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German Pages 342 Year 2016
Melike S¸ahinol Das techno-zerebrale Subjekt
Band 7
Editorial Moderne Gesellschaften sind nur zu begreifen, wenn Technik und Körper konzeptuell einbezogen werden. Erst in diesen Materialitäten haben Handlungen einen festen Ort, gewinnen soziale Praktiken und Interaktionen an Dauer und Ausdehnung. Techniken und Körper hingegen ohne gesellschaftliche Praktiken zu beschreiben – seien es diejenigen des experimentellen Herstellens, des instrumentellen Handelns oder des spielerischen Umgangs –, bedeutete den Verzicht auf das sozialtheoretische Erbe von Marx bis Plessner und von Mead bis Foucault sowie den Verlust der kritischen Distanz zu Strategien der Kontrolle und Strukturen der Macht. Die biowissenschaftliche Technisierung des Körpers und die Computer-, Nano- und Netzrevolutionen des Technischen führen diese beiden materiellen Dimensionen des Sozialen nunmehr so eng zusammen, dass Körper und Technik als »sozio-organisch-technische« Hybrid-Konstellationen analysierbar werden. Damit gewinnt aber auch die Frage nach der modernen Gesellschaft an Kompliziertheit: die Grenzen des Sozialen ziehen sich quer durch die Trias Mensch – Tier – Maschine und müssen neu vermessen werden. Die Reihe Technik | Körper | Gesellschaft stellt Studien vor, die sich dieser Frage nach den neuen Grenzziehungen und Interaktionsgeflechten des Sozialen annähern. Sie machen dabei den technischen Wandel und die Wirkung hybrider Konstellationen, die Prozesse der Innovation und die Inszenierung der Beziehungen zwischen Technik und Gesellschaft und/oder Körper und Gesellschaft zum Thema und denken soziale Praktiken und die Materialitäten von Techniken und Körpern konsequent zusammen. Die Reihe wird herausgegeben von Gesa Lindemann, Professorin für Soziologie an der Universität Oldenburg, und Werner Rammert, Professor für Soziologie und Sprecher des interdisziplinären Zentrums für Technik und Gesellschaft an der TU Berlin.
Melike S¸ahinol (Dr. rer. soc.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am OrientInstitut Istanbul der Max Weber Stiftung und leitet dort den Forschungsbereich »Mensch, Medizin und Gesellschaft«. Sie erhielt mehrere Fellowships, darunter eines im Programm »Science, Technology and Society« (STS) an der Kennedy School of Government der Harvard University. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich STS, Technik- und Medizinsoziologie sowie der Bio-/Technologie-Politik in der Türkei, insbesondere im Bereich Human Enhancement und der Reproduktionsmedizin.
Melike S¸ahinol
Das techno-zerebrale Subjekt Zur Symbiose von Mensch und Maschine in den Neurowissenschaften
Sevgili Babamın aziz ruhuna ithaf ediyorum.
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis | 9 1. Erkenntnisinteresse und Aufbau der Arbeit | 11 1.1 Erkenntnisinteresse und Eingrenzung der Problemstellung | 11 1.2 Aufbau der Arbeit | 16 2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft | 19 2.1 Die gesellschaftliche Relevanz der Hirnforschung | 19 2.2 Visuelle Repräsentationen und Hirnmaschinen | 24 2.2.1 BCI/BMI mittels EEG | 24 2.2.2 Ein neurological turn in der Soziologie? | 26 2.2.3 Repräsentationen in der Wissenschaft und Medizin | 29 2.2.4 Die Aktualität des »homo cerebralis« | 35 3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
neurowissenschaftlicher Welten | 39 3.1 Medizin und Wissenschaft als kulturelle Praxis | 44 3.1.1 Handeln, Struktur und ausgehandelte Ordnung | 45 3.1.2 Soziale Welten und Arenen | 51 3.2 Das Labor als Ort der Verdichtung. Oder: Wo sind die Hybriden? | 53 3.2.1 Hybrid-AkteurInnen und die Soziologie der Übersetzung | 59 3.2.2 Sozio-technische Konstellationen | 63 3.3 Ökosysteme des Wissens und Grenzobjekte | 69 3.4 Mensch und Technik: Körpertechniken und Subjektkonstitution in kultureller Praxis | 76 3.4.1 Der Körper aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive | 81 3.4.2 Körper und Technik | 84 3.4.3 Zirkularität als Moment der Cyborg-Konstitution | 87 3.4.4 Bio-technische Gestalten in der medizinischen Praxis | 93 3.5 Subjektkonstitution aus praxeologischer Perspektive | 97
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und
Auswertungsprozess | 99 4.1 Die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und der Feldzugang | 99 4.2 Der Prozess der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung | 102 4.2.1 Die Wahl der Grounded Theory als methodologischer Rahmen | 102 4.2.2 Die Datenerhebung | 104 4.2.3 Die Aufbereitung und Auswertung der Daten | 114 5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre
epistemischen Objekte | 125 5.1 Die Bedeutung der Ethik für die Neuroarena | 126 5.1.1 Die Bedeutung der Legitimationsfunktion von Ethik für NeurowissenschaftlerInnen | 129 5.1.2 Der Austausch von NeurowissenschaftlerInnen und EthikerInnen über ethisch-moralische Fragestellungen | 132 5.1.3 Die heterogene Akteurskonstellation und die Pluralität von Ethik und Moral | 139 5.2 Im Strom der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft | 145 5.3 Beobachtungen bei EpilepsiepatientInnen – die Initialzündung | 152 5.4 Zwischenfazit: Heterogene Akteurskonstellation und epistemische Objekte | 156 6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen
Anpassungsprozess | 159 6.1 Die neurowissenschaftlich-klinische Studie: Versuchsanordnungen | 160 6.1.1 Das Neurofeedback-Training mit dem Neurorehabilitationsroboter | 163 6.1.2 Das Rehabilitationsexoskelett in Kombination mit Physiotherapie | 166 6.2 Die erste Phase der Mensch-Maschine-Anpassung | 167 6.2.1 Vorbereitungen zum BCI und seine verbindenden Elemente | 168 6.2.2 Andockprozedur der SchlaganfallpatientInnen | 171 6.2.3 Anpassung des PatientInnenkörpers an die Maschine vice versa | 187 6.2.4 Die Rückführung der bio-technischen Gestalt zur gestalthaften Ganzheit | 202 6.2.5 Zwischenfazit zur körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung | 205
6.3
6.3.1
6.3.2 6.3.3 6.3.4
6.3.5 6.3.6
6.4
Die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung: Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess | 210 Das Auslesen von Gedanken? Screening als Bedingung für die prozessual-synchrone Anpassung von Mensch und Maschine | 212 Momente der Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts | 222 Zirkularität als Moment der Mensch-Maschine-Symbiose | 251 Artefakte, Konflikte und die Suche nach dem »sauberen Signal« | 268 Kartierung und Verstärkung der Signalpunkte | 283 Zwischenfazit: Die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung | 294 Zwischenfazit zu den Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess | 295
7. Resümee und Ausblick | 303 7.1 Das techno-zerebrale Subjekt in den Neurowissenschaften
7.2
als eine bio-technische Gestalt des Cyborgs/der Cyborg | 304 Die Bedeutung des Konzepts der Mensch-Maschine-Anpassung und seiner Dimensionen für (technik)soziologische Theorien | 309
Literatur | 315 Abbildungsverzeichnis | 337 Danksagung | 339
Abkürzungsverzeichnis
ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, auch Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom oder Hyperkinetische Störung (HKS) genannt ALS Amyotrophe Lateralsklerose (degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems) APB (Musculus) abductor pollicis brevis (Muskel des Daumenballens) BCI Brain Computer Interface (Gehirn-Computer-Schnittstelle) BMI Brain Machine Interface (Gehirn-Maschine-Schnittstelle) CBI Computer-Brain Interface (Computer-Gehirn-Schnittstelle) DARPA Defense Advanced Research Projects Agency (Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums) DBS Deep Brain Stimulation (Tiefenhirnstimulation) DLR Deutsche Luft- und Raumfahrt (Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt sowie Energietechnik, Verkehr und Sicherheit) ECoG Elektrocorticogramm (deutsch: Elektrokortikogramm, invasives EEG, bei dem sich Elektroden auf der Hirnrinde befinden) EEG Elektroencophalogramm, Elektroencophalographie ERC Europäischer Forschungsrat EMG Elektromyographie FES functional electrical stimulation (funktionelle Elektrostimulation, elektrische Stimulation eines Muskels) fMRT funktionelle Magnetresonanztomographie (bildgebendes Verfahren zur Darstellung physiologischer Funktionen des Körperinneren mittels MRT, engl. fMRI für functional Magnetic Resonance Imaging) HBMI Human Brain Machine Interface LED Light-Emitting Diode (Infrarot-Leuchtdiode) MEP Magnetisch evoziertes Potenzial MRT Magnetresonanztomographie (bildgebendes Verfahren zur Darstellung des Körperinneren, der Organe, Gewebe und Gelenke, engl. MRI für Magnetic Resonance Imaging)
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OTA
Office of Technology Assessment‹ (Büro für Technikfolgenabschätzung in den Vereinigten Staaten) PMI Peripheral Machine Interface STS Science and Technology Studies TA Technikfolgenabschätzung TAB Büro für Technikfolgenabschätzung tDCS Transcranial Direct Current Stimulation (transkranielle Gleichstromstimulation durch Anbringung von Elektroden auf der Kopfhaut) TMS Transkranielle Magnetstimulation bzw. transkranielle magnetische Stimulation (Stimulation der Schädeloberfläche mit einer Magnetspule) VDI Verein Deutscher Ingenieure
1. Erkenntnisinteresse und Aufbau der Arbeit
1.1 Erkenntnisinteresse und Eingrenzung der Problemstellung Neurowissenschaftliche und neurotechnologische Innovationen erfordern neben technik- und medizinwissenschaftlichen auch (medizin-)ethische und sozialwissenschaftliche Betrachtungsweisen, da sie derart tiefgehend in unser Leben eingreifen, dass sie elementare Fragen nach z.B. dem heutigen Menschen- bzw. PatientInnenbild, der Selbst- und Fremdgestaltung und der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft aufwerfen. Die Handlungsfähigkeit von PatientInnen mit bestimmten Krankheiten ist stark von Medizintechnik abhängig. Beispielsweise gehört mittlerweile der Einsatz von Neuroimplantaten bei ParkinsonpatientInnen zum Alltag, um ihren Tremor1 zu unterdrücken. Mittels medizintechnischer Aufzeichnungsverfahren und Apparaturen können Hirnsignale aufgenommen und verarbeitet werden, die dann zur Steuerung externer Hard- und Software (z.B. PC-Cursor, Neuroprothesen etc.) genutzt werden können. Und auch bei neurowissenschaftlichen Studien spielt die Medizintechnik eine entscheidende Rolle. So werden bspw. die Hirnsignale von SchlaganfallpatientInnen mittels BCI2 so weiterverarbeitet, dass bei einem bestimmten Hirnsignalaktivitätsmuster die Ansteuerung eines Rehabilitationsroboters3 die Öffnung der gelähmten Hand des Patienten bzw. der Patientin durch die Aktivierung der Roboterorthese ermöglicht. Diese Aktivität stellt ein Feedback für den Patienten/die Patientin dar, welches Neurofeedback genannt wird. Durch diesen Feedbackmechanismus wollen die NeurowissenschaftlerInnen bei PatientInnen einen Lernprozess in Gang setzen, bei dem die Gehirnaktivität durch die PatientInnen bewusst steuerbar und regulierbar wird. In Kombination mit anderen neurowissenschaft1 | Parkinson ist eine Schüttelkrankheit, bei der PatientInnen unwillentlich zittern.
Unter einem Tremor versteht man das unwillkürliche, sich rhythmisch wiederholende Zusammenziehen einander entgegenwirkender Muskelgruppen (Zittern). 2 | Das BCI/BMI wird in Kapitel 2.2.1 erläutert. 3 | In dieser Arbeit ist manchmal analog dazu auch von Neurorehabilitationsroboter die Rede, um zu verdeutlichen, dass der Roboter neuronal angesteuert wird. Das Neurofeedback-Training mit dem Neurorehabilitationsroboter wird in Kapitel 6.1.1 beschrieben.
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lichen Techniken soll das BCI die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit bei SchlaganfallpatientInnen gewährleisten. In Zukunft soll es auch zur Steigerung der Kommunikationsfähigkeit von ALS-PatientInnen4 genutzt werden. Diese Wiederherstellungs- bzw. Förderungsprozesse sind zurzeit im Fokus verschiedener (klinischer) neurowissenschaftlicher Studien und erfordern eine MenschMaschine-Verbindung, die höchst voraussetzungsvoll ist. Neurowissenschaften und -technologien beziehen sich also unmittelbar auf die handelnden Menschen bzw. PatientInnen, deren Autonomie sowie Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit. Die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften beeinflussen und verändern letztlich nicht nur den Menschen und sein Handeln, sondern haben auch Auswirkungen auf verschiedene Teilbereiche der Gesellschaft (siehe hierzu Kapitel 2). Es ist dementsprechend erstaunlich, dass sich die Soziologie trotz der soziologischen Relevanz neurotechnologischer Innovationen derart resistent gegenüber dem Thema Gehirn und Hirnforschung zeigt.5 Die vorliegende Arbeit nimmt sich diesem Desiderat an. Sie lässt sich im Schnittfeld von Geistes- bzw. Gesellschaftswissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits verorten und fokussiert Praktiken und Techniken in neurowissenschaftlichen klinischen Studien, die die Wiederherstellung neuronaler Funktionen bei PatientInnen beleuchten und in denen Mensch-Maschine-Anpassungen eingebettet sind. Dabei geht es nicht darum, Gehirnprozesse zu erklären, sondern darum, Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften verstehend zu deuten, wobei dies (in der Tradition der »Verstehenden Soziologie«, Weber 2005 [1920] u.a.). Aus diesem Grund werden die Bedingungs- und Ermöglichungszusammenhänge insgesamt und insbesondere die Ursachen- und Wirkungszusammenhänge der wechselseitigen Anpassungsfähigkeit und -leistung von Mensch und Maschine, respektive Gehirn und Computer, soziologisch rekonstruiert, beschrieben und analysiert. In der experimentellen neurowissenschaftlichen Forschung sind viele hochentwickelte Technologien und Verfahren zugegen: bildgebende Verfahren, Messgeräte, die Hirnstrommuster aufzeichnen, neuronale Implantate usw. Sie alle haben gemeinsam, dass sie an, auf oder in den menschlichen Körper gerichtet sind. Dabei gilt es, zunächst den Zustand des Gehirns zu erfassen und eine Diagnose zu stellen, um dann auf dieser Basis ggf. Maßnahmen einzuleiten, die dazu 4 | Die ALS ist eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems, die zur
vollständigen Lähmung führt. 5 | Es gibt nur vereinzelte soziologische Studien zum Thema »Gehirn und Gesellschaft«, wie z.B. die von Vogd (2010); Zaboura (2009); Reichertz & Zaboura (2006). Zwar gibt es durchaus eine erhöhte Aufmerksamkeit innerhalb der Soziologie zu diesem Thema, jedoch nur eine geringe qualitativ-empirische Auseinandersetzung mit der Hirnforschung. Zu den Ausnahmen zählen die Arbeiten von Lindemann (z.B. 2005, 2008, 2009a, 2011), auf die ich in dieser Arbeit näher eingehen werde.
1. Erkenntnisinteresse und Aufbau der Arbeit
dienen, »fehlerhafte« Funktionen6 wiederherzustellen bzw. zu verändern. In diesem Zusammenhang mangelt es jedoch an Studien, die ergründen, wie genau Mensch und Maschine in neurowissenschaftlichen Studien aneinander angepasst werden. Meine Forschung setzt hier an, wie ich im Folgenden aufführen werde. In der neurowissenschaftlichen Anwendungsforschung geht es darum, auf Grundlage der Erforschung von Gehirnfunktionen eine Erkrankung klinisch zu behandeln. Im Rahmen der dieser Arbeit zugrundeliegenden empirischen Untersuchung habe ich solche Projekte teilnehmend beobachtet und sozialwissenschaftlich begleitet, die sich zum Forschungszeitpunkt um die Heilung von SchlaganfallpatientInnen und ALS-PatientInnen bemühten. Das Ziel dieser Projekte war der Heilversuch7 und die damit verbundene Hoffnung der Wiederherstellung der neurologischen Funktionen der PatientInnen – insbesondere der Motorikfunktion bei SchlaganfallpatientInnen. Es wird versucht, dies mit Hilfe von BCI/BMI-Technologien zu erreichen, die mit weiteren Neurotechniken kombiniert werden, wobei zugleich Mensch-Maschine-Schnittstellen, respektive BCI/BMI optimiert werden sollen. Forschung und Behandlung gehen dabei Hand in Hand, wobei auch die Handlungsfähigkeit der Forschenden und ÄrztInnen von Technologien abhängt und davon, wie Mensch und Maschine sich gegenseitig aneinander anpassen bzw. aneinander angepasst werden. Im Rahmen meiner empirischen Untersuchung zur Mensch-Maschine-Anpassung zeigte sich, dass die Anpassung mit unterschiedlichen Problemen verbunden ist, die durch die Beteiligten mittels unterschiedlicher Praktiken und Techniken gelöst bzw. zu lösen versucht werden. Da diese Probleme einer »perfekten« Anpassung im Weg zu stehen scheinen, habe ich mein Erkenntnisinteresse in diesem Zusammenhang darauf fokussiert, zu ermitteln, welche Störungen und Probleme durch die beobachteten NeurowissenschaftlerInnen durch welche Strategien gelöst wurden. Auf die ermittelten auftretenden Probleme und Lösungsstrategien werde ich im empirischen Teil meiner Arbeit eingehen (Kapitel 6). Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Prozesse, durch die die Anpassung von Mensch und Maschine im Rahmen von neurowissenschaftlichen Studien ermög6 | Die Formulierung impliziert, dass gewisse Funktionen von einer Norm abweichen
können. Jedoch differiert der Einsatz von Neurotechnologien je nach Abweichung von den als normal definierten Funktionen. Beispielsweise wird bei SchlaganfallpatientInnen die Wiederherstellung der motorischen Funktionen noch immer ausschließlich durch traditionelle Rehabilitationsmaßnahmen gefördert. Bei depressiven PatientInnen hingegen werden schon neuronale Implantate zur Stimmungssteigerung ins Gehirn eingepflanzt, deren Stärke man mit einem Regler verstellen kann. Die verschiedenen Formen der Nutzung von Neurotechnologien je nach Erkrankung sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. 7 | Zur Unterscheidung zwischen Behandlung und Heilversuch vgl. Kapitel 3 in dieser Arbeit.
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Das techno-zerebrale Subjekt
licht wird, zu beleuchten. Dies werde ich insofern konkretisieren, als ich der Analyse das Beispiel der Wiederherstellung zerebraler Prozesse durch Neurofeedback in Kombination mit der Kortexstimulation bei SchlaganfallpatientInnen zugrunde lege. Mein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem neurowissenschaftlichen und neurotechnischen Ko-Konstitutionsprozess der »Mensch-Maschine-Symbiose« (in Anlehnung an Klaus 1962) als eine Form der Mensch-Maschine-Anpassung, bei der techno-zerebrale Handlungen über das BMI realisiert werden. Dabei sind folgende forschungsleitenden Fragen zentral: • Welche Praktiken und Techniken der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaften ermöglichen und bedingen die wechselseitige Anpassungsfähigkeit von Mensch und Maschine, respektive die prozessuale Wechselwirkung zwischen Gehirn und Computer, und somit die Entstehung eines Systems, in dem beide Elemente zusammenwirken (Mensch-Maschine-System bzw. BMISystem)? • Wie wird die Mensch-Maschine-Verbindung stabilisiert? Eine weitere Frage, die aus diesen Fragen resultiert, ist die nach der Herstellung der techno-zerebralen Handlung, die sich aus dem Zusammenwirken von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer ergibt. Wie ko-konstituiert sich in diesem Zusammenhang die Mensch-Maschine-Symbiose? Da Neurowissenschaft(en) und Neurotechnologien Mensch und Technik bzw. das Biologische und Technische miteinander verflechten und da sich diese Beziehung wiederum in einem Prozess der gegenseitigen Anpassung verändert, werde ich zudem meinen forschenden Blick im besonderen Maße auf diese anpassungsbedingte Veränderung richten. Dadurch werden die Konsequenzen, die sich durch Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften für das Forschungssubjekt ergeben, aufgezeigt. In den von mir teilnehmend beobachteten Studien habe ich festgestellt, dass sich die Mensch-Maschine-Anpassung in drei Phasen unterteilen lässt. Für die erste Phase ist die Anpassung von Biologischem und Technischem durch die NeurowissenschaftlerInnen charakteristisch, wobei heterogene Vermittlungsinstanzen eine tragende Rolle spielen (siehe Kapitel 6.2). In der zweiten Phase wird die Koordination von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen ermöglicht und hergestellt. Dabei treten diverse Schwierigkeiten auf, die die Mensch-Maschine-Anpassung destabilisieren. Analog zu den Destabilisierungen treffen Neurowissenschaftler Innen unterschiedliche Maßnahmen. Für die dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung ist die technikinduzierte neuronal exakte Verstärkung der Verbindung zwischen Gehirn und Muskelpunkten charakteristisch. Die zweite und dritte Phase (Kapitel 6.3) und die darin getroffenen Maßnahmen zur Koordina-
1. Erkenntnisinteresse und Aufbau der Arbeit
tion und Stabilisierung der Mensch-Maschine-Verbindung beziehen sich stark aufeinander und verlaufen iterativ. In allen Phasen der Anpassung spielen auch Repräsentationstechniken wie das EEG sowie Softwareprogramme, die die Widerstände der EEG-Signale überprüfen und wiedergeben, eine wesentliche Rolle. Denn erst durch verbindende Elemente, die die Repräsentation lebendiger Elemente im Körper aufnehmbar, verarbeitbar und steuerbar machen, kann die Anpassung hergestellt und kontrolliert werden. Im Zuge der Adjustierung menschlicher und nicht-menschlicher AkteurInnen im Anpassungsprozess ergeben sich zudem bestimmte Konsequenzen. Auch diesen gilt meine wissenschaftliche Perspektive. Denn aufgrund des Einsatzes verschiedener neurowissenschaftlicher Praktiken und Techniken in bestimmten Settings (Labor, Klinik, OP-Saal), bestimmten Handlungen und interaktionalen Strategien, findet eine Subjektivation statt, die sich am Forschungssubjekt (vgl. Kapitel 6, insbesondere 6.3) zeigt, dessen Körper und vor allem dessen Gehirn sich mit Technik symbiotisch verbindet. Meiner Analyse der Mensch-Maschine-Anpassung liegt primär ein praxeologischer Ansatz zugrunde, der den Herstellungsprozess mitsamt der Materialität und Körperlichkeit bei der Subjektkonstitution fokussiert. Auf dieser Grundlage war es mir möglich, als Ergebnis der Praktiken und Techniken in den Neurowissenschaften das herauszukristallisieren, was ich als »techno-zerebrales Subjekt« (in Anlehnung an das »homo cerebralis« von Hagner 1995; bzw. an das »sujet cérébral« von Vidal 2005) bezeichne. Dieses Subjekt stellt eine bio-technische Gestalt8 des Cyborgs dar, dessen Konstitution ich als Resultat der Praktiken und Techniken von Neurowissenschaften zur Diskussion stelle. Um das Phänomen der Mensch-Maschine-Anpassung und seine dimensionalen Ausprägungen begreifbar zu machen, bedarf es verschiedener theoretischer Zugriffe. Die von mir verwendeten theoretischen Bezüge beruhen, da sie verschiedenen Traditionen entstammen, auf einer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung. Aufgrund dieser Heterogenität eignen sie sich besonders gut dazu, die Mensch-Maschine-Anpassung in all ihren Dimensionen zu erfassen und sie in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Zusätzlich zu der bereits angesprochenen praxeologischen Rahmung bediene ich mich an Strauss’ symbolischem Interaktionismus und verschiedenen pragmatistischen Bezügen, da diese Ansätze Körperlichkeit (Kapitel 3.4), Handeln und Struktur (Kapitel 3.1) sowie die Zeitlichkeit und Prozesshaftigkeit des Phänomens9 Mensch-Maschine-Symbiose 8 | Ich verwende den Ausdruck »bio-technische Gestalt« synonym zum Konzept der
»biotechnischen Gestalt« von Lindemann (2002), worauf ich im Kapitel 3.4.4 näher eingehe. Das Cyborg-Konzept stelle ich im Kapitel 3.4.3 vor. 9 | Nach Strauss & Corbin (1996 [1990]: 79). Eine ausführliche Darstellung zur Forschungsmethode findet sich im Kapitel 4 dieser Arbeit.
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Das techno-zerebrale Subjekt
(welche eine bestimmte Form der Mensch-Maschine-Anpassung darstellt) analysierbar machen. Zudem bedarf es theoretischer Elemente, die Körperlichkeit mit Zeitlichkeit kombinieren und die es ermöglichen, die Subjekt-Objekt-Auflösung bzw. -Symbiose zu erfassen. Hier greife ich auf Ansätze der Science and Technology Studies (STS)10 und der Techniksoziologie zurück, denn insbesondere techniksoziologische Bezüge richten ihren Blick auf technische AkteurInnen und Materialität, sodass die Mensch-Maschine-Anpassung begreifbar und analysierbar wird.
1.2 Aufbau der Arbeit Zunächst wird im Kapitel 2 erläutert, warum es wichtig ist, dass sich die Soziologie mit dem Erkenntnisprozess der Hirnforschung auseinander setzt. Da Repräsentationstechniken einen wesentlichen Beitrag zu Fortschritten der Medizinund der Hirnforschung geleistet haben, werden diejenigen der bedeutendsten Darstellungsformen der Medizin und (Neuro-)Wissenschaft vorgestellt, die maßgeblich erst Einblicke ins Gehirn ermöglicht haben. Dabei werden auch die Problematiken beleuchtet, die diesen Darstellungsformen inhärent waren bzw. sind. Um die Problematiken für zukünftige Behandlungsoptionen mittels BCI/ BMI und die Anpassungsprozesse, die in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind (und denen mein forschender Blick gilt), verstehen zu können, muss man sich zunächst mit den Grundlagen der Hirnforschung und ihrer Repräsentationstechniken (wie z.B. EEG-basierter BCI/BMI-Systeme) vertraut machen. Deshalb gehe ich im Kapitel 2 darauf ein und thematisiere jene Ansätze insbesondere aus den STS, an die meine Arbeit anschließt. Auch wird durch den Stand der Forschung zu neurowissenschaftlichen Praktiken und Techniken deutlich, warum die Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen problematisch für den Umgang mit PatientInnen sein können. Daraus ergibt sich die Relevanz dieser Arbeit, die in der pragmatistischen STS-Tradition steht, die ich in eine praxeologische Rahmung setze, um die Subjektivierungseffekte aufzuzeigen. Daher werden zunächst zu Beginn des 3. Kapitels Bezüge zur Praxistheorie aufgezeigt. Strauss’sche Konzepte in Kapitel 3.1 dienen als methodischer Zugang, um die Handlungen in Neuro-Welten und gesellschaftsstrukturelle Handlungsbedingungen aufzuzeigen. Da ich mich in meiner Analyse insbesondere auf teilnehmende Laborbeobachtungen beziehe, werden im Kapitel 3.2 einschlägige Laborstudien vorgestellt. Um schließlich die Mensch-Maschine-Anpassung als verteiltes Handeln in so10 | Ich verwende im Nachfolgenden STS als Synonym für »Wissenschafts- und Technikforschung«, »Wissenschaftsforschung« sowie »Science Studies«.
1. Erkenntnisinteresse und Aufbau der Arbeit
zio-technischen Konstellationen beschreiben zu können, stelle ich in Kapitel 3.2.2 Bezüge zum Technopragmatismus her und das Konzept gradualisierten Handelns vor. Der ecology approach, auf den ich in Kapitel 3.3 eingehe, bietet einen Zugang zum Verständnis, wie neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaften sich zur Erreichung eines Forschungsziels organisieren und wie durch ihre disziplinär unterschiedlich geprägten Praktiken und Techniken das hergestellt wird, was ich als das »techno-zerebrale Subjekt« bezeichne. Auch wenn Materialität im Zusammenhang mit multiplen Mitgliedschaften im ecology approach eine wichtige Rolle spielt, fehlt die Bezugnahme auf Körperlichkeit. Daher werde ich im Kapitel 3.4 auf die Bedeutung von Körpern und ihre Erweiterung durch Techniken eingehen. Hier stelle ich auch das Konzept der »Mensch-Maschine-Symbiose« und das Cyborg-Konzept (Kapitel 3.4.3) vor, die beide maßgeblich durch das Zirkularitätsprinzip der Kybernetik gezeichnet sind, wodurch das Verhalten insbesondere für die NeurowissenschaftlerInnen algorithmisch erfassbar wird. Lindemanns Modell zur Erfassung der bio-technischen Gestalt (Kapitel 3.4.4) dient mir zur Beschreibung der Rolle des Körpers der PatientInnen und seiner diskreten Elemente (elektrophysiologischer Prozesse) bei der Herstellung der Mensch-Maschine-Anpassung. Im Anschluss an die Erörterung der dieser Arbeit zugrundliegenden Theorien werde ich im Kapitel 4 meine empirische Studie näher skizzieren. Dabei werde ich sowohl den Forschungsprozess und den Feldzugang beschreiben, als auch begründet darlegen, weshalb ich die von mir verwendeten Methoden zur Datenerhebung und -auswertung ausgewählt habe. Danach stelle ich in den Kapiteln 5 und 6 die Ergebnisse meiner Untersuchung vor. Zuletzt werde ich im Kapitel 7 meine Befunde zusammenfassen und auf die Bedeutung meines Konzepts der Mensch-Maschine-Anpassung und seiner Dimensionen für (technik)soziologische Theorien eingehen. Ferner werde ich die Bedeutung meiner Befunde für mögliche zukünftige soziologische Studien aufzeigen, auch was die Praxis von zukünftigen klinischen Studien und den Umgang mit PatientInnen bei neurowissenschaftlich-klinischen Heilversuchen angeht.
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2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
In diesem Kapitel werde ich die gesellschaftliche Relevanz der Hirnforschung darstellen, wobei ich auf ihre Grundlagen eingehe. Ich skizziere die soziologische Debatte der Hirnforschung, um den Stand der soziologischen Forschung zu Neurowissenschaften darzustellen und um darauf aufmerksam zu machen, dass die Mensch-Maschine-Anpassung ein Desiderat darstellt. Da bei der MenschMaschine-Anpassung Repräsentationstechniken eine zentrale Rolle spielen, stelle ich Studien aus den STS vor, die sich mit Repräsentationstechniken und ihren Folgen i. w. S. auseinandersetzten. Abschließend mache ich deutlich, an welche wissenschaftshistorischen und wissenschaftssoziologischen Studien ich mit meiner Arbeit anschließe.
2.1 Die gesellschaftliche Relevanz der Hirnforschung Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, was Gehirn und Gesellschaft miteinander zu tun haben. Zunächst ist dazu festzustellen, dass die Hirnforschung Einfluss auf viele gesellschaftliche Bereiche nimmt, wie z.B. Recht, Medizin, Medien, Politik, Wirtschaft, Religion, Militär und Wissenschaft. Sozialwissenschaftlich relevant sind dabei alle von der Hirnforschung betroffenen Sozialsysteme. Bereits im Jahr 1997 wiesen Hennen et al. in Studien des TAB1 darauf hin, dass 1 | Um den negativen Folgen der Entwicklung bzw. der Einführung einer Technologie
nicht hilflos gegenüberzustehen, bemühte man sich um »Konzepte eines adressatenorientierten technology assessment, einer Technikfolgenabschätzung (TA) oder Technikbewertung, die gesellschaftliche Dimensionen berücksichtigte« (Neveling, Bumke & Dietrich 2002: 390). William F. Ogburn leistete bereits in den 1930er Jahren Pionierarbeit in der TA. Er analysierte Entwicklungstrends der Technik und konstatierte unmittelbare und abgeleitete Technikfolgen für sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (Rammert 2000: 23). Seit Ende der 1960er Jahre wurden verschiedene Entwürfe der Technikfolgenabschätzung diskutiert, wobei dieser Diskurs zunächst allein die Vereinigten Staaten betraf. Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Technikforschung war
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Das techno-zerebrale Subjekt
neue Erkenntnisse der Hirnforschung z.T. immense Auswirkungen auf viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens haben, wobei die Effekte der Hirnforschung bis ins Privatleben reichen. »Darüber hinaus eröffnet das wachsende Verständnis der Funktionsprinzipien des Gehirns Anwendungsfelder im Bereich der therapeutischen Medizin, der Behandlung von psychischen Störungen und Suchtformen, der Informationstechnologie und der Kriminologie und der Wehrtechnik. Von einem Einsatz des neurotechnologischen/-biologischen Wissens in diesen Bereichen werden weite Teile unserer Gesellschaft betroffen sein.« (Hennen et al. 1997: 93)
Die Forschungsfelder Neuroökonomik bzw. Neuromarketing versuchen beispielsweise, ökonomische Entscheidungsprozesse durch neurowissenschaftliche Methoden zu verstehen und zu erklären. Medikamentöse Neuropharmaka, wie die bekannte »Lifestyle-Droge« Ritalin, werden immer häufiger zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen. Der Personenkreis, der Zugang zu den Neuropharmaka hat, ist jedoch begrenzt – hier zeigen sich die Phänomene sozialer Ungleichheit und sozialer Schließungsprozesse. In den USA und in Indien werden beispielsweise neurotechnologische Lügendetektoren als Beweismittel in gerichtlichen Verfahren zugelassen. Zu- und Eingriffe in die Strukdie Entwicklung eines Folgenfrühwarnsystems zur Analyse und Bewertung von Effekten der Einführung und Anwendung neuer Technologien auf Umwelt und Gesellschaft. Diskutiert wurde einerseits der wissenschaftlich-analytische Umfang. Dies betraf z.B. die Analyse positiver und negativer Auswirkungen einer Technik auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, genauso wie es die Chancen- und Risikobewertung und -erfassung und dieInterdisziplinarität der Analyse umfasste. Andererseits wurden Handlungsoptionen aufgezeigt und Partizipation eingefordert. Die parlamentarische Debatte um eine Institutionalisierung von TA in Deutschland startete zwar im Jahr 1972 kurz nach der Eröffnung des OTA in den USA, das TAB wurde jedoch erst im März 1990 institutionalisiert (vgl. u.a. Neveling, Bumke & Dietrich 2002: 390; Petermann 1999: 18ff.). TA wurde sodann vom VDI, einer der im TAB maßgeblich beteiligten Sachverständigengruppe, als planmäßige, systematische, organisierte Methode definiert. Das TAB betreibt Technikfolgenabschätzung als Politikberatung und will durch seine Arbeit auf der Grundlage einer Analyse des Technikstands und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten sowie auf der Grundlage einer Folgenabschätzung und Technikbewertung alternative Handlungs- und Gestaltungsoptionen für politische EntscheidungsträgerInnen entwickeln. Es nimmt insofern direkt Einfluss auf die Technikgestaltung und -politik. Als ein weiteres (modernes) Ziel der TA gilt es, die Potentiale neuer wissenschaftlich-technischer Entwicklungen zu analysieren und deren ökonomische und ökologische Chancen auszuloten. Ausgangspunkt bilden hierbei zunehmend soziale Probleme, Bedürfnisse und Erwartungen (vgl. Degele 2002: 42).
2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
turen und Funktionen des Gehirns verheißen Verbesserung und Perfektionierung des Menschen auf unterschiedlichen Ebenen. Beispielsweise werden sich damit Mehrwerte versprochen, welche einzelne Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören), kognitive Fähigkeiten (Erinnern, Lernen) und motorische Fähigkeiten (Laufen) betreffen. Viele gesellschaftliche Teilbereiche »profitieren« von Erkenntnissen und Technologien aus der Hirnforschung. Zumindest erhoffen sich viele einen gesellschaftlichen Mehrwert, wobei sich diese Hoffnung auch auf solche neurowissenschaftlichen-klinischen Studien bezieht, wie ich sie untersucht habe. Diese werden z.T. über Steuergelder finanziert. In den USA ist die »Defense Advanced Research Projects Agency« (DARPA) ein Forschungsförderer solcher Neurotechnologien. Und in Deutschland beteiligt sich die »Deutsche Luft- und Raumfahrt« (DLR) als Projektträgerin2 an der Forschungsförderung im Bereich der Gesundheitsforschung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften. Außerdem finanzierte beispielsweise der »Europäische Forschungsrat« (ERC) in den Jahren 2007-2012 mehr als 1260 Projekte und 4300 WissenschaftlerInnen im Bereich der Hirnforschung. Das Rahmenprogramm »Research and Innovation« (vgl. European Commission/Research & Innovation 2012) wurde mit insgesamt 2 Billionen Euro finanziert. Im Mai 2013 veröffentlichte der ERC schließlich die Ergebnisse der durch die Rahmenprogramme geförderten Projekte in der Publikation »ERC projects to unlock mysteries of the human brain« (European Research Council 2013). Und seit Oktober 2013 wird das für eine Laufzeit von zehn Jahren konzipierte Flaggschiffprojekt »Human Brain Project« von der Europäischen Kommission gefördert. Das mit einem Betrag von 1 Milliarde Euro geförderte Projekt verfolgt das Ziel, das menschliche Gehirn computertechnisch zu simulieren und vollständig zu entschlüsseln. Es beinhaltet jedoch auch mehrere Teilprojekte, die in den Gesellschafts- bzw. Geisteswissenschaften und deshalb unter dem Schlagwort »Ethics and Society« verortet sind (vgl. Amunts, Lindner & Zilles 2014).3 Wie an den Fördersummen der verschiedenen Projekte ersichtlich wird, fließen teils immense Summen in die Erforschung von Hirnerkrankungen. Die hohen Fördersummen werden i.d.R. mit den hohen Kosten legitimiert, die Hirn2 | Vgl. auf den Onlineseiten der DLR www.dlr.de/pt/desktopdefault.aspx/tabid-10722/ 18685_read-43472/ sowie www.dlr.de/pt/desktopdefault.aspx/tabid-10824/18919_read43976/ (letzter Zugriff: 29.03.2016) 3 | Elf führende NeurowissenschaftlerInnen hatten schon im Jahr 2004 im »Manifest der Neurowissenschaftler« angekündigt, die Neurowissenschaften würden in den nächsten Jahren das menschliche Gehirn entschlüsseln (Monyer et al. 2004). Zur gegenläufigen Darstellung mit dem Titel »Memorandum ›Reflexive Neurowissenschaften‹«, das u.a. durch NeurobiologInnen, PsychologInnen und NeurophilosophInnen zum 10jährigen Jubiläum des »Manifests der Neurowissenschaftler« verfasst wurde, vgl. Tretter et al. (2014).
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erkrankungen verursachen würden: Eine durch den European Brain Council im Jahr 2010 durchgeführte Studie habe ergeben, dass die jährlichen durch Hirnerkrankungen verursachten Kosten europaweit 798 Milliarden4 Euro betragen (vgl. Gustavsson et al. 2011: 766f.). Eine demokratische Wissenschafts- und Technikgestaltung im Bereich der Hirnforschung verlangt m.E. einen informierten öffentlichen Diskurs – auch zu Entstehungsprozessen neurowissenschaftlichen Wissens5. Der öffentliche Diskurs zu Neurowissenschaften und -technologien wird über Massenmedien und zum Teil über öffentliche Sitzungen des Nationalen Ethikrats geführt. So protestierten in diesem Rahmen hunderte NeurowissenschaftlerInnen gegen die intransparente Mittelvergabe im Rahmen des »Human Brain Projekt«. Die Möglichkeit Diskussionen über neurowissenschaftliche und neurotechnologische Innovationen und ihre gesellschaftliche Bedeutung mitzugestalten, stößt jedoch an ihre Grenzen. Zwar bieten international bekannte neurowissenschaftliche Zeitschriften eine Gelegenheit für NeuroethikerInnen, ethische Grundlagen für die Fachdisziplin vorzustellen. Allerdings ist der Dialog zwischen EthikerInnen und NeurowissenschaftlerInnen von konfligierenden Interessen gekennzeichnet, wobei vor allem die Einflussmöglichkeiten der EthikerInnen auf die Handlungspraktiken der NeurowissenschaftlerInnen begrenzt sind, wie ich in meiner Empirie im Kapitel 5 zeigen werde. Auch NeurobiologInnen und NeurophilosophInnen bezeichnen im »Memorandum ›Reflexive Neurowissenschaften‹« die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geistes- und Neurowissenschaften als »assoziative Interdisziplinarität«, die das Ziel verfolge, ein gemeinsames Menschenbild zu entwerfen (Tretter et al. 2014). Die Medien spielen in diesem Kontext eine bedeutende Rolle: Positionen und Gegenpositionen zu Entwicklungen in den Neurowissenschaften und ihren prognostizierten zukünftigen Errungenschaften werden über die Medienlandschaft verbreitet und auch zahlreich kommentiert. Besonders intensiv wird zurzeit der Eingriff in das menschliche Gehirn, die Verschmelzung von Mensch und Maschine, diskutiert, wobei ethische Aspekte innerhalb der Diskussionen einen großen Stellenwert einnehmen (vgl. u.a. Clausen, Müller & Maio 2008; Müller, Clausen & Maio 2009a; Vaas 2008, 2010). Maasen (2006) zufolge geht es bei dem medial gestützten Diskurs vor allem um eine »Neurowissenschaftsfolgenabschätzung«. So würde die Erörterung von Fragen wie »In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? – Und wer genau sind ›wir‹?« einen Betrag zu einer Ethnologie unserer von den life sciences beeindruckten Kulturen leisten. Nicht nur deshalb 4 | Diese Zahl – »798.000.000.000 €« – steht sehr groß auf den Onlineseiten des »European Brain Council« (vgl. European Brain Council, letzter Zugriff: 20.02.2015). 5 | In dieser Arbeit werden insbesondere Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen hinsichtlich der Adjustierung von Mensch und Maschine fokussiert, welche für den Entstehungsprozess neurowissenschaftlicher Erkenntnis zentral ist.
2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
befasse man sich in der Technikfolgenabschätzung mit der Technikgenese und der Entwicklung von »soziotechnischen Wissensregimes«. In der sozialwissenschaftlichen Technikgeneseforschung stehen der technische und der gesellschaftliche Wandel in einer Wechselbeziehung: »Technik und Gesellschaft entwickeln sich nicht isoliert voneinander, sondern sind in vielfältiger Weise miteinander verbunden. Das Verhältnis von Technik und Gesellschaft ist nicht durch eine einseitige Beeinflussung, sondern durch eine ›Ko-Evolution‹ gekennzeichnet« (Grunwald 2003: 10). Folgt man diesem Gedankengang, dann werden sowohl Wahrnehmung als auch Handlungsmöglichkeiten einzelner Gesellschaftsmitglieder durch technische Artefakte mitstrukturiert. Da die aktuellen (Bio-)Technologien also eine (neue) Nähe zum Menschen, seinem Körper, seinem Gehirn und seinem Alltag aufweisen, die zudem durch eine neue Innovationsdynamik gekennzeichnet sind, wird und ist eine reflexive bzw. nachhaltige und verantwortungsbewusste Technikgestaltung notwendig. Für die Neurowissenschaften bedeutet dies, dass man sich nicht nur mit den Folgen, sondern auch mit den Bedingungen neurowissenschaftlich-technischer Erkenntnisse bzw. den Erkenntnisprozessen und den Anwendungen auseinander muss. Diese Erkenntnis ist für diese Arbeit von besonderem Interesse, denn: »Mit einer solchen Perspektive könnten Sozial- und Kulturwissenschaften Fragen an die Neurowissenschaften stellen, die das (Neuro-)Technische, das individuelle Wollen und das Soziale nicht ausschließlich als Epiphänomen oder gar Appendix neuronaler Aktivierungen konzipieren, sondern als wechselseitig konstitutive, wenn auch eigenlogisch operierende Bestandteile soziotechnischer Innovationen.« (Maasen 2006: 300)
Zwar wird in dieser Arbeit nicht der Anspruch erhoben, einen Mehrwert für alle Disziplinen leisten zu können, jedoch geht der Erkenntnisgewinn über den Bereich der Soziologie hinaus. Denn wenn man sich mit den Auswirkungen der Neurowissenschaften auf ein gesellschaftliches Umfeld beschäftigt, muss man sich mit den Erkenntnisprozessen sowie den (experimentellen) Anwendungen in der Praxis der Neurowissenschaften auseinander setzen. Insbesondere gilt es auch zu analysieren, wie genau Mensch und Maschine, Gehirn und Computer, aneinander angepasst werden. Aus diesem Grund beleuchtet meine Arbeit die neurowissenschaftlichen Praktiken und Techniken, die in Anlehnung an die Formulierung »Science in Action« von Latour (1987) als Neuroscience in Action bzw. Neuroscience in Practice begriffen werden. Dabei geht es mir nicht um das Verständnis des menschlichen Gehirns oder Nervensystems, sondern darum, Praktiken und Techniken der experimentellen, medizinischen Neurowissenschaften zu analysieren. Dazu bediene ich mich der Methoden der qualitativen Sozialforschung (vgl. Kapitel 4 in dieser Arbeit). Die Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996 [1990]) verwende ich als methodologisches Rahmenkonzept zur Datenerhebung und -auswertung. Ferner greife ich für meine Datenerhebung
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auf ethnographische Methoden zurück, die ich im Rahmen meiner Laborstudie6 durchgeführt habe. Diese Methoden eignen sich für die Analyse der Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften und konkret der Anpassungsprozesse der menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen in einem »kontinuierlich den Forschungsprozess begleitenden, analytisch orientierten Schreibprozess« (Strübing 2014: 6).
2.2 Visuelle Repräsentationen und Hirnmaschinen Ein zentraler Moment der Entstehung des zerebralen Subjekts ist, dass es in neurowissenschaftlichen Studien zugunsten seiner zerebralen Darstellungsformen und -techniken, wie z.B. dem EEG, in den Hintergrund rückt (vgl. bspw. Hagner 1997). Daher werde ich im Folgenden zunächst BCI/BMI sowie das EEG erklären (Kapitel 2.2.1), dann auf die Bedeutung von Darstellungsformen der Wissenschaft und Medizin für die Neurowissenschaften eingehen. Denn nur auf der Grundlage dieser Erkenntnis ist verständlich, welchen Einfluss das »Bild auf dem Bildschirm« in neurowissenschaftlichen Studien vor allem auf den Anpassungsprozess von Mensch und Maschine bzw. Gehirn und Computer nimmt. Ob in den neurowissenschaftlichen Studien jedoch tatsächlich nur Bilder vom Gehirn bzw. Hirnaktivitäten relevant sind, während das Forschungssubjekt in den Hintergrund tritt, wie Hagner meint, bleibt an dieser Stelle eine noch offene Frage, die ich im Rahmen der Darstellung meiner Befund allerdings noch beantworten werde (vgl. Kapitel 6).
2.2.1 BCI/BMI mittels EEG Die Verschaltung von Mensch und Maschine, insbesondere von Gehirn und Computer, wird durch Human Brain Machine Interfaces (BMI) ermöglicht. Nicht-invasive Brain Computer Interfaces (BCI), bestehend aus externen Elektroden, werden vor allem für das Auslesen von hirnelektrischen Signalen eingesetzt. Eine nicht-invasive Methode, um Gehirnaktivitäten auszumessen, ist das EEG7. Die Ausmessung geschieht durch das Anbringen von Elektroden auf die Kopfhaut oder durch das Aufsetzen einer Kappe, in die solche Elektroden einge-
6 | Bei dieser Vorgehensweise beziehe ich mich auf die STS-Laborstudien (vgl. bspw.
Latour & Woolgar 1979; Lynch 1985; Knorr Cetina 1995). 7 | Das EEG (Elektroenzephalografie) ist eine Methode zur Messung der elektrischen Hirnaktivität durch die Aufzeichnung der Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche. Die graphische Darstellung dieser Schwankungen wird ebenfalls EEG genannt (Elektroenzephalogramm).
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arbeitet sind. Das EEG zeichnet dann die Schwankungen der Hirnpotenziale auf, die durch diese Elektroden ausgelesen werden. »Die dabei gemessenen elektrischen Potenzialveränderungen liegen in der Größenordnung von 15 bis 20 Mikrovolt. Um die Reproduzierbarkeit der Signale zu gewährleisten, sind Mittelungen (Averaging) und eine Artefaktausgrenzung nötig. Insbesondere das Averaging begrenzt jedoch die Reaktionszeit. Wenngleich sich einige Potentiale, wie z.B. das Bereitschaftspotential über Monate hin gut reproduzieren lassen, so besteht jedoch die Herausforderung in der willentlichen Generierung von gut messbaren und reproduzierbaren Differenzsignalen zum Bereitschaftspotenzial.« (Fiedeler 2008: 22)
Durch BCI werden externe Geräte ohne Beteiligung des Rückenmarks oder des peripheren motorischen Systems bedienbar. Dabei wird die Ausführung einer Handlung mittels der Vorstellungskraft, dargestellt in Hirnsignalen, gewährleistet, die z.B. SchlaganfallpatientInnen oder ALS-PatientInnen ohne die Hilfe des BCI nicht ausführen könnten. Es gibt je nach Einsatzbereich unterschiedliche BCI-Systeme, die in der Regel aus den Komponenten a) zentrale Recheneinheit, b) internes Interface und c) externes Interface bestehen (vgl. Birbaumer et al. 2010: 112, 116; Clausen 2009: 21). Derzeit gibt es allerdings keine verbindliche Definition der Begriffe »Brain Machine Interfaces« bzw. »Brain Computer Interfaces«. In der Literatur werden die Begriffe BCI/BMI unterschiedlich verwendet, wobei die verschiedenen Definitionen different weit gefasst sind. Nach Craelius (2002) sind BMI für gelähmte Personen bestimmt, die von mechanischen Assistenzsystemen profitieren, wie z.B. Roboterarmen, die durch die Versuchssubjekte kontrolliert werden. BCI dagegen sind dafür konzipiert, die Kommunikation von gelähmten PatientInnen zu ermöglichen bzw. zu erweitern. So kann der oder die PatientIn über einen Monitor einen Cursor bewegen, um sich auf diesem Weg der Außenwelt mitzuteilen.8 8 | Prothesen, die direkt mit dem Nervensystem kommunizieren, sind als BMI zu klassifizieren. Die Grenze zwischen BMI und Neuroprothetik – auch neuronale Prothesen genannt – ist weniger eindeutig. Manchmal werden die Begriffe synonym verwendet, aber sie bedeuten nicht in allen Kontexten dasselbe. Beispielsweise wird das Etikett »Neuroprothetik« für klinische Geräte verwendet, während Geräte in der Entwicklung BMI genannt werden. Ein weiterer Unterschied könnte davon abhängig gemacht werden, mit welchen Teilen des Nervensystems das Gerät interagiert: Ist es die Kommunikation mit dem Gehirn, mit dem zentralen Nervensystem oder mit dem peripheren Nervensystem? Neuroprothetik kann mit jedem dieser Körperbereiche verknüpft werden: sowohl mit den peripheren Nerven als auch mit den Neuronen, während die BMI in der Regel durch einen engere Spielraum charakterisiert sind. Hier werden Elektroden an das zentrale Nervensystem oder manchmal sogar direkt mit dem Gehirn verbunden. Neben dem BMI gibt es noch das PMI. Das PMI (peripheral machine interface) charakterisiert eine
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Im Rahmen dieser Arbeit verwende ich den Begriff BCI, wenn Hirnvorgänge und computertechnische Vorgänge im Fokus stehen.9 Den Begriff BMI hingegen verwende ich dann, wenn die Ansteuerung externer Geräte mittels BCI im Fokus steht. Zudem verwende ich den Begriff BCI/BMI-System analog zu dem Begriff Mensch-Maschine-System, bei der die Arbeitsteilung zwischen Mensch/Gehirn und Maschine/Computer bei der Durchführung einer bestimmten Aufgabe im Vordergrund steht. Die Realisierung der BCI wird, wie bereits angesprochen wurde, durch die Aufzeichnung des EEG bewirkt und durch EEG-Signale repräsentiert. Offen bleibt, ob die Vorstellung des Patienten/der Patientin die Technik steuert oder die Technik die Vorstellung des Patienten/der Patientin bzw. wie diese Arbeitsteilung zwischen Gehirn und Computer genau abläuft. Die Steuerung mittels BCI müsste m.E. allerdings im direkten Zusammenhang mit den Messdaten des Gehirns stehen. Für diese Arbeit bedeutet das, dass zerebrale Repräsentationen verbildlichte Messdaten sind, die durch NeurowissenschaftlerInnen »übersetzt« bzw. gedeutet und weiterverarbeitet werden müssen und dass gerade in der Anwendungsforschung zur Wiederherstellung von zerebralen Funktionen die Neurowissenschaften von der wechselseitigen Anpassung von Gehirn und Computer abhängig sind.
2.2.2 Ein neurological turn in der Soziologie? Mitte des 20. Jahrhunderts gab es den sogenannten lingustic turn, eine sprachanalytische Wende, die mit einer Umorientierung innerhalb der Philosophie von der Bewusstseinsphilosophie zur Sprachanalyse einher ging (Rorty 1970). Seit dieser Umorientierung gab es noch weitere Perspektivwechsel, die auf einen wachProthese, die mit dem Zentralnervensystem interagiert. Das HBMI (hybrid brain machine interface) ist dagegen für Querschnittsgelähmte bestimmt, die z.B. keine Kontrolle über die Beinmuskulatur haben. So soll die Gehirnaktivität die Bewegung des Beines gewährleisten. Das CBI (computer-brain interface) dient zur Muskelstimulation von Parkinson PatientInnen. Damit soll der Tremor kontrolliert werden (vgl. Craelius 2002: 1019ff.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in der Fachliteratur verschiedene Vorschläge für die Terminologie in Bezug auf die Verbindung zwischen Mensch und Maschine gibt. Die modifizierten Definitionen des BMI, die in der Literatur verwendet werden, werden nicht immer explizit angegeben. Damit gehen viele Missverständnisse einher. 9 | Ich verwende den Begriff BCI auch deshalb, weil meine InterviewpartnerInnen ihn verwenden, obwohl die Systeme, die in den vor mir begleiteten Projekten verwendet wurden, nicht nur die Kommunikation betreffen, sondern vor allem die Ansteuerung externer Geräte zum Ziel haben.
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senden Einfluss auf die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften aufmerksam machen. Eine der einflussreichsten Wenden ist der cultural turn, eine (vgl. Bachmann-Medick 2006; zur kulturellen Wende, die mit einem wachsenden Einfluss der Kulturwissenschaften auf die Soziologie einher ging, vgl. u.a. Jameson 1998), wobei unter dessen Einfluss z.B. der performative turn, der pictorial/iconic turn (Mitchell 1980, 1995; Boehm 2007; Curtis 2010) sowie der body turn folgten. Letzterer meint die Hinwendung zum menschlichen Körper, Bedeutungsgewinn der Verkörperung sozialer AkteurInnen und Strukturen (Gugutzer 2006). »Der visual turn (…) war eng mit einem practical turn verknüpft, der sich nicht primär gegen den linguistic turn, sondern gegen eine strukturfunktionalistische Gesellschaftstheorie und die traditionelle Wissenschaftstheorie mit ihrer Verengung auf die rationale Rekonstruktion von Forschung wandte. Die konstruktivistisch argumentierenden Forschungsstränge, die sich der Herstellung wissenschaftlicher Fakten widmen, beziehen sich auf Forschungstraditionen von Ludwik Fleck und Michel Foucault, die sich im Rahmen ihrer Beschäftigung mit Wissen dem Bild und der Beobachtung zugewandt hatten.« (Dommann 2004: 78)
Einige geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Arbeiten, die sich mit Repräsentationen in der Medizin und/oder der Hirnforschung beschäftigen, lassen sich im visual turn10 verorten (vgl. bspw. Joyce 2006; Burri 2008a; Salaschek). Allerdings haben sich zeitgleich um die 1980er Jahre insbesondere Laborstudien aus den STS mit Repräsentation von Wissenschaftspraktiken auseinander gesetzt (Lynch & Woolgar 1990b). Schlussendlich verwundert es nicht, dass im Jahr 2012 der neuroscientific turn ausgerufen wurde. In dem Sammelband »The neuroscientific turn: Transdisciplinarity in the age of the brain« (Littlefield & Johnson 2012) werden Beiträge vorgestellt, die jeweils in einem spezifischen historischen und kulturellen Kontext verdeutlichen, welche Auswirkungen die Anwendungen der Neurowissenschaften auf andere Wissenschaftsdisziplinen haben (zu Diskussionen im deutschprachigen Raum vgl. Schneider 2012). Und auch in der englischsprachigen soziologischen Debatte zur Hirnforschung gibt es eine Vielzahl von für mein Forschungsanliegen relevanten Beiträgen, die z.B. in dem Sammelband »Sociological reflections on the Neurosciences« (Pickersgill & van Keulen 2012b) erschienen sind. Einige dieser Beiträge behandeln eher allgemein Themen wie Gesundheit, Krankheit und Enhancement, andere beschäftigen sich jedoch ganz speziell damit, wie die Neurowissenschaften das Verständnis von Gesundheit und Krankheit umformen (Helén 2012; Coveney 2012; Netherland 2012; Moutaud 2012; zum Thema Neuro-Enhancement in der deutschsprachigen 10 | Zur systematischen Untersuchung der Visual Culture Studies vgl. Dikovitskaya
(2006); zum Einblick in das Feld und die Diskussionen um visuelle Kultur(en) siehe Wieser (2014).
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Literatur vgl. Karsch 2011). Auch gibt es unterschiedliche Beiträge zum Zusammenhang von den Neurowissenschaften, der Theorie und der Gesellschaft. So wird sich u .a. mit Fragen nach dem Mehrwert soziologischer Konzepte für die Neurowissenschaften auseinandergesetzt, wobei bspw. das Konzept der Medikalisation11 diskutiert wird (Williams, Katz & Martin 2012), genauso wie besprochen wird, wie Dynamiken innerhalb der Neurowissenschaften selbst Konzepte der medizinischen Soziologie herausfordern (von Scheve 2012; zu Auswirkungen der Übersetzung von neurowissenschaftlichem Wissen in Nachbarfelder wie »Neurobildung«, »Neurorecht« vgl. Johnson & Littlefield 2012). Conrad & Vries (2012) zeigen aus einer professionssoziologischen Perspektive Strategien von NeuroethikerInnen auf, das Feld der Neuroethik professionell zu legitimieren und dabei wissenschaftliche und öffentliche Debatten über Implikationen der Neurowissenschaften und Neurotechnologien zu beeinflussen. Beiträge aus dem Themenblock »Neuroscience as Culture« beschäftigen sich dagegen mit kulturellen Effekten der Neurowissenschaften und fragen danach, wie Neurowissenschaften und Neurotechnologien selbst durch kulturelle Praktiken geformt werden (vgl. Pickersgill & van Keulen 2012a). Rapp (2011) beispielsweise legt anhand einer ethnographischen Studie, die in einem neurowissenschaftlichen Forschungszentrum in den US durchgeführt wurde, dar, wie die kulturellen Dimensionen in der Neuropädiatrie die Vorstellung eines Kindes und seines Hirns für spezielle Bildungsangebote klassifizieren und konfigurieren, welche Rolle dabei unterschiedliche Lernfähigkeiten spielen und welche AkteurInnen an dieser Konfiguration beteiligt sind. Und Fein (2012) postuliert, basierend auf ethnographischen Studien über das Spektrum an Autismus-Diagnosen in Nordamerika, das Aufkommen eines »neurostructural self«. Sie zeigt, wie Diskurse über Medizin, Kultur und Identität die Entstehung, Entwicklung und Nutzung des Spektrums an Diagnosen von Autismus prägen, die dann in der täglichen Diagnostik Anwendung finden. Shostak & Waggoner (2011) wiederum beschäftigen sich mit neurowissenschaftlichen Praktiken, insbesondere mit Forschungspraktiken von EpilepsiegenetikerInnen. Sie untersuchen, welche Rolle u.a. soziale Beziehungen zu PatientInnen und Angehörigen in der Arbeit dieser GenetikerInnen spielen. Joyce (2012: 75) hingegen stellt anhand eigener ethnographischer Studien über Neuroimaging12-Praktiken fest, dass »[o]n the medical assembly line, the organization of work aims to transform patients into objects – ones multiply as scans are created and circulated«.
11 | Zur deutschsprachigen Debatte zum Thema Medikalisierung vgl. Viehöver & Wehling (2011a); zum Thema Entgrenzung der Medizin vgl.Viehöver & Wehling (2011b). 1 2 | Der Begriff Neuroimaging steht für ein bildgebendes Verfahren (wie z.B. das MRT) zur Darstellung von Strukturen oder Funktionsprozessen (wie z.B. das fMRT) des zentralen Nervensystems.
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Schlussendlich bemängelt Janich (2009) die stagnierende deutschsprachige Debatte zur Hirnforschung, die in »einem Grundsatzstreit von Welt- und Menschenbilder stilisiert« (ebd.: 9) werde. Natur- und Geisteswissenschaften suchen Janisch zufolge keine gemeinsame Sprache, was bspw. durch ein »AufeinanderEinreden« und »Aneinander-Vorbeireden« deutlich werde. Es würden keinerlei neurowissenschaftliche Befunde diskutiert bzw. angezweifelt (vgl. ebd.). Meine Arbeit fokussiert daher Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften, in denen die Mensch-Maschine-Anpassung eingebettet ist, aus einer soziologischen Perspektive, wobei dadurch reduktionistische Abstrahierungen der Folgen von Neurowissenschaften für den Menschen vermieden werden. Dadurch kann ich einen Beitrag dazu leisten, über neurowissenschaftliche Forschungspraktiken und Erkenntnisprozesse informiert zu diskutieren und diese informiert zu hinterfragen.
2.2.3 Repräsentationen in der Wissenschaft und Medizin Es ist neuen Entwicklungen aus (Neuro-)Wissenschaft und Technik zu verdanken, dass selbst die innersten Zonen von Körper bzw. Hirnen sich bildlich darstellen lassen und technologisch entzaubert werden. Man kann mit den MRTKopfbildern bspw. auf dem Computer von der Kopfhaut bis zum tiefsten Punkt im Gehirn Schicht für Schicht des Kopfes betrachten, sodass man erst die Kopfhaut sieht, dann die Schädeldecke, dann die Hirnrinde (Dura) usw. Solche Repräsentationstechniken nehmen nicht nur in der Medizin- oder Hirnforschung, sondern allgemein in den Wissenschaften einen bedeutenden Stellenwert ein. Im von Lynch & Woolgar (1990b) herausgegebenen Sammelband »Representations in Scientific Practice« geht es um Repräsentationsformen wie Graphiken, Diagramme, mathematische Gleichungen, Modelle, Fotografien, Softwareprogramme, Laborkonversationen etc. (später rückten eher visuelle Repräsentationen in den Vordergrund, vgl. dazu Pauwels 2006). Als Hauptbefund haben diese Arbeiten gemeinsam: »the heterogeneity of representational order. This includes more than the evident diversity in kinds of representational device, as it covers the theoretic principles and functions of representation as well: resemblance, symbolic reference, similitude, abstraction, exemplification, expression.« (Lynch & Woolgar 1990a: 2). Demnach bilden graphische und andere Darstellungen nicht einfach nur Bilder von Naturobjekten ab, sondern können ebenfalls andere Darstellungen von und in komplexen sozio-technischen Netzwerken repräsentieren: Der bildlich vermittelte Sinn kann dabei sowohl von einer räumlich-zeitlichen Reihenfolge anderer Repräsentationen abgeleitet werden, als auch aus der Ähnlichkeit oder Symbolisierung eines anderen externen Objekts. Um diese »soziale« Organisation technisch vermittelter bzw. von Technik abhängiger Arbeit in den Wissenschaften aufzuzeigen, sind die Beziehungen zwischen ikonischen Objekten und Ausdrucksformen von besonderem Interesse. Wissen
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bzw. Repräsentationen als Produkte wissenschaftlicher Arbeit und technische Artefakte werden so in ihrer Anwendungspraxis in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Lynch & Woolgar 1990b). Beispielsweise beschreiben Amann & Knorr Cetina (1988), während sie auf die Befunde ihrer Laborstudien in der Molekulargenetik eingehen, Mechanismen und Prozesse in der »evidence-fixation«, also im Kontext dessen, was für die WissenschaftlerInnen als evident definiert und festgehalten wird, wobei Visualisierungen bzw. visuelle Objekte eine entscheidende Rolle spielen. Prozesse des Sehens werden dabei im Gespräch unter den Wissenschaftlerinnen interaktional gelöst, d.h., die Forschenden interpretieren im Rahmen von Interaktionsprozessen im ständigen Austausch die wissenschaftlichen Bilder. Für Woolgar (1988) sind einige der Wissenschaftspraktiken im Labor als »practical reasoning« und »artful practices« zu begreifen.13 Lynch (1988) analysiert Selektions- und Mathematisierungsprozesse bei der visuellen Dokumentation von Objekten in den Life Sciences. Als »rendering practices« bezeichnet er den Prozess, innerhalb dessen als Proben verwendete Materialien nacheinander in mathematische Symbole umgewandelt werden. In dem Beitrag »Representing practice in cognitive science« fokussiert Suchman (1988) hingegen Repräsentationspraktiken vor allem in den Kognitionswissenschaften, die eng mit den Neurowissenschaften verknüpft sind. Durch Repräsentationstechniken (beispielsweise Modelle, Diagramme etc.) würden Regelmäßigkeit, Reproduzierbarkeit und Objektivität sowohl der entdeckten Phänomene, als auch der Methoden, durch die diese Phänomene analysiert werden, etabliert. Repräsentationstechniken seinen systematische, aber notwendigerweise kontingente und adhoc-Bezüge auf wissenschaftliche Praktiken. Schließlich seien Darstellungstechnologien von zentraler Bedeutung dafür, wie wissenschaftliche Arbeit erledigt würde (vgl. Suchman 1988: 305). Mit der zunehmenden Digitalisierung in Wissenschaft und Technik und dem Aufkommen neuer Technologien, wie fMRI, digitaler Visualisierungen und bildgebender Verfahren in der medizinischen (Forschungs-)Praxis, haben sich auch Repräsentationstechniken und -möglichkeiten der Wissenschaft maßgeblich verändert (vgl. Lynch & Woolgar 2014: vııı).14 Mit dieser Begründung und unter Berücksichtigung der sich verändernden Theorien und Konzepte der STS-Forschungslandschaft wurde der RiSP-Sammelband (Lynch & Woolgar 1990b) im Jahr 2014 neu editiert und erschien mit der Ergänzung »revisited« als Neuauflage unter dem gleichnamigen Titel (Coopmans et al. 2014b). Inspiriert sowohl durch die Akteur-Netzwerk-Theorie (Callon 1986b; Latour 1987) als auch durch feministische und kulturwissenschaftliche Studien (Haraway 1991), betont der 13 | Zu Schnittmengen von Wissenschaft und Kunst vgl. bspw. Hoffmann & Whyte
(2011). 14 | Zur Auseinandersetzung mit digitalen Visualisierungen vgl. u.a. Alač (2014); Bentkowska-Kafel, Cashen & Gardiner (2009); Lettkemann (2013).
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turn to ontology15 die Bedeutung der materiellen Verfügbarkeit, des verkörperten Handeln sowie der sozialen Interaktionen in den Wissenschaften. Diese werden durch den practice turn (Schatzki, Knorr Cetina & Savigny 2001; zur ihrer Bedeutung für die Social Theory vgl. u.a. Bongaerts 2007) ergänzt und in vielen Studien der RiSP wieder aufgegriffen und veranschaulicht (vgl. Coopmans et al. 2014a). Mit dem Aufkommen neuerer bildgebender Verfahren und Neurotechniken häufen sich Beiträge, die Repräsentationstechniken der Neurowissenschaften, darunter u.a. Hirnscans und Kartierungen, näher analysieren und somit biomedizinische Körperbilder fokussieren (vgl. bspw. Burri 2001; Dumit 2004; Joyce 2006; 2008; Burri 2008b; Burri & Dumit 2008; Bolech 2010; Rijcke & Beaulieu 2014; Dumit 2014). Bevor im 19. Jahrhundert Theorien zu Lokalisationsmöglichkeiten von Hirnfunktionen16 entwickelt wurden, war die Hirnforschung vom Holismus17 geprägt. Diese Ansicht vertrug sich auch mit dem Ansatz des psychophysischen Dualismus, wonach mentale Funktionen des Hirns nicht exakt zu lokalisieren seien. Zerebrale Repräsentationen und die Lokalisierung von Hirnfunktionen gingen dann jedoch mit Bemühungen einher, die strukturelle und funktionelle Organisation des Hirns zu erforschen, wobei eine Hirnkartierung (brain mapping) konkreter Funktionsgebiete erstellt wurde. Mit der wachsenden Anzahl von experimentellen und klinischen Anhaltspunkten und hirnanatomischer Erkenntnisse erwies sich die Lokalisationshypothese als evident (vgl. Bunge & Ardila 1990: 242f.). Die Entstehung moderner Neurowissenschaften wird vor allem mit dem phrenologischen Forschungsprogramm von Franz Joseph Gall (1758-1828) verbunden, der den Schädel in phrenologische Zonen unterteilte und diesen bestimmte mentale Funktionen zuwies (vgl. Schott 2002: 1420). Einige Jahre später, im Jahr 1861, stellte der französische Arzt, Anatom und Anthropologo Piere Paul Broca (1824-1880) auf Basis seiner Untersuchungen von PatientInnen mit einer Sprachstörung (Aphasie) und seiner Postmortem-Untersuchungen am Hirn die These auf, dass das Sprachzentrum zwischen dem Frontal- und Temporallappen liegen müsse. Diese These teilte er seinen Fachkollegen der Anthropologischen Gesellschaft von Paris mit, was bei den Anhängern holistischer Theorien der Hirnforschung zu vielen Diskussionen führte. Wenig später, im Jahr 1875, 15 | Vgl. Woolgar et al. (2008); zur Auseinandersetzung mit der Frage, in welchem Umfang und in welchem Sinn man von einer ontologischen Wende in STS sprechen kann, vgl. Woolgar & Lezaun (2013). 16 | Allerdings lässt sich die Urgeschichte der Hirnforschung bis ins frühe Ägypten vor 5000 Jahren nachverfolgen. Funde von Schädeln belegen die systematische Öffnung. 17 | Dabei wird das Gehirn und seine Funktionsweise als Ganzheit betrachtet und nicht als Resultat eines Zusammenwirkens seiner einzelnen Funktionen.
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studierte der Arzt Richard Caton in Liverpool elektrische Aktivitäten auf der Hirnrinde von Tieren, die er mittels Ausschlägen eines Galvanometers beobachten konnte (vgl. Cohen 1959). Seine Ergebnisse beschreibt er in seinem Aufsatz »Electrical currents of the brain«, wobei er resümiert: »The electric currents of the gray matter appear to have a relation to its function. When any part of the gray matter is in a state of functional activity, its electric current usually exhibits negative variations.« (Caton 1875: 610) Bei der Stimulation der Netzhaut von Affen und Kaninchen mit Licht beobachtete er Spannungsänderungen in einem bestimmten Hirnareal, dem er dann die Sehfunktion zuordnete. Seine Untersuchungen und Ergebnisse machten ihn zu einem der Pioniere der Elektrophysiologie. Mit ihm war der erste Schritt zum EEG und somit der Registrierung von Hirnströmen und dessen Aufzeichnungen gemacht (vgl. Cohen 1959). Mit den im Laufe der Zeit entwickelten und verbesserten Aufzeichnungstechnologien und Visualisierungsapparaten wurden Körper – und vor allem das Gehirn und seine Funktionsweisen – immer transparenter, wodurch es möglich wurde, immer gezieltere Eingriffe in sie vorzunehmen. Und, was für mein Forschungsanliegen noch wichtiger ist: Ohne die neuen Aufzeichnungstechniken (wie das EEG, MRT etc.) wäre die Anpassung von Gehirn und Computer gar nicht möglich. Die große Bedeutung dieser Technologien für die Medizin und die (Neuro-)Wissenschaft, zugleich aber auch für das Körper- bzw. Subjektverständnis, dokumentieren zahlreiche gesellschaftswissenschaftliche, anthropologische, wissenschafts- und kulturhistorische Beiträge.18 Die Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie hat Borck (2005) in seiner Monographie »Hirnströme« untersucht. Dabei beschäftigt er sich hauptsächlich mit den widersprüchlichen Deutungen des EEG in der Historie, die er von den Versuchen und Veröffentlichungen des Psychiaters und Pioniers des menschlichen EEG Hans Berger (1929) bis hin zur internationalen Ausbreitung und Etablierung des EEG als klinische Diagnosemethode im 20. Jahrhundert nachzeichnet. Das »elektrische Gehirn« als neues wissenschaftliches Objekt ist Borck zufolge in einem historisch präzisierbaren Sinne das Produkt seiner elektrotechnischen Erforschung und das Ergebnis lokaler Forschungskulturen. Das Wissen vom Gehirn und Theorien über dessen Funktionieren seien von Technik geprägt. NeurowissenschaftlerInnen hätten diesem Wissen Maschinen zu verdanken. Es
18 | Vgl. u.a. DiGiacomo & Borck (1996); Hagner (1996); zur Kartierung des Körpers
vgl. Sarasin (1999); zur technisch vermittelten Entkörperlichung vgl. Fuchs (2001); zur kulturhistorischen Untersuchung von Neurotechnologien vgl. Borck (2005); Hagner (2006); zur Neubestimmung des Verhältnisses von Körper und Seele vgl. Hagner (2008); zur anthropologischen Diskussion von Neurotechniken vgl. Müller, Clausen & Maio (2009); für weitere interdisziplinäre Beiträge vgl. z.B. Kollek (2005); Stoff (2006); Scully (2009); Schmitz (2010); Borck (2012).
2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
stelle sich deshalb die Frage, warum sich die erhobenen EEG-Befunde immer wieder den vorgelegten Theorien und Deutungen entziehen (vgl. ebd.). Aus einer soziologischen Perspektive hat sich relativ früh Susan Leigh Star (1979; 1983; 1995a) mit Simplifikationen und Generalisierungen der Hirnforschung, insbesondere des EEG und der Hirnkartierung, beschäftigt. Star (1983) konzeptualisiert in ihrem Aufsatz »Simplification in Scientific Work: An Example from Neuroscience Research« Visualisierung und Technisierung in der Wissenschaft vor allem als Simplifikationsformen der Wissenschaftstätigkeiten. Visuelle Repräsentationen und Lokalisationen zerebraler Prozesse und ihre heutige Anwendung durch z.B. bildgebende Verfahren verdeutlichen nach Hagner (1996; 2006) ihre kontinuierliche und durch einen Qualitätssprung gekennzeichnete Relevanz für das Menschenbild. Die vielseitigen Visualisierungs- und Lokalisierungstechniken lassen ihm zufolge dabei die Grenzen zwischen morphologischen und funktionalen Hirnbildern verschwimmen. Als Folge der visuellen Repräsentationen und Lokalisationen zerebraler Prozesse werde das Gehirn zu einem Forschungsobjekt: »Objekte werden durch spezifische Manipulations- und Repräsentationsverfahren in epistemisch relevante Objekte verwandelt, Instrumente und Apparaturen erhalten erst in mehrteiligen Anpassungsschritten und in Abgleichung mit Einübungsprozeduren der Experimentatoren ihre experimentelle Bedeutung. Mit Bruno Latour kann man diesen Prozeß als Inskription bezeichnen. (…) Zellbestandteile, chemische Verbindungen, DNS, Quarks oder Wasserstoffatome im Gehirn benötigen Insriptionsvorrichtungen, damit sie überhaupt in eine dauerhafte wissenschaftliche Existenz eintreten können. Es geht darum, (…) die kontingenten Produkte des Labortisches in transportable wissenschaftliche Objekte oder Erkenntnisse zu verwandeln. Es geht aber auch darum, ein Organ wie etwa das Gehirn oder Funktionen wie Motorik und Sensorik zu fixieren und damit wissenschaftsfähig zu machen. Das Gehirn ist ein immer wieder aufs Neue zukunftsträchtiges wissenschaftliches Objekt als ein materieller Repräsentationsraum, wenn entsprechende technologische Apparaturen wie beispielsweise das fMRT vorliegen. Eben darin liegt der proleptische Charakter der kognitiven Neurowissenschaften. Das heißt aber auch, daß das Objekt seiner eigenen Darstellungsfähigkeit nachgeordnet ist. Inskriptionen sind nichts anderes als Handlungen, um den Repräsentationsraum herzustellen und im Fortgang wissenschaftlicher Tätigkeit zu modifizieren.« (Hagner 2006: 168f.)
Würde man Hagner folgen, würde das für neurowissenschaftliche Studien mittels BCI bedeuten, dass einerseits primär das Gehirn betrachtet wird, wobei dabei vor allem inskribierte Hirnwellen analysiert werden, und dass andererseits das Forschungssubjekt in neurowissenschaftlichen Studien weniger relevant wird. Der/die denkende und fühlende PatientIn wird also auf sein/ihr Gehirn reduziert und dieses wiederum auf seine Darstellung. Letztlich rückt das »Bild auf
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Das techno-zerebrale Subjekt
dem Bildschirm« in den Fokus des Interesses. Sind jedoch in den neurowissenschaftlichen Studien tatsächlich nur Bilder vom Gehirn oder von Hirnaktivitäten relevant, wie Hagner meint, und nichts anderes? – Wie auch die Antwort lauten mag, es hat eine Bedeutung für die PatientInnen und auch für die forschenden und praktizierenden NeurowissenschaftlerInnen. Ob und welche Bedeutung das Bild für den Anpassungsprozess von Mensch und Maschine hat, ist ein weiteres Desiderat, dem ich mich mit dieser Arbeit annehme. Eine erste deutschsprachige Ethnografie aus soziologischer Perspektive zu bildgebenden Verfahren in der Medizin liefert Burri (2008b) in »Doing Images. Zur Praxis medizinischer Bilder«. Das Herstellen, Aktualisieren oder Ignorieren der visuellen Dimension der Bilder versteht sie als unterschiedliche Handlungs- bzw. Praxisformen eines doing images (Burri 2008b: 8). Mit Visualisierungspraktiken der Neurowissenschaften beschäftigt sich zudem die Soziologin Gesa Lindemann (2008), wobei sie die von Plessner (1975) vorgestellte Theorie der Expressivität lebendiger Dinge neu interpretiert und Gehirnaktivitäten als expressives Phänomen deutet. In ihrer langjährigen ethnographischen Studie, die sie in neurowissenschaftlichen Laboren in den USA und in Deutschland durchgeführt hat, beobachtet sie aus der Perspektive der empirischen Wissenschaftsforschung Experimente an Makaken-Affen. Sie fragt danach, wie die Ergebnisse der Neurowissenschaften zustande kommen und welche forschungs- und handlungsleitenden Annahmen der Neuroforschungspraxis zugrunde liegen. In diesem Kontext beschäftigt sie sich damit, »welche Phänomene im Bereich der Visualisierung neuronaler Aktivität zu erwarten sind, wenn man die Positionalitätstheorie zugrunde legt« (Lindemann 2008: 85). Auf der Grundlage ihrer Analyse der empirischen Beobachtungen der neurobiologischen Hirnforschung zeigt sie auf, »welche Möglichkeiten der Gestaltung des sozialen Lebens sich aus den bisher gewonnenen Resultaten ergeben« (Lindemann 2008: 85). In ihrer Untersuchung bezieht sie sich explizit auf invasive elektrophysiologische Forschung und erarbeitet eine Theorie des Gehirns als Organ des Vollzugs der Selbststeuerung. Bisher ist es ihr zufolge noch nicht möglich, neuronale Muster eindeutig einer Steuerungsfunktion oder einem zerebralen Zustand zuzuordnen. Wenn also die »personalen Organismen lernen, sich zur Visualisierung ihrer neuronalen Expressivität zu verhalten« (ebd.: 95), wäre diese Expressivität erlernbar. Somit würden die Neurowissenschaften »Grundlagen für eine neue Kulturtechnik schaffen« (ebd.). »Wenn es den Neurowissenschaften gelingt, Geist und Bewusstsein auf materiale Prozesse zu reduzieren, werden wir in das Reich der technisch vermittelten Wahrhaftigkeit und Unschuld einziehen können. Die Annahme einer personalen Vergesellschaftung müsste verabschiedet werden. Wenn die Neurowissenschaften die Grundlage der neuen Kulturtechnik der neuronalen Selbstkontrolle und Selbstdarstellung schaffen, werden
2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
neurowissenschaftliche Forschungs- und Darstellungsverfahren integraler Bestandteil moderner kommunikativer Expressivität werden.« (Lindemann 2008: 95)
Mit der Kulturtechnik der Neurowissenschaften ist demnach gemeint, dass sich zur Bewältigung unterschiedlicher Probleme von Bewusstseinszuständen bestimmte Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften als Lösungsstrategie etablieren könnten. Bei diesen Praktiken und Techniken der »Neuro-Kultur« sind neurotechnologische Gestaltungsmöglichkeiten und -umstände im und am Gehirn selbst entscheidend. Somit werden die von den Neurowissenschaften angebotenen Problemlösungen, und deshalb nicht nur Heilversuche sondern auch Heilbehandlungen, selbst hirndeterministisch. Auch auf diesen Aspekt werde ich im Rahmen meiner Befunde eingehen. In ihren anschließenden Publikationen beschreibt Lindemann (2009a; 2011) die Beziehung von Organischem und Technischem und das Gehirn als epistemisches (und durch Neurotechniken/-technologien veränderbares) Objekt für NeurowissenschaftlerInnen. Sie fragt danach, wie bewusste Organismen (Makake-Affen) sich zu technischen Artefakten verhalten und welche Differenzen es zwischen dem Sozialen und dem Organischen gibt (vgl. Lindemann 2009a: 154).
2.2.4 Die Aktualität des »homo cerebralis« Mit den Entwicklungen in der Hirnforschung und der Frage, ob in diesem Zusammenhang der Mensch einen »homo cerebralis« darstellt, beschäftigt sich Hagner (1995; 1997). In seiner Monografie »Homo cerebralis. Der Wandel vom Seelenorgan zum Gehirn« (Hagner 1997) zeigt er mit einer kulturhistorischen Perspektive, wie der Paradigmenwechsel von der Wahrnehmung des Gehirns als ein Seelenorgan hin zu der Deutung des Gehirns als ein Organ verlief. Als Seelenorgan wurde das Gehirn bis ins späte 18. Jahrhundert begriffen, wobei Seele und Körper als untrennbar miteinander verflochten angenommen wurden. Danach wurde und wird das Gehirn als ein Organ gedeutet, wobei dieser Wandel in einer Zeit vollzogen wurde in der phreonologische Grundsätze, Klassifikationen und Lokalisationen geistiger Funktionen das Menschenbild prägten. Einhergehend mit diversen Entwicklungssträngen und Entdeckungen, die mit dem Gehirn als Organ verbunden waren, wurde die Seele nicht mehr als Regulierungsinstanz zwischen Gehirn und Körper verstanden, und das Gehirn wurde mit seinen Teilbereichen soweit klassifizierbar, dass es gezielt modifizierbar wurde: »Die Lokalisierung der geistigen Funktionen im Gehirn ist einer der frühesten und wirksamsten Begriffe der Moderne zur Bestimmung des Menschen. (…) l’homme, c’est le cerveau« (ebd.: 293) – der Mensch ist sein Gehirn. Und auch Vidal (2009a) betrachtet historische Anschauungen über das »Hirnsubjekt«. Sein Fokus liegt allerdings auf der Entstehung und Entwicklung von Überzeugungen, die das Gehirn als konstitutiven Teil menschlicher Identität betrachten, wobei der Körper
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Das techno-zerebrale Subjekt
austauschbar ist. Die Vorstellung, dass der Mensch ein »zerebrales Subjekt« (ebd.; erstmals französischsprachig erschienen in Vidal 2005) ist19, ist laut dem Autor kulturell verankert. Neben Vidal beschäftigen sich auch andere AutorInnen mit dem Aufkommen des »zerebralen Subjekts« und dem Hype hirndeterministischer Konzepte, wobei sie unterschiedliche Perspektiven einnehmen (vgl. auch Ortega & Vidal 2007; Lindemann 2011; Ortega & Vidal 2011a; zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Neurohype vgl. u.a. Hasler 2013). In seinem Buch »The Politics of Life Itself: Biomedicine, Power, and Subjectivity in the Twenty-First Century« reklamiert Rose (2006: 8) »the rise of new neurochemical conceptions of the self«. Wenige Jahre später setzen sich Rose & Abi-Rached (2013) mit den Auswirkungen der Neurowissenschaften auf das öffentliche Verständnis des Selbst auseinander. In dem Werk »Neuro: The New Brain Sciences and the Management of the Mind« (ebd.) beschreiben die Autoren theoretische, technologische, ökonomische und biopolitische Entwicklungen, die die Neurowissenschaften in ihrer jetzigen Form erst ermöglicht haben. Sie kritisieren die Dominanz des neurobiologischen Selbst in den Sozial- und Geisteswissenschaften und dass sich die Sozialwissenschaften einer aufstrebenden »Neuro-Ontologie« anschließen würden. Ihre Untersuchung ist eher metaanalytisch bzw. makroperspektivisch, da sie soziale, kulturelle, institutionelle und politische Trends in den Neurowissenschaften in einen Zusammenhang bringen. Allerdings referieren sie eher auf wissenschaftshistorische und philosophische Konzepte. Sie thematisieren keine wissenschaftssoziologische Mikro-Forschung zu Neurowissenschaften, wie sie z.B. von Lindemann (2005; 2009a) durchgeführt wurde. Denn sie zeigt, wie in der experimentellen Hirnforschung das Gehirn (von Makake-Affen) als epistemisches Objekt her- bzw. dargestellt wird und wie es vom agierenden und interagierenden Organismus in einem komplizierten Prozess getrennt wird: Die Datenanalyse innerhalb der Neurowissenschaften verlangt ihren Überlegungen zufolge ein »isolated brain as a system« (Lindemann 2009a: 154), wodurch die Betrachtung des Organismus’ in seiner Gesamtheit in den Hintergrund gerate. Wird auch so bei neurowissenschaftlichen Heilversuchen am Menschen verfahren, wäre die Behauptung, dass diese Versuche mit einem hirndeterministischen Menschenbild einhergehen bzw. Menschen in derartigen Versuchen als zerebrale Subjekte betrachtet werden, m.E. durchaus berechtigt. Allerdings fehlen Studien, die sowohl Mikro-, als auch Makroperspektiven in ihre Betrachtungen einbeziehen. Organismen werden im neurowissenschaftlichen »Aussagesystem« auf neuronale Prozesse reduziert. Elektroenzephalogramme, Hirnkartierungen, Hotspots etc. sind Repräsentationen des neurowissenschaftlichen Aussagesystems. Folglich werden Organismen einer Simplifikation, Kategorisierung und Bewertung unter19 | Zuvor prägte Hagner (1997) den Begriff »homo cerebralis«. Vgl. dazu auch Hagner
(1995).
2. Querverbindungen: Medizin, Gehirn und Gesellschaft
worfen. Allerdings greift dieses reduktionistische Bild des Forschungssubjekts gerade bei Heilversuchen m.E. zu kurz. Denn reduziert man das Selbst auf das Gehirn und seine Expressivität, so bleibt das für den Umgang mit ProbandInnen bzw. PatientInnen nicht folgenlos. Dies betrifft zunächst die neurowissenschaftliche Medizinforschung, kann jedoch möglicherweise auch die medizinische Behandlung von PatientInnen mit Hirnfunktionsstörungen tangieren. Beispielsweise könnte sich die medizinische Behandlung von SchlaganfallpatientInnen in eine wissenschaftlich-technische Behandlungsform ändern, denn in neurowissenschaftlichen Heilversuchen ist die Behandlung solcher Funktionsstörungen maßgeblich durch die Verflechtung von Gehirn und Technik bestimmt. Allerdings wird in den oben vorgestellten Analysen die Mensch-Maschine-Kopplung in Form von BMI nicht im Zusammenhang mit den Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften analysiert. Mein Forschungsvorhaben knüpft an den oben dargestellten Studien an, die vor allem in der Tradition der STS verankert sind, und verdeutlicht die Referenz der Neurowissenschaften auf den Körper und das Gehirn sowie deren Inskriptionsvorrichtungen. Allerdings liegt mein Fokus auf dem symbiotischen Verhältnis zwischen Organischem und Anorganischem: Das Gehirn und die Maschine(n) werden mittels Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften derart miteinander verflochten, dass sie sich in einem Prozess der gegenseitigen Anpassung verändern. Diese Laborpraxis bezeichne ich als »soziobio-technischen Anpassungsprozess«20 wobei innerhalb dieses Prozesses das Gehirn, der Körper und das Forschungssubjekt rekonfiguriert werden.
2 0 | Im Jahr 2010 hatte ich bereits die Anpassungsleistungen von Mensch und Maschine
als »socio-bio-technical synchronization process« (Şahinol 2010) dargestellt.
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3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung neurowissenschaftlicher Welten
Praxeologische Ansätze haben in den letzten Jahren in den Sozialwissenschaften in verschiedenen Feldern und Forschungsprogrammen, beispielsweise in der Wissenschafts- und Technikforschung,1 einen Aufschwung erfahren. Eine Zuordnung bestimmter TheoretikerInnen zu Praxistheorien findet man allerdings eher selten, wobei u.a. Pierre Bourdieu und Anthony Giddens Ausnahmen darstellen, die klar den praxeologischen Ansätzen zugeordnet werden. Die (sozial)philosophischen Wurzeln der Praxistheorien lassen sich bei Praxisbegriffen von Aristoteles und Karl Marx finden, aber auch bei Martin Heidegger sowie bei Wittgenstein (vgl. Schäfer 2013: 12ff.). Den verschiedenen praxeologischen Ansätzen ist dabei gemeinsam, dass Praktiken die Grundlage von empirischen Analysen oder theoretischen Konzepten bilden und dass sie bekannte philosophische und soziologische Dichotomien, wie z.B. Subjekt/Objekt oder Gesellschaft/Individuum, zu überwinden versuchen. Nach Schatzki (1996: 13) ergeben sich sowohl die gesellschaftliche Ordnung als auch die Individualität aus Praktiken, die den Ort des Sozialen und des KoKonstituierens bezeichnen: »practices are where the realm of sociality and individual mentality/activity are at once organized and linked. Both social order and individuality, in other words, result from practices.« (Schatzki 1996: 13). Das Soziale wird hier verstanden als »a field of embodied, materially interwoven practices centrally organized around shared practical understandings« (Schatzki 2001: 3). In der zeitlichen bzw. historischen Achse hängt die Leistung und Kontinuität der Praktiken von »the successful inculcation of shared embodied knowhow« (ebd.) ab. Weil Aktivitäten oder Handlungen und Körperlichkeit in Praktiken konstituiert werden, ist der »skilled body« der Ort, wo sich Handlung und Geist, aber auch Individualität und Gesellschaft treffen (Schatzki 2001).
1 | Nachfolgend wird die gängigere englische Bezeichnung »Science and Technology
Studies« (STS) verwendet.
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Das techno-zerebrale Subjekt
»Obwohl große Einigkeit darüber herrscht, dass praktisches Verstehen und Körperlichkeit fundamentale Dimensionen des Handelns bilden, ist deren Konzeption umstritten. Da in praxeologischer Perspektive ›Verstehen‹, ›Wissen‹, ›Können‹ und ›Praxis‹ als verwandte Begriffe aufgefasst werden, werden unterschiedliche Zugänge gewählt und divergierende Schwerpunkte gesetzt.« (Schäfer 2013: 20)
Was wichtig und immer noch aktuell ist, ist der Blick auf das situationsbezogene Vollzugsgeschehen, worin Praktiken ihre Wirksamkeit finden, denn: »Es geht hier (…) nicht um Menschen und ihre Situationen, sondern eher um Situationen und ihre Menschen.« (Goffman 1986 [1971]: 9) Im Fokus stehen also nicht mehr – wie z.B. noch bei Weber (2005 [1920]) – die Absichten und Folgen des Handelns, sondern der Vollzug des Handelns. In diesem Vollzug des Handelns wird das ›Praktische‹ des Handelns gesehen. Zugegebenermaßen ist dies ein weites Verständnis der praxeologischen Perspektive. Jedoch ist das, was die praxeologische Rahmung für diese Arbeit entscheidend macht, deren elementarer Bezug auf Körperlichkeiten und Subjektivierungseffekte, die sich durch Handlungsaktivitäten von AkteurInnen in bestimmten »sozialen Welten« oder »wissenschaftlichen Arenen« (Strauss 1993: Kap. 10) konstituieren und entwickeln. Wieso die Bezugnahme auf Subjektivierungseffekte bei der Betrachtung von neurowissenschaftlichen Praktiken wichtig ist, liegt auf der Hand. Kulturhistorische Studien sprechen, wie bereits erörtert wurde, von »Hirnsubjekten« (Hagner 1995, 1997; Vidal 2005, 2009b), die die »Neuro-Kultur« (Ortega & Vidal 2011b) bzw. die neurowissenschaftliche Welt (die ich Neuro-Welt nenne) bzw. Arena2 hervorbringen, ohne die genauen Mensch-Maschine-Verschaltungen in neurowissenschaftlichen Experimenten untersucht bzw. beobachtet zu haben und ohne dass es m.E. einen erkennbaren Fokus auf Körper gäbe. In der viel rezipierten Akteur-NetzwerkTheorie, derer sich sozial- und kulturwissenschaftliche Studien aufgrund der den Praktiken zugestandenen Materialität bedienen, werden Körper und Körperlichkeit vernachlässigt.3 Dies gilt auch für diejenigen Studien, die den forschenden Blick auf die Neurowissenschaften richten. Und auch in techniksoziologischen Beiträgen zur Handlungsträgerschaft von Technik (Rammert & Schulz-Schaeffer 2002) wird der Körper vernachlässigt, er erscheint geradezu als nicht existent.4 Und auch bei sozialwissenschaftlichen Studien zu Neurowissenschaften liegt der Fokus eher auf den Repräsentations- sowie Simplifikationstechniken, auf den bildgebenden Verfahren wie fMRT oder EEG (Star 1983; Dumit 2004, 2014; Borck 2005; 2012; Alač 2006; 2011; Joyce 2006; 2008; Burri 2008b). Dies lässt vermuten, 2 | Hier lehne ich mich an Strauss (vgl. Kapitel 3.1) an. 3 | Ähnlich argumentiert auch Hirschauer (2004). 4 | Körperlichkeit aber auch Subjektivierungseffekte werden zugunsten einer genaueren
Betrachtung von technischen Agenten in Handlungszusammenhängen in diesen Konzepten vernachlässigt.
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
Subjektivierungseffekte würden vor allem durch Technologien bzw. Techniken ausgelöst. Sie verfestigen sich aber auch durch materiell verwobene Praktiken. Daher muss solch ein Ansatz durch Ansätze erweitert werden, die auch Materialität nicht-menschlicher Aktanten einen Akteursstatus und Handlungstätigkeit (Latour 1987) zubilligt oder zumindest Technik als »mithandelnden Aktant« (Rammert & Schulz-Schaeffer 2002) versteht und die »Körperlichkeit der Praxis« (Schäfer 2013: 328ff.) einbezieht. Letzterem wird eine zentrale Rolle in praxeologischen Ansätzen zugestanden. »Was die neue Runde der an Materialität orientieren Ansätze über die Körperlichkeit von Subjekten hinaus hervorhebt, ist die Abhängigkeit des Sozialen von einem eigendynamischen Arrangement von Artefakten, d.h. von organischen oder anorganischen, natürlichen oder technischen ›Dingen‹. Auch kulturelle Subjektformen erscheinen dann in ihrer Spezifität erst nachvollziehbar, wenn man sie als eingebettet in historisch-spezifische materielle Ensembles von Artefakten erkennt.« (Reckwitz 2008: 106)
Diese Sichtweise impliziert, auch Materialität als Analysekategorie in die praxeologische Rahmung einzubeziehen. Praktiken sind somit auch der Umgang mit Dingen. Ihre Stabilität kann durch Objekte erfolgen. Praktiken können aber ebenso die Materialität von Elementen stabilisieren. Betrachtet man Praktiken in Bezug auf das selbstreferenziell handelnde Subjekt, können sie gleichfalls als Körpertechnologien, also »Technologien des Selbst« (Foucault et al. 1993) verstanden werden (vgl. Reckwitz 2008: 135f.). Das Verhältnis von Materialität und Körperlichkeit beschreibt Reckwitz als in Praktikenkomplexen inhärente Konstellationen: »Spezialisierte Praktikenkomplexe bilden zugleich Praxis-/Artefaktkonstellationen. Generell sind Praktiken als Verhaltensroutinen zu begreifen, die auf die Trägerschaft durch zweierlei Materialität angewiesen sind: jene Körper ihrer menschlichen Träger, aber auch jene von im weiteren Sinne technischen Artefakten, von ›Dingen‹, ›Objekten‹, mit denen in einer Praktik hantiert wird oder die dessen konstitutive Voraussetzungen darstellen.« (Reckwitz 2006: 60f.)
Ich vertrete hier keine deterministische Sichtweise, die auf der Annahme basiert, dass eine »neue Subjektform« durch Neurotechniken willentlich konstruiert wird, sondern mich interessieren vielmehr die spezifischen Praktiken und Techniken in neurowissenschaftlichen Studien, in deren Zusammenhang eine »Subjektivation« (Reckwitz 2008: 139) stattfindet.5 Dabei vertrete ich eine pragmatistische STS-Position (vgl. zu einer solchen Position auch Strübing 2005), die 5 | Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Subjekttheorie von Reckwitz vgl. Beer
& Sievi (2010).
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Das techno-zerebrale Subjekt
es erlaubt, die »Differenz zwischen Technik und Gesellschaft« (Rammert 2007a) aufzuheben. Somit bewege ich mich zwischen Technikdeterminismus und Sozialkonstruktivismus und betrachte Technik aus der pragmatistischen Sicht des »Technopragmatismus« (Rammert 2007d). Demgemäß verstehe ich Technik nicht nur als »physikalisch vergegenständlichte Sachtechnik«, sondern auch als in menschlichen »Handlungen verkörperte Handlungstechnik« und in »Symbolsystemen eingeschriebene Zeichentechnik« (ebd.: 17, Hervorh. i. Orig.). Zudem vertrete ich die Position, dass Wissenschaft und Technik durch Arbeit hervorgehen und diese wiederum in Arbeit einfließen (vgl. Strübing 2005: 19). In der vorliegenden Arbeit geht es dabei konkret um das Arbeitshandeln bzw. um Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen in neurowissenschaftlichen Welten/Arenen, wobei Technik und Wissen als interdependente ZweckMittel-Pole in Problemlösungsprozessen betrachtet werden. »Es ist dies eine der zentralen Thesen des pragmatistischen Sozialphilosophen und Erkenntnistheoretikers John Dewey, für den die ›Logik der Forschung‹ sich eben nicht darin erschöpft, sich zu einem formulierten Problem eine Lösungsidee ›auszusuchen‹, sondern mögliche Lösungen immer tentativ an der Praxis und damit auch an der materiellen Seite des jeweiligen praktischen Problems zu erproben. Dabei wechseln Wissen über Aspekte des Problems sowie Praktiken, Handlungstechniken und Sachtechniken einander als Zwecke und Mittel immer wieder ab. Das Erproben einer Idee unter Verwendung technischer Geräte und methodischer Regeln führt zu neuem Wissen über das fragliche Problem, zugleich erfahren wir aber vielleicht, dass die verwendeten Mittel (…) ergänzungs- oder modifikationsbedürftig sind.« (Ebd.: 20)
In Anlehnung an Strauss (1997) sehe ich dabei das Forschungshandeln der NeurowissenschaftlerInnen als einen Teil forschungsmedizinischer Arbeit, an der auch PatientInnen durch ihre Mitarbeit beteiligt sind. Erstere nehmen qua Profession am Arbeitsprozess teil, welcher »consists of the totality of tasks arrayed both sequentially and simultaneously along the course of the (…) project« (Strauss 1991 [1985]: 75). Letztere tragen als PatientInnen in spezifischen Situationen zu Erkenntnissen der Neurowissenschaften bei, indem sie bspw. an einem bestimmten Experiment teilnehmen und ihre Körper »zur Verfügung« stellen. Daher sind PatientInnen zugleich Forschungssubjekte. Ich verwende aufgrund dessen in dieser Arbeit bewusst nicht den Begriff ProbandIn oder StudienteilnehmerIn6 und sehe die PatientInnen auch nicht als standardisierte Arbeitsobjekte des neurowissenschaftlichen Arbeitshandelns an, wie Epstein (2009: 41) es tut. PatientInnen stellen in den von mir beobachteten Experimenten als Heilversuch 6 | In den von mir beobachteten Projekten ist überwiegend die Rede von PatientInnen,
oft auch von Subjekten. Gegenüber Fremden, die das Labor besuchen, sprechen NeurowissenschaftlerInnen von Studienteilnehmenden.
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
am Menschen auch keine »Objekte« (Jonas 1969) dar. Denn der Heilversuch hat »zwar objektiv experimentellen Charakter, steht aber durch das subjektive Heilungsinteresse der Kategorie der Heilbehandlung näher« (Eser 1979: 217). Zwar interessieren sich die NeurowissenschaftlerInnen für einen bestimmten Teil der PatientInnen: dem Gehirn als »epistemisches Objekt« (Rheinberger 2001; Lindemann 2009a), dabei sind sie jedoch auf die Mitarbeit des Subjekts angewiesen. Ich werde also im Folgenden deshalb vom »Forschungssubjekt« aber auch vom Patienten/von der Patientin sprechen, weil durch das Forschungsziel »Heilversuch« und durch die PatientInnen, die sich für diesen Versuch zur Verfügung stellen, sowie durch das gemeinsame Arbeitsgeflecht von NeurowissenschaftlerInnen und PatientInnen neue Erfahrungen und somit neues Wissen über das Gehirn generiert werden können. Die große Bedeutung der Beteiligung der PatientInnen kommt auch innerhalb der Studien immer wieder zum Ausdruck: Die NeurowissenschaftlerInnen betonen in den Gesprächen mit den PatientInnen wiederholt, dass sie zum wissenschaftlichen Erkenntnisprozess beitragen. Auch wenn gegenwärtig keine erkennbaren Erfolge sichtbar seien, sei ihre Teilnahme für die Zukunft der Behandlung entscheidend.7 In diesem Zusammenhang wird der Patient/die Patientin auch durch seine/ihre eigenen Praktiken im Versuchssetting zum Arbeitssubjekt im Sinne der »ökonomischen Praktiken der Arbeit, in denen der Einzelne sich als Arbeitssubjekt trainiert« (Reckwitz 2006: 20). Zu verorten ist, so lässt sich abschließend zusammenfassen, diese Arbeit in der Tradition der »pragmatistischen Wissenschafts- und Technikforschung« (Strübing 2005), wobei sie in eine praxeologische Rahmung gesetzt wird. Beide Ansätze – die Praxistheorie und die pragmatistische STS – haben Gemeinsamkeiten und lassen sich gut ergänzen. Die Gemeinsamkeit besteht in dem Versuch, den Dualismus von Individuum und Gesellschaft bzw. Handeln und Struktur zu überwinden. Da jedoch in der pragmatistischen STS Subjektivation zu wenig berücksichtigt wird, bietet die praxeologische Rahmung notwendige Bezüge auf Subjektivierungseffekte. 7 | Man könnte meinen, dass gerade in den Neurowissenschaften jede Patientin bzw. jeder Patient ein Forschungssubjekt darstellt. Denn mit jeder Tiefenhirnstimulations-OP, z.B. bei ParkinsonpatientInnen, und bei jeder ECoG-Implantation, z.B. bei EpilepsiepatientInnen, besteht die Möglichkeit, neue Erkenntnisse über das Gehirn zu gewinnen. Das mystische Gehirn, von dem wir so wenig wissen, wird dadurch aufs Neuste bearbeitet und Erkenntnisse darüber werden gewonnen. Diese Erkenntnisse fließen in die Erfahrungen der NeurochirurgInnen ein, die wiederum aktive Mitglieder der NeuroWelt sind. Allerdings besteht der Unterschied darin, dass bei einer »routinierten« Tiefenhirnstimulation das Wohl des Patienten/der Patientin, also die Heilbehandlung, im Vordergrund steht, während bei Heilversuchen am Menschen der experimentelle Charakter vordergründig ist. Insofern wird nur in einem der beiden Fälle tatsächlich von Forschungssubjekten gesprochen.
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Das techno-zerebrale Subjekt
Im Folgenden gehe ich zunächst auf Strauss’sche Konzepte als Heuristik für meine Untersuchung ein. Der Strauss’sche Ansatz der Social World/Arena stellt dabei einen wichtigen methodischen Zugang zur Neuro-Welt, mitsamt ihren Sach-, Handlungs- und Zeichentechniken, dar.
3.1 Medizin und Wissenschaft als kulturelle Praxis Die moderne Medizin wird in ethnosoziologischen Ansätzen als kulturelle Praxis untersucht, wobei situierte, sich in kulturellen Kontexten ereignende Interaktionen fokussiert werden. In dieser Tradition stehen die medizinische Anthropologie sowie Forschungen in der Tradition der Grounded Theory8 und der Ethnomethodologie. Die kulturellen Muster von Krankheit und Krankheitserleben, Heilpraktiken und Heilmitteln in ihrer jeweiligen kulturellen Differenz sind in dieser Forschungstradition von Interesse. Zudem werden politische und ökonomische Zusammenhänge berücksichtigt. Ethnographische Ansätze bilden die methodische Grundlage für Untersuchungen im Bereich »Medizin als Ausdruck von Kultur«, wobei sie in die theoretischen Annahmen des symbolischen Interaktionismus integriert werden. Der Fokus beispielsweise von Strauss’ medizinsoziologisch-empirischen Arbeiten in Tradition des symbolischen Interaktionismus liegt auf der interaktiven Ordnung der Institutionen des Gesundheitswesens, insbesondere auf dem Arbeitsgeflecht zwischen ÄrztInnen, Pflegenden und PatientInnen und auf den Kontexten des Arbeitsgeflechts selbst (vgl. auch Graumann & Lindemann 2010: 300f.). Da ich neurowissenschaftliche Studien ebenfalls als Arbeitsgeflecht zwischen verschiedenen AkteurInnen begreife, die in einer neurokulturellen Eigenart9 (ähnlich wie Pickering 1992 in »Science as Practice and Culture«) in Aushandlungsprozessen vollzogen werden, verwende ich Strauss’sche Konzepte, die im Folgenden detaillierter beschrieben werden. Das Forschungshandeln von NeurowissenschaftlerInnen und die Aushandlungsprozesse in den Neurowissenschaften sind dabei nicht losgelöst von strukturellen Bedingungen zu verstehen. Als RepräsentantInnen sozialer Welten (bzw. der Neuro-Welt) bringen die (inter) agierenden AkteurInnen gesellschaftliche Strukturen hervor – die dann wieder8 | Zur Verankerung der Grounded Theory in Situationen vgl. Clarke (2011). 9 | Ich lehne mich dabei an Pickering (1992) an. Der Band »Neurocultures« von Ortega & Vidal (2011b) fasst historische, soziologische und anthropologische Beiträge (z.B. Lindemann 2011; Cohn 2011; Gere 2011) zusammen, die Praktiken der Neurowissenschaften vor dem Hintergrund ihrer historischen Entwicklung als zeitgenössische Kulturform betrachten. Der durch Imaging-Technologien vermittelte Blick auf das Gehirn beeinflusst die Sicht auf den Menschen und den Umgang mit ihm. Hirnzustände bzw. zerebrale Zustände werden so zur Ikone der Moderne.
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
um auf das Handeln in der Neuro-Welt zurückwirken. In den Strauss’schen Konzepten wird neben diesen Zusammenhängen auch die Materialität von Körper und Umwelt berücksichtigt. Letztere Konzepte bleiben allerdings in den Arbeiten von Strauss ein wenig vage, werden jedoch von Strauss’ Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt (vgl. bspw. Star 1983; Clarke 1995). Daher ist es für diese Arbeit wichtig, das Verhältnis von Handeln, Struktur und ausgehandelter Ordnung zu erörtern.
3.1.1 Handeln, Struktur und ausgehandelte Ordnung Strauss, der u.a. aufgrund seiner Ausbildung bei Herbert Blumer dem Sozialen Interaktionismus zugerechnet wird, bezeichnet seine Theorie selbst als ›interactionist theory‹. Interaktion ist für ihn zwar ein symbolisch vermittelter Prozess, er definiert ihn jedoch nicht allein als symbolischen Prozess. Das Symbolische ist für Strauss »eher eine Modalität des Handelns als seine konstitutive Eigenschaft. Hier geht Strauss bewusst hinter die (…) Darstellung Blumers zurück und bezieht sich auf die umfassendere Perspektive von George Herbert Mead und John Dewey« (Strübing 2007a: 9). Daher wird Strauss als »pragmatist interactionist« bezeichnet (vgl. Corbin 1991: 21; vgl. auch Gerhardt 2000: 55). Strauss’ Motiv ist die Beschreibung und Analyse von Sozialität im Handeln, wobei die Struktur sozialer Organisation und gesellschaftlicher Institutionen nicht als bloße Handlungsfolgen zu sehen sind. Die Basisannahme der »ausgehandelten Ordnung« (›negotiated order‹, welches Strauss in seinem Spätwerk ›processual ordering‹ nennt) liegt im Wechselverhältnis von Handlung und Struktur, wobei die Handelnden strukturelle Gegebenheiten situativ erleben und darauf reagieren, somit auch aktiv auf strukturelle Bedingungen wirken können. Strauss definiert Handlung und Interaktion wie folgt: »Action: though expressed in the English language as a noun, is actually a verb- ›to act.‹ It has two dimensions. Acting overtly is the dimension most frequently taken as synonymous with action. Overt action can be observed by other people. However, acting convertly, or reflectively, is also an aspect of action. It cannot be observed by others, but of course it can be reported by the actor. Interaction: is acting, by an individual or collectivity, towards others who are not necessarily aware of this action. The others may not be present, may be dead, may be imaginary, or in some way may be cultural others.« (Strauss 1993: 22)
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Handlungen können mit dieser erweiterten Sicht auf Geister, Tote oder Dinge ausgerichtet sein, die situativ nicht zugegen sind bzw. zu sein scheinen, wobei Strauss diesen Dingen selbst zunächst keine Handlungsfähigkeit zuspricht.10 Eine relevante Form des Handelns besteht für Strauss in der Arbeit. Strauss, der sich hier auf Everett Hughes’ Konzept »work as interaction« bezieht, verdichtet seinen Entwurf von Arbeit mit den Begriffen »articulation«, »arrangements« und »the process of working things out«. Gegenstand der Analysen werden dadurch die Koordination von Arbeit, Aushandlungen verschiedener AkteurInnen, die ihr Handeln aufeinander ausrichten, und die Art, wie diese Aushandlungen aufrechterhalten und verändert werden (vgl. Strauss 1993: 88, 93, 95). Handeln ist für Strauss ein andauernder Strom von Routinen, wobei die Handelnden aus dem Strom nur dann heraus treten, wenn ihr routiniertes Handeln problematisch wird oder an Grenzen stößt. Der so erforderliche Vorgang des Problemlösens bringt dann modifizierte, neue Strukturen und neues Wissen hervor. Daraus ergibt sich dann wieder ein modifiziertes routiniertes Handeln (Strauss 1978; 1993). Problematische Situationen und das Brechen von alltäglichen, bekannten Abläufen nehmen in den Überlegungen von Strauss dementsprechend einen hohen Stellenwert ein. Insofern stellt er vor allem in seinen medizinsoziologischen Studien Routinebrüche und problematische Situationen in den Fokus seiner Untersuchungen. In diesem Kontext beschreibt er das Heilen als eine alltägliche Routine von ÄrztInnen, wohingegen der plötzliche Tod oder fragwürdig gewordene etablierte Lehrmeinungen Routinebrüche oder problematische Situationen darstellen würden. Für Strauss geht dem routinierten Handeln dabei immer ein Prozess des Problemlösens und Aushandelns voraus. Um diese Prozesse zu reflektieren, soll sich die/der Forschende immer fragen, wie es wäre, wenn die Situation anders wäre: »Hughes Frage ›How might it have been otherwise‹ ist der fundamentale Leitsatz der empirisch-analytischen Arbeit von Strauss geworden. Dies impliziert eine starke Betonung der Prozessdimension von Sozialität: Erst wenn wir verstehen, wie ein soziales Phänomen zu dem geworden ist, was es ist, haben wir es verstanden. Erst wenn wir uns die Alternativen vergegenwärtigt haben, innerhalb derer die Handelnden sich für einen bestimmten Weg entscheiden, können wir die Bedeutung der Entscheidung angemessen verstehen.« (Strübing 2007a: 11)
Für Strauss ist Handeln weder bloß eine Konsequenz aus einer evidenten Konstellation struktureller Faktoren noch von Strukturen unabhängig und selbst Struktur bildend. Was aber sind Strukturen bei Strauss? – Strukturen sind das begrenzt beständige Element in Situationen, das durch ein gegenwärtiges Han10 | Wohl aber könnten sie in den Gedanken der Handelnden existieren, sodass Ihnen
dennoch eine Einflussnahme auf Handlungen zugeschrieben werden kann.
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deln nicht einfach verschwindet. Strukturen treten nach Strauss in Situationen als Handlungsbedingungen auf, die dem oder der Handelnden sowohl Möglichkeiten des Handelns bieten als auch Grenzen setzen (vgl. Strübing 2007a: 54). Handeln und Struktur unterscheiden sich dementsprechend nur auf einer analytischen Ebene: »Für Strauss ist Struktur nur im Handeln präsent und Handeln somit immer der aktive Part von Struktur, also Strukturierung.« (Strübing 2007a: 54). Die Frage nach der Bedeutung des Handelns für Strukturen und für Prozesse der Strukturgenese bleibt jedoch, so Strübing, im Ansatz von Strauss offen. Deutlich wird Strübing zufolge lediglich, dass Strukturen im Interaktionismus als temporär betrachtet werden, da sie einem Wandel von langer oder kurzer Dauer unterliegen. In dem Strauss’schen Konzept ›negotiated order approach‹ werden beiden Aspekte, Strukturen als Handlungsbedingungen und Handeln als Bedingung des Strukturwandels, integriert (vgl Strübing 2007a: 54). Strauss untersuchte u.a. Arbeitsprozesse in verschiedenen Stationen von Kliniken und beobachtete gemeinsam mit ForschungskollegInnen, dass Aushandlungsprozesse strukturtransformierend wirken und somit zentral für das Verständnis organisierter Arbeit sind. Diese Beobachtungen wurden von Strauss zu einer formalen Theorie weiterentwickelt, wobei das Aushandeln zu einem Schlüsselkonzept wurde und der Begriff ›ausgehandelte Ordnung‹ in die Theorie einfloss (vgl. Strübing 2007a: 54f.). »Der Kerngedanke des Konzepts der ›negotiated order‹ besteht darin, dass die Akteure in situativer Interaktion mit existierenden Versionen einer zuvor bereits ausgehandelten Ordnung umgehen (im Sinne von Handlungsvoraussetzungen) und mit ihrem aktuellen Aushandlungen so zugleich (…) diese bestehende ausgehandelte Ordnung modifizieren oder auch nur (…) stützen und in der bisherigen Form erhalten.« (Strübing 2007a: 55)
Aus seinen Ergebnissen der frühen Krankenhausstudien in den 1960er Jahren (Strauss et al. 1991 [1971]) schließt Strauss, dass die soziale Ordnung eine ausgehandelte Ordnung ist, da es keine organisatorischen Beziehungen ohne begleitende Aushandlungen in den untersuchten Organisationen gegeben habe (Strauss 1978). Nach Strübing (2007) seien bei Strauss bestimmte Aushandlungen von bestimmten strukturellen Bedingungen abhängig und ihre Ergebnisse zeitlich begrenzt. Aushandlungen würden sowohl immer wieder beendet als auch täglich neu stattfinden. Somit müsse an ausgehandelten Ordnungen gearbeitet werden, da die Basis gemeinschaftlichen Handelns kontinuierlich wiederhergestellt werden müsse. Die ausgehandelte Ordnung eines jeweiligen Tages könne man als Gesamtsumme der Regeln und Grundsätze einer Organisation verstehen, wobei darunter nicht nur Verträge, Arbeitsarrangements etc. zu verstehen seien, sondern auch Übereinkommen auf allen Organisationsebenen sowie offene und verdeckte Absprachen. Der Einfluss von gewöhnlichen wie außerge-
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wöhnlichen Veränderungen auf die ausgehandelte Ordnung erfordere stetig neue Aushandlungen oder Beurteilungen. Daraus ergebe sich eine kontinuierliche Veränderung der ausgehandelten Ordnung (vgl. Strübing 2007a: 56f.). Die Organisation wird von Strauss dementsprechend nicht als Gebilde begriffen, das unabhängig vom Zutun ihrer Mitglieder existiert, sondern sie besteht aus organisatorischen Prozessen, an denen sowohl die Mitglieder der Organisation als auch AkteurInnen aus der relevanten Umwelt beteiligt sind. »In diesen organisatorischen Prozessen gehen die Akteure zwangsläufig mit den bisherigen Ergebnissen des Organisationsprozesses um, soweit diese in der jeweiligen Situationsdefinition der Akteure repräsentiert sind. Die Handelnden beziehen sich auf diese Organisationstatbestände aber nicht im Sinne zwingender Strukturen, sondern vielmehr in der Art von Ressourcen.« (Strübing 2007a: 57) Eine Abweichung von einer Regel kann dabei als Abwandlung des »Organisationstatbestands« (Strübing 2007b: 193) gesehen werden. Erst wenn die Abweichung zur alltäglichen Praxis von anderen AkteurInnen wird, also regelmäßig wird, ändert sich zumindest ein Detail der Organisation als Ganze. Zu den veränderlichen Bestandteilen von Organisationen gehören sowohl neue Artefakte (kodifizierte Regeln, bauliche Strukturen, niedergelegte Vertragsverhältnisse usw.), als auch alle im praktischen Handeln etablierte Muster, Routinen und Beziehungsformen. Die Organisation ist dementsprechend einem kontinuierlichen Wandlungsprozess unterworfen, wobei jede Darstellung einer Organisation als ein bestimmter Moment innerhalb dieses Prozesses zu betrachten ist. Zu den hier relevanten Darstellungen gehören nicht nur bildliche Darstellungen (Organigramme), sondern auch Beschreibungen und Analysen der Organisation im Rahmen von wissenschaftlichen Studien. Spätestens an diesem Beispiel wird deutlich, dass in dem Strauss’schen Konzept ausgehandelter Ordnungen die Problemlösungsorientierung, ähnlich wie bei (Reckwitz 2003), allenfalls eine vordergründige Bedeutung zukommt, denn routiniertes Handeln kann, durch eine gewisse Offenheit für Routinebrüche innerhalb der Organisation, »aufgebrochen« werden: »In der Praxistheorie erscheint die soziale Welt der Praktiken im Spannungsfeld zweier grundsätzlicher Strukturmerkmale: der Routinisiertheit einerseits, der Unberechenbarkeit interpretativer Unbestimmtheiten andererseits. Anders formuliert, bewegt sich die Praxis zwischen einer relativen ›Geschlossenheit‹ der Wiederholung und einer relativen ›Offenheit‹ für Misslingen, Neuinterpretation und Konflikthaftigkeit des alltäglichen Vollzugs.« (Ebd.: 294)
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Anders formuliert sind Praktiken in ihrem Vollzugsgeschehen insofern offen, als bestimmte Routinen (›Geschlossenheit‹) durch auftretende Probleme (›Offenheit‹ für z.B. Neuinterpretation etc.) unwirksam werden. Das Konzept der ausgehandelten Ordnung stellt Strauss mit in seinem Werk »Negotiations« (1978) und in seiner Theorie des Handelns (1993) in einen gesellschaftstheoretischen Kontext. Dabei verdeutlicht er, dass Aushandlungen elementar für die Genese, Entwicklung und den Wandel von sozialen Organisationen jedweder Art sind. Strauss’ zentrale Theorieelemente sind zugleich Aushandlungen (›negotiations‹), Aushandlungskontext (›negotiation contex‹) und struktureller Kontext (›structural context‹). Aushandlungen hingegen sind im zufolge ein mögliches Mittel (neben anderen), um bei unterschiedlichen Perspektiven gemeinsam handeln zu können. Der Modus des Aushandelns wird von anderen prinzipiellen Handlungsalternativen (Überzeugen, Erziehen, Manipulieren, sich auf Regeln oder Autoritäten berufen, Zwang) unterschieden. Hierbei geht es Strauss, so Strübing, um die »Kennzeichnung einer spezifischen Konstellation von Handlungsweisen, die insgesamt einen Handlungsmodus, eben den der Aushandlung, ergeben. In dieser Sicht kann man Aushandlungsprozesse als einen Wirkungszusammenhang verschiedener Handlungen verstehen, die insgesamt auf einen (…) Ausgleich von Interessen und eine wechselseitige Vermittlung von divergierenden Handlungsperspektiven hin organisiert sind« (Strübing 2007a: 60).
Es ist Strübing (2007) zufolge nicht die primäre Absicht Strauss’, den negotiated order approach als Theorie zur Erklärung von Interaktionsprozessen zweier oder mehrerer Parteien, die eine Entscheidung auf der Grundlage differenter Interessen treffen müssen, zu konzipieren. Sondern situative Aushandlungsprozesse werden mit strukturellen Rahmenbedingungen verbunden, wobei Aushandlungen dazu beitragen, dass soziale Ordnungen hergestellt, erhalten und/oder modifiziert werden. »Struktureller Kontext und Aushandlungskontext sind dabei zwei Aspekte der Umwelt der handelnden Akteure, wobei der strukturelle Kontext die weitere Umwelt abbildet« (ebd.: 62). Die strukturelle Kontextdimension um die Situationen herum entwickelt Strauss mit Juliet Corbin in der »Bedingungsmatix«. Auf sie werde ich im Methodenteil dieser Arbeit (Kapitel 4) noch näher eingehen. Zunächst ist hier festzustellen, dass bei Strauss der structural context als Bedingung des Handelns praktisch verfügbar ist. Hierbei soll der Einfluss gesamtgesellschaftlicher Strukturmomente anerkannt werden, wobei die allgemeinen Strukturen der Gesellschaft in ihren konkreten Ausdrucksformen als Aushandlungskontext handlungsrelevant werden. Der strukturelle Kontext steht somit in Bezug zum Aushandlungskontext, der sich wiederum z.B. auf eine konkrete strukturelle Eigenschaft bezieht, die direkt als Handlungsbedingung den Aushandlungsvorgang mit formt (vgl. Strü-
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bing 2007a: 62f.). Für die Einschätzung des Aushandlungsergebnisses und seine analytische Bewertung sind alternative Entscheidungspfade zentral. Bei Strauss sind einige Aspekte sozialer Ordnungen demnach ausgehandelte Ordnungen, wobei Aushandlungen wichtige Einblicke in die Art der Aufrechterhaltung oder Veränderung sozialer Ordnungen gewähren können. Dabei wird die soziale Ordnung jedoch nicht ausschließlich durch Aushandlungen hervorgebracht, bewahrt und verändert. Denn wie man in der späteren Arbeit Strauss’ »Continual Permutations of Action« (Strauss 1993) sieht, geht es ihm auch darum, die systematischen Beziehungen zwischen der Aushandlung und anderen Prozesstypen sozialen Handels auszuarbeiten. Um das Verständnis ausgehandelter Ordnungen zu erweitern und zu vertiefen und um detaillierter auf den kreativen Charakter von Interaktion einzugehen, spricht Strauss explizit nicht von einer ausgehandelten Ordnung sondern vom prozessualen Ordnen (›processual ordering‹). »Dabei bezieht er [Strauss, MŞ] sich einerseits explizit auf Everett C. Hughes und dessen Auffassung von Institutionen als ›going concerns‹, andererseits verknüpft er seine in den empirischen Studien entwickelte Theorie praktischen Organisierens von Arbeit im Prozess des Arbeitens mit Joas’ sozialtheoretischem Plädoyer für die Stärkung des Begriffs der Kreativität in der Handlungstheorie.« (Strübing 2007a: 67)
Nach Strübings Interpretation ist Strauss darum bemüht, den Dualismus von Substanz- und Prozessbegriffen zu vermeiden. Strauss kritisiere »die verbreitete Gleichsetzung von sozialer Ordnung mit Stabilität bzw. von sozialem Wandel mit Instabilität und sozialer Unordnung. Er wendet sich nicht nur gegen diese Gleichsetzungen, sondern schon gegen die in diesen Begriffen ausgedrückte Verdinglichung« (Strübing 2007a: 68). So legen Strübing zufolge nach Strauss grundlegende interaktionistische Annahmen und Beobachtungen eine vorläufige Richtung des Denkens nahe, die eine Verdinglichung dieser Begriffe zurückweise. Faktisch lehne er das Konzept der Unordnung ab, weil dies eine Dichotomie von Ordnung und Wandel nahelegen würde (vgl. Strübing 2007a: 70). Zusammengefasst bedeutet dies: Strauss’ Konzept des prozessualen Ordnens liefert, so Strübing, nicht nur eine Antwort auf das Mikro-Makro-Problem, sondern auch auf die Frage nach der Verbindung von Struktur und Handlung: »Prozessuales Ordnen ist Teil unserer Interaktionen – und zwar auf allen Ebenen gesellschaftlichen Handelns. Jedes Handeln ist ein Beitrag zum kontinuierlichen Prozess der Strukturierung des Gesellschaftlichen. Strukturgenese ist bei Strauss kein vom situativen Handeln abgekoppelter separater Prozess auf einer Makroebene des Sozialen. Sie stellt vielmehr eine Seite des Handelns selbst dar, eben jene, die Ergebnisse hervorbringt, die Situationen überdauern und zukünftigem Handeln als gegeben gegenübertritt. Handeln wird dabei nicht von Strukturen determiniert, sondern setzt sich mit Strukturen als Res-
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sourcen des Handelns auseinander, insoweit sie als solche in den Handlungskontext der Akteure – die Situation – Eingang finden.« (Strübing 2007a: 71)
Auch dieser Aspekt macht Strauss’ Konzeption somit interessant für die vorliegende Arbeit. Denn die Dynamik von Aushandlungen wird im Vollzugsgeschehen situativ beobachtbar, welches wiederum in Struktur(genese)prozesse eingebettet ist. Das Forschungshandeln in den Neurowissenschaften ist zwar in Experimenten beobachtbar, dadurch werden allerdings nur situative Handlungsbedingungen analysierbar. Mit der erweiterten Perspektive dagegen werden auch strukturelle Handlungs- und Rahmenbedingungen für NeurowissenschaftlerInnen sichtbar.11
3.1.2 Soziale Welten und Arenen Für Strauss stellt beim Entwurf seiner Theorie der »sozialen Welten« Tomatsu Shibutanis Referenzgruppe ein wichtiges Konzept dar. Shibutani definiert die Referenzgruppe als eine Gruppe, deren Perspektiven von dem/der Handelnden als Referenzrahmen in der Organisation seines/ihres Wahrnehmungsfelds verwendet wird (Shibutani 1962: 132). Die Referenzgruppe konstituiert demnach den Referenzrahmen des bzw. der Handelnden. Situationen oder Situationsabfolgen spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Definitionen von Situationsabfolgen von W. I. Thomas, auf die sich Shibutani bezieht, erweitert er um den Punkt der organisierten Perspektiven. Nach Shibutani bestimmt eine Perspektive, nach der bestimmte Eigenschaften von Objekten und Personen als »normal« angesehen werden, die persönliche Weltordnung. Unterschiedliche Perspektiven stellen jeweils eine Matrix dar, die der Umwelt des Menschen, in dem er sich befindet, einen Sinn verleihen (vgl. Shibutani 1955: 562ff.).12 Soziale Welten werden bei Shibutani wie folgt definiert: »Each social world, then, is a culture area, the boundaries of which are set neither by territory nor formal group membership, but by the limits of effective communication.« (Shibutani 1962: 136) Shibutani fasst Kulturen als kontinuierliche Prozesse und von bestimmten Gruppen geteilte Perspektiven auf, die sich im Handeln und in den darin geschaffenen Artefakten manifestieren. 11 | In welcher Form soziale Aggregationen und Strukturen in einer Sozialtheorie vertreten sein können, die das Soziale aus der Perspektive seiner Prozesshaftigkeit betrachtet, wird in der »Theorie sozialer Welten« (Strauss 1991 [1978]) erklärt. Strauss bringt darin Struktur- und Prozessmomente zusammen. 1 2 | Hier findet sich eine gewisse Parallelität zu Webers Aufsatz zu Objektivität in den Wissenschaften, wenn er schreibt, dass »keine Erkenntnis von Kulturvorgängen anders denkbar ist, als auf der Grundlage der Bedeutung, welche die stets individuell geartete Wirklichkeit des Lebens in bestimmten einzelnen Beziehungen für uns hat« (Weber 1973 [1904]: 180).
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Die Perspektiven entwickeln AkteurInnen in Interaktionsprozessen. Der Wandel und Stabilisierungen von Perspektiven erfolgen in Auseinandersetzung mit dem sozialen Umfeld, wobei die der eigenen Perspektive entsprechende Kultur unterstützend und reproduzierend wirkt. Die Perspektive Shibutanis integrierend, erklärt Strauss (1991) in »A Social World Perspective«13: »In each social world, at least one primary activity (along with related clusters of activity) is strikingly evident (…). There are sites where activities occur: hence space and a shaped landscape are relevant. Technology (inherited or innovative modes of carrying out the social world’s activities) is always involved. Most worlds evolve quite complex technologies. In social worlds at their outset, there may be only temporary divisions of labor, but once under way, organizations inevitably evolve to further one aspect or another of the world’s activities. These features of social words can be converted analytically into subprocesses (…). Technological innovation, manufacturing, (…) and the teaching of technical skills are also evident. Organizational building, extending, defending, invading, taking over, and converting also occur. The discovery and study of such subprocesses and of their relationships, including conflictful and ›power‹ relationships, are essential parts of research into social worlds.« (Ebd.: 236f., Hervorh. i. Orig.)
In der Definition sozialer Welten wird deutlich, dass Strauss mit »technology« sowohl Sachtechnik (z.B. BCI, MRT etc.) als auch Handlungstechnik (also die Art des Handelns oder Fabrizierens) meint, wobei letztere für die Betrachtung von Praktiken und Techniken in neurowissenschaftlichen Welten wichtig ist. Ferner gibt es keine klare Grenzziehung zwischen sozialen Welten, sie unterstehen u.a. aufgrund von Aushandlungsprozessen einem stetigen Wandel. Ordnung wird dabei durch diese Prozesse immer wieder hergestellt, und in diesem Sinne entstehen und verschwinden Subwelten. Arenen sind dabei Diskussionsplattformen, in deren Rahmen unterschiedliche soziale Welten zusammen kommen (können) (Strauss 1993: Kap. 9 & 10). Gerade was die wissenschaftliche Arena betrifft, hebt Strauss die Verflechtung mit anderen Arenen als bedeutsam hervor.14 Strauss schildert, dass in wissenschaftlichen Arenen vor allem Kontroversen von WissenschaftlerInnen beobachtbar seien. Eine solche Arena werde bspw. durch Laborstudien gebildet: »Settling disputes over theoretical, procedural, and 13 | Diese Arbeit wurde im Jahr 1978 zum ersten Mal veröffentlicht. 14 | Strauss kritisiert in seinen Ausführungen zu »Scientifc Arenas« (Strauss 1993) an
Latours Studien zu Pasteurs Erfolg, Latour (1988) habe eine zu einseitige Sicht, was die Strategien Pasteurs anbelangt. Strategien von WissenschaftlerInnen würden auch in jeweiligen Arenen von anderen sozialen Welten beeinflusst, was Latour nicht berücksichtige (vgl. Strauss 1993: 235f.). Für Latours Kritik am Symbolischen Interaktionismus vgl. Latour (2010 [2005]).
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technical issues is observable at the local level of the laboratory up to the most monumental disciplinary debates around theories and claims about critically important findings.« (Ebd.: 232) Dabei seien die Verflechtungen von wissenschaftliche Arenen mit anderen Arenen, wie z.B. politischen, philosophischen, medizinischen etc., besonders ausgeprägt. Dieser Erkenntnis Strauss’ ist zuzustimmen, denn genauso ist dies bei der neurowissenschaftlichen Welt bzw. Arena, die u.a. Verbindungen zur Kybernetik15, Bioinformatik, (Elektro-)Physiologie, Psychologie und Medizin aufweist (Für den Bezug zur Kybernetik vgl. z.B. Kapitel 3.4.3, alle Bezüge werden jedoch auch während meiner Darstellungen in meiner Empirie deutlich.).
3.2 Das Labor als Ort der Verdichtung. Oder: Wo sind die Hybriden? Vorläufer von sozialkonstruktivistischen, wissenssoziologischen Arbeiten zu medizinischen Themenbereichen waren die Schriften von Ludwig Fleck, der selbst Arzt war. In seinem Referat »Über einige besondere Merkmale des ärztlichen Denkens« schreibt er: »Der Gegenstand ärztlichen Denkens, die Krankheit, ist kein dauerhafter Zustand, sondern ein sich unablässig verändernder Prozeß, der seine eigene zeitliche Genese, seinen Verlauf und Hingang hat. Diese wissenschaftliche Fiktion, dieses Individuum, geschaffen durch Abstraktion, gestützt auf Statistik und Intuition, das Individuum genannt Krankheit, das bei statistischer Auffassung rundweg irrational ist, unfassbar, und sich nicht eindeutig definieren lässt, wird erst in temporärer Fassung zur konkreten Einheit. Niemals ein status praesens, sondern erst die historia morbi schafft die Krankheitseinheit. (…) Diese Historizität, die Zeitlichkeit des Krankheitsbegriffs, ist einzig in ihrer Art.« (Fleck 1983 [1927]: 43)
Fleck zeigte am Beispiel der Medizingeschichte der Syphilis, dass die Betrachtungsweise der WissenschaftlerInnen von der Welt kulturell geprägt ist und sich ständig verändert. Die Entstehung der Erkenntnis sei ein sozialer Moment, den man im Forschungsprozess nicht außer Acht lassen dürfe. Und so habe auch jedes Wissen einen eigenen Gedankenstil mit einer spezifischen Tradition und Erziehung. Jedes Wissen beziehe sich auf andere Fragen, verbinde sie nach anderen Regeln und zu anderen Zwecken. Mitglieder verschiedener Wissensgemeinschaften lebten in einer je eigenen wissenschaftlichen oder beruflichen Wirklichkeit (Fleck 1983 [1927]: 47f.). An diesen Erörterungen Flecks wird deutlich: »Fleck wollte die Beschränkungen der Denkstil-Gebundenheit in Wissenschaft und Me-
15 | Vgl. hierzu bspw. Schmidt-Brücken (2012).
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dizin aufbrechen, um einer reflektierteren Erkenntnissuche Raum zu schaffen.« (Graumann & Lindemann 2010: 301) Die Wissenschaftssoziologie16 beschäftigt sich insbesondere mit der sozialen und epistemischen Ordnung der Wissenschaft sowie der Verbindung zwischen den beiden Ordnungsebenen. Sie beschäftigt sich u.a. mit der Frage, wie die Produktion, Verbreitung und Geltung gesicherten Wissens gesellschaftlich möglich ist. Wenn man die Entwicklung der Wissenschaftssoziologie betrachtet, dann waren in dieser Disziplin zunächst gesellschaftliche Bedingungen von Wissenschaft als Institution von Interesse. Danach ging man dazu über, Wissenschaft in der Dimension ihres spezifischen Wissens zu analysieren. In der aktuellen Wissenschaftssoziologie beschäftigen sich zahlreiche Arbeiten mit den Interaktionen der in der Wissenschaft verorteten AkteurInnen mit den AkteurInnen anderer gesellschaftlicher Handlungsdomänen (vgl. Kaiser & Maasen 2010: 687f.). »Ende der 1970er Jahre wendet sich die Wissenschaftssoziologie zunehmend den sozialen Faktoren zu, die nicht nur die Institutionen der Wissenschaft, sondern die wissenschaftliches Wissen selbst hervorbringen. Epistemisch rechtfertigt die Wissenschaftssoziologie, die sich zunehmend im interdisziplinären Zusammenhang der Science Studies bzw. Science & Technology Studies findet, ihren ›turn‹ durch den Anspruch, die black box der Wissenschaft zu öffnen.« (Kaiser & Maasen 2010: 690)
Neuere Ansätze der Wissenschaftsforschung haben im Gegensatz zu Fleck nicht den Anspruch, zu einer reflektierten medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnis zu gelangen. Seit den 1970er Jahren wurden vielmehr Beobachtungen zur sozialen Konstruktion naturwissenschaftlicher »Tatsachen« angestellt (Latour & Woolgar 1997; Knorr Cetina 1980; Star 1995a; Lynch 1985). Die aufgeführten Werke sind richtungsweisende Untersuchungen, die die Konstruiertheit vermeintlicher »harter Fakten« der Naturwissenschaften hervorheben. In dieser »Konstruktion der Wirklichkeit«17 sind verschiedene Faktoren von Bedeutung, die sich auf die aktuellen technischen Mittel, Forschungsstrukturen sowie Karriereinteressen einzelner AkteurInnen beziehen. In den Untersuchungen wird auch 16 | Viele soziologische Ansätze fassen die Wissenserzeugung als konstruktiven Prozess
auf (vgl. Knorr Cetina 1980: 236). Der Konstruktivismus ist das methodologisch verbindende Element aller soziologischen Ansätze, die sich mit wissenschaftlichem Wissen auseinandersetzen. Die Grundannahme dabei ist, dass »Wissen durch Soziales (Werte, soziale Strukturen, Akteure, Handlungen oder Netzwerke) strukturiert, beeinflusst, geformt, informiert oder gar verursacht wird« (Kaiser & Maasen 2010: 690). Bloors’ Strong Programme gelten als paradigmatische Formulierung dieser Ansätze. 17 | Eine bekannte sozialkonstruktivistische Sichtweise vertreten Berger & Luckmann (1990), für die Wirklichkeit gesellschaftlich, also sozial konstruiert ist.
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die Frage aufgegriffen, was ein Akteur bzw. eine Akteurin ist. Damit ist die Frage verbunden, ob neben Menschen auch technische Apparaturen und Forschungsgegenstände als handelnde Akteurinnen verstanden werden sollten/müssen. Den Untersuchungen ist gemeinsam, dass die Forschenden ihre Mikrostudien vor allem im Labor durchführten, wobei ethnomethodologische18 Ansätze als Vorgängerinnen dieser Studien zu betrachten sind.19 Das Labor ist ein Mikrokosmos von WissenschaftlerInnen, ein Ort der »Fabrikation von Erkenntnis« (Knorr Cetina 2002), um Science in Action zu beobachten und zu analysieren. Für Knorr Cetina (2002) stellen Laboratorien eine »gesteigerte Umwelt« dar, »in der natürliche Ordnungen in Relation zu Sozialen Ordnungen im Hinblick auf die anstehenden Anliegen ›verbessert‹ erscheinen. (…) Die Laborstudien, über die wir verfügen, implizieren, dass diese Veränderungen auf einer gewissen Modellierbarkeit von Naturobjekten beruhen. Laborstudien basieren auf der Vorstellung, dass Objekte keine festen Entitäten darstellen, die entweder so, wie sie sind, genommen werden oder sich selbst überlassen bleiben müssen.« (Ebd.: 45)
Der Laborbegriff wird mit dem Begriff der Rekonfiguration von »Selbst-anderen Dingen verbunden, d.h. mit der Herausbildung von Ordnungen in Laboratorien, die auf einer Veränderung und Steigerung mundaner Komponenten des Alltagslebens beruhen. In Laboratorien werden Untersuchungsobjekte neu inszeniert, indem sie neuen zeitlichen und räumlichen Regimes unterworfen werden« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 65). Diese Rekonfiguration umfasst heterogene Entitäten, die situativ und gleichsam prozessual nicht nur auf die Objekte, die rekonfiguriert werden, wirken, sondern auch auf die Arbeit und neuen Ordnungen im Labor und auf Technologien, also auf die Praktiken und Techniken im Allgemeinen (vgl. ebd.: 66). Die Laborwissenschaft muss sich nach Knorr Cetina mit mindestens drei Aspekten von Naturobjekten nicht abfinden. Erstens müsse sie die Objekte nicht 18 | »Die E. [Ethnomethodologie, MŞ] ist ein von Harold Garfinkel begründeter wissenssoziologisch-konstruktivistischer Forschungsansatz, der sozialtheoretische Fragestellungen mit Hilfe empirischer Untersuchungen kultureller Praktiken verfolgt.« (Hirschauer 2014: 104) Sie deckt das durch die Handelnden als objektiv gegeben Wahrgenommene als ihre eigene praktische Hervorbringung auf. Soziale Welt und Ordnung werden durch Individuen konstruiert, somit ist »soziale Wirklichkeit eine reine Vollzugswirklichkeit«, die ständig »verwirklicht« wird. »Das Problem sozialer Ordnung stellte für Garfinkel (…) ein Dauerproblem des ›Ordnens‹ dar, das Interaktionsteilnehmer stets neu zu lösen haben.« (Hirschauer 2014: 105) 19 | Zu Goffman und die Ethnomethodologie vgl. Widmer (1991); zu Ethnomethodologie im Allgemeinen vgl. u.a. Abels (2001: Kapitel 5).
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so nehmen, wie sie sind, sondern könne für diese eine Vielzahl partieller und transformierter Versionen substituieren. Zweitens müsse eine Laborwissenschaft einem Naturobjekt nicht in seiner natürlichen Umwelt begegnen. Somit würden sie Objekte »ins Haus« transferiert und dort unter Laborbedingungen manipuliert. Drittens müsse eine Laborwissenschaft sich mit einem Ereignis nicht direkt dann beschäftigen, wann es passiert. Sie könne sich über natürliche Zyklen des Auftretens hinwegsetzen und könne auch gezielt Ereignisse hervorbringen, sodass sie bspw. in ausreichender Häufigkeit für kontinuierliche Untersuchungen vorliegen. Deshalb sei die Anpassung an eine zeitliche Struktur der Objekte nicht notwendig. Knorr Cetina hält fest, dass die Macht von Laboratorien aus der »Kultivierung von Naturobjekten« entspringt.20 Laborwissenschaften würden natürliche Bedingungen einer »sozialen Überformung« unterwerfen, um günstige epistemische Erfolge zu erzielen. Untersuchungsobjekte würden dementsprechend neu inszeniert, wobei sich neue zeitliche und räumliche Regimes über sie erheben würden (vgl. Knorr Cetina 2002 [1999]: 45-47, 65). Im neurowissenschaftlichen Labor, wo neurowissenschaftliches Wissen generiert wird und Neurotechniken im Einsatz sind, scheint jedoch ein anderes Beziehungsgeflecht vorherrschend zu sein. Oftmals ist hier von Subjekten, manchmal sogar von Forschungsobjekten, die Rede, wenn man experimentelle, klinische Studien durchführen möchte und noch Personen für Versuche braucht. So könnte man fragen, ob Knorr Cetinas Laborbegriff hier nicht zu kurz greift. Denn wie »modifizierbar« oder »rekonfigurierbar« sind Menschen in Humanexperimenten? Die Wissenschaftsforscherin selbst kritisiert in diesem Zusammenhang, dass bisherige Laborstudien kein Interesse an der Rekonfiguration von sozialen Ordnungen gehabt hätten und betont, dass auch Personen im Labor einer Rekonfiguration unterzogen würden. »In Laborprozessen werden natürliche Ordnungen mit sozialen Ordnungen in Einklang gebracht, indem rekonfigurierte, manipulierbare Objekte in Relation zu den Akteuren an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt werden. In Laboratorien werden aber auch Personen im Hinblick auf die entsprechende Objektwelt rekonfiguriert, in und mit der sie operieren.« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 48)
Wie Aspekte der Sozialordnung rekonfiguriert werden, illustriert Knorr Cetina anhand eines Beispiels aus der Entwicklung der Medizin. Sie konstatiert, dass der Übergang von der Krankenbettmedizin zur klinischen Medizin eine Neudefinition von Krankheit mit sich gebracht habe. Diese sei nicht länger mit einer spezifischen Konstellation von Symptomen gleichgesetzt, sondern mit körperlichen Verletzungen zusammengebracht worden. Dabei seien Symptome als äußere Zei20 | Dies ähnelt Susan Leigh Stars Beschreibung zur »Naturalisierung der Dinge« (vgl.
hierzu Kapitel 3.3).
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chen solcher Verletzungen gedeutet worden: »Patientinnen und Patienten, die in die Klinik transferiert wurden, wurden aus ihrer natürlichen Umwelt herausgelöst und der zeiträumlichen Disziplin eines klinischen Kontextes unterzogen.« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 49) Diesen beschriebenen Übergang setzt Knorr Cetina mit der Transformation einer Feldwissenschaft in eine Laborwissenschaft gleich. Mit dem Prozess der Laboratorisierung rekonfigurierte sich ihrer Ansicht nach auch die soziale Ordnung. »Die Dominanz der kranken Person veränderte sich (…) mit dem Aufkommen der klinischen Medizin. Die Macht des Ärztestandes steigerte sich durch eine Kombination von Faktoren: Erstens musste die kranke Person ihr Zuhause verlassen und in eine neue Umwelt, in die Klinik, eintreten, in der sie für kontinuierliche medizinische Beobachtung und den Vergleich mit anderen Patienten zur Verfügung stand. Zweitens rekrutierten sich Patienten von Kliniken aus ärmeren Gesellschaftsschichten; sie befanden sich also nicht in einer sozialen Position, in der sie die klinische Praxis verändern oder ihren Willen denjenigen, die die Klinik führten, oktroyieren konnten. Drittens trat nun an Stelle der privaten dyadischen Beziehung zwischen Patient und Arzt die Klinik und mit ihr eine Situation, in der Kranke mit einer Gruppe kooperierender Ärzte und Studierender konfrontiert waren, deren kollektiven Urteilen sie sich unterwerfen mussten.« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 50f.)
Diese Urteile der ÄrztInnen und angehenden MedizinerInnen seien zudem in einer den PatientInnen nicht zugänglichen Sprache kommuniziert worden. Und bei der medizinischen Untersuchung seien technische Instrumente, die verwendet wurden, immer mehr in den Vordergrund geraten, anstatt dass es einen Diskurs mit dem Patienten/der Patientin gegeben habe. Diese Elemente seien in die Rekonfiguration der Person des Arztes bzw. der Ärztin einflossen. Laut Knorr Cetina rekonfigurierte und kreierte die Klinik auf diese Weise Kranke, die ihre »natürliche« Umwelt verlassen mussten, um behandelt zu werden. Doch auch für die ÄrztInnen habe dies Veränderungen bedeutet: Die ÄrztInnen hätten sich anstelle der früheren komplizierten Interaktionen mit PatientInnen und deren Familien nun auch andere Fähigkeiten aneignen müssen. Dazu gehörten Fähigkeiten wie Geräusche zu klassifizieren, technische Instrumente anzuwenden und weiterzuentwickeln und entsprechende Rollen in ärztlichen Kollektiven zu übernehmen (vgl. ebd.: 51). Die Autorin sieht hier eine Ähnlichkeit zur Situation von WissenschaftlerInnen: »Auf ähnliche Weise werden auch Wissenschaftler geformt und transformiert – zu denjenigen Akteuren bzw. Elementen, die sie in den spezifischen wissenschaftlichen Kontexten darstellen. Ebenso wie Naturobjekte im Labor in Bilder, Extrakte und eine Vielzahl anderer Elemente transformiert werden, so werden Wissenschaftlerinnen und
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Wissenschaftler zu spezifischen epistemischen Subjekten transformiert.« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 51f.)
Als epistemische Subjekte bezeichnet Knorr Cetina (2002 [1999]: 143) jene WissenschaftlerInnen, deren Körper im Labor sowohl als »Handlungsträger«, als auch als »Informationsverarbeitungsinstrument« dienen und die somit einen »epistemologischen Garanten für Wahrheit« darstellen. Nicht nur nicht-menschliche, sondern auch menschliche AkteurInnen werden demnach im Labor rekonfiguriert. In Verbindung mit Rekonfigurationen kann man Laboratorien laut Knorr Cetina als relationale Einheit mit mindestens drei Realitätsbereichen in Beziehung setzen: erstens mit der Umwelt, die sie rekonfiguieren, zweitens mit den experimentellen Aktivitäten, die in ihnen ausgeführt werden, und drittens mit dem weiteren Feld anderer Einheiten, in denen Laboratorien mit ihren Eigenschaften situiert sind (vgl. Knorr Cetina 2002 [1999]: 65). »Der Begriff der Rekonfiguration muss demnach so erweitert werden, dass er auch diejenigen Dinge umfasst, die kontinuierlich in Laboratorien auf dem Spiel stehen: die andauernde Arbeit der Erzeugung spezifischer Differenzen zwischen einer bestimmten Laborkonfiguration, einer bestimmten Technologie, bestimmten Objekten, und vorhergehenden oder anderen – eine Differenz, aus der sich epistemische Dividenden ableiten lassen. Einbezogen werden muss auch die kontinuierliche Arbeit der Aufrechterhaltung von Laborgrenzen im Hinblick auf natürliche und alltägliche Eindringlinge und Umwelten. Laboratorien müssen als Prozesse gesehen werden, durch die die entsprechenden Rekonfigurationen verhandelt, implementiert, überlagert und ersetzt werden.« (Knorr Cetina 2002 [1999]: 66, (Komma-)Fehler i. Orig., MŞ)
Im neurowissenschaftlichen Labor ist aber m.E. noch ein weiterer Beziehungskontext von Relevanz. Zum einen gewinnt die Rekonfiguration einen neuen Charakter. Hierbei geht es jedoch gerade nicht um die Rekonfiguration der sozialen Welt der NeurowissenschaftlerInnen, der MedizinerInnen, aber auch der BioinformatikerInnen und DoktorandInnen aus der Physik etc., die einem interdisziplinären Feld angehören. Denn sie müssen in einem bestimmten Umfeld agieren und dem Balanceakt zwischen WissenschaftlerIn und Arzt/Ärztin gewachsen sein. Zum anderen müssen sie neurowissenschaftliches und neurotechnisches Wissen anwenden und generieren, und zwar in einem Umfeld, in dem es nicht nur »reine« Objekte gibt, sondern in dem ein weiteres epistemische Subjekt, das Forschungssubjekt »PatientIn«, existiert, dessen Körper und Gehirn rekonfiguriert werden soll bzw. wird. Und genau dieser Aspekt kommt m.E. in den Ausführungen Knorr Cetinas zu kurz bzw. findet eigentlich gar keine Beachtung. Der Blick auf den Körper des/der Kranken, die Infiltrierung, das Eindringen von Technologien und Techniken und ihre Folgen für die PatientInnen(körper) bleibt aus, was somit auch für die genaue Analyse der Mensch-Ma-
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schine-Kopplung in Experimenten gilt. Allerdings kann man hier Strauss’ (1993, in Anlehnung an Merleau-Ponty) Blick auf den Körper als Medium mit Knorr Cetinas Ausführungen zum epistemischen Subjekt verknüpfen. Denn im Labor verkörpern PatientInnen m.E. ein epistemisches Medium, das für NeurowissenschaftlerInnen einen Zugang zu epistemischen Objekten (wie z.B. dem Gehirn und seinen neuronalen Zuständen) und somit zu neuem Wissen über diese Objekte ermöglicht, was allerdings den Einsatz bestimmter Verfahren und Techniken voraussetzt. Für solch eine Analyse müssten dementsprechend soziale und technische Aspekte als wechselseitige Bedingungs- und Ermöglichungsmomente der Mensch-Maschine-Verflechtung in Betracht gezogen werden.
3.2.1 Hybrid-AkteurInnen und die Soziologie der Übersetzung Hinsichtlich der Frage danach, ob wissenschaftliche Tatsachen sozial und/oder technisch konstruiert sind, besteht zwischen der Wissenschaftssoziologie und der Aktor-Netzwerk-Theorie eine starke Divergenz. Letzte ist wohl einer der bekanntesten Ansätze, die zum praxeologischen Programm zählen und nichtmenschlichen Aktanten, z.B. der Technik, eine Handlungsfähigkeit zubilligen (vgl. bspw. Callon 1986b; Law 1986; Latour 2008 [1991]; Law & Mol 1995; Latour 2010 [1999]; 2010). Das Ziel der »Soziologie der Übersetzung« bzw. der Aktor-Netzwerk-Theorie ist es, die Fabrikation von Objekten und der Gesellschaft in der gleichen Art und Weise zu analysieren. Da wir letzteres nicht als gegeben annehmen können, müssen wir davon ausgehen, dass die Identität der AkteurInnen und deren Interesse, sich in diesem Prozess soweit entwickeln zu können, soweit gehen, dass sich auch Wissen und die materielle Welt entwickeln können. Es besteht daher also kein »One Way« der kausalen Explanation, vielmehr sind Wissenschaftsund Gesellschaftsprozesse als Prozesse der Ko-Konstitution zu betrachten. Dabei sind dies keine Prozesse der sozialen Konstruktion (oder des Einflusses des »Sozialen« auf Wissenschaft und Technik), sondern Prozesse der sozio-technischen Konstruktion. Denn technische Objekte sind derart konstruiert und real, dass sich ihr Handlungsprogramm auf eine, für die Objekte charakteristische, Art – und dabei im Sinne einer Eigenlogik – vollzieht und wiederum auf menschliches Handeln zurückwirkt. Menschliches Handeln und »das« Soziale können dementsprechend nicht außerhalb der Analyse sozio-technischer Netze verstanden werden. Gieryns Kritik an der »Badewannen«-Schule21 Collins, die mit der Be21 | Beim EPOR (Empirical Programme of Relativism)-Ansatz wird das Soziale in innerwissenschaftlichen Kommunikations- und Durchsetzungsprozessen hervorgehoben. Im Verlauf dieser Prozesse werden Deutungen entwickelt, bestritten, verteidigt und stabilisiert. Der EPOR-Ansatz der Badewannen-Schule geht von der empirischen Unterdeterminiertheit von wissenschaftlichem Wissen aus, welches als kontingentes Wissen
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trachtung der Gesellschaft als Fixum einhergeht, kommt diesem Gedanken sehr nahe (vgl. u.a. Bijker, Hughes & Pinch 2012 [1987]; Winner 1993; Gieryn 1995; Hacking 1999). Bei der Entwicklung der Aktor-Netzwerk-Theorie war der Aufsatz Callons (1986a) aufschlussreich. Im Rahmen seiner Fallstudie über die Kammmuscheln und Fischer von St. Brieuc Bay führte Callon Kernaspekte der genannten Theorie ein, insbesondere das Konzept einer »Soziologie der Übersetzung«. In der Studie geht es u.a. um eine gewisse Widerspenstigkeit (Eigenart) von Kammmuscheln, die sich nicht domestizieren lassen wollten. Ein schönes Beispiel für die Wichtigkeit nicht-menschlicher AkteurInnen ist auch John Laws Aufsatz (1986) über die portugiesische Schifffahrt im Fernhandel. Auch wenn es schon Navigationssysteme in Form von Instrumenten gegeben habe, seien die Seeleute auf das Sternenbild am Firmament angewiesen gewesen. Durch die Praktiken der Seeleute, insbesondere der astronomisch ausgebildeten Steuermänner, seien Sterne in Breitengrade umwandelt und inskribiert, also eingetragen oder kartiert worden. Die Messung des gesegelten Kurses – die zum Erfolg des portugiesischen Fernhandels beitrug – sei durch ein von Menschen gemachtes Maß erfolgt, »das von Inskriptionen und der Fähigkeit, diese Inskriptionen zu interpretieren, abhing« (Law 2006: 227). Für die portugiesische Expansion bzw. für die Stabilisierung sozialer Strukturen sind Law zufolge also auch nicht-menschliche AkteurInnen entscheidend, da ihre Wirkung zur Dauerhaftigkeit beiträgt. Sowohl bei Callon (1986a) als auch bei Law (1986) werden Wissenschaft und Technik demnach eine strukturierende Wirkung zugesprochen. Im Hinblick auf Machtverhältnisse schließt Callon jedoch ausdrücklich jede Rücksicht auf die zuvor bestehende Macht aller beteiligten Aktanten aus. Dies bezeichnet er selbst als eine deutliche Abkehr von der traditionellen Soziologie, die dazu tendiere, einer Präexistenz von Machtverhältnissen zumindest einen gewissen Grad der Kausalität zuzuschreiben, die zum Beispiel bei sozialen Klassen zu finden sei. Stattdessen argumentiert Callon, dass Wissenschafts- und TechnikforscherInnen agnostisch in der Betrachtung von AkteurInnen bleiben sollten. Die allgemeine Symmetrie, die sowohl das Technische als auch das Soziale mit den gleichen Bedingungen erkläre, solle eingehalten werden. Callon appelliert in diesem Zusammenhang an die Forschenden, a priori-Annahmen über die Beziehungen zwischen verschiedenen Aktanten zu vermeiden (vgl. Callon 1986a: 200f.).
begriffen wird. In seinem Konzept des Drei-Phasen-Schemas verweist Collins (1983) 1) auf die interpretative Flexibilität experimenteller Daten, die man berücksichtigen sollte, 2) auf die Notwendigkeit der Beschreibung von sozialen Schließmechanismen und 3) auf weitere soziale und politische Strukturen, die im Kontext der Schließmechanismen von Bedeutung sind (vgl. auch Bammé 2009: 43ff.).
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Auch für Latour (2002 [1999]: 177ff.) ist diese Art der Subjekt/Objekt-Dichotomie, die sowohl aus Aktivität (der Menschen) als auch aus Passivität (der NichtMenschen) besteht, ein Nullsummenspiel. Beiden Aktanten müsse man folgen, sowohl den menschlichen als auch den nicht-menschlichen, denn beide würden ein Netzwerk bilden, das ohne die Betrachtung der Wirkmacht des anderen keinen Sinn für Situationen oder Handlungsverflechtungen ergeben würde. Diese Schlüsse zieht er aus seinen zahlreichen Beobachtungen der Wissenschaftspraktiken, vor allem der Praktiken in Laboratorien. Besonders anschaulich beschreibt er das Beispiel des Akteur-Netzwerks ›Schusswaffe-Mensch‹. Für Latour ist die Antwort auf die Frage, wer schießt bzw. handelt, klar: Weder der Mensch, noch die Waffe gibt den Schuss allein ab, sondern der Hybrid-Akteur bestehend aus Mensch und Waffe. Der Mythos, dass Werkzeuge neutral seien und vom Menschen kontrolliert, sowie der Mythos der autonomen Bestimmung von Technik, die kein Mensch beherrschen könne, seien symmetrisch. Bei der Darstellung des Netzwerks Schusswaffe-Mensch mache es keinen Unterschied, ob Agent 1 oder 2 vertauscht würden. Sie werden von Latour als gleichberechtigt definiert (siehe Latour 2006c: 486, dortige Abbildung 1 »Die erste Bedeutung von Vermittlung: Übersetzung«). In Anlehung an Michel Serres verwendet Latour in diesem Zusammenhang den Begriff »›Übersetzung‹, um die Verschiebung, das Driften, die Erfindung, die Vermittlung, die Erschaffung eines Bindeglieds, das zuvor nicht existiert hatte und das zu einem gewissen Grad zwei Elemente oder Agenten modifiziert, auszudrücken« (ebd.: 487). Latour erklärt, dass der Mensch mit der Schusswaffe also ein anderes Subjekt würde und auch die Waffe, wenn sie vom Menschen gehalten würde, ein anderes Objekt werden würde. Dieser Prozess, den er als Übersetzung bezeichnet, sei symmetrisch: Was für das Subjekt wahr sei, sei es auch für das Objekt, d.h., ein guter Mensch würde zu einem schlechten, eine möglicherweise Sportwaffe zu einer Tötungswaffe. »Ein einzelner Aktant kann viele verschiedene ›aktielle‹ Formen annehmen, und im Gegenzug kann derselbe Akteur viele verschiedene ›aktorielle‹ Rollen spielen.« (Ebd.: 488) Es sei diese Akteur-Aktant-Symmetrie, die uns zwingen würde, die Subjekt/Objekt-Dichotomie fallen zu lassen. So müsse man auch die Verantwortung für das Handeln aufteilen und eine Übersetzung von Handlungsprogrammen durchführen, was die erste Bedingung für die technische »Vermittlung« als Transformationsprozess darstelle. »Kompositon«, »Blackboxing« und »Delegation« sind die nächsten Bedingungen von dem, was Latour »Vermittlung« nennt. Die Komposition kennzeichnet das Zusammenwirken von heterogenen Elementen (Mensch, Schusswaffe). Beides zusammen mache die »Unsicherheit über Ziele« (ebd.: 487) in Handlungsprogrammen aus. Die verteilte Handlung würde durch »blackboxing« unsichtbar werden. Wenn Technik beispielsweise ausfalle, merke man erst, wie viele AkteurInnen oder Aktanten dazu beigetragen hatten, dass sie funktionierte. Hier zeigt sich die oben beschriebene gegenseitige stabilisierende Wirkung auf Strukturen, in diesem Fall auf das Akteur-Netzwerk. So fordert Latour:
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»Öffnen Sie die Black Boxes; untersuchen sie die Verbindungen in ihnen. Jedes der Einzelteile in der Black Box ist eine Black Box voller Einzelteile. Wenn irgendeines der Teile zerbrechen würde, wie viele Menschen würden sich sofort um jedes materialisieren? Wie weit zurück in der Zeit, entfernt im Raum, sollten wir unsere Schritte zurückverfolgen, um all jenen stummen Entitäten zu folgen, die friedlich zum Lesen dieses Artikels auf Ihrem Schreibtisch beitragen? Bringen Sie jede dieser Entitäten zu Schritt 1 zurück; stellen Sie sich die Zeit vor, als jede von ihnen desinteressiert war und ihren eigenen Weg ging, ohne in irgendeinem Handlungsablauf von einem anderen eingebunden, rekrutiert, beteiligt, mobilisiert worden zu sein. (…) Die Tiefe unserer Ignoranz gegenüber Technik ist unergründlich. Wir sind weder fähig, ihre Anzahl zu zählen, noch können wir sagen, ob sie als Objekte existieren oder als Versammlungen oder als so viele Sequenzen kompetenter Handlungen.« (Latour 2006: 492f., Fehler i. Orig., MŞ)
Die vierte und wichtigste Bedeutung der Vermittlung ist Latour zufolge die »Delegation«. Der Mensch delegiere Tätigkeiten an Dinge, z.B. an ein Fahrerassistenzsystem oder eine Einparkhilfe. Das Objekt ersetze dadurch nicht nur eine Handlung, sondern das Handlungsprogramm von Menschen werde in den nicht-menschlichen Akteur »inskribiert« (vgl. Latour 2006c). Wenn er hier von Inskription spricht, dann klingt bereits an, dass er wissenschaftliche Bilder als »unvermittelte objektive Repräsentationen der Welt« (Latour 2002: 24) versteht, Inskriptionen also als Dinge, die »die Welt in einer Weise beschreiben, die sich als wahr oder falsch beweisen läßt« (ebd.: 25). Latours vier Phasen der Übersetzung ähneln weitgehend den Phasen der Netzwerkkonstruktion (Problematisierung, Interessement, Enrolment, Mobilisierung) bei Callon (1986a). Callon zufolge gehen die Phasen durch die Übersetzung ineinander über, wobei das Modell eher den Prozess beschreibe, innerhalb dessen die Netzwerkkonstruktion auch scheitern könne. Für diesen Fall führt Callon die fünfte Phase der Dissidenz, also der Dekonstruktion der Netzwerkkonstruktion, an (vgl. ebd.). Übertragen auf wissenschaftliches Arbeiten ist dabei das Interessement für die »Komposition« des Netzwerks, also für das erfolgreiche Zusammenwirken der AkteurInnen, zentral. Denn verschiedene Vorrichtungen, z.B. wissenschaftliche Objekte oder Methoden, können Callon zufolge in dieser Phase der Übersetzung zur Verbindung der AkteurInnen und somit zur Stabilisierung des Netzwerks beitragen – sie können aber auch (wenn die Übersetzung misslingt) zum Scheitern des Netzwerks führen. Wenn also WissenschaftlerInnen erfolgreich zusammenarbeiten wollen, müssen sie abstimmen, welche Bedeutung sie solchen Inskriptionsvorrichtungen zuschreiben, sich aufeinander einstellen und zwischen ihnen vermitteln. Gehirn-Computer-Schnittstellen z.B. können ohne Soft- und Hardwarekomponenten nicht funktionieren. Bei der Herstellung und Stabilisierung der BMI sind viele materielle Dinge, technische Apparaturen und Softwarealgorithmen beteiligt. In der Neurowelt und insbesondere in experimentellen Settings wirken so Menschen, Maschinen, IuK-
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Technologie und Designs als Ensemble zusammen, die allesamt einen Beitrag zur Mensch-Maschine-Anpassung leisten. Dieses Ensemble beschreibt Rammert (2007b) in seinem Konzept der sozio-technischen Konstellationen und wird im Folgenden dargestellt.
3.2.2 Sozio-technische Konstellationen Sach-, Handlungs- und Zeichentechnik erscheinen nach Rammert (2007d: 17) »in der Regel gemeinsam und eng aufeinander bezogen (…), in den soziotechnischen Konstellationen«. Rammerts Technikbegriff integriert somit Elemente sozialer Handlungen und Systeme, denn »Techniken sind (…) nicht allein ingenieurtechnische Konstruktionen wirksamer Werkzeuge und Maschinen, sondern zugleich auch soziale Konstruktionen der Mittel und Formen, wie in Gesellschaften gearbeitet, geforscht, kommuniziert und gelebt wird. Techniken sind nicht nur technische Installationen aus physischer Materie, Energie und Information, sondern zugleich auch material vermittelte soziale Institutionen.« (Rammert 2007d: 14)
Weiter definiert Rammert Technik als »Gesamtheit der in der Gesellschaft kreativ und künstlich eingerichteten Wirkzusammenhänge, die aufgrund ihrer Form, Funktionalität und Fixierung in verschiedenen Trägermedien zuverlässig und dauerhaft erwünschte Effekte hervorbringen« (ebd.: 17). Diese Erörterungen sind für mein Forschungsanliegen von zentraler Bedeutung. Denn in Technikgenese- und Technikentwicklungsprozessen ist beispielsweise auch das Forschungshandeln als soziale Praxis zu verstehen, wodurch innovative Problemlösungen für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt und etabliert werden. Solche innovativen Problemlösungen finden sich beispielsweise bei der Wiederherstellung motorischer Funktionen bei SchlaganfallpatientInnen mittels (non-)invasiver BCI. Interessanterweise räumt Rammert ein, dass »Weltbilder als explizite Leitbilder oder implizite kulturelle Modelle spezifiziert werden, die gesellschaftliche Erwartungen an Technik ausdrücken und konkrete Linien der Technikentwicklung in frühen und kritischen Phasen kulturell orientieren und somit mitprägen« (ebd.: 27). Für diese Arbeit ist das insofern von Bedeutung, als Menschenbilder in den Neurowissenschaften in Innovationsprozesse der experimentellen neurowissenschaftlichen Medizinforschung mit einfließen (vgl. dazu Kapitel 3.4). Nach Rammert bestehen sozio-technische Konstellationen aus Interaktionen menschlicher AkteurInnen, der Intra-Aktion technischer Objekte sowie der Interaktivität zwischen Menschen und technischen Objekten und demzufolge aus »körperlichen Routinen, sachlichen Designs und symbolischen Steuerungsdispositiven« (Rammert 2007d: 35). Diese Definition impliziert nicht nur die
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Bedeutung menschlicher Handlungen, sondern auch von Designs, Softwareprogrammen und Informations- und Kommunikationstechnologien. Das pragmatisch-analytische Konzept verteilter Aktion und Interaktivitäten in hybriden sozio-technischen Konstellationen entwickelt Rammert (2007c) in bewusster Abgrenzung zu u.a. Bruno Latours »politischer Philosophie« der Akteur-Netzwerke. »Es geht davon aus, dass Handlung und Technik nur in Zusammenhängen emergiert, Technisierung ein projektiertes Schema ist, das in unterschiedlichen Trägermedien geformt und gefestigt werden kann, und dass avancierte moderne Technologien durch die Verteiltheit der Aktion auf viele und heterogene Instanzen sowie durch gerahmte interaktive Formen statt sequentiell oder hierarchisch integrierte Abläufe gekennzeichnet sind.« (Ebd.: 79)
Rammert argumentiert, dass Technik auch eine Agentur sei, die selbst in Aktion trete und einen Teil der in einem Aktionsprogramm verteilten Aktivitäten bilde, die »erstrebte Wirkungen erzielt und gleichzeitig nicht-intendierte Wirkungen, so genannte Nebenfolgen erzeugt, die durch Abkapselung ferngehalten oder durch Kompensation korrigiert werden« (ebd.: 82). Da Technik den Charakter eines Agenten annehme, welcher Elemente wie Softwarekomponenten besitze, die sich zueinander und/oder verschieden verhalten können sowie ihr Verhalten situativ anpassen könnten, könne man von Interaktion und Kooperation sprechen. Wenn technische Systeme mit verteilten Prozessen arbeiten würden, erfordere das ein verändertes Verständnis der menschlichen AkteurInnen, die sie konstruieren und anwenden. Technik rückt in Rammerts Perspektive somit in den Interaktionsprozess, der durch Kontingenz und Reflexivität gekennzeichnet ist und der daher auch mitreflektiert und mitgestaltet werden muss (vgl. ebd.: 82ff.). Die Hauptthese des Autoren ist, dass die dualistische Aufteilung in eine intersubjektive Welt sozialen Handelns und eine interobjektive Welt technischen Funktionierens sich angesichts komplexer werdender Systeme und zunehmender Intensität von Interaktivitäten zwischen Menschen und Objekten als zu eng erweist, um die Besonderheiten hybrider und heterogen vernetzter Gesamtsysteme angemessen erfassen und optimal gestalten zu können (vgl. ebd.: 85). 3.2.2.1 Das Konzept des gradualisierten Handelns in sozio-technischen Konstellationen
Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) suchen nach einem verbindenden Konzept von Technik und Handeln und konkretisieren diese Frage auf sozio-technische Konstellationen verteilten Handelns. Sie betrachten Technik als ein Resultat des Prozesses der Technisierung von Ereignisketten, der damit einhergeht, dass erwünschte Effekte erwartbar und berechenbar gemacht werden. In ihrem Konzept fokussieren die beiden Wissenschaftler zudem den Aspekt der Interaktion
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bzw. der Interaktivität mehrerer aktiver Instanzen: »Man könnte dann von einem ›Mit-Handeln‹ technischer Artefakte sprechen und von einem ›Mit-Funktionieren‹ menschlicher Akteure.« (Ebd.: 13) Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) verdeutlichen in diesem Zusammenhang, dass es bspw. in den Debatten um verteilte Künstliche Intelligenz und bezüglich der Frage nach der Natur des Handelns darum geht, wie man Handlungseigenschaften und Interaktionsfähigkeiten ihren TrägerInnen zuschreiben kann und wie diese TrägerInnen als jene von Handlungseigenschaften identifiziert werden können. Sie führen einen gradualisierten Handlungsbegriff ein, um Feinheiten und Abstufungen des Handelns und Varianten der Vermittlung von technischen und menschlichen Aktivitäten erfassen zu können, ohne Mensch-Maschine-Verhältnisse als Cyborg22 konstruieren zu müssen. Denn sie würde bedeuten, dass Differenzen zwischen Mensch und Technik aufgelöst würden. Die Handlungsträgereigenschaft oder agency von Technik wird in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung breit diskutiert. Die betreffenden Konzepte (darunter Dennett 1971; Weizenbaum 1978; Linde 1982; Callon & Latour 1992; Haraway 1995c; Latour 1996; Collins & Kusch 1999) bezeichnen Rammert & Schulz-Schaeffer jedoch als unbefriedigend. Die Handlungsträgereigenschaft von Technik kann aus ihrer Perspektive nur unter drei Aspekten untersucht werden: Erstens sollte beleuchtet werden, wie Benutzende technische Artefakte als Akteurinnen wahrnehmen und wie sie sie behandeln. Zweitens gilt es zu ermitteln, welche Einstellungen und Verhaltensweisen Menschen im Umgang mit Technik zeigen, und drittens ist danach zu fragen, wie Technik an der Entstehung und Aufrechterhaltung sozialer Zusammenhänge mitwirkt. Der dritte Ansatz ist nach Rammert & Schulz-Schaeffer weder durch Latour noch durch Collins (1990) handlungstheoretisch befriedigend gelöst worden.23 Daher schlagen die Autoren ein Konzept gradualisierten Handels zur Beschreibung des verteilten Handelns in sozio-technischen Konstellationen vor. Leider wird der ecology approach von 2 2 | Wieso Haraways Cyborg-Konzept von den Autoren zurückgewiesen wird, bleibt
nur zu erahnen: Rammert und Schulz-Schaeffer weisen einige Ansätze, die Handlungsträgerschaft von Technik nicht als »Sein«, sondern als ein »Sollen« thematisieren, als normativ ab. 2 3 | Die Autoren werfen z.B. Latour vor, dass die ANT ein Substitutionsansatz sei. Um zu wissen, was ein Artefakt mache, müsse man lediglich wissen, was ein Mensch an dessen Stelle machen würde. Technische Artefakte wirken ihrer Ansicht nach demnach in bestimmten Handlungszusammenhängen dahingehend, dass sie mit der Einwirkung des/der substituierten menschlichen Akteurs/Akteurin verglichen werden können. Nach Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) beruht die Handlungsfähigkeit technischer Akteure auf einem schwachen Handlungsbegriff, welcher sich auf Veränderungseinflüsse bezieht. Nach meinen eigenen kurzen Ausführungen zur ANT sollte aber bereits deutlich geworden sein, dass diese Kritik zurückgewiesen werden muss.
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Susan Leigh Star (1995a), auf den ich im Kapitel 3.3 noch näher eingehen werde, dabei nicht berücksichtigt. Dies ist insofern schade, da er die stabilisierende Wirkung von (Grenz-)Objekten auf die heterogene Kooperation in Wissenschaft und Technik deutlich macht und somit auch die Entstehung und Aufrechterhaltung sozialer Zusammenhänge berücksichtigt, was für die Erörterung der Thematik von unmittelbarer Bedeutung ist. Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) hingegen entwickeln, wie gesagt, das Konzept gradualisierten Handelns zur Beschreibung des verteilten Handelns in sozio-technischen Konstellationen. Dabei stellen sie die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen menschlichen und technischen Aktivitäten, wobei sie diese unbeantwortet lassen, da dies noch empirisch erforscht werden müsse. Die Autoren gehen in ihrem Konzept von einem Handlungsstrom aus, ohne dabei von Vornherein in eine Subjekt-Objekt-Asymmetrie zu verfallen. Die Feststellung einer Asymmetrie sei eine empirische Aufgabe, mittels der Aktivitäten in ihrer Verteiltheit und Verkettung adäquat beschrieben werden können. Sie betrachten Handlungen »in medias res«, um die Bedeutung der Qualität der Handlungsträgerschaft oder agency sowohl für menschliche als auch für nichtmenschliche Instanzen separat beobachten zu können. Die Autoren beziehen sich hier auf Fuller, der agency als eine besondere Qualität sieht, die aus einem vorhandenen sozialen Raum von Aktivitäten erschlossen werden könne. Diese Erschließung ergebe sich aus der Zurechnung von Handlungsfähigkeit oder den Subjektstatus für bestimmte Instanzen. Die Handlungsqualität werde also über Zuschreibungsprozesse konstruiert. Diese Überlegungen Fullers führen Rammert und Schulz-Schaeffer zum Konzept verteilten Handelns. Handeln ist in diesem Konzept als eine Emergenz zu begreifen, die durch viele Aktivitäten, Instanzen und aus dem Kontext der Interaktivitäten hervorgeht. Weiter sind Handlungen auf menschliche und nichtmenschliche Ebenen verteilt und stellen somit beobachtbare, hybride Aktivitäten dar (vgl. Rammert & Schulz-Schaeffer 2002: 41f.). Um einen adäquaten Handlungsbegriff bemüht, entwickeln die Autoren ein Drei-Ebenen-Modell, das sich auf Giddens Handlungstheorie bezieht. Handel ist auf der untersten Ebene dieses Modells die Fähigkeit, einen Unterschied zu einem zuvor bestehenden Zustand oder Ereignisablauf herzustellen. Auf der mittleren Stufe wird Handeln durch ein Anders-Handeln-Können charakterisiert, wobei das Anders-Handeln-Können in jeder Phase eines Handlungsprozesses möglich ist. Hier geht es also um ein situatives Handeln, das sich auf neuartige Gegebenheiten bezieht. Zudem ist das Handeln durch die ständige Veränderung des Verhaltens im prozessualen Geschehen nicht gleich berechenbar. Auf der letzten Ebene muss der Akteur/die Akteurin in der Lage sein, auf Anfrage für sein/ihr Handeln eine Erklärung abzugeben. Auf dieser Ebene geht es um die intentionale und reflexive Handlungsfähigkeit. Auf dieser dritten Ebene sprechen sich Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) gegen ein substantialistisches und für ein pragmatistisches Verständnis bezüglich der intentionalen und reflexiven Hand-
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lungsfähigkeit aus. Bei der Interpretation menschlichen und technischen Verhaltens plädieren die Autoren für die Analyse empirisch beobachtbarer gesellschaftlicher Praktiken des Gebrauchs intentionaler Begriffe. Denn auf diese Art würden erwartete Veränderungen in der Verteilung von Handlungsabläufen auf Mensch und Technik sichtbar werden (ebd.: 44ff.). In diesem Kontext definieren Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) Handeln als »aufsteigend auf der untersten Ebene als das Bewirken von Veränderungen (Kausalität). Auf der mittleren Ebene enthält unser Handlungsbegriff das zusätzliche Kriterium des Auch-anders-handeln-Könnens (Kontingenz), auf der obersten Ebene das (…) Kriterium der Verwendung eines intentionalen Vokabulars bei der Steuerung und/oder Deutung des fraglichen Verhaltens (Intentionalität). (…) Wir gelangen damit insgesamt zu einem Verständnis von Handlungsträgerschaft, für das es keinen grundsätzlichen Unterschied macht, ob agency über menschliche Handlungen, physikalische Bewegungen oder zeichenhafte Operationen als mediale Träger verwirklicht wird.« (Ebd.: 48f.)
Mit diesem Handlungskonzept gehen die Autoren über die klassische soziologische Handlungstheorie hinaus, indem sie die unterschiedlichen Grade der Wirksamkeit, Kontingenz und Gerichtetheit technischer Aktionen innerhalb sozio-technischer Handlungskonstellationen betrachten (vgl. Rammert & SchulzSchaeffer 2002: 48f.). Den Autoren geht es in diesem Zusammenhang vor allem um die Frage, wie Handeln als Einheit abgegrenzt und auf einer Ebene der HandlungsträgerInnen zugerechnet wird, wobei als HandlungsträgerInnen nicht nur Menschen gemeint sind. »Agency wäre der zentrale Bezugspunkt, nicht mehr menschliches Handeln.« (Ebd.: 58) Theoretische Zugänge zur agency von Maschinen und zum verteilten Handeln in sozio-technischen Zusammenschlüssen beinhalten Fragen nach der Verteilung der Aktivitäten auf einzelne und verschiedenartige TrägerInnen, nach dem Grad der Widerständigkeit, Flexibilität und Eigensinnigkeit der jeweiligen HandlungsträgerInnen sowie nach anderen Aktivitäten, die die Option ihres Anders-Handeln-Könnens begrenzen oder erweitern (vgl. ebd.: 58ff.). Sozio-technische Konstellationen und das gradualisierte Handlungskonzept sind deshalb m.E. präzise Konzepte, um Handlungsträgerschaft zu bestimmen. Allerdings macht sie genau diese Feinteiligkeit, die notwendig ist, um den Prozess der Technikentwicklung linear in Ereignisketten24 abzubilden, ungeeignet dafür, »prozessuale Wechselwirkungen« (Schmitz 2010)25 von Gehirn und 24 | Diese Feinteiligkeit wird geradezu sophistisch zugunsten einer soziologischen
Handlungstheorie konzipiert, die versucht, die »Technikvergessenheit der Soziologie« zu überwinden. 2 5 | Schmitz (2010: 103) beschreibt in ihrem Aufsatz »Der Körper als Schicksal und Bioaktie«, dass »es in allen Neurotechnologien [auch der BMI, MŞ] immer um prozes-
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Technik (also BCI) zu erfassen. Ähnlich argumentiert auch Schubert (2006), der mit der »Praxis der Apparatemedizin« Aktivitäten von ÄrztInnen und Technik im Operationssaal beobachtet hat und dabei zu dem Schluss kam: »Eine statische Klassifikation des Handlungsträgerschaftpotenzials stößt an ihre Grenzen, wenn beispielsweise menschliche auf technische Aktivitäten übergehen und umgekehrt. Gerade in einer dynamischen Situation wie einer Operation ist es lohnenswert, den Prozess der Verflechtung von Aktivitäten zu untersuchen.« (Ebd.: 65) Zudem werden bei Rammert und Schulz-Schaeffer (Rammert 2000; 2007c; Rammert & Schulz-Schaeffer 2002) zwar technische AkteurInnen berücksichtigt, aber andere nicht-menschliche Agenten, wie sie Star (1995b) erwähnt hat oder wie sie auch innerhalb der ANT Beachtung finden, bleiben leider komplett ausgeblendet. Dies ist deshalb so ungünstig, da bei einer Laborbeobachtung doch gerade organische nicht-menschliche AkteurInnen oftmals die »Hauptattraktion« des Laborgeschehens sind. Alles scheint sich um sie zu drehen: ExperimentatorInnen reden bspw. von Bakterien, die heranwachsen, Mäusen, die nicht das tun, was sie tun sollen, oder von Gehirnen, die sich nicht konzentrieren. Gerade in den Neurowissenschaften, wo Wissenschaft und Medizin so eng miteinander verflochten sind, bleiben solche blinde Flecken der Forschung nicht folgenlos. Wie sieht es aber aus, wenn der Mensch selbst mit der Maschine »blackbox-artig« verflochten ist? Wie lässt sich bei einer derartigen Verschmelzung von Mensch und Maschine noch die Frage beantworten, wer handelt und was funktioniert? Von welchem Gesamtsystem kann da die Rede sein? Und wie kann man dieses Gesamtsystem angemessen erfassen und gestalten? Auf diese Fragen möchte ich nun eingehen. Die Mensch-Maschine-Verflechtung erreicht m.E. ihren Höhepunkt in der prozessualen Wechselwirkung zwischen Organischem und Anorganischem. Damit ist eine direkte Mensch-Maschine-Verbindung, wie z.B. DBS oder invasive BCI, gemeint, wobei Mensch und Maschine als Ensemble die Steuerungen von verlorengegangenen Hirnfunktionen übernehmen und folglich als Hybrid-AkteurIn agieren. Dementsprechend greift das Konzept des gradualisierten Handelns hier zu kurz. Um diesen Raum zu füllen, gehe ich im Folgenden auf den ecology approach ein.
suale Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Technologie [geht]. Neurotechnologische Entwicklungen und die ihnen zugrunde liegenden Konzeptionen charakterisieren daher immer Netzwerke zwischen dem Körpergehirn und der Technik. Eine rein determinierende Sichtweise greift hier zu kurz, denn die Prozesse in diesen Netzwerken lassen sich nicht innerhalb des cerebralen Subjektes verschließen, sie sind offen gegenüber vielfältigen interagierenden Einflüssen.«
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
3.3 Ökosysteme des Wissens und Grenzobjekte Bei der Betrachtung von Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften ist der ecology approach ein hilfreiches Analysemittel. Denn Neurowissenschaften sind ein interdisziplinäres Feld, dessen AkteurInnen multiple Mitgliedschaften haben: Sie werden durch verschiedene soziale Welten repräsentiert, die sich um ein Forschungsziel herum organisieren. Jede/r AkteurIn aus seiner/ihrer eigenen sozialen Welt versucht hier z.B., die Wiederherstellung von zerebralen Funktionen (im Speziellen der Motorikfunktionen) anders zu praktizieren. NeurowissenschaftlerInnen beispielsweise bedienen sich in den von mir beobachteten Projekten des Neurofeedbacks mittels Gehirn-Computer-Schnittstellen und somit mittels der Mensch-Maschine-Anpassung, PhysiotherapeutInnen hingegen bedienen sich anderer Techniken, wie z.B. dem Arm-Basis-Training oder dem Arm-Fähigkeits-Training. Und auch die PatientInnen haben, wie bereits ausgeführt wurde, eine durch ein gewisses Maß an Aktivität charakterisierte Rolle, die sie als Mitglieder der neurowissenschaftlichen Studie erfüllen.26 Aus diesem Grund beschäftige ich mit in diesem Kapitel mit dem ecology approach. 2 6 | Hier zeigt sich eine gewisse Analogie zu dem Parsonsschen Rollenkonzept bzgl.
Krankheit und Gesundheit. Eine strukturfunktionalistische Sichtweise auf Arzt/ÄrztinPatientIn-Verhältnisse gewähren zahlreiche Schriften zur Medizinsoziologie von Parsons (1979), der die Grundlagen für eine eigenständige Medizinsoziologie legte. Um eine soziokulturelle Definition von Gesundheit (zum Gesundheitsbegriff vgl. auch Rásky & Noack 1995) und Krankheit bemüht, setzt Parsonss (1977) Gesundheit mit dem Befinden optimaler Leistungsfähigkeit eines Individuums für die Rollen- und Aufgabenerfüllung, für die es sozialisiert wurde, gleich. Gesundheit ist im Hinblick auf die Beteiligung des Individuums am sozialen System definiert, zudem auch relativ zu seinem Status in der Gesellschaft, i.e. S. zu einem differenzierten Rollentyp und einer analogen Struktur der Aufgaben. Gesundheit ist für Parsons funktional – sie ist für das Funktionieren der Gesellschaft wichtig. Parsons definiert hier Gesundheit in Bezug auf Leistungsfähigkeit und nicht auf die Bindung an besondere Rollen, Aufgaben, Normen und Werte. »Krankheit ist (…) ein sozial institutionalisierter Rollentyp. Sie wird am allgemeinsten charakterisiert durch die ihr zugeordnete verallgemeinerte Störung der Fähigkeit des Individuums zur normalerweise erwarteten Aufgaben- und Rollenerfüllung, die nicht spezifisch ist für eine Bindung an irgendwelche besonderen Aufgaben, Rollen, Kollektive, Normen oder Werte.« (Parsons 1977: 345) Die Rolle des/der Kranken liegt ihm zufolge in der Überwindung der Unfähigkeit. Der Unfähigkeit wegen kann er/sie nicht verantwortlich gemacht werden. Daher wird ein ›therapeutischer Prozess‹ notwendig. Krankheit ist somit eine legitime Grundlage für die ›Befreiung‹ des/der Kranken von seinen/ihren Aufgaben- und Rollenverpflichtungen. Kranke haben jedoch die Pflicht, kompetente Hilfe aufzusuchen (medizinische Instanzen). Die Störungen in der Leistungsfähigkeit und im Erfüllen der Rolle des Individuums sind dysfunktional. Da dieser Zustand für die Ge-
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Der ecology approach, der u.a. in Auseinandersetzung mit den Laborstudien Latours entstanden ist, fokussiert die prozessuale Organisation vielseitiger Handlungsperspektiven in Auseinandersetzung mit ihren materiellen und sozialen Besonderheiten: »Ecologies of knowledge here means trying to understand the systemic properties of science by analogy with an ecosystem, and equally important, all the components that constitute the system. (…) Thus by ecological we mean refusing social/natural or social/ technical dichotomies and inventing systematic and dialectical units of analysis. I think this reflects the dissatisfaction with conventional ways of approaching organizational scale and units of analysis, a dissatisfaction brought on no doubt in part by our respondents (scientists and technologists), who themselves are continually plagued by these questions.« (Star 1995b: 2)
Die in diesem Zitat angesprochenen »ecologies of knowledge«, die ich im Folgenden als »Ökosysteme des Wissens« bezeichnen werde, lassen sich m.E. als Analogie zu einem Ökosystem verstehen, das eine Gemeinschaft artverschiedener, menschlicher und nichtmenschlicher AkteurInnen bildet, die durch Wechselwirkung miteinander in Beziehung stehen, wobei Lebendige und Nichtlebendige die Umwelt mit einbeziehend als funktionale Einheit verstanden werden. Star schreibt in der Einführung zum Sammelband »Ecologies of Knowledge«27, sellschaft problematisch ist, bedarf es einer Lösung bzw. sozialen Kontrolle. PatientIn und Arzt/Ärztin befinden sich folglich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das dadurch charakterisiert ist, dass der bzw. die Kranke für seine/ihre Gesundheit sorgen muss und eventuell Hilfe in Anspruch nehmen muss, um die Rollenpflichten wieder erfüllen zu können. Der Arzt/die Ärztin als Professionelle/r hingegen hat die medizinische Fähigkeit und Kenntnis darüber, dem Patienten bzw. der Patientin zu helfen. Parson betrachtet diese verschiedenen Rollen als komplementär (Parsons 1979: 60ff.). Im Falle der Teilnahme am Humanexperiment bzw. Heilversuchen, wie ich sie teilnehmend beobachtet habe, werden m.E. höhere Erwartungen an die PatientInnen gestellt, da sie einen entscheidenden Beitrag zur Wissensproduktion leisten, die nicht nur für den PatientInnen und die ForscherIn, sondern auch gesamtgesellschaftlich relevant ist. 27 | Erwähnenswert erscheint mir hier, dass das Konzept der »Ecologies of Knowledge« eine gewisse Analogie zur Ökonomie, speziell der »Knowledge Ecology« hat. In Managementtheorien wird »Knowledge Ecology« als eine heterogene Zusammensetzung von Wissen und Praktiken betrachtet, die die kontinuierliche Verbesserung der Beziehungen, Werkzeuge und Methoden für die Schaffung, Integration und gemeinsame Nutzung von Wissen zum Ziel haben. Dabei sind »communities of practice« maßgeblich. Susan Leigh Star (2007) bezieht sich explizit in ihrer Betrachtung sozialer Welten (Lampland & Star 2009: 7) auf diese »communities of practice« von Lave und Wenger (Lave & Wenger 1998; bzw. Lave & Wenger 1991; vgl. auch Wenger, McDermott & Snyder 2002), auch
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
dass die Wissenschaftsforschung die wichtigsten AkteurInnen – nämlich die nicht-menschlichen – in ihren Studien ausgeschlossen hätte. Wörtlich heißt es: »science studies in the past have left out some of the most important actors, the ›nonhuman‹ ones« (ebd.: 13). Zu diesen wichtigen AkteurInnen zählt sie »bugs, germs, computers, wires, animal colonies, and buildings, as well as scientists« (ebd.). Diese AkteurInnen werden in die der in diesem Sammelband enthaltenden Analysen verschiedener Wissenschaftsforscherinnen und -forscher des Sammelbands »Ecologies of Knowledge« (Star 1995a) nun einbezogen. Dabei soll der Begriff ecology den Netzwerkbegriff ablösen, um Nicht-Menschen die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen und Hohlräume schließen, die ein Netzwerk in sich birgt: »Perhaps one way to characterize their [nonhumans] voices is as a reclaiming of the term network from some of its unfortunate discontinuous connotations and affiliations. A web is composed of filaments, and a seamless web should be an oxymoronic term. There’s no empty space in a seamless web, but our image of network is that it is filaments with space between. For this reason I prefer ecology. Let’s use networks-without-voids for an ecological analysis. And in that ecology, let us be epistemologically democratic, including toward our own work organization.« (Star 1995b: 27)
Die Trennung des Individualen und der Umwelt, der Technologie und des Wissens, der Sprache und dem Gedanken ist nach Star (1995b) eine Trennung zwischen der eigentlichen Nutzung von etwas und den Konsequenzen dieser Nutzung. Diese Trennung kritisiert Star, denn ihr zufolge werden Dinge aus pragmatistischer Sicht erst dann als real betrachtet, wenn sie in ihren Konsequenzen real werden. In diesem Zusammenhang, also bezüglich ihrer Ausführungen wenn sie den ecology approach auf Hughes zurückführt (vgl. Star & Griesemer 1989). Kernthese des Konzepts der Praktikengemeinschaften ist, dass »the fundamental process by which people learn is through their engagement in social practice« (Benner 2003: 1813). Dieses Engagement wird durch ihre Einbindung in die informellen firmenübergreifenden Gemeinschaften strukturiert. Die Teilnahme an der »community of practice« ist für die Entwicklung von einer gemeinsamen Identität und gemeinsam geteilter Werte und Erkennungsmuster von großer Bedeutung, um spezifische Informationen und Wissen nutzen zu können. »Over time, they [beteiligten AkteurInnen, MŞ] develop a unique perspective on their topic as well as a body of common knowledge, practices, and approaches.« (Wenger, McDermott & Snyder 2002: 5) In diesen Praktikengemeinschaften wird demzufolge vor einem gemeinsam strukturierenden Hintergrund gelernt und Wissen generiert, was die »communitiy of practice« sowohl zu einem idealen Lernpool als auch zu einem wichtigen Erfolgsfaktor macht. Die Dauer der Mitgliedschaft in einer solchen »community of practice« hängt von dem Interesse ihrer Mitglieder an der Zusammenarbeit ab.
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zu Materialität, bezieht sich die Autorin u.a. auf Butler (1990), deren Perspektive bei Schäfer (2013) als praxeologischer Ansatz charakterisiert und analysiert wird. Materielle Zustände seien nicht einfach nur Dinge wie Geld, Klima und Körper, sondern sie würden auf dauerhafte Anordnungen verweisen, die Konsequenzen für Handlungsabläufe hätten. Sie seien die wichtige materielle Bedingung von Handlungsabläufen. Arbeit sei dabei eine Verflechtung von Menschen und Nicht-Menschen, wobei die »Natur« und Qualität dieser Komposition von Menschen und Nicht-Menschen auf die Arbeitsorganisation zurück wirke: »The constitution of anyone’s work is a mixture of human and nonhuman which can be analyzed ecologically. But the nature and quality of that composition will reflect back on the organization of the work itself in important ways.« (Star 1995b: 26) Nach Star und Griesemer (1989) wird Forschungsarbeit von AkteurInnen durchgeführt, die extrem divergieren. Zu diesen AkteurInnen zählen sie »researchers from different disciplines, amateurs and professionals, humans and animals, functionaries and visionaries« (ebd.: 387). Heterogenität ist demnach ein wesentliches Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens, in dessen Kontext unterschiedliche soziale Welten aufeinandertreffen. In ihrer Studie untersuchen sie genau dieses Zusammentreffen unterschiedlicher AkteurInnen aus differenten sozialen Welten anhand von Objekten im »Berkeley’s Museum of Vertebrate Zoology«. Sie entwerfen das Konzept der »boundary objects« und modifizieren somit das Interessement-Modell von Latour, Callon und Law. Die drei genannten Autoren hätten zwar zentrale Prozesse im wissenschaftlichen Problemlösen beschrieben, wobei die Anliegen der Menschen gegenüber den Nicht-Menschen zentral seien und auch mittels der Übersetzung der Anliegen der Nicht-WissenschaftlerInnen in die der WissenschaftlerInnen umgesetzt würden. Die »kooperative Natur wissenschaftlichen Problemlösens« (Star 2004: 60) könne jedoch nicht auf eine Reihe von Formeln reduziert werden Für Star & Griesemer ist die von Star im Jahr 2004 formulierte »Kooperation ohne Konsens in der Forschung«28 möglich – und dazu bedarf es keiner Übersetzung. Zentral dabei sei, dass AkteurInnen aus verschiedenen Praktikengemeinschaften, also sozialen Welten, stammen, die gleichzeitig darum bemüht seien, Übersetzungen auszuführen. »Es geht nicht einfach um einen Fall von ›interessement‹ der Nicht-Wissenschaftler durch Wissenschaftlerinnen. Solange sie keinen Zwang anwenden, muss jeder Übersetzer die Integrität der Interessen seiner anderen Auditorien aufrechterhalten, um sie als Verbündete zu behalten. (…) Die Vervielfachung des ›interessement‹ kann nicht von einem einzelnen Standpunkt aus verstanden werden.« (Star 2004: 67)
28 | Stars (2004) Artikelüberschrift lautet so, jedoch hatten dies Star & Griesmer schon
im Jahr 1989 im Kern ihrer Ausführungen ausgesagt.
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Heterogenes Problemlösen kann demnach nicht über etwas bewerkstelligt werden, was Latour (2005) ein »follow the actors« nannte, sondern eher über die ökologische Analyse, die das »Verstehen der Prozesse des Organisierens über soziale Welten hinweg« (Star & Griesemer 1989: 68) mit in die Betrachtung einbezieht, und zwar im Sinne eines »flow of objects and concepts through the network of participation allies and social worlds« (ebd.: 389, Hervorh. i. Orig.). Die vermittelnde Leistung zwischen den AkteurInnen wird durch Standardisierung und Klassifizierung (von Objekten oder Handlungen – vgl. Bowker & Star 1999: 296), also durch boundary objects hergestellt, die sowohl in den Studien von Star & Griesemer bezüglich des zoologischen Museums (1989), als auch in Stars Studien zur Hirnforschung (1983) zum erfolgreichen Arbeiten beigetragen haben. Boundary objects29 beschreiben Star und Griesemer dabei als »analytic concept of those scientific objects which both inhabit several intersecting worlds and satisfy the informational requirement of each. Boundary objects are both plastic enough to adapt to local needs and constraints of the several parties employing them, yet robust enough to maintain a common identity across sites. They are weakly structured in common use, and become strongly structured in individual-site use. They may be abstract or concrete. They have different meanings in different social worlds but their structure is common enough to more than one world to make them recognizable means of translation. The creation and management of boundary objects is key in developing and maintaining coherence across intersecting social worlds.« (Star & Griesemer 1989: 393)
Damit AkteurInnen aus heterogenen Wissenschaftsbereichen zusammenarbeiten (können), muss ihre durch Kooperation geprägte Arbeit auf einen konkreten wissenschaftlichen Gegenstand fokussiert sein, um eine gemeinsame Identität herzustellen.30 Die zentrale Aussage zu boundary objects ist also: Folge der Zir2 9 | Aufgrund der »falschen Nutzung« des Konzepts hat Star auch erklärt, was kein
boundary object ist (vgl. Star 2010). 3 0 | Auf Basis ihrer Studien klassifiziert Star vier Typen von boundary objects: Magazine (standardisierte und katalogisierte Objekte zur Problemlösung von Heterogenität von Untersuchungseinheiten, z.B. Museen, Bibliotheken), Idealtyp oder platonisches Objekt (eine auf Abstraktion beruhende Landkarte oder ein Atlas mit dem zentralen Merkmal der Vagkeit über lokale Gegebenheiten und der dadurch entstehenden Anpassungsfähigkeit, z.B. Hirnkartierung), Gebiete mit übereinstimmenden Grenzen (gemeinsame Objekte mit denselben Grenzen aber unterschiedlichen Inhalten, entstanden durch unterschiedliche Methoden der Datensammlung und -komprimierung. »Mittels eines solchen Objekts können die Akteure an jedem Ort autonom arbeiten und sich gleichzeitig bei Kooperation im gleichen Bereich auf ein identisches Referzobjekt beziehen. Der Vorteil liegt in der Entkopplung der verschiedenen Ziele.« (Star 2004: 72), Formale
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kulation und den Strömen zwischen verschiedenen sozialen Welten vermittelnder wissenschaftlicher Objekte und du wirst verstehen, warum Kooperation in Wissenschaftsnetzwerken ohne Konsens möglich ist. Star bezieht sich im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen auf einen weiteren Aspekt der wissenschaftlichen Arbeit, mit dem WissenschaftlerInnen umgehen müssten: die Unsicherheit.31 Die Notwendigkeit einer Reduktion von Unsicherheit sei (neben der notwendigen Reduktion von Komplexität) zwar bereits in einigen wissenschaftlicher Publikationen bzw. einschlägigen Laborstudien dargestellt worden – Star nennt hier die Arbeiten von Latour und Woolgar sowie Knorr Cetina, aber auch die Arbeiten von Pinch. Einige Aspekte von Transformationsprozessen von Unsicherheiten seien jedoch noch ausbaufähig, um über Standorte hinweg längerfristige Veränderungen zu verstehen. Die Kontingenz spiele dabei eine zentrale Rolle. Als Beispiel in der Medizin verweist Star auf einen möglichen Fokus auf die Kombination von klinischer Forschung und Grundlagenforschung und auf die kumulative Schaffung von Sicherheit über das Zusammenführen multipler Linien der Evidenz (vgl. Star 1985: 392ff.). Klassifikationen sind dabei für Star auch eine Form der Simplifikation, jedoch nicht unbedingt Standardisierungen. Gerade in der medizinischen Diagnostik würde man Klassifikationssysteme einführen, um Unsicherheiten zu beseitigen (vgl. ebd.: 396ff.). Durch die Beseitigung von Unsicherheiten erlange die medizinische Praxis aber erst die notwendige (gewisse) Sicherheit über den Gesundheits- bzw. Krankheitszustand der PatientInnen sowie über das Lebendig- oder Totsein, genauso wie die Klarheit über die (Art der) Behandlungspraxis und die Gewissheit darüber, ob operiert werden soll oder nicht, ob der/die PatientIn xy für die Studie z geeignet ist usw. Hier lässt sich m.E. eine gewisse Normativität der Praktiken des Klassifizierens erkennen. Gerade im Hinblick auf die Entscheidung über Leben und Tod in der Intensivmedizin stellt z.B. das »Hirntodkonzept« eine Praxis des Klassifizierens dar, die höchst brisant ist. Entscheidungen über Leben und Tod, Inklusion und Exklusion von PatientInnen für Studien usw. würden über (materielle oder symbolische) Klassifikationssysteme verlaufen, die zu boundary objects werden können. Heterogene Informationssysteme würden dazu dieund Etiketten (als Information zur Kommunikation zwischen verteilten Arbeitsgruppen, bspw. in Form von Protokollblättern, in denen das Nachtpersonal den Zustand eines Epilepsiepatienten dokumentieren kann. Diese Information würde dann von klinischen ForscherInnen genutzt, um »Theorien des Gehirns und der Funktionsweise des Nervensystems zu entwickeln. Dieser Typ von Grenzobjekten führt zu standardisierten Verzeichnissen und zu dem, was Latour ›immutable mobiles‹ nennen würde, d.h. zu Objekten, die über weite Strecken transportiert werden können, ohne dass sich ihr Informationsgehalt verändert. Der Vorteil solcher Objekte liegt darin, dass sie lokale Ungewissheiten ausmerzen.« (Star 2004: 72f.). 31 | Zu »(Un-)Sicherheit der Apparatemedizin« vgl. Schubert (2008).
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nen, zwischen verschiedenen sozialen Welten oder Praktikengemeinschaften zu kommunizieren. Angepasst an die Bedürfnisse von heterogenen Kooperationen umfasse ihre Ökologie formelle und informelle Aushandlungen. Zwei Beziehungstypen machen dabei heterogene Kooperationen aus: zum einen auf der analytischen Ebene die Beziehung zwischen Menschen und den weiteren Mitgliedern ihrer Netzwerke bzw. ihrer KooperationspartnerInnen und zum anderen die Beziehung zwischen den Dingen und ihrer Naturalisation32 durch die Praktikengemeinschaften. Der Blick auf multiple Mitgliedschaften sei wichtig, um die Heterogenität von verschiedenen Beziehungen zu beschreiben. Jeder sei Teil mehrerer Praktikengemeinschaften, daher könnten die Dinge in mehr als einer sozialen Welt naturalisiert werden – manchmal unterschiedlich, andere Male gleich. Beide Arten der Zugehörigkeiten, die Mitgliedschaften von Menschen und die Naturalisation von Artefakten, seien multipel und miteinander verflochten. Die Arbeit, die diese multiplen Zugehörigkeiten und ihre Verpflechtung mitberücksichtigt, bezeichnen die AutorInnen als »categorical work« (Bowker & Star 1999: 286). Konzeptionelle Bezüge sind dabei Harvey Sacks’ »doing being ordinary« und Anselm Strauss’ »continual permutations of action«. Jede noch so simpel anmutende Handlung, und sei es nur das Raussuchen eines Kleidungsstücks, sei in ein komplexes, situatives Wissen eingebettet. Multiple Mitgliedschaften und diverse Einsatzarten von Artefakten seien in Situationen eingebettet. Standardisierung zeige sich in vielen unserer Entscheidungen: »To think of this formally, the institutionalization of categorical work across multiple communities of practice, over time, produces the structures of our lives, from clothing 3 2 | Ich verwende hier ganz bewusst das Wort »Naturalisierung« bzw. das Verb »naturalisieren« als Übersetzung von »naturalization« bzw. »naturalized«. Denn wenn man den philosophischen Hintergrund betrachtet (und ich gehe davon aus, dass es so einen gibt, denn Bowker, Mitverfasser von »Sorting Things Out« ist promovierter Wissenschaftsphilosoph und -historiker) und als Konzept der Naturalisierung einen ontologisch verstandenen Naturbegriff zugrunde legt, gründet die »Naturalisierung der Dinge« auf einer Natur-/Kultur-Dichotomie. Das heißt also, dass durch die Klassifikation von Dingen, die der Natur zugerechnet werden, Natur gleichsam in Form von Zahlen, Graphen, Darstellungen etc. konstruiert wird – so auch in der Hirnforschung in Form von MRT-Aufnahmen, EEG-Bildern etc. Für Nordmann (2008) ist die Naturalisation von Technik durch Wahrnehmung und Kontrolle gekennzeichnet: »[T]he hallmark of technology naturalized is not that its use has become routinized, habitual, or ›natural‹ in the sense of normal. Indeed, it is unclear to what extent we can be ›users‹ of it at all. The hallmark of technology naturalized is that it acts below or above the thresholds of perception and control, that we cannot represent its agency as it occurs, that we have no switches to initiate or stop operation, no direct knowledge of whether it is functioning or broken down.« (Nordmann 2008: 177)
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to houses. The parts that are sunk into the built environment are called here boundary infrastructures—objects that cross larger levels of scale than boundary objects.« (Ebd.: 287)
Für Bowker und Star (1999: 287) sind Kategorien historisch situierte Artefakte, die, wie viele Artefakte, auch als Teil der Mitgliedschaft in Praktikengemeinschaften erlernt werden müssten. Klassifikations- und Standardisierungstechniken (oder -technologien) seien aber auch mächtige Artefakte, die Gemeinschaften verbinden und komplexe Grenzziehungen überwinden könnten. Boundary objects erlauben also Übersetzungen zwischen verschiedenen sozialen Welten bzw. Praktikengemeinschaften. Obwohl der Bezug auf Materialität im Zusammenhang mit multiplen Mitgliedschaften im Wesentlichen erfasst wird und Grenzobjekte Übersetzungsleistungen zwischen Praktikengemeinschaften leisten, fehlt auch im ecology approach ein Bezug auf Körperlichkeit. Die Körperlichkeit spielt jedoch bei der MenschMaschine-Anpassung eine tragende Rolle. Im Folgenden werden deshalb Körper, Körpertechniken die Subjektkonstitution in kultureller Praxis diskutiert.
3.4 Mensch und Technik: Körpertechniken und Subjektkonstitution in kultureller Praxis Wie bereits im Kapitel 3.2.2 in Bezug auf die Arbeit von Rammert (2007d) angesprochen wurde, gehen Menschenbilder im Bereich der Medizin in den neurowissenschaftlichen Innovationsprozess, also in medizintechnische Handlungen als eine Art Überzeugung ein, jemanden so zu sehen (zu klassifizieren) und/oder etwas so zu tun/behandeln und selten anders (zu standardisieren) – und zwar analog der in den Praktikengemeinschaften üblichen Praktiken und Techniken. Diese Einschreibung wird beispielsweise in den Praktiken von MedizinerInnen oder in Heilversuchen am Menschen in den Neurowissenschaften sichtbar.33 Denn Welt- und Menschenbilder fließen in die gesellschaftlichen Erwartungen an Neurotechniken ein und haben Einfluss auf die BCI-Entwicklung. Ihre Bedeutung zeigt sich nicht nur in Metaphern (Mensch als neuronale Maschine, Elektronengehirn, künstliche Intelligenz etc.) und kulturellen Konzepten (bspw. BCI für ein selbstbestimmtes Leben), sondern spiegelt auch Legitimationsargumente der Mensch-Maschine-Anpassung wider. Ich denke Praktiken auch vor dem Hintergrund der nachfolgend dargestellten anthropologischen Folie, wenn ich mich im Folgenden in die Arena von NeurowissenschaftlerInnen begebe. Da33 | Welchen Stellenwert Technik einnehmen kann, wird gerade in der Intensivmedizin
im Rahmen der Überlebensfrage deutlich, denn ohne Technik sind viele PatientInnen nicht überlebensfähig.
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nach werde ich mich mit Körperkonzepten aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive auseinandersetzen. Auf der Suche nach anthropologischen34 Grundfragen und -antworten werden verschiedene Menschenbilder35 entworfen und herangezogen. Bei der Frage danach, was den Menschen auszeichnet, spielen Zeitlichkeit und kulturelle Gegebenheiten eine wichtige Rolle. Den Menschen wurde im Verhältnis zu Pflanzen und Tieren eine »Sonderstellung« (Scheler 1995 [1928]) zugestanden. Als Werkzeugmacher, also »homo faber«, unterscheide den Menschen vom Tier nur, dass er eine ausgeprägte Intelligenz habe sowie die Geschicklichkeit besitze, Werkzeuge herstellen zu können. Im Gegensatz zum Menschen hätten »anorganische Gebilde«, kein »Inne- und Selbstsein«, »kein Zentrum, das zu ihnen ontisch gehörte, daher auch kein Medium, keine Umwelt. Was wir in dieser Gegenstandswelt als Einheit bezeichnen, bis zu Molekülen, Atomen und Elektronen, ist ausschließlich abhängig von unserer Macht, die Körper realiter oder doch gedanklich zu zerteilen. Jede anorganische Körpereinheit ist es nur relativ auf eine bestimmte Gesetzlichkeit ihres Wirkens auf andere Körper« (Scheler 1995 [1928]: 31).
Im gewissen Sinne bemächtigt sich der Mensch der Technik und diese wiederum kann auf andere Körper wirken – sowohl sach- als auch handlungstechnisch. Der Mensch als »Mängelwesen« (Gehlen 2014 [1940]) musste und muss sich dabei der Technik bedienen, um seine Mängel zu beseitigen und seine Leistung zu steigern. Dieser Gedankengang, der im Jahr 1940 aufgrund der begrenzten technischen Mittel sicherlich noch unspektakulär anmutete, scheint mir heute mit Blick auf die Möglichkeiten von (Gehirn-)Doping hoch komplex. Denn Leistungssteigerung – vor allem die geistige – wird gegenwärtig sowohl mit technischen, als auch mit pharmakogenetischen Mitteln erzeugt. Um »neuronale Verschaltungen« zu verstehen, bedient sich die Neurowissenschaft zum Beispiel kybernetischer Termini (vgl. Janich 2009: 61f.; zu Kybernetik und Menschenbild vgl. Hatt 1972). Mit den Folgen neurowissenschaftlicher und (neuro)technischer Entwicklungen und der gezielten Steuerung neuronaler Aktivitäten werden Möglichkeiten des
3 4 | Hier halte ich es so wie Adorno, der im Streitgespräch mit Gehlen sagte: »Ich würde
sagen, daß die Soziologie wesentlich eine Wissenschaft ist, die sich auf kulturelle Momente bezieht oder mitbezieht und nicht etwas ist, was sich auf das Wesen des Menschen, auf Anthropologie, reduzieren läßt.« (Adorno in Adorno & Gehlen 1974: 226). 3 5 | Die wohl populärsten Menschenbilder in den Sozialwissenschaften, die den Menschen einem bestimmten Handlungstypus zuordnen, sind der »homo oeconomicus«, der/die rational handelnde AkteurIn, und der soziologische Mensch »homo sociologicus« (Dahrendorf 2010 [1959]).
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Neuroenhancements36 verknüpft. Man kann also geistige Leistungssteigerungen durchaus als Antwort auf ein Dasein als Mängelwesen begreifen, wobei insbesondere das Gehirn des Menschen in den Fokus rückt. Dadurch wird auch ein relativ neues Menschenbild postuliert. Dieses ist, begründet durch das Aufkommen neuer Entwicklungen in den Neurowissenschaften und der Perspektive zahlreicher Studien der Wissenschaftsforschung, das Menschenbild des »homo cerebralis« (bspw. Hagner 1997; Vidal 2005). Der Mensch wird diesen Studien zufolge in den Neurowissenschaften als Hirnsubjekt bzw. -wesen betrachtet, dessen Gehirn einer neuronalen Maschine37 gleiche: seine Funktionen sollen verstanden und aufgespürt und Fehlfunktionen wiederhergestellt werden. Mechanistische Bilder vom »Menschen als Maschine« (La Mettrie, Julien Offray de 1988 [1748]) oder als »Industriepalast« (vgl. Kahn 1926) sind m.E. Ver36 | Die ›Verbesserung‹ des Organismus wird als Enhancement bezeichnet: »An intervention that improves the functioning of some subsystem of an organism beyond its reference state; or that creates an entirely new functioning or subsystem that the organism previously lacked.« (Bostrom 2007: 7). Enhancement betrifft in den aktuellen Diskursen vor allem die Verbesserung der menschlichen Natur zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Zum einen gibt es die Möglichkeit der medikamentösen Leistungssteigerung, wie z.B. durch das Medikament Prozac, einem Antidepressivum, das Glücksgefühle hervorruft, oder durch Viagra, das zur Steigerung der Potenz verwendet wird, oder durch die sogenannten Intelligenzförderer (»Lifestyle-Drogen«). An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Möglichkeit eines Missbrauchs von solchen Medikamenten besteht, und dass die Einnahme zur Benachteiligung von Personen führen kann, die diese Art von Medikamenten nicht einnehmen (können oder wollen) und die durch die Leistungssteigerung der anderen unter Druck geraten können. Diese Medikamente beeinflussen zudem die Persönlichkeit, und die Nebenwirkungen sind meist noch unklar. Neben den medikamentösen Neuropharmaka gibt es auch technische Geräte (Neuroimplantate), die in das menschliche Gehirn oder Körperbereiche eingesetzt werden. Sie dienen der Modulation der elektrischen Aktivität von Nervenzellen und der Unterstützung oder als Ersatz beschädigter oder fehlender Nervenfunktionen (vgl. Nationaler Ethikrat 2006). In Verbindung mit Neuroimplantanten tauchte in der Fachliteratur der Begriff »Neuro-Enhancement« auf. Das Forum Bioethik des Nationalen Ethikrates hob bereits im Jahr 2006 Chancen und Risiken von Neuroimplantaten hervor. Da das Gehirn das zentrale Steuerorgan des Menschen sei, seien mit Eingriffen in dieses medizinische und ethische Risiken verbunden: »Unser Gehirn ist die Voraussetzung für die Möglichkeit von Denken, Sprache und Selbstbewusstsein, für die Erfahrung personaler Identität, Willensfreiheit und Selbstbestimmung und damit für die Übernahme von Verantwortung für unser Handeln.« (Engels zitiert nach Nationaler Ethikrat 2006: 1). 37 | Zur mind-as-machine-Metapher vgl. Boden (2006: 168ff.); eine Studie zum Verhältnis von Hirnforschung und Erziehungswissenschaft, die u.a. mit Bodens Metapher arbeitet, findet sich in Salaschek (2012).
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suche, die Funktionsfähigkeit (zunächst einzelner) menschlicher Organe zu verstehen – wenn auch auf eine reduktionistische Art. Trotzdem oder gerade deshalb ist das mechanistische Menschenbild, das bis zur Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierte, im Hinblick auf die Generierung medizinischen Wissens eine sehr erfolgreiche Betrachtungsweise. Allerdings erweist sich dieses Bild des Menschen auch für ärztliches Handeln als reduktionistisch und defizitär, was besorgniserregend ist, denn für den Umgang mit PatientInnen ist es entscheidend, was wir unter Menschsein verstehen, sodass ein »falsches« Menschenbild sich ungünstig auf die PatientInnen auswirken kann. Allerdings, so ist hier hinzuzufügen, verändert sich das Menschenbild laufend, was im Bereich bspw. der Biomedizin auf neurowissenschaftliche- und technologische Fortschritte zurückzuführen ist. Was das Verhältnis von Körper, Identität und Medizin angeht, so ist dieses als höchst vielschichtig und vom stetigen Wandel betroffen zu bezeichnen. Dies kommt u.a. in dem von Ehm & Schicktanz (2006) herausgegebenen Sammelband »Körper als Maß? Biomedizinische Eingriffe und ihre Auswirkungen auf Körper- und Identitätsverständnisse« zum Ausdruck, in dem sich zahlreiche Aufsätze zum wechselseitigen Verhältnis von Körper, Identität und Medizin finden und in dem sowohl soziokulturelle als auch normativ-ethische Fragen beleuchtet werden. Und auch das Verhältnis von Körpern und Technik wurde in der Wissenschaft bereits beleuchtet. Diskutiert wurden im Zuge der Entschlüsselung des menschlichen Genoms nicht nur ›Körper und Leib‹ (Meuter 2006; Schwarke 2006; Stoff 2006) sondern auch technikbezogene Selbstkonzepte oder Grenzüberschreitungen von Mensch-Maschine (vgl. u.a. Haraway 1995b, 1995d; Krings 2002; Fuchs 2001). Doch was genau ist der Mensch, wenn die Technik ihn nicht »bloß umgibt« oder kein »bloßes Werkzeug« mehr ist, sondern Mensch und Technik miteinander »verschmelzen« (Müller, Clausen & Maio 2009b: 16)? – »In gewissem Sinne ›ist‹ der Mensch erst durch Technik.« (Ebd.; vgl. auch Müller 2010) Damit stellt sich die Frage, ob es spezifische Grenzen der »anthropologischen Verpflichtung« des Menschen gibt, Technik zu produzieren, einzusetzen und weiter zu entwickeln. »Wird mit den Techniken, die im menschlichen Gehirn Anwendung finden, die Sphäre der humanen ›Machbarkeit‹ in unzulässiger Weise erweitert? Wie weit kann eine Selbsttechnisierung des Menschen gehen? Ab welchen neurotechnologischen Substitutionen und Verbesserungen könnte das Menschsein sogar unterlaufen werden? Gibt es für diese Eingriffe eine Grenze, die mit der ›Natur des Menschen‹ selbst gezogen werden kann? Gibt es mit Blick auf das Kriterium der ›Natürlichkeit‹ überhaupt Möglichkeiten, ethische Grenzen zu ziehen? Oder, im Gegenteil, wird die immer subtilere Integration von Technik zur ›normalen‹ oder ›natürlichen‹ Ausstattung des Menschen, wenn man eine Anthropologie der ›natürlichen Künstlichkeit‹ zugrunde legt?« (Müller, Clausen & Maio 2009b: 16)
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Müller, Clausen & Maio (2009a) fordern Bezug nehmend auf diese Fragen u.a. eine integrative Anthropologie, die den Zusammenhang von Gehirn, Leibsein und Personalität nicht-reduktionistisch expliziert. Und auch Scully (2009) schreibt in ihrem Beitrag »Die Bedeutung des Leibes in der Neurowissenschaft«, dass neurotechnologische Zugriffe auf und Eingriffe in das Gehirn immer von einem bestimmten anthropologischen Modell ausgehen würden, wobei das Gehirn als Zentralorgan des Menschen definiert würde. Erst die Integration neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in eine Phänomenologie des Leibes mache es möglich, das »Gehirn nicht vom Lebensvollzug des Menschen zu isolieren« (Scully 2009: 439). Die Autorin begreift während ihrer Untersuchung des Körpererlebens bei körperlichen Behinderungen das Gehirn als verkörpertes Organ, was ihrer Ansicht nach die Voraussetzung dafür ist, mentale, kognitive und emotionale Prozesse verständlicher zu machen (Scully 2009: 439f.). Der menschliche Leib sei die Grundlage des Geistes38 und körperliche Handlungen und Gewohnheiten machten das Denken erst möglich. Der Leib konstituiere durch seine habituellen Handlungen selbst Formen des Wissens über die Gegebenheit, ein bestimmter Typ Mensch in einem bestimmten sozialen Umfeld zu sein (Scully 2009: 445). Die Körper- und Leiberfahrung könnte m.E. somit eine wichtige Kategorie darstellen, die die Gedankensteuerung des Forschungssubjekts maßgeblich beeinflusst und somit den Anpassungsprozess von Gehirn und Computer erst ermöglicht. Die Fragen, wie es ist, in einem »anomalen« Körper zu leben, wie es ist, (im medizinischen Sinne) als ein »anomaler« Körper behandelt zu werden und wie es ist, nach oder mit der Behandlung durch Neurotechnologien zu »sein«, bleiben bisher jedoch weitestgehend unbeantwortet. Denn es mangelt den bisherigen Studien offenbar sowohl an der philosophischen Thematisierung körperlicher Unterschiede, als auch der Wissenschaft an empirischen, experimentellen und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere wenn es um MenschMaschine-Symbiosen geht. Fest steht allenfalls, dass sich durch die Anwendung neuerer Technologien auch das Körperbewusstsein verändert. Beispiele dafür sind z.B. der Epilepsiepatient, der durch BCI seine Krampfanfälle kontrollieren kann, oder die Parkinsonpatientin, die durch neuronale Implantate nicht mehr an einem Tremor leidet und sich »frei« bewegen kann. Für die Fragestellung, wie die Mensch-Maschine-Symbiose hergestellt wird, spielen also anthropologische Konzepte, die sich im Forschungshandeln der NeurowissenschaftlerInnen bemerkbar machen, eine wichtige Rolle. Sie öffnen aber auch ein Verständnis dafür, wie die Zusammenhänge von Körper, Gehirn und Leib zu verstehen sind. Ich selbst betrachte den Körper im Rahmen dieser
38 | Scully bezieht sich dabei auf Merleau-Ponty (2002).
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Arbeit aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive, weshalb diese im Folgenden diskutiert wird.
3.4.1 Der Körper aus symbolisch-interaktionistischer Perspektive Für Strauss (1993) ist der Körper eine notwendige Bedingung für die Handlungsund Interaktionsfähigkeit von Menschen. In Anlehnung an Merleau-Ponty beschreibt er den Körper als ein Medium, durch das Personen in die Lage versetzt werden, Wissen über die Welt, über Objekte, das Selbst, die Anderen und auch über den eigenen Körper zu gewinnen und zu verbalisieren. In Anlehnung an Whitehead versteht er diesen Prozess als einen intuitiven bzw. unbewussten Ablauf. Dabei sind ihm zufolge in diesem Prozess auch Umwelt und Kommunikation von Bedeutung, wobei er – sich auf Mead beziehend – Kommunikation als geteilte symbolvermittelte Bedeutungszuschreibungen begreift, in dessen Rahmen Kooperation wichtig ist. Dem Körper wird bei Strauss eine agentative Eigenschaft zugesprochen. Er ist somit Ausführender von Handlungen: »Certainly the bodily involvement does not constitute all of the interaction, but its agency is a constituent aspect of the interaction. When an important part of the body is badly injured or permanently impaired, then the body as a partly limited agent becomes particularly evident, at least for the actor (…). So no action without some agential bodily involvment« (ebd.: 110).
Für andere individuelle und kollektive AkteurInnen könnten Körper hingegen Objekte sein, wobei Körper auch in Subobjekte unterteilt werden könnten. Außerdem gäbe es (in Anlehnung an Meads Theorie des »self«) zwischen dem handelnden Selbst (Subjekt) und dem gesehenen Selbst (Objekt) eine dynamische Beziehung. So würde ein deformierter Körper oder eine Körperbehinderung ein Teil des »self qua object that is acted toward by acting self« (ebd.: 112). Für PatientInnen mit Beeinträchtigungen (hier: SchlaganfallpatientInnen) bedeutet das, dass sie zunächst in ihrer Handlungsausführung auf den Körper angewiesen sind und durch ihn eingeschränkt werden können. Der Körper nimmt hier die Funktion des »Handlungsinstruments« (Villa 2007: 9) ein, was dazu führt, dass ein beeinträchtigter Körper erst einmal keine normalen Handlungen erlaubt. Durch die Einschränkung wird die Relevanz des Körpers für das Handeln also sehr deutlich: Wird die Handlungsausführung durch eine körperliche Beeinträchtigung erschwert, ist die Handlungsfähigkeit des Patienten bzw. der Patientin gefährdet. In gravierenden Fällen – wenn der Körper, also das Handlungsinstrument, ausfällt, wie es bei ALS-PatientInnen im späten Krankheitsverlauf der Fall ist – ist die/der PatientIn nicht mehr handlungsfähig, und auch ihre/ seine Überlebensfähigkeit ist möglicherweise gefährdet. Die Handlungsfähigkeit kann jedoch ggf. mit Hilfe einer technischen Komponente (wieder) hergestellt
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werden. Übertragen auf Handlungen in der medizinischen Forschung und auf ärztliches Handeln heißt das, dass der Körper der Ärztin bzw. des Arztes neben der Funktion des Handlungsinstruments und des Kommunikationsmediums auch die Funktion eines Diagnoseinstruments einnehmen kann. Für PatientInnen jedoch bedeutet das auch, dass ihr Körper insbesondere in der Medizinforschung als epistemisches Medium bzw. als Objekt fungieren kann, oder dass bestimmte Körperteile wie das Gehirn als »epistemische Objekte« (Rheinberger 2001) betrachtet werden können. Strauss geht es in diesem Zusammenhang vor allem darum, spezifische Körperaspekte bzw. Körperprozesse für seine Handlungstheorie herauszuarbeiten (vgl. Strauss 1993: 109). So bezieht er sich weiter auf intentionale und nicht-intentionale Handlungen in Relation zum Körper. In diesem Kontext erwähnt er spezielle Erkrankungen (wie z.B. Schlaganfall39), die sich dahingehend auswirken können, dass auch spezielle Befehle den Körper nicht zum Handeln bewegen können. Wörtlich heißt es: »Moreover, there are limits to getting the body to act by sending it commands because there is some bodily or mental impairment.« (Ebd.: 114) Weiter erklärt Strauss: »With regard to action and the body, there is action on the body, toward the body, or with respect to the body. It is analytically useful to conceive of these actions and interactions as involving the acting person or persons in performances or appearances. (…) [B]ody processes (…) serve to enhance, promote, denigrate, destroy, maintain, or alter performances, appearances, or presentations.« (Ebd.: 120f., Hervorh. i. Orig.)
Die verschiedenen Körperprozesse können also eine wichtige Funktion bzw. Bedeutung in unterschiedlichen Situationen erfüllen/gewinnen, wie z.B. beim Sport, beim Tanz oder während der Krankengymnastik – aber auch bei der Mensch-Maschine-Anpassung in den Neurowissenschaften, bspw. bei Schlaganfallpatienten, die teilweise ihre Bewegungsfähigkeit verloren haben. Durch das BMI machen die Forschungssubjekte neue Körpererfahrungen, die unmittelbar mit der Technik verbunden sind. Es findet sich also eine gewisse Analogie bei der Wiederherstellung der motorischen Fähigkeiten von SchlaganfallpatientInnen durch Praktiken und Techniken in den Neurowissenschaften und Strauss’ Interesse an den Körperprozessen. Denn Strauss interessiert sich vor allem für solche Erfahrungen, die seiner Ansicht nach durch den Körper (und dabei vor allem über dessen »Ableitung« mittels Nerven, Sinnesorgane etc.) erzeugt werden – so beschreibt er zumindest die Prozesse, aus denen Körpererfahrungen resultieren. Es sei nicht nur der eigene Körper, sondern auch die Körper der anderen, durch die Erfahrung entstehen könne: »[A]s in shared activities like lovemaking or ball39 | Zu den Verlaufskurven und Auswirkungen von chronischen Krankheiten und den
Umgang mit ihnen vgl. Corbin & Strauss (2010 [1988]).
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room dancing, it takes two to tango. As always, body and mind together make for the dance.« (Strauss 1993: 126) Strauss verbindet hier also über neurobiologische Prozesse die Körpererfahrung eindeutig mit andern Körpern. Diese Körper können m.E. auch Dinge, also nicht-menschliche AkteurInnen darstellen, wie z.B. die Öffnung einer gelähmten Hand durch eine Roboterorthese bei SchlaganfallpatientInnen, die ich im Rahmen meiner Studie beobachtet habe. Auch nicht-menschliche AkteurInnen sind dementsprechend maßgeblich an der Körpererfahrung der Forschungssubjekte beteiligt. Darauf werde ich im Kapitel 6 noch näher eingehen. In der Theorietradition sind Bezug nehmend auf Strauss’ Ausführungen eine Reihe weiterer Arbeiten entstanden, die die Rolle von Körper, Körperlichkeit und Verleiblichungsprozessen untersuchen. Der Sammelband »Body/Embodiment«. Symbolic Interaction and the Sociology of the Body« von Waskul & Vannini (2006a) beinhaltet bspw. wichtige Arbeiten zum Thema in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus. Unter anderem werden Beiträge vorgestellt, die den Blick auf den Körper als einen interpretativen Prozess beschreiben. Der Körper werde erst durch den Blick »verkörpert«, da die Handlung des Sehens ein reflexiver und interpretativer Prozess sei. In sozialen Praktiken eingebettet, würden Körper auf diese Art und Weise verformt, verhandelt und manipuliert (vgl. Waskul & Vannini 2006b: 4ff.). Der »dramaturgical body« werde daher in Handlungen und Interaktionen in sozialen Begegnungen und oft auch durch institutionalisierte Rituale »gefertigt«. Andere Beiträge (größtenteils in der Tradition Merleau-Pontys) aus dem Sammelband beschreiben den Körper als fundamentalen Anker der Welt. Wir würden durch unseren Körper einen Sinngehalt erfahren. Im literarischen und metaphorischen Sinne sei der Körper in Handlungen verkörpert und würde durch eine Sinn-Rahmung interpretiert werden. Noch andere Beiträge besagen, dass, wenn der Körper ein Objekt von Diskursen und Interaktionen werde, die soziale Einschreibung in den Vordergrund rücke (sozialkonstruktivistische Auffassung von Körperkonzeption) und seine biologische Natur (deterministische Auffassung von Körperkonzeption) nebensächlich werde. Im ersteren drückt sich eine sozial-konstruktivistische Auffassung von Körperkonzeption aus, im letzteren eine deterministische Auffassung von Körperkonzeption. Diese Sicht wird in einem weiteren Artikel aufgegriffen, wobei der Körper in symbolischen, hierarchischen Ordnungen hergestellt und als kulturelles, gesellschaftliches Konstrukt begriffen wird. Leider kommt in den vorgestellten symbolisch-interaktionistischen Perspektiven und Analysen die Technik bei der Betrachtung des Körpers zu kurz, obwohl Analogien zu Neurowissenschaften durchaus vorhanden sind, die mit Körpererfahrungen verknüpft werden. Allerdings fehlt die technische Komponente. Bei der Mensch-Maschine-Anpassung in den Neurowissenschaften jedoch ist die
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technische Komponente elementar. In diesem Zusammenhang geht es auch um Repräsentationsformen des Körperorgans Gehirn, die durch das externe Geräte angesteuert werden können, da das Gehirn unmittelbar mit dem Körper in einem Verhältnis steht. Daher werde ich zunächst die Bedeutung von Körpern im Hinblick auf ihre Verschmelzung mit Technik und im Hinblick auf Handlungen, die auf sie gerichtet sind, in meiner Analyse berücksichtigen (Kapitel 6). Aus diesem Grund wird im Folgenden die Bedeutung von Technik bei der Betrachtung des Körpers thematisiert.
3.4.2 Körper und Technik Eine besondere soziale Prägung von Technik, speziell von »Techniken des Körpers« definiert Marcel Mauss als »die Weisen, in der sich die Menschen in der einen wie der anderen Gesellschaft traditionsgemäß ihres Körpers bedienen. Jedenfalls muß man vom Konkreten zum Abstrakten vorgehen und nicht umgekehrt.« (Mauss 2010 [1950, 1973]: 199). Als das erste natürlichste Instrument und technische Objekt ist der Körper zugleich ein technisches Mittel des Menschen. Technik wird in Mauss’ Beispielen eng mit erlernten Körperpraktiken und Körpertechniken verknüpft. Dabei definiert er Technik als eine traditionelle, wirksame Handlung. Der/die Handelnde nehme sie als Handlung »mechanischphysischer« oder »physisch-chemischer Ordnung« wahr und führe sie zu diesem Zweck durch (ebd.: 205). Jedoch werden dem Autoren zufolge Körpertechniken erst durch Klassifikation der körperlichen Leistungen zu Normen menschlicher »Dressur« oder »Erziehung« – wobei Mauss mit Dressur das Streben oder den Erhalt einer menschlichen Leistung meint. Folgt man diesen Ausführungen, so sind z.B. Neuropharmaka oder neuronale Implantate zum Erhalt oder zur Verbesserung von Hirnfunktionen auch eine Form der Dressur des Körpers. Praxeologisch betrachtet heißt das, dass die Einschreibung von neuropharmakologischen oder neurotechnologischen Artefakten in den Körper durch soziale Praktiken erfolgt. Die Einschreibung des Sozialen in den Körper wird seitens der scientific community zurzeit in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert. Beispielsweise ist die menschliche Existenz, der Habitus, für Bourdieu das »Körper gewordene Soziale« (Bourdieu 1996: 161). Für Villa ist der Körper eine kulturelle Inszenierung, der als Statussymbol (Villa 2007) oder sogar als Rohstoff bei z.B. Schönheitsoperationen (Villa 2011) dienen kann. Neben den Arbeiten von Bourdieu und Villa gibt es zahlreiche weitere Studien in der Tradition der Wissenssoziologie und vor allem der Wissenschaftsforschung, die Medizin als kulturelle Praxis begreifen und sich mit dem »abgehorchten Körper« (Lachmund 1997), dem »flexiblen Körper« (Martin 1994) oder mit Körpern als »multiple Ontolo-
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gien« (Mol 2002) befassen.40 Diesen praxeologisch ausgerichteten Ansätzen ist gemeinsam, dass Körper zunächst situativ figuriert werden, zugleich jedoch auch langfristig konstitutiv für Interaktionen oder Interaktionskontexte wirken.41 Was in diesen Studien allerdings fehlt, ist die Analyse der Verbindungen des Organischen und Anorganischen, also die Analyse der Anpassung von Körper(teilen) und Technologien. Die Betrachtung der sachtechnischen Komponente im oder am Körper fehlt also. Allerdings ist bei Mauss mit Technik ganz klar eine Handlungstechnik gemeint, die jedoch, weiter gedacht, sachtechnische Komponenten implizieren kann. Denn bei vielen (Handlungs-)Techniken des Körpers, die Mauss beschreibt (Techniken des Laufens, Techniken des Verzehrens etc.), werden, analog des Bedürfnisses der Leistungssteigerung und bei »Ausfall« analog des Bedürfnisses der Kompensation, Sachtechniken genutzt. Bei manchen Techniken des Körpers, bspw. bei Techniken der Fortpflanzung, werden Handlungstechniken von Sachtechniken entkoppelt. Dies zeigt sich z.B. bei der In-Vitro-Fertilisation, denn in dieser Praxis wird die Befruchtung mittels eines Ent- und Verkopplungsprozesses von handlungs- und sachtechnischen Komponenten durchgeführt. Solche Ent- und insbesondere Verkopplungsprozesse von handlungs- und sachtechnischen Komponenten könnten sich auch bei Stimulationsverfahren zur Kompensation verschiedener neuronaler Funktionsstörungen und Krankheiten zeigen. Neurotechnologien und Verfahren der Neurowissenschaften werden u.a. bei Bewegungsstörungen eingesetzt, die durch 4 0 | Martin (1994) hat z.B. in ihrem Buch »Flexible Bodies. Tracing Immunity in American Culture from the Days of Polio to the Age of Aids« die Veränderung der Konzeptualisierung des Körpers fokussiert. Ihre Untersuchungen und ethnographische Feldarbeit, die sie u.a. in einem Labor für Immunologie, in Kliniken und in einem Hospiz für AIDS-PatientInnen durchgeführt hat, bringen sie zum Schluss, dass die gesellschaftliche Definition von Gesundheit in den Alltagsannahmen über das Immunsystem verankert ist. Mol (2002) kommt in ihrer ethnographisch ausgerichteten Analyse von Praktiken im Krankenhaus zum Schluss, dass der Körper als »actor enacted« figuriert wird, der eine Vielzahl von Formen in einer Vielzahl von Praktiken einnimmt. Ihr Fokus liegt bei der Konstruktion von PatientInnenkörpern als Praxeographie der Arterosklerose in medizinischen Szenerien. 41 | Es gibt medizinsoziologische Arbeiten, in denen Annahmen über die Existenz einer universellen biologischen Natur kritisch hinterfragt und letztlich aufgegeben werden (z.B. die kritische Arbeit Barbara Dudens über die historische Veränderung des Verständnisses von Schwangerschaft). »Stattdessen zeigen die historischen Analysen, dass auch das moderne naturwissenschaftliche Wissen vom menschlichen Körper nicht als universell gelten kann, sondern als ein historisch gebundenes Wissen verstanden werden muss.« (Graumann & Lindemann 2010: 301) Dieses Verständnis ist also geprägt von einem Bild, dass medizinische Fakten relativiert werden können und veränderbar sind. Wissenssoziologische Arbeiten radikalisieren diese Sichtweise.
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eine degenerative Erkrankung der Motorik-Steuerungsfunktion des Gehirns verursacht werden (z.B. Parkinson und Schlaganfall), oder bei anderen Erkrankungen, die auf eine Schädigung oder auf Funktionsstörungen des Gehirns zurückzuführen sind, was z.B. bei Verhaltens- oder Befindensstörungen der Fall ist (bspw. bei Epilepsie oder Zwangsstörungen). Und auch bei der Behandlung von SchlaganfallpatientInnen werden neurowissenschaftliche Sachtechniken (nichtinvasive und invasive BCI, nicht-invasive Neurostimulation etc.) genutzt, die ihre Wirksamkeit auf den Körper beobachten lassen. Daher ist ein wissenschaftlichanalytischer Blick auf die Verschmelzung von Mensch und Maschine wichtig. Diese Verschmelzung wird im Cyborg-Konzept von Haraway (1995c) als eine Figuration betrachtet, die weder natürlich noch kulturell konstituiert ist, sondern die in einem Prozess des wechselseitigen Ineinanderfließens bekannte Natur/ Kultur- Dichotomien brüchig macht. Aus praxeologischer Sicht wird durch diese Perspektive das Subjekt »gewissermaßen als ›Cyborg‹ analysierbar, als eine Kombination von Organismen und Maschinenhaften« (Reckwitz 2008: 120). Die Verschmelzung des Organischen und Anorganischen zeigt sich als hybride Gestalt, z.B. als Hybrid-Netzwerk, als Ökosystem des Wissens, als Hybrid-AkteurIn, als Cyborg. Schlussendlich ist die Moderne nach Reckwitz »ein Hybridphänomen, was sich nicht zuletzt an der hybriden Form des modernen Subjekts zeigt. (…) Die Dominanz von Hybridkulturen bedeutet die Dominanz ›unreiner‹ kultureller Formen, die sich selbst jedoch regelmäßig als rein und einheitlich präsentieren« (Reckwitz 2006: 632). Mit dem Cyborg-Konzept wird diese »Reinheit« entzaubert und die Gegenpole Organismus und Maschine verschmelzen zu einer Gestalt und bilden eine Symbiose. Indem ich den Begriff der Symbiose verwende, beziehe ich mich auf die Kybernetik. Der Begriff »Kybernetik« ist zwar aus der Biologie entlehnt, seine zentrale Aussage ist aber nicht der gegenseitige Vorteil, sondern die Zirkularität (s.u., Kapitel 3.4.3). Die Verwendung des Begriffs macht in diesem Kontext deshalb Sinn, da die Maschine nicht nur das anorganische Produkt des Menschen ist, sondern etwas, was selbst die Umwelt des Menschen umformen kann (vgl. Klaus 1962). In der Kybernetik wird so das Verhalten algorithmisch erfassbar – was in etwa dem gradualisierten Handlungskonzept insoweit entspricht, als man die Handlung in Teilhandlungen stückeln kann. Allerdings geht das in Systemen, deren Haupteigenschaft die Zirkularität ist, nur begrenzt gut, da die Kausalität irgendwann verschwindet. Und genau das ist der symbiotische Moment. Dabei ist es zunächst irrelevant, ob Technik im Gehirn sichtbar ist oder nicht. Durch die Sach- und Handlungstechnik verändern sich Prozesse im Gehirn maßgeblich – und zwar nach genau diesem Prinzip der Kybernetik. Deshalb werde ich im Folgenden auf die Bedeutung der Kybernetik für die Neurowissenschaften (und
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somit auch für diese Arbeit) sowie auf die Bedeutung des Cyborg-Konzepts für mein Forschungsanliegen eingehen.
3.4.3 Zirkularität als Moment der Cyborg-Konstitution Die gegenwärtigen Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften spiegeln deutlich die Forschungsentwicklungen der letzten Jahrzehnte wider, die durch verschiedene Forschungszweige geprägt wurden, wobei die Ingenieurswissenschaften und die Kybernetik eine maßgebliche Rolle spielten. Die Bezeichnung »Kybernetik« (aus dem Griechischen kybernétes für Steuermann) geht auf Norbert Wiener, dem »father of cybernetics«, zurück. Oben wurde bereits angesprochen, dass Zirkularität von fundamentaler Bedeutung für die Kybernetik ist: »Das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens ist (…) die Idee der Zirkularität.« (von Foerster in: Foerster & Pörksen 2008: 107). Von Foerster verdeutlicht Zirkularität, auf Norbert Wiener verweisend, am Beispiel des Steuermannes eines Schiffes, der beim Manövrieren des Schiffes in einen Hafen keinem festen Ablauf folgen kann, da z.B. Windstärke und Strömung zu ständigen Veränderungen führen, sodass die Praktik des Manövrierens handlungstechnisch variabel sein muss und ist. Durch Umweltbedingungen veränderte Kursabweichungen beispielsweise würden ein Gegensteuern notwendig machen. Eine Ursache (z.B. starker Ostwind) erzeugt somit eine Wirkung (das Gegenlenken – Manövrieren des Schiffes gegen Osten), die wieder zu einer Ursache wird (erneute Kurskorrektur) usw. Dies nennt von Foerster »zirkuläre Kausalität« (von Foerster: ebd.). Zirkularität ist somit ein »Prozeß der Informationsauswertung, der jeweils das eigene Verhalten verändert« (Prösken in: Foerster & Pörksen 2008: 107), und dabei verliert die »Kausalität (…) ihre festgelegte Richtung, weil Ursache und Wirkung verschmelzen, im Kreisprozeß ihre Rollen vertauschen« (Vester 1999: 129). Ähnlich argumentiert auch Klaus (1962) in dem Werk »Zur Soziologie der ›Mensch-Maschine-Symbiose‹. Eine kybernetische Betrachtung« – wobei diese Zirkularität zur Unterordnung des Menschen gegenüber der Maschine stilisiert und im Grunde ausgeblendet wird: »Wenn man die Geschichte der Symbiose zwischen Mensch und Maschine verfolgt, so darf nicht übersehen werden, daß der maschinelle Partner dieser Symbiose nicht erst in den letzten Jahrzehnten kybernetischen Charakter angenommen hat. (…) Es bestand eben jene Symbiose zwischen Mensch und Maschine, die in ihrem maschinellen Teil einerseits dem Menschen und auch seinen Unvollkommenheiten angepaßt war und andererseits in vieler Hinsicht den Menschen der Maschine unterordnete. Dieses Verhältnis von Mensch und Maschine war in erster Linie gesellschaftlich bedingt.« (Klaus 1962: 886f.)
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Techniken des Körpers werden also, wenn sie mit Sachtechnik in Verbindung gebracht werden, nicht nur maschinell verkörpert, sondern auch zum/zur aus Organischem und Anorganischem bestehenden Hybrid-AkteurIn. Das nennt Klaus »maschinelle Verkörperung von Naturprinzipien« (ebd.: 887), wobei er sich u.a. auf die Beispiele Pferdekutsche und Autos bezieht, die das Laufen ersetzen. Dabei bleibt der Mensch ihm zufolge Bestandteil des Fortschreitens im Mensch-Maschine-System. Deutlich wird: Im von Klaus beschriebenen Mensch-Maschine-Gefüge lösen Sachtechniken zwar Handlungstechniken ab, trotzdem bleibt der Leib ein integrativer Bestandteil dieser Verflechtung. Klaus setzt in diesem Zusammenhang den Menschen in ein direktes Verhältnis zum Technischen, welches er als ein »Verhältnis zwischen System und Regler« beschreibt, wobei die »Gesamtheit beider ein geregeltes System darstellt« (ebd.). Dadurch erhält sein Konzept einen normativen Bias: »Die Evolution der Maschinen ist insofern ein Grenzprozeß, als der Mensch im System Mensch plus Maschine immer mehr nur die Funktion des Reglers übernimmt. Alle seine übrigen Fähigkeiten zieht er nach und nach aus dem zu regelnden System zurück. Ursprünglich hatten die Sinnesorgane und das Gehirn des Menschen die Funktion des Reglers, die übrigen Fähigkeiten des Menschen, die an der Produktion beteiligt sind, sind Teile des zu regelndes Systems. Sinnesorgane und Gehirn regeln also ein aus Maschine und den sonstigen körperlichen Organen und Gehirn regeln also ein aus Maschine und den sonstigen körperlichen Organen des Menschen, die an der Produktion beteiligt sind, bestehendes System. Im Grenzprozeß sind nur noch die Sinnesorgane und das Gehirn des Menschen an dieser Symbiose beteiligt.« (Ebd.: 888)
Klaus formuliert diese Gedanken vor dem Hintergrund eines marxistisch-leninistisch orientierten soziologischen Verständnisses und erklärt »das Verhältnis von Mensch und Maschine als kybernetische Symbiose« (ebd.: 900). Man kann m.E. die Gehirn-Computer-Verkopplung in den Neurowissenschaften durchaus als kybernetisches System betrachten, denn auch in der Kybernetik findet man Wurzeln der Neurowissenschaften. Das Gehirn ist im BMI-System Steuerungs- und Regulierungsinstanz, wobei bei der Implantation Mechanismen der Steuerung und Regulierung an die Sachtechnik delegiert werden und die Verflechtung von Hirn- und Schrittmacheraktivitäten ›geblackboxed‹ erscheinen. Durch dieses Blackboxing werden die genauen internen Prozesse unsichtbar und sind auch nicht immer verständlich, zumindest nicht auf den ersten Blick.
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In der Cyborg-Wissenschaft42 werden beispielsweise die Zusammenhänge von Mensch und Maschine analysiert, wobei kybernetische Modelle eine wesentliche Rolle spielen. Clynes gilt als der Urheber des Begriffs »Cyborg«, der sich aus den Wörtern »kybernetisch« (›cybernetic‹) und »Organismus« (›organism‹) zusammensetzt und im Kontext der Raumfahrt entstand. Nach Clynes & Kline (1960; 1961) sollte die menschliche Modifikation mittels Implantaten und Pharmazeutika die Anpassungsfähigkeit an die Umweltbedingungen und somit auch die Überlebensfähigkeit im Weltraum ohne Raumanzug ermöglichen (vgl. Gray 2002: 35). »What are some of the devices necessary for creating self-regulating manmachine systems? This self-regulation must function without the benefit of consciousness in order to cooperate with the body’s own autonomous homeostatic controls. For the exogenously extended organizational complex functioning as an integrated homeostatic system unconsciously, we propose the term ›Cyborg.‹ The Cyborg deliberately incorporates exogenous components extending the self-regulatory controlfunction of the organism in order to adapt it to new environments.« (Clynes & Kline 1960: 27; geprägt wurde der Begriff offenbar zuerst von Clynes – siehe Kline & Clynes 1961: 348)
Der Mensch soll diesen Überlegungen zufolge also durch technische Mittel in die Lage versetzte werden, sich einer fremden Umwelt zu adaptieren. Allerdings geht es hier auch um die Selbstregulierung von Mensch-Maschine-Systemen und ihre Funktionsfähigkeit ohne die Beteiligung des Bewusstseins, also des Geistes. Auch Haraway (1995b) weist darauf hin, dass Cyborgs43 kybernetische Organismen sind – also Hybridkonstellationen aus Organismus und einer kybernetischen Apparatur. Die von ihr beschriebenen Cyborgs ähneln dabei den Hybrid-Akteuren von Latour. In ihrer Definition hebt sie allerdings das kybernetische Merkmal hervor: 4 2 | Die Cyborg-Wissenschaft geht aus den Welten der Künstlichen Intelligenz (KI) und
des Künstlichen Lebens (KL) hervor. Die KI orientiert sich an vorgegebenen kognitiven Leistungen und schafft wissensbasierte ExpertInnensysteme nach der top-down-Methode, während der Aufbau und die Funktion des menschlichen Gehirns das Vorbild des KL ist. In dem KL sollen Maschinen konstruiert werden, die Wissen nach der bottom-upMethode erwerben und demzufolge lernfähig sind. Diese verhaltensbasierten Systeme können mit ihrer Umwelt interagieren und eine dynamische Wechselwirkung zwischen Umwelt und System hervorrufen. Zweck der Intelligenz des Systems ist unter anderem die Definition und das Lösen von Aufgaben und das Erreichen bestimmter Ziele in der vorgegebenen Umwelt (vgl. Gray 2002). 4 3 | Der/Die Cyborg wird wegen der feministischen Perspektive Haraways auch »die Cyborg« genannt. Da Cyborgs wegen der menschlichen Anteile jedoch beide Geschlechter beinhalten, möchte ich geschlechtergerecht von »der/die Cyborg« sprechen.
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»Linguistically and materially a hybrid of cybernetic device and organism, a cyborg is a science fiction chimera from the 1950s and after; but a cyborg is also a powerful social and scientific reality in the same historical period. Like and important technology, a cyborg is simultaneously a myth and a tool, a representation and an instrument, a frozen moment and a motor of social and imaginative reality. A cyborg exists when two kinds of boundaries are simultaneously problematic: 1) that between animals (or other organism) and humans, and 2) that between self-controlled, self-governing machines (automatons) and organisms, especially humans. The cyborg is the figure born of the interface of automation and autonomy.« (Haraway 1989: 138f.)
Was damals noch als Adaptation ein eine unbekannte Umwelt gedacht war, erhält heute ähnliche Züge in den Neurowissenschaften. Denn die moderne Medizin ist voller »Cyborgs, Verkopplungen aus Organismus und Maschine, in denen beide als programmierbare Geräte« (Haraway 1995c: 34) erscheinen. Das bedeutet also, dass auch in der Medizinforschung die Grenzen von Natur und Kultur bersten und in der Figuration der Cyborg/des Cyborg zusammenfallen. Dies ist den Gedanken der Wissenschaftlerin folgend auch durchaus erwartbar, denn nach Haraway ist die Trennung von Natur und Kultur nicht natürlich, sondern wird »künstlich« erzeugt. Cyborgs sind Haraway zufolge Verflechtungen von natürlichen und materiellen Elementen und spiegeln sich in Subjekten wieder. In Zeiten der TechnoBiopolitiken, der Technowissenschaft, der Hochtechnologien würden Körper, genauso wie Zeichen, Kontext und Zeit, denaturalisiert. Ähnlich dem »socio-semiotic body« versteht Haraway »material-semiotic entities« als kulturell hervorgebracht – allerdings mit einem wichtigen zusätzlichen Detail: dem Materiellen bzw. Anorganischen. Der/die materiell-semiotische AkteurIn charakterisiert die Verflechtung von menschlichen und nicht-menschlichen AkteurInnen – sie seien technowissenschaftliche Objekte: »Mit dem Begriff des ›materiell-semiotischen Akteurs‹ ist beabsichtigt, das Wissensobjekt als ein aktiven Teil des Apparats der körperlichen Produktion hervorzuheben, ohne jedoch jemals die unmittelbare Präsenz solcher Objekte zu unterstellen oder (…) eine von diesen ausgehende, endgültige und eindeutige Determinierung dessen, was als objektives Wissen über einen biomedizinischen Körper zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt gelten kann. Körper als Wissensobjekte sind materiell-semiotische Erzeugungsknoten. Ihre Grenzen materialisieren sich in sozialer Interaktion.« (Haraway 1995a: 170f.)
Für Haraway stellt also der Apparat der körperlichen Produktion ein Ensemble von wissenschaftlichen und kulturellen Praktiken und Technologien dar. Körpern wird ein generatives Merkmal zugeschrieben, da sie sowohl andere (wissenschaftliche) Formen als auch Bedeutungen produzieren. Die materielle und
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symbolische Herstellung von Körpern erfolgt dabei jeweils in einem spezifischen historischen und kulturellen Prozess. Den Grenzkrieg der Beziehung zwischen Organischem (Mensch) und Anorganischem (Maschine) zu beenden, ist dabei für Haraway eine Art Wunschtraum. Sie fragt danach: Welchen Sinn ergibt ein Krieg, bei dem der Unterschied, der »Gegner«, durch die Handelnden selbst konstruiert und produziert, eigentlich nur eine Fiktion ist? Hier wird deutlich, dass eine Trennung zwischen Mensch und Maschine im Grunde keinen Sinn macht, da die Maschine als Kulturtechnik schon immer zum Menschen gehörte und gehört. Nach Haraway sind wir schon immer verflochten mit Materiellem gewesen. Wir waren schon immer, um mit Clarks (2003) Worten zu sprechen, sogenannte »Natural-Born Cyborgs«, Mischwesen zwischen Mensch und Maschine. Dabei entwickelt sich unsere Hybridität in einem Prozess zeitlich-situativ unaufhörlich weiter. Es ist also nur konsequent, dass Haraway dafür plädiert, Verantwortung bei der Konstruktion der Cyborgs zu übernehmen (vgl. Haraway 1995c: 34ff.). In einer praxeologischen Lesart bedeutet das, dass der/die Cyborg als Subjekt sowohl organische als auch anorganische Komponenten besitzt, deren Komposition analysierbar wird. Woraus folgt, dass auch die Konstitution der Cyborgs analysierbar ist, und zwar nicht nur als soziale Konstruktion, sondern als KoKonstitution von Natürlichem und Kulturellem: »Nicht nur in der Kombination von kulturellen Codes verschiedener räumlicher und zeitlicher Herkunft lassen sich Subjektformen als hybride dechiffrieren; in der Verzahnung des Organismus mit den Dingen, der Partizipation an den symbolischen Ordnungen und der materiellen Welt der Dinge, die beide miteinander verschränkt sind, ist das Subjekt vielmehr auf einer weiteren Ebene hybride organisiert.« (Reckwitz 2008: 119f.)
Den Ko-Konstitutionsprozess kann man über Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen in klinischen Studien sehr gut analysieren. Dieses Forschungsfeld ist zudem deshalb besonders für dieses spezifische wissenschaftliche Erkenntnisinteresse geeignet, als das Praxisfeld dadurch charakterisiert ist, dass in ihm (biologisch-)deterministische und (sozial-)konstruktivistische Momente der Körperkonstitution zusammen kommen. Für die konkrete Forschung bedeutet dies: Wenn der/die Cyborg ein technisch modifiziertes biologisches Wesen darstellt, dann muss man die ›Mensch-Maschine-Symbiose‹ mittels BCI ebenfalls so betrachten. Denn der Anpassungsprozess, der dieser Kopplung zugrunde liegt, ist ein wechselseitiger. Das Cyborg-Konzept wurde als Referenz in zahlreichen Studien, die in der Tradition der Wissenschafts- und Technikforschung stehen, zur Analyse der Verbindung von Körpern und/oder Subjektformen mit Medizin, Wissen und Technik berücksichtigt (vgl. bspw. Pickering 1995; Downey & Dumit 1997; Åsberg 2010; Spreen 2010; Pickersgill, Cunningham-Burley & Martin 2011; Mialet
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2012). Leider fehlt im Cyborg-Konzept eine Beschreibung, wie genau auf der Mikroebene die Herstellung der Wechselwirkung zwischen Organischem und Anorganischem als Ensemble zu einem Ganzen, zum Cyborg, vollzogen wird. Dies ist deshalb eine bedeutende Forschungslücke, da gerade in den Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen der PatientInnenkörper mit Technik in einem sozio-technischen Interaktionsgeflecht zusammengeschlossen wird. Steuerung und Regulierung von Gehirn und Technik als Ensemble werden dabei durch das Zirkularitätsprinzip charakterisiert. Ich selbst verstehe, übereinstimmend mit Haraway, die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur beim Cyborg-Konzept als ein kulturelles Produkt. Insofern kommt dem Anteil der Kultur an der Differenzierung eine besondere Bedeutung zu, denn die Kultur konstituiert die Unterscheidung überhaupt erst. Das heißt aber nicht, dass die Unterscheidung obsolet wäre. Es heißt vielmehr, dass die Unterscheidung nicht naturgegeben und vor allem asymmetrisch ist. Wenn Mensch und Maschine sich in der »Mensch-Maschine-Symbiose« zum technozerebralen Subjekt als eine Form von Cyborgs konstituieren, dann ist damit nicht gemeint, dass Organisches und Anorganisches irreversibel miteinander zu einem neuen Wesen verschmolzen sind. Damit m.E. etwas oder jemand als Cyborg verstanden werden kann, muss ihre/seine Steuerung und Regulierung in einem programmierbaren zirkulären Prozess (dem bio-technischen Synchronisationsprozess) erfolgen, in dem Organisches und Anorganisches zusammenwirken. Dies ist mein Verständnis von einem/einer Cyborg. Wenn Handlungen eine Zirkularität des Biologischen und Technischen zugrunde liegt, dann kann man auch von einem/einer handelnden Cyborg sprechen. Wenn nach Anselm Strauss (Kapitel 3.1) Strukturen auf einer Meso- oder Makroebene in Situationen als Handlungsbedingungen auftreten und den Möglichkeiten des Handelns dadurch Grenzen gesetzt werden, dann kann das auch auf der Mikroebene für den/die Cyborg gelten, dessen Strukturmerkmale sich aus Biologischem und Technischem zusammensetzen. Denn der Körper als Handlungsinstrument ist nur durch die Wechselbeziehung von Gehirn und Technik handlungsfähig. Sowohl das Biologische als auch das Technische haben eine strukturierende Wirkung auf die Verkörperung und werden selbst durch ihre prozessuale Wechselwirkung zueinander, also durch Zirkularität, strukturiert. Gerade durch das Ensemble von Organischem und Anorganischem, dem zirkulären Prozess von Biologischem und Technischem, wird der/die Cyborg handlungsfähig. Für mein konkretes Forschungsinteresse bedeutet dies: Eine Parkinsonpatientin kann im fortgeschrittenen Stadium ihrer Erkrankung ohne neuronale Implantate keine Handlung44 ausführen. Erst durch die technische Komponente wird sie handlungsfähig. Im Moment der Zirkularität fallen Natur 4 4 | Keine Handlungen insofern, als dass die soziale Integration bzw. die täglichen
Interaktionsprozesse körperlich/geistig beinträchtigter Menschen durch ihre Beein-
3. Praxeologische Rahmung der Untersuchung
und Kultur zusammen und werden in dem/der handelnden Cyborg geblackboxed. Mir sind allerdings keine ausgearbeiteten, für mein Forschungsinteresse geeigneten praxeologischen Ansätze bekannt, in denen organische und anorganische Komponenten als Ensemble in einem zirkulären bio-technischen Prozess beschrieben und analysiert werden. Es ist daher hilfreich, die zuvor vorgestellten Ansätze mit einem mikroperspektivischen Ansatz zu erweitern, der den PatientInnenkörper als bio-technologisches Ensemble, oder wie Lindemann es nennt, als »biotechnische Gestalt« (Lindemann 2002) konzeptualisiert. Daher werde ich im Folgenden auf Lindemanns Konzepte eingehen, die für meine Analysen entscheidend sind.
3.4.4 Bio-technische Gestalten in der medizinischen Praxis Wie sozio-technische Konstellationen in Wissenschaft und Medizin wirksam werden, zeigt beispielsweise Lindemann in ihren Studien zum Hirntodkonzept (2003) oder auch zu Praktiken in der Primatenforschung (2005). Lindemann (2006; 2009b) führt, Bezug nehmend auf die philosophische Anthropologie Helmut Plessners, zudem eine gesellschaftstheoretische Perspektive in die ethnosoziologische Medizinsoziologie ein und entwickelt eine Theorie verkörperter AkteurInnen. Sie untersucht, »wie Ankerkennung als eine ›lebendige menschliche Person‹ im Zusammenspiel von Politik, Recht und Biomedizin erfolgt. Diese für moderne Gesellschaften spezifische Form, die Grenzen des Personseins festzulegen, bezeichnet sie als ›biomedizinisches Grenzregime‹. (…) Konkret geht es um die Grenzziehung am Anfang des Lebens (künstliche Befruchtung; Embryonenforschung), am Ende des Lebens (Intensivmedizin; Hirntoddiagnostik), sowie um die Grenzen zwischen Mensch und Tier (Primatenforschung; Chimärenbildung) und zwischen Mensch und Maschine (Robotertechnik). Die Analyse des biomedizinischen Grenzregimes untersucht also diejenigen Grenzbereiche biomedizinischen Handelns, die Gegenstand zentraler ethisch-politischer Kontroversen sind.« (Graumann & Lindemann 2010: 302)
Dass Lindemann die Materialität von Körpern analog der Quadratur biomedizinischer Grenzregime in ihren Studien immer wieder einbezieht, macht ihre Arbeiten für meine Fragestellung interessant. Nicht nur, weil sie sich auch mit der Hirnforschung, im Speziellen mit der Primatenforschung in den Neurowissenschaften, beschäftigt, sondern auch, weil sie z.B. PatientInnen als bio-technische Gestalten begreift (vgl. Lindemann 2002: 152). In der medizinischen Praxis geht trächtigung und den gesellschaftlichen Umgang damit erschwert werden (vgl. bspw. Goffman 1975; Foucault 1973, 2005; zur Soziologie der Behinderung siehe Kastl 2010).
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es ihr zufolge um IntensivpatientInnen als »ou-topisches Gegenüber«45, denen verschiedene Erscheinungsweisen, ihre Expressivität(en)46 also, apparativen Darstellungen etc. zugeordnet werden können (technisch vermittelte Expressivität) – und die auch konstitutiv für die Körper- bzw. Subjektdeutung »lebendig/tot« sind. In »Die Grenzen des Sozialen: Zur sozio-technischen Konstruktion von Leben und Tod in der Intensivmedizin« (Lindemann 2002) beschreibt die Soziologin u.a. welche Rolle der PatientInnenkörper bei der Behandlung von IntensivpatientInnen spielt. Der PatientInnenkörper ist in ihrer Studie nicht nur Arbeitsobjekt, sondern produziert, angeschlossen an Apparaturen, ständig Zeichen, die seinen Zustand ausdrücken. Diese Repräsentationen haben nach Lindemann zwei Merkmale: Zum einen seien sie vom medizinischen Personal angefertigt, um Informationen über den PatientInnenkörper zu erhalten, zum 45 | Lindemann benutzt den Terminus ou-topisch im Sinne eines ou topos, eines Nicht-
Orts in Anlehnung an Derridas. Mit Nicht-Ort ist z.B. eine Differenz zum sinnlich wahrgenommen Gegenstand oder zu dem, was über den Gegenstand gewußt werden kann, oder zu der Ordnung des Wissens, in der ein Gegenstand seinen festen Ort habe, gemeint: »Ou-topisch meint in generalisierter Form das, was ich (…) mit den Worten Dingkern, lebendiges Selbst, Person bezeichnet habe. In jedem Fall ist etwas gemeint, das nicht direkt Gegenstand eines Wissens sein kann, sondern für das es nur Hinweise, Indizien, gibt. Etwas, das erdeutet wird, ohne in einer Deutung vollständig fixiert werden zu können.« (Lindemann 2002: 47f.). 46 | Später verdeutlicht Lindemann (2008) ihre Analyse hinsichtlich der »Expressivität (…) als eine Eigenschaft lebendiger Dinge« (Lindemann 2008: 86) in Anlehnung an Plessner (1975). Im Zusammenhang von neuronaler Expressivität und (ex)zentrischer Positionalität schreibt sie Folgendes: »Wenn man nun die Differenz von zentrischer und exzentrischer Positionalität zugrunde legt, stellt sich die Frage, was dies für die neuronale Expressivität bedeutet. Exzentrische Positionalität besagt, dass ein organisches Selbst einen Abstand zu sich als Vollzug der Selbststeuerung hat. Dies schließt prinzipiell die Möglichkeit ein, die spontane Expressivität des Vollzugs der Selbststeuerung der zentrischen Positionalität aktiv zu gestalten. Wenn dies zutrifft, müsste auch spontane neuronale Expressivität steuerbar sein. Dann würde sich folgendes ergeben: Wenn neuronale Prozesse als Hinweis auf das Vorhandensein einer Selbststeuerung verstanden werden können, wären neuronale Prozesse auf der Ebene der zentrischen Positionalität durch den Organismus nicht steuerbar. Denn neuronale Prozesse wären selbst die expressive Realisierung der Steuerungsfunktion, in deren Vollzug der Organismus aufgeht. Der Organismus hat zum Vollzug der Selbststeuerung keine Distanz, die es ihm erlauben würde, sich zu ihr zu verhalten. Anders verhält es sich bei der exzentrischen Positionalität, hier wäre im Sinne Plessners davon auszugehen, dass der Organismus zum Vollzug der Selbststeuerung in Distanz ist und sich deshalb zu dieser verhalten kann.« (Lindemann 2008: 87).
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anderen seien sie nur durch die Eigenaktivität des Körpers möglich. Letzteres bezeichnet Lindemann allerdings nicht als Repräsentation, sondern als Expressivität bzw. Eigendarstellung des PatientInnenkörpers (vgl. ebd.: 148f.). Ohne jegliche Expressivität gibt es ihr zufolge kein »ou-topisches Gegenüber«, also kein lebendiges Subjekt. Ein wichtiger Bestandteil der bio-technischen Gestalt ist der »Zugang« der Technik in den Körper, wobei die Nacktheit eine zentrale Bedeutung einnimmt. Lindemann beobachtet und beschreibt viele Zugänge zum Körper ausführlicher, wie die Zugänge durch Nase, Mund/Hals, Oberkörper/Hals, Unterarm, Unterarm/Fuß, Harnröhrenausgang, Anus und Kopf. Die Haut ist dabei das verbindende Element, da die Zugänge an ihr festgenäht oder festgeklebt werden. Die Zugänge wiederum werden an Apparaturen angeschlossen, die ihrerseits Daten produzieren. Auf diese Art wird der menschliche Körper nach Ansicht Lindemanns in ein technisches Arrangement integriert. In einigen Fällen werde sogar der Atemimplus vom Beatmungsgerät substituiert, was die Bedeutung der Technik noch steigere. Die Körperöffnungen und somit die Zugänge unterliegen dabei der Kontrolle des medizinischen Personals (vgl. Lindemann 2002: 148ff.). Das Personal (Lindemann nennt in diesem Kontext Pflege, Physiotherapie, Technischer Dienst und Ärzteschaft als bedeutsam) eigne sich die PatientInnenkörper an und verarbeite sie (vgl. ebd.: 166ff.). Lindemann liefert ein Modell, das Aussagen darüber enthält, wie eine reflexive Ebene formuliert werden kann, die zugleich einen Bezug zu den materialen Praktiken und Prozeduren der medizinischen Diagnostik aufrechterhält. Diese Modell, das sie in Anlehnung an Kurthen und Linkes 4-Ebenen Modell zur Todeskonzeption (vgl. Kurthen et al. 1994) entwirft, schreibt dem Subjekt als ou-topischer Bezugspunkt eine Relevanz zu. Bevor eine endgültige Diagnose erstellt würde, würden PatientInnen durch das Personal erst als gestalthafte Körper systematisch zerlegt: Stücke der Gestalt (wie z.B. Blut) würden ins Labor geschickt, die Gestalt würde in Form bildhafter Darstellungen vervielfältigt (z.B. durch MRT-Aufnahmen), die Eigenaktivität des lebendigen Körpers würde in Kurven und Werten dargestellt (z.B. durch ein EEG) und die Reaktionsweisen des Körpers würden standardisiert überprüft. Erst dann, also wenn »genügend diskrete Elemente« vorhanden seien, würden die zerlegten Stücke zu einer Ganzheit zusammengefasst, die dann in die endgültige Diagnose einfließen würde. Diesen Vorgang nennt Lindemann die »Produktion der gestalthaften Ganzheit« (Lindemann 2002: 88), wobei die diskreten Elemente die Eigenaktivität des Körpers widerspiegeln. Allerdings fokussiert ihre Studie nicht nur das Arrangement von diskreten Elementen zu gestalthaften Ganzheiten in medizinischen Praktiken, sondern auch die »ou-topische übergestalthafte Ganzheit, die in Differenz zur gestalthaften Konstellierung der Gestalt der Patientin ist. Von dieser Einheit her läßt sich der Patient als Gegenüber
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ärztlicher Praxis verstehen, die einer Bestimmung durch die Praktiken der Darstellung und Tests und deren Konstellierung zu stimmigen Gestalten entzogen ist.« (Ebd.: 95)
Was bedeutet das? – Die lebendige Gestalt ist m.E. die Differenz zur Konstellierung der Gestalt deshalb, weil der Patient/die Patientin in den Praktiken der Konstellierung zur stimmigen Gestalt nur durch Repräsentationen (also Inskriptionen) vorhanden ist. Daher muss die Gestalt in einer kausalen Abfolge zusammengesetzt werden und wird so zur gestalthaften Ganzheit (an)geordnet. In ihrem ersten Interpretationsmodell, welches Lindemann für ihre Studie »Der Patient als nichtexpressives Gegenüber – Die Konstellierung der Gestalt« verwendet, geht es darum, die heterogenen Elemente, z.B. die EEG-Darstellung, hinsichtlich ihrer Aussagekraft für die Gestaltung der Beziehung zwischen Arzt/ Ärztin und PatientIn zu begreifen. Hier werden die kausalen Bedingungen des PatientInnenzustands und direkt empirisch Zugängliches und Beobachtbares erfasst. Im zweiten Interpretationsmodell »Die Patientin als expressives Gegenüber – Die zweiseitige Bedeutungsbeziehung zwischen Gestalt und ou-topisches Gegenüber« geht es dagegen darum, wie die o.a. Elemente zum gestalthaften Ganzen in Begegnung mit dem Patienten/der Patientin so konstelliert werden, dass z.B. seine/ihre »Reaktionsfähigkeit realisiert« ist. Das dritte Interpretationsmodell »Ou-topus – Übersetzungen zwischen Medizin, Rechtswissenschaft und Soziologie« kennzeichnet die Übersetzungsleistung des Ou-Topus als Bezugspunkt für die heterogenen Disziplinen (vgl. ebd.: 92ff.). Übertragen auf das neurowissenschaftliche Experimentieren im Labor und im Operationssaal heißt das für mich, dass der Patient bzw. die Patientin täglich in diskrete Elemente eingeteilt werden muss, damit die Arbeit der NeurowissenschaftlerInnen ermöglicht wird. Nur dadurch wird das Experimentieren erfolgversprechend. Diese Arbeit umfasst mehrere Schritte und beinhaltet z.B. einen MRT-Scan, die Deutung der MRT-Bilder, ein Neurofeedback-Training mittels EEG und die damit verbundene Mensch-Maschine-Symbiose, das Interpretieren von EEG-Signalen sowie Versuche mit unterschiedlichen Stimulationsarten zur Wiederherstellung der kortikalen Funktionsstörung. Diese Arbeitsschritte werden meist an multiplen Orten durchgeführt. Wenn ein Fehler bei der Repräsentation der diskreten Elemente (im Sinne der technisch vermittelten Expressivität nach Lindemann 2002) entdeckt wird, reagieren die NeurowissenschaftlerInnen unterschiedlich darauf. Eine Reaktion betrifft die Betrachtung des Forschungssubjekts als Ganzheit, wenn bspw. Anomalien auf EEGs angezeigt werden und somit ein unerwartetes Hirnstrommuster auftritt. Dies erklären die NeurowissenschaftlerInnen dann damit, dass z.B. die Elektrode nicht richtig sitzt oder dass der/die PatientIn sich zu viel bewegt hat. Wenn also das Experiment an erwartbarer Repräsentativität(skraft) verliert, wird der Patient/die Patientin wieder als Ganzheit beobachtet und betrachtet. Danach werden bspw. Fehlmessungen auf unterschiedlichste Art korrigiert und Anomalien behoben. So werden die diskre-
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ten Elemente »glatt gebügelt« und wieder zu einer übergestalthaften Ganzheit als Ensemble zusammengesetzt. In Publikationen erscheinen diese Ensembles meist als Hauptschauplätze neurowissenschaftlicher Arenen: Die PatientInnen werden quasi als Mittel zum Zweck zum Teil eines Ensembles – darauf werde ich in meiner Empirie noch zurückkommen. Für mein Forschungsinteresse und somit für meine empirische Untersuchung ist in diesem Zusammenhang sowohl die Konstitution der bio-technischen Gestalt interessant, als auch die Ordnung zum gestalthaften Ganzen. Mit der bio-technischen Gestalt werde ich die verschiedenen Verflechtungen von Mensch und Maschine analysieren. Die Analysemodelle 1 und 2 nutze ich, um das Arrangement und die »diskreten« Elemente im Operationssaal zu analysieren. Darüber hinaus helfen sie mir bei der Erforschung, wie die einzelnen Elemente in verschiedenen Situationen zur ganzheitlichen Gestalt zusammengesetzt werden. Mein konkretes analytisches Vorgehen schließt eine bedeutende Forschungslücke. Denn zwar gibt es bereits (wenige) Analysen von sozio-technischen Ensembles, d.h. der Rolle des Körpers im OP-Saal (bspw. Hirschauer 1991; Schubert 2006). Es gibt jedoch keine Untersuchungen der Konstitution der bio‑technischen Gestalt als eine sich prozessual stetig weiterentwickelnde Gestalt in der Medizinforschung. Die Rahmung meiner Analyse bilden symbolisch-interaktionistische Bezüge, die zur Subjektkonstitution beitragen. Darauf will ich im Folgenden näher eingehen.
3.5 Subjektkonstitution aus praxeologischer Perspektive Aus den im Rahmen dieser Arbeit bislang erörterten theoretischen Überlegungen ergibt sich, dass der Mensch (als Mängelwesen) sowie seine gestalthafte Ganzheit insbesondere in der Medizinforschung bio-technisch verkörpert werden. Die Verkörperung geschieht dabei direkt, durch ein aktives Einwirken von Mensch(en) und Technologie(n) und durch ihre symbiotische Beziehung zueinander. Praktiken sind dabei das konstitutive Merkmal der Herstellung von Subjekten bzw. Subjektivität. Dies ist die Annahme, die ich der Subjektkonstitution zugrunde lege. »Wenn mit dem Subjekt die gesamte kulturelle Form gemeint ist, in welcher der Einzelne als körperlich-geistig-affektive Instanz in bestimmten Praktiken und Diskursen zu einem gesellschaftlichen Wesen wird, dann bezeichnet die ›Identität‹ einen spezifischen Aspekt dieser Subjektform: die Art und Weise, in der in diese kulturelle Form ein bestimmtes Selbstverstehen, eine Selbstinterpretation eingebaut ist, wobei diese Identität immer direkt oder indirekt auch mit einer Markierung von Differenzen zu einem kulturellen Anderen verknüpft ist. Die Identität des Subjekts ist damit gleichbedeutend mit
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dem, was häufig das ›Selbst‹ (›self‹) genannt wird. (…) Aber die Subjektform in ihrer Konstituierung von Körper, Psyche und im impliziten Wissen ist mehr als allein diese Ebene der Selbstinterpretation. Das Subjektkonzept geht damit über jene der Identität und des Selbst hinaus und integriert sie zugleich.« (Reckwitz 2008: 17)
Übertragen auf diese Arbeit heißt das: Die Praktiken und Techniken in den Neurowissenschaften haben nicht nur Einfluss auf das Subjektverständnis (vgl. Salaschek), sondern auch auf dessen Konstitution. Es sind im Speziellen solche Praktiken und Techniken, die die symbiotische Beziehung von Gehirn und Computer, Mensch und Maschine fördern, begünstigen und dauerhaft aufrechterhalten. In den neurowissenschaftlichen Praktiken ist dabei ein Selbstverstehen als »homo cerebralis« eingebaut. Ähnlich argumentiert auch Schmitz, wenn sie schreibt: »Das cerebrale Subjekt wird mehr und mehr zur zentralen Kategorie, wenn es um Definitionen des Selbst, um gesellschaftliche Prozesse oder um ein zukünftiges Menschenbild geht. Das zweite zentrale Moment, das die prominente Ausbreitung einer Neurokultur prägt, lässt sich an der engen Vernetzung biologischer Forschungsansätze mit technologischen Entwicklungen festmachen. (…) Diese tief greifende Vernetzung zwischen Biologischem und Technischem nimmt zusätzlich Einfluss auf das Selbstverständnis des Menschen. (…) Mit dem Einsatz von Neurotechnologien werden die Grenzen zwischen Körper und Technik brüchig.« (Schmitz 2010: 99)
Allerdings argumentiere ich nicht, dass in den Neuropraktiken die Grenzen vom Biologischen und Technischen brüchig werden, sondern gehe davon aus, dass der Mensch in seiner Eigenschaft als Kulturwesen schon immer ein Cyborg war und immer wieder anders zu einem Cyborg gemacht wird. Es kommt auf die Art und Weise der Herstellung an und auch darauf, dass diese symbiotische Beziehung (forschungs)politisch und gesellschaftlich diskutiert, gefördert und gebilligt wird. Das techno-zerebrale Subjekt ist eine bio-technische Gestalt des Cyborgs, dessen Konstitution ich als Resultat der Praktiken und Techniken von Neurowissenschaften zur Diskussion stellen möchte.
4. Das Forschungsdesign und der Forschungsund Auswertungsprozess
In diesem Kapitel werde ich das Forschungsdesign sowie den Forschungs- und Auswertungsprozess meiner empirischen Studie darstellen. Die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes werde ich im Kapitel 4.1 erläutern und begründen. Dort wird auch der Zugang zum Feld beschrieben. Den genauen Forschungsprozess werde ich im Kapitel 4.2 erläutern. Der Forschungsgegenstand erforderte besondere Anforderungen an mich als Soziologin dahingehend, dass ich der Mensch-Maschine-Anpassung nicht nur durch Interviews nachgegangen bin, sondern sie auch durch teilnehmende Beobachtungen analysiert habe (Kapitel 4.2.2.2 und 4.2.2.3). Das erforderte auch die Stabilisierung meiner persönlichen Kontakte zu den Neurowissenschaften und den (seltenen) Zugang zu neurowissenschaftlichen klinischen Studien, auf die ich mich besonders vorbereiten musste (Kapitel 4.2.2.1).
4.1 Die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und der Feldzugang Der Feldzugang zur Neuro-Welt wurde mir über einen persönlichen Kontakt ermöglicht. Ein Neurowissenschaftler informierte mich im Jahr 2008 darüber, dass ein internationales Forschungsnetzwerk zur Erforschung von BCI mit Heilversuchen an ALS-PatientInnen und SchlaganfallpatientInnen entstehe, worin er involviert sein würde und in dessen Rahmen ich Interviews zum Thema »Die Rolle der Ethik in neurowissenschaftliche Innovationen« führen dürfe. Das Projekt wurde mit einer Förderdauer von fünf Jahren und einer Fördersumme von zehn Millionen Euro durch einen bekannten internationalen Geldgeber für Forschung gefördert. Zu Projektbeginn waren über 30 renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen internationalen Städten und deren neurologische Universitätskliniken, weltweit agierende Institute für Biokybernetik, Naturwissenschaftliche und Medizinische Institute, sowie verschiedene IndustriepartnerInnen beteiligt. Durch das Projekt wurden
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zusätzlich neue Professuren und DoktorandInnen- und PostdoktorandInnenstellen geschaffen. Neben den AkteurInnen im internationalen Projekt waren auch zahlreiche AkteurInnen aus den Neurowissenschaften und -technologien durch wissenschaftlichen Austausch, Besuche und Kooperationen in die Entwicklungen im Bereich der BMI involviert. Diese Personen bzw. die durch diese getätigten Handlungen wurden dann in die Beobachtungen bzw. Auswertungen einbezogen, sofern sie bei den Versuchssettings oder Besprechungen zugegen waren und zugleich relevant für meine Studie waren. Dies war bspw. dann der Fall, wenn sie eine Adjustierung der Maschine vornahmen. Daher spreche ich nicht von einem festen Netzwerk, sondern von einer heterogenen Akteurskonstellation in der Neuro-Welt. Das internationale Projekt war in drei Bereiche aufgeteilt: in 1.) Grundlagenforschung, 2.) Technikentwicklung und -optimierung sowie 3.) deren medizinische Anwendung und ihre ethischen Implikationen, die wiederum in Teilprojekte mit unterschiedlichen Standorten gegliedert waren. Ich fokussierte mich auf die Teilprojekte im Bereich 3, die sich aufgrund ihrer hervorragenden Akteurskonstellation besonders zur Untersuchung von Mensch und Maschine im Rahmen der Dynamiken in der Entwicklung neurotechnologischer Innovationen eigneten. Dadurch war auch die Nähe zum Forschungsgegenstand gewährleistet (vgl. Flick, Kardorff & Steinke 2005b). Zum einen wurden hier die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften analysierbar, die direkte Anpassungen von Mensch und Maschine vornahmen. Die Mensch-Maschine-Anpassungen waren im neurowissenschaftlichen Labor und der Klinik teilnehmend beobachtbar, Orten, an denen die Mensch-Maschine-Symbiose in einem status nascendi ist, einem Zustand des Entstehens, bei dem die Anpassungsprozesse, Dynamiken und Schwierigkeiten deutlich werden können und Reaktionen auf diese Beziehung für zukünftige Heilversuche am Menschen in den Neurowissenschaften noch möglich sind. Dadurch ergibt sich die (gesellschaftliche) Chance, den Prozess dieser symbiotischen Beziehung informiert zu diskutieren und ggf. in diesen Prozess einzugreifen. Auch die Intention der kooperierenden AkteurInnen bietet einen hervorragenden Forschungsrahmen zur Mensch-Maschine-Anpassung in den Neurowissenschaften: Die Entwicklung neuer Technologien durch (non)invasive Verfahren und Neurostimulation, um neurologische Erkrankungen zu heilen bzw. zu rehabilitieren, ist das Ziel der AkteurInnen im 3. Bereich. Dies ist besonders günstig, um die Mensch-Maschine-Anpassung anhand derjenigen Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften zu untersuchen, die direkt in die Steuerungszentrale – das Gehirn – des Menschen eindringen und so den Menschen auf eine bestimmte Art ändern. Wie der Mensch durch die Neurowissenschaften verändert wird, wie Mensch und Maschine gegenseitig aneinander angepasst werden, wird im Rahmen dieser Arbeit beantwortet.
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
Was den ganz konkreten Feldzugang angeht, so haben mir zwei Neurowissenschaftler Zugang zu ihren Laboratorien gewährt. Bei einem dieser Wissenschaftler habe ich eine mehrmonatige (videogestützte) teilnehmende Beobachtung durchführen können. In dem Labor wurden nur SchlaganfallpatientInnen trainiert. In meinen Ausführungen zur Mensch-Maschine-Anpassung beziehe ich mich vor allem im Kapitel 6 ausschließlich auf diese beobachteten SchlaganfallpatientInnen und auf die Untersuchungen, die während der Beobachtungszeiträume durchgeführt wurden. Da das Labor später in eine Klinik verlegt wurde, waren die Beobachtungsorte das Labor, die Klinik sowie OP-Säle (s.u.), die durch ihre heterogenen Zugänge auf die Mensch-Maschine-Anpassung besonders für meine Forschung geeignet waren und den Untersuchungsgegenstand aus verschiedenen Dimensionen zugänglich machten. Das bereicherte nicht nur mein Datenmaterial sondern auch mein Blick auf die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften insgesamt. In dem Labor dieses ersten Neurowissenschaftlers habe ich die MenschMaschine-Anpassung in folgenden Situationen und Settings teilnehmend und teilweise videogestützt beobachtet (nähere Ausführungen hierzu vgl. Kapitel 6.1): Erstens habe ich Versuche im Labor teilnehmend beobachtet, in deren Rahmen entweder ein nicht-invasives BCI-System eingesetzt wurde, welches an einen Bewegungsroboter gekoppelt war. Diese Beobachtung bezieht sich auf ein Neurofeedback-Training mit dem Rehabilitationsroboter (zur Beschreibung der Versuchsanordnung vgl. Kapitel 6.1.1), wobei zur Beobachtung auch die vorbereitenden Maßnahmen wie Verkabelungen und Screening gehören. Darüber hinaus wurde beobachtet, dass bzw. wie BMI-Systeme genutzt wurden, die mit einer neuronaler Stimulation kombiniert wurden. Zweitens habe ich Versuche in einer Klinik in die Untersuchung einbezogen, in denen ein invasives BCI-System, gekoppelt an einen Bewegungsroboter, zum Einsatz kam. Genauso habe ich Versuche im Labor mit der TMS evaluiert. Evaluiert habe ich auch eine Robotervorrichtung zum Bewegungstraining und zwar das Rehabilitationsexoskelett in Kombination mit Physiotherapie (vgl. Kapitel 6.1.2). Dieses Training wurde absolviert, um die Gesamtwirkung verschiedener Verfahren zur Wiederherstellung neuronaler Funktionen von SchlaganfallpatientInnen zu erhöhen. Das Training am Rehabilitationsexoskelett habe ich jedoch in dieser Arbeit nicht fokussiert, da das BCI während des Bewegungstrainings nicht von Belang war. Mein Fokus gilt vielmehr den Mensch-Maschine-Anpassungsprozessen, die auch Gehirnprozesse involvieren, was maßgeblich für diese Arbeit ist. Denn durch den Zugriff auf Gehirnprozesse über Technik und neurowissenschaftliche Verfahren ist ein technisch-mechanischer Zugriff in die Steuerungszentrale der menschlichen Natur gegeben, die die Natur des Menschen und vor allem seine Handlungsfähigkeit betreffen. Letzteres ist soziologisch besonders relevant, woraus sich der Fokus auf die Versuchsdurchführung des Neurofeedback-Trainings mit den Rehabilitationsroboter ergibt. Besonders günstig war in diesem Zusammenhang
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die Möglichkeit, dass ich direkte Eingriffe ins Gehirn des Menschen während Operationen (teilnehmend) beobachten durfte. Dadurch konnte ich neurochirurgische Eingriffe im Operationssaal in meine Untersuchung einbeziehen. Hier zeigte sich eine besondere Dimension der Mensch-Maschine-Anpassung: die invasive-technische Anpassung über neuronale Implantate und die Steuerung des BMI mittels ECoG. Während ich die Arbeit des ersten Neurowissenschaftlers also sehr intensiv in meine Untersuchung einbezog, war ich nur zwei Mal im Labor des anderen Neurowissenschaftlers und habe dort auch ausschließlich informelle Gespräche geführt. Der Besuch diente mir vor allem als Fallkontrastierung.
4.2 Der Prozess der Datenerhebung, -aufbereitung und -auswertung 4.2.1 Die Wahl der Grounded Theory als methodologischer Rahmen Dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Erkenntnisinteresse bin ich mittels einer qualitativ angelegten Studie nachgegangen. Die Wahl der qualitativen Erhebungsmethode machte deshalb Sinn, da sie »den Anspruch [hat, MŞ], Lebenswelten ›von innen heraus‹ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen« (Flick, Kardorff & Steinke 2005a: 14). Diese Forschungsweise zeichnet sich durch Offenheit aus, genauso wie durch die »Nähe« zum Forschungsfeld bzw. -gegenstand. Aus diesem Grund eignen sich qualitative Forschungsmethoden für mein konkretes Forschungsinteresse, d.h. für das Aufspüren von soziotechnischen Konstellationen innerhalb neurowissenschaftlicher Projekte, sowie deren neurotechnologischer Innovationen. Als ganz besonders geeignet scheint mir die Grounded Theory (GT, vgl. zu dieser Methode Strauss & Corbin 1996 [1990]), denn, wie Kehrbaum (2009) zurecht betont, ist diese Methode besonders sinnvoll, wenn es um eine »innovationsfokussierte Theoriebildung« (ebd.: 58) geht. In meiner Arbeit geht es u.a. genau darum, da die Mensch-Maschine-Anpassungsprozesse in den Neurowissenschaften auf neurowissenschaftliche und -technologische Innovationen gerichtet sind. Im Rahmen dieser Arbeit verwende ich deshalb die GT als Forschungsmethode. »Eine ›Grounded‹ Theory ist eine gegenstandsverankerte Theorie, die induktiv aus der Untersuchung des Phänomens abgeleitet wird, welches sie abbildet. Sie wird durch systematisches Erheben und Analysieren von Daten, die sich auf das untersuchte Phänomen beziehen, entdeckt, ausgearbeitet und vorläufig bestätigt. (…) Am Anfang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht vielmehr
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozeß herausstellen.« (Strauss & Corbin 1996 [1990]: 7f.)
Als ergänzende Methode habe ich die Ethnographie (Breidenstein, Hirschauer & Kalthoff 2013) gewählt. Dabei knüpfe ich an ethnographische Ansätze zu Arbeit (Garfinkel 2005 [1986]) sowie zu Wissenschaft und Technik und insbesondere an die Laboratory Studies (Knorr Cetina 1995; vgl. auch Latour & Woolgar 1979) an. Im Rahmen meiner ethnographisch ausgerichteten Forschung habe ich u.a. Feldtagebücher geführt, Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle angefertigt sowie Videoaufzeichnungen erstellt. Bei Letzterem habe ich mich an die Methode der fokussierten Ethnographie1 nach Knoblauch (2001; sowie Knoblauch & Schnettler 2009) angelehnt. Um die gegenseitige Anpassungsleistung von Mensch und Maschine detaillierter zu beschreiben, wende ich dabei die Videographie2 (Tuma, Schnettler & Knoblauch 2013) an.
1 | Die fokussierte Ethnographie hat ihren Schwerpunkt auf einem besonderen Ausschnitt der jeweiligen Kultur, und im Zuge der Bedeutung der Wissenschaftssoziologie werden bestimmte Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeiten innerhalb bestimmter epistemischer Kulturen fokussiert (vgl. Knoblauch 2001: 125f.). In der fokussierten Ethnographie handelt es sich um kurzfristige Feldaufenthalte, die daten-, analyse- und zeitintensiv sind. Da man nur wenige Tage (z.B. in einem Labor) beobachtet, wird die Erhebung meistens aufgezeichnet, wobei Video- und Audioaufzeichnungen die häufigsten Methoden sind. Diese Aufzeichnung führt zu einer Intensität der Daten. Für die Dateninterpretation sind deshalb erläuternde Protokolle unabdingbar. Knoblauch macht darüber hinaus auf die Bedeutung der intersubjektiven Beobachtbarkeit der Daten aufmerksam, die ihre Analysierbarkeit in Forschendengruppen ermöglicht. Der Einbezug einer Forschendengruppe ist vorteilhaft, um intersubjektiv nachvollziehbare Interpretationen zuzulassen. Daten wie Interviewaufzeichnungen, Gesprächsprotokolle und Beobachtungsnotizen müssen allerdings transkribiert vorliegen, damit eine solche fundierte Analyse möglich wird (Knoblauch 2001: 129ff.). Feldbeobachtungen und Interviews gehören zur konzentrierten Ethnographie, wobei der bzw. die Forschende eine praktische Vertrautheit mit dem Untersuchungsgegenstand erwirbt. Dies äußert sich in einer gewissen Handlungskompetenz innerhalb des untersuchten Feldes, indem der/die Forschende sich immer besser (z.B. mit den zu bedienenden Geräten) auskennt. Das Aufzeichnen ermöglicht Raum für die Konzentration auf das Hintergrundwissen (vgl. Knoblauch 2001: 132f.). Zur Kritik an kurzfristigen Beobachtungen im Rahmen der fokussierten Ethnographie vgl. Breidenstein & Hirschauer (2002). 2 | Videoaufzeichnungen waren für diese Arbeit von großer Bedeutung, da ein einheitliches Bild über die Forschungspraxis, die sehr viele Geräte beinhaltet, nur so möglich war. Analog zur Videographie betrachte ich menschliche Körperbewegungen als soziale Phänomene (vgl. Tuma, Schnettler & Knoblauch 2013: 22).
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Die fokussierte Ethnographie hat ihren Schwerpunkt auf einem besonderen Ausschnitt der jeweiligen Kultur. Bezogen auf die Wissenschaftssoziologie bedeutet dies, dass bestimmte Aspekte wissenschaftlicher Tätigkeiten innerhalb bestimmter epistemischer Kulturen fokussiert werden (vgl. Knoblauch 2001: 125f.). Die dabei relevanten Interaktionszusammenhänge können, wie bereits angesprochen, mittels einer Videoanalyse untersucht werden. Die Rekonstruktion von Regeln und Praktiken sowie die »Erfassung der ›Körperlichkeit‹ des Interaktionsgeschehens« (Knoblauch & Schnettler 2009: 276) werden durch Videoanalysen in größerem Maße als durch Feldnotizen erleichtert. Denn durch das Aufzeichnen visueller Daten werden gehaltvolle, komplette und detaillierte Aufnahmen sozialer Prozesse – aber auch sozio-technischer Konstellationen – möglich, die durch Beobachtungsnotizen weniger gegeben sind. Um die Mensch-Maschine-Anpassungsprozesse im neurowissenschaftlichen Labor festzuhalten, habe ich deshalb visuelle Aufzeichnungen erstellt. Diese Aufzeichnungen ermöglichten es mir, auf der Mikroebene Adjustierungen von Mensch und Maschine detaillierter zu erfassen und analysierbar zu machen. Bei dieser videogestützten Analyse habe ich zudem auf Verfahren der Technographie (Rammert & Schubert 2006a) zurückgegriffen, weil sie den Zugang zu »Interaktionen unter Menschen und Interaktivitäten mit Objekten (…), Muster[n] hybrider Mikro-Ordnungen, die sich in Konflikt und Koalition mit anderen zu machtvollen Makro-Konstellationen entwickeln können« (Rammert & Schubert 2006b: 14), erleichtern. Da die Anpassung von Mensch und Maschine in den Neurowissenschaften auf den Körper bezogen ist und die Verflechtung von Mensch und Technik von mir auch invasiv durch neuronale Implantate im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs beobachtet wurde, war die methodische Erweiterung ethnographischer Ansätze zur Materialität der Körper und Körperkonstitutionen aus praxeologischer Sicht wichtig. Daher habe ich mich auch mit mikrosoziologischen Ansätzen bzgl. »Praktiken und ihrer Körper« beschäftigt (Hirschauer 2004), insbesondere mit der Konstitution von Körpern durch chirurgische Eingriffe (»The Manufacture of Bodies in Surgery«) (Hirschauer 1991). Die Ergebnisse der ethnographischen Ansätze fließen in den iterativen Prozess der Forschungsstrategie und -methode der GT und entsprechend in die Ergebnisse ein. Dabei habe ich alle Verfahren der GT berücksichtigt.
4.2.2 Die Datenerhebung Die Erhebung der Daten wurde im Herbst 2008 begonnen und endete im Mai 2011. Diesem Erhebungszeitraum ging eine ca. zehnmonatige Literaturrecherche voraus. Nach dem Erhebungszeitraum führte ich noch einige informelle Telefonate mit Patienten, zuletzt im Februar 2015. Auch habe ich im Jahr 2014 erneut
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
Kontakt zu einem Neurowissenschaftler aufgenommen, um mich über technische Details bzgl. BCI/BMI zu informieren. 4.2.2.1 Die Vorbereitung auf die Datenerhebung3
Im Folgenden werde ich auf die Vorbereitung der Datenerhebung eingehen. Dabei werde ich zunächst die Vorbereitung auf die Interviews skizzieren, danach werde ich die Vorbereitung auf die teilnehmenden Beobachtungen beschreiben. Die Vorbereitung der Interviews
In der explorativen Phase meiner Forschung habe ich mich vor allem mit Fachbüchern und -artikel zu BCI/BMI beschäftigt und in medizinischen und neurowissenschaftlichen Lexika recherchiert. Daten wie Hirnkartierungen, Filme zu DBS, Internetauftritte von neurowissenschaftlichen Forschungsprojekten und vieles mehr wurden zunächst zur Orientierung im Feld gesammelt und analysiert. Es folgten explorative Interviews mit vier Neurowissenschaftlern (siehe hierzu Kapitel 4.2.2.2). Diese Interviews dienten mir vor allem dazu, meine Anfangshypothesen (vgl. Kapitel 4.2.3.2) zu überprüfen und neue Hypothesen zu generieren. Die Interviewanfragen wurden, sofern bereits Kontakt bestand, zuvor mündlich, beim Großteil der Fälle jedoch schriftlich per E‑Mail versandt. Die potenziellen InterviewpartnerInnen wurden mündlich und/oder schriftlich darüber informiert, dass sie zu den Themenbereichen »Mensch-Maschine-Verhältnisse« bzw. »Interaktionen und Dynamiken in Innovations- bzw. Technikgeneseprozessen« sowie zu deren ethischen Implikationen befragt würden. Ihnen wurde zugesichert, dass Gesprächsinhalte vertraulich behandelt und in anonymisierter Form weiter verarbeitet würden. Nachdem ich die InterviewpartnerInnen gewonnen hatte, galt es, sich zu entscheiden, wie ich die Interviews gestalten wollte. Dabei waren sowohl das Forschungsanliegen selbst als auch die Bedingungen des Erhebungsprozesses zu berücksichtigen. Als Erhebungsinstrument wurden letztlich halb-standardisierte Leitfaden-Interviews mit offenen Fragen zu allen für mein Erkenntnisinteresse relevanten Themenbereichen gewählt. Diese Methode bot mir weitgehende Freiheiten in der Gestaltung der Frageformulierungen, der Frageabfolge, der eventuellen Streichung von Fragen oder der sich neu ergebenden (Nach-)Fragen. Da es in diesem Verfahren keine Antwortvorgaben gibt, räumt es den Befragten freie 3 | Detailliertere Begründungen finden sich auch im Kapitel 4.2.3.2, wodurch u.U. Redundanzen entstehen können. Die Redundanzen ergeben sich deshalb, da Begründungen zur Datenerhebung und -aufbereitung sich u.a. durch den Forschungsprozess (Kapitel 4.2.3.2) ergeben.
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Artikulationsmöglichkeiten ihrer Ansichten und Erfahrungen ein (vgl. Flick, Kardorff & Steinke 2005b: 177). Dies ermöglicht einen Blick auf Hintergründe und Angelegenheiten rund um den Untersuchungsbereich, die für die Befragten von Bedeutung sind. Im Laufe des Forschungsprozesses wurden die Leitfäden aufgrund in den vorherigen Interviews neu gewonnener Erkenntnisse immer wieder angepasst. Die Interviewfragen fielen daher im Einzelfall teilweise unterschiedlich aus. Alle Leitfäden befinden sich im Anhang dieser Arbeit. Die Interviews (deutsch- und englischsprachig) folgten dabei jedoch immer dem gleichen Ablauf: Vor den Interviews habe ich alle InterviewteilnehmerInnen darüber informiert, dass das Gespräch aufgezeichnet würde, dass Gesprächsinhalte anonymisiert würden, dass die Arbeit später in Form der publizierten Dissertation eingesehen werden könne, dass das Gespräch ca. eine Stunde dauern werde, welche Themenbereiche wir besprechen würden, dass das ein qualitatives, offenes Interview werde und dass die interviewte Person in jedem Fall die Möglichkeit habe, mir seine/ihre Sicht der Dinge darzulegen. Vor der Aufnahme hatten die InterviewpartnerInnen noch Gelegenheit, Rückfragen zu stellen. Die Aufnahme begann, als sich die TeilnehmerInnen mit dem Verfahren einverstanden erklärten. Die Vorbereitung der (videogestützten) teilnehmenden Beobachtung/Laborstudie
Die Erhebungsphase erfolgten im Zeitraum von 2008 – 2011, indem ich hauptsächlich in einem neurowissenschaftlichen Labor (und in einem weiteren zur Fallkontrastierung) im Rahmen monatelanger ethnographischer Labor- und Krankenhausaufenthalte (videogestützte) teilnehmende Beobachtungen und Interviews durchführte. In diesem Zeitraum habe ich zuvor, um mich an die teilnehmende Beobachtung vorzubereiten, an zwei Besprechungen (Ende 2008 und im Frühjahr 2009) von Neurologen und Neurochirurgen in einem Krankenhaus zur Eignungsfeststellung von PatientInnen für Tiefenhirnstimulations-Operationen teilgenommen. Dies spielte insofern eine Rolle für meine Studie, als ich dadurch einen ersten Kontakt zu anderen Neurochirurgen aufnehmen konnte und eine erste Nähe zum Forschungsgegenstand bekam, wodurch auch weiterhin Vertrauen zu einem Neurowissenschaftler aufgebaut werden konnte, der mir Zugang zu seinen Wirkstätten ermöglichte. Die Beobachtung einer Tiefenhirnstimulations-Operation eines Parkinsonpatienten (Heilbehandlung) diente mir in der explorativen Phase als Einstieg in die Praktiken der Neurowissenschaftler. Dadurch konnte ich mich auch in die Situation und Verhaltensregeln im Operationssaal vorbereiten. Als Vorbereitung zum Feldaufenthalt im Labor habe ich mich als soziologische Ethnographin zunächst allgemein zu Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen informiert und zunächst gezielte Recherchen zu BCI/BMI durchgeführt. Um die Bedeutung von Neurowissenschaften und -technologien
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
für schwerstkranke PatientInnen zu erfassen und mich somit auf den Laboraufenthalt vorzubereiten, habe ich in der explorativen Forschungsphase zwei Befragungen mit ALS-Patientinnen geführt. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht bekannt, dass ich die ALS-Patientinnen nicht mehr im Labor antreffen würde. Diese Befragungen dienten mir jedoch später zur Fallkontrastierung. Nach den explorativen Interviews habe ich mich zu Gesprächen mit zwei Teamleitern des Labors, in dem ich meine hauptsächlichen Beobachtungen durchführen wollte und später auch durchgeführt habe, getroffen. Um mich zusätzlich auf die teilnehmende Beobachtung im Labor vorzubereiten bzw. die Mensch-Maschine-Anpassung am eigenen Leib zu erfahren, habe ich im Jahr 2010 mehrere Selbstversuche mit BCI-Systemen in Kombination mit Neurostimulation (tDCS und TMS)4 durchgeführt. Dadurch konnte ich die notwendige Empathie gegenüber den PatientInnen entwickeln und ein Gefühl für die sach- und handlungstechnische Herstellung der Mensch-Maschine-Anpassung sowie für die impliziten Vorgänge, die mit BCI-Systemen und mit neuronalen Stimulationen einhergehen, gewinnen. Ich habe zwei BCI-Anwendungen durchgeführt. Die erste Anwendung war die, die auch die von mir beobachteten Schlaganfallpatienten durchgeführt haben: das Neurofeedback-Training über die Steuerung der externen Hardware, also den Rehabilitationsroboter. Die zweite Anwendung war ein Ping-Pong-Spiel – also das Neurofeedback-Training über eine Softwaresteuerung am Bildschirm. Durch die eigene Teilnahme an verschiedenen neurowissenschaftlichen Studien und somit durch das eigene Ausprobieren, konnte ich die nötige Nähe zum Forschungsgegenstand erzielen. Dadurch war die in der qualitativen sozialwissenschaftlichen Forschung so oft geforderte »Gegenstandsangemessenheit« (Steinke 2005: 326) als Gütekriterium qualitativer Forschung mehr als gegeben. Denn in allen Verfahren habe ich mich selbst in einen Prozess der Mensch-Maschine-Anpassung begeben und konnte im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erleben, was es heißt, eine symbiotische Beziehung mit der Maschine einzugehen. Zudem dienten mir die verschiedenen BCI-Anwendungen zur Kontrastierung der Verfahren (Steuerung externer Geräte versus Steuerung eines Softwareprogramms). Um die Selbstversuche mit BCI-Systemen in Kombination mit TMS durchführen zu können, habe ich mich im Jahr 2010 zunächst in ein MRT-Zentrum begeben und Hirn-Scans erstellen lassen. In diesem Rahmen habe ich nicht nur Einblicke in die »Vorderbühne« des abgeschirmten MRT-Untersuchungsraums bekommen, in dem ich in die MRT-Röhre befördert wurde, sondern ich durfte auch in den Kontrollraum sowie in den gesonderten, der Öffentlichkeit nicht zu-
4 | Beim tDCS bekam ich Stromstöße über eine quadratische Elektrodenflläche, die ca.
3x2 cm groß war auf meinen Kopf auf die Position meines motorischen Areals. Beim TMS wurde mein motorisches Areal über eine Magnetspule stimuliert.
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gänglichen, Serverraum Einblick nehmen – eine wirklich beachtlich technisierte »Hinterbühne« (zur Vorderbühne-Hinterbühne-Metapher vgl. Goffman 2014). Auch habe ich als Studienteilnehmerin an mehreren Experimenten mit BCI zur Erforschung von Lernfähigkeit partizipiert – aus Gefälligkeit zu den Wissenschaftlichen Mitarbeitern und Hilfskräften, die mich in ihrer Neuro-Welt aufgenommen hatten und zu denen ich ein kollegiales Verhältnis aufgebaut hatte, und zudem auch aus Eigeninteresse an der neurowissenschaftlicher Forschung. Nach den langwierigen Vorbereitungen differenzierte sich die Datenerhebung selber methodisch, wie bereits angesprochen wurde, in die teilnehmenden Beobachtungen und in Interviews. Zunächst habe ich die explorativen Interviews geführt. In der Haupterhebungsphase habe ich dann die teilnehmenden Beobachtungen durchgeführt. Auch führte ich in dieser Zeitspanne Interviews mit Labormitarbeitern. Und auch nach der Beobachtungsphase habe ich Interviews mit Labormitarbeitern aber auch mit Schlaganfallpatienten geführt. Im Folgenden werde ich separat auf die Erhebungsmethoden Interview und teilnehmende Beobachtung eingehen. 4.2.2.2 Die Interviews
Zunächst wurden explorative Interviews mit Interviewpartnern aus allen drei oben genannten Bereichen durchgeführt. Auf der Grundlage der Ergebnisse der explorativen Interviews legte ich mich dann auf die Fragestellung nach der Mensch-Maschine-Anpassung fest, die sowohl die Rahmenbedingungen der Anpassung – also durchaus noch die Rolle der Ethik bei neurowissenschaftlichen Innovationen – als auch den genauen Anpassungsprozess mit all ihren Dynamiken erfassen sollte. Die Festlegung erfolgte nach den Kriterien der Grounded Theory (vgl. Kapitel 4.2) im Forschungsprozess. In der explorativen Erhebungsphase habe ich vier Neurowissenschaftler und zwei ALS-Patientinnen befragt. Die Neurowissenschaftler wurden mit einer durchschnittlichen Interviewdauer von ca. 55 Minuten interviewt. Zwei der von mir in der explorativen Phase befragten Neurowissenschaftler habe ich auch im Labor und in Teambesprechungen angetroffen. Alle Interviewpartner zeichneten sich durch ihre Expertise in besonderem Maße als für meine Forschung geeignet aus. Alle hatten langjährige Erfahrungen in neurowissenschaftlichen klinischen Studien, worum es um Mensch-Maschine-, insbesondere Gehirn-Computer-Anpassungen ging. Da ALS-PatientInnen eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der BCI innehaben (auch nach Aussagen eines Neurowissenschaftlers, vgl. auch Kapitel 5), habe ich folgende schwerstkranke ALS-Patientinnen in der explorativen Phase befragt (auf die Problematik der Befragung von ALS-Patientinnen gehe ich im Kapitel 4.2.3.1 ein), wobei die Interviews in der häuslichen Umgebung der Patientinnen
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erfolgte. Diese Patientinnen waren für meine Forschung insbesondere deshalb relevant, weil sie auf die Kommunikation mittels Technologie angewiesen sind. Die Mensch-Maschine-Anpassung ist demnach für diese Patientinnen elementar und bestimmt ihren Alltag. • Holunder041-ALS. Die ALS-Patientin kommunizierte über ein Eye-TrackingSystem5 mit mir. Das Eye-Tracking-System ist ein Verfahren zur Blickerfassung, wobei die Patientin sich mit ihrem Rollstuhl vor ihrem Eye-TrackingMonitor fahren musste. Am Bildschirm war eine digitale Tastatur abgebildet auf der sie Buchstaben mit ihrem Blick auswählte. Sehr langsam »schrieb« sie dann Buchstabe für Buchstabe, um zu kommunizieren. Das Interview wurde im Beisein von Frau WiMi042-MedPsy durchgeführt, die mir den Kontakt über einen Neurowissenschaftler vermittelte. • Magenta040-ALS. Die Patientin kommunizierte über einen Computer, der in ihrem Rollstuhl integriert war. Sie hatte nur noch geringe Muskelkontraktionen in ihrer rechten Handinnenfläche, über die sie ihre Computermaus steuerte. Zwei Wochen vor dem Interview habe ich sie mit zwei Dipl.-Psychologen besucht, um sie kennenzulernen. Durch eine der beiden Dipl.-Psychologen hatte ich Kontakt zur Patientin bekommen. Während meiner Anwesenheit bei meinem ersten Besuch führten die zwei Dipl.-Psychologen quantitative Interviews mit der Patientin durch. Die Patientin wurde zuvor mit einem BCI ausgestattet, damit eine Psychologin ihre quantitative Erhebung dazu machen konnte. An dem Tag habe ich zum ersten Mal gesehen, wie ein BCI in Wirklichkeit aussieht. Im Anschluss an die explorative Phase erfolgten eine weitere Hypothesengenerierungen und das »theoretische Sampling« (Strauss & Corbin 1996 [1990]: 148), auf welches ich im Kapitel 4.2.3.2 noch näher eingehen werde. Anschließend fand von Anfang 2010 bis zum Frühsommer 2011 die Haupterhebungsphase statt. Während dieser Phase habe ich insgesamt 19 weitere Interviews mit einer durchschnittlichen Interviewdauer6 von 70 Minuten und viele ethnographische Interviews und informelle Gespräche mit folgenden Personengruppen geführt: Neuroethiker, Neurochirurgen, PsychologInnen, Physiker, Bioinformatiker, 5 | Das Eye-Tracking-System ist ein Verfahren zur Blickerfassung und kann zu Kom-
munikationszwecken genutzt werden, was bei Holunder041-ALS der Fall war. Dabei saß sie vor einem Monitor und blickte auf eine digitale Tastatur und »wählte« Buchstaben mit ihrem Blick aus. Es langsam »schrieb« sie dann Buchstabe für Buchstabe, um zu kommunizieren. 6 | Davon das kürzeste mit einem Schlaganfallpatienten mit einer Dauer von 37 Minuten (Telefoninterview) und das längste mit einem Arzt und Neurowissenschaftler mit einer Dauer von 95 Minuten.
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Neurologen, PhysiotherapeutInnen, ÄrztInnen, SchlaganfallpatientInnen (auch implantierte Patienten) und ihren Angehörigen. Alle Interviewpartner zeichneten sich durch ihre Expertise im Bereich der Neurowissenschaften oder der Neuroethik aus. Die PhysiotherapeutInnen zeichneten sich durch ihre Expertise im Bereich Schlaganfall und ihre Mitarbeit im Labor aus. In der Haupterhebungsphase wurden zudem Interviews mit SchlaganfallpatientInnen geführt: • Herr Rosa050. Er ist Forschungssubjekt im Labor, wurde implantiert. Das Interview wurde 2010 in der Klinik nach der ECoG-Implantation durchgeführt. • Herr Gelb043. Er ist Forschungssubjekt im Labor, wurde nicht implantiert. Das Interview wurde 2011 nach Abschluss der Studie als Telefoninterview durchgeführt. • Frau Weiss046. Sie ist Forschungssubjekt im Labor, wurde implantiert. Das Interview wurde 2011 nach Abschluss der Studie als Telefoninterview durchgeführt. Nach der Studie habe ich noch zwei informelle Telefonate mit der Patientin geführt, zuletzt im Februar 2015. • Herr Blau051. Er ist Forschungssubjekt im Labor, wurde nicht implantiert. Das Interview wurde 2011 nach der 1. Studienphase7, in der häuslichen Umgebung des Patienten geführt. Die SchlaganfallpatientInnen, die interviewt wurden, waren zugleich in die Mensch-Maschine-Anpassungsprozesse im Labor involviert und von ihnen betroffen. Daher waren diese InterviewpartnerInnen ebenfalls wichtig für meine Studie. 4.2.2.3 Die (videogestützten) teilnehmenden Beobachtungen
Die Mensch-Maschine-Anpassung im Labor beobachten zu dürfen, war für mein Forschungsanliegen deshalb so wichtig, da nur so die genauen Prozesse, Probleme und Lösungsstrategien erfassbar waren. Aus diesem Grund habe ich vom Frühjahr 2010 bis zum Dezember 2010, also während der Haupterhebungsphase 7 | Insgesamt durchläuft jede/r PatientIn zwei Studienphasen mit ca. 3 Monaten Pause
zwischen den zwei Phasen. Eine Phase dauert ca. 6 Wochen. In der zweiten Phase sollen, falls keine gesundheitlichen Risiken gegeben sind und der/die PatientIn sich für eine Implantation eignet, die PatientInnen implantiert werden und das Neurofeedback-Training mittels ECoG durchgeführt werden. Wenn der/die PatientIn für die OP ungeeignet ist, nimmt er/sie trotzdem an den Versuchen teil (nicht-invasives BMI).
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
für meine Laborstudie, habe ich die teilnehmenden Beobachtungen in neurowissenschaftlichen Laboratorien und Krankenhäusern sowie in OP-Sälen durchgeführt. Dies war meine intensivste ethnographische Forschungsphase, denn in den ersten Monaten des Jahres 2011 bin ich nur noch sporadisch ins neurowissenschaftliche Labor gegangen, um informiert zu bleiben, restliche Interviews zu vereinbaren und um mich schließlich auf meine Auswertungen zu konzentrieren. Ich habe zunächst Operationen beobachtet. In der Klinik wurden in dieser Haupterhebungsphase drei Schlaganfallpatienten operiert (Heilversuch). Ich habe zwei von diesen drei Operationen von Anfang bis zum Ende beobachten können, wobei dies mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer im OP-Saal von acht Stunden verbunden war. Während dieser Operationen wurden Elektrodenreihen (4x4 Elektroden, ECoG-Implantationen) mit der Dura des Gehirns vernäht, womit die PatientInnen später das invasive Neurofeedback-Training absolvierten. Diese Operationen hatten experimentellen Charakter. Im neurowissenschaftlichen Labor und später auch in der Klinik (zum genauen Verlauf der Studie vgl. Kapitel 6) habe ich folgende unterschiedliche Situationen/ Settings mit unterschiedlichen SchlaganfallpatientInnen und überwiegend Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Hilfskräften beobachtet. 1. BCI-Systems in Kombination mit dem Robotersystem, 2. Interaktionen der Forschungssubjekte mit dem Trainingsroboter, 3. Interaktionen am TMS Die genauen Versuchsanordnungen und Beobachtungssituationen werden im Empiriekapitel (insbesondere Kapitel 6) dargestellt. Außerdem habe ich Selbstexperimente mit Vorkehrungen zur Mensch-Maschine-Verschaltung, BCI und Stimulation durch tDCS und TMS durchgeführt und einige davon aufzeichnen lassen (insbesondere das BCI in Kombination mit TMS). Alle Settings wurden auf Video aufgezeichnet, wobei ich selbst die ersten drei Settings aufgezeichnet habe. Meine Selbstexperimente hat meine Schwester per Video festgehalten, da ich selbst durch meinen Selbstversuch nicht dazu in der Lage war. Bei allen beobachteten Settings handelt es sich um »natürliche soziale« und »experimentelle Situationen« (Knoblauch & Schnettler 2009: 279). Insgesamt habe ich auf diese Weise ein sehr umfangreiches Videomaterial gewonnen, wodurch es mir gelang, Mikroprozesse der Mensch-Maschine-Anpassung detailliert festzuhalten. Es wurden über 100 Kurzvideos gedreht, welche insgesamt eine Länge von 13 Stunden ergeben. Davon kamen 57 Videos für die Auswertung in die engere Wahl, wovon 26 aus Selbstversuchen resultierten. Außerdem wurden über 100 Fotos gemacht.
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Die Einwilligung der Beobachteten zur Video- bzw. Bildaufzeichnung ist durch mündliche Absprachen erfolgt. Standbilder wurden in dieser Arbeit nur verwendet, wenn dies die Analyse zwingend notwendig machte. 4.2.2.4 Herausforderungen im Erhebungsprozess
Eine große Herausforderung stellten die Interviews mit und die teilnehmenden Beobachtungen von PatientInnen dar. Stellen Sie sich vor, Sie haben zehn Fragen vorbereitet, die Sie einer ALS-Patientin stellen möchten, und bei Ankunft in ihrer häuslichen Umgebung stellen Sie fest, dass das Ausmaß ihrer Erkrankung so weit fortgeschritten ist, dass diese Patientin die Fragen unter keinen Umständen in absehbarer Zeit beantworten kann. So war meine erste Erfahrung mit Frau Magenta040-ALS. Sie saß in einem Rollstuhl, hinter dem ein Beatmungsgerät befestigt war, welches laute, störende Pumpgeräusche von sich gab. Die Patientin hatte zudem ein Tracheostoma.8 Damit sie nicht an ihrem Speichel erstickte, wurde es regelmäßig durch das Pflegepersonal9 geöffnet. Zuvor zog sich der Pfleger Schutzhandschuhe an (zwischenzeitlich röchelte die Patientin lauter) und packte ein Plastikröhrchen aus, welches er an der Röhre des Absauggeräts befestigte. Das Plastikröhrchen führte er dann durch das geöffnete Tracheostoma in den Hals der ALS-Patientin, wodurch der Speichel abgesaugt wurde. Dieser Prozess wurde während meiner Anwesenheit ständig wiederholt, z.T. im 40 Minuten-Rhythmus. Allein die gegenseitige Vorstellung dauerte so eine Stunde. Buchstabe für Buchstabe musste die Interviewte mittels geringster, mit dem bloßen Auge nicht sichtbarer Muskelkontraktionen über eine Maus die Begrüßung »Guten Tag« eintippen, die dann bei Bestätigung durch eine maschinelle Stimme wiedergegeben wurde: »GUH-TN TACK«. Ihre einzige sichtbare Handlungsfähigkeit war ihr Blinzeln mit den Augen. Für mich als Forscherin war diese Situation nicht nur aufgrund des zeit- und kraftraubenden Kommunikationsprozesses problematisch. Denn durch die stark verlangsamte Kommunikation geriet ich während der Interviews mit den ALSPatientinnen in Versuchung, in eine vereinfachte und kindliche Sprache zu verfallen, die weder meinem Forschungsanliegen noch der Rolle der Interviewten als Expertinnen ihrer Krankheit gerecht wurde. Allerdings gelang es mir, mich schnell zu sammeln, indem ich mir ins Bewusstsein rief, dass die jeweilige Interviewpartnerin nichts an ihrer Intelligenz eingebüßt hat, dass sie »nur« eine Ge8 | Eine künstliche Atemöffnung, bei der ein Luftröhrenschnitt durchgeführt wird. Die
Atemwege werden dann über eine Kanüle in der Luftröhre frei und, wie in diesem Fall, an ein externes Beatmungsgerät angeschlossen. 9 | Frau Magenta040-ALS war so eingeschränkt, dass sie eine 24-Stunden-Betreuung benötigte. An jedem Tag kamen also mehrere Pflegekräfte und lösten sich ab, um die Rundumbetreuung zu gewährleisten. Ich habe zwei Pfleger kennengelernt.
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fangene ihres Körpers ist. Eine der Interviewten hatte einmal sieben (!) Sprachen flüssig gesprochen. Wichtig war auch, dass ich von dem festen Willen der ALSPatientinnen zur Teilnahme an meiner Forschung ausgehen konnte. Sie waren stark motiviert, an dem Interview teilzunehmen, nicht nur, weil sie sich über jeden Besuch freuten. Der für beide Beteiligten mühsame Erhebungsprozess verdeutlichte aber auch, dass meine Wahl einer durch einen Leitfaden vorstrukturierten Interviewform zwar aufgrund der Offenheit aus inhaltlichen Gesichtspunkten sinnvoll, jedoch für Patientinnen, die so mühselig computergestützt kommunizieren, unpraktisch war. Die Dipl.-PsychologInnen, mit denen ich an einem anderen Besuchstag bei der o.g. Patientin Magenta040-ALS gewesen war, hatten eine quantitative Befragung mit der Patientin durchgeführt. An dem Tag meines Interviews, als ich allein bei ihr war, wurde mir bereits beim ersten »Wortwechsel« deutlich, warum quantitative Befragungen von ALS-PatientInnen Sinn machen. Denn aufgrund von unvorhersehbaren technischen Störungen dauerte allein unsere Begrüßungsprozedur über eine Stunde. Eine quantitative Befragung dieser speziellen Stichprobe der ALS-Erkrankten sähe so aus: Als ForscherIn muss man die Fragen einfach vorlesen und die Antwortmöglichkeiten so oft wiederholen, bis die Patientin/ der Patient durch ihr/sein Blinzeln signalisiert, welche Antwort sie/er ankreuzen würde. Allerdings ist eine solche quantitative Befragung in ihren Fragen bzw. Antwortmöglichkeiten stark beschränkt, und man stellt sich nicht auf die befragte Person ein, was m.E. gerade bei schwerstkranken PatientInnen sinnvoll wäre. Das quantitative Vorgehen und die Umstände machen zudem auch sehr deutlich, wie simplifizierend diese Vorgehensweise ist, die auf eine solch hochbedeutende Frage10 wie »Wollen Sie weiter leben?« »passende« Antworten so leicht vorzugeben scheint. Auch darin liegt die ethische Brisanz von Heilversuchen an diesen PatientInnen, die nach dem letzten Strohhalm der Hoffnung greifen.11 Schlagan10 | Ich beziehe mich hier auf einen Interviewpartner, der ausgesagt hat, dass die BCI-
Technologie es den PatientInnen ermögliche bzw. aufzwinge, »Ja-/Nein-Antworten« auf solche brisanten Fragen geben zu können/müssen. Mir ist nicht bekannt, ob solch eine Frage in einem Fragebogen, der an ALS-PatientInnen adressiert ist, wirklich vorkommt. Ich war, wie geschildert, nur an einer quantitativen Befragung einer ALS-Patientin anwesend, wobei Fragen zu u.a. dem allgemeinen Befinden, der Religiosität, der Sinnsuche und nach Sozialkontakten gestellt wurden. Ein Urteil zur Fragebogenkonstruktion kann ich mir deshalb nicht bilden. 11 | Mit Frau Holunder041-ALS war die Kommunikation etwas einfacher als mit Frau Magenta040-ALS, da ihr Gesundheitszustand besser war. Ich habe nach meinem Besuch bei Frau Magenta040-ALS die Befragung von ALS-PatientInnen aufgrund der erschwerten Interview- und Beobachtungssituation abgebrochen und habe mich danach nur auf SchlaganfallpatientInnen fokussiert. Wie bzw. durch welche Versuche genau im Rahmen
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fallpatientInnen geht es da nicht anders: Trotz der anstrengenden Trainingstage mit dem BCI/BMI, unterschiedlichen Untersuchungen und ihrer Teilnahme an differenten Versuchen, trotz des schweren neurochirurgischen Eingriffs, dessen direkter Nutzen für den Patienten bzw. die Patientin kaum sichtbar ist, und obwohl die Versuche den SchlaganfallpatientInnen »nichts gebracht haben«, wie die PatientInnen selbst es in den Interviews äußerten, machen sie weiterhin mit. Umso mehr wundert es mich, wenn NeurowissenschaftlerInnen selbst schreiben: »Die Komplexität des Gehirns verbietet [sic!] es, mit Heilsversprechungen für die nahe Zukunft aufzuwarten.« (Uludağ 2015: 54).
4.2.3 Die Aufbereitung und Auswertung der Daten 4.2.3.1 Die Aufbereitung der Daten und textuelle Darstellung
Was die Aufbereitung des erhobenen Videomaterials angeht, so habe ich, um die Mensch-Maschine-Anpassungsprozesse im neurowissenschaftlichen Labor festzuhalten, eine engere Auswahl an Fotos und Videoaufzeichnungen nochmal eingegrenzt und anschließend jene Sequenzen selektiert, die die Mensch-MaschineAnpassung am besten dokumentieren. Es wurden jedoch nur solche Bilddaten ausgewählt und dem weiteren Analyseprozess zugrunde gelegt, die zwingend für die Illustration der Mensch-Maschine-Anpassung in dieser Arbeit notwendig waren. Die Aufbereitung und Auswertung der Bilddaten erfolgte integrativ im Forschungsprozess (siehe Kapitel 4.2.3.2). Die Anonymisierung der befragten AkteurInnen erfolgte durch Kürzel. In jedem Kürzel ist die Position enthalten, gefolgt von einer dreistelligen Zahl, gefolgt von der Profession (z.B. für einen Professor, der Arzt und zugleich auch Neurochirurg ist: Prof000-DrMed; für eine Wissenschaftliche Mitarbeiterin und zugleich Ärztin: WiMi000-DrMed, für einen ausgebildeten Bioinformatiker: WiMi000-BioIuT; für Wissenschaftliche Hilfskräfte: HiWi; für PhysiotherapeutInnen: Physio; für MitarbeiterInnen aus der medizinischen Psychologie: MedPsy; für Philosophieprofessoren: GW). Um einzelne Personen zu schützen, wird an einigen Stellen in der Empirie die Identifizierung nach Nummern durch die Zahl 999 oder 888 ersetzt, sodass bspw. eine allgemeinere Anonymisierung mittels Kürzel wie Prof888-DrMed oder WiMi999-DrMed erfolgt. Die Anonymisierung der PatientInnen erfolgte nach einer beliebig gewählten Farbe, bspw. Schwarz049. Meine Feldbeobachtungen und Gesprächsnotizen und -protokolle sowie meine täglichen Reflexionen im Anschluss an meine Labor- oder Krankenhausaufentdes internationalen Verbundprojekts ALS-PatientInnen involviert waren, ist mir nicht bekannt. Im Labor waren nur SchlaganfallpatientInnen zugegen und die Versuchsanordnung bezog sich nur auf diese.
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halte habe ich in insgesamt drei Feldtagebüchern12 festgehalten. 31 Tage Laboraufenthalt, die ich in meinen Forschungstagebüchern festgehalten habe, liegen in digitalisierter Form vor und wurden in die Analyse nach den Vorgaben der GT (siehe Kapitel 4.2.3.2) einbezogen. Die Aufbereitung der Interviews und der Protokolle erforderte zunächst die Transkription. Bis auf zwei Interviews (diejenigen, die keine weitere Erkenntnis brachten) wurden alle Interviews und digitalisierten Protokolle nach einfachen Trankriptionsregeln transkribiert/digitalisiert. Für ihre textuelle Darstellung gelten folgende Regeln: • Außersprachliche Ereignisse in Interviews werden in doppelten Klammern dargestellt ›(())‹. • Wortpausen in direkten Zitaten oder den digitalisierten Protokollen werden ihrer Länge nach durch zwei oder drei Punkte gekennzeichnet, wobei zwei Punkte ›.‹ eine ca. 2 sekündige Sprechpause und drei Punkte ›…‹ eine 3-4 sekündige Sprechpause signalisieren. • Drei Punkte in Klammern ›(…)‹ bedeuten eine oder mehrere Wortauslassungen. Unterbrechungen durch andere durch wird durch folgende Zeichen ›//‹ gekennzeichnet. • Wörter oder Wortteile in Großbuchstaben kennzeichnen eklatantes Lauterwerden durch die Interviewperson. • Sinngemäße Wiedergaben und Zitate werden durch »(sinngemäß)« gekennzeichnet. • Wörtliche Abschriften befinden sich in Anführungszeichen. In den Gesprächs- und Beobachtungsprotokollen habe ich mich bemüht, mitzuschreiben und direkt zu zitieren. Die eckigen Klammern […] in den Gesprächsund Beobachtungsprotokollen kennzeichnen die nicht-willentliche Auslassung von Passagen, die dadurch entstanden sind, dass ich nicht alles mitschreiben konnte. In den Protokollen wird zudem, sofern kein eindeutiges Zitat durch Anführungsstriche gekennzeichnet ist, die wörtliche Widergabe sinngemäß widergegeben. Alle Widergaben in Anführungszeichen sind Zitate, die ich entweder während oder kurz nach den Beobachtungen schriftlich festgehalten habe. Die digitalisierten Protokolle wurden darüber hinaus mit dem Datum und einem internen Schlüsselungsverfahren mit Absatzangabe gekennzeichnet. Manche Beschreibungen habe ich als Gedächtnisprotokoll direkt in das vorliegende digitale 1 2 | Die Feldtagebücher haben das Format A5 und sind durchschnittlich ca. 250 Seiten lang. Sie beinhalten wichtige Notizen und Beobachtungen sowie Zeichnungen und Raum- und Situationsskizzen, die ich im Neurolabor angefertigt habe. Auch habe ich darin Hypothesen, Forschungsideen und Impressionen aus den STS-Konferenzen und Workshops speziell zu Neurowissenschaften festgehalten.
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Dokument eingepflegt. Sie sind entsprechend gekennzeichnet. In dieser Fassung wird aus Gründen der Anonymisierung die Primärdokumentennummer als Zitationsangabe verwendet (z.B. P17: Abs. 032ff.) Was die in dieser Arbeit enthaltenden Fotos aus Videosequenzen betrifft, so werden sie z.B. wie folgt zitiert » «, wobei bspw. ein ›Video-Frame P103‹ für einen Bildausschnitt aus dem Video mit der Primärdokumentennummer 103 aus ATLAS.ti13 steht und ›[00:45:483]‹ die zeitliche Position des Standbilds im Video kennzeichnet. Zitatstellen aus Videosequenzen werden wie folgt zitiert » . Die Zitatangabe sieht demnach beispielhaft wie folgt aus: ›Video P71:8 04_MenschMaschineAnp.wmv, [0:12:34.80-0:16:31]‹. Fotos werden bspw. wie folgt angegeben: »Foto P15 und/oder Fotoname« für ein ganzes Foto, das benutzt und ggf. in Teilen ausgeschwärzt wurde, oder »FotoFrame P152« für einen Ausschnitt aus einem Foto mit der Primärdokumentennummer 152 in ATLAS.ti. Was diese Arbeit an sich angeht, so stammen alle in diesem Werk dargestellten Abbildungen, wenn nicht anders angegeben, aus eigener Quelle und unterstehen dem Urheberrecht. Für die Literaturverwaltung habe ich Citavi als Literaturdatenbank verwendet. Wie angeführt, habe ich ATLAS.ti als Auswertungssoftware verwendet, mit der ich meine Daten nach der GT kodiert und analysiert habe. Für die Transkription wurde das Programm »f4« verwendet. Gesprächsinhalte in Videos bzw. Videoframes wurden in ATLAS.ti nur dann transkribiert, wenn Gesprächsinhalte wichtig für den Forschungsgegenstand waren. 4.2.3.2 Der Auswertungsprozess
Im Folgenden beschreibe ich, wie ich die GT auf das untersuchte Feld angewendet habe, und lege den Forschungsprozess entsprechend der Evaluationskriterien der GT offen, wie es Strauss und Corbin (1990; 1996) vorschlagen (vgl. auch Strübing 2008: 89ff.). Dabei wird der Auswertungsprozess hervorgehoben. Die Prozesse von Datenerhebung, -analyse und Theoriebildung verlaufen dabei zeitlich parallel und sind funktional voneinander abhängig, wobei sie nicht als vollständig abschließbar aufgefasst werden (vgl. Strübing 2008: 13ff.). Aus Eigeninteresse und auf Basis einer ersten Recherche zu aktuellen Enhancement-Konzepten und -Diskussionen, insbesondere Neurowissenschaften und 13 | ATLAS.ti ist die Auswertungssoftware, mit der ich meine Daten nach der GT kodiert und analysiert habe (vgl. Friese 2014).
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
-technologien betreffend, wurde die aktuelle Enhancement-Debatte soziologisch reflektiert. Dies ergab sich durch die Brisanz der Thematik, die in der breiten Öffentlichkeit Diskussionsraum fand, so auch z.B. im Nationalen Ethikrat (2006). In dieser Orientierungsphase ließen sich Induktionen, Abduktionen und Hypothesen bilden. Die Anfangsthese (H1) lautete: »Der technologische Fortschritt und die wachsende Innovationstendenz im Bereich der Biotechnik, im Speziellen in den Neurowissenschaften und -technologien, haben das Verständnis von Krankheitstherapie und ›Verbesserung‹ des Menschen verändert.« In die Formulierung der Anfangsthesen flossen sozialwissenschaftlich innovationstheoretische Ansätze ein. Die ursächliche Neuausrichtung meines Erkenntnisinteresses ergab sich vor allem durch die Literaturrecherche zum Thema Enhancement (vgl. Lenk 2002) und dem Stand der Forschung zu neuronalen Implantaten. Es gab bereits aktuelle Arbeiten zu diesem Thema. In diesem Zusammenhang ist Verdacht auf Enhancement durch Neurotechnologien und deren zukünftige Entwicklungen der eher utopischer Natur (vgl. u.a. Fiedeler 2008) – abgesehen davon auch schwer nachzuweisen. Auch Gespräche und Emailverkehr mit hochkarätigen Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der Neurowissenschaften und Neurotechnik bestätigten mir, dass die sozialwissenschaftliche Untersuchung von neurotechnologischem Enhancement insbesondere in Deutschland aussichtslos ist. Denn im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo es um »Converging Technologies« Initiativen und um »engineering of the human mind« geht, geht es in der EU eher um »engineering for the human mind« (Quelle: Email eines Neurowissenschaftlers). Gerade Deutschland würde sich mit der Förderung von Neurotechnologien schwer tun. Die ethischen Maßstäbe würden in Deutschland anders bzw. höher angesetzt. Daher erwies sich H1 als nicht haltbar (allerdings war das Arzt-Patienten-Verhältnis im Kontext neuer neurowissenschaftlicher Verfahren und Technik aus soziologischer Perspektive immer noch interessant). Dieser Umstand gab Anlass, Recherchen zur Rolle der Ethik in den Neurowissenschaften und der Ethik im Innovationsprozess zu führen. Es gab eine hohe Anzahl an philosophischer Literatur zur Neuroethik und neuroethischen Konzepten; die Rolle der Ethik im Innovationsprozess stellt allerdings immer noch ein Desiderat dar. Persönliche Kontakte wurden in der Zwischenzeit so weit stabilisiert, dass Befragungen zu BCI-Systemen möglich wurden. Daher rücken die Handlungsstrategien und Dynamiken im Innovationsprozess um invasive und nicht-invasive BCI-Systeme mitsamt den ethischen Implikationen in den Fokus und das Arzt/ Ärztin-PatientInnen-Verhältnis gerät in den Hintergrund. Diese Vorgehensweise ist insofern vorteilhaft, als sie einen Einblick in die vielseitigen Wechselwirkungen und Relevanzen im neurotechnologischen Innovationsgeschehen und dadurch immer noch die nötige Offenheit gegenüber dem Forschungsfeld gewährt. Die relevanten Handlungsstrategien sind transdisziplinär und betreffen ethi-
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sche, ökonomische, politische, praktische und soziale Einflüsse. Dadurch werden, ohne NeurowissenschaftlerInnen, EntwicklerInnen oder ÄrztInnen nebst PatientInnen zu verdächtigen, Enhancement zu betreiben, wichtige transdisziplinäre Erkenntnisse für die Wissenschafts- und Technikforschung gewonnen. Die Untersuchung integriert das Arzt/Ärztin-PatientInnen-Verhältnis, ohne es jedoch explizit zum Hauptuntersuchungsgegenstand zu machen. Es hat sich bereits nach den ersten Interviews herausgestellt, dass Ethik im Innovationsprozess selbst zu einer verteilten Handlungstechnik werden kann, die nicht nur Technikentwicklungen behindern, sondern auch fördern kann. Die Arbeitshypothese veränderte sich also im Forschungsprozess zur folgenden These (H2): »Ethik (formale, personelle) nimmt eine zentrale Stellung im neurowissenschaftlichen und -technologischen Innovationsprozess ein. Sie selbst wird zur verteilten Technik im PatientInnenversorgungs-Komplex, die Neurotechnologien sowohl behindern als auch fördern kann.« Zudem war nach den ersten Interviews durch Aussagen der Interviewpartner klar, dass die Verbindung von Biologie und Technologie bei der Entwicklung von BCI-Systemen eine maßgebliche Rolle spielt. Daher wurde im Laufe der explorativen Interviews ein weiteres Set an Hypothesen aufgestellt (H3): »Die Symbiose von Biologie und Technologie spielt bei der Entwicklung von BCI-Systemen eine maßgebliche Rolle. Dabei ist die Entwicklung der BCI von der zu behandelnden Erkrankung abhängig. Je nach Erkrankung muss die Symbiose anders hergestellt werden. Der Entwicklungsprozesses stellt einen sozio-bio-technologischen Synchronisationsprozess dar.« H3 ging mit der Entwicklung der Konzepte14 »Symbiose Biologie/Technologie«, »Entwicklung einer Sozio-Bio-Technologie« sowie »Interdependenzen von neurotechnologischen Innovationen und einer ›besonderen PatientInnengruppe‹« Hand in Hand, die sich teilweise in Ausführungen im empirischen Teil als »Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess« wiederfinden. Die Konzepte, die im Rahmen von H3 (weiter)entwickelt wurden, wurden zu Kategorien klassifiziert. In diesem Zusammenhang wurde das theoretische Sampling mit dem Kriterium der »theoretischen Sättigung« (Strübing 2014: 30) verknüpft (insbesondere flossen Theorien in den Forschungsprozess ein). Dabei kommt es darauf an, dass die Daten, die systematisch zur Prüfung eines bestimmten theoretischen Konzepts erhoben werden, das theoretische Konzept bestätigen und keine weiteren Eigenschaften der Konzepte mehr erbringen. Die Sampling-Strategie kann, nachdem die theoretische Sättigung erreicht wurde, von einer Strategie des minimalen Vergleichs durch eine Strategie des maximalen Vergleichs ersetzt werden. In diesem Fall werden nur Daten zu Falldomänen untersucht, die abweichende Ausprägungen des Phänomens aufzeigen. Dadurch kann man bereits erarbeitete Variationen und unbekannte Konzepte entwickeln 14 | Nach der GT, vgl. hierzu Strauss & Corbin (1996 [1990], Kapitel 5).
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
sowie Indikatoren für die Kontextbedingungen erarbeiten, unter denen gewisse Phänomene eintreffen (vgl. Strübing 2008: 31). Beide Analyseebenen brachten falldomänenspezifische Informationen bzgl. der variablen Anpassungsleistungen von Mensch und Maschine durch verschiedene Krankheitsbilder (ALS und Schlaganfall). Der Besuch in einem zweiten Labor diente mir zur Fallkontrastierung. Die aus den Analyseebenen gewonnenen Daten wurden zusammengetragen und zur Hypothesenüberprüfung kodiert sowie systematisch analysiert. Das Kodieren ist ein systematischer Entwicklungsprozess von Konzepten mit Einbezug und Beachtung des empirischen Materials. Das ständige Vergleichen als Analysemodus mündet in einen dreistufigen Kodierprozess (Prozess der Datenanalyse): offenes15, axiales16 und selektives Kodieren (vgl. Strübing 2008: 19f.). Die durch das offene Kodieren »aufgebrochenen« (Strauss & Corbin 1996 [1990]: 39) Daten, werden durch den Prozess des axialen Kodierens auf neue Art zusammengestellt. Es werden Verbindungen zwischen den Kategorien und ihren Subkategorien ermittelt. Die Subkategorien werden mit Hilfe des paradigmatischen Modells zu der jeweils zugehörigen Kategorie in Beziehung gesetzt: Abbildung 1: Das paradigmatische Modell A) URSÄCHLICHE BEDINGUNGEN (B) PHÄNOMEN (C) KONTEXT (D) INTERVENIERENDE BEDINGUNGEN (E) HANDLUNGS- und INTERAKTIONALE STRATEGIEN (F) KONSEQUENZEN
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Strauss & Corbin 1996 [1990]: 78.
Durch die Verwendung dieses Modells wird das systematische Nachdenken über Daten und ihre komplexe In-Bezug-Setzung ermöglicht. A kennzeichnet die ur15 | Das offene Kodieren beinhaltet einen Prozess des Aufbrechens, Untersuchens, Vergleichens. Für den Kodierprozess ist die »Analysemethode der ständigen Vergleiche« wichtig. Beim offenen Kodieren wird das Datenmaterial konzeptualisiert und kategorisiert. Konzepte werden Ereignissen oder anderen beispielhaften Phänomenen zugeordnet. Konzepte werden unter einem Konzept höherer Ordnung zusammen gruppiert, was die Kategorie bildet. Zur Kategorisierung gehören die jeweiligen Charakteristika oder Attribute (Eigenschaften) und deren dimensionale Ausprägungen. Der Prozess des Aufbrechens einer Eigenschaft in ihre Dimensionen wird als Dimensionalisieren bezeichnet (vgl. Strauss & Corbin 1996 [1990]: 45-95; vgl. auch Strübing 2008: 21). 16 | Das axiale Kodieren ist ein Prozess induktiven und deduktiven Denkens. Hier werden Kategorien entwickelt und in Bezug gesetzt. Durch dieses Kodierverfahren werden eine Reihe vager Hypothesen entwickelt und innerhalb der Analyse weiter überprüft. Aus diesen vagen Hypothesen wird sich dann eines als günstig erweisen und zu einer Schlüssel- bzw. Kernkategorie entwickelt (vgl. Strauss & Corbin 1996 [1990]: 79ff.).
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sächlichen Bedingungen also »Ereignisse oder Vorfälle, die zum Auftreten oder zu der Entwicklung eines Phänomens führen« (ebd.: 79, z.B. ein Beinbruch führt zum Schmerz). »Ein Kontext stellt den spezifischen Satz von Eigenschaften dar, die zu einem Phänomen gehören: d.h. die Anordnung von Ereignissen oder Vorfällen, die zu einem Phänomen gehören in einem dimensionalen Bereich. Gleichzeitig stellt Kontext auch den besonderen Satz von Bedingungen dar, innerhalb dessen die Handlungs- und Interaktionsstrategien stattfinden, um ein spezifisches Phänomen zu bewältigen, damit umzugehen, es auszuführen und darauf zu reagieren.« (Ebd.: 80f.)
Auf Handlungsstrategien und interaktionale Strategien wirken Bedingungen ein. Diese Bedingungen werden intervenierende Bedingungen bezeichnet. Sie beinhalten Zeit, Raum, Kultur, sozialökonomischen Status, technologischen Status, Werdegang, Historie und individuelle Biographie. Beim selektiven Kodieren gilt es vorerst, einen roten Faden der historischen Entwicklung (Geschichte) aufzudecken. Im Wesentlichen geht es um das Ausfindigmachen essentieller Botschaften bzw. hervortretender Phänomene durch die Untersuchung. Es geht vor allen Dingen darum, eine einheitliche Analyseperspektive zu schaffen. Die »Geschichte« ist eine beschreibende Darstellung über das zentrale Phänomen der Untersuchung. Wird diese Geschichte um die Kernkategorie konzeptualisiert, erhält man den roten Faden der Geschichte bzw. die »story line«. Das selektive Kodieren stellt den Prozess »des Auswählens der Kernkategorie, des systematischen In-Beziehung-Setzens der Kernkategorie mit anderen Kategorien, der Validierung dieser Beziehung und des Auffüllens von Kategorien, die einer weiteren Verfeinerung und Entwicklung bedürfen« (ebd.: 94), dar. Das zentrale Phänomen, worin die Kategorien eingegliedert sind, wird als Kernkategorie bezeichnet (vgl. Strauss & Corbin 1996 [1990]: 45-95; vgl. auch Strübing 2008: 21f.). Im Forschungsprozess hat sich die Mensch-Maschine-Symbiose als Kernkategorie, also als Phänomen, das aus dem Prozess17 heraussticht, 17 | Prozess in der GT meint das Miteinander-Verknüpftsein von Handlungs- und
Interaktionssequenzen und ist ein wichtiger Bestandteil jeder Analyse zum Bewältigen und Kontrollieren eines Phänomens oder zum darauf reagieren. Jeder Prozess hat Sequenzen, die über Ereignisse festgestellt werden können. Dazu dienen Ereignisse als wichtige Kriterien (analog dem Kodierparadigma): Wandel von Bedingungen, die Handlungen/Interaktionen über die Zeit beeinflussen; Handlung/Interaktion als Antwort auf diese Veränderung; Konsequenzen, die sich aus den Handlungs-/Interaktionsreaktionen ergeben sowie die Beschreibung, wie diese Folgen Teil der Voraussetzung für die nächste Handlungs- und Interaktionssequenz werden. Wandel kann die Konsequenz einer geplanten Handlung/Interaktion sein oder das Resultat einer Kontingenz, wobei
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
ergeben. Denn die Handlungen aller AkteurInnen drehten sich darum, die »perfekte« Adjustierung von Mensch und Maschine, von Gehirn und Computer herzustellen, mit dem Ziel der Wiederherstellung motorischer Funktionen von SchlaganfallpatientInnen. Den Prozess der Mensch-Maschine-Symbiose bezeichne ich als »sozio-bio-technischen Anpassungsprozess«, der verschiedene Dimensionen hat (diese sind im Empirieteil näher beschrieben). Meine Recherchen ergaben, dass die mikrosoziologische Beschäftigung mit der Anpassung von Mensch und Maschine ein Desiderat darstellt. Dies zeigten die theoretischen Bezüge auf Körper, Körpertechniken usw. (vgl. Kapitel 3.4 in dieser Arbeit). Die theoretische Sättigung wurde erreicht, als die Kategorie »Mensch-Maschine-Symbiose« über wichtige Konzepte zur bio-technischen Gestalt und neuronaler Expressivität und schließlich über Konzepte der Zirkularität als Eigenschaft des kybernetischen Prinzips die Anpassung von Gehirn und Computer analysierbar machte. Dies gab auch Anlass, sich mit Haraways Cyborg-Theorie zu befassen. In diesem Prozess habe ich folgende Hypothese entwickelt (H4): »Als Ergebnis des Anpassungsprozesses von Mensch und Maschine bildet sich das »techno-zerebrales Subjekt« (in Anlehnung an das »homo cerebralis« von Hagner 1995; bzw. an das »sujet cérébral« von Vidal 2005). Es stellt eine biotechnische Gestalt des Cyborgs dar, dessen Konstitution ich als Resultat der Praktiken und Techniken von Neurowissenschaften sehe.« Um die Mikro- und Makroebene miteinander zu verknüpfen und das Forschungshandeln in einem weiteren Kontext zu betrachten, habe ich vor allem die »Bedingungsmatrix«18 (ebd.: Kapitel 10) genutzt. Die Bedingungsmatrix ist ein Analysehilfsmittel, ein Diagramm, wodurch weitere Bereiche von Bedingungen und Konsequenzen in Bezug auf das untersuchte Phänomen berücksichtigt werden können. Neben der Mikroperspektive ist eine erweiterte Sichtweise auf die Praktiken und Techniken von NeurowissenschaftlerInnen notwendig. Darauf weist Latour (2006b: 103) hin: Sofern wir nicht fähig seien, unsere TeilnehmerInnen/BeobachterInnen-Studien so weit zu treiben, dass wir in der Lage seien, Fragen, die außerhalb des Laboratoriums entstehen, nachzugehen, würden wir riskieren, in als Kontingenz ein unerwartetes oder ungeplantes Ereignis bezeichnet wird, das zu Veränderungen in den Bedingungen führt (vgl. Strauss & Corbin 1996 [1990]: 118-131). 18 | Diese Matrix erleichterte mir, die Analyse und die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen von Bedingungen und Konsequenzen. Dies war auch Absicht der diese Matrix Entwickelnden: Die Bedingungsmatrix soll dem/der AnalytikerIn die theoretische Sensibilität für das gesamte Spektrum an Bedingungen und potentiellen Konsequenzen, die aus Handlung/Interaktion resultieren, vereinfachen. Es soll den/die ForscherIn dabei unterstützen, Bedingungen, Handlung/Interaktion und Konsequenzen methodisch durchdacht mit dem Phänomen in Beziehung zu setzen (vgl. Strauss & Corbin 1996 [1990]: 132-147).
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eine so genannte ›internalistische‹ Sicht der Wissenschaft zurückzufallen (vgl. ebd.). Um also auch Fragen zu beantworten, die außerhalb des Labors auftreten, ist die erste Analyseebene von großer Bedeutung. Eine Mikroperspektive würde nicht ausreichen, um zu verstehen, warum NeurowissenschaftlerInnen was wie tun und unter welchen Bedingungen sie handeln, forschen und Theorien und Techniken entwickeln, die dann Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Felder haben, insbesondere aber Auswirkungen auf die handelnden und kommunizierenden PatientInnen.19 Meiner Untersuchung, wie Ethik Neurotechnologien mitgestaltet, lag diese Bedingungsmatrix zugrunde. Dabei war es wichtig, zu verstehen, wie Ethik auf der Strukturebene Auswirkungen auf die Handlungsebene der NeurowissenschaftlerInnen hat, die Heilversuche an PatientInnen durchführen. Daher werden auch die PatientInnen in die Analyse einbezogen und es wird analysiert, wie sie mit Neurotechnologien (BCI, Neuroimplantate) behandelt werden. Ich habe bereits erwähnt, dass sich die PatientInnenversorgung durch eine verteilte Ethik zwischen verschiedenen epistemischen Kulturen auszeichnet. Nur wenn wir Ethik selbst als verteilte Technik verstehen, können wir erkennen, welche Dilemmata und Dynamiken sie im neurotechnologischen Prozess verursacht. Diese Einblicke können somit wichtige Erkenntnisse für die Technikfolgenabschätzung und insofern Aufschluss über wichtige bioethische Handlungsoptionen für eine »bessere« PatientInnenversorgung im Bereich der Neurotechnologien geben. Mit H4 ergab sich auch die Zuspitzung der Forschungsfrage und ihrer Unterfragen, die im Kapitel 1.1 nachzulesen sind. Forschungsgegenstand auf dem Gebiet neurotechnologischer Innovationen sind BCI-Systeme in Kombination mit anderen (nicht-)invasiven Verfahren, insbesondere die Mensch-Maschine-Anpassung. Letzteres stellte sich als Hauptphänomen im neurowissenschaftlichen Labor heraus, auf das alle Handlungen und Strategien ausgerichtet sind. Ich nenne die Mensch-Maschine-Anpassung jedoch in Anlehnung an Klaus (1962) Mensch-Maschine-Symbiose, um das Prinzip der Zirkularität der Kybernetik hervorzuheben. Die Haupt-Forschungsfrage bezieht sich schlussendlich auf Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften, die die Anpassungsleistung und -fähigkeit von Mensch und Maschine, respektive Gehirn und Computer, ermöglichen und bedingen. Techniken werden hierbei, wie bereits erörtert wurde, als Sachund Handlungstechniken begriffen. Aufgrund des Einsatzes verschiedener Techniken und Praktiken in den Neurowissenschaften in bestimmten Settings (Labor, Krankenhaus, OP-Saal) und bestimmten Handlungen und interaktionalen Strategien bildet sich schließ19 | Latour (2006b: 116) fordert übrigens genau dies: den Mikrokosmos mit dem Makrokosmos zu verbinden und die »innerhalb/außerhalb Dichotomie« aufzulösen. Auch Strauss gibt mit seinem Konzept der »Scientific Arenas« (Strauss 1993) nicht nur einen Hinweis, sondern bietet einen analytischen Zugang.
4. Das Forschungsdesign und der Forschungs- und Auswertungsprozess
lich das heraus, was ich als »techno-zerebrales Subjekt bezeichne« (in Anlehnung an den Begriff des »zerebralen Subjekts« von Vidal 2009a). Das techno-zerebrale Subjekt ist u.a. Ergebnis von neurokybernetisch determinierten Praktiken (Neuro-Regelungstechniken) der Neurowissenschaften, die von visuellen Repräsentationen, also den Beobachtungen 2. Ordnung, und technischen Interventionen dominiert werden. Die Thesen H2 und H3 wurden zudem anhand zweier Analyseebenen überprüft: Auf der ersten Ebene wurden die Strategien der AkteurInnen und damit auch die Chancen und Risiken von z.B. Brain-Computer-Interfaces untersucht, um u.a. neurowissenschaftliche und -technologische, ethische, sozio-ökonomische und sozio-politische Einflüsse auf den neurotechnologischen Innovationsprozess aufzuzeigen. Diese Analyse erfolgte durch Interviews mit NeurowissenschaftlerInnen, PhysiotherapeutInnen, ÄrztInnen, ChirurgInnen, ALS- und SchlaganfallpatientInnen. Im Laufe der Interviews wurde die Kategorie »Rolle der Ethik im neurowissenschaftlichen Innovationsprozess« gesättigt, insofern dass Ethik einen indirekten Einfluss auf den Innovationsprozess im Bereich der Neurowissenschaften hat und primär als Regulierungsinstanz bzgl. forschungsethischer Fragestellungen gilt (vgl. Kapitel 5). Um Einblicke in die genauen Abläufe zu bekommen und zu erfahren, ob Ethik in neurowissenschaftlichen Studien tatsächlich eine sekundäre Rolle spielt, war auch die zweite Analyseebene hilfreich. Auf dieser zweiten Analyseebene wurden das Mensch-Maschine-Verhältnis und die darin sozio-technisch verteilten Handlungen genauer beschrieben und erklärt (vgl. Kapitel 6). Dabei galt es, herauszufinden, wie sich die Mensch-Maschine-Handlung sozio-technisch zusammensetzt, wie die Anpassungsprozesse zwischen Mensch und Maschine hergestellt werden, wie Gedankensteuerung funktioniert und wer auftretende Schwierigkeiten bei der Mensch-Maschine- bzw. Gehirn-Computer-Anpassung wie zu lösen versucht bzw. löst. Das neurowissenschaftliche Labor bietet deshalb eine hervorragende Umwelt für diese Analyseebene, da hier Wissen und Erkenntnisse generiert werden, die später für die medizintechnische Anwendung und somit für einen Patienten bzw. eine Patientin, der/die z.B. an ALS oder an einer einseitigen Lähmung erkrankt ist, relevant werden können. Dort beginnt ein Pfad, der maßgeblich ist für die Entwicklung von Neurotechnologien. Da sich dieser Fokus nur anhand der Analyse heterogener Akteurskonstellationen sowie des Mensch-Maschine-Verhältnisses, also im Labor selbst, erfassen lässt, flossen Konzepte aus der medizinischen Anthropologie, den Laborstudien und der Science and Technology Studies in den Forschungsprozess ein. Die theoretischen Konzepte wurden zur Orientierung im Forschungsprozess, zur Analyse des Verhältnisses von Biologie und Technologie bei der Mensch-Maschine-Kopplung sowie für Vorschläge zur Ergänzung sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung auf dem Gebiet der Neurowissenschaften und Neurotechnologien verwendet.
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Ein Vorschlag zur Ergänzung sozialwissenschaftlicher Innovationsforschung, den ich auf der Grundlage meiner Studienergebnisse mache, betrifft die Rolle der Ethik bei Innovationen, insbesondere bei Innovationen zu neurowissenschaftlichen Verfahren und Technologien. Für H2 war die theoretische Sättigung relativ schnell erreicht und das weitere Sampling ergab keine neuen Erkenntnisse. Im Forschungshandeln der NeurowissenschaftlerInnen und in den Interaktionen in den Neuro-Laboratorien hat Ethik nur eine indirekte Rolle gespielt, ihre »Mikro-Dimension« wird durch Ethik-Kommissionen, die Heilversuche genehmigen müssen, verkörpert. 4.2.3.3 Herausforderungen im Auswertungsprozess
Insgesamt habe ich auf die oben dargelegte Art und Weise sehr viele Daten gesammelt. Die Heterogenität der Beobachtungssituationen und der beobachteten wie auch interviewten AkteurInnen stellte eine große Herausforderung bei der Interpretation der Befunde dar. Denn in einer einzigen Beobachtungssituation sind Interaktionen und Interaktivitäten auf verschiedenen Ebenen und seitens differenter AkteurInnen von Bedeutung. Beispielsweise kann in einer Situation die Visualisierung von Hirnwellen, die sich analog zur Synchronisation und Desynchronisation von Hirnaktivitäten auf und ab bewegen, relevant sein, genauso wie der Abgleich damit, ob sich tatsächlich analog zur Desynchronisation die Roboterorthese öffnet, in der die spastische Hand einer Schlaganfallpatientin eingespannt ist. Darüber hinaus gilt der Blick auch der EEG-Kappe, mit der die eigentlich unsichtbare »Gedankensteuerung« hergestellt werden soll, genauso wie Beobachtungen darüber angestellt werden müssen, ob sich ein Fuß analog zur Öffnung der Roboterorthese bewegt und ob dies die NeurowissenschaftlerInnen stört. Und auch Schwierigkeiten müssen betrachtet werden, bspw. kann es vorkommen, dass PatientInnen aus unterschiedlichen Gründen vom Stuhl fallen usw. Diese Auflistung der unterschiedlichen im Forschungsprozess zu berücksichtigenden Aspekte könnte ich beliebig fortsetzen und für die verschiedenen Beobachtungssituationen konkretisieren. Das Hauptproblem der Interpretation dieser Ereignisse liegt dabei darin, dass sie in Ereignisketten beschrieben und in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen, wenn man die Mensch-Maschine-Anpassung verständlich beschreiben will. Hilfreich waren dabei verschiedene Analysemittel, die sowohl Menschen als auch Technik als AkteurInnen begreifen und sozio-technische Konstellationen beschreibbar machen. Die Möglichkeit, Videoaufzeichnungen zu tätigen, schärfte dabei den analytischen Blick.
5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre epistemischen Objekte
In den experimentell klinischen Neurowissenschaften weisen langfristige Projekte mit mehreren ProjektpartnerInnen und mehreren Teilprojekten eine »typische« in 1.) Grundlagenforschung, 2.) Technikentwicklung und -optimierung sowie 3.) deren medizinische Anwendung und ihre ethischen Implikationen auf. In der Grundlagenforschung beschäftigen sich unterschiedliche AkteurInnen aus internationalen Projekt mit EEG-Signalen und mit denjenigen neuronalen Korrelationen, die in Verbindung mit BCI, Gehirn-Maschine-Interaktionen sowie neuronalen Netzwerken stehen. Das Ziel ist es, Grundsätze und neuronale Mechanismen von BCI zu verstehen. Dabei wird die Absicht verfolgt, neuronale Signale zu identifizieren, zu analysieren und zu interpretieren, sowie kommende Vernetzungszustände von Neuronen und Verhaltensabsichten vorauszusagen. Ein weiterer Fokus richtet sich auf die wechselseitige Anpassungsfähigkeit von Gehirn und Maschine beim Menschen. Im Bereich Technikentwicklung und -optimierung werden die Entwicklung neuer Aufzeichnungsverfahren und Stimulationstechnologien sowie die Systemintegration fokussiert, die Teile der BCI/BMI sind. In diesem Bereich werden Informationen zu Elektroden-Design, Oberflächenbedingungen, Zuverlässigkeit und Miniaturisierung gebündelt und mit der jeweiligen Software verbunden. Die Entwicklung der für die Simulation und Datenanalyse benötigten Softwaretools soll innerhalb der Teilprojekte, in denen ich Befragungen und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt habe, vorangetrieben werden. Diese Tools finden dann Verwendung in den oben genannten Bereichen 2 und 3. Wenn bspw. BioinformatikerInnen neue Softwarealgorithmen für das BCI entwickeln, werden diese direkt getestet. Neben der Entwicklung von Softwarekomponenten geht es auch um die Entwicklung von Hardwarekomponenten. Eine große Rolle kommt dabei der Entwicklung von (Multichannel-)Mikroelektroden zu sowie denjenigen Mikroelektroden, die in Verbindung mit dem MRT und der Softwareentwicklung und -modifikation für die Abbildung neuronaler Netzwerke sowie für die Verbesserung neuronaler Implantate stehen.
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Das techno-zerebrale Subjekt
In der medizinischen Anwendung steht die Verwertung von elektrischen und metabolischen neuronalen Signalen in den BCI im Mittelpunkt, die dazu dient, die motorischen Funktionen bei SchlaganfallpatientInnen und die Kommunikation bei ALS-PatientInnen wieder herzustellen oder zumindest zu verbessen. Weitere Zielsetzungen sind das Verhindern bzw. Zuvorkommen eines epileptischen Anfalls oder einer Migräne, die Validierung neuer Technologien und Anwendungen sowie die Verbesserung des Neurofeedback-Verfahrens (was im Kapitel 6 noch genauer beschrieben wird). In diesem Bereich sollen NeuroethikerInnen ethische Folgen neurotechnologischer Verfahren und Apparaturen untersuchen, um ihren Einfluss auf den Menschen und die Gesellschaft absehbar zu machen und um diese Erkenntnisse anschließend in die technologischen Entwicklungen einbringen zu können – zumindest ist dies von den Projektträgern gewünscht. In meinen Ausführungen beziehe ich mich hauptsächlich auf die Gebiete 1 und 3, also auf die Grundlagen- und Anwendungsforschung, da sie in den experimentalen Praktiken, die ich beobachtet habe, nicht getrennt werden (können). Die Modifikation von Softwareprogrammen (Bereich 2) habe ich allerdings auch beobachten können (jedoch keine »Technikentwicklung« im klassischen Sinne). Ich habe AkteurInnen aus allen drei Bereichen im Labor gesehen, jedoch niemanden aus dem Teilprojekt »Ethik«. Allerdings stellt Ethik einen wichtigen Bedingungsrahmen für neurowissenschaftliche Versuche dar, weshalb ich im Folgenden zunächst diejenigen ethischen Implikationen, die für die neurowissenschaftliche Medizinforschung relevant sind, vorstellen werde.
5.1 Die Bedeutung der Ethik für die Neuroarena Einige Aspekte der Bedingungen für die Mensch-Maschine-Symbiose1, deren Relevanz sich primär auf die Handlungsebene des Experimentierens bezieht, verweisen auch auf deren Relevanz auf der gesellschaftlichen Ebene. Denn (forschungs)politische und (sozial-)ethische Implikationen sind ebenfalls wichtige Voraussetzungen bei der Durchführung von Heilversuchen am Menschen in den Neurowissenschaften. Aus diesem Grund werde ich im Folgenden die Bedeutung der Ethik für die Arbeit von NeurowissenschaftlerInnen mit in meine Analyse einbeziehen. Meine Befunde verdeutlichen, dass Ethik auf zwei Ebenen für neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaften relevant und damit auch konstitutiv ist für 1 | Ich verwende den Begriff Mensch-Maschine-Symbiose dann, wenn der Mensch-
Maschine-Anpassung das Prinzip der Zirkularität zugrunde liegt. Liegt dieses Prinzip bei der Verbindung von Mensch und Maschine nicht vor, verwende ich den Begriff Mensch-Maschine-Anpassung.
5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre epistemischen Objekte
Heilversuche am Menschen2, speziell für die Mensch-Maschine-Symbiose. Zum einen ist sie auf der Handlungsebene relevant und zeigt sich in Form von (Richtlinien von) Ethikkommissionen und persönlichen Moralvorstellungen der NeurowissenschaftlerInnen. Zum anderen ist sie auf der Strukturebene relevant. Auf dieser Ebene zeigt sich Ethik, um mit Strauss (Kapitel 3.1) zu argumentieren, in wissenschaftlichen Arenen: in Begegnungsstätten (bioethischen Foren, Foren des Nationalen Ethikrats, Konferenzen usw.) und in persönlichen Gesprächen zwischen Neuro- und GeisteswissenschaftlerInnen. Das Begriffskonstrukt »Neuroarena« bzw. »(neuro)wissenschaftliche Arena« schließt also Ethik mit ein. Die von mir befragten WissenschaftlerInnen heben die Wirkmacht von Ethik vor allem für das Festschreiben rigide einzuhaltender Regularien für die Forschung am Menschen hervor. Im neurowissenschaftlichen Labor werden ihnen zufolge hingegen keine ethischen Implikationen ausgehandelt. Wo neurowissenschaftliche Entwicklungen im öffentlichen Raum ethisch breit diskutiert werden, wird Ethik höchstens zu Moralvorstellungen in den Köpfen der NeurowissenschaftlerInnen subsummiert. Im Folgenden stelle ich die unterschiedlichen Funktionen von Ethik vor, die meine InterviewpartnerInnen im Zusammenhang mit der BCI-Forschung erwähnen (diese Erwähnungen sind bis auf wenige eher abstrakt und beziehen 2 | Es gibt folgende Grundprinzipien und Regeln der Ethik der Forschung am Menschen: 1) die informierte Einwilligung (Nach dem Prinzip der Selbstbestimmung; die Aufklärung erfolgt in schriftlicher und mündlicher Form, die ProbandInnen sollten dabei über das Wesen und die Tragweite des Forschungsprojekts informiert werden.), 2) die Schaden-Nutzen-Abwägung (Vermeidung von schweren oder dauerhaften gesundheitlichen Schäden oder Tod), 3) eine gerechte ProbandInnenauswahl, 4) prozedurale Prinzipien (z.B. in der Forschungspraxis: Begutachtung durch Ethikkommissionen) und 5) forschungsethische Kodizes (vgl. Fuchs 2010: 64-82). Diese Grundprinzipien überschneiden sich mit der von Engels (2001) geforderten Verantwortungsethik, die die Konsequenzen wissenschaftlich-technischen Handelns, unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit mit den grundlegenden ethischen Grundsätzen des Respekts vor der Menschenwürde und anderen Prinzipien der biomedizinischen Ethik, berücksichtigt. »Diese sind die Prinzipien des Respekts vor Autonomie oder Selbstbestimmung des Patienten (»respect for autonomy«), der Nichtschädigung (»nonmaleficence«), des Wohltuns oder der Fürsorge (»beneficence«) und der Gerechtigkeit oder Fairness (»justice«).« (Engels 2001: 122) Die Anwendung des Verantwortungsprinzips ist jedoch mit einer wesentlichen Bedingung verknüpft: Es muss zumindest die »Möglichkeit einer Übernahme von Verantwortung« gegeben sein (Engels 2001: 122). Hier zeigen sich der Zusammenhang zur Technikfolgenabschätzung und deren Problematik in zeitlicher und sachlicher, aber auch in räumlicher Perspektive. Denn es wird beleuchtet, wer die Verantwortung übernimmt, wenn die Handlung oder das wissenschaftlich-technische Handeln und die daraus resultierenden Folgen voneinander entkoppelt werden.
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sich nicht direkt auf die Laborpraktiken) und die gleichsam wichtige Voraussetzungen für die Mensch-Maschine-Symbiose darstellen. Die Relevanz dieser Funktionen ergibt sich für neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaften aus mehreren Funktionen, die für sie gleichsam Instrumente darstellen: aus der Legitimations, Steuerungs- und Regulationsfunktion sowie der Reflexionsfunktion. Bei der Frage nach der Rolle der Ethik im medizintechnischen Innovationsprozess sagt der Philosophieprofessor Prof014-GW, dass zwischen verschiedenen Ebenen unterschieden werden müsse. Zunächst gäbe es eine »politisch-ethische Debatte in Deutschland und auch einzelne Leute, wie im Ethikrat, die dann ganz schön teilweise bestimmte Grenzen ziehen.« (Ebd.: Abs. 159) Als Beispiel führt er die Stammzellenforschung und deren historische Entwicklung auf. Denn in der Stammzellenforschung habe Ethik die konkrete Funktion der Regulation eingenommen. Auf der persönlichen Ebene würde Prof014-GW »einen Beitrag für eine Diskussionsgemeinschaft« leisten, indem er »versucht … Begriffe zu klären, versucht da (…) Vorschläge zu machen FÜR Rahmenbedingungen, damit dann Normen aufgestellt werden können.« Wirkmächtig sei das jedoch nicht, was man auf beiden Ebenen erreichen könne, denn »die Idee, sozusagen die Ethik könnte irgendwas von Fortschritt oder von diesen Innovationsprozessen AUFhalten, das geht gar nicht.« (Ebd.: Abs. 159) Prof014-GW verknüpft also die Wirkmacht der Ethik mit der Verhinderung eines wissenschaftlichen Fortschritts. Das ist insofern interessant, als Ethik selbst durch einen Ethiker als eine regulierende Instanz begriffen wird, die eine freie Forschung und somit auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse verunmöglicht. Eine m.E. trotz der Einhaltung ethischer Prinzipien durchaus mögliche alternative medizintechnische Weiterentwicklung wird von ihm nicht angesprochen. Seine Ansicht führt er auf das gesellschaftliche Verständnis der Funktion und Daseinsberechtigung der Ethik zurück – die sich durchaus in unterschiedlichen Kontexten und Sinnzusammenhängen wiederfinden: »Ja. Das wird ja häufig so gesagt: Was bringt überhaupt Ethik, wenn die da nichts aufhalten kann? Aber ich glaube, das ist eine bestimmte Grundüberzeugung einer Gesellschaft, die ja auch von Ethikern mit formuliert wird. Das sie sozusagen in politischen Entscheidungsprozessen und in rechtlichen Prozessen möglich, etwas konkretes, konkrete Rahmenbedingungen zu. Ich glaub, das ist sozusagen das eine. Und das andere ist, Ethik ist da vergleichbar eher mit, JA mit anderen Bereichen wie Kunst, Theater, und so weiter. Es erhellt, über eine bestimmte, bestimmte Art und Weise über Dinge nachzudenken, ja (unverständlich), die, die, die Gesellschaft brAUcht. Auch man, wenn viele Leute finden, Theater ist doof oder so. Aber im Theater lernt, werden eben bestimmte Weisen des Nachdenkens kultiviert, die es so in der Talkshow ja so nicht gibt. Und Ethik ist ganz ähnlich. Das ist sozusagen so n bisschen eigenständiges, unbekümmertes Denken. Man versucht, die Sachen so zu formulieren. Und ich glaube, dass das insgesamt
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sozusagen einfach ne Gesellschaft reicher macht. Und insofern indirekt auch Sachen mit beeinflusst. Und deshalb finde ich das sehr wichtig. (…) Klar, muss ich natürlich sagen, ich bin auch Ethiker.« (Prof014-GW: Abs. 159)
Gemäß des Zitats spielt Ethik bei Entscheidungen über die Gestaltung von rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen eine Rolle, wobei durch Ethik Bedingungen für diese Entscheidungen konkretisiert werden. Das heißt also, dass in gesellschaftlichen Institutionen analog der »Grundüberzeugung einer Gesellschaft« Ethik eine Handlungstechnik darstellt, die implizit u.a. bei rechtlichen und politischen Entscheidungen mitwirkt. Verkörpert wird sie nicht nur durch einzelne Subjekte, sondern auch durch Repräsentationen, wie z.B. Gesetze oder politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Demzufolge werden die Bereiche des Medizin- und Forschungsrechts durch Ethik mitkonstituiert. Dabei muss Ethik nicht explizit sichtbar sein, sondern ist wie ein unsichtbares Konglomerat »verstreut«. Sie wird im Denken diverser AkteurInnen »kultiviert« und durch Artefakte und Menschen verkörpert. Dass Ethik seitens des Befragten mit Kunst und Kultur verglichen wird, macht sie im Grunde zu einer Kulturtechnik. Ethik als Kulturtechnik ist durch Gestaltungs- und Aushandlungsprozesse charakterisiert, die sich auf der individuellen, der gemeinschaftlichen und der gesellschaftlichen Ebene abspielen. Sie wirkt daher sowohl auf der Handlungsebene als auch auf der Strukturebene, wodurch Rahmenbedingungen für das Forschungshandeln bestimmt und somit Forschungshandlungen erst ermöglicht werden. Folgt man Strauss, wirken auch Forschungshandlungen strukturierend auf ethische Rahmenbedingungen.
5.1.1 Die Bedeutung der Legitimationsfunktion von Ethik für NeurowissenschaftlerInnen Wenn es um lebenserhaltende Maßnahmen und die dafür notwendige Entwicklung von Medizintechnologien geht, wird die ethische Brisanz der Entwicklung von neurowissenschaftlichen Verfahren und Technologien deutlich. Mit den Fortschritten in den Neurowissenschaften sind medizinische Verbesserungen verbunden, die die Lebensqualität bestimmter PatientInnengruppen steigern. Hier stellt Ethik ein Instrument dar, eigene Forschungshandlungen zu legitimieren. Bei der konkreten Frage nach der Rolle der Ethik bei der Legitimierung des eigenen Handelns äußert sich ein Neurowissenschaftler wie folgt: »Eine zentrale. Denn wenn die, wenn ich die ethische Frage nicht klären kann und mir die sozusagen darauf hin, dass man diese Leute leben lässt, dann ist ja die ganze Technik sinnlos. Wozu denn etwas entwickeln, wenn ohnehin alle sagen: ›Das hat keinen Wert‹. Ja? Und das ist eine ethische Frage. Wie kann man in der Gesellschaft eine gewisse, eine gewisse ethische Aufmerksamkeit dafür kriegen, dass auch ein vollständig gelähmter
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Mensch denselben Wert hat, wie ein nicht gelähmter. Und wie kann ich die Gesellschaft, die Angehörigen und-so-weiter-und-so-weiter dazu bringen, dass auch ein Schlaganfallpatient, der kaum mehr reden kann, der sich nur noch durch die Gegend schleppt oder im Rollstuhl rumsitzt, dass ich für den eine, einen enormen Aufwand betreiben muss, um seine Lebensqualität zu verbessern. Das ist ein ethisches, eine sozial-ethische Frage. Die kann man zum Teil empirisch lösen, indem man die Leute fragt. Und das tut ja niemand, das tut man schon mal gar nicht. Aber letztlich ist es auch eine Wertentscheidung, die die Gesellschaft machen muss: ›Wie lange schleppe ich diese armen Krüppel denn mit mir rum?‹« (Prof002-MedPsy: Abs. 433)
Für Herrn Prof002-MedPsy ist es der zitierten Aussage zufolge eine sozial-ethische Frage, ob die Lebensqualität von gelähmten PatientInnen durch den enormen Aufwand mittels BCI-Technologie verbessert werden soll. Eine solche Verbesserung wäre beispielsweise bei ALS-PatientInnen durch die Kommunikation über BCI gewährleistet. Die Frage nach medizinisch-technischer Unterstützung stellt sich jedoch erst, wenn der/die PatientIn in einem bestimmten Krankheitsstadium ist, in dem er/sie sich nicht mehr verbal artikulieren kann. Auf die Frage, welche Rolle die Angehörigen bei der Technikentwicklung (BCI) spielen, antwortet Prof002-MedPsy wie folgt: »Bei den ALS-Patienten, die wir nicht sehen, spielen die Angehörigen oft eine schlechte Rolle. Weil sie die Krankheit so furchtbar erleben, dass sie meistens mit dem Arzt zusammen die Beatmung ablehnen. Da sterben die Leute. Also eine Art stille Euthanasie. 95 % der Patienten entscheiden sich, nicht weiter zu leben. BEVOR sie also überhaupt gelähmt sind, in dem Moment, wo die Atmung aussetzt, wollen die nicht beatmet werden. Dann sterben sie. Unter unterschiedlichen Umständen (leise Stimme). 5, nur 5 % überleben. Die entscheiden sich eben dafür, für weiterzuleben, oder das ist ein, durch Zufall wird der Notarzt, macht der Notarzt eine Beatmung, wenn denen die Luft ausgeht. (…) Aber sie tragen zu der Entscheidung, dass der Patient nicht lebt, mit in der Regel bei. Und das finde ich sehr SCHLECHT. Weil wir wissen, dass die Lebensqualität nach der Beatmung sehr gut ist. Und kein Grund dafür besteht, im MOMENT, die Lange umzuwringen, wie in Holland oder Belgien. Oder, oder aber sie dazu zu ermuntern, jetzt zu sterben, ja? Das ist eben schlecht.« (Prof002-MedPsy: Abs. 421)
Meist geht das Unvermögen der verbalen Artikulation mit dem Ausfall der eigenen Atmungsfähigkeit Hand in Hand. Würden sich also Angehörige gegen lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden, wäre die Weiterentwicklung des BCI für diese PatientInnengruppe bedeutungslos. Auch wenn ein/eine PatientIn zuvor eine Patientenverfügung festgelegt hat, kann durch Zufälle in Notfallsituationen eine Beatmung eingeleitet werden, obwohl das in der Patientenverfügung abgelehnt wurde. Im Fall der »stillen Euthanasie« würde solch eine Patientenverfügung den Innovationsprozess hemmen, da Technik gerade deshalb weiter-
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entwickelt wird, um den Schwerstkranken noch ein qualitativ angenehmes Leben zu ermöglichen. Herr Prof002-MedPsy macht im angeführten Zitat darauf aufmerksam, dass das Thema Euthanasie auch stark von der Gesellschaft bzw. Gesellschaftspolitik abhängig sei. Der Wert, also der Sinn der Technikentwicklung bemisst sich folglich auch nach der gesellschaftlichen Wertschätzung von PatientInnen, hier wird der gelähmte Schlaganfallpatient genannt. Zwar bringe die Unterstützung kranker Menschen einen »enormen Aufwand, um Lebensqualität zu verbessern« (Prof002-MedPsy) mit sich, der sich auch in großen finanziellen Bedarfen äußere. Allerdings ist eine Entscheidung, ob ein kranker Mensch im »Problemstadium« mit den zur Verfügung stehenden technischen, pädagogischen, psychologischen usw. Mitteln weiter leben darf, eine außerökonomische Wertung. Eine Frage wäre hier, ob ökonomische Überlegungen an die Stelle ethischer Grundsätze treten dürfen. Für Prof002-MedPsy scheint die Frage, ob die Patientin weiter leben soll jedoch wie von selbst geklärt. Entscheidend sei, ob AlzheimerpatientInnen über das BCI kommunizieren könnte – denn dann könnten AlzheimerpatientInnen selbst entscheiden, ob sie weiter leben wollten. Das wird noch deutlicher, als er auf die Frage, ob das also ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess sei, wie folgt antwortet: »Ja, beim Alzheimer ist das ja dramatisch. Es gibt ja immer mehr Stimmen, die sagen: ›Ne, das sind Alzheimerpatienten, Problemstadium, die müssen wir eliminieren. Das können wir nicht mehr bezahlen.‹ Weil es so viele sind. … Ja? … Wenn die aber kommunizieren könnten, mit unserem Gerät, dann wäre das eine andere Situation. Weil dann können die Alzheimerpatienten sagen, was er will.« (Prof002-MedPsy: Abs. 437)
Der Neurowissenschaftler bezieht sich hier m.E. auf ein bestimmtes Krankheitsstadium von AlzheimerpatientInnen, in dem die Funktionsstörung im Gehirn das Sprachzentrum betrifft, nicht aber das Bewusstsein bzw. das »Gedächtnis«. Dass sie nicht sprechen können, heißt jedoch nicht, dass sie nicht denken können. In diesem Zusammenhang scheint Technik eine Rückverschiebung der Verantwortung zu provozieren. Denn wenn die Patientin oder der Patient selbst kommunizieren kann, brauchen andere nicht für sie/ihn zu entscheiden – insbesondere dann, wenn keine Patientenverfügung vorhanden ist. Demgemäß würde Technik hier sozial-ethische Fragen ablösen bzw. die Klärung sozial-ethischer Fragen vereinfachen. Technikentwicklung, im Speziellen die Weiterentwicklung von BCI, stellt hier eine evozierte Verantwortungszuschreibung dar, bei der Ethik auf der Strukturebene als Legitimationsinstrument gebraucht wird. Für einen Professor aus der Bioinformatik besteht die entscheidende Roll der Ethik darin, die ethische Vertretbarkeit von medizintechnischen Anwendungen zu überprüfen, bevor sie angewendet werden. Im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess würden sowohl gute als auch schlechte Argumente bezüglich der
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ethischen Vertretbarkeit und somit der Legitimation von Technikentwicklung geäußert. Auf der Handlungsebene würden jedoch einzelne Entscheidungen durch Ethikkommissionen gefällt, sodass sie von einzelnen Personen abhängig seien: »Ich denke, das ist eine sehr entscheidende Rolle. Weil, ich denke, wenn man über solche medizintechnischen Anwendungen nachdenkt, über zukünftige medizintechnische Anwendungen, dann ist natürlich deren ethische Vertretbarkeit unbedingt zu prüfen, bevor es zur Anwendung kommt. Und ich denke, eine solche ethische Überprüfung kann ohne Dialog zwischen Ethikern und Wissenschaftlern nicht funktionieren. Letztlich ist wahrscheinlich auch ein gewisser gesellschaftlicher Dialog notwendig, (…) letztlich kann dieser Dialog zwischen Ethikern und Wissenschaftlern nur gute Argumente von schlechten trennen, aber vielleicht keine Entscheidung treffen. Das heißt, es können vielleicht gewisse eindeutig unethische Dinge von gewissen eindeutig ethisch vertretbaren Dingen getrennt werden. Aber es gibt sicherlich auch Dinge, die vielleicht nicht auf Grundlage von einzelnen Personen, oder wo man nicht absolut sagen kann, das ist vertretbar oder nicht vertretbar, sondern das ist dann letztlich eine gemeinsame Entscheidung, was eine Gesellschaft möchte, oder nicht möchte« (Prof001-BioIuT: Abs. 87)
Die Bedeutung der Ethikkommission in ihrer Funktion als Legitimationsinstanz wird von allen InterviewpartnerInnen hervorgehoben und im Interviewverlauf mehrfach erwähnt. Insbesondere würden bei neurowissenschaftlichen und neurotechnologischen Heilversuchen am Menschen, »die Sachen [die Neuroverfahren, die man bei Heilversuchen am Menschen in der Hirnforschung anwendet, MŞ]… nach deutlicher Rücksprache auch mit Ethikkommissionen« gemacht (Prof007-DrMed: Abs. 259).
5.1.2 Der Austausch von NeurowissenschaftlerInnen und EthikerInnen über ethisch-moralische Fragestellungen Durch die Anwendungsforschung konnten bisher nicht alle möglichen Risiken der Medizintechniken ermittelt werden. Daher werden »kalkulierbare Risiken« für PatientInnen während des Heilversuchs in Kauf genommen. Und diese kalkulierbaren Risiken werden über Ethikkommissionen ausgehandelt und legitimiert. Dabei treten in der Praxis die MedizinerInnen mit den EthikerInnen in einen Interaktionsprozess, in dem sich beide Seiten gegenseitig ihre Standpunkte vermitteln. Diese Vermittlung, die ich in Anlehnung an Latour Übersetzung nennen möchte, ist im Alltag beider Agierendengruppen präsent, was von einem Befragten als sehr wertvoll empfunden wird:
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»Mit denen [den Ethikern, MŞ] haben wir viele Gespräche, bei denen wir versucht haben, ihnen die Wissenschaftsseite zu vermitteln und dann mit ihnen auch ethische Gespräche geführt haben. Das war sehr konstruktiv. Wirklich.« (Prof001-BioIuT: Abs. 99)
Die EthikerInnen sind jedoch nicht nur im Wissensvermittlungs- und Diskussionsprozess für die NeurowissenschaftlerInnen von Bedeutung. Denn auch wenn NeurowissenschaftlerInnen Ethikanträge für die Ethikkommissionen schreiben, werden sie dabei von EthikerInnen indirekt unterstützt. So schildert es ein Philosophieprofessor, der sich auch mit ethischen Implikationen von Neurotechnologien auseinandersetzt. Er verdeutlicht zwar zunächst, dass Ethik bei Entscheidungen über die Entwicklung von Medizintechniken und insbesondere von Neurotechniken keine direkte Rolle spielen würde (vgl. Prof014-GW: Abs. 193ff.), führt jedoch weiter aus, dass EthikerInnen den NeurowissenschaftlerInnen »lehren« würden, Argumente so zu formulieren, dass Anträge durch Ethikkommissionen bewilligt würden. Dadurch würde zumindest ein indirekter Einfluss ausgeübt werden: »[I]ch bin ja in keiner Ethikkommission. Und deshalb, wie gesagt, höchstens INdirekt, dass man da dazu beiträgt, das dadurch, was man schreibt und was man da eben lehrt, so Argumente [im Ethikantrag, MŞ] zu formulieren, die dann nicht [abgelehnt werden, MŞ].« (Prof014-GW: Abs. 199)
Um jedoch ethische Aspekte der Neurowissenschaften richtig deuten zu können, greifen NeurowissenschaftlerInnen auf bestimmte Ethikerinnen zurück, die m.E. als soziale Vermittlungsinstanz beschrieben werden können. Umgekehrt verhält es sich genauso: Um sowohl die neurowissenschaftlichen und neurotechnologischen Gegebenheiten wie neuronale Prozesse oder neurotechnologische Eingriffe verstehen zu können, bedarf es den EthikerInnen ebenfalls einer sozialen Vermittlung durch eine/n NeurowissenschaftlerIn. Die soziale Vermittlung neurowissenschaftlichen und -technologischen Wissens erfolgt dabei durch jene NeurowissenschaftlerInnen, die bereits einen Zugang zu Ethik bzw. EthikerInnen haben. Daher ist die soziale Vermittlung personengebunden und unterliegt eigenen Semantiken, Erfahrungs- und Wissenshorizonten. Die EthikerInnen, die einen persönlichen Kontakt zu bestimmten NeurowissenschaftlerInnen haben, geben dann wiederum Rückmeldung, was am Forschungsprojekt aus einem ethischen Standpunkt kritisch sein könnte. Bei der ethikfokussierten Beschreibung der neurowissenschaftlichen Praktiken werden je nach Expertise und Erfahrungen im jeweiligen Bereich individuelle Re-Kontextualisierungen über die neurowissenschaftliche und -technologische Forschung vorgenommen. Sowohl EthikerInnen als auch NeurowissenschaftlerInnen können somit die Funktion eines Mediators bzw. einer Mediatorin zwischen Präskriptivem und Deskriptivem einnehmen. Dabei ist das Verhältnis zwischen dem Ist-Zustand (Forschungshan-
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deln und Forschungsziel) und dem Soll-Zustand (ethische Modifikation durch ethische Rahmenbedingungen für die Forschung) interdependent. Diese interdependente Wechselwirkung ist als Lernprozess zu begreifen, innerhalb dessen Gespräche zwischen EthikerInnen und NeurowissenschaftlerInnen konstitutiv sind. Indem Prof001-BioIuT (und andere NeurowissenschaftlerInnen) mit EthikerInnen redet, erfährt er von ihnen, was ihnen (ethisch) wichtig ist und worauf beim Schreiben von Ethikanträgen und somit auch bei den Experimenten selbst zu achten ist. Bei der zunächst De- und später Re-Kontextualisierung von ethischen Implikationen, die die eigene neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaft betreffen, wird Ethik so platziert, dass sie neurowissenschaftliche Techniken und Praktiken unterstützt. Und so bringt Prof001-BioIuT abschließend die Rolle der Ethik auf den Punkt: »Aber ich denke, die Ethik ist auf jeden Fall unterstützend. Selbstverständlich.« (Prof001-BioIuT: Abs. 91) Dass man sich bei der Entwicklung von Medizintechnik in den Neurowissenschaften »seine eigene Privatethik zusammen [bastelt, MŞ]« (Prof002-MedPsy) spricht nicht nur dafür, dass eher individuelle Moralvorstellungen das Feld der Neuroexperimente dominieren, sondern auch dafür, dass Ethik einem die Freiräume zum eigenen Forschungshandeln bietet. Prof002-MedPsy suchte sich beispielsweise bewusst einen Ethiker aus, dessen neuroethische Ansätze zu BCI er befürwortet. Bei der Auswahl spielten neben den gleichen Ansichten auch die persönliche und räumliche Nähe und auch das Renommee des Neuroethikers, dessen Artikel in der Zeitschrift »Nature« erschienen ist, eine Rolle. Auch dies veranschaulicht, dass Ethik interessengeleitet zwischen und von verschiedenen AkteurInnen ausgehandelt wird. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass der Befragte gleichzeitig die Begleitung der Forschung durch Ethik als bedeutsam herausstellt, sie jedoch zugleich als »uninteressant« relativiert. Dies wird an seiner Antwort auf die Frage nach der Rolle der EthikerInnen bei Entscheidungen während der Entwicklung von Medizintechnik deutlich: »Gar keine [Rolle, MŞ]. (…) Die haben gar keine [Rolle, MŞ]. Wir machen, jeder Forscher bastelt sich seine eigene Privatethik zusammen, ja? Die meistens nicht besonders überzeugend ist. Hier in Stadt B gibt es einen Ethiker, der sich für Brain Computer Interfaces sehr interessiert. Der sitzt direkt da vorne. Der heißt Prof008‑GW. Ah.. der hat auch einen Artikel in der Nature darüber geschrieben. Fand ich sehr gut. Also, ich finde es gut, ich finde es gut.« (Prof002-MedPsy: Abs. 441)
Im späteren Gesprächsverlauf konkretisiert er seine ambivalente Einschätzung noch: »Und das finde ich gut, dass wir die hier haben und dass die einen begleiten und dass man die als Gesprächspartner.. finde ich immer gut. Aber letztlich interessiert es uns einfach überhaupt nicht« (Prof002-MedPsy: Abs. 445).
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Ich deute diese Ambivalenz in der Bedeutungszuschreibung dahingehend, dass der Befragte es als eine Art der Zustimmung und Bestätigung seiner Arbeit empfindet, dass der Ethiker seine Texte liest und sich mit BCI oder Neurotechniken beschäftigt (vgl. Prof002-MedPsy: Abs. 461). Ethik als handlungsleitende Instanz spielt seiner Ansicht nach innerhalb der Fachdisziplin Neurowissenschaften jedoch eigentlich keine oder nur eine unbedeutende Rolle spielt. Demnach ist Ethik ein top-down-Kriterium in den Neurowissenschaften. Ob Prof002-MedPsy oder auch andere NeurowissenschaftlerInnen eine intrinsische Motivation haben, sich mit neuroethischen Themen auseinander zu setzen, bleibt unbeantwortet. Aus einer Aussage eines wissenschaftlichen Mitarbeiters, der zugleich Arzt ist, herauszulesen, dass er Ethik als einen »wichtigen Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses« begreift und ihre Kontrollfunktion als sehr wichtig hervorhebt: »Ethiker sind ein sehr wichtiger Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses. Nur das unterscheidet uns von Scharlatanen und von mittelalterlichen Situationen, wo jeder machen konnte, was er wollte. Ethiker spielen eine sehr wichtige Rolle, um unsere Entscheidungen zu hinterfragen, uns selber auf die Idee bringen, uns selber zu hinterfragen. Wenn man nämlich in seiner Materie drinsteckt, dann hält man alles für möglich und niemand hinterfragt gerne sein eigenes Weltbild. Da spielen Ethiker eine wichtige Rolle, um diese ganze Geschichte zu hinterfragen und Leute zum Nachdenken anzuregen. Was wichtig ist, ist, dass Ethiker auch Ahnung von der Materie haben sollten. Sonst lässt man sich gerne auf Ansichten, Argumente ein, die jeglicher Grundlage entbehren. Ich habe das noch nie erlebt, aber ich finde es als Grundvoraussetzung, dass ein Ethiker schon Ahnung hat von dem, was da diskutiert wird.« (WiMi018-DrMed: Abs. 282)
Besonders hervorzuheben ist dabei, dass der Neurowissenschaftler Ethik bzw. ihre Kontrollfunktion als Kriterium für Wissenschaftlichkeit definiert: Ethik sei ein wichtiger Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses, anderenfalls sei Wissenschaft Scharlatanerie. Offensichtlich reichen aus seiner Sicht die wissenschaftlichen Kriterien zur Objektivierung und Überprüfung nicht aus und es braucht einer ethischen Komponente, damit der Wissenschaftsprozess seriös abläuft. Dies kann so gedeutet werden, dass Ethik für ihn zur »guten« wissenschaftlichen Praxis gehört. Ethik wirkt seiner Ansicht nach auf der Strukturebene als wichtiges Kontrollinstrument. Um das ärztliche bzw. wissenschaftliche Handeln zu hinterfragen und über den Tellerrand zu blicken, würden EthikerInnen zur Reflexion beitragen. Ethik wirkt hier also auf der Handlungsebene als Reflexionsinstrument. Der Befragte hält es jedoch für wünschenswert, dass EthikerInnen über ein fundiertes wissenschaftliches und technologisches Hintergrundwissen verfügen, damit die Diskussionen auf einer angemessenen Basis stattfinden können. Doch, obwohl er die Ethik als so fundamental bedeutend für den Wissenschaftsprozess ansieht, hatte der Befragte selbst im Rahmen seiner Arbeit im internationalen
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Verbundprojekt bisher keinen Kontakt zu einem Ethiker bzw. einer Ethikerin: »Persönlich hatte ich keinen Kontakt. Der einzige Kontakt, den ich mit Ethik hatte, war bei dem Verfassen von Ethik-Anträgen.« (WiMi018-DrMed: Abs. 286) Daran zeigt sich erneut, dass die Ethiker im Rahmen des Projekts nicht im Labor waren und dass der Austausch, wenn er denn stattfindet, eher auf einer persönlichen Ebene erfolgt und dass die Verantwortung eines solchen Austausches bei den Professoren liegt, die auch wichtige Entscheidungen bzgl. der ethischen Vertretbarkeit von Methoden und Verfahren fällen. Auf der »operativen« Ebene im Labor scheint es dann keinen Kooperations- oder Kommunikationsbedarf mehr zu geben. Die seitens des zitierten Arztes/Wissenschaftlers geäußerte hohe Bedeutung der Ethik für den Wissenschaftsprozess findet sich (erwartungskonform) auch in der Aussage eines befragten Ethikers, der im Bereich der Neuroethik gut etabliert und mit Methoden und Anwendungen der Neurowissenschaften vertraut ist. Er macht eine ähnliche Aussage zur Ethik als Reflexionsinstanz der Technikentwicklung: »In der Neurotechnologie, Medizintechnologie, sehe ich die Ethik als eine Reflexionsinstanz auf die Technologie: Welche Fragen, ja welche anthropologischen, geisteswissenschaftlichen, normativen Fragen wirft die Technik selber, der Einsatz dieser Technik und die Erforschung dieser Technik auf? Und ich denke, dass es gut ist, dass wir eine extra Disziplin dafür haben. Dass es von außen (…) jedenfalls eine extra Disziplin gibt, von Leuten durchgeführt wird, die auch eine andere Ausbildung genossen haben. Weil ich denke, dass die auch einen anderen Blick darauf haben können. Und der manchmal vielleicht auch völlig falsch ist, und völlig in die Irre geht. Deswegen ist es auch wichtig, dass die Ethiker nicht alleine am Tisch sitzen und sich irgendwie ’n Stichwort greifen und dann ins blaue hineinspekulieren, sondern, dass sie mit ihren Überlegungen, also wenn es um so konkrete Techniken geht, ehm rückgebunden bleiben an die Forscher und Kliniker und auch an den Patienten, und da in Austausch zu kommen. Einerseits um selber als Ethiker zu wissen: Worum geht es eigentlich, was sind das eigentlich für Techniken? Sind die Gedanken, die ich mir mache, sind das wirklich, sind die relevant für die Forscher selber, oder nicht? (…) Also einerseits, dass die, dieser Austausch, die die Ethik und die Philosophen so ein bisschen am Boden hält, also ein bisschen erdet sozusagen, an dem, an der Technik selber bleibt: Was ist das eigentlich wirklich, worum geht es hier eigentlich genau? Und andererseits aber auch eben dadurch, dass es eine Reflexionsinstanz ist, möglicherweise ganz anderen Blick und andere Anregung den Naturwissenschaftlern und Klinikern gibt, über das nachzudenken, was sie dann tagtäglich tun. Das (…) sehe ich als Aufgabe dann mit.« (Prof008-GW: Abs. 131)
Der befragte Ethiker betont hier die Anwendungsbezogenheit der Ethik. EthikerInnen müssen sich seiner Ansicht nach dementsprechend mit dem Anwendungsfeld auseinander setzen, um nicht zu abstrakt für das Feld der Neurowis-
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senschaften zu werden. Nur so könne Ethik ihre Funktion als Reflexionsinstanz erfüllen. Hier wird deutlich, dass der Ethik eine neue Funktion bzw. Aufgabe im Sinne eines Selbstzwecks zugeschrieben wird. Denn dem Befragten zufolge kann bzw. sollte man durchaus philosophische Fragestellungen im Bereich der Neurowissenschaften beantworten, auch wenn sie für den Bereich selbst zunächst irrelevant erscheinen. Denn NaturwissenschaftlerInnen könnten von den Anregungen aus der Philosophie und Ethik profitieren und somit einen wertvollen Blick über den eigenen Tellerrand werfen. Diese erweiterte Blickrichtung und Kenntnis der NeurowissenschaftlerInnen ist für die NeuroethikerInnen von großer Bedeutung, um Akzeptanz seitens der NeurowissenschaftlerInnen zu erhalten. Für die NeurowissenschaftlerInnen dagegen erscheint der Blick über den eigenen Tellerrand zunächst als weniger grundlegend. WiMi018-DrMed machte jedoch als Neurowissenschaftler deutlich, dass es für ihn sehr wichtig sei, über seine eigene Forschung zu reflektieren. Wenn »man so in seiner eigenen Materie« sei und kleinteilig arbeite, hinterfrage »niemand sein eigenes Weltbild« (WiMi018-DrMed: Abs. 282). Ethiker können und sollten also einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass NeurowissenschaftlerInnen ihre Handlungen reflektieren und somit ihre Praktiken hinterfragen. Denn durch die zunächst abstrakt erscheinende und der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft ferne Ethik wird ein Prozess in Gang gesetzt, der NeurowissenschaftlerInnen dazu veranlasst, bestimmte Vorhaben anders anzugehen (und zu formulieren), bestimmte Entwicklungen anders zu gestalten und bestimmte Techniken möglicherweise aus einem bestimmten ethischen Grund abzulehnen oder zu forcieren, was wiederum neue Problemstellungen in neuen Technikentwicklungspfaden hervorrufen kann. Dies erscheint für einen Wissenschaftlichen Mitarbeiter aus der Bioinformatik als sehr bedeutend. Er sieht es als wichtig an, dass Ethik mittels ihrer Kontrollfunktion derart in den Technikentwicklungsprozess eingreift, dass sie durch Aufklären, Eingreifen und Umlenken letztlich ethisch vertretbare Entscheidungen bewirkt. Bei abschließenden Entscheidungen sollte sie deshalb eine aktive Rolle als letzte Instanz spielen: »Also, ich hoffe, dass sie die Rolle eine Art Kontrolleurs spielt, darüber, was man machen kann, was man machen sollte. Natürlich auch etwas, was man ab und zu einmal revidieren muss, wenn neue Erkenntnisse da sind. Aber es sollte doch die letztgültige Entscheidung sein, ob jetzt etwas gemacht wird oder nicht.« (WiMi029-BioIuT: Abs. 395)
Und auch WiMi027-DrMed macht eine ähnliche Aussage hinsichtlich der ethischen Berechtigung wissenschaftlicher Vorhaben. Dabei spricht er auch die Möglichkeit bzw. Voraussetzung der PatientInnen an, eine entsprechende Einverständniserklärung zur Studie zu geben (informed consent). Interessanterweise ist in diesem Zusammenhang von Mitsprache nicht die Rede, was darauf
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schließen lässt, dass er den PatientInnen nur eine sehr geringe oder keine aktive Rolle zuschreibt. Den Rahmen des Umgangs mit den bzw. der Behandlung der PatientInnen geben seiner Ansicht nach Ethikkommissionen vor, die ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen jedoch nicht von der Aufgabe entbinden würden, den Patienten/die Patientin vor dem Beginn der Studie aufzuklären. Denn: »Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch ethisch zu rechtfertigen (…) Man muss immer, genauso in der Medizin, meiner Meinung nach den Menschen und den Patienten, der jetzt gerade vor einem steht, im Blick haben und mit dem die moralisch-ethischen Aspekte des Experiments vorher geklärt haben, ob er damit einverstanden ist. Deswegen gibt es auch für diese Studien einen Ethik-Antrag, der versucht, das auf einer allgemeinen ethischen Ebene abzudecken, ob das überhaupt so gemacht werden darf. Aber speziell, wenn jetzt die konkreten Menschen eingeladen werden zu der Studie und aufgeklärt werden, dann muss man mit denen persönlich das noch einmal klären. Ich bin der Meinung, dass so ein Ethik-Antrag beziehungsweise ein vorhandener Ethik-Antrag von einer Studie nicht einen davon entbindet, noch einmal mit den Probanden selber das noch einmal durchzusprechen. Das gibt einem nicht so einen Freifahrtschein, alles in dem Rahmen machen zu können mit den Leuten.« (WiMi027-DrMed: Abs. 128)
Aus den Ausführungen des Befragten wird deutlich, dass er es für fundamental wichtig hält, ProbandInnen vor dem Studienbeginn persönlich zu treffen und aufzuklären. Er scheint qua Beruf die Heilung bzw. Behandlung der Patienten im Blick zu haben. Dabei nimmt die Rolle der Ethik für WiMi027-DrMed exponentiell zum Ausmaß der technischen Möglichkeiten und ihrer weitreichenderen Folgen zu. Zur Technikfolgenabschätzung seien daher ExpertInnen (hier: EthikerInnen), die einen Überblick über mögliche ethisch-moralische Risiken haben, notwendig: »Eine zunehmend größere Rolle sollten sie [EthikerInnen/ethische Überlegungen, MŞ] einnehmen, weil diese technischen Möglichkeiten werden immer größer und immer weitreichender in den Folgen, die sie haben könnten, wenn man sie zur Anwendung bringt. Das zu überblicken ist schwierig. Und wenn man da Experten hat, die in dem Bereich sich gut auskennen, dann kann das sehr hilfreich sein.« (WiMi027-DrMed: Abs. 134)
Dabei sei bereits in der Antragsphase von Projekten Ethik besonders relevant: »Natürlich in der Antragsphase generell schon einmal. (…) Die Antragsphase ist schon das wichtigste. Wo führt unser Projekt überhaupt hin und was soll gemacht werden? Dann ist es schon wichtig, dass die Leute, die in dem Projekt arbeiten, selber ethisch verantwortlich sind und handeln und zum Beispiel diese Aspekte, was das direkte Zusammentreffen mit dem einzelnen Subjekt betrifft, dass die auf der Ebene ethisch handeln.
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Wobei an dem Zeitpunkt des Projektes diese grundlegenden ethischen Fragen, diese ganz komplexen Fragestellungen, geklärt sein sollten. Ich glaube nicht, dass auf DER Ebene Ethiker dann noch wichtig wären. Es mag ja sein, dass der Projektantrag sich von dem, was gemacht wird, ziemlich unterscheidet und dass man, wenn man davon abweicht von dem ethisch schon Durchkalkulierten aus dem Antrag schon die Möglichkeit hat, das noch irgendwie ethisch noch einmal überprüfen zu lassen. Wobei da natürlich wieder die Gefahr besteht, dass man damit zugibt, man weicht von dem Antrag ab. Das sind dann eher organisatorische Fragen, wie solche Studien überhaupt durchgeführt und gemacht werden und was dann letztendlich da läuft. Letztendlich kommt der Einzelne um seine ethische Verantwortung nicht herum.« (WiMi027-DrMed: Abs. 136)
Die Relevanz der Ethik bemisst sich demnach auf der Handlungsebene nach Projektstand. In der Antragsphase ist Ethik insofern relevant, als dass sie die ethischen Rahmenbedingungen vorgibt. Sind erst einmal ethische Rahmenbedingungen geklärt, wird Ethik auf der Handlungsebene des Experimentierens, beim Zusammentreffen mit dem »Subjekt« unwichtig. Auch wenn es im Forschungshandeln beim Experimentieren Abweichungen zum Projektantrag gibt, somit auch Abweichungen zu »ethisch schon Durchkalkuliertem« und man dadurch zugibt, dass man anderes und/oder anders erforscht, als ursprünglich beabsichtigt, trägt der Forscher Verantwortung gegenüber dem Forschungssubjekt.
5.1.3 Die heterogene Akteurskonstellation und die Pluralität von Ethik und Moral Den befragten EthikerInnen und NeurowissenschaftlerInnen zufolge ist Ethik gerade in Konfliktsituationen als Bedingungsrahmen für Forschungshandeln besonders wichtig. Für WiMi018-DrMed hat Ethik insgesamt allerdings »viele Facetten«, ihre Rolle sei kontextabhängig: »Ethik hat viele Facetten, je nachdem, in welcher Situation und mit welcher Fragestellung. Ethik bedeutet in der übergreifenden Bedeutung, Regeln zu haben, Anhaltspunkte zu haben, wie man sich in einer Konfliktsituation entscheiden muss. Aber diese Konfliktsituation kann unterschiedlicher Art sein.« (WiMi018-DrMed: Abs. 257)
Solche Konfliktsituationen träten zum Beispiel dann auf, wenn neuronale Implantate eingesetzt würden, deren Einsatz jedoch nicht zwingend notwendig sei. Dies sei bei »elektiven Operationen« (s.u.) der Fall, und auch in den neurowissenschaftlichen Experimenten, die er selbst durchführe.3 Bei der Frage nach der Rolle von ethischen Überlegungen im medizintechnischen Innovationsprozess 3 | In dem Fall bezieht sich dies speziell auf die ECoG-Implantation, auf die ich im Kapitel 6.3.5 noch differenzierter eingehen werde.
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veranschaulicht der Befragte, dass für elektive operative Eingriffe »höhere ethische Ansprüche als für Notfallsituationen« herrschen würden. Dabei bezieht er seine Aussage ganz konkret auf die Praxis, invasive BCI bei SchlaganfallpatientInnen und die Tiefenhirnstimulation bei ParkinsonpatientInnen einzusetzen, ohne dass es dafür einen (über)lebensnotwendigen Bedarf geben würde: »Die Ethik im medizintechnischen Innovationsprozess (…) das ist schon eine ganz große Rolle. (…) Wenn wir hier einen Patienten haben, dem wir einer elektiven Operation unterziehen, elektiv bedeutet in der Medizin, dass sie nicht lebensnotwendig ist im Gegensatz zum Herzinfarkt oder zu einem großen Schädel-Hirn-Trauma, wo der Patient stirbt, wenn man ihn nicht operiert, ist eine Implantation bei Schlaganfall oder bei Parkinson elektiv. Damit herrschen für elektive Eingriffe auch höhere ethische Ansprüche als für Notfallsituationen. Das spielt schon eine wichtige Rolle, in welchem Moment man diese Bürde auf sich nimmt, auch als Arzt.« (WiMi018-DrMed: Abs. 277)
Der Befragte führt in diesem Zusammenhang aus, »dass es Situationen gibt, wo man an sich nicht unethisch handelt, aber das doch gegen seine eigenen Überzeugungen sein kann.« (Ebd.: Abs. 273) Eigene Moralvorstellungen würden demnach in einem Konflikt zu »Situationen, wo man vor einer Entscheidung steht, wo man ganz genau weiß, man ist gedeckt durch den ethischen Konsens, [geraten, MŞ], am Schluss sind es immer unsere Gesetze [die zählen, MŞ]« (WiMi018DrMed: Abs. 273). Die Vermutung, dass WiMi018-DrMed elektive Operationen von SchlaganfallpatientInnen bei der Weiterentwicklung von BCI ablehnt, liegt nahe. Trotzdem ist er ein in der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft, wo elektive Eingriffe, wie erörtert, im Vorfeld durch eine Ethikkommission genehmigt werden müssen, agierender Akteur. Die persönliche Bedeutung des (inneren) Konflikts der persönlichen Moralvorstellungen mit dem ethischen Konsens der (neuro)wissenschaftlichen Arena (institutionalisiert durch die Ethikkommission), wird durch die Macht der letzteren im Forschungs- und Heilungsprozess bedeutungslos. Die Pluralität von ethischen und moralischen Vorstellungen sowie die Heterogenität der Akteurskonstellation können demnach einen gemeinsamen Konsens darüber erschweren, was im Bereich der Technikentwicklung als notwendig bzw. nicht notwendig, vertretbar oder abzulehnen definiert wird. Bei Entwicklungen von Neurotechnologien und BCI-Experimenten ist ein ethischer Konsens allerdings dann denkbar, wenn NeurowissenschaftlerInnen ihre Praktikengemeinschaft mit ähnlichen Praktikengemeinschaften vergleichen, die jedoch unterschiedliche Verfahren anwenden. Ob die Ethik jedoch als Erschwernis oder als Vorteil gesehen wird, differiert bei den einzelnen Befragten. So sieht bspw. WiMi021-BioIuT bei den medizintechnischen Entwicklungen durch Ethik keine Probleme gegeben, während die Entwicklung und das damit zusammenhängende Experimentieren mit Medika-
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menten im pharmakologischen Bereich aus ethischer Perspektive »sehr viel problematischer« (ebd.: Abs. 228) sei. Besondere Gründe gibt er dafür jedoch leider nicht an. Und Prof006-DrMed deutet die Ethik als unterstützend, da die Ethik seine Arbeitsgruppe »mit der Entwicklung der Neurotechnologie insofern unterstützt, als die Ethik sich etwas dagegen stellt, den biologischen Weg zumindest über die Stammzellforschung so INTENSIV zu pushen« (Prof006-DrMed: Abs. 99). Dieser Interviewpartner plädiert für eine offensivere Ethik, die sich dadurch kennzeichnet, dass sie ausdrücklich Techniken zugunsten z.B. der Erforschung biologischer Grundlagen befürwortet und das auch artikuliert. Danach fährt er mit der Aussage fort, dass Ethik offensiver sein müsse, indem sie zwischen zwei Methoden, das möglicherweise »geringere Übel« aktiv befürworten sollte: »Aber es wäre sehr gut, wenn die Ethik aus der Defensivrolle heraus geht, verstehen Sie? (MŞ: Ja.) Kontrolle, was Sie auch erwähnt haben, .., Kritik, sondern, dass die Ethik mehr in die Offensive geht, nach dem Motto, ›Ja!, machen Sie das Ding, damit vermeiden wir andere Methodik, die vielleicht ethisch umstrittener wären.‹« (Prof006-DrMed: Abs. 107)
Ethik wird seitens der Befragten ebenfalls als sinnvoll betrachtet, wenn es um Informationen bzw. um Argumente über die ethische Vertretbarkeit oder Nicht-Vertretbarkeit zukünftiger medizintechnischer Anwendungen geht (vgl. Prof001-BioIuT: Abs. 87). Die auf der Information und den Diskussionsmöglichkeiten basierende große Unterstützung seitens der Ethik ist für die AkteurInnen im medizintechnischen Innovationsprozess »extrem wichtig, weil dort … auch teilweise Wissen mitgesteuert« wird (Prof006-DrMed: Abs. 59). Ethik wird da, wo Unsicherheiten und Wissenslücken vorherrschen, als sinnvolle und wichtige Steuerungs- und Aufklärungsinstanz gesehen. Ethik hilft also offensichtlich im medizintechnischen Innovationsprozess, den Umgang mit Unsicherheiten und Nicht-Wissen zu erleichtern. »Und hier bei diesem Projekt ist es auch so, wir möchten bewusst, dass die Ethiker dort schon eine gewisse.. Rolle spielen in Bezug auf Kontrolle, aufpassen, an Dinge denken, an die wir vielleicht nicht automatisch denken. Einerseits. Ich denke, diese Rolle ist wichtig. Wenn sie das nicht machen, wer soll das dann tun? Ich meine, das ist ja ihre GENUINE Aufgabe. Ja? Aber! … Die Ethik würde sich selber einen Gefallen tun, nicht nur in der Defensive zu sein.« (Prof006-DrMed: Abs. 123) »[A]ber die Patienten sind enorm verzweifelt. Und wenn Sie ein SCHIMMER an Hoffnung sehen, dann sind Sie bereit, auch viel mit sich machen zu lassen. Und deswegen ist da die Ethik so wichtig, nicht? Um (…) auch ein bisschen zu steuern.« (Prof006-DrMed: Abs. 263)
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Die direkte oder indirekte Unterstützung von AkteurInnen im medizintechnischen Innovationsprozess wird demnach von einigen der Befragten als fundamental bedeutsam empfunden. Sie möchten, dass Ethik aus der defensiven in die offensive Rolle wechselt. Andere Befragte sind da jedoch anderer Meinung. Zwar ist auch aus ihrer Perspektive die Steuerungs- und Kontrollfunktion der Ethik sehr wichtig, sie solle aber nicht zu rigide ausgeübt werden, sonst werde die Ethik als Störfaktor betrachtet. So ist bspw. Herr Prof002-MedPsy von einer Offensivrolle der Ethik nicht begeistert. Er wünscht sich Ethik ausschließlich als Begleitung im Innovationsprozess. Er schreibt der Ethik somit eine eher passive Rolle zu: »Das ist ja die Frage: Was… wie definiert man die Aufgabe der Ethiker? Und ich sehe die Ethiker als Begleit.. als eine Begleit.. Gesprächshilfe. Und nicht als jemand, der aktiv eine Rolle übernimmt. Eh.. diese BEGLEIThilfe, die ist oft wertvoller als wenn jemand jetzt dafür AKTIV eingreift.« (Prof002-MedPsy: Abs. 477)
Mit dem aktiven Eingreifen meint der Befragte offensichtlich eine Art externe Kontrolle oder Einmischung, die in seine eigene Forschungsfreiheit eingreift. Die Möglichkeit, den Wissensstand mit Informationen zu erweitern, wird also positiv bewertet, aus ethischen Überlegungen abgeleitete Verbote jedoch als illegitim und behindernd. Und auch der Information solle Grenzen gesetzt werden, worauf Prof006-DrMed mit einer ähnlichen Aussage verweist: »Ja, also wir werden extrem stark über die Risiken informiert, als ob wir sie auch nicht kennen würden.« (Prof006-DrMed: Abs. 111). Eine umfangreiche Information über Risiken wird also ebenfalls als störend empfunden, wobei der Neurochirurg mit der Formulierung »als ob wir sie auch nicht kennen würden« zum Ausdruck bringt, dass er die Kompetenz der NeurowissenschaftlerInnen durch die starke Aufklärung der EthikerInnen hinterfragt sieht. Folglich sieht der Neurochirurg die Beschäftigung mit Risiken, die aus dem neurowissenschaftlichen Forschungshandeln hervorgehen, als einen Kompetenzbereich ausschließlich seiner Arbeit an, wo er sich keine Einmischung wünscht. Ethik scheint die Befragten also genau da zu stören, wenn sie zu starken Druck ausübt, zu aktiv eingreift. Sie wird ausschließlich dann akzeptiert, wenn sie zur Reduktion von Unsicherheit und von Wissenslücken im Zusammenhang mit der zukünftigen Vertretbarkeit von Medizintechnologien dient und die Arbeit der NeurowissenschaftlerInnen nicht behindert, sondern eher fördert. Ein Neurowissenschaftler empfindet Ethiker oder Ethikkommissionen als Bremsmaschine: »Wir erleben die Ethiker, oder unsere Ethikkommissionen, da muss es ja für alles eine Ethikkommission geben und da sitzen ja auch Ethiker drinnen. Wir erleben das in der Regel als BREMSmaschine. Die meisten Forscher, so: ›Oh Gooott, schon wieder eine andere Ethik.‹ (…) Dieses Experiment [Milgram-Experiment, MŞ], wo niemand um-
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gebracht wurde, logischerweise. Dieses Experiment wurde von den Ethikkommissionen praktisch weltweit verboten. Und das ist ja ein 30 Jahre-Stillstand. Und deswegen weiß man bis heute noch nicht, wie es zu solcher Gewalt, wie es zu Gewalt wirklich kommt, durch Befehl, Befehlsgewalt sozusagen. Und diese 30 Jahre sind verloren. Und nun haben die Ethikkommissionen sich eines Besseren besonnen und gesehen: Das ist ja Blödsinn, wenn ich das verbiete, denn erstens gibt es keinen Erkenntniszuwachs zu diesen wichtigen ethischen Problemen und zweitens: Einmal hat den Versuchspersonen dabei gar nicht geschadet. Das hat niemand untersucht. Da hat sich jetzt einer die Mühe gemacht, zu schauen, und siehe da, das Gegenteil ist erfolgt. Die Leute erleben, das ist Bereicherung, auch wenn sie andere umbringen. Weil sie sich nämlich selbst fragen: ›Wozu tue ich denn das?‹ Also das ist ein Beispiel, wo Ethik eine negative Wirkung auf den Fortschritt hatte. … Aber es gibt auch positive Beispiele. Ein Prozessbeispiel ist, wo das gestoppt wurde, das war zum Beispiel die, die Psychochirurgie. (…) Bis halt dann einmal jemand gesagt hat: ›Das ist UNethisch, das ist INakzeptabel. Wir wissen zu wenig. Das können wir nicht machen, einem Menschen ein Hirnteil rausmontieren.‹ Und-so-weiter-und-so-weiter. Und danach wurde das gestoppt. Bis heute. Und jetzt fängt es wieder langsam an, aber das wurde viele Jahre gestoppt und danach Stillstand, das ist gut so.« (Prof002-MedPsy: Abs. 485)
Der Befragte betrachtet ethische Grenzen in manchen Fällen als wichtig und notwendig, er ist jedoch auch der Meinung, dass man es damit nicht übertreiben dürfe, indem man so viel als ethisch nicht vertretbar definiert. Dies spricht für eine fehlende Sensibilisierung hinsichtlich des Sinns von Überlegungen über die ethische Vertretbarkeit von Forschung. Zudem wird hier ein Hinweis bzgl. der Heterogenität von Ethik gegeben: Die Pluralität ethischer Ansätze wird hier als Störfaktor angesehen, denn der Forscher muss sich auf die in der Ethikkommission arbeitenden und über die Bewilligung von Forschungsanträgen entscheidenden Personen und deren individuelle ethische Positionen einstellen. Da die Personenbesetzung der jeweiligen Ethikkommission ständig variiert, hat er sich auf immer wieder neue Positionen einzustellen. Bei der ethischen Bewertung des Forschungshandelns spricht Prof002-MedPsy langfristige schädigende Folgen für das Forschungssubjekt an. Wenn Forschungssubjekte Schaden erleiden würden, würde das zukünftige Forschungshandeln ausgebremst (dieses Ausbremsen bewertet er anhand zweier Beispiele einmal als negativ und einmal als positiv). Allerdings könne man diese Folgen des forschenden Handelns auf die Forschungssubjekte gar nicht beurteilen, da Nicht-Wissen und somit Unsicherheit dem Forschungshandeln immanent sei und die daraus resultierenden Folgen im gewissen Sinne davon entkoppelt würden. Es sei daher problematisch, die Verantwortung allein den Forschenden zuzuschreiben.
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Die Aussagen der Befragten sind insgesamt dahingehend zu interpretieren, dass die »Zusammenarbeit« von EthikerInnen und NeurowissenschaftlerInnen nicht immer (bzw. eher selten) durch einen Konsens charakterisiert ist. Vielmehr scheinen die NeurowissenschaftlerInnen die EthikerInnen und vor allem die machtvollen, da entscheidungsbefugten Ethikkommissionen als störend bzw. illegitim in die eigene Entscheidungsgewalt eingreifend wahrzunehmen. Dies hat Auswirkungen für die Forschungsprozesse der Neurowissenschaften. Denn in Anlehnung an Star & Griesemer (Kapitel 3.3) ist Kooperation ohne Konsens in der Forschung zwar möglich, der gesellschaftliche Konsens jedoch bleibt in Bezug auf neurowissenschaftliche Heilversuche am Menschen elementar, damit die neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaft überhaupt gefördert wird und somit u.a. neurowissenschaftliche Humanexperimente durchgeführt werden dürfen. Der Konsens wird in diesem Fall dadurch erreicht, dass es ein Grenzobjekt, ein boundary object, geben muss, dass die Übersetzungsleistung zwischen den verschiedenen sozialen Welten möglich macht. Dabei sind die verschiedenen AkteurInnen, also sowohl die NeurowissenschaftlerInnen als auch die EthikerInnen, die verschiedenen Praktikengemeinschaften angehören und zudem verschiedenste Perspektiven und somit auch »Weltordnungen« (vgl. Shibutani 1962) vertreten, durchaus darum bemüht, im Rahmen von kooperativen Gesprächen Übersetzungsarbeit zu leisten. Dann nehmen diese AkteurInnen die Rolle eines Mediators/einer Mediatorin ein, um jeweils den/die andere/n als Verbündete/n zu haben. Diskutiert wird dabei überwiegend über Chancen und Risiken der Neurowissenschaften sowie über die Verantwortung, Legitimation und Regulierung durch Ethik. Letzteres wird vor allem bei den Förderkriterien für Forschungsprojekte deutlich: Die Ausschreibungen beinhalten immer einen ethischen Teil, den es seitens der sich Bewerbenden zu erfüllen gilt. Aber auch Ethikkommissionen setzen Rahmenbedingungen für das Handeln der Forschenden. In den Interviews wurde das zwar nicht explizit angesprochen, jedoch könnte die Wiederherstellung zerebraler Funktionen von PatientInnen durch neurowissenschaftliche Verfahren und Techniken in diesem Kontext ein vermittelndes Grenzgebilde darstellen. Denn offensichtlich ist sich die Mehrheit in der (neuro)wissenschaftlichen Arena darüber einig, dass die Forschung zur Wiederherstellung zerebraler Funktionen weiter gehen muss. Wie jedoch die Forschung konkret gestaltet sein sollte, an welchen Richtlinien sich die Forschenden orientieren müssen, bleibt durch die rasanten Fortschritte in den Neurowissenschaften immer wieder neu zu verhandeln. Aus den Ausführungen ist darüber hinaus zu schließen, dass Ethik eine Art verteilte Handlungstechnik ist, die durch Subjekte und Artefakte aus unterschiedlichen Praktikengemeinschaften verkörpert wird. Analog Strauss’ Auffassung, dass Strukturen situativ in Handlungen bzw. Handlungsbedingungen sichtbar werden, strukturiert also Ethik den Technikgestaltungsprozess bzw. den
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Prozess der BCI-Entwicklung auf der Handlungsebene mit, wobei dies auch für die wissenschaftlich-technischen Implikationen des Prozesses gilt. Auf der Strukturebene wird in wissenschaftlichen Arenen ausgehandelt, was gesellschaftlich relevant und ethisch vertretbar ist. Auf der Handlungsebene entscheidet schließlich die Ethikkommission u.a. darüber, ob Belange der Forschung und der PatientInnen nach einem Nutzen/Risiko-Verhältnis ausgewogen sind. Sobald dies entschieden ist, wird Ethik zwar offiziell für das Forschungshandeln unwichtig, ist aber innerhalb des Experiments zur Wiederherstellung zerebraler Funktionen weiterhin zumindest von impliziter Bedeutung. Denn Ethik wird dann abhängig von der Zusammensetzung der AkteurInnen und in Interdependenzen mit der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft und der wissenschaftlichen Arena laufend de- und re-kontextualisiert und tritt in Form von persönlichen Moralvorstellungen hervor.
5.2 Im Strom der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft Die Mensch-Maschine-Symbiose lässt sich, darauf lassen meine Befunde schließen, am Beispiel der Wiederherstellung verloren gegangener zerebraler Funktionen in neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaften beobachten und auf unterschiedliche Forschungsbemühungen zurückführen. Die Anfänge der Entwicklung von BCI ist zunächst auf Bemühungen einzelner international agierender Akteure im Projekt zurückführen. In der Anfangsphase des Projekts fanden sich nur wenige Neurowissenschaftler, die die Koordination übernahmen und weitere potenzielle Projektmitglieder akquirierten. Die Idee zu den Projektskizzen wurde durch eine Ausschreibung angeregt. In die Arbeit an den Anträgen wurden viele zeitliche und personelle Ressourcen investiert, denn solche Anträge müssen bestimmte Kriterien genügen, wie oben im Zusammenhang mit den Ethikkommissionen bereits angesprochen wurde. Die Tatsache, dass eine Forschendengruppe aus der Stadt C bereits Projekterfahrungen mit BCI hatte, sowie die schon bestehende Kooperation mit der Stadt B auf dem Gebiet der Neurotechnologie bestärkte das »Kern-Team«, intensiv an dem Antrag zu feilen und verschiedene WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Disziplinen in das Vorhaben zu integrieren (vgl. Prof001-BioIuT: Abs. 011-027). Auf diesem Wege kam letztlich ein internationales Projekt zustande mit PartnerInnen aus unterschiedlichen Disziplinen und mit differenten Kompetenzen, zwischen denen bereits eine langjährige internationale Zusammenarbeit im Bereich der Neuroimplantologie bestand. Diese langjährige Zusammenarbeit ermöglichte einem der Befragten zufolge die kooperative Arbeit an »gemeinsamen Ideen und Überlegungen zu diesem Projekt« (Prof007-DrMed: Abs. 015). Ich möchte nun beschreiben, wie genau sich die neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaft zusammengefunden hat: Prof006-DrMed wurde durch
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Prof007-DrMed auf das internationale Projekt aufmerksam. Er fand das Projekt »sehr passend, sehr interessant« und meint damit sowohl die neurowissenschaftliche und neurotechnologische Expertise der Stadt B, der Gruppe um ihn herum und des Prof007-DrMed, als auch den Kontakt zu den PatientInnen: »Und die Neurochirurgie ist das einzige Fach, das direkten Zugang hat zum Gehirn, (…) das heißt, wir haben direkten Zugang zum Gehirn, erstens. Wir führen bereits Epilepsiechirurgie durch. Das heißt, wir haben Kontakt, wir machen eine ganze Menge elektrophysiologischer Ableitungen im Gehirn. .. Wir haben solche parkinsonsche Erkrankungen hier, wo wir Elektroden einführen. Wir haben das gesamte Setup zur Neurochirurgie selbst, viel Wissen diesbezüglich. Und wir haben eine exzellente Umgebung, nicht? Bei Prof002-MedPsy, bei Prof012-DrMed. Also es gibt, ..und das M-Institut. Also das heißt, wir haben ein sehr gutes Environment und wir sind natürlich sehr stark.« (Prof006DrMed: Abs. 059)
In dem Zitat spricht der Mediziner zunächst das Praxisfeld des Projektes an. Dabei meint er mit dem direkten Zugang zum Gehirn erstens den Zugang zu PatientInnen und zweitens den dadurch ermöglichten Zugang zum Gehirn dieser PatientInnen und zu dessen Vorgängen. Danach geht er (sowohl in dem zitierten Ausschnitt als auch im weiteren Gesprächsverlauf) auf die im internationalen Projekt gebündelten Kompetenzen ein, die er als herausragend beschreibt. Es gäbe immenses Vorwissen und Erfahrungen im Bereich der Neurowissenschaften und Neurotechnologien, insbesondere im Bereich der elektrophysiologischen Ableitungen, aber auch Erfahrung mit verschiedenen neuronalen Erkrankungen. Die Mitarbeitenden hätten zudem ein exzellentes wissenschaftliches Renommee. Sie hätten bspw. schon einen wissenschaftlichen Preis gewonnen und einen Artikel in einer bekannten Zeitschrift veröffentlicht, und somit Expertise auf diesen Gebieten. Ferner sei die langjährige Zusammenarbeit bedeutungsvolle Bedingung für die Teilnahme an ein auf mehrere Jahre angelegtes internationales Verbundprojekt. Welche genaue Zielsetzung mit dem Projekt verfolgt wurde, hängt zunächst mit einer Entdeckung von Prof002-MedPsy – einer internationalen Koryphäe im Bereich BCI-Forschung – zusammen. Er ist einer der HauptakteurInnen derjenigen in der BCI-Forschungslandschaft, die zu EEG-Signalen forschen, was z.B. durch Prof007-DrMed (vgl. ebd.: Abs. 019) bestätigt und unterstrichen wird. In einer Studie bei EpilepsiepatientInnen machte er die Beobachtung, dass die PatientInnen ihre Hirnaktivitäten bewusst steuern können. Für diese Studienergebnisse bekam er einen renommierten Preis. Damit wurden nicht-zweckgebundene Forschungsmittel frei und er konnte (und kann) die Kontrolle von Hirnaktivitäten genauer untersuchen:
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»Wir haben also Leute, die nicht heilbar sind mit Epilepsie, dazu gebracht, durch Hirntraining [Neurofeedback mittels BMI, MŞ] die Anfälle selbst zu kontrollieren. (…) Und das wiederum ging nur, also die ALS ist ja diese schwere Krankheit, und das ging wieder nur, weil Förderer X mir einen Preis gegeben hat. Das ist, das ist der Y-Preis. Da kriegt man drei Millionen Euro für fünf Jahre und kann machen, was man will. Das interessiert niemanden. Und der, der Preis kam für diese Epilepsie-Geschichte. Aber die Idee war natürlich, dass man meine Mitarbeiter (…) auch einmal freistellt von allen Aufgaben und sagt: ›So ihr habt jetzt fünf Jahre Zeit. Und in diesen fünf Jahren macht ihr das. Und ihr braucht in diesen fünf Jahren nicht massiv publizieren, keine Anträge stellen, sondern ihr macht es einfach.‹ Und das hat dann [dazu, MŞ] geführt, dass man Zeit hatte, was man ja in der Forschung nie hat, weil man ja nur drei Jahre Geld kriegt. Und dann konnten die fünf Jahre in Ruhe mit diesen Patienten arbeiten und zeigen, dass das geht. Und nach den fünf Jahren kam dann der berühmte Artikel heraus, indem das an zwei Patienten einmal demonstriert wurde. Das war sozusagen die Initialzündung. Also eine Kombination auf der einen Seite aus diesem Training und auf der anderen Seite aus der Chance, die sich über das Geld ergeben hat. Und wenn wir das Geld nicht gekriegt hätten, wäre das sehr schwierig geworden.« (Prof002-MedPsy: Abs. 085)
Der Interviewpartner verdeutlicht, dass neben dem Faktor Geld der Faktor Zeit für innovative Forschungsunternehmungen besonders wichtig ist. Auch das »Freigestellt-Sein« von wissenschaftlichen Verpflichtungen, wie z.B. Anträge schreiben oder dem Zwang, »massiv publizieren« zu müssen, erleichtert es WissenschaftlerInnen, »in Ruhe« zu arbeiten und zu innovativen Ergebnissen zu kommen. Der Zusammenhang dieser Aspekte zu dem aktuellen Projekt besteht nun darin, dass innerhalb des Projektes BCI bei ALS-PatientInnen sowie SchlaganfallpatientInnen auch auf Basis vorheriger Studienergebnisse und Forschungserfahrungen weiter entwickelt werden soll(te). Mit diesem immensen Vorwissen aus dem im Zitat angesprochenen vorangegangenen Projekt eignete sich die »Gruppe Prof002-MedPsy« für das BCI-Projekt. Folglich erleichtern Vorwissen und bereits erfolgreich durchgeführte Studien sowie wissenschaftliche Preise, die auf ein bestimmtes Renommee hinweisen, die Partnerschaft in solch einem Projekt. Vorwissen und Vorerfahrungen sind ein Kennzeichen für Expertise und versprechen Synergieeffekte für die experimentelle Hirnforschung – ohne diese Bedingungen wäre die Mensch-Maschine-Anpassung erst gar nicht möglich. Welche Expertise genau vorlag, verdeutlicht einer der diesem Projekt angehörenden Interviewpartner wie folgt: »Und daraus ist dann die Idee entstanden, dass man auch in Stadt B hier die guten Voraussetzungen dafür hat, so etwas zu tun. Weil einerseits bereits auf der Ebene der nicht-invasiven Forschung bisher starke Vorarbeiten herrschen und andererseits im Bereich der .. Funktionslokalisation, .. des Brainmappings, der Navigationstechnologie auf
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neurochirurgischer Seite bei uns und bei mir ja schon Vorerfahrungen und entsprechende Expertise besteht. Und von daher war das eine .. sehr gute und natürliche, ergänzende, komplementäre Expertise, die dann gemeinsam dazu geführt hat, dass man gesagt hat, man möchte das jetzt .. versuchen, dass man invasive Brain-Computer-Interfaces benutzt. (…) [I]n Stadt C gibt es starke Bemühungen, was .. experimentelle Forschung auf dem Gebiet anbelangt, .. bei BCI, Technisches usw., … aber nicht so ausgeprägte Erfahrungen, was klinische Forschung auf dem Gebiet anbelangt. Und auch nicht so starke Erfahrungen, was neurochirurgische Arbeiten auf dem Gebiet anbelangt. Und deswegen hat man von Stadt C aus mit Stadt B Kontakt aufgenommen und der Ansprechpartner war da initial Prof002-MedPsy« (Prof007-DrMed, Abs. 015, 031).
Die Expertise wird im Zitat im Zusammenhang mit Techniken und Praktiken der Neurowissenschaften erwähnt. Analog zu Reckwitz (Kapitel 3) wird hier ein Set von Praktikenkomplexen beschrieben, wobei die Trägerschaft der Praktiken sowohl durch menschliche Expertise als auch durch Apparaturen verkörpert wird. Erfahrungen, also Wissen, liegt hier in mehrfach verkörperter Form vor. Die hier angesprochenen Dimensionen beziehen sich dabei sowohl auf die Sachals auch auf die Handlungstechnik. Beispielsweise ist die Navigationstechnologie im OP-Saal ohne handlungstechnische Kenntnisse unbrauchbar. Die Wiederherstellung zerebraler Funktionen, die im Rahmen des internationalen Verbundprojekts vor allem über das technikdominante BCI erzielt werden sollte, ist laut Prof006-DrMed durch zwei Wege möglich: einmal durch den »biologischen« und zum anderen durch den »technologischen« Weg: »Und .. es gibt grundsätzlich zwei Wege, um verloren gegangene Funktionen des Gehirns wiederherzustellen. Das ist der biologische und der technologische Weg. Der biologische Weg ist aus meiner Sicht der vielleicht sustentablere [nachhaltigere, MŞ] Weg. Das ist der Weg, der definitive Weg. Aber die Biologie kennen wir nicht so gut und ausführlich, und das zeigt sich auch an der Stammzellforschung, dass der Weg viel schwieriger und komplizierter ist, als man sich gedacht hatte. Und die Fortschritte hier sind minimal. Also die eigentlichen, praktischen Fortschritte sind minimal. Im Bereich der Neurotechnologie ist das ganz anders. Wir agieren viel direkter. Wir sind grober, weil wir nicht mit Zellen arbeiten. Wir arbeiten mit Strukturen, die so fein, wie sie sein mögen, sind sie für das Gehirn immer noch sehr grob. Aber wir erreichen durch dieses Verfahren viel schneller einen Erfolg, als über den biologischen Weg. Sodass ich denke, man darf nicht eine Methodik verwenden komplett zugunsten der anderen Methode. Sondern man muss beide parallel laufen lassen.« (Prof006-DrMed: Abs. 063)
Um schnelle, nicht unbedingt nachhaltige Fortschritte im Bereich der Wiederherstellung zu erreichen, wird dem Befragten zufolge also der technologische Weg eingeschlagen – hier wird also die BCI-Forschung und somit die MenschMaschine-Anpassung implizit legitimiert. Parallel dazu solle man aber auch
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Fortschritte im Bereich der Biologie machen. Der frühzeitige Beginn, einen technologischen Weg einzuschlagen, sei entscheidend. Die gegenwärtige Generation stehe im gewissen Sinne in der Schuld medizintechnische Innovationen gegenwärtig zu fördern und vorausschauend zu handeln, damit zukünftige Generationen von der heutigen Forschung profitieren könnten (vgl. Prof006-DrMed: Abs. 67). Da ich die zitierten Aussagen von Herrn Prof006-DrMed als für mein Forschungsanliegen als relevant bewertete, befragte ich im späteren Forschungsprozess Herrn Prof002-MedPsy etwas konkreter nach dem Verhältnis von Biologie und Technik, wobei ich ihn bat, das mit direktem Bezug zur Neurotechnologie zu explizieren. Professor Prof002-MedPsy führte dann diesbezüglich aus: »Ja, das ist eine ganz ESSENTIELLE Frage. Ja? Weil diese beiden Dinge muss man verbinden. Aber es ist nur das. Biologie, Technik und Psychologie. Die Psychologie wird meistens am allerschnellsten vergessen. Ja? Und diese Verbindung, das ist genau das Problem. Das wird ja immer groß von der Interdisziplinarität GEREDET. Aber sie wird eben selten PRAKTIZIERT. Also, damit da was rauskommt bei dieser Sachen, müssen Ingenieure, Physiker einmal die Technik beherrschen. Dann müssen die Mediziner und Biologen, müssen das genau wissen, wie das im Gehirn funktioniert und wie das abläuft. Und die Psychologen müssen genau wissen, wie man lernt. Denn NUR wenn man alle drei kombiniert, hat man eine Chance, da etwas herauszufinden. Und das ist sehr schwierig. Denn der Physiker, der denkt nicht an das, was der Psychologe denkt. Und der Psychologe, der interessiert sich für das Gehirn überhaupt nicht. Ja. Und die Leute dazu zu bringen, und sich gegenseitig für das zu interessieren, außer über verbale Bekundungen hinaus, das ist eben auch sehr schwierig. Weil dahinter stehen ja immer Ausbildungsunterschiede und so weiter, und so weiter.« (Prof002-MedPsy: Abs. 341)
Nach den Aussagen von Prof006-DrMed ist meine Frage essentiell, was er damit begründet, dass für BCI und andere Neurotechnologien die Verbindung von Biologischem, Technischem und Psychologischem elementar sei. Damit diese Verbindung gewährleistet werden könne, müsse zunächst die Technik von den WissenschaftlerInnen beherrscht werden, also funktionsfähig sein. Zudem sei es notwendig, die Funktion und Abläufe des Gehirns durch Medizin und Biologie genauestens zu erforschen. Erst durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, durch Forschungsbemühungen, die die Neurotechnologien betreffen, würden schnellere Ergebnisse generiert und somit kranken PatientInnen schnellere Hilfestellungen geboten. Die Ergebnisse erfolgreicher Forschungsaktivitäten im Bereich der Neurowissenschaften/Neurotechnologien, wie z.B. die funktionsfähige Neurotechnologie, seien Früchte erfolgreicher interdisziplinärer Zusammenarbeit. Diese gelinge jedoch nur, wenn sich PsychologInnen, PhysikerInnen, MedizinerInnen und BiologInnen »sprachlich« verständigen könnten (vgl. Prof002-MedPsy: Abs. 349). Das notwendige Zusammenspiel der verschiedenen
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Disziplinen lässt vermuten, dass das Gehirn so komplex ist, dass es nur durch die Kooperation von PsychologInnen, PhysikerInnen, MedizinerInnen und BiologInnen analysierbar wird. Analog zu den genannten Disziplinen müssen dem Gehirn also Vorgänge immanent sein, die nicht nur biologisch oder technologisch erklärbar sind. Prof006-DrMed macht zwar deutlich, dass die Forschung sowohl auf dem Bereich der Neurobiologie, als auch auf dem Bereich der Neurotechnologie gemeinsam vorangetrieben werden müsse, um einen größtmöglichen Nutzen zu erreichen, jedoch macht er keine genaueren Aussagen über ein Zusammenspiel von Biologie und Technologie. Und auch ein anderer Interviewpartner, Prof001-BioIuT, macht zwar auf die Leistungsfähigkeit von Biologie und Technologie aufmerksam, sagt jedoch nichts über das Zusammenwirken, also das Verhältnis dieser Bereiche (vgl. ebd.: Abs. 348, 351, 355). Das ist insofern erstaunlich, als dass das Zusammenspiel von Biologie und Technologie beim BCI und somit auch bei der BCI-Forschung entscheidend ist (Kapitel 6). Zur Wiederherstellung zerebraler Funktionen mittels Neurotechniken ist die Anpassung von Biologie und Technik, Gehirn und Computer, und dadurch die Mensch-Maschine-Symbiose elementar. Prof001-BioIuT macht in diesem Zusammenhang Aussagen darüber, dass es in der aktuellen Forschung Bestrebungen gäbe, dass sich die »Maschine dem Menschen anpasst«. Allerdings würde die »Leistungsfähigkeit« des BCI nach längerem Trainingszeitraum »runter gehen« (vgl. ebd.: Abs. 387, s. auch das folgende Zitat). Diese Leistungsfähigkeit gälte es auch in seinem Projekt zu erhöhen, wobei jedoch die betreffenden PatientInnengruppen entscheidend seien. Denn die (Weiter-)Entwicklung von Neurotechnologien sei stark von den Bedürfnissen und Krankheitsbildern der PatientInnen abhängig. Demnach müsse die zu entwickelnde BCI-Technologie bestimmten PatientInnenanforderungen genügen, worauf auch Prof002-MedPsy hinweist. Daher müsse es auch verschiedene bzw. individuelle Entwicklungspfade geben: »Ja, beim Schlaganfall muss es da verschiedene geben. Ein einzelnes [BCI-System, MŞ] wird da nicht geeignet sein. Es wird eines geben, wie ich schon sagte, das im Körper liegt, wo die Elektroden im Hirn eingepflanzt sind und wo die Leute dann die Muskeln bewegen können, indem sie das mit ihrem Gehirn steuern. Das ist die eine Gruppe. Und die andere, das wird ein Trainingssystem sein, wo die Leute jeden Tag eine Stunde trainieren, zu Hause, in der Klinik oder wo auch immer, und dann selber versuchen, das zu benutzen, ja? Das sind die zwei Hauptsysteme für Schlaganfall. Für die ALS muss es ein System sein, das am Krankenbett steht, sind ja, liegen ja im Bett, ja. Das dort steht, IMMER. 24 Stunden dort steht. Das der Patient jederzeit anwerfen kann und dann etwas.., ja zumindest ›ja‹ oder ›nein‹ sagen kann.« (Prof002-MedPsy: Abs. 409)
Auf meinen Einwand, dass es auch ALS-PatientInnen gäbe, die noch über ein mobiles System kommunizieren könnten und ob das BCI auch so entwickelt
5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre epistemischen Objekte
werden solle, antwortet Prof002-MedPsy: »Ja, ja. Das muss ein kleines tragbares System sein, was am Rollstuhl montierbar ist. Und das der Patient 24 Stunden bei sich hat. Denn der muss 24 Stunden kommunizieren, wie Sie und ich auch. Davon sind wir noch entfernt.« (Ebd.: Abs. 417) Die Zitate verweisen auf etwas Grundlegendes: Die Entwicklung einer Medizintechnologie, wie z.B. der BCI, ist sehr stark von der Anwendbarkeit und vom Nutzen für die jeweilige PatientInnengruppe abhängig. In diesem Zusammenhang ist es m.E. wichtig zu betonen, dass viele ALS-PatientInnen, wenn sie sich für lebenserhaltende Maßnahmen entscheiden, eher positiv gegenüber Technologien wie der BCI eingestellt sind. Sie sind im gewissen Maß auch von der zu entwickelnden Technologie abhängig, denn sie sind darauf angewiesen, dass solch eine Technologie ihnen eine Kommunikation mit ihrer Umwelt gewährleisten kann. Eine unkomplizierte Bedienung und »Handlichkeit«, also eine NutzerInnenfreundlichkeit, begünstigen die Akzeptanz solcher Technologien. Allerdings spielt in diesem Zusammenhang nicht allein die Akzeptanz durch die PatientInnen selbst eine Rolle. Vielmehr muss die Kommunikationsweise über BCI auch von den KommunikationspartnerInnen (z.B. Angehörige, BetreuerInnen) akzeptiert werden. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen müssen sich KommunikationspartnerInnen mit dem Anschließen und der Bedienung des BCI auskennen, zum anderen ist ein Pflegefall, der von lebenserhaltenden Maßnahmen abhängig ist, für Angehörige, die diesen betreuen und/oder pflegen müssen, per se nicht ganz unproblematisch, sodass der Umgang durch Technik nicht weiter verkompliziert werden sollte. Bei der Frage, was genau die Kommunikation mittels BCI gewährleistet und welche Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen, antwortet Prof002-MedPsy, dass man das nicht genau wisse, dass die Steuerung von Hirnaktivitäten eher implizit ablaufe: »Weiß man im Grunde nicht genau. Man kann darüber spekulieren. Es ist aber auch nicht wichtig, das zu wissen. Entscheidend ist, dass es geht. (…) MŞ: Und was sagen Sie dann den Patienten, wie..// Prof002-MedPsy: Den Patienten. Ich sage den Patienten GAR NICHTS. Also ich sage: ›Bitte finden Sie ihre eigene Denkstrategie, machen Sie, was sie wollen, probieren Sie, was Sie wollen, tun Sie, was Sie wollen, denken Sie, was Sie wollen.‹. Meine Mitarbeiter halten sich daran nicht. Weil ich bin der Auffassung, also man soll das den Patienten überlassen. Meine Mitarbeiter geben immer Ratschläge. Und das sind dann Ratschläge ›Versuchen Sie sich das und jenes vorzustellen. Stellen Sie sich eine Bewegung vor. Stellen Sie sich die öffnende Hand vor.‹ usw. usw. Ich halte davon gar nichts. Es gibt auch Untersuchungen, die wir gemacht haben, die gezeigt haben, dass die Vorstellung, diese Instruktionen nicht sehr hilfreich sind. Trotzdem machen das die Leute immer wieder, weil sie die Patienten hilflos sehen und [diese, MŞ] immer wieder fragen: ›Ja, was soll
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ich denn da machen? Geben Sie mir doch einen Rat. Dann sage ich: ›Nein, ich gebe Ihnen keinen Rat!‹ Und die anderen geben dann halt mal einen Rat. Es macht im Grunde keinen Unterschied. Am Schluss lernen die das, was sie wollen.« (Ebd.: Abs. 072:076)
Der Befragte lehnt also eine Instruktion der PatientInnen ab. Dies ist m.E. nicht unproblematisch. Denn meinen Beobachtungen von ALS-PatientInnen zufolge kann eine vollständige und reibungslose Kommunikation mit ALS-PatientInnen über BCI nur dann gewährleistet werden, wenn man weiß wie die Kontrolle von Hirnaktivität und somit das »Treffen von richtigen Buchstaben« über die BCI mit EEG genau funktioniert. Die PatientInnen lernen zwar die Steuerung von Hirnaktivitäten und somit das Treffen von Buchstaben durch eigenes Ausprobieren, allerdings besteht dann immer noch eine Fehlerhäufigkeit. Im Falle der BCI-Anwendung bei ALS-PatientInnen gibt das System falsche Buchstaben aus. Zudem sind die Sequenzen der Buchstabenermittlung immer noch sehr hoch. Dies betrifft z.B. das Aufleuchten von einzelnen Buchstaben und somit die Aufleuchthäufigkeit bis zur Ermittlung eines Buchstabens. So lässt sich ein Buchstabe z.B. manchmal nach 30 Sekunden und manchmal erst nach 50 Sekunden ermitteln. Die Ermittlung eines einzelnen Wortes ist zeitlich variabel. Bei meiner Beobachtung einer ALS-Patientin brauchte die Patientin z.B. fünf Minuten für das Wort AQUA, wobei in diesem Fall ein Buchstabe falsch ermittelt wurde (ARUA). Die falsche Ermittlung von Buchstaben ist für die PatientInnen oft frustrierend, da sie zusammen mit den richtigen ein Wort ergeben, welches ggf. für den/die KommunikationspartnerIn unverständlich bleibt. Allerdings kann es natürlich abhängig von der Erkrankung sein, inwiefern die Steuerung von Hirnaktivitäten durch das »learning by doing« mittels Neurofeedback als ausreichend und bedarfsgerecht empfunden wird. Wie die Steuerung von Hirnaktivität erlernt wird, wird im nächsten Abschnitt dargestellt.
5.3 Beobachtungen bei EpilepsiepatientInnen – die Initialzündung Bei der Erforschung der Steuerung und Kontrolle von Hirnaktivitäten stellt Prof002-MedPsy eine Schlüsselfigur dar. Er führt die aktuellen Forschungsbemühungen auf seine Beobachtungen mit EpilepsiepatientInnen zurück: »Es gab es, für mich jedenfalls, eine Initialzündung, insofern, vor vielen Jahren, vor ca. 20 Jahren. Da haben wir das ja bei Epilepsiepatienten geprüft. Wir haben also Leute, die nicht heilbar sind mit Epilepsie, dazu gebracht, durch Hirntraining [Neurofeedback mittels BMI, MŞ] die Anfälle selbst zu kontrollieren. Und dabei ist uns aufgefallen, dass nach langen Trainingszeiten, nachher, diese schwerstkranken Leute das so gut können, dass sie praktisch jedes Mal, wenn der Computer sagt: ›Jetzt mach dein Gehirn, jetzt ändere dein Gehirn in diese und jene Richtung!‹, dass die das praktisch immer konnten.
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Und zwar nicht nur in Laboratorien, sondern auch in der Wirklichkeit, da wo sie die Anfälle gekriegt haben. Und das war der Initialzünder für mich, zu sagen: ›Okay, wenn das bei denen geht, dann muss das auch als Kommunikationsmittel gehen. Denn wenn jemand das so genau kontrollieren kann, dann kann er auch ›ja‹ oder ›nein‹ sagen damit, oder Buchstaben auswählen.‹. Und so sind wir dann sozusagen auf die ALS gekommen.« (Prof002-MedPsy: Abs. 085)
Im Zitat beschreibt Prof002-MedPsy die Steuerung der Anfallskontrolle von EpilepsiepatientInnen mittels BCI durch Neurofeedback.4 Dies ist ein behavioristisches Verfahren, bei dem der Patient bzw. die Patientin positiv darin bestärkt wird, seine/ihre Hirnaktivität so zu steuern, dass diese eine bestimmte Frequenz erreicht. Die Rückmeldung, ob die Hirnsignale richtig gesteuert werden, erfolgt durch visuell dargestellte Frequenzwellen der elektrischen Hirnaktivität und auch durch den erlebten Körperzustand. Diese Rückmeldung ist für die PatientInnen von entscheidender Bedeutung, denn im Fall einer Falschsteuerung könnte es zu einem epileptischen Anfall kommen, den es zu verhindern gilt. Die hochbedeutsame Rückmeldung wirkt insofern konditionierend, als die PatientInnen lernen, ihr Verhalten (also ihren zerebralen Zustand) immer dann anzupassen, wenn sie merken, dass sie einen Anfall haben könnten. Die nun folgende Analyse soll im ersten Schritt zunächst verdeutlichen, welche Bedeutung das Neurofeedback, das auch bei den SchlaganfallpatientInnen, die ich im Labor beobachten konnte,5 erfolgreich durchgeführt wurde, für den Verlauf der Praktiken der NeurowissenschaftlerInnen hat. Ich werde die Feinanalyse später am Beispiel der von mir beobachteten Experimente genauer vorstellen (vgl. Kapitel 6). Auffallend am obigen Zitat des Prof002-MedPsy ist die Beschreibung des Neurofeedback-Verfahrens als Ereigniskette: der »Computer sagt« und das »Gehirn ändert« und der Patient bzw. die Patientin kann etwas »selbst kontrollieren«. Bei näherer Betrachtung jedoch folgt das Vorgehen dem kybernetischen Prinzip der Zirkularität, wobei eine Ursache (Input) eine Wirkung hervorruft (Output) und wobei diese Wirkung eine neue Ursache für eine neue Wirkung wird usw. 4 | Das Neurofeedback-Verfahren geht auf Barry Stermans (2000) Versuche mit Katzen
zurück. Er bekam einen Auftrag von der NASA zur Überprüfung der Wirkung des im Raketentreibstoff enthaltenen Mittels Monomethylhydrazin auf den Körper als mögliche Ursache für Epilepsieanfälle. 5 | In dem Fall erfolgte die Rückmeldung durch die erfolgreiche Öffnung der Roboterhandorthese. Da die Mensch-Maschine-Anpassung im Fokus meiner Arbeit steht, wobei ich mich vor allem auf das Beispiel der neurowissenschaftlichen und -technischen Heilversuche an SchlaganfallpatientInnen beziehe, werde ich im Kapitel 6 näher darauf eingehen.
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Ich werde nun den Lernprozess der Gedankensteuerung von PatientInnen analog der Sprechweise des Interviewpartners als Ereigniskette in vier Schritten aufzuschlüsseln, um das Problem der Zirkularität besser hervorzuheben. Die Apparatur löst in einem ersten Schritt einen Reiz als Steuerbefehl beim Patienten bzw. bei der Patientin aus, wobei die Ursache für diesen Reiz im obigen Zitat noch nicht deutlich wird. Die Formulierung »ändere dein Gehirn« bedeutet, dass ein visueller oder audiovisueller Reiz über den Bildschirm durch die Darstellung der Frequenzwellen der elektrischen Hirnaktivitäten erfolgt. Sie erscheinen dem Patienten/der Patientin als neuronale Expressivität.6 Der zweite Schritt bezieht sich auf das, mit dem Prof002-MedPsy fortfährt: »in diese und jene Richtung«. Dies betrifft die Richtungsanweisung. Die aktuelle Hirnaktivität wird zwar visuell in Form von EEG-Wellen am EEG angezeigt (Ursache/Input), sie erscheint dem Patienten/der Patientin als etwas, was er/sie selbst steuern kann (expressives Gegenüber). Der dritte Schritt wird mit der Formulierung »an das Gehirn« eingeleitet, betrifft also die neuronale Expressivität als expressives Gegenüber. Denn die Rückmeldung, welche Richtung die »richtige« ist, erhält der/die PatientIn durch die graphische EEG-Darstellung, wobei sich die Frequenzen analog zum seinem/ ihrem Verhalten ändern. Bei einer Änderung der Gedanken7 (Wirkung/Output) ändert sich bspw. die bildliche Darstellung der neuronalen Expressivität entsprechend (neuer Input für den Patienten/die Patientin). Allerdings soll der/die PatientIn seine/ihre Hirnaktivität nach einer gewünschten Repräsentation der elektrischen Aktivitäten des Hirns ändern. Dementsprechend erfolgt die Richtungssteuerung nach dem seitens des Wissenschaftlers von Foerster (in Foerster & Pörksen 2008, vgl. Kapitel 3.4.3 in dieser Arbeit) beschriebenen Prinzip der Kybernetik. Durch den Prozess der visuell dargestellten Informationsverarbeitung wird die Hirnaktivität angepasst. Der/die PatientIn lernt also, sich entsprechend der Visualisierung der neuronalen Expressivität zu verhalten. Die exzentrische Positionalität bei Steuerung von »spontaner neuronaler Expressivität« (Lindemann 2008: 87) trifft hier also zu, sofern die epileptischen Anfälle als unwillkürliche und somit spontane Hirnaktivität gedeutet werden können. Der aktuelle zerebrale Zustand wird durch Manövrieren der Gedanken visuell objektiviert und der/die PatientIn gleicht seine/ihre willentliche geistige Handlung mit dieser visuellen Wiedergabe ab. Die Steuerung und Regulierung von Hirnaktivitäten entspricht dem Zirkularitätsprinzip der Steuerung und Regelung von Menschen/ Organismen nach der Kybernetik (vgl. Foerster & Pörksen 2008).
6 | Ich verwende diesen Begriff analog zu Lindemann (2003; 2008) immer dann, wenn
eine Eigenleistung des Gehirns durch den/die InterviewpartnerIn implizit betont wird, ohne dabei die PatientInnen in die Betrachtung einzubeziehen. 7 | Neurowissenschaftler sprechen von Kontrolle der Hirnfrequenzen.
5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre epistemischen Objekte
Der vierte Schritt beinhaltet dann die Feststellung, dass die Kontrolle der Hirnaktivität aber »nicht nur in Laboratorien, sondern auch in der Wirklichkeit« erfolgen soll. Durch das Üben dieses Verfahrens wird ein Lernprozess aktiviert, wobei hiermit die nachhaltige Wirkung dieses Verfahrens gemeint ist, was sowohl die zeitliche als auch die situative Komponente betrifft. Prof002-MedPsy betont in diesem Zusammenhang implizit die Bedeutung des NeurofeedbackVerfahrens mittels BCI für den Alltag des Patienten/der Patientin, die sich also schon bewährt hat. Das Neurofeedback-Verfahren wird schon weltweit als Therapieform bei z.B. zur Behandlung von SchmerzpatientInnen oder zur Behandlung von ADHS bei Kindern eingesetzt.8 Der Nachtrag Lindemanns (2008), »[w]enn sie [die exzentrische Positionalität bei gleichzeitigem Verhältnis von neuronalen Zuständen zur Steuerungsfunktion des Organismus, MŞ] trotzdem im Experiment festgelegt werden sollte, wäre dies auf die restriktiven Interaktionsbedingungen in der Experimentalanordnung zurückzuführen« (Lindemann 2008: 94f.), steht im Widerspruch zur obigen Ausführung und muss in diesem Fall zurückgewiesen werden. Denn die technische Apparatur im Experiment (das BCI mitsamt Monitor) rückt im letzten Schritt in den Hintergrund. Das sachtechnische Hilfsmittel wird durch die handlungstechnische Ausführung der Hirnaktivitätssteuerung ersetzt. Der/ die PatientIn erscheint als eine Ganzheit, die ihren zerebralen Zustand zu Hause selbstständig kontrollieren kann – ohne BCI (Sachtechnik) aber mit dem erlernten Verhaltensmuster zur Steuerung der Hirnaktivität (Handlungstechnik). Die gestalthafte Ganzheit wird daher implizit in die Elemente PatientInnenhandeln (PatientIn als Handlungsinstrument) und Hirnaktivität (neuronale Expressivität als Kommunikationsinstrument) unterteilt. Die Steuerung der Hirnaktivität kann nicht an das Gehirn als isoliertes Organ abgegeben werden – was durch die Formulierung »an das Gehirn« suggeriert wird. Der/die PatientIn stellt vielmehr im Zusammenspiel der Steuerung eine Komponente des Könnens dar, was ein Verstehen und ein dem nachgeordnetes Vollzugsgeschehen impliziert (Organismus des Vollzugsgeschehens). Der/die PatientIn muss also die Verhaltensaktivität seines/ihres Gehirns deuten, damit er/sie unwillkürliche Hirnaktivitäten (epileptischer Anfall) kontrollieren kann, indem er/sie ein Verhaltensmuster zur Steuerung der Hirnaktivität nutzt. Dieser Prozess verläuft dynamisch zirkulär. Das heißt, die Verhaltensaktivität des Gehirns steht dem Patienten/der Patientin in der visuellen Repräsentation zunächst als expressives Gegenüber und bildet die Ursache zur willentlichen Steuerung der Hirnaktivitäten. In ihrer Wirkung bilden die so neu produzierten Hirnaktivitäten erneut eine Ursache zur Steuerung der Hirnaktivität des Patienten/der Patientin usw. usf.
8 | Ein Therapeutenverzeichnis findet sich bspw. auf www.eeginfo-neurofeedback.de
(EEG Info Deutschland, letzter Zugriff 16.04.2015).
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Das techno-zerebrale Subjekt
Das »praktisch immer Können« beschreibt das erlernte Handeln, also die Hirnaktivitätssteuerung mittels Neurofeedback-Verfahren, als ein Wissen über einen bestimmten Umstand, den zerebralen Zustand. Dies kann beispielsweise im Rahmen eines anstehenden Anfalls relevant sein. Der zerebrale Zustand wird dabei zunächst visuell repräsentiert und später losgelöst von Sachtechnik handlungstechnisch relevant. Die willentliche Steuerung der Hirnaktivität wird zur Handlungstechnik. Wenn ich Lindemann (2008: 95) richtig deute, ist genau das das wesentliche Resultat einer Kulturtechnik der NeurowissenschaftlerInnen (vgl. auch Kapitel 2.2.4). Prof002-MedPsy bezieht das Vorhandensein eines Leibes in seine Betrachtungen ein, wobei hier nicht nur das Körper Haben sondern auch das Leib Sein im Sinne Merleau-Pontys (1974) gemeint ist. Die Aktivitätensteuerung des Gehirns und das BCI-Neurofeedback werden implizit im PatientInnenhandeln verkörpert. Diese Steuerung auch in die Wirklichkeit umzusetzen, macht das Verfahren alltagstauglich und somit auch interessant für PatientInnengruppen mit anderen Funktionsstörungen. Dadurch wird der Weg zur Etablierung der Kulturtechnik der Neurowissenschaften geöffnet. Die zirkuläre Dynamik, auf die das Neurofeedback-Verfahren beruht, versperrt allerdings die Ursache-Wirkungs-Kausalität und somit den genauen Vorgang der Steuerung. Für die Genesung von PatientInnen mit Hirnerkrankungen ist jedoch – auch wenn der Vorgang der Steuerung im Impliziten bleibt und dadurch schwer erlernbar ist – das Erlernen dieser Kulturtechnik der NeurowissenschaftlerInnen vielversprechend. Diese erfolgversprechenden Versuche sind Bedingungen und zugleich Hoffnungen für weitere Versuche an anderen PatientInnengruppen, wie hier den SchlaganfallpatientInnen. Die Funktionsfähigkeit des Neurofeedback-Verfahrens ist dabei eine wesentliche, jedoch nicht die einzige Bedingung für Heilversuche am Menschen in den Neurowissenschaften. Die Kontrolle von Hirnaktivitäten bei Epilepsie-PatientInnen gibt also Grund zur Annahme, dass die Kontrolle von Hirnaktivitäten auch zur Wiederherstellung der Motorikfunktionen bei SchlaganfallpatientInnen und zur Wiederherstellung der Kommunikation mittels BCI bei ALS-PatientInnen erreicht werden kann. Umso wichtiger ist es, die ursächliche Bedingung der BCI-Technologien, also die Verschaltung von Gehirn und Computer, zu erforschen und weiterzuentwickeln.
5.4 Zwischenfazit: Heterogene Akteurskonstellation und epistemische Objekte Die o.g. Bedingungen für das Erforschung von BCI und somit der Mensch-Maschine-Symbiose sind Ressourcen, die menschlich und nicht-menschlich verkörpert sind. Zu diesen Ressourcen zählen folgende vier Komponenten: Erstens sind dies WissenschaftlerInnen mit heterogenen Mitgliedschaften, die sich durch gemeinsames Forschungshandeln zu einer neurowissenschaftlichen
5. Neurowelt: Die (neuro)wissenschaftliche Arena und ihre epistemischen Objekte
Praktikengemeinschaft zusammen finden. Sie verfügen über Wissen über Theorien und haben zahlreiche Erfahrungen bzgl. Forschungen gesammelt. Zudem fließt in die Zusammenarbeit auch dasjenige Wissen und diejenigen Erfahrungen ein, die sich aus der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern anderer Forschendengruppen und wissenschaftlichen Arenen ergibt. Durch wissenschaftliche Arenen werden sie u.a. mit forschungspolitischen, forschungsethischen und sozialethischen Implikationen konfrontiert, die für ihr Forschungshandeln relevant sind. Zudem verkörpern neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaften ein Forschungshandeln im Hinblick auf den Umgang mit bestimmten Forschungsobjekten und -subjekten und deren Umgang und Arbeiten mit technischen Apparaturen. Dieses Forschungshandeln stellt ein wissenschaftlich-technisches Handeln dar. Es konstituiert sich durch Sach- und Handlungstechnik. Durch Mehrfach-Mitgliedschaften ihrer AkteurInnen erhält die neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaft Zugang zu anderen sozialen Welten. Beispielsweise hat ein/e NeurochirurgIn, der/die neben der eigentlichen neurochirurgischen Arbeit auch in einem neurowissenschaftlichen Forschungsprojekt tätig ist, auch Zugang zu PatientInnen und somit zu Forschungssubjekten in einer bestimmten Praxis-/ Artefaktkonstellation. Zweitens verkörpern PatientInnen, die Forschungssubjekte darstellen, a) ein epistemisches Objekt als gestalthafte Ganzheit, und sie implizieren b) ein oder mehrere epistemische Objekte (z.B. das Gehirn), die wiederum diskrete Elemente der gestalthaften Ganzheit darstellen. Das Element der gestalthaften Ganzheit wird durch Expressivität gekennzeichnet. Im Hinblick auf den Zugang zu PatientInnenkörpern wird ein Hantieren und Experimentieren mit dem PatientInnenkörper und seinen einzelnen Elementen möglich, dessen Eigenaktivitäten sich über Repräsentationen in verschiedensten Formen ausdrücken. Beispiele für einen solchen Ausdruck sind die Darstellung des Gehirns über MRT und die Darstellung von neuronaler Aktivität über Signale und EEG-Muster. Drittens sind dies Apparaturen, also Sachtechniken der Neurowissenschaften, die ein implizites (im Sinne von Theorien, z.B. über zerebrale Lokalisationen und ihren Funktionen etc.) und explizites Wissen (im Sinne einer visuellen Repräsentation des Gehirns, z.B. speziell von seiner neuronalen Expressivität) verkörpern, sowie einen bestimmten Umgang bzw. ein bestimmtes Hantieren mit ihnen voraussetzen und ermöglichen. Viertens meint das neurowissenschaftliche Verfahren, also Sach- und/oder Handlungstechniken der Neurowissenschaften, die durch den Patienten bzw. die Patientin erlernt und im Alltag angewendet werden können. Es sind also Sach- und/oder Handlungstechniken sowohl der NeurowissenschaftlerInnen als auch der PatientInnen. Welche Sach- und Handlungstechniken für die Anpassungsleistungen von Mensch und Maschine im neurowissenschaftlichen Experiment jedoch konstitutiv sind, wird im Folgenden beschrieben und analysiert. Dabei differenziere ich die Darstellung und Analyse anhand der drei Phasen der Mensch-Maschine-Anpassung und fokussiere beispielhaft die Wiederherstellung zerebraler Prozesse.
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Das techno-zerebrale Subjekt
Zuvor erfolgt jedoch eine Beschreibung des experimentellen Settings, des Versuchsdesigns und der Vorkehrungen zur Erreichung Mensch-Maschine- bzw. Gehirn-Computer-Verschaltung (Kapitel 6.1). Danach gehe ich intensiver auf die erste Phase der Mensch-Maschine-Anpassung ein. In diesem Kontext beschreibe ich den Wandel der PatientInnen zur bio-technischen Gestalt, die Integration des PatientInnenkörpers in den Rehabilitationsroboter (den ich im Folgenden Roboter oder Maschine nenne) und die Anpassung des Roboters an den PatientInnenkörper (Kapitel 6.2). Im Kapitel 6.3 werde ich dann auf die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung detaillierter eingehen. Ich werde das Screening als Vorkehrung zum BCI beschreiben (Kapitel 6.3.1) und die KoKonstitution des techno-zerebralen Subjekts (Kapitel 6.3.2) erörtern. Darüber hinaus werde ich die Mensch-Maschine-Symbiose als eine bestimmte Form der Mensch-Maschine-Anpassung definieren. Da dabei das kybernetische Prinzip der Zirkularität entscheidend ist, werde ich darauf im Kapitel 6.3.3 näher eingehen. Im Kapitel 6.3.4 beleuchte ich dann diverse Schwierigkeiten, die während der Versuche auftraten und für die Mensch-Maschine-Anpassung bedeutsam waren. Abschließend werde ich im Kapitel 6.3.5 auf die dritte Phase der MenschMaschine-Anpassung eingehen und im Kapitel 6.4 ein Zwischenfazit zu den Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess ziehen.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Heilversuche am Menschen finden in einem wissenschaftlichen Experimentalsetting statt, welches dem »Experimentalsystem« (Rheinberger 2001) gleicht. Im Experimentalsystem treten heterogene Elemente in sozio-technischen Konstellationen in Interaktion, Intra-Aktion und Interaktivität (Rammert 2007d). Die in eine bestimmte Raum-Zeit gesetzten Versuchsanordnungen implizieren die im Kapitel 5.4 zusammengefassten AkteurInnen: Mitglieder der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft, Forschungssubjekte, epistemische Objekte, technische Apparaturen, Softwareprogramme sowie Sach- und/oder Handlungstechniken, derer sich die ForscherInnen bedienen. Die sozio-technischen Konstellationen (Rammert 2007d) werde ich im Folgenden in ihren Raum-Zeit-(An)Ordnungen in experimentellen Settings darstellen. Dabei werde ich analog dem ecology approach (Star 1995) vor allem die prozessualen (An)Ordnungen jener menschlicher und nicht-menschlicher AkteurInnen in situativen Aushandlungsprozessen (Strauss 1978, 1993) fokussieren, die für die Mensch-Maschine-Anpassung von Bedeutung sind. Dabei ist für die Herstellung dieser Anpassung zunächst die Konstitution der bio-technischen Gestalt (Lindemann 2002) elementar. Die bio-technische Gestalt konstituiert sich laut Lindemann (2002) bei der Integration des PatientInnenkörpers in technische Arrangements. Allerdings ist diese Sichtweise m.E. zu einseitig. Denn die Konstitution der bio-technischen Gestalt erfolgt durch die wechselseitige Anpassung von Biologischem und Technischem. Und die Mensch-Maschine-Anpassung wird in einer sozio-technischen Konstellation hergestellt, wobei Vermittlungsinstanzen Übersetzungsleistungen zwischen dem Biologischen und dem Technischen übernehmen (vgl. dazu auch Latour/Callon, Kapitel 3.2.1, die das ähnlich beschreiben). Daher werde ich die Konstitution der bio-technischen Gestalt in die sozio-technischen Konstellationen integrieren und im Kapitel 6.3 als sozio-bio-technischen Anpassungsprozess beschreiben, wobei ich auch die wechselseitige Anpassung von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer (und ihre Elemente) darstellen werde.
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Das techno-zerebrale Subjekt
6.1 Die neurowissenschaftlich-klinische Studie: Versuchsanordnungen In diesem Kapitel stelle ich die Versuchsanordnungen analog der Arbeitsteilung1 durch die sach- und handlungstechnische Verfahren a) Arbeit am Neurorehabilitationsroboter, b) Arbeit am Rehabilitationsexoskelett und c) Physiotherapie vor. Im Zuge dessen wird auch das jeweilige Design2 der Versuche dargestellt. Dabei fokussiere ich allerdings die Arbeit am Roboter. Die anderen Versuchsdesigns dienen hingegen der Vervollständigung der Beschreibung der Raum-Zeit-(An) Ordnungen, die während der Versuche am Roboter die notwendige Integration in ein sozio-technisches Umfeld verdeutlichen sollen. Denn die Arbeit am Roboter kann nicht isoliert und losgelöst von Umweltbedingungen betrachtet werden, die auf sie einwirken. Die neurowissenschaftlich-klinische Studie sah die Teilnahme mehrerer SchlaganfallpatientInnengruppen vor, die jeweils zwei Mal an der Studie3 teilnehmen sollten. Jede Gruppe bestand aus mindestens vier Forschungssubjekten. Jede Versuchsphase dauerte mindestens sechs Wochen und wurde durch eine mehrmonatige Pause-Phase unterbrochen. In der ersten Versuchsphase wurde die Studie in einem Gebäudekomplex durchgeführt, in dem mehrere neurowissenschaftliche Projekte und Studien angesiedelt waren. Für die von mir untersuchte Studie standen den ForscherInnen darin zwei Räume zur Verfügung, die sich im selben Stock befanden und durch einen Flur getrennt waren. Im Labor 1 (L1, Raumgröße ca. 50qm) befanden 1 | Ähnlich geht auch Lindemann (2002) vor, die »die Teilung der Arbeit und der dadurch bedingten Teilung des Patientenkörpers präzisiert« (ebd.: 168). 2 | Die neurowissenschaftlichen Experimente wurden in unterschiedlichen Labors durchgeführt. Das vorgestellte Design ist exemplarisch. 3 | Der Heilversuch durch Neurotechnologien bei SchlaganfallpatientInnen wurde zunächst über die Presse verbreitet. Auf Pressemeldungen hin haben sich dann PatientInnen bei den zuständigen ProfessorInnen gemeldet und eine schriftliche Antwort erhalten, dass es eine Forschung dazu gäbe und dass der oder die PatientIn geeignet sein könnte. Die PatientInnen mussten daraufhin den Professoren ärztliche Unterlagen zur Eignungsprüfung als VersuchsteilnehmerIn zukommen lassen. Nach erfolgreicher Akquise hat man den Patienten/der Patientin dann einen Termin mitgeteilt, ein Hotel empfohlen (für dessen Kosten das Projekt aufgekommen ist, einen Teil der Verpflegungskosten hat man auch übernommen), in dem alle Studienteilnehmenden einquartiert wurden (bis auf einen, der mit seiner Frau und seinem Hund in einem Ferienhaus gewohnt hat). Nach der Einquartierung der Studienteilnehmenden wurden Gespräche mit den ÄrztInnen geführt. Vor dem Experiment wurden MPG- und MRT-Aufnahmen mit den PatientInnen gemacht. Danach begann die Verschaltung von Mensch und Maschine zum BMI-System.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
sich die Arbeitsplätze der ForscherInnen. Zu Beginn der Studie wurde hier das Screening4 durchgeführt. In der Anfangsphase der Studie kam eine weitere Geräteeinheit zur transkraniellen Stimulation hinzu, also zur transkraniellen Magnetstimulation bzw. transkraniellen magnetischen Stimulation (TMS5). Bei der Einführung der TMS wurde die Geräteeinheit in L1 platziert, sodass hier erste Versuche durchgeführt werden konnten und wurden. Später wurde sie ins Labor 2 verlegt. Im Labor 2 (L2, Raumgröße ca. 20qm) wurden Bewegungstrainings am Rehabilitationsexoskelett in Kombination mit Physiotherapie durchgeführt. Ebenso wurde hier zeitgleich das Neurofeedback-Training6 am Roboter mit BCI praktiziert, sodass beide Trainingsformen zeitgleich mit jeweils einem Patienten/ einer Patientin stattfanden. Aus Platzgründen war es dabei in dieser ersten Versuchsphase nicht möglich, das Neurofeedback-Training in einem Einzelraum zu absolvieren, was besser gewesen wäre, da es unter minimalen Störungen erfolgen sollte, um das Forschungssubjekt nicht »abzulenken«. Jedoch war es möglich, dass während der Aufgabenausführung mindestens eine Forscherin/ein Forscher am Roboter und ein/e PhysiotherapeutIn am Rehabilitationsexoskelett zugegen war. 4 | Details zum Screening und die genaue Raumaufteilung werden im Kapitel 6.3.1
beschrieben. 5 | »Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) wird über ein zeitlich veränderliches Magnetfeld im Hirngewebe ein elektrisches Feld induziert, um Nervenzellen zu reizen. Hierfür wird in der Regel eine Reizspule tangential zur Schädeloberfläche aufgelegt und mit einem zeitveränderlichen Strom gespeist.« (Siebner & Ziemann 2007: 28) 6 | Aus der Aufzeichnung der Frequenzwellen des Gehirns werden Bewegungsbefehle generiert, die eine Roboter- bzw. Handorthese am Neurorehabilitationsroboter analog der Hirnaktivität des Patienten/der Patientin steuern (»Gedankensteuerung«). Diese Vorgänge werden von den NeurowissenschaftlerInnen im Experiment als »(Ge)Hirntraining« bezeichnet (z.B. Hiwi034-DrMed: Abs. 306 und Prof002-MedPsy: Abs. 085), genauso wie als »Hirnsignaltraining« (bspw. WiMi018-DrMed, P34: Abs. 79), als »BCITraining« (WiMi017-DrMed, P44: Abs. 085, Hiwi034-DrMed: Abs. 396 sowie WiMi016BioIuT, P33: Abs. 176) oder als »Neurofeedback«. WiMi018-DrMed machte in diesem Zusammenhang in einem Teamgespräch explizit darauf aufmerksam, dass sie Neurofeedback machen würden. Man rede zwar hier immer von BCI, aber eigentlich sei das Neurofeedback (vgl. P29: Abs. 17). Ich verwende im Folgenden den Begriff Hirntraining oder Neurofeedback-Training. Der erste Begriff macht deutlich, was trainiert wird. Der zweite Begriff impliziert, dass die BCI-Steuerung durch die Bewegungsvorstellung externe Geräte aktiviert und dass diese Aktivität ein Feedback für den Patienten bzw. die Patientin darstellt. Dieser Feedbackmechanismus setzt einen Lernprozess in Gang, bei dem das Verhalten des Patienten/der Patientin analog der erfolgreichen Steuerung externer Geräte durch eine bestimmte Vorstellung verstärkt wird, was ich bereits in der Einleitung dieser Arbeit erwähnt hatte.
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Das techno-zerebrale Subjekt
Drei von vier PatientInnen aus der ersten Versuchsphase gingen nach einer dreimonatigen Pause in die zweite Versuchsphase über.7 Diese wurde in einer Klinik durchgeführt. In dieser Phase sollten die PatientInnen aus der ersten Versuchsphase implantiert werden. Allerdings wurde nur eine Patientin implantiert, denn ein Patient hatte die Studie abgebrochen und an seiner Stelle nahm ein neuer Patient teil, der jedoch nicht implantiert wurde. Die beiden anderen Patienten wurden aus unterschiedlichen Gründen nicht implantiert. Für eine Patientin hieß dass, dass aus dem nicht-invasivem Neurofeedback-Training mittels EEG das Neurofeedback-Training mit einem invasiven BCI mittels Elektrocorticogramm (ECoG) durchgeführt wurde.8 In der Klinik wurde das Neurofeedback-Training in einem separaten Raum (K-R2, ca. 10qm) durchgeführt, in dem die Forschungssubjekte weniger abgelenkt wurden. Das Roboter-Training fand in einem größeren Raum (K-R1) statt, in dem auch das TMS durchgeführt wurde.
7 | In der Zwischenzeit kam eine neue Patientengruppe und absolvierte die erste Trainingsphase. Bei dieser Patientengruppe war ich nur für einige Tage zugegen. Ich habe jedoch eine ECoG-Implantation von einem der Patienten aus der 2. Patientengruppe beobachten können. 8 | Im »Lexikon der Neurowissenschaft« wird das Elektroencephalogramm (EEG) definiert als »Hirnstrombild« und stellt eine von »Hans Berger um 1929 entwickelte elektrophysiologische Aufzeichnung der von Nervenzellen im Gehirn ausgehenden elektrischen Potentialschwankungen mittels eines Elektroencephalographen [dar, MŞ]. Es handelt sich dabei überwiegend um corticale Ensembleaktivität, die durch Polarisationen der Dendritenbäume der Nervenzellen entstehen. Diese Potentialschwankungen sind mit Strömen durch die Hirnrinde verbunden, die in Abhängigkeit von ihrer Frequenz eingeteilt werden. Man unterscheidet Alpha-Wellen [treten im entspannten Wachzustand auf, z.B. bei geschlossenen Augen, MŞ], Beta-Wellen [treten im aktiven Wachzustand auf, MŞ], Theta-Wellen [treten bei Träumen sowie Meditation auf, MS] und Delta-Wellen [treten überwiegend im Schlaf auf, MŞ]. Das Elektroencephalogramm ist die graphische Darstellung dieser Wellen als sogenannte hirnelektrische Kurven oder Hirnstromkurven. Die Spannungsdifferenzen werden mit Oberflächen- oder Nadelelektroden an standardisierten Stellen der Kopfhaut abgeleitet, wobei man Referenzableitungen (Verschaltung der Elektroden gegen eine Vergleichselektrode), bipolare Ableitungen und Quellenableitungen unterscheidet. (…) Bei Ableitung des EEG direkt von der Hirnoberfläche spricht man vom Elektrocorticogramm. Die evozierten Potentiale und ereigniskorrelierten Potentiale stellen die reizsynchronen Anteile des EEG dar.« (Hanser & Singer 2000: 377)
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
6.1.1 Das Neurofeedback-Training mit dem Neurorehabilitationsroboter Das Neurofeedback-Training mit dem Neurorehabilitationsroboter kann man sich folgendermaßen vorstellen: Das Forschungssubjekt sitzt vor einem Monitor. Sein linker Arm ist mit zwei Klettbändern in die Armvorrichtung der Roboterorthese fixiert. Seine Fingerspitzen sind durch magnetische Fingertips an eine mechatronische Handorthese fixiert. Die Öffnung der Handorthese (und somit der Hand der gelähmten Patientin) wird durch das (invasive oder nicht-invasive) BCI kontrolliert. Das Forschungssubjekt wird gebeten, eine Aufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe vollzieht sich in drei Teilaufgaben, die nacheinander ablaufen und die insgesamt drei Minuten lang wiederholt werden. Die drei Teilaufgaben werden in einer zeitlich festgelegten Reihenfolge über den Monitor audiovisuell (durch Phonetik und Geschriebenes) angesagt: Erst kommt das Kommando »Linke Hand…«, für dessen Umsetzung der Patientin zwei Sekunden bleiben. Dann kommt der Befehl »LOS«, der sechs Sekunden lang umzusetzen ist. Und schließlich heißt es, sich acht Sekunden lang zu »Entspannen!«. Eine Aufgabe beinhaltet demnach 16 Sekunden. In einem dreiminütigen Durchlauf werden somit 11 Aufgaben absolviert. Analog dieser Teilaufgaben müssen sich die Patienten »auf Befehl« auf die Aufgabe vorbereiten (Vorbereitung bzw. Ordnungsruf), sich die Öffnung der linken Hand vorstellen (Öffnung bzw. Steuerbefehl) und sich danach entspannen (Entspannung bzw. Entspannungsaufforderung). Die Durchläufe werden innerhalb einer Trainingssitzung vierzehn Mal wiederholt, sodass eine komplette Sitzung mit dem Forschungssubjekt am Roboter ist ca. 45 Minuten dauert. Gemeinsam interagieren Mensch und Roboter als BMI-System. Zur Wiederholung eines Durchlaufs betätigt der/die ForscherIn, der/die für die Kontrolle der Aufgabe zugeteilt ist, mit Hilfe des BCI-Softwareprogramms (BCI20009) einen Button. Dieser Button befindet sich auf einem zweiten Monitor, der sich rechts von dem Monitor der Patientin befindet. Auf diesem rechten Monitor werden die digitalen EEG-Messwerte, d.h. die Hirnstrommuster, die die Patientin während der Aufgabendurchführung produziert, simultan (in Echtzeit) dargestellt. Ich nenne diese Darstellung der abgeleiteten Hirnstrommuster in Echtzeit auf dem Bildschirm im Folgenden »simultane Repräsentation«.
9 | Die BCI2000-Software wurde von Forschergruppen in den USA und Deutschland
entwickelt (Schalk & Mellinger 2014) und ist für die BCI-Forschung über eine durch die Forschergruppen eigens gepflegte Webseite für Forschungszwecke frei zugänglich. Auf den Onlineseiten (www.bci2000.org) ist auch das BCI2000 User Tutorial verfügbar (Schalk & Mellinger 2013, letzter Zugriff: 13.04.2015), welches später unter Schalk & Mellinger (2014) veröffentlicht wurde.
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Der Roboter wird vor der BCI-Sitzung für eine kurze Zeit, also bis die Impedanzmessung10 erfolgreich abgeschlossen ist, ohne BCI-Steuerung genutzt. In dieser Zeit wird die Greifbewegung mit einer Roboter-Software gesteuert und trainiert. Alle Programme werden auf dem rechten Bildschirm angezeigt und durch diesen bedient. Die Aufgabe der Öffnung der gelähmten Hand durch die BCI-Steuerung erfolgt in Kombination mit der Neurostimulation. In der ersten Versuchsphase wird während des Trainings die transkranielle Gleichstromstimulation (transcranial direct current stimulation, abgekürzt tDCS11) durch das Bekleben einer Stimulationselektrode auf der Kopfhaut (Elektrodenposition C4, vgl. Kapitel 6.3.3) durchgeführt. Zusätzlich werden die Forschungssubjekte außerhalb des Neurofeedback-Trainings mit nicht-invasiver TMS stimuliert. Wie und wozu genau TMS eingesetzt wird, wird im Kapitel 6.3.5 beschrieben. In der zweiten Versuchsphase werden die Forschungssubjekte mit invasiven Elektroden (ECoG) stimuliert, die zugleich das BCI ansteuern. Das ECoG wird nicht nur dafür eingesetzt, um die motorischen Hirnareale, auf denen die Elektroden platziert wurden, zu stimulieren, sondern auch um Hirnstromsignale abzuleiten, zu verstärken, weiter zu verarbeiten und zu dokumentieren.
10 | »Der Übergangswiderstand Elektrode – Haut (auch als ›Elektrodenimpedanz‹ geläufig) kann in der Regel bei geeigneter Reinigung der Haut unter 5KOhm [KOhm steht für Kilo-Ohm, wobei Ohm die Messeinheit für den ohmschen Widerstand oder den Gleichstromwiderstand darstellt, MŞ], gehalten werden. (…) Zudem erzeugen hohe Elektrodenimpedanzen aus physikalischen Gründen ein eigenes Rauschen, das sich dem gemessenen EEG überlagert. Eine qualitativ hochwertige EEG-Ableitung erfordert also gleichmäßig niedrige Elektrodenimpedanzen.« (Hinrichs 2011: 11) Die Impedanzmessung wird im Kapitel 6.2.2 detaillierter beschrieben. 11 | »Die tDCS stellt eine Methode dar, bei der das Gehirn über von außen am Kopf angelegte Elektroden mit Gleichstrom gereizt wird. Die Reizung erfolgt also – ähnlich wie bei TMS nichtinvasiv – durch den intakten Schädelknochen und wird mit einer vergleichsweise niedrigen Stromstärke durchgeführt. Daher werden im Gegensatz zur TMS auch nicht direkt Aktionspotenziale ausgelöst, sondern es findet eine Art Polarisationseffekt statt. Der angelegte Gleichstrom wird dabei mindestens für einige Minuten transkranial appliziert. Die Wirkung der tDCS, eine Modulation der neuronalen Erregbarkeit bzw. der Intensität evozierter Potenziale, stellt sich dabei als Nachwirkung direkt nach der Stimulation ein und kann für einige Minuten bis zu mehreren Stunden anhalten.« (Weyh & Siebner 2007: 25)
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Die zuvor erwähnten diversen Stimulationsverfahren sollen dabei dazu führen, dass sich das motorische Areal des Gehirns, der Motorcortex12, reorganisiert, was man »kortikale13 Reorganisation« nennt. Mit der Motorcortex-Stimulation ist die Hoffnung verbunden, dass SchlaganfallpatientInnen durch die kortikale Reorganisation befähigt werden, ihre gelähmten Extremitäten wieder zu bewegen. Da neue Forschungsergebnisse darauf hinweisen, dass die Kombination der BCI-Technologie, der Neurostimulation und der Physiotherapie vorteilhafte Effekte auf die Wiederherstellung der Motorik von PatientInnen mit chronischem Schlaganfall und gelähmten Extremitäten haben, ist in dem beobachteten Projekt diese Kombination für das Experiment konstitutiv. Der Sinn der Projektarbeit besteht deshalb laut WiMi999-DrMed darin, dass die PatientInnen nicht mehr zum Physiotherapeuten/zur Physiotherapeutin müssen, dass die Hand öfter bewegt wird, dass Verbindungen vom Gehirn zum Muskel aufgebaut werden und die Muskeln sich durch die Kombination der Verfahren und Techniken, die in der Studie angewendet werden, wieder aufbauen (vgl. P17).
1 2 | Das motorische Areal »ist an der Planung, Initiierung oder Durchführung von Be-
wegungen« (Hanser 2000: 379) beteiligt. Detailliere Vorgänge im Motorcortex werden durch Hanser (2000) wie folgt beschrieben: Der Motorcortex ist »Teil der Großhirnrinde, von der die Willkürmotorik ausgeht. Der Motorcortex liegt im Frontallappen (…). Hier entspringen von den großen Betz-Zellen Fasern, die in der Pyramidenbahn direkt zu den Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks ziehen. An der Vorbereitung der Willkürmotorik sind jedoch noch weitere Felder des Frontallappens beteiligt, insbesondere die prämotorischen Rindenfelder und das supplementär-motorische Areal. Diese werden daher häufig auch mit zum Motorcortex gezählt, ebenso wie das frontale Augenfeld zur Steuerung der Augenbewegungen und die nur in der dominanten Hemisphäre (cerebrale Dominanz) gelegene motorische Sprachregion (Broca-Areal).« (ebd: 377). Mit dieser Definition wird klar, dass bspw. Augenbewegungen durch angrenzende Areale für die Motorik, z.B. Handbewegungen repräsentiert werden. Mit Pyramidenbahnen ist die Verbindung von Bahnen im Gehirn zu bestimmten Punkten im Körper, bspw. der Muskelpunkte der Hand, gemeint, die sogenannten motorischen Bahnen. Detailliert heißt es darum im »Lexikon der Neurowissenschaft«, dass motorische Bahnen, »Bahnen des Gehirns [sind, MŞ] die Bewegungen initiieren und modulieren. Die Bahn der Willkürmotorik ist die Pyramidenbahn, die durch die Bahnen des extrapyramidalen Systems im weiteren Sinne moduliert wird. Dies sind die corticostriatalen Bahnen zu den Basalganglien und die corticopontinen Bahnen zum Kleinhirn. Die absteigenden extrapyramidalen Bahnen (Tractus vestibulospinalis, Tractus reticulospinalis, Tractus tectospinalis und Tractus rubrospinalis) nehmen im Rückenmark direkt oder über Interneurone Einfluß auf die Aktivität der α- und γ-Motoneurone.« (Ebd.). 1 3 | Der Begriff bedeutet: ausgehend von der Hirnrinde.
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6.1.2 Das Rehabilitationsexoskelett in Kombination mit Physiotherapie Die verbliebenen motorischen Funktionen des linken Arms des Forschungssubjekts werden mit einem Rehabilitationsexoskelett trainiert. Das Exoskelett besitzt eine Armorthese mit einem integrierten Federmechanismus. Um mit dem Gerät arbeiten zu können, wird das Forschungssubjekt zwischen einen Monitor, der die auszuführenden Aufgaben und Übungen anzeigt, und dem Rehabilitationsexoskelett gesetzt. Das Rehabilitationsexoskelett befindet sich also unmittelbar hinter dem Forschungssubjekt, die Armorthese des Rehabilitationsexoskeletts reicht von links soweit in die Nähe des Forschungssubjekts, sodass dessen Arm hineingelegt und mit Klettverschlüssen fixiert werden kann. Dabei wirkt der Federmechanismus der Armorthese gegen die Schwerkraft des Armes. Am vorderen Ende der Armorthese befindet sich ein Joystick, den die Hand des Forschungssubjekts umschließt. Während des Trainings werden sowohl die EEG‑, als auch die EMGSignale14 aufgezeichnet. Der/Die PatientIn wird beim Training mit dem Rehabilitationsexoskelett von PhysiotherapeutInnen betreut. Diese sitzen links neben dem Forschungssubjekt und beobachten dessen Bewegungsausübung. Die Bewegungsausübungen beinhalten z.B. Greif- und Reichübungen (»Assessment Center«). Bei der Ausführung der Aufgaben wird die vor dem Monitor sitzende Person, d.h. ihr Oberkörper, am unteren Bildrand durch eine 3D-Simulation dargestellt. Der Monitor gibt die Bewegungen der Armorthese und das Greifen und Loslassen des Joysticks durch den Patienten/die Patientin Echtzeit auf dem Monitor wieder. Die mittels der simultanen Repräsentation ermöglichte Darstellung basiert dabei auf einer Intra-Aktion, die durch die Interaktion von Mensch und Technik ausgelöst wird. Diese Bewegungsübungen werden nicht nur als Aufgabebefehle angezeigt, sondern auch in Form eines Spiels durchgeführt. Dazu werden auf dem Monitor zusätzlich zur Darstellung des Arms und Oberkörpers des Forschungssubjekts ein Korb und ein Ball angezeigt, die sich an unterschiedlichen Stellen der Monitoranzeige befinden. Die Aufgabe besteht nun darin, den Arm nach dem Ball zu strecken, danach den Ball mit der Hand zu greifen, ihn zum Korb zu bewegen und den Ball loszulassen, wenn er sich über dem Korb befindet. Wenn der Ball in den Korb befördert wurde, erscheinen Korb und Ball wieder jeweils an einer anderen Stelle des Monitors und des Forschungssubjekts muss erneut nach dem Ball greifen und ihn Richtung Korb bewegen, um ihn dann in den Korb fallen zu 14 | Die Elektromyographie (EMG) ist eine »Technik zur Untersuchung der elektrischen Aktivität der Skelettmuskulatur. Üblicherweise erfolgt die Ableitung aus dem Muskel mit (…) [E]lektroden (…). Es werden Potentialschwankungen als Elektromyogramm registriert, die auf der Aktivierung einer oder mehrerer motorischer Einheiten beruhen. Die Potentiale werden verstärkt und auf einem Bildschirm sichtbar gemacht.« (Hanser & Singer 2000: 379).
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
lassen. Die »Korb-Übung« impliziert die im Assessment Center durchgeführten einzelnen Bewegungsübungen. Die Übungen sind zeitlich begrenzt. Bei den folgenden Ausführungen zu den Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften, in denen die Mensch-Maschine-Anpassung eingebettet ist, vernachlässige ich Ausführungen zum Training mit dem Exoskelett, da sie bzgl. der Mensch-Maschine-Anpassung nur eine geringe Rolle spielte. Allerdings ist die Einbeziehung des Trainings am Exoskelett wichtig, da sie in der ersten Versuchsphase, ebenso wie das Neurofeedback-Training, im Labor 2 stattfand und insofern Einfluss auf die Versuchsausführung mittels BCI hatte. Die Einflüsse werden im Verlauf des 6. Kapitels immer wieder deutlich. Da für die Konstitution des techno-zerebralen Subjekts vor allem zerebral induzierte und technisch vermittelte Handlungsereignisse elementar sind – so wie sie am Roboter ausgeführt werden – werde ich mich im Folgenden bei der Beschreibung und Analyse der Mensch-Maschine-Anpassung auf die vorbereitenden Maßnahmen und die Durchführung des Neurofeedback-Trainings mit dem Rehabilitationsroboter in Kombination mit dem BCI fokussieren.
6.2 Die erste Phase der Mensch-Maschine-Anpassung Die Mensch-Maschine-Anpassung konzeptualisiere ich in drei Phasen: In der ersten Phase liegt der Fokus auf der körperlich-materiellen Anpassung, in der zweiten auf der prozessual-synchronen Anpassung (Kapitel 6.3.1 bis einschließlich 6.3.4) und in der dritten Phase geht es um die technikinduzierte neuronal exakte Verstärkung, die dazu beiträgt, dass die Wiederherstellung neuronaler Funktionen bei zeitgleicher Verbesserung der Aufnahme der Hirnsignale gewährleistet wird (Kapitel 6.3.5). Alle drei Phasen beinhalten wiederum Maßnahmen, die in verschiedenen Prozessen innerhalb dieser Phasen getroffen werden und die charakteristisch sind: Erstens gibt es Maßnahmen, die den Vor- und Aufbereitungsprozess betreffen. Sie dienen zur Vor- und Aufbereitung, wobei es in den Neurowissenschaften dabei darum geht, Verbindungen diverser Art herzustellen. Dann werden während des folgenden Kooperierungsprozesses koordinative Maßnahmen getroffen, um diese hergestellten Verbindungen aneinander anzupassen. Da dabei Schwierigkeiten auftreten, denen es mittels (re-)stabilisierender Maßnahmen zu begegnen gilt, wird der Stabilisierungsprozess eingeleitet. Diese drei Maßnahmetypen werden im Kapitel 6.3 für die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung expliziert, wobei ich auch erörtere, unter welchen konkreten Bedingungen diese getroffen werden. Im Folgenden wird zunächst die erste Phase der Mensch-Maschine-Anpassung beschrieben, wobei die NeurowissenschaftlerInnen das Ziel verfolgen, den Körper des Forschungssubjekts und die Maschine optimal aneinander anzupassen.
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Verbindende Elemente, die eine flexible, materielle Eigenschaft besitzen, ermöglichen es den NeurowissenschaftlerInnen, die Anschlussfähigkeit von Mensch und Maschine herzustellen. Dies werde ich im Folgenden zeigen. Dabei wird analysiert, wie durch diese körperlich-materielle Anpassung die nicht-invasive Aufzeichnung der Frequenzwellen des Gehirns ermöglicht wird. Im ersten Schritt wird die Herstellung der Adjustierung von Mensch und Maschine beschrieben, insbesondere die Herstellung der Gehirn-Computer-Schnittstelle (Kapitel 6.2.1) und wie sie im Setting eines Rehabilitationsrobotersystems integriert wird (Kapitel 6.2.2). In diesen Kapiteln stelle ich den Wandel zur bio-technischen Gestalt des Forschungssubjekts dar, wobei ich mich an Lindemann (2003) anlehne. Bei meinen Beschreibungen gehe davon aus, dass es sich um eine körperlichmaterielle Anpassung zur Herstellung einer gemeinsamen Arbeitshandlung in der Neurowelt handelt, zu der ich, wie zuvor erwähnt, auch die PatientInnen rechne. Das bedeutet, dass der Wandel zur bio-technischen Gestalt das Ergebnis der wechselseitigen Adjustierung von Mensch und Maschine, also der körperlich-materiellen Anpassung, ist. Bei der Anpassung spielen vor allem diejenigen verbindenden Elemente zwischen dem Biologischen und dem Technischen eine Rolle, die Inskriptionsvorgänge (Latour 2002; Law 2006) ermöglichen. Das Ziel der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft, das mit der körperlich-materiellen Anpassung verbunden ist, bezieht sich dabei unmittelbar auf die möglichen Entdeckungsleistungen der neurowissenschaftlich klinischen Studie. Die körperlich-materielle Mensch-Maschine-Anpassung ist die Vorbedingung, die erste Maßnahme zum Nachweis von Erfolgsmomenten beim Versuch der Wiederherstellung motorischer Funktionen durch BCI in Kombination mit Stimulationsverfahren und -techniken. Im Kapitel 6.2.3 stelle ich die Anpassung des PatientInnenkörpers an die Maschine vice versa dar und fokussiere dabei die Adjustierung und Fixierung von Mensch-Maschine-Teilen mitsamt den koordinativen und stabilisierenden Maßnahmen, die getroffen werden, um die körperlich-materielle Anpassung aufrecht zu erhalten. Da die täglich hergestellte bio-technische Gestalt allabendlich (nach dem Training) zur gestalthaften Ganzheit zurückgeführt wird und so aus dem Arbeitsbogen befreit wird, gehe ich im Kapitel 6.2.4 auf das Rückführungsprozedere ein. Abschließend ziehe ich ein Zwischenfazit meiner Forschungsbefunde zur körperlich-materiellen Anpassung (Kapitel 6.2.5).
6.2.1 Vorbereitungen zum BCI und seine verbindenden Elemente In diesem Kapitel beschreibe ich die Herstellung und Stabilisierung der bio-technischen Gestalt in einem ersten Schritt der Vorbereitung zum BCI-System, wobei ich verbindende Elemente zwischen dem Biologischen und dem Technischen fokussiere. Ich veranschauliche, dass diese verbindenden Elemente Bedingungen für die Hervorbringung der diskreten Elemente des PatientInnenkörpers – ihrer
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Expressivität also – und somit konstitutiv für die Mensch-Maschine-Anpassung sind. Mit diskreten Elementen meine ich (analog zu Lindemann 2002, vgl. Kapitel 3.4.4) die Eigenaktivitäten des Körpers, also z.B. physiologische Vorgänge, wobei ich genauer darstelle, wie die diskreten Elemente zur technisch vermittelten Expressivität durch verbindende Elemente transformiert werden. Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie Biologisches und Technisches miteinander verbinden. Die (neuro-)physiologischen diskreten Elemente werden durch die verbindenden Elemente verstärkt, transformiert und zu verarbeitbaren Ikonographien und Darstellungsmustern. Das Inskribieren (Latour 2006a; 2006c) der diskreten Elemente und ihre Weiterverarbeitung ermöglicht dann die Ansteuerung externer Geräte nach dem EVA-Prinzip15, wobei die Datenverarbeitung sich ständig wiederholt, also prozessual verläuft, und in Echtzeit durch soft- und/oder hardwaretechnisches Feedback sichtbar wird. Ist die bio-technische Gestalt so hergestellt, dass elektrophysiologischen neuronalen Prozesse ausgelesen und im Millisekundentakt verarbeitet werden können, kann der/die SchlaganfallpatientIn im und durch das BMI-System agieren. Die Stabilisierung der verbindenden Elemente ist demnach eine Bedingung für das BMI-System, indem der/die PatientIn als bio-technische Gestalt mit seinem/ihrem Körper als epistemisches Medium, das Daten in Echtzeit produziert und analysierbar macht, integriert ist. Im BMI-System handeln Mensch und Maschine gemeinsam interaktiv als »neue« bio-technische Gestalt. Dies entspricht auch der von Rammert (2007d) beschriebenen sozio-technischen Konstellation aus Interaktivität zwischen Menschen und technischen Objekten. Die Ableitung, Verstärkung und Verarbeitung der Repräsentationen elektrophysiologischer (neuronaler und/oder motorischer) Prozesse gewährleisten nicht nur, dass ForscherInnen Daten erheben und auswerten können, die den Studienverlauf hinsichtlich der Wiederherstellung motorischer Funktionen dokumentieren, sondern auch, dass sie Versuche zum Neurofeedback/BCI in Kombination mit Stimulationsverfahren durchführen können. Dadurch führt die neurowissenschaftliche klinische Studie u.U. zu weiteren neuen Erkenntnissen. Im Folgenden wird zunächst die Herstellung und Stabilisierung der bio-technischen Gestalt durch verbindende Elemente zwischen biologischen, elektrophysiologischen Prozessen und ihren wissenschaftlich-technisch hergestellten Repräsentationen vorgestellt. Dabei gehe ich auch auf die wichtigsten Probleme ein, mit denen die beteiligten Personen bei der Herstellung und Stabilisierung der bio-technischen Gestalt konfrontiert werden.
15 | Das EVA-Prinzip kennzeichnet die Eingabe (E), Verarbeitung (V) und Ausgabe (A)
von Daten. Es ist ein Prinzip der Datenverarbeitung, wobei die verarbeitende Einheit keine Maschine sein muss, sondern auch ein Mensch sein kann.
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Bei der körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung werden u.a. bestimmte Stellen der Haut des Arms, der Hand und des Kopfs an materielle Dinge angeschlossen bzw. materielle Dinge an die Haut angedockt. Dieses Anschlussverfahren dient der Erfassung von Aktivitäten des Gehirns durch ein EEG oder einzelner Muskel durch ein EMG. Die Aufzeichnungen der Hirnaktivitäten dienen dabei speziell dazu, sie weiter zu verarbeiten und zu Steuerbefehlen zu generieren, aber auch dazu, die kortikale Reorganisation zu dokumentieren, ggf. zu verstärken und zu belegen. Die Aufzeichnungen der Muskelaktivitäten dienen wiederum dazu, Rückschlüsse über die zeitliche Aktivität einzelner Muskeln zu ziehen und zu überprüfen, ob es eine Korrelation zwischen der Hirn- und der Muskelaktivität gibt, bzw. ob diese Korrelation durch verschiedene Maßnahmen (wie z.B. durch eine Stimulation) verbessert wird. Darüber hinaus gilt es, die (potentielle) Verbesserung der Muskelaktivität während des Forschungsprozesses, also während des gesamten, der Wiederherstellung zerebraler Funktionen dienenden, Heilversuches – zu dokumentieren. Die Dokumentation der Muskelaktivität durch ein EMG ist jedoch auch für die Überprüfung des Neurofeedbacks wichtig. Denn nicht nur die Vorstellung einer Bewegung erzeugt Hirnstrommuster, sondern auch Körperbewegungen, die das Öffnen der Orthese bewirken können. In diesem Fall sprechen NeurowissenschaftlerInnen von Artefakten16, wobei Artefakte die Signalstörungen bzw. Potenzialschwankungen im EEG bezeichnen, welche durch Körperbewegungen hervorgerufen werden können.17 Mit der EMG-Aufzeichnung kann also zusätzlich überprüft werden, ob bei der Gedankensteuerung »gemogelt« wurde, indem kontrolliert werden kann, ob sich das Forschungssubjekt beim Hirntraining bewegt hat oder nicht und ob die Öffnung der Roboterorthese aufgrund dessen durch die Körperaktivität und nicht durch die Gedankenaktivität erfolgt ist. In diesem Kontext darf jedoch nicht vergessen werden, dass die EMG-Aufzeichnungen selbst Artefakte im EEG verursachen können, die wiederum ebenfalls vermieden werden müssen.18 Die Artefakte im EEG lassen sich allerdings teilweise durch die Nutzung von Differenzverstärkern
16 | »Artefakte sind Potentialschwankungen im EEG, die nicht vom Gehirn ausgehen.
Man unterscheidet technische und biologische (patientenbezogene Artefakte. (…) Quellen für technische Artefakte sind Umgebung, EEG-Gerät, Elektroden oder ein Bedienungsfehler des EEG-Geräts.« (Schulz 2011: 73) »Quellen für elementare biologische Artefakte durch den Patienten sind Augen, Herz, Arterien (Puls), Zunge, Haut (Schwitzen) und Muskeln.« (Ebd.: 74) 17 | Die Problematik der Artefakte wird im Kapitel 6.3.4 dargestellt. 18 | Diese Überprüfung wird bei der Datenauswertung seitens der Forschenden durchgeführt, ist jedoch nicht Teil meiner eigenen Analyse.
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vermeiden.19 Dies geschieht durch Elemente der »Übersetzungskette«20 der Messung, welche der Aufbereitung der Messung, der Verstärkung der Signale sowie der Filterung und der Digitalisierung der Messung dienen (Ausführungen hierzu finden sich im Kapitel 6.2.2.). Der Aufwand, der bei der körperlich-materiellen Anpassung betrieben wird, variiert. Er ist höher, wenn es darum geht, Impedanzen (Wechselstromwiderstände) der EEG-Elektroden so gering wie möglich zu halten, und niedriger, wenn es darum geht, die EMG-Elektroden an der Haut anzubringen. Das hat unterschiedliche Gründe, die ich bei der Beschreibung der folgenden Andockprozeduren verdeutlichen werde.
6.2.2 Andockprozedur der SchlaganfallpatientInnen Ich werde die körperlich-materielle Anpassung (1. Phase der Mensch-Maschine-Anpassung) zunächst am Beispiel der EMG zur Objektivierung der physiologischen motorischen Expressivität vorstellen. Dabei steht die Erläuterung der Herstellung der Verbindung zwischen Biologischem und Technischem durch ein verbindendes Element im Vordergrund. Da es nur eine unwesentliche Rolle spielt, an welchem Forschungssubjekt die Andockprozeduren durch NeurowissenschaftlerInnen durchgeführt werden, werde ich die Situationen darstellen, die repräsentativ für alle Andockprozeduren stehen. Dadurch ergeben sich auch Sprünge zwischen Situationsanalysen, die unterschiedliche Forschungssubjekte im Interaktionsgeschehen zum Gegenstand haben. Im Folgenden beginne ich mit der körperlich-materiellen Anpassung am Beispiel der EMG bei Pink045: Im Labor 1 steht in der Nähe der Eingangstür an der rechten Wand ein runder Untersuchungstisch mit zwei Stühlen. Pink045 sitzt auf einem der Stühle, der mit der Rückenlehne zur Wand positioniert ist. Das linke Bein von Pink045 ist ausgestellt, sein rechtes 19 | »Trotz Nutzung von Differenzverstärkern lassen sich Störanteile im EEG (Artefakte) nicht vermeiden. Erwähnt seien als Beispiele elektromyographische (EMG) Aktivität, Augenbewegung oder wackelnde Elektroden mit der Folge schwankender Elektrodenpotenziale. Diese Artefakte weisen gegenüber dem fortlaufenden EEG vermehrt höherbzw. niedrigerfrequente Aktivität auf und überdecken das eigentliche EEG mitunter so stark, dass eine Auswertung erschwert oder unmöglich wird. Aber auch bei ungestörtem EEG können Fälle auftreten, in denen EEG-Komponenten verschiedener Frequenzbereiche einander überdecken und die Interpretation erschweren. Daher sind EEG-Geräte durchweg mit Tief- und Hochpassfiltern ausgestattet, die oberhalb bzw. unterhalb einer sog. Eckfrequenz das Signal abschwächen, und zwar umso stärker, je höher bzw. niedriger die Frequenz des jeweiligen Signalanteils ist.« (Hinrichs 2011: 13) 2 0 | In Anlehnung an Latours »Soziologie der Übersetzung«, die im Kapitel 3.2.1 eingeführt wurde.
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Bein angewinkelt. Sein linker Arm hängt herunter. Sein rechter Arm liegt angewinkelt auf dem Tisch. Pink045 trägt ein ärmelloses T-Shirt und eine Trainingshose. Auf dem Untersuchungstisch befinden sich verschiedene Ableitelektroden und -kabel, eine Rubbelpaste, Kontaktgel, EEG-Hauben, Plastikspritzen, Wattestäbchen, Waschbenzin, ein medizinisches Klebeband (Rollenpflaster, weiß), graue Papierhandtücher (für handelsübliche Toilettenhandtuchspender) und ein Stift. (P18: Abs. 09f.)
Bevor die Andockprozedur der EMG-Elektroden beginnen kann, wird das Forschungssubjekt zunächst begrüßt und nach dessen Befinden gefragt. Wenn dies die erste Sitzung der Patientin/des Patienten ist, dann wird anschließend einmalig erklärt, dass die Aktivitäten der Muskeln aufgezeichnet werden müssen, damit die NeurowissenschaftlerInnen erkennen können, ob Muskelaktivität vorhanden ist und wie sie sich im Verlauf mehrerer Sitzungen entwickelt. An den folgenden Tagen wird nicht mehr erklärt, warum die EMG-Kabel angeklebt werden. In diesem Fall folgt der Begrüßung ein einleitender Satz, wie: »Wir müssen wieder die Elektroden ankleben, aber das kennen Sie ja.« oder allgemein eine Frage wie »Sind Sie bereit?«. Auf die daran anschließende Ankündigung »Ich werde jetzt ihre Haut säubern.« oder »Wir müssen die Haut wieder freirubbeln« u. ä., folgt eine kurze Phase des Abwartens, gefolgt von der (non)verbalen Zustimmung des Patienten/der Patientin durch ein Nicken, ein »ja« o. ä. (vgl. diverse Beobachtungsprotokolle). Nach der Begrüßungs- und Zustimmungsphase beginnt ein Suchprozedere nach den gewünschten Muskelgruppen am linken Arm (dem gelähmter Arm) des Forschungssubjekts. WiMi016-BioIuT murmelt »So. Welche Muskeln brauchen wir? Extensoren, Bizeps.« (sinngemäß) und hält dabei den linken Arm etwas oberhalb des Handgelenks von Pink045 mit seiner linken Hand fest und tastet mit seinem ausgestreckten rechten Zeigeund Mittelfinger, die aneinander gepresst sind, nach den Muskelpunkten, mit leichtem Druck auf die Hauptoberfläche. (P18: Abs. 12)
Durch das Ertasten der Muskeln werden die zu reinigenden Hautflächen und die mit EMG-Klebelektroden zu beklebenden Muskelpunkte bestimmt. In den ersten Forschungstagen, die explorativen Charakter haben, werden die Muskelgruppen immer wieder neu durch jeweils andere NeurowissenschaftlerInnen ertastet. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Messpunkte, die wiederum zu Messfehlern führen können. Denn ggf. unterschiedliche Tastungen der Muskelgruppen führen zu einer differenten Positionierung der Elektroden, wodurch wiederum die Reliabilität des Messverfahrens gefährdet ist. Um dieses Problem zu lösen, wird in einem Teamgespräch entschieden, Hautmarkierungen in Zukunft durch das Nachzeichnen der Elektrodenumrisse vorzunehmen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Messungen immer an denselben Stellen erfolgen,
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sodass aufgrund dessen die Messpunkte bzw. ‑veränderungen während des Forschungsprozesses nachvollziehbar und repräsentativ sind. Dieses Vorgehen hat zudem den Vorteil, dass das lange Suchprozedere verkürzt wird. Nachdem die gewünschten Muskelgruppen gefunden sind, wird die Haut des Patienten zunächst mit Waschbenzin und dann mit einer Rubbelpaste gereinigt. Das Waschbenzin dient dazu, die Haut zu entfetten, die Rubbelpaste dient zur Vorbereitung der Haut auf die aufzuklebenden Elektroden. WiMi016-BioIuT greift mit der rechten Hand nach der Sprühflasche mit Waschbenzin und bittet Pink045 um Vorsicht, da es kalt werde. Pink045 nickt. WiMi016-BioIuT besprüht die jeweiligen Hautoberflächen. Es folgt eine kurze Wartezeit von einigen Sekunden, bis die besprühten Hautstellen getrocknet sind. WiMi016-BioIuT lässt den linken Arm von Pink045 los. Er nimmt die Rubbelpaste und öffnet ihre Verpackung, drückt eine haselnussgroße grüne Masse, die weiße Perlelemente in Größe von Sandkörnern beinhaltet, aus ihr heraus und tupft sie dabei auf ein Einmalhandtuch. Danach nimmt er das mit der Rubbelpaste betupfte Papierhandtuch und setzt zum Rubbeln der Hautoberfläche an: »So. Achtung, das kann jetzt ein wenig härter werden. Wir müssen die Haut ganz glatt und sauber kriegen, damit wir gut messen können.« Er rubbelt an verschiedenen Stellen des Arms. Eine kleine Fläche (ca. 3x3cm) nimmt ca. eine Minute Rubbelzeit in Anspruch. (P18: Abs. 13-17)
Nachdem die Haut, begleitet durch einen Hinweis, dass das Scheuern der abrasiven Paste möglicherweise ein unangenehmes Gefühl erzeugen kann, vorbereitet worden ist (Gesamtdauer ca. 10 Minuten), beginnt der Neurowissenschaftler, die jeweiligen Aufsatzhautflächen der Elektroden abzureiben. Dadurch werden die Aufsatzflächen von Hautschuppen gereinigt und die Elektroden auf die Haut des Patienten geklebt. WiMi016-BioIuT nimmt ein Elektrodenkabel. Es besteht aus zwei miteinander verzwirbelten Elektronenkabeln. Am Ende des Kabelpaares laufen die zwei Kabel mit jeweils einer Elektrode auseinander. Das Elektrodenpaar ist an der EMG-Klebelektrodenoberfläche mit jeweils einem Druckknopf befestigt. Die Druckknöpfe befinden sich in einem Abstand von 2 cm zueinander. WiMi016-BioIuT ertastet erneut die gesäuberte, von Hautschuppen befreite Stelle und klebt das Elektrodenpaar drauf. Diese Prozedur wiederholt er an verschiedenen Punkten des linken Arms. Die Paarelektroden haben verschiedene Farben. (P18: Abs. 18ff.)
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Die Reinigung der Haut hat hier eine besondere Bedeutung: Da ein Schweißfilm auf der Haut den Hautwiderstand erhöhen und dadurch die Leitfähigkeit der Haut mindern würde, wird durch die über den gewünschten Muskelpunkten liegende Reinigung der Haut gewährleistet, dass die EMG-Messung ohne eine solche Datenverzerrung erfolgt. Im Verlauf der Studie werden die Elektrodenpaare zusätzlich mit einem medizinischen Pflaster aufgeklebt, damit die Elektroden an der Haut sicher festkleben und dadurch zusätzlich fixiert.21Das heißt, bevor überhaupt eine Messung der Muskelpunkte erfolgen kann, wird im ersten Schritt der Hautwiderstand verringert und die Hautleitfähigkeit verbessert, um die muskuläre Expressivität zugänglich zu machen. Erst danach gilt es, zwischen Haut und Elektrode zu »vermitteln«. Den Kontakt der Elektroden zur Haut stellen die Klebeflächen mit den Druckflächen für die Elektroden her. Die Ableitelektroden sind demnach ohne die Oberflächenkleber genauso wenig leitfähig wie die Haut. Daher müssen sie an die Oberflächenkleber angedockt werden, die wiederum auf die jeweiligen Hautstellen geklebt werden müssen. Die Oberflächenkleber stellen also das verbindende Element zwischen dem Biologischen und dem Technischen dar. Sie sind selbst materiell-stofflich und dadurch besonders anpassungsfähig. Das beschriebene verbindende Element zwischen dem Biologischen und dem Technischen in ihrer Eigenschaft als materiell-stofflich und anpassungsfähig zeigt sich auch beim BCI. Daher werde ich nun die körperlich-materielle Anpassung am Beispiel des EEG zur Objektivierung der neurologischen Expressivität vorstellen. Damit elektrische Hirnaktivitäten überhaupt aufgenommen werden können, bedarf es einer BCI- bzw. EEG-Kappe, in der die Elektroden platziert werden. Die EEG-Kappe besteht aus einem anschmiegsamen gewebten Stoff mit Elektrodenplätzen (siehe die folgende Abbildung 2). Ein elektrolytisches Gel, das in die Elektrodenringe gespritzt wird, stellt dann den Kontakt zwischen der Kopfhaut und der Elektrode her. Die Kappe selbst ist dabei durch folgende Charakteristika gekennzeichnet: In der EEG-Kappe sind verschiedene runde Elektrodenplätze (Adapterringe) aus Plastik mit Öffnungen eingearbeitet. An den Seiten befinden sich jeweils elipsenförmige Löcher für die Ohren. Wo der elastische Stoff unten wieder zusammenläuft, befindet sich an der linken Seite eine Plastiköse, an der rechten befindet sich ein Klettband. Die Kappe wird an der unteren Seite durch das Durchziehen des Klettbandes durch die Öse verschlossen (Kinngurt). (P18: Abs. 22)
21 | Ich selbst habe zwar nicht beobachtet, dass die Elektroden während der Versuche
abgefallen sind, dass sie jedoch zusätzlich fixiert werden, deutet darauf hin, dass die eine oder andere Elektrode möglicherweise abgefallen ist.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Abbildung 2: Seitliche Portraitaufnahme im Selbstversuch mit verkabelter EEG-Kappe
Quelle: Foto-Frame P177: Selbstversuch_BCI.JPG.
Die Anfangsphase der körperlich-materiellen Anpassung zur Aufnahme von Hirnaktivitäten kann man sich nun wie folgt vorstellen: WiMi018-DrMed fragt Gelb043, wie er geschlafen habe. Herr Gelb043 antwortet, dass er schlecht geschlafen habe. Das Bett sei zu klein. … WiMi018-DrMed setzt Gelb043 verschiedene EEG-Kappen auf, zieht jeweils an beiden Enden unterhalb des rechten und linken Ohrs und schaut sich den Kopf an, zieht die Kappe wieder aus, setzt eine andere auf, zieht die Kappe aus, schaut sich dann ein kleines, in die Innenseite der Kappe eingenähtes Schild an und sagt: »Sie haben die Mützengröße 56.« (P18: Abs. 032ff.) Es gilt also zunächst, die für den Patienten passende Normgröße zu finden, die sich augenscheinlich aus dem Kopfumfang ableitet. Allerdings fand dieser Findungsprozess in dem von mir untersuchten Projekt nicht nur einmal statt, wie es hätte erwartet werden können. Sondern in den ersten Forschungstagen wurden die EEG-Kappen immer wieder neu durch eine/n andere/n NeurowissenschaftlerIn ausgesucht. Daraus resultierte, dass die PatientInnen an den folgenden Tagen u.U. Kappen mit unterschiedlichen Größen trugen. Die falsche Größe der Kappe führte bei der Datenmessung z.T. zu gravierenden Problemen, wie das folgende Beispiel der Patientin Weiss046 zeigt:
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Weiss046 kommt herein. … Wir benötigen fast 40 Minuten, bis die Kappe von Weiss046 sitzt. WiMi018-DrMed sagt, dass es problematisch wäre mit den Elektroden. Erst recht dann, wenn die Kappe nicht richtig angezogen wurde. Er fragt, wer ihr die Kappe aufgesetzt hat. Sie wäre »anatomisch ein wenig falsch«. Sie sagt, dass es WiMi888-BioIuT gewesen ist. WiMi018-DrMed richtet die Kappe. Die Werte sehen sehr schlecht aus. Auf dem Bildschirm erscheinen viele rote Bereiche bzw. Elektroden. Rote Elektroden bedeuten, dass der Kontakt von Elektrode und Kopf nicht gewährleistet ist. Somit sind die Signale nicht sauber auslesbar. (P31: Abs. 014)
In dem von mir beforschten Projekt sind die Forschenden selbst dafür verantwortlich, dass die Auswahl der Kappe dem Kopfumfang des Patienten bzw. der Patientin entspricht. Nur so kann der ergonomisch »optimale« Sitz der Kappe gewährleistet werden. Der beschriebene falsche Sitz der Kappe führt hier nicht nur zu schlechten Impedanzen, sondern auch zu unterschiedlicher Positionierung der Elektroden, was die Ursache für die Aussage, dass die Kappe »anatomisch ein wenig falsch« sei, darstellt. Allerdings erfolgt im obigen Beispiel keine Adjustierung im Sinne einer Berichtigung, also der Austausch der Kappe durch eine neue. Vielmehr wird so lange und so viel Gel verwendet, bis die Impedanzen akzeptabel sind. Wie dargelegt wurde, ist die Reliabilität des Messverfahrens durch das Verrutschen der (falsch gewählten) Kappe und die daraus resultierenden Fehlmessungen gefährdet. WiMi018-DrMed macht (auch die PatientInnen) immer wieder darauf aufmerksam, dass der Sitz der Kappe wichtig für die Analyse ist, was folgende Aussage gegenüber einer Patientin deutlich macht: »Die Kappe ist essentiell. Wenn sie nicht gut funktioniert, kann man die Signale nicht analysieren.« (P21: Abs. 37) Um dieses Problem zu lösen, wird in einem Teamgespräch entschieden, die Kappengrößen einmal für alle PatientInnen festzulegen. Zur Feststellung der Kappengröße wird der Kopfumfang jedes Patienten/jeder Patientin gemessen und dokumentiert. Die jeweilige Kappe wird dann analog der individuellen Kopfgröße des Patienten/der Patientin gewählt, sodass jede/r PatientIn immer die gleiche Kappengröße trägt. Dadurch wird gewährleistet, dass einige bekannte Artefaktquellen ausgeschlossen werden, dass die Messungen an denselben Stellen erfolgen kann und somit die Messpunkte bzw. ‑veränderungen während des Forschungsprozesses nachvollziehbar und »repräsentativ« sind. Die richtige Positionierung der Elektroden auf den gewünschten Aufsatzflächen der Kopfhaut ist elementar für das Neurofeedback. Denn sie gewährleistet, die gewünschte Messung an den gewünschten zerebralen Stellen unterhalb der Kopfhaut vornehmen zu können. Dadurch wird die Analyse für die NeurowissenschaftlerInnen möglich. Die Kappe mit den Adapterringen für die Elektrodenplätze hat deshalb eine Fixierungsfunktion, wobei die Fixierung der Elektroden der Stabilisierung der verbindenden Elemente dient.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Die Positionierung der Elektroden erfolgt anhand von vier Bezugspunkten: 1. die Nasenwurzel bzw. Nasion, 2. der Knochenvorsprung am Hinterkopf, genannt Inion und 3. und 4. die jeweils linke und rechte knöcherne Vertiefung vor den Ohren, die sogenannten präauriculären Punkte. Einer der von mir beobachteten Neurowissenschaftlern, der gleichzeitig Physiker ist, weist darauf hin, dass die Abstände der vier Bezugspunkte einen bestimmten prozentualen Wert ergeben sollten. Zur Veranschaulichung zeigt WiMi016-BioIuT mir dies an Pink045s Kopf. Er zeigt mit seinem rechten Zeigefinger auf die vier Bezugspunkte und misst die Abstände dann mit Daumen und Zeigefinger nach Augenmaß. Von Nasion bis zur ersten Elektrode wären es 10 %, dann zur nächsten 20 % usw., wobei der Abstand vom Inion am Hinterkopf zur nächsten Elektrode wieder 10 % betrage. (P18: Abs. 26)
Die Elektrodenanordnung ist insgesamt nach einer internationalen Konvention, dem 10-20-Elektrodensystem, geregelt. Der Gesamtwert der Strecke von Nasion zu Inion beträgt 100 %. In den von mir beobachteten Studien werden zur Messung der Gehirnströme jeweils 32 Elektroden verwendet, wobei die wichtigste Elektrode die C4-Elektrode darstellt (vgl. P22, P23), weil sich diese oberhalb des linken bzw. rechten Hirnareals für Motorik, dem sogenannten sensomotorischen Areal, befindet und weil durch die Hirnstrommuster, die über diese Elektrode aufgenommen werden, die Steuerbefehle für das Öffnen der Roboterorthese generiert werden sollen. Es wird deutlich, dass das zugrundeliegende System der Elektrodenanordnung und somit der funktionalen Einteilung der Hirnareale einem Klassifikationssystem (vgl. Star 1985, Bowker & Star 1999) entspricht, das zwar eine Normgröße darstellt, bei jedem Patienten/jeder Patientin aber durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Die individuelle Anpassung richtet sich nach der Kappengröße, die sich aus dem jeweiligen Kopfumfang ergibt (wobei es bei den Kappengrößen keine Zwischengröße gibt) sowie aus dem jeweiligen Abstand von Nasion zu Inion. Ist die passende Kappe gefunden, folgt das Anbringen der Elektrode. Wie auch das Vorgehen bei der Kappenwahl änderte sich auch diese Prozedur jedoch im Studienverlauf. Zu Beginn der Studie wurde nach dem Aufsetzen der EEGKappe jede einzelne der 32 Elektroden auf die Kappe gesetzt. Jedes Mal, wenn die Elektroden in die dazugehörigen Adapterringe auf der Kappe gesetzt wurden, übten die NeurowissenschaftlerInnen einen leichten Druck auf den Kopf des Patienten/der Patientin aus. Das wurde von einigen PatientInnen als unangenehm empfunden, was sie durch ein »Aua« oder »Vorsicht« artikulierten. Andererseits waren die NeurowissenschaftlerInnen gezwungen, in direktem Kontakt zu den PatientInnen zu stehen – was u.U. dazu führte, dass sich längere Gespräche ergaben. Um die Andockzeit der Elektroden zu verkürzen, wurden die Elektroden
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deshalb in einer späteren Studienphase alle am Abend, nachdem die PatientInnen das Labor verlassen hatten, gereinigt und an die gewaschenen Kappen angebracht, wodurch der Versuchsablauf (re)organisiert wurde. Im Anschluss an die Anbringung der Elektroden an die Kappe werden die Elektrodenkabel nach einer bestimmten Reihenfolge in die Inputbox eingestöpselt (vgl. P22: Abs. 7ff.).22 Die EMG-Kabel werden in die restlichen Steckplätze Inputbox eingebracht. Da die Spannungsschwankungen auf der Kopfhaut sehr niedrig und durch das bloße Aufsetzen von Elektroden kaum messbar sind, müssen die Übergangswiderstände der Elektroden zur Kopfhaut minimal sein. Um eine möglichst gute Leitfähigkeit herzustellen, wird ein elektrolytisches Gel appliziert. Zum Applizieren wird eine Plastikspritze ohne Nadel verwendet. Die Gel-Applikation erfolgt im Anschluss an das Anbringen der Kappe und der Elektrodenöffnungen. Morgens liegen die genannten Utensilien für das Experimentalsetting bereit, sodass nach dem Aufsetzen der mit Elektroden versehenen Kappe direkt mit dem Gelen begonnen werden kann. Das Gel wird zunächst in die Elektrodenöffnungen gespritzt und anschließend mit einem Holz-Wattestäbchen durch die Öffnungen hindurch bis auf die Kopfhaut verteilt. Da während oder kurz nach dem Gelen eine Impedanzmessung23 am BCI-Gerät vorgenommen werden muss und in diesem Kontext ggf. erneut mit dem Holz-Wattestäbchen nachgegelt wird, nimmt diese Prozedur manchmal bis zu 40 Minuten Zeit in Anspruch. Nachdem die EMG- und EEG-Elektroden auf der Inputbox platziert sind, müssen sie noch mit dem Computer verbunden werden, damit die durch die Messfühler (Elektroden) abgeleiteten analogen elektrophysiologischen Signale verarbeitet, verstärkt, gefiltert und digitalisiert werden können. Durch Verstärkerboxen bzw. Differenzverstärker werden die neuronalen elektrophysiologischen analogen Signale zunächst aufbereitet und um ein Vielfaches verstärkt.24 Obwohl diese 22 | Allerdings gestaltete sich der Umgang mit dem Waschen der benutzen Kappen und
der Elektroden etwas problematisch. Auf diese Problematik komme ich im Abschnitt 6.2.3 noch zu sprechen. 23 | »Zur Kontrolle der Elektrodenimpedanz dienen standardmäßig in allen EEG-Geräten verfügbare Impedanzprüfvorrichtungen. Im Prinzip bedienen sich diese Messvorrichtungen des ohmschen Gesetzes: Sie speisen ein Signal definierter Spannung ein und messen den Spannungsabfall über die zu prüfenden Elektroden. Dieser Spannungsabfall ist ein direktes Maß für die Elektrodenimpedanz und kann in Form absoluter Impedanzwerte dargestellt werden.« (Hinrichs 2011: 11) 24 | »Aufgrund ihrer niedrigen (…) Amplituden müssen die EEG-Signale vor einer exakten Messung und Darstellung elektronisch verstärkt werden. Üblich sind Verstärkungsfaktoren um 10000. Dies setzt die (…) Nutzung von Differenzverstärkern voraus, die durch Differenzbildung zweier anliegender EEG-Signale eine Übersteuerung des
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Verstärkung zu einer Verbesserung der Signalstärke führt, lassen sich die durch Artefakte (siehe Kapitel 6.3.4) verursachten Störungen nicht vermeiden. Daher werden einige Signalstörungen noch vor der Digitalisierung softwaretechnisch durch Filter »gereinigt«, wobei sowohl Hoch- als auch Tiefpassfilter25 von Bedeutung sind. Ein Analog-Digital-Wandler (A/D-Wandler) übersetzt dann die analogen Eingangssignale in digitale Daten(ströme). Zur simultanen Repräsentation der digitalen Signale, also zur Repräsentation der Signale in Echtzeit, müssen die Verstärker an einen Computer mit Monitor angeschlossen werden. Die durch diese »Übersetzungskette« hergestellten digitalisierten Daten werden dann als Datenströme in Wellenform mit der auf dem Monitor angezeigten BCI2000Software ausgegeben. Die Digitalisierung gewährleistet nicht nur die Ausgabe auf dem Bildschirm, sondern auch die Speicherung und Weiterverarbeitung (zu z.B. Befehlsparametern) der Daten und somit die Dokumentation und Analyse der NeurowissenschaftlerInnen. Die Übersetzungskette stellt dabei die Inskription und die Transformation der biologischen Elemente in wissenschaftlich-technisch hergestellte simultane digital-ikonographische Expressivität dar, die ich, wie erwähnt, simultane Repräsentation bezeichne. Wird diese Übersetzungskette durch ein fehlendes verbindendes Element von der digitalen Ausgabe der Hirnstrommuster »abgeschnitten« oder gestört, wird die Versuchsanordnung unterbrochen, wie das folgende Beispiel aus dem Labor 2 zeigt: 12:10 Uhr: Die Fixierposition von Herrn Gelb043s Fingern werden im Roboter eingestellt. WiMi018-DrMed guckt auf die Hirnsignale auf dem Monitor, guckt zu Gelb043. (…) 12:16 Uhr: Es gibt möglicherweise ein Problem mit der Kappe von Gelb043. Die Signale sind »falsch«, denn das EEG-Bild sieht nicht wie gewohnt aus, die Hirnstrommuster erscheinen etwas flacher als gewohnt. WiMi018-DrMed guckt sich um. 12:17 Uhr: Das Stromkabel, welches die Inputbox und die Verstärkerboxen mit dem PC verbindet, war nicht angeschlossen. WiMi018-DrMed regt sich darüber auf, dass das Programm keine Fehlermeldung gibt. Er verbindet das Kabel mit der Verstärkerbox. (P23: Abs. 112ff.)
Die beschriebene Situation macht deutlich, dass die simultane Repräsentation für WiMi018-DrMed ein Referenzsystem darstellt, an dem er sich orientiert, um ggf. Störungen zu erkennen. In der beobachteten Situation wird zwar ein digitales Muster auf dem Bildschirm angezeigt, dieses entspricht jedoch nicht den Erwartungen von WiMi018-DrMed. Dass er zwischen der tatsächlich simultaVerstärkers bei überlagerten hochamplitudigen, aber gleichförmigen Störfrequenzen vermeiden.« (Hinrichs 2011: 11) 2 5 | Details zu Hoch- und Tiefpassfiltern finden sich in Hinrichs (2011).
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nen Repräsentation der Hirnstrommuster und einer vermeintlichen simultanen Repräsentation der Hirnstrommuster unterscheiden kann, verdeutlicht, dass er Wissen über das erwartbare Muster besitzen muss. Nachdem die für ihn unerwartete Ausgabe auf dem Bildschirm erscheint, versucht er durch eine intensive analytische Betrachtung der Mensch-Maschine-Einheit, mögliche Fehlerquellen zu identifizieren: Er schaut auf die Kappe, auf den Monitor, auf die Verkabelungen. Sein vor allem auf den Bildschirm gerichteter Blick ist dabei, wie gerade schon kurz angesprochen wurde, in ein komplexes situativ abrufbares Wissen eingebettet (in Anlehnung an Bowker/Stark 1999), das diverse Erfahrungswerte und Wissen über Techniken und Praktiken der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft implizieren muss. Dann entdeckt er die Fehlerquelle: ein Kabel, das nicht an die Verstärkerbox angeschlossen worden war. WiMi018-DrMed bemängelt, dass das Programm keine Fehlermeldung ausgegeben hat. Das Ausbleiben einer Fehlermeldung kann dahingehend interpretiert werden, dass das Programm die empfangenen Signale nicht danach überprüft, ob sie tatsächlich empfangen werden, was eigentlich wünschenswert wäre. Aus der Diskrepanz zwischen dem Soll- und dem Ist-Zustand lässt sich die Verärgerung von WiMi018-DrMeds erklären. In diesem Fall ist – für ihn ärgerlich – die Intra-Aktion zwischen den relevanten Soft- und Hardwarekomponenten abgeschnitten. Soft- und Hardwarekomponenten des BCI-Systems werden allerdings nur über Softwareprogramme, die mit Hardware in Intra-Aktion stehen, bedien- bzw. steuerbar, was auch für das hier genutzte BCI2000-Programm gilt, das die EEGSignale darstellt. Die eigentliche Fehlerquelle liegt an der Hardware, die nicht mit einer anderen Hardwarekomponente verbunden wurde, um dann die Signale auf den Computer übermitteln zu können. Die Software im PC kann also die Widergabe der »richtigen« Hirnstrommuster nicht ausgeben, weil ein verbindendes Element zwischen dem Biologischen und Technischen im BMI-System unterbrochen ist. Die soziale Komponente, der Forscher WiMi018-DrMed, überprüft durch die Beobachtung des Referenzsystems, ob wünschenswerte simultane Repräsentationen der Hirnstrommuster des Patienten produziert bzw. dargestellt werden. Durch den mehrere Aspekte als potentielle Störquellen fokussierenden Blick tastet er das BMI-System visuell auf mögliche Fehlerquellen ab. Er überprüft quasi die verbindenden Elemente des Biologischen und Technischen, wozu auch die Hardwareverkabelung gehört. In diesem Fall ist die Nicht-Verkabelung die Ursache der »falschen« simultanen Repräsentation. Ist also die Vermittlung von biologischen und technischen Elementen unterbrochen, wird die Inskription bzw. die Transformation der diskreten Elemente zu ihrer simultanen digital-ikonographischen Expressivität gestört. Wenn ein Aspekt der Mensch-Maschine-Anpassung eine Fehlfunktion erzeugt, wird, wie in diesem Fall, der gesamte Versuchsablauf unterbrochen. Die Herstellung und Stabilität der Intra-Aktion ist daher konstitutiv für das Zusammenspiel von Softund Hardwarekomponenten und somit für das BCI. Zur Überprüfung der simul-
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tanen Repräsentation der Hirnstrommuster ist, wie deutlich wurde, ein sozialer Akteur bzw. eine soziale Akteurin unentbehrlich, der/die zudem über diejenigen Wissensressourcen verfügen muss, die zur Behebung des Fehlers notwendig sind. Die Impedanzmessung
Bei der Impedanzmessung müssen ebenfalls verschiedene Hard- und Softwarekomponenten zusammenspielen und auch durch eine/n soziale/n AkteurIn überprüft werden. Zwar kommen die EMG-Kabel in die restlichen Steckplätze der Inputbox, allerdings nimmt das »Nachjustieren« der EMG-Elektroden in den von mir beobachteten neurowissenschaftlichen Studien keinen großen Stellenwert ein. Im Gegensatz dazu ist jedoch die Impedanzmessung der EEG-Elektroden von großer Bedeutung und nimmt zeitlich einen großen Raum in den Versuchsvorbereitungen ein. Daher werde ich im Folgenden näher darauf eingehen. Der in der neurowissenschaftlichen Studie genutzte Verstärker verfügt über eine eingebaute Impedanzmessung, die mit einer Software aufgerufen werden kann. Jedes Mal vor dem Training, also täglich bei jedem einzelnen Patienten/ jeder einzelnen Patientin, werden die Impedanzen mit dem BCI2000-Programm gemessen und ggf. durch das Nachgelen »korrigiert«. Beim »Impedance Check« erscheint eine symbolische Darstellung des Kopfes auf dem Monitor, welcher als großer Kreis angezeigt wird. Rechts von der Kopfdarstellung befinden sich verschiedene Kontrollelemente, über die man die gewünschten Grenzwerte der Impedanzen festlegen kann. Die Impedanzen der Elektroden werden durch das illustrierte Kopfbild mit den Positionen der Elektroden und ihren jeweiligen Impedanz-Zuständen in rot, gelb und grün dargestellt. Sind die Impedanzen gering, also der Kontakt von Kopfhaut und Elektrode »gut«, wird die Elektrode grün dargestellt, ist die Impedanz hoch und das Signal somit »schlecht«, wird die Elektrode rot dargestellt. Die ForscherInnen versuchen, wie bereits angesprochen wurde, die »schlechten Signale« durch das Gelen mittels Holz-Wattestäbchen in »gute Signale« umzuwandeln, sodass alle Elektrodendarstellungen im Idealfall »grün« sind. Dies klappt häufig, aber nicht immer. Einige Impedanzen bleiben meistens gelb. Wichtig für die ForscherInnen ist aber, dass bei den wichtigsten Elektroden die Impedanzen im grünen Bereich sind (wie es hier für C4 der Fall ist). Wie erwähnt wird im Laufe der Messung nachgegelt. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Forschungssubjekt bereits am Roboter die Aufgaben durchführt und ein anderes Forschungssubjekt in L1 gegelt wird, es erfolgt also zunächst ohne die gleichzeitige Impedanzmessung. I.d.R muss das Forschungssubjekt warten, bis die andere Person mit dem BMI-Versuch fertig ist, und wird dann im L2 im Laufe der Impedanzmessung nachgegelt. Ist der Kontakt zwischen Kopfhaut und Elektrode durch das Anbringen der Kappe und das Applizieren des elektrolytischen Gels hergestellt, »zapfen« die
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Elektroden die neuronalen Signale an. Die Ableitungen werden also über die verbindenden Elemente ermöglicht, also über die EEG-Kappe, das Gel und die Elektroden. Die Elektroden übermitteln die diskreten Elemente in den Verstärker. Der Verstärker wiederum bewirkt, dass die diskreten Elemente des Gehirns um ein Vielfaches potenziert werden. Bekannte Artefakte werden zudem durch die Filter gereinigt, so wie ich es zuvor in der Übersetzungskette vom Messfühler zum digitalen Datenstrom aufgezeigt habe. Die potenzierte Signalstärke der Hirnaktivität wird bei der Impedanzmessung zu deskriptiv-wissenschaftlichen Elementen mittels verbindender Soft- und Hardwareelemente transformiert und auf dem Monitor angezeigt.26 Das Bild auf dem Bildschirm resultiert also aus der Intra-Aktion von Soft- und Hardwareelemente, die elektrophysiologische neuronale Prozesse von bestimmten vermittelnden Elementen ableiten, empfangen, aufnehmen und verarbeiten. Die so hergestellten deskriptiv-wissenschaftlichen Elemente werden danach durch die ForscherInnen mit normativen Aussageteilen (grüner Bereich ab einem Wert von x) verglichen und an sie angepasst. Die Anpassung erfolgt demnach durch eine soziale Vermittlungsinstanz, den Forscher bzw. die Forscherin. Zur Anpassung der deskriptiv-wissenschaftlichen Elemente wiederum ist das wissenschaftlich-technisch hergestellte Aussagesystem über die diskreten Elemente von Bedeutung, also der/die Computer, die BCI-Software und die Impedanz-Software. Die Signalstärke der diskreten Elemente selbst erscheint in der zeitlichen Anpassung der durch das Aussagesystem produzierten Ampelfarben, die das Referenzsystem symbolisieren. Die Impedanzmessung stellt aber nicht nur die Forschenden vor Herausforderungen, wie bei der Notwendigkeit der Fehleranalyse und -behebung deutlich wurde, sondern sie ist auch für die PatientInnen mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden. So wird das Gelen von allen Forschungssubjekten als unangenehm empfunden, denn durch die kreisenden Druckbewegungen auf der Kopfhaut mittels des Holz-Wattestäbchens wird auch ein Zwirbeln der Haare und ein Ziehen an den Haaren erzeugt – zumeist an allen 32 Stellen. Ich betrete L2. Grün044 sitzt am Rehabilitationsexoskelett und Pink045 kommt und setzt sich an den Roboter. WiMi018-DrMed versucht, Pink045s Hand in die Vorrichtung (die Orthese) zu legen und sagt: »Die Kraft hat schon nachgelassen. Sie sind richtig locker.« Die Hand gibt offensichtlich nicht so viel Widerstand (Spastik). Die Software zur Impedanzmessung ist auf dem Monitor der fahrbaren Vorrichtung geöffnet. Es zeigt ein Kopfbild von oben mit runden Kreisen, die die Elektrodenplätze dar26 | Diese Transformation und Übersetzungsleistung ähnelt der Mobilisierungsphase
in Callons 4-Phasenmodell der Netzwerkbildung, welches ich im Kapitel 3.2.1 erläutert hatte.
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stellen. Sie leuchten je nach Widerstand grün, gelb, rot auf. Einige leuchten rot und gelb, einige sind grün. Jetzt kommt das Gel noch mal zum Einsatz. Die Wattestäbchen tun Pink045 weh. Pink045 bittet um Vorsicht. WiMi018-DrMed: »Sie sind doch ein starker Mann. Seien Sie froh, Sie haben noch Haare, ich nicht.« Pink045: »Ein paar haben Sie noch.« WiMi018-DrMed: »Der Professor sagt immer: ›Es hilft ja alles nichts, da muss man durch‹. Wir müssen die Elektroden noch mal gelen.« (…) Weiss046 begrüßt den Trainingsroboter: »Guten Morgen [Robotername]« und setzt sich an den Rehabilitationsroboter-Platz. Weiss046 guckt sich die ganzen Kabel an, die an ihr herunter hängen und sagt: »Wenn man die ganzen Kabel im Hirn hätte – oh du lieber Gott.« WiMi018-DrMed: »Nein, das sieht doch ganz anders aus.« WiMi017-DrMed steht jetzt auch bei Weiss046 und richtet die Kappe: »Weiss046 hat heute kein Haarspray benutzt.« [Sieht dabei auf die Impedanzmessung, die schon viele grüne Markierungen enthält, lächelt, macht ein zufriedenes Gesicht, MŞ] WiMi017-DrMed und WiMi018-DrMed gelen die Elektroden mit den Holzwattestäbchen. Weiss046: »Net so arg bohre‹, sonst kommt Öl.« (P23: Abs. 013-022, Abs. 060-065)
Am obigen Abschnitt des Beobachtungsprotokolls wird deutlich, dass die Situation der Impedanzmessung und des Gelens mit den Wattestäbchen für die PatientInnen zwar mit Schmerzen verbunden ist, jedoch sowohl durch die anwesenden Neurowissenschaftler, als auch durch die PatientInnen selbst mit Humor begegnet wird, obwohl es an der einen oder anderen Stellen etwas plump klingt. Da das Neurofeedback-Training jedoch von Erfolg gekrönt sein soll – und die erfolgreiche Datenerhebung steht zumindest für WiMi018-DrMed augenscheinlich im Vordergrund – wird entschieden darauf geachtet, die Leitfähigkeit der Elektroden durch das Gelen zu erhöhen. Weiss046 empfindet das Gelen mit dem Wattestäbchen (genauso wie zuvor Pink045) als zu fest, wobei ihre Bitte »Net so arg bohre‹, sonst kommt Öl.« ein metaphorischer Hinweis auf die zu feste Drehbewegung des Wattestäbchens ist. Dass die Bemerkung von Weiss046 im weiteren Messprozess sowohl von Weiss046 selbst als auch von den Forschenden nicht weiter kommentiert wird und dass auch während des folgenden Gelens keine weiteren Beschwerden geäußert werden, ist ein Anhaltspunkt darauf, dass das Gelen nach der Bitte entweder mit mehr Vorsicht durchgeführt wurde, oder dass alle Beteiligten (und auch Weiss046 selbst) das eigene Unwohlsein als deutlich weniger wichtig als eine gelingende Impedanzmessung bewerten. Für letzteres spricht, dass WiMi018DrMed im obigen Teil des Beobachtungsprotokolls den leitenden Neurochirurgen des Neurofeedback-Trainings mit den Worten zitiert: ›Es hilft ja alles nichts,
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da muss man durch‹, was suggeriert, dass die PatientInnen nicht viel Rücksichtnahme durch die Forschenden erwarten können und sollen. Für die Forschenden steht eindeutig das Ziel im Fokus: Nur, wenn die Impedanzen im Sinne des Wortes »im grünen Bereich« sind und somit die kortikalen elektrischen Signale adäquat gemessen, aufgezeichnet und weiterverarbeitet werden können, beginnt das Neurofeedback-Training. Was die Leitfähigkeit erschwert, ist eine Kopfhaut, die nicht entfettet wurde. Daher sollten die Forschungssubjekte zuvor ihre Haare gewaschen haben, jedoch dabei möglichst keine Haarspülung und danach kein Haarspray benutzen, weil diese Substanzen isolierend wirken. WiMi018-DrMed führt die recht gute Impedanzmessung bei Weiss046 deshalb auch darauf zurück, dass sie kein Haarspray benutzt habe. Sein zufriedener Gesichtsausdruck symbolisiert, dass die NichtNutzung von Haarspray wünschenswert ist. Positiv bewertet wird dabei wohl auch, dass die vielen grünen Elektrodendarstellungen darauf hinweisen, dass das Gel-Prozedere relativ kurz ausfallen wird. Dies ist für alle Beteiligten vorteilhaft, da weniger zeitraubend und weniger schmerzhaft. Zur Erfassung, Weiterverarbeitung, Verstärkung und Dokumentation der muskulären und neuronalen Expressivitäten (und somit zur anschaulichen Beweisführung) werden verbindende Elemente genutzt, die zwischen Haut und Sachtechnik die gewünschten Informationen vermitteln. Dies sind der Oberflächenelektrodenkleber, die EEG-Kappe, das Gel, der Verstärker sowie bestimmte Soft- und Hardwarekomponenten. Die jeweilige materielle Vermittlungsinstanz symbolisiert dabei das »Anzapfen« der diskreten Elemente des PatientInnenkörpers und ist Bedingung für die Konstitution der bio-technischen Gestalt. Verbindende Elemente, wie die EEG-Kappe oder das elektrolytische Gel, werden auf die entsprechenden Stellen des Körpers aufgelegt oder -geklebt bzw. mit ihm verbunden. Die Leitfähigkeit der Haut gewährleistet dabei nicht nur, dass an sie technische Komponenten angedockt werden können, sondern auch, dass elektrische Impulse der lebendigen diskreten Elemente über die Haut durch die Innenwelt des PatientInnenkörpers aufgenommen werden können. Diese Aufnahme bildet dann wiederum die Basis für die technische Darstellung, Weiterverarbeitung und Dokumentation der Impulse. Die verbindenden Elemente stellen also im ersten Schritt eine wichtige Bedingung für das »Herausfließen« der elektrischen Signale dar. Weitere verbindende Elemente, wie Elektroden, Verstärker und Softwareprogramme, erfassen die Signale des Körpers hardwaretechnisch, verarbeiten bzw. verstärken sie und visualisieren sie anschließend durch bestimmte Software anhand vereinfachter graphischer Darstellungsformen. Beim EEG werden z.B. EEG-Softwareprogramme wie das bereits genannte BCI2000 und Software zur Impedanzmessung zur
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Verarbeitung elektrischer Hirnsignale genutzt.27 Ihre graphische Darstellung, Kontrolle und Korrektur erfolgt also unterstützt durch Informationstechnologien sowie soziale AkteurInnen. Im nächsten Schritt dient die graphische Repräsentation der Impedanzmessung den NeurowissenschaftlerInnen als Referenz, um die Signalstärke durch die Verbesserung des Kontakts von Haut und Elektroden zu korrigieren. Das nötigte Zusammenspiel von Hard- und Softwarekomponenten wird dabei ebenfalls durch Informationstechnologien gewährleistet. Die Aufnahme und Weiterverarbeitung der elektrischen Signale der diskreten Elemente wird folglich wissenschaftlich-technisch hergestellt und durch die Vermittlungsinstanzen stabilisiert. So werden die Expressivitäten elektrophysiologischer Signale diskreter Elemente des Körpers über materielle und wissenschaftlich-technische Vermittlungsinstanzen sichtbar und zu epistemischen Objekten verdinglicht/objektiviert. Dies ist für den Forschungsprozess daher von hoher Bedeutung, da NeurowissenschaftlerInnen erst durch diese Verdinglichung und Objektivierung in die Lage versetzt werden, die muskuläre oder neuronale Expressivität kontrolliert zu verstärken, zu untersuchen, zu dokumentieren und ggf. zu verändern. Bei den dafür nötigen Messverfahren werden diskrete Elemente durch Vermittlungsinstanzen zu deskriptiv-wissenschaftlichen Elementen, danach mit normativen Aussageteilen (bspw. Soll-Wert entspricht einem grünen, kreisförmigen Element, die ForscherInnen orientieren sich dann nach diesem Bild, oder auch nach einer bestimmten Wellenform etc.) verglichen und an sie angepasst. Folglich werden kausale Zusammenhänge der Mensch-Maschine-Verschaltung durch deskriptive und normative Aussagesysteme und durch Anteile hergestellt, verglichen und angepasst. Zur Anpassung der deskriptiv-wissenschaftlichen Elemente ist das wissenschaftlich-technisch hergestellte Aussagesystem über die diskreten Elemente von Bedeutung. Die diskreten Elemente selbst erscheinen in der zeitlichen Anpassung der durch das Aussagesystem produzierten Darstellungsformen und -farben. Diese Darstellungsformen und -farben sind wiederum Repräsentationen, die in Echtzeit erfolgen und die im Zuge der Angleichung der diskreten Elemente an das normative Referenzsystem möglichst mit geringen Widerständen und artefaktfrei, also »sauber«, repräsentiert werden sollen. Die Reinigung der Messwerte wird dabei durch Verstärker und Softwarefilter ermöglicht, während die Aufbereitung der Messung von analog zu digital durch die Digitalisierungseinheit durchgeführt wird (Reinigung und Aufbereitung/Fixierung der Signale). Die Objektivierung der diskreten Elemente gewinnt dadurch einen normativen Bias. Und auch der Echtzeitsaspekt der Widergabe diskreter Elemente in ihren Darstellungsformen ist konstitutiv für die synchrone Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Warum die Echtzeit elementar ist, liegt auf das Hand: 27 | Dies ist möglicherweise auch beim EMG der Fall, gehört jedoch nicht zu meinen
Beobachtungen.
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Nur wenn man die zerebralen Zustände (»Hirnzustände« bzw. »Gedanken«), die im Moment aktiv sind (»gedacht werden«), in Echtzeit widergeben und verarbeiten kann, kann man diese Hirnzustände zur Steuerung des Computers oder der Maschine in Echtzeit nutzen. Durch den Aspekt der Echtzeit kann dem Patienten bzw. der Patientin zudem ein direktes Feedback über die Richtigkeit des gewünschten Hirnzustands gegeben werden. Die erwähnten Repräsentationsformen und Aussagesysteme wiederum resultieren aus den in der Vergangenheit geprägten wissenschaftlich-technischen Praktiken. Ähnlich wie bei den anfänglich erwähnten STS-Untersuchungen zu Repräsentationstechniken (Suchman, Lynch & Woolgar, Amann & Knorr Cetina, s. Kapitel 2) sind auch in den Neurowissenschaften die Kriterien Regelmäßigkeit, Reproduzierbarkeit und Objektivität der Expressivitäten in den Diagrammen dargestellt und basieren zugleich auf neurowissenschaftlichen Methoden. Sie stellen Bezüge zu neurowissenschaftlichen Praktiken dar, die aus unterschiedlichen Hintergründen resultieren. Die Kartierung der EEG-Kappe mit der 10-20-Norm, die einer internationalen Konvention entspricht, ist nur ein kleines Beispiel dafür, dass die Repräsentationen auch u.a. theoretischen Prinzipien, Gehirntheorien (wie z.B. den zerebralen Lokalisationstheorien) und funktionalen Hirnkartierungen folgen. Die Darstellung der natürlichen diskreten Elemente ist zwar technisch vermittelt, kann aber nicht von der gestalthaften Ganzheit, dem Patienten/der Patientin und seinen/ihrem Körper losgelöst werden. Und auch die Impedanzmessung und die dafür elementare Echtzeitmessung und -kontrolle kann ohne die Mitarbeit von NeurowissenschaftlerInnen und PatientInnen nicht erfolgen. Denn der/die PatientIn und die Darstellungsformen seiner/ihrer diskreten Elemente werden in der körperlich-materiellen Anpassung phasenweise gleichermaßen beachtet und »bearbeitet«. Außerdem werden Störungen der Mensch-Maschine-Anpassung oftmals durch den PatientInnenkörper bzw. Körperteile (z.B. Hand) und die Maschine bzw. Maschinenteile (wie z.B. die Fingerschlitten) ausgelöst und sind nicht immer automatisch technisch zu erkennen und zu beseitigen. Dazu bedarf es vielmehr eines sozialen Akteurs bzw. einer sozialen Akteurin. Es wurde bereits am o.g. Beispiel der aus der fehlenden Verkabelung resultierenden Messfehler deutlich, dass dies insbesondere dann der Fall ist, wenn Störungen während des Neurofeedback-Trainings auftreten, erkannt und beseitigt werden. Zusammengefasst bedeutet das: Die materielle Vermittlungsinstanz hat insofern Konsequenzen für gewohnte (An-)Ordnungen und für die Handlungsabläufe im Experimentalsystem, als sie in ihrer Eigenart zunächst, also in einem ersten Schritt der Versuchsvorbereitungen, an den Körper anpassungsfähig gemacht werden müssen. Diese Zeit muss bei der Versuchsplanung einkalkuliert werden. Die Anpassung selbst wird über einen komplexen Satz situativen Wissens und historisch situativer Artefakte hergestellt. Dabei werden Klassifikationssysteme (bei der EEG-Kappe dient die Mützengröße als Referenzsystem, für die Elektro-
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denanordnung dient das 10-20-Sytem als Standard usw.) an den Körper des Forschungssubjekts angepasst, der jedoch ebenfalls analog der materiellen Beschaffenheit der Vermittlungsinstanz an materielle Dinge angepasst werden muss. Es wurde bereits aufgezeigt, dass dies z.B. durch die Reinigung oder das Gelen bestimmter Hautoberflächen geschieht. Tritt im Rahmen des Anpassungsprozesses ein Störfaktor auf, wirkt das auf die Arbeitsorganisation insofern zurück, als die verbindenden Elemente und Vermittlungsinstanzen, die in ihrem Zusammenwirken die Beziehung zwischen dem Biologischen und dem Technischen herstellen, den reibungsfreien Ablauf der Anpassung kontrollieren und den Prozess ggf. modifizieren und stabilisieren. Diese Re-Stabilisierung der verbindenden Elemente kann daher eine Änderung im (zeitlichen) Ablauf der Vorbereitungen nach sich ziehen. Dies ist in den meisten Versuchen der Fall, denn Stabilisierungsbemühungen nehmen einen großen Platz in den Versuchsanordnungen ein. Destabilisierungen der verbindenden Elemente haben Auswirkungen auf die prozessualen Ordnungsbemühungen der Forscher. So kann, wie oben dargestellt, alleine die Impedanzmessung so lange dauern, wie das Neurofeedback-Training selbst. Und auch bei den vorbereitenden Andockprozeduren der Elektroden können Korrekturen notwendig werden, die wiederum Auswirkungen auf den Forschungsprozess haben. Die verbindenden Elemente verweisen dementsprechend auf (An)Ordnungen der MenschMaschine-Anpassung und haben Konsequenzen für die Handlungsabläufe im Experimentalsystem. Insofern werden durch meine Beobachtungen Stars Ausführungen zum ecology approach (Star, Kapitel 3.3) bestätigt. Da die verbindenden Elemente eine stabilisierende Wirkung auf die Herstellung der wechselseitigen Anpassung von Mensch und Technik haben, führt die Destabilisierung dieser Elemente zur Destabilisierung des BMI-Systems. Daher ist die Stabilisierung der verbindenden Elemente für die Mensch-Maschine-Anpassung elementar. Die Stabilisierungsbemühungen zeigen sich auch bei der wechselseitigen Anpassung vom PatientInnenkörper an den Roboter und an das Rehabilitationsexoskelett vice versa, wie im Folgenden aufgezeigt werden wird.
6.2.3 Anpassung des PatientInnenkörpers an die Maschine vice versa Im Folgenden beschreibe ich die vorbereitenden Maßnahmen zur Herstellung und Stabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung als BMI-System, wobei ich dabei die Anpassung von Mensch und Maschine sowie die verbindenden Elemente, die diese Anpassung ermöglichen, fokussiere. Ich veranschauliche, dass diese verbindenden Elemente konstitutiv für das Zusammenwirken von Mensch und Maschine und im Speziellen für die synchrone Zusammenarbeit von Hand und Roboterorthese sind. Zudem gehe ich auch hier auf die wichtigsten Probleme ein, mit denen die beteiligten Personen während des gesamten Anpassungsprozesses konfrontiert werden.
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Meist erfolgt die Anpassung des PatientInnenkörpers an den Rehabilitationsroboter vice versa während der Impedanzmessung. Beim Betreten des L2 sieht man an der rechten Wand des Labors zwei fahrbare Tische mit jeweils einem Monitor. An einem der fahrbaren Tische ist eine Roboterorthese montiert, dahinter findet sich eine Recheneinheit. Unter dem anderen fahrbaren Tisch befinden sich Verstärker, unter den Verstärkern befindet sich ein Desktoprechner. Vor den fahrbaren Tischen stehen jeweils zwei Stühle. Ein vierbeiniger Stuhl, worauf sich das Forschungssubjekt setzt, steht vor dem Gerät mit der Orthese, und ein fahrbarer Untersuchungsstuhl steht vor dem Monitor mit den Verstärkern. Auf letzterem wird die Inputbox gesetzt (vgl. Video P71: 04_MenschMaschineAnp.wmv).
Die ersten Schritte zur Positionierung des Forschungssubjekts an den Roboter kann man sich dann folgendermaßen vorstellen: Nachdem sich das Forschungssubjekt auf den vierbeinigen Stuhl gesetzt hat, wird der Stuhl mitsamt des Patienten/der Patientin an die Orthese herangerückt. Gerade einseitig gelähmte PatientInnen sind dabei auf Hilfe angewiesen. Danach nimmt der/die PatientIn die Inputbox in die rechte, gesunde Hand. Die körperlich-materielle Anpassung beinhaltet beim BMI-System folgende Anpassungsmomente, die Maßnahmen zur Herstellung und Stabilisierung des aus Mensch und Maschine bestehenden Gesamtsystems, dem BMI-System, darstellen: 1. das Verkleben der Finger der gelähmten/spastischen Hand des Patienten/der Patientin mit magnetischen Fingertips; 2. das Dehnen der spastischen Hand; 3. das Adjustieren der Orthese nach der Sitzposition; 4. die Fixierung des gelähmten Arms bzw. der gelähmten Hand an die Orthese sowie die Fixierung der Finger der gelähmten Hand an die Fingerschlitten des Roboter; 5. das Adjustieren der Roboterhand der Orthese und die magnetische Fixierung der organischen Hand mit der Roboterhand. Im Folgenden werde ich zunächst im Kapitel »Fixierung und Stabilisierung magnetischer Fingertips« auf den erstgenannten Punkt eingehen. Die Punkte 2-5 werden anschließend im darauf folgenden Kapitel »Adjustierung und Fixierung von Mensch-Maschine-Teilen« dargestellt und analysiert. Mit dem Ausdruck »Mensch-Maschine-Teile« ist gemeint, dass es sich dabei um die Adjustierung und Fixierung des PatientInnenkörpers und seiner Körperteile (z.B. der Hand)
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handelt sowie um die Adjustierung und Fixierung der Maschine bzw. von Maschinenteilen (wie z.B. der Fingerschlitten). 6.2.3.1 Fixierung und Stabilisierung magnetischer Fingertips
Die SchlaganfallpatientInnen, die ich während meiner Beobachtungen treffe, sind teilweise linksseitig gelähmt, d.h. sie sind von einer Lähmung mit mehr oder minder starken Beeinträchtigungen der linken Extremitäten betroffen. Denn welche konkreten Auswirkungen die Lähmung auf die PatientInnen hat, variiert bei SchlaganfallpatientInnen individuell. Bei zwei Schlaganfallpatienten sind die Sprachschwierigkeiten so gravierend, dass sie schwer zu verstehen sind, während andere verständlich sprechen. Bei manchen SchlaganfallpatientInnen ist dagegen die Spastik, die unkontrollierte Muskelverspannung, der linken Hand sehr stark ausgeprägt. Bei einer Patientin bspw. schließt sich die linke Hand während des Trainings so stark, dass ihre Finger aus der Orthese springen. Damit die Finger der PatientInnen an die Orthese angedockt werden können und mittels Orthesensteuerung synchron zu den Bewegungen der einzelnen Fingerschlitten bewegt werden können, werden die Finger zunächst von den ForscherInnen einzeln mit magnetischen Fingertips verklebt. Die in ihrer Größe variablen Fingertips sind weiß, ca. 1 cm breit, ca. 2 cm hoch und ca. 1 mm dick, wobei die obere Seite abgerundet ist. Sie haben an der Innenseite, also auf der Seite, die auf den Finger aufgelegt wird, eine Einkerbung für die Fingerspitzen. Und an der Außenseite, also der Seite, die auf die einzelnen Fingerschlitten angedockt wird, haben sie einen runden Magneten mit einem Durchmesser von ca. 2 mm. Um die Finger mit den Fingertips zu bekleben, wird zunächst seitens der Forschenden die passende Fingertipgröße gewählt, die sich aus der Fingerspitzengröße ablesen lässt. Danach besprüht der/die ForscherIn einen Fingertip zunächst mit einem Desinfektionsmittel, wischt das Desinfektionsmittel mit einem Papierhandtuch ab, nimmt die linke Hand des Forschungssubjekts, legt den Tip auf die jeweilige Fingerkuppe und verklebt ihn mit einem ca. 3 cm langen, hautfarbenen Fixierpflaster, das ein eingestanztes Loch in der Mitte hat. Mit diesem Loch wird der Magnet, der an dem Fingertip angebracht ist, freigelegt, damit der Magnet sich mit den Fingerschlittenplätzen der Orthese magnetisieren kann. Dieser Vorgang funktionierte in den von mir beobachteten Projekten jedoch nicht immer problemlos. Vielmehr zeigte sich während des Studienverlaufs, dass die Verbindung der Magnete mit dem Plastikfingertip durch das Desinfektionsmittel mit der Zeit nachlässt und aufgelöst wird, wodurch die Versuchsanordnung gefährdet bzw. gestört wird. Magnete fielen bei der Desinfektion heraus oder die ForscherInnen wurden bei den täglichen Vorbereitungen der PatientInnen auf das BMI-System mit fehlenden Magneten in den Fingertips konfrontiert. Die Magnete sind aber ein wichtiges Element des BMI-Systems, denn ohne die Magnete ist die Verbindung zwischen dem Patienten/der Patientin und dem
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Neurorehabilitationsroboter und somit das Neurofeedback nicht möglich. Das Suchen nach den kleinen, abgefallenen Magneten und ihre Befestigung an den Fingertips nimmt zudem viel Zeit in Anspruch, sehr zum Ärger der NeurowissenschaftlerInnen. Sie lösten das Problem der Destabilisierung der Magneten durch das Desinfektionsmittel zunächst dadurch, dass sie nur noch die Innenfläche der Fingertips desinfizierten. Das Desinfektionsverfahren änderte sich daher derart, dass nicht mehr die ganzen Fingertips besprüht wurden, sondern dass das Papierhandtuch besprüht und die Innenseite des Fingertips mit der besprühten Fläche des Papierhandtuchs abgerieben wurde. Da einige Magnete jedoch trotz des erneuten Aufklebens und des neuen Desinfektionsprozedere nicht »stabilisiert« werden konnten, wurden die Fixierpflaster gegen milchige/»unsichtbare« bzw. weiße dünnere Sensitivfixierpflaster ersetzt. Diese bewirkten nicht nur, dass die Fingertips an die Fingerspitzen geklebt werden konnten, sondern gewährleisteten auch, dass die Magnete an den Fingertips haften blieben. Zwar »verklebten« die Sensitivfixierpflaster den Magneten am Fingertip, waren jedoch durch ihre durchlässige Eigenschaft »leitfähig«, wodurch ihre Magnetisierung mit den Fingerschlitten gewährleistet wurde. Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die geplante Verwendung der materiellen Gegenstände auf gewohnte Anordnungen hinweist und dass die realen Verwendungsmöglichkeiten Konsequenzen für die Handlungsabläufe im Experimentalsystem haben. Auch hier werden also durch meine Befunde Stars (1995) Ausführungen zum ecology approach bestätigt. Die überraschende Destabilisierung der Magnete stellt einen Routinebruch dar. Denn dadurch musste zunächst das Problem erkannt und mussten die Behebungsmöglichkeiten eruiert und umgesetzt werden, was sowohl Wissensressourcen als auch Möglichkeiten für ein modifiziertes Handeln voraussetzte. In diesem Kontext wurde die Desinfektionsprozedur der Fingertips verändert und später das verbindende Element Fingertip durch ein zusätzliches stabilisierendes Element verstärkt. Nur so konnte die Experimentalordnung wieder hergestellt werden. 6.2.3.2 Adjustierung und Fixierung von Mensch-Maschine-Teilen
Nachdem ich beschrieben habe, wie die magnetischen Fingertips mit den Fingern der PatientInnen verbunden wurden, werde ich nun auf die Adjustierung und Fixierung von Teilen des Körpers an Teile von Maschinen eingehen. Diesen Prozess kann man sich folgendermaßen vorstellen: Zunächst wird das Forschungssubjekt in einem Abstand von ca. 20 cm vor der Orthese positioniert. Danach werden, sofern die Spastik der von der Lähmung betroffenen Hand des Patienten bzw. der Patientin ausgeprägt ist, die Hand und der Arm durch Übungen gelockert. Die Lockerung der Hand und des Arms einer Patientin nimmt in der folgenden Videosequenz, die textuell dargestellt wird, eine Zeitspanne von
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ca. 30 Sekunden in Anspruch. Die Lockerungsphase umfasst ebenfalls die Adjustierung zwischen dem Arm der Patientin und der Orthese: WiMi999-DrMed beginnt, den Arm der Patientin zu lockern. Dazu hält er mit seiner rechten Hand die linke Elle und mit seiner linken Hand das linke Handgelenk der Patientin fest. Danach zieht er den Arm der Patientin zu sich (Video-Frame P71: 04_ MenschMaschineAnp.wmv [14:00.563]). Knapp eine Sekunde später drückt er den linken Arm der Patientin gegen ihren Körper und beugt sich dabei mit seinem Oberkörper zur Patientin hin (ebd.: [14:02.043]). Während WiMi999-DrMed den Arm der Patienten wieder streckt, bemerkt er lächelnd: »Das ist ja schon VIEL, viel lockerer, nicht?«. Die Patientin antwortet: »Ja.« (Ebd.: [14:06.523]). Er drückt den Arm wieder zur Patientin (ebd.: [14:08.283]). Er öffnet den Arm der Patientin leicht, hält ihn mit seiner rechten Hand am Handgelenk fest. Mit den Fingern seiner linken Hand umschließt er die verkrampften, spastischen Finger der Patientin und… (ebd.: [14:15.523]) …öffnet sie und… (ebd.: [14:16.323]) …dehnt dabei auch den Daumen der Patientin mit einem leichten Druck seines rechten Daumen bis zu ihrer Daumeninnenfläche (ebd.: [14:16.483]). Danach dehnt WiMi999-DrMed Daumen und Finger der Patientin gleichzeitig mit seiner rechten und linken Hand,… (ebd.: [14:17.923]) …schließt und öffnet sie. Während der Lockerung des Arms, der Hand und der Finger der Patientin wippt der Neurowissenschaftler mit seinem Oberkörper analog der Armbewegung der Patientin vor und zurück (ebd.: [14:18.403]). Dann nimmt WiMi999-DrMed mit seiner rechten Hand das linke Handgelenk der Patientin. Mit seiner linken Hand schiebt er die Orthese zur Patientin (ebd.: [14:19.883]). Er greift in der nächsten Sekunde mit seiner linken Hand nach dem Handgelenk der Patientin, mit der rechten lässt er sie los. Danach fasst er noch einmal um und nimmt den Arm der Patientin wieder in seine rechte Hand (ebd.: [14:21.963]). Er drückt den Arm wieder leicht an den Körper der Patientin und streckt seinen linken Arm nach dem automatischen Druckknopf der Höhenverstellung der Roboterorthese aus. Er fährt die Orthese ein wenig herunter. Dabei schaut er auf den Ellenbogen der Patientin (ebd.: [14:24.643]). Im Anschluss daran streckt er den Arm der Patientin wie oben beschrieben von ihrem Körper weg und…(ebd.: [14:27.763]) …wieder zum Körper hin (ebd.: [14:29.763]).
In der oben textuell veranschaulichten Videosequenz »Adjustierung von MenschMaschine-Teilen« wird in 14 Frames dargestellt, wie der Körper einer Patientin an die Maschine und wie die Roboterorthese an die Ergonomie der Patientin angepasst wird. Besondere Aufmerksamkeit erhalten dabei diejenigen Körperteile,
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die beeinträchtigt sind und zugleich auch relevant sind für die Arbeitshandlung mittels des BMI-Systems. Da die Patientin spastisch gelähmt ist, ist ihre Hand zu einer Faust verkrampft. So verkrampft ließe sie sich nur sehr schwer in die Orthese einbinden, denn um eine Hand in der Roboterorthese und Finger an die Fingerschlitten zu fixieren, müssen Hand und Finger locker sein. Deshalb macht der von mir beobachtete Forscher die Lockerungsübungen mit der Patientin. Seine einleitende Suggestivfrage »Das ist ja schon VIEL, viel lockerer, nicht?« geht einher mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck, was impliziert, dass die von ihm festgestellte zunehmende Lockerheit der für die Arbeitshandlung relevanten Extremitäten wünschenswert und damit erfreulich ist. Um sich abzusichern, ob auch die Patientin dies so sieht, fragt er nach (»nicht?«), was die Patientin bejaht. Ab Video-Frame P71: 04_MenschMaschineAnp.wmv [14:19.883] wird die Adjustierung der Orthese fast zeitgleich zur Lockerung des Armes eingeleitet. Dabei wird die Adjustierung der Roboterorthes an die Größe des Körpers der Patientin angepasst. Dazu wird der fahrbare Teil des Neurorehabilitationsroboters so lange bzw. so oft hoch und runter gefahren, bis der Forscher, der den Roboter justiert, nach Augenmaß entscheidet, dass er nicht mehr nachjustiert werden muss. Beim Augenmaß orientiert er sich auf das Höhenverhältnis zwischen dem linken Ellenbogen der Patientin und dem Anfang der schwarzen, nach rechts und links verstellbaren Armauflage. Ich habe innerhalb des in meine Forschung einbezogenen Projekts insgesamt mehrere Fälle von Lockerungsübungen mit PatientInnen mit Spastik beobachten können, wobei diese jeweils von einem von zwei voll ausgebildeten Medizinern durchgeführt wurden. Während meiner Forschungstätigkeit wurde in diesem Zusammenhang sehr deutlich, wie wichtig die Lockerungsübungen sind. Ich werde deshalb auf das Problem der Spastik und des Unterlassens der Lockerung noch näher eingehen (vgl. Kap. 6.3.2.3), da es zur Instabilität der MenschMaschine-Verbindung führt und insofern für die Analyse der Bedingungen einer Stabilsierung der Verbindung wichtig ist. Zuvor werde ich jedoch anhand der nachfolgenden elf Frames der Videosequenz »Fixierung und Stabilisierung von Mensch-Maschine-Teilen«) das Vorgehen bei der Fixierung des Unterarms und der Hand sowie bei der Adjustierung der Orthese und der Fingerschlitten vorstellen. Die Frames beginnen zu dem Zeitpunkt, an dem der Neurowissenschaftler bereits die Elle der Patientin und die Armauflage in die gleiche Höhe gebracht hat: Befinden sich Elle und Armauflage auf gleicher Höhe, wird die Elle der Patientin durch den Neurowissenschaftler ungefähr am Rand der Armauflage aufgesetzt und der Unterarm der Patientin wird in die Armauflage gelegt (Video-Frame P71: 04_MenschMaschineAnp.wmv [14:32.603]).
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Durch ein leichtes Ziehen an der Hand positioniert der Neurowissenschaftler das Handgelenk der Patientin an der Stelle der Armauflage, die es ermöglicht, dass der Klettverschluss sich auf Höhe des Handgelenks befindet (ebd.: [14:33.083]). Danach dreht der Wissenschaftler die Orthese zu sich. In diesem Video-Frame ist dieser Drehprozess bereits abgeschlossen (ebd.: [14:43.003]). Einige Sekunden später dreht sich der Forscher um und geht auf die rechte Seite der Patientin. Er kniet sich hin und schaut sich die Finger der Patientin an. Er hebt die Finger einzeln an und magnetisiert sie mit den Fingerschlitten. Wenn die mit magnetischen Fingertips versehenen Fingerkuppen mit den magnetischen Plätzen in den Fingerschlitten verbunden werden, gibt es ein »Klack-Geräusch«. Bei der Magnetisierung bewegen sich die Magnete am Fingerschlitten ein wenig nach oben zu den Fingern hin (ebd.: [15:23.443]). Das nächste Video-Frame zeigt die Hand der Patientin aus einer anderen Kameraposition (linksseitig der Patientin) (ebd.: [15:32.243]). In der nächsten Großaufnahme der Hand der Patientin ist deutlich zu erkennen, dass und wie deren Finger mittels magnetischer Fingertips mit den Fingerschlitten verbunden sind (ebd.: [15:35.883]). Nachdem der Neurowissenschaftler die Finger der Patientin mit den Fingerschlitten verbunden hat und die Positionierung überprüft hat, richtet er sich auf… (ebd.: [15:54.483]) …und verschließt…(ebd.: [15:56.843]) …das Klettband am Handgelenk der Patientin. Einige Sekunden darauf wird das Klettband am Ellenbogen der Patientin geschlossen (ebd.: [16:11.043]). Nach dem erneuten Kontrollieren der Fixierungspunkte geht der Neurowissenschaftler wieder auf die andere Seite, stützt sich mich der linken Hand an der Orthese ab und öffnet das Greifbewegungsprogramm des Roboters über das Softwareprogramm mit der rechten Hand (ebd.: [17:10.523]). Er klickt mit der Computermaus einen Fingerschlitten im Roboter-Programm an. Finger und Daumen werden separat angesteuert. Auf dem Monitor sieht man die Abbildung der Schlitten für die Finger. Danach schaut er zum dazu passenden Finger der Patientin, der langsam ausgefahren wird. Dann klickt er wieder und das Ausfahren des Fingers wird gestoppt. Das wiederholt er mit allen anderen Fingern. Die Finger sind unterschiedlich weit ausgefahren worden, wie er an den am Monitor abzulesenden Daten erkennt. Diese Daten speichert er dann in einer individuellen Parameterdatei für die Grenzwerte der Greifbewegung ab. Er stellt etwas ein. Danach aktiviert er ein Bewegungsprogramm. Es fährt die Finger aus und ein (ohne BCI). Zwei Minuten später folgt die Impedanzmessung, während im Hintergrund der Roboter die Finger der Patientin öffnet und schließt (ebd.: [17:18.883]).
An der in 11 Frames textuell dargestellten Videosequenz wird deutlich: Die Orthese hat eine bestimmte Anatomie, an die die Hand und die Finger der Patientin angepasst werden müssen, damit die Greifbewegung stattfinden kann. Nach den dafür notwendigen Lockerungsübungen beginnt der beobachtete Neurowissen-
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schaftler, Teile des Körpers der Patientin in den Rehabilitationsroboter zu integrieren. Bei diesem Integrationsprozess besteht die Möglichkeit, die Orthese und die Armauflage gemäß der Ergonomie des Arms der jeweiligen Patientin bzw. des jeweiligen Patienten nach rechts oder links zu drehen, wenn der Unterarm aufgrund von Muskelverkrampfungen nicht ausreichend gestreckt werden kann. In dem geschilderten Fall ist der Unterarm der Patientin durch die Spastik leicht nach innen gedreht. Beim Einlegen des Arms in die Armvorlage verschiebt sich diese durch seinen flexiblen Anbau an die Orthese leicht nach rechts. Zudem dreht WiMi999-DrMed einen Teil der Orthese manuell, um ihn an den Körper der Patientin anzupassen. Die Flexibilität der Armauflage und der Orthese gewährleisten demnach die Anpassungsfähigkeit des Roboter an die Anatomie des Arms und somit des Körpers der Patientin. Liegt der Unterarm auf der Armvorlage, werden Hand und Finger in die Orthese integriert. Dazu hebt der Neurowissenschaftler jeden einzelnen Finger an und platziert die Magnete an den Fingern und die Fingertips anschließend an die flexiblen magnetischen Plätze der Fingerschlitten. Durch ihre Flexibilität lassen diese ein wenig nach und bewegen sich Richtung Fingerkuppen nach oben. Das »Klack-Geräusch« ergibt sich aus der Magnetisierung beider Teile und ist ein Indiz dafür, dass die Finger der Patientin mit den Fingerschlitten verbunden sind und aneinander haften, dass also die gewünschte Fixierung gegeben ist. Die magnetischen Elemente stellen wichtige verbindende Elemente der Anpassung des Biologischen und des Technischen dar.28 Befinden sich die Finger in den Fingerschlitten, kontrolliert WiMi999-DrMed, ob diese richtig »liegen«. Danach fixiert er den Unterarm durch Klettverschlüsse am Handgelenk und Ellenbogen an der Armstütze. Ist der Körper nun vollständig in die Maschine integriert und die Maschine analog dem Körper adjustiert, erfolgt eine Feinjustierung der Fingerschlitten nach der Größe der Hand und dem Bewegungsgrad der Finger. Denn bevor das Neurofeedback-Training beginnt, werden die Grenzwerte für das Ausfahren der Fingerschlitten durch das Roboter-Bewegungsprogramm ermittelt und in einer Parameterdatei mit der Identifikationsnummer der PatientInnen (ID) abgespeichert. Diese Grenzwerte werden bei jedem Patienten bzw. jeder Patientin täglich, also bei jeder Traningssitzung kontrolliert ggf. neu ermittelt und in einer aktualisierten ID abgespeichert. Bei jeder Sitzung dienen dabei bereits vorhandendene Grenzwerte als Basisgrenzwerte. Das ist insofern praktisch, als dass z.B. bei einer kleinen Hand die 28 | Bei einem starken Krampf der Finger verschieben sich die Magnetflächen und die
Magnetisierung wird aufgehoben. Dadurch gleitet der Finger aus dem Fingerschlitten, was wieder ein »Klack-Geräusch« verursacht. Diese Loslösung der verbindenden Elemente hat zur Folge, dass das Mensch-Maschine-System destabilisiert wird. Darauf werde ich später im Kapitel 6.3.2.3 noch detaillierter eingehen.
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Fingerschlitten nicht direkt bis zum Ende ausgefahren werden, da Basisgrenzwerte vorhanden sind. Die Öffnung der Orthese richtet sich nach den täglich kontrollierten bzw. ggf. neu ermittelten individuellen Werten. D.h., sie öffnet sich genau in dem Ausmaß, wie es die Spastik und/oder die Handgröße des Patienten/ der Patientin am jeweiligen Trainingstag zuläßt. Dadurch wird zusätzlich eine täglich individuelle Anpassung der Fingerschlitten an den Zustand der Hand ermöglicht. Dazu bedient sich WiMi999-DrMed des Softwareprogramms des Roboters. Beim Start dieses Programms werden die Fingerschlitten analog der Widerstände der Finger ausgefahren. Wenn die Widerstände stark sind, stoppen die Fingerschlitten an einem programmintern festgelegten Wert. In diesem Fall ermittelt die Software den Druck, der über die Finger des Patienten/der Patientin auf die Fingerschlitten ausgeübt wird, und berechnet anhand der Druckausübung die Grenzwerte. Um mit Rammert (Kapitel 3.2.2) zu sprechen, vollzieht sich dabei also die Intra-Aktion innerhalb der Interaktivität zwischen Mensch und Maschine. Sind die Widerstände jedoch gering, fahren die Fingerschlitten bis zu einem festgelegten Wert aus. Sie können aber auch manuell gestoppt werden, wobei bei dem manuellen Aufhalten ein weiterer Grenzwert ermittelt und festgelegt wird. Dieses manuelle Eingreifen erfolgt dann, wenn der/die NeurowissenschaftlerIn bei der Beobachtung des Ausfahrvorgangs zur Ansicht kommt, dass die Fingerschlitten zu weit ausfahren werden. Um ein zu weites Ausfahren zu verhindern, stoppt bspw. der von mir beobachtete Neurowissenschaftler die Fingerschlitten manuell. Mittels des Softwareprogramms steuert er dabei jeden einzelnen Fingerschlitten manuell an und stoppt ihn manuell, wobei er sich während des gesamten manuellen Eingreifens an der Größe und der Anatomie des jeweiligen Fingers orientiert. In diesem Rahmen legt er zudem den Grenzwert für jeden einzelnen Finger fest. Danach speichert er die ermittelten Grenzwerte in einer ID. Deutlich wird: Die Intra-Aktion vollzieht sich hier innerhalb der Interaktivität zwischen Mensch und Maschine, wobei die sozio-technische Konstellation eine/n weitere/n AkteurIn benötigt, der/die die Stabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung gewährleistet. Diese/r AkteurIn stellt bei der Adjustierung des Forschungssubjekts und der Maschine die vermittelnde soziale Instanz dar. Sie/ er ist die soziale Vermittlungsinstanz. Meistens wird das Bewegungsprogramm am Roboter gestartet, wenn die Impedanzmessung erfolgt. Den Start des Bewegungsprogramms am Roboter kündigt der Neurowissenschaftler in der oben beschriebenen beobachteten Situaton kurz nach der Fixierung und Stabilisierung der Mensch-Maschine-Teile wie folgt an mit den Worten: »Gut, wie gehabt, versuchen Sie, die Hand mitzuöffnen und zu schließen.« Im Video ist zu sehen, dass die Fingerschlitten der Roboterorthese ausgefahren und wieder eingefahren werden, an die die Finger der Patientin
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durch die magnetischen Fingertips angeheftet sind (Video P71: 04_MenschMaschineAnp.wmv [18:06:000ff.]). Dem Wissenschaftler muss in diesem Moment klar sein, dass die Patientin die Hand nicht selbstständig öffnen kann, da ihre Hand spastisch gelähmt ist, woraus sich seine Anweisung, dass sie es »versuchen« soll, erklärt. Die Spastik in der Hand der Patientin ist so stark ausgeprägt, dass die Hand im »Normalzustand« verschlossen und nach innen gekrümmt ist. Dabei befindet sich ihr Daumen an der Handinnenfläche, ihre anderen Finger umschließen fast den Daumen zu einer Faust. Der aktive Versuch, eine Bewegung mit der Hand auszuüben, kann dazu führen, dass sich der Krampf der Hand verstärkt. Der Krampf kann plötzlich und unkontrollierbar zunehmen, zumeist, wenn die Patientin aktiv versucht, aktiv und mit großer Willensstärke dagegen anzugehen.29 Selbstständig kann die Patientin also gegen die Verkrampfung nichts unternehmen. Wie oben schon bei der Erörterung der Notwendigkeit, die Hand und die Finger vor der Trainingseinheit mittels bestimmter Übungen auf das Training vorzubereiten, ausgeführt wurde, ergibt sich für die Forschenden zunächst eine gewisse Problematik daraus, dass eine krampfende Hand nicht in die Orthese eingespannt werden kann. Dies wird auch anhand des Interaktionsgeschehens zwischen dem Nicht-Mediziner WiMi888-BioIuT und der Patientin Weiss046 deutlich30: WiMi888-BioIuT hat Magnete an die Fingerkuppen von Frau Weiss046 geklebt. (…) Er versucht, die Hand von Frau Weiss046 in die Vorrichtung (in die Fingerschlitten) zu legen. Das gestaltet sich als äußerst schwierig, denn die gelähmte Hand lässt sich nicht so leicht öffnen. WiMi888-BioIuT fragt (alle im Raum Anwesenden) nach der Anonymisierung der Patientendaten und verlässt L2. Ich frage Weiss046, ob sie schon mal mit dem Gerät oder einem ähnlichen trainiert habe. Weiss046 verneint und sagt »Wahnsinnige Technik, was es schon gibt«. Herr Pink045 fragt HiWi019-DrMed (unweit des Roboters, wo sich Weiss046 und WiMi888-BioIuT befinden): »Wie kann man Muskeln aufbauen, wenn man keine Kontraktionen mehr hat?«
29 | Im Kapitel 6.3.2 komme ich nochmal auf diese Problematik zurück. 30 | Ich habe bewusst auf eine Kürzung des (langen) Zitats aus dem Beobachtungsprotokoll verzichtet, auch wenn die Interaktionen zwischen HiWi019-DrMed und Pink045, die beide während des Interaktionsprozesses des o.g. Forschers und der o.g. Patientin anwesend waren, nicht zum hier eigentlich fokussierten Interaktionsgeschehen zwischen WiMi888-BioIuT und Weiss046 gehören. Das Zitat soll verdeutlichen, dass viele Parallelinteraktionen im Labor stattfinden, welche eine Art geordnetes Chaos darstellen.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
HiWi019-DrMed antwortet: »Wir wollen, dass Sie leichte Bewegungen über die Schwerkraft machen können.« (Er bezieht diese Aussage auf das Rehabilitationsexoskelett) WiMi888-BioIuT unterbricht und kommt mir den Patienten-IDs. HiWi019-DrMed hat kleine Schwierigkeiten mit der Einstellung des Rehabilitationsexoskeletts. Hierauf kommentiert Pink045: »Millionen Dollar Maschine ist kaputt.« HiWi019-DrMed justiert weiter. Pink045: »Aha! Klappt.« WiMi888-BioIuT tippt die zugehörige ID der Patientin in das Programm vom Roboter. HiWi019-DrMed erklärt Herrn Pink045, dass er jetzt einige Übungen machen werde und ein paar Spiele spielen werde. So werde der Arm trainiert. Pink045 kommentiert: »Bei mir machen Sie es bitte nicht so simpel, sonst kommt jeder Hacker rein.« WiMi888-BioIuT versucht weiterhin, die Hand der Patientin zu öffnen und diese in die Handvorrichtung zu legen, was ihm nicht gelingt. Die Finger krampfen zur Faust. WiMi888-BioIuT versucht einzelne Finger zu öffnen, die Hand krampft nach innen, wobei die Gegenbewegung der Hand leicht sichtbar ist. Die Spastik wird stärker. Pink045 möchte ein Spiel spielen: »was mit Abknallen und Blut.« HiWi019-DrMed sagt, dass sie hier so etwas nicht hätten. WiMi888-BioIuT ruft WiMi017-DrMed zur Hilfe. Pink045 fragt WiMi017-DrMed, wie es sein könne, dass man Muskeln aufbauen kann, wo nichts ist. WiMi017-DrMed sagt etwas über »spastic slow movements«. Er sagt, dass dies ein »neuartiges und vielversprechendes Therapiekonzept« sei. Pink045 guckt fragend, WiMi017-DrMed wendet sich ab. WiMi017-DrMed geht zu Weiss046. Er schafft es, ihre Hand durch Dehnübungen leicht zu öffnen und in die Vorrichtung einzulegen. Er erklärt Frau Weiss046: »Wir können jetzt mit den Übungen [Greifbewegung mit der Roboter-Software, MŞ] beginnen, um die Spastik zu lösen.« WiMi017-DrMed geht. Weiss046 fragt WiMi888-BioIuT: »Ich brauch‹ doch jetzt nix zu machen, oder?« WiMi888-BioIuT: »Der macht das selbst. Sie können denken: Auf und zu.« (P19: Abs. 039-055)
Aus dem Zitat ist nun folgendes abzulesen: Nachdem WiMi888-BioIuT erfolglos versucht hat, die verkrampfte Hand der Patientin zu öffnen, verzögert er die Problemlösung, indem er nach der Anonymisierung der PatientInnendaten fragt. WiMi888-BioIuT tippt die zugehörige ID der Patientin in das Programm vom Roboter, damit die Grenzwerte der Patientin für die Greifbewegungen geladen werden und die Fingerschlitten gemäß dieser individuellen Grenzwerte ausgefahren werden können. Dieses Vorgehen ist m.E. jedoch nicht situationsadäquat. Denn bei einer stark krampfender Hand wie der der betreffenden Patientin ist es unerheblich, wie weit die Fingerschlitten ausgefahren werden (können), denn
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die Finger üben einen so starken Druck auf die Fingerschlitten aus, dass die Magnete gar nicht fix mit den Magnetflächen der Fingerschlitten verbunden werden können. Ich habe bereits oben argumentiert, dass die Spastik der Hand destabilisierend auf das BMI-System wirkt, und dass dieses Problem sich nicht immer softwaretechnisch lösen lässt. In der beobachteten Situation wird darüber hinaus deutlich, dass es dem Forschenden WiMi888-BioIuT nicht bewusst ist, dass sein Bemühen, die Hand der Patientin zu öffnen und diese in die Handvorrichtung zu legen, erfolglos sein muss. Sowohl das fehlende Bewusstsein als auch die daraus resultierende fehlende eigenständige Problemlösung des Forschers (er ruft seinen Arztkollegen zu Hilfe) ist darauf zurückzuführen, dass die Anpassung des PatientInnenkörpers an die Maschine durch Lockerungsübungen kein fester Bestandteil der Versuchsanordnung ist und dass dementsprechend die Versuchsanordnung bei der aufgetretenen Destabilisierung durch die Spastik nicht reorganisiert wurde. Da jedoch in einem solchen Fall die Lockerungsübung der Hand konstitutiv für das BMI-System und somit das Neurofeedback-Training ist, ist sie unumgehbar. Die Lockerungsübungen werden sodann durch den um Hilfe gebetenen WiMi017-DrMed durchgeführt, und die Hand der Patientin kann mit der Orthese verbunden werden. Die Problematik der ungenügenden Adjustierung von Mensch und Maschine zeigt sich an mehreren Stellen meines Forschungsprozesses. Sie hat immense Auswirkungen auf die Umsetzung des Forschungsvorhabens der Neurowissenschaftler. So macht das folgende Zitat deutlich, was passiert, wenn die soziale Vermittlungsinstanz die Adjustierung des technischen Parts ergonomisch nicht an den Körper des Patienten bzw. der Patientin angepasst hat. Die folgende Beobachtungssequenz spielt sich im Labor 2 ab. Es sind mit WiMi999-DrMed und HiWi022-BioIuT zwei Forscher im Raum, sowie eine Patientin, ein Patient und ich. Alle sind um den Roboter und das Rehabilitationsexoskelett versammelt: Ich schaue rüber (zum Roboter) zu Frau Weiss046. Weiss046 hält mit ihrer rechten Hand ihren linken Arm fest. Ich stehe auf und frage, ob etwas mit ihrem Arm sei, ob sie etwas am Arm gespürt habe. Weiss046: »Es ist so, als wäre er eingeknickt.« Ich gehe zu ihr und gucke mir ihre Sitzposition an. Dann schaue ich mir die Ausrichtung des Roboters an. Ich stelle mich hinter Weiss046, sodass ich genau sehen kann, ob etwas »schief« ist. Ich sage, dass das Gerät falsch stehe. Ich bemerke, dass das Gerät nicht parallel zu Frau Weiss046‹ Arm steht. Zudem wirkt ihre Körperhaltung schief. Die linke Schulter ist im Vergleich zur rechten viel zu hoch. HiWi022-BioIuT guckt sich das auch an. Er sagt, es wäre tatsächlich schief. Ich richte den Roboter. Dazu verschiebe ich das Gerät ein wenig und fahre es etwas hinunter. Ich schaue mir die Positionierung des Roboters zur Sitzposition von Weiss046 an. Jetzt scheint alles ergonomischer zu sein. MŞ: »Frau Weiss046, ist es jetzt besser so?« Weiss046: »Ja, danke. So ist’s besser.« (P33: Abs. 101-105)
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Die Lähmung der PatientInnen erschwert es sowohl den PatientInnen als auch den Forschenden, direkt, z.B. durch einen Schmerz, zu erkennen, dass die Adjustierung der Maschine nicht ergonomisch ist und dem Patienten bzw. der Patientin schaden könnte. Es ist also unabdingbar, das Gerät richtig einzustellen, indem man es an die körperlichen Gegebenheiten der zu Therapierenden anpasst. In der oben beschriebenen Situation ist mir der Missstand nur aufgefallen, weil die Patientin ihren rechten Arm auf ihren linken Arm gelegt hat. Dies war für mich insofern eine außergewöhnliche Situation, da Weiss046 meinen Beobachtungen zufolge ihre rechte Hand bisher immer auf ihren Schoß gelegt hat. Auf mein Nachfragen hin gibt Weiss046 dann auch zu verstehen, dass ihr Arm den Anschein mache, als ob er eingeknickt sei. Durch diese Information werde ich aktiv und schaue mir das Verhältnis zwischen der Positionierung der Patientin und der Ausrichtung des Roboters genauer an. Dabei stelle ich fest, dass die Schultern der Patientin schief sind. Aufgrund dessen justiere ich dementsprechend den Roboter neu. Dass der Roboter neu justiert werden musste, macht deutlich, dass er vorher nicht an den Körper der Patientin angepasst worden war. Die Anpassung der Maschine an den Körper der PatientInnen ist jedoch elementar, um mögliche Verletzungen oder ein Unwohlsein der PatientInnen zu vermeiden. Die Anpassung kann jedoch nicht von dem Patienten oder der Patientin und auch nicht von der Maschine selbst geleistet werden, sondern nur über eine vermittelnde soziale Instanz. Die Notwendigkeit der Anpassung ist den Forschenden durchaus bewusst. An diesem Tag macht bspw. WiMi018-DrMed seine KollegInnen im Teamgespräch darauf aufmerksam, dass es Probleme mit dem Roboter gäbe, worauf sie zurückzuführen seien und wie darauf reagiert werden solle: 17:54 Uhr: Der Professor kommt. Begrüßung. WiMi888-DrMed informiert ihn über die Probleme mit dem Roboter. Die Positionen müssten fixiert werden. Das wäre nicht physiologisch. Zum Beispiel müssten die Finger von Pink045 fest gemacht werden, sonst gäbe es Probleme. Man müsse die Aufgaben verbessern. WiMi888-DrMed sagt, dass z.B. die Sitzpositionen der Patienten nicht gut seien. Er wolle jetzt ein »Downlimit« setzen am Roboter, und die Leute, die die Patienten am Roboter betreuen, könnten einfach eine Pause machen, wenn die Patienten sich nicht richtig hinsetzen oder die Übungen falsch durchführen. Dazu sei dann die Leertaste da. (P33: Abs. 185)
Der Problemlösungsvorschlag von WiMi888-DrMed bezieht sich auf die Gegebenheit, dass, wenn während des Hirntrainings Missstände am Roboter erkannt werden, die Maschine nicht automatisch stoppt. Er schlägt deshalb vor, dass die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und Hilfskräfte seines Teams durch das Betätigen der Leertaste das Hirntraining manuell stoppen sollen. Das hat folgenden Hintergrund: Wenn während des Hirntrainings – und nicht während der einfachen Bewegungsübung des Roboter-Softwareprogramms – das Programm
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gestoppt wird, wird das Absolvieren der Aufgaben durch die PatientInnen nicht weiter aufgezeichnet und analysiert. Dies gilt es durch die Forschenden zu berücksichtigen, wobei diese dafür über spezifisches Fachwissen verfügen müssen. Denn eigentlich muss jede/r PatientIn vierzehn Aufgabendurchläufe absolvieren. Weil das Softwareprogramm bei einem unerwarteten Stopp der Hardware jedoch die Durchläufe nicht mehr aufaddiert, sondern einfach weiter läuft, muss bei einem manuellen Stopp die Task-Nummer manuell im Softwareprogramm eingegeben werden. Diese Eingabe erfordert jedoch eine bestimmte Kenntnis über das Softwareprogramm, über welche zum Forschungszeitpunkt offensichtlich nur wenige der Teammitglieder verfügen. Denn diese wenigen werden bei Störungen und beim manuellen Stoppen der BMI-Aufgaben von denjenigen um Hilfe gebeten, die das Programm zwar gestoppt haben, es jedoch nicht mehr bei einer bestimmten Task-Nummer starten können. Das wiederum stellt eine Störung des gesamten Arbeitsprozesses in der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft dar, denn die Unterbrechung des Hirntrainings hat zur Folge, dass mehrere Personen ihre Arbeit an unterschiedlichen Stellen unterbrechen müssen. Um diese Vergeudung der Ressourcen Zeit und Personal zu verhindern, schlägt WiMi888-DrMed vor, dass die Unterbrechung des Hirntrainings durch einen Druck auf die Leertaste als »Pause« definiert werden soll, sodass der unterbrochene Task computertechnisch pausiert und dann bei Wiederaufnahme die Tasks trotz der Unterbrechung aufaddiert werden. Was m.E. auffallend ist, ist, dass WiMi888-DrMed in keiner Weise auf die Problematik reagiert, dass die Störung durch die soziale Vermittlungsinstanz verursacht wurde. Ihm erscheinen die Konsequenzen bzgl. der Daten vordergründig. Daher bietet er einen softwaretechnischen Lösungsvorschlag an. Die Problemlösung hätte allerdings m.E. besser an der Ursache des Problems ansetzen sollen, indem man z.B. bei der Versuchsanordnung eine festgelegte Zeitspanne für die Mensch-Maschine-Adjustierung einplant. Diese Adjustierung müsste sowohl die Anpassung der Maschine an den PatientInnenkörper, als auch die Anpassung des PatientInnenkörpers an die Maschine, z.B. durch Lockerungsübungen, beinhalten. Nur dadurch wäre die gegenseitige Anpassung über eine soziale Vermittlungsinstanz gewährleistet. Obwohl der Wissenschaftliche Mitarbeiter keine direkte Verantwortungszuschreibung an die PatientInnen macht, sehen sie den menschlichen Part des BMI-Systems als Problemursache (»falsche Sitzposition«), versuchen sie jedoch softwaretechnisch zu umgehen, statt sich dem menschlichen Part stärker anzunehmen. Ich habe zuvor ausführlich dargestellt, wie die Spastik einer Patientin durch einen Neurowissenschaftler und Mediziner gelockert wurde und dass ich auflockernde Übungen für die spastische Hand nur durch zwei Mediziner beobachtet habe. Andere ForscherInnen haben es vermieden, die Lockerungsübungen mit den Patienten zu machen. Der genaue Grund dafür ist mir nicht bekannt.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Beim Platzieren des Unterarms in die Armvorlage und der Finger in die Fingerschlitten des Roboter ist, wie dargestellt, entscheidend, wie verkrampft der Unterarm und insbesondere die Hand und die Finger sind. Der Roboter ist dabei soweit an die individuellen Gegebenheiten der PatientInnen anpassungsfähig, wie es die Bewegungsgrade seiner einzelnen Teile zulassen. Dabei zeigen Teile des Roboters eine gewisse Flexibilität. Die Adaptationsfähigkeit des Arms in die Armvorlage und der Hand/Finger in die Orthese bzw. die Fingerschlitten ist dabei die Voraussetzung für die Integration des PatientInnenkörpers in den Neurorehabilitationsroboter und für das danach durchgeführte Programm, genauso wie im Speziellen für die synchrone Greifbewegung von Hand/Fingern und Fingerschlitten. Die synchrone Greifbewegung wird dabei durch die Intra-Aktion innerhalb der Interaktivität zwischen Mensch und Maschine hergestellt. Adjustierungen lassen sich, gemäß der individuellen Charakteristika der AkteurInnen und ihrer Teile, an ihnen selbst oder an weiteren AkteurInnen und ihren Teilen vornehmen, die in Verbindung zu den erst genannten AkteurInnen und zu ihren Teilen stehen. Die Adjustierungen des Biologischen und Technischen vollziehen sich dabei in ihren jeweiligen individualisierten Prozessen der Fixierung. Die Fixierung wiederum ist nur möglich, weil die Körper- und Maschinenteile flexibel sind, wie z.B. an dem Bewegungsgrad des Arms oder der Hand, dem Hoch- und Runterfahren der Roboterorthese, der Flexibilität der Armauflage sowie der Adaptierbarkeit des Softwareprogramms deutlich wird. Sie ermöglichen erst das Festbinden des Unterarms, das Verbinden der einzelnen Finger mit den Fingerschlitten, das Ausfahren der Fingerschlitten bis zu einem bestimmten, individuellen Punkt usw. Diese Prozesse wiederum dienen alle der Stabilisierung der Beziehung zwischen dem PatientInnenkörper und dem Rehabilitationsroboter (und der Teile beider Elemente). Dies bedeutet aber im Umkehrschluss: Wenn die Fixierung und Stabilisierung eines Akteurs bzw. einer AkteurIn innerhalb der Mensch-Maschine-Einheit nachlässt, droht die Destabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung. Die technische Stabilisierung, die reibungslose Anpassung von Mensch und Maschine vice versa, stellt also eine grundlegende Bedingung für das gesamte BMI-System, also der Mensch-Maschine-Symbiose, dar. In der Forschendenpraxis von NeurowissenschaftlerInnen gilt es jedoch nicht nur, sich täglich den Vorbereitungen zum BMI-System und den Adjustierungen von Mensch und Maschine zu widmen, sondern es gilt auch, diese täglich wieder rückgängig zu machen, indem der Mensch und die Technik voneinander getrennt werden. Im Folgenden werde ich diese Rückführung der bio-technischen Gestalt zur gestalthaften Ganzheit darstellen und analysieren.
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6.2.4 Die Rückführung der bio-technischen Gestalt zur gestalthaften Ganzheit Im Anschluss an die oben beschriebenen Versuche werden die PatientInnen täglich wieder von den verbindenden Elementen befreit. Diese Befreiung impliziert die Rückführung der bio-technischen Gestalt zur gestalthaften Ganzheit. Die Befreiung der PatientInnen von den verbindenden Elementen, also der Verbindung von Körper und Technik, variiert je nach Eigenschaft der verbindenden Elemente. Analog der Eigenschaften der verbindenden Elemente variieren unangenehme Empfindungen, die PatientInnen bei der Auflösung der Verbindung verspüren. Zudem nimmt die Auflösung der zu entkoppelnden Elemente und die Reinigung der voneinander entkoppelten Elemente unterschiedlich viel Zeit in Anspruch. Während die Fingertips »einfach« und schnell entfernt werden können und die Waschung der Hand unkompliziert ist, gestaltet sich das Ausziehen der EEG-Kappe etwas schwieriger und die Reinigung der Haare, der Kappe und der Elektroden vom Gel etwas langwieriger. Dies ist vor allem auf die Widerspenstigkeit des Gels zurückzuführen: Es lässt während der Reinigung nur langsam von Haut und Haar ab, und seine Reste verteilen sich auf die Elektroden, die Kappe, die Kopfhaut und die Haare. Es liegt nahe, dass es für das Wohlbefinden der PatientInnen wichtig ist, ihren Körper recht schnell von den Resten zu befreien. Bis zur nächsten Sitzung müssen jedoch auch alle technischen Elemente vom Gel befreit werden. Dazu müssen sie einzeln gewaschen werden. Die Reinigung wird von den Forschenden durchgeführt, weil die PatientInnen aufgrund ihrer halbseitigen Lähmung das selbstständig nicht oder nur unter großen Mühen übernehmen könnten. Folgender Frame eines Beobachtungsprotokolls soll die Waschung der Haare der PatientInnen verdeutlichen: HiWi034-DrMed: »Gut, ich wasche Ihnen mal die Haare. Ich muss gleich los.« (…) Lila052 steht auf (vom Roboter). (…) Wir gehen ins Bad. Ich helfe HiWi034-DrMed dabei, Herrn Lila052 die Haare zu waschen. Zuerst zieht HiWi034-DrMed Lila052 die Kappe ab. Das Gel ist vollständig mit den Haaren verklebt. Herr Lila052 schreit dabei kurz auf. HiWi034-DrMed fragt sich, wer so viel Gel benutzt hat. Ich frage HiWi034-DrMed, ob ich ihm helfen solle, vielleicht die Elektroden vom Arm lösen solle. HiWi034-DrMed sagt, dass ich das schon mal machen könne. Ich schaue auf die Elektroden und bemerke, dass die TMS-Elektroden, die weißen Elektroden, an den bunten befestigt sind. Ich frage HiWi034-DrMed, wieso wir jetzt diese Elektroden benutzen. HiWi034-DrMed sagt mir, dass diese besser halten würden.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Ich ziehe Lila052 die EMG-Elektroden vom Arm ab. Lila052 sagt, ich würde ihm die Armhaare ausreißen. Ich entschuldige mich. Ich sage, dass man nun merke, dass die Elektroden besser halten. Tatsächlich bemerke ich, dass diese sehr hartnäckig am Patientenkörper haften. Ich muss Lila052 durch den Hemdärmel an die Schulter greifen, um an das eine Elektrodenpaar zu kommen. Ich befürchte, dass ihm das unangenehm sein könnte. Ich entschuldige mich vorher und sage, dass ich da mal ran müsse. Er nickt. Ich stecke meine Hand in seinen Hemdärmel und entferne das Elektrodenpaar. HiWi034-DrMed holt eine Schüssel (um die BCI-Kappe hineinzulegen) und bemerkt darin eine weitere BCI-Kappe, die ungewaschen ist. HiWi034-DrMed: »Aaah, die hat jemand für mich dagelassen, damit ich sie waschen kann.« Nun wird die Wassertemperatur eingestellt. HiWi034-DrMed und ich waschen die Haare von Lila052. Ich die linke und HiWi034-DrMed die rechte Seite. Dabei hält HiWi034DrMed den herausziehbaren Wasserhahn auf Lila052s Kopf. (…) Ich gebe ein wenig Shampoo in meine linke Handinnenfläche, während HiWi034DrMed weiterhin die Haare von Herrn Lila052 vom Gel befreit. Dann verteile ich das Shampoo auf dem Kopf des Herrn Lila052. Ich massiere das Shampoo in seine Haare. (…) HiWi034-DrMed sagt, dass ich das sehr gut mache. Ich sage ihm (scherzhaft), dass ich finde, dass er das besser macht. HiWi034-DrMed stellt das Wasser ab. Wir ziehen das Handtuch über Lila052s Kopf. Er trocknet sich die Haare. Ich sage Lila052, dass er es gut habe, da er so kurze Haare habe. Ich erzähle ihm, dass ich beim Selbstversuch Schwierigkeiten hatte, das Gel aus meinen langen Haaren zu bekommen. Er sagt, dass er sich auch noch an die Zeiten erinnern könne, wo er lange Haare hatte. (P48: Abs. 111-125)
Deutlich wird: So vorteilhaft die elektrolytische Eigenschaft des Gels zur Kontaktherstellung von Kopfhaut und Elektroden ist, so zäh ist seine Konsistenz, wenn das Training beendet ist. Beim Ausziehen der Kappe machen sich die einzelnen 32 gegelten Punkte auf der Kopfhaut deutlich bemerkbar. Zum Teil hat sich das Gel so weit ausgebreitet, dass es durch den umliegenden Kappenstoff der Adapterringe aufgesogen wurde und mit dem Stoff und mit Haut und Haar verklebt ist. Die Reinigung ist dementsprechend sehr aufwendig: Zuerst werden die Haare der Patientin bzw. des Patienten gewaschen. Währenddessen wird die Kappe mitsamt den Elektroden zum Einweichen in eine Schüssel gelegt, die mit Wasser befüllt wurde. Später werden dann die Kappe und die Elektroden mit-
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hilfe einer Zahnbürste gewaschen und abgebürstet. Danach wird die Kappe zum Trocknen aufgehängt, die Elektroden werden mit einem Handtuch abgetupft und ebenfalls als Bündel aufgehängt. In der Zeit der Trocknung werden andere anfallende Arbeiten verrichtet. Gegen Abend wird die Kappe wieder mit den Elektroden bestückt und an eine Inputbox angeschlossen. Da i.d.R. befinden sich zeitgleich zwei PatientInnen pro Raum, die beforscht werden und vier pro Tag, demnach sind meistens vier Arme und Hände bzw. Köpfe und Kappen sowie die zu den Kappen gehörenden Elektroden zu reinigen und zu trocknen. Dieser Reinigungs- und Nachbereitungsprozess verläuft meinen Beobachtungen zufolge jedoch nicht immer problemlos und störungsfrei. Manchmal ergeben sich Zeitmanagement-Probleme und die PatientInnen helfen sich selbst bzw. gegenseitig, wie Patient Blau051 aussagt: »[D]en [Patienten, MŞ] habe ich draußen auf dem Gang gesehen, wie der versucht hat, sich selber das Gel mit einer Hand auszuwaschen. Da habe ich gesagt: ›So geht das nicht.‹ Und da war noch so eine Kanüle bei und habe ihm das da drüber gegossen [über den Kopf, MŞ]. Da sagt er: ›Oh, Sie sind aber lieb.‹ Da sage ich: ›Ja, ich weiß, wie es ist, wenn man das nicht kann.‹ Die haben ihm nicht einmal das Gel hinterher raus gewaschen. MŞ: Das machen die doch normalerweise? Blau051: Ja eben. Das hat der WiMi018-DrMed oder WiMi017-DrMed gemacht. Und da saß er [der Patient, MŞ] draußen auf dem Gang, und dann haben wir zusammen versucht, das Gel da raus. Da (…) habe ich ihm dann das Wasser von da hinten ganz langsam da runter gegossen und er hat noch so gemacht. Da habe ich den Eindruck gehabt, wie die Weiss046 gemeint hat, dass das zu heftig, zu viel ist. Da muss sich einiges vom organisatorischen Ablauf verändert haben.« (Blau051: Abs. 519ff.)
Blau051 beklagt sich, dass der Kopf eines Patienten nicht gewaschen wurde. Als er sah, wie der Patient versuchte, seinen Kopf zu waschen, half er ihm und übernahm so aktiv Zuständigkeitsbereiche der Forschenden. Allerdings wird nicht klar, warum der Patient sich allein zum Haarewaschen begeben hat. Es ist zu vermuten, dass die Teammitglieder die Reinigungsarbeit wegen eines akuten Zeitdrucks abbrechen oder auslassen mussten. Wie an der oben zitierten Aussage von HiWi034-DrMed »Gut, ich wasche Ihnen mal die Haare. Ich muss gleich los.« deutlich wird, steht den Forschenden für die Reinigung und Nachbereitung anscheinend nur wenig Zeit zur Verfügung. Deutlich wird: So wichtig die verbindenden Elemente der Mensch-Maschine-Anpassung sind, so hinderlich kann ihre verbindende Eigenschaft bei ihrer Entkopplung vom PatientInnenkörper sein. Bei der Entkopplung des Biologischen und Technischen wird, je nach den Eigenschaften der verbindenden Elemente, unterschiedlich viel Arbeitskraft und Zeit investiert. Allerdings hat der Arbeitsaufwand einen wichtigen symbolischen Wert für die PatientInnen. Denn damit geht ihr Arbeitstag zu Ende, während einige Forschende noch im Labor
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
oder in der Klinik bleiben müssen, um aufzuräumen, Daten auszuwerten und die verbindenden Elemente wieder für den nächsten Tag, die nächste MenschMaschine-Symbiose, aufzubereiten. Im Folgenden werde ich näher auf die symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Maschine eingehen. Bevor ich sie jedoch beschreibe und analysiere, werde ich spezifische Problematiken der synchronen Bewegungen von Hand und Neurorehabilitationsroboter beschreiben. Denn die synchronen Bewegungen beider Elemente spielen eine maßgebliche Rolle bei der Mensch-Maschine-Symbiose.
6.2.5 Zwischenfazit zur körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung Es wurde deutlich, dass NeurowissenschaftlerInnen in der ersten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung verschiedene Maßnahmen treffen, die sich im Kern um die körperlich-materielle Anpassung drehen: um deren Vor- und Aufbereitung, die Koordination bzw. das Zusammenwirken von Biologischem/Körperlichem und Technischem/Mechanischem und die Stabilisierung der Koordination. In einem ersten Aufbereitungsprozess zur körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung, werden die biologischen Elemente festgelegt, die, abhängig von ihrem Zustand oder ihrer Gestalt, in die Inskriptionsvorrichtung transformiert oder in die Maschinenvorrichtung integriert werden müssen. Insofern impliziert dieser Vorgang Prozesse, die von Callon (1986a) in Bezug auf die Problematisierungsphase der AkteurIn-Netzwerkkonstitution angesprochen wurden. Bei der Problematisierung resultiert der Anreiz zur Transformation von bestimmten (z.B. diskreten neuronalen) Elementen in eine graphische Darstellung im EEG aus dem Problem, verloren gegangene motorische Funktionen über das Neurofeedback-Training mittels eines EEG wiederherzustellen. Um den NeurowissenschaftlerInnen diesen Wiederherstellungsprozess zu ermöglichen, werden in dieser Situation die biologischen Elemente z.B. durch eine Tastung der gewünschten Muskeln oder durch die Festlegung der Elektrodenpositionen, die es auszulesen gilt, lokalisiert. Diese Lokalisierung basiert wiederum auf Entscheidungen, die auf Basis des Vorwissens und von Hypothesen bzgl. der Wiederherstellung motorischer Funktionen durch BCI in Kombination mit Stimulationsverfahren und -techniken getroffen worden sind. Nachdem der Prozess der Lokalisierung abgeschlossen ist, wird eine Andockprozedur (Kapitel 6.2.2) eingeleitet, bei der der PatientInnenkörper bzw. Teile seiner Haut und ggf. materielle Elemente zunächst gereinigt und/oder für die Anpassung vorbereitet werden und bei der ggf. weitere Vermittlungsinstanzen zur Anpassung von biologischen und technischen Elementen verwendet werden: Die EEG-Kappe fixiert die Elektrodenpositionen basierend auf einem Klassifikationssystem, die Fingertips dienen dazu, die Finger in die Orthese zu
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integrieren und sie zu fixieren, wobei die ergonomische Konstruktion der Roboterorthese durch ihre Flexibilität an den Körper angepasst wird usw. Biologische Elemente werden also »technikfähig« gemacht und technische Elemente werden »biofähig31« gemacht. Um den Kontakt zwischen den biologischen und technischen Elementen zu gewährleisten und so die Transformation und Inskription einzuleiten, werden weitere soziale und technische Vermittlungsinstanzen wie Informationstechnologien oder ForscherInnen zwischengeschaltet. Die Aufbereitung zur Mensch-Maschine-Anpassung beinhaltet demnach also die Festlegung der epistemischen Objekte und der Inskriptionsvorrichtungen sowie die Lokalisierung epistemischer Objekte über eine Andockprozedur, welche die biologischen und technischen Elemente mittels sozialer und technischer Vermittlungsinstanzen zusammenführt. In der folgenden Abbildung wird der Vor- bzw. Aufbereitungsprozess dargestellt: Abbildung 3: Andockprozedur der körperlich-materiellen Anpassung in der 1. Phase der Mensch-Maschine-Anpassung
Anpassung des Menschen an die Maschine durch seine Technikfähigkeit
Andockprozedur über verschiedene Vermittlungsinstanzen
Anpassung der Inskriptions/ Maschinenvorrichtung durch ihre Biofähigkeit
Quelle: Eigene Darstellung.
Als Resultat des Vor- und Aufbereitungsprozesses werden biologische Elemente in einer technischen Inskriptions- bzw. Maschinenvorrichtung visualisiert, die die epistemischen Objekte der so hergestellten bio-technischen Gestalt in Aktion zeigen. Das EEG zeigt die aktuellen Hirnströme und die Roboterorthese bewegt die Hand des Patienten bzw. der Patientin. Diese koordinativen Maßnahmen, die die NeurowissenschaftlerInnen treffen, dienen ebenfalls der körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung und insbesondere der Fixierung von epistemischen Objekten. Sie sind entsprechend im Koordinations- und Fixierungsprozess angesiedelt. Dadurch werden sie für NeurowissenschaftlerInnen handhabbar und wissenschaftsfähig (vgl. dazu Hagner 2006: 168). 31 | Mit Biofähigkeit meine ich eine Eigenschaft, die eine Beziehung zu etwas Lebendigem herstellen kann, ganz gleich, wie sich diese Beziehung ausdrückt.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Laut Hagner (1997), der sich in seinen Ausführungen auf Latour bezieht, werden epistemische Objekte in bewegliche wissenschaftliche Objekte inskribiert. Das epistemische Subjekt, der PatientInnenkörper, wird in den Roboter integriert (vice versa), wobei die Hand des Forschungssubjekts mit der Biomechanik32 der Handorthese zusammenwirkt. Dies ist kein einseitiger Prozess, sondern das prozessuale Geschehen vollzieht sich in Interaktivität. Innerhalb dieses Koordinationsprozesses werden beide Teile, Mensch und Maschine, durch neurowissenschaftliche Praktiken und Techniken aneinander angepasst. Während im Aufbereitungsprozess das elektrolytische Gel den Kontakt zwischen Kopfhaut und Elektrode herstellt, werden im koordinativen Prozess die diskreten Elemente soft- und hardwaretechnisch aufgenommen und verarbeitet. Verstärkte Hirnsignale stellen epistemische Dinge (Rheinberger 2001) dar und verweisen dementsprechend auf einen Verdinglichungsprozess diskreter Elemente zu sichtbaren Aktivitäten, auf die Transformation des Patienten/der Patientin in eine bio-technische Gestalt, die Daten in Echtzeit produziert, die wiederum durch ein Repräsentationssystem in Echtzeit wiedergegeben werden. Der Verdinglichungsprozess betrifft also die synchrone/simultane Widergabe diskreter Elemente durch digitale Repräsentationen und wird demgemäß durch eine Intra-Aktion von Soft- und Hardwareelementen ermöglicht. Nur durch diese Intra-Aktion ist das Zusammenwirken von biologischen und technischen Elementen möglich, denn durch sie wird die Expressivität von Störungen befreit und ihre digital-simultane Visualisierung hergestellt. In diesem Stadium werden also die Signale ermittelt, aufbereitet, ein Stück weit »gesäubert« und an ein normatives Aussagesystem gekoppelt, weiter verarbeitet und visualisiert. Dieses normative Aussagesystem ist je nach Kontext ein anderes: Im Fall der Hirnstromsignale stellt die Impedanzmessung dieses normative Aussagesystem dar, das die Signalqualität über Ampelfarben darstellt. Im Fall der Mensch-Roboter-Anpassung stellt die Roboterorthese das normative Aussagesystem dar, das die Hand (über Biomechanik gerichtet) in Aktion bringt. Da die Öffnung der Hand in diesem Fall biomechanisch ausgeführt wird, deute ich das als Verdinglichung des biologischen Bewegungsablaufs und gleichsam als Biofunktionalisierung der technischen Komponente. Denn die Roboterorthese ist der biologischen Funktion der Greifbewegung entsprechend gestaltet und an diese angepasst. Die Öffnung orientiert sich dabei an der biologischen Funktion der Motorik. Was das Aussagesystem angeht, so heißt das, dass dieses die Qualität des Zusammenwirkens von biologischen und technischen Elementen ermittelt und visualisiert. 3 2 | Ich gehe davon aus, dass die Mechanik der Orthese nach dem körperlichen Bewegungsablauf der Hand entwickelt wurde. Ein Anhaltspunkt dafür ist zumindest der Umstand, dass sich die Fingerschlitten einzeln zum individuellen Bewegungsgrad der Finger anpassen lassen.
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Für den Koordinationsprozess sind die Verdinglichungs- und Biofunktionalisierungsmomente der wechselseitigen Mensch-Maschine-Anpassung charakteristisch. Diese Wechselseitigkeit wird durch eine Ausbalancierung und Annäherung beider Elemente aneinander charakterisiert, was in der folgenden Abbildung dargestellt wird: Abbildung 4: Verdinglichungs- und Biofunktionalisierungsmomente während der körperlich-materiellen Anpassung
Anpassung des Menschen durch einen Verdinglichungsprozess seiner elektrophysiologischen Elemente an die Maschine
Anpassung der Inskriptions-/ Maschinenvorrichtung durch einen Biofunktionalisierungsprozess der materiellen Elemente an den Menschen Quelle: Eigene Darstellung.
Während des Mensch-Maschine-Anpassungsprozesses wird die Koordination der Elemente durch verschiedene Ursachen destabilisiert. Das Zusammenwirken von biologischen und technischen Elementen ist für die neurowissenschaftliche Studien konstitutiv. Es stellt eine durch die neurowissenschaftliche Praktikengemeinschaft hergestellte zweckgerichtete Kooperation zwischen diesen Elementen dar und verfolgt einen Doppelzweck: Die Körperteile bzw. die epistemischen Objekte (inkl. der diskreten Elemente) des Forschungssubjekts, des epistemischen Mediums also, stehen repräsentativ für einen Patienten bzw. eine Patientin, den bzw. die es zu heilen versuchen gilt. Die Maschine repräsentiert dabei ein wissenschaftlich-technisches (sach- und handlungstechnisches) System, das innovativ weiterentwickelt und verbessert werden soll. Deswegen sind die NeurowissenschaftlerInnen darum bemüht, diese Beziehung zu (re-)stabilisieren. Ich nenne diese Maßnahmen zur körperlich-materiellen Anpassung deshalb (Re-)Stabilisierungsmaßnahmen.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Die Stabilisierung der Beziehung zwischen Mensch und Maschine wird sachund handlungstechnisch durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen koordiniert und hergestellt, wobei sie sich auf die Ursache der Destabilisierung konzentrieren, um diese zu verhindern und zur (Re-)Stabilisierung beizutragen. Analog der Ursache treffen die NeurowissenschaftlerInnen Maßnahmen, und es werden entweder biologische Elemente oder sach- und handlungstechnische Elemente durch neurowissenschaftliche Praktiken angepasst und nachjustiert. Dabei greifen die NeurowissenschaftlerInnen auf die Referenzsysteme zurück, um die Stabilität und die Qualität der Beziehung erneut zu kontrollieren und ggf. zu modifizieren. Die Modifikationsfähigkeit der Koordination gewährleistet den NeurowissenschaftlerInnen dabei, sich bzw. ihre Praktiken und Techniken an verändernde Bedingungen und Prozesse situativ anzupassen. Beispielsweise wird durch die Adjustierung der Maschine an die individuellen Bewegungsgrade der PatientInnenhand die Mensch-Maschine-Anpassung stabilisiert. Oder es werden ausgelesene Hirnströme und Hirnstrommuster von Störungen bereinigt und durch ein wissenschaftlich-technisches Aussagesystem klassifiziert. Sowohl die Verdinglichung der menschlichen, als auch die Biofunktionalisierung der technischen Elemente werden während des Stabilisierungsprozesses gefestigt. Dieses, durch NeurowissenschaftlerInnen hergestellte, Arrangement entspricht der sozio-technischen Konstellation (Rammert 2007d) aus Interaktivität zwischen Mensch/Biologischem und Maschine/Technischem, wobei der/ die PatientIn als bio-technische Gestalt mit seinem/ihrem Körper einerseits und die Maschine andererseits als »neue« bio-technische Gestalt gemeinsam interaktiv handeln. Das Hauptmerkmal der Stabilisierungsmaßnahmen besteht demnach in dem Vergleich und in der Anpassung der Verdinglichung diskreter Elemente durch wissenschaftlich-technisch hergestellte Aussagesysteme, die einen normativen Bias besitzen. Wissenschaftlich-technische Elemente werden dabei biofunktionalisiert. Die Objektivierung diskreter Elemente in konkrete Aktivitäten geschieht mittels einer Intra-Aktion, wobei zur Intra-Aktion durchaus eine weitere Vermittlungsinstanz eingesetzt werden kann. Bei der Adjustierung von Körperund Maschine(teilen) bedarf es bspw. eines Forschers bzw. einer Forscherin als soziale Vermittlungsinstanz (siehe Kapitel 6.2.3.2). Der »Output« dieser (Re-)Stabilisierungsmaßnahmen der körperlich-materiellen Anpassung liegt darin, dass es ein klares Feedback zum Verarbeitungsprozess gibt. Dieses Feedback kann dann als Input für eine weitere Verarbeitungsprozedur gelten. Bspw. stellt ein Feedback der Orthese ein Neurofeedback dar und begünstigt den Lernprozess der Gedankensteuerung des Patienten/der Patientin. Oder die Impedanzmessung ist so stabil, dass sie den Verarbeitungsprozess der Gehirn-Computer-Schnittstelle begünstigt. Hier wird bereits deutlich, dass koordinative und stabilisierende Maßnahmen der körperlich-materiellen Anpassung in starker Wechselwirkung zueinander stehen.
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Die Rückführung der bio-technischen Gestalt zur gestalthaften Ganzheit wird dadurch ermöglicht, dass die Stabilisierungs- bzw. die Fixierungsprozesse reversible Anpassungsleistungen33 von biologischen und technischen Elementen beinhalten. Durch das Lösen der Integration von Körper(teilen) in Maschine(nteile) und die Loslösung verbindender Elemente zwischen Biologischem und Technischem wird die bio-technische Gestalt, die in den neurowissenschaftlichen Arbeitsbogen integriert ist, aus diesem Arbeitsbogen entbunden. Inwiefern allerdings durch die sich im Laufe der Studie wiederholende Arbeitshandlung im Mensch-Maschine-System biologische Elemente nachhaltig verändert werden, bleibt eine offene Frage. Alle Maßnahmen zur der körperlich-materiellen Anpassung können wiederholt auftreten. Durch die Wiederholbarkeit, vor allem der letzten zwei, kann die De- und Re-Stabilisierung der biologischen und/oder technischen Elemente immer wieder neu entstehen, bis die gewünschte Koordination und Stabilisierung wiederhergestellt bzw. erreicht ist oder der Versuch ein zeitliches Ende findet. Allerdings müssen die ForscherInnen sich in der körperlich-materiellen Mensch-Maschine-Anpassung zu einer bestimmten Zeit entscheiden, ob die biologischen Elemente durch das Aussagesystem annähernd korrekt repräsentiert werden, sodass mit dem Neurofeedback-Training begonnen werden kann. Es stellt sich bspw. die Frage, ob das EEG die möglichst störungsfreien Hirnsignale genügend repräsentiert oder ob die Handorthese den Öffnungsgrad der Hand für die NeurowissenschaftlerInnen zufriedenstellend widergibt. Dabei gibt es im Grunde keine zeitlich fixe Repräsentationen der biologischen Elemente, sondern sie werden nach dem EVA-Prinzip immer wieder in Echtzeit neu produziert, aufbereitet, dargestellt und weiterverarbeitet und verlaufen im Zuge des Neurofeedback-Trainings synchron/simultan zu den sichtbaren Aktivitäten, welche auf dem EEG dargestellt oder durch die Öffnung der Handorthese angezeigt werden.
6.3 Die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung: Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess Im Folgenden wird zunächst die zweite Phase der Mensch-Maschine-Anpassung dargestellt (Kapitel 6.3.1 bis einschließlich 6.3.4), im Anschluss daran gehe ich auf die dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung ein (Kapitel 6.3.5) und schließe mit eine Zwischenfazit ab (Kapitel 6.3.6). Charakteristisch für die zweite Phase ist die Koordination von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer, die durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen im Rahmen einer prozessual-synchronen Anpassung von 33 | Im Gegensatz zur 3. Phase der Mensch-Maschine-Anpassung, insofern eine Implantation durchgeführt wird.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Biologischem und Technischem hergestellt werden. Mit der synchronen Koordination von zerebralen Zuständen und des Neurofeedbacks möchten NeurowissenschaftlerInnen die Wiederherstellung motorischer Funktionen gewährleisten. Bei diesem Prozess treten jedoch i.d.R. diverse Schwierigkeiten auf, die die Mensch-Maschine-Anpassung destabilisieren. Dies führt auch dazu, dass die geringfügig vorhandene Verbindung zwischen Gehirn und Körperteilen (z.B. der Hand) nicht aufrechterhalten bzw. stabilisiert werden kann. Um die Mensch/Gehirn-Maschine/Computer -Verbindung aufrecht zu erhalten und zu verstärken, treffen die NeurowissenschaftlerInnen deshalb Stabilisierungsmaßnahmen auch innerhalb dieser Phase (vgl. Kapitel 6.3.3 und 6.3.4). Diese (Re-)Stabilisierungsmaßnahmen sind auch charakteristisch für die dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung, auf die ich im Kapitel 6.3.5 eingehen werde. Der Unterschied zwischen Phase eins und zwei besteht darin, dass in der zweiten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung, also im Laufe der prozessualsynchronen Anpassung, partiell-zerebrale Regionen stimuliert werden, während in der dritten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung die Stimulationsverfahren (TMS, ECoG) in ihrer zerebral-räumlichen Dimension punktgenau und im Fall des ECoG sogar invasiv sind, weshalb ich auch von einer invasiv-technischen Anpassung der Mensch-Maschine-Symbiose sprechen möchte. In der zweiten Phase liegt der Fokus der Mensch-Maschine-Anpassung also auf der zeitlichen Dimension, während in der dritten Phase der Fokus auf der räumlichen Dimension liegt. Die dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung ist quasi die Konsequenz aus den sich in der ersten und zweiten Phase ergebenden Schwierigkeiten. Bei der folgenden Analyse der prozessual-synchronen Wechselwirkungen von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer beziehe ich mich vor allem auf die experimentelle neurowissenschaftliche elektrophysiologische Hirnforschung mittels BCI. Dabei stelle ich zunächst die Vorbedingung für die Mensch-Maschine-Symbiose vor: das Screening (Kapitel 6.3.1). Danach verdeutliche ich Momente der Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts und beleuchte die Schwierigkeiten, die im Zusammenspiel von Mensch und Maschine auftreten (Kapitel 6.3.2). Im Kapitel 6.3.3 werde ich auf die Umprogrammierung der Orthesensteuerung eingehen und das dadurch hergestellte kybernetische Prinzip der Zirkularität der Mensch-Maschine-Symbiose erörtern. Da die Mensch-Maschine-Anpassung und somit auch der Experimentalerfolg der Neurowissenschaften durch diverse Schwierigkeiten laufend destabilisiert wird, gehe ich im Kapitel 6.3.4 auf Artefakte, Konflikte und Anstrengungen der NeurowissenschaftlerInnen ein, artefaktfreie Daten zu generieren. Eine für mein Forschungsinteresse relevante Anstrengung besteht in der Kartierung und Verstärkung der Signalpunkte, die durch TMS und ECoG-Implantation erfolgt, sodass ich auf diese im Kapitel 6.3.5 eingehe. Abschließend ziehe ich ein kurzes Zwischenfazit (Kapitel 6.3.6).
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6.3.1 Das Auslesen von Gedanken? Screening als Bedingung für die prozessual-synchrone Anpassung von Mensch und Maschine Im Folgenden werde ich das BCI-Screening als die Voraussetzung für das Neurofeedback-Training mit dem Roboter vorstellen, da es konstitutiv für die MenschMaschine-Anpassung und insbesondere für die Gehirn-Computer-Anpassung ist. Denn ohne das Screening wäre das »Gedankenlesen« nicht möglich, würden weder BCI noch BMI funktionieren. Zunächst werde ich das Screening auf einer allgemeinen Ebene beschreiben, danach werde ich es konkretisieren, indem ich das erste von mir teilnehmend beobachtete Screening, das im Labor 1 mit der ersten Gruppe von SchlaganfallpatientInnen in der neurowissenschaftlich klinischen Studie durchgeführt wurde, detaillierter vorstelle. Was das Screening34 allgemein angeht, so kann man es sich folgendermaßen vorstellen: Nachdem die vorbereitenden Maßnahmen, welche ich im Kapitel 6.2.1 erörtert habe, abgeschlossen sind, beginnt noch vor dem NeurofeedbackTraining (also noch vor der Mensch-Roboter-Anpassung) das »Screening«. Das Screening ist eine Messung der Hirnaktivitäten der PatientInnen ohne Roboter. Die Aufgabe, die die PatientInnen beim Screening erfüllen sollen, entspricht der im Kapitel 5.1 beschriebenen Befehlsabfolge zur Vorstellung der Öffnung der Hand (»Linke Hand…« (2 Sekunden), »LOS« (6 Sekunden), »Entspannen!« (8 Sekunden)). Während des Screenings werden die jeweiligen lokalen neuronalen Aktivitäten entsprechend der Teilaufgaben mit Hilfe des BCI2000-Programms aufgezeichnet (Eingabe), die Signale weiter verarbeitet und klassifiziert. Zudem werden spezielle Mustererkennungsmethoden angewendet, die individuelle, patientInnenspezifische Klassifikatoren ermitteln (Verarbeitung) und schließlich in einer individuellen ID zur Parameterübergabe an den Roboter abgespeichert werden (Ausgabe). Das heißt, dass die durch das Screening ermittelten Werte diejenigen Werte darstellen, die der Orthesensteuerung zugrunde liegen (was eine erneute Eingabe der ID in das BMI-System zur Folge hat). Das Screening 3 4 | An dieser Stelle möchte ich nochmal erwähnen, dass eine detaillierte Beschreibung des
Screening-Verfahrens von mir nicht vorgesehen ist, da die Details zu fachspezifisch sind. Es sei trotzdem erwähnt, dass beim Screening verschiedene Ansätze dazu dienen, Signalmerkmale zu unterscheiden. »Prinzipiell gibt es dafür drei verschiedene methodische Ansätze: die Klassifikation, die Regression und die Schätzung der Verteilungsdichtefunktion. Am häufigsten werden Klassifikationsmethoden verwendet, bei denen verschiedene Gehirnmuster bestimmten Klassen zugeordnet werden. Um eine optimale Trennbarkeit der Gehirnsignale zu erzielen, müssen die Merkmalsextraktion und Klassifikation optimal aufeinander abgestimmt werden. (…) Für die Auswahl der optimalen Parameter stehen spezielle Suchalgorithmen zur Verfügung; häufig werden evolutionäre Algorithmen oder künstliche neuronale Netze für diese Aufgaben herangezogen.« (Kübler & Neuper 2012: 774) Zur detaillierten Vorgehensweise beim BCI-Screening vgl. u.a. Kübler & Neuper (2012).
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
wird also computertechnisch mittels eines Signalverarbeitungsprozesses durch Eingabe, Verarbeitung sowie Ausgabe ausgeführt. Folgende Abbildung zeigt den Signalverarbeitungsprozess nach dem EVA-Prinzip: Abbildung 5: EVA-Zyklus einer Befehlsverarbeitungskette während des Screenings
Eingabe
Signalverarbeitung hinsichtlich Merkmale neuronaler Aktivitäten, Hochrechnungen und Analysen
Hirnstromsignale als Input in einer bestimmten Befehlsanordnung
Verarbeitung
Ausgabe
Bestimmung der Klassifikatoren, Parameter für die Befehlssteuerung des Roboters
Quelle: Eigene Darstellung.
Durch die Klassifikatoren können die Elektrodenpositionen und somit die neuronalen Areale ausfindig gemacht werden, die während der drei unterschiedlichen Aufgabenphasen gesondert angesprochen werden. Dazu wird z.B. eine lineare Regression durchgeführt. Die Signale, die aus unterschiedlichen Messpunkten der EEG-Kappe aus unterschiedlichen Frequenzen aufgenommen werden, werden anschließend weiterverarbeitet, indem Zusammenhänge zwischen den Messpunkten während des jeweiligen Befehls errechnet werden. Das heißt, dass bestimmte »Features«, also Signalcharakteristika, durch die Signalverarbeitung ermittelt und klassifiziert werden. Messfehler werden hierbei, soweit mir bekannt ist, nicht gesondert berücksichtigt. Die im Screening ermittelten Klassifikatoren dienen beim NeurofeedbackTraining als jeweils unterschiedliche Befehlsbedingungen zur Steuerung des BMI-Systems, also zur Klassifikation des Steuerkommandos. Durch die während des Screenings ermittelten Klassifikatoren werden dabei neuronale Prozesse gemäß der drei gewünschten Zustände isoliert betrachtbar. Somit stellt das
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Screening ein wissenschaftlich-technisches Verfahren zur Adjustierung der Gehirn-Computer-Schnittstelle dar. Die während des Screenings ermittelten Werte werden während des Neurofeedback-Trainings als Vergleichswert zu jenen Werten genutzt, die das Forschungssubjekt analog der Befehlsphasen produziert. Das Screening ist also eine Bedingung dafür, dass sich die Orthese am Roboter nur dann öffnet, wenn die durch das Screening ermittelten und festgelegten Parameter für die Vorstellungsaktivitäten des Patienten/der Patientin vorliegen. Die Ergebnisse des Screenings werden bildlich in einem »Feature Plot«35 festgehalten, welches sich die NeurowissenschaftlerInnen nach dem Screening anschauen: Abbildung 6: Beispieldarstellung einer möglichen ScreeningAuswertung (Feature Plot)
Quelle: www.bci2000.org/wiki/images/thumb/8/8d/Eeg1FeaturePlt. png/600px-Eeg1FeaturePlt.png (publiziert von Schalk & Mellinger 2013, letzter Zugriff 07.04.2015).
35 | Die Abbildung ist aus dem BCI2000 User Tutorial und wird dort wie folgt erklärt:
»Once the computation is complete, you will see a feature plot similar to the one below. In that plot, the horizontal axis corresponds to frequencies, and the vertical axis corresponds to individual channels. Color codes represent r-squared values, which are numbers between 0 and 1. R-squared values provide a measure for the amount to which a particular EEG feature (i.e., amplitude at a particular frequency and location) is influenced by the subject’s task (e.g., hand vs. foot imagery).« (Schalk & Mellinger 2013, letzter Zugriff 17.04.2015)
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Das Screening ist insbesondere für die Gehirn-Computer-Anpassung konstitutiv. Denn ohne Screening können die aktuell gemessenen Hirnstrommuster nicht bestimmt bzw. klassifiziert werden. Die Screening-Werte stellen demnach Vergleichswerte zu aktuell gemessenen Hirnstromsignalen dar. Aus diesem Grund ist das Screening auch eine entscheidende Vorbedingung für das Funktionieren des BMI-Systems. Was die von mir teilnehmend beobachteten Screenings angeht, so dauerte jedes Screening ca. 15-45 Minuten. Es fand nicht täglich, sondern zu Beginn der Studie statt und wurde während der Studie immer wieder zu Testzwecken und zur Kontrolle der Aktualität der durch das Screening ermittelten gewünschten Hirnareale durchgeführt. Wenn die NeurowissenschaftlerInnen mit den ScreeningErgebnissen unzufrieden waren oder sich keine eindeutigen Unterschiede zwischen den drei Aufgabenteilen in der Ermittlung neuronaler Aktivitäten ergaben, wurde es wiederholt oder es dauerte länger: WiMi018-DrMed zeigt mir, welche Areale aktiv sind und welche Elektroden aktiv sind und welche eigentlich aktiv sein müssten. Er zeigt mir das Bild mit den Elektroden und er zeigt mir zeitgleich auf dem Bildschirm die verschiedenen Farben. Er sagt mir, dass das r²-Plot heißt, man könne erkennen, welche Elektrode signifikant anders ist. Die aktiven Elektroden seien genau die auf der falschen Seite, er habe das jetzt zum 6. Mal getestet und 6 Mal das gleiche Ergebnis erhalten. (P27: Abs. 055f.)
Der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt zeigt mir im obigen Protokoll die Screening-Ergebnisse des Patienten Gelb043, die ein unerwartetes Resultat für ihn darstellen. Er hatte die Motorik-Aktivität bei der Aufgabenausübung auf einer bestimmten Seite des Gehirns erwartet. Zu seiner Überraschung tauchen die Aktivitätsmuster jedoch auf der anderen Seite auf. Da er sich dies nicht erklären kann, wolle er die Messung wiederholen.36 Im Folgenden werde ich das Screening-Verfahren, das zu Beginn der Studie durchgeführt wurde, detaillierter darstellen und erste Schwierigkeiten, die daraus für das BMI resultieren, festhalten. Dabei werde ich zunächst den Ankunftstag der ersten PatientInnengruppe im Labor 1 beschreiben und auch auf die Raumsituation eingehen. Dies ist deshalb wichtig, damit man sich vorstellen kann, wie bewegt es während meiner Beobachtungen im Labor zuging. Die räumliche 3 6 | Ich frage ihn später, ob das möglicherweise damit zusammenhängen könnte, dass
Herr Gelb043 eigentlich Linkshänder ist und durch den Schlaganfall hätte erst einmal lernen müssen, alles mit rechts zu machen. Der Neurowissenschaftler verneinte und konnte sich nicht erklären, warum das bei Herrn Gelb043 so sei. Er würde die Messung wiederholen und man werde dann mal sehen.
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Situation hatte zu jeder Zeit einen großen Einfluss auf das BCI und somit auf die Mensch-Maschine-Verbindung, da eventuelle Unruhe und Ablenkungen das Forschungssubjekt daran behinderten, sich auf das Screening und auch auf das Neurofeedback-Training zu konzentrieren. Als ich am Ankunftstag der ersten Patientengruppe im Labor 1 (L1) eintreffe, sind alle Patienten anwesend und es werden alle vorbereitenden Maßnahmen zum BCI getroffen (EEG-Kappe, Verkabelung etc.) WiMi017-DrMed öffnet mir die Tür. Wir gehen ins Labor 1. Die Patienten sind bereits da (erster Tag im Labor). Sie seien eben erst angenommen. Der Fahrer habe sie gebracht. Ich sehe, dass das Labor ein wenig verändert wurde, seitdem ich das letzte Mal dort war. Links, wo WiMi016-BioIuT sitzt, befindet sich an der Wand ein A0-Poster in englischer Sprache. An den BCI-Plätzen hängen Infozettel (A4) über die zu machenden Übungen (Hand öffnen). Der Raum, ist durch Schränke geteilt. (P19: Abs. 8ff.)
In den ersten Studientagen ist L1 in eine linke und eine rechte Seite aufgeteilt, wobei große Schränke als Raumteiler dienen. Auf der linken Raumseite gibt es vier bis fünf Büroarbeitsplätze für Wissenschaftliche Mitarbeiter (nicht jedoch für Wissenschaftliche Hilfskräfte). Die Arbeitsplätze sind keine festen Arbeitsplätze, sondern nur für den Zeitraum der Studie nutzbar. Auf der rechten Raumseite gibt es zwei BCI-Plätze für die PatientInnen, an denen das Screening erfolgt. Auf beiden BCI-Plätzen befinden sich jeweils ein Rechner, ein Monitor und die Verstärker, die die Inputbox des EEG mit dem Rechner verbinden. Direkt hinter den BCI-Plätzen befinden sich auf der rechten Raumseite zwei Schränke, hinter denen sich ein weiterer Arbeitsplatz befindet. An diesem Arbeitsplatz arbeitet ein Wissenschaftler, der nicht zum Projekt gehört und der die BCI-Plätze passieren muss, um an seinen Schreibtisch zu gelangen. Es herrscht im Labor also viel Bewegung, obwohl für das Screening eigentlich Ruhe notwendig ist, damit sich die PatientInnen auf die Aufgaben konzentrieren können. Ungünstig ist dabei sicherlich auch, dass sich die Tür direkt bei den BCIPlätzen befindet. Wie die Messung der Hirnsignale genau praktiziert wurde, möchte ich nun am Beispiel der ersten Messung der Hirnsignale des Patienten Gelb043 veranschaulichen. WiMi018-DrMed erklärt Gelb043, der schon per EEG-Kappe verkabelt ist: »Wir wollen jetzt Ihre Hirnsignale messen. Warum? Damit wir sehen, was in Ihrem Hirn vor sich geht. Es gab ja schon mal Untersuchungen, die haben gezeigt, dass durch diese Übungen die Aufgaben der einen Hirnhälfte von der anderen Hirnhälfte übernommen werden und dass es wieder zu Hirnaktivitäten in der defekten Hirnhälfte kommt. (…) So. Und
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mit der Zeit werden die Widerstände besser [er meint die Widerstände der Elektroden, gelt weiter mit dem Holzwattestäbchen, MŞ].« (…) Herr Gelb043 wird zwischenzeitlich mit dem Computer verbunden, die EEG-Hirnstrommuster werden sichtbar. WiMi018-DrMed: »Was wir jetzt hier machen, ist, dass wir schauen, was Ihre neuen Positionen sind. Wir wollen diese Bereiche später stimulieren. Die Implantate sind ganz fein. […] Welchen Effekt das hat, das werden wir sehen. […] Ja. Ich komme von der OP, wo wir das Zittern wegmachen. Mit den Elektroden. Sie kennen doch die Zitterkrankheit. […] Jetzt ganz wichtig: Was passiert im Kopf, wenn Sie bestimmte Bewegungen machen. Bewegen Sie mal den Kopf!« WiMi018-DrMed zeigt dem Patienten die sich verändernden Hirnsignale auf dem Monitor. Er erklärt dem Patienten, dass sich auch bei der Vorstellung einer Bewegung die Hirnsignale ändern. Und es käme darauf an, zu erkennen, welche Signale das sind. (P19: Abs. 7ff., 071ff.)
WiMi018-DrMed erklärt Gelb043, dass die Forscher die Hirnsignale messen wollen, um zu sehen, was im »Hirn vor sich geht«. Von Beginn der Studie an wird PatientInnen also suggeriert, dass die ForscherInnen sehen können, was im Kopf bzw. im Gehirn der Forschungssubjekte geschieht, und dass die (gedankliche/imaginative) Handlung auf dem Monitor prozessual in Echtzeit – also simultan zur Imagination – sichtbar wird. Bei der Erklärung der Bedeutung der Hirnmessung macht der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt auf bestimmte zerebrale Zustände zu bestimmten Zeitpunkten vor und nach dem Schlaganfall aufmerksam (»Es gab schon mal Untersuchungen, die gezeigt haben…«). Vor dem Schlaganfall sind bestimmte Gebiete des motorischen Areals im Großhirn für die Ausführung von z.B. Handbewegungen zuständig (allgemein gelten die primären motorischen Areale als für die Ausführung von Körperbewegungen zuständig) und »funktionieren« soweit. Infolge des Schlaganfalls sind diese Areale beschädigt und SchlaganfallpatientInnen können daher »normale« Bewegungsabläufe nicht mehr ausführen: Es kommt zu unkontrollierten Bewegungen, der Spastik, oder zur Bewegungsunfähigkeit/Lähmung von Extremitäten – so wie auch bei Gelb043. Die Annahme ist, dass sich das Gehirn mit der Zeit reorganisiert – allerdings mit neuen Verknüpfungen, die dann auch durchaus in anderen Bereichen des Gehirns angesiedelt sein können. Auf diese Weise, so die Annahme, können andere Hirnareale ausgefallene Funktionen übernehmen bzw. dieselben beschädigten Bereiche des Gehirns können sich zu einem geringen Teil reorganisieren. Diese Eigenschaft der »Neuroplastizität«37 erklärt WiMi018-DrMed dem Patienten mit den Wor37 | »Neuroplastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, sich an die Erfordernisse der Umwelt anzupassen, sich nach dem Input zu richten, kleine Defizite auszugleichen und vorhandene Funktionen zu reorganisieren bzw. zu überlernen. Der Mensch kommt mit
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ten: »Es gab ja schon mal Untersuchungen, die haben gezeigt, dass durch diese Übungen die Aufgaben der einen Hirnhälfte von der anderen Hirnhälfte übernommen werden und dass es wieder zu Hirnaktivitäten in der defekten Hirnhälfte kommt.« (Ebd.). Auf bisherige Forschungen rekurrierend erklärt WiMi018DrMed darüber hinaus, dass es in der Messung der Hirnsignale zunächst darauf ankomme, »neue Positionen« für Bewegungsausführung ausfindig zu machen, wobei es nicht darauf ankomme, dass der Patient tatsächlich die Hand bewegen könne, sondern darauf, dass man bei der Bewegungsvorstellung bestimmte Bereiche lokalisiere. Er spricht somit die Lokalisationsphase des Screenings an. In der Lokalisationsphase sollen genau die Bereiche, vor allem im Motorcortex, lokalisiert werden, die im Hirn bei der Vorstellung von Bewegungen aktiv sind. Da die Aktivität im Motorcortex bei SchlaganfallpatientInnen nicht zwangsläufig dazu führt, dass sie ihre Hand tatsächlich bewegen können, wird mit den geringfügig aktiven zerebralen motorischen Arealen die Hoffnung verknüpft, zerebrale motorische Funktionen soweit sach- und handlungstechnisch durch Stimulation und Neurofeedback zu verstärken und auf ihnen aufzubauen, dass die Wiederherstellung der Bewegungsfähigkeit gefördert wird. Dass mit der Bewegungsvorstellung Hirnsignale aktiviert werden können (und sollen), lässt WiMi018-DrMed den Patienten selbst testen (»Bewegen Sie mal den Kopf«). Als der Patient seinen Kopf bewegt, verändert sich das Hirnstrommuster. WiMi018-DrMed zeigt dem Patienten die sich verändernden Hirnsignale auf dem Monitor. Er erklärt dem Patienten, dass sich auch bei der bloßen Vorstellung einer Bewegung die Hirnsignale ändern. Es käme darauf an, zu erkennen, welche Signale das sind. Und genau in diesem Augenblick wird die zuvor suggerierte Sichtbarmachung von Abläufen im Gehirn mit Bewegungshandlungen verknüpft. Zugleich liefert WiMi018-DrMed den »Beweis« auf dem Monitor, auf dem synchron zur Bewegung des Patienten die Veränderung der Hirnsignalwellen sichtbar wird. Der Patient sieht also auch selbst im Akt der eigenen Ausübung einer Bewegung, dass unsichtbare Hirnsignale durch Bewegung auf dem Monitor sichtbar werden und dass diese Signale durch seine Handlung selbst verursacht sind. Dem Patienten wird also demonstriert, wie eine bestimmte Verhaltensaktivität (Kopfbewegung) mit einer, auf dem Monitor sichtbar gewordenen, Gehirnaktivität korreliert. Anhand dieser Demonstration wird erklärt, dass auch eine Vorstellung (Gehirnaktivität) einer Verhaltensaktivität (also eine diskrete, unsichtbare Verhaltensaktivität38) mit einer Gehirnaktivität korrelieren würde.
einer sich verändernden Welt zurecht, weil sein Gehirn und sein Körper sich anpassen und dazulernen.« (Braus 2011: 47) 38 | Mir ist klar, dass mit manchen Gedanken auch Mimiken einhergehen, die sichtbar werden und die man dann deuten kann. Allerdings ist mit unsichtbar hier eher eine solche Imagination gemeint, die Hirnstrommuster produziert, die man über das EEG
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Dass WiMi018-DrMed diese Erklärungen mit dem Beispiel anreichert, dass genau diese Bereiche bei unter einem Tremor leidenden ParkinsonpatientInnen erfolgreich stimuliert würden, »wo wir das Zittern wegmachen« – suggeriert, dass das Ausfindigmachen der Hirnsignale, die für die Motorik der Hand zuständig sind, auch für die PatientInnen von großem Nutzen sei. Denn wenn diese aufgespürten Areale komplettiert würden, könne eine gewünschte Bewegung erzeugt werden. Damit wird indirekt die Hoffnung des Patienten geweckt, dass Bewegungen der gelähmten Hand durch das Verfahren der Stimulation möglich sind – auch wenn WiMi018-DrMed dies nicht explizit sagt. Dass der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt diese Hoffnung jedoch anspricht, ist für die Patienten zentral. Denn der Grund zur Teilnahme an der Studie ist für die Patienten genau mit dieser Hoffnung verbunden, nach der Studie ihre Hand wieder bewegen zu können. Mit dem Screening werden vor Beginn des Neurofeedback-Trainings durch Bewegungsvorstellungen der PatientInnen Hirnsignalmuster aktiviert. Genauso werden die relevanten Positionen der Elektroden und dadurch auch die geeigneten Messpunkte für das Neurofeedback identifiziert. Die Aufgabe, die die PatientInnen beim Screening erfüllen sollen, besteht aus der im Kapitel 5.1. beschriebenen Befehlsabfolge zur Öffnung der Hand, wobei beim Screening die Aufgabe auch mit der nicht gelähmten Hand, also der rechten, durchgeführt wird. Die Nutzung beider Hände hat einen entscheidenden Vorteil: Die Hirnstrommuster, die bei der Öffnung der »gesunden« Hand erzeugt werden, können mit denen bei der Öffnung der gelähmten Hand erzeugten Muster verglichen werden. Dass und warum die PatientInnen beide Hände benutzen sollen, erklärt WiMi018-DrMed den PatientInnen am Ankunftstag wie folgt: WiMi018-DrMed: »Wir fangen jetzt mit einer Übung für das Handgelenk und den Arm an. Dabei muss die gesunde und die schwache Hand trainiert werden. Weil die gesunde Hirnhälfte nimmt Aufgaben der kranken wahr. Darum müssen wir die Hirnsignale beider Hände nachgucken. Wir fangen mit der starken Hand an, damit Sie sich daran gewöhnen.« (P20: Abs. 019)
Auch am Folgetag macht WiMi018-DrMed die PatientInnen darauf aufmerksam, dass die »gesunde« Hirnhälfte Aufgaben der »kranken« übernehmen kann und dass durch das Screening ermittelt werde, ob bzw. inwiefern die gesunde Hirnhälfte Aufgaben der kranken bereits übernommen hat. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt deutet dementsprechend an, dass innerhalb des Gehirns des Patienten vielleicht bereits unsichtbare Reorganisationen stattgefunden hasieht, und die man nicht über einen Ausdruck/die Motorik des Körperlichen direkt erkennen kann.
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ben, die durch die Hirnstrommessung sichtbar werden können, obwohl sie nicht zu »sichtbaren Ergebnissen« insofern geführt haben, als der Patient die Hand tatsächlich bewegen kann. Die Geschehnisse im Gehirn und deren Sichtbarmachung werden also von direkten Bewegungshandlungen losgelöst, und letztere werden der Imagination einer Bewegungsausführung nachgeordnet bzw. durch diese ersetzt. Das heißt, dass die bereits angesprochene Analogie, dass auch eine Vorstellung einer Verhaltensaktivität (Gehirnaktivität, konkret: die Imagination motorischer Aktivität) mit einer Gehirnaktivität korreliert, durch den Umstand erweitert wird, dass diese nicht in der tatsächlichen Verhaltensaktivität sichtbar sein muss. Demnach gibt es eine Diskrepanz zwischen der körperlich diskreten Verhaltensaktivität, d.h. der Imagination einer motorischen Aktivität, und der körperlich sichtbaren Verhaltensaktivität, also der tatsächlichen Körperbewegung. Die körperlich diskrete Verhaltensaktivität wird, technisch vermittelt, über Informationstechnologien im EEG sichtbar objektiviert.39 Da der Patient immer die gleiche Aufgabe bzw. die gleichen Teilaufgaben in vielen Durchläufen ausführt, ermittelt der Computer individuelle Parameter der Vorstellungen, die während jeder einzelnen Aufgabe neuronale Prozesse in bestimmten Arealen im Hirn aktivieren. Dies gilt für jeden einzelnen Befehl, also gleichermaßen für den Ordnungsruf, den Steuerbefehl und die Entspannungsaufforderung. Die so ermittelten Werte dienen dann als Vergleichswerte für die Robotersteuerung. Wenn der Patient sich also beim Befehl »LOS« statt der Öffnung der Hand eine andere Bewegung oder etwas anderes vorstellen würde, würde dieser Mittelwert als Parameter für den Steuerbefehl ermittelt werden. Der Patient wird aus diesem Grund angewiesen, sich beim Befehl »LOS« die Öffnung der jeweiligen Hand vorzustellen. Die Anweisung bleibt jedoch relativ unspezifisch, was dazu führt, dass die Vorstellungen der einzelnen Patienten voneinander abweichen. So berichtet bspw. ein Patient, dass er sich beim Los-Befehl vorstelle, wie er einen Ball fängt (vgl. Lila052, P48: Abs. 107). Diese Abweichungen in den Vorstellungen sind jedoch für den Versuch relativ unerheblich. Denn auch die Vorstellung des Fangens eines Balls entspricht einer Imagination einer motorischen Aktivität. Ob sie nun tatsächlich eine Öffnungsbewegung der Hand imaginiert oder nicht: Wichtig für den Versuch ist, dass die motorischen Areale »angesprochen« und »aktiviert« werden. Zwar werden durch die verschiedenen Befehlsabfolgen (»Linke Hand…«, »LOS«, »Entspannen!«) die drei Stadien der Verhaltensaktivität abgefragt und klassifiziert und softwaretechnisch drei verschiedene Zustände des Gehirns ermittelbar und miteinander vergleichbar, jedoch sind diese Vergleichswerte wissenschaftlich-technisch ermittelt und beruhen auf hochgerechneten quantitativen Daten und nicht auf den »tatsächlichen« Gedanken. Die Vergleichswerte werden lediglich mit den aktuellen 39 | Der Verdinglichungsprozess, also die Objektivierung diskreter Elemente, wurde
bereits im Kapitel 6.2.1 detailliert vorgestellt.
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zerebralen Zuständen des Forschungssubjekts verglichen. Der Computer kann zudem durch das Signalverarbeitungsverfahren »lernen« (vgl. Kapitel 6.3.3), die individuellen Hirnstrommuster eines Patienten bzw. einer Patientin zu erkennen und sie bestimmten Klassifikationen zuzuordnen. Auch hier wird deutlich, dass die Vorstellung einer Verhaltensaktivität, also die Imagination einer Verhaltensaktivität durch den Patienten bzw. die Patientin, unabhängig davon, welche Art diese Imagination ist, der tatsächlichen körperlich sichtbaren Verhaltensaktivität nachgeordnet ist bzw. gar nichts mehr damit zu tun haben muss. Denn was der/ die PatientIn schlussendlich tatsächlich denkt, bleibt eine unbekannte Variable. Festzuhalten bleibt, dass durch das Screening ein Zusammenhang zwischen einem zerebralen Zustand und einer Verhaltensaktivität etabliert wird. Um die motorischen Areale im ersten Schritt zu ermitteln und um dann die motorischen Funktionen durch Neurofeedback und Stimulation wiederherzustellen, wird die vor dem Schlaganfall noch körperlich sichtbare Verhaltensaktivität, also die tatsächliche Bewegung, die durch den Schlaganfall diskret bzw. nahezu40 »unsichtbar« geworden ist, durch eine körperlich diskrete Verhaltensaktivität, also die Imagination der Verhaltensaktivität, die durch deskriptiv-wissenschaftliche Verfahren sichtbar gemacht wird, ersetzt. Der Gedankenstrom vom Subjekt unterliegt dem Vorstellungszwang nach der oben beschriebenen dreiteiligen Aufgabenstellung und dem dadurch erzeugten objektivierten Reproduktionsmustern der Hirnströme auf dem EEG. Die Befehlsgenerierung zur Öffnung der Hand wird demnach zunächst zerebral induziert, wobei das Subjekt sich die Bewegung imaginiert, und dann durch die Vermittlung über Übersetzungsketten heterogener Elemente hergestellt. Aus den vielen unbekannten Variablen wie den »Gedanken« bzw. Imaginationen von Verhaltensaktivitäten werden Variablen ermittelt, die durch wiederholte Durchläufe zu Aussagenmustern und Parametern gebündelt werden können. Durch diese Bündelung und Zuordnung wird gewährleistet, dass ein für die NeurowissenschaftlerInnen eindeutiges und verlässliches Muster zur BCI-Steuerung ermittelt werden kann und wird. Das »Auslesen« der Gedanken beruht demnach auf einem Verfahren, das auf der Korrelation zwischen neuronalen Prozessen mit einer bestimmten diskreten Verhaltensaktivität beruht, nämlich mit dem tatsächlichen Gedanken41 in den jeweiligen Durchläufen der Aufgabenausführung. Diese Korrelation wird mithilfe einer spezifischen Software ermittelt und klassifiziert. Dadurch werden die gewünschten neuronalen elektrophysiologischen Vorgänge softwaretechnisch und algorithmisch als zerebrale Zustände fixiert. Diese Fixierung 4 0 | Ich verwende dieses Wort, weil die Spastik ungewollte Kontraktionen der Muskeln
hervorrufen kann und dadurch eine Verhaltensaktivität sichtbar wird, auch wenn sie ungewollt ist. 41 | Die tatsächlichen Gedanken jedoch können variabel sein, denn niemand weiß, was die PatientInnen bei jedem Aufgabenschritt tatsächlich denken.
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betrifft die Kausalität zwischen der Imagination einer Verhaltensaktivität und dem zerebralen Zustand des Forschungssubjekts. Dem Problem der Kontingenz beim Denken bzw. während der Gedankenausführung des Forschungssubjekts wird durch die häufige Wiederholung derselben Befehlsdurchläufe präventiv begegnet. Zusammenfassend möchte ich hier festhalten: Wie bei der körperlich-materiellen Anpassung lassen sich auch bei der Gehirn-Computer-Anpassung ähnliche Maßnahmen zur Anpassung erkennen. Der erste Prozess, der Lokalisierungsprozess, ist durch das Aufspüren der drei gewollten zerebralen Zustände gekennzeichnet, die – entsprechend der Befehlsabfolge der Aufgabe – mit einer Vorstellung einer psychologischen und physiologischen Aktivität verbunden sind. Danach folgt der Fixierungsprozess, innerhalb dessen durch ein Klassifikationssystem an Befehlsfolgen zerebrale Zustände gereinigt und fixiert werden. Durch die softwaretechnische und mathematische Klassifikatoren werden diejenigen Elektrodenpositionen ausgerechnet, die die Unterscheidung der drei Befehle und somit die zerebralen Zustände am besten wiedergeben. Durch die wiederholten Durchläufe werden während des Stabilisierungsprozesses die Mittelwerte der drei Gedankenzustände ermittelt und die zerebralen Zustände entsprechend erneut klassifiziert. Dadurch werden die verschiedenen zerebralen Zustände zu einem eindeutigen und verlässlichen Muster generiert und stabilisiert, was die Stabilisierung und stetige Restabilisierung des Neurofeedback-Verfahrens gewährleistet. Diese Parameter werden dann in die BCI2000-Software zur Steuerung des Roboters eingegeben und sind aufgrund dessen im weiteren Verlauf des Mensch-Maschine-Anpassungsprozesses für die Koordination bzw. Zusammenarbeit von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer elementar. Im Folgenden wird dargelegt, wie diese Parameter im BMI-System genutzt werden und welche Dynamiken sich dadurch ergeben.
6.3.2 Momente der Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts 6.3.2.1 Die Visualisierung der Hirnströme und die (Re-)Produktion von imaginierten Bewegungsabläufen
Die Mensch-Maschine-Anpassung ist mit den oben dargestellten Schritten selbstverständlich noch lange nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Nachdem die Klassifikatoren als Parameter zur Steuerung der Roboterorthese im BCI2000 übermittelt und eingestellt worden sind, beginnen die neurowissenschaftlichen Versuche mit dem Roboter. Die in den Kapiteln 5.2.1 und 5.2.2 beschriebenen Mensch-Maschine-Anpassungsprozeduren werden durchgeführt, wobei die im Kapitel 5.2.1 beschriebenen Prozeduren immer dann durchgeführt werden, sofern nicht vorher ein Screening stattgefunden hat, denn dafür muss der Patient mit dem EEG ausgestattet sein. Das Forschungssubjekt sitzt, wie im Kapitel 5.1 beschrieben wurde, vor dem Roboter, rechts von ihm befindet sich ein Neurowis-
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senschaftler, der die Versuchsanordnung über den rechten Monitor beobachtet und darüber auch den Programmstart vom Roboter und des BCI2000 sowie das Starten von Durchläufen steuert. Was konkret die Aufgabe der Öffnung der gelähmten Hand angeht, so werden bei der Durchführung dieser Aufgabe auf dem rechten Monitor, der sich rechts vom Rehabilitationsroboter42 befindet, verschiedene Bildabschnitte dargestellt, auf die ich im Folgenden am Beispiel von P153 (Bilddatei von der EEGDarstellung auf dem rechten Monitor) näher eingehe. Im rechten oberen Bildabschnitt sind einige Fenster des BCI2000-Programms zu sehen und eine Bedienbox, innerhalb derer die ExperimentatorInnen auf den Button »Suspend« klicken müssen, um den nächsten Durchlauf zu starten. Die Darstellungsbox am linken oberen Bildabschnitt zeigt die einzelnen digitalen Hirnstrommuster, die durch alle Messpunkte der auf der EEG-Kappe platzierten Elektroden abgeleitet werden. Vor jeder einzelnen digitalen Hirnstrommusterlinie steht die Elektrodenposition (z.B. C4). Daran erkennt man, welches Hirnstrommuster aus welcher Elektrode stammt und somit in welchem Hirnareal verortet wird. Dies ist das EEG. Die Darstellungsbox am linken unteren Monitorabschnitt ist die (De-)Synchronisationsanzeige in Echtzeit. Rechts daneben findet sich in einer weiteren Darstellungsbox eine weitere (De‑)Synchronisationsanzeige. Diese zeigt zwar einen zeitlich längeren Verlauf an, ist jedoch für NeurowissenschaftlerInnen situativ weniger aussagekräftig. Die NeurowissenschaftlerInnen orientieren sich bei ihren Beobachtungen im Labor eher an der »Echtzeit-Darstellung« der (De‑) Synchronisationsanzeige in der linken Darstellungsbox. Wenn ich im Folgenden von der (De‑)Synchronisationsanzeige rede, ist damit deshalb immer die Echtzeit-Darstellung gemeint. Diese (De-)Synchronisationsanzeige wird durch eine blaue horizontal verlaufende Linie geteilt. Diese Linie stellt die Trennlinie zwischen zwei Zuständen der gemessenen motorischen Areale in Echtzeit dar. Wenn die Hirnstrommuster unterhalb der blauen Linie angezeigt werden, was bei einem softwaretechnisch ermittelten Wert unter 1 der Fall ist, befinden sich die ermittelten neuronalen Prozesse in einem Zustand der Desynchronisation. Liegen die Hirnstrommuster jedoch oberhalb der blauen Linie, ist der Wert also größer als 1, befinden sich die ermittelten neuronalen Prozesse in einem Zustand der Synchronisation (vgl. WiMi018-DrMed in P21: Abs. 24). Konkret bedeutet dies: Befinden sich die von den NeurowissenschaftlerInnen ermittelten Hirnstrommuster in einem Zustand der Desynchronisation, soll sich die Orthese öffnen, befinden sie sich in einem Zustand der Synchronisation, soll sich die Orthese schließen. Die gelbe vertikale Linie zeigt den aktuellen Zeitpunkt der Messung der (De‑)Synchronisation der motorischen Areale an. Diese Linie wandert 4 2 | In diesen ist das Forschungssubjekt während des Neurofeedback-Trainings integriert.
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in Echtzeit (relativ schnell) von links nach rechts. Dabei ändert sich auch das vor der vertikalen Linie angezeigte Hirnstrommuster. Die gelbe Linie (vertikal) soll dabei den aktuellen Zustand der motorischen Areale darstellen, sie zieht quasi die Veränderungsanzeige nach sich: Alles was links vor der Linie angezeigt wird, stellt die unmittelbare Vergangenheit dar, alles was rechts von der Linie erscheint, ist eine ältere Darstellung. Ich frage WiMi020-BioIuT, was eigentlich genau synchronisiert wird, wenn die Orthese sich schließen soll. WiMi020-BioIuT erklärt, dass die Neuronen gleichzeitig feuern [Ich verwende hier den Ausdruck, der im Labor geläufig war, MŞ] und eine bestimmte Frequenz erreicht wird. Bei der Desynchronisation feuern die Neuronen nicht mehr gleichzeitig. Es ändert sich also etwas. (P42: Abs. 17)
Detailliertere Angaben, hinsichtlich dessen, was sich in der De‑/Synchronisationsanzeige ändert, machen WiMi021-BioIuT und HiWi034-DrMed zu diesem Aspekt: »Das ist, wenn du dir die Frequenzen anschaust, wenn du das Frequenzspektrum rechnest, aus diesen Signalen, dann siehst du, dass es ab einer gewissen Frequenz runtergeht. Das Frequenzspektrum kannst du als Linie darstellen, als Welle, und wenn dann eine Bewegung stattfindet, dann geht die an einem Punkt so runter. Das ist die Desynchronisation.« (WiMi021-BioIuT: Abs. 188)
Die Desynchronisation ist demnach dann gegeben, wenn sich die je nach zerebralem Zustand stetig verändernde Linie unterhalb der blauen horizontalen Linie befindet. Sie steht für die Aktivierung der motorischen Areale, die die NeurowissenschaftlerInnen ausmessen. 6.3.2.2 Zerebrale Zustände und die Delegation von Bewegungsaktivität an den Roboter
Neurowissenschaften beschäftigen sich zwangsläufig mit dem, was sich im Gehirn von Menschen abspielt. Auf dieser Sachebene sind im Neurofeedback-Training die drei neuronalen Prozesse bzw. Zustände im Gehirn entscheidend, die die Aufgabenstellung betreffen. Was genau während der Aufgabenstellung im Gehirn passiert, beschreibt HiWi034-DrMed, wobei er sich insbesondere auf die (De‑)Synchronisation der Vorstellung von Verhaltensaktivitäten bezieht: »Es geht ja um Nervenzellen. Das EEG misst ja die Aktivität von Nervenzellen. Die sind ja in so Kolumnen, also in so Säulen angeordnet auf dem Motorcortex, und es geht um die gerichtete Aktivität dieser Neuronen. Wenn man sich dann die Bewegung vorstellt, in diesem Fall mit der linken Hand bei dem Patienten, dann gibt es eine gewisse Aktivität
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im rechten Motorcortex. Normalerweise schwingt dieser Motorcortex in einem gewissen Rhythmus, also die Zellen. Das ist quasi der Ruhezustand. Der ist normal. Das nennt man Synchronisation, weil der so in einem bestimmten Rhythmus oszilliert, schwingt. Wenn es diese Bewegungsintention gibt, also die Vorstellung: Ich möchte meine Hand bewegen oder ich möchte mir in der Nase popeln oder was auch immer, dann kommt es zu dieser Desynchronisation. Das heißt, einmal ist es ein bisschen stärker, einmal ein bisschen schwächer. Und das kann der Computer lesen und daraus die Bewegungsintention errechnen und der Roboter bewegt sich.« (HiWi034-DrMed: Abs. 178)
Diese Aussage macht deutlich, was ich im Kapitel 5.3.1 bereits angesprochen habe: Es ist nach Ansicht der in meine Untersuchung einbezogenen Forschenden im Grunde ganz gleich, ob der Patient daran denkt, sich »in der Nase zu popeln« oder an etwas anderes, wichtig ist die Bewegungsintention bzw. die Imagination der Bewegung. Zudem wird angenommen, dass das Gehirn selbst im Ruhezustand etwas »oszilliert« bzw. »schwingt«, jedoch in einem bestimmten Rhythmus, der offensichtlich softwaretechnisch ausgelesen und gefiltert werden kann, was eine Synchronisation bedeutet. Die Parameterübergabe, die durch ein in der Vergangenheit durchgeführtes Screening ermittelt und in einem BCI2000-Ordner abgespeichert wurde, erfolgt in einem für die Durchführung des BMI vorgesehenen Teil des BCI2000-Programms. Kommt es zu einer Desynchronisation der Aktivitäten im rechten Motorcortex, stellt diese den Wert für die Befehlsanweisung an den Roboter dar, die Orthese zu öffnen, wobei der Wert unter 1 liegen muss. Für eine stabile Mensch-Maschine-Anpassung ist jedoch wichtig, was Forschungssubjekte während der »Gehirn-Maschinen-Steuerung« denken. Die Herstellungsleistung dazu notwendiger zerebraler Zustände ist nämlich elementar für das BMI. Ohne eine adäquate zerebrale Steuerung der Maschine, kann nicht von einem stabilen BMI gesprochen werden. Doch was denken die PatientInnen tatsächlich? – Die meisten der von mir befragten PatientInnen haben berichtet, dass sie beim Los-Befehl versuchen, die Hand gedanklich zu öffnen, und beim Entspannen versuchen, sich wieder zu lockeren. Die Aussagen, was genau sie sich vorstellen, waren jedoch oft vage und kurz. Blau051 beschreibt als einziger genauer, was sich in seinem »Kopf abspielen« muss und was die erfolgreiche Öffnung der Hand veranlasst. Er hat das imaginierte Nachzeichnen eines Portraits als Methode für sich gewählt und beschreibt den Vorgang der Vorstellung/Imagination folgenderweise: »Ja, und zwar zunächst Portrait. Da habe ich aber gemerkt: Man musste nach dem Hals ja auch weitermachen. Dann war der Hals so und der Kopf so und die Schultern so. Das hat nicht gestimmt. Da habe ich Aktzeichnen auch noch gemacht. Und da ist es so, um wieder auf das Ding [Roboter, MŞ] zu kommen: Wenn ich Sie jetzt angucke, da gibt es ganz bestimmte Grundformen des Gesichtes. Quadratisch, oval, rund. Dann gucke ich
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Sie an und dann muss ich, wie scannen. Dann muss ich mit dem Kopf Ihre Kopfform abfahren. Und zwar die Knochenform. Da drüber liegt ein Mantel, das sind die Haare. Das ist bei mir etwas anderes als bei Ihnen. Für das Wiedererkennen sind das ganz charakteristische Sachen. Dann gibt es so axiale Geschichten. Sie müssen dann so, so, die Augen, der Mund, dann Hals und der Kopf drauf, das müssen Sie alles erfassen. Das müssen Sie mit dem Kopf scannen. Dann müssen Sie das, was Sie im Kopf haben, auf den Stift übertragen. Da kommt nur raus, wenn ich so mache. Von dem, was ich gesehen habe und da oben verarbeitet. Insofern habe ich ganz genau gewusst, was ich mir vorstellen muss. Ich muss mir vorstellen, ich strecke die Finger.« (Blau051: Abs. 91)
Blau051 macht darauf aufmerksam, dass beim »Scannen« eines Gegenstands mittels eines analytischen Blicks im Gehirn implizit verschiedene Zuordnungen und Assoziationen ablaufen, die es anschließend zu explizieren, also zu übertragen gilt. Dieses »Scannen« beschreibt er als einen inneren Prozess, der beim Sehen und bei der gedanklichen Rekonstruktion des Gesehenen vollzogen wird. Der Patient hilft sich, indem er auf sein Erfahrungswissen zurückgreift. Er »weiß« wie er sich das Strecken der Finger vorstellen muss, um den Gedanken einer Bewegung herzustellen. Das signalisiert, dass Erfahrungswerte und individuelle Strategien bei der Imagination von großer Bedeutung sind. Der Befragte bspw. internalisiert den Prozess des Sehens während des imaginierten Streckens der Finger vor seinem geistigen Auge und führt die Bewegung gedanklich aus. Das Strecken der Finger entspricht dabei genau der Bewegung, die veranlasst wird, wenn sich die Orthese öffnet. Die Öffnung der Orthese soll dabei nur beim Los-Befehl erfolgen und der Gedanke soll so lange »festgehalten« bzw. vollzogen werden, bis der nächste Befehl erfolgt, der zur Entspannung auffordert. Die Phase, in der der Patient die Orthese öffnen soll, dauert mit sechs Sekunden allerdings recht lange, was fast allen Patienten Schwierigkeiten bereitet (wie im Laufe des Kapitels noch deutlich werden wird). Dass es bei Blau051 klappt, führt er darauf zurück, dass das, was in seinem Kopf vor sich geht, auf den Stift übertragen werden muss, also in diesem Fall an die Roboterorthese delegiert wird. Dies stellt für den Patienten offensichtlich kein Problem dar. Die Maschine gibt dann »Rückmeldung«, ob das, was sich »im Kopf abspielt« das richtige Signal zur Übertragung der Bewegungsvorstellung auf die mechatronische Bewegungsausübung ist. Die Zuordnungen und Assoziationen, die sich implizit im Gehirn der jeweiligen PatientInnen abspielen, werden dem Versuch entsprechend durch das Aus- und Zurückfahren der Fingerschlitten expliziert. Und diese Explizierung drückt sich dann nicht mehr in einer körperlichen Eigenhandlung aus, sondern in einer biomechanischen Intra-Aktion, die die Hand interaktiv öffnet. Die Ausführung der Greifbewegung der Hand übernimmt die Roboterorthese. Allerdings zeigen sich bei der Ausführung der Greifbewegung unterschiedliche biologisch und technisch induzierte Probleme, welche die Synchronisation des Mensch-Maschine-Zusammenwirkens gefähr-
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den. Da dies wiederum eine Destabilisierung der Mensch-Maschine-Verbindung zeigt und weitere Stabilisierungsmaßnahmen Konsequenzen für die Anpassung von Mensch und Maschine haben, werde ich nun auf diese Probleme eingehen. 6.3.2.3 Befinden sich die Bewegungen von Hand und Neurorehabilitationsroboter im Einklang? – De- und Re-Stabilisierung der synchronen Mensch-MaschineBewegung
Im Folgenden werden allgemeine Störungen der Synchronität der Greifbewegung von Hand/Fingern und den Fingerschlitten beschrieben und es wird aufgezeigt, wie NeurowissenschaftlerInnen im Prozess der Mensch-Maschine-Anpassung (Re‑)Stabilisierungsmaßnahmen treffen. Die Spastik stellt bei der Herstellung der Verbindung zwischen den Fingern des Patienten bzw. der Patientin und den Fingerschlitten der Roboterorthese eine biologisch induzierte Störvariable dar. Die auflockernden Übungen (für eine ausführliche Beschreibung vgl. Kapitel 6.2.3.2) für die spastische Hand sind wichtig, um die »Starrheit« der Hand zu lösen, damit sie sich leichter an die Roboterorthese andocken lässt. Die Folge des Unterlassens der Lockerung ist eine stärkere Spastik und somit die Verkrampfung der Handmuskulatur des Patienten/der Patientin. Die Störung wird in diesem Kontext also durch eine ungewollte spastische Kontraktionen von Körperteilen hervorgerufen. Sie hat deutliche Auswirkungen auf die Messung: Immer dann, wenn die Muskulatur der PatientInnen krampft, übt zumeist ein bestimmter Finger einen Druck auf das jeweilige Fingerschlittenelement aus. Während des Drucks gleitet der Finger mit dem magnetischen Fingertip zur rechten oder linken Seite, sodass der Finger, begleitet von einem Klack-Geräusch, aus dem Fingerschlitten springt. In diesem Fall ist die Synchronität der Greifbewegungen von Hand/Fingern und Fingerschlitten nicht mehr gewährleistet. Infolgedessen stoppt der Neurorehabilitationsroboter automatisch die maschinelle Ausführung der Greifbewegung, sodass ein Eingreifen seitens der PatientInnen oder der ForscherInnen notwendig wird. An dem Klack-Geräusch erkennen PatientInnen und ForscherInnen, dass ein Finger herausgesprungen sein muss. Sie schauen sich daraufhin die Finger an und platzieren den herausgesprungenen Finger wieder mittels des magnetischen Fingertips in dem Fingerschlitten. Die Platzierung des herausgesprungenen Fingers übernehmen manchmal die PatientInnen selbst, indem sie ihre rechte Hand zur Hilfe nehmen. Allerdings müssen die PatientInnen danach dennoch auf die Forschenden warten, denn der Roboter läuft nach einem unvorhergesehenen Bewegungsstop nicht einfach weiter. Im Gegenteil wird bei jedem Bewegungsstop auf dem rechten Monitor eine Fehlermeldung über die Software des Roboters ausgegeben. Diese muss dann durch ein Teammitglied bestätigt werden. Danach wird auf »Weiter« geklickt und die maschinelle Greifbewegung führt die Bewegungen wieder nach dem laufenden Programm aus.
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Es kommt aber meinen Beobachtungen zufolge auch vor, dass ein Finger herausspringt ohne dass ein Klack-Geräusch zu hören ist und ohne dass die Maschine automatisch stoppt. Dies ist für die PatientInnen nicht unproblematisch. Denn wenn das Herausspringen des Fingers nicht bemerkt wird und die Maschine aufgrund dessen nicht sofort manuell ausgeschaltet wird, wird der Finger die ganze Zeit unbemerkt in der Maschine zwischen den Fingerschlitten mitgeschliffen, kann sich mit anderen Elementen der Orthese magnetisieren und wird möglicherweise verletzt. Das Herausspringen eines Fingers stellt deshalb für die Forschenden einen sensiblen Moment dar, wie im folgenden Zitat auch deutlich wird: WiMi018-DrMed: »Sie haben ja wieder einen verloren (Fingertip bei der Öffnung und Schließung der Roboterhand). Vorsicht! Das Gerät bewegt sich wieder!« WiMi018DrMed bewegt sich in die Richtung der Orthese, im gleichen Moment legt Pink045 den Finger mit der anderen Hand in die Fingerschlitten, WiMi018-DrMed macht einen erleichterten Ausdruck, atmet einmal tief ein und aus: »Das Programm geht los. Es klappt.« (P21: Abs. 18)
Dass das Herausspringen eines Fingers durch die Beteiligten nicht bewerkt wird, habe ich viele Male beobachtet. Im obigen Zitat merkt jedoch WiMi018DrMed, dass ein Finger des Patienten im Gerät mitgeschliffen wird und macht den Patienten darauf aufmerksam. Der Patient greift daraufhin während der Bewegungsausführung mit seiner rechten Hand nach seinem herausgesprungenen Finger und platziert ihn wieder richtig. Infolgedessen läuft das Programm weiter. Das Herausspringen eines Fingers wird allgemein als nervig empfunden, so auch in diesem Beispiel: Die Mutter von Pink045 kommt herein (L2). Sie redet darüber, wie klein sein Zimmer im Hotel sei. Sie fragt ihn, was er mache. Er erklärt das Roboter-Softwareprogramm (ein Feuerlöschspiel): »Wenn ich locker lasse, spritzt er [der Feuerwehrmann, MŞ] hinten. Wenn ich fest ziehe, vorne. (…) Jetzt ist das Ding wieder ab (gemeint ist der Fingertip, also der Magnet am Finger). Ich verliere noch die Nerven.« (P19: Abs. 101)
Falls der zuständige Neurowissenschaftler das Herausspringen eines Fingers nicht bemerkt, machen manchmal der Patient selbst oder der Physiotherapeut, der den anderen Patienten am Rehabilitationsexoskelett im selben Raum betreut, ihn darauf aufmerksam. Dies äußern sie durch Anmerkungen wie, dass ein Finger »herausgesprungen« oder »lose ist« (sinngemäß), oder »Etwas funktioniert nicht.« (Pink045, P21: Abs. 26), dass »mit dem Finger etwas nicht stimmt« oder »Da hängt er wieder, der Finger.« (Pink045, P23: Abs. 024). Daraufhin stoppt der Neurowissenschaftler das Gerät über die Roboter-Software, platziert den Finger wieder in dem Fingerschlitten und startet die Software neu.
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Gemäß dem ecology approach stehen bei der Mensch-Maschine-Anpassung des PatientInnenkörpers und seiner Teile sowie der Maschine und seiner Teile, lebendige und nichtlebendige AkteurInnen in Wechselwirkung. Dies gilt auch für die von mir beobachteten Situationen. Denn wenn die Spastik des Patienten zu stark ist, stoppt die Orthesensteuerung die Fingerschlitten automatisch. Die Steuerung richtet sich dabei nach der »Gegensteuerung« der Finger durch die Spastik. Und wenn die Maschine nicht automatisch stoppt, erkennt einer der Beteiligten, dass »etwas nicht stimmt« und unterbricht die maschinelle Ausübung der Greifbewegung manuell. Oder aber der Patient selbst behebt die Störung manuell, sodass die Maschine gar nicht gestoppt wird. Deutlich wird also: Bei der Verbindung des PatientInnenkörpers mit dem Roboter bilden Mensch und Maschine eine funktionale Einheit. Für den Arbeitsbogen ist die Stabilität aller Elemente des Systems, auch eines unscheinbaren Magneten im Fingertip oder die Verbindung des Fingertips mit dem Fingerschlitten, von großer Bedeutung. Tritt ein Störfaktor auf, wirkt das auf die Arbeitsorganisation insofern zurück, als sowohl materielle Dinge modifiziert und durch ggf. andere materielle Dinge ausgetaucht werden und die Ordnung im Experimentalsystem neu hergestellt und organisiert werden muss. Die für den Arbeitsablauf notwendige Einheit von Mensch und Maschine wird auch von den von mir beobachteten Patienten erkannt und von Pink045 sogar deutlich formuliert: Pink045 (während des Neurofeedback-Trainings am Roboter) sagt zu mir: »Sie können sich ruhig zu mir setzen, es klappt. Maschine und Mensch in perfekter Harmonie.« (P21: Abs. 21)
Die notwendige Synchronität ist jedoch auch aus anderen Gründen störanfällig: Auch wenn während des Studienverlaufs Problemlösungen zu Optimierungen der Arbeitsabläufe führen, kann die synchrone Bewegung von Hand und Orthese durch fehlerhafte Software(einstellungen) gestört werden. Daraus ergibt sich, dass die Software der Maschine nachjustiert werden muss: 10:19 Uhr: Ich beobachte, dass der Zeigefinger von Herrn Grau048 an den Magneten vom Daumen kommt [der Fingerschlitten am Daumen rutscht nach vorne, während die Fingerschlitten der anderen Finger nach hinten rutschen, dadurch »treffen« sich Zeigefinger und Daumen, MŞ], und frage ihn, ob es weh tut oder er etwas spürt. Er sagt, wenn die Hand sich öffne, sei das so, als würde er gegen das Metall unten kommen. Ich sehe WiMi018-Med kommen. 10:23 Uhr: WiMi018-DrMed kommt herein. Ich sage ihm, dass die Hand von Grau048 nicht richtig bewegt wird. WiMi018-DrMed platziert die Hand mit Hilfe von Papierhandtüchern, welche er unter die Hand des Patienten legt.
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Die Übungen gehen weiter, dabei schaut sich WiMi018-DrMed die Hand von Grau048 an. WiMi018-DrMed ruft WiMi017-DrMed: »Hast du ›ne Vorstellung, warum der Finger in die falsche Richtung läuft?« WiMi018-DrMed und WiMi017-DrMed schauen auf die Hand von Herrn Grau048. WiMi018-DrMed: »Ah, verstehe, wegen dem Daumen.« WiMi017-DrMed: »Das Problem hatten wir schon mal.« WiMi017-DrMed betätigt die Leertaste, stoppt dadurch die Maschine und öffnet die Roboter-Software. WiMi017-DrMed und WiMi018-DrMed stellen das Neurorehabilitationsprogramm ein. Sie laden die ID von Grau048. (P41: Abs. 60-66)
WiMi018-DrMed reagiert auf meine Bemerkung, dass die Hand des Patienten nicht richtig bewegt wird, zunächst spontan, indem er einige Papierhandtücher nimmt und sie zwischen Hand und Armvorlage legt. Offensichtlich geht er zunächst davon aus, dass die »falsche« Bewegung der Hand daraus resultiert, dass die Hand ergonomisch nicht richtig liegt, und versucht deshalb, diese mit den Papierhandtüchern zu polstern. Bei genauerem Hinsehen stellt er dann jedoch fest, dass das Ausfahren des Daumens im Vergleich zu den anderen Fingern »in die falsche Richtung«, also asynchron, läuft, und fragt seinen Kollegen nach der Ursache. Dieser ist mit dem Problem vertraut (»Das Problem hatten wir schon mal«), dessen Ursache nicht etwa daran liegt, dass die Adjustierung des Geräts nicht ergonomisch ist oder der Finger krampft, sondern daran, dass die Software falsch eingestellt ist. Daher stoppt er das Gerät und lädt die individuellen richtigen Parameter für die mechanische Greifbewegung. In diesem Fall handelt es sich also um eine (software)technisch induzierte Störung. Auch im nächsten Beispiel arbeitet die Software mit falschen Parametern, wobei es sich um die Parameter für das Neurofeedback handelt: WiMi018-DrMed zu Herrn Gelb043: »Ist anstrengend?« Gelb043: »Ja.« WiMi018-DrMed: »Ja, aber ich lass ihn noch nicht frei. Was ich jetzt von Ihnen möchte….« WiMi017-DrMed: »Machst Du ’n Screen?« WiMi018-DrMed: »Und zwar möchte ich hier… Na, da zeigt sich hier grad was… (guckt auf das EEG), das ist nicht schlecht… Was ist denn hier los? (guckt in BCI2000 Config, eine Konfigurationsdatei)…« MŞ: »Was ist?« WiMi018-DrMed: »Da hat jemand die Parameter überschrieben… Schon besser, hätte ich fast gesagt. Hilft ja nix, muss man halt manchmal tun…. Muss was ändern (es erfolgt eine Bedienung des BCI2000-Programms: »Edit«, »Matrix«, »Stimuli« – dort ändert WiMi018-DrMed den Pfad und Gelb043 wartet noch.« (P27: Abs. 042-048)
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Die Parameterübergabe für das Neurofeedback beinhaltet das Öffnen der Orthese nach bestimmten Frequenzmustern der Hirnaktivität, die beim Screening ermittelt wurden. Die fehlerhafte Einstellung der Parameter bemerkt WiMi018DrMed, indem er die Versuchssituation beobachtet. Dabei orientiert er sich zuerst an der erfolgreichen Durchführung des Neurofeedbacks von Gelb043 und vergleicht seine Versuchsausführung mit der Darstellung auf dem »EEG-Monitor«. Als er etwas Unerwartetes sieht, überprüft er die BCI-Konfiguration und stellt dabei fest, dass »jemand die Parameter überschrieben« hat. Daraufhin passt er die Parameter an. Ähnlich wie bei der Impedanzmessung, wird hier die synchrone Durchführung der Hand- und Orthesenöffnung, werden also biologische Elemente mit technischen verglichen und (softwaretechnisch) aneinander angepasst. An diesem Beispiel wird nochmal deutlich, wie wichtig das Screening und die Parameterübergabe mittels ID ist. An diesen Beispielen wird zudem deutlich, dass nicht nur Körper(teile) und materielle Dinge eine Eigenlogik besitzen und Einfluss auf die Interaktivität zwischen Mensch und Maschine zu nehmen, sondern auch, dass die Intra-Aktion von Software- und Hardwareelementen eine wichtige Rolle bei der Mensch-Maschine-Anpassung spielt.43 Das Handlungsprogramm zur Öffnung der Orthese ist also gleichermaßen von menschlichen und nicht-menschlichen Faktoren abhängig. Im ersten Beispiel steuert die Roboter-Software die Fingerschlitten nicht wie gewünscht. Der genaue Grund dafür ist nicht klar, es liegt aber nahe, anzunehmen, dass das Programm zu Beginn des Trainings nicht richtig bedient wurde. Im zweiten Beispiel erfolgt das Neurofeedback falsch, weil die Screening-ID nicht richtig eingegeben wurde. Der Forscher sagt ganz klar, dass jemand die Parameter überschrieben habe. Demnach kann eine fehlerhafte technische Intra-Aktion durch interaktives menschliches Handeln ausgelöst werden, was die Störung der Mensch-Maschine-Verbindung zur Folge hat. Im ersten Beispiel wird das Problem dadurch behoben, dass das Training pausiert und die ID des Patienten neu ins Roboter-Programm geladen wird. Dadurch werden neben dem richtigen Programm für die Greifbewegung auch die richtigen Parameter für das Herausfahren der Fingerschlitten geladen. Und zwar analog zu den individuellen zerebralen Zuständen, deren Werte während des Screenings ermittelt wurden. Im zweiten Beispiel werden die Parameter über die BCI2000-Software neu übermittelt. Dies gewährleistet das gewünschte Neurofeedback. In beiden Beispielen wird die gewünschte Intra-Aktion von Soft- und Hardwarekomponenten also interaktiv geordnet. Die jeweilige adressatInnengerechte Programmierung der Software mit individuellen Parametern erhöht die gewünschte Verbindung zwischen Mensch und Maschine und bedingt sie zugleich. Denn die Finger lassen sich nur so weit öffnen, wie es durch die zuvor ermittelten Parameter festgelegt
4 3 | Zu den Begriffen Interaktivität und Intra-Aktion vgl. Rammert (2007d).
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ist. Wird dagegen ein zu starker Druck durch die Finger ausgeübt, springt womöglich ein Finger raus und die Verbindung wird unterbrochen: 12:27 Uhr: WiMi018-DrMed zu Gelb043: »Bei dem Hirnsignaltraining. Probieren Sie, nicht so fest zu drücken [mit den Fingern gegen die Fingerschlitten, MŞ]. Es ist nur wichtig, dass Sie sich das vorstellen. Sie haben grad‹ so fest gedrückt, dass die Hand rausgesprungen ist [es ist nur ein Finger herausgesprungen, MŞ].« WiMi018-DrMed gibt Gelb043 Instruktionen: »Durchatmen, entspannen, öffnen, weiter-weiter-weiter… durchdenken, entspannen [im Hintergrund läuft die auditive Aufgabenansage, MŞ].« (P25: Abs. 109f.)
Für eine gelingende Mensch-Maschine-Verbindung ist auch die Rolle der Anweisenden wichtig. Im Kapitel 5.2.2 hatte ich bereits auf die mit der Spastik zusammenhängende Problematik hingewiesen. Es besteht ein Widerspruch zwischen der Instruktion, die WiMi018-DrMed Gelb043 in diesem Zitatbeispiel gibt und der Anweisung, die er zuvor der Patientin mit der spastisch gelähmten Hand gibt, sie solle aktiv mitarbeiten (vgl. Kapitel 5.2.2). Während WiMi018-DrMed Weiss046 explizit auffordert, mit dem Ausfahren der Fingerschlitten die Hand aktiv mitzuschließen und mitzuöffnen, führt er das Herausspringen des Fingers von Gelb043 darauf zurück, dass er zu »fest«, also zu aktiv, gegriffen habe. Er solle sich die Greifbewegung während des Neurofeedback-Trainings nur vorstellen, solle also zwar gedanklich aktiv mitarbeiten, aber bewegungstechnisch inaktiv bleiben. Es liegt hier m.E. nahe, daraus zu schließen, dass der Unterschied zwischen der bewegungstechnischen und der gedanklichen Aktivität darin besteht, dass bei der bewegungstechnischen Aktivität ein ungewollter Krampf bzw. ungewollte spastische Kontraktionen ausgelöst werden können und dadurch die Versuchsanordnung gestört werden kann, während allein durch die gedankliche Aktivität krampfauslösende Stimuli verhindert werden können. Die bewegungstechnische Aktivität stellt demnach eine motorische Aktivität dar, während die gedankliche Aktivität eine Imagination der motorischen Aktivität ist. Die motorische Aktivität soll hier ganz durch die mechanische Aktivität abgelöst werden. Erwünscht ist die Steuerung der Handorthese allein durch die Imagination der Öffnung der Hand, wobei sich im Idealfall die Orthese synchron zu dem Öffnungsgedanken öffnet. Die mechatronische Handorthese ist also die Inskriptionsvorrichtung der imaginativen motorischen Aktivität, die die reale motorische Aktivität durch Suggestion ersetzt. Sie suggeriert die motorische Aktivität, tatsächlich jedoch ist sie die Repräsentation eines neuronalen elektrophysiologischen Zustands, der sich im Laufe der Aufgabendauer durchaus ändern kann. Die von mir beobachteten und befragten ForscherInnen sind sich dabei durchaus bewusst darüber, dass die gewünschten Gedanken nicht für die Dauer der Aufgabe – also immerhin sechs Sekunden beim Los-Befehl – aufrechterhalten werden (können). Diese Unmöglichkeit hat unterschiedliche Gründe: Zum
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einen haben PatientInnen Schwierigkeiten, sich durchgehend auf die Aufgabe, die sie fast 45 Minuten lang wiederholen müssen, zu konzentrieren. Zum anderen haben manche PatientInnen Schwierigkeiten dabei, Verhaltensaktivitäten zu imaginieren. Im Folgenden möchte ich daher auf diese Schwierigkeiten eingehen. Denn diese destabilisieren nicht nur die Mensch-Maschine-Anpassung, sondern zwingen auch die Neurowissenschaft-lerInnen dazu, unterschiedliche Strategien zur Stabilisierung zu treffen. Auch diese werden im Folgenden besprochen. 6.3.2.4 Das Problem mit der Imagination und die Integration der Maschinenbewegung in die Leiblichkeit
Die Vorstellungskraft der PatientInnen und ihre Konzentration auf die Aufgabe sind, so habe ich beobachtet, immer aktuelle Themen im Labor. Welche Herausforderungen sich aus der Klassifikation der zerebralen Zustände durch die Dreiteilung der Aufgabe ergeben, zeigt diese Aussage einer Wissenschaftlichen Hilfskraft und Doktorandin: »Ja, während der Desynchronisation haben wir immer ganz genau gesehen: Auf dem Bildschirm, dann bewegt sich die Orthese. Wenn [von den PatientInnen, MŞ] versucht wird, sich diesen Bewegungsprozess vorzustellen. In der Synchronisationsphase, das sind die so genannten Entspannungsphasen, da wurde [durch die NeurowissenschaftlerInnen, MŞ] gezielt versucht, den Patienten mit Rechenaufgaben oder mit Vorstellungsvermögen irgendwo hinzuführen, dass er sich nicht mehr auf die Hand konzentriert. MŞ: Wie waren deine Erfahrungen? HiWi020-DrMed: Anfangs sehr schwierig, aber man lernt das im Prozess und es funktioniert schon auch, die Patienten dann abzulenken in diesen Entspannungsphasen. Meistens haben sie es dann von alleine irgendwann so gut trainiert, dass es unterschiedlich gut geklappt hat. Aber eigentlich hat es bei allen irgendwann funktioniert, mehr oder weniger. (…) Manche haben [während der Entspannungsphase, MŞ] gar nichts gesagt, andere haben Rechenaufgaben gestellt oder mit den Patienten geredet und gesagt: ›Denken Sie an Ihren Urlaub oder denken Sie an ich-weiß-nicht-was‹. Aber es gab keine Anweisung, was wir da konkret machen sollen. Das wurde uns ziemlich freigestellt.« (HiWi020-DrMed: Abs. 204-211)
Die Wissenschaftliche Hilfskraft/Doktorandin gibt zu verstehen, dass die NeurowissenschaftlerInnen das EEG und insbesondere die (De‑)Synchronisationsanzeige zur Orientierung nutzen können. Wenn auf der Anzeige eine Desynchronisation zu sehen sei, öffne sich die Orthese synchron bzw. simultan zur Desynchronisation. In der Entspannungsphase hätten die WissenschaftlerInnen die PatientInnen bewusst abgelenkt bzw. ihr »Vorstellungsvermögen« gezielt gelenkt, damit sich die PatientInnen entspannen. Die Interviewte weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Trainingserfolg von der Qualität des Patien-
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tInnen-Trainings abhänge. Schwierigkeiten treten m.E. dann eher auf, wenn der/ die PatientIn »schlecht« trainiert hat. Dass das Training demnach von der Performance der einzelnen PatientInnen abhängt, hebelt im Grunde jeglichen Automatismus aus, menschliche Fehlerquellen auszuschalten. Dass die Wissenschaftliche Hilfskraft/Doktorandin sagt, dass es mal mehr oder weniger funktioniere, deutet darauf hin, dass sie diese Situation hinnimmt und sich mit der Situation zufrieden gibt. Ihre Aussage, dass es keine Anweisungen hinsichtlich der Gedankenarbeit gegeben habe, zeigt, dass es keine festgelegten oder gar routinierten, standardisierten Anweisungen an PatientInnen gab, was genau sie z.B. bei der Entspannung denken sollen, damit die geforderten neuronalen Zustände erreicht werden und ihnen somit die Aufgabe gelingt. Damit sich die PatientInnen nicht das »Falsche« vorstellen, sich »richtig« entspannen bzw. damit die neuronalen Zustände in die für das Gelingen des Versuchs maßgebliche Position gebracht werden können, geben die Forschenden eher improvisatorische Instruktionen, wie an einen Urlaub zu denken, oder stellen PatientInnen ad hoc Rechenaufgaben. Ein Beispiel dafür zeigt folgende Situation: 12:48 Uhr: Nachdem WiMi018-DrMed sich die Hirnwellen bei Gelb043 angesehen hat, geht er zu ihm und stellt ihm während der Entspannungsphase Rechenaufgaben: »Was ist 12 x 3?« Gelb043: »36«. WiMi018-DrMed: »Was ist 9 x 3?« Gelb043: »27«. WiMi018-DrMed: »Sehr schön, genauso müssen Sie es machen.« (guckt dabei auf die De-/Synchronisationsanzeige im EEG). WiMi018-DrMed erzählt, dass die SchlaganfallpatientInnen Schwierigkeiten hätten, an der Entspannung festzuhalten. (P21: Abs. 85f.)
Der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt führt im obigen Beispiel die Schwierigkeit, die Herr Gelb043 an dem Tag beim Entspannen hat, darauf zurück, dass SchlaganfallpatientInnen prinzipiell Schwierigkeiten hätten, sich zu entspannen. Daher versucht er, den Patienten abzulenken, und stellt ihm während der Entspannungsphase einfache Rechenaufgaben. Es ist zwar nicht selbstverständlich, dass einfache Rechenaufgaben zwangsweise dazu führen, dass sich PatientInnen tatsächlich entspannen, in diesem Fall »funktioniert« es jedoch: Die entsprechenden Areale synchronisieren sich, was für den Neurowissenschaftler ein Anzeichen für Entspannung ist. Es war in diesem Zusammenhang für mich wichtig, herauszufinden, was genau die WissenschaftlerInnen unter einer Entspannung eigentlich verstehen. Ich fragte deshalb einen weiteren Doktoranden, HiWi034-DrMed, was der »Ruhezustand« im Gehirn, also die Entspannungsphase, die die NeurowissenschaftlerInnen »resting state« nennen, sei:
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MŞ: Was ist denn überhaupt der Ruhezustand vom Gehirn? Was ist das überhaupt für ein Zustand? HiWi034-DrMed: Das ist Definitionssache, würde ich sagen. Ich kann es natürlich allgemein sagen: Der Ruhezustand ist, wenn ich, was weiß ich, meditiere und mir einen Raum vorstelle. Oder der Ruhezustand kann sein, wenn ich schlafe, irgendwie. Oder der Ruhezustand ist, wenn ich aus dem Fenster gucke. Aber jetzt für den Fall ist der Ruhezustand genau definiert, nämlich als die Zeit, die zwischen der Bewegung passiert. Der Computer oder das Roboter-Ding gibt ja den Befehl. Was sagt der denn überhaupt? Was sagt er denn? Irgendetwas sagt er. Ich weiß es schon nicht mehr. Ich habe es schon so oft gehört. MŞ: Rechte Hand, los! HiWi034-DrMed: Linke Hand. Ja. Linke Hand, los! MŞ: Oder: Linke Hand, los! HiWi034: Genau! Dann ist das irgendwie vorbei. Dann hat sich der Computer bewegt oder nicht. Dann kommt: Entspannen! Der Computer definiert Ruhephase als diese Phase, in dieser Entspannungsphase. Das muss natürlich nicht mit der Ruhephase übereinstimmen, die ich vor dem Einschlafen habe oder die ich beim Meditieren habe. Aber es reicht wohl, um den Unterschied zwischen Bewegung bei: »Linke Hand, los!« und der Entspannung, also, der ist wohl groß genug, um daraus Rückschlüsse zu ziehen.« (HiWi034-DrMed: Abs. 179f.)
Dies macht deutlich, dass durch die Dreiteilung der Aufgabe dem Forschungssubjekt diktiert wird, sich und seine Gedanken zu einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Zeitraum in einen Ruhezustand zu versetzen. Allerdings gibt der Interviewpartner an, dass die Entspannungsphase tatsächlich nichts mit einer Ruhephase im Alltagsverständnis zu tun haben muss. Dass er damit Recht hat, zeigt sich im Verlauf der von mir beobachteten Versuche anhand der Hirnstrommuster. Bei der Desynchronisation der Hirnaktivitätsmuster, die mit einem Wert unter 1 einhergeht, öffnet sich die Orthese. Die Synchronisation, bei der der Wert 1 übersteigt, soll hingegen während der Entspannungsphase stattfinden. Bei manchen PatientInnen ist es meinen Beobachtungen zufolge jedoch so, dass sie in der Entspannungsphase keine Synchronisation aufweisen, sodass der Wert eine ganze Zeit lang unter 1 liegt. Das bedeutet m.E., dass neuronale Aktivitäten im Motorcortex so oft stattfinden, dass gar keine Phase der Entspannung eintritt – zumindest nicht als Darstellung und als das, was die NeurowissenschaftlerInnen darunter verstehen – und dass sich die Orthese in diesem Fall immer bei »LOS« öffnet. Dadurch wird allerdings der Feedback-Mechanismus, der eigentlich simultan zur geforderten Imagination verlaufen soll, ausgehebelt. Das Forschungssubjekt denkt dementsprechend die ganze Zeit, also auch während der Entspannungsphase, an eine Aktivität. Für manche PatientInnen kann allerdings wahrscheinlich der Gedanke an eine Aktivität ebenfalls als Entspannung gedeutet werden. Aber auch hier zeigen sich Syn-
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chronisations-Problematiken der Mensch-Maschine-Anpassung. Denn in einem Fall wird zwar der durch die NeurowissenschaftlerInnen geforderte zerebrale Zustand nicht erreicht, die Orthese öffnet sich aber trotzdem. Und in einem anderen Fall liegen in der Entspannungsphase zwar die gewünschten Parameter für die Entspannung nicht vor, die Orthese schließt sich aber trotzdem. Folgt man der Logik der NeurowissenschaftlerInnen, müsste in der Entspannungsphase hingegen ein Muster produziert werden, das demjenigen Muster entspricht, mit dem die NeurowissenschaftlerInnen als Klassifikator neuronaler Muster, die für eine Entspannung stehen, weiter arbeiten können, und zwar so weiter arbeiten können, dass sich der Entspannungszustand klar von einer Bewegungsvorstellung unterscheidet. Denn im Grunde benötigen sie die verschiedenen zerebralen Zustände und somit die unterschiedlichen Befehlsfolgen, um Muster-Cluster besser voneinander abzugrenzen, denn dadurch können möglicherweise Fehlschlüsse in der Beweisführung ausgeschlossen werden. Zumindest aber wollen die NeurowissenschaftlerInnen damit gewährleisten, dass das NeurofeedbackTraining synchron, also entsprechend der in Echtzeit produzierten verschiedenen Zustände des Gehirns und bezüglich der jeweiligen Vorstellungskraft erfolgt. Auf diese Problematik komme ich im Kapitel 6.3.3 und 6.3.4 noch einmal zurück. Die Fähigkeit der Imagination von Verhaltensaktivitäten, sei es beim Entspannen oder bei der Bewegungsausübung, und somit die Fähigkeit der Herstellung der von den NeurowissenschaftlerInnen geforderten zerebralen Zustände der Forschungssubjekte ist jedoch variabel. Denn die Fähigkeit, diese Zustände zu erreichen, hängt nicht nur von z.B. der täglichen Performance des Forschungssubjekts ab, sondern auch von seiner Fähigkeit der Imagination im Allgemeinen. Folgendes Protokoll verdeutlicht, dass die Imagination an sich jedoch ein Problem bei der BCI-Forschung darstellt: WiMi024-MedPsy meldet sich und geht ans Clipboard. Sie möchte zeigen, dass das Thema Imagination ihrer Ansicht nach zu sehr vernachlässigt wird. Sie habe Erfahrungen mit ihren PatientInnen gemacht, die darauf hinweisen würden, dass die Vorstellung von etwas bei verschiedenen PatientInnen jeweils etwas anderes sei. Manche PatientInnen müssten es einfach noch lernen, sich etwas vorzustellen. Andere könnten sich gar nicht auf die Vorstellung konzentrieren und wären unruhig. Sie könnten sich beispielsweise nicht vorstellen, zu einem bestimmten Körperteil in sich zu gehen. Sie habe aber gezeigt, dass diese PatientInnen das durch Training lernen können. Prof999-DrMed sagt, dass sie ihm konkrete Vorschläge machen solle, wie man das in dem Projekt umsetzen könne. (P26: Abs. 78)
Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Psychologin verweist auf die Schwierigkeit, die manche körperlich beeinträchtigten PatientInnen mit der Imagination einer Bewegung haben. Ihre Aussage, dass sich einige nicht vorstellen könnten, zu einem bestimmten Körperteil in sich zu gehen, beschreibt den Vorgang, das
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Leib-Sein als gedanklichen Vollzug zu imaginieren (vgl. zum Leib-Sein Kap. 3.4.1). Demnach muss es im Gehirn Prozesse geben, die erst in der Erfahrung mit dem Körper »greifbar« werden. Prof014-GW, ein Philosophieprofessor und Neuroethiker, macht dazu genauere Angaben: »[M]an [kann, MŞ] das Gehirn halt nicht losgelöst sehen (…). [D]ie sagen immer ›Leib‹ in der Philosophie, das ist so der Ausdruck dafür, für (…) Körper. Aber Leib meint eben auch (…) dieses nicht quantifizierbare Erleben, sozusagen, dass man sich in der Umwelt befindet, die in so sozialen Zusammenhängen bestehen, und dieses Gesamtsystem Hirn und Leib. Und diese entsprechende Gepäckbildung, die macht erst sozusagen den Menschen als Person wieder aus. Das auf jeden Fall diese Reduzierung: statt das Gehirn als Organ … Also das ist sozusagen: Da ist der Menschen. Oder: Da ist die Freiheit ((lacht)), oder so. falsch. Und deshalb würde ich denn auch, der kranke Körper in so einer raffinierten Weise dann auch mit in diesem, mit dem, mit dem Gehirn zusammen. Wahrscheinlich kann auch das Gehirn ohne diesen, diesen Leib nicht denken (…). [D]as ist, ist so ne Einheit. … (…) Man [ein/e NeurowissenschaftlerIn, MŞ] kann, glaube ich, sehr, sehr fokussiert irgendwie auf das Gehirn einwirken und sich dann in dieser kompletten Therapie verlieren, und den Menschen im Gesamten. Und da gibt es zum Beispiel Einwände dagegen, zu sagen, man kann den Mensch auf seine Gehirnfunktion reduzieren, so halt.« (Prof014-GW: Abs. 123)
Der Befragte macht, so ist das Zitat m.E. zu interpretieren, darauf aufmerksam, dass das, was unter Leib verstanden werden kann, nicht quantifizierbar ist, dass die Existenz des Leib-Seins jedoch eine Grundvoraussetzung für die »Denkfähigkeit des Gehirns« ist (»Wahrscheinlich kann auch das Gehirn ohne diesen Leib nicht denken«). Die Vorstellungskraft der Bewegung an sich ist demnach etwas, was mit der Erfahrung der Bewegung verknüpft ist. Imagination von Bewegung ohne das Gefühl der Nachvollziehbarkeit von Bewegung ist also schwierig und nicht leicht quantifizierbar, ein »nicht quantifizierbares Erleben«. Der Interviewte gibt in diesem Zusammenhang an, dass es nicht ausreiche, den Menschen auf sein Gehirn zu reduzieren, man müsse die situative Körperlichkeit mitsamt dem Erleben in die Betrachtung integrieren. In dieser Analogie könnte es demnach schwierig sein, Gedanken zu reproduzieren, weil das Erleben in einem sozialen Kontext situativ, also in einer Raum-Zeit-Umwelt, vollzogen wird und täglich variieren kann. In diesem Zusammenhang gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass Leiblichkeit offensichtlich bei gesunden und physisch kranken PatientInnen eine unterschiedliche Rolle spielt, wie ein von mir befragter Doktorand andeutet: »Ich glaube einfach, dass für einen gesunden Patienten, also für einen Probanden, der dieses BCI-Training macht, und der Roboter bewegt die Hand, ist das irgendwie nicht so; es ist auch faszinierend, aber der Computer macht irgendetwas, was er selber tun könnte. Interessant ist das natürlich für einen Patienten, der das nicht kann. Die Frage
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ist jetzt, was man daraus für Schlüsse zieht. Eben habe ich gesagt: Okay, dann ist der kaputte Arm quasi nicht mehr so wichtig. Man könnte natürlich auch anders herum sagen: Okay, aber er wird wieder bewegt und deswegen ist es trotzdem wieder wichtig für den Patienten.« (HiWi034-DrMed: Abs. 140)
Letztendlich heißt das nichts anderes, als dass das Forschungssubjekt die biomechanisch ausgeführte Handlung im Vollzugsgeschehen anders wahrnehmen müsste als ein/e Gesunde/r, weil es eine Bewegung ist, die das Forschungssubjekt selbst nicht mehr ausüben kann (vgl. dazu auch Merleau-Ponty 1974). Folgt man Merleau-Ponty (1974), dann ist für die Bewegungsausführung der Leib verantwortlich. Bewegungsanweisungen haben aus dieser Perspektive jedoch für PatientInnen mit körperlicher Beeinträchtigung keine motorische, sondern eine »intellektuelle Bedeutung« (ebd. 136).44 Allerdings gibt es im Vollzug der Bewegungsaktivität eine weitere Komponente: die Maschine. Das Biomechanische bzw. das Maschinenhafte fließt in einem iterativen Prozess in das Erleben des Forschungssubjekts ein. Dies geschieht im Zuge seiner Beobachtung und Erfahrung in Bezug auf seine zerebral gesteuerte biomechanische Handöffnung und zwar dergestalt, dass diese, in sozio-technischer Konstellation erfolgte, Öffnung Einfluss auf die Struktur der Selbsterfahrung und -reflexion des Forschungssubjekts haben muss. Oder anders ausgedrückt: Ein Subjekt denkt und aktiviert damit die Maschine, sodass diese seine Hand öffnet – was nichts anderes bedeutet, als dass die Maschine als Zwischeninstanz das verbindende Element des Biologischen und Technischen darstellt und die bio-technische Ausführung, die sowohl körperlich als auch biomechanisch ist, als iterative Erfahrung in die Leiblichkeit einfließt. Eigentlich ist diese Ausführung jedoch eine techno-zerebrale Handlung, bei der die Steuerung der Maschine über die zerebralen Zustände reguliert wird. Die Integration der Maschinenbewegung in die Leiblichkeit gelangt dabei durch die unbekannte Variable »Erfahrung« in die Vorstellungskraft hinein, die 4 4 | Merleau-Ponty (1974) beschreibt beispielsweise, dass »der Kranke über seinen Körper nur als eine amorphe Masse [verfügt, MŞ], die erst in aktuellen Bewegungen sich verteilt und artikuliert. Für die Ausführung der Bewegung verläßt er sich ganz auf den Leib (…). [D]ie Anweisung hat für ihn nur intellektuelle Bedeutung, keine motorische Bedeutung, für ihn als Bewegungssubjekt ist sie nicht sprechend; wohl kann er in der Spur einer ausgeführten Bewegung des Bild der gegebenen Anweisung erkennen, doch nie einen Bewegungsgedanken entfalten zu aktueller Bewegung.« (Ebd.: 136). Wenn man die Situation des Forschungssubjekts betrachtet, wird durch das BCI eine Zwischeninstanz, eine Instanz zwischen dem Leib und dem Körper, eingeschaltet: die Maschine. An dieser Stelle kann ich nur aus meiner Erfahrung berichten, dass ich beim NeurofeedbackTraining mit dem Roboter das Gefühl hatte, von meiner Hand losgelöst zu agieren und tatsächlich den Roboter über mein Gehirn zu steuern. Ich hatte das Gefühl, dass mein Denken und Handeln gespalten war. Das Körperempfinden dabei war sehr befremdlich.
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mit »trainiert« wird. Das Thema der Imagination wird im Laufe der Studie immer wieder angesprochen und stellt eine Besonderheit dar: Prof999-DrMed (Während eines Vortrags eines Doktoranden zur aktuellen Studie): »Would you say imagination to move or imagination of movement?« Doktorand: »That’s difficult to say.« Prof999-DrMed erklärt, dass es jetzt immer mehr Literatur zu Imagination gäbe. Man trainiere z.B. PatientInnen zum Teil nur durch die Vorstellungskraft. Die Frage sei, so der Professor: »How do we move passively muscles without EMG activity?« Die Frage wird nicht beantwortet. Der Vortrag geht weiter. (P48: Abs. 160-163)
Zunächst wird während des Vortrags also die Frage aufgeworfen, ob von der Vorstellung sich oder etwas zu bewegen oder von der Vorstellung einer Bewegung gesprochen werden sollte. Danach herrscht Schweigen. Der Neurochirurg, der die Frage aufgeworfen hatte, fährt daraufhin mit einer weiteren Frage fort, die für die Versuche im Labor entscheidend ist: die Frage nach der passiven Muskelbewegung. Sie ist ein Anhaltspunkt darauf, dass das Interesse in den Versuchen mit SchlaganfallpatientInnen zunächst ausschließlich auf den neurophysiologischen Prozessen liegt, sodass zerebrale Zustände fokussiert werden. »Without EMG-activity« soll heißen, dass die Muskeln während der Vorstellung der Verhaltensaktivität nicht angeregt werden sollen. Auch hier wird deutlich, dass die Vorstellung einer Verhaltensaktivität nicht dazu führen soll, die Muskeln aktiv zu bewegen. Es soll also (vorerst) zu keiner körperhaften Bewegungsaktivität der gelähmten Extremitäten kommen, sondern die Vorstellung solle »passively« oder diskret stattfinden – also über das Gehirn.45 Letztendlich wird hier die diskrete Verhaltensaktivität, also die Imagination einer motorischen Aktivität, noch einmal unterteilt. Die Imagination einer Bewegungsaktivität kann zum einen potentiell zu einer tatsächlichen (unbeabsichtigten) Körperbewegung (körperhafte Verhaltensaktivität)46 führen, aber es kann zum anderen auch lediglich bei einer diskreten Verhaltensaktivität (zerebral) ohne körperhafte Bewegungsaktivität47 bleiben. Mit Letzterem ist gemeint, dass 4 5 | Ich möchte hier deutlich machen, dass es nicht um die Unterscheidung von bewussten oder unbewussten Vorstellungsleistungen geht, sondern um Vorstellungsleistungen der Motorik, die losgelöst von der tatsächlichen Motorik sind. Es betrifft also eine intellektuelle und keine tatsächlich motorische Leistung. Das verstehe ich unter einer diskreten Vorstellung. 4 6 | Mit körperhafter Verhaltensaktivität ist explizit eine »imaginierte« Bewegungsaktivität gemeint, die z.B. im Falle der von mir teilnehmend beobachteten Studien zu unbeabsichtigten Muskelbewegungen führt. 47 | Im Gegensatz zur körperhaften Verhaltensaktivität stellt die körperhafte Bewegungsaktivität eine »beabsichtigte« motorische Bewegung dar, wie sie im Alltag vorkommt (z.B. beim Greifen eines Bechers).
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PatientInnen sich zwar eine Bewegung vorstellen, es jedoch durch die Vorstellung nicht zu einer Aktivierung der Muskeln kommt (diskrete Verhaltensaktivität). Die körperhafte Bewegungsaktivität ist für das Experiment unvorteilhaft (vgl. Kapitel 6.3.2.3). Die Vorstellung, die hier explizit gewünscht ist, soll keine körperhafte, sondern eine diskrete Verhaltensaktivität sein.48 Die Vermutung liegt also nahe, dass NeurowissenschaftlerInnen im Begriff sind, die zerebralen Zustände zunächst zu isolieren und somit die bloße Körpererfahrung49 von der körperhaften Bewegungsaktivität loszulösen. Durch die Loslösung der körperhaften Verhaltensaktivität von der diskreten Verhaltensaktivität wird hauptsächlich, so die Absicht der NeurowissenschaftlerInnen, die zerebrale motorische Aktivität an die Maschine delegiert. Dieser Delegationsprozess vollzieht sich, neurophysiologisch induziert und technisch vermittelt, über diverse Intra-Aktionen von Soft- und Hardware. Es ist also auch anhand dieses Beispiels naheliegend, zu vermuten, dass dadurch auch die Struktur der Selbsterfahrung und -reflexivität des Forschungssubjekts verändert wird. In jedem Fall findet, folgt man den Gedanken von Reckwitz (2008: 138f.), ein Subjektivierungseffekt statt. Denn über die Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen werden zerebrale Forschungssubjekte mit dem Roboter verknüpft, sodass sie techno-zerebral agieren. Die NeurowissenschaftlerInnen fokussieren für die Heilversuche die Herstellung der geforderten Imagination durch das Gehirn des Forschungssubjekts. Hier wird wieder ein Moment der Subjektivation deutlich: Da die zerebralen Zustände des Forschungssubjekts für die NeurowissenschaftlerInnen entscheidend sind, wird das Forschungssubjekt als zerebrales Subjekt betrachtet, wie es Hagner (1997) beschrieben hat, wobei das Subjekt in dieser Perspektive über seine neuronalen Zustände agiert, wenn es die Aufgabenstellung abarbeitet. Das Handlungsprogramm der Orthesensteuerung wird demnach techno-zerebral ausgeführt. Im Vordergrund steht die Aktivierung der motorischen Areale, stehen also die EEG-Aktivitäten, die Muskel- bzw. EMG-Aktivitäten hingegen sind zunächst belanglos. Denn es geht hier, wie ich bereits ausgeführt habe, nicht (mehr) um die tatsächlich ausgeführte Bewegung durch den Leib, sondern darum, dass die Bewegung im Gehirn imaginiert wird, dass also die diskreten neurophysiologischen Elemente aktiviert werden. Unter diskreten Vorstellungsleistungen (der Motorik) verstehe ich Vorstellungen, die losgelöst von der tatsächlichen Motorik sind. Gemeint ist also eine »intellektuelle« und keine tatsächliche motorische Leistung (vgl. dazu auch 48 | Wie schwer das sein kann, können Sie selbst testen, indem Sie auf ihren Finger
schauen und sich vorstellen, wie er sich z.B. nach oben und unten bewegt. Wenn Sie dies 45 Minuten lang machen, dann können Sie möglicherweise verstehen, wie schwierig es ist, den Finger dabei still zu halten, sodass es keinerlei Muskelkontraktionen gibt. 49 | Mit bloßer Körpererfahrung meine ich diejenige, die nicht mithilfe der Biomechanik getätigt wird.
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Merleau-Ponty 1974: Kapitel III). Unter einer körperhaften Bewegungsvorstellung verstehe ich dabei jene Vorstellung, die die tatsächliche Bewegung aktiviert.50 Die verschiedenen Zustände – die Vorbereitung auf die Aktivität, die körperhafte Bewegungsvorstellung bzw. die diskrete Vorstellung einer Aktivität (diskrete Verhaltensaktivität) sowie das Entspannen – bleiben jedoch vage. Hier wird das Forschungssubjekt zwar in der Art als zerebrales Subjekt betrachtet, wie Hager (1997) es beschreibt, und es werden sein Gehirn sowie verschiedene Vorstellungsleistungen fokussiert. Allerdings schwingt die Bedeutung des Subjekts und seiner Leiberfahrung implizit mit. Das heißt, ohne die Mitwirkung des Forschungssubjekts ist kein für die NeurowissenschaftlerInnen vorteilhafter Zugang zum Gehirn möglich. Der Körper des Forschungssubjekts ermöglicht also NeurowissenschaftlerInnen den Zugang zum und die Gewinnung von Informationen über das epistemische Objekt Gehirn, und zwar über bestimmte neurowissenschaftliche Verfahren und Techniken. Daher stellt das Forschungssubjekt auch ein ›epistemisches Medium‘‘51 dar. Gewissermaßen geht es also darum, dass das Forschungssubjekt sein Gehirn in einen Zustand versetzt, der spezifische Lokalisationen bestimmter zerebraler Prozesse studierbar macht, wobei diese wiederum (software)technisch ausgelesen und weiter verarbeitet werden. Die oben zitierte Aussage des Philosophieprofessors und Neuroethikers, dass NeurowissenschaftlerInnen sehr fokussiert auf das Gehirn einwirken und sich in der Therapie verlieren könnten, sodass sie den Menschen nicht mehr im Gesamten betrachten würden (vgl. Prof014-GW: Abs. 132), trifft hier also insofern zu, als durch die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften versucht wird, Signale der Hirnwellen für die Aufgabe »rein« zu halten bzw. zu isolieren. Da keine Bewegungsaktivitäten durchgeführt und im EMG angezeigt werden sollen, fokussieren sich die Forschenden auf zerebrale Vorgänge, die in den Inskriptionsvorrichtungen visualisiert werden. Dabei sollen nur neuronale Expressivitäten aktiviert/sichtbar werden, keine bewegungstechnischen. Die beabsichtigte und realisierte Isolation der zerebralen Prozesse stellt eine Spaltung zwischen dem Denken (der Imagination) und dem Eigenhandeln (der tatsächlichen Verhaltensaktivität, ohne das Zutun von Biomechanik) im soziobio-technischen Anpassungsprozess dar. Sozio, weil das Forschungssubjekt in einem cerebrozentrischen sozio-technischen Arrangement des Experimentalsystems der Neuro-Welt integriert und dort in verschiedene Interaktionsprozesse 5 0 | Mir ist klar, dass wir täglich Millionen von Bewegungen eher unbewusst und routiniert ausführen. Hier geht es jedoch ausschließlich um SchlaganfallpatientInnen, die sich die Bewegungen bewusst vorstellen müssen, damit sie, falls sie über restliche motorische Funktionen verfügen, diese auch aktivieren können. 51 | Ich hatte diese Wortkreation bereits im Kapitel 3.4.1 gebildet. Und zwar in Anlehnung an Strauss’ (1993) Blick auf den Körper als Medium (der sich dabei auf MerleauPonty bezog) und Knorr Cetinas Ausführungen zum epistemischen Subjekt.
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involviert ist. Und bio-technisch, weil der Bewegungsvollzug über neurophysiologische Prozesse induziert und, technisch vermittelt, biomechanisch durch den Roboter ausgeführt wird. Die »reine« individuelle Handlung eines Subjekts wird also durch die techno-zerebrale Handlung abgelöst. In dieser Versuchsanordnung spielt das Gehirn als epistemisches Objekt also die zentrale Rolle, da der Patient bzw. die Patientin als zerebrales Subjekt mit dem Körper52 als epistemisches Medium in die Anordnung integriert ist. Dies ist nichts anderes als die von Reckwitz (2008: 138) dargestellte »Praxis-/Artefaktkonstellation«, über die eine Subjektivation stattfindet, wobei es sich hier um die Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts handelt. Denn das Forschungssubjekt befindet sich im BMI-System, und dabei mit all den dazugehörigen Inskriptionsvorrichtungen und Übersetzungsketten in einer Befehlsschleife, in der zerebrale Zustände und Technik maßgeblich für die Bewegungsausübung der gelähmten Hand »zuständig« sind. Die Befehlsabfolge ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass neuronale Zustände und Technik in einer prozessualen Wechselwirkung (vgl. dazu Schmitz 2010) zueinander stehen. In diesem Zusammenhang gibt Prof014-GW jedoch zurecht zu bedenken, dass in neurowissenschaftlichen Studien die Betrachtung des Gehirns ohne die Berücksichtigung der »Körper bzw. Leiberfahrung« ein reduktionistisches Bild des Menschen darstellt. »[Es, MŞ] ist GANZ wichtig zu sagen, jedem, der diese personalen Eigenschaften, die also Verantwortungsfähigkeit, Selbstbewusstsein, Bewusstsein und so MINDESTENS umfassen, dass dabei die sozusagen einfach die Verfassung und die Leiblichkeit NUR mit dazu gedacht werden. Das ist, was ich sozusagen selbst (…) gestalten [kann, MŞ] als Mensch, sodass man sagen kann: Eine Fokussierung auf eine ausgefallene (…) Hirnfunktion oder ein Defekt oder so verhindert (…), dieser Cerebro-Zentrismus verhindert sozusagen so einen Gedanken (…) Es gibt nach Merleau-Ponty (…) so ein Körper-Schema oder also ein Intervall, wie man seinen Körper selbst gern identifiziert. Dass das sozusagen auch eine Rolle spielen sollte bei derartigen Entscheidungen, ne? Dass (…) [es, MŞ] möglicherweise berechtigt ist, zu sagen: Der ist in diesem kranken Körper eben glücklicher mit sich selbst, als wenn einem irgendwie sonst noch- Also das finde ich eine vernünftige Perspektive.« (Prof014-GW: Abs. 271)
Insofern Neurowissenschaften sich auf ausgefallene Hirnfunktionen fokussieren, versteht der Befragte dies als reduktionistisches Bild, welches dem Cerebro-Zentrismus entspricht, dem auch Hagners Figur des zerebralen Subjekts zugeordnet wird. Prof014-GW macht in diesem Zusammenhang eine Anspielung darauf, dass eine cerebro-zentristische Perspektive der Neurowissenschaften den Gedanken der Leiblichkeit (Merleau-Ponty 1974), die neu gemachten Erfahrungen 52 | Auf die Bedeutung des Körpers komme ich im Kapitel 7 zurück.
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mit dem kranken Körper als »neue Leiblichkeit« und dadurch möglicherweise auch den Einfluss dieser neuen Leiblichkeit auf die Vorstellungskraft ausschließt. M. E. ist seine Argumentation schlüssig. Denn der Cerebro-Zentrismus ist ein cartesianisches Weltbild, welches den Menschen auf seine zerebralen Funktionen »reduziert«. In Analogie dazu werden zerebrale Zustände des Forschungssubjekts in den neurowissenschaftlich-klinischen Studien entscheidend, was auch in der vorliegenden Studie der Fall ist. Ähnlich argumentiert Hagner mit der Figur des zerebralen Subjekts.53 Zusammengefasst bedeutet dies, dass das Forschungssubjekt in einem Experimentalsystem interagiert, innerhalb dessen seine Gedanken von seiner körpereigenen tatsächlichen Bewegung isoliert werden und innerhalb dessen die Bewegungsausführung an die Maschine zerebral, also durch das Gehirn, delegiert wird, was der (in Anlehnung an die Phase der) Delegation bei Latour (2006c) entspricht. Durch die zerebrale Delegation der Bewegungsaktivität an die Maschine wird das Maschinenhafte in den Versuchshandlungen habitualisiert54 und die körperliche bzw. körpereigene Handlung wird zu einer techno-zerebralen Handlung. Diesen Prozess nenne ich Integration des Maschinenhaften in die Leiblichkeit. Da dieser Prozess eine Konsequenz der Mensch-Maschine-Anpassung darstellt, möchte ich diesen nun anhand einer Krankheits-/Heilversuchs-Verlaufskurve von SchlaganfallpatientInnen, die an der neurowissenschaftlich klinischen Studie teilgenommen haben, skizzieren: Vor dem Schlaganfall gibt es, so der allgemeine Erkenntnisstand in den Neurowissenschaften, eine Korrelation zwischen der Aktivität des motorischen Areals und der Bewegungsaktivität der Hand. Nach dem Schlaganfall gibt es Funktionsstörungen im motorischen Areal. Bei der Bewegungsvorstellung der gelähmten (linken) Hand können durchaus motorische Areale aktiv sein, die linke Hand jedoch bleibt regungslos. Der kranke Körper hat zwar die »intellektuelle Kapazität« der Bewegungsvorstellung, ihre Umsetzung in die körperliche Bewegungsausübung ist jedoch 5 3 | Diese Denkart des Gehirns ohne Körper- bzw. Leiberfahrung erinnert an das »brain
in a vat«- bzw. das »Gehirn im Tank«-Gedankenexperiment von Putnam (1981), das ein Gehirn im Tank zeigt, welches mit einem Computer verkabelt ist. Dabei entspricht die Vorstellung, die das Gehirn im Tank hat (z.B. »Ich bin ein Mensch.«), nicht der Realität, da es sich in Wirklichkeit nicht um einen Menschen, sondern allein um ein Gehirn im Tank handelt. 5 4 | In den von mir beobachteten Heilversuchen an SchlaganfallpatientInnen ist diese Phase augenscheinlich auf den Zeitraum der Versuche begrenzt. Bei einer dauerhaften Nutzung von Neurotechniken, z.B. bei der Nutzung neuronaler Implantate durch ParkinsonpatientInnen, müsste sich der Habitualisierungseffekt noch deutlicher zeigen. Wie genau, müsste jedoch überprüft werden.
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gestört und somit auch ihre Korrelation mit den motorischen Arealen. Durch das EEG werden die Bewegungsvorstellungen transformiert und die Gehirnaktivität wird sichtbar. Die Digitalisierung ermöglicht die Weiterverarbeitung der Vorstellungen in Echtzeit. Aus den EEG-Signalen des Forschungssubjekts (also des zerebralen Subjekts) wird in Verbindung mit dem Roboter ein BMI-System hergestellt. Durch die von den NeurowissenschaftlerInnen isolierten und klassifizierten zerebralen Prozesse werden dann Befehle generiert, und die Öffnung der Hand wird somit an die Orthese delegiert. Durch die biomechanisch-körperliche Öffnung der Hand mittels der Orthese wird die Bewegungsaktivität des Forschungssubjekts biomechanisch simuliert. Diese biomechanisch-körperliche Öffnung der Hand fließt jedoch, trotz des Simulationscharakters, in die Körpererfahrung des Forschungssubjekts ein. Das Forschungssubjekt lernt, seine Gedanken nach der geforderten Aufgabenstellung zu steuern, wobei die Steuerung maßgeblich von dem Feedback der Roboterorthese abhängt. Denn die Öffnung und Schließung der Roboterorthese dient dem Forschungssubjekt dazu, sich zu orientieren bzw. seine Gedanken an die biomechanisch ausgeübte Öffnung der Hand anzupassen. Gemeinsam ermöglichen das zerebrale Subjekt mit seinem Körper als epistemisches Medium und die durch zerebrale Prozesse angesteuerte und bewegte Orthese die techno-zerebrale Handlung. Die Isolation der zerebralen Prozesse jedoch gestaltet sich etwas schwierig, weil es, wie ich bereits erörtert habe, keine eindeutigen Anweisungen gibt, was sich die PatientInnen bei der dreiteiligen Aufgabenstellung konkret vorstellen sollen. Ich werde im Folgenden zunächst auf diese Problematiken eingehen, insbesondere auf die Problematik der Fehlsteuerung und dabei besonders auf jene, die sowohl aus biologischen als auch aus (software)technischen Destabilisierungen resultieren. Denn die Qualität des Zusammenwirkens von Biologischem und Technischem zeigt sich im Hinblick auf das Neurofeedback in der simultanen Steuerung neuronaler Zustände und der Maschinensteuerung – also in der zeitlich synchronen Abstimmung beider HandlungsträgerInnen: Mensch und Maschine. Dann werde ich nochmal auf das zuvor Dargestellte zurückkommen. 6.3.2.5 Die Fehlsteuerung und Stabilisierungsmaßnahmen der Mensch-Maschine-Synchronisation
Für NeurowissenschaftlerInnen ist nicht nur entscheidend, dass die drei verschiedenen zerebralen Zustände des Forschungssubjekts eindeutig identifizierbar sind, damit das Neurofeedback-Training funktioniert. Es ist auch der FeedbackMechanismus selbst entscheidend für die Mensch-Maschine-Koordination. Allerdings entspricht der Feedback-Mechanismus zu Beginn der Studie nicht den Erwartungen der NeurowissenschaftlerInnen. Manchmal erfolgt nach dem »LOS« eine ganz kurze Synchronisation der motorischen Areale seitens der PatientInnen, sodass nach ein paar Millisekunden eine Synchronisations-
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phase während der geplanten Desynchronisationsphase stattfindet. Vereinfacht gesprochen: Das Forschungssubjekt hat lediglich zu Beginn der Befehlsphase, die insgesamt sechs Sekunden dauert, vielleicht eine Millisekunde lang an »das Richtige« gedacht und danach nicht mehr – obwohl die NeurowissenschaftlerInnen möchten, dass die Forschungssubjekte die ganzen sechs Sekunden hinweg an diesem Gedanken festhalten, der die motorischen Areale die ganze Zeit in Aktion bringt/hält. Doch obwohl das nicht passiert, werden die Fingerschlitten trotzdem ausgefahren, weil zum Zeitpunkt des Befehlsbeginns ein richtiger Wert an das BCI-Programm übergeben und von dem an das Roboterprogramm weiter geleitet wurde, das BCI-Programm aber nach dem Zeitpunkt des Befehlsbeginns nicht mehr überprüft, ob der Wert wirklich sechs Sekunden lang unter 1 liegt. Die Folge ist, dass der Feedback-Mechanismus ebenfalls nicht simultan zur tatsächlichen neuronalen Aktivität des Forschungssubjekts läuft. Die Problematik wird von den NeurowissenschaftlerInnen erkannt und zu beheben versucht. So diskutiert WiMi018-DrMed mit WiMi017-DrMed darüber, dass die Orthese ein falsches Feedback sendet. Sie beratschlagen sich mit WiMi021-BioIuT, dem Bioinformatiker. Dieser soll das Programm der Orthese so modifizieren, dass die Orthese stoppt, wenn (vereinfacht gesprochen) der Patient bzw. die Patientin nicht mehr an die Öffnung der Hand denkt. Es gilt, die offensichtliche Destabilisierung der Koordination bzw. des Zusammenwirkens von Mensch und Maschine durch Stabilisierung zu beheben. Denn die neuronalen Zustände des Forschungssubjekts sollen synchron zu der biomechanischen Öffnung der Hand erfolgen, ein Prozess, den ich Mensch-Maschine-Synchronisation nenne. In dem oben geschilderten Fall der asynchron vollzogenen neuronalen Steuerung der Orthesenöffnung gelingt dies nicht, was laut WiMi018-DrMed dazu führt, dass den betroffenen PatientInnen so nicht richtig geholfen wird. Um den Bedarfen der PatientInnen besser gerecht zu werden, um also das Problem zu beheben, diskutieren die NeurowissenschaftlerInnen in diesem Zusammenhang, wann genau der/die PatientIn die Orthese ansteuert. WiMi018-DrMed versucht, den Grund der Fehlsteuerung damit zu begründen, dass das BCI bei manchen PatientInnen per se nicht klappen würde. Das beträfe ca. 10 % der Bevölkerung. Ich werde diese Aussagen auf den folgenden Seiten noch mit Zitaten untermauern. Hier jedoch reicht mir die Feststellung, dass es bisher nicht zu einer Problemlösung kam. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Maschinensteuerung durch die Vorstellung der PatientInnen also weder synchron, noch zirkulär. Erst durch die spätere Umprogrammierung werden die Synchronität und die Zirkularität wesentliche Merkmale der Mensch-Maschine-Anpassung. Ich will zur Erklärung der »Gedanken(fehl)steuerung« und zur Veranschaulichung der noch nicht vorliegenden Zirkularität kurz das Beispiel des Manövrierens eines Schiffes verwenden, wobei ich mich dabei bei Foerster & Pörksen (2008: 107f.) bediene: Die Maschinensteuerung ist – entsprechend dem Beispiel des Steuerns eines Schiffes – bis zu diesem Zeitpunkt so, dass der Steuermann/
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die Steuerfrau das Steuer kurz berührt bzw. berühren muss, und das Schiff fährt, ohne dass die Hand am Steuer wäre, dann allein weiter. Dabei weiß niemand, wohin das Schiff fährt, da es kein »richtiges« direktes Feedback gibt. Die Öffnung der Roboterorthese gleicht metaphorisch einem führerlosen Schiff, das irgendwohin steuert. Die Fehlsteuerung ist den von mir beobachteten Neurowissenschaftlern, wie erwähnt, durchaus bewusst, denn sie diskutieren während der ersten Zeit der Studie häufig über diesen misslichen Umstand und suchen nach Problemlösungen. Zunächst unterhalten sie sich darüber, wie die Bioinformatiker einen guten »Threshold« programmieren könnten. Die Öffnung der Roboterorthese würde dann nur veranlasst, wenn der erforderliche Schwellenwert entsprechend der gewünschten neuronalen Aktivitäten im Motorcortex während der Befehlsphase durchgängig vorliegt: Ich sitze in einer Teambesprechung mit ca. zehn NeurowissenschaftlerInnen, darunter auch der Professor und Leiter des Teilprojekts. In dieser Besprechung geht es hauptsächlich um den Threshold, also um den Schwellenwert, der festlegt, bei welcher Intensität der Hirnaktivität die Orthese die Hand öffnen soll, und um den Lerneffekt der PatientInnen. Zu Bedenken wird gegeben, dass, wenn man den Threshold ändert, man die Daten nicht mehr richtig als Vergleichswert nutzen könne. Dem gegenüber steht jedoch der Lerneffekt der PatientInnen. Denn jetzt würde es so aussehen, dass die Orthese sich fast immer öffnet, auch wenn die PatientInnen an etwas völlig anderes denken. WiMi021-BioIuT und WiMi018-DrMed sagen mehrfach, dass das jetzige System bzw. das jetzige Feedback nicht gut sei. WiMi018-DrMed sagt, es handele sich hierbei um ein Neurofeedback. Der Professor fragt zwei Mal nach, wofür das denn nicht gut sei. Man müsse schon spezifizieren, was hier gut sei und wofür. Geantwortet wird, dass es für das Feedback nicht gut sei, dass der Patient/die Patientin das nicht gut kontrollieren könne, bzw. sie ihm kein gutes Feedback geben. Und auch für den Lerneffekt sei das nicht gut. WiMi018-DrMed sagt nochmals, dass das Neurofeedback ist. Man rede zwar hier immer von BCI, aber eigentlich sei das Neurofeedback. WiMi018-DrMed sagt, dass die Hand sich nicht gleichzeitig zur neuronalen Aktivität öffne. Nach einem langwierigen Hin und Her einigen sich die Beteiligten auf die Änderung des Schwellenwerts. (P29: Abs. 17)
Zunächst geht es in der angeführten Diskussion darum, den Threshold zu ändern, um den Lerneffekt der Forschungssubjekte zu erhöhen. Es wird seitens einiger NeurowissenschaftlerInnen zu bedenken gegeben, dass die zuvor erhobenen Daten dann nicht mehr vergleichbar seien. Nachdem die NeurowissenschaftlerInnen den Professor überzeugt haben, dass das Neurofeedback zurzeit
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kein gutes ist, weil es nicht simultan, also synchron zu den zerebralen Zuständen, ausgegeben wird, entscheiden die NeurowissenschaftlerInnen sich für die Änderung des Schwellenwerts. Dabei haben sie primär den gewünschten Lerneffekt für die PatientInnen im Fokus. Die richtige bzw. die zu den zerebralen Zuständen synchrone Widergabe des Feedbacks durch die sich bewegende Orthese stellt eine Bedingung für das Lernen der PatientInnen dar. Mit Lernen ist hier die Kulturtechnik der NeurowissenschaftlerInnen gemeint, die Gedanken zu steuern und an einem Gedanken festzuhalten, also die zerebrale Steuerung. Dabei kann die zerebrale Steuerung, so die Annahme der NeurowissenschaftlerInnen, nur dann adäquat erfüllt sein, wenn sich die Orthese zeitgleich, also synchron zu den zerebralen Zuständen, verhält. Denn es wird bemängelt, dass sich die Orthese öffnet, auch wenn der/die PatientIn an etwas völlig anderes denkt, dass die Steuerung also gar nicht richtig von den PatientInnen durchgeführt wird. Und genau dies steht hier bei den NeurowissenschaftlerInnen zur Diskussion: wie gewährleistet wird, dass das Forschungssubjekt lernt, das Steuern seiner Gedanken permanent bzw. synchron/simultan zur Orthesensteuerung zu übernehmen. Die bisherigen Parameter gewährleisten kein »gutes« Feedback, also keinen Lerneffekt. Der Lerneffekt kann, so die Annahme der NeurowissenschaftlerInnen (s.o.), nur etabliert werden, wenn die Kontrolle des zerebralen Zustands und somit die Selbstkontrolle hergestellt wird. Das Funktionieren der Selbstkontrolle wird mittels der Maschine an die PatientInnen (und die Forschenden) zurückgemeldet. Durch die Änderung des Schwellenwerts wollen die NeurowissenschaftlerInnen die zerebrale Steuerung der Roboterorthese so kontrollieren, dass sie simultan zur Aufrechterhaltung der Gedanken bzw. der neuronalen Aktivitäten im Motorcortex verläuft. Dadurch wird das Forschungssubjekt angehalten, die bewusste Kontrolle seiner Gedanken auszuüben und zwar widergespiegelt durch die biomechanisch-körperliche Öffnung und Schließung der Hand entsprechend der neuronalen Zustände. Wie Lindemann (2008: 95) schon vermutet, geht es hier also um das Erlernen einer Kulturtechnik der neuronalen Selbstkontrolle und -darstellung, die in diesem Beispiel durch die biomechanische Bewegung der Orthese ermöglicht und hergestellt werden soll. Da jedoch die von mir beobachteten SchlaganfallpatientInnen durch das Erlernen des Neurofeedbacks nicht insofern profitierten, als dass es zur Wiederherstellung der motorischen Funktionen beigetragen hätte, muss zumindest für die von mir beobachteten Studien in Frage gestellt werden, dass das Erlernen dieser Kulturtechnik für diese PatientInnengruppe mit einem für sie relevanten Mehrwert einhergeht. Einen Tag später beratschlagen sich die NeurowissenschaftlerInnen im Labor, wie sie diese Selbstkontrolle durch »gutes« Feedback ermöglichen und zu dem damit beabsichtigten Lerneffekt beitragen können.
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Es kommen WiMi021-BioIuT und ein mir unbekannter Bioinformatiker ins L1 und setzen sich zu WiMi018-DrMed. Es folgt eine kleine Team-Besprechung. 15:30 Uhr: Es gibt eine Diskussion über den Threshold und darüber, dass das Gerät direkt Feedback geben soll. Aber das direkte Feedback funktioniert noch nicht. WiMi018-DrMed: »Wenn wir eine Orthese hätten, die bei der Synchronisation stoppt während der Desynchronisation, dann wäre das super.« Die drei schauen sich die Daten an, die WiMi021-BioIuT mitgebracht hat. WiMi021-BioIuT: »Es ist doch wichtig, dass sie den Erfolg sehen, was sie da tun.« Es wird darüber diskutiert, dass die Orthese Feedback darüber geben muss, ob der Patient auch »richtig« denkt, bzw. ob er lange genug genau den Denkprozess des Öffnens der Hand ausführt. Nur über ein gutes Feedback über den Erfolg würde man auf lange Sicht eine erfolgreiche Trainingsmethode haben. WiMi018-DrMed erzählt, dass er frustriert sei, weil die Lernkurven bei allen Patienten schlechter geworden seien. Alle PatientInnen hätten nachgelassen, wären demotiviert. Pink045 würde ihn besonders nerven. Der würde gar nichts mehr tun. Die Orthese würde sich ja so oder so öffnen, daher würden die PatientInnen auch nichts mehr machen. Das wäre so die Arzt-Patienten-Beziehung. Die wäre für mich als Soziologin doch interessant. Pink045 würde WiMi018-DrMed besonders nerven, denn er habe gelernt, dass er nichts machen muss. Daraufhin folgt wieder eine Diskussion, dass der Threshold wichtig ist. WiMi018-DrMed: »WiMi021-BioIuT setzt beim Threshold eine Grenze. Aber ich verstehe, dass die Grenze sinnlos ist, wenn sie von Tag zu Tag anders ist. (…) Also bei Grün044 liegt die Grenze bei ca. 0,15 und bei Weiss046 liegt sie bei….- Auch die war am Anfang besser, ja? Das ist ja das Tragische.« WiMi017-DrMed: »Was ist mit den Kraftdaten?« WiMi018-DrMed: »Die können wir nicht gebrauchen. (…) Und wir wollen ja BCI machen. Wir wollen das von oben steuern. Unser größtes Problem ist, dass wir kein konsistentes Feedback geben. (…) Ich habe das ja mal so gemacht, dass ich die Orthese ausgeschaltet habe bei Pink045.« WiMi021-BioIuT: »Und was hat er gemacht?« WiMi018-DrMed: »Der hat so viel angespannt, dass es nur Artefakte gab.« Alle lachen. (P30: 149-162)
Nachdem das Ändern der Parameter beschlossen ist, wird weiter diskutiert: WiMi018-DrMed sagt, dass die Festlegung des Schwellenwerts letztendlich der Professor entscheidet. WiMi018-DrMed: »Gut, dann machen wir das morgen so. Ich schaue mir an, wie die Jungs das anstellen. Und du hast gesagt, du hast das schon fertig, den Algorithmus. Also wenn wir uns für den entscheiden, dann können wir das auch einspielen (…) Die BCIPerformance basiert ja auf der Orthesenbewegung. Die zeigt ja, wann bewegt sie sich. […]«
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WiMi018-DrMed sagt, dass es ein Problem mit dem Algorithmus gäbe. Es sei bei ihren Versuchen vollkommen sinnlos, aufgrund der Tatsache, wie die Orthese funktioniere: »Sie startet bei 90 % der Fälle. Das hat sie beim ersten Tag gemacht und das macht sie auch am letzten Tag.« Es folgt eine Diskussion darüber, wie man die Orthesensteuerung ändern könnte. WiMi018-DrMed: »Also das, was ich beobachte, wenn ich den Patienten zuschaue, ist, dass die am Anfang sehr schön desynchronisieren, ja, aber sobald die am Ende sind, geht es wieder hoch.« Er erklärt, dass die Patienten die Desynchronisation nicht aufrechterhalten könnten. Wenn er da sei, und den Patienten sagen würde, sie sollen die Hand weiter öffnen, dann würde das klappen. Die Desynchronisation würde dann wieder eintreten. WiMi018-DrMed zu WiMi021-BioIuT: »Wenn du diese Dinge gemacht hast, dann hast du ja 0, Feedback = 0 und Gegen-Feedback = 1 gemacht. (…) Dass du das zum Beispiel unterscheidest, einfach die Sache ausbildest, initiation of the movement und hold of the movement. Vielleicht macht das ja dann mehr Sinn.« Er sagt, dass man so wie die Orthese jetzt funktioniere den Bewegungszeitpunkt einfach kürzer machen müsse. Sechs Sekunden würden keinen Sinn machen, weil die Patienten nach drei Sekunden abschalten würden. (…) WiMi018-DrMed fragt, wie er den Algorithmus ändern solle, ob er einfach den Wert eingeben solle. WiMi021-BioIuT erklärt ihm, wo er im BCI2000 Programm den neuen Wert angeben muss. Dann schauen sie sich noch EEG-Stimulationsdaten an. (P30: 168-171, 174-182, 185ff.)
Die Neurowissenschaftler diskutieren zunächst darüber, dass ein direktes Feedback durch die Roboterorthese gewünscht ist. Ein solches Feedback bedeutet jedoch, dass die Fingerschlitten in der Phase des Los-Befehls bei der Synchronisation neuronaler Aktivitäten im Motorcortex stoppen und bei der Desynchronisation neuronaler Aktivitäten im Motorcortex ausfahren. Hier ist das erforderlich, was die Neurowissenschaftler als »richtiges Denken« bezeichnen. Die nicht zufriedenstellenden Ergebnisse (»schlechte Lernkurven«) weisen jedoch darauf hin, dass sich die Orthese zwar zu Beginn der Durchläufe immer öffnet, sich aber die Performanz der PatientInnen verschlechtert hat. Sie seien nicht mehr so motiviert, was der Neurowissenschaftler darauf zurückführt, dass die PatientInnen nicht mehr aktiv sein müssten, weil sich die Orthese in 90 % der Fälle sowieso öffnen würde. Die PatientInnen würden so nur eine zu kurze Zeit an die Öffnung denken und danach nicht mehr. Weil sie merken würden, dass sie gedanklich nicht besonders aktiv zu sein brauchen, um die Orthese zu öffnen, würde ihre Motivation, durchgehend während der gesamten Los-Phase an dem Gedanken der Öffnung festzuhalten, nachlassen. Die Delegation der Öffnung der Hand an die Robotherorthese wird dadurch mit der Zeit wirkungslos. WiMi018-DrMed
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schließt daraus, dass er die PatientInnen aktiv motivieren muss, damit sich das Bild der De‑/Synchronisation »bessert«, also ein erwünschtes Bild ergibt. Die »Kraftdaten«, also die Daten der aktiven Muskelbewegungen, sind bei der Aufgabenausführung irrelevant, denn es geht allein um die Gedanken, das Gehirn. Dass allerdings der bloße Gedanke an eine Verhaltensaktivität und nicht die tatsächlich körperlich sichtbare Verhaltensaktivität erwünscht ist, ist erneut ein Ausdruck für die zerebrale Regulierung der Körperlichkeit des Forschungssubjekts. Das Gehirn ist demnach der Hauptakteur der leiblichen Existenz. Dadurch, dass der Körper in seinen Teilen beeinträchtigt ist und somit auch in Teilen keine vollständige agentative Eigenschaft55 besitzt, wirkt das Gehirn in der Rolle eines Agenten auf die »Mensch-Maschine-Interaktivität« (Hand/Roboterorthese). Mensch und Maschine werden so zu einer gemeinsam ausführenden Einheit und zwar in einem Moment der Spaltung zwischen dem Denken (der Imagination) und dem Handeln (der tatsächlichen Verhaltensaktivität) im soziobio-technischen Anpassungsprozess. Die Integration des Maschinenhaften in die Leiblichkeit in der neurowissenschaftlichen Studie bedeutet demnach ein neues technikvermitteltes Körpererfahren, denn sowohl biologische als auch technische Elemente »sorgen« mittels Übersetzungsketten für die Öffnung und Schließung der Hand. Dass die Kraftdaten für WiMi018-DrMed nicht entscheidend sind, deutet daraufhin, dass der PatientInnenkörper und insbesondere die Muskelmesspunkte an Relevanz verlieren. Der Körper rückt also in den Hintergrund und wird größtenteils durch die Maschine »ersetzt«, wie es ein Interviewpartner auch klar ausdrückt: »Also, wenn das Gehirn die Ursache ist und die Intention hat und der Computer die Intention ausführt, ist natürlich der kaputte Körper eigentlich nicht mehr entscheidend. Er wird zwar bewegt und so und das ist vielleicht auch sinnvoll, aber wenn man sich bewusst ist, dass der Computer oder der Roboter die Bewegung macht, ist natürlich der Körper, der nicht funktioniert, nicht mehr wichtig.« (HiWi034-DrMed: Abs. 136)
Derselbe Interviewpartner gibt im späteren Interviewverlauf auch detaillierter an, dass die Maschine im Grunde »ein Ersatz für Nervenbahnen oder den Körper« sei: »[D]er [Körper, MŞ] ist einfach Teil dieses ganzen Roboter-Maschinen-Komplexes, wo das EEG mit hineinfällt, also die Gehirn-Signale abzulesen und die Hand [zu, MŞ] bewegen. Ich glaube, da besteht kein, also, für mich besteht da kein Unterschied. Das ist eine Maschine und die liest ab, der kriegt diesen Input und gibt den Output, Bewegung.
55 | Hier ist diejenige agentative Eigenschaft gemeint, die Strauss (1993:110) noch dem
Körper zugesprochen hat.
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Das ist quasi ein Ersatz für Nervenbahnen oder für den Körper.« (HiWi034-DrMed: Abs. 168)
Damit weist er zurecht darauf hin, dass das Gehirn zwar Teil des Körpers ist, dass verloren gegangene Verbindungen zwischen dem Gehirn einerseits und motorischen Funktionen wie die für Bewegungen notwendigen Körperfunktionen andererseits jedoch durch die Maschine ersetzt werden. Es kommt, wie ich bereits herausgearbeitet habe, darauf an, dass das Körperteil »Hand« des Forschungssubjekts mittels Gedankensteuerung durch die Fingerschlitten bewegt wird. Die aktiven Muskelkontraktionen des Fleisches sind sekundär, die neuronalen Aktivitäten des Motorcortexes werden zum Hauptschauplatz (später wird sogar durch sie die ECoG-Stimulation der PatientInnen fast unwichtig). Gleichsam wird nicht der Körper, sondern der Leib angesprochen, wobei der körperliche Wirklichkeitsbezug des Forschungssubjekts über die Maschine vermittelt wird – und zwar dann, wenn das Forschungssubjekt selbstreferenziell einen Gedanken produziert, der die neuronale Aktivität im Motorcortex steuert, die dann nach diversen Übersetzungsketten durch die Recheneinheit überprüft und als mechatronisches Feedback zurück gegeben wird. Das ist der Prozess der Integration des Maschinenhaften in die Leiblichkeit, in der sich das techno-zerebrale Subjekt durch Iterationen in den Versuchsanordnungen herausbildet. Die Änderung der Klassifikatoren zu neuen Parametern erfolgt über eine neue Lokalisationsphase. Danach erfolgt die erneute Fixierung und Stabilisierung neuronaler Aktivitäten des Motorcortexes entsprechend den Ausführungen des Screenings (vgl. Kapitel 6.3.1). Die Änderungen stellen handlungstechnische Wandlungen dar, die die Mensch-Maschine-Symbiose betreffen und sich sozio-technisch konstellieren. Die Umprogrammierung stellt eine Strategie zur Bewältigung des Problems dar, dass die Öffnung der Orthese fälschlicherweise (da nicht synchron zum »richtigen« Gedanken) während der Synchronisation neuronaler Aktivitäten im Motorcortex veranlasst wird. Ich werde im nächsten Kapitel genauer auf die oben geschilderten Beobachtungen hinsichtlich der Folgen der Umprogrammierung eingehen, da sie für die Konstitution der Mensch-Maschine-Symbiose, welche eine bestimmte Form der Mensch-Maschine-Anpassung darstellt, elementar ist. Daher haben die Handlungs- und interaktionalen Strategien der NeurowissenschaftlerInnen bzgl. der Umprogrammierung des BMI-Systems auch für diejenigen PatientInnen Konsequenzen, die an Heilversuchen in den Neurowissenschaften teilnehmen.
6.3.3 Zirkularität als Moment der Mensch-Maschine-Symbiose Ich habe bereits die vorbereitenden Maßnahmen (Kapitel 6.2.1) und die körperlich-materielle Anpassung (Kapitel 6.2.2) als Bedingung für die Mensch-Maschine-Symbiose detailliert beschrieben und analysiert. In diesem Kapitel gehe
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ich nun auf das Neurofeedback-Training und auf die Zirkularität als Moment der Mensch-Maschine-Symbiose ein. Ich zeige, wieso eine erneute Angleichung der Parameter für die Öffnung der Orthese die Synchronität der gewünschten Hirnstrommuster und der Orthesenöffnung herstellt und warum das Prinzip der Zirkularität damit erfüllt wird. Da die Steuerung und Regulierung in einem zirkulären Prozess, dem bio-technischen Synchronisationsprozess, erfolgt, indem Gehirn und Technik zusammenwirken, kann man dabei von der Konstitution eines Cyborgs/einer Cyborg sprechen. Weil die Öffnung der Orthese eine in einer zirkulären Schleife durchgeführte techno-zerebrale Handlung darstellt, kann man von einem handelnden Cyborg sprechen. Oben wurde aufgrund der fehlenden Synchronität und des ausbleibenden Lernerfolgs für die PatientInnen dargelegt, weshalb die Parameter umprogrammiert werden mussten. Diese Umprogrammierung ist dementsprechend auch erfolgt, was für die PatientInnen weitreichende Konsequenzen hatte. Denn nachdem die Parameterverarbeitung umprogrammiert worden ist, sind viele PatientInnen anfangs frustriert, da sich die Orthese nicht mehr »so leicht« öffnen lässt. Dieses »nicht mehr leicht öffnen lassen« werde ich nun anhand einiger Beobachtungssituationen erläutern. Danach werde ich das Prinzip der Zirkularität, das sich dahinter verbirgt, aufzeigen. Dass sich die Orthese nun nicht mehr so leicht öffnen lässt, hat etwas mit den neuen Vergleichsparametern und mit deren softwaretechnischer Abfrage während des Neurofeedback-Trainings zu tun. Denn nun werden die während des Neurofeedback-Trainings erzeugten zerebralen Zustände und ihre Werte permanent softwaretechnisch mit den während des Screenings ermittelten Werten verglichen. Allerdings hängt die Programmierung der Klassifikatoren und Parameter auch davon ab, was die PatientInnen beim Screening während der drei Befehlsabfolgen gedacht haben. Diese drei Gedankengänge müssen permanent während der Aufgabendurchläufe reproduziert werden, was dann entsprechend maschinell errechnet und klassifiziert wird. Dies erklärt mir ein Bioinformatiker wie folgt: »Besser heißt, dass es [die technische Umsetzung, MŞ] genauer funktioniert. Zum Beispiel wenn die versuchen, die Hand zu bewegen, dann schafft man das ja nie zu einhundert Prozent, das wirklich genau zu sagen: Jetzt bewegt er die Hand [gedanklich, MŞ], jetzt bewegt er sich nicht. Sondern das schafft man immer nur mit bestimmten Genauigkeiten. Gerade diese Klassifikationsgenauigkeit ist das Maß, wonach man das beurteilt. Je genauer man das klassifizieren kann, desto besser. Wenn man da eine höhere Genauigkeit hinkriegt, ist das ein besseres Verfahren.« (WiMi021-BioIuT: Abs. 30)
Durch die feinteiligere Klassifikationsgenauigkeit zwischen den drei verschiedenen Zuständen, die sich im Motorcortex bei der Aufgabenstellung ereignen, wollen die NeurowissenschaftlerInnen softwaretechnisch ermitteln, wann Patient-
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Innen die Hand gedanklich bewegen und wann sie sich entspannen. Durch die softwaretechnische Ermittlung der Klassifikation der zerebralen Zustände werden dann genauere Steuerbefehle generiert. Allerdings hatte ich bereits erläutert, dass die Klassifikation von den tatsächlichen Gedanken und der Hochrechnung, die sich durch die mehrmaligen Wiederholungen im Screening ergeben haben, abweichen kann. Die PatientInnen müssen also wiederholt eindeutig klassifizierbare Verhaltensaktivitäten produzieren. Und zwar nicht nur motorische Verhaltensaktivitäten, sondern auch Gefühle, wie das Gefühl der Entspannung. Je genauer die NeurowissenschaftlerInnen dann die drei ermittelten Zustände voneinander abgrenzen können, desto genauer können sie diese Trennung soft- und hardwaretechnisch übermitteln. Die Forschenden sind also bei der Produktion der Parameter und Klassifikatoren von den PatientInnen abhängig. Im Umkehrschluss heißt das: Je genauer trennbar die PatientInnen die drei Teilaufgaben im leiblichen Selbstvollzug produzieren können, desto genauere Klassifikatoren und Parameter können die NeurowissenschaftlerInnen ermitteln und in die Maschine eingeben bzw. der (Um‑)Programmierung zugrunde legen. Die Roboterorthese gibt dann das Feedback entsprechend der Reproduktion der im Screening gemachten Gedanken der PatientInnen an die PatientInnen zurück. Dies geschieht durch die biomechanisch‑körperliche Öffnung und Schließung der Hand. Dass das System nun genauer Werte ermittelt, bereitet den PatientInnen allerdings Probleme: Herr Grau048 zu WiMi017-DrMed: »Es klappt nicht.« WiMi017-DrMed fragt mich: »Wie viel Prozent?« MŞ: »Wie viel Prozent wovon?« WiMi017-DrMed: »Öffnen der Hand.« MŞ: »Nur zweimal kurz.« WiMi017-DrMed ruft WiMi018-DrMed. WiMi018-DrMed kommt und stellt den Parameter von 11,1 auf 10,8. Er sagt, dass das der neue Schwierigkeitsgrad sei. Danach startet WiMi018-DrMed das Programm erneut und verlässt das L1. Ich beobachte, dass Grau048s Hand sich nun öffnet. Es klappt »besser«, die Orthese öffnet sich häufiger als vor der Anpassung des Schwierigkeitsgrades. WiMi018-DrMed kommt wieder herein und fragt, wie es klappt. Ich sage ihm, dass es besser klappt. (P41: Abs. 048-057)
Die NeurowissenschaftlerInnen können also nun durch die veränderten Parameter nicht nur den Lernprozess beeinflussen, sondern sie selbst setzen den exakten Schwellenwert der Desynchronisation neuronaler Aktivitäten im Motorcortex fest, bei dem sich die Orthese öffnen soll. Somit greifen sie in die Intensität der Herstellungsleistung der neuronalen Aktivität ein. Denn das Forschungssubjekt soll diese neuronalen Zustände mit einer gewissen Wirkungsstärke erzeugen.
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Dadurch steuern die NeurowissenschaftlerInnen seine »Geisteskraft« vermeintlich indirekt mit. Dabei werden die Fingerschlitten abhängig von den individuellen Bewegungsgraden der Finger ausgefahren. Die Maschine passt sich also in jedem Fall den Zuständen der Hand/Finger an. Sie passt sich jedoch aufgrund der gezielten Vorgabe der NeurowissenschaftlerInnen darüber hinaus auch an die neuronale Expressivität an. Bleibt man bei der Metapher der Steuerung eines Schiffs, dann heißt das, dass der Steuermann/die Steuerfrau eine ganz bestimmte, extern festgelegte Kraft aufwenden muss, damit das Steuer bewegt wird. Während für die PatientInnen die Öffnung der Orthese entscheidend ist und die Datenqualität »scheißegal« (Pink045 in: P24: Abs. 024), interessieren sich die ForscherInnen mehr für das EEG (zu diesem Konflikt vgl. auch das Kapitel 6.3.4). Während der Aufgaben, die das Forschungssubjekt durchführt, beobachten die ForscherInnen deshalb immer wieder die Hirnstrommuster, insbesondere die Anzeige der De‑/Synchronisation, und urteilen so, ob die Aufgabe »richtig« durchgeführt wird oder wurde: HiWi034-DrMed zeigt Lila052 das Bild mit den Hirnströmen bei der Pause zwischen den Durchläufen: »So eine Pieke [zeigt auf den niedrigsten Punkt auf der Hirnwelle im Synchronisationsbereich, MŞ] öffnet das Ding nicht. Dann öffnet es sich [zeigt auf eine Spitze der Hirnwelle im Desynchronisationsbereich, MŞ]. Und Sie konzentrieren sich nicht mehr. … Jetzt machen wir ›ne Ruhemessung und dann ›ne Stimulationspause. okay?« Herr Lila052 nickt. HiWi034-DrMed: »Zwei Minuten. JETZT!« HiWi034-DrMed startet das Programm per Mausklick. Zwei Minuten herrscht völlige Stille. (P48: Abs. 033)
Lila052 hat Schwierigkeiten, die Aufgabe durchzuführen. HiWi034-DrMed zeigt ihm auf dem De‑/Synchronisationsbild, welche »Pieke« die Orthese öffnet und welche nicht. Dass die Pieke von den Hirnströmen von Lila052 ausgeht, scheint der Patient zu wissen, sodass der Neurowissenschaftler das nicht erklärt. Lila052 soll nun eine Pieke produzieren, die die Orthese öffnet. Hier ist nicht die Rede davon, ob der Patient etwas »Falsches« oder »Richtiges« denkt, dass er also ganz bestimmte Gedanken während des Screenings (re‑)produzieren soll, sondern davon, dass die Pieke, die die »Geisteskraft« des Patienten repräsentiert, nicht den Erwartungen entspricht, da sie nicht die gewünschte Orthesenöffnung veranlasst. Er zeigt beispielhaft auf der (De‑)Synchronisationsanzeige, welche Pieke die Orthese öffnet und welche nicht. Die Frage jedoch, wie und woher der Patient wissen soll, wie er die zur Öffnung erforderliche Höhe der Pieke erreichen kann, bleibt ungeklärt. Das Scheitern der Öffnung wird allein auf die Annahme zurückgeführt, dass der Patient sich nicht mehr konzentriert, wobei nicht überprüft wird, ob diese Annahme richtig ist. Danach folgt die Ruhemessung, die in
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kontrollierter zweiminütiger Dauer der absoluten Stille erfolgt und den Patienten entspannen soll. Zudem können in dieser Zeit die »neuen« (Schwellen‑)Werte, die in der Ruhemessung ermittelt werden, mit den (Mittel‑)Werten, die während der Entspannungsphase ermittelt wurden, verglichen werden. Dadurch werden Vergleichswerte generiert und es wird überprüfbar, ob das Forschungssubjekt sich »tatsächlich« während der Aufgabe entspannt, wobei dieser Prüfung der Vergleich mit der Ruhemessung zugrunde liegt. Im Laufe der Sitzung ergeben sich noch weitere Schwierigkeiten: HiWi034-DrMed und ich gucken auf die Hirnsignale und schüttelt den Kopf. Ich sehe, dass die Hirnsignale bei Lila052-Stroke fast ausschließlich oberhalb der De-/ Synchronisationslinie liegen. HiWi034-DrMed: »Okay, ich stelle es mal bissl leichter. [KLICK] .. aber immer weiter versuchen, hm!«. Die Hand von Lila052-Stroke wird komplett ausgefahren. HiWi034-DrMed: »SEHR gut, genau SO, weiter.« (.) Ich beobachte, wie bei den Befehlen »LOS« und »Entspannen!« ganz kurz desynchronisiert wird. 12.47 Uhr: Es wird schon wieder beim Befehl »Entspannen!« desynchronisiert. HiWi034-DrMed: »Okay, ein Durchgang noch. Es tut mir leid, dass es nicht immer klappt. Es hat zwei Gründe, warum ich das nicht leichter stelle. 1. ich kann das sonst nicht vergleichen mit den anderen Werten, und 2. ich weiß, dass Sie es können. Ich sehe es ja hier (zeigt auf die Hirnströme) .. es ist immer knapp. . Erinnern Sie sich nochmal, was Sie heute Morgen gedacht haben, woran Sie gedacht haben.. Geben Sie alles. Trinken Sie noch mal einen Schluck. Dann geht es los.. [reicht ihm Wasser, Lila052-Stroke trinkt einen Schluck, Lila052-Stroke reicht ihm den Becher, MŞ] .. Ja, so.« Lila052: »Ich schmeiß’ die Maschine gleich auseinander.« HiWi034-DrMed: »Ja, aber nicht mit der Muskelkraft, sondern mit der Geisteskraft. Ja? Geben Sie alles, das ist der letzte Durchlauf…« KLICK. »Ja, es ist immer haarscharf.« (.) Das Training ist beendet. MŞ: »Haben Sie die Augen geschlossen? Lila052: »Nein, ich gucke mir das Geschehen da unten an.« Lila052 guckt dabei auf seine linke Hand, die sich noch in der Robotervorrichtung befindet. HiWi034-DrMed: »Okay, jetzt zwei Minuten Ruhemessung.« HiWi034-DrMed guckt sich die Hirnsignale an, klickt dazu kurz das andere Bild an: »Okay, dann würde ich sagen, haben wir Wochenende. . Sie waren permanent an der Grenze und es war zu schmal.« Lila052: »Vielleicht fehlt ’n Schluck [er nennt eine bekannte Biermarke, MŞ]. (.) Ich hoffe, es ist ja intensiver als Krankengymnastik. Im Laufe der Wochen, dass das einiges bringt und [ich, MŞ] zu Hause die Hand einsetzen kann, wenn man merkt, es geht. Ich gebe ja immer auf, wenn ich merke, dass es nicht geht.«
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MŞ: »Und wie ist das mit der Technik?« Lila052: »Also wenn das Gerät meine Hand öffnet, dann weiß ich nicht, ob ich das war oder nicht. Da bin ich manchmal selbst ganz überrascht, wie das jetzt passiert ist. Und die Hand zu öffnen wird dann auch durch die Überraschung abgebrochen.« MŞ: »Und woran denken Sie da?« Lila052: »Am Anfang hab‹ ich an das Fangen des Balls gedacht, jetzt denke ich nicht mehr daran.« HiWi034-DrMed: »An das Fangen eines Balls? Herr Lila052-Stroke: »Ja.« HiWi034: »Na, das konnte ich ja nicht wissen. Vielleicht sollten Sie mal weiter daran denken.« MŞ: »Warum denken Sie nicht mehr an den Ball?« Lila052: »Das Denken an den Ball lenkt eben ab. Es klappt nicht mehr.« (P48: Abs. 080-110)
Es wird deutlich, was passiert, wenn der Patient beim Los-Befehl nicht an das »Richtige« denkt. Beim Misslingen der Aufgabe ist nicht nur die Orthese nicht zu bewegen, sondern der Patient wird zudem frustriert. Im Laufe der Aufgabe stellt HiWi034-DrMed deshalb den Bezug zum Gedanken her (»Erinnern Sie sich nochmal, was Sie heute Morgen gedacht haben«) und versucht damit, dem Patienten zu helfen. Der Patient wird aufgefordert, sich daran zu erinnern, was er am Morgen des Trainingstags während des Screenings gedacht hat und soll »alles geben«, also aktiv sein, denken, einen Schluck Wasser trinken usw. Dadurch versucht der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Doktorand, den Patienten zur Mitarbeit zu motivieren. Als der Patient sagt, dass er die Maschine gleich auseinander nehme – ein deutliches Signal seiner Frustration –, entgegnet ihm der Doktorand, dass er das nicht mit Muskelkraft, sondern mit seiner Geisteskraft machen solle. Dies bestätigt, dass die körperliche Verhaltensaktivität der diskreten, imaginierten motorischen Aktivität nachgeordnet ist, letzteres jedoch gleichsam mit der Maschine direkt in Verbindung gebracht wird. Letztere Analogie ergibt sich durch die Möglichkeit, die Maschine allein mit Gedankenkraft »auseinander zu nehmen« – also in Bewegung zu bringen. Die körperlich unsichtbare, diskrete Gedankenkraft, die die Maschine bewegt, ist also elementar, nicht die tatsächliche körperliche Verhaltensaktivität (wie auch im Kapitel 6.3.2 erläutert wurde). Das bedeutet, dass die körperlich diskrete Aktivität (die Gedankenkraft) durch die biomechanisch-körperlich sichtbare Aktivität (die Robotersteuerung) ersetzt werden soll und auch ersetzt wird. Nach dem Training frage ich Lila052 nochmal, woran er gedacht hat. Er antwortet, dass er am Anfang des Screenings an »das Fangen des Balls« gedacht habe und dass er jetzt nicht mehr daran denke. Was er jedoch tatsächlich denkt, sagt er nicht. Als HiWi034-DrMed erfährt, an was das Forschungssubjekt gedacht hat, weist er ihn daraufhin, dass es vielleicht günstig sei, weiterhin daran zu denken.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Dass der Patient anders denkt, weil das Denken an das Ballfangen seiner Ansicht nach nicht mehr funktioniert, ist hier unerheblich. Wichtiger ist, dass hier offensichtlich wird, dass der Patient aufgefordert wird, den Denkprozess während des Screenings zu rekonstruieren und reproduzieren, damit das BMI funktioniert. Die Herstellungsleistung der neuronalen Zustände rückt implizit in den Fokus. Einer der Bioinformatiker macht auf die Situation der »geschlossenen Schleife«, also der Zirkularität und des bio-technischen Feedbacks durch die Maschine aufmerksam. Es ist insofern ein geschlossener Kreislauf, als Mensch/Gehirn und Technik miteinander nach dem kybernetischen Prinzip der Zirkularität in einer EVA-Schleife interagieren bzw. eine Handlung in gemeinsamer Konstellation durchführen, wobei PatientInnen das Maschinenhafte in der Handlungsausübung »spüren« und in ihre Erfahrungswelt aufnehmen: »Das, was jetzt bei uns da ist, ist nur eine Prothese, mehr oder weniger. Das heißt, es wird gesteuert vom Gehirn des Patienten, wenn man so will. Zwar in gewisser Weise eine geschlossene Schleife an sich, sprich: der Patient trifft eine Willensentscheidung, wir detektieren sie, bewegen seine Hand, bringen gleichzeitig wieder Informationen in das Gehirn durch Stimulation und prorezeptives und visuelles Feedback mit rein. Prorezeptiv heißt: er spürt, dass sich etwas bewegt. Es ist eine geschlossene Schleife, aber es ist jetzt nichts, worauf man von Extern wirklich klar Einfluss nehmen könnte. (…) [D]adurch, dass man zumindest beim momentanen Training die Stimulation konstant lässt, liefert die ja nur begrenzte Informationen, wenn man das einmal so sagen will. Es ist jetzt kein implantiertes Telefon, auf dem ich anrufen könnte und dann völlig frei bestimmte Informationen draufgeben kann, sondern es sind sehr begrenzte Informationsinhalte, die wir da mit hineinbringen. Aber klar, es geht weiter als das, was bisher im BCI-Bereich im Besonderen stattgefunden hat.« (WiMi029-BioIuT: Abs. 245ff.)
Auch ein anderer Mitarbeiter macht auf die geschlossene Schleife aufmerksam: »Das war die Idee auch von Prof999-DrMed, dass wir verschiedene Schleifen etablieren, die das Brain Computer-Interface oder die Maschine-Mensch-Interaktion in verschiedenen Höhen darstellen. Dass man beispielsweise durch die EMG-Messung eine FES [Stimulationselektrode, MŞ] triggert. Dass man durch die gewollte Bewegung die Bewegung unterstützt, dass man durch die gewollte Bewegung mit dem EMG eine Stimulation im Gehirn unterstützt, also kortikal. Das sind so die verschiedenen Schleifen. Und der Körper im Prozess oder der Einfluss vom Gehirn auf den Körper, der ist natürlich deutlich sichtbar. Wie weit das Gehirn den Körper treiben kann, sich in unseren Fall dann wieder zu bewegen.« (WiMi030-MedPsy: Abs. 231)
Im Folgenden werde ich beleuchten, welche Bedeutung das kybernetische Prinzip der Zirkularität in der geschlossenen EVA-Schleife für die Mensch-MaschineSymbiose hat und zwar unter Berücksichtigung von Leiblichkeit, Körperlichkeit
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und Maschinenhaftigkeit. Dabei werde ich dies anhand der drei Befehlsphasen interpretieren. Bevor ich nacheinander auf die einzelnen drei Phasen eingehe, möchte ich jedoch zunächst in Erinnerung rufen, dass alle Befehle audiovisuell über den sich vor dem Patienten/der Patientin befindenden Monitor ausgegeben werden und dass die Hirnsignale des Patienten/der Patientin die gesamte Zeit, also während der Aufgabendurchläufe, an die Recheneinheit übermittelt, darin verarbeitet und abgespeichert werden. Die erste Phase: die Vorbereitungsphase
In der Vorbereitungsphase, die mit dem audiovisuellen Befehl »Linke Hand…« eingeleitet wird, soll der/die PatientIn sich auf die Aufgabe vorbereiten. Diese Phase dient dazu, die Intention einer Bewegung mit der linken Hand des Forschungssubjekts herzustellen. Das Forschungssubjekt wird aufgefordert, sein Gehirn auf den Kern der Aufgabe vorzubereiten, also im wahrsten Sinne des Wortes sich bzw. die neuronalen Aktivitäten im Motorcortex »zu sammeln«. Die durch die – worin auch immer bestehenden – Gedanken des Forschungssubjekts erzeugten neuronalen Aktivitäten werden über die Messfühler und die zuvor beschriebene Übersetzungskette dem BCI2000-Programm, das u.a. das EEG abbildet, übermittelt. Die in der Vorbereitungsphase aufgezeichneten neuronalen Aktivitäten werden als Verhaltensintention des Forschungssubjekts behandelt. Sie werden maschinell ermittelt, als Verhalten decodiert und abgespeichert. Die Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe der Daten haben in diesem Fall keine direkten sichtbaren Folgen für das Forschungssubjekt. Für die NeurowissenschaftlerInnen ist diese Phase eine Vergleichsphase, die dazu dient, zu ermitteln, was unmittelbar vor der eigentlichen diskreten Verhaltensaktivität geschieht. Von Interesse in dieser Phase ist, dass Gedanken in Position gebracht werden (sollen), wie bei einem Steuermann/einer Steuerfrau, der/die in Position geht und sich das Steuer greift. Das Forschungssubjekt wird deshalb angehalten, in sich zu gehen, sich präreflexiv (in Anlehnung an Merleau-Ponty 1974) in seine intrasubjektive Welt einzubinden. Dieses Einbinden kennzeichnet in der Vorbereitungsphase die Intention zur Herstellung erwünschter Gedanken mit dem Ziel der Aktivierung einer erwünschten neuronalen Aktivität – der geistigen Übernahme des Steuers. Die Intension des leiblichen Gerichtet-Seins bezieht sich dabei nicht etwa direkt auf »weltliche Dinge«, sondern auf die intrasubjektive Welt des Forschungssubjekts. Die zweite Phase: die Los-Phase
Der Los-Befehl löst als Steuerbefehl einen Reiz beim Forschungssubjekt aus, seine Gedanken so zu steuern, dass die Neuronen in seinem Motorcortex aktiviert
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werden. Im Idealfall stellt sich das Forschungssubjekt die Öffnung der Hand vor, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Neuronen im Motorcortex durch den Gedanken an eine Bewegung aktiviert werden, ist dabei höher. Simultan zu den Gedanken während der Los-Phase empfängt und überprüft die Recheneinheit in einer für die Dauer von sechs Sekunden festgelegten Taktung den errechneten Wert für die (De‑)Synchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex. Wie bereits detailliert ausgeführt wurde, stoppen die Fingerschlitten, wenn der Wert zu irgendeinem Zeitpunkt während der sechs Sekunden über 1 liegt, und öffnen sich, wenn der Wert unter 1 liegt. In dem letztgenannten Fall der Desynchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex fahren die Fingerschlitten jedoch nur dann aus, wenn der Zustand der Desynchronisation anhält, der/die PatientIn also an dem Gedanken bis zum Ende der Teilaufgabe festhält – was jedoch offensichtlich nicht immer möglich ist. Es kommt, wie erörtert, bspw. vor, dass die Fingerschlitten in den sechs Sekunden nur einmal ganz kurz, für die Dauer eines Augenblinzelns, zucken und sich danach gar nicht mehr bewegen. Es kommt jedoch auch vor, dass die Fingerschlitten sich gar keinen Millimeter bewegen und die Hand in einem geschlossenen Zustand bleibt. Für das Forschungssubjekt selbst ist dabei »nur« entscheidend, dass es »klappt«, was es dabei denkt und welche Auswirkungen die Denkprozesse auf die Öffnung haben, weiß es nicht immer. Wichtig für ihn ist nur, dass sich die Orthese öffnet und schließt, dass also die Aufgabe richtig absolviert wird (darauf komme ich im Kapitel 6.3.4 noch einmal zurück). Das Forschungssubjekt wird während dieser Phase dazu angehalten, sich präreflexiv in seine intrasubjektive Welt einzubinden und sich dann durch die bewusste Vorstellung einer Verhaltensaktivität präreflexiv in das BMI-System interagentativ einzubringen. Dieses interagentative Einbringen äußert sich durch die Öffnungsbewegung der Hand mittels der Maschine, ist also im engeren Sinne techno-zerebral, und wird biomechanisch-körperlich reflexiv erlebt und intersubjektiv erfahren. Die Maschinenbewegung (der Finger) wirkt dadurch intrareflexiv – also in den Gedanken hinein – zurück. Es wird zum neuen Input, zur Ursache, an einem Gedanken festzuhalten und/oder durch die Beobachtung der durch die Maschine bewegten Hand einen neuen Gedanken zu produzieren. Das Biomechanische wird auf diese Weise in die intersubjektive Welt des Forschungssubjekts und sein leibliches Gerichtet-Sein reflexiv integriert – die Steuerung der Maschine durch Gedankenkraft. Die tatsächliche Öffnung der Roboterorthese ist jedoch ein intraobjektiver Prozess, der neuronale Aktivitäten, also das Biologische, einerseits und digitalisierte Hirnsignale über das EEG, also das Technische, andererseits über Übersetzungsketten miteinander koordiniert und der durch Intra-Aktion von Soft- und Hardwareelementen die Maschine bio-technisch und techno-zerebral induziert in Bewegung bringt. Was dieser in Iterationen ablaufende Prozess schlussendlich für den gesamten Forschungsprozess der neurowissenschaftlich klinischen Studie und damit auch
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für das Forschungssubjekt bedeutet, zeigt sich in den Stabilisierungsmaßnahmen der NeurowissenschaftlerInnen, welche auf die Destabilisierung (vgl. dazu Kapitel 6.3.4) des prozessual-synchronen Mensch-Maschine-Verhältnisses zurückzuführen sind. Diverse Strategien der Verstärkung und Reinigung der Signale mittels Sach- und Handlungstechniken begleiten und bedingen die Suche nach den »guten Daten« und »sauberen Signalen« sowie das Streben nach der Isolation gewünschter neuronaler Prozesse, und finden ihren Höhepunkt schließlich in der ECoG-Implantation. Eine Form der Suche nach dem »sauberen Signal« und die Reinigung durch Verstärkung der Signale werde ich im Kapitel 6.3.5 noch näher erörtern. Denn die Herstellung und Verstärkung der Verbindung zwischen Gehirn und Muskelpunkten stellt eine weitere Dimension der Mensch-Maschine-Anpassung dar: die technikinduzierte neuronal exakte Verstärkung. Die dritte Phase: die Entspannungsphase
In der Entspannungsphase soll das Forschungssubjekt dann an etwas anderes, etwas Entspannendes denken. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die neuronale Aktivität im Motorcortex nachlässt. Zu Beginn der audiovisuellen Entspannungsaufforderung überprüft die Recheneinheit in einer in acht Sekunden ablaufenden Taktung den errechneten Wert für die (De‑)Synchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex. Im Idealfall befindet sich kurz vor Beginn der Entspannungsphase die Orthese in einem geöffneten Zustand, d.h. die Fingerschlitten sind ausgefahren und die Hand des Patienten/der Patientin ist geöffnet. Liegt der Wert zu irgendeinem Zeitpunkt während der acht Sekunden über 1, was dem gewünschten Zustand der Synchronisation neuronaler Aktivität im Motorcortex entspricht, fahren die Fingerschlitten in Richtung des PatientInnenkörpers zurück und die Hand schließt sich. Wenn jedoch während der Entspannungsphase der ermittelte Wert unter 1 liegt, sodass der Zustand der Desynchronisation neuronaler Aktivität im Motorcortex besteht, stoppt das Zurückfahren der Fingerschlitten und die Hand wird im schlechtesten Fall gar nicht geschlossen. Liegt der Wert über 1, so fahren die Fingerschlitten jedoch nur dann komplett zurück, wenn der Zustand der Synchronisation neuronaler Aktivität im Motorcortex anhält, wenn der/die PatientIn also an dem Entspannungsgedanken bis zum Ende der Teilaufgabe festhält. Das Forschungssubjekt wird in dieser Phase angehalten, sich durch das bewusste Vorstellen von etwas anderem als einer Bewegung in seine intrasubjektive Welt präreflexiv einzubinden bzw. sich davon loszulösen. Dieses Loslösen wird dann durch die Schließbewegung der Hand mittels der Maschine biomechanisch reflexiv erlebt. Das biomechanische Zurückfahren der Finger wirkt dabei erneut intrareflexiv – also in den Gedanken hinein – zurück. Es wird zum Output, zur Wirkung dessen, was es heißt, einen Gedanken loszulassen, sich zu entspannen, also einen Gedanken zu produzieren, der auf der Beobachtung der durch die
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Maschine geschlossenen Hand basiert. Auch hier wird das Maschinenhafte in die intersubjektive Welt des Forschungssubjekts und sein leibliches GerichtetSein reflexiv integriert, was, um bei der Metapher des Schifflenkens zu bleiben, dem Loslassen des Steuers durch Gedankenkraft entspricht. Wobei durch das Loslassen die »Gedankensteuerung« nicht im wörtlichen Sinne losgelassen wird, sondern nur umgelenkt. Die mechatronische Schließung der Roboterorthese ist auch hier ein intraobjektiver Prozess, der neuronale Aktivitäten, also das Biologische, einerseits und digitalisierte Hirnsignale über ein EEG, also das Technische, andererseits über Übersetzungsketten miteinander verbunden hat und der durch Intra-Aktion von Soft- und Hardwareelementen die Maschine in seine Ursprungsposition bringt – nicht jedoch die Gedanken. Denn wir können auch hier nicht sagen, was die »Ursprungsposition« der Gedanken ist oder war, denn neuronale Aktivitäten oszillieren nach Aussagen der NeurowissenschaftlerInnen ständig und sie ändern sich, so meine Interpretation meiner Befunde, nach dem kybernetischen Prinzip der Zirkularität. Die Neuroplastizität als eine der wichtigsten Eigenschaften des Gehirns »tut« ihr Übriges mit den neuronalen Aktivitätsmustern während des gesamten Studienverlaufs: die »unvorhersehbare« Reorganisation des Gehirns. Ich will das wie folgt erklären: Die Änderung neuronaler Aktivitäten, vor allem der Aktivitäten im Motorcortex, und die sich dadurch im Vollzug befindende Reorganisation des Gehirns sind seitens der NeurowissenschaftlerInnen auf eine bestimmte Art erwünscht. Denn die Neuroplastizität ist gleichzeitig etwas Positives bzw. Erstrebenswertes zur Wiederherstellung verloren gegangener/beschädigter Hirnfunktionen. Ohne diese Fähigkeit zur Veränderung könnte das Gehirn sich nicht reorganisieren und die erwünschte Rehabilitation des Patienten/der Patientin wäre nicht möglich. Die Neuroplastizität ist jedoch auch ein nicht genau vorhersagbares Phänomen, worin eine gewisse Paradoxie liegt. Denn der Reorganisationsprozess des Gehirns ist demnach den NeurowissenschaftlerInnen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht immer einen Schritt voraus. Plastizität wird also zwar als ein positives Phänomen hervorgehoben, gleichzeitig zeigt sich jedoch genau dieses Phänomen als widerspenstig, unvorhersehbar und problematisch: »Die Probleme sind das, dass gerade dieser Aspekt der Interaktion zwischen Computer und Mensch, wenn diese geschlossene Schleife genutzt wird, dass also eine Rückkoppelung entsteht, dass das in weitesten Teilen ungeklärt ist, was das für Umbauprozesse im menschlichen Gehirn in diesem Fall bedeutet und wie weitreichend die sind. Ob die sich dann wirklich nur auf diese eine Funktion, in unserem Fall des Motor-Systems, beschränken oder auch in anderen Bereichen Umbauprozesse einleitet, die so gar nicht gewollt sind.« (WiMi027-DrMed: Abs. 144)
Der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt macht hier aufmerksam darauf, dass der Mensch im BMI-System in einer geschlossenen Schleife interagiert und dies zu
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einer unvorhersehbaren Reorganisation im Gehirn führen kann. Dies spiegelt letztendlich die Auswirkung des kybernetischen Prinzips der Zirkularität wider, die Langzeiteffekte auf die Reorganisation des Gehirns haben kann. Neuroplastizität wird demnach durch einen unbekannten zirkulären Input-Output-Prozess mittels Neurofeedback ausgelöst. Im Verlauf der Studie zeigt sich die Unvorhersehbarkeit und Unbekanntheit hinsichtlich der Neuroplastizität an einer Patientin besonders deutlich. Sie berichtet darüber, dass sich ihre gelähmte Hand eines nachts ohne ihr Zutun plötzlich weit geöffnet habe, was sie erschreckt habe. Sie habe sich dann einfach auf die Bettkante gesetzt und gewartet. Nach einigen Minuten habe sich ihre Hand wieder geschlossen. Am nächsten Tag sei dies wiederholt am Abend passiert, als sie sich gestreckt habe. Die Patientin berichtet dies dem für sie zuständigen Neurowissenschaftler. Während der Neurowissenschaftler/Arzt den gelähmten Arm und die gelähmte Hand der Patientin für das Neurofeedback-Training am Roboter lockert, unterhalten sie sich über das Ereignis des Vorabends: »WiMi999-DrMed: Ist das nochmal passiert, dass Ihre Hand plötzlich aufgegangen ist? Weiss046: Ja, heute Nacht sogar. WiMi999-DrMed: Ja? Weiss046: Hmhm. WiMi999-DrMed: Und was haben Sie in dem Moment gemacht? Weiss046: Da bin ich aufgestanden noch und habe noch was getrunken, und da ist sie wieder zugegangen. WiMi999-DrMed: Haben Sie da versucht, sie zu öffnen, oder war sie einfach offen? (…) Weiss046: Nein, ich habe mich gestreckt und da ist die Hand dann aufgegangen. WiMi999-DrMed: Sie haben sich gestreckt und da ist die Hand aufgegangen? … Und die ist dann GANZ aufgegangen? Weiss046: Sooooo, ja (streckt ihren gesunden Arm aus und streckt dabei die Finger der gesunden Hand weit). WiMi999-DrMed: Ja? Ist ja unglaublich. Weiss046: Ich konnte es auch nicht glauben. Ich muss deswegen ein Foto machen. WiMi999-DrMed: Das ist ja eine wichtige Information für uns. Das heißt, der Befehl, oder die reichen schon da runter (zeigt auf seinen Kopf und macht eine Bewegung in Richtung seines Arms), da sind schon Kabel, absteigende Bahnen schon übrig.« (Video P71: 04_MenschMaschineAnp.wmv, [0:12:34.80-0:16:31])
Der Neurowissenschaftler macht einen überraschten Eindruck, als die Patientin von der Öffnung ihrer Hand berichtet, und fragt die Patientin wiederholt, ob die gelähmte Hand ganz auf gegangen sei und was sie dann gemacht habe. Weiss046 erklärt ihm, dass sich die Hand beim Strecken ihres Körpers geöffnet habe und demonstriert das, indem sie ihren gesunden Arm von sich streckt und die Finger
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der gesunden Hand ausstreckt. Nachdem sie Wasser getrunken habe, habe sich die Hand wieder von allein geschlossen. Um die Bedeutung dieses Vorgangs für die Patientin zu verstehen, muss man sich gewahr werden, dass die Patientin eine starke Spastik hat und dass ihre gelähmte Hand »normalerweise« verkrampft zu einer Faust geschlossen ist. Dass sich ihre Hand von alleine öffnete, hatte sie beim ersten Mal erschreckt. Am folgenden Abend reagiert sie auf die weitere Öffnung, indem sie sich ein Glas Wasser – möglicherweise zur Beruhigung und Ablenkung – holt und abwartet. Für den Arzt ist das zwar »unglaublich«, er gibt jedoch klar zu verstehen, dass das für die NeurowissenschaftlerInnen eine bedeutsame Information ist. Denn die Öffnung der Hand reflektiere verbindende Bahnen zwischen Gehirn und Hand – was durchaus eine positive Entwicklung darstelle. Dass sich die Hand der Patientin vor der Studie, bedingt durch die Lähmung und die Spastik, nur sehr schwer öffnen ließ und sie sich nun von allein öffnet, bewertet der Neurowissenschaftler als ein positives Resultat der Studie. Welcher Umstand jedoch die Öffnung tatsächlich veranlasst hat und ob sie wirklich durch die verschiedenen Stimulationen verursacht wurde, die während des Neurofeedback-Trainings zusätzlich durchgeführt wurden, also was genau zur nicht-willentlichen Öffnung der Hand geführt hat, bleibt allerdings unklar. Fest steht jedoch, dass man hier bereits davon ausgehen kann, dass die nicht-willentliche und unbewusste körperlich diskrete Aktivität eine zerebrale Handlung darstellt, die techno-zerebral induziert ist. Denn das Gehirn entwickelt aufgrund von Konditionierungen und Verstärkungen eine agentative Eigendynamik. Das Subjekt erscheint hier ausschließlich passiv. Bedingt durch die Versuche mit dem Forschungssubjekt, also bedingt durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen, kann demzufolge eine unbewusste diskrete Verhaltensaktivität eine tatsächliche körperliche motorische Aktivität auslösen. Allerdings entspricht dies nicht dem Zweck der Studie, der darin liegt, dass die Forschungssubjekte letztlich bewusst die Öffnung der Hand kontrollieren können. Denn SchlaganfallpatientInnen profitieren nicht von unkontrollierten Bewegungen, die das Resultat des Zusammenspiels von Gehirn und Technik darstellen, sondern ausschließlich von Bewegungen, die sie kontrolliert ausüben können. WiMi018-DrMed macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Mensch/Gehirn und Maschine/Technik in den Neurowissenschaften und in der Studie in einem Wechselverhältnis stehen und sich gegenseitig beeinflussen: »Man entwickelt ja die Ideen (…), um dann die Maschine und das Gehirn zu verbinden. Anders herum kann eine Maschine, die man entwickelt hat, das Gehirn oder das Denken wiederum beeinflussen.« (Ebd.: Abs. 147). Aus folgendem Protokoll wird ersichtlich, dass der durch die neurowissenschaftlichen Verfahren und Techniken ausgeübter Einfluss auf das Gehirn und somit dessen Reorganisation hinderlich für die Versuchsanordnung sein kann:
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WiMi018-DrMed: »Sooo…. Was Sie jetzt gleich sehen werden, ist ›Entspannen und auf die Plätze, fertig, los!‹, dann die Hand öffnen. Bei Ihnen hat das ja nicht so gut geklappt letzte Woche. Ihr Gehirn hat sich schon umgebaut. Vielleicht geht das jetzt nicht so gut. Aber das Gerät lernt dazu und ihr Gehirn lernt auch dazu. Also jetzt nicht gleich am Anfang verzweifeln. […] Die Kappe ist essentiell. Wenn sie nicht gut funktioniert, kann man die Signale nicht analysieren.« (P21: Abs. 38)
Der Arzt macht eine Patientin nochmal darauf aufmerksam, wie wichtig die Kappe für die Datenauswertung ist.56 Er macht auch deutlich, dass die Orthesenöffnung deshalb nicht gut funktioniert hat, weil sich ihr Gehirn schon reorganisiert habe. Er führt also das Misslingen des Neurofeedbacks auf das Phänomen der Neuroplastizität zurück. Direkt im Anschluss an diesen Hinweis beruhigt er die Patientin, indem er ihr u.a. sagt, dass die Maschine (wie auch ihr Gehirn) dazulerne, sich anzupassen, sie solle deshalb nicht verzweifeln. Dass die Maschine »dazulernt«, liegt an den Klassifikatoren. Ein Bioinformatiker macht nähere Informationen hierzu: »Diese Maschine reagiert immer darauf, das sind so genannte Klassifikatoren. (…) Ein Klassifikator ist ein Algorithmus, der versucht, zwischen diesen zwei Bedingungen, in unserem Fall zu unterscheiden zwischen Bewegung und zwischen Ruhe. Das heißt, der [Klassifikator, MŞ] kommuniziert direkt mit der Orthese und steuert die. (…) Der ist auch in gewisser Weise lernfähig, so, wie er jetzt schon ist. Würde man ihn rein statisch lassen, müsste man davon ausgehen, dass nach ein paar Wochen sich die Merkmale doch etwas verändert haben, also dass er nicht mehr so gut funktioniert wie am Anfang. Das kann damit zusammenhängen, dass ich Eigenschaften von Elektroden geändert habe, dass die Messung ein bisschen anders aussieht. Es kann im Optimalfall auch damit zusammenhängen, dass sich jetzt im Gehirn des Patienten etwas getan hat, dass da eine Verschiebung stattgefunden hat. Deswegen ist eine Möglichkeit, diesen Klassifikator sich anpassen zu lassen, abhängig von dem, was gerade im Gehirn passiert.« (WiMi029-BioIuT: Abs. 241)
In Fällen der Reorganisation versuchen NeurowissenschaftlerInnen, strategisch und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, die neuen Signale durch bspw. ein neues Screening und durch neue und lernfähige57 Klassifikatoren ausfindig zu machen, wobei diese Klassifikatoren aus dem motorischen Areal und den umliegenden Arealen durch diesen »Lerneffekt« des Gehirns entstehen. Al56 | Ich werde auf den »Konflikt« zwischen den PatientInnen und den NeurowissenschaftlerInnen hinsichtlich der Datenauswertung im Kapitel 6.3.4 noch näher eingehen. 57 | Zum »machine learning«-Verfahren vgl. z.B. Witkowski et al. (2014) und Blankertz et al. (2003).
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lerdings wird dieser Lerneffekt nicht nur durch das handlungstechnische Verfahren des Neurofeedbacks generiert, sondern auch durch Stimulationsverfahren verstärkt, was das folgende Beispiel zeigt: Programm: »Linke Hand…«, »LOS« (Stimulation mit tDCS). HiWi034-DrMed: »UND weiter!« Programm: »Entspannen!« Ich beobachte, wie kurz nach dem »Linke Hand-Befehl« die tDCS-Stimulation anspringt. Das erkenne ich an den sich verändernden EEG-Signalen auf dem rechten Monitor. Das motorische Areal, welches sich unter der tDCS-Fläche befindet wird also partiell stimuliert. Die Hand öffnet sich ganz kurz – simultan zur Stimulation. HiWi034-DrMed: »JA, genau. sehr gut.« (P48: Abs. 079ff.)
Das Beobachtungsprotokolls verdeutlicht, dass zwischen der Vorbereitungsphase und der Los-Phase stimuliert wird, wobei es kurz nach der Stimulation zu einem gewünschten Zustand der Desynchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex kommt, sodass die Fingerschlitten ganz kurz ausfahren. Es ist daher anzunehmen, dass die Öffnung der Orthese in diesem Fall nicht von den Gedanken des Patienten, sondern von der Stimulationselektrode, die die Desynchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex verursacht hat, ausgelöst wurde. Im Idealfall soll die Stimulationselektrode die durch den Patienten ausgelöste Desynchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex verstärken, also unterstützen. In diesem Fall ist jedoch anzunehmen, dass die Aktivität im Motorcortex von der Elektrodenstimulation selbst ausgelöst wurde. Dem Patienten wird jedoch suggeriert, dass er selbst die Öffnung der Orthese veranlasst. Der Patient sagt auf mein Nachfragen hin selbst, dass er überrascht über die Öffnung der Orthese sei, er sagt, dass er nicht wisse, ob er es war oder nicht (vgl. Lila052 in: P48: Abs. 105). Die Vermutung liegt nahe, dass die Stimulationselektrode die Öffnung veranlasst hat, in jedem Fall aber hat die Recheneinheit einen Desynchronisationswert ermittelt, der, ausgehend von dem ermittelten Wert, im Screening als Basis für die Abfrage der (De‑)Synchronisation der neuronalen Aktivität im Motorcortex verwendet wurde. Der Eingabefehl erfolgt also nicht etwa (nur) durch die vom Forschungssubjekt erzeugten neuronalen Aktivitäten im Motorcortex, sondern der Eingabefehl wird (zumindest auch) von der Elektrode angestoßen. Das heißt, der Eingabebefehl zur Öffnung der Orthese kann intra-agentativ durch mehrere AkteurInnen erfolgen. In diesem Fall ist es mindestens die tDCS-Elektrode und sind es möglicherweise auch die aktiven Gedanken des Forschungssubjekts an die Öffnung der Hand, der bzw. die gemeinsam die neuronale Aktivität im Motorcortex auslöst bzw. auslösen. Danach berechnet die Recheneinheit einen Wert, der Desynchronisation von Synchronisation unterscheidet. Um diesen Wert berechnen zu können, werden die Parameter aus
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dem Screening genutzt. Die Stimulation durch tDCS stellt also eine aktivierende Intervention in die Steuerung und Regulierung der neuronalen Zustände in den motorischen Arealen dar. Dies ist ein Beispiel für die sachtechnische Fixierung und Stabilisierung der Verbindungen zwischen einer zerebralen Region und einem Körperteil. So nutzen NeurowissenschaftlerInnen gezielt die Fähigkeit zur Neuroplastizität des Gehirns, um die Reorganisation einer bestimmten zerebralen Region (nämlich des Ortes, an dem die tDCS-Elektrode angebracht ist) anzustoßen und neuronal partiell zu stimulieren. Die gezielte Reorganisation des Gehirns soll, so die Intention der NeurowissenschaftlerInnen, hier durch sachtechnische Verfahren hergestellt werden, bspw. durch eine gezielte Stimulation. Dies gilt auch für die Methoden TMS und ECoG, wobei bei letzteren Stimulationsmethoden eine technikinduzierte neuronal exakte Verstärkung durch die ForscherInnen bezweckt wird (vgl. dazu Kapitel 6.3.5). Auf dem EEG werden dann die zerebralen Regionen und wird somit die Reorganisation des Gehirns für die NeurowissenschaftlerInnen sichtbar. Bezogen auf die Stimulation und die Bedeutung des EEG für die NeurowissenschaftlerInnen macht ein Bioinformatiker folgende Aussage: »[D]as meiste, was ich mache, verwendet Informationen aus dem EEG. Dadurch, dass das meiste, gerade was die Effekte zum Beispiel von Stimulation angeht oder das Herausfinden der Decodierung der Intention des Patienten, all das findet auf Basis vom EEG statt. Entsprechend ist es das wichtigste Tool für uns. (…) Für mich zum einen, um Stimulationseffekte zu sehen, denn wenn ich einen Stimulus gebe, taucht der in diesem Signal auf und ich kann auch die Nacheffekte sehen. Das heißt, man kann zum Beispiel dadurch, dass man an einem Punkt stimuliert und an einem anderen Punkt das EEG misst, erkennen, welche Bereiche sind miteinander verbunden, wo sehe ich den stärksten Nacheffekt der Stimulation. Dann wird da wahrscheinlich eine starke Verbindung zwischen den beiden Arealen vorhanden sein. Das ist für mich sehr wichtig. Und die Bilder, wenn man so will. Das ist auf den ersten Blick oft schwer interpretierbar, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht, aber mit ein bisschen Erfahrung geht das alles. Man braucht im Allgemeinen noch die zusätzlichen Vorbereitungs- und Analyseverfahren, die man mit der Zeit entwickelt hat.« (WiMi029-BioIuT: Abs. 311ff.)
Um die Schwierigkeit, die sich aus dem Umstand der Neuroplastizität ergibt, zu bewältigen, versucht man also, die diskreten Elemente erneut durch Fixierung und Re‑Stabilisierung zu kontrollieren: Es wird stimuliert, es werden neue Screenings und Ruhemessungen durchgeführt, dadurch werden neue (Schwellen‑) Werte und Klassifikatoren für neuronale Aktivitäten im Motorcortex ermittelt und neue Parameter in Kooperation mit dem Patienten bzw. der Patientin erzeugt. Letztere Verfahren stellen eine handlungstechnische Verstärkung der Mensch-Maschine-Anpassung dar. Dadurch gerät – ich lehne mich hier an Mauss (2010) an – das Forschungssubjekt in eine iterative Schleife der »Dressur«
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und internalisiert sach- und handlungstechnisch verstärkt Kulturtechniken in der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft. Mit »Dressur« meine ich, in Anlehnung an Mauss (2010), den Erhalt einer menschlichen Leistung. Im Fall der techno-zerebralen Handlungsschleife ist damit gemeint, dass die Verbesserung bzw. Wiederherstellung von Hirnfunktionen auch eine Form der »Dressur« darstellt, die nicht nur den Körper, sondern auch den Leib betrifft. Wie ich schon erwähnt hatte, heißt das praxeologisch betrachtet, dass die Einschreibung von neurowissenschaftlichen Verfahren und Techniken in den Körper/Leib durch soziale Praktiken erfolgt. Die PatientInnen selbst berichteten mir alle, dass sie die Stimulation bei der Öffnung der Roboterorthese als Unterstützung empfinden, dass der Impuls von der Elektrode komme und sie dann aktiv an die Öffnung dächten. Ein Patient machte mich zudem darauf aufmerksam, dass die Arbeit, auch diejenige mit einer Stimulationselektrode, am BMI als ein Prozess empfunden wird, der gemeinsam, also in Kooperation mit der Maschine durchgeführt wird, während andere InteraktionspartnerInnen dabei keine Rolle spielen würden: »Da ist man ganz alleine. Das ist ganz komisch. [D]a sind Sie allein, das heißt ich und die Maschine, die Maschine und ich. Die anderen, die notieren ja nur, stellen ein oder so. Aber am Prozess nehmen sie [weitere Teammitglieder, MŞ] ja überhaupt nicht teil, können auch nicht helfen und können auch nicht hinderlich sein. Weder das eine, noch das andere.« (Blau051: Abs. 195)
Aus diesem Zitat wird die wechselseitige, kooperative Beziehung von Mensch und Maschine durch die Worte »ich und die Maschine, die Maschine und ich« unterstrichen. Der Prozess der Orthesensteuerung wird demnach auch von PatientInnen als ein in sich geschlossenes System wahrgenommen, woran alle anderen Personen im Labor keinen Einfluss bzw. Anteil haben. Zusammenfassung
Alle drei Phasen der Aufgabenabfolge funktionieren demnach nach dem EVAPrinzip, wobei der Steuerbefehl selbst und die Entspannungsphase für die jeweiligen PatientInnen direkte Konsequenzen haben. Allerdings ist diesen drei Phasen der Aufgabenabfolge das Screening mit ebenfalls drei Phasen vorangestellt. Aus der Sicht der PatientInnen läuft das Manövrieren der Gedanken zur Öffnung der Orthese nach dem Prinzip der Zirkularität wie folgt ab: Die Eingabe, die Verarbeitung und die Ausgabe erfolgt bei der Aufgabenausübung in einem zirkulären Prozess. Dabei sind mit Eingabe die Gedanken der Forschungssubjekte gemeint, also die Ursache bzw. der Input. Mit der Verarbeitung ist die Verarbeitung durch die Rechnereinheit gemeint, und die Ausgabe bezieht sich auf die Wirkung bzw. auf das Feedback durch die Orthese.
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Abhängig davon, ob der/die PatientIn analog zur Aufgabe das »richtige« Feedback kriegt, hält er/sie an dem Gedanken fest oder lässt ihn los. Was das Forschungssubjekt selbst denkt, weiß es nicht immer, wichtig für es ist ausschließlich, wie ich bereits erörtert habe, dass sich die Orthese öffnet und schließt. Es manövriert seine Gedanken nach der sich öffnenden Orthese und orientiert sich an ihr, wobei eine neue Ursache, ein »neuer« Input entsteht. Die »Kurskorrektur« der Gedanken, also die Wirkung, erfolgt über das Feedback der Orthese, was dem/der PatientIn suggeriert, dass er/sie an das »Richtige« oder »Falsche« gedacht haben muss. Das heißt also, dass die Gedankensteuerung im Laufe der Aufgabe durch die mittels Gedanken (welche das auch sein mögen) verursachte Öffnung der Orthese gesteuert wird. Dabei ist die Öffnung der Orthese entscheidend, der Gedanke wird dagegen für den Patienten/die Patientin nach hinten gestellt. Allerdings ist jedem/jeder im Labor klar, dass die Maschine ausschließlich das wiedergibt, was der/die PatientIn präreflexiv in seiner/ihrer intrasubjektiven Welt und dann reflexiv durch Interaktivität der biomechanischen Fingerbewegungen als Teil des BMI mit erzeugt. Der Umstand, dass nicht eindeutig klar wird, wer oder was die Roboterorthese wirklich steuert, wird durch die Stimulation des Motorcortex‹ mit der tDCS-Stimulationselektrode deutlich. Im Moment der zirkulären wechselseitigen Anpassung von Mensch und Maschine erhöht sich die Qualität des Neurofeedbacks und somit die der techno-zerebralen Handlung. Wobei die Zuschreibung der Handlungsqualität (vgl. Rammert & Schulz-Schaeffer 2002) durch NeurowissenschaftlerInnen erfolgt. So interagieren Mensch und Maschine als gemeinsame Einheit in einem in sich geschlossenen zirkulären Kreislauf, wobei viele Übersetzungsketten die Voraussetzung der Mensch-Maschine-Anpassung und dieser Gesamteinheit bilden. Wer oder was tatsächlich steuert, bleibt dagegen unklar.
6.3.4 Artefakte, Konflikte und die Suche nach dem »sauberen Signal« Die Steuerung und Regulation der Roboterorthese mittels neuronaler Zustände kann auch durch Artefakte erzeugt werden. Die Erzeugung artefaktfreier, »sauberer« Daten und die Vermeidung von Messfehlern bestimmt daher in gewisser Hinsicht den Mensch-Maschine-Anpassungsprozess. Denn Artefakte und Messfehler sind bei der Mensch-Maschine-Anpassung Anzeichen einer fehlerhaften und destabilisierten Anpassung. Im Folgenden werde ich daher zunächst veranschaulichen, durch welche Strategien in den Neurowissenschaften versucht wird, Artefakte und die dadurch entstehenden Messfehler zu vermeiden. Wie ich bereits im Kapitel 6.2.1 angedeutet habe, stellen Artefakte Störungen im EEG dar. So können Soft- und Hardwareprobleme Ursachen für technische Artefakte sein. Beispielsweise können die Übersetzungsketten durch unterschiedliche Gründe gestört und dadurch die Mensch-Maschine-Anpassung destabilisiert werden. Biologische Artefakte dagegen werden durch die For-
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schungssubjekte verursacht, wodurch ebenfalls die Koordination von Mensch und Maschine destabilisiert wird. Und auch das Phänomen der Neuroplastizität stellt eine Destabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung dar, denn neuronale Prozesse können sich so weit und so schnell verändern, dass NeurowissenschaftlerInnen nicht präzise bzw. schnell genug ihre Praktiken und Techniken an die veränderten Umweltbedingungen anpassen können. Die Bedeutung von Artefakten und Messfehlern und der zuvor genannten Destabilisierungsursachen der Mensch-Maschine-Anpassung werde ich im Folgenden darstellen. Ein Teammitglied beschreibt Messfehler folgenderweise: »Messfehler sind allgegenwärtig, gerade wenn man mit lebenden Subjekten, sage ich einmal, experimentell arbeitet. (…) In allen Bereichen des Experiments können Messfehler oder Ungenauigkeiten oder Stör-Noise-Rausch-Einflüsse eingehen, sodass letztendlich das, was man mit seinem Messgerät misst, das auch wieder fehlerbehaftet ist, natürlich immer in dem Bereich einer Genauigkeit nur messen kann, dass also Messfehler immer da sind und deswegen diese letztendlich statistischen Auswertungen der Messergebnisse notwendig sind, die diese Messfehler irgendwie versuchen zu quantifizieren. (…) [S]olche Tests an diese Vertrauensintervalle zum Beispiel geben, wo man sagen kann: Wenn mein gemessener Mittelwert in dem und dem Bereich liegt, zwischen der oberen und der Vertrauensintervallgrenze, dann kann ich mit der und der Wahrscheinlichkeit behaupten, das stimmt. Wobei ich immer aber nur auf Wahrscheinlichkeiten verweisen kann. Wenn die einer bestimmten Güte entsprechen, dann ist das allgemein anerkannt, dass man davon spricht, das sind eben dann die Ergebnisse.« (WiMi027DrMed: Abs.052)
WiMi027-DrMed beginnt seine Ausführung zu Messfehlern damit, zu erläutern, dass Messfehler bei der Arbeit und vor allem beim Experimentieren an »lebenden Subjekten« kaum zu vermeiden sind. Diese Messfehler hätten unterschiedliche Quellen, die man statistisch quantifizieren und herausrechnen könne und müsse. Die Auswertung der Messergebnisse würde die Korrektur von fehlerhaften Hirnstrommessungen beinhalten, wobei die Korrektur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit berechnet und allgemein anerkannten Gütekriterien entsprechen würde. Der Interviewte nimmt hier also Bezug auf statistische Verfahren, die in den Neurowissenschaften anerkannt und praktiziert werden (vgl. Kapitel 6.2.1, 6.2.2). Auf die Frage hin, was von ihm als eine Fehlerquelle identifiziert werde, antwortet der Wissenschaftliche Mitarbeiter/Arzt: »Das kann zum Beispiel tatsächlich diese Intrasubjektvarianz sein, weil diese Daten ja nicht zeitgleich aufgenommen wurden, wenn man zum Beispiel diese EEG- und die MRT-Daten mal wieder vergleichen möchte.« (WiMi027-DrMed: Abs.057)
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Mit Intrasubjektvarianz ist laut dem Forscher eine menschliche Fehlerquelle gemeint: »MŞ: Intrasubjektvarianz, ist das dann die menschliche Fehlerquelle? WiMi027-DrMed: Genau. Die Hirnaktivierung ist gestern anders als heute, wenn er das Gleiche macht, weil wir uns in diesem Fall ja auch so eine isolierte Funktionalität des Gehirns angucken, also nicht nur diese Motoraktivierung. Wir wissen natürlich, dass das Gehirn in allen Bereichen ist. Alles ist mit allem verknüpft, alles arbeitet als eine Einheit zusammen. Das heißt, wenn der Kontext, der aus den anderen Arealen gegeben wird, kann heute auch ein anderes sein. Man ist irgendwie aufgeregt, weil irgendjemand gestorben ist oder sonst etwas, keine Ahnung. Das kann sich alles auf diese Teilsubsysteme auswirken, sodass da eine sehr hohe Varianz drin ist. Das ist die Hauptfehlerquelle. Dazu kommt, dass die Motivation, in unserem Fall eine Task durchzuführen, zum Beispiel die Handbewegung auf Kommando jeweils zu machen, eine halbe Stunde lang, dass die auch tagesabhängig sein kann. Einmal macht er es kräftiger und passgenau auf, das hat auch viel mit Aufmerksamkeit zu tun. Ist man motiviert, passt man genau auf, wann man die Handbewegung machen soll, dann ist man nicht gelangweilt oder denkt sich: Das bringt eh alles nichts! Das tritt natürlich auch auf. Das ist zum Beispiel mit ein Grund, warum wir diese Ruhemessung eingeführt haben, weil diese Ruhemessungen keinen Task haben. Bezüglich dieser Voraussetzung ist es jeden Tag gleich und vergleichbar. Natürlich, auch in Ruhe kann man in verschiedenen Grundzuständen sein, aufgeregt oder nicht. Zumindest haben wir die Variabilität bezüglich der Task-Complience, die haben wir da ausgeblendet. Das ist mit ein Grund, warum ich auch denke, dass diese Ruhedaten mit die aussagekräftigsten sein werden.« (WiMi027-DrMed: Abs. 059f.)
Hier wird nochmal deutlich, was ich bereits in den vorherigen Kapiteln angesprochen hatte: Das Gehirn verändert sich ständig, sodass von einer Neuroplastizität gesprochen wird. Die von mir teilnehmend beobachteten NeurowissenschaftlerInnen haben sich jedoch mehrere »isolierte Funktionalitäten« angeschaut – also die drei Befehlsabfolgen der Aufgabenstellung. Dass im Gehirn neuronale Prozesse im Grunde miteinander verknüpft sind, führt bei dieser separierten Betrachtung einzelner Felder zu einer weiteren »Fehlerquelle«. Denn verschiedene Umweltbedingungen, die nicht in die Analyse einbezogen wurden, beeinflussen ebenfalls täglich die Aktivitäten im Gehirn, wie bspw. der Gemütszustand bei einem familiären Sterbefall. Die Umwelteinflüsse, die auf das Gemüt der PatientInnen wirken, können dazu führen, dass die durch die NeurowissenschaftlerInnen gewünschten und isolierten neuronalen Prozesse durch andere neuronale Prozesse gestört werden. Das ist nach Ansicht der NeurowissenschaftlerInnen die Haupt-Fehlerquelle. Als zweite menschliche Fehlerquelle nennen sie die Motivation. Die monotonen Aufgaben würden dazu führen, dass die PatientInnen die Motivation verlieren und die Aufgaben nicht mehr konzentriert ausführen würden, dass sie gelangweilt wären und die Aufgaben, die sie durchführen, als
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nicht hilfreich für die Heilung ihrer Erkrankung bewerten würden. Aus diesem Grund hätten sie u.a. die Ruhemessung eingeführt. Durch die Ruhemessung muss der/die PatientIn keine anstrengende oder monotone Arbeit leisten und es können so Daten produziert werden, die täglich miteinander verglichen werden können. Dadurch kann ermittelt werden, wie »ruhig« oder »unruhig« die PatientInnen zum gegebenen Zeitpunkt waren und diese Daten können möglicherweise auch dazu genutzt werden, um unerwartete Messergebnisse bzgl. des Neurofeedback-Trainings mit den Messdaten der Ruhemessung erklären zu können oder zumindest die Ruhedaten miteinander vergleichen zu können. Im Vergleich zu den Motorik-Daten findet einer der von mir befragten/beobachteten Ärzte die Daten aus der Ruhemessung am gehaltvollsten. Das impliziert, dass die Produktion der Bewegungsdaten, also der Daten, die während der dreiteiligen Aufgabenstellung am Roboter erhoben werden, aufgrund der menschlichen Fehlerquelle weniger aussagekräftig sind und somit differenzierter betrachtet werden müssten. Überspitzt formuliert: Der Neurowissenschaftler hat wenig Vertrauen in die Neurofeedback-Daten. Die oben geschilderte Problematik der menschlichen Fehlerquelle ist beim Neurofeedback-Training nicht immer direkt sichtbar. Dies wird am Beispiel der Demotivation deutlich, die nicht immer direkt ersichtlich ist. Direkt sichtbare Fehler bzw. Störungen werden von den NeurowissenschaftlerInnen als »Artefakte« (im EEG) bzw. als »artifizielle Störeinflüsse« bezeichnet, die verschiedene Ursachen haben. Es gibt z.B. probandInnenbezogene, biologische Artefakte, Lid- und Augenartefakte, Muskelartefakte etc. Diskutiert wird durch die NeurowissenschaftlerInnen in diesem Zusammenhang, dass die Orthese auch bei Artefakten anspringt. Dies liegt ihrer Ansicht nach daran, dass die PatientInnen manchmal zu unruhig sind, dass sie gähnen, sich kratzen oder blinzeln. Dies ist m.E. auch tatsächlich problematisch, da bei jeder Bewegung EEG-Signale erzeugt werden, die möglicherweise das motorische Areal, welches ausgemessen wird, aktivieren und dadurch den »falschen« Befehl an die Orthese geben. Die NeurowissenschaftlerInnen erkennen solche »Fehler« nur durch das Beobachten des Forschungssubjekts. Wenn kein Teammitglied bei der Aufgabenausübung dabei ist, was während meiner teilnehmenden Beobachtungen durchaus vorkam, kann niemand kontrollieren, ob es eine Fehlmessung gab bzw. was die Fehlerquelle ist und wie die Daten auszuwerten sind. Dies bestätigt mir einer der Teammitglieder: »Durch das Beobachten wird der Fokus überhaupt erst zu Sachen gelenkt, die man anschließend tatsächlich wissenschaftlich auswertet.« (WiMi018-DrMed: Abs. 071). Ich deute das so, dass die NeurowissenschaftlerInnen manchen Daten erst nach Rückgriff auf die soziale Situation, in der sie entstanden sind, Sinn und Evidenz verleihen können. Und zwar jenen Daten, die ihren Erwartungen nicht entsprechen. Meistens erfolgt diese Sinngebung interaktional in Teamgesprächen. Dort wird dann bei der Diskussion der Daten bspw. gefragt, weshalb die bunten Kopfbilder so aussehen, wie sie aussehen. Als Antwort hört
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man dann so etwas wie: ›An dem Tag war die Elektrode schlecht.‹, oder ›Das ist Herr Gelb043s Fuß, der wippt immer.‹, ›An dem Tag war es besonders warm und der Patient war sehr müde.‹, oder ›Dieser Patient ist sehr demotiviert.‹ (vgl. z.B. P37). Man kann also davon ausgehen, dass die von Amann & Knorr Cetina (1988) beschriebene »evidence-fixation« hier interaktional im Teamgespräch erfolgt. Allerdings spielt im Fall der Neurowissenschaften noch eine weitere Komponente eine wichtige Rolle: die Rekonstruktion der situativen Datengenerierung. Um den ausgewerteten, visualisierten Daten und Repräsentationen, die für die NeurowissenschaftlerInnen zunächst paradox oder widerspruchsvoll erscheinen, Sinn zu verleihen, wird nicht nur die Situation betrachtet, sondern auch die bio-technische Gestalt wird zu einer gestalthaften Ganzheit (Lindemann 2002) in einer Raum-Zeit-Umwelt (re‑)konstelliert. Es sind also nicht mehr allein die Repräsentationen entscheidend, sondern auch die Forschungssubjekte. In diesen Momenten rückt das Forschungssubjekt als gestalthafte Ganzheit also durch unerwartete, sinnwidrige Repräsentationen wieder in den Vordergrund. Zwar werden, wie Hagner (2006) zurecht feststellte, in neurowissenschaftlich-klinischen Studien primär zerebrale Zustände betrachtet und das »Bild auf dem Bildschirm« ist das Hauptinteresse der NeurowissenschaftlerInnen. Bei unerwarteten, sinnwidrigen Repräsentationen jedoch macht die Bedeutung des Bildes allein, d.h. ohne den Rückgriff auf ihren Entstehungskontext, keinen Sinn. In diesem Fall wird im Prozess der Evidenz-Fixierung das Forschungssubjekt in den Interaktionsprozess der NeurowissenschaftlerInnen als gestalthafte Ganzheit (re‑)integriert, wobei der Fokus dabei auf der sozio-technischen Konstellation liegt. Als gestalthafte Ganzheit trägt das Forschungssubjekt somit zur Entscheidung bei, was die NeurowissenschaftlerInnen als evident definieren und auch als solches behandeln. Die Integration des Forschungssubjekts als gestalthafte Ganzheit erfüllt folglich den Zweck der Evidenz-Fixierung bei unerwarteten Repräsentationen, denen es Sinn verleiht. Die beobachtete Experimental-Situation ist demnach für die Interpretation des produzierten Neurowissen elementar – und daher auch zur Beurteilung der Validität der in den Neurowissenschaften produzierten Ergebnisse im Allgemeinen. Damit Ergebnisse nicht durch artifizielle Störeinflüsse verfälscht werden, wollen NeurowissenschaftlerInnen, wie bereits kurz angesprochen wurde, sicher gehen, dass sie »saubere Daten« erhalten. Folgendes Beispiel soll verdeutlichen, wie wichtig die fehlerfreie Datengenerierung für die NeurowissenschaftlerInnen ist. WiMi999-DrMed: »Das ist das Hirnstromtraining. Wenn er sich richtig konzentriert, dann öffnet sich das Gerät. Das Problem bei Herr Pink045 ist: Er konzentriert sich nicht. Ich helfe da jetzt mal bisschen nach.«
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WiMi999-DrMed stellt was am Programm um. »Ja, wenn er sie richtig versucht zu öffnen, öffnet sich die Hand. … Da sind wieder Artefakte. (guckt zu Pink045) Nicht bewegen. … Wirklich versuchen, nur auf die Hand konzentrieren.« Herr Pink045: »Mach‹ ich doch. Sehen Sie doch, es klappt.« [deutet mit den Augen auf die Orthese, die sich öffnet, MŞ] WiMi999-DrMed guckt auf die Hirnwellen: »Ja, aber ich sehe mehr, als Sie sehen. Gähnen Sie nicht. Gucken Sie nicht hin und her.« Pink: »Wenn ich gähnen muss, dann muss ich gähnen.« WiMi999-DrMed: »Gut, da müssen Sie gähnen.« Pink045: »Ich sage Ihnen mal, wie ich das mache.« WiMi999-DrMed: »Ja.« Pink045: »Ich stelle mir vor, dass ich den Impuls gebe und konzentriere mich. Und wenn das Gerät losgeht, versuche ich, meine Hand mitzustrecken.« WiMi999-DrMed: »Ja, das ist gut. Sie sind nur insgesamt ein wenig unruhig.« (…) Ja, schön entspannen… und weiter so. (guckt sich das EEG an und setzt sich vor den rechten Bildschirm. 10:05 Uhr) Jetzt entspannen, geradeaus schauen und durchatmen… jetzt strecken-strecken-strecken . und entspannen, geradeaus schauen… (10:07 Uhr) entspannen, geradeaus schauen, nicht bewegen. Sehr gut… jetzt wieder entspannen, geradeaus schauen, nicht bewegen (im Hintergrund: »Linke Hand…«, LOS«, »Entspannen!«).« Pink045: »Ich spüre den Mittelfinger.« WiMi999-DrMed: »Entspannen.« Pink045: »Wieviel haben wir noch?« WiMi999-DrMed: »Wir haben erst gerade angefangen. Jetzt entspannen, geradeaus schauen, nicht bewegen. Bei diesem ›LOS‹ eher mit den Gedanken arbeiten als volle Kanne.« Pink045: »Volle Kanne geht eh nicht.« (10:14 Uhr) Pink045: »So, jetzt das letzte Mal.« WiMi999-DrMed lacht: »Sie haben jetzt in der Zeit gerade mal die Hälfte von dem geschafft, was Herr Grün044 geschafft hat! So, jetzt möchte ich, dass Sie bei ›Entspannen!‹ die Augen schließen.« Pink045: »Auch bei Hand öffnen?« WiMi999-DrMed: »Nein, da nicht.« 10:16 Uhr: WiMi999-DrMed geht weg. Pink045 zu Grün044: »Grün044! Und? Wo biste?« Herr Grün044: »Bei 126« Pink045: »Ne, ich mein‹ zeitlich.« Grün044: »Weiß nicht. Vielleicht bei zwei Stunden oder so.« Pink045: »Na, das ist kacke.« WiMi999-DrMed kommt rein. Pink045 zu Grün044: »Du musst das so machen…«. WiMi999-DrMed unterbricht: »Man kann den keinen Moment allein lassen.« Pink045 macht das Neurofeedback-Training am Roboter weiter.
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10:19 Uhr: Die Übungen gehen weiter. WiMi999-DrMed sagt, ich solle Herrn Grün044 am anderen Gerät anleiten. Ich mache das bis 10:25 Uhr. Pink045: »Wieviel noch?« WiMi999-DrMed: »Noch einmal.« 10:38 Uhr: Pink045 will rauchen. WiMi999-DrMed: »Sie halten den Laden damit auf. Wir schaffen das zeitlich nicht. Gleich ist der nächste dran.« (P25: Abs. 021-049)
Dass Herr Pink045 bei der Aufgabenausführung etwas unruhig ist und gähnt, stört den Wissenschaftlichen Mitarbeiter/Arzt sehr. Er bittet den Patienten, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Dem Patienten wird hier eindeutig zu verstehen gegeben, dass er unerwünschte Artefakte produziert, indem er sich nicht konzentriert. Der Patient verweist ihn daraufhin darauf, dass man seine Konzentration an der Öffnung der Orthese doch sehen könne. Was Herr Pink045 nicht weiß und auch nicht wissen kann, ist, dass sich die Orthese möglicherweise auch öffnet, wenn er gähnt, sehr zum Ärger des Wissenschaftlers. Der Wissenschaftler entgegnet dem Patienten mit einem Blick auf die EEG-Signale, dass er aber mehr sehe, als der Patient selbst, er solle nicht gähnen und auch nicht hin und her gucken. Ohne den Patienten darüber aufzuklären, welche Folgen das Gähnen haben kann, wird dem Patienten erneut suggeriert, dass die Gedanken des Patienten für den Neurowissenschaftler auf dem EEG sichtbar seien und dass seine unruhige Art den Wissenschaftsbetrieb störe. Der Neurowissenschaftler gibt dem Patienten zu verstehen, dass er seine Unkonzentriertheit mit dem Blick auf die EEG-Signale feststellen könne. Der Neurowissenschaftler ist primär darum bemüht, die Experimentalsituation zu kontrollieren, indem er mögliche menschliche Fehlerquellen zu beseitigen versucht. Ihm müsste jedoch klar sein, dass die Versuchsdurchführung nur schwer zu standardisieren ist, auch wenn die Wiederholung der Aufgabendurchläufe insgesamt fast 45 Minuten beträgt – oder gerade weil sie so lange dauert und ermüdend für die PatientInnen ist. Der Patient gibt zu verstehen, dass er das Gähnen nicht kontrollieren könne, sodass er auch nichts an der nichtwillentlichen Störung der Versuchsanordnung ändern könne. Das sieht der Neurowissenschaftler dann auch ein, macht dem Patienten jedoch klar, dass er schon etwas unruhig sei und sich entspannen müsse, und gibt ihm weitere Instruktionen diesbezüglich. Als Pink045 ihn während des Versuchs darauf anspricht, dass er seinen Mittelfinger spüre (was eigentlich eine erfreuliche Nachricht bei SchlaganfallpatientInnen sein müsste), entgegnet der Arzt ihm, dass er entspannen solle. Tatsächlich ist der Patient etwas ungeduldig und fragt, wie lange es noch dauere, obwohl er »erst« vor einer viertel Stunde angefangen hat. Der Patient weiß, dass das Neurofeedback-Training 45 Minuten dauert. Allerdings ist auch das subjektive Empfinden der Dauer der Aufgabenausübung von Bedeutung. Möglicherweise ist der Patient an dem Tag wenig motiviert. Dass
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er sich zumindest gerne ablenken lässt, wird an folgender Sequenz deutlich: Um zumindest auszuschließen, dass der Patient in der Entspannungsphase »hin und her guckt«, bittet der Arzt ihn beim Entspannen, die Augen zu schließen. Dieser Bitte kommt der Patient jedoch nicht nach. Denn als der Neurowissenschaftler kurz hinausgeht, fängt Herr Pink045 an, sich mit Herrn Grün044, der am Rehabilitationsexoskelett trainiert, zu unterhalten. Das Unterhalten ist eigentlich während des Robotertrainings untersagt, denn das Forschungssubjekt muss die Aufgaben konzentriert ausüben, damit die Neurowissenschaftler valide, aussagekräftige Daten aus den Messungen erhalten. Als der Forscher wieder zurückkommt, erwischt er den Patienten bei der Unterhaltung und rügt ihn. Und auch als Pink045 sagt, dass er rauchen wolle, verärgert dies den Forscher. Er gibt dem Patienten zu verstehen, dass er mit seiner Rauchgewohnheit die zeitliche Planung im Labor durcheinander bringt. Seine Verärgerung ist m.E. durchaus zu verstehen. Denn zwischen den Trainingseinheiten sind zwar Pausen während des Tages für die PatientInnen eingeplant und werden auch mehr oder weniger eingehalten. Aber auch ungeplante Pausen können sich wegen der einen oder anderen Störung in den Versuchsanordnungen ergeben. Dass Herr Pink045 jedoch öfter rauchen will, stellt für die NeurowissenschaftlerInnen während der Versuche ein Störfaktor dar, denn der Patient wird aus Sicherheitsgründen nicht ohne Begleitung hinaus gelassen, sodass das Rauchen einen erheblichen zeitlichen Aufwand für das Team mit sich bringt. Obwohl also das Team mehr für die Motivation des Patienten tun könnte, liegen die Schwierigkeiten auch beim Patienten selbst. Das allgemeine Verhalten von Pink045 wird von einer Physiotherapeutin als depressiv eingestuft. Sie macht das daran fest, dass er, als sie ihm wegen einer verlorenen Wette zur FußballWeltmeisterschaft ein Schokoladen‑Überraschungsei gebracht habe, keine Mine verzogen habe. Zudem würde er am Rehabilitationsexoskelett die »Bewegungen hinschludern« und es sei »wie nicht mehr wollen, keine Motivation haben, keinen Antrieb haben, deswegen habe ich ihn als depressiv beschrieben« (Mia032Physio: Abs. 565). Und auch der Neurowissenschaftler WiMi999-DrMed ist, ohne dass er die Gründe dafür nennt, der Meinung, dass der Patient nicht am Lernen interessiert ist: 10:00 Uhr: Das EEG-Muster von Herrn Pink045 (am Rehabilitationsroboter mit WiMi999-DrMed) zeigt in vielen Bereichen stärkere Schwankungen. WiMi999-DrMed schüttelt den Kopf: »Sie haben alles andere als Lernen im Kopf. Sie müssen sich konzentrieren und nicht mit den Muskeln arbeiten. Konzentrieren Sie sich nur auf das Öffnen der Hand. (…) Ihr großes Problem ist nicht das Öffnen, ihr großes Problem ist, dass Sie in der Entspannungsphase an etwas anderes denken.« (P24: Abs. 015f.)
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Das nicht erwartungskonforme und unerwünschte Verhalten von PatientInnen ist für die NeurowissenschaftlerInnen ein großes Problem. Ein Grund, warum die NeurowissenschaftlerInnen wollen, dass sich die PatientInnen ruhig verhalten, besteht darin, dass sie dadurch eher artefaktfreie Daten bekommen und diese dann auch im Rahmen ihrer Studien analysierbar sind. Wie jedoch schon deutlich wurde, ist das Training am Roboter sehr ermüdend und langweilig. Aus diesem Grund verhalten sich einige der von mir beobachteten PatientInnen zeitweilig unruhig. Dieses unruhige Verhalten, das Einfluss auf das symbiotische Zusammenspiel von Mensch und Maschine hat, charakterisiert einen ernstzunehmenden Konflikt im Arbeitsgeflecht zwischen NeurowissenschaftlerInnen und PatientInnen, welches ich nun beschreiben möchte. Ich hatte zuvor schon angedeutet, dass für die neurowissenschaftlich-klinische Studie die EEG-Datenanalyse und somit die artefaktfreien Hirnsignale essentiell sind. Im Folgenden will ich auf die Konflikte eingehen, die daraus resultieren, dass NeurowissenschaftlerInnen »saubere Hirnsignale« möchten, die Versuchsanordnung dies jedoch nur bedingt zulässt. Die Diskussionen und Konflikte sind letztendlich Resultate des labilen Zustands der Mensch-Maschine-Anpassung. (Im L2 befindet sich Pink045 am Roboter. Er wird von mir betreut. Grün044 befindet sich am Exoskelett und wird von einer Physiotherapeutin betreut. WiMi016-BioIuT ist ebenfalls anwesend.) 10:09 Uhr: WiMi016-BioIuT diskutiert mit der Physiotherapeutin, dass er das nicht gebrauchen könne, wenn sie da sei und korrigiere. Er brauche die Daten, die Hirnsignale. Wenn sie am Rehabilitationsexoskelett interveniere, dann nützten ihm die Daten nichts. Die Physiotherapeutin steht auf und geht aus dem L2 hinaus. 10:22 Uhr: WiMi999-DrMed kommt und sagt zu WiMi016-BioIuT, sie müssten sich mal mit der Physiotherapeutin unterhalten, Er bittet WiMi016-BioIuT, mitzukommen. WiMi016-BioIuT geht raus. Grün044 sitzt allein am Exoskelett und macht die Bewegungsübungen mit eingespanntem Arm. 10:24 Uhr: WiMi016-BioIuT kommt rein und schüttelt den Kopf. Er sagt zu mir, dass er über dieses Thema bzgl. der zur Datenaufzeichnung ungünstigen Laborsituation mit mir sprechen wolle. Er geht nach einer Minute wieder raus. 10:34 Uhr: Herr Grün044s Fuß/Bein wippt auf und ab (das Bein zittert, als würden die Muskeln überstrapaziert), während er die Aufgaben am Exoskelett ausführt. WiMi016-BioIuT guckt ihn mit heruntergezogenen Mundwinkeln an. Herr Grün044 erklärt, dass das zu anstrengend sei. WiMi016-BioIuT sagt, dass er das wisse. 10:40 Uhr: Das Neurofeedback-Training von Herrn Pink045 ist vorbei, er muss jetzt das Bewegungsprogramm am Roboter absolvieren.
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Nach dem Training bittet mich Herr Pink045, mit ihm zu rauchen. Er wirkt genervt bzw. frustriert und ich erkläre ihm, dass die Ärzte sagen, dass er sich körperlich nicht so anstrengen solle, sondern nur daran denken solle, die Hand zu öffnen, wegen der Hirnsignale. Herr Pink045 sagt, es wäre ihm »scheißegal« wie die Hirnwellen aussehen würden, die Daten wären ihm »scheißegal«. Hauptsache, er könne seine Hand öffnen. Er habe das Gefühl, dass das immer mehr von ihm selbst komme. Er wäre froh, dass er die Hand über den Roboter öffnen könne. Das könne er ja von selbst nicht. Ich frage ihn, ob er spüre, wie seine Hand sich öffnet. Er sagt, dass er das ein bisschen spüren könne. (P24: Abs. 018-024)
Die Physiotherapeutin ist darum bemüht, dass der Patient Grün044 die Bewegungsausführungen »richtig« macht. Sie leitet ihn daher an, wobei sie ihn auch ab und zu unterstützt, indem sie die gelähmte Hand des Patienten, die den Joystick umfasst, in Richtung des auf den Monitor sichtbaren virtuellen Balls führt. Dem Neurowissenschaftler ist diese Unterstützung nicht recht. Als er merkt, dass der Patient unterstützt und angefasst wird, reagiert er genervt. Dies hat zwei Gründe. Zum einen führt jede Berührung des Patienten dazu, dass Artefakte im EEG erzeugt werden. Zum anderen entsprechen die aufgezeichneten Bewegungsdaten nicht mehr den nur durch den Patienten ausgeführten Bewegungen, wenn die Physiotherapeutin den Patienten bei der Bewegungsausführung unterstützt. Zudem weist das EMG ebenfalls Artefakte auf. Diese unsaubere Datenlage ärgert den Physiker, was er auch im L2 im Beisein aller Anwesenden gegenüber der Physiotherapeutin äußert. Diese verlässt daraufhin das Labor und kehrt nicht zurück. An ihrer Stelle kommt WiMi999-DrMed ins Labor, der zuvor im L1 gearbeitet hatte und dem die Physiotherapeutin die Situation geschildert haben muss – denn er bittet seinen Kollegen zu einem Gespräch hinaus. Nach einem im L1 durchgeführten Gespräch kommt der Physiker erneut ins L2 und sagt mir, dass er mit mir über diese Situation sprechen wolle. In diesem später stattfindenden Gespräch erzählt er mir, dass ich ja sehen könne, wie schwer das sei, unter diesen Umständen zu forschen und saubere Daten zu generieren. Er sagt, dass die allgemeine Situation im Labor schon schwierig genug für die Datenaufzeichnung sei. Eigentlich müsse alles absolut ruhig laufen und jedes Gerät müsse an einem separaten Raum stehen. Für den Physiker, der seinen Fokus auf die Erzielung brauchbarer Daten richtet, ist es daher ein zusätzliches Problem innerhalb einer ohnehin schon schwierigen Situation, wenn nun auch die Physiotherapeutin die Daten durch ihr Eingreifen verunreinigt. Und auch dem Patienten entgehen diese Anspannung und das angestrengte Bemühen des Physikers natürlich nicht. Dass der Physiker später bei der Beobachtung die Mundwinkel herunterzieht, suggeriert dem Patienten, dass seine zusätzlichen Bewegungen unerwünscht sind (was auch oft im Labor geäußert wird), woraufhin Grün044 zu verstehen gibt, dass sein Zittern an Fuß und Bein
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auf die Anstrengung zurückzuführen sei und daher unbeabsichtigt erfolge. Dass der Physiker dem entgegnet, dass er das wisse, ist ein Anhaltspunkt dafür, dass während der Versuche nicht viel Rücksicht auf die Anstrengung genommen werden kann bzw. dass keine erleichternden Maßnahmen getroffen werden. Anders hat es offensichtlich die Physiotherapeutin gesehen. Denn die unterstützende Leistung seitens der Physiotherapeutin kann man aufgrund der Aussage von Herrn Grün044, dass die Arbeit am Exoskelett anstrengend sei, auch dahingehend deuten, dass die Physiotherapeutin die (aus ihrer Sicht zu) große Anstrengung erkannt hat und helfen wollte. Doch auch wenn diese Hilfe wahrscheinlich im Sinne des Patienten war: Sie stellt bezüglich der Datenaufzeichnung eine Störvariable dar, die die anfällige Mensch-Maschine-Symbiose negativ beeinflusst. Die Anfälligkeit der MenschMaschine-Symbiose äußert sich dabei dahingehend, dass die EEG- und EMGDaten keine validen Ergebnisse darstellen und diese nicht-validen Ergebnisse zum anderen weitere Maßnahmen zur Wiederherstellung der motorischen Funktionen beeinträchtigen könnte. Beispielsweise werden auf der Grundlage bereits erhobener und ausgewerteter Daten i.d.R. neue Screenings und Testmessungen durchgeführt, auf dessen Genauigkeit NeurowissenschaftlerInnen angewiesen sind. Für die Analyse und Interpretation der Befunde sowie für die Präsentation und Publikationen ihrer Ergebnisse in der Fachwelt spielt die Genauigkeit der Daten eine maßgebliche Rolle. Die WissenschaftlerInnen sind dementsprechend extrem bemüht, während des Forschungsprozesses diese genauen Daten zu generieren. Für Herrn Grün044 bedeutet dies konkret, dass im Verlauf der Studie sein zitternder Fuß mit Klebeband auf dem Boden fixiert wird. Dadurch versuchen die Teammitglieder zu gewährleisten, dass der Fuß ruhig gestellt wird und keine Artefakte mehr erzeugt (vgl. P28: Abs. 063f.). Wie der Patient diese Fixierung empfunden hat, kann ich auf der Grundlage meiner eigenen erhobenen Daten leider nicht beurteilen. Fest steht jedoch, dass die PatientInnen im Gegensatz zu den WissenschaftlerInnen eben nicht an den sauberen Daten interessiert sind, sondern ausschließlich an dem Heilprozess. Für den Patienten Pink045 sind die Daten bspw. »scheißegal«, er ist an direkten Ergebnissen interessiert: der Öffnung der Hand mittels der Orthese. Denn daran sieht er, dass er alles richtig gemacht hat. Insgesamt ist einigen PatientInnen offensichtlich auch nicht klar, weshalb genau es für die NeurowissenschaftlerInnen und für die PatientInnen selbst wichtig sein soll, möglichst fehlerfreie Daten zu generieren – was auf eine unzureichende Aufklärung der PatientInnen verweist. Vielleicht ist es auch dieser fehlenden oder unzureichenden Information zuzuschreiben, dass einige PatientInnen das Vorgehen der Forschenden kritisieren. Bspw. gibt Herr Blau051 zu verstehen, dass der Aufwand, der im Labor betrieben werde im Verhältnis zu den gesammelten Daten zu groß sei, vor allem da die PatientInnen darunter leiden würden. Er sieht eine Gefahr darin, dass der Fokus in neurowissenschaftlich-klinischen Studien auf der Forschung und der
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Zufriedenstellung der Geldgeber liegt. Dadurch würde das PatientInnenwohl in Mitleidenschaft gezogen, was er mit seiner Wahrnehmung eines rücksichtslosen Ansammelns von Daten begründet: »[E]s ist genau das gleiche Problem wie bei diesen zwei unterschiedlichen Maschinen auch. Die Frage ist, inwiefern man da selber noch Subjekt oder Objekt ist. Indem man die Vorgänge steuert und natürlich auch aus den Verwertungen heraus gewisse Veränderungen, oder ob man da nur noch da ist zum Datensammeln. Das ist ja auch so etwa: Hauptsache, man hat Daten, Daten, Daten, Daten. Es wird ja alles gesammelt, alles gemessen. Ob es nun sinnvoll ist, ist die zweite Frage. Das ist schon nicht einfach. (…) Außerdem ist natürlich auch immer die Frage bei solchen Geschichten: Wer interpretiert das und trifft die Entscheidung aus dem heraus, wie es weitergehen soll oder wie eine Entwicklung, eine körperliche oder eine maschinelle, weitergehen soll? Wissen Sie, was ich meine? Sie haben gerade noch einmal etwas gefragt? MŞ: Kann man das sehen im Labortraining, dieses Thema Datensammeln? Woher wissen Sie das, wie haben Sie das gemerkt, wurde das so kommuniziert? (…) Blau051: Ja, ich meine, das ist vor allem auch vor dem Hintergrund, dass es manchen Leuten zu viel wurde. (…) Prof999-DrMed hat sich vorgestellt, dass man von morgens acht bis um fünf an diesen Sachen übt. Können Sie sich das vorstellen? Und Samstag, Sonntag auch noch! Der wollte das an so vielen Tagen wie möglich und so viele Leute, die da durchbringen, wie möglich durchschleusen, um Ergebnisse zu haben. Das mussten sie dann abbrechen, weil die Leute waren so nicht ausbeutbar. Wie er sich das vorgestellt hat. Der wollte die Leute ja nicht schinden, aber es ist klar: Wenn die Leute vormittags und nachmittags an den Maschinen hängen und Samstag, Sonntag auch noch, haben sie natürlich mehr Daten und können statt, ich weiß nicht, das geht sechs Wochen á vier Leute. Also, wenn sie das im Jahr nehmen, haben sie vielleicht sogar noch achtzig Leute mehr durchgeschleust. Das ist auch so etwas. Hauptsache, man hat Daten zur Auswertung. Ich weiß auch nicht genau, wie das Verhältnis ist von Fördergeldern und Ergebnissen. Es ist klar, dass sie … jetzt meine Hirnströme messen wollen und die Funktion und so. Aber ich denke mir auch: Wenn die so Zwischenergebnisse an Forschungsinstitut X liefern, dann zeigen sie denen, dass sie etwas arbeiten für das Geld, was sie kriegen. Das ist ja auch immer so eine Ambivalenz. Sie müssen den Geldgebern zeigen, dass sie etwas arbeiten und sie arbeiten ja nur etwas, wenn sie von den Kranken Daten haben, vor allen Dingen, wenn sie die da durchschleusen. ((lacht)) Ob die wollen oder nicht. (…) Der Prof999-DrMed hat zu mir selber gesagt: ›Wissen Sie, wir arbeiten hier auf Weltniveau‹ Um darzustellen, dass er auch in Konkurrenz steht. Ich habe halb mitbekommen, dass offensichtlich Stadt B der zweitgrößte neurologische Schwerpunkt ist nach London in Europa. Wenn der sagt: ›Wir arbeiten hier auf Weltniveau.‹, dann will er das Weltniveau natürlich auch halten. Da hat er entsprechendes Krankenmaterial und dass er die entsprechenden Maschinen hat. Das gilt es auch so ein bisschen auszuchangieren.« (Blau051: Abs. 423-451)
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Der Patient gibt zu verstehen, dass im Labor ein Dilemma zwischen einer dem Krankheitsbild und den Bedarfen der PatientInnen adäquaten PatientInnenversorgung einerseits und der für das Arbeiten auf »Weltniveau« und für die Zufriedenstellung der Auftraggeber notwendigen Datensammlung andererseits herrscht. Für die PatientInnen stelle das Ausmaß, in denen Daten gesammelt werden müssten, eine Überforderung dar. Man habe zu Anfang so viel und lange trainieren müssen, dass dies für viele PatientInnen zu viel wurde. Dass die PatientInnen jedoch letztlich nicht »ausbeutbar« waren, deutet darauf hin, dass sie das mühselige Training, welches für die PatientInnen harte Arbeit war und sie sehr viele zeitliche Ressourcen gekostet hatte, in der gewollten Form nicht sehr lange mitgemacht haben. Dass die NeurowissenschaftlerInnen auf die Daten angewiesen sind, wurde ihnen gegenüber offensichtlich dadurch begründet, dass die Forschenden auf Weltniveau arbeiten. Der Patient zeigt auch einiges Verständnis dafür, dass die Neurowissenschaften ihren Geldgebern gegenüber verpflichtet sind, Ergebnisse zu produzieren und sich zu rechtfertigen. Die Ambivalenz bzw. die Gefahr, die sich dabei zeige sei jedoch, dass die Ergebnisse durch die »Ausbeutung« der PatientInnen produziert würden, welche sich dann die Frage stellten, »inwiefern man da selber noch Subjekt oder Objekt ist«. Seiner Ansicht nach sollten gleich viele zeitliche wie personelle Ressourcen in die PatientInnenarbeit und die Datensammlung investiert werden. Wenn der Fokus hauptsächlich auf der Datensammlung liege, könne das PatientInnenwohl gefährdet sein. Dass genau dies jedoch in der Praxis offenbar geschieht, zeigt folgender Auszug einer Teambesprechung im Labor: WiMi024-MedPsy: »Yes, but I am afraid of overstimulation.« Prof999-DrMed: »Do it. Only to have the data.« (P37: Abs. 033f.)
Für den Professor ist die Gefahr der Überstimulation zu vernachlässigen, wenn es darum geht, brauchbare Daten zu erheben. Der zuvor zitierte Patient Blau051 steht mit seiner kritischen Bewertung der Forschungspraxis also nicht alleine dar. Selbst einige Teammitglieder bewerten das Training als für die PatientInnen zu anstrengend. Auch sie verweisen jedoch darauf, dass sich dies allerdings im Laufe des Projekts geändert habe: »Ich glaube, dass wir die Patienten mittlerweile nicht mehr so überfordern, wie am Anfang. Die erste Idee, auch von Prof999-DrMed ausgehend, war ja, dass der erste Patient, damals schon als Patient, zwölf Stunden am Tag fast Training hat und Experimente. Das war ihm auch nicht auszureden. Wir wussten ja vorher, dass es nicht ganz so klappen wird. Und die ersten paar Tage gingen dann auch schon in die Hose. Und da hat er auch schon zurückgerudert und konnte dann, nachdem er das gesehen hat, wie fertig der Patient war, dann hat sich das deutlich gebessert. Mittlerweile sind die, glaube ich, nur noch halbtags oder so am Trainieren und haben dann auch Zeit. Wenn man sich die
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neuronale Plastizität so ein bisschen vorstellt, dann ist das ja auch sinnvoll, da Pausen zwischendrin zu haben. Man kennt das ja vom Lernen oder von anderen Dingen auch. Es macht schon mehr Sinn. Dadurch sind die Patienten auch gewillter, sich ein bisschen zu quälen und sind der Sache nicht so überdrüssig.« (WiMi030-MedPsy: Abs. 131)
An dieser Aussage zeigt sich deutlich, dass eine zu ehrgeizige und deshalb rücksichtslose Datengenerierung nicht nur zur Überforderung und zur Demotivation der PatientInnen führt, sondern sogar den durch die Übungen beabsichtigten Lernerfolg verhindert, dadurch dass zur Entfaltung des Lerneffekts im Gehirn, der durch das Neurofeedback verursacht werden soll bzw. wird, keine Zeit gegeben wird. Dieses fehlende Zurverfügungstellen zeitlicher Ressourcen kann letztlich zur Destabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung führen. Denn letztendlich hat das Gehirn unter diesen Bedingungen, um in der Sprache des zitierten Neurowissenschaftlers zu bleiben, nicht genug Zeit zur Erholung. Um jedoch etwas lernen zu können und der Reorganisation des Gehirns Zeit zu geben, muss den PatientInnen Zeit für Pausen eingeräumt werden. Die Pausen ermöglichen jedoch nicht nur das Lernen, sondern wirken sich nach Ansicht des Befragten auch deutlich auf die Motivation der PatientInnen aus, das anstrengende Training in Kauf zu nehmen. Die im Team arbeitenden NeurowissenschaftlerInnen haben dies erkannt. Da sie die Mitarbeit der PatientInnen würdigen wollen, haben sie diese an einem Tag zum Mittagessen eingeladen – sehr zum Ärger des Professors: »WiMi018-DrMed: »I would like to mention, that we will go and have lunch with our patients tomorrow. Because they worked together with us and we had a good time.« Prof999-DrMed: »Usually, we do not go out with our patients. … Distance is very important. There should not be a personal relationship. I know, some of you made this personal relationship to some extent. But you have to be an authority to them. How do you want to be an authority, if you go out with them? I always say to my patients, that this is a big opportunity for them. What we are doing is innovative. And I said this to our patients, too. We invest a lot of money. We are confident; they should do the best to get this chance. We do not thank the patients for the training. We do treatment. They were chosen between hundreds of patients. And I said this to our patients, too. This is a big chance for them and they should be thankful.« WiMi888-BioIuT: »But, you know, I would never do, what they have to do all day long.« Prof999-DrMed: »You cannot judge it, because you are not paralysed. I would do everything, if I were paralysed.« WiMi888-BioIuT: »I would not do. … We say ›thank you for supporting‹ … « WiMi018-DrMed: »So what should we do? I think it would be a bad situation, if we chancel this. We can do it. But to be honest, I would not chancel it.«
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WiMi024-MedPsy: »It is not a dinner. It is a lunch, right? I do not see a problem. I think, we can be an authority and have lunch with them. If look at Christmas time in hospitals, physicians and patients do the celebration together.« Prof999-DrMed: »That is something different. You do not need to chancel it. But you have to keep that in mind for the future. We are physicians. We do treatment. … We do not have to be thankful. The patients have to be thankful. And they often are. … I get a lot of presents from them, money, wine etc. From the medical point of view we do treatment.« WiMi888-BioIuT: »See, Mr. Pink045, he has no respect at all. He says that we do scientific tests with him.« Prof999-DrMed: »We do not insist him to stay. We are going to kick him out.« (P37: Abs. 43-52)
Es zeigt sich hier ein Rollenkonflikt, der möglicherweise daraus resultiert, dass die NeurowissenschaftlerInnen aus interdisziplinären Bereichen kommen. Nicht jede/r Wissenschaftliche MitarbeiterIn ist gleichzeitig Arzt/Ärztin, der/die eine Autoritätsperson darstellen will/kann/muss. Für den Professor ist klar, dass alle an dem Projekt beteiligten WissenschaftlerInnen eine Autoritätsperson darstellen sollen und müssen. Aufgrund dessen sieht er das Mittagessen als Problem, da der damit verbundene Aufbau einer persönlichen Beziehung das autoritäre Verhältnis zwischen WissenschaftlerIn und PatientIn in Frage stelle bzw. beende. Er sieht jedoch auch den Grund des Mittagessens nicht ein. Seiner Ansicht nach hätten sie als Behandelnde keinerlei Grund, sich bei den Behandelten zu bedanken. Im Gegenteil. Dies ist m.E. ein Hinweis darauf, dass selbst das Labor mitsamt der MitarbeiterInnen im Hinblick auf die Heilversuche am Menschen derart rekonfiguriert wird, dass der Arbeitsbogen eher einer Behandlungsform gleicht als einem Experiment bzw. einem Heilversuch. Die Situation ist jedoch weitaus komplizierter: Einer der Mitarbeiter, der sich im Übrigen darüber aufregt, dass die PatientInnen sich so oft bewegen oder die PhysiotherapeutInnen zu viel intervenieren, gibt sogar zu verstehen, dass er das, was die PatientInnen im Labor tun, selbst nicht machen würde. Dies deute ich wiederum so, dass bei den Versuchen der Aspekt des Experimentierens vordergründig ist und durch den Mitarbeiter selbst abgelehnt wird bzw. würde. Dies deute ich auch als Zeichen dafür, dass persönliche Moralvorstellungen nichts mit ethischen Konventionen bzgl. der Heilversuche am Menschen zu tun haben müssen, ja dass beides geradezu widersprüchlich sein kann. Denn der Mitarbeiter arbeitet bei der Herstellung der Heilversuche an SchlaganfallpatientInnen mit, die er selbst immer wieder zur Disziplin auffordert, gibt gleichzeitig jedoch zu verstehen, dass er selbst nicht an solchen Heilversuchen teilnehmen würde. Daraufhin entgegnet ihm der Professor, dass er das nicht beurteilen könne, er selbst würde alles tun, wenn er einen Schlaganfall gehabt hätte. Er betrachtet die aktive Teilhabe am Genesungsprozess demnach als PatientInnenpflicht, ähnlich dem Parsons’schen (1977, 1979) Rollenkonzept bzgl. Krankheit und Gesund-
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heit, wobei er das das Verhältnis zwischen PatientIn und Arzt/Ärztin als durch Autorität und somit durch ein ungleiches Machtverhältnis und durch Abhängigkeit charakterisiert begreift. PatientIn und Arzt/Ärztin befinden sich folglich in einem Abhängigkeitsverhältnis, das dadurch charakterisiert ist, dass der bzw. die Kranke aktiv für seine/ihre Gesundheit sorgen muss und eventuell dankbar Hilfe in Anspruch nehmen muss, um die Rollenpflichten wieder erfüllen zu können. Allein der Arzt/die Ärztin als Professionelle/r, so sieht es hier auch der Professor, hat die medizinische Fähigkeit und Kenntnis darüber, die PatientInnen zu behandeln. Daher sollten diese dankbar sein. Er fühlt sich in seiner Ansicht bzgl. der erwarteten Dankbarkeit der PatientInnen zum einen dadurch bestätigt, dass das Angebot an der Teilnahme an den Studien deutlich kleiner war als die Nachfrage: Es hätten sich viel mehr PatientInnen beworben, als angenommen worden seien, sodass die Angenommenen dankbar sein sollten. Er fühlt sich zum anderen auch deswegen in seiner Ansicht bestätigt, weil PatientInnen ihn beschenken würden (ob sie das tatsächlich getan haben, ist mir nicht bekannt). In seiner Denkart ist es dementsprechend nur logisch, nicht-dankbare PatientInnen, die unerwünschtes Verhalten zeigen, zu sanktionieren. Dies wird auch im Rahmen des Projektes praktiziert: Bei fehlendem Respekt oder gar Beschuldigungen seitens der PatientInnen, die NeurowissenschaftlerInnen würden wissenschaftliche Tests mit ihnen machen, müssen PatientInnen mit Rausschmiss rechnen (vgl. P37). Die Einstellung des Professors ist m.E. als dem Sachverhalt wenig angemessen zu bewerten. Denn dem Professor müsste klar sein, dass es sich im Falle der Teilnahme an der neurowissenschaftlich-klinischen Studie um einen Heilversuch handelt, der, wenngleich die Versuche durchaus einen experimentellen Charakter aufweisen, mit ganz bestimmten Erwartungen der und an die PatientInnen einhergeht. Denn diese leisten über zwei Perioden von sechs Wochen eine Mitarbeit an der Datenproduktion und somit auch einen Beitrag zur Wissensproduktion, die nicht nur für die PatientInnen und die ForscherInnen, sondern auch gesamtgesellschaftlich relevant ist. Zudem gehen mit Ermüdungserscheinungen und der Demotivation von PatientInnen geringere Konzentrationen und Unruhe während des Neurofeedback-Trainings einher, wodurch »schlechte« bzw. artefaktvolle Daten generiert werden. Das Gegenteil wird jedoch von den NeurowissenschaftlerInnen intendiert. Auch deshalb ist es wichtig, die PatientInnen zu motivieren und die Versuchsanordnungen an ihre Bedürfnisse anzupassen.
6.3.5 Kartierung und Verstärkung der Signalpunkte Auch wenn die NeurowissenschaftlerInnen die Datenmenge nicht direkt beeinflussen können, weil andere Faktoren Einfluss auf die Menge an produzierten Daten haben, haben sie die Möglichkeit, durch die ECoG-Implantation an qualitativ hochwertigere Daten zu gelangen und dabei das Gehirn gezielt zu stimulieren.
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Damit die ECoG-Implantation durchgeführt werden kann, wird das motorische Areal des Gehirns vorher über die TMS sowohl kartiert, als auch stimuliert. Durch die transkranielle Magnetstimulation werden gewünschte motorische Hirnareale stimuliert und dadurch diejenige Hirnpunkte lokalisiert und kartiert (»brainmapping«), die durch die transkranielle Magnetstimulation motorischer Aktivitäten in bestimmten Punkten des Arms und der Hand der PatientInnen ausgelöst werden. Dazu sitzen die PatientInnen auf einem Liegestuhl. Damit die »Antworten« der Muskelpunkte durch die Stimulation sichtbar werden, bekommt der/die PatientIn vorher fünf kleinere EMG-Elektroden (neben den im Kapitel 6.2.2 erwähnten verklebten EMG-Elektroden) auf einzelne Punkte der Hand und des Unterarms geklebt. Vor dem Patienten bzw. der Patientin befinden sich zwei Monitore. Vom linken Monitor aus wird das Programm bedient. Auf diesem werden auch die MRT-Kopfbilder des Patienten/der Patientin angezeigt. Dazu übermittelt ein/e WissenschaftlerIn MRT-Daten auf den Computer des TMS und speichert sie nach individueller ID ab, wobei die ID deshalb aufgerufen wird, damit die MRT-Aufnahmen zugänglich werden. Die Anzeige des PatientInnenkopfs durch das TMS-Programm wird von allen PatientInnen als befremdlich beschrieben, weil sie das Gesicht zum Teil löchrig darstellt. Die NeurowissenschaftlerInnen erklären das damit, dass mit dem Gerät etwas nicht stimme. Damit Mensch und Maschine (TMS) aneinander angepasst werden, müssen feste Bezugspunkte von Gehirn und Kopfoberfläche mit der MRT koordiniert werden. Dazu wird den PatientInnen eine Brille (ein Referenzierungsrahmen) mit LEDs aufgesetzt. Das TMS-Gerät identifiziert dann durch eine Infrarotkamera über die LEDs des Referenzierungsrahmens die Kopfposition des Patienten/der Patientin. Mit einem Referenzierungsstift, an dem ebenfalls LEDs befestigt sind, werden dann soft- und hardwaretechnisch die eingelesenen MRT-Bilder des Patienten/ der Patientin und der PatientInnenkopf bzw. das Gehirn deckungsgleich gebracht. Dazu wird der Stift über die im Kapitel 6.2.2 vorgestellten Kopflandmarken, also Nasion, Inion usw., gehalten und die Position durch Betätigung eines Fußschalters durch den/die WissenschaftlerIn bestätigt. Danach kann man auf einem Monitor in 3D in den PatientInnenschädel und das Gehirn hineinzoomen. Dieser Prozess wird von einem der von mir befragten Wissenschaftler als »peeling the brain like an onion« bezeichnet. Anschließend wird punktgenau mit einer Magnetspule, die über den Kopf des Forschungsubjekts gehalten und durch einen Fußschalter bedient wird, stimuliert. Die Positionierung der Magnetspule wird am linken Monitor auf der Abbildung des Gehirns des Forschungssubjekts durch einen blau-roten Doppelpfeil angezeigt. So kann abgelesen werden, in welche Richtung die Magnetladung erfolgt. Durch die Magnetstimulation werden die zerebralen Punkte des Patienten/der Patientin detektiert, die eine Verbindung zu einem durch die Elek-
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troden ausgemessenen Muskelpunkt aufweisen. Jeder Elektrodenpunkt hat eine andere Farbe, sodass durch die Farbe, die auf dem Gehirnbild visualisiert wird, die genauen Gebiete auf der Hand bestimmt werden können, bei der die EMGElektrode Signale gemessen hat. Dadurch wird das motorische Areal im Gehirn wie eine Landkarte kartiert und die NeurowissenschaftlerInnen können genau bestimmen, welche zerebralen Punkte motorische Punkte ansprechen. Die eindeutigen und für die Studie adäquat identifizierten Punkte nennen die NeurowissenschaftlerInnen »Hotspots«. Jeder Hotspot wird durch mehrere punktgenaue Stimulationen ermittelt. Dabei zählen die NeurowissenschaftlerInnen die Antworten, die sie in Form von Signalstärken von den mit Elektroden beklebten Muskelpunkten bekommen. Dieses Prozedere läuft wie folgt ab: Die Spule wird am Kopf angesetzt und in Position gebracht. Danach folgt eine Stimulation mit Klack-Geräusch, gefolgt vom Blick der/des Forschenden auf die auf dem rechten Monitor abgebildeten Signalstärken. Wenn das Signal, also die Antwort vom Muskelpunkt, befriedigend ist, folgt ein lautes: »one of one«. Danach wird die Spule erneut am Kopf angesetzt. Es folgt eine kurze Orientierung der für das TMS zuständigen Neurowissenschaftlerin über die Positionierung der Magnetspule durch den auf dem Monitor angezeigten Doppelpfeil, gefolgt von einer Stimulation durch die Betätigung des Fußschalters. Wenn die Antwortstärke unbefriedigend ist, folgt ein »one of two« (also eine positive Antwort von zwei, wobei die erste positive Antwort sich auf die Antwort in der Vergangenheit bezieht, die zweite Antwort jedoch eine negative war, sodass nur eine von zwei möglichen Antworten positiv zu bewerten ist) usw. Erst wenn genügend viele Antworten bei einer durch den Schwellenwert (den »Treshold«) festgelegten bestimmten Stimulationsintensität ermittelt wurden, sprechen ForscherInnen von einem Hotspot. Der Hotspot ist zur Bestimmung der invasiven BCI, also der ECoG-Implantation, elementar. Was die Einführung des TMS im Projektkontext anbelangt, so gibt es dabei zunächst kleinere Schwierigkeiten mit der Fixierung des PatientInnenkopfs. Im Verlauf der Studie geraten die Stimulationsstärke und das Finden des Hotspots immer mehr in den Fokus, da sie ausschlaggebend für die Implantation sind: WiMi018-DrMed erzählt, dass sie ein neues Gerät, das TMS hätten. Er sagt, dass es Probleme mit dem Kopf des Patienten gäbe. Der müsse fixiert werden. WiMi017-DrMed sagt, dass sie aufpassen müssten, aber der Patient würde oft nicht so still sitzen bzw. liegen bleiben. (…) WiMi024-MedPsy redet über das TMS. Die ersten zwei Patienten wären super und sie sagt, dass sie gute MIPs hätten. Sie sagt, dass sie einen Hotspot bei Frau Weiss046 bekommen hätten. Bei den letzten zwei Patienten hätten sie bis dato keinen bekommen. WiMi024-MedPsy sagt, dass sie mit TMS »etwas« bezogen auf die Verbindung vom Gehirn zum Muskelpunkt nicht sehen könnte.
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Dazu sagt WiMi016-BioIuT, dass sie den APB bekommen solle. Sie solle einfach mit 100 % gehen. Dabei nimmt er die Hände hoch, hält sie parallel zum Kopf, bewegt sie vor und zurück und sagt: »Just go 100 % bop-bop-bop.« WiMi024-MedPsy: »Something connects the brain with the hand. […] There is something. But what?« (P33: Abs. 168-174)
Die Psychologin macht auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam. Sie sagt, dass das Team über das TMS und die Stimulation etwas Bestimmtes nicht sehen könne. Daraufhin antwortet ihr Kollege, dass sie einfach auf höchster Stufe stimulieren solle, was suggeriert, dass zuvor Unsichtbares möglicherweise durch die Stimulation sichtbar wurde. Offensichtlich ist hier die Verbindung zwischen Gehirn und Hand gemeint. Denn im Anschluss gibt die Psychologin zu verstehen, dass sie das Gefühl habe, dass das Gehirn durch etwas mit der Hand verbunden wird. Etwas würde diese Verbindung herstellen, wobei sie nicht wisse, was genau das sei. Damit die PatientInnen nicht »überstimuliert« werden, ist es wichtig, bereits im Vorfeld der Stimulation festzulegen, mit welcher Intensität stimuliert wird. Es gilt also, einen genauen Wert für die Stimulation zu definieren und diesen von anderen Werten und Muskelantworten zu differenzieren. Dadurch wird die Integrität der gemessenen Muskelantworten bestimmt: WiMi024-MedPsy erzählt etwas über APB: »50 is a response. What is difference between 48 and 52, is difficult to say.« WiMi016-BioIuT: »What do you thing, when you notice some intensity?« Prof999-DrMed: »And is there integrity? […] We have to have statistical numbers.« WiMi024-MedPsy: »We have intensity.« Prof999-DrMed: »Promising for the health is perfect. The chance is not high but there is a chance for decision for implantation, right?« […] (…) WiMi016-BioIuT redet etwas über inhibitory activiy. Herr Grün044s Daten seien also gut, man könne erkennen, welche Stelle des Gehirns aktiv ist, wenn er die Bewegung ausführen wolle und ausführe. Man sehe also die Aktivitäten dort, wo man sie auch erwarten würde. Nun zeigt WiMi016-BioIuT ausgewertete Kopfbilder in bunten Farben von Frau Weiss046. WiMi016-BioIuT: »She is more likely to be candidate for surgery. Mr. Grün044 is perfect. […] Inside the stroke, there is activation. […] You see Mr. Pink045. There is nothing. Nothing at all.« Prof999-DrMed und WiMi016-BioIuT diskutieren über eine andere Stimulation. Prof999-DrMed: »It is a fantastic tool to get MEPs. […] We want that data is comparable method minimal to use […].« (P37: Abs. 022-032)
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Der Professor verbindet das Auffinden von Hotspots und neuronalen Verbindungen zu den Muskelpunkten damit, dass man dadurch eine Implantation begründen könne, wobei zwar die Heilungschancen gering seien, aber die Chance, sich für die Implantation zu entscheiden, dafür groß. Für die Entscheidung, ob die Implantation durchgeführt wird (oder nicht), ist die TMS und sind die dadurch eindeutig ermittelten Verbindungen von einem bestimmten Punkt im Motorcortex zu einem bestimmten Muskelpunkt bedeutend. Dabei zeigen sich auch bei der Adjustierung von Mensch und TMS die drei Phasen der Mensch-Maschine-Anpassung. Zunächst wird das Forschungssubjekt mit Elektroden ausgestattet. Seine MRT-Daten werden dann in Koordination mit seinem »realen« Kopf über Fixierungsmethoden an den visualisierten Kopf angepasst. Dadurch wird auch das Zusammenwirken des Biologischen/Körperlichen und des Technischen/Mechanischen gewährleistet. Danach werden einzelne zerebrale Punkte stimuliert, sodass Muskelkontraktionen (mindestens datentechnisch) sichtbar werden. Eine besondere Stabilisierung ist hierbei nur über die Fixierung des Kopfes vorgesehen, eine Destabilisierung kann jedoch auch durch das Verrutschen der Brille erfolgen, was jedoch nur selten vorkommt bzw. nur zu Anfang der Versuche der Fall war. Einen weiteren Destabilisierungsfaktor stellt das unruhige Verhalten des Patienten/der Patientin dar. Der/Die PatientIn muss fast eine Stunde lang still sitzen, während die Stimulation und Kartierung der motorischen Areale erfolgt. Dies kann sehr ermüdend sein und auch sehr unangenehm, wie ein Patient bei der Schilderung des Prozedere mit dem TMS wie folgt beschreibt: »Das mit den Punkten, das war schon klar [Er meint die auf dem linken Monitor dargestellten Punkte auf dem Gehirn, welche je nach Antwort differieren, MŞ]. Auf dem zweiten [Monitor, MŞ], da sehen Sie zum Beispiel die Mikrovolt und die tausendstel Sekunden (…). Daran sieht man auch die Dauer und die Stärke dieses Magneten. Das war schon wie im Folterkeller. Wie wenn Ihnen jemand Reißnägel versucht, da oben einzuschlagen. Können Sie sich das vorstellen? Das ist barbarisch. Und dann ist auch die Frage, man sieht das ja auch auf dem Bild, wie nah diese gegebenen Stromstöße liegen. Manchmal ist das dichter, die Punkte, und je dichter die sind, umso schmerzhafter ist das auch, weil das ist eine dauernde Wiederholung. Also, sie macht so, geht einen Millimeter weiter, macht wieder so [Er zeigt mit seinen Händen über seinem Kopf die Bewegungen, die die Psychologin mit der Magnetspule machen würde, MŞ]. Manchmal geht sie drei, zwei Zentimeter weiter und macht dann so. Das ist extrem schmerzvoll, zum Beispiel.« (Blau051: Abs. 047)
Da ich das TMS selbst getestet habe und versichern kann, dass man keine Schmerzen empfindet, das Geräusch der Stimulation sich jedoch tatsächlich anhört, als würde man Reißnägel angetackert bekommen, frage ich nochmal nach, ob er etwas gespürt habe, und er antwortet:
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Das techno-zerebrale Subjekt
»Ja, das habe ich ja gesagt, wie wenn man Reißnägel in die Haut reindrücken würde. Painful. Das sind richtige Schmerzen. Das geht nicht schmerzlos. Das geht nur mit Schmerzen. Das ist, als wenn Sie Ihren Kopf unter eine Nähmaschine legen oder so. Ja, ja. Ehrlich. So ist das. So ist das. Also, für mich. Ich weiß nicht, ob andere eine andere Kopfhaut haben. Ich weiß es nicht. Aber es ist extrem schmerzvoll. (…) Ja, und dann dürfen Sie sich ja nicht bewegen. Also, ich durfte mich nicht einmal hier [am Arm, MŞ] kratzen. Das hat sie [die Psychologin, MŞ] dann gemacht, oder hier oben [am Kopf MS]. (…) Ich durfte mich nicht einmal mit der Hand kratzen. Man darf sich nicht kratzen, man darf nicht sprechen, man darf sich nicht bewegen. Auch nicht den Fuß unten. Sie müssen da ganz ruhig drei Stunden sitzen und sich da nageln lassen ((lacht)), ja? Ich habe versucht, mitzukriegen, wo sie jetzt gerade ist und so. Das ist extrem nervig.« (Blau051: Abs. 55-63)
Blau051 insistiert darauf, dass er beim TMS Schmerz empfindet, zumindest sei es ein sehr schmerzhaftes Gefühl, welches bei ihm durch die Stimulation und das Geräusch hervorgerufen würde. In der Klinik, wo Herr Blau051 mit der TMS stimuliert wurde, hatte sich das dementsprechend auch so geäußert, dass er immer wieder laut aufgeschrien hat. Die Psychologin hat versucht, ihn zu beruhigen. Und nach einigen Malen wurde er immer ruhiger, wobei er jedoch auch dann noch ab und an aufschrie. Ein anderer Patient hingegen hat während der ganzen Prozedur bei jeder Stimulation sehr laut gelacht und ist immer wieder kurz aus dem Liegestuhl aufgesprungen bzw. hat auf diesem sitzend mit Händen und Beinen gezappelt. Es scheint dementsprechend so zu sein, dass die Stimulation sehr unterschiedliche Empfindungen hervorruft, wobei es mir nicht möglich ist, die Empfindungen zu bewerten. Nach der erfolgreichen TMS und dem Mapping wurden in der zweiten Studienphase einige PatientInnen operiert. Zwei ECoG-Implantationen habe ich im OP-Saal einer Klinik beobachtet. Bei einer solchen Implantation werden zunächst, wie beim TMS, MRT-Bilder mit einem Neuronavigationssystem über einen Infrarotstift deckungsgleich gebracht. Danach wird die Schädeldecke über demjenigen motorischen Areal aufgesägt, über dem man durch die Hirnkartierung und TMS die besten Antworten von den ausgelesenen Muskelpunkten bekommen hatte. Zur Bestimmung der Hirnpunkte, auf die die Elektroden aufgelegt werden sollen, wird, ähnlich wie beim TMS, die Antworthäufigkeit der Muskelpunkte hochgezählt. Danach werden 4 x 4 Reihen ECoG-Implantate mit der Dura vernäht. Folgendes Protokoll aus dem OP veranschaulicht das Prozedere, nachdem ein Teil des Gehirns freigelegt wurde:
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Ab ca. 13 Uhr fängt die Stimulation an. Es wird Punkt für Punkt direkt auf der Dura stimuliert – mit einem dünnen Stimulationsstift. Prof999-DrMed, der sich im blauen Bereich des OP-Saals58 befindet, guckt dafür immer wieder auf den Monitor des Navigationssystems rechts von ihm und stellt WiMi024MedPsy immer wieder Fragen zur Stimulation bzgl. des Datenabgleichs mit TMS. Diese sitzt im grünen Bereich des OP-Saals (hinter dem Navigationssystem) vor einem Monitor, auf dem die Antworten auf die durch den Neurochirurgen durchgeführte Stimulation sichtbar sind. Außerdem hat sie dort Unterlagen vom TMS und die Datenauswertungen des TMS vorliegen. Es wird getestet, von wo »Antworten« kommen. Rechts an der Wand, hinter dem Navigationsmonitor, ist ein riesiger Monitor angebracht, der die Operation in Echtzeit aufnimmt, wobei nur das freigelegte Gehirnteil durch die Videoübertragung fokussiert wird. 13:45 Uhr: Prof999-DrMed: »Mit welchem Threshold wollen wir mappen?« WiMi024-MedPsy: »Ab 20 wird es besser.« Prof999-DrMed: »Wie können wir das operationalisieren? Wir müssen ja begründen, warum wir das machen.« Alle schweigen. WiMi018-DrMed: »Beim TMS haben wir 6/10 (Gemeint sind sechs positive Antworten von zehn Stimulationen.) und der Bizeps kam ab 25.« (Gemeint ist die Stimulationsintensität und die Stimulation des Bizepses.) Prof999-DrMed: »Also ab 25 haben wir reproduzierbare Ergebnisse.« Prof999-DrMed zu WiMi018-DrMed: »Habt ihr Prof888-DrMed angerufen?« WiMi018-DrMed: »Ja, die Sekretärin sollte Bescheid geben. Also wir könnten den Threshold bei 25 für den Bizeps und die Extensors machen.« Prof999-DrMed: »Wie sieht APB aus bei 25?« WiMi024-MedPsy: »It’s not consistent.« Es folgt eine Diskussion um die Begründung des Threshold. Prof999-DrMed: »Wir bauen gleich eine Matrix auf.« (Gemeint ist eine m*n-Matrix, wobei m für die Zeilennummern und n für die Spaltennummern steht. Die Matrix dient der Dokumentation und Entscheidung, auf welchen Punkten auf der Dura die Elektroden implantiert werden.) WiMi018-DrMed gibt ihm einen Klebestreifen. 5 8 | Der OP-Saal ist in zwei Bereiche aufgeteilt, einem grünen Bereich, in dem nicht
operiert wird und einem blauen, in dem operiert wird. Dementsprechend sind auch die ÄrztInnen gekleidet. Diejenigen, die eine blaue Kleidung tragen, operieren und dürfen sich gegenseitig näher kommen. Personen, die grün gekleidet sind, befinden sich zumeist im nicht-sterilen Bereich und dürfen Personen, die blau gekleidet sind, keinesfalls berühren und müssen einen gewissen Abstand zu ihnen halten. Falls es zu einer Berührung des in blau gekleideten operierenden Chirurgen kommt, ist er »kontaminiert« und muss sich umziehen.
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Das techno-zerebrale Subjekt
Prof999-DrMed klebt ihn rechts, vertikal vom freigelegten Bereich des Gehirns, auf die Schädeldecke. Es ist ein weißer Streifen mit sechs Linien, die er drauf zeichnet. Er guckt sich das an. Prof999-DrMed: »Können da nicht Nummern drauf stehen? Das ist doch auch besser, um zu dokumentieren. Gibt’s hier keinen Stift? Ich brauche einen Stift.« 13:50 Uhr: Ein weiterer Streifen wird von Prof999-DrMed auf die Schädeldecke platziert, direkt im obigen Anschluss an den anderen Klebestreifen, also horizontal zum »freigelegten« Gehirnteil. Er schaut darauf und verschiebt den Streifen auf der Schädeldecke, danach klebt er ihn an. Prof999-DrMed: »Wir machen jetzt das Mapping.« 13:55 Uhr: Prof888-DrMed kommt in dem Moment, in dem Prof999-DrMed den anderen horizontalen Streifen verklebt. Prof999-DrMed und Prof888-DrMed begrüßen sich. Prof999-DrMed sagt nochmal, dass das Mapping ansteht. Jemand hat Prof999-DrMed zwischenzeitlich einen Stift gegeben. Prof888-DrMed: »Das ist sehr wichtig, dass das hält (deutet auf die Klebestreifen).« Prof999-DrMed nummeriert die Felder auf dem Streifen. 14:00 Uhr: Prof999-DrMed beginnt mit der Stimulation. Es wird analog der m*n-Matrix punktgenau auf dem Gehirn jeweils zehn Mal stimuliert. Prof999-DrMed: »Warten Sie! (Er ist mit dem Stift verrutscht auf der Dura und hat den Punkt nicht getroffen.) Ich bin verrutscht. (Er sagt dies zu WiMi024-MedPsy und einer anderen externen Mitarbeiterin, die die Werte gemeinsam überprüfen). Moment, da kommt jetzt Flüssigkeit.« WiMi018-DrMed saugt etwas von der Flüssigkeit ab. (Ich kann nicht genau erkennen, woher sie kommt.) 14:10 Uhr: Es gucken fünf Leute auf den riesen Monitor und können mitverfolgen, auf welchem Hirnareal sich Prof999-DrMed mit dem Stimulationsstift befindet und wo genau er stimuliert. (…) Prof888-DrMed: »Ist das die Hand?« (Deutet auf einen Punkt auf der Dura, die gerade stimuliert wird, und passt auf, dass er nichts anfasst.) Prof999-DrMed: »Neee, mehr Extensoren.« WiMi018-DrMed ist am Navigationsgerät und stellt die Bilder immer wieder ein. Man kann anhand von MRT-Aufnahmen erkennen, in welcher Hirnregion sich Prof999DrMed mit dem Stimulationsstift befindet. Das Gehirn wird in vier Perspektiven angezeigt. 14:25 Uhr: Prof999-DrMed: »Jetzt gucken wir mal, die Siebenerreihe lateral hinzubekommen. Ja, die machen wir auch nochmal.« 14:30 Uhr: Prof999-DrMed: »So, jetzt müssen wir nochmal ’ne Spülung machen. Wir müssen jetzt den Motorcortex in der Länge darstellen. Da, wo wir die meisten Antworten hatten, machen wir jetzt nochmal.« WiMi018-DrMed stellt immer das Bild am Navigationssystem ein.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Prof999-DrMed orientiert sich permanent am Navigationssystem. Die zu implantierenden Elektrodenstreifen werden Prof999-DrMed überreicht. Prof999DrMed bekommt Hilfe dabei, sie auszupacken und schaut sie sich an. 14:35 Uhr: Prof999-DrMed ruft HiWi036-DrMed. Er solle ein Foto machen. Dazu legt er den Elektrodenstreifen mit vier Elektroden auf das Hirn. Nachdem das Foto geschossen wurde, legt er sie wieder weg. Prof999-DrMed fragt nochmal WiMi024-MedPsy, wo die besten Antworten gewesen seien. WiMi024-MedPsy: »2.359, 2.4, 2.5 – absolute correspondent to TMS. It begins at 2.2. 3.3 and 3.4, yes but worse.« Prof: »What was better? 2.3 or 2.4?« WiMi024-MedPsy: »2.3, 2.4 is the same.« Prof999-DrMed platziert die Originalelektroden, die WiMi018-DrMed gebracht hat, auf die Dura. Auf dieser sind vier Ziffern von 1-4 zu sehen. Prof999-DrMed: »After the Surgery we will map every day.« Prof999-DrMed: »Haben Sie alles schön dokumentiert? Mit schönen Bildern und so?« HiWi036-DrMed: »Ja.« Prof999-DrMed stimuliert mit dem Stimulationsstift über den Zahlen, die auf den Elektroden stehen. (…) Eine Minute später wird ein Faden mit der Hirnhaut vernäht. Insgesamt sind es vier Fäden, welche Prof999-DrMed vernäht. (…)15:25 Uhr: Der zweite Streifen wird angebracht. (…) Es wird getestet, wo genau die Elektrode platziert werden soll. (…) 15:55 Uhr: Jetzt werden die angenähten Elektrodenstreifen stimuliert und dadurch einzeln getestet. (…) 16:25 Uhr: Der Schwellenwert beträgt 21. Danach werden Screenshots gemacht. Ich beobachte, dass die Hirnhaut des Patienten grau geworden ist. 16:32 Uhr: Die Haupt-OP ist vorbei. Auch alle Screenshots von den Elektrodenpositionen sind gemacht. Die quadratische Schädeldecke passt nicht mehr so recht auf den Schädel. Dies liegt daran, dass sich nun Elektroden auf der Hirnhaut befinden und auch die Kabel rausgeführt werden müssen. Prof999-DrMed schabt mit einem Gerät die Innenseite des quadratischen Teilstücks der Schädeldecke ab. Dann platziert er es erneut auf die Dura. Die Kabel gucken am linken Loch unten raus. Dann nimmt er das Teilstück wieder auf und bohrt Löcher in jede Ecke des Teilstücks, um die Schädelplatte mit der Hirnhaut zu vernähen. Das tut er danach. Immer wieder kommt es dabei zu kleinen Blutungen, die gesäubert werden. Die Löcher werden mit einem mir unbekannten weißen Material gestopft. 5 9 | Position auf der Gehirnmatrix.
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18:27 Uhr: Die Säuberung dauert nun bereits ca. 30 Minuten. Die Kopfhaut klappt herunter, die Schädeldecke ist bereits wieder drauf. Jetzt wird die Kopfhaut zurück auf den Skalp geklappt und die Kopfhaut wird vernäht. Die Kabel ragen aus der Kopfhaut raus. Auf dem Boden ist etwas Blut. (P51_ECoG_OP: Abs. 083-149)
Wie man unschwer an der Operation und an den wenigen Konversationen erkennt, die die an der Operation Beteiligten während der mehrstündigen Prozedur führten, wird bei der ECoG-Implantation der OP-Saal zu einem Labor rekonfiguriert, in dem jeder Schritt dokumentiert und begründet werden muss und in dem sich NeurowissenschaftlerInnen über Operationalisierungen und Wissenschaftlichkeit im Allgemeinen etc. austauschen. Bei der Rekonfiguration spielen neben dem Zweck der neurowissenschaftlich-klinischen Studie vor allem wissenschaftlich-technische Aussagesysteme eine tragende Rolle. Im OP-Saal sind dabei alle Arten von soziotechnischen Konstellationen vorhanden: Interaktivität, Interaktionen und IntraAktionen, auf die ich allerdings an dieser Stelle nicht im Detail eingehen werde, da Beispiele hierzu u.a. im Kapitel 6.2 und auch in den Kapiteln 6.3.1 und 6.3.2 zu finden sind. Wichtig ist mir an dieser Stelle, hervorzuheben, dass mit der ECoGImplantation die sach- und handlungstechnische Mensch-Maschine Anpassung erfolgt. Dabei werden zunächst bestimmte zerebrale Regionen des Forschungssubjekts durch die Implantation »fixiert« und danach während des NeurofeedbackTrainings durch Stimulation verstärkt. Da die Stimulation während der »LOS«-Phase erfolgt, wird dadurch auch die Koordination des Biologischen und Technischen intensiviert. Verstärkt wird die Anpassung dabei im Sinne von a) einer Verstärkung der Hirnaktivität bestimmter zerebraler Regionen durch invasive Sachtechnik (ECoG-Implantation) und b) einer Verstärkung der Konditionierung der Hirnaktivität durch die »lernfähige« neurowissenschaftliche Kulturtechnik, also durch das Neurofeedback, dem das kybernetische Prinzip der Zirkularität immanent ist. Denn im Anschluss an die ECoG-Implantation werden die Elektrodenkabel, die jetzt aus der Schädeldecke ragen u.a. mit Verstärkern verbunden, wie dies auch bei der EEGKappe praktiziert wird. Allerdings ist das tägliche Neurofeedback-Training, anders als beim Einsatz der EEG-Kappe, hier deutlich vereinfacht, denn es erfolgt ohne die zusätzlichen mühsamen Vor- und Aufbereitungsprozesse, die mit der Kappe, dem Gelen und der Impedanzmessung zusammenhängen. Und auch Artefakte werden hier unterbunden und die Signalstärke wird verbessert. Denn jetzt befinden sich die Elektroden auf der Dura und können direkt mit den Verstärker- und Stimulationsboxen verbunden werden, die dann zur Roboterorthesensteuerung genutzt werden. Die implantierten Elektroden können nun während des Trainings relativ artefaktfreie Daten über die neuronalen Zustände liefern. Während des Trainings werden nun die motorischen Areale, die implantiert wurden, über die ECoG-Elektroden stimuliert. Dies wird zusätzlich in der »Los-Phase« praktiziert und zwar ohne erneut eventuell Artefakte produzierende tDCS-Elektroden benutzen zu müssen.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Der Bioinformatiker erklärt die Stimulationsmethoden mit ECoG wie folgt: »Wenn man so will, geht es um eine Konditionierung des Gehirns. Das heißt, die Überlegung ist, diese Stimulation, die eine Erregung vom Nervengewebe hervorruft, nur dann wirklich auszuführen, wenn der Patient auch versucht, sich zu bewegen. Das heißt, man versucht, sehr spezifisches Gewebe nur dann zu aktivieren, wenn der Wille zur Bewegung tatsächlich da ist und auch wirklich eine Bewegung ausgeführt wird. Das ist etwas, was sich vom ECoG theoretisch zumindest auch auf das TMS übertragen lassen müsste. Allerdings ist zumindest die Signalvalidität vom EEG, was für die Detektion von Bewegungsintentionen genutzt wird, deutlich schlechter als das ECoG. Das heißt, man muss davon ausgehen, dass es mit dem ECoG effizienter funktionieren würde (…).« (WiMi029-BioIuT: Abs. 167)
Der Bioinformatiker macht auf eine für die wissenschaftliche Auswertung der erhobenen Daten entscheidende Sache aufmerksam: Er gibt zu verstehen, dass durch die ECoG-Implantation die Signalvalidität verbessert wird, sodass die Daten weniger artefaktbelastet sind und dadurch auch die Detektion der Bewegungsintention besser ermittelbar wird. Dies bewirkt, so die Annahme der von mir befragten NeurowissenschaftlerInnen, die diese Einschätzung des Bioinformatikers als begründet bestätigen, dass das invasive Neurofeedback-Training effizienter funktioniert. Allerdings stellt sich die Frage, was dabei genau mit effizient gemeint ist. Denn der »Wille zur Bewegung« (ebd.) oder die Imagination der Verhaltensaktivität wird eigentlich nicht überprüft bzw. abgefragt. Die Stimulation orientiert sich vielmehr an der Los-Befehlsphase, nicht an den tatsächlichen zerebralen Zuständen – vom Willen ganz abgesehen. Da dem Training mit dem invasiven Neurofeedback nicht mein primäres wissenschaftliches Erkenntnisinteresse galt, sodass ich die diesbezüglichen Versuche lediglich einige Tage lang beobachtet habe, werde ich hier nicht im Detail darauf eingehen. Ich möchte deshalb nur kurz darauf hinweisen, dass die implantierten PatientInnen nach dem Abschluss der zweiten Studienphase erneut operiert wurden. In dieser OP wurden die aus dem Kopf herausragenden Kabel unter die Haut über den Hals hinunter am Schlüsselbein mit einem, soweit mir bekannt, inaktiven Stimulator verbunden und implantiert. Zum Beispiel werden bei DBS-Implantationen die Stimulationsparameter über solch einen Stimulator programmiert und angepasst, sodass man die Stimulationsstärke nach der OP zu Hause neu regulieren kann bzw. die Stimulation selbstständig ein- und ausschalten kann. Soweit mir bekannt ist, wurde diese Funktion jedoch bei den implantierten SchlaganfallpatientInnen nach der Studie nicht genutzt und blieb inaktiv. Warum dies so war, kann ich auf der Grundlage meiner Befunde leider nicht sagen. Mir ist nur bekannt dass diejenigen, die implantiert worden waren, die inaktiven Implantate auch nach der Studie behielten. Soweit mir bekannt ist,
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hätte eine erneute OP zur Entfernung der Implantate ein erneutes Risiko für die PatientInnen dargestellt, welches man nicht eingehen wollte.
6.3.6 Zwischenfazit: Die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung Im Kapitel 6.3 habe ich die zweite und dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung in den Neurowissenschaften dargestellt. Ich habe gezeigt, welche Praktiken und Techniken der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft die wechselseitige Anpassungsfähigkeit von Mensch und Maschine ermöglichen und bedingen. Dabei bin ich auf die unterschiedlichen Dimensionen der Mensch-Maschine-Anpassung eingegangen. Ich habe herausgearbeitet, dass, während für die erste Phase die körperlich-materielle Anpassung charakteristisch ist, die zweite Phase durch die prozessual-synchrone Anpassung gekennzeichnet ist. Mit der prozessual-synchronen Anpassung wird eine Bedingung der Gleichtaktung von zerebralen Zuständen zur Maschinensteuerung ermöglicht und hergestellt. Die technozerebrale Subjektivation tritt bereits hier in Erscheinung, wobei einige Störungen, die ich beschrieben habe, die Synchronität von zerebralen Zuständen und Maschinensteuerung hemmen. In der zweiten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung ergreifen NeurowissenschaftlerInnen deshalb unterschiedliche Maßnahmen, um diese Synchronität wieder herzustellen. Denn nur so wird ein funktionierendes BMI-System und somit auch eine zerebral gesteuerte Maschine ermöglicht – die allerdings höchst voraussetzungsvoll ist, wie ich gezeigt habe. Da also diverse soft- und hardwaretechnisch, aber auch biologisch bzw. menschlich verursachte Störungen oder Fehlsteuerungen die Mensch-Maschine-Symbiose destabilisieren, werden, je nach Störung bzw. Fehlerquelle, unterschiedliche stabilisierende Maßnahmen zur vor allem prozessual-synchronen Koordination von Mensch und Maschine getroffen. Beispielsweise wird der Schwellenwert zerebraler Zustände zur Orthesensteuerung verändert, um PatientInnen ein adäquates Neurofeedback zu garantieren. Wird die Maschine synchron zu den zerebralen Zuständen angesteuert und das Forschungssubjekt interagiert in einer zirkulären techno-zerebralen Handlungsschleife, entsteht die Mensch-Maschine-Symbiose. Die dafür notwendige prozessual-synchrone Anpassung wird zudem sachtechnisch verstärkt, indem NeurowissenschaftlerInnen zunächst partielle Stimulationsmethoden nutzen. Während innerhalb der prozessual-synchronen Anpassung partiell-zerebrale Regionen fixiert und stimuliert werden, sind in der dritten Phase der MenschMaschine-Anpassung die Stimulationsverfahren (TMS, ECoG) in ihrer zerebralräumlichen Dimension punktgenau. Im Fall des ECoG wird sogar punktgenau invasiv stimuliert, wobei die Stimulation prozessual-synchron während der techno-zerebralen Handlungsschleife erfolgt und aufgrund dessen weniger mit Messfehlern behaftet ist. Während in der zweiten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung der Schwerpunkt auf der zeitlichen Dimension liegt, kommt es in der dritten
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Phase also primär auf die räumliche Dimension an. Die dritte Phase ist dabei als Konsequenz und Reaktion der Neurowissenschaften auf die instabile Verbindung zwischen Mensch und Maschine zu betrachten. Das Resultat der bzw. die Konsequenz aus den Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften, in denen die Mensch-Maschine-Symbiose eingebettet ist, zeigt sich also schlussendlich am implantierten techno-zerebral handelnden Subjekt bzw. Cyborg. Im Folgenden werde ich auf die Charakteristika aller drei Phasen detaillierter eingehen, insbesondere auf die Phasen zwei und drei.
6.4 Zwischenfazit zu den Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess Im Kapitel 6 habe ich das Konzept der Mensch-Maschine-Anpassung, welches in die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften eingebettet ist, vorgestellt. Es besteht aus drei Phasen, in denen durch NeurowissenschaftlerInnen Maßnahmen zur Vor- und Aufbereitung, Herstellung, Koordination und Stabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung getroffen werden, wobei die Phasen zwei und drei wechselseitig und iterativ verlaufen. Das Konzept der dreiphasigen MenschMaschine-Anpassung wird durch die nachfolgende Abbildung 7 illustriert. Im Kapitel 6.1 bin ich zunächst auf die Versuchsanordnungen der Neurowissenschaften eingegangen, welche analog der Arbeitsteilung zwischen NeurowissenschaftlerInnen und PatientInnen gestaltet und durch die sach- und handlungstechnischen Verfahren der Neurowelt bestimmt sind. In diesem Zusammenhang habe ich auch das Experimentalsystem skizziert. Insbesondere in den Kapiteln 6.2 und 6.3 habe ich die Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess geschildert, die sich während der Versuche um nicht-invasive BMI in Kombination mit Stimulationsmethoden ergeben. Als charakteristisch für die erste Phase der Mensch-Maschine-Anpassung (Kapitel 6.2) habe ich die körperlich-materielle Anpassung beschrieben. Speziell für diese Phase habe ich deshalb die Aufbereitung- und Lokalisierungsprozesse beschrieben, in denen NeurowissenschaftlerInnen biologische Elemente festlegen und, abhängig von ihrem Zustand oder ihrer Gestalt, in die Inskriptionsvorrichtung transformieren oder in die Maschinenvorrichtung integrieren. Ich habe in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass im nächsten Anpassungsschritt Biologisches und Technisches koordiniert werden müssen, damit die Mensch-Maschine-Verbindung stabilisiert wird. Die für eine störungsfreie Verbindung relevanten Verdinglichungs- und Biofunktionalisierungsmomente der wechselseitigen Mensch-Maschine-Anpassung habe ich im Rahmen der Erörterung des für die Anpassung notwendigen Koordinationsprozesses beschrieben. Auch während dieses Prozesses treten meinen Befunden zufolge Destabilisierungen auf, denen NeurowissenschaftlerInnen mit stabilisierenden
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Maßnahmen begegnen. Zur Kontrolle und Modifikation der Mensch-Maschine-Koordination greifen NeurowissenschaftlerInnen dabei auf wissenschaftlich-technische Referenzsysteme (z.B. auf Inskriptionsvorrichtungen) zurück, an denen sie sich orientieren. Folglich passen sie ihre Praktiken und Techniken an sich verändernde Bedingungen und Prozesse situativ an. Abbildung 7: Das Konzept der Mensch-Maschine-Anpassung in drei Phasen • Aufbereitung durch Lokalisierung der diskreten Elemente mittels EEG, EMG und des dazugehörigen Equipments mitsamt Soft- und Hardware; Andockprozedur von Mensch- und Maschine-Teilen über verschiedene Vermittlungsinstanzen • Koordination des Biologischen und Technischen durch Biofunktionalisierung und Verdinglichung • Stabilisierung der Beziehung zwischen Biologischem und Technischem
• (Weiter-)Verarbeitung und Klassifizierung der diskreten Elemente, insbesondere der verschiedenen neuronalen Zustände durch das Screening • Koordination und Zusammenwirken von Biologischem/ Körperlichem und Technischem/ Mechanischem mittels Neurofeedback durch „Dressur“ des Forschungssubjekts • Stabilisierung durch Herstellung der Synchronität im Ablauf der Anpassung von Mensch/ Gehirn und Maschine/ Computer, Stabilisierung durch partielle Verstärkung
1. Phase der MenschMaschine-Anpassung (körperlich-materielle Anpassung)
2. Phase der MenschMaschine-Anpassung (prozessual-synchrone Anpassung)
3. Phase der Mensch-MaschineAnpassung (technikinduzierte neuronal exakte Verstärkung)
• Herstellung der Verbindung und Verstärkung zwischen diskreter Verhaltensaktivität und körperlicher Aktivität durch neuronal exakte Stimulation • Koordination der Verbindung von zerebralen Punkten und bestimmten Muskelpunkten • Stabilisierung der Verbindung durch wiederholte Stimulation (Hotspot), Verbindungsverstärkung, Signalverstärkung und -reinigung durch die ECoG-Implantation
Quelle: Eigene Darstellung.
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
In der zweiten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung, in der sich die Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen um die Koordination bzw. das Zusammenwirken von Biologischem/Körperlichem und Technischem/Mechanischem drehen, sind folgende Prozesse elementar: Zuerst geht es um die Aufbereitung von diskreten Elementen, insbesondere der neuronalen Zustände, durch das Screening. Entscheidend ist hier, dass eindeutige neuronale Zustände adäquat zur weiteren Verwendung für das Neurofeedback-Training verarbeitet und fixiert werden. Danach geht es um die Koordination bzw. das Zusammenwirken von Biologischem/Körperlichem und Technischem/Mechanischem durch die »Dressur« des Forschungssubjekts. Es gilt also, dessen neuronale Zustände gemäß der Aufgabenstellung so zu verändern, dass es eine techno-zerebrale Handlung durchführen kann. Das Ziel, das die NeurowissenschaftlerInnen in der zweiten Phase der Mensch-Maschine-Anpassung verfolgen, ist die Koordination und der synchrone Ablauf von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer. Diese Synchronisation stellt den zeitlichen Aspekt der Koordination dar. Dabei wird im cerebrozentristischen Experimentalsystem die Orthesensteuerung techno-zerebral gestaltet. Das Forschungssubjekt, so die Absicht der NeurowissenschaftlerInnen, soll dabei nachhaltig lernen, seine zerebralen Zustände gemäß der Kulturtechnik der Neurowissenschaften zu ändern, damit die Verbindung von Gehirn und Motorik hergestellt werden kann. Dazu soll es seine Verhaltensaktivitäten nach den Befehlsphasen ändern (siehe Abbildung 8, Abschnitt A). Zur Verstärkung der geringfügigen oder gar nicht vorhandenen Verbindung zwischen Gehirn und Muskelpunkten der gelähmten Hand bzw. des gelähmten Arms, werden die motorischen Hirnareale des Forschungssubjekts entweder während des Neurofeedback-Trainings (mittels tDCS-Stimulation in der 2. Phase oder mittels ECoG, also der invasiven Stimulation in der 3. Phase) oder außerhalb des Trainings (oder der TMS) stimuliert. Im Experiment wird ein Zusammenhang zwischen einer Vorstellung (der Imagination), einer Gehirnaktivität und einer Verhaltensaktivität hergestellt. Allerdings sind die Grenzen der drei Aspekte unscharf. Während der Verschaltung verschwimmen die Grenzen zwischen Imagination, dem tatsächlichen Gehirnzustand und der Verhaltensaktivität, und der Ursache- und Wirkungszusammenhang der Maschinensteuerung wird unklar. Binnen dieses Steuerungsprozesses, der techno-zerebralen Handlungsschleife, werden die diskreten Verhaltensaktivitäten mittels Inskriptionsvorrichtungen verdinglicht und repräsentieren aktuelle Verhaltensaktivitäten (siehe Abbildung 8, Abschnitt B). Diese werden dann softwaretechnisch decodiert und klassifiziert, um die Orthese gemäß der, in den drei Phasen abgefragten und dadurch ermittelten, Verhaltensaktivität steuern zu können. Durch lernfähige Algorithmen wird dabei die Biofunktionalität der Maschine gewährleistet (siehe Abbildung 8, Abschnitt C), die sich an das Forschungssubjekt adaptiert und die ein individuel-
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Das techno-zerebrale Subjekt
les Neurofeedback analog (der Intensität) der Steuerung der Verhaltensaktivität ausgibt (siehe Abbildung 8, Abschnitt D). Das Neurofeedback wirkt dann wieder auf die (Intensität der) Verhaltensaktivität zurück, welche dann wiederum Folgen auf die Algorithmen hat, sodass sich eine theoretisch unendliche Handlungsschleife ergibt. Das Forschungssubjekt selbst gerät dadurch in eine iterativ geschlossene, zirkuläre EVA-Schleife. Die Ko-Konstitution, die sich aus der beschriebenen techno-zerebralen Handlungsschleife ergibt, ist dementsprechend die des techno-zerebralen Subjekts, welches selbst wiederum aus dem sozio-biotechnischen Anpassungsprozess, und somit aus den Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften, hervorgeht. Abbildung 8: Die Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts (Handlungsschleife im BMI-System) A Verhaltensaktivitäten nach Befehlsphasen Verstärkung durch (invasive) Stimulation
D Neurofeedback
B Verdinglichungsprozess diskrete Verhaltensaktivität des Forschungssubjekts
Inskription der diskreten Elemente
Öffnung der Roboterorthese als techno-zerebrale Handlung
Decodierung, Klassifizierung, lernfähige Algorithmen
C Biofunktionalisierungsprozess
Quelle: Eigene Darstellung.
Während dieses sozio-bio-technischen Anpassungsprozesses treten jedoch, wie bereits angesprochen wurde, Schwierigkeiten auf, die zu weiteren (Re‑)Stabilisierungsmaßnahmen der Koordination von Biologischem/Körperlichem und Technischem/Mechanischem führen (siehe Abbildung 9). Dementsprechend wird die dritte Phase der Mensch-Maschine-Anpassung eingeleitet, in der versucht wird, durch die Herstellung der Koordination und durch die Stabilisierung der Verbindung zwischen der diskreten und der körperhaften Verhaltensaktivität die Mensch-Maschine-Symbiose zu (re‑)stabilisieren – diesmal allerdings durch punktuelle Stimulation. Je weniger Artefakte dabei auf den Steuerungsmechanismus einwirken, desto zufriedener sind die NeurowissenschaftlerInnen mit der Datenlage und desto eher kann von einer unverfälschten techno-zerebralen Steuerung ausgegangen werden. Durch die punktgenaue neuronale Stimulation und die dadurch verursachte körperliche Bewegungsaktivität, die auch durch die
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
invasive Stimulation während des Neurofeedback-Trainings bei ECoG-Implantierten Subjekten erzielt wird, wird die, zuvor in der zweiten Phase voneinander losgelöste, Verbindung zwischen diskreter Verhaltensaktivität und körperlicher Aktivität gezielt hergestellt. Da die zweite und dritte Phase iterativ verlaufen und die dritte Phase eigentlich der Herstellung, Koordination und Stabilisierung der Verbindung durch wiederholte Stimulation dient, aber auch der Signalverstärkung und -reinigung durch ECoG-Implantation, kann diese dritte Phase in die Handlungsschleife im BMI-System integriert werden. Während des sozio-bio-technischen Anpassungsprozesses beziehen sich die Handlungsstrategien der NeurowissenschaftlerInnen und die Dynamiken der Neurowelt allein auf die De- bzw. Restabilisierung der entstandenen MenschMaschine-Symbiose. Aus unterschiedlichen Destabilisierungen und Fehlerquellen resultieren differente (re‑)stabilisierende Maßnahmen im sozio-biotechnischen Anpassungsprozess, während das techno-zerebrale Subjekt in der Handlungsschleife des BMI-Systems agiert. Die verschiedenen mit der De- und Restabilisierung zusammenhängenden Handlungsstrategien und Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess und die sich daraus ergebenden Auswirkungen zeigt die Abbildung 9. Eine der Strategien, die ich besonders hervorheben möchte, stellt der Versuch der NeurowissenschaftlerInnen dar, die Öffnung der Orthese zeitlich an die zerebralen Zustände des Forschungssubjekts anzupassen. Dabei gilt es, das nicht »richtig« funktionierende Neurofeedback neu anzupassen, um neuronale Zustände im Zusammenspiel mit der Orthese zu koordinieren und so die Mensch-Maschine-Verbindung zu restabilisieren. Die (Re‑)Stabilisierung der Koordination soll dabei durch die softwaretechnische Anpassung der Algorithmen und des (zuvor individuell festgelegten) Schwellenwerts für die Öffnung der Roboterorthese, aber auch durch die Lernfähigkeit der BCI-Software ermöglicht werden. Durch die synchrone Koordination der zerebralen Zustände und des Neurofeedbacks, bezwecken NeurowissenschaftlerInnen, die Wiederherstellung motorischer Funktionen zu gewährleisten. Dabei rückt jedoch die sachliche Ebene, also das, was das Forschungssubjekt tatsächlich denkt, in den Hintergrund. NeurowissenschaftlerInnen stellen die zeitliche Koordination von Mensch und Maschine dementsprechend her, ohne die sachliche Koordination sicherzustellen oder sicherstellen zu müssen. Denn sie müssen sich lediglich auf die durch die Forschungssubjekte wiederholte Reproduktion von neuronalen Zuständen konzentrieren und diese mittels Software dechiffrieren. Die tatsächlichen Gedanken des Forschungssubjekts jedoch bleiben eine unbekannte Variable. Bei dem neurowissenschaftlichen Fokus auf zerebrale Zustände und der zeitlichen Synchronisation von Mensch/Gehirn und Maschine/Computer rückt das Forschungssubjekt allein als techno-zerebrales Subjekt ins Zentrum der Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen.
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Quelle: Eigene Darstellung.
Subjekts im BMI-System
techno-zerebralen
des
Handlungsschleife
Wirkung: Synchrone Öffnung der Roboterorthese und der Fingerschlitten nach individueller ID. Erlernen der Kulturtechnik der Neurowissenschaften in einer individuellen, geschlossenen EVA-Schleife. Mensch-Maschine-Symbiose als eine Form der Mensch-Maschine-Anpassung, falls der geschlossenen Schleife das kybernetische Prinzip der Zirkularität immanent ist.
• Folge: Artefakte, Messfehler, Öffnung der Orthese durch Fehlverhalten • Strategien der NeurowissenschaftlerInnen: Disziplinierung des Forschungssubjekts, Verstärkung und Reinigung der Signale durch verschiedene, z.T. punktgenaue invasive und nicht-invasive Stimulationsmethoden, z.T. in der für NeurowissenschaftlerInnen entscheidenden Befehlsphase "LOS"
Für den Erfolg des Heilversuchs ungünstige Verhaltensaktivität des Forschungssubjekts
• Folge: kein adäquates Neurofeedback, verbesserungswürdige Datenvalidität • Strategien der NeurowissenschaftlerInnen: Fixierung und Stabilisierung der diskreten Elemente des Forschungssubjekts durch neue Messungen, Klassifikatoren, lernfähige Algorithmen sowie neue und individuelle Schwellenwerte entsprechend der drei Befehlsphasen zur Orthesensteuerung
Asynchronität in der Orthesenöffnung und der Verhaltensaktivität des Forschungssubjekts
• Folge: Herausspringen von Fingern aus den Fingerschlitten, asynchrone Bewegung der Fingerschlitten im Vergleich zur Motorik der Hand • Strategien der NeurowissenschaftlerInnen: je nach Ursache, die zur Destabilisierung der MenschMaschine-Beziehung führt, Anpassung des Körpers an die Maschine und soft- und hardwaretechnische Adjustierung der Maschine(nvorrichtung)
Asynchronität in der Bewegung der Roboterorthese und der Hand
300 Das techno-zerebrale Subjekt
Abbildung 9: Handlungsstrategien und Dynamiken im sozio-biotechnischen Anpassungsprozess: De- bzw. Re-Stabilisierungen und ihre Auswirkungen
6. Die Mensch-Maschine-Anpassung im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess
Wenn dem BMI-System das kybernetische Prinzip der Zirkularität zugrunde liegt, sodass Mensch/Gehirn und Maschine in einer iterativen EVA-Schleife im Zusammenspiel techno-zerebrale Handlungen vollziehen, handelt es sich um Momente der Mensch-Maschine-Symbiose. In dieser Schleife der »Dressur« lernt nicht nur das Forschungssubjekt die Kulturtechnik der Neurowissenschaften, sondern es werden auch lernfähige Softwarealgorithmen in den zirkulären EVA-Kreislauf integriert. Mensch und Maschine stehen dementsprechend in prozessualer Wechselwirkung zueinander, wobei beide Systemkomponenten voneinander profitieren sollen. Zumindest wird dieser wechselseitige Profit des techno-zerebralen Subjekts und des (neuro)wissenschaftlich-technischen Systems in der Neurowelt angestrebt. In der techno-zerebralen Handlungsschleife wird jedoch nicht nur die Kulturtechnik der Neurowissenschaften erlernbar, sondern die Integration des Maschinenhaften in den Leib wird angestoßen und Teil der Leib-/Körpererfahrung des Subjekts. Da diese neue Erfahrung dem Forschungssubjekt immanent wird, verändert dies den zirkulär verlaufenden techno-zerebralen Handlungskreislauf, wobei die sich ändernden Bedingungen dann wiederum auf das Subjekt zurück wirken. Durch die verschiedenen Einflüsse, also durch bspw. die Einverleibung des Maschinenhaften, durch die Stimulationen motorischer Areale im Gehirn und durch das Neurofeedback im Allgemeinen, ändern sich nicht nur die Strukturen des Biologischen, sondern auch diejenigen des (Software‑)Technischen in der zirkulären EVA-Schleife prozessual wechselseitig. Das techno-zerebrale Subjekt als eine bio-technische Gestalt des Cyborgs tritt, sofern das Zirkularitätsprinzip vorliegt, also insbesondere in den Phasen zwei und drei in Erscheinung und wird durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess hergestellt. Dabei treten diverse Störungen auf, die die Mensch-Maschine-Anpassung erneut destabilisieren. Die Neuroplastizität stellt in diesem Destabilisierungsprozess ein Paradoxon dar, da sie unvorhersehbare Ereignisse beinhaltet, die sich nicht kontrollieren lassen. Dies führt auch dazu, dass die geringfügig vorhandene Verbindung zwischen Gehirn und Körperteilen (z.B. der Hand), insofern sie durch die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften gefunden wurde, nicht von sich aus aufrechterhalten bzw. verstärkt werden kann. Um die Mensch/Gehirn-Maschine/Computer-Verbindung zu stabilisieren und zu verstärken, treffen die NeurowissenschaftlerInnen deshalb erneut (Re‑)Stabilisierungsmaßnahmen, indem sie die vorhandenen Verbindungen zwischen dem Gehirn und verschiedenen Muskelpunkten durch diverse zerebrale Stimulationsverfahren intensivieren. Durch die ECoG-Implantation schließlich wird die Verbindung so weit verstärkt, dass eine, zu den neuronalen Zuständen synchrone, Stimulation des Gehirns durchgeführt wird, wobei sich die Stimulation analog zur Befehlsphase »LOS« gestaltet. Dies bedeutet, dass zwar keine zeitintensive Aufbereitungsphase benötigt wird, dass aber zusätzliche stärkere Signale notwendig sind, um eine
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verbesserte Datenvalidität für die neurowissenschaftlich-klinische Studie generieren zu können. Im Folgenden werde ich meine Ergebnisse zusammenfassend zur Diskussion stellen und weiteren Forschungsbedarf anzeigen.
7. Resümee und Ausblick
In dieser Arbeit habe ich jene Anpassungen von Mensch und Maschine fokussiert und konzeptualisiert, die im Rahmen von neurowissenschaftlichen Studien durch Praktiken und Techniken der NeurowissenschaftlerInnen ermöglicht werden. Dies habe ich anhand des Beispiels der Wiederherstellung zerebraler Prozesse mittels des Neurofeedbacks in Kombination mit Kortexstimulationsmethoden bei SchlaganfallpatientInnen veranschaulicht. Die hier dargelegten Befunde habe ich gezielt aus einer großen Masse der von mir erhobener Daten selektiert, wobei mein Erkenntnisinteresse primär der Verkopplung von Mensch und Maschine galt. Im Hinblick auf diese Selektion möchte ich darauf verweisen, dass die von mir erhobenen Daten insgesamt ein breiteres Bild der in den Neurowissenschaften zurzeit hergestellten Techniken und Praktiken ergeben, als ich es hier mittels meiner Auswahl gezeichnet habe. Dennoch weisen meine Befunde auf eine entscheidende Diskrepanz hin: Zwischen dem Neurowissen, welches uns (vor allem medial) präsentiert wird, und den Gegebenheiten bzw. der Umsetzung des Wissens im Labor klafft eine Lücke. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Neurowissenschaften scheinen, was derzeitige oder zukünftige neurowissenschaftlicher Erkenntnisse und Heilerfolge angeht, in Anbetracht der milliardenhohen Fördersummen für Neurowissenschaften höher zu sein, als das, was im Moment offensichtlich haltbar ist – gerade in der wissenschaftlichklinischen Praxis, die ich beobachten konnte. Da sich aus meinen Befunden ableiten lässt, dass auch das invasive Neurofeedback-Training aus der Sicht der von mir befragten SchlaganfallpatientInnen nicht dazu ausreicht, einen dauerhaften Vorteil für diese PatientInnengruppe zu bewirken, muss hinterfragt werden, ob bzw. inwiefern invasive Methoden einen zusätzlichen Gewinn für SchlaganfallpatientInnen darstellen. Einen Zweck erfüllt die neurowissenschaftlich-klinische Studie im Allgemeinen jedoch in jedem Fall: die Produktion von Neurowissen. Ob dies allerdings für die Forschungssubjekte selbst befriedigend ist bzw. einen ausreichenden Grund darstellt, ihre Teilnahme an den Versuchen nach Projektabschluss rückblickend als sinnvoll wahrzunehmen, sollte aus ethisch-moralischer Perspektive für die zukünftige Forschungspraxis hinterfragt bzw. erörtert werden. Hier gibt es noch großes For-
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Das techno-zerebrale Subjekt
schungspotential, denn zu diesem Erkenntnisbereich liegen mir leider nur die Aussagen einer der von mir befragten PatientInnen vor: Weiss046 berichtete mir im Februar 2015, dass sich der unter ihrem Schüsselbein eingebrachte Stimulator ihrer Implantate nach der Studienteilnahme entzündet habe, sodass man ihn ihr habe heraus operieren müssen. Die Implantate selbst befänden sich aber immer noch unter ihrer Schädeldecke. Ihr Zustand habe sich verschlechtert und sie sei jetzt in einem betreuten Wohnverhältnis untergebracht. Sie gab mir jedoch auch zu verstehen, dass sie es zwar schade fand, dass es ihr nichts gebracht habe, sie würde jedoch jederzeit nochmal an solch einer Studie teilnehmen und sich auch erneut operieren lassen. Alles in allem wäre es zwar anstrengend gewesen, aber dennoch eine bewegte Zeit, an die sie sich gerne zurück erinnere. Aus dieser Aussage kann ich schließen, dass die Teilnahme an der Studie keinen Mehrwert im Sinne eines Heilerfolgs hatte, sondern eher ideeller Natur war.
7.1 Das techno-zerebrale Subjekt in den Neurowissenschaften als eine bio-technische Gestalt des Cyborgs/der Cyborg Meiner, in der pragmatistischen STS-Tradition verorteten, Analyse und meinem Konzept der Mensch-Maschine-Anpassung lag ein praxeologischer Ansatz zugrunde, der den Prozess der Mensch-Maschine-Anpassung in drei Phasen mitsamt der Materialität und Körperlichkeit bei der Subjektkonstitution fokussiert. Auf dieser Grundlage war es mir möglich, als Ergebnis der Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften das herauszukristallisieren, was ich (in Anlehnung an Hagner 1995) als techno-zerebrales Subjekt bezeichne. Allerdings ist die »Qualität« der techno-zerebralen Handlung variabel. Sie lässt sich anhand des simultanen Neurofeedbacks auf die zerebralen Zustände bestimmen. Sofern die techno-zerebrale Handlung durch eine zirkuläre EVA-Schleife gekennzeichnet ist, handelt es sich bei der Form der Mensch-Maschine-Anpassung um eine Mensch-Maschine-Symbiose. Das durch diese Symbiose charakterisierte technozerebrale Subjekt stellt dann eine bio-technische Gestalt des Cyborgs/der Cyborg dar, dessen/deren Konstitution ich als Resultat der Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften beschreibe und zur Diskussion stelle. Während der Neuroscience in Practice herrscht, darauf verweisen meine Befunde deutlich, ein Spannungsverhältnis zwischen dem PatientInnenwohl und den Bedarfen der PatientInnen auf der einen und (dem »Zwang«) der Produktion von artefakt- und fehlerfreien Daten auf der anderen Seite. Die gewünschte Datenproduktion wird dabei nicht nur durch die Fixierung und Verstärkung motorischer Hirnareale hergestellt, sondern basiert auch auf Disziplinierungsversuchen und -maßnahmen der PatientInnen. Die Neurowissenschaften versuchen, neuronale Zustände durch das Forcieren eines an die Bedarfe der Forschenden angepassten Verhaltens des Forschungssubjekts beherrschbar bzw. kontrollierbar
7. Resümee und Ausblick
zu machen, um Erkenntnisse über das Gehirn zu gewinnen und um ggf. Heilerfolge durch Heilversuche zu erzielen. Dabei werden der Mensch mit seinem Gehirn als Hauptakteur und die Maschine in einer symbiotischen Beziehung zusammen gebracht und verändert. Denn NeurowissenschaftlerInnen suchen nicht nur nach Kausalzusammenhängen zwischen einer diskreten Verhaltensaktivität im Gehirn und der Wiederherstellung einer verloren gegangenen motorischen Aktivität in Form von Muskelkontraktionen oder der Bewegung eines Fingers, sondern sie verstärken willkürlich entdeckte oder vermutete Verbindungen zwischen diesen (vgl. Kapitel 6.3.3 und 6.3.5). Allerdings werden NeurowissenschaftlerInnen mit vielen Unwägbarkeiten konfrontiert, nicht zuletzt mit ihrer Ohnmacht gegenüber dem Phänomen der Neuroplastizität, welches sie zu kontrollieren versuchen. Dass der Kontrollversuch nicht immer gelingt, habe ich beispielhaft aufgezeigt, indem ich auf die unkontrollierten Bewegungen einer Patientin hingewiesen habe, die sich nachts durch die motorische Eigenaktivität ihrer Hand erschreckt aufrichtete (vgl. Kapitel 6.3.3). Sowohl der Körper als auch die Körpererfahrung von PatientInnen werden demnach durch die Sach- und Handlungstechniken der Neurowissenschaften beeinflusst. Der Körper von Forschungssubjekten muss, um der Forschung durch NeurowissenschaftlerInnen dienen zu können, täglich neu zugänglich gemacht und an wissenschaftlich-technische Systeme angepasst werden. Nur so fungiert er letztlich als epistemisches Medium. Zu diesem Zweck werden Mensch und Maschine durch diverse Prozeduren aneinander angepasst. Wie ich verdeutlicht habe, nehmen PatientInnen in der Neurowelt dabei eine zweifache Rolle ein, was ihre Arbeitsfähigkeit in Verbindung mit ihrem Körper angeht. Zum einen werden die PatientInnen in einem so großen Ausmaß mit Technik verkoppelt, dass das Forschungshandeln der NeurowissenschaftlerInnen ermöglicht wird. Ihr Körper ist dann als Ermöglichungskörper zu charakterisieren. Das heißt, der Körper des Forschungssubjekts bietet den Zugang zu anderen Einheiten des Körpers, die ich in Anlehnung an Lindemann diskrete Elemente nenne und die für NeurowissenschaftlerInnen epistemische Objekte (Rheinberger 2001) darstellen. Ihr (Ermöglichungs‑)Körper stellt dabei ein epistemisches Medium dar. In Anlehnung an die von Knorr Cetina (2002 [1999]) herausgearbeitete Eigenschaft des epistemischen Subjekts, wird der PatientInnenkörper m.E. in den Neurowissenschaften in seiner Rolle als epistemisches Medium als Informationsverarbeitungsinstrument und Handlungsträger genutzt. Der eigentliche Handlungsträger ist hier das epistemische Objekt Gehirn, welches jedoch nicht losgelöst vom epistemischen Medium betrachtet werden kann, da es den Zugang zum epistemischen Objekt vermittelt. Zum anderen müssen sich PatientInnen in ihrer Gestalt als bio-technisches Wesen jedoch auch aktiv in den Arbeitsbogen der NeurowissenschaftlerInnen einbringen. Der PatientInnenkörper ist also ein Arbeitssubjekt (im Sinne von Reckwitz), welches die einzelnen Elemente seiner Gestalt steuert und welches insbesondere seine neuronalen Zustände trainieren und erweitern muss. Dabei
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Das techno-zerebrale Subjekt
stellen sowohl einzelne Körperteile als auch der Körper in seiner Gesamtheit Bedingungen für das Arbeitshandeln dar. Denn funktioniert ein Körperteil nicht, gefährdet das den Arbeitsablauf. Die Arbeit der NeurowissenschaftlerInnen setzt nun an dem Nicht-Funktionieren an. Je nach »Art der Störung« der Körperteile werden verschiedene Maßnahmen getroffen. Dass unterschiedliche, an den individuellen körperlichen Befund angepasste, Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind, kann man sich leicht vergegenwärtigen, wenn man an das differente Ausmaß erinnert, welches die Lähmung von Schlaganfallpatienten annehmen kann. Sie variiert von spastisch zu schlaff. Ich hatte ausführlich dargelegt, dass und warum eine spastische Lähmung in der Hand gelockert werden muss, bevor die Hand in den Roboter eingespannt wird (vgl. Kapitel 6.3.2). Bei der Mensch-Maschine-Anpassung müssen auch die für die Verbindung notwendigen materiellen Dinge soweit an den PatientInnenkörper angepasst werden, dass sie die nötige Expressivität von Hirn- und Muskelaktivitäten wiedergeben, sodass diese Aktivitäten darstellbar, aufzeichenbar und ggf. durch Sachtechniken (Stimulationsverfahren) kontrollierbar bzw. steuerbar werden. Dabei dienen u.a. verbindende Elemente, also Vermittlungsinstanzen wie Informationstechnologien, dem Körper im Sinne der Unterstützung seiner Funktion als Handlungsinstrument in der Neurowelt. Damit das Forschungssubjekt, und insbesondere sein Körper, also als Handlungsinstrument in der Neurowelt mitarbeiten kann/darf, muss er verkabelt werden, wodurch seine diskreten Elemente adäquat weiter verarbeitet werden können. Nur so ist die Arbeitsleistung seiner einzelnen diskreten Elemente digitalisierbar, objektivierbar. Er dient demnach als epistemisches Medium. Das Gehirn soll, so die Absicht der NeurowissenschaftlerInnen, also durch Techniken und Praktiken der Neurowissenschaften steuer- und regulierbar werden. Beim Neurofeedback-Training wird ein informationstechnisches Ein- und Ausgabeprinzip zugrunde gelegt. Allerdings sind Ein- und Ausgabe Ursache und Wirkung zugleich – also zirkulär. Sowohl die Ableitung von Steuerbefehlen von z.B. externen Geräten, als auch die Ableitung von Regulierungsbefehlen von z.B. Neuronen erfolgen durch bioelektrische Signale und durch »lernende« Signalverarbeitungsalgorithmen, die sich dem Patienten/der Patientin bzw. seinen/ ihren Hirnstrommustern anpassen (vgl. Sanchez & Principe 2007). Der/die PatientIn lernt im BMI, seine/ihre Gedanken so zu steuern, dass die Öffnung externer Geräte veranlasst wird. Algorithmen werden aber auch an die bioelektrischen Signale angepasst, die das Gehirn sendet. Die Öffnung der Orthese beispielsweise wird in einer prozessualen Wechselseitigkeit nach dem Prinzip der Zirkularität hergestellt. Wer bzw. was die Öffnung der Orthese steuert, bleibt dabei unklar. Die Ableitung von Befehlen zur Steuerung und Regulierung z.B. der Motorik bei SchlaganfallpatientInnen folgt einem zirkulären Input-Output Modell, das m.E. einen modularen Aufbau von Ereignisketten für NeurowissenschaftlerInnen wünschenswert macht. Denn dadurch wird die Objektivierung
7. Resümee und Ausblick
von neuronalen Prozessen angeregt, und zwar von ganz bestimmten neuronalen Prozessen, die durch bestimmte Gedanken produziert wurden. Darüber hinaus wird diese Objektivierung durch technische Verfahren der NeurowissenschaftlerInnen gewährleistet, die dazu führen, dass die Steuerung und Regulierung bestimmter zerebraler Funktionen erst möglich wird. Es geht hier also nicht mehr um Handlungstechniken, die durch »simple« Sachtechniken ersetzt werden, wie es z.B. der Fall ist, wenn Roboter in der industriellen Produktion bestimmte Teile von Produktionsketten ersetzen. Sondern im BMI verschmilzt das Organische mit dem Anorganischen zu einem Eingabe-Verarbeitungs-Ausgabe-System, wobei der Anpassungsprozess wechselseitig und somit zirkulär ist. Innerhalb dieses Prozesses spielen Artefakte und Messfehler eine nicht zu vernachlässigende Rolle. So hat meine Analyse der Bedeutung von Artefakten und Messfehlern verdeutlicht, dass und wie der Prozess der Mensch-Maschine-Anpassung (ständig) destabilisiert wird und welche Stabilisierungsmaßnahmen NeurowissenschaftlerInnen schließlich treffen. Einerseits wendet sich die Neurowissenschaft aus diesem Grund komplexen neurophysiologischen Prozessen und Phänomenen zu. Andererseits sind die Praktiken und Techniken cerebrozentristisch und daher auch reduktionistisch, da sie dazu dienen, Probleme der zeitlichen Dimension der Synchronität von Mensch und Maschine durch Stabilisierungsmaßnahmen zu lösen. Dabei spielt jedoch die sachliche Dimension kaum eine Rolle, denn was PatientInnen bei der Aufgabenausführung tatsächlich denken, wird vernachlässigt. Sie müssen lediglich die zerebralen Zustände reproduzieren, die während des Screenings ermittelt und klassifiziert wurden, damit die während des Neurofeedback-Trainings erzeugten Werte mit den in der Echtzeit produzierten Werten verglichen werden können. Auf genau diese hier beschriebene Art wurde in den von mir beobachteten Trainingssequenzen die Öffnung der Roboterorthese angesteuert: mit einem aktuell gemessenen und klassifizierten neuronalen Zustand, der mit einem »alten« während des Screenings gemessenen zerebralen Zustand in Echtzeit verglichen wird. Und auch die Ethik spielt dabei nur eine ambivalente Rolle, denn sie pusht lediglich die Kulturtechnik der Neurowissenschaften, zumindest, wenn sie als Legitimationsinstrument von dieser Praktikengemeinschaft genutzt wird. Zwar können NeurowissenschaftlerInnen das Gehirn konditionieren, jedoch ist die Datenlage voller Artefakte und die Validität der Befunde wird durch die Forschenden ständig hinterfragt. Die Evidenz-Fixierung (vgl. Amann & Knorr Cetina 1988) erfolgt dabei interaktional unter Einbezug des Forschungssubjekts als gestalthafte Ganzheit, allerdings nur bei unvorhergesehenen Resultaten. Die Bedeutung von Interaktionsprozessen wie auch von sozialen AkteurInnen für die Interpretation der Daten weist auf einen wichtigen Aspekt hin: Das Labor ist kein »klassisch« steriler Raum, sondern steckt voller Ereignisse. Es ist durch die Handlungen von AkteurInnen in einen ständigen Wandlungsprozess involviert, in dem Rekonfigurationen stattfinden (vgl. Knorr-Cetina 2002). Solchen Re-
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konfigurationsprozessen werden auch PatientInnen, insbesondere ihre Gehirne, unterzogen. Die PatientInnen sind dabei keine bloßen Körper, sondern passen sich ständig Umweltbedingungen situativ an. Oder sie werden durch NeurowissenschaftlerInnen an die Umweltbedingungen angepasst, wie es z.B. während der von mir in die Untersuchung einbezogenen Versuche der Fall war. Aufgrund der Eigenschaft der Neuroplastizität des Gehirns, wird dabei auch das Gehirn rekonfiguriert und ist ebenfalls »in Bewegung«. Aufgrund dieser Umstände interpretieren NeurowissenschaftlerInnen visualisierte EEG-Messungen und Daten im Rückgriff auf die soziale Situation bzw. auf die sozio-bio-technische Konstellation. Demgemäß kann man hier auch von einer sozio-bio-technischen Fabrikation von Erkenntnis sprechen. Bei Heilversuchen am Menschen durch BMI drehen sich die Handlungs- und interaktionalen Strategien der NeurowissenschaftlerInnen darum, die »perfekte« Adjustierung von Mensch und Maschine, von Gehirn und Computer herzustellen, hier im Speziellen mit dem Ziel der Wiederherstellung motorischer Funktionen von SchlaganfallpatientInnen. Das zentrale Phänomen, auf das sich die Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften beziehen, und das, was aus den Handlungs- und interaktionalen Strategien der NeurowissenschaftlerInnen resultiert, ist die Konsolidierung der techno-zerebralen Handlung des Forschungssubjekts als symbiotische Mensch-Maschine-Verkopplung. Wenn im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess eine Symbiose konsolidiert wird, der das kybernetische Prinzip der Zirkularität immanent ist, handelt es sich um eine Mensch-Maschine-Symbiose als eine bestimmte Form der Mensch-Maschine-Anpassung. (Falls das kybernetische Prinzip der Zirkularität jedoch nicht vorliegt, handelt es sich um eine prozessual-synchrone Mensch-Maschine-Anpassung, wobei allerdings auch dann techno-zerebral induzierte Handlungen möglich sind.) Die Konsolidierung wird dabei durch solche Sach- und Handlungstechniken der Neurowissenschaften gewährleistet, die das wechselseitige Lernen in der techno-zerebralen Handlungsschleife sowie das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Muskel verstärken. Aus diesen Praktiken und Techniken geht aufgrund dessen ein Subjektivationseffekt hervor, der sich in Form des techno-zerebralen Subjekts zeigt, dessen Handlungen im BMI-System als techno-zerebrale Handlungen vollzogen werden. Alle von mir teilnehmend beobachteten Bestrebungen der NeurowissenschaftlerInnen während der Experimente zeigen, dass es sich um eine neurowissenschaftliche und neurotechnische Ko-Konstruktion eines techno-zerebralen Subjekts handelt – eines Hirnsubjekts, das technisiert und neurowissenschaftlich und neurotechnisch hergestellt ist und das (zumindest im Rahmen der neurowissenschaftlich-klinischen Studie) einen bestimmten Zweck erfüllt: die Stabi-
7. Resümee und Ausblick
lisierung »alter Neuro-Konzepte« und somit des ›neurowissenschaftlichen Paradigmas‹ (in Anlehnung an das »wissenschaftliche Paradigma« von Kuhn 1973).
7.2 Die Bedeutung des Konzepts der Mensch-Maschine-Anpassung und seiner Dimensionen für (technik)soziologische Theorien Die Soziologie hat sich bisher nur bedingt mit der Frage nach der Mensch-Maschine-Anpassung und kaum mit der Frage danach, wie diese spezifische Anpassung durch die Neurowissenschaften (und dabei vor allem in neurowissenschaftlich-klinischen Studien) hergestellt wird, auseinandergesetzt. Da jedoch neurowissenschaftliche Praktiken und Techniken unmittelbare Auswirkungen auf Handlungen des Menschen – und insbesondere auf PatientInnen mit neuronalen Erkrankungen – haben, sollten soziologische Studien sich m.E. verstärkt damit befassen, wie sich Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften auf den Menschen/die PatientInnen und seine/ihre Handlungen auswirken. Dabei wäre es sinnvoll, das Konzept der techno-zerebralen Handlung in die Forschung mit einzubeziehen. Ich habe in Bezug auf die Handlungsschleife des technozerebral agierenden Subjekts skizziert, dass und inwiefern das Konzept in der neurowissenschaftlichen Praxis Anwendung findet. Dabei verstehe ich, anlehnend an Strauss’ (1993) Handlungsbegriff, die techno-zerebrale Handlung als Arbeitshandlung innerhalb des Arbeitsbogens der Neurowelt, wobei die Neurowelt wiederum strukturell durch u.a. cerebrozentristische Vorannahmen über den Menschen und situativ gegebene Praktiken und Techniken auf die Bedingungen des techno-zerebralen Handelns Einfluss hat. Dieser Einfluss zeigt sich bspw. in den von NeurowissenschaftlerInnen festgelegten Schwellenwerten für die Orthesenöffnung, nach denen PatientInnen ihre zerebralen Zustände regulieren sollen. Inwiefern diese techno-zerebrale Handlung zu routiniertem Handeln wird, müsste überprüft werden. Es finden sich zwar Anhaltspunkte für verteilte Handlungsabläufe (Rammert & Schulz-Schaeffer 2002) in sozio-technischen Konstellationen (Rammert 2007d), welche ich im Kapitel 6 verdeutlicht habe. Allerdings kann beim techno-zerebralen Handlungsprogramm nicht von einer eindeutig identifizierbaren verteilten Handlungsträgerschaft, wie sie Rammert und Schulz-Schaeffer (2002) konstatieren, ausgegangen werden. Denn, durch das kybernetische Prinzip der Zirkularität im BMI-System wird – wie zuvor erwähnt – Ursache zur Wirkung und was genau die Orthesensteuerung veranlasst, unklar. In meinem Konzept der techno-zerebralen Handlungsschleife und dem Aufzeigen der De- bzw. Restabilisierungen konnte ich – wie von Rammert und Schulz-Schaeffer (2002) gefordert – zudem aufzeigen, wie Technik an der Entstehung und Aufrechterhaltung von sozio-technischen Zusammenhängen mitwirkt. Dabei bin ich bei meiner Beschreibung von einem sozio-technischen Handlungsstrom ausgegangen. Diesen habe ich zwar unter Zugrundelegung des
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Konzepts von Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) beschrieben. Ich bin jedoch in meiner sehr detaillierten Beschreibung insgesamt über das Konzept hinausgegangen, da ich mir vor allem von der Beleuchtung des Handlungsstroms bzw. »flows« (Star & Griesemer 1989: 389) Mehrwerte für mein Erkenntnisinteresse versprach. Zudem habe ich, wie von den Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) gefordert, die Subjekt-Objekt-Asymmetrie in der Beschreibung des Handlungsstroms aufgebrochen, indem ich beide Handlungsträger – das Biologische und das Technische – als zueinander in prozessualer Interaktivität stehende symbiotische Verkopplung dargestellt habe. Hierbei habe ich die dem Handlungsbegriff von Rammert & Schulz-Schaeffer (2002) immanente Kausalität, Kontingenz und Intentionalität berücksichtigt. Diese Dimensionen zeigen sich bspw. durch Handlungs- und interaktionale Strategien der NeurowissenschaftlerInnen, ergeben sich aber auch aus der Destabilisierung der Mensch-Maschine-Anpassung bzw. Symbiose. Aber auch die techno-zerebrale Handlung ist ein prozessuales Geschehen, das sich in Interaktivität vollzieht und in dem Mensch und Maschine durch neurowissenschaftliche Praktiken und Techniken aneinander angepasst werden. Zudem erfüllt die techno-zerebrale Handlung selbst im Sinne der Strauss’schen Arbeitshandlung in der Neurowelt einen doppelten Zweck: Zum einen sollen neurowissenschaftliche Verfahren und Techniken (Neurofeedback, Stimulation) verloren gegangene motorische Funktionen von Forschungssubjekten heilen, zum anderen soll das während der techno-zerebralen Handlung aufgezeichnete Datenmaterial neue Erkenntnisse für die Neurowissenschaften liefern. Dass die Handlungsqualität (vgl. ebd.) – also die Qualität der techno-zerebralen Ausführung – von den Zuschreibungen seitens der NeurowissenschaftlerInnen abhängt, habe ich ebenfalls aufgezeigt, bspw. anhand der Bedingungen eines »guten« versus eines »schlechten« Feedbacks. Deutlich gemacht habe ich, welche Konsequenzen die techno-zerebrale Handlung auf das Forschungssubjekt haben könnte, vor allem bezüglich einer neuen Leib-Körper-Erfahrung. Hinsichtlich der Leiblichkeitsthematik (vgl. Merleau-Ponty 1974) ist schließlich zu prüfen, welche Auswirkungen genau das Maschinenhafte auf die Leiblichkeit hat, wenn Mensch und Maschine so sehr miteinander verflochten sind, dass das Organische und Anorganische sich prozessual wechselseitig verändern. Hier sehe ich noch einen soziologischen bzw. sozialanthropologischen Forschungsbedarf zu den vorgestellten Konzepten der Grenzüberschreitung von Mensch und Maschine (vgl. u.a. Haraway 1995b; Krings 2002; Müller, Clausen & Maio 2009b). Anschlussfähig ist der Beitrag von Scully (2009), die die Leiblichkeitsthematik mit habituellen Handlungen in ihre Analyse einbezieht. Die aktuellen Diskussionen zur Cyborg-Metapher erfordern ein Überdenken des symbiotischen Charakters der Verflechtung von Organischem und Anorganischem hinsichtlich des kybernetischen Prinzips der Zirkularität. Anstatt die Cyborg-Metapher normativ aufzuladen (bspw. Rammert & SchulzSchaeffer 2002), erscheint es angebracht, sich auf Untersuchungen der Zirkulari-
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tät und auf die soziologische Analyse der sozio-bio-technischen Konstellationen zu fokussieren. Ein Anfang dessen stellt meine Untersuchung dar. Durch meine Analyse zeigt sich, dass Lindemann (2008) mit ihrer Vermutung, dass es noch nicht möglich sei, neuronale Muster eindeutig einer Steuerungsfunktion oder einem zerebralen Zustand zuzuordnen, weder ganz falsch noch ganz richtig lag. Denn die Erzeugung neuronaler Zustände durch das Forschungssubjekt orientiert sich nach einem Muster bzw. einem Wert, den das Forschungssubjekt vorher – d.h. während des Screenings – erzeugt hat. Dieser muss dann durch das Forschungssubjekt ständig reproduziert werden. Daraus, dass die Forschungssubjekte in den von mir beobachteten Versuchen erlernten, sich zur Visualisierung (zur biomechanischen Orthesenöffnung) gemäß ihrer neuronalen Expressivität zu verhalten, kann abgeleitet werden, dass Expressivität tatsächlich erlernbar ist. Lindemanns Vermutung, dass dadurch Grundlagen einer neuen Kulturtechnik, der der Neuro-Kultur, geschaffen werden, kann durch meine Analyse bestätigt werden. Ob neurowissenschaftliche Forschungs- und Darstellungsverfahren, die charakteristisch für das Neurofeedback und somit für die neuronale Selbstkontrolle bzw. Steuerung sind, jedoch wirklich ein »integraler Bestandteil moderner kommunikativer Expressivität werden« (Lindemann 2008: 95), muss weiter untersucht werden. Zurzeit werden zur Bewältigung unterschiedlicher neuronaler Funktionsstörungen (z.B. ADHS, Epilepsie) bestimmte Praktiken und Techniken der Neurowissenschaften als problemlösende Maßnahmen herangezogen. Inwiefern sie sich bei Heilbehandlungen von SchlaganfallpatientInnen etablieren werden, bleibt abzuwarten. Im Fall von z.B. ADHS wird das Neurofeedback-Verfahren schon angewandt. Bei diesen Praktiken und Techniken der »Neuro-Kultur« sind, wie ich schon im Theorieteil meiner Arbeit vermutet hatte, neurotechnologische Gestaltungsmöglichkeiten und -umstände im und am Gehirn entscheidend. Somit werden Problemlösungen – und dadurch nicht nur Heilversuche, sondern auch -behandlungen – die Neurowissenschaften anbieten, selbst hirndeterministisch. Untersuchungen könnten beispielsweise die auf dem Neurofeedback beruhenden Therapieformen in den Blick nehmen und deren Auswirkungen auf die Behandlung und den Alltag von PatientInnen näher analysieren, wobei hier sicherlich auch ein Vergleich zu »klassischen« Therapieformen angezeigt wäre. Dadurch könnte sich auch zeigen, ob das Teilkonzept der techno-zerebralen Handlung gewinnbringend für handlungstheoretische Überlegungen ist, gerade was die medizinsoziologische Forschung betrifft. Dazu bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen bzgl. techno-zerebraler Handlungsabläufe. Es würde m.E. deshalb auch sinnvoll sein, auf der Grundlage bereits etablierter, das Neurofeedback einbeziehender Therapieformen die Auswirkungen der Kulturtechnik der Neurowissenschaften auf weitere gesellschaftliche Felder zu
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überprüfen. Bspw. wäre es erforschenswert, inwiefern es Sinn macht, BCI zur Lügendetektion bei Gerichtsverfahren zuzulassen. Außerdem dürfte klar geworden sein, das »alte« Konzepte von Gesundheit und Krankheit (vgl. Parsons 1972) und die tradierten Rollen von Arzt/Ärztin und PatientIn in klinischen Studien zu kurz greifen. Hinweise darauf finden sich im empirischen Teil meiner Arbeit. Es zeigt sich nämlich, wenn auch implizit, dass Gesundheit und im Speziellen der Wille an einer Gesundung von PatientInnen mit neuronalen Funktionsstörungen ein Teil der sozio-technischen Praxis in der Neurowelt geworden ist, der der Wissensproduktion in der Neurowelt »dienen« soll, worin m.E. ein normativer Bias zu verzeichnen ist. Eine Möglichkeit zur neuen Konzeptualisierung von Gesundheit und Krankheit und zum Aufbrechen tradierter Rollenbilder bieten, wie ich anhand meiner theoretischen Erörterungen wie auch der dargelegten Befunde verdeutlicht habe, die pragmatistischen STS-Ansätze, wobei ich im Speziellen die Tätigkeit der PatientInnen innerhalb der neurowissenschaftlichen Studie als Arbeitsleistung innerhalb der neurowissenschaftlichen Praktikengemeinschaft definiert habe. Dadurch würden zumindest andere Erwartungen an PatientInnen gestellt und es würde möglicherweise ein anderer Umgang mit ihnen praktiziert werden. Der »hirndeterministische« Umgang mit den PatientInnen in der neurowissenschaftlichen Praxis ist schließlich auch dem Umstand verschuldet, dass Neurowissenschaften das Gehirn als Steuerungszentrale des Körpers ansehen, wobei das Gehirn in dieser Perspektive wie eine Landkarte (vgl. Bowker & Star 1999) punktgenau repräsentiert, bspw. welche Muskelpunkte angesprochen werden (können). Und dies steht auch im Fokus in der von mir teilnehmend beobachteten Studie. Mit diesen Ansprüchen und mit einem cerebrozentristischen und mechanistischen Verständnis vom Menschen arbeiten die von mir beobachteten und befragten NeurowissenschaftlerInnen an der Wiederherstellung motorischer Funktionen von SchlaganfallpatientInnen. Dass der Fokus auf dem Gehirn und dessen Repräsentationstechniken liegt, habe ich im empirischen Teil meiner Arbeit gezeigt (vgl. Kapitel 6, insbesondere Kapitel 6.3). Ich habe es u.a. dadurch beispielhaft belegt, dass sich NeurowissenschaftlerInnen explizit einer hirndeterministischen Sprechweise bedienen und sich unter Rückgriff auf Repräsentationstechnologien äußern, vor allem gegenüber den PatientInnen (»Ich sehe vielmehr [im EEG-Muster, MŞ] als Sie. Sie haben alles andere als Lernen im Kopf.« – so ein Neurowissenschaftler zu einem Patienten). Versuchsanordnungen mit PatientInnen sind jedoch, entgegen der Darstellungen bisheriger Laborstudien (z.B. Knorr-Cetina 2002, Latour 1987), sehr schwer zu standardisieren – wobei insbesondere das, was die PatientInnen tatsächlich bei der Aufgabenausführung denken, variabel ist. Auch habe ich gezeigt, dass es vor, während und nach den Aufgaben, die die PatientInnen bewältigen sollen, zu Störungen und Destabilisierungen kommt und somit zu Bemühungs-
7. Resümee und Ausblick
leistungen, perfekte, artefaktfreie, »saubere« Hirnsignale aufzeichnen und weiterverarbeiten zu können (vgl. Kapitel 6.3.4). Wenngleich die von mir in die Untersuchung einbezogene Studie für das Forschungsanliegen sehr gewinnbringend war: Zukünftige Laborstudien in der STSTradition müssten, wenn sie der Analyse von klinischen Heilversuchen dienen sollen, auch den OP-Saal einbeziehen. Denn an diesem Ort kann man diejenigen Mensch-Maschine-Interaktionen detaillierter beobachten, die maßgeblich an der Wissenserzeugung im Rahmen klinischer Studien und an medizin-wissenschaftlichen Innovationen beteiligt sind. Weitere, m.E. notwendige, Untersuchungen betreffen die Rolle der Ethik in diesem Innovationsprozess. Denn trotz ihrer großen Relevanz – gerade auch für die PatientInnen und für die Rahmengebung des Handelns der NeurowissenschaftlerInnen – werden ethische Aspekte während einer Technikentwicklungsphase zurzeit allenfalls rudimentär berücksichtigt. Es mangelt an sozio-technischen Konzepten der Technikgenese- bzw. an einer sozialwissenschaftlichen Innovationsforschung, die neben sozioökonomischen, sozialpolitischen und institutionellen Wandlungsprozessen auch die ethischen Implikationen berücksichtigen. Feuerstein und Kollek (1999) schreiben hierzu: »Die Bedeutung, die die Ethik im Bereich biomedizinischer Entwicklungsdynamiken gewonnen hat, wird in der Techniksoziologie und Innovationsforschung … noch immer unterschätzt. Die Konstruktion und situationsgerechte Neufassung ethischer Normen hat nicht nur einen wichtigen Beitrag zur sozialen Schließung von zunächst moralisch konfliktären Medizintechniken geleistet, sie hat vor allem auch zur Öffnung von technischen Entwicklungsspielräumen beigetragen, die ohne ein ethische Akzeptanzmanagement kaum denkbar gewesen wären.« (Ebd.: 567f.)
Ich habe im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt, dass und wie Ethik in den Neurowissenschaften instrumentalisiert wird und sich auch instrumentalisieren lässt, um Forschung zu legitimieren. »[E]s geht aber in erster Linie um die Relevanz der Sozialwissenschaften und Gesellschaftstheorie für die konkreten moralischen Diskussionen, die im Kontext der Angewandten Ethik um Bio- und Technikpolitik geführt werden.« (Düwell & Steigleder 2003: 7) Daher ist ein Forschungsfokus unerlässlich, der die Interdependenzen von Wissen(schaft), Technik und deren ethische Implikationen in der Neurowelt erfasst, um auf dieser Grundlage letztlich handlungsrelevantes Wissen über diese Neurowelt für Diskussionen in der Fachwelt und der Öffentlichkeit bereit zu stellen. Dieser Forderung dürfte mit vorliegender Arbeit gerecht geworden sein. Auf der Grundlage u.a. meiner theoretischen Überlegungen und Erkenntnisse sowie der von mir dargelegten Befunde meiner eigenen wissenschaftlichen Studie erscheint es angebracht, dass sich Gesellschaft und entsprechende Institutionen m.E. nun informiert darüber
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austauschen, inwiefern vor allem invasive BMI-Verfahren dazu genutzt werden (dürfen/sollen/müssen), Heilversuche an Lebewesen im Allgemeinen durchzuführen. Auch wenn von einer soziologischen Untersuchung keine normativen Schlüsse abgeleitet werden (können bzw. sollten), kann durch sie dennoch ethisch relevantes Wissen für darauf aufbauende Überlegungen bereitgestellt werden. Eine Analyse der Emergenz von Wissen und Technik in der neurowissenschaftlicher Forschung, so wie ich sie durchgeführt habe, kann handlungsrelevantes Wissen generieren, welches insbesondere für die Technikfolgenabschätzung und die Bioethik, aber auch für die Neurowissenschaften als Hilfe zur Selbstreflexion fungieren kann. Das von mir vorgestellte Konzept der MenschMaschine-Anpassung ist aber auch für die Soziologie nutzbringend. Denn in einer Gesellschaft, in der Technik förmlich in uns eindringt und es kein »reines« Soziales mehr zu geben scheint, in der Handlungen nicht nur Menschen sondern auch Dingen zugeschrieben werden und in der menschliche und nicht-menschliche AkteurInnen handeln, in der (auch) Hybride und Cyborgs leben, muss sich die Soziologie neu (er)finden.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das paradigmatische Modell Abbildung 2: Seitliche Portraitaufnahme im Selbstversuch mit verkabelter EEGKappe Abbildung 3: Andockprozedur der körperlich-materiellen Anpassung in der 1. Phase der Mensch-Maschine-Anpassung Abbildung 4: Verdinglichungs- und Biofunktionalisierungsmomente während der körperlich-materiellen Anpassung Abbildung 5: EVA-Zyklus einer Befehlsverarbeitungskette während des Screenings Abbildung 6: Beispieldarstellung einer möglichen Screening-Auswertung (Feature Plot) Abbildung 7: Das Konzept der Mensch-Maschine-Anpassung in drei Phasen Abbildung 8: Die Ko-Konstitution des techno-zerebralen Subjekts (Handlungsschleife im BMI-System) Abbildung 9: Handlungsstrategien und Dynamiken im sozio-bio-technischen Anpassungsprozess: De- bzw. Re-Stabilisierungen und ihre Auswirkungen
Danksagung
Die Wissenschafts- und Technikforschung umspannt ein weites Feld, sich als Soziologin dort zurecht zu finden, ist ein eigener, manchmal mühsamer Weg. Auf diesem Weg habe ich an vielen Stationen Halt gemacht und viele Impressionen mitnehmen können. Gefördert wurde diese Arbeit mit einem Stipendium des DFG-Graduiertenkollegs 889 »Bioethik – Zur Selbstgestaltung des Menschen durch Biotechniken« am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Eberhard Karls Universität Tübingen. Dort habe ich gelernt, mich mit bio- und forschungsethischen Fragen auseinanderzusetzen. Dafür danke ich der Leitung, Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Prof. Dr. Thomas Potthast, sowie allen Kolleginnen und Kollegen des Graduiertenkollegs. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die dreijährige finanzielle Unterstützung. Während meiner Zeit in Tübingen haben mich Prof. Dr. Gabriele Abels und Prof. Dr. Jörg Strübing unterstützt. Für die fruchtbaren fachlichen Diskussionen danke ich beiden herzlich. Meinen Bezug zur Wissenschafts- und Technikforschung konnte ich im »Program on Science, Technology and Society« (STS) bei Prof. Sheila Jasanoff an der Kennedy School of Government der Harvard University (Cambridge, MA) festigen. Vor allem möchte ich Sheila für ihre scharfsinnigen Anmerkungen zu meiner Arbeit danken, die mich stets beflügelt haben. Ich danke vielen STS-Fellows, die mich während meines Aufenthalts dort durch zahlreiche Gespräche zu STS-Themen und Kommentare zu meiner Arbeit unterstützt haben – allen voran Prof. Dr. Pierre-Benoît Joly. Für diese Arbeit führte ich mehrere Feldaufenthalte von fast zwei Jahren in unterschiedlichen Kliniken bzw. neurowissenschaftlichen Labors durch. Allen (angehenden) NeurowissenschaftlerInnen, Bioinformatikern, KrankenpflegerInnen, AssistenzärztInnen, ÄrztInnen in ihrer Facharztausbildung, PhysiotherapeutInnen, PatientInnen sowie ihren Angehörigen danke ich herzlichst für die Hilfsbereitschaft, Zeit und Geduld, die sie mir für die Interviews und Beobachtungen entgegenbrachten – trotz ihrer Belastungen in der klinischen Forschung. Zudem danke ich für den Zugang zu Gehirnoperationen verschiedenster Art,
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auch wenn ich im OP-Saal ungewollt zu einer Teilnehmerin geworden bin. Mir ist schnell klar geworden, dass jede/r, die/der sich dort befindet, auch zur Hilfe zur Verfügung stehen muss. Ferner danke ich dem Bundesministerium für Bildung und Forschung für eine fünfjährige Förderung im Rahmen des Doktoranden-Projekts »TRANSDISS – Disziplinäre Forschung in der Transdisziplinarität. Dissertationen in der Technikfolgenabschätzung« in Kooperation mit dem Netzwerk Technikfolgenabschätzung (NTA). Innerhalb der Treffen in diesem Netzwerk konnte ich meine Arbeit in einem transdisziplinären Kontext mit verschiedenen Forscherinnen und Forschern diskutieren. Mein besonderer Dank gilt Mandy Scheermesser und Prof. Dr. Nina Langen, die mich immer in meinem Vorhaben bestärkt haben. Gerät man einmal in die Irrwege der Wissenschafts- und Technikforschung, ist es zweckmäßig, dass man wieder »back to the roots« kommt – zurück zur Soziologie. Denn dort verorte ich schlussendlich meine Dissertation. Den letzten Abschnitt dieses Wegs verdanke ich der Begleitung durch Prof. Dr. Ingo SchulzSchaeffer und Prof. Dr. Gregor Bongaerts, Universität-Duisburg-Essen. Sie haben mich gelehrt, zu fragen, wohin die Reise geht und wo die Musik spielt. Während der Reise nach dem Lauschen der großen Töne habe ich stets ihr größtes Vertrauen genießen dürfen. Herzlichen Dank dafür. Meinen ehemaligen ArbeitskollegInnen vom Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen möchte ich ebenfalls für die zahlreichen hilfreichen Kommentare zu meiner Arbeit im Rahmen des Doktorandenkolloquiums danken, allen voran Dennis Kirschsieper für seine erhellenden Anmerkungen. Mein besonderer Dank gilt auch Anna Herwig für ihre Unterstützung. Mein Dank richtet sich auch an alle anderen Kolleginnen und Kollegen, die ich vor und während meiner Dissertationsphase getroffen habe, die einen besonderen Platz einnehmen. Sie haben mich teilweise zu und auf diesem Weg bekräftigt und unterstützt, namentlich vor allem Dr. Jutta Wergen, Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn, Prof. Dr. Hans J. Hummell und Prof. Dr. Peter Mambrey. Schließlich habe ich durch das Vertrauen von Prof. Dr. Raoul Motika, Direktor des Orient-Instituts Istanbul, einen letzten Motivationsschub bekommen und diese Arbeit abgeschlossen. Danke dafür. Einer meiner wichtigsten Motivationsdynamos waren meine Familie und meine Freunde. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Insbesondere danke ich Pantea Bashi, die mir immer wieder Mut gemacht hat und mit der ich auch wunderbar fachlich diskutieren konnte. Meinem lieben Vater, Adem Şahinol, widme ich diese Dissertation, in lebendiger Erinnerung und tiefer Dankbarkeit für seine Liebe und seinen Edelsinn. Melike Şahinol Istanbul 2016
Technik – Körper – Gesellschaft Gustav Roßler Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft Sozialität – Kognition – Netzwerke 2015, 284 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3297-2
Hannah Fitsch ... dem Gehirn beim Denken zusehen? Sicht- und Sagbarkeiten in der funktionellen Magnetresonanztomographie 2014, 260 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2648-3
Daniela Manger Innovation und Kooperation Zur Organisierung eines regionalen Netzwerks 2009, 258 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1078-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Technik – Körper – Gesellschaft Ingo Rollwagen Zeit und Innovation Zur Synchronisation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bei der Genese der Virtual-Reality-Technologien 2008, 248 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-899-5
Paul Ferdinand Siegert Die Geschichte der E-Mail Erfolg und Krise eines Massenmediums 2008, 360 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-89942-896-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de