfolgenden Studien, die Mikrodramaturgien und Selbsttechnologien im Finanzmarkthandeln hervorzuheben.
III.1 M IKROPR AK TIKEN
IM
D AY TR ADING
Genf, 7.30 morgens. Pierre E. Ormond sitzt mit seiner Frau und den beiden Söhnen am Frühstückstisch. Zwischen Kaffeetassen, Croissants, Butter, Kakao und Marmelade befindet sich ein Laptop, mit dem der Vater den Lebensunterhalt für seine Familie bestreitet. Über einen Breitband-Internetzugang und einer UMTS-Karte ist er mit den Börsenplätzen dieser Welt verbunden. Pierre ist Online-Broker und spekuliert täglich an diversen Börsenschauplätzen. Vor dem Verlassen des gemeinsamen Frühstückstisches platziert der Daytrader (auch Swingtrader genannt) noch einige Orders. Während der Fahrt in sein Büro werden erste Strategien für den Handelsverlauf an diesem Tag sondiert. Auf dem Weg ins Büro, das ist ein Daytrading Center am Stadtrand von Genf, versucht er, im Auto immer auf dem aktuellen Informationsstand zu bleiben. Pierre lebt das Privileg, permanent am Netz sein zu können. Mit seiner Lebensweise gehört er zu einer sozialen Schicht, die im Informationsreichtum lebt und sich von denjenigen, die in der Informationsarmut leben, abgrenzt. Mit dem Handy ist er mit einem Kollegen verbunden, der ihm die aktuellsten Kurse mitteilt. Pierre ist ein Tagesspekulant und nutzt kurzfristige Kursschwankungen. Da Kursschwankungen sehr stark vom Zufall abhängen, wird das Handeln oft als Glücksspiel wahrgenommen. Wie beim Minutenspekulanten hängt die Möglichkeit des Daytrading von der schnellen Informationsversorgung ab. Er muss jederzeit die Möglichkeit haben, direkt zu handeln. Gegebenenfalls kann er auch beim Fahren handeln und Papiere kaufen oder verkaufen. An seinem Arbeitsplatz angekommen, beobachtet er gleichzeitig zusätzlich bis zu drei Fernsehsender auf Neuigkeiten. Auf mehreren Flachbildschirmen verfolgt er gebannt das Börsengeschehen. Per GPRS und PDA werden die aktuellsten Charts der Börse abgerufen und auf den Handelsbildschirmen seiner PCs angezeigt. (Abb. 47) Je nach Tag beendet er die erste Sitzung meistens um elf Uhr für eine Pause. Wenn Fundamentaldaten bekannt gegeben werden, ist er prinzipiell an seinem Arbeitsplatz. Während der Tradingzeiten ist er für die Familie und Freunde telefonisch nicht erreichbar, weil die Gespräche seine Konzentration stören würden. Seine Kunden haben von ihm Sondernummer erhalten, die aber nur in Notsituationen genutzt werden darf.
III. Performativität der Börse | 161
Abbildung 47: Face-to-Screen-Position, Daytrading Center, Genf Daytrader wie Pierre kaufen und verkaufen direkt am Markt, und holen sich über Börseninformationssysteme ihrer Broker alle relevanten Daten. Gehandelt wird fast alles: Aktien, Futures und Optionen. Das Daytraden gibt es seit dem Börsencrash von 1987. Damals erleichterte die Börsenaufsicht in den Vereinigten Staaten den Zugang zum Aktienhandel. Wenn Pierre noch keinen Gewinn erzielt hat, entfernt er sich nicht vom Handelsbildschirm und wartet mit großer Anspannung auf lukrative Veränderungen. Der Gewinn oder der Verlust beim Handel von Wertpapieren wird oft in Sekunden entschieden. Im Sekundenhandel verkaufen und kaufen Online-Broker Aktien per Mausklick. Ihr PC verwandelt sich dabei in ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem sie Kleinstbeträge einsetzen und im Wettlauf mit stochastischen Finanzströmen ihre Charttechnik und Reaktionszeiten zu testen versuchen. Beim Daytraden entscheidet die rechtzeitige Platzierung der Orders über Verlust oder Gewinn. Pierre handelt oft innerhalb weniger Sekunden mit mehreren tausend Euros. In dieser Zeit bereitet er sich auf einen sekundenschnellen Einsatz vor, hält seine Verkaufsorder parat und wartet auf den entscheidenden Klick. Die Tage, die Ormond vor dem PC verbringt, sind klar strukturiert. Seine Tradingzeiten sind morgens von acht Uhr bis elf Uhr, nachmittags von drei Uhr bis siebzehn Uhr und abends von zwanzig bis zweiundzwanzig Uhr. Um die Futures der Nasdaq und den Nikkei zu beobachten, steht er oft um drei Uhr morgens auf. Der Alltag des Genfer Daytraders ist kein Einzelfall. Er verdeutlicht, dass sich der Börsenhandel in den vergangenen Jahren radikal verändert hat. Trotz Finanzkrise boomt der Handel mit Wertpapieren über das Internet. Elektronische Handelssysteme und Computerbörsen haben den Parketthandel und die Präsenzbörsen weitgehend abgelöst. Die Börse hat mit dem Aufschwung der Neuen Technologien eine Transmissionsrevolution durchgemacht, die den (virtuellen) Wertpapiermarkt zum Händler bringt (und nicht umgekehrt). Trotz seiner Flexibilisierungsschübe bleibt das Handeln mit Wertpapieren über das Internet auch heute noch eine Männerdomäne. »Ein Durchschnittskunde bei Swissquote [der Marktführer unter den Online-Brokern in der Schweiz] ist männlich, 41-jährig und wickelt jährlich 25
162 | Das Wissen der Börse Aufträge ab. Sein Depot hat einen Wert von 67.000 Franken«, sagt der CEO Marc Guezennec. Bei der Zürcher Synthesis Bank wird wesentlich häufiger gehandelt, da man sich auf erfahrene Anleger konzentriert, die mit der Börse bereits vertraut sind. Im Schnitt sind es pro Tag und Kunde vier Transaktionen (Stand: 2007). Um 9.00 eröff net der Parketthandel der Swiss Exchange in Zürich und die Börse in Frankfurt. Pierre spekuliert vorläufi g auf einen steigenden Aktienindex. Dabei operiert er mit Verfahren eines automatischen SoftwareUpdates, das bei Erreichen eines bestimmten Höchstpunktes die georderten Wertpapiere verkauft. Pierre arbeitet mit einer speziellen Software (e-Signal), die über einen schnellen DSL-Anschluss die Verbindung zu allen Aktienindizes an den Börsenplätzen ermöglicht. »Die Software«, sagt er, »bietet vieles, was für professionelle Daytrader sehr wichtig ist. So sind Kaufs- und Verkaufsbewegungen der einzelnen Indizes auf einen Blick und in Realtime zu sehen.« Daytrader wie Pierre stilisieren Medien zu technologischen Subjekten der Geschichte. Sie verstehen sich zwar als elitäre Experten im Dickicht des elektronischen Börsenhandels, gehen aber mehr oder weniger von einer unhinterfragten Dominanz der Computertechnologie aus. Sie machen Medien explizit zu handelnden Subjekten, etwa wenn sie der medial-technischen Infrastruktur die Kontrollfähigkeit über das dynamische Marktgeschehen zugestehen. Andererseits wird durch die technologische Beschleunigung ein enormer Zeitdruck auf die Trader ausgeübt, die weder über Zeitsouveränität noch exklusives Mehrwissen verfügen. Die Trader müssen daher eine Stand-By-Existenz führen und haben permanent mit ihrer Umwelt vernetzt zu sein: »Ein mit Minuten- und allenfalls Stundenintervallen operierender Daytrader interessiert sich ausschließlich für die ganz kurzfristigen Verlaufszyklen. Er ist während dieser Geschäftstätigkeit auf Echtzeitinformationssysteme angewiesen […].« (Tanner 2002: 133) Die strategische Öff nung der Börsen hat die Handelsaktivität und die Anzahl und die Disposition von Finanzintermediären, die mit den Börsen in ständigem Kontakt stehen, auf entscheidende Weise erhöht. Automatisierung, Derivatisierung und Deregulierung haben zu einer erhöhten Handelsaktivität geführt. Die Ausweitung des Kreditkapitalismus hat zur Vervielfältigung der Verwertungsprozesse geführt. Es ist eine immense Nachfrageökonomie entstanden, die aus einer beständigen Kreditierung ihrer selbst hervorgeht. Mit der symbolischen Ordnung der Kreditsicherung und ihrer Reallasten wurde auch ein Realitätsindex zerstört. Auf dem Kreditmarkt bilden die Optionen, Futures und Derivate ein Spannungsfeld der instabilen Modulationen und sind von zweifelhafter Beständigkeit. Sie verkörpern damit eine wesentliche Funktion der Börse, die bekanntlich in ihrer Veränderung besteht. Das Unbeständige und wenig Konsistente zählt also zu den Grundvoraussetzungen eines prosperierenden Börsenhandels. Alle Veränderungen der Börse – der Kurse, der Märkte und ihrer gesamten Struktur – sind zwar kollektiv beobachtete, letztlich aber nicht vorhersehba-
III. Performativität der Börse | 163 re Ereignisse, die aus abrupten Wechseln oder fortlaufenden Modulationen bestehen können. Diese permanente Krise des Finanzmarktwissens hat insbesondere im Bereich der Technologien eine Vielzahl prognostischer Anwendungsmethoden hervorgebracht. Die heutigen Finanzmärkte gleichen daher Hochsicherheitszonen der Risikokalkulation und stehen unter andauernder Beobachtung. Finanzmärkte sind Zeit-Märkte, die den spekulierenden Akteuren eine strategische und logistische Kreativität abverlangen. In global vernetzten Märkten dominiert der kurzfristige Nutzen. Alles, was zählt, ist der schnelle Zugriff, der permanente Access. Der algorithmische Handel als Produkt der digitalen Technologien erhöht den Bedarf an subjektiven Beschleunigungstechniken. Verlangsamungszumutungen kalkulieren die Broker in monetären Verrechnungseinheiten, die sie sich selbst zurechnen. Die Ökonomisierung der Zeit wird zur entscheidenden Erfolgsstrategie. Wo immer es möglich ist, versuchen die Trader daher durch verbesserte Techniken Zeit und Geld zu sparen. Sie versuchen, auf sich verknappende Zeitressourcen mit einer Verdichtung von Handlungsepisoden zu reagieren und müssen ihre Entscheidungen sukzessive mit Beschleunigungstechniken forcieren, ihre Pausen verkürzen und bestimmte Aktivitäten überlagern. New York, Financial Associates, kurz vor Mitternacht. Seymour M. Klein sitzt in einem Büro der Financial Associates in Manhattan. In den Büroräumen geht es fast so zu wie in den Handelsräumen großer Banken. Daytrader handeln dort mit professionellem Equipment. Dafür müssen sie 20 bis 25 Prozent ihrer Gewinne abgeben. Seymour sagt, er betreibe seit dem Jahr 1998 das Daytrading hauptberufl ich. Er hat etwas getan, was nur sehr wenige erfolgreiche Parkett-Trader geschaff t haben und hat seinen Erfolg vom Parkett in die Welt des elektronischen Bildschirm-Tradings übertragen. Seymour dominierte das FTSE-Futures-Parkett an der LIFFE in London in den 1990ern lange Zeit. Als elektronische Börsen dem Parkett das Geschäft langsam wegnahmen, entschloss er sich zum Bildschirm zu wechseln und stellte fest, dass er Trading völlig neu lernen musste. Seymour erzählt über seinen Entschluss, das Börsenparkett zu verlassen. Er habe das Parkett 1998 verlassen, als die EUREX den DAX-Handel aufnahm – damit einhergehend habe man den FTSE-Future von 25 auf zehn Pfund pro Tick gesetzt, wodurch er sehr volatil und offen für jede Art von Manipulation geworden sei. Ihm sei klar geworden, dass die Zukunft des Handels im Bildschirmgeschäft liegen müsse: »Das war mein Hauptgrund zu gehen.« Er beginnt über seine erste Zeit als Computertrader zu erzählen: »Ich habe mich für das Handeln per Bildschirm entschieden und ich wollte es gut kennen lernen und letztlich auch beherrschen. Mir und vielen anderen der Saalhändler war völlig klar, dass das Futures-Parkett nicht bleiben würde, denn der Bund (Future) war bereits auf Bildschirmhandel umgestellt und das Geschäft dem Parkett entzogen worden. Um der drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen, musste ich mich also auf den Bildschirmhandel umstellen.«
164 | Das Wissen der Börse Am Anfang seiner Karriere habe er nur vorsichtig gehandelt und im Verhältnis zum Anstieg der Börsen nur wenig Gewinn erzielt. Ein sehenswerter Erfolg habe sich erst in den Jahren 2000 und 2001 eingestellt, indem er die Zahlen richtig deuten konnte und immer auf fallende Kurse gesetzt habe. Im Daytrading handelt er derzeitig mit überschaubaren Beträgen von 1.000 bis 100.000 Euro Optionsscheine, Hebelzertifi kate oder Futures, die oft nur für wenige Stunden gehalten werden. Bei den Kauf- und Verkaufsentscheidungen nutzt Seymour die Charttechnik und vergleicht dabei die Veröffentlichungstermine der Fundamentaldaten. Auf der Computergrafik des Handelsbildschirms kommen die Candlesticks nie zur Ruhe, die kleinen Säulen, die im Zweiminutentakt die Bewegungen des Dow Jones abbilden. Ständig blinkt ein neuer Candlestick auf. Die Farbe Schwarz signalisiert den sinkenden Index, die Farbe Weiß signalisiert seinen Anstieg, mal länger, mal kürzer, je nachdem, wie groß der Ausschlag war. Seymour erzählt mir über seine Arbeit mit den Candlesticks Charts anhand einer Marktsituation vor wenigen Wochen: »Mein Entry ist an Punkt rot 1, markttechnisch bin ich am 28. Mai um 10 Uhr in eine Longpositionen eingestiegen, da steigende Highs und steigende Lows vorhanden waren. Bei Durchbruch des Kursniveaus von Punkt gelb 1 zu gelb 2 ist der Einstieg in eine Long-Position zu sehen. Hier gehe ich kurz oberhalb von Punkt gelb 1 eine Longposition ein und setze den Stopp kurz unterhalb von rot 2. Dann beginnt sich bei gelb 2 ein neues Hoch herauszubilden und der Kurs läuft wieder zurück bis Punkt 3. Er darf aber nicht unter Punkt 2 fallen, sonst ist der Trend nicht mehr intakt. Dann steigt der Kurs über gelb 2 auf gelb 3 und der Stopp wird auf rot 3 nachgezogen. Interessant ist der lila gekennzeichnete Bereich, denn es werden keine neuen Highs gebildet – der gelbe Kringel liegt jetzt unterhalb gelb 5. Es werden aber auch keine tieferen Lows gebildet – roter Kringel ist oberhalb Punkt 5. Dieser Bereich ist also als Einstiegszone für einen markttechnisch orientierten Trader nicht zu gebrauchen. Danach steigt es aber weiter an, und das Spiel mit dem Nachziehen der Stopps beginnt erneut. Die gestrichelten Linien stellen meine nachgezogenen Stopps dar. Jedoch habe ich wegen des nahenden Wochenendes in der Nähe von Punkt gelb 8 2x25 % der Position herausgenommen und überlege mir im Laufe des Abends noch, ob ich es weiter laufen lasse, oder glattstelle.« (Abb. 48) Die computerunterstützten Charts liefern Visualisierungen der Kursbewegungen, die kontinuierlich aktualisiert werden und neue Datenbilder zeigen, sodass keiner der beteiligten Broker Zeit hat, nach den strukturellen Zusammenhängen der Kursbewegungen zu fragen, die hinter den Infografi ken stecken. Die im Tageshandel agierenden Broker rezipieren den Computer vorrangig als Tool spekulierender Geschicklichkeitsübungen. Für sie sind nicht die Ursachen, sondern ausschließlich die vorgefundenen Wirkungen von Interesse. Wer die Signale und die Verkehrszeichen auf dem Computerterminal richtig liest und schnell reagiert, hat gewonnen. In der Wahrnehmung der Broker sind Terror, ökologische Katastrophen oder Massenarbeitslosigkeit ein mögliches Geschäft. Auch der Kurssturz bietet eine
III. Performativität der Börse | 165 Chance auf Profit, wenn die eigenen Positionen rechtzeitig auf »short« gestellt werden.
Abbildung 48: Candlestick Chart Er sagt, dass ihm die Anschläge vom 11. September 2001 keinen Verlust, sondern einen ansehnlichen Gewinn von über 4000 % in drei Wochen gebracht hätten: »Wer damals behauptete, dass die Anschläge für seine Börsenmisere schuld waren, der nutzte diesen Vorfall nur als Entschuldigung für seine Unkenntnis.« Für ihn seien die fallenden Kurse bereits im Jahre 2000 abzulesen gewesen – auch wenn nicht im Ausmaß um den 11. September. Nach dem Ende des Irakkrieges habe er dann vorsichtig auf steigende Kurse gesetzt und habe aufgrund der guten Börsensituation leicht Gewinne erzielen können. Auf einer Exceltabelle führt Seymour eine Buchhaltung seiner Gewinne: 180 % aus 2004, 380 % im Jahre 2005, 425 % im Jahre 2006, 410 % im Jahre 2007 und bis dato (11/2008) 84 % Gewinn. Er operiert hauptsächlich mit kurzfristigen Anlagen über Hebelzertifikate auf Indizes, dealt mit Währungen, gefolgt von Rohstoffen. Heute hat Seymour Zertifi kate mit relativ geringem Abstand zur Schwelle gekauft, wodurch er pro Minute 84,39 Euro, also fast 1,50 Euro pro Sekunde verdient hat. Zieht man in Betracht, dass auch Verluste in dieser Geschwindigkeit auftreten können, wird klar, dass Daytrader in einem hohen Erwartungsdruck agieren. Dieser erhöht sich durch den Kauf von Zertifi katen mit noch geringerem Abstand zur Schwelle zusätzlich. So kann Seymour an einem Tag mit 1.000 Euro Einsatz binnen weniger Stunde 1.000 Euro zusätzlich gewinnen, aber auch alles verlieren. Seymour nimmt seine Tätigkeit nicht als Beruf, sondern als ein Spiel wahr, wie er sagt. Wenn er über seinen Alltag reflektiert, dann versucht er, eine bestimmte Rolle zu spielen und stilisiert sich als Spielertyp, der selbst keinen Gesamtplan hat, sondern flexibel und situationsabhängig aus den je aktuellen Ereignissen heraus handelt. In seinem Auftreten präsentiert er sich als souveräner Zeitmanager, der den Beschleunigungszumutungen der Gegenwartsgesellschaft eine genussreiche Perspektive abzutrotzen weiß und »sich vorgegebener Zeitzwänge, Zeitbindungen und Zeitimperative entledigt […]. Er moderiert und moduliert seine eigenen hochsituativen Eigenzeiten.« (Hörning/Ahrens/Gerhard 1997: 179) Die von
166 | Das Wissen der Börse Seymour beschriebene situative Zeitpraxis folgt einer Flexibilisierungs- und Deregulierungslogik, die sich in weiten Teilen mit dem Zeitmanagement der neuen Betriebsstrategien deckt, das in erster Linie auf die kontinuierliche Verdichtung der betrieblichen Arbeitszeit abzielt. Da sich Seymour aber als Selbstunternehmer ansieht, konstruiert er ein Selbstbild, das er im Kontext einer autonomen Lebensführung ansiedelt. Vor diesem Hintergrund entwickelt er ein ungebrochen affirmatives Verhältnis zur Beschleunigung seines Berufsalltags und Alltagslebens. Aus dem persönlichen Umgang mit seinem hochgradig situativ ausgerichteten Arbeitstag leitet Seymour eine besondere Befähigung ab, die er sich selbst gerne zuschreibt. Er gefällt sich offensichtlich in der Rolle eines Akteurs, der souverän mit den ereignisorientierten Unsicherheiten, plötzlichen Situationsänderungen und Unwägbarkeiten »spielen« kann. Seymour setzt ein bestimmtes Selbstkonzept voraus, mit dem er sein Finanzmarkthandeln erklärt. Er präsentiert sich zuvorderst als »Stratege« und »Spieler« (vgl. Goffman 1996: 38) und stilisiert alle Unwägbarkeiten der Wertpapiermärkte als »Optionen« und »Chancen«. Er sagt, er setze sich nicht mit den »Ungewissheiten«, sondern ausschließlich mit den »Unsicherheiten« auseinander, die er aber mit den ihm zur Verfügung stehenden Koordinationstechniken einzuschätzen versuche. Das Image spielt nach Goffman eine fundamentale Rolle, wenn es um die Herstellung sozialer Ordnung geht, denn es versorgt die Interaktionen mit Erwartungssicherheiten. Die ausgeprägte Selbststilisierung als ein Akteur, der mit den Bildern, Zahlen und Maßen der Aktienwerte zu »spielen« weiß, versucht also, die eigenen Verhaltenserwartungen zu stabilisieren. Diese Imagepflege dient angesichts hochvolatiler Märkte aber vorrangig zur Selbstvergewisserung der eigenen Entscheidungssicherheit, kann aber die Erfolgschancen im Spekulationsgeschäft faktisch nicht erhöhen. JPS Brokers, Nürnberg. Thomas Kübler handelt nicht für eine Bank, sondern mit seinem eigenen Kapital – er ist Trader bei JPS Brokers in Nürnberg. Zusätzlich betreut er zwei oder drei Kundenportfolios. Durchschnittlich tätigt er zwischen 50 und 100 Trades pro Tag. Davor war er 15 Jahre in verschiedenen Handelsabteilungen mehrerer Großbanken beschäftigt. Nach dem Ende des Booms haben die Banken in ihren Eigenhandelsabteilungen massiv das Personal reduziert. Aufgrund des Arbeitsplatzabbaus müssen sich nun viele Investmentbanker umorientieren. Mit der Fortentwicklung der Technik wurden die Arbeitsplätze auf dem Parkett rar und heute werden die letzten Analysten und Investmentbanker freigestellt bzw. abgefunden, sagt er. In den Boomjahren bis 2001 hat der Händlerberuf eine nie da gewesene Attraktivität mit einem entsprechenden Zustrom an Händlern erlebt. Da es bei vielen Handelshäusern das Ziel war, die Händler möglichst schnell produktiv und gewinnbringend einzusetzen, litt oftmals die Qualität der Ausbildung. JPS Brokers und Concord Effekten AG sind zwei Unternehmen, die den ehemaligen Parketthändlern eine eigene Börsenmitgliedschaft und das entsprechende Equipment anbieten. Die technische Plattform für den Day-
III. Performativität der Börse | 167 trader ist der Standard für Bankenhändler. Das heißt, er kann die EUREXsowie die XETRA-Plattform mit allen Möglichkeiten der Deutschen Börse handeln. Außerdem entsteht im Team auch eine Art Kontrolle. Wenn die Kollegen merken, dass man gerade einen Verlust-Trade verdoppelt, kommt sofort ein Feedback, das einen an die eigenen Regeln erinnert. Er ist allerdings nicht nur im Tagesgeschäft aktiv, sondern versucht auch, seine Aktienbestände länger als einen Tag zu halten. Positionstrader wie Kübler halten ihre Aktien deutlich länger als Swingtrader, fast immer auch über Nacht. Er nutzt Bewegungen auf Tages- und Wochenbasis um Gewinne einzufahren. Die Gründe, die er im Positionstrading für den Kauf oder für den Leerverkauf (Short) einer Aktie heranzieht, basieren fast immer auf charttechnischen Berechnungen. Seinen Trading-Ansatz beschreibt er als ein Verfahren, bestimmte Muster zu erkennen. Er sagt: »Ich handle Muster.« Die Muster erkenne er in den Märkten aus sich wiederholenden Ereignissen der Finanzströme. Die Mittelzuflüsse und die Mittelabflüsse von Fonds verhielten sich nach einem bestimmten Muster. So handle er Wochen- und Monatsmuster immer auf die gleiche Weise. Ausgeprägte Trends seien jedoch nicht die Regel, sondern Ausnahmesituationen, denn der Markt verbringe 75 bis 80 Prozent der Zeit damit, in engen Bereichen zu schwanken: »Das ist ein guter Punkt; viele Trader versuchen, in diesen Ranges zu traden, was ganz schön auf die Nerven gehen kann. Bei den meisten erfolgreichen Händlern sieht man, dass sie ihr Geld bei Ausbrüchen machen. Sie blicken sagen wir zehn oder zwölf Mal im Jahr auf die Ereignisse und machen da ihr großes Geld. Sie versuchen nicht, wie die meisten Daytrader in den Schwankungsbereichen tätig zu werden.« Am nächsten Tag besuche ich Thomas frühmorgens in seinem Büro und er zeigt mir sein Arbeitsumfeld. Neben Thomas sitzen weitere Broker, die bereits die Face-to-Screen-Position vor ihren Arbeitsgeräten eingenommen haben. Der Tagesablauf im Büro ist klar strukturiert: »Für mich ist der wichtigste Kurs des Tages die Eröff nung. Das ist mein Richtwert. Auf diesen Wert baue ich meinen Trade auf und lese den Verlauf wie die Kapitel in einem Buch. Da ist der Anfang, der mittlere Teil, um den Fortgang zu erleben, und dann der Schluss; so beurteile ich, ob sich eine Aufstockung lohnt oder die Hälfte abgebaut werden sollte. Ich steuere das im Verlauf. Oft verbringe ich auch viel Zeit damit, die potenzielle Rentabilität von Unternehmen auszurechnen. An anderen Tagen gibt es längere Phasen, in denen ich hauptsächlich damit beschäftigt bin, die Positionsveränderungen meiner Kollegen zu evaluieren. Wir beobachten uns oft gegenseitig und lauern darauf, wie sich der andere bei bestimmten Kursentwicklungen und Marktschwankungen verhalten wird. Weil ich die meisten meiner Trades zur Eröffnung platziere, hat die niedrige Volatilität dazu geführt, dass ich in letzter Zeit nicht so profitabel bin wie im vorigen Jahr. Das beste Szenario für mich sind lange trendige Tage und die haben wir in letzter Zeit ja nicht gehabt.« Er meldet sich im System mit seinem persönlichen Machine Identification Code an. Sekunden später erscheint auf dem Hauptbildschirm eine Be-
168 | Das Wissen der Börse stätigung seiner Identität. Sein Multi-Monitor-System hat alle notwendigen Informationen und Möglichkeiten, damit er über die Forex Devisen handeln kann. Auf dem Handelsbildschirm erscheint eine Message eines weiteren Händlers, der sich vom Spot Desk einer anderen globalen aktiven Bank in London meldet, die Währungen direkt (on the spot) handelt. Am Display erscheint die Identitätsnummer des Senders; gleichzeitig angegeben werden Datum und Zeit. Auf den Bildschirmen hat Thomas ein Panorama sorgfältig kalkulierter technologischer, epistemologischer und ökonomischer Informationssysteme und Datenbanken errichtet, die prozessorientiert bleiben und permanent neue Daten und Informationen liefern, die von ihm aufs neue anzuordnen sind. »Ich beobachte jeden Tag die Grafiken, die von den Bewegungen der Börsenspekulanten auf den Märkten jede Minute, jede Sekunde erzählen. Ich bin permanent damit beschäftigt, mir ein klares Bild von einem definierten Marktsegment zu machen und konzentriere mich dabei auf Massenbewegungen und versuche, mich mit ihr in Bewegung zu setzen, entweder aufwärts oder abwärts.« Im virtuellen Handelsraum dominieren Dialoge in englischer Sprache.1 Englisch ist nicht nur die handelsübliche Verkehrssprache, sondern vor allem die sozial anerkannte Ausdrucksform der kulturellen Globalisierung. Die Handelskonversationen sind in rigider Weise reglementiert und kodifiziert. Die Interaktion ist generell minimalistisch und stereotyp ausgerichtet, um die Kommunikation und die Kaufhandlung möglichst zeit- und kostensparend abzuwickeln. Somit durchdringt das Effi zienzkriterium die gesamte Äußerungs- und Aussageordnung des Handelsdialogs. In ihrer empirischen Studie verweisen Bruegger und Knorr-Cetina auf die wirtschaftliche Dimension der Handelskonversation: »Die Geschwindigkeit, mit der die Konversation abgewickelt wird, verweist auf den globalen Wettbewerb und Preisvolatilitäten. […] So wird z.B. die Eröff nungssequenz ohne Angabe der Kaufs- oder Verkaufsintention des Senders gegeben, um einen fairen Preis sicherzustellen – und der kontaktierte Händler muss sowohl Kauf- als auch Verkaufspreis angeben.« (Knorr-Cetina/Bruegger 2002: 11) Thomas bereitet sich nun vor, eine Market Order auf seiner Online-Handelsplattform zu platzieren – die Platzierung einer Marktorder per Telefon läuft ganz ähnlich ab, dauert aber im Allgemeinen einige Sekunden länger. Die Interaktion beginnt mit der Identifizierung der kooperierenden Händler, gefolgt von den Angaben über den Umfang und den Typus des in Aussicht stehenden Handels. Das Handelsgespräch zwischen dem Trader Thomas (T) und dem Dealer (D) in London nimmt nur wenige Sekunden in Anspruch: T: »I would like a quote for 1 million dollars against Swiss franc« D: »87-90« D: »off« T: »sorry, my risk« D: »89-92«
III. Performativität der Börse | 169 T: »89 sell« D: »done at 89« D: »confirm I buy 1 dollar from you at 1.5589« Thomas kontaktiert das Handelsdesk in London fragt nach dem Geld/ Brief-Kurs für eine bestimmte Währung. Zuerst muss er den Umfang der Transaktion angeben. Der Dealer antwortet ihm mit »87-90«. Doch Thomas bekommt in diesem Augenblick eine automatische Nachricht seines Nachrichten-Feeds und ist abgelenkt. Er verzögert seine Antwort um wenige Sekunden und der Dealer bricht sein Angebot mit der knappen Meldung »off« ab. Thomas hatte nur kurz Zeit, sich zu entscheiden, ob er kaufen, verkaufen oder eine neue Preisanfrage stellen möchte. Entscheidet er sich nicht binnen weniger Sekunden, kann er nicht mehr erwarten, vom Dealer denselben Kurs zu bekommen. Oft kann sich der Kurs augenblicklich ändern. Wenn sich der Kurs zwischenzeitlich ändert, bricht der Dealer das Handelsgespräch mit den Worten »off« oder »change« ab, was bedeutet, dass der zuvor angebotene Kurs nicht mehr verfügbar ist. Nachdem der Dealer »off« gemeldet hat, kann er ein neues Angebot von »bid/ask prices« stellen. Thomas meldet sich zurück, entschuldigt sich kurz und stellt klar, dass er wegen der selbstverschuldeten Verzögerung das Risiko der Transaktion übernimmt. In diesem Fall erstellt der Dealer unverzüglich einen neuen Kurs. Der Dealer bietet »89-92« und der Trader entschließt sich diesmal für den Verkauf. Der Trader kann den Verkauf signalisieren mit »I sell«, »mine at 89« oder »89 sell«. Thomas tippt »89 sell« und bestätigt die Transaktion. Nach einer Sekunde erscheint auf dem Display die Antwort vom Dealer: »done at 89«. Etwas später bestätigt der Dealer die Transaktion mit folgenden Worten: »confirm I buy 1 dollar from you at 1.5589«. Der Handel ist abgeschlossen. Bei normalen Handelsbedingungen beträgt die Reaktionszeit des Dealers in London bei Market-Orders maximal zwischen fünf bis zehn Sekunden. Handelt der Kunde unverzüglich zum angebotenen Kurs, beträgt die gesamte Dauer einer Transaktion per Online-Plattform durchschnittlich 5 bis 10 Sekunden, per Telefon durchschnittlich 10 bis 15 Sekunden. Seine Portfolios bestehen aus Wertpapieren und Derivaten verschiedener Währungen, dessen Gesamtwert mehrmals täglich ermittelt werden muss. Zum anderen benutzt er sie, um Marktpositionen abzusichern. Dies bedeutet, dass er die Portfolios durch Zu- oder Verkauf von Derivaten oder Wertpapieren dermaßen ergänzt, dass der Gesamtwert möglichst unempfindlich reagiert. In diesem Zusammenhang kommen die »Greeks« ins Spiel, die als partielle Ableitung ein zuverlässiges Maß für die Sensitivität des Optionspreises in Bezug auf die Schwankungen der Input-Parameter darstellen. Die täglich verfassten Statements an die Kunden vergrößern aber auch die Selbstkontrolle. Neben den strukturellen und technologischen Zwängen der konkreten Interaktionsdynamik gibt es zusätzlich den längerfristigen Druck, sich selbst und seine Leistung zu überwachen. Am Ende des Tages
170 | Das Wissen der Börse werden die Profite und Verluste, die er macht, zu Buche geschrieben und in speziellen Accounting-Dateien archiviert. Sein Tradingerfolg ist auch für die Kollegen einsehbar. Er habe sich selbst entschlossen, sein gesamtes Trading offen zu legen, um damit seine Motivation zu erhöhen, sagt er. Seine intimen Interaktionen mit den Börsensoftwareprogrammen werden in den kurzen Pausen und abendlichen Zusammenkünften zum Diskussionsgegenstand und somit zu einem öffentlichen Ereignis gemacht. Er fühle sich in einer »endlosen Feedbackschleife gefangen«, gesteht er irgendwann. Schließlich gibt es ein weiteres Kontrollinstrument und das ist das Deskbuch, das der gesamten Gruppe von Händlern, der auch Thomas zugehört, zugeordnet ist. Das Deskbuch registriert auf detaillierte Weise die gesamte Gewinn- und Verlustbilanz. Damit werden alle Händler exponiert, ihre Stärken und Schwächen werden transparent gemacht und ergeben Ranglisten, Hierarchien und mikrosoziale Konfl ikte um soziale Anerkennung und Prämienzahlungen. Die Evaluation als Instrument zur Effektivitäts- und Effizienzmessung ist tief in die sozialen Praktiken der Trader eingedrungen und kreiert dort vielschichtige Impulse, durch welche sie sich permanent selbst evaluieren und unter Selbstbeobachtung stellen sollen. Der Evaluationsdiskurs hat ein reflexives Beobachtungswissen um das Protokollieren, Systematisieren und Bewerten von Beobachtungen bis hinein in die Mikrobereiche der Selbstpraktiken in Gang gesetzt. Zu den Effekten von Evaluation als einer Technologie systematischer, institutioneller Dauer(selbst)beobachtung gehört, dass durch sie Selbstbeobachtungs- und Selbstüberwachungspraktiken auf Seiten der Trader induziert werden und der Rechtfertigungsdruck auf die Einzelnen erhöht wird, ständig effektiv zu handeln. Durch das Geflecht der Feedbacktechnologien entsteht ein Kreislauf der Kontrolle, wodurch aus der einfachen Alltagswahrnehmung eine strukturelle Beobachtung wird, durch die nachhaltig die Selbstpraktiken der Trader beobachtet, systematisiert, kategorisiert und schließlich geändert werden sollen. So offerieren rechnergestützte Inspektionsverfahren bestimmte Vereinfachungsangebote, indem sie komplexe Zusammenhänge mittels bilanzierender Wissenstechniken darstellen (Diagramm, Tabelle etc.). Diese spezifische Form sozialen Beobachtungswissens suggeriert, dass die Fähigkeiten der Subjekte nie zu Ende entwickelt und stets verbesserungswürdig seien, was ihre Leistungen (Trades pro Tag, Gewinn-Set-Ups etc.) betriff t. In diesem Sinne erfährt das subjektive Beobachtungswissen in der verwissenschaftlichten, medialen und institutionellen Systematisierung eine Steigerung, wodurch es zu einem wichtigen Medium der Rationalisierung wird. Der Medienbegriff hat hierbei die doppelte Bedeutung von Mittel der Beobachtung und Medium des Wissens – so etwa, wenn das Wissen in elektronischer Form als Formel, Tabelle, Statistik, Text usw. auftritt. Ein wissenschaftliches Paradigma wie das Evaluationswissen impliziert, um historisch wirksam zu werden, eine bestimmte Formierung der Trader auf der Ebene institutioneller oder alltäglicher Praktiken. An dieser
III. Performativität der Börse | 171 Schnittstelle der Subjektkonstitution bildet die Verinnerlichung des Managerial Government einen normativen Bezugsrahmen, der die Selbstevaluation, das Feedbacksystem, die Qualitätskontrolle und den Leistungsvergleich in ein wechselseitiges Bezugsverhältnis setzt. In die Gestaltung von Programmen und Zielen der Leistungs- und Effi zienzsteigerung fl ießen also immer auch normative Vorstellungen ein, um hegemoniale Ordnungen zu stabilisieren. Insgesamt zielt die normative Ordnung auf ihre Naturalisierung ab und suggeriert damit letztlich eine alltägliche Normalität der ökonomischen Rationalität: Werte wie ›Leistung‹, ›Effektivität‹ und ›Effizienz‹ sollen letztlich als ›selbstverständlicher‹ und ›ungezwungener‹ Ausdruck ›normalen‹ Verhaltens erscheinen. Dabei stehen die Prozeduren der Normalisierung nicht alleine empirisch, sondern auch kategorial in einem Wechselverhältnis. Das Wissen ist eine Voraussetzung für die Normalisierung des Wissens, das wiederum eine Voraussetzung bildet für die Entstehung und Veränderung von Wissen. Diese Verflechtungen von Wissen und Evaluation machen deutlich, dass evaluative Techniken selbst aktiv an der Konstruktion von Erfolg beteiligt sind, von dem aus schließlich auf Leistung zurück geschlossen wird. Frankfurt, 19.00, Starbucks am Börsenplatz. Patrick Dittmer sitzt mit seinem Laptop im Café Starbucks und beschreibt sein Zeitmanagement: »Am Wochenende versuche ich stundenweise Informationen im Internet zu sammeln, um meine Entscheidungen für die kommende Woche zu optimieren. Ich habe keine festen Arbeitszeiten, aber ich bin immer irgendwie mit der Börse verbunden.« Im Jargon werden Trader wie Patrick Scalper genannt. 150 Trades am Tag sind für ihn unter Umständen normal. Seine Positionen hält er nur für wenige Sekunden bis hin zu ein paar Minuten. Er kauft und verkauft in Sekunden oder höchstens Minuten, um kleinste Kursdifferenzen zu seinen Gunsten zu nutzen. Er muss dazu permanent vernetzt sein, um gut informiert zu sein und schnell reagieren zu können: »Die Daimler-Aktie ist eine globale Namensaktie. Damit ist es möglich, die Aktie weltweit an Börsen zu handeln. Die Aktie ist an den Börsen in Frankfurt, New York und Stuttgart notiert. Angenommen, die Daimler-Benz-Aktie (Börsenkürzel: DAI, ISIN DE 000 710 0000) steht mit 65,00-65,50 im XETRA-Handelssystem. Die Spanne beträgt 50 Cents und reicht für einen Scalp-trade aus. Wir geben folgende Kauforder ab: 1.000 DAI zu 65,10. Da wir damit oberhalb der aktuellen Geldseite liegen, stellen wir den Markt. Gehen wir von folgendem Szenario aus: Sekunden später kommt eine unlimitierte Verkaufsorder (Market-Order) ins System. Wir erhalten die Aktien und zahlen einen Gesamtpreis von 65.100 Euro. Jetzt lautet die Devise, die Position möglichst schnell wieder aufzulösen bevor sich der günstige Spread ändert. Dabei wenden wir dasselbe Prinzip an wie beim Kauf. Auch jetzt wollen wir wieder den Markt stellen. Daher müssen wir etwas unterhalb der aktuellen Ask-Quotierung anbieten, sagen wir zu 65,40. Angenommen, die Order
172 | Das Wissen der Börse wird abgewickelt. Unsere Verkaufserlöse betragen 65.400 Euro und die Gewinne folglich 300 Euro.« Trader wie Patrick bleiben gerne anonym: »Unser Image ist schon ziemlich problematisch«, sagt er, »wir werden ja oft in die Nähe von Glücksspielern gerückt«. Was er beruflich mache, wissen nur engste Freunde und seine Familie. Den Nachbarn habe er erzählt, er sei »Anlageberater im Bankengeschäft«. Der Fünfundreißigjährige ist ein erfahrener Trader. Seit 1999 ist er im Geschäft. Davor hat er Publizistik studiert und nebenher als Wirtschaftsjournalist gearbeitet. In den Sommermonaten versuche er, den Kopf frei zu bekommen und setze sich nicht intensiv mit dem aktuellen Börsengeschehen auseinander, kaufe aber trotzdem manchmal Optionsscheine auf fallende Kurse. In seiner Freizeit, die er »spontan« mit seiner Freundin verbringe, sei er immer etwas »gehandicapt«: »Es kann ja ständig was passieren, auch im Urlaub«, sagt er, und räumt ein, dass sein Leben mit Wirtschaftsnachrichten und Aktienkursen ausgefüllt ist. So lege er Wert darauf, immer ein Hotel mit Internetanschluss zu buchen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Auch am Strand müsse immer ein Laptop und ein webfähiges Handy verfügbar sein.« Tagtäglich ist Patrick an eine globale Infrastruktur von RatingAgenturen, Beratern und Analysten angeschlossen, die ihm die für seine Anlageentscheidungen notwendigen Informationen und Signale liefern. Diese Wissensindustrie, die sich als zentrales Strukturelement im Finanzmarkt-Kapitalismus herausgebildet hat, stellt für Patricks Spekulationstätigkeit eine unverzichtbare Basis dar. Patrick ist Arbitrageur und damit bei den Kursmaklern nicht wirklich beliebt. Denn er handelt in erster Linie amerikanische Nebenwerte und zielt darauf ab, die Preisunterschiede der Kursmakler an verschiedenen Börsen auszunutzen. Sein Arbeitstag erstreckt sich in der Regel von 9 bis 23 Uhr. Durchschnittlich wickelt er pro Tag 30 Trades ab. An diesem Vormittag hat er den Kurssprung der GPC-Aktie ausgenutzt. Die Biotechfirma GPC hatte zuvor in einer Ad-hoc-Mitteilung darüber informiert, dass ihr Krebsmedikament Satraplatin von der FTA die Genehmigung für den Beginn der klinischen Phase III erhalten habe, was die Chancen auf eine Zulassung erhöhe. »Das sind Informationen, wie Daytrader sie lieben«, erklärt Patrick Dittmer. Denn dann kommt Bewegung in eine Aktie. Heute hat er allein 14 Trades mit der GPC-Aktie ausgeführt. In drei Stunden habe er annähernd 3000 Euro verdient. Er verdient jedoch nicht nur bei steigenden Kursen. Eine erfolgreiche Strategie in einer Baisse ist der sogenannte Leerverkauf von Aktien. Dabei verkaufen Shortseller wie Patrick Dittmer zuvor geliehene Aktien in der Hoff nung, sie bei sinkenden Kursen billiger zurückzukaufen, um sie dann an den Verleiher zurückgeben zu können. Die Differenz ist schließlich der Gewinn des Shortsellers. Er erzählt, dass er gestern ein Übernahmeangebot bearbeitet habe. Er sei »short gegangen«, und der Markt ging aufwärts. Diese Entwicklung habe nicht aufgehört: der Markt habe die Kurse mächtig angeschoben. Am Ende habe er die Hälfte seines Tageskapitals von 6.000 Euro verloren: »Das war
III. Performativität der Börse | 173 heute ein schlechter Tag. Morgen beginnt ein neuer Tag. Die Finanzströme hören nie auf. Wir sind mitten drin und versuchen, nicht unterzugehen.« Bei unserem Treffen in Frankfurt spricht Patrick wiederholt über seine Befürchtungen, diesen Prozess der unaufhörlichen Beschleunigung nicht mehr mitmachen zu können. Internet, Tradingsoftware und Börsenliberalisierung haben einen weltweit simultanen Austausch und Zugriff auf Finanzmarktinformationen ermöglicht, sagt er. Der globale Nonstop-Handel habe dazu geführt, dass er keine Unterschiede zwischen Tag und Nacht, Arbeit und Freizeit, Fremd- und Selbststeuerung mehr erkennen könne. Dementsprechend fühle er sich permanent unter Zeitdruck gesetzt, da er den Eindruck habe, er hinke der Auflösung zeitlicher Ordnungen permanent hinterher. Niemand hat heute mehr einen Zeitvorsprung, sagt er und verweist auf die Dominanz der Gleichzeitigkeit, die sich mit den Neuen Medien verfestigt habe. Ich kann es mir nicht leisten, einen Tag aus dem Netz einfach so auszusteigen, sagt er und beschreibt sich selbst in Metaphern der Verflüssigung und Fragmentierung. Patrick verortet seinen beruflichen und privaten Alltag in einem Kräftefeld, das er als Beschleunigungsspirale wahrnimmt. Er sagt, dass die technische Beschleunigung seine gesamte Arbeit und sein Leben strukturieren würde und vergleicht die Volatilität auf den Finanzmärkten mit seinem eigenen Leben, das er als »permanente Herausforderung« erlebt. Durch die beschleunigte Verfügbarkeit von Börseninformationen und Handelsmöglichkeiten ist ein neuer Sozialcharakter des Börsenhandels entstanden. Eine stabile Lebensplanung ist für Patrick in der rasenden Veränderung seiner Lebensverhältnisse nicht mehr möglich. Leben heißt für ihn reagieren und improvisieren. Weil er nicht wissen könne, was morgen sein wird, hält er sich alle Optionen offen. Je gleichgültiger die Inhalte, desto schneller kann er sich anpassen. Er scheut Bindungen und Dauer, entscheidet situativ und stets in letzter Minute – in der Arbeit und im privaten Leben. Greg Norman, 47, IT-Manager und Privatanleger in London. Greg lebt in London mit seiner Frau und seinem Sohn und ist seit vier Jahren semiprofessioneller Privatanleger auf dem Devisenmarkt. Er betreibt den Handel an erster Stelle über das Internet, gelegentlich mit dem Telefon. Später zeigt mir Greg, wie er eine seiner simplen Handelsoperationen im Telefonhandel durchführt (C = Customer, D = Dealer): C: Hello, this is Greg Norman, login cp66534, password 4789. D: Hello, just a minute. [Der Dealer überprüft die Informationen des Kunden] D: Listening to your request C: Euro/Dollar, 0.5 lot. D: 1.2010/1.2014 or 1.2010/14. C: Sell. D: You sold 0.5 lot euro against dollar at 1.2010. C: Confirmed.
174 | Das Wissen der Börse C: Position 223344, 0.5 lot, close position D: 1.2055/59 C: Close D: You closed position 223344, 0.5 lot at 1.2055 C: Confirmed. C: Thank you, bye! D: Bye! Beim Anruf beim Dealer ist Greg verpflichtet, sich zu autorisieren. Dabei soll er sein Login beim MetaTrader-Programm und sein Passwort nennen. Der Dealer prüft die Korrektheit des Passwortes und erklärt sich, wenn dieses stimmt, bereit, die Direktiven des Kunden zu befolgen. Wenn es dagegen falsch ist, wird es dem Kunden mitgeteilt, wonach das Gespräch umgehend abgebrochen wird. Zur Eröff nung einer Position muss Greg nun dem Dealer Symbol und Geschäftsbetrag nennen. Danach nennt der Dealer die jeweilige Notierung, auf die der Kunde umgehend mit einer Rückantwort – z.B. ›buy‹, ›sell‹ oder ›no transaction‹ – reagieren soll. Wenn der Kunde ›no transaction‹ sagt, wird das Gespräch sofort beendet. Ansonsten bestätigt der Dealer das Geschäft als abgeschlossen. Für die Schließung einer Position nennt der Kunde dem Dealer die Nummer der Position und fragt die jeweilige Notierung an. Nachdem ihm die Notierung mitgeteilt wurde, sagt der Kunde ›close« oder ›cancel‹. Wenn die Position geschlossen wird, bestätigt der Dealer das Geschäft als abgeschlossen. Da Greg keine Aufträge an den Dealer mehr hat und keine weiteren Operationen auf seinem Konto ausführen lassen möchte, beendet er das Gespräch mit einem Abschiedsgruß. Der Gruß ist weniger eine Höflichkeitsfloskel, sondern firmiert als ein eindeutiges Signal für das erwünschte Gesprächsende. Wenn der Kunde während des Gesprächs eine längere Pause (von über 10 Sekunden) einlegt, kann der Dealer das Gespräch beenden, ›Bye« sagen und den Hörer auflegen. Die Art und die Anzahl der Wörter in Handelsgesprächen sind streng reglementiert und geregelt. So ist der Gebrauch von Wörtern und Wendungen, die nicht durch die vorliegenden Regelungen abgedeckt und doppelsinnig bzw. umgangssprachlich sind, nicht gestattet. Bei Verzicht auf die Ausführung einer Operation muss der Kunde den Satz ›no transaction‹ sagen. Die zufällige Unterbrechung eines Telefonats, nachdem der Kunde die Ausführung einer Operation auf seinem Konto bestätigt hat, jedoch nicht dazugekommen ist, das Gespräch zu Ende zu bringen, kann kein Grund für den Kunden sein, die ausgeführte Operation abzulehnen. Das Gespräch zwischen Greg und dem Dealer ist ein rechtlich verbindliches Handelsgespräch, das sehr stark formalisiert ist. Für die Durchführung der formalisierten Konversation gelten Richtlinien mit Rechtsanspruch. So ist der Dealer zur Aufzeichnung sämtlicher telefonischer Kontakte mit dem Kunden auf elektronischen Datenträgern berechtigt. Im Falle von Streitigkeiten werden diese Aufzeichnungen zur Feststellung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Parteien herangezogen.
III. Performativität der Börse | 175 Früher hat Greg oft über das Telefon gehandelt. Heute ist der reine Telefonhandel mehr oder weniger unbedeutend geworden, da die sogenannten Voice Broker auch in den elektronischen Inter-Dealer Markt eintreten und der traditionelle Telefonhandel auch im Bankenbereich vernachlässigt wird. »Da Margen wie Brokerage-Gebühren seit Jahren stark abnehmen, wird der elektronische Handel auch in Zukunft zunehmen«, sagt Greg. Greg hat sich in seinem privaten Arbeitszimmer ein Multi-Monitor-System eingerichtet. Seine Interaktionen mit dem Broker fi nden vor dem Computermonitor statt, die Informationen und Benachrichtigungen werden mittels einer Tastatur eingetippt und zum Nachweis automatisch gespeichert. Die Verbreitung des Internets hat es ihm erlaubt, Aktien am heimischen PC zu ordern, ohne die Hausbank oder einen Börsenhändler einzuschalten. Das Internet ist im Unterschied zu den anderen großtechnischen Systemen des 20. Jahrhunderts imstande, sich an alle gesellschaftlichen Funktionssysteme anzukoppeln und sie mehr oder weniger zu durchdringen. Abwicklung und Clearing verschiedenartiger Finanztransaktionen erfolgen heute überwiegend über den Börsenhandel via Internet – trotz Systemausfällen und Netzengpässen. Die Anbindung erfolgt über eine Handelsplattform, die vom Broker unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird. Die für die Technische Analyse benötigten historischen Kursdaten bezieht er aus dem Quotierungsarchiv des Brokers, das unbeträchtliche Abweichungen von den Marktbedingungen enthält. Die Plattform enthält zusätzlich die grundlegenden Instrumente für die Technische Analyse wie grundlegende Indikatoren und diverse Zeichenwerkzeuge. Neben den Quotierungen, Charts und Indikatoren enthält Gregs Plattform auch einen Nachrichten-Feed, der ihm einen aktualisierten Überblick über die Entwicklungen gestattet und auch teilweise Kommentare und Analysen enthält von Investment-Fonds, Analysten und Rating-Agenturen, die mittlerweile zu zentralen Akteuren geworden sind, die häufi g aus entlegenen Winkeln der Erde über das Schicksal großer Unternehmen entscheiden. Rating-Agenturen besetzen in diesem Nachrichtensystem wichtige boundary roles, indem sie die Kreditwürdigkeit von Unternehmen durch eine Buchstabenkombination, die in der Regel von AAA (beste Qualität) bis D (zahlungsunfähig) reicht, bewerten. Ihre Geschichte reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, als sich das Eisenbahnnetz in den USA sprungartig ausdehnte: »Die Geschichte der Ratingagenturen ist eng mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der USA verbunden. Solange die Bahnstrecken in der Nähe dicht besiedelter Gebiete verliefen, wurde ihre Finanzierung durch lokale Bahnen geleistet. Später wuchs der Kapitalbedarf und durch Unternehmensanleihen der Eisenbahngesellschaften sollten die benötigten Mittel im In- und Ausland aufgebracht werden.« (Reichling/Bietke/Henne 2007: 234) Dieser nationale Ausbau des Verkehrsnetzes erforderte also Kredite, welche die Banken nicht mehr alleine tragen konnten und daher begannen einige Industrieunternehmen, Anleihen auszugeben, um an Geld zu kommen. Erste Rating-Versuche finden sich in Henry Varnum Poor’s 1868 veröffentlichten »Manual of the Railroads of the United States«, in dem er Investoren und Gläubigern die Ri-
176 | Das Wissen der Börse sikoeinstufungen von Eisenbahngesellschaften offerierte. Gegenwärtig hat neben diesem Emissionsrating die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen ein eigenes Geschäftsfeld entstehen lassen. Greg erzählt, dass er den Bonitätsbeurteilungen der Rating-Agenturen misstraue, da sie selbst dann noch beste Noten für Finanzprodukte vergeben haben, als längst über die Probleme am US-Markt für verbriefte Hypotheken berichtet wurde und sie damit wesentlich zur US-Hypothekenkrise beigetragen haben; außerdem müssen beim Daytrading zahlreiche Anlageentscheidungen pro Tag in Sekundenschnelle getroffen werden. Zur Bewertung und zum Risikomanagement seines Portfolios verwendet er Methoden zur analytischen Approximation, Monte-Carlo-Methoden, finite Differenzen-Methoden sowie trinominale Bäume. Jeden Tag muss Greg aber auch Verluste hinnehmen und die Trendgrafiken, Balkencharts und Risikostatistiken, die der Bildschirm wiedergibt, erscheinen ihm rätselhaft. In diesen Phasen findet er in seinem Informationssystem keine Antworten mehr – es macht ihm seinen eigenen Mangel sichtbar. Es zeigt auf, dass sein Begehren vom Rhythmus der Märkte abhängig ist und dass er diese »metaphysische« Marktbewegung nicht steuern kann. Greg zeigt sich in diesen Phasen labil und wechselt die diskursiven Register, indem er den Glauben an die Tradingsoftware verliert und dem Markt eine Schicksalsmächtigkeit einräumt, die er am nächsten Tag schon wieder vergessen haben wird. Wie das Daytrading von Greg veranschaulicht, ist die Börse schon längst nicht mehr das alleinige Experimentierfeld von Insidern und Experten. Die globale Verbreitung des PCs hat das sozioökonomische Spektrum der Finanzquellen, welche die Börsen speisen, enorm ausgeweitet. Die Kommunikationsgesellschaft mit ihrem permanenten Informationsfluss steht an der Schwelle zu einer umfassenden Mobilmachung, die alles mit allem vernetzt: mit Hilfe von Computertechnologien wird das Finanzmarktwissen in dezentralisierter und multimedialer Form produziert und verteilt. Das Wissen ist dabei immer eine soziale Kategorie und wird niemals nur individuell produziert, sondern nimmt immer auch Bezug auf bereits verfügbares Wissen und reguliert das zukünftige soziale Handeln. Infolgedessen wird das Wissen zu einer immer bedeutenderen Produktivkraft, das die Akkumulation des Kapitals und die Produktion von Mehrwert erheblich beeinflusst. In diesem Zusammenhang stellt der Dienstleistungsbereich einen immer bedeutender werdenden Sektor des informationsgesellschaftlichen Kapitalismus dar. Die Schaffung, Verarbeitung und Instandhaltung von Wissen wird zusehends durch semiprofessionelle Investoren als kulturelle Figuren des Kapitalismus geleistet. Interaktionsformen wie die informellen oder institutionalisierten Organisationsformen des Austauschs sind ein wesentliches Element im Konzept der Wissensmilieus. Die folgende Konversation fand zwischen einfachen Mitgliedern, besonders subskribierten Mitgliedern und dem Administrator auf der Diskussionsseite der Online-Plattform Daytrader.com im Januar 2009 statt (hinter einem dieser Nicknames verbirgt sich Greg):
III. Performativität der Börse | 177 »Bodarc (Gold Subscribed Member): I love trading Potash Corporation (POT). It is a strong stock that bursts up when there is even a hint of a good day. It is nothing for it to move 4 or 5 dollars a day and at times up to 7. It’s pretty fast so you need to study it’s habits for a while before you trade it but I like it a lot. Mike C.: For the cost, you should just switch over to CF and get more shares. Bodarc (Gold Subscribed Member): Well as you know, I have been trading POT for a long time. Today it threw me a curve ….well really I threw myself a curve by being lazy and oversleeping. If potash jumps on opening, I usually short it at 9 am CST and get out at 10 am. Today it jumped and I overslept because I worked late last night. I missed a good 3 point short in 30 minutes. Usually it will rise from 10 am until 12 or 1 so today when I thought it had fallen all it was going to fall and it appeared to be reversing, I bought in. Well, I missed the bottom so now I am 1 point down because it dropped all day which is very very unusual for this stock. I am now down 1/2 of my earnings this week and if it opens a point or so lower on Monday, I’ll wipe out my entire weeks work. BUT if I am lucky, it’ll bounce a point or two and I’ll come out fine. POT is a strong stock so any positive opening will make it bounce fast. I haven’t missed an opening in two or three weeks and the very day I oversleep, I miss a 3 point drop. ……banging my head against the wall. Day high 79 Day low 74. Johnny RayJohns (Administrator): don’t feel bad. I’ve done that same thing. I have over slept and allowed a trade to go. Sometimes it works out well, other times you can miss a nice exit point or cost average point. These days, I always put in a cost average point as well as a limit order to sell no matter what (just in case I end up over sleeping). The way I look at it, it’s cheap insurance. If I end up getting up on time and being at my desk for the open, then it just takes a second to modify or cancel the orders. However, if I end up sleeping in, then at least I know the orders are there to take care of any ups or downs I may sleep through :-) This is also a good rule of thumb when going on vacation. Either close all your trades and go to cash, or make sure you place orders to take care of any moves that might occur while you are relaxing on the beach :-)Some of my biggest losses occurred once while I was riding a jet sky around the bay in Cabo! Won’t make that mistake again. Ray« (www.daytrader.com/forums) Die Integration von Kommunikations- und Kooperationsleistungen geschieht heute verstärkt mit Hilfe der collaborative technologies, die von Internet-Diensten im Bereich des E-Commerce-Business angeboten werden und
178 | Das Wissen der Börse
Abbildung 49: Online-Plattform makemeagreattrader.com neue Möglichkeiten zur multimedialen Kommunikation für Trader schaffen. Das hier analysierte Fallbeispiel globaler Wissensnetze und dezentralisierter Spekulationskultur im Bereich des Daytradings zeigen, dass wir es heute mit einem globalen Netzwerkkapitalismus zu tun haben, der mikrosozial organisiert ist und die lokalen Interaktionen im Devisenhandel global miteinander verbindet. Diese translokal organisierten Expertengemeinschaften der Daytrader verkörpern eine neue Form der Strukturbildung und teilen ein bestimmtes Set normativer Glaubenssätze und haben ähnliche Vorstellungen über die Validitätskriterien ihres Finanzmarktwissens. Die globale Community der Daytrader organisiert sich über Online-Foren und kann weder als Netzwerk noch als Institution verstanden werden. In den Internetforen greifen die Online-Trader auf Erfahrungswissen als der entscheidenden Ressource zurück. (Abb. 49) Mit der Medienpräsenz der Daytrader im Netz ist eine globale Community entstanden, die gesellschaftlich bedeutsame Wissensbestände jenseits akademischer Anerkennung verwalten und weiterentwickeln. Gleichzeitig wird im Prozess der Problemlösung neues Wissen validiert und in die organisatorische Basis eines sich permanent optimierenden Finanzmarktwissens integriert. Im Online-Börsenhandel sind »epistemische Communities« (Haas 1992: 1-35) permanent nachgefragt, um Regeln und Richtlinien für den Umgang mit komplexen Entscheidungssituationen zu entwickeln. Diese diskursiven Aushandlungsprozesse in epistemischen Gemeinschaften etablieren eine spezifi sche Machtform, die Foucault in seiner Analyse zur »Mikrophysik der Macht« als Praxis der kapillaren, mikrophysikalischen, diskursiv verankerten Machtausübung bezeichnet, die ständig ein »wahres« respektive ein als »wahr« ratifiziertes Wissen hervorbringt (Foucault 1976: 45), das erneut Machtwirkungen vervielfacht (Quasi-Märkte, Rangordnungen etc.).
III. Performativität der Börse | 179
III.2 E IN F OTO
DER
WALL STREET
»How can you have profit without production in the first place? Where does all this excessive speculation come from?« Fredric Jameson, Culture and Finance Capital, 1997
Krisen sind immer auch Deutungskrisen, in denen sich Gesellschaften und ihre Strukturen spiegeln. In einer Mediengesellschaft versuchen Medien, sich als gesellschaftlich relevante Instanzen zur Überwindung von Krisen und Konflikten zu profi lieren. Die Begriffe, Diskurse und Bilder der jüngsten Finanz- und Börsenkrise sind daher immer auch Medienereignisse, mit denen massenmediale Beobachtungsanordnungen versuchen, ihren Einfluss auf die kulturellen Orientierungs- und Sinnangebote geltend zu machen. (Abb. 50) Das Cover des Wochenmagazins Der Spiegel vom 29. September 2008 zeigt die Einschreibung der Krise in ein ikonografisch stabilisiertes Deutungsrepertoire. Im Prozess der Ikonisierung kommt es immer auch zu medialen Übertragungen von einem Zeichensystem in andere, die mit Bruno Latour als »Inskriptionen« beschrieben werden können. (Latour 1990: 19-68) Damit sind Umwandlungen disparater Zeichen in ein überzeugendes Bedeutungsfeld (z.B. ein wissenschaftsfähiges Bild) gemeint. Mit der Resignifizierung der Wirtschaftskrise in einen bereits etablierten Bilderkanon (»Freiheitsstatue«, »1929« etc.) soll gleichzeitig die unsicheren Zeichen der Deutungskrise visuell und symbolisch stabilisiert werden. An die Stelle anonym flottierender Finanzströme rückt Der Spiegel das theologische Motiv der Gottesstrafe: die Finanzmarkspekulation wird verallgemeinernd als menschliche Hybris ausgelegt. Die Medienberichterstattung des deutschen Nachrichtenmagazins ist jedoch kein Einzelfall. Die Mediendiskurse der Finanzkrise 2008 haben insgesamt ein weitgehend nostalgisches Bild der Börse und des Finanzmarktes kommuniziert. Ihre Pathosformeln vom menschlichen Kontrollverlust auf dem Börsenparkett, ihre moralischen Lehrstücke über maßlose Besitzgier und die suggestive Evidenzrhetorik ihrer Infografi ken stehen aber im krassen Widerspruch zur konstitutiven Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Teilaspekten des Börsenhandels und des Finanzmarktwissens. Die Medienberichterstattung des deutschen Nachrichtenmagazins ist jedoch kein Einzelfall. Die Mediendiskurse der Finanzkrise 2008 haben insgesamt ein weitgehend nostalgisches Bild der Börse und des Finanzmarktes kommuniziert. Ihre Pathosformeln vom menschlichen Kontrollverlust auf dem Börsenparkett, ihre moralischen Lehrstücke über maßlose Besitzgier und die suggestive Evidenzrhetorik ihrer Infografi ken stehen aber im krassen Widerspruch zur konstitutiven Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Teilaspekten des Börsenhandels und des Finanzmarktwissens.
180 | Das Wissen der Börse
Abbildung 50: Cover »Der Preis der Überheblichkeit«, Der Spiegel vom 29. September 2008 Der Aufstieg des Begriffs »Finanzkrise« zum globalen Headliner im Jahr 2008 ist ein Produkt der ersten Phase der Ereignisberichterstattung, in der es darum ging, die Krise auf das spekulative Kapital zu beschränken. Das massenmediale Agenda Setting verräumlichte und temporalisierte die Finanzkrise. Nach dem Vorbild epidemiologischer Katastrophendiskurse wurden ihre geheimen Zentren und Ausbreitungswege aufgedeckt, Handlungsträger personalisiert und Epochenschwellen ausgerufen. Es dominierten die Stilmittel der Effektdramaturgie, der Ästhetisierung und der Personalisierung. Dieser Reduktion entsprechend haben die Medienberichte in den Anfängen der Krisenbewältigung Fotografien vom Leidenspathos männlicher Spekulanten und Infografi ken fallender Börsenkurse publiziert. (Abb. 51) Die cineastischen Naheinstellungen vom Leidenspathos der männlichen Broker haben dazu beigetragen, die Krise mit Betroffenheitsrhetorik und personalisierter Affektästhetik aufzuladen. Die Medienbilder über die Fassungslosigkeit der Trader schufen nicht nur eine »geschlechtsspezifische Bauweise des Spekulanten als Beobachter« (Stäheli 2007: 265), sondern erstellten Identifi kationstableaus für die gesamte Finanzkommunikation. Mit dieser Identifikationsstiftung etablierten sie ein personifizierendes Melodrama, das auf die Börse selbst beschränkt bleiben sollte. Insofern gab es eine Korrelation zwischen dem einengenden Begriff »Finanzkrise« und dem Bild »Trader auf dem Börsenparkett«, denn beide Elemente zielten auf eine sinnstiftende Einhegung der Krise. Auf der Bühne des medialisierten Börsenschauplatzes agieren im Vordergrund die Leistungsrollen der intermediären Akteure
III. Performativität der Börse | 181 und börsenkotierten Unternehmen wie Broker und Banken. (Abb. 52) Die Nebenrollen wurden von Finanzanalysten und Wirtschaftsjournalisten gespielt. Die Käufer und Verkäufer von Wertpapieren übernahmen in dieser Konstellation die Publikumsrolle und spielten keinen aktiven Part in der Krisenberichterstattung. Die mediale Fokussierung auf die Leistungsrollen erlaubte der Berichterstattung, die Krise auf das spekulative Kapital zu beschränken. Beide Bildmotive sind mittlerweile zu globalen Ikonen aufgestiegen und adressieren unterschiedliche Rezeptionsmuster. Die Infografi ken der fallenden Börsenwerte fungieren – trotz Krise – ungebrochen als Wissensmedien der Ordnungsmacht und stehen heute wie gestern für das Erkennen und Abwägen von Risiken: sie kommunizieren den Überblick, das Vollständige, die Bestandsaufnahme und stehen für die angebliche Neutralität der Medienkanäle. Diese Intaktheit der Infografiken verweist auf die nicht in Frage gestellte Beobachtungsanordnung der Börse. Sie suggerieren immer noch das traditionelle Blickregime, das auf der einfachen und klar erkennbaren Übersichtlichkeit des Börsendiagramms mit auf- oder absteigender Kurve basiert. Kann aber der traditionelle Subjektbegriff der Beobachtung noch geltend gemacht werden, wenn in Betracht gezogen wird, dass sich mit der Computertechnologie die medial-technische Beobachtung des Finanzmarktes unübersehbar vervielfältigt hat?
Abbildung 51: Wall Street, Washington Post vom 26. September 2008 Abbildung 52: Wall Street, Washington Post vom 30. September 2008 Trotz ihrer unterschiedlichen Formate zielen die bis heute nachwirkenden Ikonen auf die symbolische Einhegung der Krise, indem sie die Krise in einer spezifischen Inszenierungslogik und einer narrativen Rahmung kontextualisieren. Die Medienbilder der Börse vermitteln die Sehnsucht nach einem abgrenzbaren Territorium der Krise. In dieser Hinsicht sollen die Innenansichten vom Schauplatz des Börsengeschehens keine Einsicht in die ›Wirklichkeit‹ des Finanzmarktes eröffnen, sondern den Spielregeln
182 | Das Wissen der Börse medialer Effektdramaturgie verhaftet bleiben. Insofern suggeriert die Medialisierung der Finanzkrise, dass das Börsengeschehen eine Narration, eine Geschichte sei, die sich in Bildern erzählen und damit auch sinnvoll erklären lässt. Der Wahrnehmende der Krise sieht nicht die Prozessualität des Finanzmarktes, er rechnet nicht mit Geld, sondern sieht in erster Linie Bilder und macht sich durch das Beobachten dieser Bilderanordnungen sein Bild vom Markt. In seinen zahlreichen Aufsätzen zur Digitalität des Geldes macht Bernhard Vief darauf aufmerksam, dass Verwandlungen des Geldes in Bits und Bytes dafür verantwortlich sind, dass das Geld zu einem neuen Code transformiert wird, der mit dem Visuellen auf radikale Weise bricht. Diese Transformationen implizieren, »dass die Bits nicht nur das Geld codieren, so wie sie auch das Fernsehen oder Telefon codieren, sondern dass sie selber Geld sind und dass das Geld ein Code ist. Warenaustausch und Informationsaustausch, Geld und Medien verschmelzen unter diesen Umständen zur Maschinensprache. Die ökonomische Kategorie des Wertes wird von einem Informationswert absorbiert.« (Vief 1991: 117) In Bezug auf die Bewegung von Kapital geht Vief von einer »reinen Informationsbewegung« aus – eine These, die er übrigens mit Marshall McLuhan teilt. Obwohl die Finanzmärkte die Maschinen sind, in denen sich ein Großteil des Vermögens als die Gesamtheit aller Güter und Ansprüche auf Güter entscheidet, haben wir nur eine unklare Ahnung davon, wie das globale Finanzsystem funktioniert. Kann also die Frage nach dem Bild auf angemessene Weise den Datenstrom des Finanzmarktes beschreiben, der im Sekundentakt – Kurs für Kurs, Transaktion für Transaktion – läuft? Täuscht eine gewisse Konjunktur der Bilder in den Medien nicht darüber hinweg, dass sich die Krise schon längst einer angemessenen Darstellbarkeit und einer normativen Legitimierung entzogen hat? Sind die Mediendiskurse und -bilder einer anachronistisch anmutenden Finanzmarktdramaturgie nicht ein Anzeichen dafür, dass die mediale Krisenbewältigung selbst in eine Wahrnehmungs- und Deutungskrise verwickelt ist? Mit der Finanzkrise geraten auch die Medien in eine Deutungskrise und versuchen ihre kulturelle Bedeutungsproduktion mit den Stilmitteln der Ästhetisierung, Dramatisierung, Ritualisierung und Historisierung aufrecht zu erhalten. Die Medien setzen Krisenbewältigungsmechanismen in Gang, um nach einer Phase der Ereignisberichterstattung allmählich dazu überzugehen, Kontinuität wiederherzustellen. Die Bilder der Finanzkrise verweisen daher mehr auf die Inszenierungslogik der jeweiligen Medienformate und den Spielregeln ihrer Berichterstattung (Aufmerksamkeitsbündelung, Synchronisation und Deutungsmacht) und weniger auf eine Auseinandersetzung mit den Medien und Praktiken, die beständig an der Herstellung des Finanzmarktwissens beteiligt sind. Fotos der Wallstreet sind allgegenwärtige Bilder. Wenn die Wirtschaftsnachrichten zur Agenda der Titelseiten und Fernsehnachrichten aufsteigen, dann hat auch die Fotografie der Wallstreet wieder Konjunktur. Ein häufig publiziertes Foto zur Wirtschaftslage zeigt ein Straßenschild mit der Be-
III. Performativität der Börse | 183 zeichnung »Wallstreet«. (Abb. 53) Im unscharf aufgenommenen Bildhintergrund ist eine visuelle Andeutung auf die New Yorker Börse zu sehen. Das Foto der Wallstreet soll weniger ein Abbild einer Straße in New York City zeigen, sondern als ein Synonym für die Börse an und für sich interpretiert werden. Das Straßenschild schmückt den Bildvordergrund und hebt sich scharf und prägnant von seinem unscharfen Hintergrund ab. Im verschleierten Bildhintergrund verortet die Fahne der USA nationale Bezüge. Das Foto der Wallstreet soll aber keine Auskunft über die geographische Funktion der Straße in Manhattan geben, sondern repräsentiert das Börsengeschehen in seiner Allgemeinheit. In dieser Hinsicht ist das Foto weniger in empirische Plausibilisierungsstrategien eingebunden, sondern fungiert vielmehr als ein beliebig verwendbares Symbolbild. Die Wallstreet-Fotografie hat maßgeblich zur Entstehung einer gemeinsamen Bildsprache und zur Herausbildung eines ikonischen Sehens beigetragen. Sie prägt die massenmediale Ikonologie des Finanzmarktes und zählt zu den visuellen Stereotypen des kollektiven Gedächtnisses. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Expansion börsenspezifi scher Deutungskonstrukte verfügt die Fotografie der Wallstreet seit mehreren Jahrzehnten über einen hohen Wiedererkennungswert, weil sie über einen längeren historischen Zeitraum in unterschiedlichsten Medienformaten veröffentlicht wird. Die Bilder der Wallstreet fungieren als Währung der bildwirtschaftlichen Verwertung von Sichtbarkeit. Sie werden nicht anlässlich einer aktuellen Börsen- oder Finanzkrise gemacht, sondern sind bereits als Bildvorrat verfügbar. Ein Symbolfoto der Wallstreet kann also unterschiedliche Krisen überdauern und über einen längeren historischen Zeitraum als Bildzitat Verwendung finden.
Abbildung 53: Wall Street, Bildagentur Corbis Die piktoriale Kodierung der Börse wird spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend als Ware und als Währung definiert. Die Stock Photography der großen Bildagenturen haben kollektive, visuelle »Katalogwelten« (Bruhn 2003: 155) erzeugt, in denen die einzelne Darstellung nur noch dazu dient, ein jeweiliges Stereotyp zu bestätigen. So ist auch die visuelle Repräsentation der Finanzkrise von wenigen Bildformen beherrscht. Die visuelle
184 | Das Wissen der Börse Monopolstellung der Wallstreet als pars-pro-toto-Synekdoche für das globale Finanzsystem ist auch ein Resultat der Bildwirtschaft kommerzieller Bildagenturen, die Sichtbarkeit zunehmend marktförmig strukturieren. Fotos der Wallstreet sind Bestandteil der Bilddatenbanken der globalen Nachrichtenagenturen und definieren die Bildlichkeit des Marktes. Bildagenturen stellen Fotos auf Vorrat her, indem sie antizipieren, was journalistische Medien benötigen, um Reportagen herzustellen. Die meisten Fotos der Wirtschaftsnachrichten entstammt dem Material, das Agenturen auf Lager (stock) haben. »Stock photos« gibt es seit dem 19. Jahrhundert und bereits die Medienberichte über den Wall Street Crash von 1929 haben ihre Bilder aus den Bildarchiven der Stock Photography bezogen und damit maßgeblich an der Kanonisierung der Bildmotive mitgewirkt. Heute ist die Bildagentur-Branche von einer massiven Marktkonzentration gekennzeichnet. Innerhalb weniger Jahre wurden in den 1990er Jahren die Newcomer Bill Gates mit Corbis (1989) und Mark Getty mit Getty Images (1995) zu Marktführern im Geschäft mit den Bildern. Beide Bildagenturen verfolgen ein nachfrageorientiertes Marktkonzept und bieten nur Fotos an, die möglichst oft, lange und weltweit abgesetzt werden können. Heute wird beinahe das gesamte Bildgeschäft über das Internet abgewickelt. Die Vermarktung über das Internet garantiert nicht nur eine weltweite Präsenz der betreffenden Bildagenturen, sondern ist auch die Voraussetzung dafür, dass sich ein bestimmtes Foto der Wallstreet auf dem weltweiten Bildermarkt durchsetzt. Die Bilddatenbanken von Corbis und Getty stehen für die Vereinfachung und Standardisierung der Vertriebswege und sind entsprechend spezifizierter Kundenerwartungen verschlagwortet. Für die Massenproduktion des Visuellen ist es wichtig, dass die einschlägigen Fotos kontextoffen sind und nichts zeigen, was genau datierbar ist und dementsprechend nur eine kurze Halbwertszeit der Verwertung aufweist. So vermitteln die journalistischen Bilder der Ereignisberichterstattung oft auch einen zeitlosen Eindruck, weil sie aus den Archiven der Bildagenturen stammen. Um den Eindruck der Aktualitätsbezogenheit ihrer Bilder zu wahren, versehen die Agenturen ihre Bilder mit zusätzlichen Kontextinformationen. Eine Sprechblase zu einem Foto der NYSE in der Online-Bilddatenbank von Getty Images erläutert: »People walk along Broad Street February 10, 2009 outside the New York Stock Exchange. US stocks plunged Tuesday as markets gave a thumbs down to a plan unveiled by President Barack Obama’s administration to stabilize the financial system. The Dow Jones Industrial Average slid 381.99 points or 4.62 percent to 7,888.88 at the close. AFP PHOTO/Stan Honda (Photo credit should read STAN HONDA/AFP/Getty Images)« Dieser zusätzliche Bildkommentar ist allerdings auf die Sprechblase beschränkt und bleibt aus dem visuellen Zeichensystem ausgeschlossen. Die hier aufgezeigte kontextuelle Einbettung der »Stock photos« zeigt, dass Bilder für sich alleine keine Macht haben. Sie bedürfen eines inhaltlichen Rahmens, einer institutionellen Einbindung oder zumindest einer
III. Performativität der Börse | 185 Unterschrift, um zu einer Bedeutung zu kommen. Bei den Symbolfotos der Wallstreet handelt es sich um mediale Deutungskonstrukte, die in unterschiedlichen Kontexten zur Reduktion von Komplexität eingesetzt werden. Ihre Bildkomposition ist darauf ausgelegt, mit möglichst wenigen Bild- und Schriftmotiven eine übersichtlich gestaltete Bildoberfläche herzustellen. Der Bildauf bau soll daher den Effi zienzkriterien einer beschleunigten Lektürepraxis entsprechen. So zeigt ein weiteres, häufig publiziertes »Stock Photo« der Wallstreet die NYSE mit nationaler Flagge und suggeriert ein entscheidungsgeladenes Zentrum im globalen Börsengeschehen. (Abb. 54) Die statische Aufnahme der repräsentativen Börsenarchitektur unterstellt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem nationalen Börsensymbol und dem Aufstieg und dem Fall der New Economy. Es dient also in erster Linie zur Medialisierung der Börsenarena und basiert auf spezifischen technischen und stilistischen Parametern, die stereotypartig wiederholt werden.
Abbildung 54: Wall Street, Bildagentur Getty Images Zur Ausweitung ihrer globalen Absetzbarkeit sind die Finanzmarktbilder kulturell und sozial neutral gestaltet. Die Außenansichten der Wall Street zeigen oft abgeschnittene Gesichter und Körper der Passanten, die oft nur von hinten zu sehen sind und in der Regel überbelichtet und unscharf fotografiert werden. Auch unser Foto der Wallstreet zeigt – abgesehen von den indifferenten und unscharf abgebildeten Passanten – nur einen kleinen Ausschnitt, weswegen kein deutlicher Bildraum entstehen kann, an dem sich der betrachtende Blick orientieren könnte. Hervorstechendes Merkmal des
186 | Das Wissen der Börse Wallstreet-Bildsujets ist die Unräumlichkeit des Dargestellten, die durch die Stilmittel der Überbelichtung und der Unschärfe zusätzlich gefördert wird. In diesem Zusammenhang geht es also weniger darum, einen verbindlichen Orientierungsraum zu schaffen, sondern um die Herstellung einer unverbindlichen Symbolfotografie, die auch zu diametral unterschiedlichen Medienereignissen passt. Industriell hergestellte Fotos auf Lager sind nicht nur Ware, sondern auch Währung. Ihre Bildästhetik folgt in erster Linie einem ökonomischen Imperativ und ist darauf ausgerichtet, möglichst häufig geordert zu werden. Die hier untersuchte Fotografie der Wallstreet hat eine global wirksame Nachfrage evoziert und wurde im Zeitraum weniger Monate von über 130 Printmedien und elektronischen Medien weltweit publiziert. Die Unverbindlichkeit ist der charakteristische Wettbewerbsvorteil der Stock Photography. Um auf dem globalen Bildermarkt erfolgreich bestehen zu können, müssen die Bilder für sich genommen in der Lage sein, als Variable für alle möglichen Bedeutungen zu fungieren. Dementsprechend verzichten die Bildagenturen auf die Darstellung der konkreten Lebenswelt und singulärer Details. Die Vormachtstellung der »Stock Photos« während der Finanz- und Börsenkrise im Herbst 2008 hat dazu geführt, dass Bilder von betroffenen Individuen kaum in Erscheinung traten. Der Umstand, dass der Stil der Stock Photography einen hohen Abstraktionsgrad aufweist, hat dazu geführt, dass die Krise bloß in ihrer abstrakten Verallgemeinerung im kollektiven Bildgedächtnis abgerufen werden kann. Ein solchermaßen hegemonialer Gemeinplatz der Krise hat aber mit der Krise selbst nichts zu tun, sondern ist das Ergebnis eines von den Bildagenturen dominierten Bildermarktes, der vom Diktat der globalen Verwertbarkeit beherrscht ist. Auf ihm setzen sich nur Bilder durch, die das Allgemeine zeigen und das Individuelle unterdrücken. Eine massenmediale Fokussierung von Wirtschaft und Börse verweist auf einen ökonomischen Strukturwandel der Gesellschaft. Einerseits trägt die Medienpräsenz der Börse dazu bei, die Komplexität des Finanzmarktwissens zu erhöhen, andererseits ist die Medienöffentlichkeit auf publikumsnahe Kriterien wie die Selektion, Interpretation und Darstellung von Medienereignissen wie etwa Personalisierung, Dramatisierung und Ästhetisierung angewiesen.
III. Performativität der Börse | 187
III.3 M EDIENARCHÄOLOGIE
DES
TIPPFEHLER S
»Am Anfang war er verdutzt, wenn er gewahrte, dass wo er sich verschrieben zu haben meinte, ein neuer und, wie er einsehen musste, richtigerer und schönerer Sinn zum Vorschein kam.« Werner Bergengruen, Die wunderbare Schreibmaschine, 1967 »Im ersten Moment haben wir CNN angemacht und geschaut, ob wieder ein Flugzeug abgestürzt ist.« Lars Bonhage, Broker an der EUREX, 10.12.2001
Frankfurter Börsenviertel, 2001. Kurz nach Handelseröffnung löste am 20. November 2001 eine fehlerhaft eingegebene Verkaufsorder an der Terminbörse EUREX einen Kursabfall des Deutschen Aktienindex DAX um gut 500 Punkte binnen weniger Minuten aus. Die Deutsche Börse Group veröffentlichte umgehend eine Pressemitteilung, in der es hieß: »Der internationale Terminmarkt Eurex hat am Dienstag als Folge von Teilnehmerfehleingaben mehrere Geschäfte aufgehoben in Futures und Optionen auf die Indizes DAX und Dow Jones Euro STOXX 50. Betroffen waren ausschließlich bestimmte Geschäfte in diesen Produkten zwischen 9:21 Uhr und 9:25 Uhr. Im DAX-Future wurden Geschäfte aufgehoben, die im Verfalltermin Dezember 2001 unterhalb 5083,5 Punkten ausgeführt wurden und im Verfalltermin März 2002 unterhalb 5121 Punkten. Im Future auf den Dow Jones Euro STOXX 50-Index wurden Geschäfte annulliert, die beim Verfalltermin Dezember 2001 unter 3726 Punkten lagen, beim Verfall März 2002 unter 3750 Punkten und beim Verfall Juni 2002 unter 3733 Punkten. In der DAX-Option und der Option auf den Dow Jones Euro STOXX 50-Index betriff t die Annullierung Geschäfte, bei denen die Handelspreise außerhalb der jeweiligen Mistrade-Grenze lagen.« (http://deutsche-boerse.com) Dieses dramatische Ereignis wurde in der Folge durch die Börsensoftware der in aller Welt verstreuten Brokerfirmen weitergetragen, da die meisten automatischen Verkaufsprogramme dem Index nach unten folgen, sodass sich der Tippfehler global multiplizieren konnte. Große Informatiksysteme wie die Netzwerke der internationalen Börsenkommunikation besitzen aufgrund ihrer Komplexität eine Eigendynamik, die sich zeitweise fatal auswirken kann. Das kann zu Kettenreaktionen führen, wie etwa der Automatismus, der dann startet, wenn an den Wertpapierbörsen bei einem bestimmten Aktienwert automatische Verkaufsprogramme erwirkt werden, die in kurzer Zeit zu einen Kurseinbruch führen, der anderswo zu automatisierten Verkäufen führt: »Ein ähnliches Phänomen war auch schon beim Crash 1987 zu beobachten, als automatische Verkaufsprogramme den Markt unkontrolliert in die Verlustzone brachten, Broker Telefone nicht mehr abnahmen und Orders nicht mehr exekutierten.« (Priebe 2004: 89) Diese Verzögerungen bei
188 | Das Wissen der Börse der Kursnotierung durch die Störungen in der nachrichtentechnologischen Vermittlung steigerten die Verunsicherung der Marktteilnehmer, womit sich auch die Volatilität am Markt erhöhte. Die Automatisierung der Börsensoftware und die Überlastung der Kommunikationsnetze haben demnach maßgeblich zur Globalisierung des Kurssturzes beigetragen. Trotz des rasanten Kursverfalls setzte die EUREX den Handel im Winter 2001 nicht aus. Am Nachmittag teilte der Pressesprecher der EUREX mit: »Die EUREX hat am Dienstag mehrere Geschäfte im Future auf den Dax-Index als Folge einer Fehleingabe eines Teilnehmers aufgehoben. Kassageschäfte waren davon nicht betroffen.« (www.boerse-express.com/ pages/147633) Nach den EUREX-Regeln wurden für den Dezember-Dax-Future alle Geschäfte, die zwischen 9.21 und 9.25 Uhr unter 5083,50 Punkten ausgeführt wurden, annulliert. An der EUREX gebe es, so der Leiter des Aktienhandels bei der WGZ-Bank in Düsseldorf, Lars Bonhage, zuerst eine Sicherheitsabfrage, dann komme möglicherweise eine Volatilitätsunterbrechung, ein Anruf von der Börse und unter Umständen noch eine erweiterte Volatilitätsunterbrechung hinzu. Der häufigste Börsentippfehler an der EUREX ist die Vertauschung der Wertpapierkennnummer (WKN) mit der Mengenangabe der Ordergröße, gefolgt von der Idee, die Papiere zum Preis der WKN zu verkaufen. Fehlerhafte Ordereingaben – auch Mistrades genannt – passieren regelmäßig. Gleichermaßen haben die Tippfehler einen permanenten Sicherheitsdiskurs über die Optionen automatisierter Feedbacks und Limitierungen entstehen lassen. So wurden etwa nach den Ereignissen von 1987 an der Wall Street diverse Circuit Breakers installiert, um die automatische Signalverarbeitung der Verkaufsprogramme zu unterbrechen. Tokyo, 8. Dezember 2005. Anfang Dezember sorgte eine fehlerhafte Software von Fujitsu für einen Handelsausfall an der Börse Tokio. Am 8. Dezember hatte ein Mitarbeiter von Mizuho Securites eine Verkaufsorder für Aktien des Unternehmens J-Com falsch platziert. Anstelle einer Aktie für 610.000 Yen (4.200 Euro) bot er 610.000 Aktien für jeweils 1 Yen an. Als die Order für 610.000 Aktien zu einem Yen über die Bildschirme flimmerte, schlug das Programm zwar Alarm, doch der Auftrag ging dennoch an die Börse. Nachdem der Mitarbeiter seinen Fehler bemerkt hatte, verwehrte ihm das Computersystem für zehn Minuten die Korrektur. Die Zeit reichte aus, damit Investoren die Aktien zum Nulltarif auf ihre Einkaufsliste setzten – lediglich 14.000 J-Com-Papiere befanden sich hingegen im freien Handel. Zu allem Übel setzte die Börse die Aktie nicht vom Handel aus, sodass den entsetzten Händlern J-Com-Aktien im Wert von drei Milliarden Euro um die Ohren flogen. Die Vertauschung der Verkaufspositionen kostete das Handelshaus 300 Millionen Euro – der teuerste Tippfehler der Wirtschaftsgeschichte wurde somit realisiert. Ein heißer Augusttag in New York, 2006. Für 120 Sekunden wurden Google-Aktien an der Wachstumsbörse Nasdaq zu Kursen zwischen 37,81 Dollar und 38,05 Dollar gehandelt, weil ein Händler auf dem Ziffernblock seiner Tastatur einen folgenschweren Fehler beging und in seiner Order Zahl
III. Performativität der Börse | 189 und Komma vertauschte. Damit verlor ein amerikanischer Anleger, dessen Google-Aktien im Wert von 380 Dollar zu 38 Dollar über den Tisch des Börsenhauses gingen, mehrere Millionen Dollar binnen weniger Sekunden. Je kleiner die Tippfehler sind, umso weniger werden diese als Fehler erkennt. Händler sagen, dass pro Jahr in der Regel nur drei bis fünf offensichtliche Fehler über die Schirme flimmern – wer sie macht, sieht man allerdings nicht, und eine Rückabwicklung gibt es in der Regel nicht. London, Stock Exchange, im Mai 2007. Eine simple Vertauschung von Positionen, Reihenfolgen und Operationsschritten auf der Tastatur kann für alle Beteiligten horrende Folgen haben. Der Verlust der Aufmerksamkeit kann ein Unternehmen in die Krise stürzen und tausenden Beschäftigten den Arbeitsplatz kosten. Im Jahr 2001 verkaufte ein Händler an der Stock Exchange in London 120.000 Aktien der Murray Inc. zu 16 Pfund. Vom Unternehmen erhielt er aber den Auftrag, nur 16 Aktien zu 120.000 Pfund zu verkaufen. Der Händler bemerkte zwar unmittelbar nach der Dateneingabe seinen Fehler, aber das Computersystem reagierte nicht auf die Fehleingabe und ließ zeitweise auch keine Korrektur zu. Murray Inc. verlor innerhalb weniger Minuten mehrere Millionen Euro und leitete am Tag nach dem Crash Maßnahmen zum Stellenabbau ein. Der FTSE-100-Index fiel binnen weniger Stunden um 3,5 Prozent. Auch der 12. Dezember 2000 fi rmiert im Gedächtnis der deutschen Börsengeschichte als ein Datum mit nachhaltiger Störungsqualität. Denn die Deutsche Börse AG war an diesem Tag von der technischen Störung bei Teledata betroffen. Irrtümlich wurde der gesamte Datenbestand des Börsenvortages für den deutschen Markt unter aktuellem Datum auf die Systeme übertragen. Auf verschiedenen Internetseiten – so auch bei der Deutschen Börse AG – zeigten die Charts Kurse vom Vortag zum aktuellen Datum. Das sprunghaft zugenommene Interesse von Privatanlegern am börslichen und außerbörslichen Wertpapierhandel und dessen zunehmende Computerisierung haben einem Rechtsproblem zu Prominenz verholfen, über das vor etwa 10 Jahren noch niemand sprach: dem Mistrade. Ein einziger Tippfehler oder ein technischer Defekt im Handelssystem können – das haben die Mistrades an der Tokioter Börse (2005) oder an der EUREX (2001) gezeigt – zum Ausfall eines ganzen Börsentages mit Tausenden von betroffenen Handelsteilnehmern und Anlegern führen. Im Fall der Börse Tokio entstanden Verluste in Höhe von 300 Mio. EUR – durch einen einzigen Mistrade. Der Tippfehler und die Funktionsstörung sind weder als defi zitär noch als peripher zu verstehen, sondern machen im Augenblick ihres NichtFunktionierens den Finanzmarkt als Medium bemerkbar und motivieren seine Benutzer dazu, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. So nutzen andere Broker die Gunst des Augenblicks, um in wenigen Momenten das Geschäft ihres Lebens zu machen. Demgegenüber werden Sicherheitssysteme alarmiert und versuchen, den Fehler zu erkennen. Anschließend bilden sich
190 | Das Wissen der Börse Risikodiskurse, die versuchen, die Fehlerdiagnose in ein prognostisches Wissen überzuführen. Die Verwechslung von Kenndaten, Zahlen und Kommastellen verdeutlicht eindringlich, dass dem scheinbar abstrakten Maschinismus der Finanzmärkte sowohl soziale Verhältnisse als auch affektive Elemente inhärieren, welche sich die scheinbar vollkommen neutralen und transparenten Finanzmarkttechnologien auf ihre Weise aneignen und gegen den Strich nutzen. Bisher hat die Geschichte der computerunterstützten Technologien an den Börsen der reibungslos funktionierenden Signalverarbeitung eine herausragende Stellung in diesem Prozess eingeräumt. Die Medienarchäologie des Tippfehlers verdeutlicht demgegenüber, dass Finanzmärkte nicht mehr zweifelsfrei als formalisierte Entitäten verstanden werden können, die ausschließlich von der Eigengesetzlichkeit der Computerprogramme geprägt werden. Mit der medienarchäologischen Fragestellung eng verknüpft ist daher der Anspruch auf eine grundlegende Problematisierung der Erfolgsgeschichtsschreibung der Börse und der damit zusammenhängenden Erschließung von den aus der hegemonialen Historiographie ausgeschlossenen Praktiken des Finanzmarktes. In medienarchäologischer Perspektive rücken die wahrnehmungskulturellen Voraussetzungen der Finanzmarkttechnologien ins Zentrum der Betrachtung. Somit können die Rezeptionskontexte als erweiterte Beobachtungsanordnung des Finanzmarktes aufgewertet werden. Darum widerspricht eine Rekonstruktion der Tippfehler und Systemabstürze der offiziellen Erfolgsgeschichte des Finanzkapitalismus. Sie zeigt, dass sich Märkte nicht nur effizient und effektiv verhalten, sondern auch ›pathologisch‹ sind und mittels individueller Fehler und systematischer Störungen hergestellt werden können. Medien wie der Computer und Analysesoftware stellen in diesem Zusammenhang Falten dar. Sie nehmen Einschnitte vor, die Störungen und Zusammenbrüche, Unfälle und Katastrophen integrieren und auf eine bestimmte Art und Weise produktiv machen. Im Unterschied zur Medienberichterstattung über die scheinbar restlos aufgeklärten Rätsel der Pannen auf den Finanzmärkten unterstellt eine unvoreingenommene Analyse den Störphänomenen nicht von vornherein eine destruktive Wirkung in Hinsicht auf vorhandene Ordnungen, sondern begreift unvorhersehbare Umformungen und Verschiebungen als tektonische Größen, die für die Entstehung neuer Ordnungen konstitutiv sind. Dabei darf nicht ausgeblendet werden, dass Störungen in der Regel außerordentliche Rückkoppelungen eröff nen, die ein dynamisches Marktgeschehen in Gang setzen. Oft eröffnen Tippfehler erst einen Bezug zum Außen. Sie produzieren Wissen über die Techniken des Herstellens und erzwingen Selbstreflexionen in technischen Systemen. Erst aufgrund dieser Techniken des Verfehlens, des Störens und des Rauschens werden die Operationsweisen und die Kanäle der Finanzmärkte sicht- und sagbar, die dann öffentlich im Netz der Meinungsbildung kommuniziert werden. Die informationstheoretischen Rahmenbedingungen des Finanzmarktes – die Digitaltechnik einheitlicher
III. Performativität der Börse | 191 Mediensysteme (ISDN, Multimedia) – machen die Beschränkungen der postalischen Verfasstheit des Spekulationsmarktes zum – nachträglich thematisierten – Gegenstand diskursiver Reflexion. Zwar erfolgt die Nachrichtenübermittlung an den Börsen durch einen Sender, der eine Information aus unterschiedlich möglichen auswählt, sie nach einem dem materiellen Träger entsprechenden Kode verschlüsselt und in einen zur Verfügung stehenden Nachrichtenkanal einspeist. Es bleibt aber immer noch den Fähigkeiten des Empfängers überlassen, die kodierten Zeichen zu entschlüsseln und sie dem vom Sender gewünschten Zweck zuzuführen – oder nicht. Beim Tippfehler geht es also darum, dass der Adressat über eine gewisse Technik der Spurenlese verfügt, um dementsprechend die Fehlinformation in eine gewinnbringende Information umzuwandeln. Entstehen aber Spuren nicht erst im Akt des Lesens? Wenn die Spur der Spurensicherung nicht als bereits faktisch Gegebenes vorausgeht, sondern erst im Spurenlesen selbst aktiv hervorgebracht werden muss, dann müssen die Diskurse, Medien und Technologien, die ja maßgeblich die Wahrnehmung der Spur strukturieren, in die wissenschaftliche Selbstreflexion involviert werden. In dieser Sichtweise würde die Spur immer auch auf das verweisen, was der Interpret in sie ›hineinliest‹ oder aus ihr ›herauszuholen‹ im Stande ist. Im Informationszeitalter setzt sich der Fehler aus einer reinen Syntax aus Befehlen, Daten und Adressen zusammen, der nur noch rechtzeitig erkannt werden muss, um ihn in bare Münze zu verwandeln. Der Tippfehler ist gleichsam der Check im System, und ohne Tippfehler ist keine Ordnung auf Dauer überlebensfähig. Allerdings wird der Tippfehler immer erst nachträglich bemerkt, aufgedeckt und analysiert. Die Störung, die der Tippfehler verursacht, etabliert also einen Beobachter, der erst in einer temporalisierten Verspätung die Geschehnisse beobachten kann. Die von den ›Experten‹ etablierten Fehlerkorrekturverfahren (Error Correction Code), dienen zwar dazu, Fehler bei der Speicherung und Übertragung von Daten zu erkennen und, wenn möglich, zu korrigieren; allerdings beschränken sich ihre Fehlererkennungsverfahren auf ›Muster‹ und ›Stereotypen‹ bekannter Fehleingaben. Die Fehlerkorrekturverfahren versuchen also ein fehlgeleitetes Verhalten durch Wiederholung wiederherzustellen, was auf eine gewisse Weise immer wieder daran scheitert, dass der Tippfehler die Erkennungssysteme mit dem Unerwarteten konfrontiert. Auf eine ganz andere Weise beschreibt die Medienberichterstattung das Verhältnis von Mensch und Maschine. Sie interpretiert den Menschen nur noch als ein Appendix der medial-technischen Dispositive. Medienberichte über das menschliche Versagen setzen erstens die Souveränität der Medien voraus und suggerieren damit einhergehend die Lust auf die endgültige Verabschiedung des Menschen aus der Welt der Finanzmarkttransaktionen. In jedem Fall stellen Tippfehler den vermeintlichen Sachverhalt eines reibungslos funktionierenden Mediums in Frage und rücken das im Gebrauch nicht mehr reflektierte Medium in das Zentrum der Aufmerksamkeit: die Tastatur. Die Tippfehler schaffen nicht nur günstige Gelegenheiten
192 | Das Wissen der Börse für Coups, Finten und Listen, sondern evozieren auch öffentliche Debatten, die Sicherheitsdiskurse anstoßen. Tippfehler entstehen an der Schnittstelle zwischen Hard- und Software und sind mediale Produkte. So erzeugt die Datenverarbeitung in elektronischen Handelssystemen neben den komfortablen Textbearbeitungsmöglichkeiten auch eine medial bedingte Flüchtigkeit der Daten. Bedienungsfehler, Programmfehler oder technische Probleme können zum Verlust sämtlicher Daten führen, eine Bedrohung, die bei den vorhergegangenen Textverarbeitungen der Orderbücher so nicht gegeben war. Wie könnte nun eine Diskursgeschichte des Tippfehlers angedacht werden, die ihn im Spannungsfeld zwischen Medientechnologien, Hardwarekomponenten und diskursiven Rahmungen verortet? Vor diesem Fragehorizont gehe ich von der These aus, dass der Tippfehler nicht nur die ökonomische Welt der Finanzmärkte erschüttert, sondern zu einer diskursiven Neubewertung der Mensch-Mensch-Schnittstelle führt. In dieser Sichtweise evozieren Störungen immer auch diskursive Effekte, die weit über die technischen Apparate hinausreichen und neue kulturelle Ordnungen etablieren. Die nachfolgenden Überlegungen widmen sich daher der Frage, wann der Tippfehler als rhetorische Figur in den öffentlichen Debatten auftaucht und wie auf sein Erscheinen in der Medienberichterstattung reagiert wird. Anfang der 1960er Jahre nahmen die Umsätze auf den internationalen Finanzmärkten massiv zu. Stürmisches Umsatzwachstum und eine ständig zunehmende Handelstätigkeit schufen Kapazitätsengpässe bei der Datenverarbeitung der Börseninformationen. Die Schreibmaschine als Schreibwerkzeug der institutionellen schriftgestützten Aufzeichnung geriet mit der exponentiellen Zunahme von Tippfehlern in eine veritable Krise. Während der Protagonist in Werner Bergengruens Roman »Die wunderbare Schreibmaschine« durch seine Tippfehler einen neuen Sinn erträumen durfte, grassierte in den Dokumentationsarchiven der Börse die Angst vor dem Tippfehler. Genauer gesagt: der menschliche Faktor wurde zum fehleranfälligen Risiko erklärt. Vor diesem Hintergrund erlebte die interface-Theorie einen massiven Aufschwung, da man sich von ihr in erster Linie eine Optimierung der Interaktion von Mensch und Maschine erwartete. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ die Interface-Theorie aber an einem anderem Schauplatz: nämlich der Maschine-Maschine-Kommunikation. So hat sich die paperwork crisis nachträglich als der entscheidende Motor für die epistemologische Verwandlung der Finanzmärkte herausgestellt. Galt die Schreibmaschine früher als Garant einer neuen Form der Konzentration auf geschriebene Sprache, die ein genormtes Schriftbild versprach, das frei vom Einfluss der individuellen Züge einer Handschrift sein sollte, wurde sie in der Zeit der paperwork crisis im Back Office der Aktienhändler mehr und mehr als bedrohliche Störquelle wahrgenommen. Der Grund für die Konjunktur des Tippfehlers wird in der Schnelligkeit der Übertragung, die sich sowohl auf die Planung als auch auf die weitere Verarbeitung auswirkt, gesehen. Die Texte auf den Finanzmärkten werden schneller produ-
III. Performativität der Börse | 193 ziert und rezipiert, sie werden eher überflogen denn konzentriert gelesen: die Schnelligkeit des Mitteilens rückt das Schreiben in die Nähe des Sagens. Dadurch enthält die sprachliche Form nicht nur Elemente des mündlichen Gesprächs, auch die Einstellung des Rezipienten zeigt ein Toleranzverhalten gegenüber Fehlern ähnlich wie im spontan gesprochenen Satz. Es war aber nicht die Schreibmaschine selbst, die in die Krise geraten war, sondern es war die menschliche Hand, welche die Schreibmaschine bediente, die mit der Zunahme der Börsengeschäfte kritisch beargwöhnt wurde. Die Diskurse über die effiziente Nachrichtenübermittlung der Börsenkurse interessierte es nicht mehr länger, über die Möglichkeiten des optimalen Funktionierens der Hand zu reflektieren. Denn die manuelle Kodierung der Finanzströme war insgesamt in die Krise geraten. Die Debatten über die Technologien der Finanzmärkte waren sich darüber einig, dass sich die Hand nicht mehr länger als Modell für die kybernetische Theorie der Finanzmärkte eignen könne. Die Automatisierung der Finanzmärkte fokussierte eine Börse als eine selbsttätige Maschine. In dieser Konzeption galt die Hand als Bestandteil menschlicher Selbstvergessenheit. Die Hand wurde zum ausführenden Organ menschlicher Fehlleistungen deklariert und es ging in der Folge darum, sie mehr oder weniger abzuschaffen. In der aufgeregten Diskussion um die Automatisierung des Börsengeschäftes erschien sie als Gefahrenpotenzial individueller Befindlichkeiten, die es aus der Aufzeichnungstätigkeit des Finanzmarktwissens zu verbannen galt. Anfang der 1960er Jahre stand die Börse also vor einem strategischen Scheideweg. Denn es ging darum, die manuelle Tätigkeit als Grenzwert menschlicher Fehleranfälligkeit im Prozess der Börsenkommunikation möglichst zu unterbinden. Die wachsenden Volumina und das forcierte Tempo des Börsenhandels führten zu enormen Fehlerquoten. Die unerwartete Umsatzsteigerung überlastete das ohnehin schon überforderte Back Office: Überstunden und Verspätungen im logistischen Betrieb der Finanz- und Börsenkommunikation waren an der Tagesordnung. (Abb. 55) In New York stellten als direkte oder indirekte Folge der paperwork crisis der Jahre 1968 bis 1970 etwa hundert NYSE-Mitglieder ihren Geschäftsbetrieb ein. Nach dem damaligen Stand der Kommunikations- und Bürotechnik war einerseits ein früherer Beginn des Handels nicht möglich, da sich die Kunden vorerst über den Handel des Vortages informieren und ihre neuen Dispositionen erwägen mussten. Anderseits war nach dem Handel sehr viel Zeit für die administrativen Nachfolgearbeiten erforderlich, die überwiegend manuell nach fi xen zeitlichen Ablaufplänen abgewickelt werden mussten. So führten intensive Börsenzeiten von zwei Stunden bereits zu langer Nachtarbeit im Back Office der Finanzhäuser. Die noch junge Computertechnologie wurde als Versprechen zur Bewältigung der Informationskrise im Back Office der Börsen gehandelt. Es begann die große Zeit der Badge-Verfahren (Lochkartenapplikationen) in den Back Offices der Broker und Banken. Mit der Einführung der Computertechnologie sollte der Mensch als subjektiver Faktor überwunden
194 | Das Wissen der Börse werden. In der neuen Kommunikationstheorie der Börse tauchte eine neue Diskursfigur auf: der Mensch als Bedienungsfehler. Der in Folge der paperwork crisis forcierte Automatisierungsschub im Börsengeschäfte versprach die Vermeidung menschlicher Eingabefehler. Mit der ständigen Weiterentwicklung der Informationssysteme in verschiedenen Teilbereichen der Börsenkommunikation sollten die Handlungsabläufe in einzelne Elemente zergliedert, dabei stark normiert und entsprechenden Kontrollroutinen unterworfen werden. Zeitgenössische Kritiker hat die starke Regulierung des Börsenhandelns veranlasst, die Händler als »machtlose Signalempfänger« zu bezeichnen und den Computer als Ausweitung der Technik zu verstehen. Gegen die These, der Mensch werde zum Servomechanismus der Technik, muss jedoch ein handlungstheoretischer Einwand in Betracht gezogen werden: zwar werden in technischen Handlungsräumen die Möglichkeiten zur Steuerung von Lebensprozessen und Handlungen in der Tat umfassender; dieser Umstand rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, die Menschen, die sich in solchen Konstellationen befinden, nur noch als Prothesen technisch normierter Machtanordnungen zu betrachten. Denn jede Machtanordnung, so verdichtet sie auch sein kann, reguliert lediglich die Möglichkeitsfelder von Handlungen und Lebensprozessen. Diese Optionsoffenheit von materiellen Machtanordnungen wird von der umgekehrten Prothesentheorie schlicht ignoriert.
Abbildung 55: Back Office, Bank of America, Kalifornien, 1975, Bank of America Die klassische und allgemeine Definition des Begriffs »Fehler« ist die der Abweichung von einem normierten Zustand. Entsteht aber der Tippfehler nicht erst aus den systemimmanenten Regeln der Software? Ist er nicht auch ein historisches Produkt bestimmter Hardwarekomponenten? Einerseits basiert er auf der Verfehlung bestimmter Instruktionen, Folgen und Prozeduren; andererseits produziert er aber auch Permutationen der vorgefundenen Elemente und Gefüge. Im populären Diskurs des Mistrading wird der Fehler stets im Kontext des Ausnahmephänomens verortet. Mit der Diskurs-
III. Performativität der Börse | 195 figur der Ausnahme wird damit einhergehend auch nahe gelegt, dass das reibungslose Funktionieren innerhalb bestehender Regeln die Norm ist. Die Verwicklung von menschlichen und technischen Störungen führt dazu, dass auch die Beobachter der Finanzmärkte in Beurteilungen und Bewertungen der Störphänomene und -verläufe involviert sind. Im alltäglichen und popularisierenden Umgang mit dem Unvorhergesehenen versuchen Beobachter der Medienberichterstattung, kausale Abläufe und Muster der technischen Betriebsstörung oder Ursachen und Wirkungen des menschlichen Fehlverhaltens zu erklären. Dieses Diskursfeld wird beherrscht von faktenorientierten Plausibilisierungsstrategien, in denen es darum geht, die Betrachtung des Einzelfalles (Kasuistik) mit der Zukunft des Erwartbaren als evident und überzeugend darzustellen: »Der Fehler wird die Muttergesellschaft Mizuho Financial Group voraussichtlich 27 Mrd. Yen (190 Mill. Euro) kosten. Der geschätzte Verlust beträgt vier Prozent des erwarteten Konzerngewinns. Mizuho Financial ist die zweitgrößte japanische Bank. Am Donnerstag um 9.27 Uhr ist bei Mizuho Securities eine Verkaufsorder für 610 000 Aktien zu einem Yen pro Aktie eingegeben worden. Tatsächlich habe das Wertpapierhaus aber eine Aktie zum Preis von 610 000 Yen für einen Kunden verkaufen wollen. Es wurden jedoch keine Transaktionen zu einem Yen je Aktie ausgeführt, weil an der Börse Tokio bei 15 Prozent Kursschwankung Begrenzungen greifen. Zwei Minuten später hatte Mizuho Securities den Eingabefehler festgestellt und entschloss sich dann, die Aktien wieder zu kaufen. Die J-Com-Aktie war am Donnerstag zu 610 000 Yen an die Börse gekommen. Wenige Minuten nach der irrtümlichen Order sackte der Kurs auf 572 000 Yen und stieg dann durch die Rückkäufe bis Börsenschluss auf 772 000 Yen. Mit einem Handelsvolumen von 421 Mrd. Yen war sie am Donnerstag die meistgehandelte Aktie an der Börse Tokio.« (Handelsblatt Tokio v. 9. 12. 2005) Solche Berichte über Börsenunfälle findet man in den Medienarchiven häufig genug. Oft wird der ungewöhnliche Vorfall als ein Zusammenfall von Störung und Metamorphose beschrieben. Dabei wird ein Ereignis angenommen, dass nur noch in seiner irreduziblen Nachträglichkeit rekonstruiert werden kann. Der Entstehungszusammenhang des Ereignisses wird mit Begriffen wie »Irrtum«, »Fehler«, »Unfall« oder »Defekt« umschrieben. Diese Techniken der Auslegung eines Ereignisses, das immer nur nachträglich gewusst werden kann, versuchen am Fallbeispiel des Störfalls die Prägnanz der eigenen Interpretation und Argumentation zu schärfen. Die »irrtümliche Order« hat im Handelsblatt Tokio eine bestimmte Kreativität, den sich neu formierenden Finanzmarkt zu beschreiben, erwirkt. Die ökonomischen Folgen des Tippfehlers wurden auf ein einzelnes Unternehmen verteilt. Dem Tippfehler wurde damit eine systematische und kausal eindeutige Stelle im System der Börsenkommunikation zugewiesen. So wurde er zu einer systembildenden Größe aufgebaut und damit auf eine gewisse Weise produktiv gemacht. Auch der Medienbeobachter nimmt zum Tippfehler eine bestimmte Stellung ein und versucht, dem Tippfehler eine produktive Wendung zu geben: er macht
196 | Das Wissen der Börse ihn operabel als ein Signal der zweiten Ordnung. Indem der Medienbeobachter versucht, das Fehlerhafte in einem anderen Kommunikationsvollzug aufzulösen, erhält das fehlerhafte Signal eine neue Kontextualisierung. Im Kommunikationssystem des Medienberichts spielt der Tippfehler also eine etwas andere Rolle als die einer bloßen Negation einer geglückten Transaktion. So besteht für den Medienbeobachter die Möglichkeit, den Tippfehler reversibel zu machen, d.h., die durch den Tippfehler ermöglichten Positionswechsel und Verkettungen vollständig zu durchblicken. Das, was für den Verursacher des Tippfehlers eine Störung ist, ist für den außenstehenden Beobachter etwas, das in einem kurzen Zeitraum genutzt werden muss. Was für den Trader der Mizuho Financial Group ein Tippfehler war, stellte sich für die anderen Trader, welche die günstige Gelegenheit erkannten, als Glücksfall heraus. In diesem Transaktionsmodell haben also Sender, Empfänger und Beobachter divergierende Interessen, denn für sie war es kein Fehler der Nachrichtenübertragung, sondern bereits die zu empfangende Nachricht. Für sie wurde die störende Intervention im Informationsfluss zur Gewinnchance.
III.4 FINANCE A RT In den Debatten um die Standortbestimmung der zeitgenössischen Kunst zeigt sich ein zunehmendes Interesse an den medialen Repräsentationen des Finanzmarktes. An der Schnittstelle von Kunst und Finanzwirtschaft ist ein neuer künstlerischer Wahrnehmungs- und Reflexionsraum entstanden, in dem sich künstlerisches Wissen mit den Technologien, Medien und Praktiken der Finanzmärkte überlagert. Im Jahr 2006 etablierte die transdisziplinäre Künstlergruppe Derivart mit ihrer in der Casa Encendida in Madrid kuratierten Ausstellung »Derivados, Nuevas visiones financieras«2 ein neues Label auf dem Kunstmarkt: die Finance Art. Ihre Ausstellung war sowohl künstlerische Programmatik als auch Branding-Strategie: sie erkundete die Möglichkeiten der zeitgenössischen Kunst an der Schnittstelle zwischen Kunst, Medientechniken und Praktiken des Finanzmarktes. Mit ihrer Wortneuschöpfung Finance Art verfolgte Derivart auch eine Vermarktungsstrategie in eigennütziger Absicht und inszenierte sich als Künstleravantgarde eines neuen Genres. Das in Barcelona befindliche Künstlerkollektiv Derivart – bestehend aus Daniel Beunza (Ökonom), Mar Canet (Game Designer) und Jesús Rodríguez (Bildhauer) – ist aber keinesfalls die erste Gruppierung, die sich mit den Medien und Praktiken der Finanzwirtschaft auseinandersetzt.3 Sie steht aber für die produktive Überlagerung von künstlerischem, wissenschaftlichem und technologischem Wissen, die eine kollektive Reorganisation von künstlerischen Projekten hervorgebracht hat. Damit positioniert sie sich an der Schnittstelle zwischen Finanztechnologien und künstlerischen Praxisfeldern und erkundet dabei die medienspezifischen Wissenstechniken des Finanzmarktes – von der Chartanalyse bis zur Daytrader-Software. Von In-
III. Performativität der Börse | 197 teresse ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Derivart die Metaebenen des Finanzmarktwissens fokussiert und die historischen Konstellationen und technologischen Medienumbrüche der Börsenspekulation zum Ausgangspunkt der eigenen künstlerischen Intervention defi niert: »In the past three decades, the capital markets have been a leading adopter of digital interactivity. With the creation of electronic markets such as the Nasdaq in 1971 and Bloomberg terminals in 1981, Wall Street had its own Intranet two decades before other industries. Nowadays, electronic markets have replaced the traditional face-to-face exchanges in almost all of Europe.« (www. derivart.info/index.php?s=derivados&lang=en, letzter Zugriff 1. Juni 2009) In diesem Sinne geht es nicht mehr darum, das künstlerische Wissen bruchlos an wissenschaftliche Darstellungskonventionen anzuschließen, sondern vielmehr um die Frage nach den Möglichkeiten, den Objektivitätsanspruch der Wissensproduktion auf den Finanzmärkten in Frage zu stellen und daraus hervorgehend eine künstlerische Repräsentationskritik zu entwickeln: »Hidden behind technical concepts like »Volatility«, »liquidity« or »market efficiency«, traders, brokers and analysts exercise an obscure, powerful influence over the man in the street. Contemporary art, however, has rarely explored the role played by the stock markets in today’s society. This oversight is surprising, for contemporary art encourages a critical contemplation of society and technology. Over the last decade, following the programmatic vision of Walter Benjamin, Marcel Duchamp and Andy Warhol, artists have explored new media with Net.art, climate change and the new world order created after September 11. Curiously, they have left out a central player in society and economy: the financial markets. The objective of this exhibition is to address this shortcoming with an artistic exploration and critical analysis of financial markets.« (www.derivart.info/index.php?s=derivados&lang=en, letzter Zugriff 1. Juni 2009) Ohne die Wissenschaft prinzipiell abzulehnen experimentieren die Projekte von Derivart mit den wissenschaftlichen Ordnungssystemen der Datenbanken, Statistiken, Diagramme und Taxonomien und suchen nach künstlerisch-experimentellen Verfahren, die auch subjektive Beobachtungen einschließen. Um welche Betrachtungs- und Erkenntnisweisen handelt es sich, die sich auf das Wissen und die Medien der Finanzmärkte beziehen? In welcher Hinsicht kann das von der Finance Art hervorgebrachte künstlerische Wissen als Intervention betrachtet werden? Welches Bezugsverhältnis unterhalten das künstlerische und das ökonomische Feld? Vor diesem Hintergrund hat sich eine Schnittstelle zwischen den Finanzwissenschaften, der Computertechnologie und Kunst herausgebildet, die neue Visualisierungs- und Analysetechniken der informationsverarbeitenden Systeme im Bereich der Finanzmarkttransaktionen fördert. In dem von Derivart vereinnahmten Kunstgenre der Finance Art4 zeichnen sich zwei gewichtige Tendenzen ab, die sich sowohl in thematischer als auch konzeptioneller Hinsicht unterscheiden lassen. Ein maßgeblicher
198 | Das Wissen der Börse Ansatz besteht darin, Strategien zu entwickeln, mit denen Künstlerinnen und Künstler in die Lage versetzt werden können, sich das Wissen der internationalen Finanzmärkte auf aktive Weise anzueignen.5 Deren kontextuelle Rahmungen verdeutlichen, dass Spekulanten und Künstler zwar in unterschiedlichen Feldern tätig sind, aber mit vergleichbaren Technologien, Verfahren und Methoden operieren. In dieser Blickweise auf die Wissenstechniken der Finanzwelt geht es konkret darum, sich mit der Herstellung von Visualisierungs- und Präsentationstechniken, Börseninformationen, Chartanalysen und Computertechnologien zu beschäftigen und einen Wissenstransfer zwischen den schönen Künsten und den Wissenschaften (Statistik, Mathematik, Logik) zu ermöglichen. Im Prozess der künstlerischen Reflexion werden diese Wissenstechniken der Finanzmärkte in ihrer Plausibilität und ihrem scheinbar technisch-neutralen Funktionieren allerdings auch in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang gilt es daher zu fragen: welches Wissen wird von Künstlerinnen und Künstlern entwickelt und welchen Einfluss hat dieses auf die Wissensmedien der Finanzmärkte? Mit ihren Methoden der De- und Rekontextualisierung machen sie die Antagonismen und Machtansprüche des Finanzmarktwissens sicht- und sagbar. Damit machen sie deutlich, dass das spezifische Wissen der Künste weiter gefasst ist, Fragen nach dem Nicht-Wissens aufwirft und aktiv nach den blinden Flecken, den Unschärfen und den Verwerfungen sucht. Im Zentrum dieser künstlerischen Praxis stehen also immer auch Metareflexionen, die schließlich über einen Ausstellungswert verfügen und als Kunstobjekte identifiziert werden können. Richtungsweisend sind auch Kunstprojekte, die sich mit der Performativität der Finanzmärkte auseinandersetzen. Sie verstehen die Finanzökonomie in erster Linie als Resultat »performativer Prozesse« (Holmes 2007) und zeigen, dass auch finanzwirtschaftliches Wissen sozial konstruiert ist. Dazu gehört, dass Akteure die ökonomischen Praktiken in der Finanzwelt anleiten und auf eine spezifische Weise konstituieren. Diese Sichtweise ermöglicht einen anderen Blick auf die Funktionsweisen des Marktgeschehens: die Märkte werden weniger durch ihre Effektivität und Effizienz zusammen gehalten, sondern vielmehr durch soziale Akteure, die mittels ihrer Sozialisations- und Lernprozesse die Finanzpraktiken »performen«. In dieser Hinsicht erscheint ökonomische Rationalität als etwas, das die Akteure wie Schauspieler in ihrem Rollenspiel performativ erzeugen. Rationale Handlungsstrategien sind folglich immer auch sozial konstruierte Fiktionen und Narrationen, die auf bestimmte kulturelle Vorleistungen verweisen (Preda 2007: 33-40). Entscheidend in diesem Kontext ist die Erkenntnis, dass der performative Ansatz nicht nur das reflexive Wissen auf der Seite der künstlerischen Performer demonstriert, sondern dass es ihm vor allem darum geht, »wie es auf Seiten des Publikums verändert werden kann« (Baxandall 1984: 57). In der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit gilt der Finanzmarkt immer noch als Lehrstück skrupelloser und machtbesessener Besitzgier, in welchem Personifi kationen des negativen Egoismus wie etwa Michael Dou-
III. Performativität der Börse | 199 glas im Film Wall Street (1987) oder David Wenham in The Bank (2001) die Hauptrolle spielen. Diese Sichtweise tradiert ein weitgehend nostalgisches Bild der Börse und des Finanzmarktes und steht im krassen Widerspruch mit der konstitutiven Rolle der Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Teilaspekten des Börsenhandels und des Finanzmarktwissens. (Sabourin 2007: 588-616) Die Finanzmärkte der Gegenwart haben seit langem die Schwelle des digitalen Zeitalters überschritten. Die wachsende Bedeutung und Verbreitung elektronischer Märkte im Business-toBusiness-Bereich ist das Resultat der raschen Verbreitung des Internets in den vergangenen Jahren. Mit dem Einzug der Computertechnologie in alle Teilaspekte des Börsenhandels hat sich eine rein technische Beobachtung des Finanzmarktes etabliert. Die Globalisierung der Finanzströme und der Datenkommunikation hat dazu geführt, dass die visuelle Abbildung als äußerer Sehvorgang zurück getreten ist und an ihre Stelle eine universelle Datenverarbeitung der Finanzströme rückte, die heute weitgehend ein »Sehen ohne Blick« (Virilio 1987: 33) durchgesetzt hat. Die Zusammenführung avancierter Medientechnologien prägt nicht nur die unterschiedlichen Bereiche des Finanzmarktwissens, sondern gleichermaßen die Umstände der Hervorbringung der künstlerischen Praxis. Im Zusammentreffen von Finanzwissenschaften, Technologie und Kunst zeigt sich, dass das künstlerische Wissen nicht die Rolle einer ästhetischen Aufwertung spielt, sondern gegenüber anderen Wissensformaten eine gleichberechtigte Position einnimmt. Ohne die Unterschiedlichkeit beider Wissenskulturen vollständig negieren zu wollen, geht es vielmehr darum, die aus den Feldern der Kunst, der Medientechnik und der Finanzwissenschaft hervorgehenden epistemischen Übergänge zu akzentuieren. Diese transdisziplinäre Kombinatorik hat maßgebliche Konsequenzen in der epistemischen Seh- und Wahrnehmungskultur der Finanzmärkte, die sich nicht mehr vom Zusammenschluss diskursiver, medialer und ästhetischer Technologien trennen lassen. Es wird bei dieser Betrachtung deutlich, dass die Finanzmärkte der Gegenwart von den Übergängen und Überlagerungen zwischen den bildkulturell-symbolischen Denkfiguren und den technisch-medialen Innovationsprozessen geprägt sind. Die künstlerischen Praktiken übernehmen in diesem Sinne wichtige Funktionen für die Performativität der kulturellen Codes auf den Finanzmärkten. Die Serie Stockspace (2008/09) des norwegischen Künstlers Marius Watz knüpft an die Anonymisierung des Sehens an und übersetzt die komplexen Datenströme der Aktienpreise in geometrische Formen. (Abb. 56, 57) Seine rechnergestützten Visualisierungen stellen Börsendaten als virtuelle Landschaften dar und können als ästhetische Analysen von spezifischen Formen, die in den Finanzstatistiken latent vorhanden sind, gedeutet werden. Die von ihm selbst entwickelte generative Software transferiert die Preis- und Zeitelemente von Finanzmarkttransaktionen in abstrahierte Formationen, die gleichermaßen ungreif bar sind wie die Aktien selber. Seine Datenbilder können nicht gewinnbringend verwertet werden. Ihr Mehrwert erschließt
200 | Das Wissen der Börse sich bloß ästhetisch und firmiert in erster Linie als Kunstprodukt des Abstraktionsparadigmas. Stockspace problematisiert damit die scheinbar Objektivität und Evidenz transportierenden Bilder der Finanzmärkte und hinterfragt den epistemischen Anspruch der medientechnisch hergestellten Bilder der Geldströme (Kurve, Index, Diagramm). In diesem Sinn positioniert sich die Arbeit von Marius Watz als wissenschaftskritische Intervention, er setzt seine Arbeit in einen dissonanten Bezug zur Evidenzrhetorik der Visualisierungspraktiken im Finanzmarktwissen.
Abbildung 56: Marius Watz, Stockspace (2008/09), Copyright: Marius Watz Abbildung 57: Marius Watz, Stockspace (2008/09), Copyright: Marius Watz Die scheinbar eindeutigen Funktionszusammenhänge der fi nanztechnischen Visualisierungen übersetzt Stockspace in abstrakte und vieldeutige Zusammenhänge. Dieser Prozess der Datenvisualisierung kann durch die Bedienung der User/-innen laufend verändert werden. Damit entsteht eine flexible Anordnung der Datenbilder. Die User/-innen können interaktiv in die Transformationsprozesse der Darstellungsmedien eingreifen und auf die Datendarstellung Einfluss nehmen. Finanzmarktdaten verlieren ihre Schicksalsmacht, sie sind keine Entität mehr, sondern markieren einen temporären Zustand, der von außen permanent verändert werden kann. Eine verwandte Ästhetisierungsstrategie verfolgt die Performance Tickerman (2006) von Derivart. Ein Künstler malt mit Pinseln und Farbtöpfen ein Gemälde, das von den Gewinnquoten ausgewählter Firmen erzeugt wird. Die Finanzdaten werden von einem Toningenieur in akustische Töne transkodiert, die im Gemälde erneut greif bar werden. Bildobjekt und Musik parodieren aber nicht nur die Logik der Visualisierung von Finanzdaten, sondern gleichermaßen die Produktionslogik wertvoller Kunstwerke. Die Grundannahme, dass kulturelle Praktiken immer vieldeutig und veränderlich sind und ihre theoretische Reflexion immer auch ein aktiver Konstruktionsprozess ist, nimmt Tickerman als Ausgangspunkt für die Thematisierung des Finanzmarktes als kulturelle Praxis, die immer wieder aufs Neue transformiert werden kann. An diesem Punkt grenzt sich das künstlerische Wissen radi-
III. Performativität der Börse | 201 kal vom Ideal der autonomen und neutralen Wissenschaft ab und versucht, sich als ein politisch-strategisches Projekt zu verstehen. Ein ähnliches Projekt verfolgt Meta-Markets (2008) von Burak Arikan, Engin Erdogan und Cenk Dolek, die einen virtuellen Aktienmarkt für soziale Web-Inhalte entwickeln. (Abb. 58) Auf der Plattform von meta-markets. com handeln Userinnen und User mit dem von ihnen generierten Webcontent auf dem Markt der elektronischen Marktplätze:
Abbildung 58: Burak Arikan, Engin Erdogan, Cenk Dolek, Meta-Markets (2008), Copyright: Burak Arikan et al. »In Meta-Markets people trade shares of their social web assets from online bookmarking, social networking, photo and video sharing services. The initial version of Meta-Markets contains four stock exchange markets: Facebook, Flickr, Feedburner, and Del.icio.us. Meta-Markets puts a premium on user labor, people’s immaterial labor of creating content and meta-content as users in social web services. Assuming the roles of investors, brokers, buyers and sellers in Meta-Markets, people continuously speculate on the value of user labor through transactions and discussions. While service providers may understand, formulate, and leverage user labor to determine business plans and solicit advertisers, the value of each user’s contribution often remains opaque to the users of the respective services. As a result, users never get rewarded for what they create, what is supposed to sustain the service, because they are not aware of the value they generate. Meta-Markets addresses this lack of awareness with an economy of user labor and keeps the stream of this consciousness alive through community participation.« (http://metamarkets.com/about, letzter Zugriff 1. Juni 2009)
202 | Das Wissen der Börse In diesem Sinne wird das Internet als ein kollektiver Aufmerksamkeitsapparat verstanden, der das selektiert, was »bedeutend«, »neu«, »faszinierend« oder von der Normalität abweichend ist und damit dafür sorgt, dass Ereignisse oder Informationen, die zur ›Tauschwährung‹ der Aufmerksamkeit zählen, am Verdrängungswettbewerb von Aufmerksamkeiten teilnehmen und weitere Aufmerksamkeit akkumulieren. Soziale Software-Technologien fungieren also in erster Linie als Tauschbörsen von rivalisierenden Aufmerksamkeiten. Die Ökonomisierung kultureller Kommunikationsprozesse macht aus der Aufmerksamkeit eine verhandelbare ›Tauschwährung‹ in sozialen Beziehungen. In Verhandlungsspielen geht es darum, Popularisierungsstrategien und PR-Taktiken zu entwickeln, die beim Austausch und der Akkumulation von Aufmerksamkeit dienlich sein können. Aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit entsteht eine medienspezifische Ökonomie sozialer Aufmerksamkeit, in der es zu massiven Akkumulationen der Aufmerksamkeit als Ressource und als Tauschobjekt kommt. Die unterschiedlichen Bewertungssysteme der Online-Gemeinschaften, -strukturen und -prozesse sorgen für Mechanismen, die Vertrauen aufbauen und Transaktionsrisiken senken sollen. Im Zusammenhang mit der informationellen Ökonomisierung der Gesellschaft spricht Gianni Vattimo zwar von einer »prekären alltäglichen Erfahrung, die den Charakter der Oszillation, der Unheimlichkeit und des Spiels annimmt« (1992: 12f), sieht jedoch im Aufkommen der elektronischen Massenkommunikationsmittel auch Chancen für die Emanzipation in der spätmodernen Gesellschaft. Denn die kybernetischen Feedback-Techniken und das damit in den Selbst- und Fremdwahrnehmungen vervielfachte Beobachtungswissen ermöglicht neue kommunikative Praktiken, die an Interdependenzen gekoppelt sind. Damit können soziale Prozesse nicht mehr linear reguliert und auf einheitliche Kategorien und kausalistische Lösungsmodelle reduziert werden. Auch Meta-Markets sieht in der immateriellen Arbeit der User/-innen im Netz eine prekäre Alltagserfahrung. Immaterielle Arbeit ist weniger sichtbar und daher schwieriger zu beobachten. Ziel des Projekts ist es aber nicht, die immaterielle Arbeit per se abzuschaffen respektive anzuklagen, sondern in erster Linie ihre Funktionsweisen und Ausmaße sichtbar zu machen: »Meta-Markets addresses the exploitation of users’ immaterial labor on the Internet, which is practically invisible, inherent in the everyday activities, and embedded in the social relationships. Recently, user labor has become particularly relevant on the Internet since user participation became a marketable product for »web 2.0« services. However, users are neither aware of the value they create nor rewarded for their work. Meta-Markets is a critique of this trend, involving more than a statement of purpose. It invites people to participate in the critique. Our approach involves a stock market model because users are complex individuals moving through an equally complex, technologically mediated consumer landscape.« (http://meta-markets.com/ about, letzter Zugriff 1. Juni 2009) Der entscheidende Punkt des Kunstprojekts Meta-Markets ist, dass es Social Web Content dem Angebotscharakter auf dem Aktienmarkt gleichsetzt.
III. Performativität der Börse | 203 Auch hier geht es darum, das Konzept des freien Marktes zu verflüssigen und die Idee wettbewerblicher Beziehungen auf soziale Phänomene auszudehnen. Damit wird zwar die Ökonomisierung der sozialen Beziehungen in den Neuen Medien thematisiert; andererseits bleibt mit dieser Aktion die Rolle der künstlerischen Intervention auf die Übertreibung marktförmiger Beziehungen beschränkt. Die Frage bleibt weiterhin, ob das Übertriebene durch die Übertreibung zum Verschwinden gebracht werden kann (vgl. Düttmann 2004: 10). Oder erzeugt Meta-Markets mit seinen Übertreibungen nicht auch eine neue Anziehungskraft, die ein aufdeckendes und erschließendes Potenzial eröff net? Meta-Markets versucht, die verschiedenen Medienformate des Finanzmarktwissens gegeneinander zu verschieben. Das Kunstprojekt legt es auf Wahrnehmungsprozesse an, die sich auf mehreren Ebenen überlagern und verstärken. Durch die künstlerische Transformation der finanzwissenschaftlichen Darstellungsmedien (Bild, Schrift, Zahl, Formel) werden ihre institutionellen, referentiellen Produktions- und Rezeptionskontexte sichtund sagbar gemacht. Damit einhergehend wird aufgezeigt, dass die Wissensformen der Finanzwirtschaft keine statische Formation bilden, sondern flexibel und veränderlich sind: sie bieten einen Projektionsraum für eine kulturelle Bedeutungsproduktion. Die künstlerische Flexibilisierung der Bilder des Finanzmarktes zeigt, dass dieser aus einem dichten Netzwerk aus Beobachtungswissen, Aufzeichnungspraktiken, Visualisierungstechniken und digitalen Kommunikationstechnologien besteht und somit in ein vielschichtiges kulturelles System eingebunden ist. Mit dem von Derivart konzipierten Spreadplayer (2008) können Benutzer Daten von Aktienpreisen in Echtzeit anhören, indem sie die Logos der börsennotierten Unternehmen mit Hilfe einer Maus auf ein Radar-Interface ziehen (vgl. Beunza/Muniesa 2005: 628-633). Mit seiner partizipatorischen Wahrnehmungsverstärkung verschließt sich der Spreadplayer gegenüber einer finanzkritischen Reflexion und beschränkt sich auf die technologische Sensibilisierung der finanziellen Visualisierung. (Abb. 59) Damit positioniert sich das Kunstprodukt in erster Linie als ein marktkonformes Tool der Creative Industries. In dieser Blickweise kann sich der Börsenhandel weiterhin als eine autonome Marktsphäre in Szene setzen, die ihren sozialen und kulturellen Bedingungen entwunden ist. In diese Richtung argumentiert auch Daniel Beunza, Mitglied bei Derivart. Er versteht die künstlerische Bestätigung, Aktualisierung oder Veränderung fi nanzieller Datenflüsse (connectivity, equations, computing) als innovative Neuinterpretation des spekulativen Handelns: »Just as Bruno Latour defined a laboratory as a place that gathers one or several instruments together, trading rooms can be understood as places that gather diverse market instruments together. Seen in this light, the move from traditional to modern finance can be considered as an enlargement in the number of instruments in the room, from one to several.« (Beunza/Stark 2004: 92)
204 | Das Wissen der Börse
Abbildung 59: Derivart, Spreadplayer (2008), Copyright: Derivart Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, den uneingeschränkten Enthusiasmus, der mit den künstlerischen Reinszenierungen und Resignifizierungen eng verknüpft ist, etwas zurückhaltender zu betrachten. Müsste aber nicht vielmehr die Finanzwirtschaft als ein kulturelles Feld verstanden werden, das mit bestimmten Repräsentationsordnungen und sozialen Normierungen verflochten ist? Eine weitere zentrale Visualisierungsformel der internationalen Finanzkommunikation untersuchen die Künstler Lise Autogena und Joshua Portway. 2001 stellten sie das Black Shoals Stock Market Planetarium in der Tate Modern Gallery in London aus. Die Installation simuliert ein Planetarium. Die Helligkeit der künstlichen Sterne variiert und signalisiert die Wertpapierschwankungen börsennotierter Unternehmen. (Abb. 60) Mit dem Titel »Black Shoals« verweisen Autogena und Portway auf die in der Finanzwelt allgemein bekannte »Black-Scholes-Formel« zur mathematischen Kalkülisierung von Derivaten. Gemeinsam mit Fischer Black veröffentlichte Myron Scholes in den 1970er Jahren das theoretische Fundament zur Bewertung von Finanzoptionen, das mittlerweile als ein Meilenstein der modernen Finanzwirtschaft gilt und auf der präferenzfreien Bewertung derivater Finanztitel beruht. Ihre Kalkülisierung der Derivate verhalf nicht nur der modernen Finanzmathematik zu einem rasanten Aufstieg im Finanzgeschäft, sondern machte die Derivatanalyse für Computersprachen geeignet. Mit ihrem Rechenmodell wurde es möglich, den Preis einer Option anhand eines mathematischen Modells exakt zu berechnen. Nachdem anfangs vergleichsweise einfache Marktrisiken wie Aktienprodukte gehandelt wurden, kamen später auch Derivate auf Zinsen, Kreditausfälle, Rohstoffe und Lebensmittel hinzu. Mit ihrer Arbeit stellen Autogena und Portway die exakte Prognosemethode der »Black-Scholes-Formel« und damit auch die Grundlage der Derivatindustrie zur Berechnung und Absicherung von Risiken radikal in Frage und verschieben sie in die entrückte Ferne astronomischer Spekulation.
III. Performativität der Börse | 205
Abbildung 60: Lise Autogena, Joshua Portway, Black Shoals Stock Market Planetarium (2001), Copyright: Lise Autogena, Joshua Portway
Mit der Verbreitung der Derivate hat sich das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft an den Finanzmärkten maßgeblich verändert. Bekanntlich beschäftigen sich die Finanzmärkte nicht mit der Produktion von Gütern und auch nicht mit Verteilungsfragen der Güter auf mögliche Konsumenten, sondern mit dem Handel von Währungen und anderen Finanzinstrumenten, die nicht für den Konsum, sondern für die Spekulation bestimmt sind. Die Spezifizität der Finanzmärkte liegt vor allem in der Herausbildung von spezifischen Händlerkulturen, die Zeit, Geld, Erwartungen, Risiken oder Schulden handeln. Die Besonderheit dieser cambistischen Märkte liegt darin, dass sie den Handel als eine eigenständige Aktivität ins Zentrum stellen: »Diese Eigenschaft von Händlermärkten entspringt einer bestimmten historischen Entwicklung – der Entstehung eines internationalen Kreditsystems, das vom globalen System der Produktion (und der Rolle des Geldes als Zirkulationsmittels) entkoppelt und von ihm entsynchronisiert ist.« (KnorrCetina/Brügger 2005: 147) Die Beschleunigung der Zeitdimension in den Finanzmärkten verändert Modalitäten, wie die beteiligten Akteure sich und andere Marktteilnehmer beobachten, wie Erwartungen aufgebaut, geändert und revidiert werden. Dementsprechend kann die technische Beschleunigung selbst als ein Effekt kultureller und sozialer Prozesse geltend gemacht werden. Folglich bedeutet der Umstand, dass Medientechnologien Subjektivitätsformen beeinflussen, nicht auch zwingend, dass sie damit auch schon determinieren. Daher muss davon ausgegangen werden, dass sie sich wechselseitig bedingen und voraussetzen. Charakteristisch für die derivativen Finanzprodukte ist die Tatsache, dass es sich dabei um Verträge handelt, die den Austausch von in der Zukunft liegender Lieferungen und Zahlungen vereinbaren (z.B. im Rahmen von Terminkäufen und -verkäufen), deren Zeitpunkt und Geldumfang zum
206 | Das Wissen der Börse Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch unbestimmt sind. Somit verschiebt sich der Gegenstand möglicher Regulation: es geht nicht mehr um die Überwachung der Transaktions- und Kontrollkosten realer Geldströme, sondern um die Kalkulation systemischer Risiken: anstelle der Kapitalnachfrage nach Kredit rückt das Risikomanagement, das zum Charakteristikum kreditwirtschaftlicher Werteermittlungen aufsteigt. Derivate sind fi ktive Konstruktionen, die auf noch nicht existierenden Werten auf bauen. Im Derivatehandel hat sich eine Ökonomie der Zeichen formiert, deren grundsätzliches Kennzeichen das Fehlen referentieller Bedeutung ist. Die Zeichen, die hier zirkulieren, sind nicht Zeichen von etwas, sondern Zeichen eines konstitutiven Mangels. Derivatkonstruktionen sind referenzlose Zeichen, die auf Erwartungen und Versprechungen auf bauen. Sie denotieren nichts mehr auf eindeutige Weise und erzeugen daher eine Virtualisierung, aber kein Zeichenobjekt. Sie sind jeglicher Substanz, jeglicher Materie und jeglichem Subjekt gegenüber indifferent und bilden einen abstrakten Strom, der sich zu jeder beliebigen Figur formen lassen kann. Das Banken- und das Börsensystem bewirkt Modulationen dieses nicht-figurativen Stromes und verwandelt die abstrakten Erwartungen und Simulationen der derivativen Konstruktionen in Zahlungsgeld. Auch wenn die Derivate nur abgewandelte Konstruktionen sind, haben sie dennoch die Macht, ökonomische Verhältnisse neu zu ordnen. Genau an diesem Punkt nehmen zahlreiche künstlerische Projekte ihren Ausgang, die sich an der Schnittstelle zwischen den digitalen Kommunikationsmedien und der Finanzwirtschaft ansiedeln. Denn sie versuchen, die Grenzen der erkenntnisorientierten Bildkonstruktion, die den Finanzmarktpraktiken zu Grunde liegt, zu verwischen. Sie zeigen auf, dass die einzige Referenz in den digitalen Bildgebungsverfahren bloß Daten sind. Für einen errechneten Datensatz können beliebig viele Datenbilder produziert werden. Es gibt kein Referenzobjekt mehr, das dem digitalen Datenbild entsprechen müsse. Damit überlagert sich die Logik der Derivate mit der künstlerischen Transformation des Finanzmarktwissens. Seine Flexibilisierung verdeutlicht, dass die visuellen Repräsentationen der Geldströme referenzlose Zeichen sind, die eine Virtualisierung der Finanzwirtschaft produzieren. Auff ällig am Prozess der Interaktion von Finance Art und Day Trading ist der Umstand, dass die in diesem Umfeld entstandenen künstlerischen Arbeiten (z.B. Black Shoals, Tickerman, Spreadplayer) beinahe ausschließlich aus der Beschäftigung mit den gegenwärtigen Medientechniken hervorgehen. Das künstlerische Wissen beschränkt sich also keineswegs auf eine ästhetisch motivierte Intervention, sondern artikuliert epistemische Sachverständigkeit im Bereich des wissenschaftlichen Wissens. So erweitert etwa ein Kunstobjekt wie der Spreadplayer den Erfahrungsraum der Spekulation und generiert damit auch neue Wissensinhalte, die zwar im Kunstwerk zu suchen sind, aber gleichermaßen darüber hinaus auf eine neue Wissensorganisation der Finanzmärkte verweist. Der Spreadplayer und die mit ihm verbundenen künstlerischen Akte, Wissens- und Mediendiskurse kommu-
III. Performativität der Börse | 207 nizieren einen Schauplatz des Wissens, in dem sich künstlerische, medientechnologische und ökonomische Diskurse wechselseitig transformieren. Damit wird deutlich gemacht, dass sich die Kunst gegenüber der Wissenschaft nicht passiv-rezeptiv verhält und auf ihre ästhetisierende Rolle festgelegt sein muss. Im Gegenteil: die künstlerische Praxis liefert epistemische Visualisierungsangebote für die Wissenschaften. Auf der Suche nach sozialer Anerkennung setzt sie sich als innovative Diskursmacht in Szene und beansprucht eine Gleichsetzung von künstlerischer Tätigkeit und wissenschaftlicher Forschungsarbeit. Im Zentrum des performativen Ansatzes der Finance Art stehen weniger die Artefakte und Monumente der Finanzwirtschaft, sondern die dynamischen Prozesse kultureller Handlungen. Vor dem Hintergrund der poststrukturalistischen Debatten ist es wichtig, zunächst auf die Differenzierung zwischen Performanz und Performativität einzugehen. Der erste Unterschied betrifft die unterschiedliche Subjektkonzeption: während die Sprechakttheorie Performanz vom Vollzug einer Handlung durch ein handelndes Subjekt voraussetzt (Austin 1975), distanziert sich der Begriff Performativität von der Vorstellung eines autonomen, intentional agierenden Subjekts. Mit performativen Äußerungen werden Handlungen vollzogen, Tatsachen geschaffen und Identitäten gesetzt. In diesem Zusammenhang verweist Judith Butler in ihrem Konzept der Performativität darauf, dass Performativität immer auch einem normierenden Zwang zur Wiederholung und Zitation unterliegt. Damit ist eine zweite maßgebliche Unterscheidung zwischen Performanz und Performativität benannt: Performanz konnotiert die Einmaligkeit, Ereignishaftigkeit und Flüchtigkeit des Handelns, der Begriff der Performativität fokussiert hingegen die Einbettungen des Handelns in den Normalisierungs- und Ausgrenzungsstrategien. Allerdings lässt sich durch diese Begriffsdifferenzierung keine Opposition beider Konzepte ableiten, da Performativität und Performanz notwendige Berührungspunkte aufweisen: »[W]as darstellerisch realisiert wird, wirkt sich dahingehend aus, dasjenige zu verschleiern, wenn nicht gar zu leugnen, was opak, unbewusst, nicht ausführbar bleibt. Die Verkürzung auf darstellerische Realisierung wäre ein Fehler.« (Butler 1995: 309) Diese Sichtweise hat sich mehr oder weniger in der heutigen Performativitätsdebatte durchgesetzt. Die gegenwärtigen Performativitätskonzepte verkürzen Performativität nicht auf bestimmte theatrale Aufführungspraktiken und versuchen, eine performative Untersuchungsperspektive zu entwickeln, die von einer engen Verbindung medialer Technologien und performativer Praktiken ausgeht. Ob ein Börsenbericht, eine Chartanalyse oder eine Aktionärsversammlung als Performanz des Ereignishaften oder normierende Performativität wahrgenommen wird, hängt aber weiterhin von der Interpretation der daran beteiligten Beobachter ab. Denn auch die Rezeption findet in einem zeitlichen Prozess statt: das performative Handeln wird im Verlauf der unentwegten Wiederholung in der Lektüre stets aufs Neue hergestellt – sowohl in der Alltags- als auch in der Theaterinszenierung. Ein gemeinsamer Nenner der performativen Finance Art ist die Annahme, dass Finanzmärkte ein diskursives Netz von Signifika-
208 | Das Wissen der Börse tionspraktiken bilden und demzufolge als kulturelle Technologien verstanden werden können. Das Potential der künstlerischen Performance liegt in diesem Zusammenhang darin, auf die medial inszenierten Narrative, Metaphern und Bilder der Finanzwirtschaft aufmerksam zu machen, die nicht nur auf Machtund Herrschaftsverhältnisse stabilisierend einwirken sollen, sondern auch ökonomische Entscheidungen plausibilisieren und damit zu den elementaren Funktionen des Finanzmarktgeschehens zählen. Die im April 2008 an der Berliner Theaterbühne Hebbel am Ufer uraufgeführte »Zornbörse-Performance« versuchte, diese abstrakten Vorgänge der Börsenspekulation in einer inszenierten Präsenzbörse sowohl körperlich als auch kollektiv erfahrbar zu machen. Mit dem Kauf einer Eintrittskarte wurde jeder Besucher Teil des ökonomischen Systems der Utopia Stock Exchange und konnte sich entweder als passiver Beobachter oder aktiver Trader beteiligen. (Abb. 61) Auf der Börsenbühne konnten individuelle oder kollektive Utopien aus allen Bereichen des Alltags und der Gesellschaft zur Risikobeteiligung angeboten werden. Das Kunstprojekt Utopia Stock Exchange zeigt, dass die Geschäftsräume auf den Aktien- und Derivathandelsplätzen immer auch zugleich theatralische Wahrnehmungsräume sind, in denen mikrosoziale Kämpfe um Handlungskompetenzen, Erfolg und Anerkennung in Szene gesetzt werden: »Die Utopia Stock Exchange ist eine gegenseitige Beobachtung von Börse und Theater. Die Börse und das Theater sind »worlds apart«. Beide operieren in abgeschlossenen Räumen mit eigener Logik. Beide haben eine beobachtende und regulierende Funktion für den Markt bzw. in der Gesellschaft. An der Börse und im Theater werden keine Produkte gehandelt, sondern Möglichkeiten und Vorstellungen, das Kerngeschäft beider ist die emotional aufgeladene Beobachtung und Produktion von Werten durch Spekulationen. Die Börse ist moralfrei, ohne Gedächtnis und lässt sich nicht kontrollieren. Das Theater ist eine moralische Erinnerungsmaschine mit durch Subventionen kontrolliertem Bildungsauftrag. Der wichtigste Gebrauchsgegenstand an der Börse wie im Theater ist die Information, die in beiden Systemen nicht von der Behauptung unterschieden werden kann.« (http://utopiastock exchange.com, letzter Zugriff 1. Juni 2009) Utopia Stock Exchange transferiert das Konzept der Performativität auf die Thematisierung der Finanzwirtschaft und zeigt, wie auf Finanzmärkten handelsrelevante Informationen mit Hilfe kalkulatorischer Technologien (Software, Computer, Displays) und finanzwissenschaftlicher Instrumente (Theoreme, Formeln, Visualisierungstechniken) medial repräsentiert und kommuniziert werden: »Die performative Durchführung der Kalkulation, die nur mithilfe von konkreten Routinen, Techniken und Konzepten erfolgen kann, bringt also erst die finanzwissenschaftlichen Werte und Sachverhalte in die Welt.« (Beckert/Diaz-Bone/Ganssmann 2008: 37) Künstlerische Versuchsanordnungen der Finanzökonomie erfordern – sowohl in analytischer als auch in performativer Hinsicht – eine profunde Kenntnis der zeitgemäßen Finanzinstrumente. In diesem Sinne müssen sich die beteiligten
III. Performativität der Börse | 209 Künstlerinnen und Künstler immer auch auf die Medien und Praktiken des Finanzmarktes einlassen; sie müssen die Performativität des Mediums mitdenken und agieren daher immer auch als Grenzgänger zwischen Kunst, Technologie und Finanzökonomie.
Abbildung 61: Carolin Hochleichter, Jutta Wangemann, Utopia Stock Exchange (2008), Copyright: Palast der Projekte Diese Perspektivierung der Finanzpraktiken nimmt auch die Berliner Künstlergruppe Rimini Protokoll auf, indem sie die Hauptversammlung der Daimler Aktiengesellschaft in Berlin zum Schauplatz einer ungewöhnlichen Inszenierung deklariert. (Abb. 62) Die Regie führte die Abteilung Investors Relations des Stuttgarter Konzerns. Rimini Protokoll kaufte Daimler-Aktien und verschaff te damit rund 200 Zuschauern Zutritt zum Konferenz-Zentrum, in dem die darstellenden Akteure tagten: »Am 8. April 2009 laden Rimini Protokoll zu einer der aufwändigsten Inszenierungen der Spielzeit: Zur Hauptversammlung der Daimler AG im ICC Berlin. Die eigentliche Regie führen diesmal nicht Rimini Protokoll sondern die Abteilung Investors Relations der Stuttgarter Aktiengesellschaft. Vor ca. 8000 Aktionären wird eine riesige, blaue Leinwand aufgebaut, davor, leicht erhöht sitzt der eine Teil des Ensemble: 6 Vorstandsmitglieder und 20 Aufsichtsräte. Hinter der Leinwand arbeiten dutzende von Bühnenarbeitern als Back-Office-Souffleure, um für jede Frage an die Darsteller eine Antwort einflüstern zu können. Der andere Ensembleteil besteht aus den Teilhabern des Konzerns: stolzen Aktionären, dividende-hungrigen Aktionären, räuberischen Aktionären, touristischen Aktionären, kritischen Aktionären […]. Die Presse spielt mit und auch die Mitarbeiter des Aktionärsservice. Das Stück beginnt morgens um 9h und endet erst am späten Abend mit der Entlastung des Vorstandes. ›Wir schaffen Wert‹ schwor der Aufsichtsratsvorsitzende 2008 seine Aktionäre ein – dann gingen die Kurse in den Keller… Rimini Protokoll haben Aktien gekauft und Aktionäre gesucht, die ihre Einladung abtreten, um möglichst vielen Theaterzuschauern Zugang zu dieser Auff ührung zu gewähren.« (www.rimini-protokoll.de/website/de/ project_4008.html, letzter Zugriff 1. Juni 2009)
210 | Das Wissen der Börse
Abbildung 62: Rimini Protokoll, Daimler-Hauptversammlung (2009), Copyright: Rimini Protokoll
Der performative Ansatz von Rimini Protokoll ermöglicht den Blick auf die institutionellen und kulturellen Grundlagen der Finanzmärkte und der Bankenwirtschaft. Sie verstehen Finanzmarkthandeln in seiner Doppeldeutigkeit als eine Auff ührung von Alltags- und Theaterinszenierung und bezeichnen es in ihren Presseaussendungen als »Inszenierung der Macht«. Die »Hauptversammlung« nennt Rimini Protokoll seine Auff ührung und bezeichnet damit eine spezifische Art der Erfahrung, die aus der Interaktion aller Teilnehmer/-innen besteht, d.h. aus dem Zusammenspiel von Akteur/-innen und dem Publikum. Das Künstlerkollektiv eröff net somit eine sozio-logische Perspektive auf ökonomische Handlungen, die in ihrer Einbettung in soziale Netzwerke und kulturell vermittelte Spielregeln sichtbar werden. Ihr Wirtschaftstheater zeigt, dass sich im sozialen Feld der Finanzwirtschaft eine performative Ökonomie herausgebildet hat, die auf die gelungene Darstellung habitueller Seriosität, Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft abzielt. Die »Hauptversammlung« zielt performativ auf die Herstellung von Wahrheitseffekten und Präsenzerfahrungen. In ihr geht es darum, die virtuelle Sphäre der Finanzspekulation in einen gemeinschaftsstiftenden Erfahrungsraum zurückzuführen. Diese Reinszenierung wird mit einem großen theatralischen Aufwand betrieben. Sie bündelt sich im Mash up unterschiedlicher Medienformate und Inszenierungspraktiken. Ihre performative Orientierung operiert mit unterschiedlichen Medien (die Hauptversammlung besteht aus einem Stilmix bestehend aus Theater, Musical, Film, Videoinstallation), welche die Shareholder Values mit kulturellen Sinn aufwerten sollen. Es wird eine immense Beschleunigung der Zeichenproduktion in Gang gesetzt, um die immaterielle Ökonomie mit der konsensuellen Prägekraft von Ritualen (Konventionalität, Stereotypisierung) aufzuladen. Eine weitere Zuspitzung erfährt der performative Ansatz in den Feldexperimenten des australischen Künstlers Michael Goldberg. 2002 realisierte er seine Performance mit dem Titel »Catching a Falling Knife«, die in der Artspace Gallery in Sidney im Zeitraum von drei Wochen stattfand. Auf einer sozialen Netzwerkseite im Internet fand er drei Investoren für sein Projekt, die ihn mit der Gesamtsumme von 50.000 Dollar ausstatteten.
III. Performativität der Börse | 211 (Abb. 63) »Catching a falling knife« nennt der Börsenjargon Spekulationen mit erhöhtem Risiko. Auf seiner Webpage catchingafallingknife.com konnte man seine aktualisierte Geschäftsbilanz über seine spekulativen An- und Verkäufe von Aktien der News Corporation (ein Unternehmen im Medienkonzern von Rupert Murdoch) online abrufen. Die Performance in der Artspace Gallery wurde als spektakuläre Beobachteranordnung entworfen, in dessen Zentrum die Selbstperformance des Künstlers selbst stand: »Der/die ZuschauerIn betritt einen verdunkelten Saal. Zahlen werden an die Wände projiziert – in Realzeit angeführte Aktienpreise, Kurven, die mittlere Kurswerte darstellen, Finanznachrichten. Die Werte ändern sich und die Graphiken bewegen sich, entwickeln sich von Minute zu Minute, von Sekunde zu Sekunde in Sequenzen aus Arabesken und Parallelschritten. Sie antworten augenblicklich auf die mobilen Algorithmen, die live von den weltweiten Börsen geschickt werden. […] Auf einem Gerüst gegenüber sitzt der Künstler oben auf einer Plattform, sein Gesicht von einer Bürotischlampe erhellt, und beobachtet die Bildschirme seiner Computer. Er spricht am Telefon, eröff net ein Geschäft oder schließt es ab. Unterhalb gibt ein mit Dioden ausgestatteter Fernschreiber Nachricht von Verlusten und Gewinnen. Ein Tonband wird bei einer Lautstärke von Hintergrundmusik abgespielt. Die Stimme des motivierten Sprechers ermahnt Sie, sich ein klares mentales Bild von der genauen Geldmenge zu machen, die Sie sich wünschen – und zu entscheiden, wie Sie dieses Geld verdienen wollen, bis Sie so reich sind, wie Sie es zu sein wünschen.« (Goldberg 2003, zit.n. Holmes 2007) Der Kunsttheoretiker Brian Holmes versteht die Performance von Goldberg nicht als ein einfaches Zelebrieren des »tiefen Spiels« der Märkte und fragt nach den symbolischen und sozialen Credits (Medienpräsenz auf Aufmerksamkeitsmärkten), die das Kunstprojekt für Goldberg selbst abwirft: »Aber es stellt sich eine andere Frage. Ist diese stillschweigende Kritik nicht auch ihrerseits eine Arbitrage, eine Art und Weise, dafür und dagegen gleichzeitig zu wetten? Ein australischer Kritiker beschrieb »Catching a Falling Knife« als »zweischneidige« Angelegenheit, da sie den ethischen Widerspruch zwischen der Welt der Kunst und jener der Finanz thematisiert. Es stellt sich hier die Frage nach der politischen Rolle des/r Künstlers/in und nach der Art und Weise, wie seine/ihre Produktion das kollektive Begehren bestimmt. Wie kann eine kritische Beziehung, eine Rivalität und ein Ausstieg aus dem Inneren des Apparats heraus unternommen werden, dessen Faszination die fesselndste des zeitgenössischen Kapitalismus ist?« (Holmes 2007)
212 | Das Wissen der Börse
Abbildung 63: Michael Goldberg, Catching a Falling Knife (2002), Copyright: Artspace Gallery
Fassen wir zusammen. Die performativen Ansätze in der Finance Art experimentieren mit diesen Herausforderungen und versuchen, die scheinbar der sozialen Elite der Händler, Broker und Analysten zugehörigen Wissenspraktiken und Selbstinszenierungen gegen den Strich zu lesen. Vor diesem Hintergrund bleibt aber die entscheidende Frage offen, ob die Verfahren der Kontextmodifizierung, der Dekonstruktion oder das Hypertextifizieren in den künstlerischen signifying practices ausreichen, um die intrinsischen Widersprüche von Machtkonstellationen derart zu dynamisieren, damit kulturelle Produktionen nicht erneut den Funktionsweisen bestehender Machtverhältnisse untergeordnet werden können. Die technologisch orientierten Konzeptionen der Finance Art thematisieren die Transformation von Finanzmärkten anhand der Entwicklung historischer und gegenwartsbezogener Finanztechnologien. Sie gehen von der grundlegenden These aus, dass Finanzmärkte auf technologische Weise formiert werden und schließen daraus, dass die Struktur und Performanz von Märkten ein Produkt der Finanztechnologien ist. Damit können sie aufzeigen, dass sowohl die Interaktion als auch die Organisation der Finanzmärkte auf entscheidende Weise von Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt werden. Performative und technologische Ausprägungen in der Finance Art besitzen eine strategische Gemeinsamkeit. Denn beide Ansätze verstehen Finanzmärkte als spezifische Märkte, im engeren Sinn als Händlermärkte, in deren Zentrum Finanztransaktionen stehen, die in einem symbolischkulturellen Bereich getätigt werden. Finanztransaktionen werden in dieser Hinsicht nicht als neutrale Verfahrensweisen wahrgenommen, sondern vielmehr als Produkt symbolischer, kultureller und sozialer Spielregeln begriffen. Von dieser Prämisse ausgehend kann das künstlerische Wissen der Finance Art – in vergleichbarer Weise wie die Social Studies of Finance6 – die Performativität des ökonomischen Wissens und die medialen Repräsentationen, die in diese Wissensformen eingebettet sind, thematisieren.
Anmerkungen
E INLEITUNG 1
2
3
Bei der technischen Analyse, auch Chartanalyse genannt, handelt es sich um ein heuristisches Verfahren, das ohne empirische Begründungen Wechselkursprognosen tätigt: »Chartists attempt to predict share price movements by assuming that past price patterns will be repeated. There is no theoretical justification for this.« (Buckley 2000: 110) Vgl. zum historischen Phänomen des »Spekulationsfiebers« Karl Marx: »Was die gegenwärtige Periode der Spekulation in Europa kennzeichnet, ist die Allgemeinheit des Fiebers. Auch früher hat es Spekulationsfieber gegeben – um Getreide, Eisenbahnen, Bergwerke, Banken und Baumwollspinnereien – kurz, Spekulationsfieber jeder möglichen Art. Doch wenn auch während der großen Handelskrisen von 1817, 1825, 1836, 1847/48 jeder Zweig der Industrie und des Handels betroffen war, eine Manie herrschte vor, die jeder Zeit ihren bestimmten Charakter verlieh. Obgleich alle Zweige der Wirtschaft vom Geist der Spekulation durchdrungen waren, beschränkte sich doch jeder Spekulant auf seine Branche. Hingegen ist das herrschende Prinzip des Crédit mobilier, des Trägers der gegenwärtigen Manie, nicht die Spekulation auf einem gegebenen Gebiet, sondern die Spekulation an sich und die allgemeine Ausbreitung des Schwindels in dem gleichen Maße, wie ihn die Gesellschaft zentralisiert.« (Marx 1856/1961: 49) Das Buch ist eine systematisierende Zusammenfassung von den Erkenntnissen, die Charles Dow, Edward Jones und Samuel A. Nelson gesammelt haben. Ein Jahr nach Dow’s Tod wählte Samuel A. Nelson fünfzehn Artikel von ihm für sein Buch »The ABC of Stock Speculation« (1903) aus, wobei er Dow’s Beobachtungen kommentierte und erstmals den Begriff »Dow Theorie« verwendete.
214 | Das Wissen der Börse 4 Der Begriff »Barometer« wurde 1665-1666 durch den irischen Naturforscher Robert Boyle etabliert. Er leitet sich vom griechischen báros »Schwere, Gewicht« und métron »Maß« ab und steht für die Messung des Gewichtes der Luft. 5 Vgl. zur Geschichte der makroökonomischen Vorhersage im 19. Jahrhundert Betz (2006 43-52, hier: 43) »The oldest records of economic forecasts date back to the 1830s and consist of directional forecasts of business activities; they have more recently been used to reconstruct business cycles. Since statistical methods like regression and correlation analysis were developed only in the last decades of the 19th century, those early forecasts must have been based on judgment, informal reasoning or simple extrapolation.« 6 Vgl. zur Wirtschaftsgeschichte der Turbulenz-Metapher: »Anhand der Entwicklungsgeschichte der hydrodynamischen Studien über Turbulenzen lässt sich das illustrieren. Turbulenzen bieten sich als Analogie für Entwicklungsphänomene in der Wirtschaft geradezu an. Im 17. und 18. Jahrhundert studierten Bernoulli und Euler viskosefreies laminares Fließen unter Idealbedingungen. Der Fluss wurde als kontinuierliche Bewegung dargestellt. Bei diesen ersten Gehversuchen der Forschung wurde das Auftreten neuer Phänomene und Fakten wie Turbulenz als relevante Frage an die Wissenschaft nicht gelten gelassen. Die Physik war zu dieser Zeit befasst mit geschlossenen Systemen und ihrer inneren Tendenz zum Gleichgewicht.« (Louçâ 1998: 268). 7 Auch die Krise verweist auf einen Bewegungsvorgang und leitet sich vom griechischen Begriff krínein ab, der den Vorgang des Scheidens und des Trennens bezeichnet. Sie stammt aus der Medizin und bezeichnete zuerst entscheidende Punkte im Krankheitsverlauf. 8 Im ersten Band des Kapitals affirmiert Marx die Teleologie der aristotelischen Chrematistik als Form der »absoluten Bereicherung«: »Die Chrematistik nun unterscheidet sich von der Ökonomik dadurch, daß für sie die Zirkulation die Quelle des Reichtums ist (poiêtikê chrêmatôn […] dia chrêmatôn metabolês). Und um das Geld scheint sie sich zu drehen, denn das Geld ist der Anfang und das Ende dieser Art von Austausch (to gar nomisma stoiceion kai peras tês allagês). Daher ist auch der Reichtum, wie ihn die Chrematistik anstrebt, unbegrenzt. Wie nämlich jede Kunst, der ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als letzter Endzweck gilt, unbegrenzt in ihrem Streben ist, denn sie sucht sich ihm stets mehr zu nähern, während die Künste, die nur Mittel zu Zwecke verfolgen, nicht unbegrenzt sind, da der Zweck selbst ihnen die Grenze setzt, so gibt es auch für diese Chrematistik keine Schranke ihres Ziels, sondern ihr Ziel ist absolute Bereicherung. Die Ökonomik, nicht die Chrematistik, hat eine Grenze […] die erstere bezweckt ein vom Gelde selbst Verschiednes, die andere seine Vermehrung […] Die Verwechslung beider Formen, die in einander überspielen, veranlaßt einige, die Erhaltung und Vermeh-
Anmerkungen: Einleitung | 215
9
10
11
12
13
14
15
rung des Geldes ins Unendliche als Endziel der Ökonomik zu betrachten.« (Marx [1867] 1967: 202) »Seitens der Geschichte der Wirtschaftstheorie wird diese aristotelische Setzung als ursächlich für die erst mit John Maynard Keynes überwundene Trennung von Werttheorie und Geldtheorie in den 30er Jahren verortet. Erst mit der Anerkennung der Geld- und Zinswirtschaft als temporalisierenden Motor der Wirtschaft seit Keynes wird die theoretische Integration und Überwindung der aristotelischen Opposition möglich. Derridas Konzept der différance erklärt analog mittels der Gleichsetzung von Geldzeichen und sprachlichem Zeichen die Generativität der Sprache als Zeit – nicht als Arbeit oder Substanz – und bezieht damit gegen Aristoteles Stellung: In Falschgeld (1977/92) wird festgehalten, dass die aristotelische Unterscheidung zwischen Ökonomik und Chrematistik ›unaushaltbar‹ ist.« (Gernalzick 2000: 127f) Die größten Terminbörsen sind die deutsch-schweizerische EUREX, die Chicago Board of Trade (CBoT), die Chicago Mercantile Exchange (CME) und die London International Financial Futures Exchange (LIFFE). Der elektronische Handel durchdringt alle Aspekte der Finanzmarkttransaktionen. Die Funktionsbereiche des electronic trading sind: electronic order routing (Ordereingabe), automated trade execution (Datenverarbeitung einer Order nach Handelsabschluss), electronic dissemination of pre-trade (Quoten) und post-trade information (Kalkulation der Transaktionskosten). Unter einer Präsenzbörse versteht man eine Börse, deren Handlungssystem das physische Zusammentreffen von Händlern an einem festgelegten Ort zur festgelegten Handelszeiten erfordert. Im Unterschied zur Präsenzbörse ist bei der Computerbörse der Handel nicht mehr örtlich definiert. Bei der Computerbörse ist der gesamte Leistungserstellungsprozess, insbesondere das Ordermatching, durchgängig automatisiert. Die Kassabörse ist der Teilmarkt einer Börse, bei der die Erfüllung eines Geschäfts – also Lieferung, Abnahme und Bezahlung – innerhalb eines kurzen Zeitraums nach Abschluss des Geschäfts stattfinden muss. In Deutschland beträgt dieser Zeitraum zwei Börsentage. Der Kassamarkthandel kann sowohl an der traditionellen Präsenzbörse als auch in elektronischen Handelssystemen abgewickelt werden. Die Terminbörse ist eine Börse, an der Terminkontrakte (Futures und Optionen) abgewickelt werden. Hierbei handelt es sich um Transaktionen, die erst in der Zukunft abgewickelt werden. Die Verträge werden jedoch schon heute geschlossen. Eine Option bezeichnet in der Finanzwirtschaft ein abgeleitetes Finanzgeschäft. Mit einer Option erhält man das Recht, ein Wertpapier oder ein anderes Produkt zu einem späteren Zeitpunkt zu einem vorher vereinbarten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Futures und Optionen sind Termingeschäfte. Im Unterschied zu den Kassageschäften (Aktien, Anleihen und Optionsscheine) fallen bei den
216 | Das Wissen der Börse Termingeschäften der Vertragsabschluß und die Vertragserfüllung zeitlich auseinander. Aus diesem Grund werden Futures und Optionen auf einer speziell eingerichteten Terminbörse, der EUREX, gehandelt, die seit 1999 mit einem gehandelten Volumen von 379 Millionen Kontrakten die größte Derivatebörse weltweit stellt. 16 Als Zweckgesellschaft wird eine juristische Person bezeichnet, die für einen klar definierten und eingegrenzten Zweck gegründet wird. Nach Erreichen ihres Zwecks kann die Gesellschaft aufgelöst werden.
I. S TRÖME , TURBULENZEN , B L A SEN 1
Hausse und Baisse stehen für den Anstieg oder Abwärtstrend an der Börse. Als Hausse wird eine allgemein positive Entwicklung an der Börse bezeichnet, die zumeist über einen längeren Zeitraum vorliegt. Das Gegenteil der Hausse ist die Baisse, die eine kontinuierliche Abwärtsentwicklung an der Börse bezeichnet, die von stetigen Kursabschlägen innerhalb eines Trends geprägt ist. 2 Vier Jahre später verschiebt sich der Schwerpunkt der ARPA auf den Forschungsbereich »Computer Netzwerke und Kommunikation«. Die militärische Nutzung des Computernetzwerkes war innerhalb der ARPA jedoch weit weniger ausgeprägt als bei der Rand Corporation. So wollte der Direktor der ARPA, Joseph C.R. Licklider, mit seiner Forschungspolitik allgemein zugängliche Netzwerke gemeinsam mit Universitäten und Forschungszentren auf bauen (vgl. Friedewald 2000: 1-24). 3 Eines der größten Projekte, das sich mit der interaktiven Computernutzung beschäftigte, war das bereits 1949 im Auftrag der US Luftwaffe entwickelte Projekt des Semi Automatic Ground Environment (SAGE). SAGE koordinierte mit Hilfe der digitalen Übertragung von Radarbildern zahlreicher über die USA verstreuter Radarstationen die Beobachtungen zur Erkennung von Angriffen. Die Interaktion mit den menschlichen Operateuren fand mit Hilfe graphischer Anzeigegeräte wie der lightgun statt. Damit realisierte SAGE ein erstes Mensch-Maschine-Interface. (Hafner/Lyon 1996: 103f) 4 Ein Jahr später präsentierte Teleregister mit dem Amquote eine ähnliche Datenverarbeitungsanlage für aufstrebende Brokerage-Unternehmen. 5 In Abgrenzung zu den traditionellen Börsen hat sich für außerbörsliche Wertpapierhandelssysteme der Begriff Alternative Trading System (ATS) im Fachjargon der Broker etabliert. ATS steht zumeist als Oberbegriff für eine Vielzahl elektronischer Systeme unterschiedlichster Ausprägung und Funktionsweise. 6 Als Order wird der Auftrag eines Anlegers bezeichnet, eine bestimmte Anzahl von Wertpapieren zu kaufen oder zu verkaufen. Eine Order beinhaltet alle für einen Handelsabschluss erforderlichen Daten, wie etwa die gewünschte Menge (Volumen, Stückzahl), die Bezeichnung des
Anmerkungen: I. Ströme, Turbulenzen, Blasen | 217
7
8 9
10
11
12 13
Wertpapiers, ein Kauf- und Verkaufslimit, den Namen des Auftragsgebers und Angaben, die in der weiteren Folge für die Abwicklung des Handelsgeschäftes benötigt werden. Das Konzept des »Hedging« (to hedge, »einzäunen«) wurde bereits bei den Rohstoff händlern des 17. Jahrhunderts angewendet, die sich mit Verträgen gegen eine ungünstige Preisentwicklungen ihrer Handelsgüter absicherten. Aktienzertifi kate werden ausgestellt, um den Aktienhandel zu vereinfachen, da der Handel der effektiven Stücke selbst nicht möglich ist. »As real-world financial intermediation and markets become increasingly more efficient, the continuoustime model’s predictions about actual financial prices, products and institutions will become increasingly more accurate. In short, that reality will eventually imitate theory.« (Merton 1992: 470) Die EUREX ging 1998 aus dem Zusammenschluss der Deutschen Terminbörse (DTB) und der zur SWX Swiss Exchange gehörenden Swiss Options and Financial Futures Exchange (SOFFEX) hervor. Die elektronische Handelsplattform Eurex bietet Marktteilnehmern Zugriff auf ein breites Spektrum an internationalen Benchmark-Futures und -Optionen. Bezeichnung für den Wertpapierhandel vom eigenen Rechner, der mittels Internet oder Netzwerk mit dem Bankrechner verbunden ist. Die Geschäfte können ortsunabhängig, beispielsweise von zuhause, erledigt werden. Mittlerweile haben sich mehrere Online-Broker etabliert, die den Kunden auf Ihren Webportalen mittels Benutzerregistrierung den Zugang zu Echtzeittransaktionen ermöglichen. Die meisten Broker bieten Ihren Kunden Online umfangreiches Infomaterial, wie Tabellen und Kurscharts, an. Meist sind die Transaktionsspesen beim Online Brokerage günstiger als beim klassischen Wertpapierhandel, da der Kunde seine Orders direkt durchführt und auf individuelle Beratung wenig Wert gelegt wird. Im Jahr 1848 wird das Chicago Board of Trade durch 82 Geschäftsleute gegründet. »In der finanzmarkttheoretischen Literatur wird die Arbeit des Franzosen Louis Bachelier (1900) typischerweise als Ausgangspunkt der modernen Optionsbewertung betrachtet. Diese bildete auch tatsächlich die Grundlage für das Modell von Black-Scholes und Merton, mit welchem die Optionspreistheorie 1973 ihren Durchbruch erlebte und im Jahre 1997 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Dabei wird übersehen, dass der Österreicher Vinzenz Bronzin, Professor an der Nautischen k.u.k. Akademie in Triest, im Jahre 1908 einen analytischen Ansatz zur Bewertung von Optionen (»Prämiengeschäften«) entwickelt hat, der bezüglich Verteilungsannahmen allgemeiner und im Unterschied zu Bachelier die Eigenschaft der risikoneutralen Bewertung aufweist. Dagegen verzichtet Bronzin auf die Modellierung eines stochastischen Preisprozesses. Spätestens seit den zwanziger Jahren geriet die Arbeit
218 | Das Wissen der Börse von Bronzin in völlige Vergessenheit.« (Zimmermann/Hafner 2007: 531-546, hier: deutschsprachiger Abstract)
II. TECHNOLOGIEN 1
DER
F INANZMÄRK TE
Urs Bruegger und Karin Knorr-Cetina haben als erste die Händlerkonversationen bei Finanzhandlungen systematisch untersucht. Sie haben in zahlreichen Finanzmarktstudien globale Mikrostrukturen dort untersucht, wo ihrer Ansicht nach das Phänomen der Globalität am weitesten fortgeschritten ist und haben daher die globalen Finanzmärkte zu ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht. Ihr Hauptinteresse gilt mikrosozialen Interaktivitäten im Bereich des institutionellen Währungshandels ( foreign exchange), die sie als entscheidenden Faktor bei der Integration und Sozialität globaler Märkte ansehen. Im untersuchten Bereich konzentrieren sie sich auf performative, d.h. handlungsetablierte Handlungen, die auf symbolischer Ebene durchführbar sein müssen. Ihre Definition von mikrosozialer Praxis im Bereich der globalen Finanzmärkte fokussiert die Händlerkonversation – das ist die Sequenz von Äußerungen, die explizite Finanzhandlungen durchführt – als das performative Mittel globaler Transaktionen: »Die Währungsströme, die um die Welt zirkulieren, werden initiiert, aufgeteilt und mit Energie versehen, wenn Händler und andere Interessenten eine Konversation eröffnen.« (KnorrCetina/Bruegger 2002: 11) 2 »The exhibition is grouped into three conceptual blocks. The first of these, which is callled re-presentation, reaches beyond the borders of financial representation to examin non-financial subjects. The second block, which is called re-vision, proposes new artistic perspectives on financial markets. The last one, is called »re-thinking«, and it brings together a variety of criticisms of the capital markets.« www.derivart.info/index. php?s=derivados&lang=en, letzter Zugriff 1. Juni 2009 3 Siehe u.a. die Arbeiten von Thomas Feuerstein, Mathias Fuchs, Gerald Nestler, Klaus Strickner und Mia Zabelka. 4 Die deutschsprachige Kunstvermittlung rekurriert häufig auf den deutschen Terminus »Finanzkunst« und produziert damit eigenwillige Verwirrungen mit der gleichlautenden Bezeichnung für die Kunst, möglichst erfolgreich an der Börse zu spekulieren. 5 Vgl. Künstlerinnen und Künstler wie Josh On, Natalie Jeremijenko, Hans Bernhard u.a. 6 Die in den vergangenen Jahren im institutionellen Kontext der Wirtschaftssoziologie entstandene Finanzsoziologie (Social Studies of Finance) erforscht globale Finanzmärkte und überträgt dabei soziologisches Wissen auf die Beobachtung ökonomischer Prozesse (vgl. Callon 1998; Knorr-Cetina/Brügger 2002; Beunza/Stark 2004; McKenzie 2006)
Anmerkungen: III. Performativität der Börse | 219
III. P ERFORMATIVITÄT 1
DER
B ÖR SE
Urs Bruegger und Karin Knorr-Cetina haben als erste die Händlerkonversationen bei Finanzhandlungen systematisch untersucht. Sie haben in zahlreichen Finanzmarktstudien globale Mikrostrukturen dort untersucht, wo ihrer Ansicht nach das Phänomen der Globalität am weitesten fortgeschritten ist und haben daher die globalen Finanzmärkte zu ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht. Ihr Hauptinteresse gilt mikrosozialen Interaktivitäten im Bereich des institutionellen Währungshandels ( foreign exchange), die sie als entscheidenden Faktor bei der Integration und Sozialität globaler Märkte ansehen. Im untersuchten Bereich konzentrieren sie sich auf performative, d.h. handlungsetablierte Handlungen, die auf symbolischer Ebene durchführbar sein müssen. Ihre Definition von mikrosozialer Praxis im Bereich der globalen Finanzmärkte fokussiert die Händlerkonversation – das ist die Sequenz von Äußerungen, die explizite Finanzhandlungen durchführt – als das performative Mittel globaler Transaktionen: »Die Währungsströme, die um die Welt zirkulieren, werden initiiert, aufgeteilt und mit Energie versehen, wenn Händler und andere Interessenten eine Konversation eröffnen.« (KnorrCetina/Bruegger 2002: 11) 2 »The exhibition is grouped into three conceptual blocks. The first of these, which is callled re-presentation, reaches beyond the borders of financial representation to examin non-financial subjects. The second block, which is called re-vision, proposes new artistic perspectives on financial markets. The last one, is called »re-thinking«, and it brings together a variety of criticisms of the capital markets.« www.derivart.info/ index.php?s=derivados&lang=en, letzter Zugriff 1. Juni 2009 3 Siehe u.a. die Arbeiten von Thomas Feuerstein, Mathias Fuchs, Gerald Nestler, Klaus Strickner und Mia Zabelka. 4 Die deutschsprachige Kunstvermittlung rekurriert häufig auf den deutschen Terminus »Finanzkunst« und produziert damit eigenwillige Verwirrungen mit der gleichlautenden Bezeichnung für die Kunst, möglichst erfolgreich an der Börse zu spekulieren. 5 Vgl. Künstlerinnen und Künstler wie Josh On, Natalie Jeremijenko, Hans Bernhard u.a. 6 Die in den vergangenen Jahren im institutionellen Kontext der Wirtschaftssoziologie entstandene Finanzsoziologie (Social Studies of Finance) erforscht globale Finanzmärkte und überträgt dabei soziologisches Wissen auf die Beobachtung ökonomischer Prozesse (vgl. Callon 1998; Knorr-Cetina/Brügger 2002; Beunza/Stark 2004; McKenzie 2006).
Literatur
Abolafia, Mitchell Y. (1996): Making Markets: Opportunism and Restraint on Wall Street, Cambridge, Mass.: Harvard University Press. Adorno, Theodor W. (1969): »Kultur und Verwaltung«, in: ders., Soziologische Schriften I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 122-146. Agar, Jon (2003): The Government Machine: A Revolutionary History of the Computer (History of Computing), Cambridge/Mass.: MIT Press. Ali, Tariq (2003): »›Globalization: For Whom? By Whom?‹, Plenarvortrag auf der Tagung Towards a Critical Globalization Studies Conference, University of California, Santa Barbara, www.global.ucsb.edu/projects/globalization/conference.htm (letzter Zugriff 1. Februar 2009). Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit (2004): Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, Münster: Westfälisches Dampf boot. Amann, Klaus/Knorr-Cetina, Karin (1990): »The Fixation of Visual Evidence«, in: Michael Lynch/Steve Woolgar (Hg.), Representation in Scientific Practice, Cambridge/Mass.: MIT Press, S. 85-122. Anderson, Benedict (1987): Imagined Communities. Refl ections on the Origin and Spread of Nationalism, London: Verso. Anonym (1964): »Quotation by Computer«, in: Time Magazine, 22. Mai 1964, S. 28. Appadurai, Arjun (1990): »Disjuncture and Difference in the Global Cultural Economy«, in: Theory, Culture & Society 7, S. 295-310. Aristoteles (1995): Politik, Hamburg: Felix Meiner Verlag. Arneodo, Alain/Muzy, Jean-Francois/Sornette, Didier (1998): »›Direct‹ causal cascade in the stock market«, in: European Physical Journal 2, S. 277282. Arnoldi, Jakob (2006): »Frames and Screens: the Reduction of Uncertainty in Electronic Derivatives Trading«, in: Economy and Society 35/3, S. 381399.
222 | Das Wissen der Börse Arrighi, Giovanni (1994): The Long Twentieth Century: Money, Power and the Origins of Our Times, New York: Verso. Ashton, David/Green, Francis (1996): Education, Training and the Global Economy, Cheltenham: Elgar. Athanassakis, Irini (2008): Die Aktie als Bild. Zur Kulturgeschichte von Wertpapieren, Wien [u.a.]: Springer. Austin, John L. (1975): How to Do Things with Words, Cambridge/Mass.: Harvard University Press. Baecker, Dirk (1999): Organisation als System, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. — (Hg.) (2003): Kapitalismus als Religion, Berlin: Kulturverlag Kadmos. Bak, Per (1996): How Nature Works: The Science of Self-Organised Criticality, New York: Springer. Baker, Wayne E. (1984): »The social structure of a national securities market«, in: American Journal of Sociology 89, S. 775-811. Barnet, Richard/ Cavanagh, John (1994): Global Dreams: Imperial Corporations and the New World Order, New York: Simon & Schuster. Barthes, Roland (1964/2006): Mythen des Alltags, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Bartz, Christina (2007): »Kursverläufe. Die Börse im Diagramm«, in: Isabell Otto/Irmela Schneider (Hg.), Formationen der Mediennutzung. Bd.2: Strategien der Verdatung, Bielefeld: transcript, S. 269-282. — (2008): Charles H. Dow und das Wissen über Finanzmarktmechanismen, www.gfmedienwissenschaft.de/gfm/start/index.php?TID=204 (letzter Zugriff 1. Juni 2009). Bauman, Zygmunt (2000): Liquid modernity, Cambridge: Polity Press. Baumol, William J. (2002): The Free Market Innovation Machine: Analyzing the Growth Miracle of Capitalism, Princeton: Princeton University Press. Baxter, Martin W./Rennie, Andrew J.O. (2001): Financial Calculus. An introduction to derivative pricing, Cambridge: Cambridge University Press. Becker, Barbara (2000): »Elektronische Kommunikationsmedien als neue ›Technologien des Selbst‹? Überlegungen zur Inszenierung virtueller Identitäten in elektronischen Kommunikationsmedien«, in: Eva Huber (Hg.), Technologien des Selbst. Zur Konstruktion des Subjekts, Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Nexus, S. 17-29. Beckert, Jens (1997): Grenzen des Marktes: Die sozialen Voraussetzungen wirtschaftlicher Effizienz, Frankfurt a.M.: Campus. —/Diaz-Bone, Rainer/Ganssmann, Heiner (2007): Märkte als soziale Strukturen, Frankfurt a.M.: Campus. Beike, Rolf/Schlütz, Johannes (2001): Finanznachrichten lesen – verstehen – nutzen: ein Wegweiser durch Kursnotierungen und Marktberichte, Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Benjamin, Lee/LiPuma, Edward (2002): »Cultures of Circulation: The Imaginations of Modernity«, in: Public Culture 14/1, S. 191-213. Benn, Alec (2000): The Unseen Wall Street of 1969-1975. And its Significance for Today, Westport/Conn.: Quorum Books.
Literatur | 223 Benveniste, Emile (1974): »Die analytische Philosophie und die Sprache », in: ders., Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, München: List Verlag, S. 297-308. Bergengruen, Werner (1967): Die wunderbare Schreibmaschine, Zürich: Arche. Berghoff, Hartmut (2004): »Die Zähmung des entfesselten Prometheus? Die Generierung von Vertrauenskapital und die Konstruktion des Marktes im Industrialisierungs- und Globalisierungsprozess«, in: Hartmut Berghoff/Jacob Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte: Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt a.M.: Campus, S. 143-168. Bernstein, Peter L. (2005): Capital Ideas. The Improbable Origins of Modern Wall Street, Hoboken/N.J.: Wiley. Best, Jacqueline (2003): »From the Top-Down: The New Financial Architecture and the Reembedding of Global Finance«, in: New Political Economy 8/3, S. 363-384. Betz, Gregor (2006): Prediction or Prophecy? The Boundaries of Economic Foreknowledge and Their Socio-Political Consequences, Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Beunza, Daniel/Muniesa, Fabian (2005): »Listening to the Spread Plot«, in: Bruno Latour/Peter Weibel (Hg.), Making Things Public: Atmospheres of Democracy, Boston/Mass.: MIT Press, S. 628-633. —/Stark, David (2004): »How to Recognize Opportunities: Heterarchical Search in a Trading Room«, in: Karin Knorr-Cetina/Alex Preda (Hg.), The Sociology of Financial Markets, Oxford: Oxford University Press, S. 84-101. Bijker, Wiebe E./Hughes, Thomas P./Pinch, Trevor (Hg.) (1987): The Social Construction of Technological Systems. New Directions in the Sociology and History of Technology, Cambridge/Mass.: MIT Press. Bishop, George W. (1960): Charles H. Dow and the Dow Theory, New York: Appleton-Century-Crofts. Boltanski, Luc/Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz: UVK. —/Thévenot, Maurice (1991): De la justification. Les économies de la grandeur, Paris: Gallimard. Book, Thomas (2001): Elektronischer Börsenhandel und globale Märkte. Eine ökonomische Analyse der Veränderungen an Terminbörsen, Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag. Bourdieu, Pierre (1998): Gegenfeuer. Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion, Konstanz: UVK Universitäts-Verlag. Bourne, Charles P./Hahn Trudi (2003): A History of Online Information Services, 1963-1976, Cambridge/Mass.: MIT Press. Bowker, Geoffrey/Leigh Star, Susan (1999): »Sorting Things Out. Classification and Its Activities«, in: Journal of Contemporary Ethnography 31/2: S. 207-39.
224 | Das Wissen der Börse Boyd-Barrett, Oliver (2007): Communications Media, Globalization, and Empire, Eastleigh: John Libbey Publishing. Bradley, Stephen P./Hausman, Jerry A./Nolan, Richard L. (Hg.) (1993): Globalization, Technology, and Competition, Boston: Harvard Business School. Branger, Nicole/Schlag, Christian (2004): Zinsderivate. Modelle und Bewertung, Wien/New York: Springer. Brenner, Reuven (2008): A World of Chance. Betting on Religion, Games, Wall Street, Cambridge: Cambridge University Press. Breymann, Wolfgang et al. (1997): »Devisenmärkte und Turbulenz«, in: Physikalische Blätter 53, S. 339-341. Brint, Steven (1994): In an Age of Experts. The Changing Role of Professionals in Politics and Public Life, Princeton: Princeton University Press. Brodtbeck, Karl-Heinz (2001): »Die Fragwürdigen Grundlagen des Neoliberalismus. Wirtschaftsordnung und Markt in Hayeks Theorie der Regelselektion«, in: Zeitschrift für Politik 48, S. 49-71. Brousseau, Eric/Curien, Nicolas (Hg.) (2007): Internet and Digital Economics, Cambridge: Cambridge University Press. Bruchey, Stuart Weems (1991): Modernization of the American Stock Exchange 1971-1989, New York: Garland. Bruhn, Matthias (2003): Bildwirtschaft. Verwaltung und Verwertung der Sichtbarkeit, Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaft. Buckley, Adrian (2000): Multinational Financing, London [u.a.]: McGrawHill. Bude, Heinz (2008): Die Ausgeschlossenen: Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München: Hanser. Burchell, Graham (1996): »Liberal Government and Techniques of the Self«, in: Economy and Society 22/3, S. 267-82. Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. — (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. — (2001): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Calahan, Edward A. (1901): »The Evolution of the Stock Ticker«, in: Electrical World and Engineer 37/6, S. 236-38. Calhoun, Craig (Hg.) (1992): Habermas and the Public Sphere, Cambridge, Mass. [u.a.]: MIT Press. Callon, Michel (1998): »Introduction: The Embeddedness of Economic Markets in Economics«, in: ders. (Hg.), The Laws of the Market, Oxford: Malden, S. 1-57. —/Muniesa, Fabian (2005): »Peripheral Vision. Economic Markets as Calculative Collective Devices«, in: Organization Studies 26/8, S. 1229-1250. Calomiris, Charles W. (2002): »Banking and Financial Intermediation«, in: Benn Steil/David G. Victor/Richard R. Nelson (Hg.), Technological Inno-
Literatur | 225 vation and Economic Performance, Princeton/N.J.: Princeton University Press, S. 285-313. Campbell-Kelly, Martin (2003): From Airline Reservations to Sonic the Hedgehog: A History of the Software Industry (History of Computing), Cambridge/Mass.: MIT Press. —/Aspray, William (2004): Computer: A History of the Information Machine, Boulder: Westview Press. Carruthers, Bruce G./Stinchcombe, Arthur L. (2001): »The Social Structure of Liquidity. Flexibility in Markets, States, and Organizations«, in: Arthur L. Stinchcombe (Hg.), When Formality Works: Authority and Abstraction in Law and Organizations, Chicago: University of Chicago Press, S. 100-139. Casson, Mark (1997): Information and Organization: A new Perspective on the Theory of the Firm, New York: Clarendon Press. Castells, Manuel (1996): The Rise of the Network Society, Cambridge/Mass.: Blackwell. — (2000): »Information Technology and Global Capitalism«, in: Anthony Giddens/Will Hutton (Hg.), Global Capitalism, New York: The New Press, S. 52-74. — (2004): »Space of Flows, Space of Places: Materials for a Theory of Urbanism in the Information Age«, in: Stephen Graham (Hg.), The Cybercities Reader, London/New York: Routledge, S. 82-93. Ceruzzi, Paul E. (1999): A History of Modern Computing (History of Computing), Cambridge/Mass.: MIT Press. Chandler, Alfred (1977): The Visible Hand. The Managerial Revolution in American Business, Cambridge/Mass.: Belknap Press. Clark, Gordon L./Thrift, Nigel/Tickell, Adam (2004): »Performing Finance: The Industry, the Media and its Image«, in: Review of International Political Economy 11/2, S. 289-310. Clews, Henry (1888): Twenty-Eight Years in Wall Street, New York: Irving Publishing Co. Cohan, William D. (2009): House of Cards. How Wall Street’s Gamblers Broke Capitalism, London: Allen Lane. Cortada, James W. (1993): Before the computer: IBM, NCR, Burroughs, and Remington Rand and the industry they created 1865 – 1956, Princeton/N.J.: Princeton University Press. — (2006): The Digital Hand Volume II. How Computers Changed the Work of American Financial, Telecommunications, Media, and Entertainment Industries, New York [u.a.]: Oxford University Press. Cowing, Cedric (1965): Populists, Plungers, and Progressives. A Social History of Stock and Commodity Speculation, Princeton: Princeton University Press. Cubitt, Sean (1998): Digital Aesthetics, London: Sage. Daniels, Dieter (2002): Kunst als Sendung. Von der Telegrafie zum Internet, München: Beck.
226 | Das Wissen der Börse Davis, Mark/Etheridge Alison (2006): Louis Bachelier’s Theory of Speculation. The Origins of Modern Finance, Princeton/N.J.: Princeton University Press. Deleuze, Gilles (1993): »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften«, in: ders., Unterhandlungen 1972-1990. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 254262. —/Félix Guattari (1997): 1000 Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin: Merve. Der Spiegel (2008), 13. Oktober 2008, Hamburg. Derrida, Jaçques (1967/1983): Grammatologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. — (1988): »Signatur Ereignis Kontext », in: ders., Randgänge der Philosophie, Wien: Passagen, S. 291-314. — (1999): Über das ›Preislose‹ oder the price is right in der Transaktion, Berlin: b_books. Deutschmann, Christoph (2008): Kapitalistische Dynamik: Eine gesellschaftstheoretische Perspektive, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Diefenbach, Katja (1999): »[The Crack up:] Kapitalismus verstehen. Poststrukturalistische Mikropolitiken bei Guattari, Deleuze und Foucault«, in: Jochen Baumann/Elfriede Müller/Stefan Vogt (Hg.), Kritische Theorie und Poststrukturalismus, Hamburg: Argument, S. 93-103. Drummond, Michael (1999): Renegades of the Empire. How Three Software Warriors Started a Revolution behind the Walls of Fortress Microsoft, New York: Crown Publications. Düttmann, Alexander Garcia (2004): Philosophie der Übertreibung, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Dyer-Witheford, Nick (1999): Cyber-Marx: Cycles and Circuits of Struggle in High-Technology Capitalism, Urbana: University of Illinois Press. Eames, Francis L. (1894): The New York Stock Exchange, New York: Thomas G. Hall. Eikels, Kai van (2004): Zeit zur Liquidierung des Geldes, http://t-rich.prog nosen-in-bewegung.de/fi les/88/fi le/vaneikels-liquidierung_des_geldes. pdf (letzter Zugriff 1. Juli 2009). Engle, Robert F. (2000): »The Econometrics of Ultra High Frequency Data«, in: Econometrica 68/1: S. 1-22. Evans, Christopher (1979): The Mighty Micro. The Impact of the Computer Revolution, London: Victor Gollancz. Evans, Philip/Wurster, Thomas S. (2000): Blown to Bits. How the New Economics of Information Transforms Strategy, Boston: Harvard Business School Press. Falloon, William D. (1998): Market maker. A Sesquincentennial Look at the Chicago Board of Trade, Chicago : Board of Trade of the City of Chicago. Flichy, Patrice (1995): Dynamics of Modern Communication: The Shaping and Impact of New Communication Technologies, London: Sage Publications. Foucault, Michel (1993): »Technologien des Selbst«, in: Luther H. Martin et al. (Hg.), Technologien des Selbst, Frankfurt a.M.: S. Fischer, S. 24-62.
Literatur | 227 — (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. — (2000): »Die Gouvernementalität«, in: Ulrich Bröckling/Susanne Krasmann/Thomas Lemke (Hg.), Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 41-67. Freedman, Roy S. (2006): Introduction to Financial Technology, Burlington/ Mass.: Academic Press. Frenkel, Michael/Hemmer, Hans-Rimbert (1999): Grundlagen der Wachstumstheorie, München: Vahlen. Friedewald, Michael (2000): »Konzepte der Mensch-Computer-Kommunikation in den 1960er Jahren: J. C. R. Licklider, Douglas Engelbart und der Computer als Intelligenzverstärker«, in: Technikgeschichte 67/1, S. 1-24. Galison, Peter (1996): »Computer Simulations and the Trading Zone«, in: ders./David J. Stump (Hg.), The Disunity of Science: Boundaries, Contexts, and Power, Stanford: Stanford University Press, S. 118-157. Garbade, Kenneth D./Silber, William L. (1978): »Technology, Communication and the Performance of Financial Markets: 1840-1975«, in: The Journal of Finance 33/3, Papers and Proceedings of the Thirty-Sixth Annual Meeting American Finance Association, New York City, S. 819-832. Geisst, Charles R. (2007): Die Geschichte der Wall Street. Von den Anfängen der Finanzmeile bis zum Untergang Enrons, München: FinanzBuch-Verlag. Gelder, Hans von (1964): »On-line Stock Quotation«, in: Datamation 10/3, S. 37-41. Gernalzick, Nadja (2000): Kredit und Kultur. Ökonomie- und Geldbegriff bei Jacques Derrida und in der amerikanischen Literaturtheorie der Postmoderne, Heidelberg: Winter. Gibson, George Rutledge (1889): The Stock Exchanges of London, Paris, and New York: A Comparison, New York/London: G.P. Putnam’s Sons. Gifford, Charles (1955): Making Money on the Stock Exchange. A Beginners‹ Guide to Investment Policy, London: Macgibbon & Kee. Gitelman, Lisa (1999): Scripts, Grooves, and Writing Machines: Representing Technology in the Edison Era, Stanford: Stanford University Press. Gode, Dhananjay K./Sunder, Shyam (2000): On the Impossibility of Equitable Continuously-Clearing Markets with Geographically Distributed Traders, Conference Paper, Graduate School of Industrial Administration and Information Networking Institute at Carnegie Mellon University. Goede, Marieke de (2005): Virtue, Fortune, and Faith. A Genealogy of Finance, Minneapolis/Minn. [u.a.]: University of Minnesota Press. — (Hg.) (2006): International Political Economy and Poststructural Politics, Basingstoke: Palgrave Macmillan. Goffman, Erving (1981): Forms of talk, Philadelphia: University of Pennsylvania Press. — (1996): Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
228 | Das Wissen der Börse Goldberg, Michael (2003): »Catching a falling Knife: a Study in Greed, Fear and Irrational Exuberance«, Konferenz in der Art Gallery von New South Wales, 20.09.2003, www.michael-goldberg.com/read_more/04_greed_ and_fear.pdf (letzter Zugriff 1. Juni 2009). Gomber, Peter (2000): Elektronische Handelssysteme. Innovative Konzepte und Technologien im Wertpapierhandel, Heidelberg: Physica-Verlag. Goody, Jack (1990): Die Logik der Schrift und die Organisation von Gesellschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Govind, Rajan, Raghuram/Zingales, Luigi (2003): Banks and Markets. The Changing Character of European Finance, Cambridge/Mass.: Cambridge University Press. Greenspan, Alan (2000): Remarks [on e-finance] presented to the 9th Annual Financial Markets Conference of the Federal Reserve Bank of Atlanta, Atlanta: Papers on Fincancial Services. — (2008): The Age of Turbulence, London: Allen Lane. Großklaus, Götz (2002): Medien-Zeit, Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Grzbeta, Sven (2007): »Temporalisierungen der Börse«, in: Andreas Langenohl/Kerstin Schmidt-Beck (Hg.), Die Markt-Zeit der Finanzwirtschaft. Soziale, kulturelle und ökonomische Dimensionen, Marburg: Metropolis Verlag, S. 121-148. Gugerli, David/Orland, Barbara (Hg.) (2002): »Einleitung«, in: dies., Ganz normale Bilder. Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeit (Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 2), Zürich: Chronos, S. 9-18. Günther, Michael/Jüngel, Ansgar (2003): Finanzderivate mit MATLAB. Mathematische Modellierung und numerische Simulation, Wiesbaden: Vieweg. Haas, Peter M. (1992): »Introduction: Epistemic Communities and International Policy Coordination«, in: International Organization 46/1, S. 1-35. Habermas, Jürgen (1962): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied: Luchterhand. — (1981/1995): Theorie des kommunikativen Handelns, Band 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Hacking, Ian (1983): Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science, Cambridge: Cambridge University Press. Hafner, Katie/Lyon, Matthew (1996): Where Wizards Stay Up Late. The Origins of the Internet, New York: Simon & Schuster. Hafner, Wolfgang/Zimmermann, Heinz (2009): Vinzenz Bronzin’s Option Pricing Models. Exposition and Appraisal, Berlin: Springer. Hamilton, William Peter (1922/1999): Der ultimative Börsenkompass [orig.: The Stock Market Barometer), Rosenheim: Börsenverlag. Hardt, Michael/Negri, Antonio (2000): Empire, Cambridge/Mass.: Harvard University Press.
Literatur | 229 Harris, Jerry (1998): »Globalisation and the Technological Transformation of Capitalism«, in: Race and Class 40/2,3, S. 21-35. Hartmann, Frank (2006): Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien, Wien: WUV Wiener Universitätsverlag. Hattinger, Gottfried (Hg.) (2000): Sozialmaschine Geld: Kunst, Positionen [Ausstellungskatalog; anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im O.K Centrum für Gegenwartskunst Oberösterreich v. 3.12.1999 – 2.3.2000], Frankfurt a.M.: Anabas. Heck, Eric van et al. (1997): »New Entrants and the Role of Information Technology – Case Study: the Tele Flower Auction in the Netherlands«, in: Jay F. Nunamaker/Ralph H. Sprague (Hg.), Proceedings of the 29th HICSS, Vol. IV: Information Systems – Organizational Systems and Technology, Los Alamitos: IEEE Computer Society Press, S. 228-239. Heidenreich, Ralph/Heidenreich, Stefan (2008): Mehr Geld, Berlin: Merve. Heidenreich, Stefan (2004): FlipFlop. Digitale Datenströme und die Kultur des 21. Jahrhunderts, München/Wien: Carl Hanser. Heintz, Bettina (2000): Die Innenwelt der Mathematik. Zur Kultur und Praxis einer beweisenden Disziplin, Wien/New York: Springer. Helleiner, Eric (1994): States and the Reemergence of Global Finance: From Bretton Woods to the 1990s, New York: Cornell University Press. Henderson, Kathryn (1999): On Line and On Paper: Visual Representations, Visual Culture, and Computer Graphics in Design Engineering, Cambridge/Mass.: MIT Press. Henderson, Willie (1982): »Metaphor in economics«, in: Economics 3 (1982), S. 147-153. — (2000): »Metaphor, economics and ESP: some comments«, in: English for Specific Purposes 19, S. 167-173. Hirshleifer, Jack (1973): »Where are We in the Theory of Information?«, in: American Economic Review 63, S. 31-39. Holtz, Shel/Demopoulos, Ted (2006): Blogging for Business: Everything You Need to Know and why You Should Care, Chicago Kaplan Publishing. Holmes, Brian (2007): Spekulative Performance. Kunst und Finanzökonomie, in: transform, http://eipcp.net/transversal/0507/holmes/de (letzter Zugriff 1. Juni 2009). Hopwood, Anthony G./Miller, Peter (Hg.) (1994): Accounting as a Social and Institutional Practice, Cambridge: Cambridge University Press. Hörisch, Jochen (2001): Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Frankfurt a.M.: Eichborn. Hornberg, Klaus Wilhelm (2006): Hedgefonds. Gute Renditen durch Risikokontrolle und Verlustvermeidung, Wiesbaden: Gabler. Hurd, Cuthbert C. (1981): »Early IBM Computers: Edited Testimony«, in: Annals of the History of Computing 3/2, S. 163-182. IBM Press Release, 1965, Armonk/N.Y: IBM.
230 | Das Wissen der Börse Imhof, Kurt (2005): »Deregulation – Regulation: Das ewige Spiel sozialer Ordnung«, in: ders./Thomas S. Eberle (Hg.), Triumph und Elend des Neoliberalismus, Zürich: Seismo, S. 15-35. Ingebretsen, Mark (2002): Nasdaq. A History of the Market that changed the World, Roseville: Forum. Investor’s Reader, 22. Februar 1956, New York. Jameson, Fredric (1991): Postmodernism, or, the Cultural Logic of Late Capitalism, Durham/N.C.: Duke University Press. — (1997): »Culture and Finance Capital«, in: ders., The Cultural Turn. Selected Writings on the Postmodern 1983-1998, London: Verso, S. 136-161. Johansen, Anders/Sornette, Didier (1997): »Large financial crashes«, in: Physica 243, S. 411-422. —/Sornette, Didier (1999): »Financial ›Anti-Bubbles‹: Log-Periodicity in Gold and Nikkei Collapses«, in: International Journal of Modern Physics 10/4, S. 563-575. Kador, John/Schwab, Charles (2002): How One Company Beat Wall Street and Reinvented the Brokerage Industry, New York: John Wiley & Sons. Kaiser, Dieter (2007): Der Lebenszyklus von Hedgefonds: Grundlagen, Modellierung und empirische Evidenz, Wiesbaden: Gabler. Kalthoff, Herbert (2005): »Practices of Calculation. Economic Representation and Risk Management«, in: Theory, Culture & Society 22/2, S. 69-97. — (2006): »The Launch of Banking Instruments and the Figuration of Markets. The Case of the Polish Car Trading Industry«, in: Journal for the Theory of Social Behaviour 36/4, S. 347-368. — (2007): »Rechnende Organisation. Zur Anthropologie des Risikomanagements«, in: Jens Beckert/Rainer Diaz-Bone/Heiner Ganssmann (Hg.), Märkte als soziale Strukturen, Frankfurt a.M.: Campus, S. 151-165. Kessler, Oliver (2008): Die Internationale Politische Ökonomie des Risikos. Eine Analyse am Beispiel der Diskussion um die Reformierung der Finanzmärkte, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Keynes, John Maynard (1936): The General Theory of Employment, Interest, and Money, London: Macmillan. Kindleberger, Charles P./Robert Aliber (2005): Manias, Panics and Crashes: A History of Financial Crises, 5. Aufl., Hoboken/N.J.: Wiley. Kirpal, Alfred/Vogel, Andreas (2006): »Neue Medien in einer vernetzten Gesellschaft: Zur Geschichte des Internets und des World Wide Web«, in: Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 14/3, S. 137-147. Kittler, Friedrich (1991): »Fiktion und Simulation«, in: Karlheinz Barck/Peter Gente/Heidi Paris/Stefan Richter: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam, S. 196-213. — (1996): »Wenn das Bit Fleisch wird«, in: Martin Klepper/Ruth Mayer/ Ernst-Peter Schneck (Hg.), Hyperkultur. Zur Fiktion des Computerzeitalters, Berlin/New York: Gruyter, S. 150-162.
Literatur | 231 Klamer, Arjo A./C. Leonard, Thomas (2000): »So what’s an economic metaphor?«, in: Philip Mirowski (Hg.), Natural images in economic thought, Cambridge: Cambridge University Press, S. 20-51. Knorr Cetina, Karin/Bruegger, Urs (2000): »The Market as an Object of Attachment: Exploring Postsocial Relations in Financial Markets«, in: Canadian Journal of Sociology 2/25, S. 141-168. — (2002): »Global Microstructures. The Virtual Societies of Financial Markets«, in: American Journal of Sociology 4/107, S. 905-950. — (2005): »Globale Mikrostrukturen. Die virtuellen Gesellschaften von Finanzmärkten, in: Paul Windolf (Hg.), Finanzmarktkapitalismus. Analysen zum Wandel von Produktionsregimen, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 145-171. Knorr-Cetina, Karin (2005): »How Are Global Markets Global? The Architecture of a Flow World«, in: dies./Alex Preda (Hg.), The Sociology of Financial Markets, Oxford: Oxford University Press, S. 38-61. — (2007): »Economic Sociology and the Sociology of Finance. Four Distinctions, Two Developments, One Field?«, in: Economic Sociology: The European Electronic Newsletter 8/3, S. 4-10. Korper, Steffano/Ellis, Juanita (2000): The E-Commerce Book: Building the E-Empire, San Diego: Academic Press. Krämer, Sybille (1997): »Kalküle als Repräsentation. Zur Genese des operativen Symbolismus in der Neuzeit«, in: Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner/Bettina Wahrig-Schmidt (Hg.), Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin: Akademie Verlag, S. 111-122. Kremer, Jürgen (2005): Einführung in die diskrete Finanzmathematik, Wien/ New York: Springer. Kümmel, Albert/Schüttpelz, Erhard (Hg.) (2003): Signale der Störung, München: Fink. Laclau, Ernesto (2001): »Can Imperialism Explain Social Struggles?«, in: diacritics 31/4, S. 3-10. Lagger, André (1995): Risikomanagement bei Banken, Bern: Haupt. Langenohl, Andreas (2007a): »Die Sinndimension von Markt-Zeit. Zum Verhältnis zwischen der Operationsweise von Finanzmärkten und ihren (Selbst-)Darstellungen«, in: ders./Kerstin Schmidt-Beck (Hg.), Die Markt-Zeit der Finanzwirtschaft. Soziale, kulturelle und ökonomische Dimensionen, Marburg: Metropolis, S. 7-36. — (2007b): »Kurzfristigkeit und Langfristigkeit als Artikulation und Lösung gesellschaftlicher Krisenkonstellationen. Zur finanzökonomischen Dimension sozialen Sinns«, in: ders./Kerstin Schmidt-Beck (Hg.): Die Markt-Zeit der Finanzwirtschaft. Soziale, kulturelle und ökonomische Dimensionen, Marburg: Metropolis, S. 323-355. Latour, Bruno (1990): »Drawing Things Together«, in: Michael Lynch/ Steven Woolgar (Hg.), Representation in Scientific Practice, Cambridge/ Mass.: MIT Press, S. 19-68.
232 | Das Wissen der Börse Lazzarato, Maurizio (1998): »Verwertung und Kommunikation. Der Zyklus immaterieller Produktion«, in: Toni Negri/Maurizio Lazzarato/Paolo Virno, Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Berlin: ID Verlag, S. 53-66. — (2002): Videophilosophie. Zeitwahrnehmung und Postfordismus, Berlin: b_ books. Lee, Benjamin/LiPuma, Edward (2002): »Cultures of Circulation: The Imaginations of Modernity«, in: Public Culture 14/1, S. 191-213. Lee, Debbie/Fulford, Tim (2000): »Virtual Empires«, in: Cultural Critique 44, S. 3-28. Lee, Ho Geun (1996): »Electronic Brokerage and Electronic Auction: The Impact of IT on Market Structures«, in: Jay F. Nunamaker/Ralph H. Sprague (Hg.), Proceedings of the 29th HICSS, Vol. IV: Information Systems – Organizational Systems and Technology, Los Alamitos: IEEE Computer Society Press, S. 397-406. Lee, Richard (1996): »›Structures of Knowledge‹. In The Age of Transition. Trajectory of the World-System, 1945-2025«, in: Terence Hopkins (Hg.), Immanuel Wallerstein, London: Zed Books, S. 178-206. Lefevre, Edwin (1901): Wall Street Stories, London: McClure, Phillips & Co. — (1923): Reminiscences of a Stock Operator, New York: Wiley. Lemon, Richard/Gill, Brendan/Hellman, Geoffrey T. (1955): »Omniscient Boards«, in: The New Yorker v. 27. August 1955, S. 22. Leyshon, Andrew/Thrift, Nigel (1997): Money/Space: Geographies of Monetary Transformation, New York: Routledge. Lightman, Alex/Rojas, William (2002): Brave New Unwired World. The Digital Big Bang and the Infinite Internet, New York: John Wiley & Sons. Link, Jürgen (1997): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Opladen: Leske + Budrich. — (2002): »Das ›normalistische Subjekt‹ und seine Kurven. Zur symbolischen Visualisierung orientierender Daten«, in: David Gugerli/Barbara Orland (Hg.), Ganz normale Bilder. Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeit (Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 2), Zürich: Chronos, S. 107-128. Löfgren, Orvar/Willim, Robert (2005): Magic, Culture and the New Economy, Oxford/New York: Berg. Loomis, Carol J. (1966): »The Jones Nobody Keeps Up With«, in: Fortune Magazine 4, S. 4. Louçâ, Francisco (1998): »Wie lange dauert einer Langzeit? Historische Methoden in der Wirtschaftsforschung – kritisch betrachtet«, in: Hans Thomas/Leo A. Nefiodow (Hg), Kondratieff s Zyklen der Wirtschaft, Herford: Busse Seewald, S. 265-281. Lux, Thomas/Marchesi, Michele (1999): »Scaling and Criticality in a Stochastic Multi-Agent Model of a Financial Market«, in: Nature 397, S. 498500.
Literatur | 233 MacKenzie, Donald (2004): »The Big, Bad Wolf and the Rational Market: Portfolio Insurance, the 1987 Crash and the Performativity of Economics«, in: Economy and Society 33/3, S. 303-334. — (2005): »Opening the Black Boxes of Global Finance«, in: Review of International Political Economy 12/4, S. 555-576. —/Beunza, Daniel/Hardie, Ian (2007): »Die materiale Soziologie der Arbitrage«, in: Jens Beckert/Rainer Diaz-Bone/Heiner Ganssmann (Hg.), Märkte als soziale Strukturen, Frankfurt a.M.: Campus, S. 135-150. —/Millo, Yuval (2003): »Constructing a Market, Performing a Theory. The Historical Sociology of a Financial Derivatives Exchange«, in: American Journal of Sociology 109, S. 107-45. Mandelbrot, Benoit B./Hudson, Richard L. (2007): Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin, München/Zürich: Heyne. Mantegna, Rosario N./Stanley, Eugene H. (1996): »Turbulence and Financial Markets«, in: Nature 383, S. 587-588. —/Stanley Eugene H. (1999): An Introduction to Econophysics: Correlations and Complexity in Finance, Cambridge: Cambridge University Press. Markham, Jerry W. (2001): A Financial History of the United States, New York: M.E. Sharp. Marx, Karl (1856/1961): »Die Wirtschaftskrise in Europa« [orig. in: New-York Daily Tribune, Nr. 4828 vom 9. Oktober 1856, Leitartikel], in: Karl Marx/ Friedrich Engels: Werke 12, Berlin: Dietz, S. 49-52. — (1857/1953): Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (Rohentwurf 1857-58), Berlin: Dietz. — (1867/1988): Das Kapital, Bd. 1: Der Produktionsprozess des Kapitals, MEW 23, Berlin: Dietz. Mathias, Albert et al. (1999): Die Neue Weltwirtschaft: Entstofflichung und Entgrenzung der Ökonomie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Matschke, Manfred J./Olbrich, Michael (2000): Internationale und Außenhandelsfinanzierung, Oldenbourg: Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Mattelart, Armand (1994): Mapping World Communication: War, Progress, Culture, Minneapolis: University of Minnesota Press. — (2000): Networking the World, 1794-2000, Minneapolis: University of Minnesota Press. McChesney, Robert W. (1998): »Media Convergence and Globalisation«, in: Daya Thussu (Hg.), Electronic Empires: Global Media and Local Resistance, London: Arnold, S. 27-46. McCloskey, Deirdre (1994): »Metaphors economists live by«, in: Social Research 62, S. 215-37. McCloskey, Donald N. (1994): Knowledge and persuasion in economics, Cambridge: Cambridge University Press. McLuhan, Marshall (1962): The Gutenberg Galaxy. The Making of Typographic Man, Toronto: University of Toronto Press. — (1964): Understanding Media. The Extensions of Man, New York: McGrawHill.
234 | Das Wissen der Börse — (1968): Die magischen Kanäle. Understanding Media, Düsseldorf: Econ Verlag. Mehrling, Perry (2005): Fischer Black and the Revolutionary Idea of Finance, Hoboken/N.J.: Wiley. Meier, Richard T./Sigrist, Tobias (2006): Der helvetische Big Bang. Die Geschichte der SWX Swiss Exchange, Zürich: Nzz Libro. Menkhoff, Lukas/Röckemann, Christian (1994): »Noise trading auf Aktienmärkten. Ein Überblick zu verhaltensorientierten Erklärungsansätzen nicht-fundamentaler Kursbildung«, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 3/64, S. 277-295. Merill Lynch (1967): Questions and Answers about the Stock Market, New York: Merrill Lynch (Eigenverlag). Merton, Robert C. (1992): Continuous-time Finance, Cambridge: Blackwell. Michie, Ranald (1999): The London Stock Exchange. A History, Oxford: Oxford University Press. Middleton, William E. Knowles (2002): The History of the Barometer, Baltimore: John Hopkins University Press. Miller, Peter (1992): »Accounting and Objectivity: The Invention of Calculating Selves and Calculable Spaces«, in: Annals of Scholarship 9, S. 61-85. — (2001): »Governing by Numbers. Why Calculative Practices Matter«, in: Social Research 68/2: S. 379-95. —/Christopher Napier (1993): »Genealogies of Calculation«, in: Accounting, Organizations and Society 18, S. 631-647. Millman, Gregory J. (1999): The Day Traders. The Untold Story of the Extreme Investors and How They Changed Wall Street Forever, New Work: Times Business. Morgan, Gareth (2000): Bilder der Organisation, Stuttgart: Klett Cotta. Mulgan, Geoff (1997): How to Live in a Connected World, London: Chatto & Windus. Muniesa, Fabian (2003): Des marchés comme algorithmes. Sociologie de la cotation électronique à la Bourse de Paris, PhD dissertation, Ecole des Mines, Paris. Murphy, John J. (2003): Technische Analyse der Finanzmärkte. Grundlagen, Methoden, Strategien, Anwendungen, München: FinanzBuch Verlag. — (2005): Neue Intermarket-Analyse, München: FinanzBuch Verlag. Neckel, Sighard (1996): »Identität als Ware. Die Marktwirtschaft im Sozialen«, in: Florian Müller/Michael Müller (Hg.), Markt und Sinn. Dominiert der Markt unsere Werte? Frankfurt a.M. [u.a.]: Campus, 133-145. Negroponte, Nicholas (1996): Being Digital, New York: Vintage. Neill, Humphrey B. (1950): The Inside Story of the Stock Exchange. A Fascinating Saga of the World’s Greatest Money Market Place, New York: B.C. Forbes & Sons. Nelson, Samuel A. (1904): The ABC of Options and Arbitrage, New York: S.A. Nelson. — (Hg.) (1900): The ABC of Wall Street, New York: S.A. Nelson.
Literatur | 235 New York Curb Exchange, Committee on Publicity (Hg.) (1931): New York Curb Exchange History. The New Edifice, Organization, Requirements, Execution of an Order. Summary of Report of Committee of Stock Exchange Investigation of the National Association of Securities Commissioners on the New York Curb Exchange, New York: Curb Exchange. Nora, Simon/Minc Alain (1980): The Computerization of Society: A Report to the President of France, Cambridge: MIT Press. NYSE (1963): The Stock Market Under Stress. The Events of May 28, 29, and 31, 1962. A Research Report, New York: NYSE. — (1964): Fact Book, New York: NYSE. — (1984): Super Dot 250. The Electronic Pathway to the New York Stock Exchange, New York: NYSE, Archives of the NYSE. — (1991): Fact Book, New York: NYSE. Ötsch, Walter (2007): »Die kulturelle Evolution von Bildern über die Wirtschaft und das Konzept der sozialen Verantwortung von Unternehmen«, in: Thomas Beschorner et al. (Hg.), Unternehmensverantwortung aus kulturalistischer Sicht, Marburg: Metropolis, S. 185-203. Peinke, Joachim et.al. (2004): »Turbulenzen am Finanzmarkt«, in: Einblikke 39 (Mitteilungsblatt der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), S. 18-21. Peltz, Michael (1995): »Instinet’s Identity Crisis«, in: Institutional Investor 17/1, S. 9-11. Persons, Warren M. (1919): »Indices of Business Conditions«, in: Review of Economic Statistics 1/1, S. 5-107. Phister, Montgomery (1989): »Quotron II: An Early Multiprogrammed Multiprocessor for the Communication of Stock Market Data«, in: IEEE Annals of the History of Computing 11/2, S. 109-126. Pickering, Andrew (2001): Practice and Posthumanism: Social Theory and a History of Consequences, Cambridge/Mass.: MIT Press. Pircher, Wolfgang (Hg.) (2000): Sozialmaschine Geld: Kultur, Geschichte [Ausstellungskatalog; anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im O.K Centrum für Gegenwartskunst Oberösterreich v. 3.12.1999 – 2.3.2000], Frankfurt a.M.: Anabas. Pohl, Hans (Hg.) (1992): Deutsche Börsengeschichte, Frankfurt a.M.: Knapp. Polanyi, Karl (1944/1995): The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Porter, Theodore (1995): Trust in Numbers. The Pursuit of Objectivity in Science and Public Life, Princeton: Princeton University Press. Preda, Alex (2001): »The Rise of the Popular Investor: Financial Knowledge and Investing in England and France, 1840-1880«, in: Sociological Quarterly 42/2, S. 205-32. — (2002): »Financial Knowledge, Documents, and the Structures of Financial Agency«, in: Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina/Eike von
236 | Das Wissen der Börse Savigny (Hg.), The Practice Turn in Contemporary Theory, London: Routledge, S. 163-174. — (2006): »Socio-technical Agency in Financial Markets. The Case of the Stock Ticker«, in: Social Studies of Science 36/5, S. 753-782. — (2007): »Technology and Boundary-marking in Financial Markets«, in: economic sociology_the European electronic newsletter 8/3, S. 33-40. Priebe, Carsten (2004): Der Börsencrash 1929, Books on demand. Prigogine, Ilya (1998): Die Gesetze des Chaos, Frankfurt a.M.: Insel. —/Stengers, Isabelle (1999): Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens, München: Piper. Pryke, Michael/Allen, John (2000): »Monetized Time-Space. DerivativesMoney’s ›New Imaginary‹?«, in: Economy and Society 29/2, S. 264-84. Raley, Rita (2004): »eEmpires«, in: Cultural Critique 57/1, S. 111-150. Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Rappaport, James E./Cushman/Robert F./Daroff, Karen (Hg.) (1991): Office planning and design desk reference, Somerset/N.J.: Wiley. Rappaport, Stephen P. (1988): Management on Wall Street. Making Securities Firms Work, Homewood/Ill.: Dow Jones-Irwin. Read, Donald (2003): The Power of News. The History of Reuters, Oxford [u.a.]: Oxford University Press. Reichert, Ramón (Hg.) (2004): Governmentality Studies. Analysen liberaldemokratischer Gesellschaften im Anschluss an Michel Foucault, Hamburg: LIT-Verlag. — (2006): »Medien des Lebens. Interdependenzen von Immunologie, Kybernetik und Politik«, in: Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst 59/2, S. 34-52. — (2009): »Medienarchäologie des Finanzmarktes«, in: Recherche. Zeitung für Wissenschaft 4/1, S. 24-25. Reichling, Peter/Bietke, Daniela/Henne, Antje (Hg.) (2007): Praxishandbuch Risikomanagement und Rating. Ein Leitfaden, Wiesbaden: Gabler. Rheinberger, Hans-Jörg (1997): »Von der Zelle zum Gen. Repräsentationen der Molekularbiologie«, in: Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner/ Bettina Wahrig-Schmidt (Hg.), Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur, Berlin: Akademie Verlag, S. 265-279. Riles, Annelise (2000): The Network Inside Out, Ann Arbor: University of Michigan Press. Robbins, Bruce (1999): Feeling Global, New York: Cornell University Press. Rosa, Hartmut (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Rosenberg, Jerry M. (1982): Inside the Wall Street Journal: The History and the Power of Dow Jones & Company and America’s Most Influential Newspaper, New York: Macmillan. Sabourin, Delphine/Serval, Thomas (2007): »Electronization of Nasdaq: Will Market Makers survive?«, in: Eric Brousseau/Nicolas Curien (Hg.),
Literatur | 237 Internet and Digital Economics, Cambridge: Cambridge University Press, S. 588-616. Sarasin, Philipp (2008): Die Welt erlebt den Einbruch des Realen in das Virtuelle, in: Tagesanzeiger, 15. Oktober, www.tagesanzeiger.ch/kultur/diverses (letzter Zugriff 1. Juni 2009). Sassen, Saskia (2005): »The Embeddedness of Electronic Markets. The Case of Global Capital Markets«, in: Karin Knorr-Cetina/Alex Preda (Hg.), The Sociology of Financial Markets, Oxford: Oxford University Press, S. 17-37. Saunders, Anthony (1994): Financial Institutions Management. A Modern Perspective, Burr Ridge/Ill.: Irwin. Schimank, Uwe/Volkmann, Ute (2008): »Die Ökonomisierung der Gesellschaft«, in: Andrea Maurer (Hg.), Handbuch der Wirtschaftssoziologie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 382-393. Schlag, Christian (2006): »Interview«, in: Markus Zydra (Hg.), Mensch, Börse! Experten finden Worte für die Kurse, Wiesbaden: Gabler. Schohl, Frank (1999): Die markttheoretische Erklärung der Konjunktur, Tübingen: Mohr Siebeck. Schröter, Jens (2000): Der König ist tot, es lebe der König. Zum Phantasma eines technologischen Subjekts der Geschichte, www.theorie-der-medien.de/ text_detail.php?nr=9 (letzter Zugriff 1. Juli 2009). Schulte-Holtey, Ernst (2001): »Über Kurvenlandschaften in Printmedien. Am Beispiel der Hamburger Zeitung ›Die Woche‹«, in: Ute Gerhard/ Jürgen Link/Ernst Schulte-Holtey (Hg.), Infografiken, Medien, Normalisierung. Zur Kartografie politisch-sozialer Landschaften, Heidelberg: Synchron, Wissenschaftsverlag der Autoren, S. 93-114. Schumpeter, Joseph A. (1942/1972): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Stuttgart: Uni-Taschenbücher UTB. Schwarz, Thomas (1998): »Die Sprache des Aktienhandels«, in: kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie 17/36, S. 47-55. Scott, Joan (2001): »Fantasy Echo: History and the Construction of Identity«, in: Critical Inquiry 27, S. 284-304. SEC (1938): First Annual Report of the Securities and Exchange Commission, Fiscal Year Ended June 30, 1935, Washington, D.C.: U.S. Securities and Exchange Commission. — (1947): A Report on Stock Trading on the New York Stock Exchange on September 3, 1946, Washington, D.C.: U.S. Securities and Exchange Commission. — (1963): Report of the Special Study of Securities Markets of the Securities and Exchaneg Commission, Washington: U.S. Government Printing Office. — (1997): Report to the Congress. The Impact of Recent Technologies Advances on the Securities Markets, Washington, D.C.: U.S. Securities and Exchange Commission. Selden, George C. (1917): The Machinery of Wall Street, New York: The Magazine of Wall Street.
238 | Das Wissen der Börse Seligman, Joel (1977/2003): The Transformation of Wall Street, New York: Aspen Publishers. Shapiro, Carl/Varian, Hal R. (1999): Information Rules: A Strategic Guide to the Network Economy, Boston: Harvard Business School Press. Shiller, Robert J. (2003): The New Financial Order. Risk in the 21st Century, Princeton: Princeton Univ. Press. Siegert, Bernhard (2003): Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900, Berlin: Brinkmann & Bose. Simmel, Georg (1923): »Aus dem nachgelassenen Tagebuche«, in: ders., Fragmente und Aufsätze aus dem Nachlass und Veröffentlichungen der letzen Jahre, München: Drei Masken. — (1900/1989): Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Solomon, Elinor (1997): Virtual Money: Understanding the Power and Risks of Money’s High- Speed Journey into Electronic Space, New York: Oxford University Press. Solomon, Ezra (1974): Wall Street in Transition. The Emerging System and Its Impact on the Economy, New York: New York University Press. Sombart, Werner (1917/1987): Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, 3 Bände, München: Duncker & Humblot. Sornette, Didier (2004): Why Stock Markets Crash, Princeton: Princeton University Press. Stäheli, Urs (2000): Poststrukturalistische Soziologien, Bielefeld: transcript. — (2007): Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Stansbury, Charles B. (1938): The Dow Theory Explained, New York: Barron’s. Stedman, Edmund Clarence (Hg.) (1905): The New York Stock Exchange: Its History, Its Contribution to the National Prosperity, and Its Relation to American Finance at the Outset of the Twentieth Century, New York: New York Stock Exchange Historical Company. Stillman, Richard J. (1986): Dow Jones Industrial Average: History and Role in an Investment Strategy, Chicago: Brown. Strulik, Torsten (2006): »Introduction«, in: Torsten Strulik/Helmut Willke (Hg.), Towards a Cognitive Mode in Global Finance. The Governance of a Knowledge-Based Financial System, Frankfurt a.M. u. New York: Campus. Tanner, Jakob (2002): »Wirtschaftskurven. Zur Visualisierung des anonymen Marktes«, in: David Gugerli/Barbara Orland (Hg.), Ganz normale Bilder. Historische Beiträge zur visuellen Herstellung von Selbstverständlichkeit (Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der Technik, Band 2), Zürich: Chronos, S. 129-180.
Literatur | 239 Teece, David J. (1977): »Technology Transfer of Multinational Firms: The Resource Cost of Transferring Technological Knowhow«, in: Economic Journal 87, S. 242-261. Teleregister (Hg.) (1956) : Special Purpose Electronic Engineering ... that Sets the Pace! Boston: Teleregister (Western Union). Tellmann, Ute (2007): »Die Zeit und die Konventionen der Ökonomie«, in: Andreas Langenohl/Kerstin Schmidt-Beck (Hg.), Die Markt-Zeit der Finanzwirtschaft. Soziale, kulturelle und ökonomische Dimensionen, Marburg: Metropolis Verlag, S. 239-260. Teweles, Richard Jack/Bradley, Edward S. (1998): The Stock Market, Somerset/N.J.: Wiley. Thomas, Gordon/Morgan-Witts, Max (1979): The Day the Bubble Burst. A Social History of the Wall Street Crash, London: Hamilton. Thussu, Daya Dishan (Hg.) (1999): Electronic Empires. Global Media and Local Resistance, London: Arnold. Tickell, Adam (2000): »Dangerous Derivatives: Controlling and Creating Risks in International Money«, in: Geoforum 31, S. 87-99. Time Magazine (1964), 22. Mai 1964. Useem, Michael (1996): Investor Capitalism. How Money Managers Are Changing the Face of Corporate America, New York: Basic Books. Vattimo, Gianni (1990): Das Ende der Moderne, Stuttgart: Reclam. Vief, Bernhard (1991): »Digitales Geld«, in: Florian Rötzer (Hg.), Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 117-146. Virilio, Paul (1987): Das öffentliche Bild, Bern: Benteli. Vogl, Joseph (Hg.) (1999): Poetologien des Wissens um 1800, München: Fink. Voit, Johannes (2000): The Statistical Mechanics of Financial Markets, Wien/ New York: Springer. Wallerstein, Immanuel (1979): The Capitalist World Economy, Cambridge: Cambridge University Press. Warshow, Robert Irving (1929): The Story of Wall Street, New York: Greenberg. Weber, Bruce (1999): »Next-Generation Trading in Futures Markets. A Comparison of Open Outcry and Order Matching Systems«, in: Journal of Management Information Systems 16/2, S. 29-45. Weber, Max (1907/1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der Verstehenden Soziologie. 5. Aufl., Tübingen: Mohr Siebeck. Weber, Thomas (2001): Das Einmaleins der Hedge Funds. Eine Einführung für Praktiker in hochentwickelte Investmentstrategien, Frankfurt a.M.: Campus. Weizenbaum, Joseph (1976): Computer Power and Human Reason, New York: W. H. Freeman. White, Michael (2003): »Metaphor and economics: the case of growth«, in: English for Specific Purposes 22, S. 131-151.
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Heiner Bielefeldt Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft Plädoyer für einen aufgeklärten Multikulturalismus 2007, 216 Seiten, kart., 22,80 €, ISBN 978-3-89942-720-2
Peter Gross Jenseits der Erlösung Die Wiederkehr der Religion und die Zukunft des Christentums (2. Auflage) 2008, 198 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-902-2
Detlef Horster Jürgen Habermas und der Papst Glauben und Vernunft, Gerechtigkeit und Nächstenliebe im säkularen Staat 2006, 128 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN 978-3-89942-411-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2009-09-21 11-06-52 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221424766894|(S.
1-
3) ANZ1140.p 221424766902
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Matthias Kamann Todeskämpfe Die Politik des Jenseits und der Streit um Sterbehilfe Oktober 2009, 158 Seiten, kart., 17,80 €, ISBN 978-3-8376-1265-3
Stephan Lessenich Die Neuerfindung des Sozialen Der Sozialstaat im flexiblen Kapitalismus 2008, 172 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-746-2
Werner Schiffauer Parallelgesellschaften Wie viel Wertekonsens braucht unsere Gesellschaft? Für eine kluge Politik der Differenz 2008, 152 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-643-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2009-09-21 11-06-52 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221424766894|(S.
1-
3) ANZ1140.p 221424766902
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft Karl-Heinrich Bette, Uwe Schimank Die Dopingfalle Soziologische Betrachtungen
Michael Opielka Kultur versus Religion? Soziologische Analysen zu modernen Wertkonflikten
2006, 276 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-537-6
2007, 190 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-89942-393-8
Thomas Etzemüller Ein ewigwährender Untergang Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert
Werner Rügemer »Heuschrecken« im öffentlichen Raum Public Private Partnership – Anatomie eines globalen Finanzinstruments
2007, 218 Seiten, kart., zahlr. Abb., 22,80 €, ISBN 978-3-89942-397-6
2008, 172 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-851-3
Kai Hafez Heiliger Krieg und Demokratie Radikalität und politischer Wandel im islamischwestlichen Vergleich September 2009, 282 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1256-1
Byung-Chul Han Duft der Zeit Ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens April 2009, 114 Seiten, kart., 15,80 €, ISBN 978-3-8376-1157-1
Thomas Hecken 1968 Von Texten und Theorien aus einer Zeit euphorischer Kritik 2008, 182 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN 978-3-89942-741-7
Thomas Hecken Avantgarde und Terrorismus Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den Futuristen bis zur RAF
Werner Rügemer (Hg.) Die Berater Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft 2004, 246 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-89942-259-7
Oliver Scheytt Kulturstaat Deutschland Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik 2008, 310 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-400-3
Natan Sznaider Gedächtnisraum Europa Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus. Eine jüdische Perspektive 2008, 156 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-692-2
Franz Walter Im Herbst der Volksparteien? Eine kleine Geschichte von Aufstieg und Rückgang politischer Massenintegration Februar 2009, 136 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN 978-3-8376-1141-0
2006, 162 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN 978-3-89942-500-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
2009-09-21 11-06-52 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 02b6221424766894|(S.
1-
3) ANZ1140.p 221424766902