Das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis: Ein Beitrag zur Problematik paralleler Gestattungsverfahren und Umweltstandards setzender normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften [1 ed.] 9783428484843, 9783428084845

Umweltrecht ist nur dann wirklich effektiv, wenn die bestehenden Vorschriften in der Rechtspraxis auch angewandt werden.

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German Pages 447 Year 1996

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Das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis: Ein Beitrag zur Problematik paralleler Gestattungsverfahren und Umweltstandards setzender normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften [1 ed.]
 9783428484843, 9783428084845

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GEORG KASTER Das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlln

Band 63

Das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis Ein Beitrag zur Problematik paralleler Gestattungsverfahren und Umweltstandards setzender normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften

Von

Dr. Georg Kaster

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kaster, Georg: Das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis : Ein Beitrag zur Problematik paralleler Gestattungsverfahren und Umweltstandards setzender normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften I von Georg Kaster. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 63) Zug!.: Bann, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08484-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08484-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 i§\

Meinen Eltern und Christoph und Maria

Vorwort Auf Erich Kästner ist die Formulierung "Es gibt nichts Gutes - außer man tut es" zurückzuführen, die sinngemäß übertragen für das Umweltrecht bedeutet, daß dieses nur dann wirklich effektiv ist, wenn die bestebenden Vorschriften in der Rechtspraxis auch angewandt werden. Die schönsten Umweltscbutznonnen und -Standards laufen ins Leere, wenn sie keine Realisierung in der Verwaltungspraxis finden. Deshalb soll mit der vorliegenden Arbeit der Versuch unternommen werden, die parallel nebeneinander erforderlichen Gestaltungsverfahren der wasserrechtlieben Erlaubnis und der immissionsschutzrechtlieben Genehmigung sowohl in materiell- als auch in formell-rechtlieber Hinsiebt voneinander abzugrenzen. Sowohl auf Behörden- als auch auf Belreiberseite besteht vielfach Unklarheit darüber, was in welchem Verfahren und mit Bindungswirkung für wen geprüft und entschieden wird. Deutlich soll werden, daß das bestehende Recht entgegen einer verbreiteten pessimistischen Grundhaltung durchaus effektives Verwaltungshandeln ermöglicht, das bei entsprechender Anwendung sowohl den Interessen von Ökonomie als auch denen von Ökologie gerecht werden kann. Wenn vorliegend parallele Gestaltungsverfahren untersucht werden, so sei damit auch ein Beitrag dazu geleistet, mit dem Aufzeigen der Praktikabilität von Arbeitsteilung und Spezialisierung durch die Beteiligung verschiedener Behörden warnend die Stimme vor der Gefahr immer weiter um sich greifender Kompetenzkonzentrationen bei "übergeordneten" Stellen zu erheben. Eine Rückbesinnung in diesem Bereich auf das bewährte - auch hier im übertragenen Sinne anwendbare - Subsidiaritätsprinzip und damit ein Ermöglichen von Verwaltungsentscheidungen auf möglichst unterer Ebene durch kompetente Stellen täte gut. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Jürgen Salzwedel, der diese Arbeit von der Themenwahl bis zur Fertigstellung betreut und mich mit wertvollen Hinweisen unterstützt hat. Mein Dank gilt ferner der KonradAdenauer-Stiftung, die die Erstellung dieser Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert hat. Schließlich bin ich den Vertretern nordrhein-westfälischer Umweltbehörden und Unternehmen, die mir die untersuchte Problematik in oft stundenlangen Gesprächen aus der Sicht des Praktikers geschildert

Vorwon

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haben, zu Dank verpflichtet. Dank Herrn Professor Dr. Wolfgang Löwer für die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Professor Dr. Michael Kloepfer, der die Arbeit in die von ihm herausgegebene Reihe "Schriften zum Umweltrecht" aufgenommen hat. Die Arbeit wäre nicht möglich geworden ohne die Unterstützung, die mir meine Eltern Ludwig und Gisela Kaster sowie mein Bruder Christoph bereits seit Beginn meiner Ausbildung haben zukommen lassen. Goch/Bonn, im März 1995

Georg Kaster

Inhaltsverzeichnis A. Problemstellung und thematische Abgrenzung ....... ..... ....... ... .... .. ...... ....... .... .. ...... 21 I. Parallelität von Gestanungsakten .. ... ..... .. .... ...... .. .... ..... ... .... .. ......... .. ... .. ....... ... . 21 li. Nebeneinander von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis .................. ..... ........................ ...... .. ............... . .. .... ........... . 22 III. Abwasserbeseitigungspflicht ... ... ....................... ... ... ... ............... ........ ..... ..... .. 22 IV. Nebeneinander von Verwaltungsverfahren ............ .. .. .... ........................ .. .. .. ..... 24 V. Grundlegende materielle Rechtsvorschriften und Aspekte der beiden Verwaltungsverfahren .. .. .... ... . .. ...... ... ........... .................... ................. . ............... ... 25 VI. Umweltstandards enthaltende Verwaltungsvorschriften ...... ................ .. ................ 30 VII. Umwelt-contra Investitionsschutz? .................... .. ........ .. .................... .. ...... ... 31 VIII. Rechtsschutzinteressen ............ ........ .... ........... ... .... ............. ............ ... ... .... 31 IX. Klärungsbedarf aus Behördensicht ... ..... .... ... .. ... ... .. ... .... ... ... ........ ... .. ..... .... .... . 32 X. Klärungsbedarf mit Blick auf die neuen Bundesländer .. .... .. .................... ........ .. .. .. 32 1. Übertragung des Rechtes der alten auf die neuen Bundesländer ........... ...... ... ... .... 34 2. Ausmaß der Unterschiedlichkeil des ehemaligen Rechtes der DDR zum hier untersuchten Recht ......... .... ... ................. ... ... . ... .... ......... ......... ...... ... .... ... 38 XI. Gang der Untersuchung .......... .. .. .... ...... .. .......... .... .. .. ...... .. ............ .. .... .. .. .. .. 39

8. Allgemeine Lösungsansätze zur Abgrenzung paralleler Prüfungs- und Entscheidungskompetenzen ..... ... .... .... ........ ... ......... .. ... ... .. .... .... ... .. .... .... .......... 42 I. Vollständige Bindung für andere Behörden (Vollbindung) .................................. .. .. 43 II. Fachbindung für andere Behörden (Fachbindung) ..... .. .. .. ...................... .. .. .. .... .. .. 44 111. Separation .. ... ... ... ............ .. .. ...... .. .. ............ .. ..... ..... ......... ..... ....... ... .. ... .. .. . 46 I . Ansätze zur Entwicklung der Separationslösung in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ... .... .. . ................ .... .. ........ ...... .... ... ... ...... .......... .. 46 2. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes .. .... .... .... .. .... .... .. .. .... .. .. ... 47 3. Die untergerichtliche Rechtsprechung und die Literatur .. ...... .. ............ .... .. .... .. .. 50 4. Modifizierungen des "reinen" Separationsansatzes .. .. ...... ...... .. ............ .. ... .. .. .. .. 51 IV. Vergleichende Betrachtung der verschiedenen Lösungsansätze .... ............ .. .... .. .. .. .. 53 V. Diskussion der verschiedenen Lösungsansätze ...... .... .. .... .................. .. .. .. ...... .. ... 54 I. Der Ansatz der Vollbindung .. .... ........ .. .. .... .. ........ ... ................ .... .. .. .... .. .. ... 54

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Inhaltsverzeichnis 2. Der Ansatz der Fachbindung .... ........................ .. .......................... .... ...... ... 57 3. Der Ansatz der Separation .. .. .. .. .................... .... .. .... .................. .. .. .. .... .. .... 61 4. Erweiterung des Separationsansatzes um eine Evidenzprüfung .............. .. .. .... .. .... 65 a) Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung .... ...... .................................. 65 b) Fehlendes Antrags- oder Sachbescheidungsinteresse .. .................................. 66 c) Nebenbestimmungen aufgrund ressortfremder Gesichtspunkte ..... .... . ..... ......... 66 d) Bestimmung von "Evidenz" ............ .. ............ .. .. .. .................... .. ............ 67 e) Prüfungspflicht ressortfremder Gesichtspunkte? .. .. .. ........ ............ .... .. .... .. .... 68 f) Bindung der Zweitbehörde .............................. .. .................................... 68

VI. Grundsätzliche Kriterien der Abgrenzung der Prüfungs- und Entscheidungskompetenzen bei parallelen GestaltUngsverfahren ..... .. .. .... .................... .. .. .... ..... 70

1. Anforderungen eines solchen Fachgesetzes, das kein eigenes GestaltUngsverfahren kennt .............. ..... ... ............................... .. ....... ....... ........ .... ..... ... 70 a) Der Lösungsvorschlag Henselers ......... ..... ..... ... ... .. ...... ....... ............ ........ 72 b) Der Lösungsvorschlag Erbguths ................ .. ........ .. .. .. .............. .... .. .. ....... 72 c) Stellungnahme .............. ... ......................... ... . .. .................... ... ............ 73 2. Abgrenzung der Kernbereiche nach dem stärkeren Bezug .................. .. .............. 76 Vß. Ergebniskontrolle .. ........ ... ... ... .. .. ................. ... ....... .... .... ...... ............. ...... .. 76 C. Gnmdsätzlk:he Folgenmgen des ModeUs zur Abgrenzung paralleler Gestattuupakte filr das Verbiltnis von immissioosschutzrechtlicher Genehmigung und was-

serrecbtlicher Erlaubnis ......................................... ..... .................... ... ............ 78 I. Kriterium des stärkeren Bezuges zu dem in die originäre Zuständigkeit der jeweiligen Behörden fallenden Regelungsgegenstand ............... ..... ... .................... .. ..... ........ 78 11. Bedeutung der Konzentrationsvorschrift des§ 13 BlmSchG .................... .. .. .. ...... ... 81

1. Die Herausnahme wasserrechtlicher Behördenentscheidungen .. ........ .. .. .. .. .... .. .... 81 a) Die Ansicht Flucks .. .. .. ..... .. ............ .. .... . ... ..... .... ...... ........... .. .. .. ..... .. ... 82 b) Erforderlichkeil der Ausnahme des§ 13 BlmSchG für die wasserrechtliche Erlaubnis ... ............. ... ... ...... . ......... ......... .. .. ... .................... . ... ... .... .... 82 2. Berücksichtigung von Gesichtspunkten des Naturschutzes und der Landschaftspflege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Einer oder mehrere Eingriffe in Natur und Landschaft? .......... .......... .. ...... .. .. 83 b) Subsidiarität des Naturschutzrechtes .... .. ...... ........... .. .. .. .... .. .... .. .. ............ . 85 c) Berücksichtigung bei parallel erforderlicher immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis .. . .. ... .................... ......... .. .... 86

m. Auslegung und Anwendung der Öffnungsklauseln hinsichtlich fachfremder Materie

beinhaltenden Genehmigungstatbestände ... .... .. ....... ... .. ......... ... ... .... .. . .. ... ... .. ... . 86

I. § 6 Nr. 2 BlmSchG .. .... .. .. .... .. .................. .... .. ...... .... .............. .. .... .... .... .. 87

Inhaltsverzeichnis

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2. § 6 Nr. I in Verbindung mit § S Abs. 1 Nr. 1 All. 2 BlmSchG........... .... ............ 88 3. §6WHG ........................ ... ............................ ... .................... . .. ..... ... .... 89 a) Eine ältere Auffassung .... ............. .. ... ....... ........ ............. . .. ....... ... ... ....... 90 b) Die dann zunächst vorherrschende Ansicht ... ... ... ... ................ ... .... .. ... ... .... 90 c) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.2.1978 und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.7.1981 ............ ... ...... ... .... 91 d) Interpretationen im Anschluß an diese Rechtsprechung .......... ............... .. .. .... 92 e) Die weitere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes .... ...... .. . .. ......... . 94 f) Nichtgelten des Ansatzes zur Abgrenzung paralleler Gestaltungsverfahren

im Rahmen des § 6 WHG? .. ...... ................ ... ... ... ................ ..... .. . .. .. ... .... 97 aa) Wonlaulinterpretalion .. ................. ..... ... .... .. ...................... ... ... ... .... 98 bb) Historische Interpretation .................. ... ...... ....................... ... .......... 98 cc) Systematische Interpretation .. .... ............. ..... ........ ............... ... ........ .. 99 dd) Teleologische Interpretation .. .......... .... ... ... ... ... ........ .............. ... ... ... 101 (1) Die Ansicht Tbums ......................... ... ............................... ....... l03

(2) Eigene Ansicht ... ...... ................... .. ... .. ......... ......... .. .... .... ... .. ... l04

D. Besoaderbeiten binsiebtlieb des ADfaUens von Abwasser sowie seiner VermeidUDI, Verwertuna und BeseJti&unl: f 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmScbG und f 7 a Abs. 1 WHG ...... . 106 I. Naturwissenschaftliche und technische Grundlagen der Vermeidung. Verwertung und Beseitigung von Abwasser ..... ............. .... ... .. ......... .............. ..... ... ... ... ... ... 106 I. Schädigung des Wasserhaushaltes und anderer Umwelanedien .............. ... ... ... ... 106

2. Größe und Menge des belriebliehen Frischwasserbedarfs und Abwasseranfalls .. ..... l08 3. Beschaffenheit des (Ab-)Wassen ........... .... .. ......... ...... .. ..... .... .... .. ..... ... ... ... 109 a) "Aufgaben" des Wassen in der Produktion ... ......... ..... ...... .... ........ ........... 109 b) Eigenschaftsänderungen des Wassen .... .... ...... ................ ... .... ..... ...... ... ... llO c) Kenngrößen für die Gewässergüte........... .. ..... ... ... ................. ..... ... ... ... ... 112 4. Die drei Stufen abwasserbezogenen Umweltschutzes .. ... ... ........ ........... ... ... ... ... 113 a) Additiver Umweltschutz .. .... .... ........ .... ....... .... .... ............. .. .. .. ..... .... .. ... 113 b) Integrierter Umweltschutz .... ..... ...... .. .... . ..... ... ... .... ...... .. .......... ... ... ...... 114 c) Analysierender Umweltschutz ................ ............ ........... .. ..... .. ...... .. ....... llS

S. Gegenwärtige Praxis und zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten des abwas-

serbezogenen Umweltschutzes .... ................ .... ... ... .... .... ..... .... ....... ...... ... ... 11 S

6. Beispiele integrierten Umweltschutzes im Bereich der Reduzierung der Schadstofffrachten des Abwassen .... .. ................ ... ..... .. ..... .............. ........ ... 116 D. Wasserrechdiebe Anforderungen in bezugauf Abwasser .... ... ....... .. ...................... l21 I. § 7 a Abs. 1 WHG .............. .. .... ... ... ..... ...... ... ...... ............. .......... .......... . 122

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Inhaltsverzeichnis 2.§6WHG ........................ ... ......................... ... ... ...................... .......... .. 123 3. Andere rechtliche Determinanten ....................... ............................ ... ...... ... 123 lll. Insbesondere: Die Abwasserverwalnmgsvorschriften ...... ....................... .... ...... .. 126 1. Die Systematik der Abwasserverwaltungsvorschriften ..................................... 126

2. Inhaltliche Vorgaben der Abwasserverwaltungsvorschriften .................. .. .. .. .. .. .. 128 a) Berücksichtigungsfähigkeit der verschiedenen Stufen abwasserbezogenen Umweltschutzes über die Abwasserverwaltungsvorschriften .............. .. .. .. .. .... 128 b) Voraussetzungen des Vorschreibens der jeweiligen Umweltschutzmaßnahmen ....... ......... ... ... .............. ........... . ..... .................... .... ... ... .. 134 aa) Erste Stufe: Additiver Umweltschutz ............ .. ........................ .. ........ . 134 bb) Zweite Stufe: Integriener Umweltschutz .......... .. ...................... .. ........ 135 cc) Dritte Stufe: Analysierender Umweltschutz .. .. ...... .................... .. .. .. .. .. . 135 c) An und Weise der Berücksichtigung des jeweiligen umweltschützenden Technikniveaus in den Abwasserverwaltungsvorschriften ......................... .... 136 3. Rechtliche Wirksamkeit und Verbindlichkeit der Abwasserverwaltungsvorschriften ......................... ......................... ............................ .. ......... 140 4. Traditionelle Bewenung von Verwaltungsvorschriften .......................... .. .. .... ... 142 5. Entwicklung der Rechtsprechung zu Umwelt- und Technikstandards setzenden Verwaltungsvorschriften ......... .... .............. .. ............ .... .. ........ ... ... ....... 144 a) Anfängliche Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte .... .. .. .. ...... .... .. .. .. . 144 b) Der Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 23.10.1976 .... ... 146 c) Das Voerde-Uneil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.2.1978 ...... .. .. .... .. 146 d) Die Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 8.8.1978 ........ . 148 e) Das Uneil des Verwaltungsgerichtes Schleswig vom 17.3.1980 ........ .. .. .. .. .. ... 150 f) Das Heidelberger-Heizwerk-Uneil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.12.1984 .. ........ .......... .................... ... .... .... ........ ....... .... .... .... ...... .. 151

g) Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg vom 28.2.1985 ............ 152 h) Das Wyhl-Uneil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.1985 .... .......... .. 154 i) Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.2.1988 und vom 24.5.1991 sowie die zugrundeliegenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Münster .. ......... ..... ... ..... .... ...... .... ..... .. ...... .... ... .... .... ... .. 156 k) Rechtsprechung zur Einordnung der Abwasserverwaltungsvorschriften ........ .. .. 160 I) Die vergleichbare Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ............ .. .......... 161 6. Diskussion eines normkonkretisierenden Charakters von Umwelt- und Technikstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften .. ... ....... .. .... ............. ... ... .... 161 a) Funktion, Struktur, Begriff, Typologie und Inhalt von Umwelt- und Technikstandards ............ .. ..... ..... ..... ............ .. .. .... ... ......... ... .. .... .. .. ... ...... . 162

Inhaltsverzeichnis

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aa) Funktion ................. ......................... ... ... ................. ... ... .... .. ...... 162 bb) Begriff .......... ...... ............................... ... ................................... 164 cc) Typologie ................................. ........... ... ...... .. ...... .................. ... 165 (1) Verfahren des Findungs- und Entscheidungsprozesses ........... ...... ... ... 166

(2) Schutzstandards ... ........................ .. .... ..................... .... .. .......... 169 (3) Vorsorgestandards ........................ ... ...... .............. ...... . ... ... .... ... 169 (4) Individualschützende Vorsorgestandards ..... ............ ..... .... ... .. ... ... ... 170 (5) Reinheitsgebotsstandards ...... ............ ... ... ....................... ..... . ... ... 171 (6) Kodifizieren naturwissenschaftlich-technischer Regeln und Erkenntnisse sowie Einfließen dezisionistischer Elemente und Volitivakte ............. .... ........................ .. .... .. ................... .... .... ... ... 172 dd) Inhalt - Abgrenzung der jeweiligen technischen Anforderungen .... .. ......... 173 (I) Allgemein anerkannte Regeln der Technik ........ .... ... ... ...... .. ..... .. .... 173

(2) Stand der Technik ........................ ... ... ... .............. ... ... ... ..... ... .. . 175 (3) Stand von Wissenschaft und Technik ... ... ............................. ... ... ... 175 b) Anerkennung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften ...... ........ ... ..... 176 aa) Gegenansicht. ......... ... ................... . ..... ..... .. .. ....... .... ...... . .. ... .. ... ... 176 bb) Verfassungsrechtliche Anforderungen ..... .. ...... ....... ............ . .. ........ .... 178 (I) Der Grundsatz der Gewaltenteilung: Die grundgesetzliche Funk-

tionenordnung ..... .. ...... ..... ............. ..... .. ... .......... .... ... ...... .. ... ... 179

(2) Das Demokratieprinzip .................. ... ... ... .................... . ... .. ... ... .. 182 (3) Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung .......... ......... .. ......... ........ ... ... 184 (a) Der Vorbehalt des Gesetzes ........ . .. .. ..... .... ............... . ........... .. 184 (b) Der Vorrang des Gesetzes . ........ ... .. ..... ..... .. .. ... ........ ..... ....... .. 189 (4) Art. 80 Abs. I GG .. ........... .. ...... ........ .... ........... ......... .. .... . .. ... .. I90 (a) Systematische Interpretation des Art. 80 GG ................ . .. ... ... ..... 190 (b) Gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Normkonkretisierung oder originäre Rechtserzeugungskompetenz? ............. ........ ... 192 (c) Mangelnde legislative Dezision aufgrund fehlender gesetzlicher Dezisionierbarkeit ........ ... ..... ..... . ... .. .... ... .... ... .. .. .. ... .. .......... . 193 (5) Art. 19 Abs. 4 GG .. ........... ......... ...... ... ... ..... ........... ..... . .......... . I95 (6) Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 GG .................. ............... ... ........... ..... 196 (7) Fazit .............. ........................... .. .. ... .... ................... . .. ... .. ..... 198 cc) Abgrenzung normkonkretisierender von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften ... ................ ........ . .. ....... ............... .. ..... ...... .. .. 199 (I) Normstruktur .. . .. .... ........... .................... .................... ... ... ... .... 199

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Inhaltsverzeichnis (2) Standard setting process .................. ............................ ... .... .... ... 203 c) Geltungsbereich normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften und Umfang der gerichtlichen Kontrolldichte ..... ...... ... .... ....................... ... . .. ... .... . 204 aa) Geltungsbereich und Anwendbarkeit ....... ... ... ... ........ ..... ...... ... . .. ... .. .. . 204 ( 1) Atypischer Sachverhalt ..................... .. ..... ..................... ...... ..... . 204 (a) Nichterfassen des Sachverhaltes ..... ....................... ..... ...... .... ... 205 (b) Vom Normzweck nicht intendiertes Ergebnis ................. . ......... ... 207 (c) Fazit .......... . .. ... ......................... ... ...................... .. .. . .. .... .. . 209 (2) Neuere Erkenntnisse .. ....................... .. .. .. .................... ....... .. .... 210 bb) Art der gerichtlichen Kontrolle - prinzipal oder inzidenter? .......... ...... .. .. . 211 cc) Vorschlag eines Modells gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsvorschriften ...... .... ...... ......................... .... .. .. ........................ .. .... 212 (1) Formelle Fehler ... .. ....... ........... ........ ......... ...... .... ..... ... .......... .. 214

(a) Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Entscheidung .. .. ........ 214 (b) Veröffentlichung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften .... .. .... ........................ ... .......................... ..... ..... .. 217 (c) Transparenz des Verfahrens der Standardsetzung und Nachvollziehbarkeil der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen bzw. Bekanntgabe des zugrundeliegenden Konzeptes .. .. .. .... ..... 218 (d) Zustimmungserfordernisse ... ........ ... ... ... . .................. ... ....... .... 220 (2) Einhaltung der gesetzlichen Grenzen und Maßstäbe ................ .. ........ 220 (a) Willkürfreie Ermittlungen bei der Abfassung der Verwaltungsvorschriften .. ... ... ... ...................... ... ... .................... ... ... ... . .. 220 (b) Willkürfreie Bewertungen, Abschätzungen und Abwigungen .. .. .... .. 221 (c) Folge von inhaltlichen Fehlem ........ .... .. .. .................... .. .. .. .... .. 223 7. Vorschlag eines Modells zur Überprüfung des normkonkretisierenden Charakters von Umwelt- und Technikstandards fesdegenden Verwaltungsvorschriften .. .. .... ....................... ..... ... .................... . .. ... ... ..... 224 8. Normkonkretisierender Charakter der Abwasserverwaltungsvorschriften . .. ... ...... .. 226 a) Die Normstruktur des§ 7 a Abs. 1 WHG ...... .... .... .. .......... .. ...... .... .. ........ 226 aa) Der Auftrag des§ 7 a Abs. 1 S. 3 WHG zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften.. ... ........... . .. ..... .... ... .............. ......... ........ ....... 226 bb) Bedürfnis nach Konzeptbildung und fortlaufender Fortschreibung bei der Ausgestaltung der unbestimmten Rechtsbegriffe ................. . .. ... ...... . 226 cc) Fazit und Kontrollüberlegung .. ...... .. ....... ...... .. ...... ..... .. .. .. .... ............ 231 dd) Kein Ausschluß des normkonkretisierenden Charakters hinsichdich der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" .. ........ .. ...... .. .. ... .. ... .. . 232 (1) Fragwürdigkeit einer Differenzierung .. .... .... .. .... .. .. .. .. .... ... .. .... .. .... 232

Inhaltsverzeichnis

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(2) Lediglich Ennittlung der Mehrheitsauffassung der Fachleute? . .... .. ...... . 233 (3) Mangelnde Komplexität? .................. ............................... .......... 234 (4) Fazit .............. ... ... ......................... ...... .......... .......... ... ..... ..... 235 b) Einhaltung der fonnellen und materiellen Anforderungen an die Standardsetzung durch die Abwasserverwaltungsvorschriften .. ...................... .. ..... ... . 237 aa) Fonnelle Anforderungen ..................... ... ... ... ................... . .. ... ...... .. 237 (1) Verfahren beim Zustandekommen der Standards ............... ... ... ... ...... 237

(2) Veröffentlichung der Abwasserverwaltungsvorschriften .. ... ....... ....... .. 239 (3) Transparenz des Verfahrens der Festsetzung und Nachvollziehbarkeit der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen ..... ..... 239 (a) Transparenz des Verfahrens des Erlasses der Abwasserverwaltungsvorschriften ............. ... .......................... ... ... ... .... . 239 (b) Nachvollziehbarkeit der wesentlichen GrundaMahmen und -bewertungen sowie BekaMtgabe des zugrundeliegenden Konzeptes ... ............ .. ... .............. .................... . .. ... ... ... .. 241 bb) Materielle Anforderungen ..................... ... ... ......... ............ ... ... ... ... .. 243 c) Geltungsbereich der Abwasserverwaltungsvorschriften .................. ... .... ..... .. 243 d) Ergebnis .................. ...... .......................... ..... .................... . ..... ... ... .. 243 IV. Europarechtliche Einflüsse auf das deutsche Abwasserrecht: Die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften .. ........ ... ........ 244 1. Rechtswirksamkeitskriterien für die Transfonnation von EG-Richtlinien in nationales Recht. ............ ... ... ....................... . .... .. ................. .... ... . .. ... ... .. 245 2. Die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zur Umsetzung von EG-Richtlinien in nationales Recht mittels Verwaltungsvorschriften ..... ....... .. ...... .. ........ ...... ... . .... ............... ... . ..... ... .. 247 a) Das Urteil des Gerichtshofes vom 28.2.1991 .... ... ........... ... ........... ............ 247 aa) Der Verfahrensverlauf und die Sachvonräge .. ........................ .. .. .. ....... 247 bb) Die Entscheidungsgründe des Gerichtshofes ........ .. .................. .. ...... .. . 249 b) Die Urteile des Gerichtshofes vom 30.5.1991 ... .. ............................... .. ..... 251 aa) Der jeweilige Verfahrensverlaufund die Sachvonräge .. ... .... .. .... .... .. .... .. 252 bb) Die Entscheidungsgründe des Gerichtshofes ...... .. ............................... 255 cc) Zwischenergebnis ... ... .... .......... .. ........... .... .. .. ..................... .. ... .. ... 257 3. Stellungnahme ................. ... ......... ........... ........ ... ....................... ... ...... ... 257 a) Das Urteil des Gerichtshofes der +Europäischen Gemeinschaften zur Grundwasserrichtlinie .. ... .... ... .......... ........ ... ... ... ... .................... ..... .... .. 258 b) Die beiden Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu immissionsschutzrechtlichen Richtlinien .. .... ... ...... ...... ... ............. ............ 261 c) Fazit ....... .... ........... .. .... .. ............... ..... .... ... ... ............. .. .... .... ...... ..... 267

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Inhaltsverzeichnis

4. Notwendigkeit der Rechtssatzform der Verwaltungsvorschrift in Abgrenzung

zu Rechtsverordnung und Gesetz ...................... . .. .. .. ...................... ... ... ... ... 268 a) Beschränkte Eignung von Gesetzen .. ............ . .... ...... ... ....... .. .. ..... .. .... ... ... 269 b) Beschränkte Eignung von Rechtsverordnungen ...... .. .... .. .............. .. ..... .. ... . 270 aa) Schwierigkeit abschließender standardisierender Aussagen ............. .... ..... 271 bb) Gefahr der suboptimalen rechtlichen Umsetzung des technisch-wissenschaftlichen Fortschritts .......... .... ..... ... ... ... ........... ......... ... ... ...... 272 cc) Mangelnde Aussagekraft von Rechtsverordnungen bei der Verwendung von Generalklauseln .......... ........... ..... ... .............. ...... ...... .... ... 273 dd) Fazit .................. . ... ..... ....... ........... ..... ... ... ..... ............... ... ... ... ... 274 c) Vorzugswürdigkeit von Verwaltungsvorschriften ........ .................. ............ . 274 d) Ausblick .................... ...... ....................... .. .. ..... ................... .... ... .... . 277

V. Immissionsschutzrechtliche Anforderungen in bezugauf Abwasser- § 5 Abs. I Nr. 3 BimSchG .... .............. ... . ..... .. .. .. .... ....... ... ... ...... ................. ... ... ... ... ... 282 I. Unterscheidung zwischen Reststoffen und Abfällen .. .. ..... .. .. ............... .. .... .. .. .. 283 2. Verständnis von Reststoffen und Abfällen ............. .. .. .... .................. .. ... .. .. .. .. 284 a) Restriktive Interpretation ... .............................. .... .................... .......... . . 284 b) Extensive Interpretation ...... .... ...... ....... ..... .... ... ...... .. ............... ... ... ... ... 285 aa) Reststoff- und Abwasserbegriff.. .. ..... .. .... ...... ....... ................ ... ... .... .. 286 (I) Kompatibilität der Qualifizierung von Abwasser als Reststoffe und

der immissionsschutzrechtlichen Terminologie .......... ............ ... ... ..... 286

(2) Kompatibilität der Qualifizierung von Abwasser als Reststoffe und

der wasserrechtlichen Terminologie ...... ... .... ................... . .. ... ...... .. 287 (3) Kompatibilität der Qualifizierung von Abwasser als Reststoffe und

Aussagen in anderen Regelungsbereichen .. ... ..... .. ... .......... . .. ... ... ... .. 289 bb) Die Abgrenzung von Abwasser und Abfall. .. ..... .. .... .... .... .. .. .. .. .... .. .... . 289 cc) Teleologische Sicht .... ........... ........ .... .. .......... .... ........... . .. ............. 291 c) Fazit. ........................ ... ... .................... .. ..... .. .. ..................... ... ... ... .. 292 3. Weitere Genehmigungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. I N r. 3 BlmSchG .. .... .. .. ... 292 a) Bedeutung der Rechtsbegriffe Vermeidung und Verwertung ........ .. ..... .... .. .. ... 292 b) Technische Möglichkeit von Vermeidung und Verwertung ...... ........ .. .. ...... .. . 294 c) Zumutbarkeit von Vermeidung und Verwertung .. .. .... ............ .. .... .. .. ... .. .. .. . 294 d) Wohl der Allgemeinheit bei der Beseitigung als Abfälle ................ .. .. .... .. .. .. . 295 VI. Gesamtbetrachtung des lneinandergreifens von § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG und § 7 a WHG ... ...... ...... ...... . .. .. ..... ................... .. .... ... ... .. .. .... .. ...... .. ... .. .... ... . 296

Inhaltsverzeichnis

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I. Die beiden Möglichkeiten der materiellrechtlichen Reglementierung von Aspekten des Anfallens und der Einleitung von Abwasser über § 5 Abs. I Nr. 3 BlmSchG .... .............................. .... .... ...... ... ......... .... ........ .. ...... .... 296 a) Spezifisch immissionsschutzrechtliche Anforderungen hinsichtlich der Venneidung, Verwertung und Beseitigung anfallenden Abwassers? ................ 296 b) Vorrang des spezifisch wasserrechtlichen Rechtsinstrumentariums .................. 298 c) Schlußfolgerungen ..... .... .... ................ ........ ....... .................. .. .. ... ... ..... 299 2. Ineinandergreifen von immissionsschutzrechtlichem und spezifisch abwasserrechtlichem Instrumentarium bei der Gestattung von Anlagenerrichtung und -nutzung in bezugauf abwasserrechtliche Fragen .. .. .. .. .. ...................... .. .... .. ... 301 3. Bestimmung des Umfanges der Berücksichtigung abwasserrechtlicher Gesichtspunkte in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und der verbleibenden Regelungsmöglichkeiten der zeitlich nachfolgenden wasserrechtlichen Einleiteerlaubnis .......................... ... ... ... ....................... ... ... .... . 304 a) Bestimmung des Umfanges der "Evidenz" .... .... ............ .... ............ .. ......... 304 b) Berücksichtigung von Anforderungen der Abwasserverwaltungsvorschriften über das Immissionsschutzrecht ...... .. ........................... ..... .... 307 c) Beispiele der Abwasserverwaltungsvorschriften . .. ....................... .... .... .. .. .. . 308 d) Schlußfolgerungen ....... ..... .. .................. . .. .. ..... ...................... ... ... ...... 311 e) Muster einer Einleitungserlaubnis für einen Großbetrieb ........ .. ...... .. ... .. .... .. . 313 4. Besonderheiten bei der Verschärfung der Anforderungen an bereits bestehende Anlagen .. .. ... .... ....... ........ .... ... .. ...... ........ ... ........... ..... ... ....... ... ... . 316 E. Verfahrensübergreifende Betrachtung ........................... ..... .. .................. .. .. ...... 320 I. Zeitliche Abfolge derErteilungder Gestattungsakte .......... .. .............................. .. . 320 II. Mögliches verfahrensrechtliches Instrumentarium .... .. .. .. .... .... .. .. ... .. .... ..... .. .. .. .. .. 323 I. Vorausablehnung und Vorausbindung ........ .. .. .. ... .. .. ... .... .. ...... .. .. .. ... .. .. . .... .. . 324 2. Gemeinsame Besprechung der Behörden .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .......... .. .... .. ..... .. . .... . 325 3. Sperrwirkung der jeweils ausstehenden Gestattung . .. .. .... ..................... .. ... .. ... . 326 a) Die Vorgreiflichkeits-Doktrin .. ................. .. .. .... ......................... .. .... .... . 326 b) Ablehnung einer Sperrwirkung .. .. .... .... .. .. ...... .. .... .. .. ... .. .. ....... .. . ... ... .. .. .. 328 4. Vorbehalt. ..... ... .. ... ..... .... .. ... .... ...... ...... .... ... .. .. ... ......... ....... .......... .. ...... 329

5. Verfahrensaussetzung ......... .. ...... .... .... ....... . ..... .. ... ......... .... .... .... ........ ... .. 332 6. Stellungnahme nach § I 0 Abs. 5 BlmSchG ......... .. .. .... ....... .. ...... .. ..... .. .... .. .. . 332 a) Bedeutung und Funktion der Stellungnahme ..... ... ...... ....... .. ... ........ ...... ..... 334 b) Beteiligung des speziellen Sachverstandes von Wasserrecht, Wasserwirtschaft und Wassertechnik ... ... .. .... .... ........... .. .. .. ... .. .. ... .. ......... ....... .... .. . 335 III. Bindungen der zweitbefaßten Behörde aufgrund der Erstentscheidung ...... .... ..... .. .. . 336 I. Bindungen der Wasserbehörde nach erfolgter Anlagengenehmigung ......... .. .... ..... 337 2 Kaster

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Inhaltsverzeichnis a) Bindungen aufgrund der Tatbestandswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ............... ... ... ..... .................... . .. ... ... .... . 337 aa) Reichweite der Regelung des immissionsschutzrechtlichen Bescheides .. .... . 337 bb) Abwasserbehandlungsanlagen ................. ... ... .................... . .. .. .... ..... 339 b) Bindungswirkung der Stellungnahme im Rahmen des § 10 Abs. 5 BlmSchG für die spätere Erlaubniserteilung im wasserrechtlichen Verfahren ...... .... ...... .. 340 aa) Ermessensreduzierung ... . ...................... ........ ......................... ..... .. 340 (I) Die Eigentumsgarantie .......... ... ... .... . ...... .......... .. ........ .. ..... .. .... .. 341 (a) Anknüpfungspunkte für grundrechtlich geschützte Eigentums~ positionen ..... ... ......................... ... ... .................... ...... ... ... .. 341 (b) Schutz des Eigentumsgrundrechtes für im Anschluß an eine positive Stellungnahme getätigte Investitionen ............. .. .. ......... .. 344 (2) Der Grundsatz des Vertrauensschutzes .. .. .... ...... .. .............. .. ...... .... 346 (a) Verneinen von Vertrauensschutz im Anschluß an eine positive Stellungnahme .. ... .............. ... ... ... ..... ............ .... ..... ... ........ ... 346 (b) Bejahen eines von einer positiven Stellungnahme ausgehenden Vertrauensschutzes ...................... ..... ... .................... .... ..... ... 347 (3) Der Rechtsgedanke des § 38 VwVfG .... ... .............. .................. .... . 350 (a) Anwendung des dem § 38 VwVfG zugrunde liegenden allgemeinen Rechtsgedankens .......... .... ...... ... .... .... . ........ .. .. ... ... ... .. 351 (b) Stellungnahme als bloße Auskunft oder Hinweis? ..... ...... .. ... .. .... .. 351 (c) Akteneinsichtsrecht als Möglichkeit der Kenntnisnahme ............ ..... 353 (d) Zwingendes Schriftformerfordemis? .. ..... ........................ ... .... .. . 353 (e) Verwaltungsökonomie .................. ... ... ......... .... ..... .... .... ...... .. 354 (f) Fazit ......... ... ... ..... .. .................. ... ... ..... .... ........... .. .... ... ... .. 355

(4) Bejahung einer Ermessensreduzierung .. .. .. ... .. ... ...... .. .. ... .. .. .. .. ... ... .. 355 bb) Umfang der Ermessensreduzierung .. ....... .. .. .. . .. ......... .... .. .. ..... ... .... ... 355 (I) Ermittlungsrisiko ... ............................ ...... .. .................. ... ...... ... 357

(2) Rechtliches Bewertungsrisiko .......... ..... ... ........................ ........ .. .. 359 (a) Falscher Sachverhalt ... ... ..... .. ....... ..... .. ...... ...... .... .. ... .... .. .. . ... 360 (b) Fehlerhafte Rechtsanwendung oder nachträgliche Änderung der Rechtslage ... ... ..... ... ...... ...... . .. .. .... ........... ... .. ...... ... ... ... .. 361 (3) Politisches Bewertungsrisiko ........ .... ... ... ................ ............ .. .. .... . 362 c) Möglichkeiten der Wasserbehörde zur Erlaubniseneilung unter Abweichung von immissionsschutzrechtlichem Bescheid und Stellungnahme hinsichtlich des Produktionsverfahrens ....... .... ... .. .. .......... ........ ...... ... ........... 365 d) Auswirkungen der Bindungen der Wasserbehörde und Amtspflichten im wasser- und immissionsschutzrechtlichen Verfahren ...... .. .... .. ... ...... .. ... ... .... 367

Inhaltsverzeichnis

19

aa) Nichteinhalten des grundsätzlichen "Ja" der Stellungnahme trotz Bindungswirkung? ........ ... ................... ..... .. ........... ............... ... ... ...... 368 (I) Eine im Anschluß an eine positive Stellungnahme erteilte Erlaub-

nis wäre rechtswidrig .......... ...... ........... .. .................. ....... ..... ... . 368 (a) Aufheben der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung oder Erteilen auch der wasserrechtlichen Erlaubnis ................ . ... ...... ... 369 (b) Erteilen der wasserrechtlichen Erlaubnis im Anschluß an nachträgliche Anordnungen gemäß § 17 BlmSchG oder die Genehmigung wesentlicher Änderungen gemäß § 15 BlmSchG ... .. ... 371 (2) Eine im Anschluß an eine positive Stellungnahme erteilte Erlaubnis hielte sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen .... .......... .. .... ... ... . 372 bb) Amtspflichten der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörde ..... . 372 (I) Haftung der Immissionsschutzbehörde für fehlerhafte wasser-

behördliche Stellungnahmen ... ... ....... . ....... ........ ............ . .. ..... .... .. 373 (2) Haftung der Immissionsschutzbehörde für die fehlerhafte Beriicksichtigung wasserbehördlicher Stellungnahmen .................. .... ..... .. .. . 374 e) Reaktionsmöglichkeiten des Antragstellers bei Niehierteilung einer Erlaubnis trotz Ermessensreduzierung im Anschluß an eine positive Stellungnahme ........... ... ... ................. ........ ... ........ .................. ... ..... ... 375 2. Bindungen im Verfahren derErteilungder immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach Vorliegen der wasserrechtlichen Erlaubnis .... ..... .... . .. ..... ...... ... 376

F. Umweltverträglichkeitsprüfung .................. ...... .... ... .. ..................... .... ............. 377 I. Begriff der Umweltverträglichkeitspriifung ................... ... ....................... ... ........ 377 II. Anordnung einer Umweltverträglichkeitspriifung für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungs- und das wasserrechtliche Erlaubnisverfahren ............. ... ... ... ... 378 III. Die für parallele Gestaltungsverfahren bedeutsamen Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitspriifung .... .... ..... .... .. ... ... ....... .... .... ..... ... .. .... ... 380 IV. Mangelhafte Umsetzung der EG-Richtlinie vom 27.5. 1985 durch das geltende deutsche Recht? .......... ... ..... ... ... ........ ....... ... .. .. ... ... ... ...... ......... ..... ... ... ...... 383 1. Der integrative Ansatz ....... ... ... ................... ... ... ...... ... ... ........... ... ... ... ... ... 384 2. lntegrative Bewertung ....... . ... ... ... ... ................ ... ... ... ... . .. .............. ...... . .. .. . 386 a) Apriori von fachlichen Verengungen losgelöste Gesamtschau der umweltbezogenen Auswirkungen eines Projektes ....... .......... ... .. ... ..... . ... .. .. .. ... 387 b) Gesamthafte Betrachtung erst im Anschluß an eine solche der einzelnen Umweltmedien und -faktoren ................ ..... ... ....... ...... ..... ...... .. ... .... . .. ... 387 c) Maßstäbe der Bewertung ... ... ... . ........ ........... ..... ... ..... .................. ... .... .. 391 aa) Spezielle Standards der Umweltverträglichkeitsprüfung? .... ...... ...... ........ 391 bb) lntegrative Ausrichtung der geltenden Standards .. .. .................... ........ .. 392 cc) Vorschreiben der ökologisch optimalen Ausrichtung des Vorhabens? .. ..... .. 394

2•

20

Inhaltsverzeichnis 3o Das Verhältnis der Umweltvenräglichkeitsprüfung zum jeweiligen Gestat-0 tungsakt 00000000000000000000000oo0000000000000000000000o000000000000000000000000000000000000000000000395 a) Die erforderliche Entscheidungsstruktur der fachgesetzlichen Gestaltungsvoraussetzungen 0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000395 b) Fehlende Berücksichtigungsfähigkeit der Gesamtbewenung der Umweltvenräglichkeit im Immissionsschutz- und Wasserrecht? 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 00 0396 40 Fazit 000000000000000 00 00 00 00 00 00 00000 00 000000000000000 000 00 000 000 000 00 00 00 00 00 0000 000000000000000000000399 V 0Verfahrensübergreifende Auswirkungen der Umweltvenräglichkeitsprüfung bei paralleler Durchführung von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis 0000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000400

G. Rechtspolitische Folgerungen ooo00000o0000000000000000000o00o0o0o00oo0000000000000000000000000000000000403 I. Erweiterung der Konzentrationswirkung des§ 13 BimSchG? 000000000000000000 000000 0000 0000 .403

10 Unmöglichkeit absoluter Investitionssicherheit für den Antragsteller und zweifelsfreier Rechtslage für Drinbetroffene 0000000000000000000000000000000000000000000000000404 20 Flexibles Handeln der Behörden durch selbständige Gestanungenoooo oo oo oo •• oo •• oo oo 00 0404 30 Gesichtspunkte der Koordination und der Verwaltungsökonomie 00 00 00 00 00 00 00 oo oooooo oo405 40 Umschichtung der Probleme von horizontaler in venikale Stufungoooooooooooooooo oo oooo406 50 Verzögerung statt Beschleunigung oooooooooooooooooo ooooo ooo ooooooooooooooooooooo ooooooooo ooo oo406 6o Verlust an Spezial- und Fachkompetenz 00oo00oooooooooo oo oooooooooooooooooooooooo oo oooo oo oooo407 70 Die Bedeutung der wasserrechtlichen Regelungsmaterie oo oooo00oo00 oo00 oooooo oo oooooooo oo o408 80 Das Bewinschaftungsermessen der Wasserbehörden 000000 0000 0000000000 0000 00 00 0000 00 00 00 0408 90 Rechtssystematische Unterschiedeoooooooooooooooooooo ooooooo ooooooooooo oooooooooooo ooo oooooo oo.409 100 Umweltgesetzbuch 00000o0o00 000 oo0ooo000000 0000o000 000 oo o0ooo00 000 0000 000 00000 000 0000 00000 0000000409 110 Fazit 000000000000000000000000000000 0000000000000000000000000000000000000000000000 00000000000000000000410 II. Bindungswirkung der Stellungnahmen der Wasserbehörden im Rahmen des § 10 Abso 5 BlmSchG für die Immissionsschutzbehörden oooooo oo oo oo oooooooooooooooooooo 00 00 0000 00 0410 Illo Abwasserverwaltungsvorschriften 000000000000000000000000 00000000000000000 00 00 0000000000000000000o412 IV oAusgestaltung der Umweltvenräglichkeitsprüfung 00 00 000000 000 0000 0000 000 00000000000000000000.415

H. Zw;ammenfassende Thesen oo ooooo ooooooooo ooo oo oo ooooo oooo ooooooooooooo ooo ooo ooooooooooooo oooooo ooo ooo416 Literaturverzeichniso00000000o000000 00o00000000000000o000o00000000000 0000o000000000000000. 0000000000000000000.424

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

I. Parallelität von Gestattungsakten Die sich ausweitende Verrechtlichung von Lebenssachverhalten hat gerade im Bereich des Umweltrechts zur Folge, daß der Erlaß von Rechtsvorschriften immer häufiger verschiedene behördliche Gestaltungsakte für ein Vorhaben nebeneinander erfordert. Die zunehmende Zahl und Dichte von Rechtsvorschriften führt dazu, daß oft nur noch schwer nachzuvollziehen ist, welche Behörde entscheidungsbefugt ist, was nach welchen Maßstäben von welcher Behörde zu entscheiden ist und ob das Vorliegen eines behördlichen Gestaltungsaktes in irgendeiner Form Rechtswirkungen bezüglich daneben erforderlicher Gestaltungsakte entfaltet 1• Die Problematik der Abgrenzung derartiger parallel erforderlicher behördlicher Gestaltungsakte wird - trotz einer Vielzahl von Abhandlungen - bisher immer noch als ungeklärt angesehen2 . Deshalb wird die Ansicht vertreten, daß sie nicht grundsätzlich, sondern nur bereichsspezifisch für die jeweiligen Problemfelder zu lösen seP. In der vorliegenden Arbeit soll exemplarisch für die grundsätzliche Problematik paralleler Gestaltungsakte das Verhältnis der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BimSchG) und der wasserrechtlichen Erlaubnis untersucht werden. Diese Thematik besitzt besondere Klärungsbedürftigkeit aufgrund der Äußerungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Beschluß vom 23.6.19894 im Anschluß an ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster5 zum Verhältnis des immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids und der wasserrechtlichen Erlaubnis.

2 3 4 5

Vgl. Gieseke/Wiedemann!Czychowski. Vorwon zur fiinf1en Auflage. Erichsen, in: Erichsen/Marrens, S. 220 f.; Schmidt-Preuß. DVBI. 1991. 229. Erichsen. in: Erichsen/Marrens, S. 221. BVerwG, DÖV 1990, 208 = DVBI. 1990, 57 = ZfW 1990, 351. OVG NW, ZfW 1990, 346 = NWVBL 1990, 91.

22

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

II. Nebeneinander von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis Nach § 4 Abs. 1 S. 1 BimSchG bedürfen die Errichtung und der Betrieb besonders umweltbelastender Anlagen der Genehmigung. Diese Anlagengenehmigung im immissionsschutzrechtlichen Verfahren schließt gemäß § 13 S. 1 BimSchG andere, die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein. Ausdrücklich ausgenommen von dieser Konzentrationswirkung des § 13 S. 1 BimSchG werden jedoch wasserrechtliche Erlaubnisse und Bewilligungen nach den §§ 7 und 8 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Der größte Teil der deutschen Industrie ist jedoch entweder von der Wasserentnahme aus oberirdischen Gewässern oder von Einleitungen in solche abhängig, so daß er für derartige Gewässerbenutzungen im Sinne des § 3 Abs. 1 WHG dem Erlaubnis- oder Bewilligungserfordernis des § 2 Abs. 1 WHG unterliegt. So setzte das verarbeitende Gewerbe im früheren Bundesgebiet beispielsweise im Jahre 1987 insgesamt 6 601 Millionen m3 Wasser ein, wovon 3 691 Millionen m3 auf die chemische Industrie, 679 Millionen m3 auf die eisenschaffende Industrie und 264 Millionen m3 auf die Mineralölverarbeitung entfielen6. Die wasserrechtliche Bewilligung wird aus den nachfolgenden Betrachtungen ausgeklammert, da sie nach§ 8 Abs. 2 S. 2 WHG weder für das Einbringen und Einleiten von Stoffen in Gewässer erteilt werden darf noch für Maßnahmen, die geeignet sind, schädliche Veränderungen der physikalischen, chemischen oder biologischen Beschaffenheit des Wassers herbeizuführen. Der im Zusammenhang mit immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungen relevante Bereich des Einleitens von in der Produktion verändertem Wasser fallt somit nicht in den Regelungsbereich der wasserrechtlichen Bewilligung nach § 8 WHG, so daß sich die Untersuchungen auf die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7 WHG konzentrieren können.

111. Abwasserbeseitigungspflicht Zu beachten ist dabei allerdings, daß die Pflicht zur Abwasserbeseitigung nach § 18 a Abs. 2 S. 1 WHG in erster Linie öffentlich-rechtliche Körperschaften trifft7 . So bestimmt beispielsweise§ 53 Abs. 1 S. 1 LWG NW, daß grundsätzlich die Gemeinden das auf ihrem Gebiet anfallende Abwasser zil beseitigen und die dazu notwendigen Abwasseranlagen zu betreiben haben. 6 1

Statistisches Bundesamt, Umwelt in Zahlen 1991/92. Engelhardt, ZfW 1980, 336.

111. Abwasserbeseitigungspflicht

23

Von diesem Grundsatz gibt es jedoch für unseren Untersuchungszusammenhang bedeutsame Ausnahmeregelungen: Nach §53 Abs. 4 LWG NW8 besteht die Möglichkeit einer Befreiung der Gemeinde von der Abwasserbeseitigungspflicht für Grundstücke im Außenbereich und einer Übertragung dieser Pflicht auf den Nutzungsberechtigten. Voraussetzungen eines solchen Verwaltungsaktes der unteren Wasserbehörde sind zum einen das Nichtentgegenstehen des Wohls der Allgemeinheit hinsichtlich der gesonderten Abwasserbeseitigung und zum anderen, daß die Übernahme des Abwassers durch die Gemeinde entweder wegen technischer Schwierigkeiten oder wegen eines unverhältnismäßig hohen Aufwandes nicht angezeigt ist. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn das Reinigungsvermögen einer öffentlichen Kläranlage durch das Abwasser eines Gewerbebetriebes generell beeinträchtigt würde, ohne daß eine hinreichende Beseitigung der Schadstoffe durch dem Indirekteinleiter zulässig vorschreibbare Maßnahmen, beispielsweise einer Vorbehandlungsanlage, möglich wäre9 • Eine weitere Ausnahme hinsichtlich der gemeindlichen Abwasserbeseitigungspflicht besteht nach nordrhein-westfälischem Landesrecht gemäß § 53 Abs. 5 LWG NW, soweit das Abwasser aus gewerblichen Betrieben und anderen Anlagen zur gemeinsamen Fortleitung oder Behandlung in einer öffentlichen Abwasseranlage ungeeignet ist oder zweckmäßiger getrennt beseitigt wird. Die für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis hinsichtlich der Einleitung zuständige Behörde kann in solchen Fällen die Gemeinde ganz oder teilweise von der Abwasserbeseitigungspflicht freistellen und diese widerruflich auf den gewerblichen Betrieb oder den Anlagenbelreiber übertragen. Es liegt auf der Hand, daß gerade aufgrund der zuletzt genannten Konstellation eine Vielzahl von Betreibern immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtiger Anlagen selbst abwasserbeseitigungspflichtig ist. Beachtung verdient dabei, daß in diesem Fall im Sinne der Verwaltungsökonomie nach §53 Abs. 5 LWG NW die gleiche Behörde zuständig ist, die auch die wasserrechtliche Einleiteerlaubnis zu erteilen hat, so daß beide Verwaltungsakte von einer Stelle erlassen werden können. Die Art des Ausschlusses von der öffentlichen Abwasserbeseitigungspflicht ist nicht in allen Bundesländern einheitlich geregelt. Je nach Landeswassergesetz kommen neben einer Einzelfallausnahmeentscheidung wie im dargestellten nordrhein-westfälischen Recht auch ein Ausschluß durch Satzung mit be-

8 9

Zu dieser Vorschrift vgl. Nisipeanu, NWVBL 1992, 348 ff. Broschei, in: Wüsthoff/Kumpf, HDW, Bd. 4, D 711 E, §53 LWG NW Rdn. 15.

24

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

hördlicher Zustimmung oder durch einen überörtlichen Abwasserbeseitigungsplan in Betracht 10 •

IV. Nebeneinander von Verwaltungsverfahren Die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7 WHG in Verbindung mit den Wassergesetzen der Länder 11 ist als behördliche Entscheidung vom Gesetzgeber nunmehr bereits vom Wortlaut her ausdrücklich von der Konzentrationswirkung des § 13 S. l BlmSchG ausgenommen worden, so daß sie nicht in der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung mitenthalten ist. Umgekehrt bezieht sich die Erlaubnis auch nur auf die jeweilige Handlung der Gewässerbenutzung und entscheidet nicht über die Zulässigkeil von Anlagen, die der Gewässerbenutzung dienen oder ihrer bedürfen 12 . Trotz unter Umständen enger technischer und rechtlicher Abhängigkeit sind die Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und die wasserrechtliche Erlaubnis für bestimmte Anlagen somit nebeneinander erforderlich, so daß sie aufgrund ihrer jeweiligen Rechtsgrundlagen in getrennten, parallel durchzuführenden Verwaltungsverfahren erteilt werden müssen l3. Besondere Betonung verdient dabei die Feststellung, daß es sich bei der Erteilung der beiden genannten Gestaltungsakte um voneinander getrennte Verwaltungsverfahren, nicht aber stets um Entscheidungen unterschiedlicher Behörden handelt. Bei der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und der wasserrechtlichen Erlaubnis wird teilweise dieselbe Behörde, teilweise sind zwei selbständige Behörden tätig. Dies sei am Beispiel Nordrhein-Westfalens verdeutlicht: Die wasserrechtliche Erlaubnis wird nach § 30 Abs. l Nr. 4 LWG NW grundsätzlich von der unteren Wasserbehörde erteilt, gemäß § 136 LWG NW also dem Kreis oder der kreisfreien Stadt. Die obere Wasserbehörde, nach § 136 LWG NW die Bezirksregierung, ist nach § 30 Abs. l Nr. 2 LWG NW hingegen zuständig für die Erlaubniserteilung beispielsweise zum Einbringen und Einleiten von Stoffen in oberirdische Gewässer von mehr als insgesamt 10

Vgl. die einzelnen landesrechtliehen Vorschriften bei Peters/Schenk/Scillabach, S. 198

Fn. 335. II

Vgl. z.B. §§ 25. 25 a LWG NW.

12

Breuer. Wasserrecht. S. 66 Rdn . 91; derJ .. Abgrenzung. S. 35; Gieseke/Wiede-

mann!Czychowski, § 3 Rdn . 5. 8; Henseler. Ahwasserbeseitigung. S. 70. 72 f.; Siederl Zeitler!Dahme. § 3 Rdn. 2. 13

Breuer, Abgrenzung. S. 36; Sa/zwedel, in: Ericilo~en/Martem. S . 565 Rdn. 17.

V. Grundlegende Rechtsvorschriften

25

zweihundert Kubikmetern in zwei Stunden oder eines entsprechend geringeren Volumenstroms in einem kürzeren Zeitraum. Die Zuständigkeit für die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung richtet sich in Nordrhein-Westfalen nach der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits-, Immissions- und technischen Gefahrenschutzes (ZustVO AltG) 14 . Nach Nr. 9.l.l.l des Anhangs zu dieser Verordnung wird entsprechend der Festlegungen im Anhang zur Vierten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BimSchV) 15 differenziert, wobei für die hier interessierenden Konstellationen vor allen Dingen die Zuständigkeit der Bezirksregierungen in Betracht kommt, daneben aber beispielsweise auch der Staatlichen Gewerbeaufsichtsämter, die untere Landesbehörden gemäߧ 9 LOG NW sind. Je nach der Konstellation des Einzelfalls werden also für beide Gestaltungsakte dieselbe Behörde, wenn auch in unterschiedlichen Abteilungen, oder zwei nach außen selbständige Behörden tätig. Gerade für den Fall, daß nach außen sowohl bei der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis als auch der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die gleiche Behörde, in Nordrhein-Westfalen beispielsweise die Bezirksregierung, handelt, wird deutlich, daß es bei der Abgrenzung der beiden Gestaltungsakte im Vordergrund nicht um die Abgrenzung der Kompetenzen unterschiedlicher Behörden - obwohl dies im Einzelfall natürlich so sein kann -, sondern vor allen Dingen um die Abgrenzung unterschiedlicher Verwaltungsverfahren geht 16 . Weniger die Behördenzuständigkeiten als vielmehr die unterschiedlichen Verwaltungsverfahren machen eine klare Abgrenzung der Prüfungs- und Entscheidungsmaßstäbe erforderlich 17 .

V. Grundlegende materielle Rechtsvorschriften und Aspekte der beiden Verwaltungsverfahren Untersucht man das Verhältnis von wasserrechtlicher Erlaubnis und immissionsschutzrechtlicher Genehmigung, so ist den entsprechenden Überlegungen 14

Verordnung vom 6 . Februar 1973, GVBI. NW S. 66, zuletzt geänden durch die 21.

Änderungsverordnung vom 9. März !9R9. GVBI. NW !9R9 S. 97. 15

Vt:rordnung üher gent:hmigungshediirftige Anlagen vom 24. Juli 1985, BGBI. I S.

1586, zuletzt geänden durch An. 2 Verordnung zur Änderung der Zwölften und der Vienen Verordnung zur Durchführung des BlmSchG vom 28. August 1991. BGBI. I S. 1!138 . 16 17

Vgl. dazu Seibert. Bindungswirkung, S. 36R. Seibert. Bindungswirkung. S. 3M!.

26

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

zugrundezulegen, daß das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren im Unterschied zur wasserrechtlichen Erlaubnis das Charakteristikum einer Konzentrationswirkung trägt. Die Konzentrationsvorschrift des § 13 BlmSchG, die dazu führt, daß andere behördliche Entscheidungen von der Genehmigung eingeschlossen werden, und die dieser Vorschrift korrespondierende Prüfung anderer öffentlich-rechtlicher Gesichtspunkte gemäß § 6 Nr. 2 BlmSchG bewirken, daß die immissionsschutzrechtliche Genehmigung die Bedeutung einer umfassenden Unbedenklichkeitspiiifung hat und somit als umfassendes Genehmigungsverfahren ausgestaltet ist 18, das nicht erst durch die Ausdehnung des Schutzzweckes des Bundes-Immissionsschutzgesetzes mittels der Erweiterung des § 1 BlmSchG um verschiedene Schutzgüter durch die 3. BlmSchG-Novelle19 über das originäre Ziel des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, den medialen Schutz der Luft vor Verunreinigungen und Lärm20 , deutlich hinausgeht21 . Problematisch wird das Verhältnis von wasserrechtlicher Erlaubnis und Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, wenn bei entsprechender Interpretation rechtliche Überschneidungen zwischen den tatbestandliehen Voraussetzungen der beiden Gestaltungsakte bestehen können, die Kollisionen bei Sachpiiifungen und Entscheidungen der beteiligten Behörden als nicht ausschließbar erscheinen lassen. Entsprechende Ansatzpunkte sind sowohl im Immissionsschutz- als auch im Wasserrecht in vielfältiger Weise vorhanden. Es gibt sowohl Vorschriften des lmmissionsschutzrechtes, die bei entsprechender Interpretation die Beiiicksichtigung wasserrechtlicher Belange zulassen, als auch Rechtsnormen im Wasserrecht für die Regelung immissionsschutzrechtlicher Fragen. In Betracht kommen könnte, daß wasserrechtliche Gesichtspunkte als Genehmigungsvoraussetzung im immissionsschutzrechtlichen Verfahren als "andere öffentlich-rechtliche Vorschriften" gemäß § 6 Nr. 2 BlmSchG zu beachten sind. So ist umstritten, ob im Rahmen des § 6 Nr. 2 BlmSchG auch eine Sach- und Rechtspiiifung hinsichtlich solcher Materien erfolgen kann,

18 Begründung Gesetzentwurf der Bundesregierung. BT-Drucks. 7/119, S. 35; Feldhaus, in: ders., Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 1, § 6 Anm. 6; Fluck, Konzentrationswirkung, S.

22; Krause, GewArch. 1980, 41; Stich/Porger, § 6 Rdn. ll; ders., § 13 Rdn. 4; Ziegler, NJW 1991, 409. 19 BT-Drucks. 1116633, S. 5, Begründung aufS. 43 . 20 21

Breuer, in: von Münch , S.478 Rdn. 167. Vgl. dazu ausführlicher unten S. 59 ff. sowie Breuer, in: von Münch, S. 478 Rdn. 168.

V. Grundlegende Rechtsvorschriften

27

die nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 S. 1 BlmSchG erfaßt werden22. Weiterhin könnte sich aus der Genehmigungsvoraussetzung des § 6 Nr. 1 BlmSchG, die verlangt, daß die Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 1 BlmSchG sichergestellt sein muß, die Prüfung wasserrechtlicher Fragen im Anlagengenehmigungsverfahren in zweifacher Hinsicht ergeben: Zum einen ist denkbar, daß wasserwirtschaftliche Gesichtspunkte den Tatbestand "sonstiger Gefahren, erheblicher Nachteile und erheblicher Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft" im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BlmSchG erfüllen23 . Zum anderen ist es nicht auszuschließen, die Rechtsbegriffe "Reststoffe" und "Abfalle" in § 5 Abs. 1 Nr. 3 BlmSchG so zu interpretieren, daß auch Abwässer darunter fallen24 . Umgekehrt ist auch nach rechtlichen Ansatzpunkten im Wasserrecht für die Regelung immissionsschutzrechtlicher Fragen und für Eingriffe in das Produktionsverfahren als solches auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften zu suchen. Zu beachten ist im Bereich des Wasserrechtes, daß dem Bund für den "Wasserhaushalt" nach Art. 75 Ziff. 4 GG nur eine Rahmengesetzgebungskompetenz zusteht. Von dieser Kompetenz hat der Bundesgesetzgeber mit dem Erlaß des Wasserhaushaltsgesetzes Gebrauch gemacht, das folglich erst nach Erlaß von den Rahmen ausfüllenden Landeswassergesetzen vollziehbar wird. Der Bundesgesetzgeber hat jedoch auch weitgehend die Möglichkeit genutzt, innerhalb der Rahmengesetzgebung Vollregelungen zu erlassen, die den Regelungsgegenstand erschöpfen und modifizierende oder auch nur inhaltlich deckungsgleiche landesrechtliche Vorschriften ausschließen25 . Für unseren Untersuchungszusammenhang ist hier insbesondere an den Begriff des Gewäs-

22 Bejahend: Jarass, BlmSchG, § 6 Rdn. 8; Schmatz/Nöthlichs, § 6 BlmSchG Erl. 2.3.1; ablehnend: Feldhaus, in: ders., Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 1, § 6 Anm. 6 ; Schwerdtfeger, JuS 1981, 365 (368); Stich/Porger, § 6 Rdn. 13. 23 OVG NW, NWVBI. 1990, 91 (92) = ZfW 1990, 346 (348); Salzwedel, Harmonisierung Umweltrecht, S. 62, 87; Breuer, Abgrenzung, S. 36; ders. , Wasserrecht, S. 67 Rdn. 93; ders., Umweltschutz Rechtsordnung, S. 45; VwV NW zum BlmSchG Nr. 3.2.

24 Breuer, Abgrenzung, S. 36; ders., Wasserrecht, S. 67; ders. , Umweltschutz Rechtsordnung, S. 45; Feldhaus, in: ders., Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. I, § 5 Anm. 10; Stich/Porger, § 5 Rdn. 18. 25 BVerfGE 4, 115 (127 f ., 130); Salzwedel/Viertel, ZAU 1989, 131 (136).

28

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

sers und die rechtliche Ausgestaltung der Benutzungstatbestände nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 WHG zu denken26 . Im Wasserrecht ist nunmehr umstritten, inwieweit der Begriff des "Wohls der Allgemeinheit", bei dessen Beeinträchtigung die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 6 WHG zu versagen ist, auch außerhalb der Wasserwirtschaft liegende öffentliche Belange umfaßt und die Prüfung von Rechtsvorschriften anderer Gesetzesmaterien, wie beispielsweise auch des Immissionsschutzrechtes, zuläßt27 . Einwirkungen auf das Produktionsverfahren als solches können auch von § 7 a Abs. 1 WHG ausgehen. Diese Vorschrift verlangt, daß die Schadstofffracht beim Einleiten von Abwasser mindestens so gering gehalten wird, wie dies bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden allgemein anerkannten Regeln der Technik möglich ist. Für gefährliche Stoffe ist gar seit dem Erlaß der Abwasserherkunftsverordnung vom 3. Juli 198728 nach § 7 a Abs 1 S. 4 WHG und dem Erlassen entsprechender Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG der Stand der Technik zu verlangen29 . Zu bedenken ist hier, daß die Einhaltung der Anforderungen nach den allgemein anerkannten Regeln oder dem Stand der Technik nicht nur durch Verfahren der Abwasserbehandlung erfolgen kann30 , sondern insbesondere auch durch solche, die innerhalb des Produktionsprozesses zur Verminderung der Menge und Schädlichkeit des Abwassers eingesetzt werden können31 • Somit kann das rechtliche Instrumentarium des§ 7 a Abs. 1 WHG unter Umständen auch dazu benutzt werden, der Wasserbehörde Einfluß auf den Produktionsbereich zu geben. Im vorstehenden Zusammenhang ist somit eine genaue Untersuchung erforderlich, inwieweit beispielsweise die Wasserbehörde nach erfolgter Anlagenerrichtung und Festlegung von Produktionsabläufen über die Vorschrift des § 7 a Abs. 1 WHG Modifizierungen im Produktionsverfahren selbst verlangen bzw. die wasserrechtliche Erlaubnis gar ganz versagen kann.

26

Salzwedel, Wasserrecht, S. 575.

27

Zu Nachweisen vgl. im einzelnen die Untersuchungen zu § 6 WHG weiter unten.

28

BGBI. I, S. 1578.

29

Vgl. dazu Gieseke!Wiedemann/Czychowski, § 7 a Rdn. 15.

Hierauf begrenzend nur Bicke/, ZfW 1978, 289 (290). Breuer, Abgrenzung, S. 41, 91; ders., Wasserrecht, S. 219 Rdn. 337; Czychowski, ZfW 1978, 280 (281); Gässler, § 7 a Rdn. 6; Salzwedel, Harmonisierung Umweltrecht, S. 54, 84; ders., ZfW 1983, 84 (85) = Bitburger Gespräche 1983, 101 (116); Sa/zwedel!Preusker, 30 31

KorrAbw. 1981 , 470 (472).

V. Grundlegende Rechtsvorschriften

29

Deutlich wird damit, daß es bei entsprechender Auslegung der jeweiligen Rechtsgrundlagen zur Überschneidung von Prüfungsgegenstand und Prüfungsmaßstab im Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis kommen kann. Die Behandlung wasserrechtlicher Fragen im immissionsschutzrechtlichen Verfahren scheint ebenso möglich zu sein wie die umgekehrte Konstellation. Nach den bisherigen Ausführungen sollte dabei deutlich geworden sein, daß es sich bei der Abgrenzung der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der wasserrechtlichen Erlaubnis nicht allein um eine Frage des Verfahrensrechts und damit der Verwaltungsökonomie, sondern darüber hinaus um eine Frage materiellen Rechtes handelt. Die Abgrenzung von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis ist demzufolge auch unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge der behördlichen Sachentscheidung klärungsbedürftig. Dennoch verdient besondere Berücksichtigung, daß die wasserrechtliche Erlaubnis sich als bloße Betriebsgenehmigung auf eine bereits errichtete oder noch zu errichtende Anlage bezieht und deshalb in der Praxis meist nach der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung erteilt wird32 , auch wenn die umgekehrte Situation ebenfalls denkbar ist33 . Für die letztgenannte Konstellation gilt aber, daß sich erlaubnispflichtige Benutzungen im Sinne des § 3 Abs. 1 WHG meist nach Art und Maß nicht ohne Wissen um die nach den §§ 4 ff. BlmSchG zu genehmigenden Anlagen konkretisieren lassen34 , so daß insofern zumindest konkrete Vorstellungen an die Wasserbehörde herangetragen werden müssen. Bei alledem bleibt zu bedenken, daß in der Praxis neben der Genehmigung für die Errichtung und Inbetriebnahme nach den §§ 4 ff. BlmSchG auch die Genehmigung sogenannter wesentlicher Änderungen nach § 15 BlmSchG eine bedeutende Rolle spielt, wobei sich aber in materiellrechtlicher Hinsicht aufgrund der Geltung des § 13 BlmSchG und derjenigen der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen der §§ 4 ff. BlmSchG35 für Änderungsgenehmigungen nach § 15 Abs. 1 S. 1 BlmSchG keine Unterschiede im Vergleich zur Erteilung der erstmaligen Errichtungsgenehmigung erkennen lassen. Geht man von der gängigen zeitlichen Konstellation eines Polgens der wasserrechtlichen Erlaubnis auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung aus, so ist zum einen die Frage rechtlich klärungsbedürftig, ob die immissi32

Bickel, DÖV 1981,448 (452).

33

OVG Lüneburg, Ztw 1980, 303 (307); Breuer, Wasserrecht, S. 70 Rdn. 98.

34

Gieseke!Wiedemann/Czychowski. § 3 Rdn. 8.

35

Vgl. Erbguth, Grundfragen Umweltrecht, S. 174; Jarass. BlmSchG. § 15 BlmSchG

Rdn. 19.

A. Problemstellung und thc:matischc: Abgrenzung

30

onsschutzrechtliche Anlagengenehmigung bereits im Hinblick auf wasserrechtliche Gesichtspunkte versagt werden kann oder muß ("Vorausablehnungen"), und ob, und wenn ja, in welchem Umfang die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung "Vorausregelungen" 36 in Form von Nebenbestimmungen wasserrechtlicher Natur enthalten kann respektive dem immissionsschutzrechtlichen Verfahren hinsichtlich der Überschneidung entscheidungsbedürftiger Sachfragen möglicherweise eine Schlüssel-37 oder Führungsfunktion38 zukommt. Zum anderen ist der Frage nachzugehen, inwieweit die Wasserbehörde an die Vorgaben des Anlagengenehmigungsbescheides gebunden ist. Zu untersuchen ist, ob, und wenn ja, wieweit die Wasserbehörde im Erlaubnisverfahren Modifizierungen im Bereich des Produktionsverfahrens verlangen kann. Auch die umgekehrte zeitliche Konstellation eines Polgens der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auf die wasserrechtliche Erlaubnis birgt in sich die entsprechenden Fragen nach Vorausablehnung und -regelung sowie nach den rechtlichen Möglichkeiten der Einflußnahme der Wasserbehörde auf den Produktionsbereich.

VI. Umweltstandards enthaltende Verwaltungsvorschriften Nicht übersehen werden darf schließlich mit Blick auf die zu § 7 a Abs. WHG ergangenen Abwasserverwaltungsvorschriften, die zum Teil sehr detaillierte Anforderungen an den Bereich des Produktionsverfahrens selbst stellen, daß solche in untergesetzlichen Regelwerken enthaltenen Umweltstandards eine bedeutende Rolle in nebeneinander durchzuführenden wasserrechtlichen Einleiteerlaubnis- und immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungsverfahren spielen, die in Abhängigkeit von der rechtlichen Qualifizierung derartige Umweltstandards enthaltender Verwaltungsvorschriften nicht nur praktische, sondern unter Umständen auch rechtliche Bedeutung in Form von mehr oder weniger großer Verbindlichkeit haben können.

36 37

Terminologie von Salzwedel, Harmonisierung Umwc:ltrc:cht, S. 60 tl Breuer, Ergebnisse, S. 98.

38 Büdenbender/Mutsch/er verwenden dic:sc:n Begriff.

VIII. Rechtsschutzinteressen

31

VII. Umwelt- contra Investitionsschutz? Bei der Klärung dieser rechtlichen Fragen ist stets die Tatsache zu berücksichtigen, daß eine genehmigungspflichtige Anlage nur errichtet wird, damit sie auch betrieben werden kann39 . Folglich verfehlte beispielsweise eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlage ihren Zweck, könnte sie nach der Errichtung aufgrund wasserrechtlicher Anforderungen nicht oder nur in stark geänderter Weise betrieben werden. Die Errichtung wäre für den potentiellen Betreiber der Anlage dann wertlos und könnte aufgrund ihrer unter Umständen hohen Kosten gar ein existenzgefährdendes Verlustgeschäft darstellen40 . Es ist deshalb klärungsbedürftig, ob dem Setreiber ein auch volkswirtschaftlich zu mißbilligendes Risiko erheblicher Fehlinvestitionen zufällt41 oder ob von dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid eine investitionssichemde42 Wirkung ausgehen kann, wenn es zuträfe, daß der Betrieb einer Anlage durch die Wasserbehörde im Erlaubnisverfahren nicht nachträglich untersagt oder durch Modifizierungen wesentlich geändert werden könnte.

VIII. Rechtsschutzinteressen Vergessen werden darf ferner nicht, daß die Abgrenzung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens und des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens darüber hinaus dem Rechtsschutzinteresse sowohl des Antragstellers als auch des Drittbetroffenen dient. Diese sind der Unsicherheit ausgesetzt, daß sie oft nicht wissen, gegen welchen der beiden Gestaltungsakte sie in Anbetracht der Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Prüfungsgegenstände gerichtlich vorgehen müssen, so daß sie Gefahr laufen könnten, einen von vornherein aussichtslosen Rechtsstreit zu führen 43 oder aber nicht rechtzeitig erkennen, daß sie sich bei einer zeitlichen Aufeinanderfolge der beiden Gestaltungsverfahren gegen mögliche - zumindest faktische - Präformationen durch das erste der beiden hätten zur Wehr setzen müssen44 . 39 BVerwG, DVBI. 1972. 678 (679); dem folgend BVerfG. NJW 1980, 759 (760); Salzwedel, ZfW 1973, 85 (91); vgl. auch Jarass. DÖV 1978. 21 (26). 40

Vgl. auch Wagner, S. 224.

41

So BVerwG, DVBI. 1989, 1055 (1059); in BVerwGE 82. 61 (73) unter 2.2.2. insoweit

nicht abgedruckt; vgl. auch BayVGH. DVBI. 1979. 673 (677).

42

Vgl. Salzwedel. Harmonisierung Umweltrecht, S. 33 f. zum Verhältnis Atomrecht -

Wasserrecht 43

BVerwG, DVBI. 1989, 1055 (1059). a.a.O.; Erh~.:urh. Grundfragen Umweltrecht, S.

185; Jarass . KritV 1991, 7 (II). 44

Wagner, S. 124, 224.

32

A. Problemstellung und thematische Abgrenzung

IX. Klärungsbedarf aus Behördensicht Der somit festzustellende rechtliche Klärungsbedarf für das Verhältnis der wasserrechtlichen Erlaubnis und der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz wurde deutlich auch bei der Kontaktaufnahme zu den beteiligten Behörden, bei denen das Behördenverfahren als nicht genügend aufeinander abgestimmt empfunden wird und Unsicherheiten über die Handhabung der bei Genehmigungs- und Erlaubniserteilung zu berücksichtigenden Rechtsnormen bestehen. Bei der rechtlichen Abgrenzung der beiden Behördenverfahren handelt es sich folglich nicht um ein allein theoretisches Problem. Vielmehr wird ein Mehr an rechtlicher Klarheit auch eine einheitliche, praktikable und routinemäßige Handhabung der Verfahren ermöglichen. Damit dient die Abgrenzung von wasserrechtlicher Erlaubnis und immissionsschutzrechtlicher Genehmigung auch dem Gebot der Rechtssicherheit45 .

X. Klärungsbedarf mit Blick auf die neuen Bundesländer Wie groß die praktische Bedeutung einer Abgrenzung von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung und wasserrechtlicher Erlaubnis ist, wird weiter deutlich, wenn man berücksichtigt, daß sich nunmehr die Fragen der Anwendbarkeit des hier untersuchten Rechtes auch in den neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stellen, wo die Beachtung der hier untersuchten Vorschriften sowohl im Hinblick auf bereits existierende Industrieanlagen als auch auf Neuansiedlungen in Betracht kommt46 . Die Umweltsituation und dabei gerade die hier interessierende Belastung von Luft und Wasser in den fünf neuen Bundesländern muß unmittelbar im Anschluß an die staatliche Wiedervereinigung Deutschlands als besorgniserregend bezeichnet werden. Jahrzehntelang ist dort vor allem in der Energiewirt-

45

Wagner, S. 221.

46

Zur Einführung in die Thematik des in den neuen Bundesländern gellenden Wasser-

rechts siehe Keune. Wasserrecht in den ostdeutschen Ländern. S. 133 ff.: Reinlwrdt. Geltendes Recht im Wasserwesen, S. 122 ff.

X. Klärungsbedarf mit Blick auf die neuen Bundesländer

33

schaftund in der Chemieindustrie mit veralteten Produktionsanlagen gearbeitet worden47 . Die Qualität beispielsweise der Oberflächengewässer vor der Wiedervereinigung war teilweise so schlecht, daß die BSB-Belastung eine Größenordnung hatte, wie sie in den alten Bundesländern für das Abwasser kommunaler Kläranlagen vorgesehen ist. Ein Drittel der Flußstrecken in den neuen Bundesländern galt als biologisch tot48 . Gerade in dem für den hier relevanten Untersuchungszusammenhang bedeutsamen Bereich der Abwassereinleitungen aus Industrieanlagen war die Situation gegen Ende der damaligen DDR so, daß die Abwässer der DDR-Industrie nach Schätzungen zu 33 % ungeklärt in Vorfluter eingeleitet wurden, während in den Fällen, in denen überhaupt eine Reinigung des Abwassers stattfand, diese hauptsächlich nur aus einer mechanischen Klärung bestand, also aus Rechenanlagen, die grobe Stücke zurückhalten konnten, und aus Becken, in denen aufschwimmende und absinkende Stoffe mittels der Schwerkraft mehr oder minder gründlich abgeschieden werden konnten49 . Das Chemiekombinat Bitterfeld beispielsweise, das 1990 mehr als 18000 Menschen Arbeit bot und entsprechend große Produktionsstätten hatte, verfügte nur über notdürftigste mechanische Klärvorrichtungen, während dem fotochemischen Kombinat Wolfen eine Tagebaugrube als Absetzbecken für die Abwässer diente5°. Auch die Luftverschmutzungswerte in den neuen Bundesländern waren 1991 erschreckend. Aus einer Studie des TÜV Rheinland im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit51 geht hervor, daß im Untersuchungszeitraum allein in der Industrieregion Leipzig/Bitterfeld/Halle/Merseburg soviel Schwefeldioxyd und Staub52 jährlich in die Luft abgegeben wurden - trotzder Reduzierung der "zu DDR-Zeiten dramatisch hohen Werte" durch Stillegung unwirtschaftlicher und umweltschädli47

So Wieczorek, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt. Naturschutz und Re-

aktorsicherheit laut F.A.Z. vom 13. 12.1991. S. 17. "Umweltschäden behindern wirtschaftlichen Aufschwung im Osten" . Zu diesen Angaben vgl. Lübbe-Wolff. DVBI. 1990, 855. Lübbe-Wolff, DVBI. 1990. 855 ; Oehler. DVBI. 1990. 1322 (1324 Fn. 10), gibt an, ca. 15 % der industriellen Abwässer würden ausreichend gereinigt, ca. 15 % überhaupt nicht. 50 Lübbe-Wo/ff. DVBI. 1990, 855 . 51 Vgl. den Bericht "Umweltschäden behindern wirtschaftlichen Aufschwung im Osten" in 48 49

der F.A.Z. vom 13. 12.1991, S. 17. und die ap/dpa-Meldung vom 13. 12.1991 in der Rheinischen Post (Politsche Umschau) unter der Überschrift "Neun von 10 Betrieben belasten Luft". 52

Oehler. DVBI. 1990. 1322 (1323 Fn. 6). gibt an. im Gesamtgebiet der damaligen DDR so2 (48 t/km2 bzw. 312 kg/Einwohner) sowie 2.2 Millionen t

würdenjährlich 5,2 Millionen t Staub emittiert. 3 Kastcr

A. Problemstellung und thematische Allgrenzung

34

eher Betriebe sowie durch erste Sanierungen im Untersuchungsjahr 1991 -wie im gleichen Zeitraum in allen alten Bundesländern zusammen53 . Die Studie zeigte auf der Grundlage der Untersuchung von mehr als 1300 Industrieanlagen, daß nur jede zehnte den gesetzlichen Anforderungen im Hinblick auf die Einhaltung der Luft-Werte entsprach. Nach der gleichen Untersuchung wurden bei einzelnen Anlagen die zulässigen Emissionswerte teilweise bis zum Hundertfachen überschritten.

1. Übertragung des Rechtes der alten auf die neuen Bundesländer Auch im rechtlichen Bereich sind bei der Genehmigung von Industrieanlagen und der Erlaubnis von Abwassereinleitungen gewaltige Neuanforderungen zu stellen, soweit nunmehr das hier untersuchte Recht gilt. Dabei ist zu beachten, daß das Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland im Gebiet der neuen Bundesländer nicht erst mit der formellen Herstellung der deutschen Einheit im Oktober 1990 wirksam geworden ist. Bereits der am 30.6.1990 in Kraft getretene Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 54 sah in Art. 16 Abs. 2 vor, daß Genehmigungen für neue Anlagen und Einrichtungen auf dem Gebiet der DDR den in der Bundesrepublik geltenden Sicherheits- und Umweltschutzanforderungen genügen sollten. Die mit diesem Staatsvertrag angestrebte Umweltunion der beiden deutschen Staaten sollte dadurch verwirklicht werden, daß die DDR sich in Art . 16 Abs . 3 des Vertrages zur Übernahme weiter Teile des Umweltrechtes der Bundesrepublik Deutschland verpflichtete. Dem kam die DDR durch das Umweltrahmengesetz55 nach, das in Art. 3 § 2 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Anl. I mit Wirkung vom I. 7.1990 sowohl das Wasserhaushaltsgesetz, die Abwasserherkunftsverordnung56 als auch die Abwasserverwaltungsvorschriften nach 7 a WHG in der DDR in

*

53

Nach vorläufigen Ergeilnissen des Statistischen Bundesamtes. Umwelt in Zahlen

1991/92, wurden im friiheren Bundesgebiet im Jahre IIExtraktionl >l L_ 1

IChlorier1 I Chlorierung > 1Aufarbeitung ~>Produkt Toluol-> gemisch

I

L>

Stark belastetes Abwasser Überarbeitetes Verfahren cl 2---->, Toluol->

Chlorierung

Neben>produkte*

IChlorier> gemisch

Wasser--->

I

L>

Abwasser ohne nennenswerte Belastung * z.B. technische bzw. energetische Nutzung

40

Beispiel nach Bomemann!Willig, Chemie-Technik 1992, 112 (115).

41

Abbildung nach Bornemanntwillig, Chemie-Technik 1992, 112 ( 115).

I. Naturwissenschaftliche und technische Grundlagen

119

Als Beispiel für integrierten Umweltschutz durch reaktionstechnische Verfahrensänderungen sei auf die Herstellung von Naphthalinsulfonsäure-Derivaten, sogenannten "Buchstabensäuren", verwiesen42 . Im alten Verfahren wurde hier Wasser als Lösemittel genutzt, während das neue Verfahren stattdessen Methylenchlorid einsetzt. Diese Änderung des Reaktionsmediums führt dazu, daß das neue Lösemittel nach Reinigung im Kreislauf geführt werden kann und die früher im Abwasser vorkommenden Reststoffe nunmehr isolierbar und deshalb, wenn sie nicht wieder aufgearbeitet werden können, zumindest verbrennbar sind. Die als Nebenprodukt anfallende Abfallsäure läßt sich infolge Separierung gleichfalls wieder aufarbeiten und rezyklisieren. Im neuen Verfahren fällt Abwasser somit nur noch als Spritz- und Spülwasser der einzelnen Verfahrensschritte an. Erneut soll die - unten - folgende Abbildung der Veranschaulichung dienen43. Für die Reduzierung der Schadstofffrachten des Abwassers durch produktionsbezogene integrierte Verfahren seien weiterhin zwei Beispiele der Gestaltung neuer Herstellungswege bei der Bayer AG genannt44: Bis 1987 wurde im Werk Verdingen der Lackrohstoff Adipinsäure in Rührkesseln mit ständigen Unterbrechungen hergestellt und die dabei anfallende Reaktionswärme mit dem Kühlwasser abgeleitet. Danach wurde das Produktionsverfahren derart umgestellt, daß nunmehr ein kontinuierliches Kreislaufverfahren besteht und die Trennung der Wasserströme sowie die Nutzung der Abwärme erfolgen können. Im Ergebnis wird dadurch die Gesamtausbeute auf fast 99 % gesteigert, es wird 10 % weniger Salpetersäure benötigt, der Dampfverbrauch ist halbiert und es fallen nur noch 2 % der Abwassermenge mit 14 % der früheren Belastung durch organische Stoffe an. Für das Farbstoff-Zwischenprodukt H-Säure ist ebenfalls ein neues Syntheseverfahren entwickelt worden. So spart die neue Bayer-Anlage in Brunsbüttel im Vergleich zu dem 100 Jahre alten Verfahren, das in mehreren Leverkusener Betriebsteilen noch praktiziert wird, Rohstoffe ein, erzeugt kein Eisenoxid oder Kochsalz, kommt mit 30 % der Abwassermenge aus und belastet diese nur noch mit 4 % der organischen Fracht.

42

Beispiel nach Bornemann/Willig, Chemie-Technik 1992, 112 (116).

44

Vgl. Kühn, Reportage, RP vom 17.12.1991.

43

Abbildung nach Bornemann/Willig, Chemie-Technik 1992, 112 (116).

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

120

Altes Verfahren Wasser

->,

Naphthalin--> Oleum

>

I I

I Sulfierung r--->~ Fällung ~,

I

1

I

rProdukt

I

L

salzhaltiges >saures Abwasser mit hohem CSB-Gehalt

Neues Verfahren Wasser-->-,

I

r->S0 3 >~-------~ I Naphthalin->1Sulfierung~>1Fällungl I rorg.LM*-->~--------~

I I

I Isolierung I>ProI I dukt

I I'---------Einleitung

in den Vorfluter

134

D. Besonderheiten hinsichdich des Abwassers

b) Voraussetzungen des Vorschreibens der jeweiligen Umweltschutzmaßnahmen

Ist seit der Fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz nunmehr klargestellt, daß die intendierte Begrenzung der Schadstofffracht nicht erst bei der Einleitung des Abwassers ansetzen kann, so entspricht diese Regelung sowohl dem durch § 7 a WHG und§ l a WHG zum Ausdruck kommenden Vorsorgegebot als auch den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit, wenn man berücksichtigt98, daß der Umstieg vom additiven auf den integrativen oder analysierenden Umweltschutz für den Belreiber günstiger sein können als exorbitante Steigerungen in der reinen end-of-the-pipe-Technologie. Auf der anderen Seite wird durch das Vorschreiben bestimmter Produktionsverfahren, der einzusetzenden Rohstoffe oder der Produktwahl aber empfindlicher als durch Maßnahmen des lediglich additiven Umweltschutzes in das Recht des Unternehmers auf Dispositionsfreiheit eingegriffen. Damit wird letztlich der Schutzbereich sowohl des Eigentumsgrundrechtes nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG als auch der durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit tangiert99, so daß sich die Frage nach den Voraussetzungen derartiger Eingriffe stellt. Salzwedel hat als Antwort zutreffend ein Dreistufenmodell unterschiedlicher Eingriffsintensität entwickelt, das - vergleichbar dem vom Bundesverfassungsgericht in der Apotheken-Entscheidung entwickelten Stufenverhältnis100- für die einzelnen Eingriffsstufen ein jeweils unterschiedliches Maß an Rechtfertigung durch Vorsorge- und Frachtabbaukonzepte10 1 erforderlich macht und damit verdeutlicht, daß auch Schadstofffrachtreduzierung im Abwasserbereich nicht um ihrer selbst willen, sondern nur im Hinblick auf eine entsprechende Schutzwürdigkeit der Umwelt hin angeordnet werden kann 102 •

aa) Erste Stufe: Additiver Umweltschutz Als erste und "niedrigste" Eingriffsstufe in die Dispositionsfreiheit von Unternehmern kann dabei die Auferlegung von Entsorgungspflichten, die Ebene des additiven Umweltschutzes, ausgemacht werden, die hier die Abwasserreinigung beinhaltet, in anderen Rechtsbereichen auch Abgasreinigung 98 Vgl. Fritzsche/Knopp/Manner, § 7 a WHG Rdn. 10. 99 Vgl. hierzu Krebs, Abwasserbeseitigung, S. 24; Salzwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, S. 18 ff.; ders., NVwZ 1989, 820.

100 BVerfGE 7, 377.

101 Vgl. dazu ausführlich unten S. 228 ff. 102

Salzwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, S. 18 ff.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

135

und Abfalle umfaßt 103 . Entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht in der Apotheken-Entscheidung aufgestellten Kriterien genügen vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zur Auferlegung derartiger Pflichten, Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit können also zum Tragen kommen104 .

bb) Zweite Stufe: Integrierter Umweltschutz Auf der nächsten Stufe folgt das Vorschreiben von Venneidungspflichten, die die soeben dargestellten Maßnahmen des integrierten Umweltschutzes im Bereich der Produktion von der Vorbehandlung von Teilströmen über die Beschränkung bei der Auswahl von Rohstoffen bis hin zur Bestimmung des Produktionsverfahrens umfassen und ein entsprechend höheres Maß an konzeptioneller Rechtfertigung erfordem105 , was mit den vom Bundesverfassungsgericht in der Apotheken-Entscheidung postulierten besonders wichtigen Gemeinschaftsgütem korreliert und insbesondere eine - bei derartigen Umweltstandards deshalb generell zu fordemde 106 - Verhältnismäßigkeitsprüfung in dem Sinne voraussetzt, daß die vorgeschriebenen Anforderungen zu dem angestrebten Umweltschutzziel nicht außer Verhältnis stehen dürfen 107 .

cc) Dritte Stufe: Analysierender Umweltschutz Die dritte Eingriffsstufe schließlich betrifft die Produktwahl und ist durch Verbote von Herstellung oder loverkehrbringen bestimmter Produkte gekennzeichnet108. Hier ist ein Höchstmaß an konzeptabhängiger Rechtfertigung als Voraussetzung zum Erlaß entsprechender Vorschriften zu verlangen, mit den Worten der Apotheken-Entscheidung eine Rechtfertigung durch nachweisbare oder höchstwahrscheinlich "schwere Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" 109.

103 Sa[zwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, S. 17.

104

BVerfGE 7, 377 (Leitsatz 6 a und Seite 405 f.).

lOS Satzwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, S. 17.

106 Vgl. dazu unten S. 169. 107 BVerfGE 7, 377 (Leitsatz 6 b und Seite 405 ff.). 108 Salzwedel, Rechtsgebote der Umweltvorsorge, S. 109 BVerfGE 7, 377 (Leitsatz 6 c und Seite 408).

18.

136

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

c) Art und Weise der Berücksichtigung des jeweiligen umweltschützenden Technikniveaus in den Abwasserverwaltungsvorschriften

Die Abwasserverwaltungsvorschriften enthalten explizit oft nur Grenzwertvorgaben. Dabei wird auf ganz bestimmte Parameter110 abgestellt, es ist we-

der möglich noch notwendig und sinnvoll, das jeweilige Abwasser mit all seinen Inhaltsstoffen in Vorschriften abzubilden 111 . Häufig werden Summenparameter wie der biochemische Sauerstoffbedarf (BSBs) oder der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) 112 , oft auch Einzelstoffe (wie zum Beispiel einzelne Schwermetalle) oder Stoffgruppen (wie zum Beispiel organische Halogenverbindungen [AOX]) und nicht selten biologische Wirkparameter wie die Fischgiftigkeit in die Abwasserverwaltungsvorschriften aufgenommen 113 . Zur Vereinfachung des Vollzugs werden auch Leitparameter bestimmt, die zugleich für die Begrenzung von Stoffen oder Stoffgruppen stehen 114 . Als Beispiel für Leitparameter seien abfiltrierbare Stoffe genannt, wie zum Beispiel in Nr. 2.1.1 von Anhang 47 (Wäsche von Rauchgasen aus Feuerungsanlagen), in Nr. 2.1 des Anhangs 41 (Herstellung und Verarbeitung von Glas und künstlichen Mineralfasern) oder in Nr. 2 des Anhangs 30 (Sodaherstellung) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift. Alle diese Parameter sagen direkt nur etwas über die Zulässigkeit von Abwassereinleitungen aus und beschreiben qualitativ und quantitativ deren Anforderungen. Dennoch legen diese Vorgaben - insbesondere wenn man bedenkt, daß die technischen Möglichkeiten des additiven Umweltschutzes mittlerweile an Effektivitätsgrenzen stoßen und Maßnahmen vor allen Dingen des integrierten Umweltschutzes wie dargestellt auch im Abwasserbereich sowohl erforderlich werden als auch zulässig sind - nicht allein bestimmte Anforderungen an die Abwassereinleitung selbst fest, sondern determinieren häufig das Verfahren der Abwasserbehandlung und enthalten darüber hinaus gar implizit nicht selten Vorgaben für das Produktionsverfahren, weil nur bestimmte Ausgestaltungen desselben zur Einhaltung der Grenzwerte führen können. Darüber hinaus werden Anforderungen an das Produktionsverfahren, insbesondere hinsichtlich der Vermeidung des Anfallens oder der Verwertung beim Betrieb angefallenen Schadstoffhaitigen Abwassers, auch in den Abwasserverwaltungsvorschriften ausdrücklich zugrunde gelegt. Einige Beispiele mögen das illustrieren:

110 Vgl. dazu hcn:its ohen S. 112 f. III Kanowski. Korr.Abw. 198H. 34 (35); Sander. ZtW 1990.437 (439). 112 Vgl.obenS. 112f. 113 Engelhardt. ZtW 1990.319 CUI ); Kanowski. Korr.Ahw . 19HH. 34 (35); Sander, ZtW 1990. 437 (4WJ . 114 Engelhardt. ZtW 1990. 319 (321 ); Sander. Z tW 1990. 437 (440).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

137

In Nr. 2.2.1 des Anhangs 9 (Herstellung von Beschichtungsstoffen und Lackharzen) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift heißt es unter eindeutiger Bezugnahme auf die Produktionssphäre, daß bei der Erzeugung von Vakuum im Produktionsprozeß kein Abwasser anfallen darf. Auch in Nr. 2.2.3 dieses Anhangs werden Vorgaben für das Produktionsverfahren gemacht, wenn dort verlangt wird, das bei der Ablöschung des Destillationssumpfes aus der Lösemittelrückgewinnung aus dem Herstellungsbereich Beschichtungsstoffe auf Lösemittelbasis mit Nebenbetrieben anfallende Abwasser dürfe nicht abgeleitet werden. Detaillierte Vorgaben für die Gestaltung der Anlagen trifft Nr. 2.1.2.2 des Anhangs 39 (Nichteisenmetallherstellung) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift, wonach Abwasser nur eingeleitet werden darf, wenn seine Scht~dstofffracht durch folgende Maßnahmen der Reduzierung des Abwasservolumenstroms gering gehalten wird: ". weitgehende Kreislaufführung von Wasch· und Kühlwässern und/oder Reihenschaltung von z.B. Kühlwässern • die Mehrfachnutzung von aufbereitetem Abwasser und Nutzung von Niederschlagswasser bei geeigneten Einsatzmöglichkeiten • Trennung behandlungsbedürftiger von nicht behandlungsbedürftigen Abwässern • Vermeidung abwasserintensiver Prozeßtechnologien •115.

Als weiteres Beispiel von Vorgaben der Abwasserverwaltungsvorschriften für den Produktionsprozeß sei Nr. 2.2.2 des Anhangs 41 (Herstellung und Verarbeitung von Glas und künstlichen Mineralfasem) genannt, wonach Abwasser im Kreislauf zu führen ist und nur abgeleitet werden darf, "soweit es bei geschlossener Kreislaufführung durch Verschleppung und Verspritzung bzw. bei der vollständigen Erneuerung des Kreislaufes anläßlich von längeren Betriebsstillständen (z.B. Betriebsurlaub), Wartung, Reinigung und Produktionsumstellungen unabdingbar ist oder bei Abspreng- und Schleifmaschinen eine Kreislaufführung wegen schädlicher Auswirkungen auf die Maschinen nicht möglich ist". Wie gezeigt 116 , ist aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten grundsätzlich statt des totalen Verbotes des Einsatzes bestimmter Stoffe in der Produktion die Untersagung von deren Ableitung mit dem Abwasser vorzuziehen. Deshalb heißt es zurecht in Nr. 2.2.1 des Anhangs 41 (Herstellung und Verarbeitung von Glas und künstlichen Mineralfasem) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift, daß das Abwasser keine Halogenkohlenwasserstoffe ent115 Neben diesen Maßnahmen zur Reduzierung des Abwasservolumenstroms wird außer· dem die Substitution von behandlungsbedürftigen Betriebs· und Hilfsstoffen angeordnet, vgl.

s. 138.

116 Vgl. oben S. 132.

138

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

halten darf, die aus Hilfs- und Zusatzstoffen wie zum Beispiel Kühlschmierstoffen stammen. Hier ist nicht der Einsatz von Halogenkohlenwasserstoffen verboten worden, sondern lediglich deren Ableitung in das Abwasser. Eine Entsorgung als Abfall wird offengehalten. Ähnlich schreibt Nr. 2.2.2 des Anhangs 9 (Herstellung von Beschichtungsstoffen und Lackharzen) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift einen bestimmten Grenzwert für leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW) vor, der nach Nr. 2.5 auch als eingehalten gilt, wenn nachgewiesen ist, daß LHKW in der Produktion und für Reinigungszwecke nicht eingesetzt werden. Weiter geht Nr. 2.2.1 dieses Anhangs, wonach Abwasser keine Quecksilberverbindungen und organischen Zinnverbindungen enthalten darf, die aus dem Einsatz als Konservierungsstoffe sowie mikrobizider Zusatzstoffe stammen. Nach Nr. 2.4 kann der Nachweis, daß diese Verbindungen nicht eingesetzt werden, dadurch erbracht werden, daß von den Herstellern Angaben vorliegen, nach denen die zur Konservierung oder mikrobiziden Herstellung verwendeten Einsatz- oder Hilfsstoffe derartige Verbindungen nicht enthalten. Auch ein grundsätzliches Verbot der Verwendung bestimmter Stoffe kann nach den obigen Ausführungen in den Abwasserverwaltungsvorschriften vorgesehen werden. So heißt es denn auch in Nr. 2.1.2.2 des Anhangs 39 (Nichteisenmetallherstellung) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift, daß die Schadstofffrachtreduzierung von Abwasser durch die Substitution von behandlungsbedürftigen Betriebs- und Hilfsstoffen zu erreichen sei. Unter Nr. 2.2.2 dieses Anhanges wird zwar kein generelles Einsatzverbot für Chlor erteilt, aber der Einsatz von Chlor oder chlorabspaltenden Substanzen in der Abluftbehandlung der Chlorraffination von Aluminium ist so gering wie möglich zu halten. Wenn jedoch die Einhaltung der Grenzwerte, die mittels der die allgemein anerkannten Regeln der Technik oder den Stand der Technik konkretisierenden Abwasserverwaltungsvorschriften vorgegeben sind, durch verschiedene Verfahren der Abwasserreinigung, durch unterschiedliche Optionen der Ausgestaltung des Produktionsverfahrens beziehungsweise der Produktwahl oder durch bestimmte Kombinationen von Verfahren der Abwasserreinigung und produktionsinternen Maßnahmen - gleichwertig - erreicht werden kann, ist die Wasserbehörde durch § 7 a Abs. 1 WHG nicht dazu ermächtigt, dem Setreiber eine bestimmte Lösung verbindlich vorzuschreiben. Vielmehr ist die Auswahl zwischen technisch und rechtlich gleichwertigen Verfahren und Verfahrenskombinationen dem Setreiber selbst zu überlassen 117 . 117 Breuer. Wasserrecht, S. 223 f. Rdn. 344 f .; Henseler, Abwasserbeseitigung, S. 65; Lübbe-Wolff, NVwZ 1990, 240 (242); Salzwedel, Harmonisierung Umweltrecht, S. 54 f., S. 88; ders., Wasserrecht, S. 588; Salzwedel/Preusker, Korr.Abw. 1981, 470 (472).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

139

Ausdrücklich darauf hingewiesen sei aber noch einmal, daß über § 7 a WHG zwingende Mindestanforderungen für die wasserbehördliche Entscheidung gestellt werden, so daß diese insofern hinsichtlich des Ergebnisses voll determiniert ist. Auf der anderen Seite ist jedoch selbst dann, wenn diese zwingenden Versagungsgründe nicht eingreifen, keine Verpflichtung der Behörde zur Erlaubniserteilung auszumachen. Vielmehr kann sie über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Überlegungen im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens zur Bewirtschaftung der Gewässer geltend machen 118 . Insofern - also nicht auf der rechtlichen Grundlage des § 7 a Abs. 1 WHG - sind weitergehende Anforderungen zur Begrenzung der Schadstofffrachten des Abwassers möglich, kann insbesondere trotz fortschrittlichster Abwassertechnik - soweit dies den Anforderungen der Abwasserverwaltungsvorschriften genügen sollte - verlangt werden, auch im Bereich der Produktion technische Möglichkeiten selbst über die allgemein anerkannten Regeln beziehungsweise den Stand der Technik hinaus voll auszuschöpfentt9. Folgendes Schema soll einen groben Überblick über die verschiedenen Ebenen der Möglichkeiten zur Verminderung der Schadstofffracht des Abwassers von der Produktwahl bis zur Einleitung in den Vorfluter geben 120 : Bestimmung des Endproduktes Gestaltung der Anlage: Einflußnahme auf das Produktionsverfahren selbst, beispielsweise Mehrfachnutzung von Wasser, Kreislaufführungen, Rückgewinnung und Wiedereinsatz von Einsatzstoffen, Auswahl der einzusetzenden Roh- und Hilfsstoffe Maßnahmen.der Abwasserreinigung bei einzelnen Teilströmen Zentrale Abwasserbehandlungsanlage Einleitung

118 Vgl. oben Fn. 58. 119 Salzwedel, Wasserrecht, S. 589; Salzwedel!Preusker, Korr.Abw. 1981, 470 (472). 120 Ein sehr interessantes Beispiel eines Blockschemas der Entwässerung findet sich bei

Engelhardt, ZfW 1990, 319 (324).

140

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

3. Rechtliche Wirksamkeit und Verbindlichkeit der Abwasserverwaltungsvorschriften

Können somit in den Abwasserverwaltungsvorschriften sehr weitgehend Bestimmungen hinsichtlich der - immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen - Anlage getroffen werden, so stellt sich die Frage nach der rechtlichen Verbindlichkeit und Wirksamkeit dieser Vorschriften. Die Abwasserverwaltungsvorschriften werden unabhängig davon, wie sie rechtlich einzustufen sind, nicht nur von den Behörden, sondern weit mehr noch von den Betroffenen selbst beachtet. Diese orientieren sich nicht nur bei der Vorbereitung von Anträgen und möglichen späteren Widerspruchsverfahren am Inhalt der Abwasserverwaltungsvorschriften, sondern darüber hinaus auch bei internen Planungen und betrieblichen Organisationen, um keine Widersprüche zur Rechtslage aufkommen zu lassen 121 . Die große praktische Relevanz der nach § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG erlassenen Abwasserverwaltungsvorschriften steht somit außer Zweifet1 22 . Sie gewinnen aber noch an Bedeutung, wenn man ihnen im Unterschied zur überkommenen, früheren Rechtsquellenlehre 123 bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe Rechtswirkungen über den verwaltungsinternen Bereich hinaus zukommen läßt. Deshalb ist der Frage nachzugehen, ob der Stellenwert der Abwasserverwaltungsvorschriften insoweit steigen kann, als ihnen als Umweltstandards setzenden Verwaltungsvorschriften über die Annahme insbesondere von Restriktionen hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und einer bestimmten Bindungswirkung auch für den Bürger die Entfaltung einer gewissen Außenwirkung zukommen kann. Auch wenn Salzwedel sicherlich zu Recht festgestellt hat, die Frage nach der Abgrenzung zwischen unbestimmtem Rechtsbegriff und Ermessen, zwischen größerer und geringerer Kontrolldichte sei das Lieblingskind der Verwaltungsrechtswissenschaft schlechthin, Lieblingskinder aber liefen Gefahr, überschätzt zu werden, da sich das richterliche Judiz im Einzelfall in der Praxis sowohl im Bereich der limitierten Ermessenskontrolle als auch im Korsett unbestimmter Rechtsbegriffe durchzusetzen vermöge 124 , so ist es doch nicht ohne Erheblichkeit, wie die dem von Salzwedel angesprochenen Themenkomplex im Hinblick auf die Frage der gerichtlichen Kontrolldichte verwandte 121 Keune, Wasserrecht in den ostdeutschen Länden, S. 113; Marburger, Die Regeln der Technik, S. 415 . 122 Auch Reinhardt, Geltendes Recht im Wasserwesen, S. 125, attestien den Abwasserverwaltungsvorschriften praktische Bedeutsamkeit. 123 Vgl. dazu Giebeler, S. 13 f.; Rupp. JZ 1991, 1034. 124 Salzwedel, RdWWi. 23 (1988). 11 (17).

lll. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

141

Fragestellung zu lösen ist, ob, und wenn ja in welchem Umfang die Verwaltungsgerichte an einer vollständigen Überprüfung von Umweltstandards setzenden Verwaltungsvorschriften - betont sei an dieser Stelle, daß auch "legislative" Umweltstandards nicht vollständig der richterlichen Kontrolle entzogen sind, auch wenn hier im Regelfall nur eine Überprüfung der Sachrichtigkeit im Hinblick auf Willkürfreiheit der zugrundegelegten Erkenntnisse stattfindet, so daß bei auf offensichtlich falschen wissenschaftlichen Grundannahmen beruhenden Normen deren Nichtigkeit die Folge ist 125 - gehindert sein können, oder umgekehrt formuliert, inwieweit Verwaltungsvorschriften als grundsätzlich außenunwirksames Innenrecht doch in bestimmten abzugrenzenden Fallkonstellationen die Verwaltungsgerichte zu binden vermögen. Das "alte Dauerthema der judikativenKontrolldichte und der administrativen Entscheidungsprärogativen" ist folglich um die Variante der Gegenüberstellung und Abgrenzung von administrativer Standardisierung und gerichtlicher Kontrolle erweitert 126 . Diese Frage ist deshalb nicht von rein akademischer Natur, weil im Unterschied zu der dogmatischen Begründung einer gleich oder unterschiedlich großen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle über die Figur des unbestimmten Rechtsbegriffs auf der Tatbestands- oder des behördlichen Ermessens auf der Rechtsfolgenseite von Normen hier die Frage angesprochen wird, inwieweit die Verwaltung, nicht also der Gesetzgeber selbst, in gewissem Umfang mit Außenwirkung abstrakt-generelle Regelungen treffen kann, also solche sowohl über den Einzelfall als auch einen bestimmbaren Adressatenkreis hinaus. Die Frage der richterlichen Nachprüfbarkeit von Umweltstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften ist deshalb zu trennen von der Problematik, ob unbestimmte Rechtsbegriffe im Umwelt- und Technikrecht einen Beurteilungsspielraum eröffnen. Die Diskussion einer möglichen Begrenzung der Kontrolldichte im Hinblick auf konkret-individuelles exekutivisches Handeln 127 darf nicht mit der Frage nach einer möglichen Befugnis der Exekutive zu abstrakt-genereller Standardisierung verwechselt werden128.

125 Vgl. dazu BVerfGE 49. 89 (140); Salzwedel, NVwZ 1987,276 (278). 126 Breuer, NVwZ 1988. 104 (106); ebenso Wahl. NVwZ 1991 , 409. 127 Zur Einräumung von Beurteilungsspielräumen für die Einzelfallentscheidung

der Ver-

waltung im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle vgl. Sellner, Beurteilungsspielräume der Exekutive, S. 30 ff.

128

Deshalb ist die Einordnung der Frage der gerichtlichen Überprüfbarkeil von Standards

setzenden Verwaltungsvorschriften zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe als bloße Fallgruppe der Beurteilungsspielräume der Exekutive bei der Einzelfallentscheidung im Hinblick auf unbestimmte Rechtsbegriffe mehr als fraglich; so aber Redekerlvon Oertzen, VwGO, § 114 VwGO Rdn. 19 ff., insb. Rdn. 23; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 128 Rdn. 41; es geht hier vielmehr um grundsätzlich andere dogmatische Grundlagen.

142

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Die nachfolgende Untersuchung kann aufgrund der ausufernden Stellungnahmen129 zu dieser Frage nur deren wesentliche Grundzüge und Ergebnisse skizzieren, wobei eine "Reduktion von Komplexität" jedoch die Chance rechtsdogmatischer Übersichtlichkeit und Strukturierung bietet t3o.

4. Traditionelle Bewertung von Verwaltungsvorschriften

Ausgangspunkt der Diskussion um eine mögliche Außenrechtsverbindlichkeit Umweltstandards festlegender Verwaltungsvorschriften ist das Wissen um die wesentlichen Eckpfeiler der überkommenen Einstufung von Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften sind als abstrakt-generelle Anordnungen stets das Instrument einer zentralen Steuerung des administrativen Handeins durch die in der Weisungshierarchie an der Spitze stehenden Behörden gewesen131. Im Gegensatz zur früheren Verwaltungsrechtsdogmatik, die die Verwaltungsvorschriften in ihrer Bedeutung auf den Innenbereich der Verwaltung beschränkte und ihnen im Hinblick auf den Rechtsquellencharakter die Zuordnung als Rechtsnorm absprach, werden Verwaltungsvorschriften heute überwiegend als Rechtsnormen charakterisiert132 . Heute wird deshalb meist dem sogenannten Innenrecht (Verwaltungsvorschriften) das Außenrecht (Gesetze, Rechtsverordnungen) als eigengearteter Rechtsbereich gegenübergestellt. Soweit man heute noch die Feststellung findet, Verwaltungsvorschriften seien keine Rechtsnormen 133 , ist deshalb damit gemeint, daß ihnen Außenrechtsverbindlichkeit fehle. Eine gänzliche Beschränkung der Wirkungen von Verwaltungsvorschriften auf den Innenbereich der Verwaltung wird jedoch -unabhängig vom Problernkreis der Umweltstandards festsetzenden Verwaltungsvorschriften- auch von der überkommenen Lehre nicht angenommen. Unproblematisch ist die 129 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 3 f., bezeichnet die rechtswissenschaftliche Erschließung des Themenkreises "Verwaltungsvorschriften" dennoch als defizitär. 130 Breuer, NVwZ 1988, 104 (108). 131 Marburger, Die Regeln der Technik, S. 414; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, § 65 Rdn. 4. 132 Zum historischen und dogmengeschichtlichen Hintergrund der Einordnung von Verwaltungsvorschriften vgl. Ossenbühl. Verwaltungsvorschriften, S. 34 ff.; ders. , in: Isensee/Kirchhof, § 65 Rdn. 30 ff. 133 So fonnuliert Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 557 Rdn. 3, beispielsweise, Verwaltungsvorschriften seien zwar Rechtssätze, aber keine Rechtsnomen.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

143

interne Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, die als Dienstbefehl für den jeweiligen Organwalter verbindlich sind 134 . Darüber hinaus ist das Institut der sogenannten Selbstbindung von Verwaltungsvorschriften entwickelt worden. Die verwaltungsgerichtliche Praxis 135 geht unter überwiegender Zustimmung der Literatur136 davon aus, daß die Exekutive sich insbesondere im Ermessenbereich durch Verwaltungsvorschriften selbst an das darin konkretisierte Vollzugsprogramm zugunsten des Bürgers bindet. Dogmatische Grundlage ist insbesondere der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, darüber hinaus werden aber auch der Vertrauensschutzgedanke oder die Prinzipien von Treu und Glauben sowie der Kontinuität der Verwaltung herangezogen. Während dogmatische Einzelheiten des Instituts der Selbstbindung der Verwaltung hier nicht weiter verfolgt werden müssen, sei noch festgehalten, daß Art. 3 Abs. 1 GG nach dieser Lehre als "Umschaltnorm" fungiert, die dem Bürger einen Anspruch darauf vermittelt, daß die Behörde ihm gegenüber nicht willkürlich von dem in den Verwaltungsvorschriften festgelegten Vollzugsprogramm abweicht und die verwaltungsinternen Weisungen somit in "die das Staat-Bürger-Verhältnis unmittelbar regelnde (Außen-)Rechtsordnung extravertiert"137. Nicht nur eine ständige Verwaltungspraxis der Anwendung von Verwaltungsvorschriften, sondern auch eine "antizipierte" Verwaltungspraxis durch den bloßen Erlaß einer Verwaltungsvorschrift soll nach Ansicht der Rechtsprechung zu der Bindungswirkung führen 138. Die Bindung von Verwaltungsvorschriften über das Institut der Selbstbindung gestattet im Unterschied zu Gesetzen und Rechtsverordnungen ein individuelles Abweichen vom administrativen Entscheidungsprogramm. Wenn beispielsweise das Gesetz Ermessen eröffnet, kann die Verwaltung gar gehalten sein, abweichend von den Entscheidungsmaßstäben der Verwaltur.gsvorschrift Umstände des Einzelfalles anders zu gewichten. Darüber hinaus kann die Verwaltung pro futuro jederzeit gänzlich von dem in einer Verwaltungsvorschrift niedergelegten Entscheidungsprogramm abweichen und diese nicht mehr berücksichtigen139.

134 Marburger, S. 415. 135 Vgl. nur BVerwGE 2, 163 (167 f.); BVerwGE 8, 4 (10); BVerwGE 15, 190 (196); BVerwGE 17, 204 (205); BVerwGE 34, 278 (280 f.); BVerwGE 44, 72 (74 f.). 136 Vgl. nur die Darstellung bei Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 514 ff.; ders., in: /sensee/Kirchhof, § 65 Rdn. 44 ff. 137 Ossenbühl, in: Isensse/Kirchhof, § 65 Rdn. 46. 138 BVerwG, DÖV 1971, 748; BVerwG, DÖV 1982, 76; BVerwG, DVBI. 1982, 195 (197). 139 Ossenbühl, in: lsensee/Kirchhof, § 65 Rdn. 52.

144

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Von dieser über den Gleichheitssatz vermittelten Außenverbindlichkeit abgesehen sind Verwaltungsvorschriften stets als bloßes Innenrecht der Verwaltung und lediglich norminterpretierend eingestuft worden. Wenn man Umweltstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften in gewissem Umfang Außen- rechtsverbindlichkeit zukommen ließe, würden sie insoweit Regelungscharakter (materiellen Rechtsgehalt) haben und im Gegensatz zu norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften nicht nur eine Empfehlung oder Weisung an nachgeordnete Stellen darstellen, in bestimmter Weise zu entscheiden, sondern im Rahmen des ihnen zugestandenen Bindungsumfanges selbst die Entscheidung treffen140.

5. Entwicklung der Rechtsprechung zu Umwelt- und Technikstandards setzenden Verwaltungsvorschriften Die Gerichtsentscheidungen hinsichtlich der Einordnung von Umwelt- und Technikstandards wiedergebenden Verwaltungsvorschriften betreffen häufig die deshalb hier vorab erwähnte Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft- TA Luft) 141 , die gemäߧ 48 BimSchG von der Bundesregierung nach Anhörung der in § 51 BimSchG genannten beteiligten Kreise mit Zustimmung des Bundesrates erlassen wird und sowohl Immissions- und Emissionswerte als auch die Verfahren zur Ermittlung derselben regelt.

a) Anfangliehe Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte

Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichtes Harnburg in seinem Beschluß vom 23.10.197 4 142 geben die in der TA Luft 1974 festgesetzten Grenzwerte "ein Beweisanzeichen 143 dafür her, daß die Anforderungen des § 5 BimSchG jedenfalls dann erfüllt sein dürften, wenn die deutlich niedrigeren Grenzwerte des Genehmigungsbescheides eingehalten werden". Eine Verbindlichkeit der TA Luft wird vom Oberverwaltungsgericht Harnburg also weder in faktischer noch in rechtlicher Hinsicht angenommen, es hat vielmehr den Anschein, daß das Gericht nur bei deutlicher Unterschreitung der Immissionswerte der TA

140 141 142 143

Hill, NVwZ 1989, 401 (409). Mittlerweile in der Fassung vom 27 .2.1986, GMBI. 1986, S. 95. OVG Hamburg, DVBI. 1975, 207 (209). Hervorhebung durch den Verfasser.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

145

Luft eine Vermeidung von schädlichen Umwelteinwirkungen anzunehmen bereit ist 144 . Etwas weiter geht hinsichtlich der Berücksichtigung der TA Luft da schon das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil vom 7. 7.1976 145 . Es stellt zwar fest, daß die TA Luft 1974 als Verwaltungsvorschrift keine Rechtsnormqualität besitze und deshalb nur die Verwa1tungsbehörden, nicht die Gerichte, binde. "Durch die in dieser Technischen Anleitung festgelegten Immissionswerte soll . . . eine möglichst einheitliche Handhabung des BimSchG durch die zuständigen Verwaltungsbehörden sichergestellt werden. Eine unmittelbare Verbindlichkeit ist damit für Dritte, d.h. insbesondere für Bürger, aber auch für Gerichte nicht verbunden" 146 . Gleichwohl können Verwaltungsvorschriften nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichtes Münster in diesem Urteil über die Berücksichtigung bei der Gesetzesinterpretation mittelbar Rechtswirkungen für den Bürger äußern und deshalb auch für die Rechtsprechung bedeutsam sein 147 . Dabei geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, daß "die in der TA Luft genannten Immissionswerte für eine gewisse Bandbreite oder Schwankungsbreite stehen, deren Ausmaß allerdings ... für die einzelnen Schadstoffkomponenten nicht bekannt ist" 148 . Deshalb ist das Gericht "zu der Überzeugung gelangt, daß die in der TA Luft festgelegten Immissionswerte nicht die Bedeutung von starren, absoluten Grenzen haben, sondern als Markierungen 149 anzusehen sind, die einen nicht genau bekannten Übergangsbereich zwischen schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen kennzeichnen, oder - mit anderen Worten - mit Warntafeln 150 vor oder in unsicherem Gelände verglichen werden können und in diesem Sinne den Charakter von Richtwerten oder Anhaltspunkten haben" 151 . Eine Verbindlichkeit der Werte der TA Luft wird also auch in diesem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster abgelehnt. Das Gericht will in jedem Einzelfall eine Einzelbewertung des infrage stehenden Vorhabens anstellen, wobei seiner Ansicht nach durchaus denkbar ist, "daß auch bei einer nicht wesentlichen Überschreitung des Immissionswertes einer einzelnen Schadstoffkomponente noch nicht von einer schädlichen Umwelteinwirkung ausgegangen werden muß" 152 . 144 OVG NW, DVBI. 1976.790 (794). 145 OVG NW, DVBI. 1976,790. 146 OVG NW, DVBI. 1976,790 (794). 147 OVG NW. DVBI. 1976, 790 (794). 148 OVG NW, DVBI. 1976, 790 (795). 149 Hervorhebung durch den Verfasser. 150 Hervorhebung durch den Verfasser. 151 OVG NW, DVBI. 1976, 790 (795). 152 OVG NW, DVBI. 1976,790 (795). 10 Kastcr

146

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

b) Der Beschluß des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 23.10.1976

Deutlich abgewichen von dieser der TA Luft grundsätzlich weder faktische noch rechtliche Verbindlichkeit zukommen lassende Rechtsprechung ist, soweit ersichtlich, erstmals der Bayerische Verwaltungsgerichtshof. Im Beschluß vom 26.10.1976 153 hat er sich für die Verbindlichkeit der Werte der TA Luft und darüber hinaus der TA Lärm für die Gerichte ausgesprochen 154 : "Die in der TA Luft festgelegten Immissionswerte sind Ausdruck "administrativen Sachverstandes", den auch der Senat zu respektieren weiß. Eine Nachprüfung der Richtigkeit dieser We11e hat grundsätzlich außer Betracht zu bleiben 155 ; vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß diese auf dem Richtlinienwerk der VDJ-Kommission Reinhaltung der Luft, einen umfassenden Erfahrungsaustausch der Bundes- und Länderbehörden, Forschungsergebnissen u.a. beruhenden Weneden an die Reinhaltung der Luft zum Schutze der Umwelt zu stellenden Anforderungen gerecht werden."

c) Das Voerde-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.2.1978

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Voerde-Urteil seines Ersten Senats vom 17.2.1978 156 erstmals Verwaltungsvorschriften im Bereich des Umweltund Technikrechts eine für die gerichtliche Kontrolle zukommende Bedeutung zugesprochen. Im konkreten Fall ging es erneut um die TA Luft 1974. Das Bundesverwaltungsgericht hat dieser im Voerde-Urteil Rechtsnormqualität abgesprochen und ihr - aufbauend auf einem entsprechenden Vorschlag Breuers157- statt einer rechtlichen lediglich die einem "antizipierten" Sachverständigengutachten zukommende faktische Bedeutung insbesondere für das Gerichtsverfahren zugesprochen I 58: "Die aufgrund des § 48 BlmSchG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sind keine

Rechtsnormen 159. Sie binden mithin nur die Verwaltung beim Vollzug des Bundes-

Imrnissionsschutzgesetzes, mangels nom1ativer Geltung jedoch weder den . Belreiber einer

153 154 155 156 157 158 159

BayVGH, BayVBI. BayVGH, BayVBI.

1977, 303. 1977, 303 (305).

Hervorhebung durch den Verfasser. BVerwGE 55, 250.

Breuer, AöR 101 (1976), 46 BVerwGE 55, 250 (255 f .).

(82 ff.); ders ., DVBI. 1978, 28 (34 ff.).

Hervo rhebung durch den Verfasser.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

147

genehmigungsbedürftigen Anlage noch die Gerichte bei Anwendung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, und ziehen schließlich auch gegenüber den von den Immissionen einer genehmigungsbedürftigen Anlage betroffenen Personen keine normativen Grenzlinien zwischen zulässigen und unzulässigen Immissionen 160. Aus dem Fehlen einer solchen normativen Geltung und der an diese anknüpfenden rechtlichen Bindung 161 folgt jedoch nicht, daß die durch die TA Luft162 festgelegten Immissionswerte im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Entscheidung der Genehmigungsbehörde bedeutungslos wären .. . (Die Ansicht des Berufungsgerichtes 163) läßt außer acht, daß die auf Grund und unter Beachtung der genannten Vorschriften 164 festgelegten Immissionswerte wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Art und Weise ihrer Ermittlung für die Beantwortung der Frage, ob Immissionen geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen, eine geeignete, wenn nicht optimale Erkenntnisquelle darstellen 165 . weil sie auf den zentral - durch die Bundesregierung - ermittelten Erkennmissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruhen und deswegen als schon die Entscheidung der Genehmigungsbehörde prägendes und insofern "antizipiertes • Sachverständigengutachten 166 (...)wegen ihres naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehaltes auch für das kontrollierende Gericht bedeutsam sind 167 ."

Deshalb kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, daß davon auszugehen sei, "daß die Immissionswerte der TA Luft weltweit gewonnene Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse über die Eignung bestimmter Schadstoffe zur Herbeiführung der in § 3 Abs. I BlmSchG genannten Beeinträchtigungen repräsentieren, sofern sich nicht aufgrund neuer gesicherter Erkenntnisse ergibt, daß die Grenze zwischen schädlicher und unschädlicher Umwelteinwirkungen bei einem anderen Immissionswert liegt 168 ." In diesem Umfang -vorbehaltlich neuer besserer Erkenntnisse und des Nichtvorliegenseines atypischen Sachverhaltes 169 - können die in der TA Luft niedergelegten Immissionswerte deshalb nach Ansicht des Ersten Senats des Bundesverwaltungsgerichtes der gerichtlichen Entscheidung als antizipier-

160 BVerwGE 55, 250 (255). 161 Hervorhebung durch den Verfasser. 162 Im Original ist die genaue Bezeichnung mit Fundstelle zu lesen. 163 Verdeutlichung durch den Verfasser. 164 Gemeint sind die §§ 48 Nr. I, 51 BlmSchG. 165 Hervorhebung durch den Verfasser. 166 Hervorhebung durch den Verfasser. 167 BVerwGE 55, 250 (256). 168 BVerwGE 55 , 250 (260). 169 BVerwGE 55, 250 (261). 10"

148

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

tes Sachverständigengutachten zugrunde gelegt werden 170. Damit liegen erstmals Aussagen zum Umfang einer- wenn auch nur faktischen- Bindungswirkung von Standards setzenden Verwaltungsvorschriften vor. Voraussetzung dieser Annahmen und damit letztlich der Einstufung der TA Luft als antizipiertem Sachverständigengutachten ist für das Bundesverwaltungsgericht im Voerde-Urteil jedoch die Feststellung, daß die in der TA Luft festgeschriebenen Immissionswerte nicht lediglich Indikatoren für einen nicht genau bekannten Übergangsbereich zwischen schädlichen und unschädlichen Umwelteinwirkungen seien, sondern die Grenzwerte der noch unschädlichen Umwelteinwirkungen festlegten. Andernfalls müßten in jedem Einzelfall die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen unabhängig von der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Werte der TA Luft geprüft werden, so daß diese für die mit dem Vollzug des Bundes-Immissionsschutzgesetzes betrauten Behörden nutzlos würde1 71 . Mit dem Voerde-Urteil mißt das Bundesverwaltungsgericht also erstmals Umwelt- und Technikstandards setzenden Verwaltungsvorschriften eine Beachtlichkeit für die Gerichte bei, wenn es auch die Rechtswirkungen derselben ablehnt. Letztlich bedeutet die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens nämlich nichts anderes als die Umkehr der materiellen Beweislast. Es stünde lediglich im gerichtlichen Ermessen, ob das jeweilige Gericht auf den in der Verwaltungsvorschrift niedergelegten Umweltstandard überhaupt zurückgreifen wollte oder andere Beweismittel nutzte 172 .

d) Die Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 8.8.1978

Grundlage der gesamten jüngeren Rechtsprechung zu den Möglichkeiten der Exekutive bei der Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Umwelt- und Technikrechts sind Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtes in der Kalkar-Entscheidung geworden. Dort hat der Zweite Senat mit Beschluß vom 8.8.1978 173 festgestellt, daß in bestimmten Fällen bei der Konkretisierung von gesetzlich in unbestimmten Rechtsbegriffen niedergelegten Technikniveaus der Exekutive die besseren Handlungsformen im Vergleich zur Legislative zuständen: 170 171 172 173

BVerwGE 55, 250 (258). BVerwGE 55, 250 (257). Jarass, NJW 1987, 1225 (1228).

BVerfGE 49, 89.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

149

"Beabsichtigt der Gesetzgeber, auf diesem Gebiet174 zur Vermeidung von Gefahrdungen des Einzelnen oder der Allgemeinheit rechtliche Regelungen zu treffen, so steht er vor besonderen Schwierigkeiten, die in der Natur des Regelungsgegenstandes liegen ( ... ). Selbst in den seltenen Fällen, in denen ein technischer Erkenntnis- und Entwicklungsstand vorerst abgeschlossen erscheint, ist es ihm wegen der vielschichtigen und verzweigten Probleme technischer Fragen und Verfahren in der Regel nicht möglich, sämtliche sicherheitstechnischen Anforderungen, denen die jeweiligen Anlagen oder Gegenstände genügen sollen, bis ins einzelne festzulegen ... (Es 175) kommt hinzu, daß der Gesetzgeber, hätte er tatsächlich einmal eine detaillierte Regelung getroffen, diese laufend auf den jeweils neuesten Stand bringen müßte 176 ."

Im weiteren führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß dem Gesetzgeber die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zur Verfügung stehe, um die Erkenntnisse und Entwicklungen von Wissenschaft und Technik im Wege einer Nonngebung, die damit Schritt halte, rechtlich verbindlich werden zu lassen. Die Verwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe in Form einer Verweisung auf die unterschiedlichen Technikniveaus der "allgemein anerkannten Regeln der Technik", "des Standes der Technik" und "des Standes von Wissenschaft und Technik" verlagere jedoch die Schwierigkeiten der verbindlichen Konkretisierung und der laufenden Anpassung auf die administrative Ebene, so daß insbesondere die Behörden das Regelungsdefizit der normativen Ebene ausgleichen müßten 177 . Vor allen Dingen die nachfolgende Passage hat dann den Verwaltungsgerichten später bei ihren Entscheidungen Pate gestanden 178 : "Nur eine laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand vermag hier dem Grundsatz einer bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge zu genügen. Diese Beuneilung in die Hand der Exekutive zu geben, deren rechtliche Handlungsformen sie for die erforderliche Anpassung sehr viel besser ausrüsten als den Gesetzgeber 179 , dient auch insoweit einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes. Daß die Exekutive dabei alle wissenschaftlich und technisch vertretbaren Erkenntnisse heranzuziehen und willkürfrei zu verfahren hat, bedarf keiner besonderen Betonung. Das Maß an Unbestimmtheit, das bei solchen Risikobeuneih.:ngen unentrinnbar verbleibt, ist in der Natur des menschlichen Erfahrungswissens begründet. Wenn das Gesetz

174 Des technischen Sicherheitsrechts. 175 Verdeutlichung durch den Verfasser. 176 BVerfGE 49, 89 (134 f.). 177 BVerfGE 49, 89 (135 f.). 178 BVerfGE 49, 89 (139 f.). 179 Hervorhebung durch den Verfasser.

150

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

bei dieser Sachlage der Exekutive einen eigenen Beurteilungsbereich beläßt180 , verstößt das nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis der Verfassung."

e) Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Schleswig vom 17.3.1980

Eine ausführliche Würdigung hat die Befugnis der Exekutive zur verbindlichen Ausfüllung von Technikstandards festlegenden unbestimmten Rechtsbegriffen im Urteil des Verwaltungsgerichtes Schleswig vom 17.3.1980 181 gefunden, das sich dabei ausdrücklich von der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hat "inspirieren" lassen182 . Dabei ging es unter anderem um die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffes des Standes von Wissenschaft und Technik in§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG durch ein vom Bundesminister des lnnern als Leitlinie erlassenes Regelwerk, das keinen Rechtsnormcharakter hat und auch nicht als auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Anweisung beruhende Verwaltungsvorschrift ergangen ist. Der Bundesminister des Innern hat sich jedoch durch Empfehlungen und Leitlinien der Strahlenschutzkomrnission, der Reaktorsicherheitskommission und des Kerntechnischen Ausschusses leiten lassen und Teile der von diesen Gremien ausgearbeiteten Regeln übernommen. Deshalb kommt in diesem Regelwerk nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Schleswig der "gegenwärtige Stand der wissenschaftlichen Diskussion in diesem Bereich zum Ausdruck" 183 . In diesem Zusammenhang hat es folgende Überlegungen angestellt 184: "Der Begriff "Stand von Wissenschaft und Technik" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff...

(Er entspricht 185) den derzeitigen menschlichen Erkenntnissen. Die uneingeschränkte gerichtliche Kontrolle, auf welchem Stand sich die derzeitigen menschlichen Erkenntnisse im Bereich des Strahlenschutzes und der Reaktorsicherheit befinden, würde in letzter Konsequenz dazu führen, daß die Verwaltungsgerichte die wissenschaftlichen Streitfragen auf diesem Gebiet zu entscheiden hätten. Den Verwaltungsgerichten obliegt es jedoch nicht,

im Wege nachträglicher Rechtskontrolle die Bewertung dieser Streitfragen seitens der Exekutive durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen 186 . Denn die rechtliche und die politische Verantwortung für eine bestimmte atomrechtliche Entscheidung ist von den zuständigen Organen der vollziehenden Gewalt zu tragen." 180 Hervorhebung durch den Verfasser. 181 VG Schleswig, NJW 1980, 1296. 182 VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1297, 1298). 183 VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1298). 184 VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1297). 185 Verdeutlichung durch den Verfasser. 186 Hervorhebung durch den Verfasser.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

151

Auf der Grundlage dieser generellen Ausführungen hat das Verwaltungsgericht Schleswig dann die Prämissen festgestellt, unter denen die Aussagen des Regelwerkes von den Verwaltungsgerichten nur überprüft werden können, und diesen damit indirekt rechtliche Bindungswirkung zugesprochen 187 . Das Gericht ist dabei ausdrücklich auf das Verfahren des Zustandekommens der Standards eingegangen: "(Den Verwaltungsgerichten 188) obliegt es nicht, den der Exekutive zugewiesenen Bewertungsvorgang durch ein erneutes Verfahren zur Ermittlung und Beurteilung der unterschiedlichen Meinungen auf dem Gebiet des Strahlenschutzes und der Reaktorsicherheit zu ergänzen ... Im Rahmen der ihnen lediglich zugewiesenen Rechtskontrolle können und dürfen sie diese Verantwortung nicht übernehmen. Denn das gerichtliche Verfahren ist kein zweites Genehmigungsverfahren... Die Verwaltungsgerichte müssen sich deshalb auf eine Rechtskontrolle der Verwaltungsentscheidung beschränken. Dabei ist auch für ihre Entscheidung das Regelwerk wegen seines naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehaltes eine geeignete Erkenntnisquelle, weil es auf den zentral - durch die Bundesregierung - ermittelten Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener Fachgebiete beruht... (Es ist sachgerecht 18~. wenn auch die Gerichte das Regelwerk als das Ergebnis dieser Beurteilung bei ihrer Kontrolle zugrunde legen. Im Einzelfall haben sie dann zu prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, daß diese Regeln und Leitlinien fehlerhaft zustande gekommen sind. Ferner ist zu überprüfen, ob wegen des Vorliegens eines atypischen Sachverhalts ein Abweichen von den Regeln notwendig erscheint."

f) Das Heidelberger-Heizwerk-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.12.1984

Zweifel an einem Festhalten des Bundesverwaltungsgerichtes an der Einstufung der TA Luft als antizipiertem Sachverständigengutachten läßt jedoch bereits sein Urteil vom 17.2.1984 (Heidelberger-Heizwerk-Fall) 190 aufkommen, in dem es eine Konkretisierung der Betreiberpflichten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG auch durch eine Verwaltungsvorschrift nach § 48 BlmSchG für erforderlich hielt. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes geht es in diesem Zusammenhang "nicht um eine sich in strenger rechtlicher Gebundenheit vollziehende Anordnung des 'technisch Machbaren', sondern um eine komplexe Neubewertung der Frage, welche Emissionsbegrenzung künftig von

187 188 189 190

VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1298). Verdeutlichung durch den Verfasser. Verdeutlichung durch den Verfasser. BVerwGE 69, 37.

152

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

allen Anlagen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als angemessene Vorsorge verlangt wird" 191. Die Zuweisung einer solchen Konkretisierungsfunktion im Hinblick auf die gesetzlich normierten Belreiberpflichten an die Exekutive mittels des Verwaltungsvorschriftenerlasses spricht dafür, diesen nicht nur die einem antizipierten Sachverständigengutachten zukommende rein faktische Wirkung, sondern auch rechtliche Relevanz zuzuweisen 192 .

g) Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg vom 28.2.1985

Offen entgegengetreten ist das Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Beschluß vom 28.2.1985 193 dem Voerde-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Einstufung der TA Luft als lediglich rechtlich unverbindlichem antizipiertem Sachverständigengutachten. Obwohl die Bestimmungen der TA Luft Verwaltungsvorschriften und keine Rechtsnormen seien, hätten sie eine über den Bereich der Verwaltung hinausgehende, auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung 194 . Entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts im Voerde-Urteil 195 lasse sich die Grenze zwischen schädlichen und nicht schädlichen Umwelteinwirkungen aufgrund der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse abstrakt nicht exakt bestimmen, schon gar nicht sei dies möglich bei der Festlegung des Umfangs der gebotenen Vorsorge. Vielmehr legten die Immissionsgrenzwerte innerhalb einer Bandbreite unter Umständen denkbarer Entscheidungen trennscharf fest, welche Umwelteinwirkungen dem einzelnen noch zuzumuten seien und welches verbleibende Risiko er mithin zu tragen habe. Bei dieser Festlegung handele es sich damit letztlich um eine politische Willensentscheidung, die nach Abwägung und Wertung der Exekutive erfolge. Dabei belasse das Gesetz der Exekutive einen von den Gerichten zu respektierenden Beurteilungsbereich. Demzufolge könnten die Bestimmungen der TA Luft nicht als "antizipiertes Sachverständigengutachten" qualifiziert werden. Zur Begründung der Bindung der Gerichte an die Bestimmungen der TA Luft führt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg drei Aspekte ins Feld; zu zweienformuliert es: 191 BVerwGE 69. 37 (45). 192 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Beckmann. DVBI. 1987.611 (616). 193 OVG Lüneburg. DVBI. 1985. 1322. 194 OVG Lüneburg. DVBI. 1985, 1322 (1323); sämtliche nachfolgend zitiert~:n Passagen sind auf dieser Seite zu finden . 195 Vgl. dazu oben S. 148.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

!53

"Die Beachtlichkeil der Bestimmungen der TA Luft auch für die Gerichte folgt demnach nicht nur aus ihrem naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehalt196 , sondern auch aus dem Verfahren ihres Zustandekommens 191 , d.h. der Tatsache, daß sie aufgrunddes in § 48 BlmSchG vorgeschriebenen zentralen Ermittlungsverfahren unter Mitwirkung der beteiligten Kreise oder der hierzu legitimierten obersten Stelle der Exekutive erlassen worden sind."

Weiterhin führt das Oberverwaltungsgericht zur Begründung der Bindungswirkung aus, daß die besondere Qualität der TA Luft sich aus der ihr zugrundeliegenden Ermächtigung des § 48 BlmSchG ergebe, der es mit Blick auf Art. 84 Abs. 2 GG nicht bedurft hätte, ginge es um "gewöhnliche" Verwaltungsvorschriften. Diese Erm3.chtigung weise dem Vorschriftengeber dem Gegenstand nach die Befugnis und die Pflicht zu, im Rahmen der normativen Vorgaben aufgrund willkürfreier Ermittlungen Bewertungen und Feststellungen auch zur Erforderlichkeil von Maßnahmen zum Schutz(§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG) und zur Vorsorge (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BlmSchG) gegen schädliche Umwelteinwirkungen zu treffen. Gleichzeitig zeigt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg aber auch die Grenzen der Bindung der Verwaltungsgerichte an die TA Luft auf: "Sie können zum einen nicht mehr zur Beurteilung herangezogen werden, wenn und soweit neueregesicherte Erkenntnisse 198 ausweisen, daß die ihnen zugrunde liegenden naturwissen-

schaftlichen Annahmen überholt sind; zum anderen müssen sie im zu entscheidenden Fall auf die Grenzen ihres Aussagegehalts hin untersucht werden, so daß namentlich bei atypischen Fallgestaltungen 199 , m.a.W. bei Sachverhalten, die der Vorschriftengeber bei der von ihm notwendigerweise anzustellenden generellen Betrachtung nicht regeln konnte oder wollte, Abweichungen geboten sind."

Ersichtlich wird in Anbetracht des Umfangs der zugrundegelegten Bindungswirkung, daß die Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg meist in der Rechtsfolge die gleichen Ergebnisse erzielen wird wie ein Vorgehen nach dem Voerde-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes200 . Unterschiedlich ist jedoch die dogmatische Grundlage der Annahme einer nicht mehr nur faktischen, sondern rechtlichen Bindungswirkung der TA Luft.

196 Hervorhebung durch den Verfasser. 197 Hervorhebung durch den Verfasser. 198 Hervorhebung durch den Verfasser. 199 Hervorhebung durch den Verfasser. 200 Vgl. dazu oben den Text zu Fn. 45.

154

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

h) Das Wyhl-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes

vom 19.12.1985

Das Wyhl-Urteil des Siebten Senates des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.1985201 kann als Durchbruch hinsichtlich der Anerkennung einer in gewissem Umfang letztverbindlichen Regelungsbefugnis der Exekutive im Bereich der Festsetzung von Umwelt- und Technikstandards durch Verwaltungsvorschriften bezeichnet werden. Inhaltlich vorbereitet worden war es letztlich bereits durch Äußerungen des Bundesverfassungsgerichtes in der Kalkar-Entscheidung. Dort hatte der Zweite Senat mit Beschluß vom 8.8.1978202 ja festgestellt, daß in bestimmten Fällen bei der Konkretisierung von gesetzlich in unbestimmten Rechtsbegriffen niedergelegten Technikniveaus der Exekutive die besseren Handlungsformen als der Legislative zuständen203 . Im Wyhl-Urteil des Siebten Senats des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.1985 ist dann auf der Grundlage dieser Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes - ergänzt freilich um die ausdrückliche Feststellung, die Exekutive verfüge nicht nur gegenüber der Legislative, sondern auch im Verhältnis zu den Verwaltungsgerichten über bessere rechtliche Handlungsformen im Hinblick auf Gefahrenabwehr und Risikovorsorge204 - und des Urteils des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 17.3.1980205 der Typus der nonnkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift kreiert worden. Das Bundesverwaltunsgericht hat festgestellt, daß bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, die auf bestimmte Technikniveaus verweisen, die Verantwortung für die Risikoermittlung und-bewertungnach der Normstruktur von der Exekutive getragen werde. "Daraus folgt, daß es nicht Sache der nachträglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein kann, die der Exekutive zugewiesene Wertung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewertung zu ersetzen206 ." Deshalb hat das Gericht allgemein betont, daß dort, wo daher ein der Exekutive zugewiesener Vorbehalt vor der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung Bestand habe, dieser nicht durch eine mit ihm unvereinbare Ausweitung der gerichtlichen Kontrollbefugnisse wieder in Frage gestellt werden könne207 . Im Anschluß an diese allgemeinen Ausführungen hat das Bundesverwaltungsgericht dann zu der im Ausgangsfall relevanten Verwaltungsvorschrift Stellung bezogen, der

201 202

BVerwGE 72, 300. BVerfGE 49, 89.

203 Vgl. dazu bereits oben S. 148 f. 204 BVerwGE 72, 300 (317). 205 VG Schleswig, NJW 1980, 1296; vgl. dazu oben S. 150 f. 206 BVerwGE 72, 300 (316).

207

BVerwGE 72, 300 (317).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

!55

"Allgemeinen Berechnungsgrundlage für Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit der Abluft oder in Oberflächengewässer" 208 . Das Bundesverwaltungsgericht hat es ausdrücklich abgelehnt, die Allgemeine Berechnungsgrundlage als antizipiertes Sachverständigengutachten einzustufen und hat sie vielmehr als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift bezeichnet. Damit steht fest, daß nach dieser vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Terminologie normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften im Verhältnis zu als antizipiertem Sachverständigengutachten einzustufenden Verwaltungsvorschriften rechtlich ein aliud darstellen. Im einzelnen hat das Gericht ausgeführt209 :

"Die Allgemeine Berechnungsgrundlage ist nach abschließender Beratung im Länderausschuß für Atomkernenergie vom Bundesinnenminister als eine künftig bei Genehmigungsverfahren anzuwendende Richtlinie erlassen worden. Sie soll - solange eine nach § 45 S. 2 StriSchV noch zu erlassende Rechtsverordnung nicht ergangen ist - sicherstellen, daß die Einhaltung der Dosisgrenzwerte nach Maßgabe des § 45 S. I StrlSchV auf der Basis hinreichend konservative~ 10 Rechenmodelle und Datenansätze geprüft wird, damit es beim späteren Betrieb der Anlage zu keiner - ... - Überschreitung dieser Grenzwerte gegenüber dem einzelnen kommt. Damit hat die Richtlinie eine normkonkretisierende Funktion und ist im

Gegensatz zu lediglich norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich211 . .. Für den vorliegenden Fall genügt die Bemerkung, daß die Allgemeine Berechnungsgrundlage der Genehmigungsbehörde von den Verwaltungsgerichten nur darauf hin zu überprüfen ist, ob sie auf willkürfreien Ermittlungen beruht und die Genehmigungsbehörden in Anwendung dieser Berechnungsgrundlage davon ausgehen dürfen, daß die auf eine solche Weise berechnete Strahlenexposition unbeschadet bestehender Unsicherheiten bei einzelnen Parametern zu hinreichend konservativen Abschätzungen führt."

208 Richtlinie zu§ 45 StriSchV vom 15.8.1979, GMBI. S. 371.

209 BVerwGE 72, 300 (320 f.). 210 "Konservativ" bedeutet in diesem Zusammenhang pessimistische, ungünstige Bedingun-

gen überbetonende Annahmen; zum Postulat der "Konservativität" vgl. Winter, Gesetzliche Anforderungen an Grenzwerte, S. 135. 211 Hervorhebung durch den Verfasser.

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

i) Die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.2.1988 und vom 24.5.1991 sowie die zugrundeliegenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Münster

Nunmehr zweimal hat das Bundesverwaltungsgericht in Beschlüssen212 , die jeweils die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster213 zurückgewiesen haben, Gelegenheit gehabt, zur Charakterisierung der TA Luft als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift Stellung zu beziehen. Dies hätte insofern nahegelegen, als das Oberverwaltungsgericht in beiden Fällen eine entsprechende Einstufung vorgenommen hat. Im Urteil vom 9. 7.1987 führt das Oberverwaltungsgericht dazu aus 21 4: " ... hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Wyhl-Entscheidung215 ( ... ) zutreffend die Ansicht vertreten, es könne nicht Sache der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sein, die der Exekutive zugewiesene Wenung wissenschaftlicher Streitfragen einschließlich der daraus folgenden Risikoabschätzung durch eine eigene Bewenung zu ersetzen. Hinsichtlich des hier vorrangig in Streit stehenden Risikopotentials der Luftschadstoffe S02 und N02 hat die Exekutive in Nr. 2.5.1 TA Luft 1986 durch die Festsetzung von Immissionswerten eine derartige Risikoabschätzung vorgenommen. Diese Regelung ist als "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrij?16" für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen verbindlich. Legitimiert wird diese von dem Bundesverwaltungsgericht in der Wyhl-Entscheidung entwickelte Rechtsfigur durch die in § 48 BlmSchG i. V. mit § 51 BlmSchG enthaltene Standardisierungsermächtigung, die den hierauf gestützten Verwaltungsvorschriften

eine eingeschränkte Außenwirkung verleihr2 11 ... "

Das Bundesverwaltungsgericht hat es jedoch im Beschluß vom 15.2.1988 offengelassen, den im Wyhl-Urteil218 entwickelten Typus der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift nunmehr ausdrücklich - und insofern von seinem Voerde-Urteil abweichend- auf die Einstufung der TA Luft zu übertragen, da es in beiden Fällen keine Veranlassung zu einer Zulassung der Revision sah. So hat es ausgeführt219 :

212 BVerwG, NVwZ 1988, 824 = RdE 1988, 172; BVerwG, NVwZ 1991, 1187. 213 OVG NW, DVBI. 1988, 152 = UPR 1988, 75; OVG NW, NVwZ 1991, 1200. 214 OVG NW, DVBI. 1988, 152 (153). 215 BVerwGE 72, 300 (316). 216 Hervorhebung durch den Verfasser. 217 Hervorhebung durch den Verfasser. 218 BVerwGE 72, 300. 219 BVerwG, DVBI. 1988, 824 (825) = RdE 1988, 172 f.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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"Die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) in der Fassung von 1983 und der von 1986 ist eine auf gesetzlicher Grundlage, nämlich § 48 BlmSchG, erlassene Verwaltungsvorschrift zur Konkretisierung220 der Anforderungen der §§ I, 3 und 5 BlmSchG. Damit ist über den Umfang der gerichtlichen Kontrolle im einzelnen noch nichts gesagt... Das bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren ... denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, die die im Fall der Kl. angewandten Werte und Meßverfahren als den Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes genügend in Frage stellen könnten .. Es (das Berufungsgericht221 ) hat auch - entgegen der Annahme in der Beschwerdeschrift - nicht angenommen, die TA Luft sei vom Gericht ohne Rücksicht auf Erkenntnisfortschritte "originär" wie ein Gesetz anzuwenden - was übrigens auch mit der Bezeichnung der TA Luft als "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift" nicht gesagt wäre -. Es hat vielmehr festgestellt. die Kl. hätten nicht schlüssig dargelegt, daß die von ihnen zitierten VDI-Richtlinien und Forschungsberichte neue Erkenntnisse enthalten, die geeignet sind, die der Immissionswert-Festsetzung zugrundeliegende Risikobetrachtung zu widerlegen."

Mißverständlich ist jedoch der dann folgende Satz, in dem aus dem zuvor Gesagten gefolgert wird, der vorliegende Fall böte auch keinen Anlaß zur Klärung von Fragen dahin, ob und inwieweit mit der Bezeichnung der TA Luft als einem "antizipierten Sachverständigengutachten" oder als "normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift" unterschiedliche rechtliche Bewertungen verbunden seien und welche Folgerungen dies gegebenenfalls für den Umfang und die Maßstäbe der gerichtlichen Überprüfung hätte222 • Im WyhlUrteil hat das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich die Einstufung einer Verwaltungsvorschrift als antizipiertem Sachverständigengutachten abgelehnt und dieser vielmehr normkonkretisierende Funktion zugesprochen223 . Daß die damit verbundene Einschränkung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Nachprüfbarkeil derartiger Verwaltungsvorschriften und die diesen damit zukommende rechtliche Bindungswirkung sich von den einem antizipierten Sachverständigengutachten lediglich zukommenden faktischen Bindungswirkungen unterscheidet, liegt auf der Hand224 .

220 Hervorhebung durch den Verfasser; das Bundesverwaltungsgericht vermeidet hier den Begriff "normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift", müßte sich aber bewußt sein, daß die sprachliche Nähe eine entsprechende Einstufung nahelegt. 221 Verdeutlichung durch den Verfasser. 222 BVerwG, NVwZ 1988, 824 (825) = RdE 1988. 172 (173). 223 BVerwGE 72, 300 (320 f.) . 224 Vgl. insoweit die Formulierungen in BVerwGE 72, 300 (320 f.) auf der einen und BVerwGE 55, 250 (255 f.) auf der anderen Seite.

158

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Zum "Umfang der gerichtlichen Kontrolle" der TA Luft macht das Bundesverwaltungsgericht folgende Aussagen225 : "Eindeutig ist, daß die TA Luft die im Gesetz getroffenen Wertungen beachten muß und daß dies der gerichtlichen Kontrolle unterliegt, ebenso daß es zu den von den Gerichten zu prüfenden Rechtmäßigkeilsvoraussetzungen der in der TA Luft festgelegten Immissions- und Emissionswerte und der Verfahren zu ihrer Ermittlung gehört, daß diese nicht durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und sie damit den gesetzlichen Anforderungen jedenfalls jetzt nicht mehr gerecht werden."

Daß das Bundesverwaltungsgericht derartige Aussagen über den "Umfang der gerichtlichen Kontrolle" trifft, läßt für sich alleine gesehen noch nicht den Schluß zu, daß es im Unterschied zum Voerde-Urteil nunmehr der TA Luft nicht mehr nur faktische, sondern auch rechtliche Bindungswirkung zukommen läßt. Dennoch lassen die Restriktionen der gerichtlichen Kontrolle auf eine Prüfung lediglich in zweierlei Hinsicht ein Näherrücken der Rechtsprechung zur TA Luft an das Wyhl-Urteil erkennen, wo die verwaltungsgerichtliche Kontrolle auf die beiden Gesichtspunkte der willkürfreien Ermittlungen und der hinreichend konservativen Abschätzungen bei einzelnen Parametern beschränkt wurde226 . Die Aussage der Verbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften für die Verwaltungsgerichte innerhalb der von der Norm gesetzten Grenzen im Wyhl-Urtei1 227 könnte ihre Entsprechung durchaus in dem Beschluß vom 15.2.1988 finden, wenn es dort heißt, daß die TA Luft die im Gesetz getroffenen Wertungen beachten müsse und daß dies der gerichtlichen Kontrolle unterliege228. Im Urteil vom 7.6 .1990 hat das Oberverwaltungsgericht Münster erneut die Einstufung der TA Luft als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift bestätigt und ausgeführt229 , der Prüfung, ob schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BlmSchG als Voraussetzung der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung nach den §§ 6 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BlmSchG nicht hervorgerufen werden könnten, sei grundsätzlich die TA Luft zugrunde zu legen, die als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift gemäß § 48 BimSchG Erkenntnisse enthalte, die insbesondere durch die Art und Weise der Festlegung eine wissenschaftliche Untermauerung erfahren hätten, die nur bei konkret feststellbaren Weiterentwicklungen übergangen werden könnte. Im Ausgangsfall liegen nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichtes 225 226 227 228 229

BVerwG, NVwZ 1988, 824 (825) = RdE 1988, 172. BVerwGE 72, 300 (321). BVerwGE 72, 300 (320). BVerwG, NVwZ 1988, 824 (825) = RdE 1988, 172. OVG NW, NVwZ 1991, 1200.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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Münster keine Anhaltspunkte vor, die für ein generelles Überholtsein der TA Luft sprechen und daher einem Vorgehen nach dieser Verwaltungsvorschrift schon im Ansatz entgegenständen230_ Folglich wird im Urteil des Oberverwaltungsgerichtes der Lebenssachverhalt ausführlich unter die für den Ausgangsfall einschlägigen Bestimmungen der TA Luft subsumiert231 . Die TA Luft wird also wie ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung angewandt. Deutlieher kann ein Gericht kaum noch machen, daß es eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift auch für sich -unter dem Vorbehalt des nicht generellen Überholtseins durch technische und wissenschaftliche Weiterenwicklungen - als verbindlich ansieht. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch hier in seinem die Zulassung der Revision verneinenden Beschluß vom 24.5.1991 232 eine direkte Aussage zur Einstufung der TA Luft als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift vermieden. Hinsichtlich des Vorbringens in der Beschwerde, mit der die Kläger die Zulassung der Revision erreichen wollten, daß die Frage, ob die Auslegung einzelner Bestimmungen der TA Luft 1986 durch das Oberverwaltungsgericht Münster unzutreffend sei und die Klärung der damit zusammenhängenden Fragen die Revisionsvoraussetzung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ausmache, hat das Bundesverwaltungsgericht offengelassen, "ob Vorschriften der TA Luft überhaupt als revisibles Recht233 behandelt werden könnten "234 . Dennoch hat das Bundesverwaltungsgericht die Auslegung einzelner Bestimmungen der TA Luft durch das Oberverwaltungsgericht Münster untersucht und bestätigt235 . Damit hat das Bundesverwaltungsgericht letztlich doch die TA Luft wie ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung und damit "Recht" angewandt236 , was nur bei einer für die Gerichte als verbindlich angesehenen normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift Sinn machen kann. Bezüglich des Überholtseins einzelner Bestimmungen der TA Luft durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik und eine deshalb bedingte mögliche Nichtanwendbarkeit derselben, wie dies ja auch bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften angenommen wird237 , hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß es sich dabei um eine naturwissenschaftliche Frage, die dem Bereich der Tatsachen230 OVG NW, NVwZ 1991 , 1200. 231 OVG NW, NVwZ 1991 , 1200 ff. 232 BVerwG, NVwZ 1991, 1187. 233 Im Unterschied zum Nichtrecht; Hervorhebung durch den Verfasser. 234 BVerwG, NVwZ 1991, 1187. 235 BVerwG, NVwZ 1991, 1187 f. 236 Gegen eine Anwendbarkeit der TA Luft überhaupt spricht sich offensichtlich Hofmann-

Hoeppel, NVwZ 1991, 1144(1147) aus. 237 Vgl. dazu nur OVG NW, DVBI. 1988, 152 (153 f.) ; OVG NW, NVwZ 1991, 1200.

160

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

würdigung zuzurechnen sei, nicht aber um eine Rechtsfrage handele, so daß sich mit dieser Einordnung als tatsächlicher Feststellung und nicht als Rechtsanwendung ebenfalls die Zulassung der Revision verschließe238 . Neben der Art und Weise der Handhabung der TA Luft durch das Bundesverwaltungsgericht, die auf eine normkonkretisierende rechtsverbindliche - und nicht nur faktisch als vorweggenommenes Sachverständigengutachten zu beachtende- Verwaltungsvorschrift schließen läßt, ist eine weitere Erwägung im Hinblick auf dieses Ergebnis anzuführen: Es ist sicher kein "sauberes" juristisches Argumentieren, dem Bundesverwaltungsgericht zu unterstellen, daß es ihm ein Leichtes gewesen wäre, die Einstufung der TA Luft als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift durch das Münsteraner Oberverwaltungsgericht - in einem obiter dieturn - zu verwerfen, wenn ihm diese Charakterisierung ein Dorn im Auge gewesen wäre. Daß das Bundesverwaltungsgericht der sich insofern abzeichnenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte zuneigt, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen, auch wenn eine ausdrückliche Bestätigung aus Berlin noch aussteht.

k) Rechtsprechung zur Einordnung der Abwasserverwaltungsvorschriften

Zur Einstufung der Abwasserverwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 WHG liegen bisher239 noch keine gerichtlichen Aussagen vor. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat im Urteil vom 13.11.1990 von § 7 a WHG und dessen weiterer normativer oder verwaltungsinterner Konkretisierung durch die in dieser Bestimmung vorgesehenen zusätzlichen Regelungen gesprochen240. Aus den Worten "normative Konkretisierung" die Einstufung der Abwasserverwaltungsvorschriften durch den Verwaltungsgerichtshof als normkonkretisierend ableiten zu wollen, wäre sicherlich überzogen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluß vom 25.2.1991 , der die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich dieses Urteils zurückwies, ebenfalls auf eine genauere Charakterisierung der Abwasserverwaltungsvorschriften verzichtet241 :

238 BVerwG, NVwZ 1991, 1187 (1188). 239 Soweit ersichtlich .

240 VGH Bad.-Württ., NVwZ 1991, 1009 (1010). 241 BVerwG, NVwZ 1991 , 996 (997).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

161

"Schließlich stellen sich auch im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 7 a WHG keine grundsätzlich bedeutsamen, zu einer Zulassung der Revision führenden Rechtsfragen. Welche Tragweite § 7 a WHG im einzelnen hat, kann offenbleiben. Im vorliegenden Fall geht es jedenfalls nicht um die Einhaltung der- nach§ 7 a III i.V. mit Abs. I S. 3 WHG grundsätzlich auch für Indirekteinleiter gefährlicher Stoffe geltenden - emissionsbezogenen Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser."

I) Die vergleichbare Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes

Eine Parallele zur Figur der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften in dem Bereich des Umwelt- und Technikrechts zeigt sich in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Das Bundessozialgericht geht grundsätzlich davon aus, daß Verwaltungsvorschriften nur verwaltungsinterne Anweisungen darstellen, keinen Rechtsnormcharakter haben und die Gerichte nicht in rechtlicher Weise binden242 . Von dieser Rechtsprechung macht das Bundessozialgericht jedoch dann eine Ausnahme, soweit die Verwaltungsvorschriften "Ausfluß einer gesetzlichen Ermächtigung" 243 sind oder wenn sich zumindest eine Bezugnahme auf das Gesetz feststellen lasse, was zur Folge hätte, daß sie dann "kraft Verweisung an der Normqualität" teilnähmen244 .

6. Diskussion eines normkonkretisierenden Charakters von Umwelt- und Technikstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften Eine detaillierte Diskussion der umfangreichen Literatur zu Verwaltungsvorschriften und Standardisierung im Bereich des Umwelt- und Technikrechtes müßte den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb soll nachfolgend - unter Berücksichtigung vor allen Dingen der im Anschluß an das insoweit wegweisende Wyhl-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ergangenen Literatur - untersucht werden, ob, und wenn ja, aufgrund welcher Gesichtspunkte und inwieweit die Anerkennung einer gewissen Außenrechtsverbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften zur Festlegung von Umweltstandards angenommen werden kann. Dabei ist eine Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Anforderungen erforderlich. Einzelheiten der Rechtsquellenlehre können als Randthematik des Untersuchungsgegenstandes und in 242 BSGE 29. 41 (42): BSGE 41!. 120 (121!): BSGE 50. 33 (37 f.). 243 BSGE 29. 41 (42) . 244 BSGE 34. 115 (117). II Kaster

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

162

Anbetracht der durch eine solche Einordnung in ein System abstrakter Begrifflichkeiten auch nicht gegebenen Möglichkeit der Gewinnung von Ergebnissen im Hinblick auf die Struktur normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften nicht weiter verfolgt werden245.

a) Funktion, Struktur, Begriff, Typologie und Inhalt von Umweltund Technikstandards

Betrachtungen zu einem möglichen normkonkretisierenden und damit nicht rechtsunverbindlichen Charakter von Umwelt- und Technikstandards beinhaltenden Verwaltungsvorschriften machen eine Beschäftigung mit Funktion und Wesen solcher Standards als begrifflichem Ausgangspunkt einer möglichen Bejahung entsprechender Charakteristika erforderlich.

aa) Funktion Umweltbezogene und technische Standards sollen im Umwelt- und Technikrecht die Lösungen und Methoden umschreiben, deren Anwendung den notwendigen Rechtsgüterschutz und damit auch das Maß der rechtlich erforderlichen Sicherheit gewährleisten kann246 . Zudem gibt der jeweilige Vorschriftengeber mit solchen Standards an, welcher Maßstab für die Abgrenzung des rechtlich erlaubten Risikos von der rechtswidrigen Gefahr gelten soll. Die Notwendigkeit einer solchen Grenzziehung ergibt sich daraus, daß eine moderne Industriegesellschaft, um ihre Lebensgrundlagen zu erhalten, mit den Risiken der Technik leben muß. Ein Recht auf völlige Risikofreiheit gibt es nicht, absolute Sicherheit ist ein Schutzziel, das jenseits der Grenzen liegt, die der menschlichen Erkenntnis gesetzt sind247 . Auf der anderen Seite können sich aus den Grundrechten verfassungrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß die Gefahr von

245 Rengeling, DVBI. 1986, 265 (268), hat zu Recht festgestellt, daß normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften eine neue Rechtsquelle, "in der Norrnhierachie wohl ' zwischen' Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften", darstellen; daß eine entsprechende Erörterung aber keinen Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Erfassung differenzierter Strukturen in sich birgt, betont Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2234). 246 Mü//er-Foe/1, S. 22; Veit, S. 10. 247 Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwGE 72, 300 (321); Marburger, WiVerw . 1981, 241 (246); Veit, S. 8.

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

163

Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt248 . Darüber hinaus ist zu bedenken, daß der Schutz solcher Grundrechte wiederum bei der Bestimmung zulässiger Risiken zu Kollisionen mit anderen Grundrechten führen kann. Der Vorschriftengeber hat also bei der Festlegung von Umwelt- und Technikanforderungen Interessen- und Grundrechtsahwägungen anzustellen, beispielsweise der Grundrechte auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheil und Eigentum (Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 14 GG) der durch technische Gefahren Betroffenen mit der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1, 12 und 14 GG) der Hersteller oder Verwender potentiell gefahrlieber technischer Systeme249 . Darüber hinaus muß der Vorschriftengeber am Maßstab genereller Umweltvorsorge und der Erhaltung der natürlichen Ressourcen ausgerichtete Schutzziele für die jeweiligen Umweltmedien unabhängig von konkret betroffenen Rechten einzelner berücksichtigen. Gesetze und Rechtsverordnungen können das Maß des gebotenen Gesundheits- und Umweltschutzes nur begrifflich umschreiben oder in konkretisierungsbedürftigen unbestimmten Rechtsbegriffen festlegen250 . Konkrete Formulierungen in Gesetzen oder Rechtsverordnungen sind aufgrund der Unbestimmtheit der Regelungsmaterie nicht möglich. Umweltstandards verweisen auf komplexe, sich oft rasch ändernde naturwissenschaftliche oder technische Sachverhalte, die nicht abschließend mit der allgemeinen Lebenserfahrung festgestellt und bewertet werden und ohne Verlust ihrer Vielschichtigkeit und Vielfalt nur unbestimmt in Gesetzen und Rechtsverordnungen niedergelegt werden können251 . Deshalb erfüllen Umweltstandards enthaltende untergesetzliche Vorschriften vor allen Dingen zwei Funktionen: Eine Entlastungsfunktion und eine Anpassungs- oder Dynamisierungsfunktion252 . Entlastet werden vor allen Dingen das Gesetz und der Gesetzgeber, die ansonsten durch eine Überfrachtung mit technischen Detailregeln überfordert würden. Insoweit wird die Standardisierung von der Ebene der Gesetzgebung gelöst. Unter der Anpassungs- oder Dynamisierungsfunktion ist zu verstehen, daß die gesetzliche Regelung durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bewußt offengehalten werden kann, um Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse ohne Modifizierungen des Gesetzeswortlautes gerecht werden zu können, wofür gerade im Umwelt- und Technikrecht aufgrund fortschreitender wissenschaftli248 BVerfGE 49, 89 (142). 249 Veit, S. 9. 250 Zur Tauglichkeit von GeseiZ und Rechtsverordnung als Rechtsform zur Festlegung von

Umweltstandards vgl. unten S. 268 ff. 251 Feldhaus, Zustandekommen von E- und 1-Grenzwenen, S. 136. 252 Marburger, Die Regeln der Technik, S. 147. 11"

164

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

eher und technischer Erkenntnisse ein immenser Bedarf besteht253 . Folglich setzt der Vollzug des Umweltrechts technisch-wissenschaftliche Umweltstandards voraus, die in entsprechenden eigenen Regelwerken niedergelegt sind und hier betrachtet werden sollen, soweit sie sich in Verwaltungsvorschriften finden254 . Erst aus diesen ergibt sich, wieweit auf der einen Seite die menschliche Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen wirklich geschützt werden sollen und welche Beschränkungen auf der anderen Seite den Verursachern daraufhin konkret auferlegt werden können255.

bb) Begriff Die Bezeichnung "Standards" im Zusammenhang mit den den erforderlichen Sicherheitsstandard umschreibenden Klauseln "allgemein anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" erfolgt in Anlehnung an die entsprechende anglo-amerikanische Doktrin256 . Man versteht unter Standards Verweisungen auf Sorgfaltsanschauungen, Verhaltensweisen und Wertanschauungen des "Normaltypus" auf dem jeweiligen Gebiet. Die Standards knüpfen dabei an wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Lösungen an, die in der Realität vorgesehen sind, so daß sie ein Durchschnitts- und Häufigkeitstypus sind257. Bisher ist noch keine einheitliche Terminologiebildung in der deutschen Rechtsdiskussion dahingehend erfolgt, ob die unbestimmten Rechtsbegriffe in den Gesetzen selbst258 oder die zur Ausfüllung dieser Gesetze erlassenen Vorschriften259 als Standards bezeichnet werden sollen. In beiden Fällen erscheint die Verwendung des Begriffes "Standard" angebracht. Im ersten Fall wird ein 253 Marburger. Die Regeln der Technik, S. 147. 254 Zu davon zu unterscheidenden, von privaten Vereinigungen erarbeiteten außerstaatlichen Regelwerken vgl. beispielsweise Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Nonnsetzung; Marburger, Die Regeln der Technik, S. 177 ff.; Uppenbrink, Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 94.

255 Salzwedel, NVwZ 1987, 276; ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 186; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 15 .

256 Rittstieg, S. 13; Veit, S. 9. 257 Veit, S. 9 f. 258 So Marburger. Die Regeln der Technik im Recht, S. 168

ff.; Nicklisch, NJW 1983,

841 (842 ff.); Rittstieg. S. 13. 259 Bönker, Umweltstandards, S . 13 ff.; ders. , DVBI. 1992, 804 (805); Giebeler, S. 117;

Hoppe!Appold, DVBI. 1991, 1221 (1223 f.); Salzwedel, NVwZ 1987, 276; ders., Umweltrechtsnormen, S. 221; ders., Umweltstandards, S. 40.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

165

gewisser Standard, ein Anforderungsniveau, gesetzlich vorgegeben, im zweiten werden die einzelnen Standards, bestimmte Werte und Größen, zur näheren Bestimmung dieser Anforderungen erlassen. Gesetze geben demnach den "Standard", ein bestimmtes Niveau von Anforderungen an Umweltschutz und technische Möglichkeiten260 , vor, während Vorschriften aufgrund dieser Gesetze einzelne "Standards" enthalten. Im vorliegenden Untersuchungszusammenhang geht es um die in Verwaltungsvorschriften niedergelegten Umweltstandards. Wenn nachfolgend demnach von Umweltstandards die Rede ist, sind damit generelle, sachliche Anforderungen an die Qualität oder Menge von Umweltgütern gemeint, die unbestimmte Gesetzesbegriffe möglichst in meßbare Größen umsetzen und die Bewertung von Umweltauswirkungen im Einzelfall lenken sollen261 . Man kann dabei von Technik- oder von Umweltstandards sprechen, je nachdem, von welcher Warte man den Inhalt der entsprechenden Regelungen betrachtet.

cc) Typologie

Das Verständnis von Umweltstandards wird zugänglicher, wenn man das Verfahren des entsprechenden Findungs- und Entscheidungsprozesses betrachtet. Dabei kann ein grundsätzlich zweistufiges Vorgehen konstatiert werden, das nachfolgend in einem Übersichtsschema262 vorgestellt und im Anschluß daran erläutert werden soll263:

260

Der von Bönker, Umweltstandards, S. 14, vorgeschlagene Terminus "Umweltqualitäts-

ziel" statt "Standard" für die jeweiligen unbestimmten Rechtsbegriffe scheint aus sprachlichen Gründen für die Festlegung bestimmter Technikniveaus in Gesetzen, wie zum Beispiel das der "allgemein anerkannten Regeln der Technik", nicht geglückt, auch wenn Umweltschutzaspekte dabei die entscheidende Rolle spielen.

261 262 263

Vgl. soeben Fn. 259 Autbauend auf Johann . S. 122 f. ; vgl. auch Schmiilling, S. 85. Die Gliederungspunkte beziehen sich auf das Schema und nicht auf die Arbeit selbst.

166

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

( 1)

Die Ermittlung und naturwissenschaftlich-technische Aufbereitung der Umwelttatsachen (Stufe 1)

(a)

Ermittlung der Umwelttatsachen

(b)

Naturwissenschaftlich-technische Aufbereitung dieser Umwelttatsachen

(aa)

Entwicklung von Schutzwürdigkeitsprofilen

(bb)

Ermittlung von Schädlichkeitsschwellen oder Risikoabschätzungen und daraufhin Entwicklung von Gefährdungsprofilen

(cc) . Ermittlung der technischen Möglichkeiten (2)

Die politische Bewertung und Entscheidung auf der Grundlage der ersten Stufe (Stufe 2)

(a)

Festlegung von (Vorsorge-)Zielen und Konzepten

(b)

Abwägung mit anderen öffentlichen Belangen

(c)

Erstellung rechtsverbindlicher Standards

( 1) Verfahren des Findungs- und Entscheidungsprozesses Auf einer ersten Stufe dieses Prozesses sind zunächst einmal die Umwelttatsachen zu ermitteln, es geht dabei um die Feststellung oder Einschätzung

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

167

der verschiedenen Beeinträchtigungen der Umwelt, die grundsätzlich auf der Basis naturwissenschaftlicher Ermittlungen erfolgt264 . Neben der Ermittlung der technischen Möglichkeiten beruhen Umweltstandards vor allen Dingen auf zwei wissenschaftlichen Bewertungsverfahren265 , die ebenfalls von wissenschaftlich-technischen Gesichtspunkten abhängig sind266 : In einer ersten Bewertungsphase sind Schutzwürdigkeitsprofile zu entwickeln, die konkrete Schutzziele vorgeben, beispielsweise für die Gesundheit des Menschen, Tiere und Pflanzen, den Zustand von Gewässern, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und die Regelungsfunktionen des Bodens267. Eine zweite Bewertungsphase ist dann durch die Entwicklung von Gefährdungsprofilen vor dem Hintergrund solcher Schutzwürdigkeitsprofile gekennzeichnet. Gefährdungsprofile beruhen auf der Ermittlung von Schädlichkeitsbzw. Unbedenklichkeitsschwellen oder auf Risikoabschätzungen, die bei-

spielsweise wiedergeben, von welchen Eingriffen, Nutzungsweisen oder Schadstoffemissionen Störungen, Gefahren oder Risiken ausgehen und wie hoch sie zu veranschlagen sind. Dies setzt ein naturwissenschaftlich begründetes Bewertungssystem voraus, das den Kreis der möglichen Wirkungen begrenzt und eine Gewichtung nach bestimmten Gefährdungskriterien ermöglicht. Auch ist zu bestimmen, welche Ursache-Wirkungs-Beziehungen unter den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen relevant werden268 . Auf der Grundlage und im Hinblick auf diese beiden Evaluationen sind dann die jeweiligen technischen Möglichkeiten zu ermitteln. Schutzwürdigkeits- und Gefährdungsprofil sind im Hinblick auf technische Realisierbarkeit zu betrachten269 . Je besser sie aufeinander abgestimmt sind, desto größer ist die Chance, daß Umweltschutztechnologien zur Erhaltung oder Verbesserung 264 Johann , S. 120. 265 Solche eigenständigen wissenschaftlichen Bewertungsverfahren werden auch Evaluatio-

nen genannt, vgl. dazu näher Johann, S. 121 f. 266 Salzwedel, NVwZ 1987, 276; ders. , in: Isensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 16; ders. , Ziele des Gewässerschutzes, S. 186; ders., Umweltstandards, S. 40. 267 Johann , S. 120; Salzwedel, NVwZ 1987, 276; ders., in: Isensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 16; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 15; ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 186. 268 Vgl. zum Ganzen Johann, 120 f.; Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (277); ders. , in: lsensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 20; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 16 f.; ders. , Ziele des Gewässerschutzes, S . 187. 269 Johann , S. 121.

168

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

der jeweiligen Umweltsituation und nicht ergebnislos - quasi um ihrer selbst willen - eingesetzt werden270. Die auf der Grundlage der konkreten naturwissenschaftlichen, medizinischen und technischen Vorstellungen gewonnenen Schutzwürdigkeits- und Gefährdungsprofile sowie die jeweiligen technischen Möglichkeiten stehen dann auf einer zweiten Stufe, der der politischen Bewertung und Entscheidung hinsichtlich der Erstellung rechtsverbindlicher Standards, in dem Sinne zur Disposition, daß sie nunmehr im Hinblick auf (Vorsorge-)Ziele, Konzepte und andere öffentliche Belange einer sowohl politischen als auch rechtlichen Abwägung unterliegen. Nach der Eigenart der jeweiligen Schädlichkeitsschwellenermittlung oder Risikoabschätzung bei der Erstellung des Gefährdungsprofils171 läßt sich eine Typologie der Umweltstandards entwickeln, die Bedeutung für die jeweiligen inhaltlichen Bewertungsmaßstäbe bei den auf dieser Stufe erfolgenden Abwägungen und auch für die jeweils an das Verfahren der Standardsetzung zu stellenden Maßstäbe hat272 . Vier Typen von Umweltstandards273 lassen sich danach unterscheiden274 : Schutzstandards, Vorsorgestandards, individualschützende Vorsorgestandards und Reinhaltegebotsstandards 275 . 270 Sa/zwedel. Umweltstandards. S. 41 . 271

Einen anderen Ausgangspunkt wählen Hoppe/Appold, DVBI. 1991. 1221 (1224), die

anhand der Nebenwirkungen der Techniknutzung differenzieren und danach Verhaltens- und Qualitätsstandards unterscheiden; diese Unterscheidung geht auf den Inhalt von Standards ein. ohne aber eine Difft:renzierung im Hinblick auf das Verfahren der Standardsetzung zu ermöglichen; eine reine Phänomenologie hilft im vorstehenden Untersuchungszusammenhang jedoch bei der Suche nach verallgemeinerungsfähigen Eigenheiten von Umweltstandards im Hinblick gerade auch auf die dabei zu beriicksichtigenden Notwendigkeiten bei der Festsetzung von Standards nicht weitt:r. 272 Sa/zwedel. NVWZ 1987. 276 (277); ders .. in: Jsensee!Kirchhof. § 85 Rdn. 20; ders . . Technische Regdn als Instrument. S. 17; ders .. Ziele des Gewässerschutzes. S. 187.

273

Ohnt: dal\ hi.:r weiter differenzien werden soll. bdspielsweise zwischen Immissions-

und Emissionsw.:nt:ll. 274

Eint: andt:re Untt:rscht:idung trifft auch Feldhaus. UPR 1982. 137 (138 ff.) . der Wir-

kungsstandards (z. B. schädlich.: Umwdteinwirkung.:n, § 3 Abs . I BimSchG). Vorsorgestandards und tt:chnischt: Standards (z .B . ant:rkannte Regeln der Technik. Stand dt:r Technik und Stand von Wissenschaft und Technik) unterscheidet. wobei Ausgangskriterium eine entsprechende Einteilung der jeweiligen unbestimmten Rechtsbegriffe ist. Diese Unterscheidung soll nachfolgend jedoch nicht zugrundegelegt werden. da eint: Differenzierung di.:ser An wenig prdktikahel erscheint. Ein Blick auf den Wonlaut des § .'i Ahs. I Nr. 2 BimSchG. dal\ "Vorsorge gegen schädliche Umwel!einwirkungen getroffen wird. insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Mallnahmen zur Emissionsbegrenzung". macht deutlich, da II

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

169

(2) Schutzstandards

Schutzstandards orientieren sich, ausgehend von der bereits erwähnten Erkenntnis, daß absolute Sicherheit aufgrund der Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit und technischer Machbarkeit nicht gewährt werden kann, an auf naturwissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen fundierenden Unbedenklichkeits- bzw. Schädlichkeitsschwellen, zu denen ein Sicherheitsabstand tritt, dessen Reichweite in einem Bewertungsvorgang festzulegen ist. Schutzstandards haben also eine primär medizinisch-naturwissenschaftliche Grundlage, auf der aufbauend dann bei der Festlegung des Sicherheitsabstandes von der Schädlichkeitsschwelle politische Bewertungskriterien relevant werden276 .

(3) Vorsorgestandards Während Schutzstandards also grundsätzlich an Belastbarkeitskriterien orientiert sind, tritt bei Vorsorgestandards das Kriterium der technischen Vermeidbarkeit im Hinblick auf das Risikopotential - welches im Unterschied zu den Schädlichkeitsschwellen bei Schutzstandards nunmehr nicht mehr an wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, die konkrete Anforderungen an die Qualität von Luft, Wasser oder Boden tragen könnten, orientiert ist277 - in den Vordergrund278 . Dennoch sind bei der Festlegung von Vorsorgestandards nicht lediglich technische gegen ökonomische Gesichtspunkte abzuwägen. Vielmehr stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die entscheidende inhaltliche Schranke für das zulässige Ausmaß an Vorsorge dar, so daß die Vorsorge nach Umfang und Ausmaß sowohl dem Risikopotential des Schadstoffeintrags, den sie verein bestimmter einzelner Umweltstandard die Kriterien der Vorsorge, der Wirkungsbezogenheil und auch des Technikbezuges sämtlich in sich vereinigen kann, so daß keine unterschiedlichen Typen von Umweltstandards anhand dieser Unterscheidung abgegrenzt werden können. 275 Sa/zwedel. Ziele des Gewässerschutzes, S. 187; ders., Umweltstandards, S. 48 ff.; diese Typologie legt offensichtlich auch Breuer, Rechtliche Bewertung krebserzeugender Immissionen, S. 174, zugrunde, derdonauf individualschützende Vorsorgestandards eingeht. 276 Johann, S. 120; Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: Isensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 21; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 17; ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 188; ders. Umwehstandards, S. 46, 48 . 277 Johann , S. 120 f. 278 Salzwedel. NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: Isensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 22; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 18; ders .. Ziele des Gewässerschutzes, S. 188.

170

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

hindern soll, als auch den an die einzelnen Anlagen gestellten Anforderungen angemessen sein muß, was wiederum ein auf einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegtes Vorsorgekonzept zur Erreichung bzw. Sicherung der angestrebten Vorsorgeziele voraussetzt279 . Die Verhältnismäßigkeit der Anforderungen ist dabei nicht - betriebswirtschaftlich - auf die einzelnen Anlagen bezogen, sondern nur in volkswirtschaftlichen Größenordnungen erfaßbar280. Deutlich wird damit, daß Vorsorgestandards neben dem Kriterium der technischen Machbarkeit ganz wesentlich von letztlich auf dem Verhältnismäßigkeilsgrundsatz basierenden Abwägungen beeinflußt werden. Auch sind für Vorsorgestandards vielschichtige interdisziplinäre Bewertungen von Bedeutung. Medizinische oder ökotoxikologische Risikobewertungen, Gesichtspunkte technischer Machbarkeil und der Verfügbarkeit volkswirtschaftlicher Ressourcen greifen in einem komplexen Bewertungsvorgang der Exekutive ineinander281 .

(4) Individualschützende Vorsorgestandards Wo Schutzstandards aufgrund der Unmöglichkeit der wissenschaftlichen Begründbarkeit unschädlicher Schwellendosen, also wegen des Fehlens von Unbedenklichkeitsschwellen, nicht gefunden werden können, und es darüber hinaus nicht nur darum geht, allgemein potentiell schädliche Einflüsse - so ja bei Vorsorgestandards - zu reduzieren282 , beispielsweise im Bereich kanzerogener Stoffe283 oder ionisierender Strahlen, haben individualschützende

279 Vgl. BVerwGE 69, 37 (44 f.); Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: lsensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 22; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 18; ders., Ziel des Gewässerschutzes, S. 188; Uppenbrink . Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 91; vgl. dazu ausführlicher unten S. 228 f. 280 BVerwGE 69, 37 (45); Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: /sensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 22; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 18. 281 Sa/.zwedel, NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: Isensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 22; ders. , Technische Regeln als Instrument, S. 18. 282 Eine ausführliche Darstellung der tatsächlichen und naturwissenschaftlichen Unsicherheiten im Hinblick auf kanzerogene Stoffe findet sich bei Breuer, Rechtliche Bewenung krebserzeugender Immissionen, S. 158 ff. 283 Zur bisherigen rechtlichen Erfassung und Bewenung krebserzeugender und -verdächtiger Stoffe vgl. Breuer, Rechtliche Bewenung krebserzeugender Immissionen, S. 166 ff.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

171

Vorsorgestandards ihren Platz284 . Bei kanzerogenen Stoffen wird angesichts der Unmöglichkeit, die tatsächliche Grenze der Schädlichkeit und der Krebsgefahr für den einzelnen genau zu bestimmen, Vorsorge "an eine Linie vorgeschoben, die vermutlich vor der kritischen Grenze im sicheren Bereich liegt, also eine Pufferzone des eventuellen Zweifels und Streites einschließt" 285 . Hier ist Standardbildung im Grunde eine "rechtliche Gratwanderung" 286 zwischen Schutz- und Vorsorgestandards. Anforderungskriterien an solche dem Individualschutz dienenden Vorsorgestandards sind dann wie bei anderen Vorsorgestandards auch wiederum Kriterien der wissenschaftlichen Erfaßbarkeit und Berechenbarkeit, der Realisierung des technisch Möglichen und der Verhältnismäßigkeit28?. Daß in Anbetracht der naturwissenschaftlichen Ungewißheiten und Streitigkeiten hier die exekutivische Bewertung im Vordergrund der Festsetzung von Standards steht, sollte sich von selbst verstehen288 .

(5) Reinheitsgebotsstandards

Schließlich sind Standards denkbar, die weder an bestimmten Schädlichkeitsschwellen orientiert sind noch ein Vorsorgekonzept realisieren sollen. Solche Reinheitsgebotsstandards sollen vielmehr ein politisches Signal setzen, daß bestimmte Substanzen in bestimmten Produkten oder in der Umwelt überhaupt nicht oder zumindest nicht oberhalb der Grenze der Nachweisbarkeil enthalten sein sollen289 . Als Beispiel seien die Pestizidgrenzwerte in der Trinkwasserverordnung genannt, die wirkungsseitig nicht begründbar sind und der landwirtschaftlichen Erzeugung ein verbindliches Datum setzen sollen, wonach die Anbausysteme zum Schutz von Wasservorkommen den Belastbarkeitsgrenzen von Boden und Grundwasser angepaßt werden müssen290. Es ist ersichtlich, daß Reinheitsgebotsstandards in besonderem Maße neben naturwissenschaftlichen Elementen solche der politischen Bewertung enthalten.

284 Salzwedel,

NVwZ 1987, 276 (277); ders., in: lsensee!Kirchhof, § 85 Rdn . 22 f. ; ders.,

Technische Regeln als Instrument, S. 19; ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 188.

285 286 287 288 289

Breuer, Rechtliche Bewertung krebserzeugender Immissionen, S. 174. Breuer, Rechtliche Bewertung krebserzeugender Immissionen, S. 174. Breuer, Rechtliche Bewertung krebserzeugender Immissionen, S. 174. Breuer, Rechtliche Bewertung krebserzeugender Immissionen, S. 174 f.

Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 188; ders. Umweltstandards, S. 51. 290 Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 188 f. ; ders., Umweltstandards, S. 51.

172

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

(6) Kodifizieren naturwissenschaftlich-technischer Regeln und Erkenntnisse sowie Einfließen dezisionistischer Elemente und Volitivakte Als Zwischenergebnis kristalliert sich aufgrund dieser Typologie der Umweltstandards deutlich heraus, daß diese unabhängig vom jeweiligen Typus stets, wenn auch die Gewichtung in jedem Einzelfall unterschiedlich sein wird, entsprechend der beiden wesentlichen Stufen bei ihrer Festlegung durch zwei Charakteristika gekennzeichnet sind: Zum einen enthalten die Umweltstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften die Kodifikation naturwissenschaftlich-technischer Regeln und Erkenntnisse- soweit sie auf Umwelttatsachen, Technikmöglichkeiten sowie den naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen von Schutzwürdigkeits- und Gefährdungsprofilen aufbauen. Zum anderen beinhalten sie aber in größerem oder geringerem Maße immer auch dezisionistische Elemente und Volitivakte, welche diese naturwissenschaftlich-technischen Gesetzlichkeiten mit anderen Gesichtspunkten in einem Abwägungsvorgang oder in Form politischer Wertentscheidungen in Einklang zu bringen suchen, beispielsweise mit volksökonomischen Daten, politisch-gesellschaftlichen Erfordernissen und Zielsetzungen oder Anforderungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit291 . Dabei sollte deutlich werden, daß über die Bestimmung der Grenze zwischen schädlichen und nicht schädlichen Umwelteinwirkungen aufgrund naturwissenschaftlichtechnischer Erkenntnisse292 hinaus, die nicht in der Form möglich ist, daß ex291 Badura, Gestalrungsfreiheit und Beurteilungsspielraum, S. 175; Feldhaus. UPR 1982, 137 (143 ff.); ders .. Zustandekommen von E- und I-Grenzwerten. S. 139 ff. ; Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2236); Gusy. DVBI. 1987. 497 (503); Krebs. Abwasserbeseitigung. S. 10; Kut-

scheidt, Risiken der Technik, S. 131 f.; Papier. Bedeurung der Verwalrungsvorschriften, S. 161; Rittstieg , S. 208 f.; Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (277); Schmölling, S. 85 . 292 Ob die Aussage des Oberverwalrungsgerichtes Lüneburg [DVBI. 1985, 1322 (1323)], entgegen der Annahme des Bundesverwalrungsgerichts im Voerde-U rteil lasse sich die Grenze zwischen schädlichen und nichtschädlichen Umwelteinwirkungen aufgrund der narurwissenschaftlichen Erkenntnisse abstrakt nicht exakt bestimmen, wirklich zutrifft, soweit es dem Bundesverwalrungsgericht hier eine andere Ansicht unterstellt, ist fraglich , wenn man sich vor Augen hält, daß das Bundesverwalrungsgericht in diesem Urteil [BVerwGE 55, 250 (258)) formuliert hat, nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen, insbesondere der medizinisch-biologischen Erkenntnisse, könne nicht genau angegeben werden, bei welcher Dosis oder Belasrung der Luft eine schädliche Umwelteinwirkung beginne. Das Bundesverwalrungsgericht wollte wohl eher die Feststellung treffen, daß die festgelegten Grenzwerte der TA Luft exakt sind und nicht lediglich eine Schwankungsbreite wiedergeben, nicht aber Aussagen dazu treffen, daß bei der

Festlegung solcher Grenzwerte selbst nicht eine gewisse Bandbreite möglicher Werte besteht [vgl. dazu auch Fischer, Umwelts.:hutz, S. 98 f.].

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

173

akt ableitbare Ergebnisse vorliegen können, die nur richtig oder falsch sein können, weil die Unsicherheiten im Hinblick auf die naturwissenschaftlichtechnischen Kenntnisse zu groß sind, vielfältige Bewertungsvorgänge bei der Festsetzung von Umweltstandards ablaufen, die nicht naturwissenschaftlichtechnische Gesichtspunkte in den Prozeß der Standardfestsetzung einbringen.

dd) Inhalt - Abgrenzung der jeweiligen technischP,n Anforderungen Der Gesetzgeber gibt das Maß des technisch Erforderlichen meist durch die unbestimmten Rechtsbegriffe293 "aUgemein anerkannte Regeln der Technik", "Stand der Technik" und "Stand von Wissenschaft und Technik" vor294 . Grundlegend für die Definition dessen, was diese Standards inhaltlich aussagen, kann die Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herangezogen werden. Das Gericht hat hier die Ansicht vertreten, daß die drei Standards in einer Stufenfolge zueinander stehen295 . Soweit es um den spezifisch technischen Inhalt von Umweltstandards geht296 , geben diese unbestimmten Rechtsbegriffe also einen jeweils unterschiedlichen Stand der technischen Entwicklung wieder297.

(1) AUgemein anerkannte Regeln der Technik Das Gesetz selbst definiert den unbestimmten Rechtsbegriff der aUgemein anerkannten Regeln der Technik nicht. Entscheidend für die Definition dieses Technikniveaus ist ein subjektives Kriterium, die "herrschende Auffasung unter den technischen Praktikem" 298 , geworden. Dies geht bereits auf die entsprechende Definition des Reichsgerichts in Strafsachen zurück299 , wonach unter den aUgemein anerkannten Regeln der Technik Prinzipien und 293 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeif der Verwendung derartiger unbestimmter Rechtsbegriffe im Umwelt- und Technikrecht vgl. BVerfGE 49, 89 (136 f.) .

294 Vgl. bereits die Nachweise bei Breuer, AöR 101 (1976), S. 46 (51 Fn. 29 - 31). 295 BVerfGE 49, 89 (135 f.). 296 Daß es bei der Festsetzung von Umweltstandards nicht nur darum geht, technische An-

forderungen isoliert von Wertungen und Abwägungen und nichttechnischen Gesichtspunkten festzusetzen, wurde soeben gezeigt.

297 BVerfGE 49, 89 (1 35) . 298 BVerfGE 49, 89 (135). 299 RGSt 44, 75 (78); RGSt 56, 343 (346).

174

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Lösungen zu verstehen sind, die in der Praxis erprobt und bewährt sind und sich mithin bei der Mehrheit der auf dem fraglichen technischen Gebiet tätigen Praktiker durchgesetzt haben. Dafür genügt es nicht, daß eine technische Regel im Fachschrifttum vertreten und von Wissenschaft und Theorie gebilligt wird. Vielmehr muß eine technische Regel in der Form allgemein anerkannt sein, daß sie in der Praxis erprobt ist und sich bewährt hat. Mindermeinungen in der technischen Fachwelt, die eine bestimmte Regel nicht (an)erkennen oder nicht praktizieren, sind insofern nicht relevant300 . Im Unterschied zur vorherrschenden subjektiven Betrachtungsweise, die sich sicherlich auf eine Übereinstimmung mit dem Wortlaut "allgemein anerkannt" stützen kann, wird der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik auch objektiv gedeutet. Danach sind allgemein anerkannte Regeln der Technik "diejenigen Erfahrungssätze zur Verhütung technischer Gefahren, die von jedem bei genügender Beschäftigung mit den Problemen erkannt werden können, d.h. die als Erfahrungssätze objektiv nachprüfbar und nach menschlichem Ermessen technisch richtig und gesichert sind "301 . Sowo!J.l die subjektive als auch die objektive Betrachtungsweise verweisen auf außerrechtliche Konkretisierungsmaßstäbe, zum einen die Mehrheitsauffassung der technischen Praktiker, zum anderen den "objektiven Eignungsnachweis mit Hilfe wissenschaftlich-experimenteller Methoden "302 . Unabhängig davon, welcher dieser beiden Auffassungen man folgt, wird bei beiden Interpretationen sowohl die Funktion der Entlastung als auch der Anpassung oder Dynamisierung im Hinblick auf den zugrundeliegenden unbestimmten Rechtsbegriff erfüllt303 , so daß unterschiedliche praktische Ergebnisse kaum zu verzeichnen sein werden304 . Festzuhalten bleibt, daß das Gesetz mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik einen Maßstab vorgibt, der "stets hinter einer weiterstrebenden technischen Entwicklung hinterherhinkt"3o5.

300 Breuer, AöR 101 (1976), 46 (67); Marburger, Die Regeln der Technik, S. 145, mit ausführlichen Nachweisen der subjektiven Betrachtungsweise aufS. 146, Fn. 4.

301 Plischka, S. 54; ihm folgend : Marburger, Die Regeln der Technik, S. 146 ff. 302 Marburger, Die Regeln der Technik, S. 147. 303 Vgl. dazu oben S. 163 f. 304 Marburger, Die Regeln der Technik, S. 147, 157.

305 BVerfGE 49, 89 (135); im Anschluß an Breuer, AöR 101 (1976), 46 (67).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

175

(2) Stand der Technik

Im Unterschied zu den allgemein anerkannten Regeln der Technik sind die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein für den Stand der Technik nicht ausschlaggebend306 . Vielmehr wird der Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene durch dieses Technikniveau "an die Front der technischen Entwicklung verlagert" 307 . Deshalb ist es aufgrund des "Eintretenmüssens in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker" 308 entsprechend schwieriger, die technisch-faktischen Voraussetzungen entsprechender Umweltstandards zu ermitteln. Eine gute Legaldefinition des Standes der Technik findet sich auf dieser Grundlage in § 3 Abs. 6 BlmSchG, wo es heißt309: "Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen gesichert erscheinen läßt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg im Betrieb erprobt worden sind."

(3) Stand von Wissenschaft und Technik

Das Anforderungsniveau des Standes von Wissenschaft und Technik ist dem Wasser- und Immissionsschutzrecht fremd und findet sich insbesondere im Atomrecht310 . Dieses Technikniveau hätte einen noch stärkeren Zwang dahingehend ausgeübt, daß die rechtliche Regelung mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt hält3 11 . Es hätte dann diejenige Vorsorge getroffen werden müssen, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen für erforderlich gehalten wird. Ließe sie sich technisch noch nicht verwirklichen, würden die technischen Voraussetzungen bereits hinter dem An306 BVerfGE 49, 89 (135); im Anschluß an Breuer, AöR 101 (1976), 46 (67); vgl. auch

Marburger, Die Regeln der Technik, S. 163. 307 BVerfGE 49, 89 (135); im Anschluß an Breuer, AöR 308 BVerfGE 49, 89 (136); im Anschluß an Breuer, AöR

101 (1976), 46 (67). 101 (1976), 46 (68).

309 Vgl. auch die Legaldefinition des §59 Abs. 3 S. I LWG NW, wo es in vergleichbarer

Weise heißt: "Stand der Technik im Sinne dieser Vorschrift ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen zur bestmöglichen Begrenzung von Emissionen gefährlicher Stoffe im Abwasser, ohne daß dadurch die Umwelt in anderer Weise schädlicher beeinträchtigt wird n . 310 Vgl. wiederum die Nachweise bei Breuer, AöR

101 (1976), 46 (51 Fn. 31). 311 BVerfGE 49, 89 (136); Breuer, AöR 101 (1976), 46 (68), formuliert insoweit, daß der

rechtliche Maßstab noch weiter an die Front des Fortschritts vorgetrieben würde.

176

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

forderungsniveau zurückbleiben, so daß der Stand der Technik "nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt" wird312.

b) Anerkennung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften

Nunmehr ist der Frage nachzugehen, ob ein behördlicher "Konkretisierungsspielraum" gegenüber Gerichten und Bürgern anerkannt werden kann.

aa) Gegenansicht Auch nach der in Verwaltungsvorschriften konkretisierten Umweltstandards rechtliche Verbindlichkeit zubilligenden neueren Rechtsprechung hält Breuer daran fest 313 , die Festlegung von Umweltstandards erfordere primär "nicht eine planerisch-politische Dezision, sondern eine generell-abstrakte Fixierung naturwissenschaftlich und technisch fundierter Maßstäbe- d.h. antizipierte und generalisierte Sachverständigengutachten "314 . Breuer stützt diese Aussage auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.5.1987315 , in dem dieses den Richtlinien des Bundesverkehrsministeriums für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes316 "Erkenntniswert" abgesprochen hatte. Ein Heranziehen dieses Urteils bei der Diskussion um normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften erscheint aber mehr als fragwürdig: Zum einen hat es das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob diese Richtlinien zumindest als antizipiertes Sachverständigengutachten eingestuft werden könnten, weil sie lediglich die im Gesetzgebungsverfahren für ein Verkehrslärmschutzgesetz gewonnenen Erfahrungen wiedergäben, auf die das Gericht in seiner Entscheidung aber vor Betrachtung der Richtlinie schon eingegangen war317 , so daß die Aussage des Fehlens eines darüber hinausgehenden Erkenntniswertes verständlicher wird. Zum anderen ist vor allen Dingen aber darauf hinzuweisen, daß der Stand der Technik im Hinblick auf die Verhinderung schädlicher 312 313

BVerfGE 49, 89 (136). Die Figur des antizipierten Sachverständigengutachtens ist ja von Breuer im Hinblick

auf das Bedürfnis entwickelt worden, Umweltstandards konkretisierenden Verwaltungsvorschriften eine dogmatisch fundierte zumindest faktische Verbindlichkeit zusprechen zu können.

314 Breuer, NVwZ 1988, 104 (112). 315 BVerwG, DVBI. 1987. 907 . 316 Vom 6.7.1983, VkBI. 1983, S. 306. 317 BVerwG, DVBI. 1987, 907 (908).

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

177

Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche in§ 41 Abs. 1 BlmSchG nach § 43 Abs. 1 BlmSchG durch eine Rechtsverordnung318 zu konkretisieren ist. Eine Verwaltungsvorschrift wird hier also den gesetzlich gestellten Anforderungen im Hinblick auf verbindliche Normkonkretisierung nicht gerecht, so daß die Richtlinien des Bundesverkehrsministers gar nicht als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift eingestuft werden könnten319 und dies nach ihrem Selbstverständnis auch gar nicht wollen 320 . Rechtsprechung zu diesen Richtlinien hat dabei im Hinblick auf normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften wenig Aussagekraft und kann entgegen der Darstellung Breuers nicht dazu herangezogen werden, dem Vorgang der Festlegung von Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften Elemente des Wertens und Abwägens bzw. der "planerisch-politischen Dezision" abzusprechen und sie deshalb weiterhin dogmatisch als recht! ich "dem Grunde nach" unverbindliches antizipiertes Sachverständigengutachten einzustufen321 . Daß dies nicht richtig sein kann, muß auch Breuer wenig später zugeben, wenn er anerkennt, daß der Exekutive zumindest sekundär die Befugnis zu politisch-planerischer Dezision im Hinblick auf die Offenheit und Streitigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Lösungen und der im Rahmen der nach dem rechtsstaatliehen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verlangenden Modifizierungen bei der Fixierung von Technik- und Umweltstandards gegeben seP22. Ein Beharren darauf, daß "Verwaltungsvorschriften keine konstitutive Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und folglich auch keinen normativen Maßstab für die gerichtliche Kontrolle bilden "323 , kann aber nicht damit begründet werden, daß man den beiden - wie auch hier nachgewiesen

318 Dies ist mittlerweile durch die zum Zeitpunkt der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes noch nicht vorliegende Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

(Verkehrslärmschutzverordnung

-

16.

BimSch V)

vom

12.6.1990. BGBI. I, S. 1036. erfolgt. 319 Zu den Erfordernissen an die Möglichkeit der Einstufung von Verwaltungsvorschriften als normkonkretisierend vgl. unten S . 199 ff. ; hier fehl! insbesondere der gesetzliche Auftrag zur verbindlichen Normkonkretisierung durch Verwaltungsvorschrifl; Gerhardt. NJW 1989, 2233 (2238), weist außerdem auf das Fehlen transparenter Standardselzung in diesem Zusammenhang hin. 320 Gerhardt. NJW 1989, 2233 (2238 Fn. 63), zeigt auf die Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis der Richtlinien als "anerkanmen Regeln der Technik" und dem Anforderungsniveau des "Standes der Technik" in§ 41 BimSchG hin. 321 So aber Breuer, NVwZ 1988. 104 (112). 322 Breuer. NVwZ 1988. 104 (112). 323 Breuer. NVwZ 1988, 104 (112). 12 Kaster

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

178

wurde324 - als wesentlich zu unterscheidenden Vorgängen bei der Festsetzung von Umweltstandards, zum einen der Transformation faktischer Gesetzlichkeilen, zum anderen der volitiv-dezisionistischen Elemente, eine entweder primäre oder sekundäre Funktion im Hinblick auf das Verfahren der Standardsetzung zuweist. Ein Überwiegen des einen oder anderen Elementes kann keine unterschiedlichen Ergebnisse begründen325 . Eine Begründung dafür, warum das eine Charakteristikum der Standardfestsetzung als primär, das andere aber nur als sekundär anzusehen sein soll, ist nicht ersichtlich326 . Daß die Festlegung der Umweltstandards zunächst ein Rekurrieren auf naturwissenschaftlich-technische Gesichtspunkte erfordert und erst im Anschluß daran Wertentscheidungen der Exekutive bei der Festlegung der Standards ermöglicht, ist eine tatsächliche Notwendigkeit beim Verfahren der Standardsetzung und kein Argument gegen eine mögliche Rechtsverbindlichkeit bzw. für eine lediglich faktische Bedeutsamkeit von entsprechenden Verwaltungsvorschriften. Es wird noch zu zeigen sein, daß auch diese von der Struktur des Standardsetzungsverfahrens vorgegebene Notwendigkeit wertender und abwägender exekutivischer Entscheidungen für sich alleine nur eine Indizwirkung im Hinblick auf die Anerkennung einer Außenverbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften haben kann und wenn überhaupt, allenfalls das Hinzutreten weiterer Kriterien ein solches Ergebnis zu ermöglichen vermöchte3 27 . Gegen die Verbindlichkeit von entsprechenden Verwaltungsvorschriften können die Strukturierung des Standardsetzungsverfahrens und die sich daraus ergebenden Elemente von Umwelt- und Technikstandards aber nicht ins Feld geführt werden.

bb) Verfassungsrechtliche Anforderungen Die Kritik an der Außenrechtsverbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften könnte nur dann berechtigt sein, wenn einem solchen Ergebnis verfassungsrechtliche Gesichtspunkte entgegenstehen würden3 28. Es 324 325

Vgl. oben S. 165 ff. Außerdem ist zu bedenken, daß, beispielsweise bei Reinheitsgebotsstandards, das Krite-

rium der politischen Wertentscheidung sehr stark ins Gewicht f;illt.

326 Hili,

NVwZ 1989, 401 (406), hat vielmehr zu Recht betont, daß selbst eine Trennung

in naturwissenschaftliche Erkenntnis und Bewertung schon nicht möglich ist.

327 328

Vgl. dazu unten S. 199 ff. Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte werden denn auch meist von den Kritikern ins

Spiel gebracht, vgl. nur Bönker, Umweltstandards, S. 72 ff.; ders., DVBI. 1992, 804 (808 f.);

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

179

geht in den nachfolgenden Betrachtungen also nicht um eine umfassende Erörterung der verfassungsrechtlichen Problematik von Verwaltungsvorschriften, sondern lediglich darum, ob eine gewisse Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften auch im Außenverhältnis verfassungsrechtlich beanstandet werden kann.

(1) Der Grundsatz der Gewaltenteilung: Die grundgesetzliche Funktionenordnung Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anerkennung einer Außenwirksamkeit von Verwaltungsvorschriften könnten aus dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten und insbesondere in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG ausdrückliche Erwähnung findenden - und insoweit sämtlichen nachfolgenden verfassungsrechtlichen Überlegungen übergeordneten - Grundsatz der Gewaltenteilung hergeleitet werden. Die Außenwirksamkeit von durch die Exekutive erlassenen Verwaltungsvorschriften läuft - wenn man die Restriktionen einer lediglich "gewissen" Verbindlichkeit derselben wegdenkt - letztlich auf abstraktgenerelle Rechtsetzung durch die Exekutive hinaus, während nach dem klassischen Modell der Gewaltenteilung und -trennung außenverbindliche Rechtsetzung der Legislative obliegt329 . Deshalb stellt sich die Frage, ob die Verneinung eines Rechtsetzungsmonopols der Legislative und dementsprechend die Bejahung der Möglichkeit der Übernahme dieser Funktion neben derjenigen des Gesetzesvollzugs durch die Exekutive eine verfassungsrechtlich gebotene Funktionentrennung unterläuft und in unzulässiger Weise die Differenzierung von Rechtsetzung und Vollzug verkürzt. Das im Grundgesetz verankerte Prinzip der Gewaltenteilung darf jedoch nicht schematisch im Sinne einer strikten Gewaltentrennung verstanden werden. Vielmehr liegt dem Grundgesetz in Weiterentwicklung des klassischen Gewaltenteilungsmodells ein eigenes System der Unterscheidung staatlicher Grundfunktionen und der Zuordnung derselben an die in Frage kommenden Funktionsträger zum Zwecke einer sinnvollen Arbeitsteilung, Machtbegrenzung und Freiheitssicherung zugrunde330 . Da dies eine sachgerechte Aufgabenerfüllung unmöglich machen würde, zieht Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG deshalb nicht eine starre Grenze unterschiedlicher Gewalten mit eindeutig je-

Breuer, NVwZ 1988, 104 (112); Fischer, S. 122 ff., 127 ff.; Riegel, BB 1976, 1632 (1633); Rittstieg, S. 203 f . 329 Vgl. insoweit nur Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 195 ff. Rdn . 476 ff. 330 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 53 f. ; Stem, Staatsrecht Il, S. 530 f. 12*

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

180

weils nur einer Gewalt zuzuordnenden Funktionen331 . Gewaltenteilung darf nicht einfach mit der Zuständigkeit verschiedener Organe für die Funktionen Rechtsetzung, Vollzug und Rechtsprechung gleichgesetzt werden, auch die Möglichkeit der Wahrnehmung verschiedener Funktionen durch ein und dasselbe Organ ist durchaus mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar332. Bezogen auf Rechtsetzung bedeutet dies, daß Gewaltenteilung auch hier keine scharfe Trennung insbesondere von Legislative und Exekutive bedeutet, sondern ein Ineinandergreifen unterscheidbarer, aber zusammenhängender und sich ergänzender Maßnahmen der beiden Gewalten333 . Bei einer an den jeweiligen Funktionen orientierten Betrachtung der Gewalten steht die Verwaltung somit in einem "Komplementärverhältnis" zur Exekutive334 , man kann auch von einem "kooperativen Zusammenwirken" von Exekutive und Parlament sprechen335 . Ein solches funktionelles Verständnis des Gewaltenteilungsprinzips - das letztlich auf der zu dem verfassungsrechtlichen Problem, ob der Gesetzgeber unter der Geltung von Art. 19 Abs. 4 GG der Verwaltung Spielräume zuweisen kann, entwickelten normativen Ermächtigungslehre336 basiert ~ erlaubt der Exekutive aber nur dann die Wahrnehmung rechtsetzender Aufgaben, wenn sie im Zusammenspiel der Gewalten aufgrund von Organstruktur und Organausstattung zur Bewältigung dieser Funktion am besten geeignet ist. Staatliche Entscheidungen sollen im Hinblick auf ein optimales Ergebnis von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen337. Der Gesetzesvollzug selbst kann vielfach in der Weise gestuft verlaufen, daß sich zwischen das generell-abstrakte Parlamentsgesetz und den exekutivischen Einzelvollzugsakt rechtskonkretisierende Zwischenstufen schalten, die durch detailregelnde Normsetzung unterhalb der Gesetzesebene gekennzeich331 Stern. Staatsrecht li, S. 530 f.; Hesse. Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 199 Rdn. 487.

332 333 334 335

Vgl. Schröder. Verwaltungsvorschriften, S. 57. Maurer, VVDStRL 43 (1985). 135 (153) . Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135 (155).

Ossenbüh/, Verwaltungsvorschriften, S. 205: Hili, NVwZ 1989, 401 (404), spricht von

einem "kooperativen Prozeß".

336 Vgl dazu nur Schmidt-Aßmann . in: Maunz-Dürig, An. 19 Abs. 4 Rdn. 180 ff.•

insb. 185. 337 BVerfGE 68, I (86): Hili, NVwZ 1989. 401 (404); Ossenbühl. DÖV 1980, 545 (549):

Schröder. Verwaltungsvorschriften, S. 58; Stern, Staatsrecht li, S. 530; Wahl, NVwZ 1991, 409 (411).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

181

net sind338 . Entsprechend einer abnehmenden Dichte der Gesetze - vom Gesetzesbefehl über Auftrag und Ermächtigung bis zur bloßen Zielvorgabe wachsen notwendig die Eigenanteile der Exekutive im Hinblick auf Rechtsetzung und Rechtsanwendung 339 . Solche Rechtskonkretisierung erfordert oft die Erarbeitung von Konzepten oder Programmen340 . Die abstrakte Vorgabe des Gesetzes muß oft also in der Form an die Wirklichkeit angepaßt und anwendungsgeeignet umgesetzt werden, daß aufgrund der im Gesetzesvollzug zu erreichenden Allgemeinheit und Gleichheit der Regelung noch generelle Festlegungen programmatischer Art unter Einbeziehung möglicher zukünftiger Folgen und Abwägung zurnutbarer Risiken erforderlich sind341 . Rechtsetzungsaufgaben in Form solcher Programme können aber alleine schon aufgrund der ihnen innewohnenden politischen Wertentscheidungen von der Judikative ebensowenig wie von der auf grundsätzlichere Regelungen ausgerichteten Legislative übernommen werden, während die Exekutive hier aufgrund von spezifischem Sachverstand und politischer Legitimation besonders qualifiziert ist342 . Auch das Bundesverfassungsgericht hat ja343 in der Kalkar-Entscheidung in diesem Sinne betont344 , daß die Exekutive sowohl gegenüber der Legislative als auch der Judikative über geeignetere Handlungsformen verfügen kann. In dem dem Grundgesetz zugrundeliegenden System funktionaler Gewaltenteilung, das durch Pluralität und Arbeitsteilung hinsichtlich der den Organen zuzuweisenden Funktionen gekennzeichnet ist und in dem sich Rechtsetzung und Rechtsvollzug wechselseitig beeinflussen345 , kann also auch die Exekutive rechtsetzende Aufgaben übernehmen. Nur am Rande sei bemerkt, daß dabei natürlich aufgrund ihrer zentralen Stellung, der ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ständiger Information und des Kontakts zu Gruppierungen außerhalb der staatlichen Gewalten 346 sowie der von ihr zu

338 Hill, NVwZ 1989, 401 (403); Maurer, VVDStRL43 (1985), 135 (162). 339 Hill, NVwZ 1989, 401 (403); Wahl, VBIBW 1988, 387 (390 f.). 340 Vgl. zur Erforderlichkeil solcher Konzepte gerade bei den hier den Untersuchungsgegenstand bildenden Umweltstandards in Verwaltungsvorschriften oben Fn. 279. 341 Hili, NVwZ 1989. 401 (403); Jarass. NJW 1987, 1225, spricht insofern von Operationalisierung. 342 Vgl. Hill, NVwZ 1989, 401 (403 f.); Schröder. Verwaltungsvorschriften, S. 59; die fachliche Kompetenz, Sachnähe und Fachkunde der Exekutive (bei der Verordnungsgebung) als rechtsetzende Instanz entsprechend der im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegten verantwortungsgerechten Funktionsverteilung betont auch BVerwGE 70, 346 (350). 343 Vgl. dazu oben unter Fn. 178. 344 BVerfGE 49. 89 (139 f.). 345 Brohm. DÖV 1987. 265 (266 f.. 270 f.); Hili, NVwZ 1989. 401 (403). 346 Leimer, JZ 1968. 727 (729). hezeichnet die Regierung deshalb als die "informierte Gewalt".

182

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

tragenden politischen Gesamtverantwortung die Regierung 347 in Abgrenzung zu den einzelnen Genehmigungsbehörden in besonderem Maße zu außenverbindlichem generell-abstraktem Handeln befahigt ist348. Ein Monopol generell-abstrakter Entscheidungen für die Legislative scheidet aufgrund der hier erfolgten Argumentation aus349 . Die Zuerkennung einer gewissen Außenrechtsverbindlichkeit an Verwaltungsvorschriften als Übernahme einer in diesem Umfang rechtsetzenden Funktion der Exekutive ist folglich mit dem Gewaltenteilungsprinzip vereinbar350.

(2) Das Demokratieprinzip

Läßt das Prinzip der Gewaltenteilung die Anerkennung einer gewissen Außenwirksamkeit von Verwaltungsvorschriften zu, so ist als weiterer möglicher Vorwurf gegen dieses Ergebnis derjenige einer fehlenden demokratischen Legitimation unter Rekurrieren auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes denkbar. Das Demokratieprinzip könnte zu der Schlußfolgerung verleiten, das Setzen abstrakt-genereller Rechtsfolgen obliege im grundgesetzlich ausgeformten demokratischen Staatsaufbau in der Art eines "Totalvorbehaltes" allein der für diese Aufgabe demokratisch in besonderem Maße legitimierten Legislative351 . Hier ist aber bereits einzuwenden, daß alle staatlichen Gewalten, nicht nur die Legislative, demokratisch konstituiert und kontrolliert sind. Deshalb können die Abgrenzung und Zuordnung der verschiedenen Funktionen der einzelnen Gewalten relativ unbefangen im Hinblick auf Gesichtspunkte der demokratischen Legitimation erfolgen352 . An der demokratischen Legitimation

347 Das ist in unserem Untersuchungszusammenhang insofern von Relevanz, als die im Hinblick auf ihren normkonkretisierenden Charakter untersuchten Abwasserverwaltungsvorschriften von der Bundesregierung erlassen werden. 348 Hili, NVwZ 1989, 401 (404). 349 So auch Hili, NVwZ 1989, 401 (403); Krebs, DVBI. 1977, 632 (635); ders., VerwArch. 70 (1979), 259 (269); Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, § 24 Rdn. 57; Schrö· der, Verwaltungsvorschriften, S. 61. 350 So - mit interessanten Ausführungen für das Verhältnis außenverbindlicher Verwaltungsvorschriften zu Rechtsverordnungen - auch Pietzcker, NJW 1981,2087 (2090). 351 Gusy , DVBI. 1979, 720 (723).

352 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 401 ; Gusy, DVBI. 1979,720 (723).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

183

auch der Exekutive wird heute nicht mehr gezweifelt353 . Ossenbühl hat insoweit überzeugend formuliert354 : "Mit dem Wegfall des monarchischen Prinzips hat die Exekutive ihre extra-konstitutionelle Stellung eingebüßt. Parlament und Exekutive ruhen heute beide auf demokratischer Basis." Die Exekutive unterliegt politischer Verantwortung, Kontrolle und Sanktionsunterworfenheit355. Das Grundgesetz weist denn auch an verschiedenen Stellen356 der Regierung als Exponentern der Exekutive neben dem Parlament die Aufgabe der Staatsleitung zu357 . So hat auch das Bundesverfassungsgericht in bezug auf die Regierung unlängst formuliert, daß sie unter der Herrschaftsordnung des Grundgesetzes institutionell, funktionell und personell demokratisch legitimiert sei358 . Das Argument fehlender demokratischer Legitimation im Hinblick auf außenverbindliches generell-abstraktes Handeln der Exekutive verliert mit der Anerkennung einer entsprechenden Legitimation auch der Exekutive bereits viel an Überzeugungskraft Es erscheint darüber hinaus jedoch auch fraglich, ob das Demokratieprinzip eine solche Exklusivität rechtssatzsetzenden außenwirksamen Handeins allein der Legislative zu begründen vermag. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Kalkar-Entscheidung vom 8.8.1978359 festgestellt, daß das Grundgesetz dem Parlament nicht einen allumfassenden Vorrang bei grundlegenden Entscheidungen zuspreche. Das Grundgesetz setze durch die gewaltenteilende Kompetenzzuordnung den Befugnissen des Parlaments vielmehr Grenzen360 . "Das aber schließt es aus, aus dem Grundsatz der parlamentarischen Demokratie einen Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als einen alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielenden Auslegungsgrundsatz herzuleiten" 361 . Das Demokratieprinzip, das auch den nachfolgend3 62 zu behandelnden Vorrang des Gesetzes beinhaltet, begründet also keinen Totalvorbehalt dahingehend, daß nicht auch die Exeku-

353 BVerfGE 49, 89 (125); Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 79 ff.; Gusy, DVBI. 1979, 720 (723); Kistner, NJW 1977, 1313 (1314); Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 106; Schnapp, VVDStRL 43 (1985). 172 (182). 354 Ossenbüh/, Verwaltungsvorschriften, S. 200. 355 Hili, NVwZ 1989, 401 (405). 356 Vgl. An. 58, 76, 82 Abs. I, 84 Abs. 2 bis 5, 85 Abs. 2 bis 4, 91 a Abs. 5, 108 Abs. 7 GG.

357 358 359 360 361 362

1989, 401 (404). 1 (Leitsatz 4 und S. 109). BVerfGE 49, 89. BVerfGE 49, 89 (124). BVerfGE 49, 89 (125 f.); vgl. ferner BVerfGE 68, 1 (Leitsatz 4 und S. 109). Vgl. unten S. 189 f.

HiLI, NVwZ

BVerfGE 68,

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

184

tive in gewissem Maße eigene Verwaltungs- und Gestaltungsaufgaben und die grundsätzliche Möglichkeit zu rechtsatzförmigem außenverbindlichem Handeln haben könnte363. Das Demokratieprinzip steht folglich ebenso wenig wie dasjenige der Gewaltenteilung der Annahme einer gewissen Außenverbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften im Wege.

(3) Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Es stellt sich des weiteren die Frage, ob und in welchem Maße der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der den Vorbehalt und den Vorrang des Gesetzes beinhaltet364 , außenwirksamen Verwaltungsvorschriften entgegensteht. So finden sich im Schrifttum Stellungnahmen, die davon ausgehen, das Gesetzmäßigkeltsprinzip setze allen Bestrebungen, "das Dogma vom nichtnormativem, ausschließlich verwaltungsinternen Charakter der Verwaltungsvorschriften aufzulockern, eine unverrückbare Schranke "365 .

(a) Der Vorbehalt des Gesetzes Die Frage des Gesetzesvorbehaltes ist ein Ausschnitt aus der Gewaltenteilungsproblematik366, so daß nach dem hier vertretenen funktionell-rechtlichen Verständnis der Gewaltenteilung die Frage, ob außenwirksame Verwaltungsvorschriften auch vor dem Vorbehalt des Gesetzes Bestand haben können, letztlich danach zu beantworten ist, inwieweit rechtssatzförmiges Handeln jeweils in den Funktionskreis der Verwaltung fallen kann367 . Die zu bestimmende Grenzlinie rechtssatzförmigen Handeins der Legislative mit entsprechenden Konsequenzen für die Exekutive wird durch den Vorbehalt des Gesetzes gezogen. Wo außenwirksame Rechtsetzung dem Gesetzgeber ver363

Ausführlich gegen den Totalvort>ehalt Ossenhühl, Verwaltungsvorschriften, S. 2 11 ff.

364 Vgl. nur Gusy , DVBI. 1979, 720 (723): O.v.venbühl, in: Jsensee/Kirchhof, § 62

Run. 1 ff .

365

So Breuer. DVBI. 197X, 28 (30): ders .. NVwZ 1988, 104 (112), vertritt diese Ansicht

auch im Anschlufl an die Verwaltungsvorschriften normkonkretisierende Funktion zukommen lassende Rechtsprechung: et>enso Biinker. Umweltstandards. S. 72 ff. : den .. DVBI. 1992, 804 (808 f.); Fischer. S. 122; auch schon Riegel, BB 1976, 1632 (1633).

366 Erbguth. DVBI. 1989. 473 (480); Os.venbiihl, in : lmrsee!Kirchhof, § 62 367 Vgl. zu diesa Fragestellung Schriider. Verwaltungsvorschriften, S. 64.

Rdn . 7.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

185

fassungsrechtlich vorbehalten ist, muß dies der Verwaltung verschlossen bleiben. Die vor dem Hintergrund von Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip grundsätzlich bejahbaren Möglichkeiten außenwirksamen rechtssatzförmigen Handeins der Exekutive werden im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes entscheidend bestimmt durch die Wesentlichkeitstheorie368 . Simplifiziert besagt diese, daß alle wesentlichen Entscheidungen im Staat, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, dem Parlament vorbehalten sind369 . Neben einem damit auszumachenden Parlamentsvorbehalt - der auch andere Entscheidungen dieses Verfassungsorgans als solche durch Gesetz offenläßt370 - gilt der Gesetzesvorbehalt in der Form, daß Eingriffe in den Rechtskreis des Bürgers der Rechtfertigung durch Gesetz bedürfen371 . Auch hier gilt aber, daß der Eingriff nicht vollständig gesetzlich vorgezeichnet sein muß, sondern das Kriterium der Wesentlichkeit insofern wieder ausschlaggebend ist. Der Gesetzesvorbehalt hat damit im Hinblick auf das Kriterium der Wesentlichkeit zwei Ausprägungen: Zum einen geht es um das "Ob" der Regelung einer Materie, um die Bestimmung der vom Gesetzesvorbehalt erfaßten Gegenstände und Sachbereiche, zum anderen um das "Wie", die Frage der Regelungsdichte372 • Nach dem Verständnis der eine Außenwirksamkeit von Verwaltungsvorschriften ablehnenden Literaten ist im Hinblick auf den durch das Kriterium der Wesentlichkeit gekennzeichneten Gesetzesvorbehalt davon auszugehen, daß der Gesetzesvorbehalt vor allen Dingen die Zuweisung der Regelungsaufgabe "Gesetz" an die Legislative begründet und darüber hinaus zur Begründung der Begrenzung der Delegationsmöglichkeiten außenwirksamer Rechtssetzung an die Exekutive auf die Form von Rechtsverordnungen heranzuziehen ist373 . Dieser Ansicht, nach der generell-abstrakte Regelungen grundsätzlich immer durch den Gesetzgeber und nur ausnahmsweise im Wege der Delegation durch die Verwaltung getroffen werden können, ist entgegenzuhalten, daß sie, wie nachfolgend noch näher skizziert werden soll, verfassungsrechtlich nicht zwingend ist. Außerdem ist sie verfassungspolitischen Beden368 Vgl. dazu BVerfGE 34, 165 (192 f.); BVerfGE 40, 237 (248 ff.); BVerfGE 45, 400 (417 f.); BVerfGE 49, 89 (126 f.) ; BVerfGE 47, 46 (78 f.) ; BVerfGE 58, 257 (268 f.); BVerfGE 61, 260 (275); Erbguth, DVBI. 1989, 473 (480); Ossenbühl, in: lsensee/Kirchhof, § 62 Rdn . 41 ff.

369 BVerfGE 49, 89 (126); vgl. ferner die Nachweise in der vorangehenden Fußnote. 370 Ossenbühl, in: /sensee/Kirchhof, § 62 Rdn. 39. 371 Ossenbühl, in: lsensee/Kirchhof, § 62 Rdn. 40. 372 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 392; Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 66. 373 Vgl. dazu Bönker, Umweltstandards, S. 88, 128 ff.; ders., DVBI. 1992, 804 (809 ff.);

Kloepfer, JZ 1984, 685 (692 f .).

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

ken insofern ausgesetzt, als die mit ihr verbundene Forderung nach mehr Gesetzen und gesetzesgebundener Verordnungsgebung die Tendenz der Überlastung der Gesetzgebungsorgane weiter verstärken dürfte374 . Rechtspolitisch scheint es da wünschenswerter, einen umfassenden Gesetzesvorhalt hinsichtlich der Regelungsmaterie, also des "Ob" der Regelung, mit einer entsprechenden Lockerung hinsichtlich des "Wie", also der Regelungsdichte, zu verbinden375. Im Unterschied zur soeben dargestellten Gegenansicht ist der Gesetzes vorbehalt im Hinblick auf das ihm übergeordnete Prinzip der Gewaltenteilung im Zusammenhang eines funktionell-rechtlichen Gewaltenteilungsverständnisses zu interpretieren376 . Böckenförde hat aus der Wesentlichkeltstheorie deshalb zu Recht den Umkehrschluß abgeleitet, "daß eine gesetzesabhängige, spezifizierende und konkretisierende Rechtssetzung, die keine dem Kriterium der Wesentlichkelt unterfallenden Regelungen trifft, zum Funktionsbereich der Exekutive gehört "377 . Letztlich ist der Gesetzesvorbehalt unter der Wesentlichkeltstheorie im demokratischen Rechtsstaat im Gegensatz zur politischen Ausgangslage im 19. Jahrhundert nicht mehr davon bestimmt, "dem Parlament Kompetenzen vor einer Machtusurpation durch die Exekutive zu bewahren, sondern das Parlament anzuhalten, von seinen nur ihm zustehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzen auch wirklich Gebrauch zu machen und nicht durch eine 'Flucht aus der Verantwortung'" der Exekutive zu überlassen378 . Geht es aber unter den Blickwinkel des Gesetzesvorbehaltes nicht mehr primär darum, die Legislative vor rechtsatzförmigem Handeln der Exekutive zu schützen. sondern sie zur Regelung durch Gesetz anzuhalten, so muß für viele Lebensbereiche aufgrund von Gesichtspunkten faktischer Regelungsmöglichkeiten die Vorgabe nur des Wesentlichen im Gesetz genügen. Wo aber solche Wesentlichkeil zu verneinen ist, besteht deshalb die Möglichkeit der Verwaltung zu rechtsatzförmigem Handeln379 , ohne daß sich aus dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes Restriktionen ergeben könnten. Was aber nun jeweils "wesentlich" ist, die Bestimmung also des Kriteriums der Wesentlichkeit selbst, ist noch längst nicht abschließend geklärt380 . Das 374 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 67. 375 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 68. 376 Vgl. nur Ossenbühl, in: lsensee/Kirchhof, § 62 Rdn. 48. 377 Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 394; zustimmend Ossenbühl, in: lsensee!Kirchhof, § 62 Rdn. 50. 378 Ossenbühl, in: lsensee!Kirchhof, § 62 Rdn. 37. 379 Ossenbühl, in: lsensee!Kirchhof, § 62 Rdn. 60 ff. 380 So ausdrücklich BVerfGE 51, 268 (290); Ossenbühl, in: /sensee!Kirchhof, § 62 Rdn. 46.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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Bundesverfassungsgericht sieht als Indiz für die Wesentlichkeit eine mögliche Grundrechtsbetroffenheit der Bürger im Hinblick auf ihren Rechtskreis an381 . Zumindest bei in normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften niedergelegten Umweltstandards wird eine solche Grundrechtsrelevanz regelmäßig vorliegen, da hier beispielsweise im Hinblick auf Industrieanlagen oft immense Investitionsentscheidungen oder auf den Gesundheitsschutz bedeutsame Festsetzungen getroffen werden. Art. 12 Abs. I S. 1 GG, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind als thematisch hinsichtlich ihres Schutzbereiches möglicherweise einschlägige Grundrechte als Beispiele anzuführen382. Eine Orientierung im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie allein am Kriterium der möglichen Grundrechtsrelevanz würde also im Bereich der Umweltstandards zur Notwendigkeit einer Regelung in Form des Parlamentsgesetzes führen383 . Das Bundesverfassungsgericht hat in der Kalkar-Entscheidung jedoch anerkannt, daß der Gesetzgeber im Bereich des Umwelt- und Technikrechts gerade im Hinblick auf eine "Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes" die "laufende Anpassung der für eine Risikobeurteilung maßgeblichen Umstände an den jeweils neuesten Erkenntnisstand" in die "Hand der Exekutive" geben muß 384 . Entscheidend werden damit also auch bei der Bestimmung der Wesentlichkeit im Hinblick auf die Reichweite des Gesetzesvorbehaltes funktionell-rechtliche Betrachtungen der Gewaltenteilung, also Anforderungen an die Verteilung der Staatsfunktionen unter der Maßgabe, daß diese mit dem Ziel eines jeweils optimalen Entscheidungsprozesses auf die nach ihrer inneren Struktur, Besetzung und Arbeitsweise geeignetsten Verfassungsorgane verteilt werden385 . Angesichts der Besonderheiten des Regelungsgegenstandes und der sich rasch ändernden tatsächlichen Verhältnisse ist im Umwelt- und Technikrecht deshalb seit der KalkarEntscheidung des Bundesverfassungsgerichtes386 auch nicht mehr umstritten, daß der Gesetzgeber seiner Regelungspflicht genügt und damit das Wesentliche in Gesetzesform festlegt, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, die begriffsnotwendig der Konkretisierung durch die Exekutive bedürfen387 . Die Entscheidung hinsichtlich des "Ob" der Regelung wird entsprechend dem Gesetzesvorbehalt im hier verstandenen Sinne folglich mittels der unbestimmten Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber getroffen, der 381 BVerfGE 34, 165 (192 f.); BVerfGE 40, 237 (249); BVerfGE 45, 400 (417 f.); BVerfGE 47, 46 (78 f.); BVerfGE 49, 89 (126); BVerfGE 58, 257 (268 f.): BVerfGE 61, 260 (275). 382 Bönker, Umweltstandards, S. 78 ff.; ders., DVBI. 1992, 804 (808).

383 384 385 386 387

So denn auch Bönker, Umweltstandards, S. 85 ff.; ders., DVBI. 1992, 804 (808). BVerfGE 49, 89 (139 f.). Ossenbühl, in: Isensee!Kirchhof, § 62 Rdn. 48 f; Schröder, DVBI. 1984, 814 (822). Insbesondere BVerfGE 49, 89 (129, 133 ff.). Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2235); Hili, NVwZ 1989, 401 (403).

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Exekutive obliegt allein die Ausgestaltung des "Wie". Mit der Zuerkennung derartiger ausfüllungsbedürftiger Spielräume hat der Gesetzgeber also den Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen die Exekutive von ihren Möglichkeiten auch generell-abstrakten Handeins Gebrauch machen kann. Die Funktion der Exekutive ist zuförderst der Gesetzesvollzug. Dabei kann sie auf dem Weg vom Gesetz zum Einzelfall einen Zwischenschritt in Form der generellabstrakten Verwaltungsvorschrift einlegen388 . Inhalt und Grenzen der Konkretisierung ergeben sich dabei zwangsläufig aus dem jeweiligen Gesetz, das allein Maßstab für entsprechendes Verwaltungshandeln sein kann389 . Daß derartigem exekutivischem Handeln dann Außenwirkung zukommen kann, wird durch den Gesetzesvorbehalt zwar nicht erfordert, aber er steht einer solchen Wirkung auch nicht entgegen, da es bei den Regelungen normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften ja bereits begriffsnotwendig nur um die - wenn auch rechtssatzförmige - Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben durch die Exekutive geht und deshalb die wesentliche Regelung im Gesetz selbst getroffen ist. Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften stehen deshalb außerhalb des Bereiches der "Wesentlichkeit". Streitig ist unter den Vertretern einer Außenwirksamkeit von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, ob "Rechtserzeugung als Teil der Kompetenz der Exekutive" 390 dieser originär und damit verfassungsunmittelbar, aber im Rahmen gesetzgeberischer Vorgaben391 , oder abgeleitet392 und deshalb zwangsläufig ebenso gesetzesabhängig zugewiesen ist. Dies spielt angesichts der in beiden Fällen zu bejahenden Vorgabe des Gesetzes für die Konkretisierung durch Verwaltungsvorschriften keine Rolle für die Frage der Anerkennung einer Außenwirksamkeit derselben im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt393.

388 Gusy,

DVBI. 1987, 497 (498); ihm folgend Erbguth, DVBI. 1989, 473 (484 Fn. 170);

vgl. auch Krebs , VerwArch. 1979, 259 (269).

389 Gusy, DVBI. 1987, 497 (499). 390 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237). 391 Beckmann, DVBI. 1987, 611 (617); Erbguth ,

DVBI. 1989, 473 (481); Krebs,

VerwArch. 70 (1979). 259 (269); Ossenbüh/, in: lsensee/Kirchhof, § 62 Rdn . 50; Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 64.

392 Trute,

S. 322 f., der aber dennoch die Außenwirksamkeit normkonkretisierender Ver-

waltungsvorschriften - im Hinblick auf eine der Exekutive durch die Legislative eingeräumte Letztentscheidungsbefugnis - bejaht, S. 321 ff., insbesondere S. 330; der Ausschluß einer originären Rechtsetzungsfunktion der Exekutive stimmt aber mit der Prämisse der Gegner jeglicher Möglichkeiten außenwirksamer Verwaltungsvorschriften überein, vgl. dazu oben unter Fn. 365 und Fn. 373.

393

Vgl. dazu unten S. 192 f.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

189

Allerdings handelt es sich bei der Befugnis zum Handeln durch außenwirksame Verwaltungsvorschriften nur um eine "Restkompetenz" der Verwaltung, die jederzeit durch Tätigwerden des Gesetzgebers verdrängt werden kann3 94 . Ihr unliebsame Entwicklungen inhaltlicher Art im Regelungsbereich normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften kann die Legislative stets durch Änderungen der gesetzlichen Vorgaben beeinflussen395 , so daß sie immer die Kontrolle über die Entwicklungen beispielsweise im Bereich der Umweltstandards behält. Die Möglichkeit, gesetzliche Novellierungsschritte mit Blick entweder auf die Bestätigung oder aber die Veränderungsbedürftigkeit von Umweltstandards zu überprüfen, verdeutlicht die Wahrung des Gesetzesvorbehalts auch im Hinblick auf die Festlegung von Umweltstandards in mit Außenwirkung versehenen Verwaltungsvorschriften396 . Solange und soweit Umweltstandards nicht legislativ rechtsatzförmig festgelegt werden, ist es der Exekutive verfassungsrechtlich nicht verwehrt, hier generell-abstrakte außenwirksame Regelungen zu treffen. Im Gegenteil : Wie noch zu zeigen sein wird, kann hier meist nur eine Regelung in Form von Verwaltungsvorschriften erfolgen397 .

(b) Der Vorrang des Gesetzes Das Gesetzmäßigkeitsprinzip beinhaltet neben dem Vorbehalt den Vorrang des Gesetzes. Dieser richtet sich in erster Linie an die Exekutive und besagt, daß das Gesetz als die "oberste Art von Staatswillen" 398 den Vorrang gegenüber allen untergesetzlichen Regelungen und Anordnungen der Staatsgewalt innehat. Die Bindung der vollziehenden Gewalt an das Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG beinhaltet deshalb das zwingende Gebot, Gesetze anzuwenden, und das Verbot, gegen das Gesetz zu verstoßen. Das Gesetz ist für die Verwaltung damit sowohl Auftrag und Ermächtigung als auch Schranke399 .

394 Ossenbühl, in: Isensee!Kirchhof , § 62 Rdn. 60. 395 Daß der Gesetzgeber auf die in Verwaltungsvorschriften niedergelegten Umweltstandards tatsächlich reagiert, verdeutlicht das Beispiel der Festsetzung des zusätzlichen Anforderungsniveaus des Standes der Technik in § 7 a Abs. I WHG im Zuge der 5. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz (vgl. dazu oben S. 122). 396 Salzwedel, in: lsensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 25. 397 Zur Tauglichkeit von Gesetz und Rechtsverordnung als Rechtsform zur Festlegung von Umweltstandards vgl. unten S. 268 ff. 398 Mayer, S. 64. 399 Vgl. zum Ganzen Ossenbühl, in: Isensee!Kirchhof, § 62 Rdn. I ff.

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Im Hinblick auf außenwirksame normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sind keine Bedenken aufgrund des Gesetzesvorrangs zu sehen. Es steht außer Zweifel, daß nach dem hier vertretenen Ansatz solche Verwaltungsvorschriften das Gesetz jeweils konkretisieren und sich dabei begriffsnotwendig an die jeweiligen gesetzlichen Vorgaben halten und Widersprüche zu diesen vermeiden müssen, so daß eine den Vorrang des Gesetzes unterlaufende Entwicklung durch die Annahme einer Außenwirksamkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften nicht zu besorgen ist400 .

(4) Art. 80 Abs. 1 GG Der Annahme einer Außenwirkung von Verwaltungsvorschriften wird entgegengehalten, daß damit "eine wirkungsgleiche Konkurrenz von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften" entstände, die den Begrenzungen, die dem Verordnungsrecht der Exekutive durch Art. 80 GG verfassungsrechtlich gesetzt seien, nicht standhalten könne401 • Letztlich wird damit behauptet, außenwirksame normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften würden insofern gegen Art. 80 Abs. 1 GG verstoßen, als in dieser Vorschrift abschließend Form und Voraussetzungen administrativen rechtssatzförmigen Handeins geregelt seien402 . Soweit die Exekutive durch Verwaltungsvorschriften verbindliche generell-abstrakte Regelungen treffen könnte, würde nach dieser Ansicht das Erfordernis einer speziellen Delegationsnorm unterlaufen. Es stellt sich somit die Frage, ob Art. 80 Abs. 1 GG richtig verstanden wird, wenn man aus dieser Vorschrift ableitet, daß es für die Exekutive neben der vom Gesetzgeber ausdrücklich eingeräumten Befugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen keine Möglichkeiten außenwirksamen abstrakt-generellen Handeins gibt.

(a) Systematische Interpretation des Art. 80 GG Eine systematische Interpretation des Art. 80 GG zeigt auf, daß diese Vorschrift im Grundgesetz ihren Platz im Rahmen des VII. Abschnittes, der Regelung der Gesetzgebung des Bundes, und damit im Zusammenhang mit dem Funktionsbereich der Legislative findet. Das Bundesverfassungsgericht hat 400 Ebenso Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 69. 401 Breuer, NVwZ 1988, 104 (112). 402 Kloepfer/Brandner, ZfW 1989, 1 (4); Maurer, VVDStRL 43 (1985), 135 (162 f.); Riegel, 88 1976, 1632 (1633); Schenke, DÖV 1977, 27 (29).

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

191

deshalb in der Kalkar-Entscheidung zutreffend festgestellt, daß Art. 80 Abs. 1 GG auch als "Ausprägung" des allgemeinen Gesetzesvorbehaltes anzusehen sei403. Eine Interpretation des Art. 80 Abs. 1 GG im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt und letztlich auf ein funktionell-rechtliches Gewaltenteilungsverständnis macht deutlich, daß nur die "wesentlichen" grundrechtsrelevanten Entscheidungen bei der Legislative liegen404 . Art. 80 GG betrifft in diesem Zusammenhang aber gerade den Bereich - und verschärft deshalb auch hier die rechtsstaatliehen Anforderungen -, in dem aufgrund des Gesetzesvorbehaltes grundsätzlich der Gesetzgeber zur Regelung verpflichtet ist und die Exekutive Rechtssetzungsfunktionen nur in delegierter Form übernimmt405 . Außerhalb des Bereiches der Wesentlichkeit, also nunmehr im Funktionsbereich der Exekutive und nicht mehr der Legislative, begrenzt das Gesetz nur noch den Handlungsspielraum der Verwaltung, ohne ihn aber zu begründen406. Art. 80 Abs. 1 GG schließt es also insofern nicht aus, einen Bedarf an Gesetzeskonkretisierung in generell-abstrakter Form durch die Verwaltung anzunehmen407 . Auch Art. 80 Abs. 1 GG soll - insoweit können demnach Parallelen zum geänderten Verständnis des Gesetzesvorbehaltes gezogen werden408 - letztlich nicht den Handlungsspielraum der Exekutive verkürzen, sondern verhindern, daß die Gesetzgebungsorgane sich der ihnen zugewiesenen Aufgabe entziehen409 . Art. 80 Abs. 1 GG regelt deshalb- und insofern ist diese Vorschrift tatsächlich abschließend - die Zulässigkeil möglicher Rechtsetzungsdelegation vom Parlament auf die Exekutive410 • Die Verwaltung nimmt hier demnach Fremdfunktionen wahr und handelt aufgrundderivativer Kompetenz. Wenn man aber das Handeln der Verwaltung bei Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften als im eigenen Funktionsbereich der Exekutive und nicht der Legislative angesiedelt einstufen kann, so macht dies eine eigene Funktion der Verwaltung zur Rechtskonkretisierung in abstrakt-genereller Form aus411 . Deshalb kann man insofern Art. 80 GG thematisch außen vor lassen.

403 BVerfGE 49, 89 (127). 404 Vgl. oben S. 185 ff. 405 Beckmann, DVBI. 1987, 611 (617); Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 71. 406 Beckmann, DVBI. 1987,611 (617); Schröder, Verwalrungsvorschriften, S. 71. 407 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237). 408 Vgl. oben S. 183. 409 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237); Schröder, Verwaltungsvorschriften, S . 70. 410 Hili, NVwZ 1989, 401 (405); Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 71. 411 Hili, NVwZ 1989, 401 (405).

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Hier ergibt eine systematische Interpretation des Grundgesetzes mit Blick auf dessen VIII. Abschnitt und damit die Art. 83 ff. GG darüber hinaus, daß die Exekutive Gesetze ausführen muß und deshalb die Befugnis zur Einzelfallentscheidung hat. Das impliziert ihre Kompetenz zum Erlaß von auf den Vollzug gerichteten generell-abstrakten Regelungen. Die Zulässigkeit von deren Außennwirkung folgt wiederum aus der Vollzugsorientiertheit und Bürgergerichtetheit derselben, soweit es sich um normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften handelt412 . Erbguth hat deshalb zu Recht festgestellt, "die verfassungsrechtlich über Art. 83 ff. GG verbürgte Befugnis der Exekutive zur Einzelfallentscheidung gilt für jegliches Verwaltungshandeln, legitimiert mithin potentiell auch im Geltungsbereich des Gesetzesvorbehalts den außengerichteten Erlaß von Verwaltungsvorschriften - findet hierin freilich auch ihre Grenze" 413 . Die Annahme einer Eigenfunktion der Exekutive beim Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften bedeutet damit aber eine eigene bzw. originäre Rechtsetzungsbefugnis im Gegensatz zur abgeleiteten im Sinne des Art. 80 Abs. 1 GG414 .

(b)

Gesetzliche Ermächtigung der Exekutive zur Normkonkretisierung oder originäre Rechtserzeugungskompetenz?

In diesem Zusammenhang wird die Auffassung vertreten, daß sich bei Zugrundelegung der normativen Ermächtigungslehre die Konsequenz ergebe, daß die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften nur über das Gesetz vermittelt werden und deshalb nicht eine originäre Rechtserzeugungskompetenz der Exekutive, sondern nur eine gesetzliche Ermächtigung zur Normkonkretisierung bejaht werden könnte415 , was wiederum im Zusammenhang des Art. 80 Abs. 1 GG nur für Rechtsverordnungen zulässig wäre. Eine derartige Konsequenz ist jedoch nicht zwangsläufig. Auch wenn man der normativen Ermächtigungslehre folgt, so besagt deren Grundaussage, daß 412 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (480 f.); vgl. auch Hili, NVwZ 1989, 401 (405). 413 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (481). 414 Vgl. dazu schon oben S. 188. 415 Trute, S. 321 Fn. 105, S. 322 f.; so ist wohl auch Jarass, NJW 1987, 1225 (1229) zu

verstehen, der formuliert: "Vielmehr müssen sich aus dem einschlägigen Gesetz Anhaltspunkte dafür anführen lassen, daß die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs letztverantwortlich und nur begrenzt kontrollierbar der Exekutive zugewiesen ist. Es muß eine Standardisierungsermächtigung nachgewiesen werden."

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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der Gesetzgeber der Verwaltung Entscheidungsspielräume zuweisen kann, nichts darüber aus, ob nicht die Entscheidung selbst originär der Verwaltung ohne Ableitung vom Gesetzgeber zusteht und lediglich der jeweilige Entscheidungsumfang durch die begriffsnotwendige Vorgabe durch das jeweilige Gesetz von der Legislative bestimmt wird. Deshalb ist es überzeugend, wenn Ossenbühl feststellt416 : "Die Gesetzesabhängigkeit betrifft nur den Inhalt und Umfang des exekutiven Verordnungsrechts417 , nicht hingegen dessen Rechtsgrundlage. Diese besteht ohne besondere Ermächtigung. Deshalb ist das Verordnungsrecht der Exekutive "originär", d.h. ihrem verfassungsrechtlichen Funktionsbereich immanent, nicht vom Gesetzgeber abgeleitet". Daß die Exekutive das funktionell geeignetste Verfassungsorgan für bestimmtes Handeln ist, haben ja sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht anerkannt. Die funktionell-rechtliche Sicht der Gewaltenteilung führt deshalb zur Annahme einer eigenen Kompetenz der Exekutive zur Konkretisierung in abstrakt-genereller Form von Gesetzen, so daß Art. 80 Abs. 1 GG nicht abschließend die Möglichkeiten rechtsatzförmigen Handeins der Exekutive bestimmt.

(c) Mangelnde legislative Dezision aufgrundfehlender gesetzlicher Dezisionierbarkeit Allerdings bedarf es noch einer Rechtfertigung am Maßstab der Funktionalität grundgesetzlicher Kompetenzzuweisungen, warum die Exekutive hinsichtlich der Gesetzeskonkretisierung außenwirksame Verwaltungsvorschriften und nicht Rechtsverordnungen wählen darf. Bereits mehrfach wurde betont, daß die Verwaltung im Verhältnis zur Legislative weitaus qualifizierter hinsichtlich der Festsetzung der Umweltstandards ist. Der Gesetzgeber könnte sich die diesbezüglich vorliegende besondere Kompetenz der Verwaltung grundsätzlich aber auch im Wege derivativer Rechtsetzung der Exekutive über Rechtsverordnungen nach Art. 80 GG zu eigen machen. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG verlangt jedoch für die Ermächtigung zur Rechtsverordnung, daß dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Eine Delegation im Sinne des Art. 80 GG setzt deshalb voraus , daß der Gesetzgeber eine hinreichend bestimmte Ermächtigung für den Verordnungserlaß zu liefern vermag. Wo der Gesetzgeber im Hinblick auf den zugrundeliegenden Regelungsbereich zu einer solchen Bindung an ein bestimmtes Gesetzesprogramm nicht in der Lage ist, 416 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, § 62 Rdn. 50 Fn. 141. 417 Gemeint sind hier ersichtlich Verwaltungsvorschriften. 13 Kaster

194

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

also in Fällen "mangelnder legislativer Dezision aufgrund fehlender gesetzlicher Dezisionierbarkeit "418, muß deshalb eine Delegation nach Art. 80 GG scheitern419 . Hier eröffnet sich deshalb der Bereich eigener Rechtserzeugungskompetenzen der Verwaltung, die im Eigenfunktionsbereich einer tendenziell geringeren Bindung mit einem entsprechend größeren Bereich zur Eigenprogrammierung als beim Erlaß von Rechtsverordnungen unterliegt420. Während die Verwaltung beim Erlaß von Rechtsverordnungen an ein bestimmtes Gesetzesprogramm gebunden ist, ist sie beim Erlaß von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften lediglich zur Erfüllung ihrer gesetzlich begründeten Vollzugsaufgabe gehalten421 . Daß die Voraussetzungen der Bestimmtheitstrias des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG im Hinblick auf Umwelt- und Technikstandards häufig nicht erfüllbar sind, bedarf keiner langen Ausführungen422 . Wirkliche inhaltliche Vorgaben beispielsweise sind bei Umweltstandards kaum möglich. Die Angabe nur eines zu verwirklichenden Technikniveaus, wie dies in § 7 a Abs. I WHG mit den allgemein anerkannten Regeln und dem Stand der Technik geschieht, vermag noch nicht naturwissenschaftliche und technische Vorgaben selbst zu liefern. Der Gesetzgeber müßte hier weitergehende Ansatzpunkte bereitstellen, um die Möglichkeit zu eröffnen, von einer gesetzesgesteuerten Normsetzung der Exekutive sprechen zu können. Die vielfältigen beim Erlaß entsprechender Umweltstandards zu treffenden Abwägungen, beispielsweise am Maßstab der Verhältnismäßigkeit, oder Progammierungsleistungen bei der Festlegung von Vorsorgekonzepten, können vom Gesetzgeber nicht vorgegeben werden, wenn nicht der bereits in der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes postulierte dynamische Rechtsgüterschutz423 im Hinblick auf eine laufende Anpassung an den jeweils neuesten Erkenntnisstand unmöglich gemacht werden soll. Aufgrund dieser Unmöglichkeit einer den Anforderungen des Art. 80 Abs. GG entsprechenden legislativen Vorprogrammierbarkeit delegierter Rechtsetzung sind normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften im Funktionsbereich exekutivischen Handeins allein geeignet, um Umwelt- und Technikstandards durch generell-abstrakte Regelungen ohne Einbußen an Rechtsgüterschutz für den Einzelfall vollziehbar zu machen.

418 Erbguth , DVBI. 1989,473 (483). 419 Erbguth. DVBI. 1989,473 (483): Hili. NVwZ 1989, 401 (405) . 420 Erbguth , DVBI. 1989. 473 (483); Hili. NVwZ 1989, 401 (405). 42 1 Hili , NVwZ 1989, 401 (405). 422 Vgl. insofern Krieger, S. 179 ff. 423 BVerfGE 49, 89 (140).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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(5) Art. 19 Abs. 4 GG Art. 19 Abs. 4 GG verbürgt eine vollständige Kontrolle exekutivischer Entscheidungen durch die Gerichte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht424. Dem könnten mit einer Außenwirksamkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften verbundene Restriktionen der gerichtlichen Nachprüfbarkeit derselben entgegenlaufen. Auch Art. 19 Abs. 4 GG ist aber wiederum unter funktionell-rechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die Verteilung der Kompetenzen zwischen den drei Gewalten im Rechtsstaat zu interpretieren. Die normative Ermächtigungslehre - deren dogmatische Begründung darzustellen den hier vorhandenen Rahmen sprengen müßte, und was auch an anderer Stelle bereits ausführlich erfolgt ist425 - hat unter Zugrundelegung funktionell-rechtlicher Gesichtspunkte nachgewiesen, daß der Gesetzgeber unter der Geltung von Art. 19 Abs. 4 GG der Verwaltung Spielräume letztverantwortlicher Entscheidung zuweisen kann . Die funktionell-rechtliche Frage, wer nach seiner Organausstattung und Organstruktur zur Bewältigung der jeweiligen Aufgaben besser gerüstet ist, wird demnach auch im Verhältnis zwischen Exekutive und Gerichtsbarkeit dort zugunsten letzterer beantwortet, wo im Anschluß an die Gesetzgebung noch Ergänzungsleistungen in einem solchem Maße erforderlich sind, daß Konkretisierung in abstrakt-genereller Form durch die Exekutive unverzichtbar ist426. Ist aber Letztentscheidung der Verwaltung gegenüber der Legislative grundsätzlich aus Gesichtspunkten der Funktionenordnung begründbar, so kann auch die Außenwirksamkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Die funktionelle Stellung der Judikative im System verfassungsrechtlich abzuleitender Funktionen verlangt infolgedessen auch nicht mehr als die Kontrolle des Verwaltungshandelns427. Eine solche ist jedoch wie bei der gerichtlichen Inzidentkontrolle von Gesetzen und Rechtsverordnungen auch dann möglich, wenn man normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften eine gewisse AußeP-verbindlichkeit nicht abspricht und sie im Rahmen der Überprüfung von behördlichen Einzel424 Trute, S. 327; vgl. ferner Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, S. 141 ff. Rdn. 335 ff.

425 Vgl. insoweit insbesondere Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art . 19 Abs. 4 GG

Rdn. 185; ferner Badura , Gestaltungsfreiheit und Beurteilungsspielraum, S. 172; Hili, NVwZ 1989, 401 (403, 407); Kind, DÖV 1988, 679 (680 ff.); Trute, S. 313 f.; Wahl, NVwZ 1991, 409 (410 f.) . 426 Vgl. von den Vorgenannten nur Wahl, NVwZ 1991 , 409 (411). 427 Hili, NVwZ 1989, 401 (409). 13"

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

fallentscheidungen von den Gerichten einer dementsprechenden Kontrolle unterzogen werden. Verwaltungsvorschriften sind damit gerichtlich überprüfbar, auch wenn sie keiner Inhaltskontrolle, sondern einer Kontrolle im Hinblick insbesondere auf Verfahren und Maßstäbe ihrer Festsetzung unterliegen428 . Die letztgenannten Kriterien garantieren schließlich die Rechtsstaatlichkeil des Ergebnisses des standard setting429 . Zur Zusammenfassung sei hier noch einmal das Wyhl-Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes zur Vereinbarkeil normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften mit Art. 19 Abs. 4 GG zitiert430: "(Art. 19 Abs. 4 GG431 ) ist, da die Verfassung ein Sinngefüge darstellt, stets in einer Weise auszulegen, daß 'anderen Verfassungsnonnen und -grundsätzen nicht Abbruch getan wird' (BVerfGE 60, 253 [267]), und verlangt nicht mehr als die Kontrolle des Verwaltungshandeins (aaO S. 290). Wo daher ein der Exekutive zugewiesener Vorbehalt vor der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung Bestand hat, kann er nicht durch eine mit ihm unvereinbare Ausweitung der gerichtlichen Kontrollbefugnisse wieder in Frage gestellt werden."

(6) Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 GG Unklarheit besteht darüber, wie sich Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 GG zur Außenwirksamkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften verhalten und welche Bedeutung der ausdrücklichen Erwähnung des Erlassens von Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates zur Konkretisierung von Umwelt- und Technikstandards, wie dies beispielsweise in § 7 a Abs. 1 WHG oder § 48 BlmSchG der Fall ist, im Hinblick auf diese Grundgesetzbestimmung zukommt. Dies ist insofern fraglich, als bereits die zitierten Grundgesetzartikel den Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften mit Zustimmung des Bundesrates vorsehen. Teilweise wird angenommen, eine spezifische gesetzliche Ermächtigung zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften habe im Hinblick auf Art. 84 Abs. 2, 85 Abs. 2 GG und die sich daraus ergebende Ermächtigung zum Erlaß von allein im Verwaltungsinternum wirkenden Verwaltungsvorschriften 428 Vgl. dazu ausführlich unten S. 204 ff. 429 Die Vereinbarkeil außenverbindlicher normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften mit An. 19 Abs. 4 GG bejahen auch VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1297); Degenhardt, NJW 1989, 2435 (2441); Gerhardt, NJW 1989. 2232 (2238); Hili. NVwZ 1989. 401 (407); Trute. S. 327. 430 BVerwGE 72, 300 (317).

431 Verdeutlichung durch den Verfasser.

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

197

nur dann Sinn und Daseinsberechtigung, wenn sie mit einer gewissen gerichtsfreien Beurteilungs- oder Konkretisierungsermächtigung verbunden sei432. Dem ist aber - wie oben bereits dargelegt433 - entgegenzuhalten, daß die Befugnis der Exekutive zum Erlaß außenwirksamer normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften sich nicht erst aus den jeweiligen Spezialgesetzen ergibt, sondern dieser bereits verfassungsunmittelbar und damit originär aufgrund der der Exekutive in der verfassungsrechtlichen Funktionenordnung zugewiesenen Aufgabe zum Vollzug der Gesetze zusteht434 . Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften werden deshalb nicht erst aufgrund einer spezialgesetzlichen Ermächtigung des Gesetzgebers von der Verwaltung erlassen435, es handelt sich hier nicht um derivatives Tätigwerden der Exekutive. Dennoch hat die Erwähnung von Verwaltungsvorschriften in Spezialgesetzen, wie zum Beispiel in§ 7 a Abs. I WHG oder§ 48 BlmSchG, ihren Sinn. Zwar ergibt sich nicht erst aufgrund dieser Vorschriften eine Beurteilungsoder Standardisierungsermächtigung der Legislative an die Exekutive, jedoch geben die Spezialgesetze dadurch den jeweiligen Handlungsrahmen der Verwaltung beim Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften vor. Ohne die Erwähnung der Verwaltungsvorschriften im jeweiligen Spezialgesetz hätte die Verwaltung die Möglichkeit, Umweltstandards entweder in generellabstrakter Form oder aber nur im Wege des Einzelvollzugs festzusetzen. Durch die Erwähnung von Verwaltungsvorschriften legt der Gesetzgeber den Vollzug jedoch auf diese Handlungsform fest und statuiert damit eine entsprechende - und das geht über die insoweit lediglich bestehende Berechtigung nach Art. 84 Abs. 2 GG hinaus - Pflicht der Exekutive zum Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften436 . Darüber hinaus kann der Gesetz432 Papier, Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 162 433 Vgl. oben S. 192 f. 434 Im Hinblick auf den dabei im Zusammenhang mit Art. 84 Abs. 2. 85 Abs. 2 GG normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften zukommenden Regelungscharakter sowie die durch den Erlaß solcher Verwaltungsvorschriften erfolgte Vorformung und Systematisierung der späteren Genehmigungsentscheidungen sei auf die Darstellung von Hill, NVwZ 1989, 401 (406), verwiesen. 435 Deshalb geht auch der Vorwurf von Papier, Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 162, das Bundesverwaltungsgericht müsse sich vorhalten lassen, in der Wyhi-Entscheidung normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften ohne die Herausarbeitung einer e}(ekutivischen Konkretisierungsermächtigung für das Atom- und Strahlenschutzrecht bejaht zu haben. fehl.

436 Eine Pflicht der E}(ekutive zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf

§ 48 BimSchG bejahen auch OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); Rittstieg, S. 204.

198

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

geber - auch dies wird von Art. 84 Abs. 2 GG nicht vorgegeben - spezialgesetzlich die Exekutive im Hinblick auf das Verfahren der Standardsetzung binden, wie dies beispielsweise betreffend der Pflicht zur Anhörung beteiligter Kreise nach § 51 BlmSchG erfolgt ist437 .

(7) Fazit Verfassungsrecht steht der Annahme einer verbindlichen Außenwirksamkeit von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften somit nicht entgegen. Auf der anderen Seite ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Herleitung einer Außenwirksamkeit von Verwaltungsvorschriften sich nicht nur auf entsprechende praktische Bedürfnisse und Notwendigkeiten438 stützen muß. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr in der Kalkar-Entscheidung zu Recht festgestellt439 , und das Bundesverwaltungsgericht ist ihm im Wyhl-Urteil darin ja ausdrücklich gefolgt440 , daß bestimmte Materien aufgrund der zugrundeliegenden Sachgesetzlichkeiten einer Regelung gerade durch die Exekutive und nicht die Legislative bedürfen. Daß dieser dabei ein anderes Instrument außenwirksamen Handeins in abstrakt-genereller Form als das der Rechtsverordnung zur Verfügung stehen muß, konnte nachgewiesen werden441. Die Judikative muß, will man diese Regelungsbefugnis der Exekutive nicht wieder in Frage stellen, bei fehlerfreiem Verfahren und fehlerfreien Grundannahmen442 die Ergebnisse des Verwaltungshandeins bei Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften dann hinnehmen. Letztlich kann nur eine Verbindlichkeit für den Richter und damit auch für den Bürger die Möglichkeit der Verwaltung zu abstrakt-generellem Handeln absichern und gleichzeitig überhaupt erst realisieren. Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb im Wyhl-Urteil zu Recht festgestellt, daß dort, wo ein der Exekutive zugewiesener Vorbehalt vor der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung Bestand hat, dieser nicht wieder durch eine mit ihm unvereinbare Ausweitung der gerichtlichen Kontrollbefugnisse in Frage gestellt werden darf443 . Ein funktionell-rechtliches Gewaltenteilungsverständnis, das die einzelne Aufgabe staatlichen Handeins dem geeignetsten Organ zuweist, gebietet deshalb auch 437 Rittstieg, S. 204.

438 Hili, NVwZ 1989, 401 (402); Rengeling, DVBI. 1986, 265 (269). 439 Vgl. oben bei Fn. 178.

440 Vgl. oben bei Fn. 204. 441 Vgl. oben S. 193 ff.

442 Hier zeichnen sich also bereits die Notwendigkeit, aber auch die Grenzen der gerichtlichen Überpriifung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften ab. 443 Vgl. oben bei Fn. 207 und soeben bereits bei Fn. 430.

IIJ. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

199

eine grundsätzliche Verbindlichkeit von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, solange sich aus der Verfassung keine Ausschließlichkeit der Verbindlichkeit abstrakt-generellen Handeins für die Rechtsform der Rechtsverordnung mit einer Sperre für andere Rechtsquellen ableiten läßt444 . Das an der Funktionsgerechtigkeit der Kompetenzverteilung ausgerichtete Gewaltenteilungsverständnis läßt deshalb auf die Notwendigkeit der Außenverbindlichkeit normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften schließen.

cc) Abgrenzung normkonkretisierender von norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften Klärungsbedarf besteht hinsichtlich der Frage, wann Verwaltungsvorschriften nicht nur als norminterpretierend oder als Ermessensrichtlinien und damit allenfalls indirekt außenwirksam, sondern als normkonkretisierend und damit unmittelbar außenwirksam anzusehen sind. Davon zu trennen ist die Überprüfung, ob eine einzelne erlassene Verwaltungsvorschrift tatsächlich den Anforderungen genügt, die an außenverbindliche Normkonkretisierung zu stellen sind.

(I) Normstruktur

Festzustellen bleibt demnach, wann Verwaltungsvorschriften lediglich norminterpretierenden oder ermessensbindenden und wann sie normkonkretisierenden Charakter haben. Nach dem zuvor Gesagten ist deutlich geworden, daß es dabei angesichts der verfassungsunmittelbaren Kompetenz der Exekutive zu abstrakt -generellem Handeln beim Vollzug von Gesetzen nicht darum geht, eine abgeleitete Standardisierungs- oder Beurteilungsermächtigung auszumachen445, sondern daß nur anhand des jeweiligen Einzelgesetzes festgestellt werden kann, ob dieses der Konkretisierung durch ein vollzugsorientiertes Normprogramm bedarf. Wie aufgezeigt wurde, sind Umweltstandards dadurch gekennzeichnet, daß entsprechende Verwaltungsvorschriften nicht nur formale Abläufe regeln oder Hilfen zur Auslegung oder Ermessensausübung geben446, sondern zugleich Gestaltungen oder politische Wertungen 444 Das wurde bereits aufgezeigt, vgl. oben S. 190 ff. 445 So aber OVG NW. DVBl. 1988, 152 (153): Jarass. NJW 1987, 1225 (1229); Papier, Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 162. 446 Dann wäre an norminterpretierende Verwaltungsvorschriften oder Ermessensrichtlinien zu denken.

200

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

sowie grundlegende Festsetzungen im Hinblick auf Vorsorge- oder Risikobewertungen enthalten und deshalb ein inhaltliches Programm oder politisches Grundkonzept voraussetzen447 . Die Verwaltung ist gegenüber den beiden anderen Gewalten aus Gesichtspunkten einer funktionalen Gewaltenteilung und ihres dabei zu konstatierenden Vorsprungs an bestimmungsgemäßer Ausstattung und besonderer Sachverständigkeit448 dann zur verbindlichen Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe in abstrakt-genereller Form befugt, wenn das jeweilige Gesetz in seiner Anwendung auf den Einzelfall von einer zwischengeschalteten Konkretisierung auf abstrakt-genereller Ebene abhängt, die die von der Norm erfaßten Sachverhalte in ein anwendungsfähiges Programm umsetzt449 und die (Be-) Wertung auch außerrechtlicher Vorgaben einschließt450 , wobei Hi11 451 zuzustimmen ist, der darauf hingewiesen hat, daß Norrnkonkretisierung nicht bloße Subsumtion oder Begriffskonkretisierung bzw. Ermessensrichtlinie ist, sondern immer Normentwicklung, oder, wie Salzwedel452 es formuliert, "normnachschöpferische Bewertung". Ausgehend von der Grunderkenntnis, daß die "Verantwortung für einen wirksamen Gesetzesvollzug bei den Verwaltungsbehörden und nicht bei den Verwaltungsgerichten" 453 liegt und daß der Gesetzgeber weder technische Details regeln noch fortlaufend im Hinblick auf neue technisch-wissenschaftliche Erkenntnisse anpassen kann, ist deshalb jedes einzelne Gesetz im Hinblick auf seine "Normstruktur" 454 darauf hin zu untersuchen, inwieweit entweder unbestimmte Rechtsbegriffe der Ausfüllung durch Umweltstandards bedürfen, die wertende und dezisionistische Elemente beinhalten455 , oder das Gesetz selbst bereits der Verwaltung das erforderliche Vollzugsprogramm durch inhaltliche Vorgaben zur Verfügung stellt. Eine Außenwirkung und damit der normkonkretisierende Charakter von Verwaltungsvorschriften ist deshalb dann anzuerkennen, und somit wäre die Abgrenzung gegenüber norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften getroffen, die lediglich ermessensoder verhaltenslenkende Funktionen haben und allenfalls über das Institut der Selbstbindung der Verwaltung eine mittelbare Außenwirkung erlangen, wenn

447 Hili, NVwZ 1989. 401 (406). 448 Dazu m .w.N. Erhgurh, DYBI. 1989,473 (486). 449 Gerhardr. NJW 1989, 2233 (2237).

450 ErhRlllh . DYBI. 1989. 473 (485 ). 451 Hili, NYwZ 19!19, 401 (406). 452 Sa/zweäel, NYwZ 1987. 276 (278). 453 BYerfGE 61 , !12 (114 f.) (Sashach-Beschlull);

BYerwGE 67. 321 (331).

454 Insoweil ist also dem Wyhi-Uneil des Bundesverwaltungsgerichtes, BYerwGE 72, 300

(3 16), zuzustimmen. 455 Vgl. zu den Charakteristika von Umweltstandards ausführlich ollen S. 172 .

III. Die Abwasservetwaltungsvorschriften

201

Gesetze auf solche Ausfüllung hin angelegt sind456 . Die Verwaltungsvorschriften müssen wirklich normkonkretisierende Umweltstandards enthalten, die sich dadurch von anderen Regelungen abheben, daß Standards nicht allein "richtig" oder "falsch" sind. Ihre Festlegung darf also kein reiner Subsumtionsakt sein, sondern es müssen die skizzierten dezisionistischen und wertenden Elemente vorhanden sein.

Indizien - die jeweils Gründe für die Annahme von Außenverbindlichkeit sein können457 - bei der für jede Norm speziell anzustellende Untersuchung im Hinblick auf ein wie soeben beschriebenes Normkonkretisierungserfordernis sind nachfolgend zu benennen. An erster Stelle ist ein entsprechender spezialgesetzlicher "Auftrag" 458 zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften459 bei der Suche nach Anhaltspunkten, die für einen normspezifischen Verwaltungsvorbehalt sprechen460 , zu nennen461 . Darüber hinaus ist nach Gesetzesstrukturen zu suchen, die insbesondere Optimierungs- oder Dynamisierungsfunktionen im Hinblick auf ein unterhalb der Gesetzesebene zu entwickelndes Konzept bzw. Programm erfüllen und dadurch des Einfließenlassens von Entscheidungsakten mit dezisionistisch-volitiven Elementen statt reiner Rezeption technisch-wissenschaftlich abgeleiteter Regeln bedürfen462 . Bei der Suche nach Indizien, die zur Bejahung des normkonkretisierenden Charakters von Verwaltungsvorschriften herangezogen werden können, ist weiterhin auf gesetzlich besonders vorgeschriebene Verfahrensregeln für den Erlaß von Ver-

456 Salzwedel, in: Jsensee/Kirchhof, § 85 Rdn. 24. 457 Vgl. insoweit OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323). 458 Kutscheidt. Risiken der Technik, S. 133, spricht von einer "auf gesetzlichem Auftrag" beruhenden Konkretisierungsfunktion der Vetwaltungsvorschriften; ebenso Salzwedel, Umweltrechtsnormen, S . 226. der einen "gesetzlichen Regelungsauftrag", der sich an die Exekutive richtet, ausmacht; um Verständnisschwierigkeiten im Hinblick auf die Bestimmung einer entsprechenden entweder originären oder aber abgeleiteten Kompetenz der Exekutive zu vermeiden, sollte man hier den Begriff des "Auftrages" und nicht denjenigen der "Ermächtigung" verwenden, so aber OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323), und Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237); Erbguth, DVBI. 1989, 473 (484), hat zu Recht ausgeführt, daß es letztlich eine rein begriffliche Frage darstellt, ob gesetzliche Vorgaben, die der Vetwaltung nicht nur den Einzelvollzug, sondern auch die Rechtserzeugung im Wege von Vetwaltungsvorschriften ermöglichen, mit "Ermächtigung" bezeichnet werden. 459 Wie z.B. § 7 a Abs. I WHG oder§ 48 BlmSchG. 460 Auf die dann bestehende, spezialgesetzlich begründete Pflicht zur Normkonkretisierung wurde oben bei S. 197 bereits hingewiesen. 461 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237). 462 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237).

202

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

waltungsvorschriften bzw. die Festsetzung von Umweltstandards zu achten463. Schließlich kann als Kontrollüberlegung bei der Suche nach Anhaltspunkten für die Bejahung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften die Beantwortung der Frage weiterhelfen, ob ein Gesetz im Hinblick auf den Einzelfall ohne Zwischenschaltung eines Konzepts oder Programms auf einer abstraktgenerellen Ebene überhaupt konkretisiert und angewandt werden kann. In eine ähnliche Richtung geht es, den negativen Ausgang des gedanklichen Experiments abzuwarten, "ob die Norm sachadäquat vom Einzelfall her mit den Mitteln des Prozeßrechts durch ein Gericht konkretisiert werden kann "464 . Folgendes Schema soll einen Überblick über ein mögliches Modell von Anhaltspunkten bei der Suche nach Normstrukturen bieten, die eine Bejahung des normkonkretisierenden Charakters von im Hinblick auf das jeweilige Gesetz erlassenen Verwaltungsvorschriften ermöglichen465:

(1)

Spezialgesetzlicher Auftrag zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften von der Legislative an die Exekutive

(2)

Bedürfnis nach Konzeptbildung und fortlaufender Fortschreibung bei der Ausgestaltung unbestimmter Rechtsbegriffe und Bedarf an dezisionistisch-volitive Elemente enthaltenden Entscheidungsakten statt reiner Rezeption technisch-wissenschaftlicher Regelungen

(3)

Spezialgesetzliche Verfahrensregeln für das Verfahren des standard setting

(4)

Kontrollüberlegung: Erforderlichkeit einer abstrakt-generellen Regelungsebene zwischen Gesetz und Einzelfallvollzug

463 Als Beispiel sei hier§ 51 BlmSchG genannt; das OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323), betont insoweit das "Verfahren ihres Zustandekommens" als einen der Gründe für die Bejahung der Außenverbindlichkeit der TA Luft; das OVG NW, NVwZ 1991, 1200, hebt darauf ab, daß die TA Luft "insbesondere durch die Art und Weise der Festlegung eine wissenschaftliche Untermauerung" erfahren habe; vgl. auch Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237). 464 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2237). 465 Die Zahlen im Schema beziehen sich nicht auf die Gliederung der Untersuchung selbst.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

203

(2) Standard setting process Damit dient das jeweilige Gesetz als Fundament der Beurteilung dafür, ob eine auf dieser Grundlage erlassene Verwaltungsvorschrift normkonkretisierenden Charakter haben kann oder nicht. Kommt danach aufgrund der gesetzlichen Vorgaben normkonkretisierender Charakter von Verwaltungsvorschriften in Betracht, so ist damit noch nicht festgestellt, ob die einzelne Verwaltungsvorschrift auch wirklich normkonkretisierend und damit außenverbindlich ist. Ob einer einzelnen Verwaltungsvorschrift tatsächlich ein solcher Charakter zugesprochen werden kann, bedarf einer Rechtmäßigkeitsprüfung hinsichtlich der Konkretisierungsleistung der einzelnen Verwaltungsvorschrift. Die Rechtmäßigkeit hängt davon ab, daß das Verfahren der Standardfestsetzung selbst fehlerfrei verlaufen ist, daß also insoweit eine Gewähr für die Beachtlichkeit der Verwaltungsvorschrift gegeben wird. Nur dann, wenn sowohl das Verfahren beim Zustandekommen der Umweltstandards als auch die wesentlichen Grundannahmen bzw. Entscheidungsgrundlagen den Vorgaben des jeweiligen Spezialgesetzes, das durch gerade diese Verwaltungsvorschrift konkretisiert werden soll, entsprechen466 , kann von der Außenverbindlichkeit einer einzelnen Verwaltungsvorschrift als rechtswirksam normkonkretisierend ausgegangen werden467 . Verwaltungsvorschriften, die im Hinblick auf Verfahren und Grundannahmen nicht den Anforderungen des jeweiligen Gesetzes genügen, sind deshalb nicht automatisch völlig unbeachtlich. Sie können jedoch keine Außenverbindlichkeit mehr beanspruchen, so daß der Richter auf einen jeweils inhaltlich anderen Standard zurückgreifen kann, wenn dieser dem gesetzlich vorausgesetzten unbestimmten Rechtsbegriff eher gerecht wird468 . In Betracht kommt dann allenfalls noch eine Heranziehung der Verwaltungsvorschrift zumindest in Teilaussagen als antizipiertes Sachverständigengutachten469 .

466 Hier zeichnet sich also auch bereits der Umfang der gerichtlichen Kontrolle ab, so daß

hinsichtlich der Einzelheiten der Darstellung aufS. 214 ff. verwiesen werden kann, wo das Verfahren beim Zustandekommen der Standards im Hinblick auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzen und Maßstäbe anband der Kriterien formeller Fehler und der Richtigkeit der Grundannahmen überprüft wird. 467 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2238 f.); Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (278). 468 Gerhardt, NJW 1989,2233 (2238); Salzwedel, NVwZ 1987,276 (278).

469 Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (278).

204

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

c) Geltungsbereich normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften und Umfang der gerichtlichen Kontrolldichte

Wenn man normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften eine gewisse Außenverbindlichkeit zukommen läßt, so sind sie im Grundsatz wie andere außenwirksame Rechtsnormen zu behandeln470 . Es stellt sich dann jedoch die Frage nach einer genauen Bestimmung ihres Geltungsbereiches und nach der Art und dem Umfang ihrer gerichtlichen Kontrolle.

aa) Geltungsbereich und Anwendbarkeit

Verwaltungsvorschriften gelten grundsätzlich - und das trifft sowohl gegenüber Gerichten als auch gegenüber Dritten und den direkt angewiesenen behördlichen Organwaltem zu - nicht absolut, sondern nur begrenzt471 . Entsprechend ist der Umfang der Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften ein reduzierter. Fraglich ist, wieweit aber als außenwirksam charakterisierte Verwaltungsvorschriften keine Geltungskraft beanspruchen können.

(1) Atypischer Sachverhalt

Im Hinblick auf die normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften zugestandene Außenwirksamkeit wird generell davon ausgegangen, daß diese einem Sonderfallvorbehalt unterliegen, oder mit anderen Worten, daß sie in atypischen Fällen keine Anwendung finden, so daß dann die für den Einzelvollzug verantwortliche Stelle und das Gericht bei der Anwendung der Verwaltungsvorschrift nicht an den Inhalt der Verwaltungsvorschrift gebunden sind472 . Das leuchtet sofort ein, soweit es sich um die allenfalls mittelbar über das Institut der Selbstbindung der Verwaltung außenwirksamen Verwaltungsvorschriften handelt. Das ist bei Ermessensrichtlinien beispielsweise darauf zu470 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (484); Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2239). 471 Hili, NVwZ 1989, 401 (409). 472 VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1298); OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); vgl. auch BVerwGE 55, 250 (261); Breuer, NVwZ 1988, 104 (111); Ebguth, DVBI. 1989, 473 (484); Hili, NVwZ 1989, 401 (409); Jarass, NJW 1987, 1225 (1230); Lübbe-Wolff, Grundwasserschutz, S. 153 Fn. 56; Papier, Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 166; Vollendar, Praktizierung von Luft-Immissionswerten, S. 160.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

205

rückzuführen, daß das Ermessen der Verwaltung im Einzelfall nicht bereits durch eine abstrakt-generelle Entscheidung vorwegbestimmt sein darf, was letztlich auf eine unzulässige Nichtbetätigung des Ermessens hinauslaufen würde473 . Soweit es um normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften geht, die im Unterschied zu dem gerade genannten Typus von Verwaltungsvorschriften nach der zuvor getroffenen Feststellung grundsätzlich wie außenwirksame Rechtsvorschriften angewandt werden sollen, bedarf die Bejahung der Nichtbeachtlichkeit derselben in atypischen Fällen als Ausnahme von diesem Grundsatz einer gesonderten Betrachtung. Unter atypisch versteht man dabei "Sachverhalte, die der Vorschriftengeber bei der von ihm notwendigerweise anzustellenden generellen Betrachtung nicht regeln konnte und wollte" 474 . Otto Bachof hat den Sonderfallvorbehalt folgendermaßen charakterisiert475 : "Der Sonderfallvorbehalt besagt, daß die angewiesene Behörde -unter Berücksichtigung der besonderen, in der Verwaltungsvorschrift vielleicht nicht gesehenen oder übergangenen Fälle - im Einzelfall anders muß handeln können als es die Verwaltungsvorschrift vorsieht." Abweichungen von der Verwaltungsvorschrift lassen sich dabei wie Abweichungen von (anderen) Rechtsnormen in zwei Grundtypen unterscheiden476:

(a) Nichterfassen des Sachverhaltes

Weist der Sachverhalt Besonderheiten auf, die in bezug auf die jeweiligen generell-abstrakten Regelungen erheblich sind und eine Subsumtion unter dieselben ausschließen, dann liegt ein Fall vor, der von der Norm nicht erfaßt wird. Es ist zwangsläufig, daß eine Verwaltungsvorschrift in solchen Fällen nicht angewandt werden kann, so daß, wie dies auch bei anderen Rechtsnormen geschehen würde, die Einzelfallentscheidung unter Heranziehung anderer rechtlicher Vorgaben fallen müßte. In bezug auf nicht anwendbare Verwaltungsvorschriften ist dann daran zu denken, Handlungsvorgaben unmittelbar aus dem Gesetz abzuleiten477 . 473 474 475 476

Vgl. Ossenbüh/, in: /sensee/Kirchhof, § 65 Rdn. 52. OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); Jarass, NJW 1987, 1225 (1230) .

Bachof, VVDStRL 40 (1982), 310 (311 ). Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 85.

477 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 85 .

206

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Aufgrund der Schwierigkeiten, überhaupt über den Einzelfall hinausgehende abstrakt-generelle Regelungen im Bereich der Umweltstandards zu treffen, ist der atypische Fall, der keine Berücksichtigung in der Regelung gefunden hat, oft der NormalfalL Ein solches Problem ergibt sich beispielsweise für den Anwendungsbereich der einzelnen Abwasserverwaltungsvorschriften bzw. der Anhänge zur Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift, soweit es dort heißt, daß Abwassereinleitungen in den Anwendungsbereich eines Anhangs oder einer Abwasserverwaltungsvorschrift fallen, soweit die Schmutzfracht einer Einleitung "im wesentlichen" 478 aus einem bestimmten Herkunftshereich stammt479 . Eine Festlegung auf einen der in den Anhängen der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschritt oder den sonstigen Abwasserverwaltungsvorschritten genannten Herkunftsbereiche ist in der Praxis oft selbst unter Heranziehung des Kriteriums "im wesentlichen" nicht möglich, vielmehr sind die Fremdabwasseranteile oft nicht mehr geringfügig, sondern verschiedenen Herkunftsbereichen zuzuordnen, für die zwar jeweils eigene Abwasserverwaltungsvorschriften bestehen, deren Anwendbarkeit aufgrund des Nichtvorliegens des "Wesentlichkeitskriteriums" aber verneint werden muß480 . Der Anwendungsbereich einer einzelnen Verwaltungsvorschrift findet dann hir.sichtlich des Zieles der Verwirklichung des im Gesetz vorgegebenen Anforderungsniveaus für den Umweltschutz seine Grenze in nicht erfaßten Fällen. Die Anforderungen, die in diesem Fall, daß Abwasserteilströme zusammentreffen, die gesonderten Produktionsbereichen entstammen, für die jeweils eigene Abwasserverwaltungsvorschriften bzw. Anhänge zur RahmenAbwasserverwaltungsvorschrift existieren, ergeben sich in Ermangelung der 478 Vgl. dazu nur Nr. 1.1 der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift. 479 Trotz der im Bereich der Abwasserbeseitigung durch § 7 a Abs. I S. 5 WHG angestrebten produktionsspezifischen Trennung der Abwasserteilströme und der getrennten Behandlung von Abwässern verschiedener Herkunft ist unter Abweichung von dieser sektoralen Zielsetzung die gemeinsame Behandlung solcher Abwassergemische, die im wesentlichen nur aus einem Produktionsbereich stammen, im Hinblick auf eine wasserwirtschaftlich meist keinen Sinn machende getrennte Behandlung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zulässig; vgl. dazu

Nisipeanu, Abwasserrecht, S. 387 f. 480 Davon ist wiederum die Fallkonstellation zu unterscheiden, daß Reststoffe, Produkte und technische Prozesse, die die Schmutzfracht des Abwassers bestimmen, so vielfältig und unterschiedlich sind, daß die einzelnen Abwasserströme nicht mehr nur nicht einem wesentlichen Herkunftsbereich, sondern gar nicht mehr gesonderten Anhängen oder Abwasserverwaltungsvorschriften zugeordnet werden können. Hier kommt eine Geltung - das ist vor allem für Abwasser chemischer Großbetriebe der Fall - des Anhangs 22 der Rahmen-Abwaserverwaltungsvorschrift in Betracht- vgl. dort Nr. I, "Anwendungsbereich"; soweit auch der Anhang 22 der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift aufgrund der seiner Anwendbarkeit sich stellenden Restriktionen nicht einschlägig ist, sind Vorgaben für den Einzelbescheid aus § 7 a Abs. I WHG unmittelbar abzuleiten; vgl. dazu Nisipeanu, Abwasserrecht, S. 389 f.

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

207

Anwendbarkeit einer bestimmten Verwaltungsvorschrift481 grundsätzlich unmittelbar aus dem Gesetz. In unserem Beispiel kann es aber sinnvoll sein, den Vorgaben der Abwasserverwaltungsvorschriften in der Form Bedeutung zukommen zu lassen, daß "Mischrechnungen" derart angestellt werden, daß die Regelungen für verschiedene Herkunftsbereiche von Abwässern, für die jeweils eigene Verwaltungsvorschriften existieren, bei einer gemeinsamen Einleitung von solchen einer Gesamtschau zugeführt werden482 .

(b) Vom Normzweck nicht intendiertes Ergebnis

Zum anderen ist daran zu denken, daß die Anwendung einer Verwaltungsvorschrift auf einen Sachverhalt zu einem vom Normzweck nicht intendierten Ergebnis führt483 . Gesetze und Rechtsverordnungen Jassen in solchen Fällen keine Abweichung vom Wortlaut der jeweiligen Norm zu, andersartige Erwägungen haben allenfalls rechtspolitischen Charakter und können erst durch die Änderung der jeweiligen Norm Eingang in die Vollzugspraxis finden. Dieses Ergebnis wird teilweise auch entgegen der Abweichungen zulassenden herrschenden Meinung für außenverbindliche Verwaltungsvorschriften mit der Begründung vertreten, der einzelne Organwalter müsse, um eine andere Entscheidung treffen zu können, eine Rechtssatzänderung herbeiführen484 . Demgegenüber ist daran zu erinnern, daß es sich bei dem Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften gleichsam um "einen Sekundäreffekt der Kompetenz zur Einzelfallentscheidung nach Art. 83 ff. GG" handelt485 . Daraus ist ein "Vorrang des Einzelvollzugs" insofern abzuleiten, als sich auch solche atypischen Gegebenheiten, die nicht bereits in den Regelungsgehalt der Verwaltungsvorschriften aufgenommen sind, aber mit dem Sinn und Zweck 481 Ausnahmsweise werden Mischrechnungen auch in Abwasserverwaltungsvorschriften vorgesehen; vgl. z.B. Nr. 2.4 des Anhangs 40 (Metallbearbeitung, Metallverarbeitung) der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift, wo es heißt: "Für Abwasser, dessen Schmutzfracht im wesentlichen aus zwei oder mehr Herkunfsbereichen der Nummer 1.1 stammt, sind aus den Anforderungen der Nummer 2.3 entsprechende Anforderungen abzuleiten. Wird Abwasser aus zwei oder mehr Herkunftsbereichen gemeinsam behandelt, muß die gleiche Verminderung der Gesamtfracht bezogen auf den jeweiligen Parameter wie bei einer getrennten Behandlung erreicht werden." 482 Nisipeanu , Abwasserrecht, S. 388; Sa/zwedel, in: lsensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 39; San-

der, ZfW 1990, 437 (446). 483 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 85. 484 Schröder, Verwaltungsvorschriften, S. 85. 485 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (484).

208

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

des Gesetzes übereinstimmen, gegenüber den Regelungen der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift jeweils durchsetzen486 . Als Grundsatz läßt sich deshalb formulieren, daß der Geltungsbereich einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift immer durch die jeweilige Aussage sowie den Sinn und Zweck des Gesetzes begrenzt wird. Wo die Verwaltungsvorschrift im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut keine Regelungen trifft oder solche bei der Anwendung auf bestimmte Einzelfälle dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen, muß deshalb die Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften enden. Dies stellt auch kein willkürliches Abweichen einzelner Organwalter von grundsätzlichen Entscheidungen übergeordneter Stellen der Exekutive ohne Rechtskontrollmöglichkeiten dar. Vielmehr hat auch das Verwaltungsgericht den Geltungsbereich von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften zu überprüfen und ist dabei berufen, ein Abweichen der Einzelfallentscheidung von den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift in dieser Hinsicht zu kontrollieren. Wiederum anband des Beispiels der in diesem Untersuchungszusammenhang interessierenden Abwasserverwaltungsvorschriften soll verdeutlicht werden, daß Abweichungen von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften unter der Maxime der Verwirklichung von Sinn und Zweck des Gesetzes geboten sind, wenn man den jeweiligen unbestimmten Rechtsbegriff im Einzelfallvollzug optimal im Hinblick auf das Gesetzesziel ausfüllen will. § 7 a Abs. 1 S. 1 WHG hat sich die Minimierung der Schadstofffracht des Abwassers zum Ziel gemacht. In den Abwasserverwaltungsvorschriften und den Anhängen der Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift werden herkömmlich Anforderungen an Abwassereinleitungen in der Form festgesetzt, daß Konzentrationswerte und Abwassermengen in einer bestimmten Zeiteinheit festgelegt werden487 . Durch die Multiplikation dieser beiden überwachbaren Größen läßt sich die Fracht der einzelnen Schadstoffe dann errechnen488 . Teilweise werden aber nun in den Anhängen zur Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift und den Abwasserverwaltungsvorschriften lediglich isoliert Konzentrationswerte für Abwassereinleitungen vorgeschrieben489 • Hier kann nun die Fallkonstellation auftreten, daß ein Abwassereinleiter beispielsweise aufgrund neuer Produktionstechniken nachweislich niedrigere Schadstofffrachten erreichen kann, aber die Konzentrationswerte über denjenigen der in den Verwal-

486 Erbguth , DVBI. 1989, 473 (484). 487 Vgl. auch

Nisipeanu, Abwasserrecht, S. 406 f.: Ruchay. Zum Vorsorgekonzept im Ge-

wässerschutz, S. 5 ff. 488 Sander, ZfW 1990, 437 (444). 489 Vgl. auch Nisipeanu, Abwasserrecht, S. 406 f .

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

209

tungsvorschriften festgeschriebenen liegen490 . Würde man hier am Wortlaut der jeweiligen Regelung in den Abwasserverwaltungsvorschriften und den Anhängen zur Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift festhalten, so dürfte eine solche Einleitung aufgrund der Überschreitung der festgesetzten Konzentrationswerte nicht zugelassen werden. Rechtmäßig wäre hingegen eine Abwassereinleitung aufgrund eines anderen Produktionsverfahrens, die zwar die vorgeschriebenen Konzentrationswerte einhalten könnte, aber im Ergebnis zu einer höheren Schadstofffracht führen würde. Das kann aber mit dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck von § 7 a WHG nicht vereinbar sein491 . Verwaltungsvorschriften sollen aber das Gesetz konkretisieren und unterliegen deshalb auch nur einer Bindungswirkung, soweit sie nicht die gesetzlichen Vorgaben "unterlaufen".

(c) Fazit

Deutlich wird damit, daß normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften als abstrakt-generelles Instrument des Vollzuges, das auf einer Ebene zwischen Gesetz und Einzelfall zwischengeschaltet ist, insofern unter der Zielsetzung eines optimalen Gesetzesvollzuges aufgrund atypischer Gegebenheiten des Einzelfalls eine Grenze ihres Bindungsumfanges erfahren492 . Dabei ist aber zu beachten, daß Umweltstandards typischerweise eine generalisierende Wirkung haben und somit auch Fälle erfassen können, die vom Durchschnitt etwas abweichen493 . Es ist zu bedenken, daß in den Verwaltungsvorschriften ein Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles

490 Vgl. zu diesem Beispiel Engelhardr!Ruchay. § 7 a WHG Rdn. 8; Sa11der. ZfW 1990. 437 (444). 491 Sander, ZfW 1990, 437 (444).

492 Daß im Beispielsfall neue Produktionstechniken, die zur weiteren Reduzierung der Schadstofffrachten führen, existieren, läßt noch nicht auf eine generelle Unwirksamkeit der jeweiligen Verwaltungsvorschriften unter dem Aspekt der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Technikniveaus schließen. Vielmehr handelt es sich nur um eine Abweichung von den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift in einem atypischen Sonderfall. Soweit beispielsweise der Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik in einer Verwaltungsvorschrift konkretisien werden soll, entsprechen technische Neuentwicklungen diesem Niveau erst. wenn sie Anerkennung unter der Mehrheit der Fachleute gefunden haben. Zu der Einschränkung der Geltungskraft normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf Erkenntnisfonschritte vgl. nachfolgend S. 210 ff. 493 Hili, NVwZ 1989, 401 (409); Jarass. NJW 1987, 1225 (1230). 14 Kastcr

210

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

oft vorhanden sein wird. So hat das BundesveiWaltungsgericht im Wyhl-Urteil denn auch formuliert494: "Wie weit diese Bindung495 im Einzelfall, etwa im Hinblick auf die Besonderheiten des jeweils zu beurteilenden Sachverhalts, geht, braucht aus Anlaß des vorliegenden Falles nicht entschieden zu werden; insoweit ist von Bedeutung, daß die Allgemeine Berechnungsgrundlage496 der Genehmigungsbehörde für die Berücksichtigung der "besonderen örtlichen Verhältnisse" einen ausreichenden Spielraum läßt."

(2) Neuere Erkenntnisse Die soeben getroffene Aussage, daß der Geltungsbereich von VeiWaltungsvorschriften durch die jeweilige Aussage sowie den Sinn und Zweck des Gesetzes begrenzt wird, muß auch dann zu einem Verlust der Bindungswirkung normkonkretisierender VeiWaltungsvorschriften führen, wenn diese durch neuere technische und wissenschaftliche Erkenntnisse überholt sind und deshalb nicht mehr dem vom Gesetz vorgebenen Technikniveau entsprechen, so daß sie kein taugliches Mittel der abstrakt-generellen Gesetzeskonkretisierung mehr darstellen können497 . Bei der Verneinung eines solchen Entsprechens von VeiWaltungsvorschrift und gesetzlicher Vorgabe ist jedoch zu beachten, daß eine normkonkretisierende VeiWaltungsvorschrift ein in sich geschlossenes Konzept darstellt, aus dem nicht Einzelaussagen isoliert herausgebrochen werden können. Auch mögen bei Erlaß der VeiWaltungsvorschrift bestimmte Unsicherheiten zukünftiger technischer Entwicklungen bereits bedacht worden sein. Deshalb hat das OberveiWaltungsgericht Münster im Urteil vom 9. 7.1987 zu Recht festgestellt, daß im Hinblick auf die Bindungswirkung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften "auch neue Forschungsergebnisse unbeachtlich sind, soweit der erzielte Erkenntnisfortschritt sich darauf beschränkt, lediglich die

494 BVerwGE 72, 300 (320 f .). 495 Der Verwaltungsgerichte. 496 Die vom Bundesverwaltungsgericht als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift eingestuft wird . 497 BVerwG, NVwZ 1988, 824 (825); OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); OVG NW, NVwZ 1991 , 1200; Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2240); Hili, NVwZ 1989, 401 (410);

Lübbe-Wolff, Grundwasserschutz, S. 153 Fn. 56; Send/er. UPR 1993, 321 (326); Wahl, NVwZ 1991, 409 (412)

III. Die AbwasserveJWaltungsvorschriften

211

Erkenntnislücken zu schließen, die bei der Festlegung der Immissionswerte berücksichtigt worden sind "498. Schließlich beruhen die einzelnen Festsetzungen normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften jeweils auf vielfältigen Abwägungen, so daß der Kompromißcharakter der Entscheidungen ihnen Unvertretbarkeit und Einzigartigkeit zukommen läßt. Das hat zur Folge, daß nicht jeder beliebige Erkenntnisfortschritt, sondern nur gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse andere Bewertungen als diejenigen der Verwaltungsvorschrift zulassen. Erst ein evidentes Abweichen von den gesetzlichen Vorgaben ermöglicht im Hinblick auf die Unvertretbarkeit - was deren inhaltliche Überprüfung durch die Gerichte grundsätzlich ausschließt - exekutivischer Standardfestsetzung die Bejahung des Überholtseins einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift499.

bb) Art der gerichtlichen Kontrolle-prinzipal oder inzidenter? Ausgangspunkt der Überlegungen hinsichtlich des Umfangs der gerichtlichen Kontrolldichte bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften ist, ob hier prinzipale oder nur inzidente Kontrolle in Betracht kommt. Im Hinblick auf ersteres könnte sich die Frage der gerichtlichen Überprüfung von Verwaltungsvorschriften im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO stellen. Bei normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften des Bundes, auf die die Untersuchung beschränkt bleiben sonsoo, scheidet die Normenkontrolle nach § 47 Abs. l Nr. 2 VwGO jedoch aus, da insofern Bundesrecht kein zulässiger Prüfungsgegenstand sein kann501 . Daß darüber hinaus vieles dafür spricht, normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften als untergesetzliche Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO einzuordnen502 , sei hier nur am Rande erwähnt503. Eine gerichtliche Überprüfung normkonkretisierender Verwaltungsvorschrif498 499

OVG NW, GVBI. 1988. 152 (153). Zum Ganzen vgl. Hili, NVwZ 1989, 401 (410).

500 Im Hinblick insbesondere auf den Erlaß der in unserem Untersuchungszusammenhang

relevanten Abwasserverwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung.

501 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2239); Trute, S. 339 Fn. 6. 502 Vgl. dazu die Untersuchungen von Beckmann, DVBI.

1987, 611 ff.; ebenso Hill,

NVwZ 1989, 401 (410); Trute, S. 339 Fn. 6.

503 Gerhardt,

NJW 1989, 2233 (2239), und Wahl, NVwZ 1991, 409 (417), lehnen mit be-

achtlichen Gründen die Erstreckung der Normenkontrolle nach § 47 VwGO auf normkonkretisierende VeJWaltungsvorschriften ab. 14"

212

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

ten des Bundes kann somit nur inzidenter im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle verwaltungsbehördlichen Einzelfallhandeins erfolgen504 .

cc) Vorschlag eines Modells gerichtlicher Kontrolle von Verwaltungsvorschriften Die Betrachtung der gerichtlichen Kontrolle normkonkretisierender Verwaltungsvorschritten muß sich von der Ausgangsüberlegung leiten lassen, daß solche Verwaltungsvorschriften gesetzliche Regelungen konkretisieren, um sie für den Einzelfall anwendbar zu machen. Die Inzidentkontrolle normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften muß deshalb im Hinblick auf den der Exekutive gesetzlich eingeräumten Auftrag zur Standardisierung erfolgen, der aufgrund der insoweit festgestellten funktionsspezifischen Vorteile der Exekutive gegenüber den beiden anderen Gewalten505 notwendig eine Reduktion des gerichtlichen Kontrollumfangs in inhaltlicher Hinsicht zur Folge hat5°6 , oder anders formuliert, die Achtung exekutiver Handlungs-, Konkretisierungs- oder Standardisierungsspielräume507 . Geht man wie hier davon aus, daß die Verwaltung und nicht die Judikative in der grundgesetzliehen Funktionenordnung in besonderem zur dezisionistisch-volitiven Konkretisierung gesetzlicher Vorgaben berufen ist, so kann dieses Verwaltungshandeln nicht vollständig inhaltlich im Sinne einer Ergebniskontrolle durch die Gerichte überprüft werden. Deshalb ist die Kontrolle der Verwaltungsgerichte beschränkt auf eine Überprüfung hinsichtlich der Vermeidung von formellen oder materiellen Fehlern im Prozeß der Festsetzung der Standards und nicht auf ein bestimmtes Ergebnis bezogen508. Nicht der Inhalt der jeweiligen Verwaltungsvorschritt ist zu kontrollieren, sondern die Art und Weise von deren Zustandekommen und die zugrundeliegenden Begründungen509 . Entsprechend bietet sich ein zweistufiges Modell der gerichtlichen Überprüfung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften an510: 504 Ebenso Gerhardt, NJW 1989. 2233 (2239). 505 Dazu ausführlich Gusy, DVBI. 1987, 497 (503 ff.). 506 Dazu näher Hili, NVwZ 1989, 401 (409). 507 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (485); Hili, NVwZ 1989, 401 (409); Jarass, NJW 1987, 1225 (1229); Wahl, NVwZ 1991,409 (415); Wallerath, NWVBL 1989, 153 (155).

508 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (485); Gusy, DVBI. 1987, 497 (502); Trute, S. 341. 509 Vgl. Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2238); Send/er. UPR 1993, 321 (324), verlangt, den

Schwerpunkt der gerichtlichen Kontrolle auf die Verfahrenskontrolle zu legen .. 510 Die Untergliederungen beziehen sich auf das Schema, nicht die Gliederung der Untersuchung.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

213

(1)

Formell-rechtliche Voraussetzungen: Kontrolle des Verfahrens der Festsetzung der Umweltstandards-Richtigkeit der Art und Weise des Zustandekommens selbst und weitere formelle Voraussetzungen

(a)

Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Entscheidung

(aa)

Ausdrückliche gesetzliche Vorgaben

(bb)

Keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben: Gewährleistung des Einfließenlassens von Sachverstand durch das Verfahren der Standardfestsetzung

(b)

Veröffentlichung der Verwaltungsvorschrift

(c)

Transparenz des Verfahrens der Standardfestsetzung und Nachvollziehbarkeil der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen bzw. Bekanntgabe des zugrundeliegenden Konzeptes

(2)

Materiell-rechtliche Voraussetzungen: Kontroll'! der Grundannahmen und Begründungen bei der Festsetzung der Umweltstandards - die Rechtmäßigkeit der Entscheidungsgrundlagen, nicht aber die Richtigkeit des darauf basierenden Ergebnisses

(a)

Willkürfreie Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen (Aufklärungsermessen)

(b)

Willkürfreie Bewertungen, Abschätzungen und Abwägungen sowie Konzeptbildungen (Konkretisierungs- bzw. Standardisierungsspielraum)

214

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

( 1) Formelle Fehler

Die Nachprutbarkeit von Umweltstandards enthaltenden Verwaltungsvorschriften durch die Gerichte in formell-rechtlicher Hinsicht ist unter der Prämisse zu betrachten, daß die Regelungen normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften der rechtlichen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben dienen sollen.

(a) Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Entscheidung Zu unterscheiden ist zwischen ausdruckliehen gesetzlichen Vorgaben für die Art und Weise der Festsetzung von Umwelt- und Technikstandards und möglichen ungeschriebenen, sich aus Sinn und Zweck der exekutivischen Standardfestsetzung schlechthin ergebenden Anforderungen. (aa) Bei den gesetzlich ausdrucklieh vorgegebenen Anforderungen - wie zum Beispiel § 51 BlmSchG511 - kommt insbesondere eine Pflicht der Bundesregierung in Betracht, bestimmte Fachkreise oder unabhängige Expertengremien vor der Festsetzung der einzelnen Standards zu hören. Da diese gesetzlichen Verfahrensvorschriften im Zusammenhang mit materiell-rechtlich nur wenig verdichteten Regelungen stehen, kommt ihnen eine hohe Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsschutzes durch Verfahren zu, so daß Fehler zur Vemeinung der Außenwirksamkeit solcher Verwaltungsvorschriften führen müssen5I2. (bb) Soweit aber keine ausdruckliehen rechtlichen Vorgaben bestehen, ist festzustellen, daß eine eigene gesetzliche Regelung des Verfahrens der Festsetzung der Standards und damit letztlich der Entscheidungstindung der Exekutive auch nicht erforderlich ist. Die verfassungsunmittelbare Zuweisung der Handlungskompetenz und der spezialgesetzliche Auftrag beinhalten vielmehr auch die Aufforderung zur Entfaltung der jeweiligen Entscheidungsbedingungen und dabei gegebenen funktionsspezifischen Vorteile durch die Exekutive513. Wie sie diese im einzelnen ausgestaltet, ist ihrem insofern zu konstatierenden Verfahrensermessen zu überlassen514 .

511 Vgl. dazu Trute, S. 343 ff.

512 Badura, Gestaltungsfreiheit und Beurteilungsspielraum, S. 176 f.; Trute, S. 342; zum Meinungsstand bezüglich§ 51 BlmSchG vgl. Trute, S. 343 Fn. 29 - 31. 513 Hili, NVwZ 1989, 401 (408). 514 Hili, Das fehlerhafte Verfahren, S. 90; ders. , NVwZ 1989, 401 (409); Trute, S. 344.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

215

Deshalb ist zu differenzieren: Soweit die Exekutive dynamisch auf außerstaatliche Standards verweist, müssen allein schon im Hinblick auf deren fehlende demokratische Legitimation Mindestvoraussetzungen über Art, Zusammensetzung und Verfahren der jeweiligen Normsetzungsgremien festgelegt und verwaltunsgerichtlich kontrolliert werden515 . Wenn Arbeitsgruppen oder Gremien eine exekutivische Standardsetzung hingegen nur vorbereiten oder vorfonnulieren, ist zu bedenken, daß hier die Exekutive selbst abschließend und eigenverantwortlich die Standards festsetzt 516 , so daß aufgrund des der Exekutive mit der Zuweisung der Entscheidungskompetenz eingeräumten Verfahrensennessens keine derart strengen Anforderungen gestellt werden können. Die Exekutive muß dann ihre funktionsspezifischen Vorteile und Entscheidungsbedingungen entfalten können517 , wozu auch die Heranziehung außerstaatlichen Expertenwissens als Grundlage exekutivischer Entscheidungen zählt. Ermessen unterliegt grundsätzlich aber nur einer Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Zielvorstellungen und der entsprechenden Vereinbarkeit mit dem Zweck des eingeräumten Ermessens518 . Dieses verlangt hier mit Blickrichtung auf den Zweck der Zuweisung der Standardisierung an die unter funktionsspezifischen Gesichtspunkten als besonders kompetent eingestufte Exekutive, daß verfahrensmäßig dafür gesorgt ist, daß ein besonders

hohes Maß an Sachkompetenz in die Regelungen einjließt519 .

Im Hinblick auf das der Bundesregierung beispielsweise bei der Auswahl der Sachverständigen und der Ausgestaltung eines möglichen Anhörungsverfahrens zuzusprechende Verfahrensermessen520 kann ein Verfahrensfehler 515 Badura, Gestaltungsfreiheit und Beuneilungsspielraum, S. 177; Einzelheiten bei Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (279). 516 Daß die Exekutive hier nicht einfach die Vorgaben beispielsweise von Arbeitsgruppen übernimmt, weist Breuer, Wasserrecht, S. 230 Rdn. 354, für die zur Erarbeitung der Abwasserverwaltungsvorschriften eingesetzten Arbeitsgruppen nach, wenn er bemerkt. daß die Bundesregierung die Vorschläge der Arbeitsgruppen oft noch veränden hat und deshalb keineswegs sichergestellt sei, daß die Vorschläge der Arbeitsgruppen von der Bundesregierung beim Erlaß der Verwaltungsvorschriften übernommen würden. 517 Hili, NVwZ 1989, 401 (404, 408); Trute, S. 344. 518 Vgl. § 114 VWGO; dazu im Zusammenhang der verschiedenen möglichen Ermessensfehler Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 118 ff. Rdn. 19 ff. 519 Erbguth, DVBI. 1989,473 (485); Gusy, DVBI. 1987, 497 (503 f.); Hili, NVwZ 1989, 401 (409); Jarass, NJW 1987, 1225 (1229). 520 Dieses Verfahrensennessen ist zu unterscheiden von der Möglichkeit der Exekutive, bei

der inhaltlichen Festsetzung von Umweltstandards Wenungen, Abwägungen und Entscheidungen vorzunehmen.

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

216

deshalb nur dann bejaht werden, wenn in bezug auf das Heranziehen von Kompetenz eine Zweckverfehlung oder willkürliche Verfahrenshandhabung festzustellen ist521 . Letztlich erfolgt außerhalb ausdrücklicher gesetzlicher Vorgaben also eine Kontrolle des Verfahrens beim Zustandekommen von Umweltstandards am Kriterium der Willkürfreiheit im Hinblick auf die Handhabung des Einfließenlassens von Sachkompetenz. Mit anderen Worten: Die Gerichte können nur nachprüfen, ob die Ausgestaltung des Verfahrens so erfolgt ist, daß keine sachfremden Gesichtspunkte dabei relevant geworden sind522 . Soweit demnach interne Organisationserlasse für die Arbeit von Arbeitsgruppen, Regelungen über deren Zusammensetzung und Arbeitsgrundlagen sowie Festsetzungen für die inhaltliche Arbeit derselben, wie zum Beispiel eine Wertungsphilosophie, bestehen, vermag dies nicht nur die politische Akzeptanz normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften zu erhöhen, sondern aufgrund der damit gegebenen Transparenz523 die Nachprüfbarkeil des Standard setting process - im Hinblick auf eine nicht willkürliche Ausgestaltung und damit letztlich die Bejahung der Außenverbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften zu erleichtern524 . Damit erfolgt eine Rechtfertigung des verbindlichen Normsetzens durch die Exekutive auch durch das Verfahren der Entwicklung der Standards selbst5 25 . Deshalb muß der Satz gelten: Je mehr Transparenz bei der Festsetzung der Standards, um so größer deren Legitimation und so geringer das erforderliche Maß an gerichtlicher Kontrolle. Verletzt die Exekutive ihr Verfahrensermessen, indem sie dieses nicht am Ziel des Einbringens eines möglichst hohen Maßes von Sachkompetenz ausrichtet, sondern insofern sachfremde Gesichtspunkte bei der Gestaltung des Verfahrens der Standardfestsetzung relevant werden, so sind die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts zur Relevanz von Verfahrensfehlern heran521 Hili.

NVwZ 1989, 401 (409) .

522 Das Bund~sv~rfassungsg~richt hat h~reits in BV~rfGE I. 14 (52), im Hinblick auf den Gleichheitssatz fnrmulien. daß ein Verstoll gegen diesen und damit Willkür nur vorliege , "wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergehender oder sonstwie sachlich einleuchtender

GnJJ~d

für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt";

Hili, NVwZ 19!!9, 401 (410), geht auf die Bedeutung des Willkürverbotes bei der Achtung der Kompetenzen

523

and~rer

Staatsorgane ein.

Hier ist Transpar~nz in hezug auf di~ Ausgestaltung des Standardsetzungsverfahrens

gemeint. Davon zu unterscheiden ist Transparenz hinsichtlich der den Standards zugrundeliegend~n

Grundannahmen und -bewenungen, vgl. dazu unten S . 21!!.

524 Vgl. ausführlich Sa/zwedel, NVwZ 1987, 276 (278 f . ). 525 Badara. G~staltungsfreiheit und Beuneilungsspi~lraum , S. 176 f.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

217

zuziehen526 . Diese haben einen positiv-rechtlichen Niederschlag in § 46 VwVfG gefunden, wonach Verwaltungsakte nicht allein wegen Verfahrensfehlern aufzuheben sind, "wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können" 527 . Danach ist also zu prüfen, ob eine Kausalität zwischen Verfahrensfehlern und dem Ergebnis der Standardfestsetzung vorliegt. Nur dort, wo dieses in dem Sinne zu bejahen ist, daß das konkrete Ergebnis durch Verfahrensfehler tatsächlich beeinflußt worden ist, kann Unwirksamkeit nach außen angenommen werden528 . Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, daß ein Verfahrensfehler kausal geworden ist, der Gegenbeweis wird insbesondere ohne - die für das Gericht unzulässige - Würdigung der inhaltlichen Festsetzungen der Exekutive kaum möglich sein529 . Eine Berücksichtigung zumindest von Teilanssagen solcher dann nicht rechtlich außenwirksamen Verwaltungsvorschriften als antizipiertes Sachverständigengutachten durch die Gerichte ist dann aber immer noch in Betracht zu ziehen530 .

(b) Veröffentlichung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften Ohne Publizität besteht keine Garantie für einen feststehenden, verbindlichen und nachvollziehbaren Inhalt von Rechtssätzen. Die Veröffentlichung von Rechtsnormen gehört deshalb zum elementaren Bestand des Rechtsstaatsprinzips und ist Geltungsbedingung derselben531 . Sollen normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften eine Verbindlichkeit über den rein verwaltungsinternen Bereich hinaus haben, so ist dies nicht denkbar ohne die Möglichkeit einer allgemeinen Kenntnisnahme. Für eine deshalb zu konstatierende Ver526 Wahl, NVwZ 1991,409 (415). 527 Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang wiederholt betont, daß nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nur dann zur Aufhebung der Entscheidung fühn, wenn sich der Fehler auf diese ausgewirkt hat; BVerwGE 56, 230 (233); BVerwGE 69, 256 (269); BVerwGE 75, 214 (228). 528 Zur Kritik an der Rechtsprechung vgl. Wahl, NVwZ 1991 , 409 (416), der darauf hinweist, daß bei der Untersuchung des Kausalzusammenhanges nicht - wie aber von der Rechtsprechung - die Frage gestellt werden dürfe, ob ohne den Verfahrensmangel die Entscheidung anders ausgefallen wäre, sondern, ob die Entscheidung anders häne ausfallen können, da ansonsten mit Kausalitätserwägungen doch wieder durch die Judikative in den Bereich exekutivischer Ermittlung und Abschätzung eingegriffen werde, so daß Fehler im Verfahren grundsätzlich zur Unverbindlichkeit von Verwaltungsvorschriften führen müßten. 529 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2239); Wahl, NVwZ 1991 , 409 (416) und soeben Fn. 528. 530 Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (278). 531 BVerfGE65, 283 (291).

218

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

öffentlichungspflicht als Wirksamkeitsvoraussetzung außenverbindlicher Verwaltungsvorschriften532 sind dabei im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip nicht die formalisierten Voraussetzungen für Rechtsverordnungen nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG mit einer Verkündung im Bundesgesetzblatt zu verlangen533. Einem Zugänglichmachen in der Form. daß es den Betroffenen ermöglicht wird, sich verläßlich Kenntnis vom jeweiligen Regelungsinhalt zu verschaffen534 , genügt auch beispielsweise die Veröffentlichung im Gemeinsamen Ministerialblatt535 . Festzuhalten bleibt damit das Erfordernis einer zugänglichen Publizierung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften536. Das Fehlen einer Veröffentlichung an einer zugänglichen Stelle schließt eine verbindliche Außenwirksamkeit aufgrund der dann mangelnden Kenntnisnahmemöglichkeiten aus.

(c) Transparenz des Veifahrens der Standardsetzung und Nachvollziehbarkeil der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen bzw. Bekanntgabe des zugrundeliegenden Konzeptes Eine inhaltliche Überprüfung von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften ist nur möglich, wenn neben der bereits erwähnten537 Transparenz des Verfahrens der Standardsetzung auch die den festgesetzten Standards zugrundeliegenden Erwägungen und Konzepte nachvollziehbar sind. Das Erfordernis eines den jeweiligen gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf das Verfahren beim Zustandekommen der Standards und die jeweiligen Grundannahmen entsprechenden standard setting process kann deshalb nur dann sinnvoll sein, wenn insoweit Transparenz und Nachvollziehbarkeit bestehen538. Nur so kann die Nachprüfbarkeil der in den Verwaltungsvorschriften enthaltenen Standards überhaupt faktisch ermöglicht und dementsprechend der Umfang der Bindungswirkung der Verwaltungsvorschriften erkennbar werden539 . 532 Erbguth, DVBI. 1989, 473 (485); Gusy, DVBI. 1979, 720 (724); Jarass, NJW 1987, 1225 (1230); Lübbe-Wolff, DÖV 1980, 594 (596 ff.); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 462 ff.; Sche.ffler, DÖV 1980, 236 (241 f.) ; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, An. 19 Abs. 4 GG Rdn. 252; Stern, Staatsrecht II, S. 661; Trute, S. 345. 533 Gusy , DVBI. 1979, 720 (724); Stern, Staatsrecht II, S. 661; Trute, S. 104. 534 BVerfGE 65, 283 (291); Gusy, DVBI. 1979, 720 (724); Stern, Staatsrecht II, S. 661. 535 Trute, S. 104. 536 Jarass, NJW 1987, 1225 (1230). 537 Vgl. oben den Text bei Fn. 523. 538 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2238); Hili, NVwZ 1989, 401 (408); Johann, S. 119; Ladeur, UPR 1987, 253 (259 f .) ; Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (278 f.) . 539 Vgl. in diesem Zusammenhang Hili, NVwZ 1989, 401 (408).

219

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

Denn so absurd das klingen mag: gerade die hier geforderte Transparenz ermöglicht die Nachprüfbarkeil der Standards, was wiederum Voraussetzung dafür ist, daß die Gerichte nur beschränkt nachprüfen dürfen, aber auch "müssen", und auch für den Bürger Verbindlichkeit besteht. Erst ein transparentes Verfahren der Standardsetzung mit nachvollziehbaren Entscheidungsgrundannahmen und -bewertungen ermöglicht die Nachvollziehbarkeil der Umweltstandards. Ohne die Offenlegung beispielsweise von den bei der Entscheidungstindung berücksichtigten Sachverhalten, Gefährdungen, Schutzzielen und ähnlichem könnte schwerlich die Aussage getroffen werden, daß die Grenzen des jeweiligen gesetzlichen Auftrages eingehalten worden seien. Deutlich wird damit, daß es sich bei dem Erfordernis der Transparenz im Hinblick auf das Verfahren des Zustandekommens und der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen bzw. des zugrundeliegenden Konzeptes nicht nur um eine rechtspolitische Forderung handelt540 , sondern vielmehr um eine rechtliche Notwendigkeit. Im Hinblick auf das Stichwort der kompensatorischen Gewähr der Richtigkeit des Verfahrens der Festsetzung bestimmter Kriterien für die Rechtmäßigkeit des Inhalts derselben kann das Postulat eines transparenten und nachvollziehbaren standard setting process gar verfassungsrechtlich abgeleitet werden54l. Eine Begründungspflicht ist damit aber noch nicht rechtlich abgeleitet542 . Eine ausdrückliche Begründung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften ist aber - rechtspolitisch - zu empfehlen, um eine Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben transparent zu machen. Fehlt eine ausdrückliche Begründung zu einer normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift und lassen sich die zugrundeliegenden Erwägungen der Exekutive auch nicht aus anderen Bekanntmachungen derselben erschließen, so ist zu bedenken, daß das Erfordernis der Transparenz und Nachvollziehbarkeil im dargestellten Sinne dazu dient, die Nachprüfbarkeil des Ergebnisses des Standardsetzungsverfahrens zu ermöglichen. Nur dort, wo eine solche Nachprüfbarkeil selbst anband der Umstände des konkreten Falles faktisch nicht mehr möglich ist, sollten Verwaltungsvorschriften als unwirksam eingestuft werden543.

540 541

So aber Satzwedel, NVwZ 1987, 276 (277).

Vgl. dazu Gerhardt, NJW 1989, 1986, 258 (265 ff.). 542 So aber Trute, S. 345. 543 Vgl. zum Ganzen Trute, S. 345 f.

2233

(2238);

Gerhardt/Jacob,

DÖV

220

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

(d) Zustimmungserfordernisse Die einschlägigen Grundrechtsartikel - Art. 84 Abs. 2 und Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG - und die gesetzlichen Regelungen - wie z.B. § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG - verknüpfen die Wirksamkeit von Verwaltungsvorschriften mit dem Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates, deren Fehlen zur Unwirksamkeit führt 544 .

(2) Einhaltung der gesetzlichen Grenzen und Maßstäbe Auch bei Überlegungen zur Nachprüfbarkeil von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften in materiell-rechtlicher Hinsicht ist zu bedenken, daß solche Verwaltungsvorschriften stets gesetzliche Vorgaben konkretisieren545 . Wenn dabei auch eine Ergebniskontrolle im Hinblick auf ihren Inhalt ausscheidet, so ist doch zu überprüfen, ob sie die Grenzen des ihnen gesetzlich eingeräumten Konkretisierungsspielraums einhalten, also bei Umwelt- und Technikstandards beispielsweise dem jeweiligen Technikniveau entsprechen und auch nicht durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind - und damit den gesetzlichen Maßstäben nachkommen546 . Anleiten lassen kann man sich hinsichtlich der dabei im einzelnen zu berücksichtigenden Gesichtspunkte von den beim Verfahren der Festsetzung von Umweltstandards vorzunehmenden Schritten und Charakteristika von Standards547.

(a) Willküifreie Ermittlungen bei der Abfassung der Verwaltungsvorschriften Den Umweltstandards ist gemein, daß ihre Festsetzung Ermittlungen der Exekutive voraussetzt. Umwelttatschen, technische Möglichkeiten sowie wissenschaftliche oder medizinische Vorgaben müssen als Grundlage darauf basierender Wertungen, Abschätzungen und Abwägungen erst einmal ermit544 Von Mangoldt/Klein, Art. 84 Anm. IV I e bb; Broß, in: von Münch, Grundgesetz, Art. 84 Rdn. 18; Trute, S. 343. 545 Trute, S. 346 f.

546 OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); Erbguth, DVBI. 1989, 473 (485); Ga/las,

Aspekte der Luf!reinhaltepolitik, S. 108; Gerhardt, NJW 1989. 2233 (2239); Krebs, Abwasserbeseitigung, S. 12; Papier, Bedeutung der Verwaltungsvorschriften, S. 166; Send/er, UPR 1993, 321 (326). 547 Vgl. oben S. 166 ff.

III. Die Abwasserverwalnmgsvorschriflen

221

telt werden. Mit anderen Worten: Es geht um das Zusammentragen des Abwägungs- oder Entscheidungsmaterials, der entscheidungsrelevanten Daten und Gesichtspunkte. Aufgrund der von der verfassungsunmittelbaren und spezialgesetzlichen Zuweisung der Handlungskompetenz beinhalteten Beauftragung zur Entfaltung exekutivischer Entscheidungsbedingungen und funktionsspezifischer Vorteile bei der Festsetzung normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften und dem damit verbundenen Zurückstehenmüssen der Gerichte548 steht der Exekutive auch ein (Aufklärungs- oder Ermittlungs-)Ermessen im Hinblick auf den "Sachverhalt" zu5 49 . Sobald es deshalb um die Ermittlung der Umwelttatsachen und der naturwissenschaftlich-technischen Voraussetzungen von Umweltstandards geht, ist die Exekutive zur Willkürfreiheit verpflichtet550. Wann von der Exekutive angestellte Ermittlungen willkürlich sind, ist danach zu beurteilen, ob sie sachgerechte oder sachfremde "Daten" zusammengetragen hat. Was sachfremd ist oder nicht, kann wiederum am Maßstab der normativen Vorgaben und Schutzrichtung des jeweiligen zu konkretisierenden Rechtsbegriffes festgestellt werden551 . Die Berücksichtigung eines Entscheidungskriteriums "Wählerstimmen" beispielsweise ist sachfremd und darf nicht als Gesichtspunkt in den Entscheidungsfindungsprozeß bei der Standardfestsetzung Eingang finden552.

(b) Willküifreie Bewertungen, Abschätzungen und Abwägungen

Typisch für Umweltstandards sind über die Ermittlung rein naturwissenschaftlich-technischer Vorgaben hinaus Bewertungs-, Abschätzungs- und Abwägungsvorgänge sowie Konzeptbildungen, die bei der die Standards festlegenden Exekutive aufbauend auf willkürfreien Ermittlungen erfolgen müssen553. Die Judikative hat hier nicht ihre Bewertungen an die Stelle derjenigen der Exekutive zu setzen554, sondern den im Hinblick auf das funktionellrechtliche Verständnis der Gewaltenteilung festgestellten exekutivischen Kon548 Vgl. oben S. 214. 549 Hili, NVwZ 1989, 401 (409). 550 BVerwGE 72, 300 (321); VG Schleswig, NJW 1980, 1296 (1298); OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2239); Hili, NVwZ 1989, 401 (409); Sa/zwedel, in: lsensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 24; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 20; Vallendar, Praktizierung von Luft-Immissionswerten, S. 160. 551 OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323); Hili, NVwZ 1989, 401 (409). 552 Gusy, DVBI. 1987,497 (504). 553 OVG Lüneburg, DVBI. 1985, 1322 (1323).

554 Statt vieler wiederum BVerwGE 72, 300 (318).

222

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

kretisierungs- oder Standardisierungsspielraum zu beachten555 . Folglich können die Gerichte hinsichtlich des Inhaltes von Umweltstandards bzw. normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften nur die Vereinbarkeil mit den nonnativen Maßstäben und Wertungen überprüfen556 , nicht aber ihre Richtigkeitsüberzeugung an die Stelle derjenigen der Exekutive setzen. Im Hinblick auf die Abschätzung von Risiken und die bewertende Festlegung von Schutzzielen bei der Entwicklung von Schutzwürdigkeits- und Gefahrdungsprofilen sowie weitere exekutivische Bewertungen und Abwägungen hat die Judikative deshalb nachzuprüfen, ob die Exekutive die gesetzlichen Vorgaben insoweit verwirklicht hat, als die Konkretisierungsergebnisse vor dem für alle staatlichen Festsetzungen insbesondere zum Schutz der Grundrechte geltenden557 Maßstab eines angemessenen (verhältnismäßigen) Ausgleichs Bestand haben558 und sie sich bei der Standardfestsetzung - "unbeschadet bestehender Unsicherheiten bei einzelnen Parametern "559 - von hinreichend konservativen bzw. vorsichtigen Abschätzungen leiten lassen und damit den gesetzlich jeweils vorgegebenen Sicherheitsspielraum getroffen hat560 . Ist damit zu überprüfen, ob die am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu erfolgenden Abwägungen fehlerfrei erfolgt sind, kommt - allein schon im Hinblick auf die mit dem Standardisierungsauftrag der Exekutive verbundene Letztentscheidungsbefugnis - eine Ergebniskontrolle nicht in Betracht. Ausreichend ist vielmehr, daß der Vorgang der Abwägung insofern fehlerfrei verlaufen ist, als die Exekutive die abwägungsrelevanten Gesichtspunkte wirklich berücksichtigt und die erforderlichen Abwägungen vorgenommen hat, also über die rechtmäßige Auswahl der Entscheidungsgrundlagen hinaus mit dem Ziel eines angemessenen Ausgleichs Ergebnisse angestrebt hat561 . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert dabei einen dreistufigen Prüfungsvorgang: Zunächst ist die Geeignetheit, also die Tauglichkeit des jeweiligen Mittels zu prüfen, darauf hin die Erforderlichkeit, die Frage des mildesten Mittels, und sodann die Angemessenheil oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, die ausgleichende Abwägung mit anderen Gesichtspunkten562. 555 Vgl. oben Fn. 507.

556 BVerwG, NVwZ 1988, 824 (825); Hili, NVwZ 1989,401 (409 f.). 557 Vgl. dazu Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 20 Rdn. 57 f.; Pieroth/Schlink, S. 74 ff.

Rdn. 300 ff.; ferner Breuer, NVwZ 1988, (112); Hili, NVwZ 1989, 401 (410). 558 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2239); Hili, NVwZ 1989, 401 (410). 559 BVerwGE 72, 300 (321). 560 BVerwGE 72. 300 (321); Hili, NVwZ 1989, 401 (410); Salzwedel, in: lsen-

see!Kirchhof, § 85 Rdn. 24; ders., Technische Regeln als Instrument, S. 20; Trute, S. 347; Wahl, NVwZ 1991,409 (415). 561 Vgl. auch Trute, S. 347 f. 562 Jarass!Pieroth, Grundgesetz, Art. 20 Rdn. 58 ff.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

223

Ein Beispiel aus dem Bereich der Abwasserverwaltungsvorschriften soll die Überlegungen verdeutlichen: Als nicht mehr verhältnismäßig müßte das Verlangen nach Eingang einer Reduzierung der Nährstoffeinträge in das nationale Frachtabbaukonzept qualifiziert werden, sofern es sich alleine darauf stützt, daß es in der Nordsee zu einem Robbensterben gekommen ist, ohne daß aber insofern ein Kausalzusammenhang zwischen dem erhöhtem Nährstoffeintrag und dem Tod der Tiere nachgewiesen werden kann563. Es gibt eben keinen Nachweis dafür, daß die seit 1980 beobachtete verstärkte Planktonbildung in der Nordsee in irgedeinem Zusammenhang mit dem 1988 zu verzeichnenden Robbensterben steht564 . Zweierlei ist deshalb festzustellen: Die Verhinderung des Robbensterbens kann zwar in die Schutzprofile Eingang finden, aber es müssen dann entsprechende Gefährdungsprofile entwickelt werden können, um das nationale Frachtabbaukonzept dergestalt auszugestalten, daß letztlich die Abwasserverwaltungsvorschriften insofern Rücksicht nehmen. Andererseits können entsprechende Anforderungen zum Schutz der Nordsee grundsätzlich gestellt werden. Sie müssen aber auf andere Schutz- und Gefährdungsprofile gestützt werden, wenn sie im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung überhaupt der ersten der anzustellenden Betrachtungen, der Prüfung der Geeignetheit des Mittels, gerecht werden sollen.

(c) Folge von inhaltlichen Fehlern

Inhaltliche Fehler schließen die Anerkennung von Verwaltungsvorschriften als normkonkretisierend und damit verbindlich aus. Die Gerichte müssen sie insofern nicht beachten. Davon unberührt bleibt jedoch eine mögliche Berücksichtigung als antizipiertem Sachverständigengutachten zumindest in Teilaussagen565.

563

Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 191.

564 Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 191 , weist vielmehr darauf hin, daß das Robbensterben eher ein "seuchenhaftes Geschehen war". 565 Salzwedel, NVwZ 1987, 276 (278).

224

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

7. Vorschlag eines Modells zur Überprüfung des nonnkonkretisierenden Charakters von Umwelt- und Technikstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften Im Anschluß an die Herausarbeitung der Gesichtspunkte, die für den normkonkretisierenden Charakter von Verwaltungsvorschriften sprechen können, sowie der Kriterien, anhand derer die Gerichte eine einzelne Verwaltungsvorschrift einer Rechtmäßigkeilsprüfung mit Blick auf eine mögliche Außenverbindlichkeit unterziehen, sollen nun die Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift mit ihren Anhängen und die daneben noch bestehenden einzelnen Abwasserverwaltungsvorschriften darauf hin begutachtet werden, ob sie als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und deshalb außenverbindlich eingestuft werden können. Dazu sollen vorab die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen in Form des Vorschlags eines Modells zur Überprüfung des normkonkretisierenden Charakters von Umwelt- und Technikstandards festlegenden Verwaltungsvorschriften zusammengefaßt werden566:

(I)

Untersuchung der Normstruktur des Gesetzes auf Indizien für Konkretisierungsbedarf durch generell-abstrakte Umweltstandards

(1)

Spezialgesetzlicher Auftrag zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften an die Exekutive

(2)

Bedürfnis nach Konzeptbildung und fortlaufender Fortschreibung bei der Ausgestaltung unbestimmter Rechtsbegriffe und Bedarf an dezisionistisch-volitive Elemente enthaltenden Entscheidungsakten statt reiner Rezeption technisch-wissenschaftlicher Regeln

(3)

Spezialgesetzliche Verfahrensregelung für den standard setting process

(4)

Kontrollüberlegung: Erforderlichkeil einer abstrakt-generellen Regelungsebene zwischen Gesetz und Einzelfallvollzug

566 Die Zahlen im Schema beziehen sich nicht auf die Gliederung der Untersuchung selbst.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

225

(II)

Untersuchung der einzelnen Verwaltungsvorschriften hinsichtlich der an die Konkretisierungsleistung zu stellenden Rechtmäßigkeitsanforderungen

( 1)

Formelle Anforderungen

(a)

Verfahrensfehler beim Zustandekommen der Standards

(aa)

Ausdrückliche gesetzliche Vorgaben

(bb)

Keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben: Gewährleistung des Einfließenlassens von Sachverstand durch das Verfahren der Standardfestsetzung

(b)

Veröffentlichung der Verwaltungsvorschrift

(c)

Transparenz des Verfahrens der Standardsetzung und Nachvollziehbarkeit der wesentlichen Grundannahmen und -bewertungen bzw. Bekanntgabe des zugrundeliegenden Konzeptes

(2)

Materielle Anforderungen - Rechtmäßigkeit der Entscheidungsgrundlagen bei der Festsetzung der Standards

(a)

Willkürfreie Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen

(b)

Willkürfreie Bewertungen, Abschätzungen und Abwägungen sowie Konzeptbildungen

(III)

Geltungsbereich der einzelnen Verwaltungsvorschrift

(1)

Atypischer Sachverhalt (Kann die Verwaltungsvorschrift auch im Einzelfall herangezogen werden?)

(2)

Neuere wissenschaftlich-technische Erkenntnisse (Ist die einzelne Verwaltungsvorschrift inhaltlich überholt?)

15 Kaster

226

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

8. Nonnkonkretisierender Charakter der Abwasserverwaltungsvorschriften Unter Zugrundelegung der durch dieses Modell vorgegebenen Kriterien soll nun ein möglicher normkonkretisierender Charakter der Abwasserverwaltungsvorschriften untersucht werden.

a) Die Normstruktur des § 7 a Abs. 1 WHG

Zu suchen ist hier nach Indizien, die für einen Bedarf an verbindlicher Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben des § 7 a Abs. 1 WH G auf der abstrakt-generellen Ebene zwischen Gesetz und Einzelfallvollzug sprechen.

aa) Der Auftrag des§ 7 a Abs. 1 S. 3 WHG zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften

In § 7 a Abs. 1 WHG wird die Bundesregierung beauftragt, mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften für die an das Einleiten von Abwasser zu stellenden Anforderungen zu erlassen. Damit ist bereits ein wichtiges Indiz dafür gegeben, von der Normstruktur her die Möglichkeit der Erlassens normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften zu bejahen567 .

bb) Bedürfnis nach Konzeptbildung und fortlaufender Fortschreibung bei der Ausgestaltung der unbestimmten Rechtsbegriffe

Neben diesem spezialgesetzlichen Auftrag zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften ist ein weiterer Grund zur Bejahung der normstrukturellen Voraussetzungen zum Erlaß normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften bei§ 7 a Abs. 1 WHG gegeben, wenn die in § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe der "allgemein anerkannten Regeln der 567 Ähnlich Wallerath, NWVBL 1989, 153 (155 Fn. 30), der vom "wichtigsten Indiz für die Einräumung einer gerichtlich nur beschränkt überpliifbaren administrativen Kompetenz zur Konkretisierung eines unvollständigen Normprogramms" spricht, statt eines "Auftrages" an die Exekutive jedoch eine "Ermächtigung" annimmt; vgl. dazu oben Fn. 458.

111. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

227

Technik" und des "Standes der Technik" Optimierungs- oder Dynamisierungsfunktionen im Hinblick auf ein zwischen Gesetzesebene und Einzelfallvollzug zu entwickelndes Konzept bzw. Programm erfüllen, das neben der Rezeption technisch-wissenschaftlich begründeter Regeln auch um dezisionistisch-volitive Elemente angereicherter Entscheidungsakte bedarf. Wie oben dargestellt wurde5 68 , erfordert das Aufstellen von Vorsargestandards grundsätzlich zugrundeliegende Vorsorgekonzepte. Das Erfordernis von Konzepten bedeutet aber das Einfließenlassen von dezisionistisch-wertenden Elementen, das über die reine Rezeption allein technisch-wissenschaftlich abgeleiteter Regeln hinausgeht. Derartig abgeleitete Standards aber fallen gerade in den Bereich funktionsspezifischer Vorteile der Exekutive gegenüber den anderen Gewalten. Sollten die Standards nach § 7 a Abs. 1 WHG diesen Voraussetzungen entsprechen, wäre also ein weiterer Grund zur Bejahung des normkonkretisierenden Charakters dieser Verwaltungsvorschriften gegeben. Dem Vorsorgeprinzip wird im Wasserhaushaltsgesetz dadurch in allgemeiner Form Rechnung getragen, daß § 1 a Abs. 1 WHG das Unterlassen jeder vermeidbaren Beeinträchtigung der Gewässer als Grundsatz statuiert569 . Konkretisiert wird das Vorsorgeprinzip dann durch das für das Einleiten von Abwasser in § 7 a Abs. 1 WHG enthaltene Emissionsminimierungsgebot570. Daß es sich bei den Mindestanforderungen nach § 7 a WHG um solche handelt, die am Vorsorgeprinzip ausgerichtet sind571 , wird bereits deutlich, wenn man sieht, daß sie sich an einem bestimmten technischen Niveau orientieren, nicht aber aus dem Zustand und der daraus folgenden Belastbarkeit des aufnehmenden Gewässers und damit nicht gewässerspezifisch abgeleitet werden572 . Zu prüfen bleibt, ob auch die auf § 7 a WHG basierenden Vorsorgestandards tatsächlich über das Enthalten naturwissenschaftlich-technisch gesicherter oder vertretbarer Annahmen hinaus durch dezisionistisch-volitive Wertungselemente gekennzeichnet sind und bei ihrer Aufstellung eines zugrundeliegenden Konzeptes bedürfen. Wasserrechtliche Vorsorgestandards unterscheiden sich von Schutzstandards dadurch, daß sie nicht den Gütezustand eines bestimmten Gewässers über Bewirtschaftungs- oder Sanierungsziele im Blick haben, sondern ein na568 Vgl. oben S. 169 f. 569 Uppenbrink, Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 93. 570 Uppenbrink, Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 93. 571 Gieseke/Wiedemann/Czychowski, WHG, § 7 a WHG Rdn . I; Nacke, NVwZ 1987, S. 185 (186); Sa/zwedel, in: Isensee/Kirchhof, § 85 Rdn . 38; Uppenbrink, Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 93 . 572 Nacke, NVwZ 1987, 185 f.; Salzwedel, RdWWi. 22 (1979), 53 (59 f.). !5•

228

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

tionales Frachtabbaukonzept. Von den Verursachern werden Vermeidungsund Entsorgungsanstrengungen ohne Rücksicht darauf verlangt, ob dies im Hinblick auf den Bewirtschaftungszustand des jeweiligen Vorfluters erforderlich ist, so daß zunächst das Kriterium technischer Vermeidbarkeit bei Vorsorgestandards im Mittelpunkt der Festsetzungsbemühungen steht573 . Das in Vorsorgestandards konkretisierte Vorsorgeprinzip eröffnet dem Staat aber einen weiten Spielraum für Eingriffe im Vorfeld der Gefahrenabwehr. Während dort der Begriff der Gefahr die Grenze bildet, ist der potentielle Bereich staatlicher Vorsorge unbegrenzt. Das Ausmaß staatlicher Vorsorge unterliegt jedoch verfassungsrechtlichen Grenzen, die sowohl bei der Umsetzung des Vorsorgeprinzips als auch bei der Interpretation entsprechender Vorschriften zu beachten sind. Vorsorge dient der Vermeidung von Gefahren und setzt deshalb das Bestehen eines hinreichend begründeten Gefahrenverdachts voraus, Vorsorge "ins Blaue hinein"574 ist rechtlich nicht legitimierbar. Die entscheidende inhaltliche Schranke hinsichtlich des zulässigen Ausmaßes an Vorsorge stellt der im Rechtsstaatprinzip verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar575 . Bejaht werden können sowohl die Angemessenheit von Vorsorgestandards im Verhältnis zu dem Risiko, dem entgegengewirkt werden soll, als auch die Verhältnismäßigkeit der dadurch an die Betreiber gerichteten Standards bzw. an die einzelnen Anlagen gestellten Anforderungen dann, wenn die jeweiligen Anforderungen im Anschluß an das dieses Konzepterfordernis ausführlich begründende Heidelberger-HeizwerkUrteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.2.1984576 "auf einem langfristigen, auf eine einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Konzept" zur Erreichung bzw. Sicherung des angestrebten Umweltqualitätsziels beruhen577 . Wie komplex die von der Exekutive im Hinblick auf dieses Konzepterfordernis bei der Festlegung gerade von wasserrechtlichen Vorsorgestandards über die Frage der technischen Machbarkeit hinausgehend zu treffenden Bewertungen sind und wie groß damit der Bedarf einer abstrakt-generellen Regelungsebene zwischen Gesetz und Einzelfallvollzug ist, die dezisionistisch573 Salzwede/, NVwZ 1987, 276 (277); ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 188. 574 Ossenbühl, NVwZ 1986, 161 (164). 575 Vgl. zu den Grenzen des Vorsorgeprinzips Uppenbrink, Schutz- und Vorsorgekonzept, S. 91.

576 BVerwGE 69, 37 (45). 577 BVerwGE 69, 37 (45); zustimmend Sa/zwedel, Korr.Abw. 1989, 235

ff. ; ders .. Tech-

nische Regeln als Instrument, S. 18; ders., NVwZ 1987, 276 (277); ders. , Richtlinien der EG, S. 80; ders., Ziele des Gewässerschutzes, S. 188; ders., in: Isensee!Kirchhof, § 85 Rdn. 22; Uppenbrink , Schutz und Vorsorgekonzept, S. 91.

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

229

wertende Elemente enthält, wird deutlich, wenn man sich anband des nachfolgenden Schaubildes578 vergegenwärtigt, welche Fragen sich der Exekutive im Zusammenhang mit der Festlegung und Verwirklichung von Standards im Hinblick auf die Entwicklung von Frachtabbaukonzepten stellen, die § 7 a Abs. 1 WHG ja gerade anstrebt579:

(1)

Sanierungsziel

(a)

Schutz der Nord- und Ostsee

(b)

Schutz der Binnengewässer im Hinblick auf Gesichtspunkte der allgemeinen Gewässerunverträglichkeit

(c)

Vorgaben für grenzüberschreitende Frachten

(2)

Bestimmung der relevanten Frachten und Parameter

(3)

Notwendiger Umfang des Frachtabbaues

(4)

Bestimmung der den einzelnen Setreibergruppen zuzuordnenden Frachtanteile

(5)

Bestimmung der jeweiligen Eingriffsstufe- additier, integrierter oder analysierender Umweltschutz?

Zunächst müssen Sanierungsziele bei der Festlegung von Vorsorgekonzepten für den Bereich der Abwasserverwaltungsvorschriften genau bestimmt werden. Dann ist festzustellen, welche Schadstoff- und Nährstofffrachten im Hinblick auf die möglichen Sanierungsziele Schutz der Nord- und Ostsee, der 578 Erläuterungen im Anschluß an das Schaubild selbst; die Gliederungszahlen beziehen sich auf das Schaubild. nicht auf die Gliederung der Arbeit selbst.

579 Vgl. dazu Sa/zwedel, Korr.Abw. 1989, 235 (237 ff.); ders., Ziele des Gewässer-

schutzes, S. 190 ff., wo auch die Vorlage für das nachfolgende Schaubild zu finden ist.

230

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Binnengewässer und der grenzüberschreitenden Gewässerschutzanforderungen, die naturgemäß politischen Wertmaßstäben der Exekutive entspringen, reduziert werden müssen. Diese Frage ist rein naturwissenschaftlicher Natur580. Auf der nächsten Stufe ist dann beispielsweise im Hinblick auf schädliches Algenwachstum zu berücksichtigen, daß Nährstoffe ubiquitär vorhanden sind, wachstumsfördernde Substanzen zum Minimumfaktor für das Algenwachstum werden müssen und die Verminderung der Frachten von sauerstoffzehrenden Substanzen nur solange sinnvoll ist, bis die Sättigungsgrenzen für die Aufnahme von Sauerstoff in den Gewässern erreicht sind. Bei Schadstoffen kann es bei der Bestimmung des Frachtabbauumfangs meist nur darum gehen, diese möglichst ganz zu eliminieren581 . Bei der Bestimmung des notwendigen Umfangs des Frachtabbaues sind naturwissenschaftliche Kriterien die Ausgangsbasis, die konkreten Festlegungen des Abbauumfangs folgen aber schließlich politischen Determinanten. Politische Entscheidungen folgen dann, wenn es um die Verteilung der Frachtabbauanteile auf die verschiedenen Verursachergruppen geht. Dabei ist zu bedenken, daß die übergroßen Nitratfrachten582 , die vom Lande aus in die Meeresgewässer gelangen, zu einem großen Bestandteil weniger aus Abwassereinleitungen als aus der landwirtschaftlichen Intensivbewirtschaftung herstammen583 . In der abschließenden Bewertungsstufe fallen wiederum Abwägungsvorgänge auf der Grundlage von Gesichtspunkten der technischen Machbarkeit an. Es geht darum, ob im Hinblick auf die Reduzierung von Menge und Schädlichkeit des Abwassers Anforderungen nur des additiven Umweltschutzes, also insbesondere im Bereich der zentralen Kläranlagen von Industriebetrieben, oder auch darüber hinaus des integrierten und analysierenden Umweltschutzes gestellt werden sollen, beispielsweise im Hinblick auf Teilströme, mögliche Änderungen des Produktionsverfahrens, die Substitution von Einsatzstoffen oder gar von Produktionsverboten584. Deutlich wird damit, daß Vorsorgestandards auch im Wasserrecht nicht allein dadurch geprägt sind, daß es sich bei ihnen um eine in strenger rechtlicher Gebundenheit vollziehende Anordnung des technisch Machbaren handelt585. Vielmehr geht es bei der Festsetzung von Vorsorgestandards jeweils 580 Zu den Beispielen "Robbensterben" und "Algenbildung" in der Nordsee vgl. in diesem Zusammenhang ausführlich Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 191. 581 Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 191 f. 582 Zur Problematik der Nitratbelastung vgl. Köck, IUR 1991, 8 ff.; Waskow, IUR 1991, 10.

583 Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 192. 584 Salzwedel, Ziele des Gewässerschutzes, S. 191 f. 585 Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Ausführungen im Zusammenhang mit dem in

§ 5 Abs. I Nr. 2 BimSchG genannten Technikniveau des "Standes der Technik" getroffen; daß

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

231

"um eine komplexe Neubewertung der Frage, welche Emissionsbegrenzung künftig von allen Anlagen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als angemessene Vorsorge verlangt wird" 586. Vorsorge muß dem Risikopotential, dem sie begegnen soll, angemessen sein587 . Die Verhältnismäßigkeit der Anforderungen ist dann "nicht mit - auf die einzelne Anlage bezogenen - betriebswirtschaftlichen Kategorien zu messen, sondern nur in volkswirtschaftlichen Größenordnungen erfaßbar" 588 . Dezisionistisch-wertende Entscheidungselemente als Grundlagen der Festlegungen sind unersetzlich. Die wasserrechtlichen Vorsorgestandards bedürfen mit Blickrichtung auf neue technische Entwicklungen gerade im Bereich der Vermeidungstechnologie und wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritte, die Änderungen nationaler Bewirtschaftungsziele erfordern, einer ständigen Fortschreibung. Eine Optimierungs- und Dynamisierungsfunktion der unbestimmten Rechtsbegriffe "allgemein anerkannte Regeln der Technik" und "Stand der Technik" gemäß § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG ist folglich als weiteres Indiz der Normstruktur dieser Vorschrift für den Bedarf an normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften zu bejahen.

cc) Fazit und Kontrollüberlegung

Sowohl der Auftrag des § 7 a Abs. 1 S. 3 WHG an die Bundesregierung zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften für die an das Einleiten von Abwasser zu stellenden Anforderungen als auch der Bedarf an Entscheidungsakten mit volitiv-dezisionistischen Elementen sowie der Berücksichtigung nationaler Vorsorgekonzepte sprechen deutlich dafür, daß Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 WHG zumindest unter dem Gesichtspunkt der normstrukturellen Voraussetzungen außenverbindlich sein und als normkonkretisierend eingestuft werden können. Auch die Kontrollüberlegung, ob § 7 a Abs. 1 WHG ohne Zwischenschaltung einer verbindlichen abstrakt-generellen Ebene unterhalb des Gesetzes, aber noch vor dem Einzelfallvollzug überhaupt vollziehbar ist, ergibt nichts Abweichendes. Ohne nationale Vorsorgekonzepte müßte § 7 a Abs. 1 WHG letztlich ins Leere laufen. Die oben skizzierten für die nach § 7 a Abs. 1 WHG daneben ebenfalls relevanten Anforderungen nach den "allgemein anerkannten Regeln der Technik" im Hinblick auf das Konzepterfordernis nichts anderes gelten kann, hat Salzwedel, Korr.Abw. 1989, 235 (236 f.) nachgewiesen; vgl. dazu auch unten S. 233 f. 586 BVerwGE 69, 37 (45). 587 BVerwGE 69, 37 (44). 588 BVerwGE 69, 37 (45).

232

D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

Sanierungsziele beispielsweise können ohne Verwaltungsvorschriften kaum in den Einzelfallvollzug Eingang finden. Auch wird es den Verwaltungsbehörden ohne die Verwaltungsvorschriften fast unmöglich sein, die Anforderungen der beiden Technikniveaus in Anbetracht der Dynamik der technischen Fortentwicklungen und der Komplexität der technischen Regelungen auch nur annähernd im Einzelfall bestimmen zu können. Die Möglichkeit zur abstraktgenerellen rechtlichen Einbindung solcher Entwicklungen macht aber gerade einen funktionsspezifischen Vorteil der Exekutive gegenüber den beiden anderen Gewalten aus. Auch wenn das Wasserhaushaltsgesetz keine dem §51 BlmSchG entsprechencle Regelung enthält, ist der Bedarf an verbindlicher exekutivischer Regelung - alleine schon zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Rechtssicherheit in den Gestaltungsverfahren - überdeutlich. Daß die auf der Grundlage des § 7 a Abs. 1 WHG erlassenen Abwasserverwaltungsvorschriften dann, wenn bei ihrer Abfassung die insoweit bestehenden formellen und materiellen Anforderungen der Standardsetzung beachtet worden sind589 , normkonkretisierenden Charakter haben, dürfte damit außer Zweifel stehen.

dd) Kein Ausschluß des normkonkretisierenden Charakters hinsichtlich der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" Untersucht werden soll an dieser Stelle, inwieweit die Feststellung haltbar ist, daß Verwaltungsvorschriften, die "nur" die allgemein anerkannten Regeln der Technik, nicht aber den Stand der Technik oder den Stand von Wissenschaft und Technik konkretisieren, im Unterschied zu den beiden letztgenannten nicht den Charakter normkonkretisierender Verwaltungsvorschriften haben sollen590 , was dann bei den Abwasserverwaltungsvorschriften aufgrund des gespaltenen Technikniveaus zu unterschiedlichen Ergebnissen in der rechtlichen Qualifikation führen müßte.

( l) Fragwürdigkeit einer Differenzierung Zum einen ist einzuwenden, daß bei jeder einzelnen Festlegung in Verwaltungsvorschriften nach § 7 a Abs. 1 WHG, die sowohl den Stand der Technik als auch die allgemein anerkannten Regeln der Technik widerspiegeln 589 Vgl. dazu unten S. 237 tl. 590 Breuer, NVwZ 198!!, 104 (113); ders. , Bedeutung technischer Regeln, S. 50; Walle-

rath, NWVBL 1989, 153 (159).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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können, hinsichtlich der Verbindlichkeit berücksichtigt werden müßte, welches Technikniveau nun gerade durch eine bestimmte Anforderung realisiert werden sollte. Ein einzelner Anhang zur Rahmen-Abwasserverwaltungsvorschrift oder eine einzelne Abwasserverwaltungsvorschrift könnte sowohl teilweise normkonkretisierend als auch in anderen Teilen rechtlich unverbindlich sein. Ein Ergebnis, das aus sich heraus für einheitlich aufgestellte Regeln bereits mehr als fragwürdig ist.

(2) Lediglich Ermittlung der Mehrheitsauffassung der Fachleute? Neben diesen eher auf Vernunftsgründen beruhenden Bedenken ist jedoch auch keine dogmatische Notwendigkeit einer entsprechenden Differenzierung zu sehen. Ausgangspunkt der Ansicht, daß die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergebende Verwaltungsvorschriften keinen normkonkretisierenden Charakter haben könnten, ist der Gedanke, daß es hier letztlich nur um die Ermittlung der jeweils herrschenden Mehrheitsauffassung unter den Fachleuten der Technik gehe und ein naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisspielraum der Exekutive deshalb ausscheide591 . Wenn der Exekutive demnach bei der Aufstellung der am Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgerichteten Standards in den Abwasserverwaltungsvorschriften nur die Aufgabe zufiele, den Stand der Konsensbildung der in Betracht kommenden Fachleute unter den Technikern festzustellen und daraus lückenlos und sachlogisch die Einleiteanforderungen abzuleiten, hätten auch Vorsorgeerwägungen und Auswirkungen auf andere Umweltschutzgüt~r und -medien bei der Festlegung der entsprechenden Standards keinen Platz592 . Auch an den allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgerichtete Emissionsstandards können aber aufgrunddes verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht allein um der bloßen Verfügbarkeit der Technik willen angeordnet werden, sondern bedürfen der jeweiligen Rechtfertigung am Maßstab des nationalen Frachtabbaukonzepts. Nicht nur die Umsetzung von technischen Neuheiten am Maßstab des Standes der Technik, sondern auch diejenige entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik berührt deshalb das Konzepterfordernis. Auch hier kann der technische Fortschritt nicht um seiner selbst willen verlangt werden, sondern muß im Hin-

591 Breuer, NVwZ 1988, 104 (113); ders., Bedeutung technischer Regeln, S. 50. 592 So aber Henseler, Abwasserbeseitigung, S. 49 f., 54 ff.

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D. Besonderheiten hinsichtlich des Abwassers

blick auf Schutzziele realisierungswürdig erscheinen593 . Bei der Festlegung von Standards entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik handelt es sich also nicht nur um die Festlegung des technisch Machbaren, auch hier werden die nach dem nationalen Vorsorgekonzept zu vermeidenden Gefahren mitberücksichtigt594 , so daß insoweit keine Unterschiede zum Stand der Technik hinsichtlich des normkonkretisierenden Charakters entsprechender Verwaltungsvorschriften gemacht werden können.

(3) Mangelnde Komplexität? Darüber hinaus wird die mangelnde Komplexität exekutivischer Maßnahmen, die am Maßstab der allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit angeblich eindeutig überprüfbarer Kausalbeziehungen ausgerichtet seien, eingewandt595 . Insofern ist aber zu bedenken, daß sich die Ermittlung des Standes der Technik und folglich erst recht des Standes von Wissenschaft und Technik durch die Behörde zwar schwieriger gestaltet als diejenige der allgemein anerkannten Regeln der Technik, zu deren Feststellung es genügt, "die herrschende Auffassung unter den technischen Praktikern zu ermitteln" 596 . Bei der Ermittlung der beiden anderen Technikniveaus sind hingegen die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein nicht ausschlaggebend. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Kalkar-Entscheidung festgestellt, daß sich die Feststellung und Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen für die Behörden insoweit schwieriger gestaltet, als sie in die Meinungsstreitigkeiten der Techniker eintreten müssen, um zu ermitteln, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist597 . Nur aus diesen größeren Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Technikniveaus jedoch eine Außenrechtsverbindlichkeit der die jeweiligen Anforderungen konkretisierenden Verwaltungsvorschriften herzuleiten, erscheint nicht überzeugend. Das Kriterium der Komplexität kann für sich allein gesehen gerade nicht ausschlaggebend für Verwaltungsvorbehalte bei der Standardsetzung sein598 . Probleme der Komplexität können auch von den Verwaltungsgerichten funktionsgerecht wahrgenommen werden, es geht vielmehr um die dezisionistisch-volitiven Elemente auch bei der Festlegung von allgemein aner593 Salzwedel, Korr.Abw. 1989, 235 (236 f.); ders., Das neue Wasserrecht, S. 7 ff.; ders. , Richtlinien der EG, S. 80. 594 Nacke, NVwZ 1987, 185 (186).

595 Wallerath , NWVBL 1989, 153 (159). 596 BVerfGE 49, 89 (135). 597 BVerfGE 49, 89 (135 f.). 598 Gerhardt, NJW 1989, 2233 (2236).

III. Die Abwasserverwaltungsvorschriften

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kannten Regeln der Technik. Hier müssen die durch dieses gesetzlich vorgeschriebene Technikniveau erfaßten Sachverhalte, Bezüge und Belange ebenfalls wertend, optimierend und gegebenenfalls quantifizierend in ein anwendungsfähiges Konzept umgesetzt werden599 . Auch bei der Ermittlung des Standes der allgemein anerkannten Regeln der Technik geht es nicht alleine darum, technisch-naturwissenschaftliche Ansichten einfach wiederzugeben. Von der Exekutive müssen die insoweit herrschenden Ansichten erst einmal ermittelt werden. Dies verlangt ebenfalls, wenn auch im Vergleich zu den anderen Technikniveaus eingeschränkt, die Verantwortung der Exekutive für die Risikoermittlung und -bewertung. Die Exekutive kann sich nicht einfach auf eine herrschende Meinung verlassen600 . Auch bei der Ermittlung des Standes der allgemein anerkannten Regeln der Technik hat die Exekutive die Wissenschaft also nur zu Rate zu ziehen, sie kann sich nicht auf eine bestimmte Meinung verlassen, sondern muß erst einmal alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse ermitteln und in Erwägung ziehen und auf dieser Grundlage dann wertend bestimmte Standards festlegen601 .

(4) Fazit

Die Ermittlung der "Mehrheitsauffassung der Techniker" läßt also ebenfalls Raum für dezisionistische und wertende Entscheidungen der Exekutive. Die Feststellung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ist kein reiner Subsumtionsakt, der nur falsch oder richtig sein kann602 . Die drei Technikniveaus geben jeweils nur mit gradueller Unterschiedlichkeil verschiedene Niveaus wieder. Die Festlegung der konkreten Anforderungen in Verwaltungsvorschriften ist jedoch grundsätzlich gleich strukturiert, lediglich die Schärfe der Anforderungen für - in unserem Zusammenhang - den Anlagenbetreiber ist unterschiedlich. Die zweistufige Strukturierung von Umweltstandards, nämlich das Enthalten von wissenschaftlich gesicherten oder vertretbaren Annahmen auf der einen und von politisch-wertenden Entscheidungselementen in gewissem Umfang auf der anderen Seite ist für alle drei Technikniveaus, abgesehen von der graduellen Verteilung der beiden Elemente, gleich. Auch die Bestimmung der allgemein anerkannten Regeln der Technik verlangt deshalb beispielsweise die Festlegung eines auf einheitliche und gleichmäßige Durchführung angelegten Vorsorgekonzeptes durch den Vorschriftengeber6