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German Pages [216]
Bettina Dietz
DAS SYSTEM DER NATUR Die kollaborative Wissenskultur der Botanik im 18. Jahrhundert
2017
Böhlau Verlag Köln Weimar Wien
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Brief von N. v. Jacquin an C. v. Linné, 20. Januar 1716; mit freundlicher Genehmigung der Linnean Society, London.
© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser, Graz Satz: Michael Rauscher, Wien Einbandgestaltung: Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung : Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50739-8
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Regionale Botanik als kollaboratives Projekt . . . . . . . . . . . . . . . I.1 John Rays englische Flora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2 Albrecht von Hallers Flora der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Die partizipative Architektur von Linnés globalem System der Natur . . . II.1 Die botanische Korrespondenz als Informationssystem . . . . . . . . II.2 Aggregieren und Iterieren.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Interdependenz und Vertrauen . . . . III.1 Reziprozität. . . . . . . . . . . III.2 Mit den Augen anderer . . . . . III.3 Das Scheitern des Einzelgängers .
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IV. Botanik als Buchwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 IV.1 Bücher – Generatoren von Interdependenz . . . . . . . . . . . . . . 118 IV.2 Büchertausch und das Publikationssystem der Botanik . . . . . . . . 131 V. Fortschreiben durch Übersetzen . . . . . . V.1 Aktualisieren und Ergänzen.. . . . . . V.2 Regionalisieren. . . . . . . . . . . . . V.3 Universalsprache versus Landessprache .
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VI. Was ist ein botanischer Autor ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Schluß : Linné / Linux.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Anhang . . . . . . . . . . . . Ungedruckte Quellen . . . Gedruckte Quellen : Briefe . Gedruckte Quellen. . . . .
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Inhalt
Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
Vorwort
Die Sprache der Botanik im 18. Jahrhundert war primär das Lateinische. Übersetzungen aus Briefen und Publikationen ins Deutsche sind, wenn nicht anders angegeben, meine eigenen. Wenn Briefe aus James Edward Smiths Selection of the correspondence of Linnaeus and other naturalists (London 1821) zitiert werden, dann in seiner englischen Übersetzung. Ich danke allen, die mich mit Rat und Tat unterstützt haben. Gefördert wurde meine Arbeit an diesem Buch durch den Research Grants Council von Hongkong (Projektnummern 253512 und 12638216). Hongkong, Dezember 2016
Einleitung
Im Mittelpunkt des globalen botanischen Erfassungsprojekts des 18. Jahrhunderts stand zwar der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707–1778), aber er stand dort nicht allein als der heroische und herkulische Autor, als der er in der Literatur gerne beschrieben wurde.1 Wie dann ? Im Lauf der Jahre entwickelte und maximierte Linné einen Arbeitsmodus, der ihm langfristig einen Zustrom von Pflanzen und Beobachtungen garantierte, was wiederum das zyklische Erscheinen seiner Werke in ergänzten und korrigierten Neuausgaben zur Folge hatte. Vollständigkeit war weder allein noch auf einmal, sondern nur in einer langfristigen Gemeinschaftsanstrengung zu erreichen. Aus dieser sich im Lauf der Zeit intensivierenden kollaborativen und iterativen Dynamik, die nicht nur Linnés Arbeitsprozeß, sondern auch den vieler seiner Zeitgenossen prägte, ging hervor, was hier als das Publikationssystem der Botanik im 18. Jahrhundert beschrieben werden soll. Publikationen entstanden aus der Vernetzung ihres Autors mit anderen Botanikern, die einander Material, Beobachtungen und Korrekturen zur Verfügung stellten, und so in unterschiedlichem Umfang teilnahmen und Anteil hatten an den Werken der anderen. Im Zentrum steht hier die interpersonelle und relationale Natur dieses Prozesses, der alle Beteiligten zu einem auf wechselseitige Abhängigkeit gegründeten Publikationssystem verknüpfte. Linné Linnés Projekt der Erfassung, Benennung und Systematisierung aller Pflanzen weltweit, das mit einer ersten, nur elf Seiten langen Ausgabe des Systema naturae (1735) begann und, über das Erscheinen einer dreibändigen, zwölften 1 Zur hagiographischen Darstellung Linnés, v. a. in der älteren schwedischen Literatur, s. Sten Lindroth : The Two Faces of Linnaeus, in : Tore Frängsmyr (Hg.) : Linnaeus. The Man and his Work, Berkeley/Los Angeles 1983, 1–62, 1f.; vgl. außerdem den Beitrag von Sverker Sörlin in : Hanna Hodacs/Kenneth Nyberg/Stéphane van Damme (Hg.) : Nature’s Empire. A Global History of Linnaean Science in the Long Eighteenth-Century (erscheint Oxford 2017). Aber auch William Stearn schreibt : »Linnaeus’s task was to provide the means of identifying and naming all the organisms then known. He lived at a time, possibly the very last time, when one person could accomplish this single-handed […].« (W. Stearn : Introduction, in : Wilfrid Blunt : The Compleat Naturalist. A Life of Linnaeus, 2. Aufl., London 2001, 6–9, 6).
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Einleitung
Ausgabe (1766–1768) hinaus,2 auch nach seinem Tod noch fortgesetzt wurde, prägte und dominierte die Botanik des 18. Jahrhunderts.3 Sein klassifikatorisches Verfahren beruhte auf einer an den Geschlechtsorganen der Blüten orientierten Vorgehensweise zur Klassifizierung von Pflanzen einerseits und einer klaren Regeln folgenden, binominalen Nomenklatur zu deren eindeutiger Benennung andererseits. In der Praxis bot Linnés Methode eine einfache Handhabe, um eine Pflanze innerhalb des Systema naturae zu verorten. Man zähle zuerst die Staubblätter (die männlichen Geschlechtsorgane), um die Klasse zu identifizieren, der sie zuzuordnen ist, und zähle dann die Stempel (die weiblichen Strukturen), um innerhalb dieser Klasse die passende Ordnung zu bestimmen. Anschließend studiere man die Beschreibungen der in einer Ordnung bereits enthaltenen Gattungen, um zu entscheiden, ob die Pflanze zu einer von ihnen gehört, und gehe dann die Beschreibungen der unter der betreffenden Ordnung subsumierten Arten durch, um, falls die Pflanze bereits bekannt sein sollte, zu ermitteln, um welche es sich handelt.4 Alles das wurde bereits mehrfach beschrieben und im Rahmen der Genese von frühneuzeitlicher Systematik und Nomenklatur kontextualisiert.5 Hier wird ein anderer Aspekt im Vordergrund stehen, und zwar die Frage danach, wie Linné arbeits2 Carl von Linné : Systema naturae, sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera & species, Leiden 1735 ; ders.: Systema naturae per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus, differentiis, synonymis, locis […]; editio duodecima, reformata, 3 Bde., Stockholm 1766–68. 3 Zu Linné allgemein vgl. Staffan Müller-Wille : Collection and Collation. Theory and Practice of Linnaean Botany, in : Studies in History and Philosophy of the Biological and Biomedical Sciences 38 (2007), 541–562 ; ders.: Botanik und weltweiter Handel. Zur Begründung eines natürlichen Systems der Pflanzen durch Carl von Linné (1707–78), Berlin 1999 ; Lisbet Koerner : Linnaeus. Nature and Nation, Cambridge (MA) 1999 ; James Larson : Interpreting Nature. The Science of Living from Linnaeus to Kant, Baltimore 1994 ; Frängsmyr, Linnaeus ; Gunnar Broberg (Hg.) : Linnaeus. Progress and Prospects in Linnaean Research, Stockholm/ Pittsburgh 1980 ; zur Biographie Gunnar Broberg : Carl Linnaeus, Stockholm 2006 ; Blunt, Linnaeus. 4 Dazu Sarah T. Scharf : Identification Keys, the »Natural Method«, and the Development of Plant Identification Manuals, in : Journal for the History of Biology 42 (2009), 73–117, 92. 5 Vgl. insbesondere Staffan Müller-Wille : Systems and how Linnaeus Looked at them in Retrospect, in : Annals of Science 70 (2013), 305–317 ; ders., Collection and Collation ; ders.: Botanik und weltweiter Handel, 27–44 ; Ilse Jahn : Biologische Fragen in der Epoche der Aufklärung, in : dies. (Hg.) : Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiographien, Berlin 2009, 231–273, 235–244 ; Charles E. Jarvis : Order out of Chaos. Linnaean Plant Names and their Types, London 2007 ; William T. Stearn : An Introduction to the Species Plantarum and Cognate Botanical Works of Carl Linnaeus, in : Species Plantarum. A Facsimile of the First Edition (1753), London 1957, 1–176, 1–6, 24–35.
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technisch vorging, um das monumentale Vorhaben eines nach Vollständigkeit strebenden Pflanzenverzeichnisses zu realisieren. Linné entwickelte einen mit dem sukzessiven Wachstum seines Systems skalierbaren Arbeitsmodus, der ihm erlaubte, Nutzer des Systems als Kontributoren und Koautoren für dessen Erweiterung zu rekrutieren. Ihm gelang es, die Arbeitskraft und das Wissen vieler für ein Projekt zu mobilisieren, dessen Größenordnung die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Botanikers bei weitem überstieg. Über die Korrespondenz akquirierte er zahllose Beiträge – Samen, getrocknete Pflanzen, Beobachtungen, Beschreibungen, Fehlermeldungen und Korrekturen –, die er prüfte und, falls für richtig bzw. neu befunden, an passender Stelle einarbeitete. Sobald eine erweiterte und korrigierte Neuauflage des Systema oder auch der Genera plantarum erschienen war,6 begann ein neuer Erweiterungszyklus, in den die seit der letzten Publikation akkumulierten Informationen, vor allem neu entdeckte Pflanzen und Korrekturen von Beschreibungen und klassifikatorischen Zuordnungen bereits bekannter Pflanzen einflossen. Fehler waren dabei trotz äußerster Sorgfalt nicht zu vermeiden und konnten nicht von einem allein, sondern nur durch die kollektive Anstrengung vieler beseitigt werden. Vollständigkeit und Richtigkeit ließen sich nicht auf einmal, sondern nur langfristig und kollaborativ erreichen. Statt zu versuchen, ein möglichst vollständiges Werk auf den Markt zu bringen, was nach endlosen Ergänzungen und Verbesserungen spät oder nie geschehen wäre, publizierte Linné früh und oft. Der Publikationsstil, den er entwickelte, war iterativ. Argumentiert wird erstens, daß Linnés Systematisierungsprojekt als Kraftakt eines einzelnen nicht adäquat beschrieben ist, sondern grundsätzlich auf der Mitarbeit anderer beruhte, viele involvierte, und in diesem Sinne kollaborativ organisiert war. Dabei wird der Prozess des gemeinsamen Schreibens von botanischen Publikationen im Mittelpunkt stehen. Hauptprotagonisten 6 Carl von Linné : Genera plantarum eorumque characteres naturales secundum numerum, figuram, situm & proportionem omnium fructificationis partium, Leiden 1737 ; Genera plantarum […] ; editio secunda aucta & emendata, Leiden 1742 ; Genera plantarum […] editio quinta ab auctore reformata et aucta, Stockholm 1754 ; Genera plantarum […] editio sexta ab auctore reformata et aucta, Stockholm 1764. Die Species plantarum durchliefen nur einen Ergänzungszyklus zu Linnés Lebzeiten : Species plantarum, exhibentes plantas rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominibus trivialibus, synonymis selectis, locis natalibus, secundum systema sexuale digestas, Stockholm 1753 ; […] editio secunda aucta, 2 Bde., Stockholm 1762–1763. Die dritte Auflage, die 1764 in Wien erschienen war, wich nur minimal von der zweiten ab.
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sind europäische Botaniker des 18. Jahrhunderts, die miteinander nicht nur Informationen zur Fertigstellung und Ergänzung ihrer eigenen Publikationen teilten, sondern die mit Hilfe des ihnen zur Verfügung stehenden Materials auch die Publikationen anderer aktualisierten oder sogar fortschrieben. Die Frage, ob, und wenn ja wie, diese Gelehrten beim Sammeln von Naturalien die Hilfe einheimischer oder ortskundiger Informanten in Anspruch nahmen, wird in diesem Zusammenhang nicht vorrangig diskutiert.7 Linné fungierte als Zentrum dieses Gemeinschaftsunternehmens, akkumulierte Information, korrigierte Fehler und war diejenige Instanz, die darüber entschied, was in die nächste zu publizierende Ausgabe des Systema, der Genera plantarum und der Species plantarum aufgenommen wurde und was nicht. Gezeigt wird zweitens, daß das Entstehen von Linnés systematischen Werken mit dem anderer zeitgenössischer Werke engstens korreliert war. Linné trieb seine Zentralregister voran, während Johann Jakob Dillenius an seiner Historia Muscorum (einer Naturgeschichte der Moose), Albrecht von Haller an seiner Flora der Schweiz und Nikolaus von Jacquin an seinen karibischen und österreichischen Floren arbeitete.8 Zwischen diesen vier Autoren entwickelte sich eine symbiotische 7 Zum botanischen Erfassungsprojekt aus global- und kolonialhistorischer Perspektive s. Hodacs/Nyberg/van Damme, Nature’s Empire ; Kenneth Nyberg : Linnaeus’s Apostles and the Globalisation of Knowledge, 1729–1756, in : Patrick Manning/Daniel Rood (Hg.) : Global Scientific Practice in an Age of Revolutions, 1750–1850, Pittsburgh 2016, 73–89 ; Staffan Müller-Wille : Walnuts at Hudson Bay, Coral Reefs in Gotland. The Colonialism of Linnaean Botany, in : Londa Schiebinger/Claudia Swan (Hg.) : Colonial Botany. Science, Commerce, and Politics in the Early Modern World, Philadelphia 2005, 34–48. Die Verschränkung von Botanik und kolonialer Expansion wurde in letzter Zeit verstärkt thematisiert ; siehe z. B. Deepak Kumar : Botanical Explorations and the East India Company. Revisiting »Plant Colonialism«, in : Anna Winterbottom/Vinita Damadoran/Alan Lester (Hg.) : The East India Company and the Natural World, Basingstoke 2014, 16–34 ; Anna Winterbottom : Medicine and Botany in the Making of Madras, 1680–1720, ebd., 35–57. 8 Johann Jakob Dillenius : Historia muscorum in qua circiter sexcentae species veteres et novae ad sua genera relatae describuntur et iconibus genuinis illustrantur, cum appendice et indice synonymorum, Oxford 1741 ; Albrecht von Haller : Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum, qua omnium brevis descriptio et synonymia compendium virium medicarum dubiarum declaratio novarum et rariorum uberior historia et icones continentur, 2 Bde. Göttingen 1742 ; ders.: Ad enumerationem stirpium helveticarum emendationes et auctaria, Bern 1759 ; ders.: Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata, 3 Bde., Bern 1768 ; Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin : Enumeratio systematica plantarum, quas in insulis Caribaeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit, Leiden 1760 ; ders.: Enumeratio stirpium plerarumque, quae sponte crescunt in agro Vindebonensi, montibusque confinibus ; accedunt observationum centuria et appendix de paucis exoticis ; cum tabulis aeneis, Wien 1762 ; ders.: Selectarum stirpium Americanarum historia, in qua
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Form der Zusammenarbeit, die dazu führte, daß sie einander Material – klassifikatorische Diagnosen, Beschreibungen, Synonyme oder auch Abbildungen – aus ihren jeweils entstehenden Publikationen zuschickten, die dann unter Hinweis auf den jeweiligen Geber entweder direkt in die Publikationen der anderen aufgenommen wurden (so insbesondere im Falle Linnés) oder der Beantwortung offener Fragen dienten.9 Zu verdeutlichen ist drittens, daß nicht nur namhafte Gelehrte in diese Zusammenarbeit involviert waren und auf diese Weise arbeiteten, sondern auch solche von bescheidenerem wissenschaftlichem Renommee. Das Zusammentragen und Abgleichen von Pflanzen, Information und Büchern, die Unvermeidbarkeit von Fehlern bei der Bestimmung, Beschreibung und klassifikatorischen Zuordnung von Pflanzen sowie die Notwendigkeit von deren Korrektur überforderten die Kapazitäten eines einzelnen Gelehrten, selbst wenn es sich um den Autor eines überschaubareren Vorhabens wie zum Beispiel einer lokalen Flora handelte. Daß Botanik im 18. Jahrhundert, wenn überhaupt jemals, nicht mehr allein betrieben werden konnte, dessen waren sich diejenigen bewußt, die daran arbeiteten, eine den Standards der Disziplin entsprechende, möglichst vollständige und fehlerfreie Publikation vorzulegen. Diesem Ziel war nur mit Hilfe anderer näher zu kommen, was das freiwillige Teilen von Information unter der Bedingung der adäquaten Anerkennung bzw. Kenntlichmachung des Gebers zu einer conditio sine qua non botanischen Arbeitens und Publizierens machte. Obwohl auf dem Titelblatt der meisten botanischen Werke nach wie vor in der Regel nur ein Autor figurierte, resultierten Publikationen in grundsätzlicher Weise aus der intensiven Kooperation zwischen vielen Autoren und waren in diesem Sinne das Produkt eines kollaborativen Publikationssytems. Aus einer anderen Richtung kommend, haben sich Staffan Müller-Wille und Isabelle Charmantier mit Linnés Arbeitstechniken beschäftigt.10 Ihr Interesse ad Linnaeanum systema determinatae descriptaeque sistuntur plantae illae, quas in insulis Martinica, Jamaica, Domingo, alliisque, et in vicinae continentis parte, observavit rariores ; adjectis iconibus in solo natali delineates, Wien 1763 ; ders.: Florae Austriacae, sive plantarum selectarum in Austriae Archiducatu sponte crescentium icones, ad vivum coloratae, et descriptionibus ac synonymis illustratae, Bd. 1–5, Wien 1773–78. 9 Dillenius, Haller und Jacquin waren, wie zu zeigen sein wird, bei weitem nicht Linnés einzige Kooperationspartner, aber sie zählten zu seinen engsten. 10 Vgl. Staffan Müller-Wille/Isabelle Charmantier : Worlds of Paper. An Introduction, in : Worlds of Paper, Themenheft hg. von Müller-Wille/Charmantier, Early Science and Medicine 19/5 (2014), 379–397 ; dies.: Carl Linnaeus’s Botanical Paper Slips (1767–1773), in : Intellectual History Review 24 (2014), 215–238 ; dies.: Natural History and Information Overload : The
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richtet sich auf diejenigen Verfahrensweisen – writing technologies oder auch paper technologies –, mit deren Hilfe Linné über den eskalierenden Zustrom von Information und Pflanzen Buch führte.11 Sie diskutieren verschiedene Informationsverwaltungstechniken, vor allem das Annotieren von Büchern und das Arbeiten mit die moderne Karteikarte antizipierenden Papierstreifen, die Linné einsetzte, um Information in standardisierbare, mobile Einheiten zu unterteilen und sie dann im Entstehungsprozeß seiner Publikationen je nach Bedarf neu anzuordnen. Dieser Ansatz gewährt konkrete Einblicke in die Logistik der Datenverarbeitung auf Papier im späteren 18. Jahrhundert ; in einer Zeit, die in den Augen der Zeitgenossen eine Informationsflut neuen AusmaCase of Linnaeus, in : Studies in History and Philosophy of the Biological and Biomedical Sciences 43 (2012), 4–15 ; Staffan Müller-Wille/Sara T. Scharf : Indexing Nature. Carl Linnaeus (1707–1778) and his Fact-Gathering Strategies ; Working Papers on The Nature of Evidence : How Well Do ›Facts‹ Travel ? No. 36/08, London School of Economics, 2009, (6.6.2016). 11 Den Fragestellungen, mit denen Müller-Wille und Charmantier Linnés Arbeitsprozeß untersuchen, gehen eine Reihe von Pionierstudien zur Geschichte der Informationsverarbeitung und Wissensorganisation voraus. Zu Konzept und Begriff der paper technology s. Volker Hess/J. Andrew Mendelsohn : Case and Series. Medical Knowledge and Paper Technology, 1600–1900, in : History of Science 48 (2010), 287–314 ; zur Organisation von Information mit Hilfe mobiler Papiermodule wie z. B. Zettel, Streifen und Karten vgl. die ausgezeichnete Studie von Martin Krajewski : Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geist der Bibliothek, Berlin 2002 (Krajewski beginnt seine Geschichte der »Verzettelung« von Information bezeichnenderweise mit Conrad Gesner, dem Schweizer Naturhistoriker und Universalgelehrten des 16. Jahrhunderts, und seinem programmatischen Gebrauch von Papierstreifen) ; außerdem : Claire Bustarret : Couper, coller dans les manuscrits de travail du XVIIIe au XXe siècle, in : Lieux de Savoir, Bd. 2 : Les mains de l’intellect, hg. von Christian Jacob, Paris 2011, 353–375 (u. a. zu den Schreibtechniken von Buffon und Cuvier) ; Anke te Heesen : Accounting for the Natural World. Double-Entry Bookkeeping in the Field, in : Schiebinger/Swan, Colonial Botany, 237–251 (zur Anwendung von Buchführungstechniken aus dem Handelswesen in der Informationsverarbeitung der frühneuzeitlichen Naturgeschichte, einschließlich eines Beispiels zum Gebrauch von Papierstreifen durch einen Naturhistoriker des frühen 18. Jahrhunderts) ; Biographie, Attitüden, Zettelkasten. Ein Interview mit Niklas Luhmann, in : Short Cuts. Niklas Luhmann, Berlin 2002, 7–40, 25–28, 33 (Luhmann, Besitzer eines der produktivsten Zettelkästen des 20. Jahrhunderts, beschreibt hier seine eigene Verzettelungsroutine) ; zu Notizen als Techniken der Informationsbewältigung s. das von Ann Blair und Richard Yeo herausgegebene Themenheft : Note-Taking in Early Modern Europe, Intellectual History Review 20/3 (2010) ; Ann Blair : Reading Strategies for Coping with Information Overload, c.1550–1700, in : Journal of the History of Ideas 64 (2003), 11–28 ; außerdem Helmut Zedelmaier/Martin Mulsow (Hg.) : Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, Tübingen 2001.
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ßes erlebte, und in einer Disziplin, der Botanik, die infolge lokaler Exkursionen und globaler Expeditionen zu den datenintensivsten des 18. Jahrhunderts gehört.12 Vorausgesetzt wird dabei zwar, daß die zu bewältigende Information sozusagen »von außen« kommt, doch im Mittelpunkt steht die Person Linnés, sein Arbeitszimmer und das dort stattfindende Auf- und Umschreiben von Information als generatives Prinzip eines persönlichen Arbeitsstils. Im Gegensatz dazu wird es hier um die kontributive und kollaborative Dynamik gehen, die der enorme Informationsbedarf des globalen botanischen Erfassungsprojekts auslöste. Linnés Werke wurden koproduziert. In ihnen bündelt sich das kollektive Unternehmen, als das die Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts funktionierte. Anfänge Die Entstehung dieses Publikationssystems, das im Verlauf des 18. Jahrhunderts seine maximale Entfaltung und Effizienz erreichte, läßt sich angesichts des momentanen Forschungsstandes erst in groben Umrissen nachzeichnen. Ohne die hier zentralen Aspekte der Kooperation und Koautorschaft in den Mittelpunkt zu stellen, haben Untersuchungen zur Arbeitsweise von Naturhistorikern des 16. Jahrhunderts gezeigt, daß bereits in der Renaissance Publikationen mit umfassendem Erfassungsanspruch wie Conrad Gesners Historia animalium (5 Bde., Zürich 1551–87),13 die Information zu allen bis dato bekannten Tieren katalogisierte, oder auch seine unpubliziert gebliebene Historia plantarum auf Kommunikation und Kooperation unter Gelehrten angewiesen waren. Gesners internationale Korrespondenz war das Medium, mit dessen Hilfe er Information von anderen Naturhistorikern einholte, Abbildungen beschaffte und Fragen zur Glaubwürdigkeit von in der Literatur überlieferten Beschreibungen und Erklärungen diskutierte.14 Eingehend wurden 12 Zum Phänomen einer frühneuzeitlichen Datenflut und zu entsprechenden Bewältigungsstrategien s. unten. 13 Die Schreibweise des Namens variiert : »Conrad« und »Konrad« sind anzutreffen sowie »Gessner«, »Geßner« und »Gesnerus«. Zu Gesner im Überblick seien hier zwei Publikationen des Jubiläumsjahres 2016 angeführt : Urs B. Leu : Conrad Gessner (1516–1565). Universalgelehrter und Naturforscher der Renaissance, Zürich 2016 ; Vincent Barras/Hubert Steinke (Hg.) : Conrad Gesner, 1516–2016 (Themenheft), Gesnerus. Swiss Journal of the History of Medicine and the Sciences 73/1 (2016). 14 Vgl. Sachiko Kusukawa : Picturing the Book of Nature. Image, Text and Argument in Sixteenth-Century Human Anatomy and Medical Botany, Chicago 2012, 148.
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vor allem Funktion und Provenienz von Abbildungen in naturhistorischen Publikationen des 16. Jahrhunderts untersucht, die trotz des erstarkenden experimentell-empirischen Paradigmas häufig aus älteren Werken stammten.15 Gianna Pomata und Nancy Siraisi erklären diesen Sachverhalt, der die Vorstellung einer primär auf eigene Augenzeugenschaft gegründeten Abbildungsund Beschreibungspraxis als Anachronismus entlarvt, im Rahmen einer Konstellation, die sie als learned empiricism beschreiben. Sie argumentieren, daß die Wissenschaften der Renaissance, vor allem Naturgeschichte, Medizin und Anatomie, charakterisiert waren durch eine gelehrte Praxis, in der sich der Anspruch direkter Naturbeobachtung und das Kompilieren von Information aus den Publikationen älterer Autoren und Autoritäten nicht ausschlossen, sondern vielmehr ergänzten.16 Weniger intensiv untersucht als die Naturgeschichte der Renaissance sind Autoren und Entwicklungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts.17 Die hier beabsichtigte Beschreibung einer sich intensivierenden Dynamik der Kooperation, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte, wählt darum die Jahrzehnte vor dem ersten Erscheinen von Linnés Systema naturae (Leiden 1735) als Ausgangspunkt. So wird einerseits ein weiterer 15 Vgl. dazu insbesondere Sachiko Kusukawa/Florike Egmond : Circulation of Images and Graphic Practices in Renaissance Natural History. The Example of Gessner, in : Gesnerus 73 (2016), 29–72 ; Sachiko Kusukawa : Patron’s Review »The Role of Images in the Development of Renaissance Natural History«, in : Archives of Natural History 38 (2011), 189–213 ; dies.: The Sources of Gessner’s Pictures for the Historia Animalium, in : Annals of Science 67 (2010), 303–28 ; zu Ulisse Aldrovandi vgl. Giuseppe Olmi/Lucia Tongiorgi Tomasi : La bottega artistica di Ulisse Aldrovandi, Rom 1993 ; Giuseppe Olmi : L’inventario del mondo. Catalogazione della natura e luoghi del sapere nella prima età moderna, Bologna 1992 ; Fabian Krämer : Ein Zentaur in London. Lektüre und Beobachtung in der frühneuzeitlichen Naturforschung, Affalterbach 2014, 107–163. 16 Vgl. Gianna Pomata/Nancy Siraisi : Introduction, in : dies. (Hg) : Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe, Cambridge (MA) 2005, 1–38, 17 ; Arno Seifert : Cognitio historica. Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie, Berlin 1976 ; außerdem Dmitri Levitin : Ancient Wisdom in the Age of the New Science. Histories of Philosophy in England, c.1640–1700, Cambridge 2015. 17 Siehe beispielsweise Alix Cooper : Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, Cambridge 2007 ; Harold J. Cook : Matters of Exchange. Commerce, Medicine, and Science in the Dutch Golden Age, New Haven 2007 ; Robert Felfe : Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer, Berlin 2003 ; Paula Findlen : Possessing Nature. Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994 ; Janet Browne : The Secular Ark. Studies in the History of Biogeography, New Haven 1983.
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Brückenstein gelegt zwischen der Botanik der Renaissance und derjenigen des 18. Jahrhunderts, der erlaubt, neben den Ideengeschichten des klassifikatorischen Denkens einen weiteren historischen Entwicklungsstrang – den einer Geschichte der botanischen Arbeitsweise – sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht um botanische Praxis im allgemeinen, ein Thema zu dem seit dem practice turn der Wissenschaftsgeschichte18 bereits Wesentliches gesagt wurde, vor allem in Bezug auf Pflanzentausch und die Funktion von Herbarien und Gärten.19 Sondern es soll gezielt die Tatsache in den Blick genommen werden, daß der botanische Arbeits-, Wissensbildungs- und Publikationsprozeß an eine fundamental kollaborativ organisierte Praxis gekoppelt war, ohne die weder seine Spezifik noch die der daraus hervorgehenden Publikationen zu erfassen sind. Während die Expansion dieser Kultur des Zusammenarbeitens im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit dem praktischen Erfolg und der wachsenden internationalen Verwendung von Linnés Methode korreliert war, ist gleichzeitig zu betonen, daß Linné weder der erste noch der einzige Botaniker war, dessen Arbeits- und Publikationsmodus auf weitreichender Kollaboration beruhte. Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen, steht hier einerseits mit John Ray ein zentraler Protagonist der vorlinnéschen Botanik zur Diskussion, dessen über mehr als drei Jahrzehnte in sukzessiven Publikationen ergänzte und korrigierte englische Flora den arbeitstechnischen Vergleich mit Linné nahelegt. Andererseits ist zu zeigen, daß auch Linnés Zeitgenossen – sowohl führende Botaniker der Zeit wie Johann Jakob Dillenius (1684–1747), Albrecht 18 Zum practice turn aus methodischer Perspektive s. Hans-Jörg Rheinberger : Epistemologie des Konkreten. Studien zur Geschichte der modernen Biologie, Frankfurt a. M. 2006 ; Theodore R. Schatzki/Karin Knorr Cetina (Hg.) : The Practice Turn in Contemporary Theory, London/ New York 2001 ; Hans Erich Bödeker/Peter Hanns Reill (Hg.) : Wissenschaft als kulturelle Praxis, Göttingen 1999 ; Bruno Latour : Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers Through Society, Cambridge (MA) 1987 ; historische Fallstudien in Auswahl : Anne Mariss : »A world of new things«. Praktiken der Naturgeschichte bei Johann Reinhold Forster, Frankfurt a. M./New York 2015 ; Jim Endersby : Imperial Nature. Joseph Hooker and the Practices of Victorian Science, Chicago 2008 ; Pamela Smith/Benjamin Schmidt (Hg.) : Making Knowledge in Early Modern Europe. Practices, Objects, Texts, Chicago 2007. 19 Zur Korrelation von Sammeln und Wissen s. Anke te Heesen/Emma C. Spary (Hg.) : Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001 ; Andreas Grote (Hg.) : Macrocosmos in microcosmo : die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns, 1450–1800, Opladen 1994 ; Staffan Müller-Wille : Carl von Linnés Herbarschrank. Zur epistemischen Funktion eines Sammlungsmöbels, in : te Heesen/Spary, Sammeln, 22–38 ; zu botanischen Gärten und Pflanzentransfer s. unten.
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von Haller (1708–1777) und Nikolaus von Jacquin (1727–1817) als auch eine Vielzahl weniger prominenter Gelehrter – für ihre Arbeit substantiell auf Beiträge anderer angewiesen waren. Ohne alle Verästelungen dieser Zusammenarbeit nachzeichnen zu können, wird doch deutlich, daß die meisten Botaniker des 18. Jahrhunderts einander regelmäßig Information zukommen ließen, die dann, mit Hinweis auf den Geber, in ihre jeweiligen Publikationen eingearbeitet wurde. Dieses Eingeschrieben-Werden bzw. Sich-Einschreiben in die Publikationen anderer verknüpfte Botaniker des 18. Jahrhunderts zu einem funktionsfähigen und für alle Beteiligten unverzichtbaren Netzwerk wechselseitiger Interdependenz, mehr als das in früheren Epochen der Fall gewesen war. Botanik wurde nicht allein betrieben und geschrieben, sondern im Rahmen dieses kollaborativen Publikationssystems. Wer die Zugehörigkeit verschmähte oder verspielte, riskierte als Solitär zu scheitern. Korrespondenz und Information Die Korrespondenz war das Kommunikationsmedium, auf dem das Funktionieren dieses Publikationssystems beruhte. Bekannt ist seit langem, daß sich der briefliche Austausch unter Gelehrten der Frühen Neuzeit seit der Renaissance zunehmend intensivierte. Hans Bots betonte, daß das Gelehrsamkeitskonzept des Humanismus die Mitglieder der res publica literaria zur Korrespondenz verpflichtete, da es erforderte, Wissen nicht nur zu erstreben und zu erwerben, sondern auch mit anderen Gleichgesinnten brüderlich zu teilen.20 Kommunizieren erscheint so, zugespitzt formuliert, als eine Tätigkeit, die einem gelehrten Ideal zu genügen hatte, und weniger als eine Praxis, die aus den Notwendigkeiten eines spezifischen Wissensbildungsprozesses resultierte. Bots betonte zwar, daß der Aufstieg der Experimentalwissenschaften im 17. Jahrhundert und die damit einhergehende Notwendigkeit, Forschung mit Hilfe teurer Instrumente oder im Rahmen gut ausgestatteter Laboratorien durchzuführen, das abstrakte Kommunikationsgebot des Humanismus durch eine konkrete und praktische Notwendigkeit des Austauschs ersetzt habe.21 Insgesamt wurde Korrespondenz aber häufig als ein Phänomen sui generis 20 Vgl. Hans Bots : Exchange of Letters and Channels of Communication. The Epistolary Networks in the European Republic of Letters, in : Regina Dauser/Stefan Hächler u. a. (Hg.) : Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Netzwerken des 18. Jahrhunderts, Berlin 2008, 31–45, 33 ; außerdem ders./Françoise Waquet : La République des Lettres, Paris 1997. 21 Vgl. Bots, Exchange, 36f.
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betrachtet, wobei das Anwachsen des Kommunikationsvolumens22 und die zunehmende europäische Vernetzung von Gelehrten im Mittelpunkt des Interesses standen.23 Die Analyse konkreter epistemischer Funktionen des Korrespondierens blieb eher im Hintergrund. Im Zuge der Hinwendung der Wissenschaftsgeschichte zu Fragen wissenschaftlicher Praxis und der in diese Praxis involvierten Objekte verlagerte sich das Interesse an der naturhistorischen und insbesondere botanischen Korrespondenz der Frühen Neuzeit zunehmend auf den daran gekoppelten Pflanzentransfer. Strategien korrespondenzgestützter Pflanzenbeschaffung von Gelehrten und Institutionen wurden untersucht und zunächst im Rahmen des Zentrum-Peripherie-Modells dann vermehrt mit Hilfe zirkulationsorientierter, dezentralisierender Ansätze beschrieben.24 Deutlich wurde, daß bota22 Siehe dazu die wachsende Anzahl von Briefeditionen. Um nur einige der größten Projekte zu nennen : The Linnaean Correspondence, an electronic edition prepared by the Swedish Linnaeus Society, Uppsala, and published by the Centre international d’étude du XVIIIe siècle, Ferney-Voltaire, http://linnaeus.c18.net (18.7.2016) ; Neil Chambers (Hg.) : The Scientific Correspondence of Sir Joseph Banks, 6 Bde., London 2007 ; Urs Boschung/Barbara BraunBucher u. a. (Hg.) : Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz, 1724–1777, 2 Bde., Basel 2002 ; s. außerdem die Online-Edition der Briefsammlung des Arztes und Naturforschers Christoph Jacob Trew, http://ub.fau.de/historischer-bestand-digital/briefsammlungtrew.shtml (18.7.2016) ; oder auch die Korrespondenz von Sir Hans Sloane, https://drc.usask. ca/projects/sloaneletters/doku.php (18.7.2016). 23 Vgl. in Auswahl : Ulrich J. Schneider (Hg.) : Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert, Berlin/ New York 2008 ; ders. (Hg.) : Kultur und Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing, Wolffenbüttel 2005 ; Pierre-Yves Beaurepaire/Jens Häseler/Antony McKenna (Hg.) : Réseaux de correspondance à l’âge classique (XVIe–XVIIIe siècles), Saint-Etienne 2006 ; Christiane Berkvens-Stevelinck/Hans Bots/Jens Häseler (Hg.) : Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Etudes de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècles, Paris 2005 ; Jürgen Fohrmann (Hg.) : Gelehrte Kommunikation. Wissenschaft und Medium zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2005 ; Martin Gierl : Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730, in : Richard van Dülmen/Sina Rauschenbach (Hg.) : Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln 2004, 417–438 ; Hans Bots/Françoise Waquet (Hg.) : Commercium litterarium. La communication dans la République des Lettres (1600–1750), Amsterdam 1994. 24 Referenztexte der »zirkulatorischen« Wende sind u. a.: Circulation and Locality in Early Modern Science, Themenheft hg. v. Kapil Raj/Mary Terrall, British Journal for the History of Science, 43/4 (2010) ; Kapil Raj : Beyond Postcolonialism … and Postpositivism. Circulation and the Global History of Science, in : Isis 104 (2013), 337–347 ; James A. Secord : Knowledge in Transit, in : Isis 95 (2004), 654–672 ; s. auch Lissa Roberts : Le centre de toutes les choses. Constructing and Managing Centralization on the Isle de France, in : History of Science 52 (2014), 319–342 ; Cook, Matters of Exchange.
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nische Gärten und Herbarien, auf denen sowohl das botanische Projekt der Benennung, Beschreibung und Klassifikation von Pflanzen beruhte als auch die im Verlauf des 18. Jahrhunderts systematisch betriebenen Akklimatisierungsversuche ökonomisch relevanter Nutzpflanzen,25 in der Regel nur angelegt, vervollständigt und aufrecht erhalten werden konnten auf der Grundlage intensiver internationaler Tauschkorrespondenzen. Emma Spary hat diesen Nexus von Korrespondenz, Pflanzentransfer und Sammlungspolitik exemplarisch untersucht anhand der Akkumulationsstrategien, mit deren Hilfe André Thouin (1747–1824), jardinier en chef am Pariser Jardin du Roi, den Pflanzenbestand der ihm unterstehenden Institution vermehrte und den Jardin, seit 1793 Muséum national d’ histoire naturelle, im Zentrum eines komplexen Netzwerks von Zulieferern positionierte.26 Korrespondenz wird auch hier als Instrument zu betrachten sein, das der wechselseitigen Beschaffung nicht nur von Pflanzen, sondern auch von Information diente. Aber im Vordergrund steht dabei nicht so sehr die regionale, internationale und globale Vernetzung von Botanikern, Sammlern, Amateuren und go-betweens 27 an sich, als vielmehr die Frage nach der epistemologischen Bedeutung dieser im Medium der Korrespondenz realisierten Vernetzung für den Arbeits-, Wissensbildungs- und Publikationsprozeß der Botanik im 18. Jahrhundert. Argumentiert wird, daß der enorme Informationsbedarf 25 Zu diesem wachsenden Forschungsfeld s. u. a.: Pflanzentransfer in der Neuzeit, Themenheft hg. v. Werner Troßbach/Clemens Zimmermann, Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 61/2 (2013) ; Drayton, Nature’s Government ; Koerner, Linnaeus ; zum Nutzpflanzentransfer in kolonialen Konstellationen s. James E. McClellan/François Regourd : The Colonial Machine. French Science and Overseas Expansion in the Old Regime, Turnhout 2011 ; Schiebinger/Swan, Colonial Botany ; Lucile H. Brockway : Science and Colonial Expansion : The Role of the British Royal Botanic Garden, Yale 2002 (zuerst 1979) ; s. außerdem FN 7 ; zur Botanik als nützlicher Wissenschaft s. André Holenstein/Martin Stuber/Gerrendina GerberVisser (Hg.) : Nützliche Wissenschaft und Ökonomie im Ancien Régime. Akteure, Themen, Kommunikationsformen (= Cardanus. Jahrbuch für Wissenschaftsgeschichte 7, 2007). 26 Vgl. Emma C. Spary : Utopia’s Garden. French Natural History from Old Regime to Revolution, Chicago 2000 ; dies.: Botanical Networks Revisited, in : Dauser, Wissen, 47–64 (dieser Beitrag reformuliert das auf Objektbeschaffung konzentrierte Interesse an der botanischen Korrespondenz mit dem Vokabular der sogenannten Actor-Network-Theory) ; Marie-Noëlle Bourguet : La collecte du monde. Voyage et histoire naturelle, fin XVIIe siècle–début XIXe siècle, in : Claude Blanckaert/Claudine Cohen (Hg.) : Le Muséum au premier siècle de son histoire, Paris 1997, 163–196. 27 Zur Rolle von Mittelsmännern vgl. Lissa Roberts/Simon Schaffer/Kapil Raj/James Delbourgo (Hg.) : The Brokered World. Go-Betweens and Global Intelligence, 1770–1820, Sagamore Beach (MA) 2009.
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der Naturgeschichte ein korrespondenzgestütztes, kontributiv funktionierendes Informationssystem antrieb, in dessen Rahmen Botaniker andere mit relevanten Informationen versorgten, um im Gegenzug selbst zu erhalten, was sie an Information für ihre jeweiligen Publikationsprojekte benötigten. Das systematische Teilen von Information war eine Praktik, die Botanikern ermöglichte, ihre angesichts der exponentiell wachsenden Zahl bislang unbekannter Pflanzen unvermeidlichen Informationsdefizite zu kompensieren. Während die Konzepte »Informationsexplosion«,28 deren Einsetzen Brian Ogilvie auf das 16. Jahrhundert datiert, oder auch »Informationsflut« mit negativen Konnotationen behaftet sind und das unkontrollierte Wuchern einer zu domestizierenden Größe evozieren, ist hier zu betonen, daß das rasante Anwachsen naturhistorischer, insbesondere botanischer Information im Verlauf des 18. Jahrhunderts das Resultat einer langfristigen kollektiven Anstrengung darstellte ; einer Einsammlung der Welt,29 die doch immer hinter dem Informationsvolumen zurückblieb, das der akkumulierende Wissensbildungsprozeß einer globalen Naturgeschichte erforderte. Darin liegt der Grund für die zahllosen Klagen über Informationsdefizite in der Korrespondenz der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die ihrerseits das prominenteste Medium zur Bewältigung dieses Problems darstellte.30 Diskutiert wird darum ein Arsenal 28 Vgl. Brian Ogilvie : The Many Books of Nature. Renaissance Naturalists and Information Overload, in : Journal of the History of Ideas 64 (2003), 29–40 ; ders.: The Science of Describing. Natural History in Renaissance Europe, Chicago 2006 ; Daniel Rosenberg : Early Modern Information Overload, in : Journal of the History of Ideas 64 (2003), 1–9 ; vgl. auch Bruno Strasser : Data-Driven Sciences. From Wonder Cabinets to Electronic Databases, in : Studies in History and Philosophy of Biological and Biomedical Sciences 43 (2012), 85–87 ; zu naturhistorischen Expeditionen und der durch sie ausgelösten Objektflut Neil Chambers : Joseph Banks and the British Museum. The World of Collecting 1770–1830, London 2007 ; Schiebinger/Swan, Colonial Botany ; Müller-Wille, Botanik ; Bourguet, Collecte du monde ; David Philip Miller/Peter Hanns Reill (Hg.) : Visions of Empire. Voyages, Botany, and Representations of Nature, Cambridge 1996 ; zu Information als Kategorie einer medien- und administrationsgeschichtlich orientierten Historiographie s. z. B.: Markus Friedrich/Arndt Brendecke/Susanne Friedrich (Hg.) : Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände und Strategien, Münster 2008 ; Edward Higgs : The Information State in England. The Central Collection of Information on Citizens since 1500, Basingstoke 2004 ; Lucien Bély : L’information à l’époque moderne, Paris 2001 ; Robert Darnton : An Early Information Society. News and Media in Eighteenth-Century Paris, in : American Historical Review 105 (2000), 1–35. 29 Den Begriff prägte Marie-Noëlle Bourget (dies.: La collecte du monde). 30 Zu den in der naturhistorischen Korrespondenz des 18. Jahrhunderts omnipräsenten Klagen über die Nichtverfügbarkeit naturhistorischer Fachliteratur und zu Strategien, um diesem
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von Techniken des systematischen Mobilisierens und Kommunizierens von Information, die im Medium der botanischen Korrespondenz zum Einsatz kamen. Die Praxis des Teilens und Aggregierens von Information wird dann korreliert mit dem großen Systematisierungsprojekt der Naturgeschichte des 18. Jahrhunderts und dessen – iterativem – Publikationsmodus. Vertrauen Wenn der botanische Arbeitsprozeß grundsätzlich auf das Akquirieren von Beiträgen vieler angewiesen war, wie ließ sich feststellen, ob die erhaltene Information auch verläßlich war ? Wem man wie weit vertrauen kann, war und ist eine Frage von grundsätzlicher erkenntnistheoretischer Bedeutung. Für die Wissenschaftsphilosophie, die traditionell von einem autarken Erkenntnissubjekt ausgegangen war, hat das Angewiesen-Sein auf das Zeugnis anderer allerdings erst in letzter Zeit an Bedeutung gewonnen. Die Forschungspraxis der zeitgenössischen Laborwissenschaften, vor allem der Teilchenphysik mit ihren extrem umfangreichen Kollaborationen, in denen keiner der Beteiligten das durch einen Versuch generierte Datenmaterial in seiner Fülle und Komplexität mehr allein »wissen« kann, hat wesentlich dazu beigetragen, dem bislang vernachlässigten Phänomen epistemischer Interdependenz zu neuer Prominenz zu verhelfen. »In most disciplines, those who do not trust cannot know«, so John Hardwig in seinem Aufsatz »The Role of Trust in Knowledge« (1991), in dem er erörtert, mit Hilfe welcher Strategien Wissenschaftler die Vertrauenswürdigkeit derer bestimmen, auf deren Zeugnis sie angewiesen sind.31 Während sich die von Hardwig und anderen32 geführte Diskussion über die Signifikanz von Vertrauen primär auf die zeitgenössischen Experimentalwissenschaften konzentriert, hat Steven Shapin in seiner Social History of Truth in Bezug auf das 17. Jahrhundert gezeigt, wie Kriterien und Praktiken aus Problem abzuhelfen, s. Bettina Dietz : Making Natural History. Doing the Enlightenment, in : Central European History 43 (2010), 25–46, 39–41 ; s. auch unten Kapitel IV Botanik als Buchwissenschaft. 31 In : The Journal of Philosophy 88 (1991), 693–708. 32 Dazu außerdem Elizabeth Fricker : Second-Hand Knowledge, in : Philosophy and Phenomenological Research 73 (2006), 592–618 ; Peter Galison : The Collective Author, in : ders./ Mario Biagioli (Hg.) : Scientific Authorship. Credit and Intellectual Property in Science, New York/London 2003, 325–355 ; Martin Kusch : Testimony in Communitarian Epistemology, in : Studies in History and Philosophy of Science 33 (2002), 335–354 ; ders.: Knowledge by Agreement : The Programme of Communitarian Epistemology, Oxford/New York 2002.
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dem Ehrenkodex der Gentleman-Kultur in die entstehende Experimentalpraxis der Royal Society übernommen wurden, um wissenschaftliche Wahrheitsansprüche zusätzlich durch die Vertrauenswürdigkeit derjenigen beglaubigen zu können, die sie erhoben.33 Wem konnte man vertrauen ? Was konnte man glauben ? Um diese zentralen Fragen zu beantworten, die sich angesichts der neuen experimentellen Methoden und ihrer Resultate mit Dringlichkeit stellten, entwickelte sich, so Shapin, das Charaktermerkmal der Wahrheitsliebe zu einem Maßstab, an dem nicht mehr nur die Persönlichkeit des Gentleman, sondern zunehmend auch die des Experimentators gemessen wurde. Auf das Wort eines Gentleman konnte man sich verlassen. Wer log, offenbarte, daß seine finanzielle Situation ihn unter Druck setzte, was wiederum seine Zugehörigkeit zur sozialen Elite in Frage stellte. Dieser Verhaltenskodex, der dazu anhielt, die Wahrheit zu sagen und die Lüge zu verabscheuen, stützte die soziale Ordnung der Gentleman-Kultur und war deswegen dazu geeignet, in der im 17. Jahrhundert noch primär von deren Mitgliedern getragenen englischen Experimentalpraxis auch zu epistemologischen Zwecken instrumentalisiert zu werden. Hier wird zu argumentieren sein, daß Vertrauen in das Zeugnis anderer nicht nur für Experimentalwissenschaften, sondern auch für eine deskriptiv und akkumulativ operierende Disziplin wie die Botanik von zentraler Bedeutung war und daß das konstante Geben und Nehmen von Information wesentlich dazu beitrug, eine botanische Gemeinschaft zu konstituieren. Diskutiert wird, wie in verschiedenen Konstellationen, auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene Vertrauen gebildet und getestet bzw. enttäuscht und gebrochen wurde, welche Konsequenzen daraus sowohl für die betroffenen Personen als auch die botanische Gemeinschaft als ganze resultierten, und schließlich, welche Rolle Vertrauen in das Zeugnis anderer in der botanischen Praxis verschiedener Gelehrter spielte. Die Botanik und ihre Bücher Unverzichtbar für jedes Publikationsvorhaben war es nicht nur, eigene Beobachtungen anzustellen und sie dann mit von anderen erhaltenen Informationen zu ergänzen und zu korrigieren, sondern ebensosehr, die in der botanischen Literatur bereits kursierenden Beschreibungen, Abbildungen und Synonyme 33 Steven Shapin : A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England, Chicago 1994.
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von Pflanzen zu ermitteln und mit den eigenen Beobachtungen abzugleichen. Botaniker waren ebensosehr auf Bücher angewiesen wie auf Herbarien und botanische Gärten.34 Das Benutzen von Buchwissen blieb, weit über das von Pomata und Siraisi in Bezug auf die naturwissenschaftliche Praxis der Renaissance identifizierte Prinzip des learned empiricism35 hinaus, auch im 18. Jahrhundert ein essentieller Bestandteil botanischen Arbeitens. Botanik war nicht nur eine Beobachtungswissenschaft, sondern auch eine Buchwissenschaft. Dementsprechend wird zu zeigen sein, in welchem Ausmaß die Notwendigkeit, das selbst Gesehene mit den Beobachtungen anderer abzugleichen, Kooperation unter Botanikern des 18. Jahrhunderts generierte. Jeder mußte, um der für ihn relevanten Bücher habhaft zu werden, in das oben beschriebene Informationssystem eingebunden sein. Zwar konnten über den Buchhandel im eigenen Land bzw. Sprachraum und gelegentlich auch im Ausland erschienene wissenschaftliche Publikationen erworben werden, aber die alltäglichste Form der Buchbeschaffung unter Botanikern des 18. Jahrhunderts war nicht der Kauf, sondern der private, korrespondenzgestützte Tausch. Auf dieser Grundlage wird hier rekonstruiert, wie sich Buchbeschaffungsnetzwerke konkret auf den Schreibprozeß einzelner Botaniker und insgesamt auf kollaborative Autorschaft im Publikationssystem der Botanik auswirkten. Seit den Pionierarbeiten zur Buchgeschichte von Henri-Jean Martin, Roger Chartier, und Robert Darnton sind eine Vielzahl von Fallstudien erschienen, die sich sowohl mit den Protagonisten als auch dem Funktionieren des frühneuzeitlichen Buchmarkts beschäftigen.36 Netzwerke und Handelsstrategien von Verlegern und Buchhändlern in verschiedenen Ländern und geographischen Konstellationen wurden im Detail untersucht,37 und auch die interna34 Eine dritte Ressource waren Informationen, die über die Korrespondenz von anderen Botanikern eingeholt wurden, insbesondere botanische Beobachtungen an Pflanzen, Stellungnahmen zu botanischen Publikationen und Illustrationen sowie Fehlermeldungen und Korrekturen. Dazu Bettina Dietz : Contribution and Co-production : The Collaborative Culture of Linnaean Botany, in : Annals of Science 69 (2012), 551–569 ; s. auch Kapitel II Die partizipative Architektur von Linnés globalem System. 35 Dazu oben. 36 Siehe Henri-Jean Martin (Hg.) : Histoire de l’édition française, 4 Bde., Paris 1982–86, Bd. 2 : Le livre triomphant, 1660–1830 (1984) ; Roger Chartier : L’ordre des livres. Lecteurs, auteurs, bibliothèques en Europe entre XIVe et XVIIIe siècle, Aix-en-Provence 1992 ; Robert Darnton : What is the History of the Book ?, in : Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences 111 (1982), 65–83. 37 Zur Geschichte des europäischen Buchwesens in Auswahl : Reinhard Wittmann : Geschichte des deutschen Buchhandels. Ein Überblick. (2. Aufl.) München 1999 ; zu Wien Peter R.
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tionale Dimension des Buchhandels wurde hier und da thematisiert.38 Dieses Interesse an der Geschichte der Produktion, Zirkulation und Rezeption von Büchern und Zeitschriften hat auch die Wissenschaftsgeschichte erfaßt, die sich zunehmend mit dem wissenschaftlichen Buch als einem materiellen, kommerziellen und epistemischen Objekt auseinandersetzt. Seit Marina Frasca-Spadas und Nicholas Jardines Books and the Sciences in History (2010)39 und Jonathan Tophams Book History and the Sciences (2010)40 haben sich eine Reihe von Studien und Editionen sowohl mit Produktion, Vertrieb und Zirkulation wissenschaftlicher Publikationen41 beschäftigt als auch mit BuchFrank/Johannes Frimmel (Hg.) : Buchwesen in Wien, 1750–1850. Kommentiertes Verzeichnis der Buchdrucker, Buchhändler und Verleger, Wiesbaden 2008 ; zu Frankreich und zur Schweiz s. die anhand der Rechnungsbücher der Société typographique de Neuchâtel (STN) erstellte Datenbank von Simon Burrows : French Book Trade in Enlightenment Europe (FBTEE), http://fbtee.uws.edu.au/main (6.8.2016) ; zu England s. Michael Suarez/Michael Turner (Hg.) : The Cambridge History of the Book in Britain, Bd. 5 : 1695–1830, Cambridge 2009 ; zu Schottland s. Stephen Brown/Warren McDougall (Hg.) : The Edinburgh History of the Book in Scotland, Bd. 2 : Enlightenment and Expansion, 1707–1800, Edinburgh 2011 ; Richard B. Sher : The Enlightenment and the Book. Scottish Authors and their Publishers in Eighteenth-Century Britain, Ireland, and America, Chicago 2006 ; zu den Niederlanden M. van Delft/F. de Glas (Hg.) : New Perspectives in Book History. Contributions from the Low Countries, Zutphen 2006. 38 Die internationale Zirkulation von Büchern steht bislang noch im Schatten der Aufarbeitung landesspezifischer Buchmärkte. Ausnahmen sind beispielsweise Jeffrey Freedman : Books without Borders in Enlightenment Europe. French Cosmopolitanism and German Literary Markets, Philadelphia 2012 ; Robert Darnton and Michel Schlup (Hg.) : Le rayonnement d’une maison d’édition dans l’Europe des Lumières. La Société typographique de Neuchâtel, 1769–1789, Hauterive 2005 ; s. auch die kurze Sektion The International Market in The Cambridge History of the Book in Britain, Bd. 5, 513–576. 39 Erschienen in Cambridge. 40 Jonathan Topham : Introduction. Book History and the Sciences, in : British Journal for the History of Science 33 (2000), 155–58 (Einleitung zu einer Themensektion Book History and the Sciences). 41 Vgl. zum Beispiel die Online-Edition des Verlagsarchivs der halleschen Druckerei, Verlagsund Buchhandelsfirma Gebauer & Schwetschke, die u. a. die Werke des Naturforschers Johann Friedrich Gmelin verlegte, http://www.gebauer-schwetschke.halle.de/gs/home/ (8.8. 2016) ; Christine Haug (Hg.) : Geheimliteratur und Geheimbuchhandel in Europa im 18. Jahrhundert, Wiesbaden 2011 ; Miriam Nicoli (Hg.) : L’imprimé scientifique. Enjeux matériels et intellectuels, Lausanne 2014 ; dies.: Les savants et les livres. Autour d’Albrecht von Haller (1708–1777) et Samuel-Auguste Tissot (1728–1797), Genf 2013 ; Florence Catherine : La pratique et les réseaux savants d’Albrecht von Haller. Vecteurs du transfert culturel entre les espaces français et germaniques au XVIIIe siècle, Paris 2012 ; Anne Boyer : Les d’Houry. Une dynastie de libraires-imprimeurs de médecine à Paris, 1649–1790, unpubl. Dissertation Paris 2014 ; Vittoria Feola/Scott Mandelbrote : The Learned Press. Geography, Science, and
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besitz und Leserschaft.42 Auch die Entstehung und Ausdifferenzierung einer wissenschaftlichen print culture und, damit korelliert, von Formen wissenschaftlicher Autorschaft wurden in verschiedenen historischen, disziplinären, nationalen und internationalen Kontexten untersucht.43 Hier wird argumentiert, daß der Literaturbedarf der meisten Botaniker des 18. Jahrhunderts die Leistungsfähigkeit des zeitgenössischen Buchmarkts bei weitem überstieg. Präzise botanische Diagnosen erforderten das Abgleichen, Verifizieren und Korrigieren eigener Beobachtungen mit denjenigen anderer Autoren. Infolgedessen entwickelte sich der private Büchertausch von einer althergebrachten Geste gelehrter Freundschaft, Etikette und Kommunikation zu einer epistemologisch unverzichtbaren Praxis im kollaborativen Publikationssystem der Botanik.
Mathematics, in : Ian Gadd (Hg.) : The History of Oxford University Press, Bd. 1 : Beginnings to 1780, Oxford, 2013, 309–350 ; Jonathan Topham : Science, Print, and Crossing Borders. Importing French Science Books into Britain, 1789–1815, in : David N. Livingstone/Charles Withers (Hg.) : Geographies of Nineteenth Century Science, Chicago 2011, 311–44. 42 Siehe beispielsweise Christelle Rabier : Posséder les savoirs. Les catalogues de vente des bibliothèques des chirurgiens français et britanniques, 1760–1830, in : Vincent Millot/Philippe Minard/Michel Porret (Hg.) : La Grande Chevauchée. Faire de l’histoire avec Daniel Roche, Genf 2011, 403–417 ; Anne Chassagne : La bibliothèque de l’Académie royale des sciences au XVIIe siècle, Paris 2007. 43 Zu wissenschaftlichen Periodika in Auswahl : Claire Gantet/Flemming Schock (Hg.) : Zeitschriften, Journalismus und gelehrte Kommunikation im 18. Jahrhundert : Festschrift für Thomas Habel, Bremen 2014 ; Thomas Habel : Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts, Bremen 2007 ; Sabine Doering-Manteuffel/Josef Mančal/Wolfgang Wüst (Hg.) : Pressewesen der Aufklärung. Periodische Schriften im Alten Reich, Berlin 2001 ; Jonathan Topham : Anthologizing the Book of Nature. The Circulation of Knowledge and the Origins of the Scientific Journal in Late Georgian Britain, in : Bernard Lightman/Gordon McOuat/Larry Stewart (Hg.) : The Circulation of Knowledge between Britain, India and China. The Early-Modern World to the Twentieth Century, Leiden/Boston 2013, 119–52 ; J. Topham/Geoffrey Cantor/Graeme Gooday u. a.: Science in the Nineteenth-Century Periodical. Reading the Magazine of Nature, Cambridge 2004 ; Alex Csiszar : Seriality and the Search for Order. Scientific Print and its Problems during the Late Nineteenth Century, in : History of Science 48 (2010), 399–434 ; zu wissenschaftlicher Autorschaft s. Biagioli/Galison, Scientific Authorship ; Aileen Fyfe : Conscientious Workmen or Booksellers’ Hacks ? The Professional Identities of Science Writers in the Mid-Nineteenth Century, in : Isis 96 (2005), 192–223.
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Koautorschaft Abschließend wird das kooperative Prinzip botanischen Arbeitens und Publizierens an den Punkt zu verfolgen sein, wo individuelle Autorschaft durch Formen weitreichender Koautorschaft so weit unterwandert wurde, daß davon oft nur mehr ein Name übrig blieb, der einen kollektiven Schreibprozeß »benannte«. Der botanische Autor war in der Regel ein Kompositum.44 Das Interesse an Formen wissenschaftlicher Kollaboration und an der Ausbildung von Formen wissenschaftlicher Autorschaft, die diesem Modus Rechnung tragen, hat sich, so läßt sich verallgemeinernd feststellen, an der Arbeitsweise der zeitgenössischen Naturwissenschaften entzündet. Es waren die laboratory studies der späten 1970er und 1980er Jahre, die, auch wenn das Erforschen von Kollaboration nicht ihr primäres Anliegen darstellte, in diesem Bereich Pionierarbeit leisteten. Durch ethnographisch inspirierte Beschreibungen der Arbeitsabläufe moderner Laborwissenschaft, von science in the making, machten Bruno Latour, Karin Knorr-Cetina und andere deutlich, in welchem Ausmaß wissenschaftliche Resultate auf der Zusammenarbeit einer Vielzahl von sichtbaren und unsichtbaren Akteuren beruhen – Wissenschaftlern, Technikern, Programmierern und Assistenten –, ohne die Laborforschung schlichtweg nicht betrieben werden kann.45 Unter dem Schlagwort Actor-Network-Theory (ANT) wurden dann zunehmend auch nicht-menschliche Aktanten wie Geräte, Substanzen und Versuchstiere in die Analyse der Faktoren einbezogen, von deren Zusammenwirken das Gelingen bzw. Misslingen von Forschung abhängt.46 44 Mit dieser Formulierung charakterisierte der Physiker Alan Thorndike 1967 den Wandel der Experimentalpraxis im Bereich der Teilchenphysik : »Who is the experimenter whose activities we have been discussing ? Rarely, if ever, is he a single individual […] The experimenter, then, is not one person, but a composite [kursiv ; B. D.]. He might be three, more likely five or eight, possibly as many as ten, twenty, or more. […] One thing, however, he certainly is not. He is not the traditional image of a cloistered scientist working in isolation at his laboratory bench.« (zitiert nach Peter Galison : The Collective Author, in : ders./Biagioli, Scientific Authorship, 325–355, 328f.). 45 In Auswahl : Karin Knorr-Cetina : Epistemic Cultures. How the Sciences Make Knowledge, Cambridge (MA) 1999 ; Steven Shapin : The Invisible Technician, in : American Scientist 7 (1989), 554–563 ; Sharon Traweek : Beamtimes and Lifetimes. The World of High Energy Physicists, Cambridge (MA) 1988 ; Bruno Latour/Steve Woolgar : Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Beverly Hills 1979. 46 Zur Orientierung s. Bruno Latour : Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005 ; ders.: Science in Action, Cambridge (MA) 1987.
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Es sind insbesondere die Versuchsanordnungen der modernen Teilchenphysik, anhand derer sich nicht nur die eskalierende Größenordnung wissenschaftlicher Kollaboration studieren läßt, sondern auch die Auswirkungen eines quintessentiell kollektiven Forschungsprozesses auf die daraus hervorgehenden Publikationen. Ausgehend von der Frage nach dem epistemischen Subjekt in Kollaborationen von zuerst einigen Dutzend, dann mehreren Hundert und schließlich c. 5000 Wissenschaftlern, analysierte Peter Galison, wie derartige Kollektive die Resultate ihrer Forschung publizieren.47 Kollaborationen in der Teilchenphysik entwickeln Autorschaftsprotokolle, die vorschreiben, unter welchen Umständen Autorennamen in welcher Reihenfolge aufzulisten sind, und daß, so die Richtlinien des von Galison als Beispiel angeführten Stanford Linear Detector (SLD), die Leistung der Gruppe in jedem Fall Vorrang vor den Kontributionen einzelner Individuen hat.48 Um der kollaborativen Natur des Experimentierens gerecht zu werden, unterliegt auch der Schreibprozeß selbst strikten Vorschriften, insbesondere in Bezug auf diejenigen Publikationen, die Ergebnisse der gesamten Kollaboration zum Gegenstand haben. Jede Publikation dieser Art resultiert aus einem zunächst von einer kleineren Gruppe von Autoren verfaßten Entwurf, der dann der ganzen Kollaboration zur Kritik vorgelegt werden muß, bevor er nach mehreren Zyklen der Ergänzung und Revision offiziell erscheinen kann.49 Während derart spektakuläre Dimensionen von Kollaboration und, infolgedessen, kollektiver Autorschaft aus den Gegebenheiten zeitgenössischer Laborforschung resultieren, ist wissenschaftliche Kollaboration an sich doch keineswegs ein Gegenwartsphänomen. Die Frage stellt sich, inwieweit auch frühere Formen wissenschaftlicher Praxis – und nicht nur solche experimenteller Natur – kollaborativ organisiert waren und welche Auswirkungen das auf den Entstehungsprozeß wissenschaftlicher Publikationen und auf das Konzept wissenschaftlicher Autorschaft hatte. Von den wenigen existierenden Arbeiten zu diesen Fragen befassen sich die meisten mit der Frühen Neuzeit, einer Periode, in der mit der Gründung von Akademien, gelehrten Gesellschaften und Museen die Institutionalisierung der Wissenschaften voranschritt ; eine 47 S. Galison, Collective Author. 48 »There should be no exceptions to the above, such as placing the student’s name first if the paper originated as a thesis, as our first priority should be the coherence of the group and the de facto recognition that contributions to a piece of physics are made by all collaborators in different ways.« (SLD Policy on Publications and Conference Presentations vom 1. Juli 1988, zitiert nach Galison, Collective Author, 332). 49 Vgl. ebd., 332–345.
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wesentliche Entwicklung, die aber mittelfristig nichts daran änderte, daß viele Forscher nach wie vor auf ihre privaten Ressourcen angewiesen waren. Diese Situation erklärt, warum das Haus bzw. Zuhause eines Gelehrten in dieser Zeit einen zentralen Ort des Forschens und Experimentierens darstellte und weswegen die Protagonisten des häuslichen Umfeldes wie Ehefrauen, Kinder und Hausangestellte oft in diese Aktivitäten involviert waren. Astronomie und Naturgeschichte wurden infolge ihres hohen Beobachtungsbedarfs bzw. Sammelaufwands nicht selten als Familienprojekt betrieben.50 Aber auch weiterreichende Formen wissenschaftlicher Zusammenarbeit lassen sich nachweisen, beispielsweise in Bezug auf Galileo Galilei. Mittlerweile ist bekannt, daß eine Vielzahl von Personen – Mäzene, Kollegen an der Accademia dei Lincei, Studenten und Buchdrucker – beratend an der Publikation seiner Werke beteiligt waren.51 Eine Geschichte des wissenschaftlichen Autors steht noch aus, doch die durch Michel Foucaults Qu’est-ce qu’un auteur (1969)52 vorangetriebene Erforschung der literarischen Autorfunktion hat gezeigt, daß erst die Genieästhetik des späteren 18. und frühen 19. Jahrhunderts den Autor zu einem singulär kreativen Individuum stilisierte, das allein und aus sich selbst heraus genuin Neues hervorzubringen in der Lage ist.53 Bemerkenswerterweise stand dieses 50 S. dazu Alix Cooper : Homes and Households, in : The Cambridge History of Science, Bd. 3 : Early Modern Science, hg. v. Katharine Park/Lorraine Daston, Cambridge 2006, 224–237, 232f.; aus einer anderen Perspektive Gadi Algazi : Scholars in Households. Refiguring the Learned Habitus, 1480–1550, in : Science in Context 16 (2003), 9–42. 51 S. David Freedberg : The Eye of the Lynx. Galileo, his Friends, and the Beginning of Modern Natural History, Chicago 2002, Kap. 5 ; Renée J. Raphael : Printing Galileo’s Discorsi. A Collaborative Affair, in : Annals of Science 69 (2012), 483–513. Ähnlich argumentiert Domenico Bertoloni Meli in seiner Studie zu mathematischen und anatomischen Publikationen, die in den 1660er Jahren im Umfeld der Accademia del Cimento entstanden. Vgl. Domenico Bertoloni Meli : Authorship and Teamwork around the Cimento Academy. Mathematics, Anatomy, and Experimental Philosophy, in : Early Science and Medicine 6 (2001), 65–95. 52 Bulletin de la société française de philosophie 63 (1969), 73–104 ; zur Revision von Foucaults Chronologie der Entstehung des modernen Autorschaftregimes aus historischer Perspektive s. Roger Chartier : Foucault’s Chiasmus, in : Biagioli/Galison, Scientific Authorship, 15–31. 53 Die Literatur zu diesem Thema ist immens. Verwiesen sei auf Isabelle Diu/Elisabeth Parinet : Histoire des auteurs, Paris 2013 ; Martha Woodmansee/Peter Jaszi (Hg.) : The Construction of Authorship. Textual Appropriation in Law and Literature, Durham/London 1994 ; darin insbesondere : Woodmansee/Jaszi : Introduction, 1–13 ; Woodmansee : On the Author Effect. Recovering Collectivity, 15–28, 16 ; Alain Viala : Naissance de l’écrivain. Sociologie de la littérature à l’âge classique, Paris 1985 ; Paul Bénichou : Le sacre de l’écrivain, 1750–1830. Essai sur l’avènement d’un pouvoir spirituel laïque dans la France moderne, Paris 1973.
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Konzept schon zum Zeitpunkt seines Entstehens im Widerspruch zum tatsächlichen Schaffensprozeß von Schriftstellern, auch derjenigen, die an seiner Propagierung wesentlich beteiligt waren. Martha Woodmansee zeigte, wie sich der englische Dichter William Wordsworth in diesem Sinne wortgewaltig als Solitär präsentierte, obwohl sein Schaffensprozeß in beträchtlichem Ausmaß kooperativ organisiert war und seine Schwester sowie seinen Freund, den Dichter Samuel Taylor Coleridge, involvierte.54 Nicht zu übersehen sind die Ähnlichkeiten zwischen dieser literarischen Selbststilisierung und derjenigen Linnés, der bekanntlich zu Superlativen griff, als er die Bedeutung seiner eigenen Person für den Fortschritt der Botanik thematisierte. Mit den Genera plantarum habe er dem »Zeitalter die Wissenschaft geebnet«, um dann die Species plantarum in Angriff zu nehmen, »ein Werk, welches das größte in der Wissenschaft ist.«55 Während oben bereits betont wurde, daß Linnés Anspruch, alle Pflanzen weltweit zu erfassen, zu benennen und zu klassifizieren, einen kollaborativen Arbeitsmodus und, damit korelliert, einen iterativen Publikationsmodus generierte, wird zuletzt darzustellen sein, wie die Dynamik botanischer Kooperation im Umfeld Linnés56 Formen weitreichender botanischer Koautorschaft entstehen ließ. Einerseits wird diskutiert, wie Übersetzungen57 seiner im Original lateinischen Werke in diverse europäische Sprachen diese, auch noch nach seinem Tod, ergänzten und aktualisierten. Absicht und Ambition der meisten Linné-Übersetzer war es nicht nur, sein System für die botanische Praxis einer 54 S. Woodmansee, Introduction, 2. 55 Linnés eigenhändige Anzeichnungen über sich selbst, mit Anmerkungen und Zusätzen von Afzelius, aus dem Schwedischen übersetzt von Karl Lappe, Berlin 1826 (zuerst Stockholm 1823), 53. 56 Publikationsstrategien in Linnés weiterem Umfeld stehen im Mittelpunkt der Kapitel V und VI, sind aber nicht das einzige Beispiel für das Phänomen botanischer Koautorschaft im 18. Jahrhundert. 57 Um die Bedeutung von Sprache(n), und damit auch von Übersetzungen, in der Wissenschaft formiert sich derzeit ein wissenschaftsgeschichtliches Forschungsfeld. In Auswahl : Translating and Translations in the History of Science, Themenheft hg. von Bettina Dietz, Annals of Science 73/2 (2016) ; dies.: Introduction. Translating and Translations in the History of Science, ebd., 117–121 ; Michael Gordin : Scientific Babel. How Science was Done before and after Global English, Chicago 2015 ; Sven Dupré/Harold J. Cook (Hg.) : Translating Knowledge in the Early Modern Low Countries, Münster 2012 ; Translating Science, Themenheft hg. von Maeve Olohan/Myriam Salama-Carr, The Translator 17/2 (2011) ; Britt-Louise Gunnarsson (Hg.) : Languages of Science in the Eighteenth Century, Berlin/Boston 2011 ; Pascal Duris (Hg.) : Traduire la science. Hier et aujourd’hui, Pessac 2008 ; Patrice Bret/Jeanne Peiffer (Hg.) : La traduction comme dispositif de communication dans l’Europe moderne (im Erscheinen).
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breiteren Leserschaft zu erschließen, sondern ebenso sehr, es zu aktualisieren und durch das Einfügen zielgruppenspezifischer Informationsprofile aktiv fortzuschreiben. Übersetzer agierten als Koautoren in einem langfristigen, internationalen und intergenerationellen Publikationsprozeß. Andererseits wird anhand der Entstehungsgeschichte von Pehr Osbecks Bericht über seine Reise nach China (1750–1752) zu zeigen sein, daß die Publikation dieses Textes von vornherein als dezentraler Prozeß konzipiert war, der mehrere Übersetzer als Koautoren involvierte, verschiedene Publikationstypen hervorbrachte und iterative Aktualisierungszyklen erforderte. Publiziert wurde nicht nur innerhalb des Publikationssystems, sondern in Fällen, wie diesem, sozusagen durch das Publikationssystem.
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I. Regionale Botanik als kollaboratives Projekt
Wie funktionierte das Publikationssystem der Botanik im 18. Jahrhundert und wie nahm es Form an ? Als Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Fragen wird hier der Entstehungsprozeß einer zentralen botanischen Publikation des späten 17. Jahrhunderts gewählt, von John Rays Synopsis methodica stirpium Britannicarum (1690), einer englischen Flora, die zu Rays Lebzeiten in zwei Auflagen und posthum in einer dritten erschien.58 Ziel ist es nicht, den Nachweis zu erbringen, daß in dieser Publikation bestimmte Verfahren kollaborativen Arbeitens zum ersten Mal zum Tragen kamen ; der Ursprung immer weiter ausgreifender Formen botanischer Koautorschaft läßt sich kaum auf diese Weise dingfest machen. Es geht vielmehr darum, zu verdeutlichen, daß und inwieweit Strategien, die Linné für die Realisierung seines globalen Systema naturae wie kein anderer instrumentalisierte, in Ansätzen schon früher anzutreffen waren. In einem zweiten Schritt wird dann argumentiert, daß auch Linnés Zeitgenossen, darunter solche, die seine methodische Vorgehensweise kritisierten, mit diesen Strategien arbeiteten, die, wie deutlich wird, das gesamte Publikationssystem der Botanik des 18. Jahrhunderts durchzogen.
I.1 John Rays englische Flora
1690 erschien die erste Auflage von John Rays Synopsis methodica stirpium Britannicarum, einem nach der Klassifikationsmethode des Autors geordneten Gesamtverzeichnis der bislang bekannten englischen Pflanzen.59 Das Werk 58 John Ray : Synopsis methodica stirpium Britannicarum, in qua tum notae generum characteristicae traduntur, tum species singulae breviter describuntur, London 1690 ; ders.: Synopsis methodica stirpium Britannicarum, tum indigenis, tum in agris cultis, locis suis dispositis ; additis generum characteristicis, specierum descriptionibus & virium epitome ; accessit clarissimi viri D. Aug. Rivini epistola ad Joan. Raium de methodo, cum ejusdem responsoria […], London 1696 ; [Dillenius] : Joannis Raii Synopsis methodica stirpium Britannicarum, tum indigenis, tum in agris cultis locis suis dispositis ; additis generum characteristicis, specierum descriptionibus & virium epitome, London 1724. 59 Zu Rays Klassifikationsmethode s. Müller-Wille, Systems ; Scharf, Identification Keys ; Phillip R. Sloan : John Locke, John Ray, and the Problems of the Natural System, in : Journal of the History of Biology 5 (1972), 1–55 ; vgl. auch John Ray : Methodus Plantarum Nova (1682), übers. von S. A. Nimis, K. Tschanz Unroe, M. A. Vincent, mit einer Einleitung von M. Black,
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durchlief einen Ergänzungs- und Korrekturzyklus unter Rays Federführung – die zweite Auflage erschien 1696 –, bevor es dann posthum von Johann Jakob Dillenius und William Sherard fortgeschrieben und 1724 ein weiteres Mal aufgelegt wurde. Einleitend muß etwas weiter ausgeholt werden, denn dem Erscheinen der Synopsis war eine Reihe von Vorläuferprojekten vorausgegangen, deren Umfang und Anspruch Ray durch das sukzessive Publizieren ergänzter und etappenweise neu benannter Auflagen so ausweitete, daß die Synopsis nicht ein »neues« Werk, sondern vielmehr ein fortgeschrittenes Stadium in einem langfristigen Arbeitsprozeß markierte. Nukleus der Synopsis war Rays erste botanische Publikation, ein Katalog der von ihm selbst in der Umgebung von Cambridge gesammelten Pflanzen, der 1660 unter dem Titel Catalogus plantarum circa Cantabrigium nascentium erschienen war.60 Der kleine Band, ein frühes Beispiel eines lokalen Pflanzenkatalogs, enthielt ca. 620 Arten, deren lateinische Namen in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet und mit Synonymen versehen waren ; mit denjenigen Namen also, die verschiedene Botaniker in Ermangelung einer verbindlichen Nomenklatur im Lauf der Zeit derselben Pflanze gegeben hatten.61 Ray lieferte außerdem M. W. Chase und M. A. Vincent, London 2014 ; zu Leben und Werk s. Charles E. Raven : John Ray Naturalist. His Life and Works, Cambridge 1986 (zuerst 1942) ; William Derham : Select Remains of the learned John Ray […] with his life, London 1740. 60 Zu Rays Catalogus plantarum circa Cantabrigium nascentium vgl. John Ray’s Cambridge Catalogue (1660), hg. und übers. von P. H. Oswald/C. D. Preston, London 2011 ; Raven, John Ray, 72–110 ; Richard Pulteney : Historical and biographical sketches of the progress of botany in England, from its origin to the introduction of the Linnaean system, 2 Bde., London 1790, Bd. 1, 195–198. Weitere lokale Pflanzenkataloge des 17. und frühen 18. Jahrhunderts in Auswahl : Caspari Bauhini […] catalogus plantarum circa Basileam sponte nascentium, Basel 1622 (ein Katalog der um Basel wachsenden Pflanzen) ; Joseph Pitton de Tournefort : Histoire des plantes qui naissent aux environs de Paris ; avec leur usage dans la médecine, Paris 1698 ; Heinrich Bernhard Rupp (Ruppius) : Flora Jenensis sive enumeratio plantarum ; tam sponte circa Jenam, & in locis vicinis nascentium, quam in hortis obviarum, methodo conveniente in classes distributa, figurisque rariorum aeneis ornata, Frankfurt 1718 ; zum Entstehen lokaler Floren im deutschsprachigen Raum vgl. Alix Cooper : Inventing the Indigenous. Local Knowledge and Natural History in Early Modern Europe, Cambridge 2007. 61 Ray verwies auf Synonyme im Werk der folgenden vier Autoren : John Gerard : The herball or generall historie of plantes, London 1597 ; John Parkinson : Paradisi in sole paradisus terrestris ; or a garden of all sorts of pleasant flowers which our English ayre will permitt to be noursed up ; with a kitchen garden of all manner of herbes, rootes, & fruites, for meate or sause used with us, and an orchard of all sorte of fruitbearing trees and shrubbes fit for our land ; together with the right orderinge, planting & preserving of them and their uses and vertues […], London 1629 ; ders.: Theatrum botanicum ; the theater of plants ; or, an herball of a large extent, containing therein a more ample and exact history and declaration of
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Informationen zum medizinischen und ökonomischen Gebrauch der Pflanzen. Manche Pflanzen wurden hier zum ersten Mal beschrieben, andere in vollständigerer bzw. verbesserter Form. Ein Index ergänzte Pflanzennamen in englischer Sprache sowie die Fundorte seltenerer Pflanzen, so daß, wer wollte, selbst nach einem Exemplar Ausschau halten konnte. In mehreren Zyklen der Aktualisierung, Korrektur und Systematisierung sollte sich dieser lokale, alphabetische Pflanzenkatalog in ein methodisch organisiertes Gesamtverzeichnis aller englischen Pflanzen transformieren. Ray bezeichnete den Catalogus im Vorwort zwar nicht explizit als Ausgangs punkt eines auf Expansion angelegten Projekts, lieferte aber erste Hinweise auf diese Entwicklung und eine dementsprechende Arbeitsweise. Zum Beispiel äußerte er sich zur Unvermeidlichkeit von Fehlern in einer katalogisierenden botanischen Publikation und der daraus resultierenden Nowendigkeit ihrer anschließenden Berichtigung. Er sei sich dessen nur zu bewußt, daß ihm trotz größter Sorgfalt sicherlich zahlreiche Fehler unterlaufen seien und daß der Text darum an vielen Stellen korrigiert werden müsse, was der Leser einem Erstlingswerk verzeihen möge. […] Eine gnädige Rezeption werde ihm Mut machen, Größeres in Angriff zu nehmen ; mit anderen Worten, das Werk in Zukunft weiter zu ergänzen und zu korrigieren.62 Außerdem erwies Ray demjenigen Referenz, noch ist es nur ein einziger, der ihn bei seiner Arbeit am Catalogus unterstützt und ihm botanische Beobachtungen zur Verfügung gestellt hatte. Was der schwedische Botaniker Carl von Linné im Verlauf des 18. Jahrhunderts auf die Spitze treiben sollte, indem er Beiträge von einer Vielzahl der zu diesem Zeitpunkt aktiven Botaniker aquirierte, begann mit dem Rekrutieren von dem Autor nahe stehenden Personen, in der Regel von Freun-
the physicall herbs and plants that are in other authours, encreased by the accesse of many hundreds of new, rare, and strange plants from all the parts of the world, with sundry gummes, and other physicall materials, than hath beene hitherto published by any before ; and a most large demonstration of their natures and vertues, London 1640 ; Jean (auch Johann) Bauhin : Historia plantarum universalis, 3 Bde., Yverdon 1650–1651 ; Caspar Bauhin : Phytopinax seu Enumeratio plantarum ab herbariis nostro seculo descriptarum, cum earum differentiis ; cui plurimarum hactenus ab iisdem non descriptarum succinctae descriptiones & denominationes accessere ; additis aliquot hactenus non sculptarum plantarum vivis iconibus, Basel 1596 ; ders.: Pinax theatri botanici Caspari Bauhini […] sive index in Theophrasti, Dioscoridis, Plinii et botanicorum qui a seculo scripserunt opera ; plantarum circiter sex millium ab ipsis exhibitarum nomina cum earundem synonymiis & differentiis methodice secundum earum & genera & species proponens […], Basel 1623. 62 Vgl. Ray, Catalogus, Praefatio ad lectorem, unpaginiert.
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den.63 Ein Studienfreund Rays, ein gewisser Nid, hatte für den Catalogus so großzügig Material und Beobachtungen beigesteuert, daß Ray im Vorwort von ihrem gemeinsamen Werk sprach. Im Zuge der Transformation des Cambridge-Katalogs in eine gesamtenglische Flora begann die Zahl der in Rays botanische Praxis – sowohl in seine Exkursionen als auch Publikationen – involvierten Freunde und Bekannten allmählich zu wachsen. Um den Erfassungsradius des Catalogus zu vergrößern, hatte Ray seit 1658 botanische Sammelexkursionen in verschiedene Regionen Englands unternommen. 1661 begleiteten ihn sein Freund Francis Willughby (auch Willoughby)64 und »other gentlemen« auf einer sechswöchigen Tour nach Schottland, hin über die englische Ostküste, zurück durch den Nordwesten Englands.65 1662 folgte eine weitere, ausgedehnte Exkursion durch Mittelengland und Wales, ebenfalls in Begleitung Willughbys. 1663, drei Jahre nach dem Erscheinen der Erstausgabe des Cambridge-Katalogs, setzte das sukzessive Publizieren ergänzter und korrigierter Neuauflagen ein, beginnend mit einem ersten Appendix zum Catalogus, der eine Reihe von Korrekturen sowie ca. vierzig mittlerweile neu entdeckte Pflanzen enthielt.66 Bereits 1685 folgte ein zweiter Appendix mit sechzig weiteren neuen Pflanzen, der zwar auch unter Rays Namen erschien, aber, wie sich aus dem Vorwort entnehmen läßt, von einem Apotheker aus Cambridge namens Peter Dent zusammengestellt worden war.67 Der Catalogus bewährte sich in der botanischen Praxis, so daß seine Leser und Benutzer ein substantielles Interesse an seiner Aktualisierung entwickel63 Dazu im Hinblick auf den Botaniker Carolus Clusius (Charles de l’Ecluse) Florike Egmond : The World of Carolus Clusius. Natural History in the Making, 1550–1610, London 2010. Auch Familienangehörige konnten zu diesem Nukleus botanischer Mitarbeiter gehören. So bildeten beispielsweise Johannes (1707–1779) und Nicolaas Laurens Burman (1734–1793) eine botanische Arbeitsgemeinschaft von Vater und Sohn ; Antoine (1686–1758) und Bernard de Jussieu (1699–1777) arbeiteten als Brüder zusammen. Zum Haus bzw. Haushalt als Schauplatz frühneuzeitlicher Wissenschaft s. Cooper, Homes and Households ; aus einer anderen Perspektive Gadi Algazi : Scholars in Households. Refiguring the Learned Habitus, 1480– 1550, in : Science in Context 16 (2003), 9–42. 64 Zu Willughbys Exkursionen s. Mark Greengrass/Daisy Hildyard/Christopher D. Preston/Paul J. Smith : Science on the Move. Francis Willughby’s Expeditions, in : Tim Birkhead (Hg.) : Virtuoso by Nature. The Scientific Worlds of Francis Willughby, Leiden 2016, 142–226. 65 S. Pulteney, Sketches, 199 ; Greengrass, Science on the Move, 148. 66 John Ray : Appendix ad catalogum plantarum circa Cantabrigiam nascentium continens addenda & emendanda, Cambridge 1663. 67 John Ray : Appendix ad catalogum plantarum circa Cantabrigiam nascentium continens addenda & emendanda ; editio secunda, aucta plantis sexaginta, Cambridge 1665.
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ten. Es waren diejenigen, die mit Hilfe des Catalogus in Cambridge botanisierten, die auf ihren Exkursionen Pflanzen zu seiner Ergänzung fanden und, das ist das Wesentliche, zu diesem Zweck auch zur Verfügung stellten. Der akkumulierende Charakter von Rays zunächst lokalem Erfassungsprojekt eröffnete Botanikern die Möglichkeit, ihre eigenen Funde in einen bereits existierenden Katalog einzuspeisen und damit allen Interessenten zugänglich zu machen. Das war für alle Beteiligten wesentlich produktiver, als sie unpubliziert im eigenen Herbarium verschlossen zu halten oder auch in Form botanischer Miszellen unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Im Gegenzug wurde diese Form der Kontribution nicht stillschweigend in Rays Text integriert, sondern im Rahmen des Vorworts namentlich honoriert. Auf eine dreijährige Reise quer durch den europäischen Kontinent folgte 1667 Rays vierte englische Sammelexkursion, und zwar durch den Südwesten des Landes. Auf allen diesen Reisen, eine fünfte fand 1668 statt, sammelte er Pflanzen und notierte bzw. korrigierte Fundorte. Die dabei zusammengetragenen englischen Pflanzen, kombiniert mit dem Inhalt des Cambridge-Katalogs, erschienen dann unter dem Titel Catalogus plantarum Angliae (1670)68 als erste Publikation in einer langen Abfolge konstant aktualisierter Neuauflagen einer gesamtenglischen Flora. Im Vorwort verwies Ray einerseits auf seine wiederholten Exkursionen, die ihm erlaubt hätten, das relevante Material zu akkumulieren und die meisten der aufgeführten Pflanzen an ihrem natürlichen Standort mit eigenen Augen zu sehen. Andererseits enthalte der Catalogus plantarum Angliae aber auch Pflanzen, die er nicht selbst in Augenschein habe nehmen können ; sie seien entweder aus Publikationen älterer Botaniker übernommen, insbesondere aus denjenigen von Mathias de l’Obel (Lobelius) und John Gerard, oder aber ihm von »sehr vertrauenswürdigen und in diesen Dingen äußerst erfahrenen«69 Freunden überlassen worden. Später wird im Detail zu zeigen sein, wie sehr die Botanik, auch noch im 18. Jahrhundert, grundsätzlich auf Bücher und Buchwissen angewiesen war.70 Ray stützte sich nicht nur auf andere, um Pflanzen zu beschaffen, sondern auch, um botanische Beobachtungen zusammenzutragen, deren Abgleich mit seinen eigenen ihm erlaubte, Fehler zu korrigieren. Und es war, neben dem 68 John Ray : Catalogus plantarum Angliae et insularum adjacentium ; tum indigenas tum in agris passim cultas complectens ; in quo praeter synonyma necessaria, facultates quoque summatim traduntur, una cum observationibus & experimentis novis medicis et physicis, London 1670. 69 Ebd., unpag. 70 Vgl. dazu Kap. IV Botanik als Buchwissenschaft.
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konstanten Einarbeiten von Ergänzungen, ebensosehr das Beseitigen von Fehlern, das die Aktualisierungszyklen von Rays Flora antrieb. Dementsprechend schickte er der zweiten Ausgabe des Catalogus plantarum Angliae (1677) einen kurzen Hinweis darauf voran, was die Publikation an Neuem enthielt. Sechsundvierzig neue Arten seien ergänzt worden sowie Beobachtungen unterschiedlicher Provenienz ; solche, die der Verfasser bei der Lektüre anderer Botaniker für verlässlich befunden habe, und solche, die ihm von Freunden mitgeteilt worden seien. Außerdem habe er, wo immer möglich, Fehler korrigiert.71 Die nächste Etappe auf dem Weg zu einer systematisch organisierten Synopsis methodica stirpium Britannicarum sprengt zwar den geographischen Rahmen einer englischen Flora, ist aber in Hinblick auf die Entwicklung von Rays Arbeitstechnik von Interesse. Ray nahm ein Gesamtverzeichnis der zu diesem Zeitpunkt bekannten Pflanzen in Angriff, in dem alle bislang von botanischen Autoren beschriebenen Pflanzen nach seinem eigenen Klassifikationssystem organisiert und mit ausgewählten Synonymen sowie Information zu ihrer v. a. medizinischen Verwendung versehen waren. Dieses monumentale Werk erschien 1686 unter dem Titel Historia plantarum generalis72, wobei der Schwerpunkt hier nicht, wie bei Rays früheren Publikationen, auf dem Erfassen und Beschreiben neuer Pflanzen lag, sondern vielmehr auf dem Kompilieren einer aktuellen Bestandsaufnahme dessen, was bereits bekannt war. Denn einerseits waren die großen botanischen Synopsen schon seit langem überholt – Ray verwies auf die Arbeiten der Brüder Bauhin und auf John Parkinson –, andererseits waren die Beschreibungen der vielen in der Zwischenzeit neu entdeckten Pflanzen über diverse Publikationen verteilt und ließen sich darum nicht übersichtlich benutzen.73 71 Vgl. John Ray : Catalogus plantarum Angliae […], editio secunda, plantis circiter quadraginta sex & observationibus aliquammultis auctior, London 1677, Quid in hac editione de novo praestitum sit (unpag.). 72 Joannis Raii […] Historia plantarum generalis ; species hactenus editas aliasque insuper multas noviter inventas & descriptas complectens ; in qua agitur primo de plantis in genere, earumque partibus, accidentibus & differentiis ; deinde genera omnia tum summa tum subalterna ad species usque infimas, notis suis certis & characteristicis definita ; methodo naturae vestigiis insistente disponuntur ; species singulae accurate describuntur, obscura illustrantur, omissa supplentur, superflua resecantur, synonyma necessaria adjiciuntur ; vires denique & usus recepti compendio traduntur, 3 Bde., London 1686–1704. 73 Ray verwies u. a. auf : Historia naturalis Brasiliae, Leiden 1648 ; Jacobus Bontius (Jakob de Bondt) : Historiae naturalis et medicae Indiae orientalis libri VI, Amsterdam 1658 ; Francisco Hernandez : Rerum medicarum Novae Hispaniae thesaurus, seu plantarum, animalium, mine-
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Aber auch dazu mußten, sollte sich diese Kompilation in der Praxis bewähren, in immensem Umfang Beschreibungen aus der botanischen Literatur mit lebenden oder notfalls getrockneten Pflanzen verglichen bzw. Beschreibungen derselben Pflanze bei verschiedenen Autoren gegeneinander abgeglichen werden. Nur so konnte beispielsweise in uneindeutigen Fällen ermittelt werden, ob sich mehrere Autoren tatsächlich auf dieselbe Pflanze bezogen oder auch, ob eine für neu gehaltene Pflanze wirklich eine neue Art statt, wie so oft, nur eine Varietät darstellte.74 Und das konnte Ray auf keinen Fall allein leisten, obwohl die Historia plantarum generalis ein von Zeitgenossen bewundertes Monument seiner Leistungsfähigkeit und seines unermüdlichen Fleißes darstellte. Im Vorwort erwies er darum denjenigen Referenz, die ihn mit Beiträgen unterschiedlicher Art unterstützt hatten. Circa zehn Personen wurden aufgelistet, darunter einige seiner früheren Exkursionsgefährten,75 gefolgt von einer Danksagung an die vier Hauptkontributoren. An erster Stelle standen zwei Freunde Rays : Edward Hulse, Arzt in London, »unser sehr alter Freund«, der, um die Fertigstellung des Buches zu beschleunigen, medizinische Beobachtungen beigesteuert hatte, und der Arzt und Naturhistoriker Tancred Robinson. Auch Robinson hatte, so Ray, Beobachtungen geliefert und sich mit so viel Fleiß und Sorgfalt an der Ausarbeitung der Historia beteiligt, als wäre er selbst ihr Autor. An dritter Stelle folgte Hans Sloane, dessen Beitrag sowohl im Bereitstellen seltener Pflanzen und Samen aus seiner Sammlung als auch wertvoller botanischer Beobachtungen bestand, die anzustellen Ray, so das Vorwort, nicht gelungen sei. Die Liste ralium Mexicanorum historia […] a N. A. Reccho […] in ordinem digesta, A. J. Terrentio […] notis illustrata, Rom 1649 ; Paolo Silvio Boccone : Icones & descriptiones rariorum plantarum Siciliae, Melitae, Galliae & Italiae, Oxford 1674 ; Robert Morison : Hortus regius Blesensis auctus cum notulis durationis & charactismis plantarum tam additarum, quam non scriptarum […], London 1669 ; Hendrik van Reede tot Drakestein : Hortus Indicus Malabaricus continens regni Malabarici apud Indos celeberrimi omnis generis plantas rariores […], 12 Teile, Amsterdam 1678–1703. 74 Zu Linnés Definition von und Umgang mit Varietäten vgl. William Stearn : An Introduction to the Species Plantarum, and Cognate Botanical Works of Carl Linnaeus, in : Species Plantarum. A Facsimile of the First Edition (1753), London 1957, 1–176, 90–94. 75 Aufgeführt sind u. a. Peter Dent (Arzt und Apotheker in Cambridge, der die erweiterte Auflage des Catalogus plantarum circa Cantabrigium nascentium herausgegeben hatte), der mit Ray korrespondierende Zoologe Martin Lister, der Arzt und Anatom Walter Needham, Philipp Skippon (ein ehemaliger Schüler Rays in Cambridge, der ihn auf seiner botanischen Reise durch Europa begleitet hatte), der Arzt Barnham Soame und Thomas Willisell, Rays Gefährte auf seiner Exkursion durch den Norden Englands. Vgl. Ray, Historia plantarum generalis, Praefatio, unpag.
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endete mit Samuel Dale, einem Arzt, Apotheker, Nachbarn und Bekannten Rays, der geduldig die aus verschiedenen Werken exzerpierten Synonyme verglichen, Fehler korrigiert und Auslassungen ergänzt habe. Auch habe er Ray darauf aufmerksam gemacht, wenn dieser irgendwo Arten vergessen habe.76 Ray griff also nicht nur auf gelegentliche Hilfestellungen zurück, sondern konnte sich langfristig auf eine kleine Gruppe befreundeter Botaniker stützen, die unter seiner Federführung an der Fertigstellung der Historia mitarbeiteten und durch ihre Kontributionen eine Kompilation dieser Größenordnung überhaupt erst ermöglichten. Im Gegenzug honorierte Ray die Leistung seiner Mitarbeiter, indem er ihre Beiträge im gedruckten Werk kenntlich machte und ihnen somit vor der botanischen Öffentlichkeit Anerkennung zollte. Gleichzeitig war er sich nur zu deutlich darüber im klaren, daß ein vollständiges Pflanzenverzeichnis selbst mit kollektiver Anstrengung nur langfristig zu erreichen war. Er habe es nicht geschafft, so schrieb er im Vorwort zur Historia plantarum generalis, noch werde es einem anderen gelingen, da die Anzahl der weltweit existierenden Pflanzen noch nicht einmal in Ansätzen bekannt sei. Weite Teile der Welt seien botanisch noch gar nicht erforscht ; Regionen, von denen man zwar bereits eine gewisse Vorstellung habe, seien doch nach wie vor noch weitgehend unbekannt ; und selbst in gut erforschten Gegenden entginge dem sorgfältigen Auge der Botaniker immer noch so manche Pflanze. Eine allgemeine Naturgeschichte der Pflanzen stehe also, seiner Meinung nach, noch am Anfang.77 Ray thematisierte hier explizit den akkumulativen Charakter des botanischen Erfassungsprojekts, das in seinen Augen nicht anders vorangetrieben werden konnte als kollaborativ und in wiederholten Zyklen der Ergänzung und Korrektur. Er konstatierte nicht nur die Notwendigkeit der langfristigen Ergänzung von im Lauf der Zeit neu zu entdeckenden Pflanzen, sondern ebenso die Unvermeidlichkeit konstanter Korrekturen von Beschreibungen und klassifikatorischen Zuordnungen bereits bekannter Pflanzen. Für die Historia habe er zwar selbst Pflanzenbeschreibungen von denjenigen Botanikern übernommen, die er für die besten Beobachter halte – die Brüder Bauhin, Fabio Colonna (Fabius Columna) und Charles de L’Ecluse (Carolus Clusius).78 Er habe deren Beschreibungen aber nicht nur kompiliert, sondern auch korrigiert und ergänzt, wo immer es ihm notwendig erschienen sei. 76 Siehe ebd. 77 Siehe ebd. 78 Siehe ebd.
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Und obwohl er sich bemüht habe, nur tatsächliche Arten beizubehalten und von älteren Autoren irrigerweise zu Arten erklärte Varietäten zu eliminieren, habe er doch einige zweifelhafte Arten beibehalten, um nicht, so Ray, die Charybdis zu vermeiden und dabei der Scylla anheim zu fallen, d. h. im Streben nach der Beseitigung von Fehlern zu viele Arten zu eliminieren und somit botanisches Wissen zu zerstören. Während Ray Fehler korrigierte, wo er sich seiner Sache sicher war, sah er das Etablieren von Arten als einen langfristigen Prozeß, der auf das Urteil vieler angewiesen war. Indem er noch nicht eindeutig identifizierte Arten in der Historia beließ, dokumentierte er die Grenzen seines eigenen botanischen Urteilsvermögens und forderte andere Botaniker dazu auf, zur endgültigen Klärung des Problems beizutragen. Angesichts des globalen Erfassungsanspruchs, den die Botanik unter Linnés Federführung im Verlauf des 18. Jahrhunderts entwickelte, sollte diese Strategie der Kollaboration eine zunehmend prominente Rolle spielen und auch in epistemologischer Hinsicht neue Dimensionen erreichen.79 Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Historia plantarum generalis wandte sich Ray wieder der englischen Flora zu, deren Vervollständigung und Korrektur ihn bis zu seinem Tod beschäftigen sollten. Da der Catalogus plantarum Angliae (2. Ausg. 1677) inzwischen so gut wie vergriffen war, arbeitete er zunächst an einer erweiterten dritten Ausgabe, faßte dann aber den Plan, den bislang alphabetischen Catalogus in das neue Format einer methodisch organisierten Synopse aller englischen Pflanzen zu überführen. Die Zeit bis zu deren Erscheinen überbrückte er mit der Publikation des Fasciculus Stirpium Britannicarum (London 1688), einer Art Appendix mit denjenigen Pflanzen, die er seit der letzten Auflage des Catalogus gefunden bzw. beobachtet hatte. Dem Sachverhalt, daß auch dieses schmale Bändchen auf der fortgesetzten Zusammenarbeit mit einem kleinen Kreis von Freunden beruhte, trug Ray auf dem Titelblatt mit »A Joanne Raio & ab amicis« (»von John Ray und Freunden«) Rechnung. Der kollaborative Fertigungsmodus von Rays Langzeitprojekt einer britischen Flora und der daraus sowie allgemeiner aus der akkumulativen Natur eines derartigen Vorhabens resultierende, iterative80 Publikationsmodus treten mit aller Deutlichkeit in den drei konsekutiven Auflagen seiner Synopsis methodica stirpium Britannicarum (1690, 1696 und 1724) zutage. Das Vorwort 79 Dieses Phänomen wird im Verlauf der folgenden Kapitel weiter analysiert. 80 Linné sollte diese Publikationstechnik später maximal instrumentalisieren. Vgl. dazu Kapitel II Die partizipative Architektur von Linnés globalem System.
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zur ersten Ausgabe schlägt den Bogen zurück zum Catalogus Plantarum Angliae von 1660, den man bereits kurz nach seinem Erscheinen habe erweitern und korrigieren müssen. Freunde hätten ihn, Ray, bereits zu diesem Zeitpunkt ermutigt, die zweite Auflage nicht mehr alphabetisch, sondern systematisch zu organisieren ; ein Schritt, den er selbst für notwendig gehalten, aber noch nicht umzusetzen gewagt habe. Nach einem sorgfältigen Vergleich der existierenden Klassifikationsmethoden habe er sich jetzt dazu entschieden, diejenige beizubehalten, die bereits in der Historia plantarum benutzt worden sei.81 Die Synopsis hatte dem Leser aber nicht nur nach den Regeln eines Systems umarrangiertes, bekanntes Material zu bieten, sondern brachte das Verzeichnis der britischen Flora gleichzeitig auch auf den neuesten Stand der Dinge. Zweihundert in der Zwischenzeit »a nobis & ab amicis«82 (von Ray selbst und seinen Freunden) neu entdeckte Arten waren ergänzt worden ; weitere hundert, die Ray erst nach Beginn der Drucklegung der Synopsis erhalten hatte, waren in einem Appendix aufgelistet. Der zunehmenden Bedeutung von Beiträgen anderer – hier eines wachsenden, aber immer noch verhältnismäßig kleinen Kreises von Freunden und Bekannten – für die Aktualisierung seines Werks trug Ray mit einer Stellungnahme Rechnung, die auf ein Grundprinzip des kontributionsgestützten Arbeitsmodus verweist und dessen Funktionieren in einem zentralen Punkt erklärt. Der Großteil der in der Synopsis neu ergänzten Pflanzen stamme, so Ray, von seinen Freunden. Und diesen Sachverhalt gelte es zu dokumentieren, um nicht so zu wirken, als wolle er sich »aus fremden Blüten eine Krone für sein eigenes Haupt flechten«.83 Beiträge anderer wurden also akquiriert und in den eigenen Text eingearbeitet unter der Bedingung, daß diese Leistungen – sei es das Finden von Pflanzen, das Anstellen von Beobachtungen oder, wie später zu diskutieren sein wird, das Entdecken oder auch Korrigieren von Fehlern – in der Publikation namentlich kenntlich gemacht und honoriert wurden. Befreundete Botaniker überließen Ray Material und Wissen, was ihnen durch Anerkennung an prominenter Stelle vergolten wurde. Dreizehn Personen stattete Ray in alphabetischer Reihenfolge seinen Dank ab : dem Leiter des botanischen Gartens von Oxford, Jacob Bobart, der vierzig neue Arten beigesteuert habe ; dem Arzt und Apotheker Samuel Dale, seinem Nachbarn ; Matthew Dodsworth ; Samuel Doody, einem weiteren Apotheker, 81 Zu Rays klassifikatorischer Vorgehensweise s. oben FN 59. 82 Ray, Synopsis (1690), Praefatio (unpag.). 83 Ebd.
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der das Werk um zahlreiche Arten bereichert habe ; Thomas Lawson ; Edward Lloyd, dem viele seltene Arten zu verdanken seien ; seinem Freund James Petiver ; Robert Plot, einem weiteren Freund, aus dessen Abhandlungen zur Naturgeschichte von Oxfordshire und Staffordshire er manches sowohl in die Historia als auch die Synopsis übernommen habe ; Leonard Plukenet ; Hans Sloane, der für den Anhang eine Liste von fünfunddreißig Pflanzenarten zusammengestellt habe, die sowohl in England als auch in Jamaica anzutreffen seien ; William Sherard, zu diesem Zeitpunkt noch Fellow des St. John College (Oxford), den ihm, so Ray, Freunde empfohlen hätten ; und, zuletzt, Tancred Robinson, »conjunctissimus amicus«84 (»engster Freund«), der mehr als alle anderen zu diesem Werk beigetragen habe, indem er das Manuskript Korrektur gelesen und, wo nötig, Überflüssiges entfernt und Fehlendes ergänzt habe. Dieser kollaborative Arbeitsmodus unter der Federführung eines einzelnen erwies sich als unverzichtbar angesichts der konstant wachsenden Zahl neu entdeckter Pflanzen und entwickelte sich zu einem tragenden Prinzip des botanischen Wissensbildungsprozesses. Im Vorwort zur zweiten, selbstverständlich erweiterten Auflage der Synopsis (London 1696) wurde diese Dynamik dann auch explizit thematisiert. Ray beschrieb die Botanik dort als ein nach Vollständigkeit strebendes, intergenerationelles, letztlich unendliches Projekt. »Viel haben die geleistet, die vor uns kamen, aber sie haben es nicht zu Ende geführt. Viel bleibt noch zu tun, viel wird noch zu tun bleiben, und auch wer erst in tausend Jahren geboren sein wird, wird noch die Gelegenheit haben, etwas zu ergänzen.«85
Wie wenig wisse man doch noch immer über die Anwendungsmöglichkeiten selbst derjenigen Pflanzen, die bereits genau beschrieben worden seien. Und selbst nach fünf Jahren fleißiger Suche, habe er, Ray, vermutlich noch nicht ein Zehntel der im Umkreis von einer Meile um seinen Wohnort wachsenden Pflanzen entdeckt. Wie viele Arten seien dann in ganz England noch zu finden ? Und die englischen Pflanzen machten vielleicht nur ein Hundertstel der weltweit wachsenden Pflanzen aus.86 Das Vorwort endete mit der üblichen Referenz an die Kontributoren. Von den insgesamt zehn aufgeführten Per84 Ebd. 85 Ray, Synopsis methodica stirpium Britannicarum, 2. Aufl., Praefatio ad secundam hanc Synopseos editionem (unpag.). 86 S. ebd.
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sonen waren die meisten bereits an der ersten Ausgabe der Synopsis beteiligt gewesen, aber jeder einzelne erhielt auch hier eine individuelle Danksagung, die seine botanischen Fähigkeiten, Verdienste und, wieder, seinen Status als Freund des Verfassers zum Gegenstand hatte. Aus Rays Briefwechsel mit Hans Sloane geht hervor, daß sich das Mitarbeiten an der Synopsis nicht nur auf das Beisteuern von Pflanzen und Beobachtungen reduzierte. 1695, ein Jahr vor dem Erscheinen der zweiten Auflage, schrieb Ray an Sloane, daß er froh sei, wenn Freunde Fehler in seinen Texten entdeckten und ihn darauf aufmerksam machten : »I am very glad when myself or my friends discover any errors or mistakes in my writing. Thank God that he hath let me live so long as to acknowledge and amend them.«87
Um eine Publikation für die botanische Praxis brauchbar zu erhalten und um die Botanik insgesamt voranzubringen, mußten möglichst viele dieser Fehler gefunden und im Idealfall auch verbessert werden. Das Suchen, Identifizieren und Korrigieren von Fehlern war unverzichtbarer Bestandteil des botanischen Wissensbildungsprozesses, doch für die Bewältigung einer Aufgabe dieser Größenordnung erwies sich die Arbeitskraft eines einzelnen als gänzlich unzureichend. Das Streben nach kontinuierlicher Vervollständigung und Berichtigung des Wissensbestandes überforderte den einzelnen Autor, insbesondere bei Unternehmungen von der Größenordnung einer englischen Flora. Ray selbst tat, was er konnte, um seine eigenen Fehler auszumerzen, aber das Bemerkenswerte und vor allem in Hinblick auf Linnés Arbeitsstil Zukunftsweisende an der oben zitierten Passage aus seinem Brief an Sloane war der explizite Verweis auf die Tatsache, daß er dazu auch die Hilfe anderer brauchte und begrüßte. Wer von ihnen also in Rays Publikationen einen Fehler entdeckte und es dem Autor mitteilte, mußte nicht fürchten, einen befreundeten Gelehrten zu verstimmen, sondern erwies ihm einen Gefallen und der Disziplin einen Dienst. Mehrmals kam Ray in seiner Korrespondenz mit Sloane auf dieses für den Fortschritt der Botanik essentielle Prinzip zurück. In einem undatierten, aber 87 Brief von John Ray an Hans Sloane, 21. Februar 1695, in : Edwin Lankester (Hg.) : The Correspondence of John Ray, Consisting of Selections from the Philosophical Letters Published by Derham, and Original Letters of John Ray in the Collection of the British Museum, London 1848, 287–289, 288.
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vermutlich vor dem Erscheinen des Supplementbandes zur Historia plantarum (1704) geschriebenen Brief, hieß es : »[…] in the intended supplement to my history I am resolved to acknowledge and correct all the errors and mistakes that myself, friends, or strangers shall discover therein.«88
Und 1698 wiederholte er : »I hope you will, I do not say take the liberty, but do me the favour to correct whatever you find amiss in my supplement, and to add, cut off, and alter whatever you observe to be deficient, redundant, and incongruous, or erroneous.89
Ray ging es keineswegs darum, Fehler zu bagatellisieren und zu legitimieren. Er war vielmehr zu der Einsicht gelangt, in der Bereitwilligkeit, sich selbst zu korrigieren und von anderen korrigieren zu lassen, eine zwingende Voraussetzung für den langfristigen Fortschritt der Botanik zu erkennen. Nur durch korrigierte Neuauflagen bereits existierender Werke konnte man sich dem Ideal der Vollständigkeit und Richtigkeit annähern. Aber nicht jeder Botaniker war dazu bereit, sich auf eigene Fehler hinweisen zu lassen. Eitelkeit und Selbstüberschätzung standen dem nicht selten im Weg. Anhand des englischen Botanikers Leonard Plukenet, aus dessen Werk er ebenfalls Pflanzen in seinen Supplementband übernommen hatte, zeichnete Ray das Persönlichkeitsprofil eines zu Selbstkritik und Selbstkorrektur unfähigen Gelehrten. Ray hatte in Plukenets Almagestum botanicum (London 1696) zahlreiche jamaicanische Pflanzen gefunden, an deren korrekter Beschreibung er zweifelte und zu denen er Sloanes fachkundiges Urteil einholte. Plukenets Werk sei voller Fehler, schrieb er an Sloane. Viele davon habe er, Ray, bereits selbst identifiziert, aber er fürchte, zahlreiche andere nicht erkannt zu haben, v. a. in Beschreibungen und klassifikatorischen Zuordnungen von Pflanzen, die er noch nie mit eigenen Augen gesehen habe.
88 Brief von Ray an Sloane (undatiert), ebd., 468–471, 468. Das Supplementum erschien als dritter Band von Rays Historia plantarum : Joannis Raii […] Historiae plantarum […] tomus tertius : qui est supplementum duorum praecedentium : species omnes vel omissas, vel post volumina illa evulgata editas, praeter innumeras fere novas & indictas ab amicis communicatas complectens ; cum synonymis necessariis et usibus […], London 1704. 89 Brief von Ray an Sloane, 27. April 1698, in : Lankester, Correspondence, 339.
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»I fear there are many mistakes in his work. […] He is a man of punctilio, a little conceited and opinionated, and such men are incapable of advice, especially reprehension.«90
Sloanes Beitrag zu Rays Supplementum beschränkte sich nicht auf das Korrigieren von Fehlern. Von Rays Freunden und langjährigen Mitarbeitern war er derjenige, der die meisten neuen Pflanzen zur Aktualisierung der Historia plantarum beisteuerte, größtenteils Beschreibungen karibischer, insbesondere jamaicanischer Pflanzen. Bemerkenswert im Hinblick auf das Entstehen einer kollaborativen Arbeitsweise und Publikationskultur in der Botanik war daran insbesondere der Sachverhalt, daß es sich bei den Beschreibungen, die Sloane Ray zur Verfügung stellte, um Passagen aus dem weitgehend ausgearbeiteten, aber noch unpublizierten Manuskript seiner Jamaicareise handelte.91 Sloane hatte Ray die Erlaubnis erteilt, Pflanzen daraus in seine Historia plantarum zu übernehmen.92 Im Dienst der Aktualisierung eines Gesamtverzeichnisses aller bekannten Pflanzen, an der jeder Botaniker ein vitales Interesse haben mußte, waren einzelne Gelehrte also dazu bereit, die Erstpublikation ihrer botanischen Entdeckungen und Beschreibungen einem anderen zu überlassen. Der Verzicht auf die Erstpublikation eigener Funde und Leistungen ist aber nicht als selbstloses Opfer auf dem Altar des botanischen Fortschritts zu verstehen. Wie oben mehrfach demonstriert würdigte Ray seine Kontributoren, indem er ihre Beiträge entweder durch einen Hinweis im Vorwort oder durch Hinzusetzen eines Namenskürzels im Text so kenntlich machte, daß sie ihrem Stifter klar und deutlich zuordenbar war. Diejenigen, die Botanik nicht mit dem Ziel der Publikation ihrer Beobachtungen betrieben, sondern primär als eine private oder semiprivate gelehrte Praxis, wie z. B. die Ärzte aus Rays Kreis, wurden so öffentlich geehrt für ihren Dienst an der Disziplin. Andere, die wie Sloane große eigene Publikationen vorbereiteten, erhielten die 90 Brief von Ray an Sloane, 5. August 1696, ebd., 299f. 91 Hans Sloane : A voyage to the islands Madera, Barbados, Nieves, S. Christophers and Jamaica, with the natural history of the herbs and trees, four-footed beasts, fishes, birds, insects, reptiles etc. of the last of those islands ; to which is prefixed an introduction, wherein is an account of the inhabitants, air, waters, diseases, trade, etc. of that place […], 2 Bde., London 1707–1725. 92 Vgl. den Brief von Ray an Sloane, 10. März 1696, in : Lankester, Correspondence, 293 (»I desire, therefore, that you would please […] send me your Observations and History of the Jamaica and other American plants, which you were so kind as to offer me the sight and use of. I should not have had the confidence otherwise to have begged such a favour of you […] .«).
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Möglichkeit, ihr Material der botanischen Öffentlichkeit in zwei unterschiedlichen Publikationstypen zu präsentieren – in Kurzversion in Rays enzyklopädisch angelegter Historia, ausführlicher dann in einem später erscheinenden eigenen Werk. Die zunehmend kollaborative Dimension des Arbeitsprozesses, aus dem Rays Publikationen hervorgingen, prägte den Charakter seiner botanischen Autorschaft. Das Vollständigkeitsstreben und die damit einhergehende Notwendigkeit, kontinuierlich Pflanzen aus neu erschienenen Werken zu exzerpieren und in die Historia einzuarbeiten, schuf eine Rolle, die sich, wie oben bereits angedeutet, als Schriftführer oder auch Kompilator bezeichnen läßt. Kompilieren beschränkte sich dabei keineswegs auf ein mechanisches Ab- und Zusammenschreiben von Information, sondern erforderte einen ausgezeichneten Botaniker, dessen Pflanzenkenntnis und botanische Beobachtungsgabe zu garantieren hatten, daß Hauptfehlerquellen wie das mehrfache Aufführen derselben Pflanze unter unterschiedlichen Namen, das Einführen vermeintlich neuer Arten und das Eliminieren tatsächlicher Arten so weit wie möglich vermieden wurden. In diesem anspruchsvollen Sinne agierte Ray als Kompilator, der neue Pflanzen aus den wichtigsten Publikationen der letzten Jahre kritisch prüfte und an passender Stelle in die Historia plantarum übertrug : aus den letzten sechs Bänden des monumentalen Hortus Malabaricus, aus Jakob Breynes Prodromus […] rariorum plantarum secundus,93 aus Paul Hermanns Katalogen des botanischen Gartens der Universität Leiden,94 den Werken von Joseph Pitton de Tournefort,95 Charles Plumiers Publikationen zur Flora der Antillen,96 Leonard Plukenets umfangreichen Beschreibungen vornehm-
93 Jakob Breyne : Prodromus fasciculi rariorum plantarum secundus, exhibens catalogum plantarum rariorum anno MDCLXXXIIX in hortis celeberrimis Hollandiae observatarum ; in quo plantae quam plurimae, nemini descriptae, comprehenduntur […], Danzig 1689. 94 Paul Hermann : Florae Lugduno-Batavae Flores ; sive enumeratio stirpium horti LugduniBatavi methodo naturae vestigiis insistente dispositarum […], Leiden 1690 (posthum erschienen) ; ders.: Paradisus Batavus, continens plus centum plantas affabre aere incisas et descriptionibus illustratas […], Leiden 1698 (posthum erschienen). 95 Joseph Pitton de Tournefort : Elemens de botanique ou méthode pour connoître les plantes, Paris 1694 ; ders.: Histoire des plantes qui naissent aux environs de Paris, avec leur usage dans la médicine, Paris 1698 ; ders.: Institutiones rei herbariae. Editio altera, gallica longe auctior, quingentis circiter tabulis aeneis adornata, 2 Bde., Paris 1700. 96 U. a. Charles Plumier : Descriptions des plantes de l’Amérique, avec leurs figures, Paris 1693.
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lich exotischer Pflanzen,97 aus Paolo Boccone,98 Jan Commelijn (Johannes Commelinus),99 Robert Morison,100 Francesco Cupani,101 Johann Georg Volckamer102 und August Quirin Rivinus.103 Ray starb 1705. Das Erscheinen der zweiten Ausgabe seiner Synopsis (1696), die sich als Standardwerk zur englischen Flora etabliert hatte, lag zu diesem Zeitpunkt bereits neun Jahre zurück, aber die beschriebene Wachstumsdynamik kam nicht zum Stillstand. 1724 erschien eine dritte, ergänzte Auflage, die unter Beibehaltung des Titels Joannis Raii synopsis methodica stirpium Britannicarum von Johann Jakob Dillenius, einem deutschen Botaniker, herausgegeben worden war. Im Dienst der Aktualität der Synopsis setzte Dillenius – posthum und anonym104 – die Arbeit an einem Werk fort, das ein anderer Autor verfaßt, ergänzt, erneut publiziert, aber nicht abgeschlossen hatte und 97 Leonard Plukenet : Phytographia, sive stirpium illustriorum et minus cognitarum icones, tabulis aeneis summa diligentia elaboratae, quarum unaquaeque titulis descriptoriis ex notis suis propriis & characteristicis desumptis, insignita ab aliis ejusdem sortis facile discriminatur, London 1691–1696 ; ders.: Almagestum botanicum, sive phytographiae Plukenetianae onomasticon methodo synthetica digestum, exhibens stirpium exoticarum, rariorum, novarumque nomina, quae descriptionis locum supplere possunt […], London 1696 ; ders.: Almagesti botanici mantissa plantarum novissime detectarum ultra millenarium numerum complectens […], London 1700. 98 Boccone, Icones & descriptiones ; ders.: Museo di fisica e di esperienze ; variato, e decorato di osservazioni naturali, note medicinali, e ragionamenti secondo i principii de’ moderni, Venedig 1697. 99 Jan Commelijn : Horti medici Amstelodamensis rariorum tam Orientalis quam Occidentalis Indiae, aliarumque peregrinarum plantarum, magno studio ac labore, sumptibus civitatis Amstelodamensis, longa annorum serie collectarum, descriptio et icones ad vivum aeri incisae ; auctore Joanne Commelino […] ; opus posthumum, Latinitate donatum, notisque & observationibus illustratum, a Frederico Ruyschio […] & Francisco Kiggelario, 2 Bde., Amsterdam 1697–1701. 100 Robert Morison : Plantarum historiae universalis Oxoniensis […], 2 Bde., Oxford 1680–1699. 101 Francesco Cupani : Hortus Catholicus ; seu illustrissimi, & excellentissimi principis Catholicae, ducis Misilmeris, comitis Vicaris, baronis Prizis […], Neapel 1696. 102 Johann Georg Volckamer (auch Volkamer) : Flora Noribergensis ; sive catalogus plantarum in agro Noribergensi tam sponte nascentium, quam exoticarum et in Philobotanon viridariis, ac medico praecipue horto aliquot abhinc annis enutritarum, cum denominatione locorum in genere, ubi proveniunt, ac mensium, quibus vigent florentque […], Nürnberg 1700. 103 August Quirin Rivinus : Introductio generalis in rem herbariam, 4 Bde., Leipzig 1690–1699. 104 Dillenius scheint befürchtet zu haben, daß ein nicht-englischer Herausgeber den englischen Leser irritieren könnte und entschied sich deshalb für das Anonymat. Vgl. George Claridge Druce : The Dillenian Herbaria. An Account of the Dillenian Collections in the Herbarium of the University of Oxford. Together with a Biographical Sketch of Dillenius, Selections from his Correspondence Notes etc., Oxford 1907, xx.
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auch nicht abschließen konnte. Das Katalogisieren, Systematisieren und Beschreiben der englischen Flora war eine langfristige Aufgabe, die nicht nur das Format einer einmalig erscheinenden Publikation, sondern auch die Arbeitskraft und das Leben eines einzelnen Botanikers überstieg. Wenn jemals eine vollständige englische Flora zustande kommen sollte, dann indem die Synopsis fortgeschrieben wurde. Dillenius stellte sich dieser Notwendigkeit und ist somit zu der seit dem 18. Jahrhundert wachsenden Gruppe von Botanikern zuzurechnen, die Publikationen anderer posthum fortschrieben und neu herausgaben.105 Johann Jakob Dillenius (selten auch Dillen), 1684 in Darmstadt geboren, hatte sich als Botaniker einen Namen gemacht mit einem Catalogus plantarum circa Gissam sponte nascentium (1718 und 1719), einem Verzeichnis derjenigen Pflanzen, die er im Umkreis der Stadt Giessen gesammelt hatte.106 Bemerkenswert an diesem Katalog war, neben der Präzision der Beschreibungen und der Qualität der von Dillenius selbst angefertigten Abbildungen, die verhältnismäßig große Zahl der darin enthaltenen Blütenlosen, von musci (Moosen) und fungi (Pilzen), von denen viele hier zum ersten Mal beschrieben wurden.107 105 Erweiterte posthume Editionen botanischer Werke in Auswahl : Johannes Burmans aus dem Niederländischen ins Lateinische übersetzte Ausgabe von Georg Eberhard Rumpfs D’Am boinsche Rariteitkamer (1705) : Herbarium Amboinense, plurimas complectens arbores, fructices, herbas, plantas terrestres & aquaticas […] nunc […] in Latinum sermonem vertit Joannes Burmannus […] qui varia adjecit synonyma, suasque observationes, 7 Bde., Amsterdam 1741–1755 ; Albrecht von Hallers Ausgabe von Bernhard Rupps 1718 erschienener Flora Jenensis : Alberti Haller […] Flora Jenensis Henrici Bernhardi Ruppii ex posthumis auctoris schedis et propriis observationibus aucta et emendata ; accesserunt plantarum rariorum novae icones, Jena 1745 ; Linnés Ausgabe der zum Zeitpunkt ihrer Erstpublikation bereits posthumen Flora Zeylanica, die auf in den 1670er Jahren von Paul Hermann, einem deutschen Botaniker, gesammelten Pflanzen beruhte : Caroli Linnaei […] Flora Zeylanica sistens plantas Indicas Zeylonae insulae ; quae olim 1670–1677 lectae fuere a Paulo Hermanno […] ; demum post 70 annos ab Augusto Günthero […] orbi redditae ; hoc vero opere revisae, examinatae, determinatae […], Stockholm 1747 ; auch Hermanns Paradisus Batavus (Leiden 1698) war posthum herausgegeben worden, und zwar von William Sherard. 106 Johann Jakob Dillenius : Catalogus plantarum circa Gissam sponte nascentium ; cum observationibus botanicis, synonymiis necessariis, tempore & locis, in quibus plantae reperiuntur ; praemittitur praefatio et dissertatio brevis de variis plantarum methodis, ad calcem vero adjicitur fungorum et muscorum methodica recensio hactenus desiderata, Frankfurt 1718 ; eine zweite, erweiterte und mit Illustrationen ausgestattete Ausgabe erschien 1719. Vgl. die ausführliche Biographie von Dillenius in Druce, Dillenian Herbaria, 17–27. 107 Den musci widmete Dillenius sein Opus magnum : Historia muscorum in qua circiter sexcentae species veteres et novae ad sua genera relatae describuntur et iconis genuinis illustrantur, cum appendice et indice synonymorum, Oxford 1741.
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Der englische Botaniker William Sherard (1659–1728) war auf die Giessener Flora aufmerksam geworden, begann eine Korrespondenz mit Dillenius und lud ihn schließlich zu sich nach London ein, um ihm gegen Bezahlung das Ordnen seines umfangreichen Herbariums anzuvertrauen.108 1721 nahm Dillenius das Angebot an und zog nach London. Er wohnte bei Sherard, arbeitete für ihn und in einer nahezu symbiotischen Form der Kooperation auch mit ihm, und zwar an zwei Projekten. Sherard verfolgte den Plan, die Synonyme aus Caspar Bauhins Pinax theatri botanici (1623) zu aktualisieren und so eine möglichst vollständige Übersicht derjenigen Namen zusammenzustellen, die verschiedene Botaniker im Lauf der Zeit mangels einer verbindlichen Nomenklatur derselben Pflanze gegeben hatten. Ein solches Verzeichnis, mit dessen Hilfe sich relevante Informationen zu einer Pflanze leichter und schneller hätten auffinden lassen, war in der Tat ein Desiderat, erforderte aber einen immensen, wie sich bald herausstellen sollte, nicht bewältigbaren Arbeitsaufwand. Jede Pflanze, deren Synonyme identifiziert werden sollten, mußte mit sämtlichen in Frage kommenden Beschreibungen und Abbildungen bei allen einschlägigen Autoren verglichen werden, was an sich bereits ein extrem aufwendiges Unterfangen darstellte. Eindeutige Diagnosen konnten dabei nur erreicht werden, wenn diese Vergleiche nicht nur anhand eines getrockneten, sondern auch eines lebenden, idealerweise eines blühenden Exemplars der zur Diskussion stehenden Pflanze durchgeführt wurden, da wesentliche Details an getrockneten und gepreßten Herbarpräparaten oft nicht mehr eindeutig erkennbar waren. Da kein Botaniker über eine derartig umfassende Materialsammlung verfügte, mußten mit Hilfe der Korrespondenz Samen und getrocknete Pflanzen beschafft und, falls das nicht möglich war, Beobachtungen anderer Botaniker eingeholt werden. In engster botanischer Kooperation widmeten sich Sherard und Dillenius diesem Mammutprojekt. Seinem Freund Richard Richardson schrieb Sherard im Mai 1722 : »Dr. Dillenius will witness we have worked ten hours a day this two months past ; and without continuing at that rate, we shall never finish.«109 Ende 1727 konstatierte Dillenius : »We have entered almost all au108 Sherard hatte sich von 1704 bis 1716 als Konsul in Smyrna aufgehalten und dort eine umfangreiche Naturaliensammlung zusammengetragen. Zu Sherard vgl. George Pasti, Jr.: Consul Sherard. Amateur Botanist and Patron of Learning, 1659–1728 ; Dissertation, University of Illinois 1950. 109 Brief von William Sherard an Richard Richardson, 12. Mai 1722, in : Extracts from the Literary and Scientific Correspondence of Richard Richardson, M.D., F.R.S., hg. von Dawson Turner, Yarmouth 1835, 179–183, 180.
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thors ; but to put it in order, and to write it fair, will require some years still.«110 1728 starb Sherard. Dillenius setzte die Arbeit mit unermüdlichem Eifer alleine fort, wie seine Einträge im erhaltenen Manuskript der Pinax dokumentieren.111 Aber auch er konnte das Werk nicht fertigstellen, so daß er, als seine Kräfte schwanden, einen Nachfolger suchte. Es war der Schweizer Albrecht von Haller, den er als den einzigen dieser Aufgabe gewachsenen Botaniker seiner Zeit erachtete. Ihm wollte er nach seinem Tod, in einem weiteren posthumen Ergänzungszyklus, die Vollendung des seit Jahrzehnten von verschiedenen Gelehrten aktualisierten Œuvres anvertrauen.112 Dillenius starb 1747, die Pinax blieb unvollendet. Parallel zu seiner Arbeit an Bauhins Pinax nahm Dillenius, ebenfalls gemeinsam mit Sherard, die Neuauflage von John Rays Synopsis in Angriff, deren letzte Auflage von 1696 zu diesem Zeitpunkt kaum mehr erhältlich war. Das posthume Fortschreiben eines bereits existierenden und funktionierenden Werks im Dienst der Botanik bedurfte in Dillenius’ Augen offenbar keiner weiteren Erklärung. In seinem Vorwort zur dritten Ausgabe der Synopsis (1724) nahm er dazu mit keinem Wort Stellung, sondern machte schlicht dort weiter, wo Ray aufgehört hatte, indem er sich der Auflistung und Erläuterung der neu vorgenommenen Ergänzungen und Korrekturen zuwandte. Alle diejenigen Pflanzen wurden eingearbeitet, die Ray nur noch in einem Anhang zur zweiten Ausgabe unterbringen konnte, da er sie erst nach der Drucklegung erhalten hatte. Verwiesen wird auf Material von Samuel Dale, James Petiver und Samuel Doody.113 Den größten Teil der von Dillenius vorgenommenen Änderungen machten allerdings nicht Ergänzungen, sondern Korrekturen der zweiten Auflage aus. Zwei grundsätzliche Fehlertypen, die den Gebrauchswert nicht nur von Rays Synopsis, sondern auch jeder anderen botanischen Publikation unweigerlich beeinträchtigten, hatte Dillenius zu berichtigen versucht. 110 Zitiert nach Druce, Dillenian Herbaria, XXII (aus welchem Brief dieses Zitat stammt, ist dort nicht angegeben). 111 Zwei Manuskripte der zuerst von William Sherard allein, dann von Sherard mit Dillenius’ Hilfe, und zuletzt von Dillenius allein erweiterten Bauhinschen Pinax befinden sich in der Sherard Collection, Department of Plant Sciences, University of Oxford : MS Sherard 176– 177 (durchschossenes Exemplar von Caspar Bauhins Pinax mit handschriftlichen Einträgen Sherards) und MS 44–173, The Sherardian Pinax (16 Kartons mit losen Blättern, darauf auch Einträge in Dillenius’ Handschrift). 112 Vgl. Druce, Dillenian Herbaria, XXVI. 113 Joannis Raii synopsis methodica stirpium Britannicarum ; tum indigenis, tum in agris cultis locis suis dispositis […] ; editio tertia ; multis locis emendata & quadringentis quinquaginta circiter speciebus noviter detectis aucta ; cum iconibus, London 1724, Praefatio (unpag).
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Einerseits bemühte er sich darum, klassifikatorische Irrtümer zu beheben und falsch platzierte Pflanzen an der richtigen Stelle einzusetzen bzw. Mehrfachnennungen derselben Pflanze unter verschiedenen Namen zu identifizieren und zu eliminieren. Andererseits nahm er auch hier die aufwendige und schwierige Korrektur der Synonyme in Angriff und prüfte, ob sich Rays Verweise auf Autoren, die seiner Meinung nach dieselbe Pflanze wie er unter einem anderen Namen behandelten, tatsächlich auf dieselbe Pflanze bezogen. Alle relevanten Passagen bzw. Illustrationen mußten miteinander und mit einem bestenfalls lebenden Exemplar der betreffenden Pflanze verglichen werden, um zu einem verlässlichen Ergebnis zu gelangen. Besondere Vorsicht war geboten, da das Fehlen einer verbindlichen botanischen Nomenklatur bereits ausreichend Verwirrung stiftete, die sich durch ungerechtfertigte und fehlerhafte Korrekturversuche nur noch weiter gesteigert hätte. Im Eintrag zu Veronica spicata Cambro-Britannica, Bugulae subhirsuto folio, einer Art der Gattung Veronica, vermerkte Dillenius beispielsweise : »Es handelt sich hierbei um eine neue Art der Gattung und sie unterscheidet sich von der Veronica spicata latifolia C.B. [Caspar Bauhins ; B. D.], als die sie in den beiden ersten Ausgaben der Synopse geführt wurde […].«114
Oder : Ray hatte zu einem Seetang, Fucus seu Alga exigua dichotomos, foliorum segmentis longiusculis, crassis & subrotundis, vier Synonyme aufgelistet. Es könne sich dabei um dieselbe Pflanze handeln, die Mathias de l’Obel (Lobelius) Fucus ferulaceus genannt habe ;115 außerdem verwies er auf John Gerard, John Parkinson und Caspar Bauhin. Dillenius glich alle vier Referenzen sowohl miteinander ab als auch mit verschiedenen Pflanzen, auf die sie eventuell auch zutreffen konnten, und kam nach minutiöser Vergleichsarbeit zu dem Ergebnis, daß Ray mit dem Verweis auf Lobelius ein Fehler unterlaufen sein mußte. Lobelius’ Fucus ferulaceus, so Dillenius in der dritten Auflage der Synopsis, entspreche einer anderen Wasserpflanze namens Potamogeton maritimum alterum, seminibus singulis longis pediculis insidentibus.116 114 Synopsis, 3. Aufl., 278f. 115 Unklar bleibt, welches der Werke von Matthias Lobelius (Mathias de l’Obel) gemeint war. 116 Vgl. Synopsis, 3. Aufl., Praefatio (unpag.), wo Dillenius diesen Fall als Beispiel für seine Korrekturarbeit an Rays Synonymen anführt. Vgl. außerdem die relevante Passage in der zweiten Ausgabe von Rays Synopsis, 4, Nr. 9.
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Und abschließend : Die Überprüfung der Synonyme zu einer Art der Gattung Leucojum hatte Dillenius, wie ein Vergleich der entsprechenden Einträge in der zweiten und dritten Ausgabe der Synopsis zeigt, dazu veranlaßt, mehrere zu entfernen und eines hinzuzufügen.117 Während Ray zu Leucojum marinum sechs Synonyme anführte – L. marinum maximum und L. marinum majus bei John Parkinson, L. maritimum Camerarii und L. maritimum magnum latifolium bei Jean Bauhin, L. maritimum sinuato folio bei Caspar Bauhin sowie L. marinum purpureum bei Lobelius – präsentiert sich der von Dillenius überarbeitete Eintrag in der dritten Ausgabe folgendermaßen. Von den je zwei Verweisen Rays auf Parkinson und Jean Bauhin behielt Dillenius nur je einen bei, auf Parkinsons L. marinum majus und Jean Bauhins L. maritimum magnum latifolium, der Verweis auf Caspar Bauhins L. maritimum sinuato folio wurde bestätigt, der auf Lobelius eliminiert, und mit dem L. marinum majus bei Clusius (Charles de l’Ecluse) ein zusätzliches, von Ray nicht genanntes Synonym ergänzt. Dillenius nahm sich auch diejenigen Synonyme vor, die Ray nur unter dem Vorbehalt der Vermutung angeführt hatte. So vermerkte Ray beispielsweise zu Rosa sylvestris altera minor flore albo nostras in Form von Fragen, ob es sich dabei eventuell um die Rosa sylvestris folio glabro, flore plane albo Jean Bauhins handele, oder um eine bestimmte Rosa sylvestris bei Caspar Bauhin, oder aber eine Rosa canina bei Robert Plot.118 Dillenius ging diesen an die Leser der Synopsis gerichteten Fragen nach, beantwortete einige von ihnen affirmativ – den in der zweiten Ausgabe noch mit einem Fragezeichen versehenen Verweis Rays auf die obengenannte Rosa sylvestris bei Jean Bauhin bestätigte er beispielsweise als korrekt, ebenso den Verweis auf Caspar Bauhin – und ließ diejenigen Fragen offen, die er nicht mit Sicherheit klären konnte. Während Ray zur Rosa sylvestris altera minor nur Vermutungen äußern und Fragen stellen konnte, enthielt Dillenius’ Eintrag zur selben Pflanze in der dritten Auflage der Synopsis drei verifizierte Synonyme und nur mehr eine einzige Frage : »Ob es sich um die Rosa canina humilior fructu rotundiore bei Plot handelt ?«119 Dillenius hatte darauf keine eindeutige Antwort finden können und reichte die Frage an seine Leser weiter. Und schließlich gelang es Dillenius, hier und da nachzuweisen, daß Pflanzen, die Ray als neu deklariert hatte, bereits von anderen Botanikern be117 Vgl. im folgenden Ray, Synopsis, 2. Aufl. (1696), 164 ; Synopsis, 3. Aufl., 291. 118 Vgl. Ray, Synopsis, 2. Aufl., 297. 119 Vgl. Ray, Synopsis, 3. Aufl., 455.
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schrieben worden waren, ohne daß Ray sich dessen bewußt gewesen wäre. In diesen Fällen fügte er Synonyme ein, wo Ray keine angegeben hatte. So zum Beispiel bei einer Art der Gattung Mentha, der Mentha angustifolia spicata glabra, folio rugosiore, odore graviore, zu der Ray nur den genauen Fundort in Essex und den Finder, Samuel Dale, vermerkt hatte und die er dann als eine vermeintlich neue Pflanze im Detail beschrieb.120 In der dritten Auflage der Synopsis transformierte Dillenius diese bei Ray etwa zehn Zeilen lange Passage in einen komplexen Eintrag, der mit dem Hinweis auf Leonard Plukenet und Jean Bauhin begann, die diese Minze unter anderen Namen bereits beschrieben hatten.121 Im Anschluß an die von Ray übernommene Beschreibung verwies Dillenius dann auf zwei weitere, von ihm neu eingeführte Arten, die der erstgenannten zwar ähnlich, aber doch deutlich von ihr zu unterscheiden seien. Dabei war die erste der beiden, die Mentha spicata angustifolia, glabra, spica latiore, nur mit einem Hinweis auf Finder und Fundort versehen ; zur zweiten, der Mentha spicata glabra, latiore folio, merkte Dillenius die Frage an, ob es sich dabei nicht um eine Pflanze handeln könne, die in Plots The Natural History of Oxfordshire (1677) beschrieben sei ?122 Die aus diesem Prozeß resultierenden Wachstumsringe des Wissens waren für den Leser der Synopsis auf einen Blick kenntlich, da Dillenius alle von ihm gemachten Ergänzungen als solche markiert hatte. Neue Beschreibungen und neu hinzugefügte Fundorte waren in Klammern gesetzt ; neue Pflanzen, die in den ersten beiden Ausgaben noch nicht enthalten waren, wurden mit einem Sternchen markiert. Die Dynamik des Fortschreibens, Korrigierens und Ergänzens war auch mit der von Dillenius besorgten dritten Auflage noch nicht an ihren Endpunkt gelangt. Fortschritt erfolgte schrittweise, und manche Korrektur warf, wie anhand des letzten Beispiels deutlich wurde, weitere Fragen auf. Sei es explizit, in Form einer an den Leser gerichteten Aufforderung, ein Problem zu überdenken ; oder unfreiwillig, in Gestalt von Fehlern, die Dillenius beim Korrigieren Rays trotz äußerster Sorgfalt unterliefen, und die dann von anderen entdeckt und berichtigt werden mußten. Gleichzeitig schritt das Akkumulieren bislang unbekannter englischer Pflanzen voran, so daß Dillenius schon kurze Zeit später eine weitere Edition plante. Die Korrespondenz mit seinen Freunden Samuel Brewer, Littleton Brown und Richard Richardson, 120 Vgl. Ray, Synopsis, 2. Aufl., 123. 121 Vgl. Ray, Synopsis, 3. Aufl., 233f. 122 Vgl. ebd., 234.
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die gleichzeitig seine engsten botanischen Mitarbeiter waren, zeigt, daß bereits 1727 ein weiterer Ergänzungszyklus angelaufen war. Dillenius versicherte Brewer, der sich für mehrere Sommer in Bangor im Nordwesten von Wales aufgehalten hatte, um die Flora des Snowdon zu erkunden, daß alle seine Funde in der geplanten Publikation unter seinem, Brewers, Namen aufgeführt würden.123 Neben neuen Pflanzen waren dabei auch solche von Interesse, die in der dritten Ausgabe der Synopsis bereits enthalten waren und an deren Beschreibung Dillenius Verbesserungen vornehmen wollte. So schrieb er Brewer beispielsweise, er solle nach der Woodsia Ausschau halten. Als dieser meldete, das Gesuchte gefunden zu haben, bat ihn Dillenius um einige gut erhaltene Exemplare, um die Pflanze in der nächsten Ausgabe besser beschreiben und abbilden zu können.124 Außerdem sollten zu jeder Pflanze Fundort und Blütezeit ergänzt werden, wozu Dillenius ebenfalls auf seine Freunde angewiesen war. Brewer solle bitte, so Dillenius in einem Brief vom Dezember 1727, den Blütemonat zu jeder seiner walisischen Pflanzen notieren und auf korrekte Fundortangaben achten. Auch möge er bitte Richard Richardson, ihren gemeinsamen Freund, über dieses Procedere informieren. Richardson habe versprochen, Dillenius’ dritte Ausgabe der Synopsis auf Fehler durchzugehen und könne dabei gleich Blütemonat und Fundort zu den von ihm selbst beigesteuerten Pflanzen ergänzen.125 Richardson erledigte diesen Auftrag bereitwillig und ergänzte bzw. korrigierte nach bestem Wissen und Gewissen. Zu Thlaspi perfoliatum minus vermerkte er beispielsweise : »I thinke myself obliged to correct a mistake relating to this plant, but by whom committed I knowe not ; this plant in R.S.M. 3d [Rays Synopsis, 3. Aufl.] is said to growe in the pastures above the ebbing and flowing well nigh Gigleswicke ; Thlaspi globulariae folio J.B. [Jean Bauhin] is a very common plant there ; perhaps the similitude betwixt the two plants has been the occasion of this mistake. I have been in those pastures twenty times but never observed any other but the globulariae folio.«126
123 Vgl. Druce, Dillenian Herbaria, lx. Dieser Brief von Dillenius an Samuel Brewer ist nicht datiert, scheint aber zwischen dem 18. Februar 1727 und dem 31. Mai 1727 geschrieben worden zu sein (s. ebd.). 124 Brief von Dillenius an Samuel Brewer, 3. September 1727, vgl. ebd., lxiii. 125 S. Brief von Dillenius an Samuel Brewer, 28. Dezember 1727, ebd., lxv. 126 Brief von Richard Richardson an Dillenius, 26. Dezember 1727, ebd., lxxxiv–xc, lxxxix.
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Oder : Dillenius schickte Richardson, der in Lancashire im Nordwesten Englands lebte, eine Liste von c. 50 Pflanzen aus dieser und umliegenden Regionen mit der Bitte, Blütezeiten einzutragen. Richardson kam diesem Wunsch nach und antwortete mit der Präzision eines lokalen Experten. »Westmorland, Cumberland und Northumberland Alchimilla 2. p. 158 June and July. Hieracium 9. p. 169 All summer long. Cannabis 8. p. 240 June and July […] Lentibularia 2. p. 286 I never found.«127
Eine zweite posthume Ausgabe der Synopsis kam nicht zustande. Auch Dillenius’ Plan, stattdessen einen Appendix mit den mittlerweile zusammengetragenen Neuentdeckungen herauszubringen, blieb unrealisiert. Die akkumulative und iterative Dynamik, die das Anwachsen und wiederholte Erscheinen von Rays englischer Flora angetrieben hatten, erreichte hier nach mehreren Jahrzehnten ihren Endpunkt. Während das Aktualisieren der Synonymik von Bauhins Pinax ein Projekt von einer Größenordnung darstellte, die mit den Ressourcen einer auf einen kleinen Kreis von Freunden begrenzten Kollaboration nicht zu bewältigen war und scheiterte, erlaubte derselbe Modus in einem nicht nur kollaborativen, sondern auch intergenerationellen Prozeß eine englische Flora zu kompilieren und zu korrigieren, die englischen Botanikern über einen längeren Zeitraum als aktuelles und von Fehlern bereinigtes (wenn auch nicht fehlerfreies) Standardwerk dienen konnte.
I.2 Albrecht von Hallers Flora der Schweiz
»Die Verdienste dieses herausragenden Mannes um die Geschichte der einheimischen Pflanzen sind bislang von keinem übertroffen worden.«128 Mit diesem Superlativ bedachte Kurt Sprengel in seiner 1807 erschienenen Geschichte der Botanik Albrecht von Haller, dessen Status als einer der bedeutendsten Botaniker der Zeit sich auf seine Publikationen zur Flora der Schweiz gründete.129 127 Brief von Richardson an Dillenius, 8. Februar 1728, ebd., xc–xciii, xci. 128 Kurt Sprengel : Historia rei herbariae, 2 Bde., Amsterdam 1807, hier Bd. 2, 288. 129 Neuere Studien zu Haller in Auswahl : Zu Korrespondenz und Netzwerk s. Florence Ca-
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Während Ray die Erfassung der englischen Flora in mehreren Akkumulationsund Publikationszyklen vorangetrieben hatte, verfolgte Haller einen anderen Ansatz. Auch er war auf Beiträge anderer angewiesen – ein Sachverhalt, den er oft und ausführlich thematisierte –, aber anders als Ray und später dann Linné versuchte er, die Publikation seines Werks so lange aufzuschieben, bis es ein in seinen Augen zufriedenstellendes Maß an Vollständigkeit erreicht hatte. Die Publikationsgeschichte seiner Schweizer Flora verlief dementsprechend nach einem anderen Muster. Sie erschien in nur zwei Versionen, zum ersten Mal 1742 unter dem Titel Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum130 und 1768, sechsundzwanzig Jahre später, ein zweites Mal als Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata.131 In den sechsundzwanzig Jahren, die zwischen diesen beiden Erscheinungsdaten verstrichen, brachte Haller zwei relativ kurze Interimspublikationen heraus, die der botanischen Öffentlichkeit signalisierten, daß er noch immer an seinem Opus magnum arbeitete, und die den Fortschritt dieser Arbeit kursorisch dokumentierten : 1759 erschienen die Ad enumerationem stirpium Helveticarum emendationes et auctaria,132 1760 folgte eine Enumeratio stirpium quae in Helvetia rariores proveniunt.133 Welchen Arbeits- und Publikationsmodus entwickelte Haller ? therine : La pratique et les réseaux savants d’Albrecht von Haller (1708–1777). Vecteurs du transfert culturel entre les espaces français et germaniques au XVIIIe siècle, Paris 2012 ; Martin Stuber/Stefan Hächler/Luc Lienhard (Hg.) : Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung, Basel 2005 ; Urs Boschung/Barbara Braun-Bucher/ Stefan Hächler/Anne Kathrin Ott/Hubert Steinke/Martin Stuber (Hg.) : Repertorium zu Albrecht von Hallers Korrespondenz, 1724–1777, 2 Bde., Basel 2002 ; zu Hallers medizinischer Forschung und Exerimentalpraxis s. Hubert Steinke : Irritating Experiments. Haller’s Concept and the European Controversy on Irritability and Sensibility, 1750–1790, Amsterdam u. a. 2005 ; zur Kontextualisierung Hallers s. Hubert Steinke/Urs Boschung/Wolfgang Proß (Hg.) : Albrecht von Haller. Leben, Werk, Epoche, Göttingen 2009 ; Norbert Elsner/ Nicolaas A. Rupke (Hg.) : Albrecht von Haller im Göttingen der Aufklärung, Göttingen 2009 ; zum Arbeitsprozeß Hallers s. Nicoli, Les savants et les livres ; zur Alpenflora s. Luc Lienhard : Die Erforschung der Alpenflora, in : André Holenstein u. a. (Hg.) : Berns goldene Zeit. Das 18. Jahrhundert neu entdeckt, Bern 2008, 287f.; vgl. außerdem die ausführliche Bibliographie der Albrecht von Haller-Stiftung, http://www.albrecht-von-haller.ch/d/for schungsliteratur.php (3.6. 2016). 130 Albrecht von Haller : Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum ; qua omnium brevis descriptio et synonymia compendium virium medicarum dubiarum declaratio novarum et rariorum uberior historia et icones continentur, 2 Bde. Göttingen 1742. 131 3 Bde., Bern 1768. 132 Bern, Teil 1–3. 133 Lausanne 1760.
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Inwieweit ging er dabei kollaborativ vor ? Und was konnte er so, im Vergleich zu Ray und später dann Linné, auf diese Weise erreichen (und was nicht) ? Im Vorwort zur Historia stirpium von 1768 und auch schon in den gut zehn Jahre früher erschienenen Emendationes et auctaria betonte Haller, daß die Schweiz zwar hinsichtlich ihrer Fläche ein kleines Land sei, daß aber die Anzahl der einheimischen Pflanzen infolge der verschiedenen, auf kleinem Raum koexistierenden Klimate und der in ihrer Vegetation unterschiedlichen Gebirgszüge außerordentlich hoch sei ; höher als in merklich größeren Ländern wie Frankreich oder England. In der Schweiz, so Haller, seien Pflanzen aus allen europäischen Klimaten anzutreffen, auch solche, die Botaniker beispielsweise in Spitzbergen, Kamchatka oder auch Spanien gefunden hätten. Es folgt eine pflanzengeographische Diskussion, die die Schweiz anhand von Kriterien wie Höhenlage, Klima, Bodenbeschaffenheit und Luft in eine Reihe von Vegetationszonen unterteilt und den dort jeweils anzutreffenden Pflanzen die ihnen entsprechenden Funde aus anderen Ländern zuordnet.134 Die Vielzahl an Pflanzen, die für eine Schweizer Flora gesammelt, beschrieben, benannt, getrocknet und gepreßt werden mußten, stellte Haller vor erhebliche Schwierigkeiten. Er beschrieb den langwierigen Prozeß seiner Materialbeschaffung erst in der Enumeratio methodica, dann in den Emendationes et auctaria und am ausführlichsten in der Historia stirpium. Einen beträchtlichen Teil des Vorworts zu allen drei Publikationen macht dementsprechend das Auflisten von Exkursionen aus, sowohl seiner eigenen als auch derjenigen, die andere für ihn oder in seinem Auftrag ausgeführt hatten. Einerseits ließ sich so dokumentieren, daß das Projekt einer Schweizer Flora auf Anschauung gegründet war, denn aufgenommen wurden primär Pflanzen, die Haller mit eigenen Augen gesehen hatte. Gleichzeitig erlaubte das aus der Auflistung des Gesehenen und Gesammelten resultierende botanische Kapital, aus einer Position der relativen Stärke heraus von Anfang an darauf hinzuweisen, daß weder die Enumeratio noch die Historia stirpium Anspruch auf Vollständigkeit erheben konnten. Haller war sich darüber im klaren und machte daraus auch vor seinen Lesern kein Hehl, daß Vollständigkeit ein nur im Lauf der Zeit zu 134 Der erste, pflanzengeographische Teil von Albrecht von Hallers Vorwort zur Historia stirpium wurde Anfang des 19. Jahrhunderts ins Französische übersetzt : Fragment sur la géographie physique de la Suisse, pour servir d’introduction à l’histoire des plantes de notre pays, in : Le Conservateur Suisse ou Recueil complèt des étrennes Helvétiennes 4 (1814), 6–46, 33–37. Eine kürzere Version desselben Arguments findet sich bereits in den ersten Ergänzungen zur Enumeratio methodica stirpium ; vgl. Albrecht von Haller : Ad enumerationem stirpium Helveticarum emendationes et auctaria, Teil 1, Bern 1759, 3.
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realisierendes Ideal darstellte, das er selbst nicht erreichen konnte. Die Frage ist also, wie er die Spannung zwischen Vollständigkeitsanspruch und Unvollständigkeitsbewußtsein arbeitstechnisch löste. Anders als Ray, der seine englische Flora über Jahre hinweg aus dem Nukleus eines lokalen Pflanzenkatalogs von Cambridge entwickelte, strebte Haller bereits in seiner ersten Publikation, der Enumeratio methodica, danach, die gesamte Schweiz zu erfassen. Diesen Anspruch versuchte er durch das Erreichen und Aufrechterhalten maximaler Kontrolle über einen kollaborativen Arbeitsprozeß umzusetzen, was mutatis mutandis auch auf Ray und Linné zutrifft. Aber während Ray und Linné den Ertrag ihrer Akkumulationszyklen früh und oft publizierten, entschied sich Haller dazu, erst nach einer langen Vorbereitungsphase ein relativ weit gediehenes Werk auf den Markt zu bringen. Er plante und realisierte seine Flora wie ein Baumeister eine Kathedrale. Auf das damit einhergehende Risiko, letzten Endes einen unfertigen Monumentalbau zu hinterlassen, wird später einzugehen sein.135 Es war vor allem die Materialbeschaffung, die Haller immer wieder als zentrales Problem thematisierte und die er mit Hilfe eines spezifischen und in Bezug auf seine Arbeitsweise aufschlußreichen Kooperationsmodus zu bewältigen gedachte. Wie ging ein einzelner vor, um potentiell alle Pflanzen der Schweiz in seinen Besitz zu bringen ? Haller verfolgte mehrere Strategien und aktivierte, was er seine »machine botanique« 136 nannte : Er unternahm selbst eine Reihe von Sammelexkursionen, er rekrutierte Sammler, die für ihn und auf seine Kosten noch weitgehend unerforschte Regionen der Schweiz bereisten, er konsultierte Herbarien anderer Botaniker und er nutzte seine Korrespondenz, um gezielt Pflanzen zu beschaffen. In den späten 1720er Jahren hatte Haller damit begonnen, Sammelexkursionen in verschiedene Regionen der Schweiz zu unternehmen. Von 1729 bis 1741 durchstreifte er nahezu jährlich eine oder mehrere Regionen und verschiedene Gebirgsmassive. Das Vorwort der Enumeratio methodica (1742), seiner ersten, nach vierzehnjähri135 Diese Metapher stammt von Eric Raymond, der mit ihrer Hilfe zwei unterschiedliche Entwicklungsmodelle von open source software kontrastiert : The Cathedral and the Bazaar. Musings on Linux and Open Source by an Accidental Revolutionary, Sebastopol (CA) 1999 ; zu Parallelen zwischen der kollaborativen Kultur der Botanik des 18. Jahrhunderts und dem Entstehungsprozeß des Open-Source-Betriebssytems Linux s. Schluß »Linné/Linus«. 136 Dazu Luc Lienhard (mit Schwerpunkt auf der Korrespondenz) : »La machine botanique«. Zur Entstehung von Hallers Flora der Schweiz, in : Martin Stuber/Stefan Hächler (Hg.) : Hallers Netz. Ein europäischer Gelehrtenbriefwechsel zur Zeit der Aufklärung, Basel 2005, 371–410.
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ger Sammelarbeit erschienenen Publikation, protokollierte die Reiserouten im Detail : »Anno 1730 gieng er von Bern über Weissenburg ins Gebürge. A. 1731 hatte er zweymal den Gemmi, den Neuenen Berg, den Stockdorn, und das Moß von Murten besucht. An. 1732 gieng er in das Grindelwalder-Thal, und bestieg den Scheideck und Rohtenhorn. Den gleichen Sommer, nachdem er einige Zeit in Mathod gewesen, gieng er auf den Suchet, und andere über Valorbe liegende Berge. An. 1733 aber auf den Riesen […] und durchreisete das Sanenthal und Siementhal. An. 1734 kam er auf den Berg Chasseral, und um Biel herum. An. 1736 auf den Hauenstein, Wasserfall, die um Basel gelegenen Berge, und durchwanderte das Michelfelder Moß […].«137
Die auf diesen Exkursionen zusammengetragene Ausbeute war nicht allein das Resultat von Hallers eigenen Bemühungen. Oft wurde er begleitet, entweder von einem Freund, beispielsweise dem Züricher Botaniker und Physiker Johannes Gessner,138 von botanisierenden Gelehrten wie Emanuel König, Professor für Anatomie, Medizin und Botanik in Basel, oder von Schülern und Protégés wie dem Arzt und späteren Professor für Anatomie und Chirurgie in Kassel Johann Jakob Huber. Welche Konditionen der Zusammenarbeit mit den einzelnen für diese Exkursionen vereinbart wurden, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Aus Hallers Stellungnahmen und aus Briefen seiner Reisegefährten geht jedoch deutlich hervor, daß sie die Rolle botanischer Zuträger übernommen hatten und oftmals Haller ihre auch auf eigenen Exkursionen angelegten Pflanzensammlungen einschließlich der Beschreibungen einzelner Exemplare entweder zur Verfügung stellten oder ganz vermachten. Das Vorwort der Enumeratio trägt dem Rechnung und präsentiert sich in weiten Teilen als kommentierte Liste von Exkursionsbegleitern und Materialbeschaffungsgehilfen. Hallers Kontributoren lassen sich in zwei oder drei konzentrischen Kreisen um den Mittelpunkt seiner Person gruppieren. Der innerste Kern bestand aus einer kleinen Gruppe von Freunden und Bekannten, darunter Johannes 137 Zitiert nach Johann Georg Zimmermann : Das Leben des Herrn von Haller, Zürich 1755, 117f., der die im Original lateinische Praefatio von Hallers Enumeratio in deutscher Übersetzung paraphrasiert. Die Ich-Erzählung des Originals wird hier in der dritten Person wiedergegeben. 138 Urs Boschung : Johannes Gessner (1709–1790). Der Gründer der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Zürich 1996.
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Gessner, auf den das Projekt einer Schweizer Flora, laut Haller, zurückzuführen war. 1728 hatte Gessner gemeinsam mit Haller eine ausgedehnte botanische Exkursion durch die Westschweiz unternommen. Es folgten diverse Exkursionen, die Haller entweder allein oder mit anderen Begleitern durchführte. 1732, so datierte Haller den entscheidenden Schritt, habe Gessner angefangen, einheimische Moose und Gräser zu sammeln. Nachdem er 1735 aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit an dem zunächst in Kooperation mit Haller geplanten Werk aufgeben mußte, habe er ihm in freundschaftlicher und kollegialer Bereitwilligkeit die reichen Bestände seines Herbariums zur Verfügung gestellt. Exkursionsprojekte und das Bestimmen von Pflanzen waren dementsprechend Kernthemen im Briefwechsel zwischen den beiden befreundeten Botanikern.139 Vor allem Hallers Briefe an Gessner dokumentieren die langfristig planende, unermüdliche Logistik der Materialsammlung, die einen Großteil seiner Arbeit an der Enumeratio und der Historia stirpium ausmachte. In ihnen beschrieb er den jährlichen Ertrag von in den Sommerund Herbstmonaten durchgeführten Exkursionen, die durch ungünstige Witterung, Krankheit oder auch infolge ungeeigneter Reisebegleiter zu verzeichnenden Rückschläge und Einbußen, erstellte Listen der bereits vorhandenen, bzw. noch fehlenden und daher gezielt zu beschaffenden Pflanzen und berichtete über den Erhalt von Samen und getrockneten Exemplaren mit Hilfe seiner weitgespannten botanischen Korrespondenz : 8. Juni 1734 : Haller begrüßt Gessners Ankündigung, ihn auf seiner Alpenexkursion zu begleiten, zu der er am 17. Juli in Begleitung des Apothekers Salomon Scholl aufbrechen werde.140 29. September 1735 : »Die Juraexkursion hat nichts erbracht von dem, was mir fehlte, wenig Seltenes […]. Ich hoffe, diese Reise im nächsten Jahr mit meinem Schüler Ritter, der mich schon einmal begleitet hat, fortsetzen zu können. Dieses Jahr wurde sie durch ständige Regenfälle behindert. Ich habe zahlreiche Gräser und Farne erhalten […].«141 29. September 1735 : »Ich erwarte Samen von Stähelin.«142 6. November 1735 : »Habe die von Stähelin erhaltenen Exemplare geordnet, meiner Gräsersamm139 Vgl. Boschung/Braun-Bucher, Repertorium, Bd. 1, 170–359. 140 Brief von Haller an Johannes Gessner, 8. Juni 1734, in : Albrecht von Hallers Briefe an Johannes Gessner (1728–1777), hg. von Henry Sigerist, in : Abhandlungen der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, mathematisch-physikalische Klasse, Neue Folge, Bd. 11, Göttingen 1923, 90f. 141 Brief von Haller an Gessner, 21. August 1734, ebd., 91f. (hier und im folgenden meine Übersetzung des lateinischen Originals). 142 Brief von Haller an Gessner, 29. September 1735, ebd., 108.
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lung einverleibt und diese erneut durchgemustert. Es sind jetzt circa 240. An Schweizer Gräsern und Bäumen fehlen allerdings diese [es folgt eine Liste von 78 Pflanzen]. Wenn Du einige davon haben solltest […].«143 27. Dezember 1735 : »Einheimische Pflanzen habe ich nun 2500, beinahe 180 Pilze ; viele fehlen mir noch, darunter auch einige gewöhnliche. Mit den von Stähelin erhaltenen Pflanzen konnte ich einiges auffüllen […].144 11. Juni 1736 : »Ende Mai bin ich […] in Basel eingetroffen. Auf dem Hauenstein habe ich Cariophyllus gefunden […]. Stähelin und König brachten einen seltenen muscus stellaris. Dann, zurück in Basel, habe ich die Herbarien von Caspar Bauhin, Felix Platter und von J. J. Hagenbach durchstudiert […]. In einer Quelle entdeckte Stähelin die Zanichellia. Insgesamt war die Reise sehr ergiebig an vielfältigen und nützlichen Beobachtungen. […] Mein Huber ist ein sorgfältiger Botaniker und glücklich, wenn es genug Arbeit zu erledigen gibt.«145 11. Juli 1736 : »Bin nun von einer Exkursion nach Grindelwald und einer anderen, über Genf auf die Dôle zurückgekehrt. […] Huber durchstreift das Wallis auf der Suche nach bestimmten Pflanzen […], die ich vergessen habe.«146 1. August 1736 : »Die letzte Reise hat viel Bemerkenswertes erbracht […]. Trotzdem fehlt mir noch immer Juncus bombycinus […].«147 1736 sammelte Haller seit bereits acht Jahren, und bis zum Erscheinen der Enumeratio stirpium sollten noch weitere sechs verstreichen. Sein Festhalten an dem Plan, eine (möglichst) ausgearbeitete Flora der gesamten Schweiz zu publizieren, hatte zur Folge, daß der Ertrag seiner botanischen Arbeit vierzehn Jahre unter Verschluß gehalten wurde.148 Das erschwerte den Erkenntnisfortschritt der Botanik insgesamt, da andere zur europäischen Flora arbeitende Gelehrte ihr Material nicht mit dem Hallers abgleichen konnten, was Mehrfachbenennungen und -beschreibungen derselben Pflanze durch unterschiedliche Autoren zur Folge haben mußte. Gleichzeitig bremste die Strategie, jahrelang zu akkumulieren ohne zu publizieren, den Fertigstellungsprozeß von Hallers eigenem Werk. Denn Haller beraubte sich auf diese 143 Brief von Haller an Gessner, 6. November 1735, ebd. 144 Brief von Haller an Gessner, 27. Dezember 1735, ebd., 113. 145 Brief von Haller an Gessner, 11. Juni 1736, ebd., 116. 146 Brief von Haller an Gessner, 11. Juli 1736, ebd., 117. 147 Brief von Haller an Gessner, 1. August 1736, ebd., 118. 148 Von Zeitschriftenpublikationen zu einzelnen Arten abgesehen. So erschien beispielsweise 1734 im Commercium litterarium Norimbergense eine Passage aus einem Brief Hallers an den Herausgeber Christian Jakob Trew, in dem er eine neu entdeckte Art des Alpen-Süßklees beschrieb ; vgl. Lienhard, Machine, 396.
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Weise der von Ray und später dann von Linné im großen Stil genutzten Möglichkeit, seine Leser als Kontributoren zu rekrutieren, die durch Fehlermeldungen, Korrekturen oder auch Einsendung noch fehlender Pflanzen die Fertigstellung der Schweizer Flora hätten vorantreiben können. Das bedeutet keineswegs, daß Haller nicht Pflanzen und Information von anderen Botanikern erhalten hätte, im Gegenteil. Aber, was er von anderen erhielt, stammte überwiegend von Personen, die er entweder darum gebeten oder damit beauftragt hatte. 1742 erschien die Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum. Aber obwohl Haller vierzehn Jahre in ihre Ausarbeitung investiert hatte und dazu auf die bis dato größte Sammlung von Schweizer Pflanzen zurückgreifen konnte, publizierte er ein Werk, das er selbst im Vorwort explizit als fehlerhaft und unvollständig bezeichnete. Angesichts der akkumulativen Natur des botanischen Wissensbildungsprozesses war das kaum zu vermeiden, aber Hallers beharrlich verfolgte Arbeitsstrategie trug wesentlich dazu bei, die Diskrepanz zwischen angestrebter Vollständigkeit und tatsächlicher Unvollständigkeit weiter zu vertiefen. Diesen Sachverhalt reflektiert die antiklimaktische Rhetorik des Vorworts, wo die Darstellung des Erreichten unmittelbar in eine Auflistung all dessen übergeht, was noch fehlt, gefolgt von einem Bekenntnis des Autors, daß die Enumeratio eines nicht sein kann – vollständig und abgeschlossen.149 Erst 26 Jahre nach dem Erscheinen der Enumeratio, im Jahr 1768, sollte Hallers umfangreichste Publikation zur Flora der Schweiz erscheinen, die dreibändige Historia stirpium. Während Haller neben seinen Ämtern und Pflichten als Professor in Göttingen, dann als Magistrat in Bern und schließlich als Direktor der Salinen in Roche an der »Fertigstellung« dieses Werks arbeitete, überbrückte er das lange Ausbleiben seines Erscheinens mit einigen kleineren Publikationen. So signalisierte er der botanischen Öffentlichkeit, daß es sich zu warten lohnte und ließ sie gleichzeitig, wenn auch nur ausschnittsweise, am Ausarbeitungsprozeß teilhaben. Auffallend ist allerdings, daß sich die Kluft zwischen dem, was Haller zu erreichen suchte, und dem, was er mit seiner Arbeitsweise letztendlich erreichen konnte, auf diese Weise nicht verringern ließ. Je länger Haller an seinem Vorhaben arbeitete, desto aufwendiger wurde in seinen Publikationen die Rhetorik der Selbstlegitimation, mit der er das Nicht-Erreichen bzw. Noch-Nicht-Erreichen von Vollständigkeit entschuldigte. 149 Siehe Haller, Enumeratio, 11ff.
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Im Vorwort zu den 1759 erschienenen Ad enumerationem stirpium Helveticarum emendationes et auctaria steht dieses Thema an allererster Stelle.150 Seinerzeit habe ihn die Verzweiflung dazu getrieben, die Enumeratio in ihrem unausgereiften Zustand zu publizieren, da er, damals Professor in Göttingen, nicht gewußt habe, ob er die Arbeit an seiner Schweizer Flora jemals werde fortsetzen können. Von allen Botanikern habe es derjenige am schwersten, der eine vollständige regionale Flora vorlegen wolle. Da das erforderliche Material über mehrere Generationen zusammengetragen werde, seien Pflanzen, wenn man sie brauche, oft nicht mehr in brauchbarem Zustand. Man müsse oft mit alten, durch das Trocknen und Pressen entstellten Exemplaren vorlieb nehmen, deren Deformation einen in die Irre führe und glauben lasse, man habe es mit neuen Arten zu tun. Auch ihm selbst sei dieser Fehler mehrmals unterlaufen.151 Daß Haller hier mit keinem Wort Linné und sein globales Systema naturae erwähnt, ist bezeichnend und nicht nur Hallers Ablehnung von Linnés klassifikatorischer Methode und Nomenklatur zuzuschreiben.152 Hätte ein Verweis auf Linné doch deutlich gemacht, daß sich diese Schwierigkeiten mit Hilfe einer anders konzipierten Arbeits- und Publikationsstrategie zwar nicht lösen, aber doch wesentlich effizienter bewältigen ließen. Linnés Systema naturae war 1735 zum ersten Mal erschienen und 1759 bereits in einer zehnten, korrigierten und erweiterten Ausgabe auf dem Markt. Ein Vergleich mit Linnés verblüffend erfolgreichem Ansatz, Leser als Kontributoren zu rekrutieren und so ein botanisches Werk im Verlauf iterativer Publikationen sukzessive wachsen zu lassen, hätte Hallers Vorgehensweise in ein wenig vorteilhaftes Licht gerückt.153 Haller hielt an seinem Ansatz fest. Um seinen Pflanzenbestand zu vervollständigen entsandte er Sammler in diejenigen Regionen der Schweiz, deren 150 S. Haller, Ad enumerationem […] emendationes et auctaria, pars I, 3f. 151 Zur Fragilität naturhistorischer Präparate und den daraus resultierenden Schwierigkeiten s. Bettina Dietz : Die Naturgeschichte und ihre prekären Objekte, in : Ulrich Schneider (Hg.) : Kulturen des Wissens, Berlin 2008, 615–621. 152 Zur Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Systemen vgl. Müller-Wille, Systems ; zu Hallers Suche nach einem natürlichen System s. Jean-Marc Drouin/Luc Lienhard : Botanik, in : Steinke/Boschung/Proß, Albrecht von Haller, 292–314 ; zu Hallers Verhältnis zu Linné vgl. Heinrich Zoller : Albrecht von Hallers Pflanzensammlungen in Göttingen, sein botanisches Werk und sein Verhältnis zu Carl von Linné, in : Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen ; II. Mathematisch-physikalische Klasse 10 (1958), 217–251 ; Otto E. A. Hjelt : Carl von Linné in seinen Beziehungen zu Albrecht von Haller, in : Deutsches Archiv für Geschichte der Medizin und medizinische Geographie 3 (1870), 7–24. 153 Vgl. dazu Kapitel II Die partizipative Architektur von Linnés globalem System.
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Vegetation er noch nicht erfaßt hatte oder stattete sie mit gezielten Suchaufträgen nach fehlenden Pflanzen aus. Haller betrieb und finanzierte ein Sammelunternehmen mit über zehn Mitarbeitern, vornemlich Schweizer Ärzten, darunter Jean-Jacques Châtelain, Johann Jakob Dick, Johann Caspar Füssli, Abraham Gagnebin, Johannes Hofer, Johann Jacob Huber, Werner de La Chenal, Achilles Mieg und Jacob Christoph Ramspeck.154 Einer seiner wichtigsten Auftragssammler war Abraham Gagnebin, ein in der französischen Schweiz lebender Arzt, der auf wiederholten Exkursionen durch die französischen Pyrenäen, die Cottischen und Berner Alpen sowie den Jura 700 Pflanzen zusammentrug.155 Eskalierende Forderungen Hallers nach noch mehr Pflanzen in noch kürzerer Zeit bei noch knapperem Reiseetat zwangen Gagnebin 1749 zu einer Rechtfertigung, die Einblick in Hallers System der Auftragsexkursionen gewährt. Seit mehr als zehn Jahren, schrieb Gagnebin, durchstreife er für Haller Berge und Täler auf der Suche nach unbekannten Pflanzen. Aber weder er noch sonst irgend jemand könne eine Exkursion durch Graubünden einschließlich der Gebirgszüge in dem von Haller vorgesehenen Zeitraum von 25 Tagen durchführen. Eine ortskundige Person, die mit den zu bewältigenden Entfernungen vertraut sei, habe ihm versichert, daß mindestens sechs Wochen erforderlich seien, um allein den Weg zurückzulegen. Um darüber hinaus Pflanzen suchen, beobachten und sammeln zu können, müsse die Reise den ganzen Sommer dauern, von Ende Mai bis Ende September. Er selbst, Gagnebin, könne diesen Auftrag für die von Haller vorgesehene Entlohnung nicht übernehmen ; allerdings sei ein ihm bekannter Arzt namens Laurent Garcin dazu bereit, für Haller zu reisen, und zwar vom St. Bernhard bis zum St. Gotthard, wobei er auch das Wallis durchstreifen könne.156 1755 ließ Haller Gagnebin wissen, Bernard-Jean-François Ricou werde für ihn die Dent de Morcles besteigen und möglicherweise sogar den St. Bernhard erreichen, wenn er so fähig sei wie Gagnebin. Er selbst [Haller] habe sich noch einmal den Grimselpass und den Zinkengletscher vorgenommen, da es in seinem Werk noch vieles zu korrigieren und zu ergänzen gäbe.157 Die 154 Information zu diesem Personenkreis findet sich in G. R. de Beer : Haller’s Historia Stirpium, in : Annals of Science 9 (1953), 1–46 ; Boschung, Repertorium ; Christ, Briefwechsel ; Epistolae ab eruditis viris ad Alb. Hallerum scriptae, 6 Bde., Bern 1773–1775 ; Sigerist, Albrecht von Hallers Briefe an Johannes Gessner. 155 Vgl. Haller, Enumeratio, Praefatio, 11. 156 Brief von Abraham Gagnebin an Haller, 12. März 1749, abgedruckt in : de Beer, Haller’s Historia stirpium, 20. 157 Brief von Haller an Gagnebin, 12. März 1749, ebd., 25.
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Wallisexkursion war 1758 noch immer ein Desiderat und damit Gegenstand der Korrespondenz. Gagnebin teilte Haller mit : »[…] le voyage du Valais que vous voulez bien m’envoyer faire ne pourra avoir lieu que l’année prochaine à vos ordres, je le parcoureray jusqu’au St. Gothard […].«158 Das systematische Delegieren von Alpenexkursionen erforderte die Rekrutierung geeigneter Sammelagenten. Kandidaten hatten den Strapazen mehrwöchiger Hochgebirgstouren körperlich gewachsen zu sein, über gute botanische Kenntnisse zu verfügen, geringe Ansprüche an die von Haller aus seinem Privatvermögen bestrittene Entlohnung zu stellen, sich den imperativischen Vorgaben ihres Auftraggebers zu fügen und ihm den botanischen Ertrag der Reise in gut konserviertem Zustand auszuhändigen. In Frage kamen vor allem angehende Botaniker, häufig Medizinstudenten oder junge Ärzte, die den Kontakt zu Haller als einer der ranghöchsten botanischen Autoritäten suchten, und für die eine durch namentliche Erwähnung kenntlich gemachte Mitarbeit an Hallers Opus magnum eine Auszeichnung bedeutete.159 Werner de La Chenal (1736–1800), der bis zum Erscheinen der Historia Stirpium für Haller reiste und zu einem seiner wichtigsten Mitarbeiter aufstieg, erfüllte zum Zeitpunkt seiner Bekanntschaft mit Haller genau diese Kriterien. 1759 hatte er Haller seine im selben Jahr erschienene Dissertation160 zu einigen noch nicht eindeutig bestimmten Arten der Basler Flora zugeschickt, deren Erhalt Haller mit einem anerkennenden und zugleich erste Forderungen stellenden Brief beantwortete : »Wenn Du […] einige seltenere Pflanzen nach Bern schicken wolltest, würdest Du mir damit eine große Freude machen. […] Du wirst auch von mir einige andere als Gegengabe erhalten. Ich wünsche aber, daß Du diejenigen Pflanzen schickst, von denen Du schreibst [in der Dissertation ; B. D.].«161
Schon im ersten Jahr ihrer Korrespondenz schlug Haller La Chenal zwei, jeweils im Juli 1760 und 1761, in seinem Auftrag und auf seine Kosten durch158 Brief von Gagnebin an Haller, 11. Juli 1758, ebd., 30. 159 Zur botanischen Exkursion als einem Ritual der Qualifikation s. Hanna Hodacs : Linnaeans Outdoors. The Transformative Role of Studying Nature ›on the Move‹ and outside, in : The British Journal for the History of Science 44 (2011), 183–209. 160 Specimen inaugurale observationum botanicorum, quod […] publice defendit Wernerus de La Chenal, Basel 1759. 161 Brief von Haller an Werner de La Chenal, 21. April 1759, abgedruckt in : Christ, Briefwechsel, 33. Die beiden Schweizer verwendeten Latein als Korrespondenzsprache (hier und im folgenden meine Übersetzung des lateinischen Originals).
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zuführende Alpenexkursionen vor.162 Nachdem La Chenal und sein Reisegefährte Châtelain in die angebotenen Konditionen eingewilligt hatten, erhielten sie von Haller einen detaillierten Plan, der sowohl die Reiseroute als auch die genaue Verweildauer an den einzelnen Orten festlegte : »Nach Bern wegen des Geldes [Haller hatte das von ihm ausgesetzte Honorar bei einem Berner Kaufmann hinterlegt ; B. D.]. Luzern 2 Tage. Altdorf 1 Tag. […] Airolo 1 Tag, wo Du ausgiebig die reichen Bestände des Gotthard untersuchen kannst. Am selben Tag könntest Du auch die Gegend um den Ritomsee besichtigen. […] Die Rhodia rad. und andere Pflanzen. Bellinzona eineinhalb Tage, Mendrisio eineinhalb Tage […] Domodossola ein halber Tag […]. Wenn Du von Domodossola aus in Richtung der Ortschaft Gestelen gehst, kannst Du den Gletscher erreichen, aus dem die Rhône entspringt, reich an schönsten Pflanzen […]. Ich kann Dir auch einen Träger bezahlen […].«163
Noch unterwegs verfaßte La Chenal, dessen Dienste die in ihn gesetzten Erwartungen in vollem Umfang erfüllten, den ersten Bericht an seinen Auftraggeber über die bislang gemachte Ausbeute mit genauer Angabe der jeweiligen Fundorte.164 Haller schlug postwendend ein Reiseprojekt für den nächsten Sommer vor – durch das Veltlin und das Engadin zu denselben Bedingungen.165 Während La Chenal mit Châtelain 1760 das Wallis durchwanderte und Johann J. Huber durch schlechte Witterungsverhältnisse an seiner geplanten Exkursion gehindert wurde, rekrutierte Haller bereits weitere reisewillige Mitarbeiter.166 In den letzten Jahren vor dem Erscheinen der Historia Stirpium erreichte die Anzahl der Exkursionsaufträge ihr Maximum. Hallers Korrespondenz mit Johannes Gessner dokumentiert die Beharrlichkeit, mit der er seine über Jahrzehnte vorangetriebenen Sammelanstrengungen zum Abschluß zu bringen versuchte, was er als unerlässliche Voraussetzung dafür ansah, endlich sein Werk publizieren zu können : 17. Mai 1762 : »Verlässliche Männer sind in das Wal-
162 Vgl. Brief von Haller an La Chenal, 14. September 1759, ebd., 37. 163 Brief von Haller an La Chenal, 12. Juni 1760, ebd., 41. 164 Brief von La Chenal an Haller, 21. Juli 1760, ebd., 42f. Nach der Rückkehr folgte eine genaue Bilanz, vgl. Brief von La Chenal an Haller, 3. August 1760, ebd. 44. 165 Brief von Haller an La Chenal, 20. August 1760, ebd., 44. 166 Vgl. Brief von Haller an Achilles Mieg, 12. Juli 1760, ebd., 23 ; Brief von Haller an La Chenal, 9. August 1760, ebd., 43.
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lis aufgebrochen, um auf den Hochebenen nach Pflanzen zu suchen.«167 22. Juni 1762 : »Nun hoffe ich, dass ein gewisser Juilleret […] auf meine Kosten eine Reise durch die Rätischen Alpen und durch das Veltlin unternehmen wird. […] Weitere Männer schicke ich erneut in die Berge zwischen Wallis und Chamonix.«168 26. Juli 1762 : »Mein Pflanzenjäger (plantarum venator) hat mich enttäuscht. Diejenigen, die in den Grajischen Alpen und im Wallis unterwegs waren, haben einiges zurückgebracht, darunter die Persicaria mont. racemosa und die so lange gesuchte Cicutaria latifolia faetida […].« 30. Juli 1762 : »Seit meinem letzten Brief haben wir eine sehr schöne Pflanze entdeckt : Epigogum Gmel. […] M. Scupré aus Lyon hat uns besucht […] Von ihm erhoffe ich Pflanzen aus dem Dauphiné und eventuell aus den Pyrennäen.«169 7. August 1763 : »[Johann Jakob] Dick hat folgende Pflanzen gefunden : die Saxifragia Angelica […] Imperatoria vera, Ranunculus rutae f. und einige andere. Meine Forstaufseher sind vom Matterhorn zurückgekehrt […]. Wieder sind Männer aus den Alpen zurückgekehrt, aber sie haben wenig Bemerkenswertes zurückgebracht außer […].170 4. Oktober 1763 : »Des weiteren werde ich mich im kommenden Jahr geeigeter Männer bedienen, um sie das Hochgebirge durchstreifen zu lassen, insbesondere zwischen dem Wallis und Italien.«171 25. Oktober 1763 : »Das Ende der Sammelsaison für Pflanzen ist erreicht. Im nächsten Jahr werde ich die Berge zwischen dem Simplon und dem Matterhorn absuchen lassen, die zu den höchsten gehören.« 10. Juli 1764 : »Meine Leute sind auf dem Matterhorn.172 29. Juni 1765 : »Meine Männer besteigen erneut Berge […] die an das Wallis und an Italien grenzen. Wenn ich doch jemanden im Veltlin hätte, den ich benutzen könnte. Von dort erwarte ich mir noch viel Neues.«173 17. Juli 1765 : »Es wäre ein Wunder, wenn die Veltlin-Exkursion nichts Neues brächte. Ich erwarte derzeit meine Leute aus den Lepontinischen Alpen zurück.«174 1768 erschien in drei Bänden die Historia stirpium indigenarum Helvetiae inchoata, die sich als Referenztext für spätere regionale Floren etablierte.175 167 Brief von Haller an Johannes Gessner, 17. Mai 1762, in : Sigerist, Hallers Briefe an Gessner, 325. 168 Brief von Haller an Gessner, 22. Juni 1762, ebd., 326. 169 Brief von Haller an Gessner, 30. Juli 1762, ebd., 328. 170 Brief von Haller an Gessner, 7. August 1763, ebd., 339. 171 Brief von Haller an Gessner, 4. Oktober 1763, ebd., 341. 172 Brief von Haller an Gessner, 10. Juli 1764, ebd., 347 173 Brief von Haller an Gessner, 29. Juni 1765, ebd., 366. 174 Brief von Haller an Gessner, 17. Juli 1765, ebd. 175 So widmete zum Beispiel Scopoli Haller die zweite Auflage seiner Flora der Krain. Vgl. Giovanni Antonio Scopoli : Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas
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Aber der Titel signalisiert, daß auch dieses Opus magnum nur den Anfang einer durch andere weiter zu aktualisierenden Schweizer Flora darstellen konnte. Deutlich wird, daß das systematische Rekrutieren von Kontributoren und das sukzessive Ergänzen und Korrigieren eines in mehreren Auflagen publizierten Texts Techniken waren, derer sich in unterschiedlichem Umfang sowohl Botaniker des 17. Jahrhunderts als auch Zeitgenossen Linnés bedienten. Ray antizipierte Linnés Vorgehensweise, indem er seine englische Flora etappenweise aus dem Nukleus einer ersten Publikation entwickelte, die durch diejenigen kontinuierlich ergänzt und korrigiert wurde, die mit ihr arbeiteten. So erschienen in regelmäßigen Abständen aktualisierte Ausgaben, die sich in der botanischen Praxis bewährten, was wiederum neue Information für den nächsten Erweiterungszyklus generierte. Es war Linné, der das Potential des Ansatzes, Leser als Kontributoren zur Vervollständigung seines Werks zu mobilisieren, maximal ausschöpfen sollte. Aber um Leser zu haben, mußte man das Werkstück publizieren, das mit ihrer Hilfe zu einem Werk ausgearbeitet werden sollte – je häufiger, desto besser. Hallers retardierender Perfektionismus hinderte ihn daran, früh zu publizieren, Leser als Mitarbeiter zu mobilisieren und die kollaborativ-kontributive Dynamik zu entfachen, von der in begrenztem Umfang Ray und in vollem Ausmaß Linné profitierten. Einen derartigen Kollaborationsprozeß in Gang zu setzen und zu koordinieren, war nicht nur eine Frage der Einsicht in die Vorteile eines spezifischen Arbeitsmodus, sondern auch der persönlichen Disposition. Ray hatte, wie oben erwähnt, Plukenet als einen Botaniker bezeichnet, den ein selbstgefälliger und rechthaberischer Charakter daran hinderte, sich auf seine botanischen Fehler aufmerksam machen zu lassen. Haller war dazu nicht gänzlich außer Stande, wie seine Briefe an Dillenius demonstrieren, in denen er wiederholt auf Schwächen seiner eigenen Publikationen verwies.176 Aber seine maßlos gekränkte Reaktion auf Linnés Flora Svecica,177 in der er sich unverhältnismäßig kritisiert fühlte, offenbart eine Gelehrten- und Autorenpersönlichkeit, die der Einsicht in die Vorteile einer kontinuierlichen Korrektur des eigenen in classes, genera, species, varietates, ordine Linneano […] editio secunda aucta et reformata, 2 Bde., Wien 1772. 176 S. beispielsweise den Brief von Haller an Dillenius vom 1. September 1741, in dem er seine kurz vor dem Erscheinen stehende Enumeratio methodica als unreif bezeichnete (Druce, Dillenian Herbaria, ci–ciii, cii). 177 Carl von Linné : Flora Svecica ; exhibens plantas per regnum Sveciae crescentes, systematice cum differentiis specierum, synonymis autorum, nominibus incolarum, solo locorum, usu pharmacopoeorum, Stockholm/Leiden 1745.
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Werks durch andere im Weg stand. Haller verwahrte sich gegen Passagen, die er inhaltlich als ungerechtfertigt und im Ton als beleidigend, ja sogar rufschädigend empfand. Auf seinen Vorwürfen beharrte er auch, nachdem Linné sich wiederholt gerechtfertigt und um Schadensbegrenzung bemüht hatte. Im April 1746 schrieb Haller den ersten Beschwerdebrief an Linné, mit dem er schon seit 1737 korrespondierte : »It is not altogether so agreeable to me to find myself, in so short a work, so frequently, and exclusively, refuted ; not without some rather bitter expressions, which are neither requisite nor suitable to our friendship ; nor are they such as I use towards you, even when I dissent from your opinion.[…] You assault me, not without some signs of contempt, and with an evident intention to hurt me.«178
Im folgenden zitierte oder paraphrasierte Haller ausgewählte Passagen aus Linnés Flora Svecica, um sich dann entschieden gegen sie zu verwahren, obwohl Linnés Ton von einer einzigen, potentiell provokativen Stelle abgesehen,179 nicht beleidigend wirkt : »Pages 62, 63. ›Haller takes this (Campanula uniflora) for a variety of the last (C. rotundiflora) in It. Helvet. 88, but it is a distinct plant.‹ What occasion was there to refute me here ? I have made them distinct in Fl. Helvet. n. 15, p. 495.«180
Oder : »Page 186, at Melampyrum sylvaticum. ›I [Linné] first noticed this in 1729, taking it in Fl. Lapp. for a variety of the pratense ; nor should I ever have thought otherwise, were not the authority of my friend Haller against me. I wish some other botanists would examine whether these two […] be not varieties of one species.‹ But I 178 Brief von Haller an Linné, 8. April 1746, in : James Edward Smith (Hg.) : A Selection of the Correspondence of Linnaeus and Other Naturalists, from the Original Manuscripts, 2 Bde., London 1821, Bd. 2, 381–389, 381 (engl. Übersetzung des lateinischen Originals). Schon im ersten Jahr ihrer Korrespondenz mußte Linné Haller beschwichtigen und ihm versichern, daß es nicht seine Absicht gewesen sei, ihn in feindseliger Absicht zu kritisieren. Vgl. Brief von Linné an Haller, 8. Oktober 1737, in : Smith, Selection, Bd. 2, 297–301, 297f.; Volltext des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0216 (7.6.2016). 179 »You say, ›Let Haller examine by what rule he has removed Chrysosplenium […] from Saxifraga‹.« (Brief von Haller an Linné, 8. April 1746, in, Smith, Selection, Bd. 2, 381–389, 384 ; Volltext und Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0704 ; 18.7.2016). 180 Ebd., 382.
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[Haller], in 1728, in an alpine journey […] gathered this plant. Neither you nor I therefore discovered it first.«181
Linné reagierte auf diese Vorwürfe indirekt, indem er Haller für seinen Brief und seine Freundschaft dankte und ankündigte, daß er in der demnächst erscheinenden Flora Zeylanica seine Bewunderung für Haller öffentlich und unmissverständlich zum Ausdruck bringen werde, was auch geschah.182 Aber trotz dieses Versöhnungsangebots wiederholte Haller seine Anklage. Linné attackiere ihn allein in seinem Werk, sonst niemanden, und das, obwohl Haller ihn mehrmals gegen seine Kritiker verteidigt habe. Angesichts von Linnés Ruhm sei das allein genug, um ihn, Haller, in Mißkredit zu bringen. Manche Formulierungen in der Flora Svecica – Haller verwies auf dieselben, die er in seinem letzten Brief aufgelistet hatte – zeugten von einer feindseligen Geisteshaltung, die nicht mit Freundschaft zu vereinbaren sei. Linné solle ihm öffentlich seinen Respekt bekunden, und damit möge der Streit ein Ende nehmen.183 Linné ließ sich auch von dieser zweiten Eruption nicht aus der Fassung bringen und antwortete mit einem Brief, der demonstrativ zur Tagesordnung der botanischen Korrespondenz zurückkehrte. Das Aggregieren von Beiträgen vieler erforderte die Fähigkeit, den Kontakt zu zentralen Informanten nicht im Affekt zu gefährden oder gar abzubrechen. Linné beschwor Haller, die Sache endlich auf sich bewenden zu lassen.184
181 Ebd. 385. 182 Vgl. das Vorwort zu Linnés Flora Zeylanica (Stockholm 1747). 183 Vgl. den Brief von Haller an Linné, 27. Juni 1746, in : Selection, Bd. 2, 393–397, 393f. (Dieser Brief wurde vermutlich erst im Herbst 1746 geschrieben ; zur Datierung s. ebd., 393 ; Faksimile des Originals, http://linnaeus.c18.net/Letter/L0716 (7.6.2016). 184 »I beseech you not to throw blame on me in every letter […]. I will explain myself publickly in such terms as that you yourself shall be perfectly satisfied. […] Be but gentle and amiable, as you are accustomed, and I will be devoted to you in any manner that you may order me.« (Brief von Linné an Haller, 21. Oktober 1746, in : Selection, Bd. 2, 405–409, 406 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0738 ; 7.6.2016).
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Während auch Botaniker des 17. und frühen 18. Jahrhunderts auf die Unterstützung anderer zurückgriffen, um Information zu akkumulieren, läßt sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts eine deutliche Steigerung dieser kooperativen Dynamik beobachten. Um zu verdeutlichen, daß die Intensivierung von Kooperation mit dem wachsenden Erfolg von Linnés globalem botanischen Erfassungsprojekt korreliert war, wird im folgenden zuerst darzustellen sein, wie Botaniker des 18. Jahrhunderts das Medium der Korrespondenz als Informationssystem instrumentalisierten und wie sie mit Hilfe dieses Systems zusammenarbeiteten. Anschließend ist dann zu zeigen, wie sich Linné als Zentrum des oben skizzierten kontributiven Wissensbildungsprozesses etablierte und dabei einen entsprechenden – iterativen – Publikationsstil entwickelte.
II.1 Die botanische Korrespondenz als Informationssystem
Botaniker des 18. Jahrhunderts bedienten sich eines ganzen Arsenals von Verfahren, um effizient zu korrespondieren, Zeit zu sparen, Informationsverlust zu vermeiden und um gezielt Information von verschiedenen Korrespondenten einzuholen. Der Schweizer Botaniker und Arzt Albrecht von Haller erhielt 13300 Zuschriften,1 die Online-Edition von Linnés Korrespondenz umfaßt circa 5800 an ihn und von ihm geschriebene Briefe 2 und Joseph Banks wissenschaftlicher Briefwechsel füllt sechs Quartbände.3 Wie betrieb man derartige Unternehmungen unter Gesichtspunkten des Informationsmanagements ? An erster Stelle zu nennen sind diejenigen Techniken, durch die Schreibaufwand 1 Vgl. Boschung/Braun-Bucher, Repertorium. In den Jahren 1752 und 1753 erreichte Hallers Korrespondenzaktivität mit c. 500 Briefen pro Jahr ihr Maximum. Bis c. 1770 bewegte sich die Zahl der pro Jahr erhaltenen Briefe dann um einen Durchschnittswert von etw 300. Vgl. dazu Martin Stuber/Stefan Hächler/Hubert Steinke : Albrecht von Hallers Korrespondenznetz. Eine Gesamtanalyse, in : dies., Hallers Netz, 1–216, 65 (Grafik 5.1). 2 Vgl. The Linnaean Correspondence http://linnaeus.c18.net/Doc/presentation.php (29.9. 2016). 3 Vgl. Chambers, Scientific Correspondence.
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ohne Informationsverlust reduziert werden konnte, insbesondere der Gebrauch von Referenzkatalogen und Listen. So bezog sich Johann Jakob Dillenius in der Korrespondenz, die er mit dem englischen Botaniker Richard Richardson (1663–1741) führte, zur Bezeichnung von beigelegtem Pflanzenmaterial auf zwei Referenzwerke : auf Herman Boerhaaves 1727 erschienenen Katalog des botanischen Gartens der Universität Leiden4 und auf den von ihm selbst verfaßten Hortus Elthamensis (1732), ein Werk, das den in Eltham bei London gelegenen Garten von James Sherard, William Sherards Bruder, katalogisierte. Auf diese Weise mußten nicht mehr botanische Namen, sondern nur mehr Nummern aufgelistet werden, gegebenenfalls ergänzt durch Verweise auf zugehörige Abbildungen, ebenfalls in Nummernform. Ein Brief von Dillenius an Richardson aus dem Jahr 1736 begann beispielsweise mit der Ankündigung einer Pflanzensendung. Richardson hatte Dillenius offenbar um eine Reihe von Ficoides gebeten, die er mit Hilfe von Boerhaaves Katalog spezifizierte. Dillenius stellte das gewünschte Sortiment zusammen und antwortete, indem er zu jeder Pflanze die entsprechende Seitenzahl und Nummer bei Boerhaave oder die Abbildungsnummer in seinem eigenen Hortus Elthamensis anführte : »We have to spare Boerhaave Lugd. Bat. v. 1 289 n. 3, which is Hort. Elth. fig. 272 ; N. 18, is H. E. fig. 265 ; n. 19 is fig. 275, 276 ; n. 21 is fig. 245–247 ; p. 291, n. 2, and 290, n. 1 are fig. 263 and 262 […]. To these I have added H. E. fig. 270, 239, 282, 233, 256, 259, 241 […]. Of Boerhaave’s p. 290, n. 11, 12, and 14, we have but single plants, which will not bear cutting at present, but hope to supply you next year.«5
Auf andere Weise kamen Referenzkataloge auch in Dillenius’ Briefwechsel mit Haller zum Einsatz. So fragte Dillenius 1741 bei Haller nach, ob dieser eine bestimmte Pflanze aus eigener Anschauung kenne, »Byssus illa 5. Michel. N. G. p. 210« – jene fünfte Byssus in Pietro Antonio Michelis Nova plantarum genera (Florenz 1729), Seite 210 – und ob er ihm beschreiben könne, wie ihre Oberfläche aussehe. »Michel. p. 210. tab. 89 f. 2« sei ihm in dieser Frage nicht deutlich genug.6 Auch die Frage nach der Beschaffenheit der Oberfläche war 4 Herman Boerhaave : Historia plantarum, quae in horto academico Lugduni Batavorum crescunt, cum earum characteribus et medicinalibus virtutibus, 2 Bde., Rom 1727. 5 Brief von Dillenius an Richard Richardson, 5. September 1736, in : Smith, Selection, Bd. 2, 151f., 151. 6 Brief von Dillenius an Haller, 29. Oktober 1741, in : Epistolarum ab eruditis viris ad Alb. Hallerum scriptarum, 6 Bde., Bern 1773–1775, Bd. 2 (1773), 46f., 46.
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nicht ausformuliert, sondern Dillenius führte nur die entsprechende Abbildung bei Micheli an und fragte ergänzend : glatt (wie bei Micheli) oder mit Knötchen ? Der Brief endete mit der Aufforderung, Haller solle ihm eine Liste derjenigen Pflanzen schicken, die er für den botanischen Garten der Universität Göttingen benötige. Was Dillenius davon im botanischen Garten der Universität Oxford habe, werde er ihm gerne schicken. Dafür wünsche er sich im Gegenzug einheimische Pflanzen aus Deutschland, und zwar solche, die nicht in John Rays Synopsis methodica stirpium Britannicarum7 enthalten seien. Auch den Aufwand, eine Liste der eigenen Desiderate zu führen, zu aktualisieren und im Bedarfsfall an seine Tauschpartner zu verschicken, reduzierte Dillenius also mit Hilfe eines Referenzkatalogs auf ein Minimum. Eine zweite omnipräsente Technik der Zeitersparnis war der Gebrauch von Listen.8 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die Zahl der insgesamt bekannten und innerhalb des naturhistorischen Informationssystems zirkulierenden Arten signifikant anstieg, kamen vor allem umfangreichere Korrespondenzen kaum mehr ohne diese Strategie aus. Alphabetisch aufgelistet wurde insbesondere das einen Brief begleitende Tauschgut, am häufigsten Samen, Pflanzenteile und getrocknete Pflanzen, aber auch Mineralien und Präparate kleiner Tiere. Derartige Listen konnten, sofern ihre Länge es erlaubte, in den Brief integriert sein, oder sie wurden als separate Dokumente beigelegt. Die im Hinblick auf das Funktionieren des naturhistorischen Informationssystems besonders aufschlußreiche Korrespondenz zwischen Linné und dem primär in Wien tätigen Botaniker Nikolaus von Jacquin9 ist reich an 7 1. Aufl. 1690, 2. Aufl. 1696, 3. Aufl. 1724. 8 Vgl. focus section »Listmania«, hg. von James Delbourgo/Staffan Müller-Wille, in : Isis 103 (2012) ; darin insbesondere Staffan Müller-Wille/Isabelle Charmentier : Lists as Research Technologies, 743–752 ; zu Listen als Kulturtechnik s. Umberto Eco : Die unendliche Liste, München 2009. 9 Zu Jacquin, einem der führenden Botaniker des 18. Jahrhunderts, s. Santiago Madriñán : Nikolaus Joseph Jacquin’s American Plants. Botanical Expedition to the Caribbean (1754– 1759) and the Publication of the Selectarum Stirpium Americanarum Historia, Leiden 2013 ; Marianne Klemun : Österreichische wissenschaftliche Sammelreisen nach den Amerikas, 1783–1789. Intentionen, Instruktionen und Implikationen, in : Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 5 (2005), 21–35 ; Maria Petz-Grabenbauer : Nikolaus Jacquin und die botanischen Gärten in Wien, in : Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalspflege 67 (2003), 498–507 ; Otto Nowotny : Die Forschungs- und Sammelreise des Nikolaus J. Jacquin in die Karibik und zu den Küsten Venezuelas und Kolumbiens, 1755–1759, in : Elisabeth Zeilinger (Hg.) : Österreich und die Neue Welt. Symposium in der österreichischen Nationalbibliothek, Wien 1993, 89–94 ; Frans A. Stafleu : Linnaeus and the Linnaeans. The Spreading of their Ideas in Systematic Botany, 1735–1789, Utrecht 1971.
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verschiedenen Einsatzformen des Mediums Liste, auch dieser elementarsten. Schon die frühen Briefe Jacquins an Linné enthielten Listen beigelegter Samen.10 Regelmäßig dankte man einander für erhaltene Samen und legte eine Liste weiterer Desiderate bei.11 Dem schnell wachsenden und bald dauerhaft hohen Informationsvolumen entsprechend, das in den folgenden sechzehn Jahren zwischen beiden Botanikern ausgetauscht wurde, ist Datentransfer in Listenform in den meisten ihrer Briefe anzutreffen. Als die Korrespondenz im Lauf der Zeit mehr und mehr Bedeutung für Linnés und Jacquins Arbeitsprozeß gewann, dienten Listen zunehmend auch der effizienten Strukturierung des epistolaren Meinungsaustauschs. Folgendermaßen : Jacquin schickte Linné eine durchnummerierte Liste von Pflanzen, zu denen er entweder gezielte Fragen stellte oder die er seinem Briefpartner zur umfassenden Kommentierung vorlegte.12 Für die Beantwortung einer solchen Anfrage ordnete Linné dann seine Beobachtungen und Kommentare der jeweiligen Listennummer zu. Bei Überlastung oder auch Krankheit eines der beiden Korrespondenten konnte sich der Briefwechsel sogar auf den Austausch derartiger Frage- und Antwortlisten reduzieren. Man kommentierte kurz die Liste des anderen unter Bezugnahme auf die Nummern der einzelnen Einträge. Im folgenden Brief von Linné an Jacquin vom August 1773 verweisen die Nummern auf Illustrationen, die Jacquin Linné mit der Bitte um Bestimmung der abgebildeten Pflanzen zugeschickt hatte : »Tab. 180. Oxalis violacea. 185. Scabiosa rigens 186. Euphorbia canescens. 188. Euphorbia Paralias ? […] 108. Orchis sambucca mea.«13 10 So beispielsweise der Brief von Jacquin an Linné, 20. Oktober 1760 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3976, 1f., 1 (7.6.2016). 11 Vgl. beispielsweise den Brief von Jacquin an Linné, 20. Januar 1761 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2855, 1–3 (7.6.2016). 12 Brief von Jacquin an Linné, 2. Januar 1765 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/ Letter/L3529, 1–5, 4f. (7.6.2016). 13 Brief von Linné an Jacquin, 25. August 1773, in : Caroli Linnaei epistolae ad Nicolaum Jacobum Jacquin, ex autographis edidit Car. Nic. Jos. eques a Schreibers, Wien 1841, 132 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L4876. Der Brief endet mit einigen Zeilen ausformulierten Textes, in denen Linné etwas ausführlicher zu zwei weiteren Pflanzen Stellung nimmt. Linnés nächster Brief an Jacquin vom 15. Sept. 1773 folgt einem ähnlichen Schema. Siehe ebd., 132f.
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Als nächstes ist mit dem systematischen Stellen und Beantworten von Fragen im Rahmen der Korrespondenz ein Verfahren der Informationsbeschaffung zu diskutieren, das vor allem für Botaniker mit umfangreichen Publikationsprojekten von zentraler Bedeutung war. Das mag auf den ersten Blick trivial anmuten, ist es aber nicht. Das konstante Einholen des Urteils von Fachkollegen zur korrekten Identifikation und Klassifikation von Pflanzen ist eine Technik, die sich sichtbar in den Entstehungsprozeß großer botanischer Publikationen eingeschrieben hat und damit auf ein grundlegendes Merkmal naturhistorischer Wissensbildung im 18. Jahrhundert verweist : auf das Akkumulieren und Aggregieren von Beiträgen vieler mit Hilfe des korrespondenzgestützten Informationssystems. Fragen konnten ausformuliert und in den laufenden Brieftext integriert werden, als Frage- und Antwortlisten einen unterschiedlich großen Teil des Briefes ausmachen, multimediale Gestalt annehmen oder aber in Form von Fehlermeldungen und Korrekturen erfolgen. Schon im ersten Jahr ihrer Korrespondenz war der Informationstransfer mit Hilfe der Frage-Antwort-Technik zur Routine geworden, so daß ein Brief Linnés an Jacquin vom November 1759 bereits etwa 50 Fragen enthielt ; darunter auch Erkundigungen nach einer Pflanze namens Comajandura, die ihn besonders interessierte und zu der er, wie sich herausstellt, auch von anderen Korrespondenten Information eingeholt hatte – allerdings erfolglos. Die Abbildung in Francisco Hernandez’ Naturgeschichte Mexicos (1649)14 könne er nicht verstehen, so daß er jetzt Jacquin bitte, ihm zu helfen.15 Dieser griff die Frage gleich zu Beginn seines nächsten Briefes auf. Da er Linné vor kurzem eine getrocknete Blüte geschickt habe, werde er keine Zeichnung beilegen, sondern statt dessen eine detaillierte Beschreibung liefern.16 Als Jacquin 1759 an seiner Enumeratio17 karibischer Pflanzen arbeitete, bat er Linné darum, in diesem Zusammenhang eine Reihe klassifikatorischer Details zu überprüfen und ihm mitzuteilen, ob etwas fehle.18 Der Brief endete 14 Francisco Hernandez : Rerum medicarum Novae Hispaniae thesaurus, seu plantarum, animalium, mineralium Mexicanorum historia ex F. H. […] relationibus, Rom 1649. 15 Vgl. Brief von Linné an Jacquin, 22. November 1759, in : Caroli Linnaei epistolae […], 7–11, 11 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2612. 16 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 17. December 1759 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L2634, 1–3, 1 (7.6.2016). 17 Nicolai Josephi Jacquin enumeratio systematica plantarum, quas in insulis Caribeis vicinaque Americes continente detexit novas, aut jam cognitas emendavit, Leiden 1760. 18 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 24. Oktober 1759 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/ L2597, 1–3 (7.6.2016).
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mit einigen Kommentaren Jacquins zu Pflanzenteilen, die Linné unvollständig beschrieben habe, da er sie nie in ihrem natürlichen Umfeld oder in Blüte gesehen habe.19 In einem anderen Brief korrigierte Jacquin einen Fehler, der Linné in Bezug auf eine bestimmte Pflanze, die Samyda, unterlaufen war, und merkte an, daß sich auch der irische Botaniker Patrick Browne, Verfasser eines Referenzwerks zur Naturgeschichte Jamaikas,20 diesbezüglich geirrt habe.21 In ersten Umrissen wird hier sichtbar, daß eine wesentliche Aufgabe der naturhistorischen Korrespondenz darin bestand, Fehlermeldungen zu generieren und zu transportieren. Auf diese Weise konnte das Wissen vieler Gelehrter in die botanische Praxis einzelner einfließen, wo daraus, wie im folgenden darzustellen sein wird, das Produkt eines kooperativen Erkenntnisprozesses aggregiert wurde. Doch vorher soll noch eine letzte Technik der Informationsübertragung eingeführt werden. Zur Präzisierung von Information bei gleichzeitiger Rationalisierung des Korrespondenzaufwandes wurden Abbildungen verwendet, von der schnellen Skizze über sorgfältigere Zeichnungen bis hin zu für den Druck vorgesehenen Stichen.22 Insbesondere Jacquin, der auch in seinen Publikationen intensiv mit Abbildungen arbeitete, erweist sich als systematischer Nutzer des Mediums zu Zwecken der Korrespondenz. Im Kontakt mit Linné entwickelte er das Verschicken von Abbildungen zu einer epistolaren Routine, die einerseits erlaubte, den botanischen Informationsaustausch auf beiden Korrespondenten vorliegendes Bildmaterial zu gründen, und die andererseits eine zentrale Rolle im Entstehungsprozeß der zahlreichen Neuauflagen von Linnés systematischen Schriften spielte. 19 Vgl. ebd., 3. 20 Patrick Browne : The Civil and Natural History of Jamaica, London 1756. 21 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 17. Dezember 1759 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/ L2634, 1–3, 2. 22 Zu botanischen Illustrationen in Auswahl : Hans Walter Lack : The Bauers – Joseph, Franz & Ferdinand. Masters of Botanical Illustration. An Illustrated Biography, München 2015 ; Kärin Nickelsen : Draughtsmen, Botanists, and Nature. The Construction of Eighteenth-Century Botanical Illustrations, Dordrecht 2006 ; dies.: The Challenge of Colour. Eighteenth-Century Botanists and the Hand-Colouring of Illustrations, in : Annals of Science 63 (2006), 3–23 ; zu naturhistorischen Illustrationen des 16. und 17. Jahrhunderts s. Florike Egmond : Eye for Detail. Images of Plants and Animals in Art and Science, 1500–1630, London 2016 ; Kusukawa, Picturing the Book of Nature ; dies.: Sources of Gessner’s Pictures for the Historia Animalium ; zum Zeichnen als einer erkenntnisgenerierenden Praxis in den frühneuzeitlichen Wissenschaften s. Horst Bredekamp : Galileis denkende Hand. Form und Forschung um 1600, Berlin 2015.
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Abbildungen konnten punktuell eingesetzt werden. Ein Brief Jacquins an Linné vom Februar 1768 endete beispielsweise mit dem Vermerk, Jacquin habe eine Zeichnung der Cleome sowie Herbarpräparate zweier anderer Pflanzen beigelegt, die er nicht eindeutig bestimmen könne.23 Linné möge sich dazu äußern. Ein anderer Brief ist auf die Rückseite einer Abbildung geschrieben : Jacquin erinnerte Linné daran, daß er bereits seinem letzten Brief eine Zeichnung der Crataegus punctata beigelegt habe, ohne bislang eine Antwort erhalten zu haben. Er schicke die betreffende Zeichnung also ein zweites Mal, zusammen mit Abbildungen von zwei anderen Pflanzen, in Bezug auf die er sich nicht sicher sei.24 Im Vorfeld des Erscheinens seiner ersten großen Publikation, der Selectarum stirpium Americanarum Historia,25 fing Jacquin an, das Verschicken von Abbildungen systematisch als Informationstechnik zu nutzen. Im April 1762 teilte er Linné mit, daß er ihm schubweise alle für den Druck vorgesehenen Kupferstiche in einer Vorabversion zuschicken wolle. So könne Linné das Material, mit Hinweis auf Jacquin, für die zweite Auflage seiner Species plantarum 26 verwenden, und er selbst habe im Gegenzug die Möglichkeit, von Linnés Kommentaren und Korrekturen zu profitieren.27 Wer naturhistorische Information besaß, war, was zunächst überraschen mag, in der Regel dazu bereit, das, was er hatte und wußte, mit anderen zu teilen. Der so generierte Datenstrom prägte den Charakter naturhistorischer Publikationen, die, je umfangreicher der Erfassungsanspruch eines Projekts, desto mehr den Charakter von Aggregaten annahmen. Aggregate insofern, als aus einem kollaborativen und akkumulierenden Arbeitsprozeß Texte hervor23 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 25. Februar 1768 ; Faksimile des Originals, http://linnaeus. c18.net/Letter/L4036, 1f., 2 (7.6.2016). 24 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 28. Oktober 1770, http://linnaeus.c18.net/Letter/L4548, 1f. 2 (7.6.2016). 25 Nikolaus Joseph von Jacquin : Selectarum stirpium Americanarum historia. In qua ad Linnaeanum systema determinatae descriptaeque sistuntur plantae illae, quas in insulis Martinica, Jamaica, Domingo, aliisque, et in vicinae continentis parte observavit rariores ; adjectis iconibus in solo natali delineatis, Wien 1763. 26 Carl von Linné : Species plantarum, exhibentes plantes rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominis trivialibus, synonymis selectis, locis natalibus, secundum systema sexuale digestas, 2 Bde., Stockholm 1753 (zweite Aufl. Stockholm 1762–1763). 27 Brief von Jacquin an Linné, 23. April 1762 ; Faksimile des Originals, http://www.linnaeus. c18.net/Letter/L3055, 1–3, 1 (7.6.2016). Auch dem Naturhistoriker Scopoli bot Linné ein ähnliches Arrangement an. Er forderte ihn auf, ihm die Kupferstiche zur geplanten Fauna Carniolica im voraus zur Kommentierung zuzusenden. Vgl. den Brief von Linné an Giovanni Antonio Scopoli vom 29. August 1763 ; Faksimile des Originals, http://www.linnaeus.c18.net/ Letter/L3281, (25.10.2016).
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gingen, in denen von vielen Personen beigesteuerte Wissens- und Informationsmodule so zusammengesetzt wurden, daß das Endprodukt – sichtbar – als Resultat von Kooperation zu erkennen war. Um diese Technik des Aggregierens zu verdeutlichen, ist zunächst auf eine bislang nur kurz erwähnte Informationstechnik näher einzugehen : die Fehlermeldung. Anhand dieser spezifischen und intensiv genutzten Form des entweder eingeforderten oder auch spontan eintreffenden Feedbacks wird zweierlei deutlich. Erstens, daß in der Botanik Präzision oft erst im Verlauf eines längeren, kooperativ funktionierenden Korrekturprozesses erreicht werden konnte. Und zweitens, daß das, was publiziert wurde, zwar in unterschiedlichem Ausmaß, aber doch grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit stand. Laufend wurde neues Material bekannt, neue Beobachtungen wurden gemacht und neue Beobachter schalteten sich in die Diskussion ein, so daß das Korrigieren von Beschreibungen, Abbildungen sowie klassifikatorischen Zuordnungen nicht nur eine Notwendigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit darstellte. Naturhistorische Publikationen, vor allem die größten, waren daher in der Regel von iterativer Natur. Das heißt, sie erschienen nicht in einer, als definitiv intendierten Version, wie es das traditionelle Konzept wissenschaftlicher Autorschaft suggeriert, sondern sie waren von vornherein auf ein wiederholtes Erscheinen in mehreren Auflagen angelegt. Die botanische Wissensbildung bedurfte der konstanten Ergänzung, Berichtigung und Aktualisierung. Da niemand dieses Prinzip so systematisch zu nutzen verstand wie Linné, wird anhand der Neuauflagen seines Systema naturae, der Species plantarum und der Genera plantarum darzustellen sein, wie er das Aggregieren von Information betrieb, und welche Rolle ihm auf diese Weise im Feld der Botanik zuwuchs. Naturhistoriker nutzten die Korrespondenz, um einander auf Fehler aufmerksam zu machen, insbesondere dann, wenn sie miteinander auf Augenhöhe verkehrten. Im Oktober 1741 schrieb Dillenius aus Oxford an Linné, um ihm die Drucklegung seiner großen Historia muscorum, einer Naturgeschichte der Moose, anzukündigen und um zwei Irrtümer zu korrigieren, die Linné unterlaufen waren : »Micheli’s Blasia is surely a species of Mnium. You seem to me to have mistaken for it some species of a true Lichen. The figure in Micheli, which you reckon excellent, is not without fault.«28 28 Brief von Dillenius an Linné, 15. Oktober 1741, in : Smith, Selection, Bd. 2, 119f., 120 ; Faksimile des Originals, http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0442 (25.10.2016).
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Oder : Nachdem Dillenius Albrecht von Hallers 1742 erschienene Enumeratio methodica stirpium Helvetiae indigenarum erhalten hatte, beglückwünschte er ihn zu deren außerordentlicher Qualität, um bereits im nächsten Satz mit einer längeren Liste von Fehlermeldungen und Korrekturen zu beginnen. Beispielsweise : »Du hast Recht, wenn Du zu Hydrocotyle vermerkst, daß es mit C. Bauhins Ranunculus aquaticus umbilicato folio verwechselt worden sei, aber solange du die Ranunkeln als eine echte Art bezeichnest, irrst Du Dich, wahrscheinlich verführt von Ruppe oder Vaillant. Korrekt wurde Hydrocotyle von Micheli bestimmt. […].«29
Derartige Meldungen bzw. Korrekturen galten nicht als Angriff auf die Kompetenz des Adressaten und wurden in der Regel nicht als Beleidigung verstanden, im Gegenteil. Sie waren ein unverzichtbares Instrument, um die angesichts überwältigender Mengen zu beobachtender und zu interpretierender Details zwangsläufig entstehenden Fehler zu korrigieren bzw. zu reduzieren. Fehler unterliefen, trotz rigoroser Sorgfalt, auch dem geschultesten Auge, insbesondere dann, wenn nicht mit lebenden Exemplaren gearbeitet werden konnte. Selbst Botaniker wie Linné oder Jacquin mit ihren außerordentlichen Ressourcen gerieten häufig in die Situation, eine zum Beispiel zu Vergleichszwecken dringend benötigte Pflanze lebend nicht greifbar zu haben. Herbarexemplare waren die notwendige Alternative, doch das Trocknen und Pressen konnte Details verformen und die exakte Beobachtung erschweren. Wenn weder ein lebendes noch ein getrocknetes Exemplar zur Verfügung stand, mußte auf Abbildungen und Beschreibungen in der botanischen Literatur zurückgegriffen werden. Da auf jeder Stufe dieses Prozesses Fehler entstehen konnten und entstanden, mehr als ein Autor allein zu identifizieren und zu korrigieren vermochte, etablierte sich die Fehlermeldung als fester Bestandteil der Korrespondenzroutine. Die korrekte Bestimmung einer Pflanze resultierte nicht nur aus einer individuellen Beobachtungsleistung, sondern in beträchtlichem Ausmaß auch aus einer kollektiven. Je mehr Augen die Merkmale einer noch nicht eindeutig bestimmten Pflanze examinierten, um so schneller ließ sich durch das Zusammentragen und Zusammenfügen von über die Korrespondenz gewonnener Information Gewißheit erreichen. Der botanische Wissensbildungsprozeß beruhte auf der Zusammenführung des Wissens vieler. 29 Brief von Dillenius an Haller, 14. August 1744, in : Epistolarum […] ad Alb. Hallerum scriptarum, Bd. 2, 174–179, 176 (meine Übersetzung des lateinischen Originals).
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Fehlermeldungen konnten sich auch als Fehlerbilanzen präsentieren, in denen ein Korrespondent alles auflistete, was ihm bei der Lektüre einer Publikation aufgefallen war. Der bereits zitierte Brief von Dillenius an Haller aus dem Jahr 1742 fällt in diese Rubrik und auch in der Korrespondenz zwischen Jacquin und Linné finden sich derartige Stellungnahmen. Nach dem Erscheinen der zweiten Auflage von Linnés Species plantarum (2 Bde., Stockholm 1762/63), resümierte Jacquin seinen ersten Eindruck. Linné habe sich zu sehr beeilt, dementsprechend enthalte das Buch zu viele typographische und inhaltliche Fehler. Er hätte sich besser ein Jahr mehr Zeit nehmen sollen – ein Vorwurf, der, wie später zu zeigen sein wird, die Spezifik von Linnés Arbeits- und Publikationsmodus verfehlte. Drei Jahre später, im April 1767, schickte Jacquin dann eine ausführliche Stellungnahme in Form einer Liste mit detaillierten Bemerkungen zu in den Species plantarum aufgeführten Arten.30 Seine Kommentare betrafen einfache Druckfehler, Fehler bei geographischen Standortangaben sowie größere Irrtümer, die Linné bei der Bestimmung einzelner Pflanzen unterlaufen waren : Melittis wachse nicht auf Hängen in Österreich und Westungarn, sondern in den schattigen Wäldern der Donauinseln. Die Colutea perennans, die er, Jacquin, in seinem Hortus Vindobonensis 31 auf Seite 311 beschrieben habe, sei eine vollständig andere Pflanze als die Colutea herbacea ; er habe beide mehrmals lebend gesehen und verglichen. Fehlermeldungen, die komplexere Probleme betrafen, waren oft mit eigenen Beobachtungen angereichert, die wiederum neue Fragen enthalten konnten. So schrieb Jacquin, daß er viele Blüten von zur Gattung der Brownea gehörenden Arten examiniert und in allen, eindeutig, zehn Staubgefäße gefunden habe. Anhand der getrockneten Blüte, die er Linné vor einiger Zeit geschickt habe, könne dieser erkennen, daß er, Jacquin, Recht habe. Außerdem diskutierte Jacquin einen Klassifikationsfehler Linnés, auf den er, wie er betonte, bereits in einem früheren Brief hingewiesen hatte, nämlich die Vermengung zweier auf den karibischen Inseln beheimateter Gattungen, der Avicennia und
30 Vgl. die Briefe von Jacquin an Linné, 4. April 1767 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L3903 (7.6.2016) ; 10. April 1767, http://linnaeus.c18.net/Letter/L5437 (7.6.2016). Die im folgenden paraphrasierten Passagen stammen aus dem zweiten der beiden Briefe (http://linnaeus.c18.net/Letter/L5437, 1). 31 Nikolaus Joseph Freiherr von Jacquin : Hortus botanicus Vindobonensis, seu plantarum rariorum quae in horto botanico Vindobonensi coluntur icones coloratae et succinctae descriptiones, 3 Bde., Wien 1770–1776.
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der Bontia.32 Linné habe den schwerwiegenden Fehler im Appendix zu seinen Genera plantarum zwar angemessen korrigiert, so Jacquin, doch solle er jetzt die Gattungsdefinition von Bontia grundsätzlich überarbeiten. Jacquin ging also offenbar davon aus, daß eine Neuauflage von Linnés Pflanzenverzeichnissen erscheinen und einen korrigierten Eintrag zur Bontia enthalten werde. Als Jacquin 1767 seine oben zitierte Fehlerliste verfaßte, waren von Linnés Systema naturae zwölf, von seinen Genera plantarum sechs und von seinen Species plantarum zwei Auflagen erschienen. In einem nächsten Schritt wird diese iterativ konzipierte Publikationsstrategie mit Linnés Gebrauch des naturhistorischen Informationssystems zu korrellieren sein. Während nahezu jeder Naturhistoriker des 18. Jahrhunderts mit Gleichgesinnten korrespondierte, war es Linné, der das Potential des Mediums Korrespondenz maximal zu nutzen wußte. Systematisch holte er Information von verschiedenen Korrespondenten ein und integrierte diesen Ertrag, mit namentlicher Nennung des jeweiligen Informanten, in seine Schriften. Nicht nur beiläufig und gelegentlich, sondern kontinuierlich und systematisch, was dem Arbeitsprozeß einen kollaborativen und der daraus resultierenden Autorschaft einen kollektiven Charakter verlieh.33 Auf Jacquins Fehlermeldungen zu den Species plantarum antwortete Linné, indem er seine Irrtümer einräumte, einige Gegenfragen stellte und ankündigte, für welche seiner Publikationen er Jacquins Schriften und Hinweise nutzen werde. Die Bemerkungen zu Casearia und Samyda werde er nicht anzweifeln, denn Jacquin habe diese Pflanzen lebend gesehen, er nicht. Der Fehler, der ihm, Linné, in Bezug auf Triopteris unterlaufen sei, springe in der Tat ins Auge. Außerdem habe er viele von Jacquins Arten in den zweiten Band der zwölften Auflage seines Systema naturaes aufgenommen, dessen Manuskript er vor kurzem in den Druck geschickt habe. Denn als er an der zweiten Auflage der Species plantarum (1762/63) gearbeitet habe, sei er noch nicht im Besitz von Jacquins Selectarum stirpium Americanarum historia (1763) gewesen. Darüber hinaus habe er, ebenfalls im Systema, Synonyme aus Jacquins verschiedenen Schriften ergänzt.34
32 Vgl. den Brief von Jacquin an Linné, 10. April 1767, http://linnaeus.c18.net/Letter/L5437, 1 (7.6.2016) . 33 In Bezug auf Albrecht von Haller vgl. Dietz, Making Natural History, 34–37 ; Lienhard, »La machine botanique«. 34 Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 3. Mai 1767, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 87–89 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3913 (7.6.2016).
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II.2 Aggregieren und Iterieren
Viele Botaniker stellten Linné im Lauf der Jahre Informationen zur Verfügung, aber Jacquins Beiträge in Form von Samen und Pflanzenpräparaten, zahllosen Antworten auf brieflich gestellte Fragen, Fehlermeldungen, Abbildungen sowie Material aus seinen publizierten und unpublizierten Schriften erreichten quantitativ und qualitativ eine Dimension, die einerseits den akkumulierenden und aggregierenden Charakter von Linnés Vorgehensweise und andererseits die Wechselseitigkeit des Datenstroms deutlich werden läßt. Es war zuerst Jacquin, der von sich aus anbot, Linné könne auf Material aus seiner entstehenden Naturgeschichte mittelamerikanischer Pflanzen zugreifen. In einem Brief vom Februar 1760 schlug er vor, Linné solle die zehnte Auflage des Systema naturae um einen Appendix ergänzen, in dem er auf die Vielzahl der von Jacquin gesammelten und zur Publikation vorbereiteten Pflanzen verweise.35 Der Informationswert des Systema ließe sich auf diese Weise beträchtlich steigern.36 Linné griff diese Idee auf. Er plane, so antwortete er, bereits einen Anhang zum dritten Band, in den er alles aufnehmen wolle – etwa 200 Tiere und 100 Pflanzen – was er selbst seit Erscheinen des ersten Bandes beobachtet habe.37 Als weitere Ergänzung könne Jacquin an dieser Stelle, unter eigenem Namen, diejenigen Tiere und Pflanzen auflisten, die er für seine eigenen anstehenden Publikationen beschrieben habe.38 Zwar wurde der dritte Band der zehnten Auflage nie veröffentlicht, was diese Abmachung hinfällig werden ließ, aber schon ein Jahr später machte Linné Jacquin ein ähnliches Angebot für die nächste geplante Auflage. Falls Jacquin noch in diesem Jahr, 1761, sein Buch zur mittelamerikanischen Flora herausbringe, solle er dort unbedingt die genauen Merkmale von dreißig seiner neuen Gattungen angeben. So könne er, Linné, alle dreißig anschließend in sein System einfügen und dort auf Jacquins Publikation verweisen. Anderenfalls bliebe nur die ungünstigere Alternative,
35 Jacquins Veröffentlichungen zur mittelamerikanischen Flora, Enumeratio systematica plantarum und Selectarum stirpium Americanarum historia, erschienen 1760 und 1763. 36 Vgl. den Brief von Jacquin an Linné, 20. Februar 1760 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2682, 1–3, 3 (7.6.2016). 37 Die zehnte Auflage von Linnés Systema naturae erschien in zwei Bänden (1758–1759). Der dritte Band zur Mineralogie wurde nicht veröffentlicht. 38 Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 17. März 1760, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 26–29, 28 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2696 (7.6.2016).
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Jacquins Gattungen im Anhang anzuführen.39 Jacquin, der auf ein Erscheinen seiner Selectarum stirpium Americanarum historia im Herbst 1762 hoffte, fragte zurück, ob sich die Drucklegung der nächsten Auflage des Systema naturae und der Species plantarum nicht vielleicht solange verschieben ließe, bis seine Historia erschienen sei. Denn dann könne Linné alle dort aufgeführten neuen Arten in seine Schriften übernehmen.40 Beide Botaniker scheinen sich über die Vorteile einer derartigen Kooperation einig gewesen zu sein. Das Geben und Nehmen von Information verlief reibungslos. Deutlich wird außerdem, daß in der Botanik des 18. Jahrhunderts eine Publikationsstrategie und ein entsprechendes Modell wissenschaftlicher Autorschaft entstanden, in denen sich der kollaborative Charakter ihres Wissensbildungsprozesses reflektiert. Anhand der Sequenz von Neuauflagen des Systema naturae, der Species plantarum und der Genera plantarum wird abschließend die Spezifik dieser Form des Publizierens näher zu untersuchen sein. Auf Jacquins Bitte um Verschiebung des Publikationstermins der Species plantarum antwortete Linné im Februar 1762, der Druck habe bereits begonnen, so daß er leider nicht länger warten könne. Worum er aber dennoch bitte, seien die Namen der in den Illustrationen zur Selectarum stirpium Americanarum historia abgebildeten Pflanzen, so daß er wenigstens einige davon zitieren könne.41 Jacquin schickte trotz dieser Terminwarnung eine Reihe von Stichen, die Linné, sofern noch möglich, auswertete. Im Mai 1762, als der Druck der Species plantarum schon relativ weit fortgeschritten war, bat Linné Jacquin dann seinerseits, ihm die Merkmale der Gattung Clypeola mitzuteilen. Da Clypeola erst in etwa fünf bis sechs Wochen an der Reihe sei, bitte er Jacquin inständig, ihm doch bitte schnellstmöglich zu antworten, dann könne die Information noch aufgenommen werden.42 Linné gelang es, sich als Zentrum dieses kontributiven Wissensbildungsprozesses zu positionieren. Das war angesichts des exponentiellen Wachstums bekannt werdender Arten und des daraus resultierenden Beobachtungsauf39 Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 20. März 1761, ebd., 40–43, 42 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2889 (7.6.2016). 40 Vgl. den Brief von Jacquin an Linné, 27. Januar 1762 ; Faksimile des Originals http://lin naeus.c18.net/Letter/L3025, 1–4, 3 (7.6.2016). 41 Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 26. Februar 1762, in : Caroli Linnaei epistolae ad N.J. Jacquin, 50–52, 51f.; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3037 (8.6.2016). 42 Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 8. Mai 1762, ebd., 55f., 55 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3075 (8.6.2016).
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wandes die notwendige Voraussetzung dafür, daß seine systematischen Schriften kontinuierlich fortgeschrieben und aktualisiert werden und damit über Jahrzehnte den Status eines Zentralregisters der Naturgeschichte behaupten konnten. Bereits im Vorwort zur zweiten Auflage der Species plantarum forderte Linné seine Leser dazu auf, ihm Pflanzen zuzuschicken, die darin noch nicht enthalten waren. Er werde sie bestimmen und, mit anerkennender Erwähnung des Senders, in die nächste Auflage aufnehmen. Außerdem appellierte er an sein Publikum als Korrekturinstanz. Diejenigen Pflanzen seien mit einem Kreuz gekennzeichnet, die er nicht ausreichend habe untersuchen können oder von denen er nur ein mangelhaftes Exemplar besitze. Wer könne, solle sie präziser bestimmen.43 Ein ähnlicher Aufruf, der die kollaborative Struktur des botanischen Projekts unterstreicht, ist der sechsten Auflage der Genera plantarum vorangestellt. Auch hier lenkte Linné die Aufmerksamkeit auf diejenigen Schwachstellen, an denen weitere Beobachtungen seitens der Leser als Korrektiv erforderlich waren : »Doch habe ich sorgfältig unterschieden. Da, wo ich die Pflanze in der Natur selbst zu untersuchen Gelegenheit gehabt hatte, habe ich ein Sterngen * hinzugesetzt ; wo ich nur getrocknete Pflanzen haben konnte, stehet ein Kreuz, wo ich nichts gesehen habe, sondern mich auf Schriftsteller verlassen mußte, und auf ihre besten Zeichnungen, stehet kein Zeichen.«44
Der Leser sollte dort tätig werden, wo der Autor an seine Grenzen gestoßen war. Er wurde involviert, sogar in das Erstellen von Gattungsdefinitionen, deren Genauigkeit und Korrektheit für das effiziente Funktionieren von Linnés Methode von zentraler Bedeutung waren. Diese Definitionen waren das Resultat eines minutiösen Abgleichs aller unter eine Gattung subsummierten Arten, aus dem dann eine Zusammenstellung der diesen Arten gemeinsamen, klassifikatorisch relevanten Merkmale resultierte.45 Ebenfalls im Vorwort zur 43 Vgl. Linné, Species plantarum, Vorwort (Lectori), unpag. Zu lokaler Kompetenz als einer Qualifikation, die zur Teilnahme am akkumulierenden Wissensbildungsprozeß der Naturgeschichte berechtigte, vgl. Dietz, Making Natural History ; Susan Scott Parrish : American Curiosity. Cultures of Natural History in the Colonial British Atlantic World, Chapel Hill 2006. 44 Carl von Linné : Gattungen der Pflanzen und ihre natürlichen Merkmale nach der Anzahl, Gestalt, Lage und Verhältniß aller Blumentheile, nach der 6. Auflage übersetzt von Johann Jakob Planer, Gotha 1775, Einleitung, § 20 (unpag.). 45 Zum Stellenwert der Gattungen in Linnés Systematik und zum Verfahren des Etablierens
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sechsten Auflage der Genera plantarum definierte Linné diesen Ablauf als eine langwierige, nur durch viele zu bewerkstelligende Sequenz von Korrekturen. Da es für einen einzelnen Gelehrten unmöglich sei, alle Arten zu Gesicht zu bekommen, müsse die Aufgabe auf viele verteilt werden. Wer auch immer die Gelegenheit habe, mehrere Arten (einer Gattung) vergleichend zu analysieren, solle diejenigen Merkmale, in denen sie nicht alle übereinstimmten, aus der Gattungsdefinition streichen, damit spätere Generationen endlich ein vollständiges Werk erhielten.46 Linnés System der Natur war ein langfristig und kollaborativ konzipiertes Unterfangen. 1763, vier Jahre nach dem Erscheinen der zehnten Auflage des Systema, skizzierte Linné in einem Brief an Jacquin seine Publikationspläne für die nähere Zukunft. Er betonte, wie sehr er sich für Jacquins Arbeit interessiere und wie dringend er auf dessen Gattungsmerkmale amerikanischer Pflanzen angewiesen sei für eine neue, sechste Auflage seiner Genera plantarum (1764). Er werde dieses Projekt in Angriff nehmen, sobald die zweite Auflage der Species plantarum (1762–1763) abgeschlossen sei. Danach habe er vor, den zoologischen und den mineralogischen Teil des Systema ein weiteres Mal zu überarbeiten.47 Kaum war also eine seiner Schriften in Neuauflage erschienen, zeichnete sich schon die Notwendigkeit einer Überarbeitung und Ergänzung ab. Neue Bücher waren in der Zwischenzeit auf den Markt gekommen, aus denen neue Arten und Gattungen exzerpiert, überprüft und an passender Stelle eingearbeitet werden mußten. Von seinen reisenden Schülern und zahllosen Korrespondenten erhielt Linné kontinuierlich getrocknete Pflanzen und Samen, die bestimmt bzw. erst ausgesät und dann bestimmt werden mußten, bevor auch sie zur Einarbeitung anstanden. Gleichzeitig generierte die Korrespondenz einen anhaltenden Zustrom von Fehlermeldungen und Informationen. von Gattungsdefinitionen, s. Müller-Wille, Botanik, 67–87 ; Sten Lindroth : The Two Faces of Linnaeus, in : Tore Frängsmyr (Hg.) : Linnaeus. The Man and his Work, Berkeley u. a. 1983, 1–62, 28 ; Stearn, Introduction, 36–43 ; zu Linnés Gebrauch der Begriffe character naturalis, character factitius und character essentialis s. ebd., 84. 46 Vgl. Linné, Genera plantarum (6. Aufl.), Vorwort, unpag., §20 : »Cumque non uni detur homini omnes videre Species, debet ille, qui plures videt, notasque in istis differentes observat, has in charactere excludere, ut tandem posteri absolutos videant labores.« (»Da es nicht einem Menschen vergönnt ist, alle Arten mit eigenen Augen zu sehen, muß derjenige, der mehrere zu sehen bekommt und an ihnen differierende Merkmale beobachtet, diese aus dem Charakter streichen, damit schließlich spätere [Generationen] vollständige Arbeiten erhalten.«). 47 Vgl. Brief von Linné an Jacquin, 28. Januar 1763, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 63–65, 65 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3189 (8.6.2016).
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Angesichts dieser Situation entwickelte Linné eine Publikationsstrategie, die erlaubte, dem konstanten Aktualisierungsdruck Rechnung zu tragen.48 In einem Brief an Jacquin vom April 1764 findet sich die folgende Schlüsselpassage, in der Linné sein Konzept erklärt : »Ich habe Dein Werk mehrmals, so aufmerksam wie möglich, durchgearbeitet, und meine Schriften, wo immer ich konnte, entsprechend verbessert. Auf Fehler […] habe ich nicht geachtet, sondern nur auf das, was die Wissenschaft fördert. Seit einiger Zeit nämlich habe ich an mir selbst gesehen, daß der Mensch sich vergeblich daran abmüht, eine in jeder Hinsicht vollständige Publikation vorzulegen […]. Jeder Botaniker versucht […] so viel er kann zur Vermehrung des Wissens zusammenzutragen, dann wird die Botanik florieren. Die Bienen sammeln aus den Blüten Honig, die Wespen Gift. Ich lese in und sammle aus den Schriften nur das, was sie mir an Nützlichem zu enthalten scheinen […].«49
Die herkömmliche Form des Publizierens war für naturhistorische Werke von umfangreichem regionalem, geschweige denn globalem Erfassungsanspruch nicht geeignet. Projekte dieser Größenordnung, v. a. aber Linnés eigene Arbeiten, waren weder von einem einzelnen Gelehrten noch in einer einzigen bzw. einmaligen Publikation zu bewältigen. Denn das hätte bedeutet, einen Text, wenn überhaupt, erst nach einem langen Prozeß der Korrektur und Erweiterung in einem doch immer nur kurzlebigen Zustand der Aktualität auf den Markt zu bringen : spät, selten (im Fall von Neuauflagen) oder schlimmsten48 Auch andere Botaniker und Naturhistoriker bedienten sich dieser Strategie, aber keiner im selben Ausmaß wie Linné. Zu John Ray und Albrecht von Haller s. Kapitel 1 Regionale Botanik als kollaboratives Projekt. Dillenius brachte beispielsweise schon ein Jahr nach dem Erscheinen seiner Flora der Stadt Gießen eine zweite Ausgabe heraus, die um in der Zwischenzeit neu entdeckte Pflanzen erweitert war (Johann Jacob Dillenius : Catalogus plantarum circa Gissam sponte nascentium […], Frankfurt 1718 ; ders.: Catalogus plantarum sponte circa Gissam nascentium ; cum appendice, qua plantae post editum Catalogum, circa & extra Gissam observatae recensentur, specierum novarum vel dubitarum descriptiones traduntur, genera plantarum nova figuris aeneis illustrata describuntur […], Frankfurt 1719) ; auf Jakob Theodor Kleins 1750 erschienenen »Anfang« einer Naturgeschichte der Vögel folgte 1760 eine »verbesserte und vollständigere« Ausgabe (Jacob Theodor Klein : Historia avium prodromus […], Lübeck 1750 ; ders.: Verbesserte und vollständigere Historie der Vögel, Danzig/Leipzig 1760). 49 Brief von Linné an Jacquin, 1. April 1764, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 74–76, 74 (meine Übersetzung des lateinischen Originals) ; Faksimile des Originals http:// linnaeus.c18.net/Letter/L3397 (25.10.2016).
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falls nie. Linné wählte einen anderen Weg. Statt spät und selten, publizierte er früh und oft.50 Trotz seiner strikten Präzisionsstandards sah Linné eine gewisse Menge an Fehlern als unvermeidlich an. Es war in seinen Augen für den Fortschritt der Naturgeschichte von primärer Notwendigkeit, daß neu entdeckte Arten und neu definierte Gattungen möglichst bald veröffentlicht wurden, um für die Arbeit anderer Gelehrter zur Verfügung zu stehen.51 Notwendig war darum auch die Bereitschaft, naturhistorische Publikationen selektiv zu lesen : einerseits nützliche Information aufzugreifen, andererseits Fehler zu suchen und, gegebenenfalls, Fehlermeldungen an die betreffenden Autoren zu schicken. Linné war beispielsweise außerordentlich an den botanischen und zoologischen Schriften des zunächst in Idrija (Slowenien) ansässigen Naturhistorikers Giovanni Antonio Scopoli interessiert.52 Obwohl er direkten Kontakt zu Scopoli pflegte, versuchte er immer wieder, auch von Jacquin Nachrichten über den Status quo von dessen Arbeit zu erhalten. Jacquin, den dieses anhaltende Interesse an der Produktion eines in seinen Augen wenig bedeutenden Gelehrten irritierte, machte Linné mehrmals auf dessen Fehler aufmerksam sowie auf die Tasache, daß Scopoli anfänglich nicht mit Linnés Methode gearbeitet hatte. Woraufhin Linné erklärte, daß er keinen Wert auf bedingungslose Anhängerschaft lege, und daß Meinungsverschiedenheiten im einzelnen ihn nicht davon abhielten, das Nütz50 Diesem Zweck diente auch die von Verfassern regionaler und lokaler Floren angewandte Technik, möglichst früh eine erste enumeratio (Auflistung) oder einen catalogus zu publizieren, auf die dann einige Jahre später eine ausgearbeitete und vollständigere Version folgte. Vgl. zum Beispiel die im ersten Kapitel diskutierte Sequenz von Hallers Publikationen zur Flora der Schweiz ; oder auch Jean François Séguier : Catalogus plantarum quae in agro Veronensi reperiuntur, Verona 1745 ; ders.: Plantae Veronenses seu stirpium quae in agro Veronensi reperiuntur methodica synopsis, 3 Bde., Verona 1745–54. 51 In diesem Sinne trieb er beispielsweise Jaquin nach dessen Rückkehr aus der Karibik zur Eile an oder beklagte, daß die Sammlungen des auf Expedition verstorbenen Pehr Forsskål zwar an den norwegischen Naturhistoriker Peder Ascanius gelangt, aber trotzdem für die Wissenschaft so gut wie verloren seien. Denn, so seine Befürchtung, Ascanius werde sie wohl nie publizieren. Vgl. Brief von Linné an Jacquin, 20. März 1768, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 92f.; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L4050 (8.6.2016). 52 Vgl. die dreißig Briefe umfassende Korrespondenz zwischen Linné und Scopoli aus den Jahren 1760 bis 1775, http://linnaeus.c18.net/texts. Zu Linnés Lebzeiten erschienen von Scopoli : Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in classes naturales. Cum differentiis specificis, synonymis recentiorum, locis natalibus, nominibus incolarum […], Wien 1760 (2. Aufl., erweitert und überarbeitet, 2 Bde., Wien 1772) ; Entomologia Carniolica, exhibens insecta Carnioliae […] distributa […] methodo Linneana, Wien 1763.
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liche und Wissenwerte aus den Publikationen eines Autors aufzugreifen. Das gelte auch für Scopoli.53 Linné war bereit, sowohl in seinen eigenen Arbeiten als auch in denen anderer (vorläufige) Imperfektionen zugunsten eines früheren Publikationstermins in Kauf zu nehmen. Vorläufig insofern, als nach dem Erscheinen einer Schrift bereits der nächste Überarbeitungszyklus begann, in den alle inzwischen eingetroffenen neuen Materialien, Fehlermeldungen und Korrekturen einfließen konnten. Vollständigkeit und Korrektheit waren nur durch Kollaboration und Iteration zu erreichen, und das erst in der Zukunft. Linnés Schriften waren evolvable systems,54 deren langfristiger Erfolg aus ihrer strukturellen Wachstumsfähigkeit resultierte. Sie waren in der Lage, der konstanten Expansion naturhistorischen Wissens sowohl taxonomisch als auch praktisch Rechnung zu tragen. Während Linnés klassifikatorische Methode die Stabilität bekannter Taxa trotz des anhaltenden Zustroms noch unbestimmter Pflanzen weitgehend zu garantieren vermochte,55 erlaubte die Strategie des iterativen Publizierens die kontinuierliche Ergänzung des Systems. In diesem Sinne liest sich die oben zitierte Passage aus dem Vorwort zur sechsten und letzten von Linné selbst bearbeiteten Auflage der Genera plantarum wie ein testamentarisches Vermächtnis an kommende Botanikergenerationen. Nur wenn die von ihm, Linné, selbst initiierten Erweiterungs- und Korrekturzyklen fortgeführt würden, könne irgendwann ein vollständiges Werk entstehen. Und tatsächlich erfuhren die Genera plantarum, die Species plantarum sowie das Systema naturae auch noch Jahrzehnte nach Linnés Tod erweiterte Neuauflagen unter der Federführung unterschiedlicher Botaniker. Johann Friedrich Gmelin, Professor an der Universität Göttingen, brachte zwischen 1788 und 1793 die erste posthume Edition des Systema naturae heraus, die zugleich die letzte in lateinischer Sprache war.56 Wie aus seiner Einleitung deutlich wird, hatte sich das Systema in der Praxis als das eine Zentralregister etabliert, das alles verzeichnete, was bekannt war. Er habe es 53 Vgl. den bereits zitierten Brief von Linné an Jacquin, 1. April 1764, in : Caroli Linnaei epistolae ad N. J. Jacquin, 74–76, 75. 54 Der Begriff stammt von Clay Shirky : In Praise of Evolvable Systems. Why Something as Poorly Designed as the Web Became The Next Big Thing, and What that Means for the Future (1996), http://www.shirky.com/writings/herecomeseverybody/evolve.html (23.2.2016). 55 Zu diesem wesentlichen Aspekt s. Müller-Wille, Botanik, 78–81. 56 Carl von Linné : Systema naturae per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera […] editio decima tertia, aucta, reformata ; cura Jo. Frid. Gmelin, 3 Bde., Leipzig 1788–1793 ; eine weitere, textgleiche Auflage erschien in Leiden 1789–1796.
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darum für notwendig und sinnvoll gehalten, die in den zwanzig Jahren seit dem Erscheinen der zwölften Auflage (1766–1768) neu entdeckten und in der naturhistorischen Literatur beschriebenen Tiere, Pflanzen und Mineralien in diese Vorlage einzuarbeiten.57 Gmelins Neuauflage gab der internationalen Dynamik des Ergänzens, Korrigierens und Aktualisierens neue Impulse. 1792 erschien eine Übersetzung des ersten, der Zoologie gewidmeten Bandes ins Englische, erweitert um zahlreiche Funde aus der neuesten Literatur.58 1794 folgte darauf bereits eine weitere, grundsätzlich überarbeitete englische Übersetzung aller Gmelinschen Bände ; längst nicht die letzte ihrer Art, aber die letzte, die hier die aggregierende und iterative Dynamik dokumentieren soll, aus der Linnés Publikationen – auch noch nach seinem Tod – hervorgingen. Der Titel dieser Koproduktion lautet in vollständiger Form : A genuine and universal system of natural history ; comprising the three kingdoms of animals, vegetables, and minerals, arranged under their respective classes, orders, genera, and species ; by the late Sir Charles Linnaeus […] improved, corrected and enlarged by J. Frid. Gmelin […] faithfully translated, and rendered more complete by the addition of Vaillant’s beautiful birds of Africa ; the superb fish of Mark Eliezer Bloch ; the amphibious animals, reptiles, insects, &c., in the costly works of Albertus Seba, Merian, Fabricius, Knorr, &c.; the elegant improvements of the Compte de Buffon, and the more modern discoveries of the British navigators in the South Pacific Ocean, New Holland, New South Wales, China, Cochin-China, &c […] ; vol. 1–3 prepared by Ebenezer Sibly, and after his death methodically incorporated and arranged by the Editors of the Encydopaedia Londinensis.59
57 Siehe ebd., Vorwort, X. 58 The Animal Kingdom, or Zoological System of the celebrated Sir Charles Linnaeus […] being a translation of that part of the Systema naturae, as lately published with great improvements by Professor Gmelin […] together with numerous additions from more recent zoological writers […] by Robert Kerr, London 1792. 59 14 Bde., London 1794–1810 ; zu weiteren Übesetzungen und Auflagen s. Basil H. Soulsby : A Catalogue of the Works of Linnaeus (and Publications More Immediately Relating Thereto) Preserved in the Libraries of the British Museum (Bloomsbury) and the British Museum (Natural History) (South Kensington), 2. Aufl., London 1933, 16–21.
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I II. Interdependenz und Vertrauen
Nicht jeder Botaniker konnte jede Pflanze, über die er schrieb, tatsächlich mit eigenen Augen gesehen haben. Dazu war bereits die Anzahl der für eine regionale Flora zu erfassenden Pflanzen zu groß. Bestenfalls ließen sich Samen einer gesuchten Pflanze über die Korrespondenz beschaffen, um sie dann, im eigenen Garten oder Gewächshaus aufgezogen, selbst inspizieren zu können. Aber auch das gelang längst nicht immer, so daß Autoren entweder auf getrocknete Exemplare oder auf Beschreibungen, Illustrationen, Beobachtungen und Erinnerungen anderer zurückgreifen mußten. Der botanische Arbeitsprozeß war fundamental auf das Akquirieren von Beiträgen vieler angewiesen. Wie aber ließ sich feststellen, ob die so gewonnenen Informationen auch verläßlich waren ? Die Botanik des 18. Jahrhunderts arbeitete deskriptiv und akkumulativ. Für das Funktionieren ihrer kollaborativen Arbeitsweise war die botanische Gemeinschaft als ganze nicht nur auf die Reziprozität, sondern ebenso sehr auch auf die Zuverlässigkeit der ausgetauschten Informationen angewiesen. Die daraus resultierende Interdependenz ließ ein Ethos der Vertrauenswürdigkeit entstehen, das im folgenden aus den epistemologischen und praktischen Notwendigkeiten des botanischen Wissensbildungsprozesses hergeleitet wird.1 Zu diskutieren ist, wie in verschiedenen Konstellationen, auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene, Vertrauen gewonnen und getestet bzw. enttäuscht und gebrochen wurde, welche Konsequenzen daraus sowohl für die Betroffenen als auch die botanische Gemeinschaft als ganze resultierten, und schließlich, welche Rolle Vertrauen in das Zeugnis anderer in der botanischen Praxis einzelner Gelehrter spielte. 1 Ann Goldgar argumentierte in ihrer bekannten Studie zur Gelehrtenrepublik im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert anders. Die Frage, warum die Republic of Letters die Reziprozität von Diensten und Leistungen kultivierte, beantwortete sie mit der identitätsstiftender Funktion dieser Praxis für alle Mitglieder und Zugehörigkeitsaspiranten. Vgl. Ann Goldgar : Impolite Learning. Conduct and Community in the Republic of Letters, 1680–1750, New Haven 1995 (besonders Kapitel 1 Philosophical Transactions. The Republic of Letters as Community of Obligation, 12–53) ; s. außerdem Shapin, Social History of Truth ; Ute Frevert (Hg.) : Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003 ; zu Vertrauen aus soziologischer und philosophischer Perspektive in Auswahl s. Niklas Luhmann : Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 1968 ; Martin Hartmann : Die Praxis des Vertrauens, Berlin 2011.
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III.1 Reziprozität
Zeitgenossen beschrieben Johann Jakob Dillenius als einen extrem fleißigen, sorgfältigen, nahezu arbeitswütigen Gelehrten, der, ohne familiäre Verpflichtungen, seine gesamte Lebenszeit der Botanik widmete. Gegen in der gelehrten Korrespondenz übliche Floskeln des Ehrerweises hegte er eine Aversion, die er seinen Briefpartnern auf für die Zeit ungewöhnlich direkte Weise mitteilte.2 Trotz seiner introvertierten, zuweilen auch abweisenden Art war er von einem kleinen Kreis langjähriger Bekannter umgeben, mit denen er korrespondierte, botanische Exkursionen unternahm und eng zusammenarbeitete. Anhand dieses Zirkels um Dillenius soll einleitend untersucht werden, wie man im Rahmen lokaler und regionaler botanischer Kooperation Vertrauen erwarb und verlor. Neben dem oben bereits eingeführten William Sherard war Richard Richardson, ein wohlhabender Arzt und Botaniker, der zweite omnipräsente Partner in Dillenius’ Arbeits- und Schreibprozeß. Richardson hatte auf der Suche nach seltenen Pflanzen mehrere Reisen durch England, Wales und Schottland unternommen, unterhielt auf seinem Anwesen in Bierley (bei Bradford in Yorkshire) einen ansehnlichen botanischen Garten und förderte weniger vermögende Sammler wie beispielsweise Samuel Brewer, ein weiteres Mitglied des Dillenius-Kreises, von dem in Kürze die Rede sein wird. Obwohl aus seiner botanischen Praxis keine Publikationen hervorgingen, hatte er sich durch seine Exkursionen, seinen Garten und sein Mäzenatentum einen Namen gemacht, der vor allem auf seinem Status als regionaler Experte beruhte. Richardson zeichnete sich dadurch aus, daß er das, was er wußte und an Material besaß, großzügig mit denjenigen teilte, für deren Arbeit diese Information von Bedeutung war. Bevor Dillenius und der oben erwähnte Brewer im Sommer 1726 auf eine zweimonatige Sammelreise durch Wiltshire, Shropshire und Wales aufbrachen, hatte ihnen Richardson beispielsweise detaillierte Notizen zu Fundorten derjenigen Pflanzen geschickt, die er selbst auf seinen botanischen Exkursionen dort gesehen hatte. Auf diese Weise ließen sich bereits bekannte Pflanzen bequem wiederfinden, wenn weitere Exemplare benötigt wurden oder wenn, was nicht selten geschah, ein Gartenexemplar eingegangen bzw. ein unkenntlich gewor2 Zum Beispiel verwahrte sich Dillenius in einem Brief an Linné gegen »empty titles« (Brief von Dillenius an Linné, 10. Februar 1746, in : Smith, Selection, Bd. 2, 127–129, 128 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0688, 24.10.2016).
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denes Herbarexemplar ersetzt werden mußten. Richardsons Standortangaben erwiesen sich als präzise und verläßlich. Eine Pflanze, von der er behauptete, sie wachse an einem bestimmten Ort, war mit Hilfe seiner Angaben in der Regel dort anzutreffen ; wovon Dillenius um so mehr profitierte, da er für seine entstehende Historia muscorum nach Moosen Ausschau hielt, die er sonst mühsam hätte suchen müssen. Ausnahmen von dieser Regel waren es wert, in dem detaillierten Exkursionsbericht, den Dillenius unmittelbar nach seiner Rückkehr an Richardson schickte, erwähnt zu werden : »The place for Polygonum maritimum longius radicatum […] is but two or three miles off from thence ; and we could not miss it, being of not a large extent, but searched in vain.«3 Richardson hatte sich als vertrauenswürdiger Informant bewährt, und Dillenius vergalt Gleiches mit Gleichem. Sein über zehn Druckseiten langer Bericht präsentiert sich als Auflistung von Pflanzen und ihren detailliert beschriebenen Standorten – »over against Brent-Down, on a rocky hill, where Uphill Church stands«4 oder »towards Llanydlos, in the hedges«5 – und erlaubte Richardson und anderen, die diese Informationen erhielten, die besagten Pflanzen wiederzufinden bzw. an diesen Orten noch unbekannte Pflanzen zu entdecken. Dillenius beschrieb Richardson sogar eine Region nahe der walisischen Küste, zwischen den Städten Dolgellau und Caernarfon, die er für den vielversprechendsten Fundort von noch nicht in der botanischen Literatur beschriebenen Moosen hielt. Nur anhaltend schlechtes Wetter habe ihn und Brewer daran gehindert, dort die erhoffte Beute zu machen.6 Darüber hinaus bot Dillenius Richardson von interessanten Pflanzen je nach Verfügbarkeit auch Ableger oder Samen an : »[…] I gathered seeds of Peucedanum minus, and sent a few by the post to Mr. Sherard’s, who raised them all, where you may have plants next year, or seeds, if you want them ; which I tell you, because I lost the rest of the seeds I gathered there.«7
Die Tatsache, daß Richardson in seiner botanischen Praxis als Sammler, Korrespondent, Mäzen und Besitzer eines Gartens aufging und keine Ambitionen 3 Brief von Dillenius an Richard Richardson, 8. Oktober 1726, in : Dawson Turner (Hg.) : Extracts from the Literary and Scientific Correspondence of Richard Richardson, Yarmouth 1835, 252–264 (letter C), 253f. 4 Ebd., 254. 5 Ebd., 255. 6 Vgl. ebd., 256. 7 Ebd., 254.
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als botanischer Autor hegte, mag das Ausmaß von Dillenius’ Freigiebigkeit gesteigert haben. Doch bleibt es ein signifikanter Vertrauensbeweis, einer mit anderen englischen Botanikern gut vernetzten Person freien Zugriff auf das Objektkapital der entstehenden eigenen Publikation zu gewähren. Nicht auf jedermanns Fundortangaben war gleichermaßen Verlaß, wie eine Bemerkung von Littleton Brown zeigt, der Dillenius und Brewer auf ihrer oben erwähnten Exkursion begleitet hatte und seitdem mit Dillenius in Korrespondenz stand. Brown schrieb 1745, er habe zwei oder gar drei Mal in diesem Jahr versucht, eine Pflanze namens Solidago Sarracenica zu finden, von der ein gewisser Dr. Bowles behauptet habe, sie wachse »between Dudson & Gwarthboro in my neighbourhood.«8 Da er sie trotz sorgfältiger Suche dort nicht habe finden können, vermute er, Bowles habe sie absichtlich ausgerottet, um zu verhindern, daß andere Botaniker in ihren Besitz gelangten. Von Dillenius wisse er ja, daß auch Brewer mit seltenen Pflanzen, die er auf dem Snowdon entdeckt hatte, so verfahren war.9 Wer so handelte, unterminierte nicht nur seine eigene Glaubwürdigkeit, sondern destabilisierte gleichzeitig auch das Prinzip der Reziprozität des Gebens und Nehmens von Information, auf das die Botanik fundamental angewiesen war. Vertrauen erwarb, wer im Austausch mit anderen Individuen nach bestem Wissen und Gewissen dem eigenen Informationsstand entsprechende Aussagen machte. Vertrauen verspielte nicht nur, wer einem anderen Botaniker Information verweigerte, sondern auch, wer der Botanikergemeinde als ganzer Information vorenthielt und dabei ertappt wurde. Richardsons Antwort auf Dillenius’ Exkursionsbericht liefert weitere Hinweise darauf, wie er sich als regionaler Experte und in dieser Eigenschaft als Vertrauensperson profilierte. Fundorte, die Dillenius zum Teil mit Hilfe von Richardsons Angaben, aber doch als Ortsfremder lokalisiert hatte, präzisierte Richardson erneut, und zwar nicht nur unter Berufung auf seine eigene Ortskenntnis, sondern auch durch das Abgleichen mit Beschreibungen anderer Botaniker, die er aus seiner Korrespondenz extrahierte. Auf diese Weise entstanden komplexe Standortverifikationen, die nur produzieren konnte, wem andere genug relevante Information anvertraut hatten und wer gleichzeitig bereit war, diese Information mit anderen zu teilen. Zu muscus denticulatus Clusii, einem Moos, schrieb Richardson beispielsweise : 8 Brief von Littleton Brown an Dillenius, 8. Oktober 1745, in : Druce, Dillenian Herbaria, lxxvi f., lxxvii. 9 Siehe ebd.
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»[…] I never met with any where, but the lanuginosus alpinus is common upon dry walls not above a mile from this place […], which Mr. Lhwyd never could find in Wales, though it is there in every place. I find in one of Sr Hans Sloans letters formerly written to me that he had received it with other plants from the Straits of Magelan.«10
Richardson entwickelte sich auf Grund des Vertrauens, das nicht nur Dillenius, sondern auch andere Gelehrte ihm entgegenbrachten, zu einer regelrechten Informationszentrale. So kompilierte er nicht nur eine geographische Übersicht englischer Pflanzen, sondern dokumentierte gleichzeitig auch, wer was wo und wann gefunden hatte. Er war es, der anhand der bei ihm zusammenfließenden Daten bestimmen konnte, wer als Entdecker einer Pflanze zu gelten hatte und welche von Dillenius’ Pflanzen tatsächlich neu waren und welche nicht. So schrieb er ihm beispielsweise : »The Campanula you met with nigh Woster is certainly a nue plant.«11 Aber : »Sphondilium foliis angustioribus the Consul [William Sherard] observed nigh Setle in Craven, and I have observed it in severall places not far from hence and have always found it to be the same.«12 Von Richardsons Freigiebigkeit sticht das Verhalten des im selben Brief erwähnten Robert Wood, Kurator des botanischen Gartens in Edinburgh, um so negativer ab. Richardson erwähnte Dillenius gegenüber, daß ihm Wood getrocknete Pflanzen und Beobachtungen zu schottischen Pflanzen versprochen und dieses Versprechen bislang nicht eingelöst habe.13 Ein endgültiges Urteil über Wood fällte Richardson einige Monate später, als er in einem weiteren Brief an Dillenius erklärte, er rechne nicht mehr mit dem Eintreffen der von Wood versprochenen Sendungen, die er auch mit Dillenius habe teilen wollen.14 Er, Richardson, habe Wood wertvolles Material geschickt, was dieser offenbar vergessen habe. Wood war als Schmarotzer diskreditiert, der nahm, ohne zu geben und dessen leeren Versprechungen nicht zu trauen war, nicht nur vor Richardson selbst, sondern auch vor dessen Korrespondenzpartnern. Wer von diesem Verhalten wußte, wenn er zu Wood Kontakt aufnahm, war gewarnt und sah sich vor. 10 Vgl. den Brief von Richardson an Dillenius, 25. Oktober 1726, ebd., lxxviii–lxxxii, lxxviii. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Vgl. ebd., lxxix. 14 Vgl. den Brief von Richardson an Dillenius, 26. Dezember 1727, ebd., lxxxiv f., lxxxv.
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Die Vertrauenswürdigkeit von Botanikern nahm nicht nur Schaden, wenn sie die ihnen zur Verfügung stehenden Pflanzen und Informationen horteten, sondern auch, wenn sich herausstellte, daß sie das, was man ihnen überlassen hatte, zu unlauteren Zwecken verwendeten. Wer einem anderen Botaniker Material aushändigte, mußte sich darauf verlassen können, daß der Empfänger das durch diese Geste in ihn gesetzte Vertrauen nicht mißbrauchte, indem er beispielsweise Pflanzen gegen den Willen des Gebers bzw. ohne vorherige Absprache mit ihm veröffentlichte. Vorkommnisse dieser Art waren verhältnismäßig selten, da der Täter damit rechnen mußte, mit Vertrauensentzug bestraft zu werden, was seine weitere botanische Arbeit extrem erschwert hätte. Wenn es doch zum Affront kam, selbst wenn nur ein Verdacht bestand, waren schwere Zerwürfnisse die Folge, die über den Täter und den Geschädigten hinaus auch deren botanische Netzwerke involvierten. Dillenius wurde zum Opfer eines derartigen Vertrauensbruchs, als er an einem unveröffentlicht gebliebenen Appendix zu Rays Synopsis15 und seinem Hortus Elthamensis arbeitete. Im Dezember 1727 schrieb er an Samuel Brewer, er hoffe, daß Brewer sonst niemandem von seinen (Dillenius’) neu entdeckten Pflanzen berichtet habe, die für den Appendix der Synopsis vorgesehen seien.16 Daß sich Dillenius dazu veranlaßt sah, Brewer zum Schweigen zu verpflichten, ist ein eher außergewöhnlicher Schritt, der als erster Hinweis darauf gelesen werden kann, daß Dillenius Verrat fürchtete. Dillenius hatte Brewer auf ihrer gemeinsamen Exkursion als einen ausdauernden Sammler schätzen gelernt, mit dem er sich seitdem regelmäßig über botanische Fragen, vor allem über englische Moose austauschte. Dillenius Vertrauen in Brewer war stark genug, um ihn vor gemeinsamen Korrespondenzpartnern in Schutz zu nehmen, als Brewers Verhalten in einer depressiv anmutenden Phase für Irritation sorgte. Im Januar 1727 schrieb Dillenius an Richardson : »I wish with all my heart that he [Brewer] might live and get over this trouble ; for he has done me a great deal of service ; and I am sure I shall never meet with a better searcher, especially for mosses. When we travelled together in Wales, in all the badness and violency of weather and rain, he would stop and pick mosses.«17
15 Zu der von Dillenius herausgegebenen, erweiterten Ausgabe von Rays Synopsis s. oben Kapitel 1 Regionale Botanik als kollaboratives Projekt. 16 Vgl. den Brief von Dillenius an Samuel Brewer, 16. Dezember 1727, in : Druce, Dillenian Herbaria, lxivf., lxiv. 17 Brief von Dillenius an Richardson, 30. Januar 1727, in : Turner, Extracts, 289–291, 290.
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1728 erschien unter dem Titel Historia plantarum rariorum die erste der in fünf Dekaden organisierten Beschreibungen und Illustrationen seltener englischer Pflanzen von John Martyn, die Dillenius als unlautere Konkurrenz zu seinen eigenen Projekten betrachtete.18 In einem Brief an Brewer beschuldigte Dillenius nicht nur Martyn, sondern auch Philip Miller, Leiter des Chelsea Physic Garden, seltene Pflanzen für diese Publikation aus der Korrespondenz von Sherard gestohlen zu haben. Wie sich die zwei Botaniker der an Sherard gerichteten Post bemächtigt haben sollen, wird nicht beschrieben, da Brewer offenbar keiner Erklärung bedurfte. Dillenius berichtete jedenfalls von einer zum Zeitpunkt seines Briefes an Brewer nach wie vor andauernden Praxis, über die er genau Bescheid wisse : »They have gone every where about Mr. Sherard’s correspondence ; and what they could not procure at second-hand, they have got by the third. I could write more of this than the paper will hold.«19
Dillenius beschloß, wie er schrieb, nicht einzugreifen, um stattdessen seine eigenen Beschreibungen von Sherards neuen Pflanzen schnellstmöglich für den Druck fertigzustellen und Martyn und Miller so das Handwerk zu legen. Das Durchsuchen und Plündern von Sherards Korrespondenz – eine Ungeheuerlichkeit, die nicht nur die Etikette gelehrter Kommunikation mit Füßen trat, sondern auch das Kontributionsprinzip – hatte beide in den Besitz von Pflanzen gebracht, die Dillenius für seinen Hortus Elthamensis vorgesehen und an deren Identifizierung und Beschreibung er teilweise schon zu arbeiten begonnen hatte. Es war Miller, in dem Dillenius den eigentlichen Anstifter zu dieser Intrige vermutete.20 Richard Rauthmell, ein weiterer Korrespondent Richardsons, lieferte dazu ein mögliches Motiv. Rauthmell zufolge hatte Miller einige seiner Meinung nach noch nicht bekannte Pflanzen an Dillenius geschickt, von denen Dillenius im Gegenzug erklärte, er kenne sie alle und habe sie bereits beschrieben. Miller habe auf seinem Standpunkt beharrt, es handele sich um neue Pflanzen, was, so Rauthmell, zum Ausbruch eines »botanischen Krieges«21 zwischen beiden geführt habe. Miller, ein zu diesem 18 John Martyn : Historia plantarum rariorum ; centuria 1, decas I–V, London 1728–37. 19 Diese Passage zitierte Brewer in einem Brief an Richardson vom 2. Januar 1728, in : Turner, Extracts, 286–288, 287. 20 Vgl. ebd. 21 Vgl. den Brief von Richard Rauthmell an Richardson, 31. Oktober 1731, ebd., 314–317, 316.
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Zeitpunkt noch relativ unbekannter Autor, der sich mit seinem 1731 zum ersten Mal erschienenen Gardener’s Dictionary einen Namen machen sollte, fiel es offenbar schwer, sich auf botanische Irrtümer hinweisen zu lassen. Martyns und Millers Verhalten wurde, wie die zitierten Briefe erkennen lassen, unweigerlich zum Gegenstand der Korrespondenz, indem Dillenius Brewer, und sowohl Brewer als auch Rauthmell Richardson von der Affäre berichteten. Rauthmell hielt Dillenius’ Vorwürfe gegen Miller für plausibel und führte bekräftigend eine weitere Begebenheit an, die Millers charakterliche Integrität in Frage stellte. Er schrieb an Richardson, daß ein gewisser Lord Petre, Pflanzenliebhaber und Besitzer eines an seltenen Pflanzen reichen Gartens, Miller uneingeschränkt bewundere und keinerlei Zweifel an seiner Kompetenz toleriere. Dieser Lord Petre habe Dillenius als »arrant old woman« bezeichnet, vermutlich unter dem Einfluß Millers, dem Rauthmell die Verleumdung eines renommierten Botanikers zuzutrauen schien.22 Brewer hingegen, Dillenius’ Reisegefährte und Korrespondent, der ihm bislang Pflanzen und Beobachtungen geliefert hatte, und dem Dillenius so weit vertraute, daß er ihm mitteilte, welche von diesen Pflanzen er als neu und damit publikationswürdig erachtete, lief aus nicht rekonstruierbaren Motiven zu Martyn über. Einige seiner neu entdeckten englischen Pflanzen gab er nicht an Dillenius, wie es bislang zwischen beiden üblich gewesen war, sondern an Martyn weiter, in dessen Publikationen sie dann erschienen. In einem seiner letzten Briefe an Brewer, in dem Dillenius von Brewer erhaltene Moose und andere Pflanzen diskutierte und bestimmte, ist beispielsweise von einer Wasserpflanze die Rede, die dann in Martyns Tournefort’s History of plants growing about Paris, einer um englische Pflanzen ergänzten Übersetzung von Tourneforts Pariser Flora, erschien.23 Der Kontakt zwischen den beiden ehemals eng kooperierenden Partnern brach daraufhin ab. Nach seinem Zerwürfnis mit Dillenius strapazierte Brewer noch andere seiner botanischen Kontakte bis an die Belastungsgrenze und isolierte sich auf diese Weise mehr und mehr. James Sherard beschwerte sich 1731 in einem 22 Ebd. 23 Vgl. den Brief von Dillenius an Samuel Brewer, 28. März 1728, in : Druce, Dillenian Herbaria, lxviif. Es handelte sich bei der besagten Pflanze um Elisma natans, die, so Druce, von Brewer zum erstenmal in England entdeckt worden war (ebd. lxviii). Der Volltitel von Martyns Tourneforts Übersetzung lautet : Tournefort’s history of plants growing about Paris ; with their uses in physick, and a mechanical account of the operation of medicines ; translated into English, with many additions, and accommodated to the plants growing in Great Britain, 2 Bde., London 1732.
Mit den Augen anderer
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Brief an Richardson über Brewers inakzeptables Benehmen seit dessen Bruch mit Dillenius.24 Brewer habe von ihm, Sherard, Pflanzen zurückverlangt, die er ihm vorher geschenkt habe ; damit nicht genug, verlange Brewer jetzt von ihm, daß er ihn für diese Pflanzen pekuniär entschädige, obwohl er, Sherard, sie ihm an die gewünschte Adresse geschickt habe. Er weigere sich strikt, diesen unangemessenen Forderungen nachzukommen und weitere Briefe Brewers anzunehmen.25 Wenige Monate später bedankte sich Sherard bei Richardson, ihm Brewer vom Hals geschafft zu haben, von dem er hoffentlich nie wieder hören werde.26 Innerhalb weniger Jahre hatte Brewer wiederholt gegen die Etikette botanischer Praxis verstoßen, indem er erstens seinem Korrespondenzpartner James Sherard Unzuverlässigkeit, gar Unterschlagung unterstellte und ihn damit nicht nur als Person, sondern auch als Botaniker schwer beleidigte. Indem er zweitens in einem auf dem wechselseitigen Bereitstellen von Information und Material beruhenden Kontributionssystem monetäre Forderungen stellte.27 Und, sein schwerwiegendster Fehltritt, indem er wissentlich Information und Pflanzen an Personen weitergab, die damit den Interessen von Dillenius, seinem bislang engsten Partner, schadeten. Wem man beim Tausch von Pflanzen und Information nicht vertrauen konnte, disqualifizierte sich als Mitglied der botanischen Gemeinschaft und wurde ausgeschlossen. Vertrauensentzug sanktionierte Fehlverhalten, das nicht nur einem einzelnen, sondern dem Arbeitsmodus der botanischen Gemeinschaft als ganzer schadete.
III.2 Mit den Augen anderer
Im folgenden soll diskutiert werden, welche Rolle Aussagen von Vertrauenspersonen in der Urteilsbildung einzelner Gelehrter spielten, sowohl was die Einschätzung anderer Botaniker anbetraf als auch im Hinblick auf das Funktionieren des kollaborativen Publikationssystems. Sébastien Vaillant (1669–1722), Professor und sous-démonstrateur des plantes am Pariser Jardin 24 Vgl. den Brief von James Sherard an Richardson, 18. September 1731, in : Turner, Extracts, 312–314, 313. 25 Ebd., 314. 26 Vgl. den Brief von James Sherard an Richardson, 24. Februar 1732, ebd., 317–319, 318. 27 Innerhalb des botanischen und naturhistorischen Tauschsystems spielten Zahlungen meines Wissens nur dann eine Rolle, wenn Korrespondenten füreinander wissenschaftliche Bücher kauften. Siehe dazu Kapitel 4 Botanik als Buchwissenschaft.
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du Roi, dessen Theorie zur Sexualität der Pflanzen Linné beeindruckt und beeinflußt hatte, war in eine Vertrauenskrise geraten, die die Rezeption seiner Werke beeinträchtigte.28 Stein des Anstoßes war sein von prominenten Zeitgenossen als pietätlos bewertetes Benehmen gegenüber seinem Lehrer Joseph Pitton de Tournefort. Vaillant wurde vorgeworfen, seine eigene Beförderung zum sous-démonstrateur des plantes am Pariser Jardin du Roi auf Kosten des dort lehrenden Tournefort betrieben zu haben, dem dieser Posten wegen seines botanischen Renommees und seiner Anciennität zugestanden hätte. Noch schwerer aber wog in den Augen von Vaillants Kritikern ein zweiter Fehltritt. Unmittelbar nach ihrem Erscheinen hatte Vaillant Tourneforts Institutiones rei herbariae (1700) durchgearbeitet und seine Zweifel an der methodischen Vorgehensweise seines Lehrers zu Papier gebracht, allerdings ohne den Text zu veröffentlichen. Erst mehrere Jahre nach Tourneforts Tod ging er damit an die Öffentlichkeit, und zwar im Rahmen eines Vortrags vor der Pariser Académie des Sciences (1721), der anschließend in deren Periodikum abgedruckt wurde.29 Vaillants herablassend formulierte Kritik an Tourneforts Methode, die er dem Betroffenen nicht persönlich und privat mitgeteilt hatte, sondern öffentlich – und posthum – publizierte, wurde als Hybris ausgelegt. Aus den langen Briefen, die sich Linné und Albrecht von Haller in der Frühphase ihrer Korrespondenz schrieben, und die weiter unten in Bezug auf das zwischen Stabilität und Fragilität oszillierende Verhältnis zwischen diesen beiden Botanikern zu diskutieren sein werden, läßt sich der Glaubwürdigkeitsverlust rekonstruieren, den Vaillant infolgedessen erlitt. 1736 hatte Haller Linné seine im selben Jahr erschienene erste botanische Publikation (De methodico studio botanices absque praeceptore) zugeschickt. Linné, der 1735 die botanische Öffentlichkeit mit der ersten Ausgabe seines Systema naturae überrascht hatte und ebenfalls am Anfang seiner botanischen Karriere stand, 28 Vgl. Sébastien Vaillant : Discours sur la structure des fleurs ; leurs différences et l’usage de leurs parties ; prononcé a l’ouverture du Jardin Royal de Paris, le Xe jour du mois de juin 1717, et l’établissement de trois nouveaux genres de plantes […], Leiden 1718 ; zu Vaillant s. Roger L. Williams : Botanophilia in Eighteenth-Century France. The Spirit of Enlightenment, Dordrecht 2001 (Kapitel 1 Sébastien Vaillant and the Sexuality of Plants). Sebastian Kühn stellt Vaillants zentrale botanische Aussage zur sexuellen Fortpflanzung der Pflanzen nicht in Rechnung, wenn er die diesen Vorgang beschreibenden Passagen aus dem Discours sur la structure des fleurs als Indiz einer unter zeitgenössischen Gelehrten verbreiteten Rhetorik der Libertinage betrachtet. Vgl. Kühn, Wissen, Arbeit, Freundschaft, 206–231, 208. 29 Sébastien Vaillant : Remarques sur la méthode de M. Tournefort, in : Histoire de l’Académie Royale des Sciences, année 1722 (1724), 243–264.
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kommentierte den Text umgehend, detailliert, bisweilen auch kritisch. Zweimal ergriff Linné in diesem Brief Partei für Vaillant. Linné warf Haller vor, Vaillant (und Dillenius) ausschließlich zur Illustration botanischer Fehler zitiert zu haben. Aber kein Botaniker, so Linné, könne Fehler vermeiden ; so wenige wie möglich zu machen, müsse vielmehr das Ziel sein. Es sei darum nicht hilfreich, auf den unvermeidbaren Fehlern guter Botaniker herumzureiten, zu denen sowohl Vaillant als auch Dillenius zählten.30 Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie Linné seine Positionsnahme für Vaillant einleitete : nicht etwa direkt mit einer Diskussion oder auch Verteidigung von dessen botanischen Verdiensten, sondern mit dem Hinweis darauf, daß Jussieu (gemeint ist Bernard de Jussieu) und Dillenius seine, Linnés, Freunde seien, während er Vaillant nicht persönlich gekannt habe. Und, so ist die Aussage zu verstehen, wenn ihm Freunde ein negatives Bild von Vaillant zeichneten, habe er Grund, ihnen zu glauben. Jussieu und Dillenius gehörten zum kleinen und exklusiven Kreis derjenigen Gelehrten, deren botanischem Urteil Linné vertraute. Der Treffsicherheit von Dillenius’ botanischen Beobachtungen vertraute er sogar so weit, daß er dessen Synonyme ohne weitere Prüfung in seine eigenen Publikationen übernahm.31 Sowohl Jussieu als auch Dillenius verurteilten Vaillant explizit, sowohl als Person als auch als Gelehrten. Jussieu strafte ihn aus Loyalität zu Tournefort mit damnatio memoriae,32 Dillenius verfolgte ihn in seinem Hortus Elthamensis mit kleinlicher Kritik.33 Angesichts dieser Ablehnung wäre es für Linné nahe gelegen, so seine eigene Argumentation Haller gegenüber, sich der Meinung seiner Freunde anzuschließen. Vaillants Charakter und Verhalten waren, so schrieb Linné an Haller, in der Tat fragwürdig. Er sei : »[…] a man full of himself, ambitious of raising his own fame on the overthrow of his teacher, the honourable and excellent Tournefort. Vaillant was merely demons30 Vgl. den Brief von Linné an Albrecht von Haller aus dem Jahr 1737 (ohne genaues Datum), in : Smith, Selection, Bd. 2, 269–288, 285 ; Volltext des lateinischen Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L0228 (8.6. 2016). 31 Vgl. den Brief von Linné an Haller, 21. Oktober 1746, in : Epistolarum […] ad Hallerum scriptarum, Bd. 2, 305–308, 306f.; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/ L0738. 32 Vgl. den bereits zitierten Brief von Linné an Haller aus dem Jahr 1737 (ohne genaues Datum), in : Smith, Selection, Bd. 2, 269–288, 278. 33 S. ebd. Dillenius wies in seinem Hortus Elthamensis auf diverse botanische Fehler Vaillants hin.
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trator in the Paris garden, and rude in literature. He set himself up against Jussieu, and once laughed Dillenius to scorn.«34
Daß sich Linné in dieser Sache über das Urteil seiner engsten Vertrauten hinwegsetzte, war außergewöhnlich und mußte erklärt werden : »If the authority of the Hortus Elthamensis is to be followed, I should have nothing to do with Vaillant […]. If you [Haller] give due praise to Vaillant, posterity will be just to your memory. In this respect I care not for either a Jussieu or a Dillenius.«35 Linné, der für die iterative Publikation seiner Schriften langfristig und im großen Stil Information von einer Vielzahl internationaler Kontributoren einholte, war mehr als jeder andere Botaniker seiner Zeit darauf angewiesen, dem Urteil anderer zu vertrauen und darum die Vertrauenswürdigkeit seiner Informanten richtig einzuschätzen. Der engste Zirkel derjenigen Botaniker, zu denen Linné ein langjähriges Vertrauensverhältnis unterhielt, war, gemessen an der Zahl seiner Korrespondenzpartner, verhältnismäßig klein, aber wer dazugehörte – Persönlichkeiten wie Dillenius, Haller und Jacquin –, spielte eine tragende Rolle in seinem Arbeitsprozess. Haller, mit dem Linné 1737 zu korrespondieren begann, war, wie oben erwähnt, durch seine erste botanische Publikation (De methodico studio botanices absque praeceptore) und vor allen Dingen durch seine Arbeit an einer Flora der Schweiz für Linné interessant geworden. Linné bat Haller um seine Erstlingsschrift, die er erhielt und für die er als Gegengabe ein Exemplar seiner neu erschienenen Musa Cliffortiana und Critica botanica schickte, zusammen mit einem langen Brief, in dem er klassifikatorische Probleme diskutierte und botanische Fragen stellte.36 Freimütig beschrieb Linné außerdem eigene Schwierigkeiten beim Bestimmen und Klassifizieren verschiedener Pflanzen sowie Fehler, die ihm dabei unterlaufen waren ; und immer wieder holte er Hallers Meinung ein, um Unklarheiten auszuräumen und Fehler zu korrigieren : »I erred respecting the number of stamens in Polygala, from examining the small European species only. Having now seen the African ones, I have acknowledged my mistake in Hort. Cliff. p. 353 […] Fumaria officinalis has three anthers to each stamen. If you find me wrong, pray let me know.«37
34 Brief von Linné an Haller aus dem Jahr 1737 (ohne genaues Datum), in : Smith, Selection, Bd. 2, 269–288, 277. 35 Ebd., 277f. 36 Vgl. den Brief von Linné an Haller (1737, ohne genaues Datum). 37 Ebd., 271.
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Linné präsentierte sich Haller gegenüber weder als allwissend noch als unfehlbar. Um sein akkumulatives Projekt voranzutreiben, versuchte Linné ein Arbeitsverhältnis zu Haller zu etablieren, das ihm brachte, was er brauchte – den Austausch mit einem Botaniker, auf dessen Beobachtungen und Aussagen er sich verlassen konnte, um in seiner eigenen Arbeit Fehler und Verwechslungen zu berichtigen bzw. zu vermeiden. Linné signalisierte Haller seine Bereitschaft, sich von ihm korrigieren zu lassen und antizipierte vice versa dieselbe Haltung. Die Notwendigkeit der langfristigen Selbstkorrektur war für Linné so sehr eine Selbstverständlichkeit, daß er dieselbe Einsicht auch bei Haller voraussetzte, den er entsprechend direkt – »you will not take it amiss that I make a few remarks on your dissertation«38 – mit seinen Fehlermeldungen konfrontierte. So schrieb er beispielsweise : »I entreat you not to make a distinct genus of Chamaebuxus. You certainly would not, had you seen the specimens I have. […] If you do separate it, you will unquestionably alter your mind hereafter.«39 Oder auch : »Pray do not separate Orobanche from the Personatae ; you can find no reason for it in the structure of the flower.«40 Im selben Brief forderte Linné Haller auch dazu auf, die alpinen Arten der Gattung Veronica (Ehrenpreis), die Haller lebend gesehen hatte, möglichst genau zu beschreiben und »to furnish us [Botaniker, Linné eingeschlossen, die diese Pflanzen nicht gesehen hatten ; B. D.] with marks of distinction.«41 Seine Augenzeugenschaft, der Linné von vornherein ein pragmatisches Maß an Vertrauen aussprach, qualifizierte Haller für diese Publikation, verpflichtete ihn gewissermaßen sogar dazu, insofern als er der einzige war, der die Gelegenheit hatte, diese Pflanzen zu sehen. Darüber hinaus, so Linné, wäre er froh, wenn Haller in seiner Schweizer Flora alle Alpenpflanzen mit einem Sternchen markieren würde, damit man sie auf einen Blick erkennen könne.42 Was Linné hier vorschlug, war eine botanische Arbeitsteilung, der zufolge er selbst das systematische Zentralregister einer globalen Pflanzenbestandsaufnahme führte, während andere Botaniker die komplementär erforderlichen Regionalfloren verfaßten, auf die auch er selbst für seine Arbeit angewiesen war. Je verläßlicher die Qualität dieser Teilfloren, desto höher die Qualität des Zentralverzeichnisses. Trotz Hallers Ablehnung von Linnés klassifikatorischer 38 Ebd., 280. 39 Ebd., 271. 40 Ebd., 272. 41 Ebd., 274. Hallers Schrift De Veronicis quibusdam alpinis observationum botanicarum specimen erschien 1737 in Göttingen. 42 S. ebd., 276.
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Methode und Nomenklatur, vertraute Linné seinen botanischen Beobachtungen und integrierte ihn als zentralen Informanten und Referenzautor in sein botanisches Projekt. Konfrontiert mit Linnés unzeremoniösem Gesprächs- und Vertrauensangebot, hatte Haller eine gewisse anfängliche Reserviertheit zu überwinden. »Your letter […] is somewhat adverse to me ; but I am sure that all your remarks proceed from good will, and I have no objection to improve by them.«43 Doch er erwiderte den sachlichen Konversationston, den Linné angeschlagen hatte, übernahm die ihm angetragene Rolle als Spezialist und Informant für Pflanzen aus der Schweiz, insbesondere aus den Schweizer Alpen, und lieferte als solcher Antworten auf Linnés Fragen, beispielsweise nach dem Aufplatzen der Staubgefäße der Marsilea : »I have seen them a thousand times. […] When ripe, it bursts into four segments, and in the centre is a quantity of a yellow woolly substance […].«44 Diese auf Hallers Beobachtungen gegründete Aussage glich Linné mit einer Beschreibung desselben Vorgangs durch den italienischen Botaniker Pier Antonio Micheli ab. Es war Hallers Version, der er Glauben schenkte.45 Haller äußerte in der Konversation mit Linné nicht nur seine eigenen Einsichten, sondern verwies Linné auch auf Beobachtungen anderer Botaniker, wenn er diese für verläßlich hielt. So versprach er Linné ein Exemplar von Hypopithys mit der Anmerkung »Dillenius’s character is excellent, and I do not alter it in any point.«46 Linné wurde hier von einer Person seines Vertrauens auf einen Dritten (Dillenius) verwiesen, dessen Aussage so, zusätzlich zu seiner bereits durch botanische Publikationen etablierten Autorität, an Glaubwürdigkeit gewann. Linné stand zu diesem Zeitpunkt bereits selbst in Kontakt zu Dillenius. Sein Verhältnis zu ihm war, anders als dasjenige zu Haller und später zu Jacquin, aus einer persönlichen Begegnung erwachsen, und zwar aus einem Besuch, den Linné dem älteren und akademisch bereits arrivierten Dillenius 1736 in Oxford abgestattet hatte. Obwohl Dillenius vor Linné kein Hehl daraus machte, daß er seiner methodischen Vorgehensweise kritisch gegenüber stand und die Suche nach einem möglichst natürlichen System mit allen zwangsläufig daran geknüpften Problemen der Effizienz von Linnés künstlichem 43 Brief von Haller an Linné, 12. September 1737, ebd., 289–297, 289 ; Volltext und Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0202 (24.10.2016). 44 Ebd., 294. 45 Vgl. Brief von Linné an Haller, 8. Oktober 1737, ebd., 297–301, 299 ; Volltext des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0216 (24.10.2016). 46 Brief von Haller an Linné, 12. September 1737, ebd., 289–297, 293.
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Sexualsystem vorzog, entstand zwischen beiden ein Verhältnis gegenseitigen Respekts und Vertrauens. Linné schickte Dillenius seine Flora Lapponica, die dieser lobte und, ebenso wie Linné in seinem oben zitierten Brief an Haller, zugleich kritisch kommentierte. Dillenius äußerte sich insbesondere zu Problemen der Synonymik, also zur Frage, welche Botaniker dieselbe Pflanze unter welchen Namen bereits beschrieben oder illustriert hatten. Beispielsweise bemerkte er zu einem in der Flora Lapponica abgebildeten Moos : »I would observe, therefore, that Tab. 11 fig. 1 appears to be a variety of No. 80, Ray’s Synopsis, ed. 3, 75 […].«47 Oder : »Schwenckfeldt is not the first publisher of the Trientalis, but Cordus, who wrote long before him, about 1540 ; and after him Thalius, as well as Francus.«48 Und zu einer anderen Pflanze : »J. Bauhin’s synonym ought, in my opinion, to be expunged.«49 Die Synonymik zählte zu den schwer zu entwirrenden Problemen der Botanik, und Dillenius besaß in dieser Materie selten detaillierte Kenntnisse, die er aus seiner jahrelangen Arbeit an der Aktualisierung von Caspar Bauhins Pinax schöpfte.50 Linné wußte diese Kenntnisse zu schätzen, die zu erwerben nicht nur einen immensen Zeitaufwand, sondern auch einen ausgezeichneten Botaniker erforderte, und gewöhnte sich an, wie oben bereits erwähnt, Dillenius’ Synonymen blind zu vertrauen.51 Die Korrespondenz zwischen beiden Botanikern macht deutlich, wie Linné Dillenius in den Prozeß des Identifizierens und Klassifizierens einzelner Pflanzen involvierte und in welchem Umfang er darauf angewiesen war, Dillenius’ Beobachtungen zu vertrauen. Für die Anwendung von Linnés sexuellem System zur Identifikation und Klassifikation von Pflanzen kam der Analyse der Blüten zentrale Bedeutung zu. Anhand der Anzahl ihrer Staubgefäße (der männlichen Geschlechtsorgane) wurde eine Pflanze zuerst einer Klasse, dann anhand der Anzahl ihrer Stempel (der weiblichen Geschlechtsorgane) einer Ordnung zugewiesen. Um ihre Gattungszugehörigkeit zu ermitteln, mußte die betreffende Pflanze anschließend 47 Brief von Dillenius an Linné, 16. Mai 1737, ebd., 85–94, 85 ; Faksimile des Originals http:// linnaeus.c18.net/Letter/L0176 (24.10.2016). 48 Brief von Dillenius an Linné, 18. August 1737, ebd., 94–103, 95 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0196 (24.10.2016). 49 Ebd. 50 Siehe Kapitel 1 Regionale Botanik als kollaboratives Projekt. 51 Vgl. Brief von Linné an Haller, 21. Oktober 1746, ebd., 405–409, 406 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0738 (24.10.2016). Im selben Satz teilte Linné mit, daß er auch aus Hallers Werk zur Schweizer Flora Synonyme ungeprüft in seine eigene Arbeit an den Species plantarum übernehme.
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mit den in einer Ordnung enthaltenen Gattungsbeschreibungen abgeglichen werden, und, zur Bestimmung ihrer Art, zuletzt mit den Beschreibungen von in einer Gattung enthaltenen Arten.52 In der Regel waren dazu frische Blüten erforderlich, da die Kenntlichkeit der relevanten Merkmale durch das Pressen und Trocknen beeinträchtigt oder sogar ganz zerstört wurde. Aber frische Blüten standen Linné längst nicht immer zur Verfügung, insbesondere dann nicht, wenn es um die Bestimmung nicht-europäischer Pflanzen ging. Auch seltenere Pflanzen aus Europa waren oft nicht lebend bzw. nicht blühend zu beschaffen, so daß Linné in diesen Fällen die Beschaffenheit der Blüte von Botanikern erfragen mußte, die das gesuchte Gewächs entweder besaßen oder zumindest zu einem früheren Zeitpunkt lebend untersucht hatten. So wandte sich Linné an Dillenius mit der Frage nach der Anzahl der Staubgefäße in den männlichen Blüten von Theligonum Cynocrambe. Dillenius antwortete mit einer ausführlichen Beschreibung der ganzen Blüte, die, wie das einleitende »what I observed is as follows«53 ausweist, auf eigener Anschauung beruhte : »The flower, supported by a slender, perhaps tubular, stalk, is of one petal, naked, tender, greenish, divided almost to the base into two, occasionally three, flat, equal, revolute segments. There are two flowers at each joint, with or without leaves. The stamens [Staubgefäße] are 12, or more, springing from the bottom of the flower, very short, with oblong, slender, pendulous, tufted anthers [Staubbeutel ; B. D.].«54
Es folgt ein Verweis auf andere Autoren, die sich bereits zu dieser Frage geäußert hatten ; auf Tournefort, bei dem Theligonum Cynocrambe mit nur fünf Staubgefäßen und kurzen Staubbeuteln abgebildet sei, und auf Fabius Columna (Fabio Colonna), den bislang einzigen, der von mehr Staubgefäßen berichtet habe. Sein, Dillenius’, Exemplar sei aus Samen gezogen, die er aus St. Petersburg erhalten habe, und gleiche der von Columna beschriebenen Pflanze bis ins Detail. Linné, der Theligonum Cynocrambe nicht selbst untersuchen konnte, erhielt durch Dillenius’ Bericht die Möglichkeit, die Pflanze zumindest durch die Augen eines anderen, von ihm selbst und der botanischen Gemeinschaft respektierten Botanikers zu sehen. Dillenius’ Augenzeugenschaft, 52 Vgl. Scharf, Identification Keys, 92. 53 Brief von Dillenius an Linné, 8. September 1738, in : Smith, Selection, Bd. 2, 108–115, 112 ; Faksimile des lateinischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0256 (24.10.2016). 54 Ebd., 112f.
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die von Linné geschätzte Präzision seiner botanischen Beobachtungen sowie die Beglaubigung seines Zeugnisses durch einen weiteren Zeugen – Columna hatte dasselbe gesehen wie er – qualifizierten Dillenius’ Aussage als vertrauenswürdig. Dillenius’ Antwort auf Linnés Frage zu Theligonum Cynocrambe beruhte auf Beobachtungen an einer Pflanze, die er vor sich hatte. Wenn das nicht der Fall war, hatte er entweder nichts zu sagen,55 oder aber seine Antworten stützten sich auf die Analyse von Abbildungen in der botanischen Literatur. In einem solchen Fall standen zwischen Linné und der Pflanze, zu der er Informationen einholte, zwei intermediäre Beobachter : in erster Instanz der Botaniker, der die Abbildung angefertigt hatte oder hatte anfertigen lassen, in zweiter Instanz dann Dillenius, der die Abbildung als Dokument der botanischen Beobachtung eines anderen seinerseits beobachtete, interpretierte und Linné davon Zeugnis ablegte. Eine Anfrage zu Charles Plumiers Gattung Clusia, die Linné an Dillenius richtete, und die ausführliche Antwort, die er darauf erhielt, sind in dieser Hinsicht aufschlußreich.56 Linnés auf den ersten Blick bis zur Unverständlichkeit komprimierte Frage lautete : »Are there any species of Plumier’s Clusia furnished with serrated, and plaited, or undulated leaves ? Certainly there are no serrated leaves in any that I have seen. How then could Plukenet venture to combine my Malabar Dillenia with an American plant ? […] Are all the Clusiae of Plumier one and the same species ?«57
Mit Dillenius’ Hilfe versuchte Linné eine von ihm selbst Dillenia genannte Pflanzengattung mit Gattungen zweier älterer Autoren, Charles Plumier und Leonard Plukenet, abzugleichen. Linné hatte sowohl die Beschreibungen als auch die Illustrationen der relevanten Autoren studiert, aber die Komplexität des Problems überforderte seine Beobachtungs- und Urteilsfähigkeit. Wie 55 Auf eine Anfrage erhielt Linné von Dillenius beispielsweise die kurze Antwort : »I have no seed of the Thalictrum montanum praecox of Tournefort, nor have I ever seen that plant growing.« (Brief von Dillenius an Linné vom 3. Oktober 1742, ebd., 121–124, 123). 56 Vgl. den bereits zitierten Brief von Dillenius an Linné, 8. September 1738, ebd., 108–115, 110–112. 57 Ebd., 110 (»Gibt es irgendwelche Arten in Plumiers Gattung Clusia mit gezackten oder gewellten Blättern ? Mit Sicherheit hat keine der Arten, die ich gesehen habe, gezackte Blätter. Aber wie konnte Plukenet dann meine malabarische Dillenia mit einer amerikanischen Pflanze kombinieren ? Sind alle von Plumiers Clusiae ein und dieselbe Art ?«).
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seine Anfrage an Dillenius erkennen läßt, versuchte er das, was er selbst beobachtet hatte, mit Hilfe der Beobachtungen eines anderen zu präzisieren und zu interpretieren. Von Linnés Briefen an Dillenius sind leider nur einige wenige erhalten, aber die Fortsetzung dieser Art der Korrespondenz zwischen beiden Botanikern bis zu Dillenius’ Tod zeugt davon, daß Linné ein langfristiges Interesse an Dillenius’ Beobachtungen hatte, die ihm als Ergänzung und Korrektiv zu seiner eigenen Arbeit dienten. Botanisches Beobachten und Beschreiben waren kollaborative Praktiken, die das Vertrauen in das Zeugnis anderer voraussetzten.58
III.3 Das Scheitern des Einzelgängers
Die Verpflichtung, verläßliche Information zu geben, um im Gegenzug verläßliche Information zu erhalten, und die Notwendigkeit, dieser Information nach reiflicher Prüfung zu vertrauen, verknüpfte alle Beteiligten zu einem Geflecht epistemischer Interdependenz. Botanik konnte langfristig nur praktizieren, wer sich als aktives Mitglied dieser Gemeinschaft ihren Gesetzen unterwarf und sich das Vertrauen der anderen erwarb. Wer das verweigerte, wurde ausgeschlossen und riskierte, als Einzelgänger zu scheitern. Nur wenige Fälle eines solchen Pariastatus sind dokumentiert, was indirekt die Verbindlichkeit der oben beschriebenen Mechanismen bestätigt. Abschließend ist der spektakuläre Fall des deutschen Botanikers Johann Georg Siegesbeck zu diskutieren. Siegesbeck (1686–1755) hatte sich nach seinem Medizinstudium in Wittenberg erst als Arzt niedergelassen, bevor er 1735 eine Anstellung an einem Krankenhaus in St. Petersburg erhielt, mit der auch die Betreuung eines botanischen Gartens verbunden war. 1742 ersuchte Siegesbeck die Petersburger Akademie 58 Der Briefwechsel zwischen Linné und Jacquin ist reich an Passagen, die das weitreichende Vertrauen Linnés in die botanischen Beobachtungen und Diagnosen seines jüngeren Fachkollegen dokumentieren. 1763 erschien Jacquins Selectarum Americanarum stirpium historia, in der er die Ausbeute seiner Karibikexpedition nach Linnés Methode benannte, klassifizierte und beschrieb. Linné plante zu diesem Zeitpunkt die sechste aktualisierte Neuauflage seiner Genera plantarum, in die er Jacquins neue Gattungen aufnehmen wollte. Da nur Jacquin die entsprechenden Pflanzen lebend gesehen hatte, war er der Augenzeuge, auf dessen Beobachtungen sich Linné in dieser Materie verlassen mußte und wollte. Linné bat Jacquin, ihm das Werk schnellstmöglich zuzuschicken, da er auf die darin enthaltenen, anhand lebender Pflanzen gewonnenen Gattungsdefinitionen nicht verzichten könne. (Vgl. den Brief von Linné an Jacquin, 28. Januar 1763, in : Caroli Linnaei epistolae ad […] Jacquin, 63–65, 64 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3189 ; 24.10.2016).
Das Scheitern des Einzelgängers
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der Wissenschaften, ihn als Mitglied aufzunehmen, was tatsächlich noch im selben Jahr geschah. Er erhielt die Stelle des verstorbenen Johann Amman, übernahm die Leitung des botanischen Gartens der Akademie und begann in dieser Funktion ein Verhalten an den Tag zu legen, das schwere Konflikte mit anderen Akademiemitgliedern provozierte, vor allem mit Johann Georg Gmelin. Gmelin, ein deutscher Botaniker, der 1731 auf eine Professur für Chemie und Naturgeschichte nach St. Petersburg berufen worden war, hatte an der zweiten Kamtschatkaexpedition (1733–1743) unter Vitus Bering teilgenommen, deren Auftrag insbesondere darin bestand, die Nord- und Nordostküste des russischen Reiches zu kartographieren sowie Seewege von Ostsibirien nach Japan und Nordamerika zu erkunden.59 Wissenschaftlich begleitet wurde die Expedition von drei Akademiemitgliedern, dem Franzosen Louis De l’Isle de la Croyère, der für astronomische und geographische Messungen zuständig war, dem Deutschen Gerhard Friedrich Müller, der sich mit der Geschichte und ethnologischen Beschreibung der bereisten Gebiete zu beschäftigen hatte, und Gmelin, der ihre Flora, Fauna und Bodenschätze erfassen sollte. Von dieser zehn Jahre dauernden Expedition schickte Gmelin sibirische Samen und Pflanzen an den botanischen Garten der Akademie, wo Siegesbeck sie aussäte und aufzog. Als Gmelin nach seiner Rückkehr aus Sibirien an seiner sibirischen Flora zu arbeiten begann und dazu die von ihm gesammelten Pflanzen im botanischen Garten benutzen wollte, begannen die Schwierigkeiten mit Siegesbeck. Wie aus einer Beschwerde Gmelins bei der Akademie hervorgeht, behinderte Siegesbeck systematisch Gmelins Zugriff auf sein eigenes Material. Gmelin hatte offiziell beantragt, daß man ihm »alle Acta, so zu den sibirischen Kräutern gehören, sowohl meine als des Adjuncti Stellers observationes, die von uns beiderseits eingeschickte trockene Kräuter und Zeichnungen, wie auch die von dem Amman nachgebliebene observationes über die sibirischen Kräuter communizieren möchte. […] was in dem Archiv und bey H. Siegesbeck befindlich wäre, mir zu extradieren […].«60 59 Wieland Hintzsche/Joachim Otto Habeck (Hg.) : Die Erforschung Sibiriens im 18. Jahrhundert. Beiträge der Deutsch-Russischen Begegnungen in den Franckeschen Stiftungen, Halle 2012 ; Wieland Hintzsche (Hg.) : Die Große Nordische Expedition. Georg Wilhelm Steller (1709–1746) – ein Lutheraner erforscht Sibirien und Alaska ; eine Ausstellung der Franckeschen Stiftungen zu Halle (12. Mai 1996 bis 31. Januar 1997), Halle 1996 ; Doris Posselt (Hg.) : Die Große Nordische Expedition von 1733 bis 1743. Aus Berichten der Forschungsreisenden Johann Georg Gmelin und Georg Wilhelm Steller, München 1990. 60 Johann Georg Gmelin : Vorstellung an die Conferentz der Kayserl. Academie der Wissenschaf-
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Interdependenz und Vertrauen
Siegesbeck hatte Gmelin die Notizen und Zeichnungen aus Ammans Nachlaß ausgehändigt. Aber den Zugriff auf lebende Pflanzen im botanischen Garten, um den Gmelin die Akademie nicht explizit ersucht hatte, da er ihn vermutlich für selbstverständlich hielt, machte Siegesbeck nahezu unmöglich. Weniger, indem er Gmelin das, was er sehen wollte, explizit verweigert hätte, sondern durch das Errichten zahlloser, auf Dauer zermürbender Hindernisse. Gmelins Beschwerde zufolge untersagte ihm Siegesbeck zuerst, Pflanzen, auch solche, von denen mehrere Exemplare im Garten existierten, nach Hause mitzunehmen, »als ob er einzig und allein über die Kräuter im Garten zu disponieren hätte, die doch daselbst zum gemeinsamen Gebrauche gepflanzt worden, und wozu […] ich […] desto mehr Recht habe, weil sie meistens durch meinen Fleiß in den Garten gebracht […].61 Gmelin fügte sich zunächst in dieses ihm aufgezwungene Regime und stellte die für seine Flora Sibirica notwendigen Beobachtungen bei regelmäßigen Besuchen im Garten an, bis er eines Tages je ein Exemplar von verschiedenen Pflanzen zur näheren Untersuchung mit nach Hause nehmen wollte, was Siegesbeck ihm verbot. Verärgert über diese Anmaßung, beendete Gmelin seine Besuche im botanischen Garten und wandte sich statt dessen schriftlich an Siegesbeck mit der Bitte, ihm von Zeit zu Zeit sibirische Pflanzen, die gerade aufblühten, zuzuschicken, und er nannte die Pflanze, die er als nächste benötigte. Nachdem aber weder Pflanzen noch eine Antwort bei Gmelin eingetroffen waren, begab er sich persönlich in den Garten, um das Gewünschte zu beschaffen. Siegesbeck zeigte sich nicht bei diesem Besuch, sondern ließ Gmelin auf Schritt und Tritt von seiner Frau verfolgen, die, als Gmelin nach der besagten Pflanze verlangte, darauf bestand, daß erst die Erlaubnis ihres Mannes eingeholt werden müsse. Siegesbeck ließ daraufhin mitteilen, »er wäre doch Botanicus, und man müsste ihm die Flora gönnen.«62 Woraufhin Siegesbecks Frau Gmelin die Pflanze aus der Hand gerissen habe und damit verschwunden sei. Gmelin schloß mit der Bitte um ein Machtwort der Akademie in dieser Sache, da sonst die Fertigstellung der Flora Sibirica gefährdet sei. Siegesbecks Benehmen war ungeheuerlich. Gmelin hatte, im Auftrag der Akademie, die Gefahren und Beschwernisse einer zehnjährigen Reise auf sich genommen, Pflanzen gesammelt und an ihren natürlichen Standorten beobten, 21. Juli 1743, 1r (Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Nachlaß Johann Georg Gmelin, Mappe 6). 61 Ebd. 62 Ebd., 2 r.
Das Scheitern des Einzelgängers
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achtet, was ihn als Autor einer entsprechenden Publikation qualifizierte und prädestinierte. Die Flora Sibirica zu verfassen war nicht nur sein Recht, sondern, in den Augen der botanischen Gemeinschaft, gewissermaßen auch seine Pflicht, denn von ihm war das beste Resultat zu erwarten. Siegesbeck usurpierte also nicht nur ein ihm nicht zustehendes Objektkapital, sondern verhinderte auch das Erscheinen eines Werks, auf das andere – darunter Linné – für ihre Arbeit warteten. Darüber hinaus hatte er sich, wie die oben zitierte Passage verdeutlicht, angemaßt, die Autorschaft einer sibirischen Flora für sich zu beanspruchen. Siegesbeck wurde 1747 entlassen. Von besonderem Interesse ist hier, wie Gmelin und die botanische Gemeinschaft auf Siegesbecks Verhalten reagierten und welche Konsequenzen es nach sich zog. Denn Gmelin wandte sich mit seiner Beschwerde nicht nur an die Petersburger Akademie, sondern er diskutierte die Causa Siegesbeck auch in seiner Korrespondenz, vor allem in seinem Briefwechsel mit Linné, der seinerseits ein ausgeprägtes Interesse am Zustandekommen einer Flora Sibirica hatte und Gmelin seine Hilfe anbot.63 Linné war zum Zeitpunkt dieser Ereignisse bereits auf Siegesbeck aufmerksam geworden, nachdem dieser 1737 eine moralisierende Kritik seiner einer auf den Fortpflanzungorganen der Pflanzen beruhenden Klassifikationsmethode veröffentlicht hatte.64 Siegesbeck spottete, ob Gott es tatsächlich erlaube, daß mehrere Männer (d. h. Staubgefäße) dieselbe Frau (d. h. Blütenstempel) hätten, und machte Linné, dessen Systema naturae anderenorts mit Bewunderung rezipiert wurde, damit auch in Schweden erfolgreich lächerlich.65 Linné, der vermied, Kontroversen persönlich auszufechten – er bat statt dessen andere, für ihn Partei zu ergreifen – bekannte Gmelin gegenüber, daß er Siegesbeck verachte.66 63 Gmelin hatte die Korrespondenz mit Linné durch einen Brief vom 28. Februar 1744 eröffnet, in dem er seine Absicht ankündigte, eine sibirische Flora zu publizieren, und dazu um Linnés Hilfe bat ; Volltext und Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0537 (9.6.2016) ; vgl. auch C. O. von Sydow : Linnaeus and Gmelin, in : Svenska Linnésällskapets Årsskrift/Yearbook of the Swedish Linnaeus Society (1978), 212–222. 64 Johann Georg Siegesbeck : Botanosophiae verioris brevis sciagraphia in usum discentium adornata ; accedit ob argumenti analogiam, Epicrisis in clar. Linnaei nuperrime evulgatum systema plantarum sexuale, et huic superstructam methodum botanicam, St. Petersburg 1737. 65 Zu den Auswirkungen dieser Publikation auf das Verhältnis zwischen Linné und Siegesbeck s. Ann-Marie Jönsson : Odium Botanicorum. The Polemics between Carl Linnaeus und Johann Georg Siegesbeck, in : A.-M. Jönsson/A. Piltz (Hg.) : Språkets speglingar. Festskrift till Birger Bergh, Lund 2000, 555–566. 66 Vgl. den Brief von Linné an Johann Georg Gmelin, 25. Februar 1747, in : Wilhelm Heinrich Theodor Plieninger : Joannis Georgii Gmelini Reliquias quae supersunt commercii epistolici
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Interdependenz und Vertrauen
Als in den 1740er Jahren von russischen Botanikern eine seltsame sibirische Pflanze entdeckt wurde, die keine Staubgefäße zu haben schien und deswegen Anandria genannt wurde, konzentrierte sich die Fehde zwischen Siegesbeck und Linné auf dieses Phänomen. Siegesbeck glaubte, mit dieser Pflanze einen triumphalen Beweis gegen Linnés sexuelle Methode in Händen zu halten. Linné hielt die Existenz einer Pflanze ohne Staubgefäße für unwahrscheinlich, brannte aber darauf, die vermeintliche Anandria zu sehen und versuchte mit entsprechender Dringlichkeit, sich ein Exemplar bzw. Samen zu beschaffen.67 Nachdem das gelungen war, zog Linné die Pflanze auf, fand, als sie endlich Blüten ausbildete, tatsächlich deren schwer zu erkennende Staubgefäße und verfaßte eine Beschreibung unter dem Titel Dissertatio botanica de Anandria.68 Gmelin wandte sich also an Linné mit einer vernichtenden Analyse von Siegesbecks Verhalten, die über die oben geschilderten Vorfälle hinausgreift und eine Persönlichkeit beschreibt, die weder menschlich noch fachlich für die Mitgliedschaft in der botanischen Gemeinschaft geeignet war :69 Wenn Siegesbeck eine Pflanze für neu halte, gebe er ihr einen neuen widersprüchlichen Namen, ohne sie jedoch zu beschreiben. Er habe noch nicht eine einzige taugliche Beschreibung geliefert in den neun Jahren, die er bereits in St. Petersburg lebte. Ein schlechter Botaniker sei für Siegesbeck aber nicht, wer eine Pflanze nicht benennen und beschreiben, sondern wer sie nicht von weitem erkennen könne ; wobei er sich selbst vorbehalte, die betreffende Pflanze für einen solchen Erkennungstest vorher im Detail zu untersuchen. Was er der Akademie bislang an Schriften vorgelegt habe, sei entweder belanglos oder aber streitsüchtig und bösartig. Vor kurzem habe er auf einer Sitzung einen cum Carolo Linnaeo, Alberto Hallero, Guilielmo Stellero et al., […], Stuttgart 1861, 54–56, 55 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0783 (24.10.2016) ; Siegesbecks Kritik an Linnés Methode wurde von zwei Autoren pariert ; von Johannes Browallius in : Examen epicriseos in systema plantarum sexuale Cl. Linnaei, anno 1737 Petropoli evulgatae, auctore Jo. Georgio Siegesbeckio […] jussu amicorum institutum, Åbo 1739 ; und von Johann Gottlieb Gleditsch in : Consideratio epicriseos Siegesbeckianae in Linnaei systema plantarum sexuale et methodum botanicam huic superstructam […], Berlin 1740. 67 Vgl. den Brief von Linné an Sten Carl Bielke, 15. April 1744, in : Bref och skrifvelser, I :3, 190–191, 190. 68 Dissertatio botanica de Anandria, quam amplissima Fac. Med. consent. & adprob. in Regia Academia Upsaliensi, sub præsidio […] Doct. Caroli Linnæi […] curiosis modeste sistit […] Erland Zach. Tursén, Wexionia Smolandus […] die XX. Decembris, ann. MDCCXLV, Uppsala 1745. 69 Vgl. den Brief von Gmelin an Linné, 5. Juni 1744 ; Volltext und Faksimile des Originals http:// linnaeus.c18.net/Letter/L0556, 1–9, 8 (9.6.2016).
Das Scheitern des Einzelgängers
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Angriff gegen Johan Browallius vortragen wollen – Browallius hatte Linnés System gegen Siegesbecks Angriff verteidigt70 –, was man ihm aber verboten habe. Was solle man von ihm denken ? Er suche Streit, weil er weder sich selbst noch andere verstehe. Er sei bösartig und neidisch, das sei sein Charakter. Und er zeichne sich allein durch Dummheit aus, da er durch Fähigkeit niemandem schaden könne. Bestenfalls sei er ein Gärtner zu nennen, da er von wirklicher Botanik nichts verstehe. Gmelin beschrieb eine charakterliche Disposition und ein Verhalten, die mit den Anforderungen und der Funktionsweise eines kollaborativen Wissensbildungsprozesses nicht zu vereinbaren waren. Siegesbecks Suche nach botanischer Anerkennung erfolgte grundsätzlich auf Kosten anderer, sei es durch hämische und destruktive Kritik an Linnés Methode, durch vorherige Detailanalyse von Pflanzen, die er andere aus Distanz bestimmen ließ, oder indem er sein Amt als Leiter des botanischen Gartens mißbrauchte, um sich privilegierten Zugriff auf die Ressourcen der Akademie anzumaßen. Wo immer er konnte, versuchte er zu nehmen und zu profitieren, ohne im Gegenzug adäquate Gegenleistungen zu erbringen, was über kurz oder lang jeden verärgerte, der mit ihm zu tun hatte. Die Logik und Dynamik der botanischen Tauschökonomie verstand er nicht, weswegen er aus dem für jede Form botanischer Praxis essentiellen Informationssystem ausgeschlossen wurde. In selten deutlichen Worten deklarierte beispielsweise Haller in einem Brief an Gmelin, daß er Siegesbeck noch einen letzten Umschlag mit Samen geschickt habe, und damit sei diese Korrespondenz für ihn beendet.71 Ohne Austausch und Kooperation mit anderen war Siegesbeck, den nicht nur Gmelin für einen schwachen Botaniker hielt, auf sich allein gestellt. Unter diesen Umständen blieb ihm nur der Part eines zum Scheitern verurteilten, zunehmend erratischen Solitärs.
70 Vgl. Jönsson, Odium Botanicorum, 558f. 71 Brief von Haller an Johann Georg Gmelin, 28. März 1746, in : Plieninger, Reliquias, 126f., 126.
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IV. Botanik als Buchwissenschaft
Die Botanik des 18. Jahrhunderts erforderte drei zentrale Ressourcen : lebende und getrocknete Pflanzen, über die Korrespondenz von anderen eingeholte Informationen und das ständig wachsende Korpus einschlägiger Fachliteratur. Unerlässliche Voraussetzung für jedes Publikationsvorhaben war es nicht nur, eigene Beobachtungen anzustellen bzw. im Austausch mit anderen zu beobachten, sondern ebensosehr, in der Literatur bereits existierende Beschreibungen, Abbildungen, Synonyme und Klassifikationsversuche zu ermitteln und mit den eigenen Beobachtungen abzugleichen. Botaniker waren, neben Herbarien, botanischen Gärten und Korrespondenzpartnern, grundsätzlich auf Bücher angewiesen. Das von Nancy Siraisi und Gianna Pomata in der wissenschaftlichen Praxis der Renaissance diagnostizierte Phänomen eines learned empiricism, eines Sich-Ergänzens von Selbst-Gesehenem und Gelesenem,1 prägte mutatis mutandis auch die Botanik des 18. Jahrhunderts. Zwar wurde Buchwissen nicht mehr rezipiert, exzerpiert und in die eigenen Schriften eingearbeitet, um der gelehrten Autorität vergangener Epochen Reverenz zu erweisen, aber Publikationen, auch solche aus dem 16. und 17. Jahrhundert,2 galten als Dokumente botanischer Beobachtung, auf deren Informationsgehalt nicht zu verzichten war ; insbesondere dann, wenn es sich um Beschreibungen oder gar Abbildungen von Pflanzen aus entfernten oder selten bereisten Regionen handelte. Im folgenden wird es weniger darum gehen, diesen aus dem bislang Gesagten bereits ersichtlichen Sachverhalt weiter zu untermauern.3 Vielmehr ist zu verdeutlichen, daß die Unverzichtbarkeit von aus der Literatur extrahierter Information, und darum der Bücherbedarf der Botanik, als ein weiterer wesentlicher Generator von Interaktion und Interdependenz funktionierte.
1 Zu Siraisis und Pomatas Konzept eines learned empiricism s. Einleitung ; s. dort auch die Literaturdiskussion zu Produktion, Zirkulation und Gebrauch wissenschaftlicher Bücher. 2 Zur Pliniusrezeption im 18. Jahrhundert s. Jeff Loveland/Stéphane Schmitt : Poinsinet’s Edition of the Naturalis historia (1771–1782) and the Revival of Pliny in the Sciences of the Enlightenment, in : Annals of Science 72 (2015), 2–27 ; außerdem : Fabian Krämer : Ein Zentaur in London. Lektüre und Beobachtung in der frühneuzeitlichen Naturforschung, Affalterbach 2014 ; Nicoli, Les savants et les livres. 3 Siehe insbesondere Kap. 3 Interdependenz und Vertrauen.
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Botanik als Buchwissenschaft
Denn anders als in der Regel stillschweigend vorausgesetzt, waren die meisten botanischen Publikationen, selbst die der prominentesten Autoren, weder über den nationalen, geschweige denn den internationalen Buchhandel verfügbar. Nur wer als aktives Mitglied in das korrespondenzgestützte Informationssystem eingebunden war und anderen seine eigenen Publikationen und, sofern er darauf Zugriff hatte, die anderer Botaniker aus seinem Umfeld zum Tausch anbot, konnte sich im Gegenzug diejenigen Titel beschaffen, die er für seine Arbeit benötigte. Die Verfügbarkeit gedruckter Information hatte in erheblichem Umfang die Korrespondenz zu gewährleisten : Bücher wurden gesucht und getauscht, Transportrouten geplant, verworfen und optimiert, aktuelle und geplante Publikationsprojekte angekündigt und bibliographische Informationen international ausgetauscht. Das gegenseitige Beschaffen von Fachliteratur war, wie auch das Austauschen von Pflanzen, Samen und Information, konstitutiv für die kollaborative Netzwerkdynamik der botanischen Gemeinschaft.4 Abschließend wird dann zu zeigen sein, wie sich Buchbeschaffungsnetzwerke auf den Schreibprozeß der involvierten Personen auswirkten und Formen von Koautorschaft entstehen ließen.
IV.1 Bücher – Generatoren von Interdependenz
Schon die kursorische Lektüre der großen botanischen Korrespondenzen des 18. Jahrhunderts macht deutlich, daß Bücher dort, wo sie gebraucht wurden, nicht nur ausnahmsweise, sondern vielmehr regelmäßig schlicht nicht zu haben waren. Klagen über die Nicht-Verfügbarkeit oder, falls vorhanden, die Unerschwinglichkeit dringend gebrauchter Schriften, selbst in Universitäts- und Messestädten wie Paris, Göttingen, Leipzig, Wien oder Oxford, sind 4 Da die botanische Korrespondenz schon seit einiger Zeit einem wachsenden Interesse an der Mobilität von Objekten, Personen und Wissensbeständen sowie an Dynamiken der internationalen Netzwerkbildung als zentrale Quelle dient, ist auch der über dieses Medium abgewickelte Büchertausch hier und da thematisiert worden. Dazu im Detail s. Einleitung ; in Bezug auf Albrecht von Haller s. Stuber/Hächler/Steinke, Albrecht von Hallers Korrespondenznetz, 132–135 ; Steinke/Stuber, Haller und die Gelehrtenrepublik, 381–414, 398f.; Stefan Hächler : Deux réseaux de correspondance en interaction. La correspondance entre Albert de Haller et Carlo Allioni, in : Beaurepaire, La plume et la toile, 253–272. Aber ungeachtet ihrer Omnipräsenz in den Briefwechseln des 18. Jahrhunderts und ihrer Bedeutung für den botanischen Wissensbildungsprozeß steht die Zirkulation wissenschaftlicher Bücher nach wie vor im Schatten des Interesses an ebenfalls über die Korrespondenz transferierten Pflanzen und Samen.
Bücher – Generatoren von Interdependenz
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allgegenwärtig ; von der Situation an periphereren Orten des europäischen Wissenschaftsbetriebs wie Montpellier, Verona, Turin oder Stockholm ganz zu schweigen. Publikationen waren in der Regel lokal, im Umkreis ihres Erscheinungsortes erhältlich. Ihre überregionale oder gar internationale Verfügbarkeit konnte der Buchhandel entweder nicht oder nur mit erheblichen, oft mehrjährigen Verspätungen gewährleisten. Da aber selbst die Arbeit an lokalen und regionalen Floren fundamental auf die breite und vergleichende Benutzung von Literatur angewiesen war, instrumentalisierten Botaniker die Korrespondenz, um die Defizite des Buchmarkts durch Tausch zu kompensieren. Aus den ersten Briefen des Leipziger Botanikers Christian G. Ludwig an Linné geht beispielsweise hervor, daß dieser sich 1737 in der Messestadt Leipzig weder Linnés Bibliotheca botanica5 noch dessen »tabulas synopticas methodorum novarum«6 beschaffen konnte, so daß er sich direkt an den Autor wandte und nicht nur um die Zusendung dieser Titel, sondern schlichtweg aller seiner bislang erschienenen Schriften bat : »Die Bibliotheca botanica und die Übersichtstafeln der neuen Methoden habe ich nur mit flüchtigem Auge gesehen. Daraus kannst Du erkennen, daß ich von Deiner Methode nur eine unzureichende Vorstellung habe. In den Leipziger Buchhandlungen habe ich Deine Schriften nicht gefunden, und wenn man die Buchhändler auffordert, Bücher aus Holland zu besorgen, dann treiben sie den Preis zu sehr in die Höhe. Wenn Du mir also bitte alles, was bislang von Dir erschienen ist, zuschicken wolltest, dann würdest Du mir damit einen außerordentlichen Dienst erweisen. […]. Du wirst meine Verwegenheit hoffentlich entschuldigen. Keine Gelegenheit werde ich auslassen, um Dir nach Kräften zu Diensten zu sein.«7 5 Caroli Linnaei […] biliotheca botanica recensens libros plus mille de plantis huc usque editos […], Amsterdam 1736. 6 Brief von Christian Gottlieb Ludwig an Linné, 14. Januar 1737 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0135, 1–3, 1 (10.6.2016). Welcher Text hier mit »tabulas synopticas methodorum novarum« gemeint ist, bleibt unklar ; ob Carl von Linné : Systema naturae, sive, regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera & species, Leiden 1735 ; oder Caroli Linnaei Sveci Methodus juxta quam physiologus accurate & feliciter concinnare potest historiam cujuscumque naturalis subjecti, sequentibus hisce paragraphis comprehensa, Leiden 1736. Die Methodus war als Methodus demonstrandi animalia, vegetabilia aut lapides bis zur neunten Auflage im Systema naturae enthalten (vgl. Soulsby, Catalogue, Nr. 40). 7 Brief von Ludwig an Linné, 14. Januar 1737, http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0135, 1–3, 1 (10.6.2016) ; meine Übersetzung des lateinischen Originals.
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Ludwig scheint das Gewünschte erhalten zu haben. In einem zweiten Brief an Linné, der u. a. Ergänzungen und Kommentare zur Bibliotheca botanica enthielt, erweiterte er das erfolgreich angelaufene Tauschverhältnis. Getauscht wurde nicht mehr nur Schrift gegen Schrift zwischen zwei korrespondierenden Autoren, sondern von nun an auch im Namen anderer. Ludwig erbat im Namen des Danziger Naturhistorikers Jakob Theodor Klein die von Linné herausgegebenen Arbeiten Peter Artedis über die Naturgeschichte der Fische (Ichthyologia, Leiden 1738), kündigte das baldige Erscheinen einer eigenen Abhandlung »de sexu plantarum« an, von der Linné ein Exemplar an einen gewissen Andrew weiterreichen sollte, und legte zwei Schriften von Anton Wilhelm Platz über Wurzeln und Samen bei.8 Aus Montpellier meldete Antoine Gouan, daß ihm leider nur die unvollständige zehnte Auflage von Linnés Systema naturae (Animalium specierum […] methodica dispositio, Leiden 1759) zur Verfügung stehe, und bat Linné um die Zusendung der vollständigen, in Stockholm erschienenen Version.9 Später beklagte er, daß in Montpellier von all den Büchern, die Linné in seinem Systema naturae zitiert habe, nur die in den Amoenitates Academicae enthaltenen Auszüge aus dem Museum Fridericianum, einem Katalog der Sammlung des schwedischen Königs, greifbar seien. Weder das Museum Gronovianum noch das Museum Tessinianum noch die vollständige Version des Museum Fridericianum habe er je gesehen ; auch die naturhistorischen Reiseberichte von Pehr Osbeck und Fredrik Hasselquist sowie die Arbeiten von George Edwards fehlten, so daß es schwierig bis unmöglich sei, die für die eigene Arbeit notwendigen Informationen zusammenzutragen.10 Im selben Jahr, 1759, meldete 8 Vgl. den Brief von Ludwig an Linné, 22. Oktober 1737 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0210, 1–3, 2 (10.6.2016) ; Historiam radicum exponit […] Antonius Guilelmus Plazius, Leipzig 1733 ; ders.: De plantarum seminibus, 2 Bde., Leipzig 1736–1737. 9 Vgl. den Brief von Antoine Gouan an Linné, 13. August 1759 ; Faksimile des Originals http:// linnaeus.c18.net/Letter/L2569, 1–3, 2 (10.6.2016). 10 Vgl. den Brief von Gouan an Linné, 7. April 1760 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L2720, 1–3, 2 (10.6.2016) ; Carl von Linné : Museum Tessinianum, opera illustrissimi comitis Dom. Car. Gust. Tessin […] collectum, Stockholm 1753 ; ders.: Museum S :ae R :ae M :tis Adolphi Friderici Regis Suecorum […] in quo animalia rariora imprimis et exotica, quadrupedia, aves, amphibia, pisces, insecta, vermes describuntur et determinantur, Latine et Suetice cum iconibus, Stockholm 1754 ; Laurens Theodor Gronovius : Museum ichtyologicum, sistens piscium indigenorum et quorundam exoticorum qui in museo L. T. Gronovii adservantur descriptiones [… ], 2 Bde., Leiden 1754 ; Pehr Osbeck : Dagbok öfwer en ostindisk resa åren 1750. 1751. 1752. Med anmärkningar uti naturkunnigheten, främ-
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François Boissier de La Croix de Sauvages, ebenfalls aus Montpellier, daß dort auch von Linnés Fauna Svecica (Stockholm/Leiden 1746) nur die gekürzte Leidener Ausgabe angeboten werde. Linné möge ihm bitte die vollständige Stockholmer Ausgabe zukommen lassen und, wenn möglich, auch den dritten Band der Amoenitates Academicae (Stockholm 1756), der in Montpellier nicht zu haben sei.11 Ein weiterer Brief von Sauvages, adressiert an Albrecht von Haller, vervollständigt das Bild von der begrenzten Verfügbarkeit internationaler botanischer Publikationen in Montpellier.12 Sauvages beklagte die mangelnde Kooperation zwischen deutschen und französischen Buchhändlern, weswegen er Hallers in Göttingen erschienene Schriften bislang nicht habe finden können. Von Hallers medizinischen Publikationen, so Sauvages, besitze er einige Dissertationen und den Boerhaave-Kommentar,13 der überall angeboten werde und auf den kein Gelehrter verzichten könne ; die Enumeratio stirpium Helvetiae habe er sich aus Genf kommen lassen. Alles andere fehle ihm, und er sehe keinen anderen Weg, als sich persönlich an Haller zu wenden, um per Tausch wenigstens etwas von diesen Schätzen zu erlangen. Haller könne die Bücher an Linné schicken, von dem er, Sauvages, sie bequem erhalten werde. Aus Dänemark wandte sich Georg Christian von Oeder an Nicolaas Laurens Burman, Botanikprofessor in Amsterdam, um so botanische Titel zu erwerben, die in Kopenhagen nicht zu haben waren. Die königliche Bibliothek besitze zwar alle großen Werke von Johannes Burman, N. L. Burmans Vater, allerdings fehlten die kleinen Schriften sowie ältere botanische Abhandlungen. Ob N. L. Burman gegen Exemplare von Oeders Flora Danica (1770) Schriften seines Vaters und einige andere Bücher tauschen wolle ? An J. Burmans Abhandlungen über die Wachendorfia14 sei er zum Beispiel außerordentlich
mande folkslags språk, seder, hushållning, m.m. […] Stockholm 1757 ; Fredrik Hasselquist : Iter Palaestinum eller resa til heliga landet, Stockholm 1757 ; George Edwards : A natural history of uncommon birds, and of some other rare and undescribed animals […], 4 Bde., London 1751 ; ders., Gleanings of natural history, exhibiting figures of quadrupeds, birds, insects, plants, 3 Bde., London 1758–1760. 11 Vgl. den Brief von François Boissier de La Croix de Sauvages an Linné, 10. Juli 1759 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2557, 1–3, 3 (10.6.2016). 12 Vgl. den Brief von François Boissier de La Croix de Sauvages an Albrecht von Haller, 6. April 1749, in : Epistolarum […] ad Alb. Hallerum scriptarum, Bd. 3, 24–26. 13 Albrecht von Haller : Methodus studii medici Hermanni Boerhaave […] emaculata & accessionibus locupletata, Amsterdam 1751. 14 Johannes Burman : Wachendorfia, Amsterdam 1757.
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interessiert.15 Nachdem Oeder N. L. Burmans Flora Indica16 erhalten hatte, kündigte er im Gegenzug an, er werde ihm bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zwei illustrierte Exemplare des fünften und sechsten Faszikels seiner Elementa botanica17 zuschicken, davon eines für J. Burman, das andere für die Bibliothek des botanischen Gartens von Amsterdam.18 Linné, der Hallers Göttinger Antrittsvorlesung über das Selbststudium der Botanik19 bei Adrian van Royen in Leiden gesehen und überflogen hatte, bot ihm dafür jede gewünschte Gegenleistung, auch jedes seiner Bücher.20 Haller teilte daraufhin mit, er werde dreizehn Exemplare seiner Abhandlung (davon sechs für Linné, die restlichen sechs für Linnés niederländische bzw. in den Niederlanden lehrende Korrespondenzpartner Boerhaave, Albinus, Gronovius, Gaub, Burman und Royen) aus Göttingen an den Frankfurter Kaufmann Jakob Renier schicken, wo Linné sie über einen Kaufmann seiner Wahl abholen lassen könne.21 Einige Monate später : Linnés letzten Brief einschließlich seiner Critica Botanica (Leiden 1737) und Musa Cliffortiana (Leiden 1736) habe er dankend erhalten. In der Universitätsstadt Göttingen waren Linnés Publikationen zwar im Buchhandel erhältlich, allerdings, so Albrecht von Haller in einem Brief an Linné, zu unbezahlbaren Preisen. Die in ihrer materiellen Aufmachung bescheidene Flora Lapponica koste beispielsweise 2 Reichstaler 9 Kreutzer.22 Haller wandte sich persönlich an Linné und bat ihn um ein Exemplar seines Hortus Cliffortianus (Amsterdam 1737) ; da es sich um ein illustriertes und
15 Vgl. den Brief von Georg Christian von Oeder an Nicolaas Laurens Burman, 3. September 1763, in : Hall, Epistolae ineditae Caroli Linnaei, 184f., 185. 16 Nicolaas Laurens Burman : Flora Indica, cui accedit series zoophytorum Indicorum, nec non prodromus florae Capensis, Leiden 1768. 17 Georg Christian Oeder : Elementa botanicae, 2 Bde., Kopenhagen 1764–1766. 18 Vgl. den Brief von Oeder an N. L. Burman vom 2. Juli 1768, in : Hall, Epistolae ineditae Caroli Linnaei, 188f., 189. 19 Albrecht von Haller : De methodico studio botanices absque praeceptore ; dissertatio inauguralis […], Göttingen 1736. 20 Vgl. den Brief von Linné an Haller, 3. April 1737, in : Smith, Selection, Bd. 2, 228–236, 228 ; Volltext des lateinischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0166 (24.10.2016). 21 Vgl. den Brief von Haller an Linné, 14. April 1737, ebd., 236–241, 238f ; Volltext des lateinischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L01663 (24.10.2016). 22 Linnés Flora Lapponica war im Oktavformat erschienen und mit 12 Tafeln ausgestattet (Amsterdam 1737). Vgl. den Brief von Haller an Linné, 13. Oktober 1737, in : Smith, Selection, Bd. 2, 301–305, 303 ; Volltext und Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/ L0214 (24.10.2016).
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deswegen teures Buch handelte, gegen Bezahlung.23 Aus Oxford dankte Johann Jakob Dillenius Haller für den Erhalt seiner Enumeratio stirpium. Es sei dort außerordentlich schwer, kleinere in Deutschland und in anderen kontinentaleuropäischen Ländern gedruckte Bücher zu bekommen. Entweder sie seien schlichtweg nicht vorhanden oder sie kosteten, wie Hallers Schrift, zwei Guineen.24 In einigen Fällen konnte der private Büchertausch auch kommerzielle Arrangements umfassen, in deren Rahmen Korrespondenten füreinander Bücher kauften und verkauften. 1789 schickte Carlo Allioni ein Paket an Jacquin mit sechs Exemplaren seines Auctarium,25 von denen, so der begleitende Brief, eines für Jacquin selbst bestimmt war, ein zweites für den Mineralogen Ignaz von Born ; die restlichen vier solle Jacquin bitte für einen Florin pro Stück verkaufen.26 Jacquin und Allioni tauschten also nicht nur ihre Schriften miteinander aus, sondern verkauften diese auch im Auftrag des anderen. Beide führten Anschreibelisten, die auch Buchkäufe für den Partner enthielten, und die von Zeit zu Zeit gegeneinander abgeglichen wurden. 1791 resümierte Allioni : »Je tiens le premier volume de vos Icones en 200 planches, et 4 fascicles du second, les 2 volumes de la Collectanea austr., et je vous prie de m’envoyer la suite, en ajoutant pour mon compte la suite de Goeze ; je souhaiterois aussi la continuation de Gmelin systema naturae, dont j’ai les tomes 1 et 2, vous m’obligerez aussi d’y ajouter quelques bon livres nouveaux latins parus dernièrement en Allemagne […].«27
Jacquin bediente sich derselben Strategie, um auch nach Linnés Tod weiterhin schwedische Publikationen zu erhalten. Adolph Murray, Anatomieprofessor in Uppsala, schickte ihm 1776 eine Liste schwedischer Titel, die er für ihn und 23 Vgl. den Brief von Haller an Linné, 3. Juli 1737, ebd., 260–269, 260 ; Volltext und Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0195 (24.10.2016). 24 Vgl. den Brief von Dillenius an Haller, 14. August 1744, in : Epistolarum […] ad Hallerum scriptarum, Bd. 1, 175. 25 Carlo Allioni : Auctarium ad synopsis methodicam stirpium Horti Reg. Taurinensis, in : Mélanges de philosophie et de mathématique de la Société Royale de Turin V (1770–1773), 53–96. 26 Vgl. den Brief von Allioni an Jacquin, 18. April 1789, 1r (Archiv des Naturhistorischen Museums Wien, Briefe an Jacquin, Mappe A–Bru). 27 Vgl. den Brief von Allioni an Jacquin, 29. Januar 1791, 1v (Archiv des Naturhistorischen Museums Wien, ebd.). Unklar ist, welche von Johann August Ephraim Goezes Publikationen Allioni hier meinte ; eventuell : Entomologische Beyträge zu des Ritter Linné zwölften Ausgabe des Natursystems, 5 Bde., Leipzig 1777–1783.
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zwei seiner italienischen Korrespondenten, darunter Allioni, gekauft hatte : »1 [Exemplar] Acta Upsaliensia 2 G[ulden] 1 Valerii Mineralogia, t. 1 40 3 Valerii Mineralogia, t. 2 3 24 2 Linnaei Mantissa altera 2 1 Acta Upsaliensia (1+2) für […] Allioni 2 1 Acta Upsaliensia (1+2) für […] Lamberlinghi 2.«28
Oft schickten junge oder noch wenig bekannte Gelehrte ihre erste Publikation bzw. ihre Schriften an namhafte Persönlichkeiten in der Hoffnung darauf, ein Korrespondenzverhältnis zu initiieren und sich in ein bereits bestehendes Korrespondenznetz einzuklinken. So ließ der deutsche Botaniker Johann Georg Siegesbeck Linné mit einem seiner ersten Briefe vier Exemplare seiner Schrift Programma medico-botanicum de Tetragono Hyppocratis (1737) zukommen, wovon eines für Linné selbst bestimmt war, die restlichen drei für seine niederländischen Korrespondenzpartner George Clifford, Herman Boerhaave, und Adriaan van Royen.29 Im Gegenzug : »Deine bereits erschienenen botanischen Schriften erwarte ich begierig mit der nächsten sich bietenden Gelegenheit, wofür Dir alles, was ich schreiben werde, zur Verfügung stehen soll.«30
Nach demselben Muster erfolgte auch die Kontaktaufnahme zwischen dem jungen Arzt und Botaniker Werner de La Chenal und dem bereits als Gelehrten etablierten und zu Ruhm gelangten Albrecht von Haller. La Chenal 28 Brief von Adolph Murray an Jacquin, 19. November 1776, Liste beigelegt (Archiv des Naturhistorischen Museums Wien, Karton M–N). 29 Vgl. den Brief von Johann Georg Siegesbeck an Linné, 4. Juni 1736 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0085, 1–3, 3 (10.6.2016). Zu Siegesbecks späterem Ausschluß aus der botanischen Gemeinschaft s. oben Kaptitel 3 Interdependenz und Vertrauen ; zum Initiieren einer botanischen Korrespondenz s. auch Florence Catherine : »Je n’oserois vous demander, Monsieur, une correspondance«. Règles et usages de l’entrée en communication avec Albrecht von Haller, in : Pierre-Yves Beaurepaire/Héloïse Hermant (Hg.) : Entrer en communication (Europe XVIe–XVIIIe siècle), Paris 2012, 179–196. 30 Brief von Siegesbeck an Linné, 4. Juni 1736 http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0085, 1–3, 3 (meine Übersetzung des lateinischen Originals).
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schickte Haller seine frisch erschienene Dissertation zu einigen Arten der Flora von Basel, Specimen inaugurale observationum Botanicarum (Basel 1759). Haller bat ihn postwendend um die Zusendung von Exemplaren der dort diskutierten Pflanzen, bot als Gegenleistung Schweizer Pflanzen aus seinen Beständen an und stellte sogar in Aussicht, La Chenal für eine gerade vakante Professur an der Universität Göttingen zu empfehlen.31 1761 wandte sich Pietro Arduino, Professor für Ökonomie in Padua, zum ersten Mal an Linné, indem er ihm ein Exemplar seiner Schrift Animadversionum botanicarum specimen (Padua 1759) zuschickte und außerdem noch eine kleine Publikation seines Bruders Giovanni Arduino (Due lettere sopra varie sue osservazioni naturali, 1760) beilegte.32 Der daraus resultierende Briefwechsel diente, neben dem Austausch von Information zu den Publikationsprojekten beider Briefpartner,33 wesentlich auch der gegenseitigen Beschaffung von Literatur. Arduino bat um ein Exemplar von Linnés in Stockholm erschienenen Species plantarum (welche Ausgabe bleibt unklar) sowie die von Linnés Sohn herausgegebene Decas prima (et secunda) plantarum rariorum horti Upsaliensis (Stockholm, 1762–1763). Im Gegenzug versprach er seinem schwedischen Partner in Italien erschienene Titel. Da Gelehrte infolge des akkumulativen Charakters des botanischen Wissensbildungsprozesses darauf angewiesen waren, Information nicht nur über die Korrespondenz zu akquirieren, sondern auch aus den Publikationen anderer zu extrahieren, reagierten etablierte Botaniker wie Haller und Linné auf derartige Kontakt- und Tauschangebote in der Regel positiv, sofern der potentielle neue Korrespondent eine relevante Publikation vorzuweisen oder anzukündigen hatte. Linné war aufgrund des globalen Anspruchs seines Erfassungsprojekts essentiell auf Publikationen zu lokalen und regionalen Floren angewiesen, die ihm als Quelle für die konstante Erweiterung, Korrektur und Aktualisierung seiner systematischen Schriften dienten. Hallers Interesse 31 Vgl. H. Christ : Der Briefwechsel der Basler Botaniker des 18. Jahrhunderts Achilles Mieg, Werner de La Chenal und Jacob Christoph Ramspeck mit Albrecht von Haller, in : Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel, 29 (1918), 8. Aus diesem ersten Kontakt entwickelten sich eine langjährige Korrespondenz und Kooperation, die La Chenal tief in Hallers Arbeitsprozeß involvieren sollte, sowohl als Pflanzensammler in den Schweizer Alpen als auch als Korrektor der Druckfahnen von Hallers Schriften. 32 Bref och skrifvelser af och till Carl von Linné. Utgifna och med upplysande noter försedda af Th. M. Fries, J. M. Hulth, A. Hj. Uggla, Stockholm 1907–1943, Bd. 2/1 (1916), 85f.; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3017 (24.10.2016). 33 Dazu unten.
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an botanischen Publikationen lokalen oder regionalen Formats resultierte aus dem geographischen Schwerpunkt seines botanischen Interesses auf der europäischen, insbesondere der Schweizer Flora. Mit dem gegenseitigen Versprechen von Büchern begann das Mobilisieren geeigneter Kontaktpersonen – von Freunden, Bekannten, Buchhändlern, Kaufleuten, Schiffskapitänen und anderen – die den Transport, die Zustellung und falls erforderlich auch die Zwischenlagerung einer Sendung zu gewährleisten hatten. Korrespondenten informierten einander über die Verläßlichkeit von Personen und Transportrouten und gaben einander Anweisungen, wann wem etwas mitzugeben bzw. wann von wem etwas abzuholen war. Aber selbst die sorgfältigste Logistik scheiterte nicht selten an der Vielzahl der zu bewältigenden Hindernisse. Dringend benötigte Bücher kamen oft mit bis zu zwei Jahren Verspätung an, oder sie erreichten ihr Ziel nie. Je weiter die Entfernung, desto schwieriger und komplikationsreicher in der Regel der Transport. Die zentrale Herausforderung bestand sowohl für den Sender als auch den Empfänger darin, Kontaktpersonen zu einer verläßlichen Transportroute zu verknüpfen. In einem seiner ersten Briefe an Linné aus dem Jahr 1757 schlug Carlo Allioni, Professor für Botanik in Turin, vor, ihm Material über Cagliari (Sardinien) zu schicken, wo er mit einem hochrangigen Beamten namens Caséle bekannt sei, der gute Beziehungen zum schwedischen Botschafter und zu einigen anderen Schweden unterhalte. Der Beziehungen dieses Mannes könne sich Linné bedienen.34 Linnés Antwort ist nicht überliefert,35 aber letztendlich scheint es zu diesem Arrangement keine Alternative gegeben zu haben. 1761 kündigte Allioni an, einem nach Sardinien abreisenden Freund ein Paket für Linné mitzugeben und so auch in Zukunft verfahren zu wollen, nachdem das Bernard de Jussieu anvertraute Material verloren gegangen sei.36 Offenbar war der Versuch gescheitert, den namhaften französischen Botaniker, mit dem Linné seit langem korrespondierte, als Scharnier zwischen Italien und Schweden zu benutzen – Linné hatte Allionis Paket nie
34 Vgl. den Brief von Allioni an Linné, 13. August 1757, in : Bref och skrifvelser, Bd. 2/1, 23–25 ; 24 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3898 (24.10.2016). 35 Vgl. den Herausgeberkommentar zu Allionis Brief an Linné vom 25. September 1757, in : http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3950, summary. 36 Vgl. Brief von Allioni an Linné, 17. April 1761, in : Bref och skrifvelser, Bd. 2/1, 29f., 29 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2901 (24.10.2016).
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erhalten.37 Auch Allionis Vorschlag, den Transport durch Einschalten des niederländischen Botanikers Johannes Burman zu beschleunigen, wurde von Linné abgelehnt.38 Er habe von Burmann, warum wisse er nicht, seit eineinhalb Jahren keinen Brief mehr erhalten. Was man Burman anvertraue, werde ihn also vermutlich nicht erreichen.39 Der Transport in der Gegenrichtung, von Schweden nach Italien, beruhte ebenfalls auf Zustellung durch Vertrauenspersonen, läßt sich aber weniger genau rekonstruieren. Als Linné Allioni 1772 ein Exemplar seiner zweiten Mantissa (Mantissa plantarum altera, Stockholm 1771) zukommen lassen wollte, in die er Erkenntnisse aus Allionis Schriften eingearbeitet hatte, erkundigte er sich, ob Allioni derzeit einen Kontaktmann in Stockholm habe, dem man das Buch aushändigen könne.40 Für ihren Pflanzen- und Büchertausch zwischen Montpellier und Uppsala instrumentalisierten François Boissier de La Croix de Sauvages und Linné Kaufleute ihres Vertrauens als erste Anlaufstelle für aus dem Ausland an sie eintreffende Pakete. 1749 kündigte Boissier de La Croix de Sauvages an, einem aus der südfranzösischen Hafenstadt Sète nach Stockholm abgehenden Schiff eine Kiste mit Pflanzen und medizinischen Abhandlungen mitgegeben zu haben. Adressiert hatte er seine Sendung an »Mr. Grill, à Stockholm, pour rendre à Mr. Linnaeus, à Upsal.«41 Linné solle bitte die folgende Adresse verwenden : »A Monsieur Desmarets, négociant à Sète, pour rendre à Monsieur de Sauvages, à Montpellier.«42 Zwanzig Exemplare, so Boissier de la Croix de Sauvages, seien für Linné, die restlichen möge er bitte an seinen Freund Albrecht von Haller in Göttingen weiterleiten und diesen in seinem (Sauvages’) Namen darum bitten, ihm im Gegenzug einige seiner eigenen Abhandlungen
37 Vgl. Brief von Linné an Allioni, 2. März 1761, ebd., 27f., 28 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2894 (24.10.2016). 38 Vgl. Brief von Allioni an Linné, 17. April 1761, ebd., 29. 39 Vgl. Brief von Linné an Allioni, 8. April 1768, ebd., 42–44, 43 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L4067 (24.10.2016). 40 Vgl. Brief von Linné an Allioni, 31. März 1772, ebd., 47 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L4629 (24.10.2016). 41 Vgl. Brief von François Boissier de La Croix de Sauvages an Linné, 12. April 1749, in : Lettres inédites de Linné à Boissier de la Croix de Sauvages […] recueillies par […] D’Hombres-Firmas […] publiées par les soins de son fils. Editées sur les autographes, avec notes historiques, par M. C. C., Alais 1860, 119–26, 119. Unklar bleibt, welches Mitglied der Kaufmannsfamilie Grill hier gemeint ist. 42 Ebd., 120.
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zukommen zu lassen.43 Um sich von Linné bei Haller als Tauschpartner von Publikationen einführen zu lassen, nahm Boissier de La Croix de Sauvages also in Kauf, die für Haller bestimmten Schriften von Montpellier über Schweden nach Göttingen zu schicken, was in etwa eineinhalb Jahre dauerte.44 Nicht nur dringend benötigte Bücher wurden mit Hilfe der botanischen Korrespondenz beschafft, sondern auch bibliographische Informationen. Es war keine Seltenheit, daß von Titeln neuer, nicht selten auch älterer Publikationen international nur ein vages, auf Hörensagen gegründetes Wissen zirkulierte – obwohl im Verlauf des 18. Jahrhunderts drei botanische Bibliographien erschienen, zwei davon in aktualisierten Neuauflagen.45 Genau zu wissen, was man suchte, war die notwendige Voraussetzung, um das Gewünschte früher oder später auch zu finden.46 So schrieb Bernard de Jussieu 1751 aus Paris an Linné : »I am not acquainted with Donati’s History of the Adriatic. Pray inform me of the date and place of its publication, and the title of the work, so that I may be able to give orders for a copy.«47
43 Vgl. ebd., 119f. 44 Im September 1750 schrieb Linné an Boissier de la Croix des Sauvages, er habe die Dissertationen erst im Sommer einem ehemaligen Studenten mitgeben können, der nach Göttingen aufgebrochen sei. Haller müsse sie in etwa jetzt erhalten haben – also nach circa eineinhalb Jahren. Vgl. Brief von Linné an François Boissier de La Croix de Sauvages vom 1. September 1750, ebd., 136–143, 137 ; Volltext des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L1156 (24.10.2016). 45 Carl von Linné : Bibliotheca botanica recensens libros plus mille de plantis huc usque editos, secundum systema auctorum naturale in classes, ordines, genera & species dispositos, additis editionis loco, tempore, forma, lingua etc. cum explicatione fundamentorum botanicorum, Amsterdam 1736 ; ders., Bibliotheca botanica […] ; editio nova multo correctior, Halle 1747 ; ders. : Bibliotheca botanica, editio altera priori longe auctior & emendatior, Amsterdam 1751 ; Jean François Séguier : Bibliotheca botanica, sive catalogus auctorum et librorum omnium qui de re botanica, de medicamentis ex vegetabilibus paratis, de re rustica, & de horticultura tractant […], Den Haag 1740 ; Leiden 1760 ; Albrecht von Haller : Bibliotheca botanica, qua scripta ad rem herbariam facientia a rerum initiis recensentur, 2 Bde., Zürich 1771–1772. 46 Das Problem war um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ebenso brisant. Vgl. die einleitende Passage von Alex Csiszar : Seriality and the Search for Order. Scientific Print and its Problems during the Late Nineteenth Century, in : History of Science 48 (2010), 399–434, 399. 47 Brief von Bernard de Jussieu an Linné, 19. Februar 1751, in : Smith, Selection, Bd.. 2, 221– 227, 222 ; Volltext und Faksimile des lateinischen Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L1236 (24.10.2016).
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Nicolaas Laurens Burman beendete einen seiner Briefe an Linné aus dem Jahr 1761 mit einem Resümee der botanischen Aktivitäten in seinem direkten Umfeld und seinem weiteren Bekanntenkreis. Im Rahmen dieser für die naturhistorische Korrespondenz der Zeit typischen Berichterstattung wurde unter anderem und ohne weitere Details eine Schrift Hallers über Orchideen und eine Beschreibung der Zizanea von Johannes Scheuchzer erwähnt. Burman ging davon aus, so schrieb er, daß Linné beide kenne.48 Linné muß daraufhin nachgefragt haben, um welche Titel es sich genau handle, denn einige Monate später erhielt er von Burman einen Brief mit genaueren, aber doch immer noch unvollständigen bibliographischen Angaben.49 Der Titel von Hallers Schrift laute, so Burman, Orchidis classis constituta,50 aber er wisse weder den Erscheinungsort noch das Erscheinungsjahr, ebensowenig wie von Hallers anderem Buch, Emendationes et auctuaria ad stirpium Helveticarum historiam.51 Sein Vater, Johannes Burman, habe beide von Haller geschenkt bekommen, aber leider fehle in beiden Exemplaren die Titelseite ; ob man sie in Amsterdam kaufen könne, wisse er auch nicht. In der Schweiz gedruckte Publikationen eines so prominenten Botanikers wie Haller waren also in Amsterdam nicht zu haben, nicht einmal der exakte Titel war bekannt. Im Gegenzug fragte Burmann bei Linné nach, ob dieser verschiedene internationale Neuerscheinungen schon gesehen habe : Pietro Arduinos Animadversionum botanicarum specimen (Padua 1759), Carlo Allionis Rariorum Pedemontii stirpium specimen primum (Turin 1755), Philipp Friedrich Gmelins Otia Botanica (Tübingen, 1760) und Jakob Christian Schaeffers Botanica expeditior (Regensburg 1760).52 Ein weiterer bibliographischer Service unter Korrespondenten bestand darin, sich gegenseitig über Publikationsprojekte oder Bücher zu informieren, von denen man gehört oder die man gesehen hatte und von denen man wußte, daß sie für die Arbeit des Briefpartners relevant waren. Nachdem Johann Georg Gmelin Haller in Göttingen besucht und ihm die ersten Bände seiner im Erscheinen begriffenen Flora Sibirica (St. Petersburg, 4 Bde., 1747–1769) ge48 Vgl. Brief von N. L. Burman an Linné, 28. Februar 1761, in : Bref och skrifvelser, Bd. II/2, 209–211, 210 ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2871 (24.10. 2016). 49 Vgl. Brief von N. L. Burman an Linné, 18. Juli 1761, ebd., 215–19, 216 ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2926 (24.10.2016). 50 In : Acta helvetica, physico-mathematico-botanico-medica 4 (1760), 82–166. 51 Ad enumerationem stirpium helveticarum emendationes et auctaria, Bern 1759. 52 Vgl. Brief von N. L. Burman an Linné, 23. Okober 1762, in : Bref och skrifvelser, Bd. II/2, 230– 33, 233 ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3139 (24.10.2016).
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zeigt hatte, lobte Haller das Werk in einem Brief an Linné aus dem Jahr 1747 in den höchsten Tönen. Es enthalte zahlreiche neue Arten, sogar neue Gattungen, sei mit gelungenen Illustrationen ausgestattet und werde für Linné von großem Interesse sein.53 Von Boissier de La Croix de Sauvages erfuhr Linné, daß der zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unbekannte Jacquin von einer Mittel- und Südamerikaexpedition mit reicher botanischer Ausbeute zurückgekehrt sei.54 Linné nahm daraufhin sofort Kontakt mit Jacquin auf, stellte ihm Fragen zu diversen Pflanzen, bei deren Bestimmung er sich nicht sicher war, versprach ihm die Zusendung seiner Publikationen und initiierte so eine seiner wichtigsten Tauschpartnerschaften.55 Berichte über Bücher, die man in der letzten Zeit erhalten hatte, waren fester Bestandteil des Informationsaustauschs zwischen Linné und Boissier de La Croix de Sauvages. Im August 1761 resümierte Linné folgendermaßen : »Hallers Orchideen [Orchidum classis constituta, Basel 1760 ; B. D.] oder auch seine Korrekturen zu den Stirpes Helveticae [Ad enumerationem stirpium Helveticarum emendationes et auctaria, Bern 1759] habe ich noch nicht gesehen. Erhalten habe ich ein wunderschönes kleines Buch von Jacquin, das mehr herausragende Beobachtungen enthält als irgendein anderes Buch [Enumeratio systematica plantarum, Leiden 1760) ; […]. Allionis Flora von Nizza [Stirpium praecipuarum littoris et agri Nicaeensis enumeratio methodica, Paris 1757] ist ein ausgezeichnetes Buch. Die Flora Frisica [von David Meese, Franeker 1760] enthält kaum Neues. Die Flora Halensis ist sehr präzise. Die fünf Bände Brissons über Vögel [Ornithologia, 6 Bde., Paris 1760] […] habe ich gesehen. Den dritten Band von Seba [Locupletissimi rerum naturalium thesauri accurata descriptio, Bd. 3, Amsterdam 1761] habe ich erhalten, aber die Ausgabe ist äußerst fehlerhaft. Das Buch von Gérard [Flora gallo-provincialis, Paris 1761] habe ich nicht gesehen. Oeder bringt die dänischen Pflanzen [Icones plantarum sponte nascentium in regnis Daniae et Norvegiae, Kopenhagen 1761–1883] heraus mit wunderschönen Abbildungen ; […] ; er ist ein herausragender Zeichner, der alle Pflanzen selbst gezeichnet hat.«56 53 Vgl. Brief von Haller an Linné, 27. Oktober 1747, ebd., 420 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0839 (24.10.2016). 54 Vgl. Brief von Boissier de La Croix de Sauvages an Linné, 10. Juli 1759 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2557, 1–3, 1. 55 Vgl. Brief von Linné an Jacquin, 1. August 1759, in : Caroli Linnaei epistolae ad […] Jacquin ; 1–3 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2573 (24.10.2016). 56 Brief von Linné an Boissier de la Croix de Sauvages, 25. August 1761, Lettres inédites, 262–
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Einige der hier aufgelisteten Desiderate hatte er sich ein Jahr später noch immer nicht beschaffen können. Im Juli 1762 schrieb er an Jacquin, er habe weder Hallers Emendationes gesehen noch die neuen Floren von Antoine Gouan (Hortus regius Monspeliensis, Lyon 1762) und Louis Gérard.57 Erhalten habe er kürzlich aber einige englische Titel : »Hudsons Flora Anglica [London 1762], schön und klar ausgestattet, die ich sehr schätze ; Lees Introduction to botany [London 1760], fast eine Philosophie der Pflanzen, im Oktavformat ; Stillingfleets Miscellaneous tracts relating to natural history [London 1759], im Oktavformat ; Hills Vegetable System, 1759 [insgesamt 26 Bde., London 1759–75], im Folioformat, mit schönen Abbildungen.«58
Die Unverzichtbarkeit von in der existierenden Literatur enthaltenen Beschreibungen, Abbildungen, Synonymen und Klassifikationsversuchen, mit deren Hilfe eigene Beobachtungen überprüft, ergänzt und korrigiert wurden, etablierte das Beschaffen von Büchern und bibliographischer Information als botanische Alltagspraktik. Je ausgreifender und internationaler der Buchbedarf eines Gelehrten, desto vielfältiger hatte er sich in korrespondenzgestützte Buchbeschaffungsnetzwerke einzuknüpfen. Der Büchertausch und seine aufwendige Logistik intensivierten Interdependenz.
IV.2 Büchertausch und das Publikationssystem der Botanik
Zwischen füreinander langfristig unverzichtbaren Korrespondenten verlief der Büchertausch oft asynchron. Botaniker schickten ihre eigenen Publikationen nach deren Erscheinen an diejenigen Adressaten, deren Neuerscheinungen sie im Gegenzug zu erhalten hofften. 1762 dankte Linné Jacquin beispielsweise für den Erhalt von dessen Wiener Flora, Enumeratio stirpium […] in agro Vindobonensi (Wien 1762), und von noch nicht publizierten Abbildungen zu Jacquins Werk über mittel- und südamerikanische Pflanzen (Selectarum
265, 262f ; Volltext des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L2938 (24.10.2016). Die bibliographischen Angaben zu den einzelnen Titeln in eckigen Klammern sind nachträglich ergänzt. 57 Brief von Linné an Jacquin, 4. Juli 1762, in : Caroli Linnaei epistolae ad […] Jacquin, 56–58, 57 ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3110 (24.10.2016). 58 Ebd., 57f. (meine Übersetzung des lateinischen Originals).
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stirpium Americanarum historia, Wien 1763).59 Im Gegenzug versprach er den gerade erschienenen ersten Band der zweiten Ausgabe seiner eigenen Species plantarum (2 Bde., Stockholm 1762–1763).60 Wenige Monate später teilte Jacquin mit, daß die Selectarum stirpium Americanarum historia nun erschienen sei, von der er Linné umgehend ein Exemplar schicken werde.61 Ein weiteres Exemplar erhielt Antoine Gouan, der zu diesem Zeitpunkt an der Fertigstellung seiner Flora von Montpellier (Flora Monspeliaca, Lyon 1765) arbeitete.62 Nachdem 1745 zwei neue botanische Werke Hallers erschienen waren, eine ergänzte und korrigierte Ausgabe von Heinrich Bernhard Ruppes Flora Jenensis (Jena 1718)63 und eine kleinere Schrift zu den europäischen Lauchgewächsen (De Allii genere naturali libellus), schickte er beide umgehend an ausgewählte Korrespondenzpartner, deren laufende oder gerade abgeschlossene Publikationsprojekte für ihn von Interesse waren. Einer der Empfänger war Dillenius, der als Autor der Historia muscorum (Oxford 1741) zur internationalen Autorität im Bereich der blütenlosen Pflanzen aufgestiegen war und mit dem sich Haller regelmäßig über diesbezügliche Fragen austauschte.64 Dillenius Gegengabe umfaßte zwei kleinere in England erschienene Publikationen sowie Samen von Moosen, um die ihn Haller für seine Flora der Schweiz gebeten hatte.65 Linné, dem Haller seine beiden Schriften ebenfalls angekündigt hatte, meldete ein halbes Jahr später zurück, die Flora Jenensis sei so spät eingetroffen, daß er sie letzten Endes zu einem schwindelerregenden Preis gekauft habe.66 De Allii genere sei dagegen sicher angekommen und lasse 59 Vgl. Brief von Linné an Jacquin, 24. September 1762, in : Caroli Linnaei epistolae ad […] Jacquin, 58–60, 58f ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L3125 (24.10.2016). 60 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 23. Oktober 1762 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L3140, 1–3, 1. 61 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 5. Januar 1763 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18. net/Letter/L3202, 1–3, 1. 62 Vgl. Brief von Antoine Gouan an Jacquin, 31. Juli 1767, 1r (Archiv des Naturhistorischen Museums Wien, Briefe an Jacquin, Mappe Gou-H). 63 Albrecht von Haller : Flora Jenensis Henrici Bernhardi Ruppii ex posthumis auctoris schedis et propriis observationibus aucta et emendata, accesserunt plantarum rariorum novae icones, Jena 1745 ; vgl. Brief von Haller an Linné, 10. Juni 1745, in : Smith, Selection, Bd. 2, 376f., 377 ; Volltext und Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0634 (24.10.2016). 64 Vgl. Brief von Dillenius an Haller, 17. Februar 1746, in : Epistolarum […] ad Alb. Hallerum scriptarum, Bd. 2, 252–255, 252f. 65 Vgl. ebd., 253. 66 Vgl. Brief von Linné an Haller, 18. Januar 1746, in : Smith, Selection, Bd. 2, 378f., 378.
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ihn Hallers Leistung im Bereich der Synonymik bewundern.67 Wenn er früher von diesem Projekt gewußt hätte, hätte er Haller dazu einige Arten aus seinen eigenen Beständen geschickt. Das Streben nach Vollständigkeit und das Bemühen, trotz der Unvermeidbarkeit von Fehlern doch immerhin deren Anzahl zu minimieren, trieben die kollaborative Dynamik der Botanik an. Im Rahmen dieses Systems war es nicht nur notwendig, Pflanzen, Samen, Information und Beobachtungen von seinen Korrespondenten zu akquirieren, sondern, wie oben gezeigt, auch deren einschlägige Publikationen, aus denen dann relevante Information in das eigene Manuskript übernommen wurde. Haller, Dillenius und Linné bildeten in diesem Sinne eine botanische Produktionsgenossenschaft, deren Mitglieder einander ihre Publikationen und Manuskripte zur Verfügung stellten, um durch Arbeitsteilung das inhaltliche Spektrum ihrer Projekte über das Maß dessen hinaus zu erweitern, was ein einzelner Gelehrter leisten konnte. Innerhalb dieses kooperativen Dreiecks wurde ein abgeschlossenes oder auch so gut wie abgeschlossenes Werk des einen Autors, meistens in Form des gedruckten Buches, seltener in Manuskriptform, an den nächsten weitergereicht, um dann die Fertigstellung von dessen Werk zu ermöglichen. Der Briefwechsel zwischen den drei Botanikern dokumentiert, wie sehr die Arbeiten jedes einzelnen von ihnen auf den Erhalt der Schriften der beiden anderen angewiesen waren – und das obwohl Dillenius und Haller sowohl Linnés Sexualsystem als auch seiner Nomenklatur kritisch gegenüber standen. Dillenius, der zu diesem Zeitpunkt intensiv an der Fertigstellung seiner Historia muscorum arbeitete, dankte Haller im Dezember 1740 für den Erhalt von dessen Iter Helveticum (Göttingen 1740), stellte eine ganze Reihe detaillierter Fragen zu dort beschriebenen Pflanzen und korrigierte einige Fehler, die ihm aufgefallen waren. Im selben Brief bat er Haller, ihm doch bitte die Illustrationen von Moosen sowie die entsprechenden Textseiten seiner entstehenden Schweizer Flora (Enumeratio methodica 1742) möglichst bald für die Illustration und Fertigstellung seiner eigenen Historia muscorum zuzuschicken. Er gebe viel auf Hallers Urteil.68 Kurz darauf meldete Haller zurück, daß er sich bei der Fertigstellung seiner Enumeratio gezwungen gesehen habe, mit Linnés Pflanzennamen zu arbeiten. Er habe sie modifiziert, wo sie ihm zu sehr widerstrebten, aber er habe sie 67 Vgl. ebd. 68 Brief von Dillenius an Haller, 11. Dezember 1740, in : Epistolarum [… ] ad Alb. Hallerum scriptarum, Bd. 2, 30–33, 32.
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nolens volens verwendet. Wenn Dillenius’ Werk früher erschienen wäre, hätte er sich an seinen Namen orientiert !69 Und ein halbes Jahr später : Er arbeite weiter an den Moosen für die Fertigstellung der Enumeratio. Nachdem er jetzt erfahren habe, daß Dillenius’ großes Werk erschienen sei, erwarte er dringend ein Exemplar, damit er daraus wenigstens einige Synonyme in seine Publikation übernehmen könne.70 Linné wiederum hatte 1740 an Haller geschrieben, daß er nun endlich dessen beide Reiseberichte, Iter Helveticum and Iter Hercynicum71, erhalten habe. Wenn doch endlich seine Übersicht der Schweizer Pflanzen erschiene ! Sobald er diese und Dillenius’ Historia Muscorum gesehen haben werde, könne er seine eigenen Species plantarum, ein systematisches Verzeichnis aller zu diesem Zeitpunkt bekannten Arten, in den Druck geben.72 Die Arbeit an den Species plantarum (1753) dauerte länger als geplant. 1746 teilte Linné Haller mit, daß er versuche, so viele Synonyme wie möglich zusammenzutragen, weswegen sowohl die Schriften von Dillenius, die Historia Muscorum und dessen Hortus Elthamensis (London 1732) als auch Hallers Enumeratio stirpium für ihn von größter Bedeutung seien. Auf Grund des Vertrauens, das er in beide Autoren habe, übernehme er deren Synonyme ungeprüft, was seinen Arbeitsaufwand beträchtlich reduziere.73 Wer über die Korrespondenz die Schriften anderer Botaniker erhielt, stand in deren Schuld, mußte angesichts der verschlungenen Transportwege das Eintreffen von Buchsendungen bestätigen und, früher oder später, eine angemessene Gegengabe leisten.74 Alle involvierten Protagonisten waren im Rahmen dieses auf Reziprozität gegründeten Systems aufeinander angewie69 Vgl. Brief von Haller an Dillenius, 1. September 1741, in : Druce, Dillenian Herbaria, ci–ciii, ciii. 70 Vgl. Brief von Haller an Dillenius, 28. März 1742, ebd., civf., civ. 71 Albrecht von Haller : Observationes botanicae ex itinere in Sylvam Hercyniam anno MDCCXXXVIII suscepto, Göttingen 1738. 72 Vgl. Brief von Linné an Haller, 15. September 1740, in : Epistolarum […] ad Hallerum scriptarum, Bd. 2, 19–22, 20 ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0401 (24.10.2016). 73 Vgl. Brief von Linné an Haller, 21. Oktober 1746, ebd., 305–308, 306f ; Faksimile des Originals http://www.linnaeus.c18.net/Letter/L0738 (24.10.2016). 74 Zur Kultur des Gabentausches s. Marcel Mauss : Essai sur le don. Forme et raison de l’échange dans les sociétés archaïques, in : L’Année Sociologique 1 (1923–1924), 30–186 ; außerdem Natalie Zemon Davis : The Gift in Sixteenth-Century France, Oxford 2000 ; dies.: Beyond the Market. Books as Gifts in Sixteenth-Century France, in : Transactions of the Royal Historical Society 33 (1983), 69–88.
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sen, weswegen das Nicht-Erfüllen von aus Tauschbeziehungen resultierenden Schuldigkeiten mit Suspendierung, im Extremfall mit Beendigung des Tauschverhältnisses geahndet wurde. 1742 schickte Haller Linné seine neu erschienene Enumeratio methodica, die nach monatelangen Verzögerungen im Sommer 1743 in Uppsala eintraf und Linné entzückte. Er schrieb einen überschwenglichen Dankesbrief,75 der Haller nicht erreichte, woraufhin dieser sich über das Ausbleiben einer angemessenen Reaktion bei Adriaan van Royen, einem gemeinsamen Korrespondenzpartner beschwerte. Alarmiert durch van Royen, schickte Linné zu seiner Rechtfertigung einen zweiten Brief an Haller, der die Verpflichtungen einer solchen Tauschbeziehung und damit auch deren Fragilität deutlich macht.76 Linné verwies auf das Problem der Kettenreaktion, daß nämlich auch er selbst über das Ausbleiben einer Antwort Hallers auf seinen langen, viele Fragen enthaltenden Brief enttäuscht gewesen sei, den er ordnungsgemäß nach Erhalt des für ihn so kostbaren Buches geschrieben habe. Allerdings habe er Haller deswegen nicht der Versäumnis von Korrespondentenpflichten bezichtigt, sondern sei bereit gewesen, in Hallers vielfältigen Verpflichtungen einen gültigen Grund zu sehen. Kurz darauf sei Hallers Hortus Göttingensis bei ihm eingetroffen und er habe einen zweiten Brief geschrieben, in dem er um Samen von darin enthaltenen Pflanzen gebeten habe ; wieder ohne Antwort.77 1764 mußte sich Linné gegen den Vorwurf Jacquins verteidigen, er habe die Briefe eines ganzen Jahres unbeantwortet gelassen. Jacquin forderte eine Erklärung für Linnés Schweigen, indem er herausfordernd versicherte, er wolle nicht glauben, was andere über Linné sagten ; daß er alte Brieffreunde vernachlässige und mehr daran interessiert sei, Material zu erhalten als die geschuldeten Gegenleistungen zu erbringen. Falls Linné den Kontakt abbrechen wolle, solle er es ihm sagen ; das habe er verdient.78 Linné, für den Jacquin mittlerweile unverzichtbar geworden war,79 beantwortete diesen 75 Brief von Linné an Haller, 29. Juli 1743, in : Epistolarum […] ad Hallerum scriptarum, Bd. 2., 360–364. 76 Vgl. Brief von Linné an Haller, 29. Mai 1744, ebd., 369–371, 369. 77 S. ebd., 370. 78 Vgl. Brief von Jacquin an Linné, 10. September 1764 ; Faksimile des Originals http://linnaeus. c18.net/Letter/L4261, 1–3, 1. 79 »[…] von dem [Jacquin] ich sehr viele Briefe erhalten habe, die wahrlich Gold wert sind, voller seltenster botanischer Beobachtungen.« (Brief von Linné an Boissier de la Croix de Sauvages, 22. November 1759, in : Lettres inédites, 243–248, 245.
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Botanik als Buchwissenschaft
Brief trotz seines konfrontativen Tons, da alles andere, wie er schrieb, auf ein Zerwürfnis hinauslaufen würde. In seiner Rechtfertigung verwies er entschuldigend auf das gigantische Volumen seiner Korrespondenz – Tag und Nacht reichten nicht aus, um alle Zuschriften zu beantworten –, auf eine überstandene schwere Krankheit und auf die Buchführung seines Briefboten, die genau ausweise, wann er aus Uppsala wieviel an Jacquin geschrieben habe : am 4. Januar zehn Seiten, am 3. April drei Seiten und am 3. August weitere drei Seiten.80 Abschließend kehrte er demonstrativ und unbeschadet aller Vorwürfe zur Routine der Tauschkorrespondenz zurück. Von den zuletzt aus Wien erhaltenen Samen habe einer ausgetrieben. Beigelegt finde Jacquin Samen der Zinnia fl. rubris, der Browallia, Trianthema und der Ethulia. Außerdem liege für ihn ein Exemplar der neuen Edition der Genera plantarum81 bereit. Da in der Regel beide Seiten ein substantielles Interesse am Fortbestehen eines produktiven Tauschverhältnisses hatten, waren längere Unterbrechungen ein Grund zur Sorge. 1761 erkundigte sich Boissier de la Croix des Sauvages bei Linné, mit dem er zu diesem Zeitpunkt bereits seit über zwanzig Jahren korrespondierte, woran es liege, daß er seit über fünf Monaten keinen Brief mehr von ihm erhalten habe. Ob Linnés Gesundheit die Ursache sei, oder habe er ihm etwas vorzuwerfen ?82 Selbst schwere Krisen ließen sich mit einem gewissen Pragmatismus überwinden. Als das Verhältnis zwischen Haller und Linné nach dem Erscheinen der Flora Svecica einen kritischen Punkt erreicht hatte, da sich Haller in diesem Werk von Linné unverhältnismäßig harsch kritisiert und damit öffentlich diskreditiert fühlte, beklagte er in einem seiner Briefe den für beide Seiten kontraproduktiven Status quo : »our correspondence and our interchange of books is interrupted ; the communication of any of your northern plants and mosses is evaded.«83
Linnés Schadensbegrenzungsmaßnahmen, insbesondere den in seine Flora Zeylanica (1747) eingeflochtenen Huldigungen Hallers, war es zu verdanken, 80 Brief von Linné an Jacquin, 16. Oktober 1764, in : Caroli Linnaei epistolae ad […] Jacquin, 79–81, 80 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L3464. 81 Die sechste Auflage der Genera plantarum war 1764 in Stockholm erschienen. 82 Vgl. Brief von Boissier de la Croix de Sauvages an Linné, 16. Februar 1761 ; Faksimile des Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L2880, 1–2, 2. 83 Brief von Haller an Linné, 25. Mai 1747, in : Smith, Selection, Bd. 2, 413–415, 413 ; Volltext und Faksimile des lateinischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L0805.
Büchertausch und das Publikationssystem der Botanik
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daß beide zurück zu einer funktionierenden Arbeitsbeziehung fanden ; sowohl der Pflanzen- als auch der Büchertausch, auf den beide Seiten angewiesen waren, liefen weiter.84
84 Siehe zum Beispiel den Brief von Haller an Linné, 27. Oktober 1747, ebd., 419–421, 419 : »I have just received your very kind letter […] I have also received your admirable Flora Zeylanica, and have to thank you for the additional honour you have done me.«
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V . Fortschreiben durch Übersetzen
Publikationen entstanden aus einer kollaborativen Dynamik, die darauf beruhte, daß Botaniker einander Pflanzen, Beobachtungen, Information und Publikationen unter der Bedingung zur Verfügung stellten, daß Kontributionen mit adäquaten Gegenleistungen und, wo erforderlich, mit explizitem Hinweis auf den Spender vergolten wurden. Daß Formen von Koautorschaft eine notwendige Konsequenz dieser Praxis waren, hat sich im bisherigen Verlauf der Argumentation bereits abgezeichnet, indem sichtbar wurde, wie sich Autoren durch ihre Beiträge in die Publikationen anderer einschrieben und sie in diesem Sinne mitschrieben. Die folgenden zwei Kapitel sollen das Phänomen kollektiver botanischer Autorschaft weiter profilieren und verdeutlichen, in welchem Ausmaß das kollaborative Publikationssystem dazu beitrug, das Prinzip individueller Autorschaft zu dezentralisieren. Zunächst wird zu zeigen sein, in welchem Umfang Linnés Werke, insbesondere sein Systema naturae, sowohl zu seinen Lebzeiten als auch posthum von Übersetzern fortgeführt und ergänzt wurden. Gleichzeitig führte das Einarbeiten zahlloser Zusätze und Korrekturen in einen existierenden Text, das Dokumentieren ihrer Provenienz, das Aufzeigen von Unstimmigkeiten sowie das Verweisen auf relevante Beobachtungen, Beschreibungen und Illustrationen in der botanischen Literatur zur Entwicklung und Verfeinerung textueller Montagetechniken. Dieses im Lauf der Übersetzungszyklen immer komplexer werdende Montieren von Textbausteinen prägte nicht nur das Erscheinungsbild der Neuauflagen des Systema, insbesondere der übersetzten, sondern es reflektiert auch die modulare Architektur eines von vornherein auf Erweiterung angelegten Systems.
V.1 Aktualisieren und Ergänzen
Besprechungen von Linnés Werken in gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts dokumentieren, daß Zeitgenossen das von ihm maximal genutzte Kontributions- und Iterationsprinzip angesichts der Größenordnung der zu bewältigenden Aufgabe für unverzichtbar hielten. Die Rezension der dreizehnten, posthum erschienenen Ausgabe des Systema naturae (3 Bde., 1788–1793) in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek reflektierte diesen Konsens, indem sie
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Fortschreiben durch Übersetzen
betonte, wie viele neue Arten seit dem Erscheinen der letzten Ausgabe (1766) entdeckt und wie viele Fehler in dieser Zeit korrigiert wurden. Alles das, so der Rezensent, sei nun endlich in eine aktualisierte Version eingegangen.1 Aber, so kommentierte eine weitere Rezension, obwohl das Linnésche System trotz unvermeidlicher Fehler und Lücken zweifelsohne das vollständigste und darum das am häufigsten verwendete sei : »Was half es aber Liebhabern, die entweder gar kein Latein, oder wenigstens kein Linneisches verstanden. Diese mußten vor der Quelle dursten.«2 Das Fortschreiben von Linnés Werken, vor allem des Systema naturae, soll hier mit Blick auf das Übersetzen der im Original lateinischen Schriften in verschiedene europäische Sprachen diskutiert werden.3 Absicht und Ambition der meisten Übersetzer war es nicht nur, das globale Systema naturae für die botanische Praxis einer breiteren, oft primär an regionaler Botanik interessierten Leserschaft zu erschließen, sondern auch, es zu ergänzen, zu korrigieren und somit mitzugestalten. Übersetzungen des Systema wiesen demzufolge unterschiedliche, auf ihr jeweiliges Zielpublikum ausgerichtete Informationsprofile auf. Zwischen 1773 und 1775 brachte der Erlanger Zoologe Philipp Ludwig Statius Müller die ersten sechs Bände einer deutschen Übersetzung des Systema naturae heraus, unter dem Titel Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Natursystem, nach der zwölften lateinischen Ausgabe und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks mit einer ausführlichen Erklärung ausge-
1 Anonyme Rezension von Caroli a Linné […] Systema naturae per regna tria naturae […] Tom. 1. Editio decima tertia, aucta, reformata : cura Jo. Frid. Gmelin […], Leipzig 1788, in : Allgemeine Deutsche Bibliothek 88/2 (1789), 192–194, 193 : »Wer es weiß, was die Naturgeschichte binnen dieser Zeit […] für Riesenschritte gethan ; wie viele neue Entdeckungen […] in Europa sowohl als in Afrika und Amerika und in den neuentdeckten Südländern gemacht ; wie manche – selbst Linneische Irrthümer – durch richtigere Beobachtungen relegiert, und wie manche Hypothesen durch untrügliche Fakta in wahre Naturgeschichte verwandelt sind : der wird sich freuen, mit einer neuen Ausgabe des Linneischen Natursystems beschenkt zu seyn.« 2 Anonyme Rezension von Des Ritters Karl von Linne vollständiges Natursystem, nach der 12ten lateinischen Ausgabe […] ausgefertiget von Phil. Ludw. Statius Müller […], Nürnberg 1773–74, in : Teutscher Merkur 7 (1774), 380f., 381. 3 Linnéübersetzungen haben bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren ; s. Pascal Duris : Traduire Linné en français à la fin du XVIIIe siècle, in : Early Science and Medicine 2 (2007), 166– 186 ; s. auch Bettina Dietz : Linnaeus’ Restless System : Translation as Textual Engineering in Eighteenth-Century Natural History, in : Annals of Science 73 (2016), 143–156 ; zu Übersetzungen von Hallers Werken vgl. Nicoli, Les savants et les livres, 281–302 ; zum wachsenden Interesse der Wissenschaftsgeschichte an Übersetzungen s. Einleitung, FN 57.
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fertiget.4 Als Vorbild diente Müller ein monumentales Pilotprojekt aus den Niederlanden, Maarten Houttuyns Natuurlyke Historie,5 die Linnés Systema nicht nur übersetzte, sondern auch die im lateinischen Original minimal kurz gehaltenen Beschreibungen durch ausführlichere, in der Regel aus Werken anderer Botaniker entnommene Passagen ergänzte. Obwohl sich beide Werke an ein Publikum von Nicht-Spezialisten bzw. Noch-nicht-Spezialisten wandten, ist die durch sie initiierte Entwicklung mit »Popularisierung« nicht adäquat charakterisiert, da Übersetzungen Linnés in diverse Landesprachen neue Nutzer des Systema rekrutierten und somit weitere Ergänzungen und Korrekturen durch eine erweiterte Leserschaft generierten.6 Ganz in diesem Sinne erklärte auch Müller, daß man von ihm keine reine Übersetzung zu erwarten habe, weder von Linnés Systema noch von Houttuyns Natuurlyke Historie. Er habe Linnés Methode sowie die daraus resultierenden klassifikatorischen Kriterien übernommen, sei der Vorlage – Müllers Referenztext war die zwölfte 4 Müllers Vollständiges Natursystem erschien in Nürnberg. Bereits die erste Übersetzung von Linnés Systema naturae war ins Deutsche erfolgt : Caroli Linnaei […] Systema Naturae, sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera et species = Caroli Linnaei […] Natur-Systema, oder Die in ordentlichem Zusammenhange vorgetragenen drey Reiche der Natur, nach ihren Classen, Ordnungen, Geschlechtern und Arten, in die deutsche Sprache übersetzet, und mit einer Vorrede herausgegeben von Johann Joachim Langen […], Halle 1740. Außerdem erschienen einige zweisprachige Ausgaben des Systema mit lateinischem Text und in die jeweilige Landesprache übersetzten Namen. Linné selbst brachte 1740 eine erweiterte zweite Auflage heraus, in deren zoologischen und mineralogischen Teil er schwedische Namen eingefügt hatte. 5 Maarten Houttuyn : Natuurlyke Historie, Of uitvoerige Beschryving der Dieren, Planten en Mineraalen, Volgens het Samenstel van den Heer Linnaeus ; met naauwkeurige Afbeldingen, 37 Bde., Amsterdam 1761–1785. 6 Zur Naturgeschichte als einer gelehrten Grassroots-Bewegung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zur Notwendigkeit einer Neubewertung des Konzepts »Amateur« in diesem Zusammenhang s. Bettina Dietz : Making Natural History. Doing the Enlightenment, in : Central European History 43 (2010), 25–46 ; zum 19. Jahrhundert s. Anne Secord : Corresponding Interests. Artisans and Gentlemen in Nineteenth-Century Natural History, in : The British Journal for the History of Science 27 (1994), 383–408 ; zu Wissenschaft im öffentlichen Raum in Auswahl : Bernadette Bensaude-Vincent/Christine Blondel (Hg.) : Science and Spectacle in the European Enlightenment, Aldershot 2008 ; Aileen Fyfe/Bernard Lightman (Hg.) : Science in the Marketplace. Nineteenth-Century Sites and Experiences, Chicago 2007 ; Carsten Kretschmann : Räume öffnen sich. Naturhistorische Museen im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Berlin 2006 ; Oliver Hochadel : Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen 2003 ; Andreas W. Daum : Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848–1914, München 1998 ; Jan Golinski : Science as Public Culture. Chemistry and Enlightenment in Britain, 1760–1820, Cambridge 1992.
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Auflage (1766–1768) – aber weder wörtlich gefolgt noch habe er alle dort gelieferten Beschreibungen beibehalten. Vielmehr »haben wir uns bemühet, bey einer freyen Nachfolge seines Systems Zusätze zu machen, Erläuterungen zu geben, und deutsche Namen hinzuzufügen.«7
Die kompilatorische Leistung Houttuyns, das Vergleichen zahlloser naturhistorischer Quellen und das Auswählen und Einfügen geeigneter Passagen, bezeichnete Müller als Inspiration für seinen eigenen Ansatz. Auch habe er alle Abbildungen aus Houttuyns Werk beibehalten und zur Steigerung des praktischen Wertes seiner Übersetzung weitere ergänzt. Außerdem schaltete Müller eigene Beobachtungen und Kommentare ein und nahm Änderungen bzw. Korrekturen vor, wo er sich seiner Sache sicher war.8 Wie andere Übersetzer auch, nutzte Müller das Vorwort als Rechenschaftsbericht, um seine Strategien zu diskutieren und seine Ergänzungen im Detail zu dokumentieren. Unvermeidlicherweise seien, so seine Argumentation, in Linnés System nach wie vor Lücken anzutreffen. Auch würden dort immer wieder Varietäten fälschlich als Arten, und andersherum, Arten als Varietäten geführt,9 aber Linné arbeite ja bereits an einer dreizehnten Auflage, die zweifelsohne weitere Korrekturen und Ergänzungen enthalten werde. Noch stand also Linné als treibende Kraft hinter den durch ihn selbst in Gang gesetzten Aktualisierungszyklen, aber das Fortschreiben seiner eigenen Werke blieb ihm, obwohl er noch selbst an ihnen arbeitete und erst 1778 starb, nicht mehr allein überlassen. Müller behielt zwar die gesamte Anordnung von Linnés zwölfter Auflage unverändert bei, erklärte aber im Vorwort, angesichts neuester Publikationen Zweifel an der einen oder anderen von Linnés Gattungen bzw. Arten angemerkt zu haben. Für Korrekturen war ein separater Ergänzungsband geplant, der erst nach dem Erscheinen von Linnés dreizehnter Auflage zusammengestellt werden sollte, um auch dem allerneuesten Stand der Dinge Rechnung zu tragen. Was Müller aber in Angriff nahm, ohne das Erscheinen einer 7 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Natursystem, Bd. 1, Vorbericht (unpaginiert). 8 Siehe ebd. 9 Vgl. Linnés Definition von »Varietät« in seiner Philosophia Botanica : »The number of varieties is the number of differing plants that are produced from the seed of the same species. A variety is a plant that is changed by an accidental cause : climate, soil, heat, winds, etc., and likewise is restored by a change of soil. Kinds of varieties are size, fullness, curling, colour, savour, and smell.« (übers. von Stephen Freer, Oxford 2005, 114). Zu Varietäten als Fehlerquelle bei der Bestimmung von Arten s. außerdem Müller-Wille, Botanik und weltweiter Handel, 284–297.
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dreizehnten Auflage des Linnéschen Systema abzuwarten,10 war das Ergänzen neuen Materials aus der aktuellen internationalen Fachliteratur. Als seine Hauptquellen verwies er auf die Periodika der Akademien in Paris, Petersburg und Stockholm sowie die Ephemeriden der deutschen Leopoldina, aus denen er eine Vielzahl von Einzelbeobachtungen extrahiert habe, auf Linnés Amoenitates Academicae und die »besten Reisebeschreibungen«, darunter die ersten der von der botanischen Fachwelt mit Faszination rezipierten Berichte über die Reisen von Linnés Schülern in naturhistorisch kaum bekannte oder noch gänzlich unbekannte Regionen.11 Außerdem bezog er Information aus : »den Brisson, Buffon, Daubenton, auch andern wichtigen Schriften, die in Engelland oder Deutschland herausgekommen, deßgleichen aus eigenen Beobachtungen und genauer Besichtigung verschiedener Naturalien-Cabinetter […].«12
Müller konstatierte, daß Irrtümer trotz größter Sorgfalt nicht zu vermeiden seien, und bat seine Leser, ihn auf Fehler aufmerksam zu machen. Begründete Hinweise werde er dankbar entgegenzunehmen. Das von Linné perfektionierte, kooperative Procedere war so sehr zur Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit geworden, daß es, wie hier deutlich wird, auch in Übersetzungen zur Anwendung kam, die sich an ein Publikum von Nicht-Spezialisten richteten. 10 Zwei Auflagen des Systema naturae bezeichnen sich als die dreizehnte. Noch zu Linnés Lebzeiten erschien : Caroli a Linné […] Systema naturae, per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera, species cum characteribus, differentiis, synonymis, locis […] Editio decima tertia, ad editionem duodecimam reformatam Holmiensem, 3 Bde., Wien 1767–1770 (vgl. Soulsby, Catalogue, Nr. 116 ; bis auf das Fehlen der Errata am Ende unterscheidet sich diese Ausgabe, laut Soulsby, nicht von der zwölften). 1788, zehn Jahre nach Linnés Tod, erschien eine von Johann Friedrich Gmelin massiv erweiterte Ausgabe : Caroli a Linné […] Systema naturae, per regna tria naturae, secundum classes, ordines, genera, species cum characteribus, differentiis, synonymis, locis […] Editio decima tertia, aucta, reformata. Cura Jo. Frid. Gmelin, 3 Bde. Leipzig 1788–93. 11 Beispielsweise Pehr Kalms Bericht über seine Reise durch Nordamerika, der zwischen 1753 und 1761 auf Schwedisch erscheinen war und ins Deutsche übersetzt wurde als : Des Herren Peter Kalms […] Beschreibung der Reise, die er nach dem nördlichen Amerika auf den Befehl gedachter Akademie und öffentliche Kosten unternommen hat ; eine Übersetzung, 3 Bde. Göttingen 1754–1764 ; oder Pehr Osbecks Bericht über seine Reise nach Südchina, der 1757 auf Schwedisch erschienen war und anschließend erst ins Deutsche (1765) und aus dem Deutschen dann ins Englische übersetzt wurde (1771). Zu Osbecks Publikationsstrategien s. Kapitel VI Was ist ein botanischer Autor ? 12 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Natursystem, Bd. 1, Vorbericht (unpaginiert).
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Als Autor einer der ersten im großen Stil ergänzten Linnéübersetzungen unterstrich Müller die strukturell kompilatorische Natur des Systema, des Originals sowie der Übersetzungen. Nachdem Houttuyns Natuurlyke Historie von einem Rezensenten als Kompilation abgewertet worden war, fürchtete Müller einen ähnlichen Angriff auf sein eigenes Werk. Dem hielt er prophylaktisch die bemerkenswerte Frage entgegen : »Was ist aber ein System anderes als eine Compilation ?«13 »Gesetzt, es wäre […] für einen Schriftsteller zu geringfügig, das, was viele andere schon geschrieben haben, in seinem Werk zusammenzutragen ; so fragen wir diejenigen, die den Herrn Houttuin so hämisch einen Compilator nennen, um Rath : Wie es denn bey einem solchen Werke anzufangen sey ? Und wir geben zur Probe einmal den Elefanten oder das Rhinoceros auf, und wünschen, daß uns eine Beschreibung von diesen Thieren gegeben werde, darinnen nichts vorkommt, was Brisson, Buffon, Klein, Aldrovandus, oder Johnston bereits haben.«14
Müller betonte die essentielle Abhängigkeit naturhistorischer Beschreibungen von vielfältigen Informationsquellen und erklärte sie zu Informationsaggregaten. Wer eine Übersetzung von Linnés Systema naturae als Kompilation diskreditierte, hat, so ist zu schlußfolgern, auch die Machart des Originals und den daraus resultierenden Wert nicht erfaßt. Zeitgenössische Rezensionen in den gelehrten Journalen des 18. Jahrhunderts reagierten positiv auf Müllers Natursystem, das sie nicht nur als willkommene deutsche Übersetzung des lateinischen Originals begrüßten, sondern auch als erste um Erklärungen und ausführliche Beschreibungen erweiterte Version für den deutschen Nicht-Spezialisten. Betont wurde der Status der Naturgeschichte als Passion einer Epoche, die infolge von Linnés Schriften »in unseren Tagen fast allgemein gemacht und nicht nur Gelehrte, sondern auch Ungelehrte von allerley Stande beseelet hat«.15 Und je mehr Praktiker die Linnésche Botanik rekrutierte, um so mehr Pflanzen konnten in das System »rekrutiert«16 werden. Übersetzungen mobilisierten neue Kontributoren, 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Anonyme Rezension zu Des Ritters Karl von Linne […] vollständiges Natursystem, ausgefertiget von Phil. Ludwig Statius Müller […] 1773, in : Mannigfaltigkeiten 4 (1773), 447f., 447. Ähnlich argumentierte auch der Verfasser einer zweiten Rezension, erschienen in : Teutscher Merkur 7 (1774), 380f. 16 Die Formulierung ist einer Rezension aus dem Jahr 1783 entnommen : Supplementum plan-
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die zur langfristigen Vervollständigung und Korrektur des Systema naturae beitrugen, was dessen Unverzichtbarkeit in der naturhistorischen Praxis bestätigte, woraus wiederum weitere Ergänzungen des Systems resultierten. Auf Müllers Übersetzung des Tierreichs folgte, in vierzehn Bänden, die Übersetzung des botanischen Teils des Systema unter dem Titel Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem nach der 13. lateinischen Ausg. und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks übersetzt und mit einer ausführlichen Erklärung ausgefertiget.17 Während Müller noch die von Linné selbst besorgte zwölfte Auflage des Systema verwendet hatte, arbeiteten die beiden Übersetzer des Vollständigen Pflanzensystems bereits mit einer aktuelleren Version, und zwar mit Johan Andreas Murrays erweiterter Ausgabe des botanischen Teils aus dem Jahr 1774.18 Denn um Relevanz beanspruchen zu können, waren Übersetzungen des Systema demselben Aktualisierungsdruck ausgesetzt wie das Original. Während sie einerseits dem Status quo des globalen botanischen Erfassungsprojekts Rechnung zu tragen hatten, strebten sie darüber hinaus einen auf ihr jeweils anvisiertes Publikum ausgerichteten informativen Mehrwert an. Welches Informationsprofil präsentierte das Vollständige Pflanzensystem ? Während das Systema naturae keine Abbildungen enthielt, integrierten die beiden Übersetzer, wie vor ihnen bereits Müller, Abbildungen aus Houttuyns Natuurlyke Historie in ihren Text. Allerdings hatte sich Houttuyn darauf spezialisiert, ausländische und seltene Pflanzen abzubilden, was für das anwendungsorientierte Publikum, an das sich die deutsche Übersetzung richtete, zwar reizvoll, aber nur begrenzt informativ war. Ein Supplementband mit Abbildungen ökonomisch und pharmazeutisch relevanter europäischer Pflanzen wurde ergänzt. Außerdem verwiesen die Übersetzer auf Korrekturen, die sie anhand neuerer botanischer Publikationen an Linnés Arten vorgenommen hätten : tarum Systematis vegetabilium editionis decimae tertiae, Generum plantarum editionis sextae, et Specierum plantarum editionis secundae. Editum a Carolo a Linné, Braunschweig 1781, in : Allgemeine Deutsche Bibliothek 52/2 (1783), 419–22, 421. Der Verfasser listete diejenigen Genera auf, die»die mehresten Rekruten bekommen« haben, d. h. die am stärksten ergänzt worden waren. 17 Nürnberg, 1777–1788. Der Katalog der Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen nennt Gottlieb Friedrich Christmann und Georg Wolfgang Franz Panzer als ermittelte Übersetzer. 18 Carl a Linné […] Systema vegetabilium secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus et differentiis. Editio decima tertia accessionibus et emendationibus novissimis manu perillustris auctoris scriptis adornata a Ioanne Andrea Murray, Göttingen 1774.
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»Doch wo andere erfahrne und weder von Neid noch Tadelsucht eingenommene Männer die Richtigkeit derselben aus guten Gründen entweder in Zweifel gezogen, oder wirkliche Verbesserungen derselben angegeben haben, so hat man solche jedesmal in einer besonders beygefügten Anmerkung anzuzeigen nicht unterlassen.«19
Sowohl inhaltliche als auch ethisch-moralische Kriterien entschieden also darüber, wessen Fehlerdiagnosen und Korrekturen eingearbeitet wurden und wessen nicht. Da es die Ambition der meisten Übersetzer war, das Systema naturae voranzutreiben und mitzugestalten, unterlagen sie als Koautoren dieses kollaborativen Projekts auch seinen Qualitätsstandards. Denn eine erweiterte Übersetzung, die ihren Zweck erfüllen und sich in der Praxis bewähren sollte, mußte nicht nur so vollständig, sondern auch so fehlerfrei wie möglich sein. Neu aufgenommen wurde nur, was Autoritäten der Botanik nach sorgfältiger Prüfung für richtig hielten und auch nur dann, wenn ihre Kritik an anderen Botanikern nicht selbstsüchtiger Motive verdächtig war. Nach diesen Kriterien für solide befundene Information extrahierten die beiden Übersetzer aus »neueren, guten und vollständigen Florae«20 und der achten Auflage von Philip Millers Gärtnerlexikon.21 So wurde beispielsweise unter Bidens minima, übersetzt als Kleinster Zweyzahn, angemerkt, daß der Schweizer Botaniker Albrecht von Haller sie für eine Varietät der Bidens cernua halte, während »Hudson hingegen eher geneigt zu seyn scheint, sie mit der vorhergehenden zu vereinen.«22 Die Übersetzer ließen diese Frage offen, aber für den Fall, daß sich ein Leser an der Klärung des Problems versuchen wollte, wurden ihm hier aktualisierte Referenzen an die Hand gegeben. Und genau darin bestand bereits ein Beitrag zur Verbesse19 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem, Bd. 1, Vorbericht (unpaginiert). 20 Ebd. 21 Philip Miller : Allgemeines Gärtner-Lexicon, das ist ausführliche Beschreibung der Geschlechter und Gattungen aller und jeder Pflanzen nach dem neuesten Lehrgebäude des Ritter Linné eingerichtet, worinnen zugleich eine Erklärung aller botanischen Kunstwörter und eine auf vieljährige Erfahrung gegründete practische Anweisung zum Garten, Acker, Wein und Holzbau enthalten ist ; nach der allerneuesten, sehr vermehrten und veränderten 8. Ausgabe, aus dem Englischen übersetzt, 4 Bde., Nürnberg 1769–1776. 22 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem, Bd. 9 (1783), 221. William Hudson ist der Autor einer englischen Flora mit dem Titel Flora anglica exhibens plantas per regnum angliae sponte crescentes, distributas secundum systema sexuale cum differentiis specierum, synonymis auctorum, nominibus incolarum, solo locorum, tempore florendi, officinalibus pharmacopaeorum (London 1762).
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rung des Systems. Oder : Unter Berufung auf Houttuyn und ein älteres Werk, Johannes Burmans Thesaurus Zeylanicus (1737), wurde eine Farnart genannt und beschrieben, die Linné nicht aufgeführt hatte : »Herr Houttuyn führt wegen der Ähnlichkeit mit vorgedachter Art, eine obschon von selbiger verschiedene hieher gehörige Farnart hier an ; die ob sie schon Herrn Burmann und andern bekannt gewesen, gleichwohl von dem Ritter und seinen Editoren übergangen worden. Sie ist auf andere Art gefiedert als die vorhergehende.«23
Es folgte eine detaillierte Beschreibung dieses Farns und abschließend ein Verweis auf Burmans Abbildung, mit der, so die Autoren, neuerdings von Carl Peter Thunberg in Batavia gefundene Exemplare übereinstimmten.24 Neueste botanische Information, hier von der Reise des Linnéschülers Thunberg über das Kap der Guten Hoffnung nach Japan (1771–1778), wurde herangezogen, um ältere Beobachtungen aus Burmans Thesaurus Zeylanicus zu validieren und gegen die Autorität von Linnés klassifikatorischem Urteil als Bausteine einer Korrektur ins Feld zu führen. Ein wesentlicher Beitrag der beiden Übersetzer bestand also auch darin, dort, wo sie es für notwendig erachteten, die blackbox Linnéscher Klassifikationen zu öffnen und die darin sozusagen aufgespeicherte Fülle botanischer Information wieder sichtbar zu machen. Nicht nur, um mit ihren eigenen klassifikatorischen Diagnosen an die Öffentlichkeit zu treten, sondern um alte und neue Beobachtungen zu denjenigen Pflanzen aufzufächern, deren Bestimmung angesichts des aktuellen Informationsstandes der Korrektur bedurfte. Das Wieder-Auflisten von Synonyma und Referenzen, die Linné ausgeschlossen oder ausgelassen hatte, erleichterte Lesern den Zugriff auf wesentliche Informationen, die zur Lösung klassifikatorischer Probleme beitragen konnten. Anhand des Eintrags Gedornter Tang (Fucus aculeatus) im dreizehnten Band des Vollständigen Pflanzensystems (1786) läßt sich demonstrieren, wie dieser Prozeß technisch funktionierte, bevor wiederholte Zyklen der Ergänzung die Komplexität der Textmontage weiter steigern sollten. In der noch von Linné selbst edierten zwölften Auflage des Systema naturae (das Regnum vegetabile erschien 1767) wurde Fucus aculeatus nur kurz beschrieben und mit der An23 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem, Bd. 13/1 (1786), 107 (Schwerdtförmiger Saumfarrn, Pteris ensifolia). 24 Siehe ebd.
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merkung versehen, Johan Ernst Gunnerus berichte aus Norwegen, er habe ein Exemplar dieser Art gesehen, und es erinnere an einen Pferdeschweif.25 Der Eintrag in der von Murray erweiterten Edition des botanischen Teils aus dem Jahr 1774 war bereits um Verweise auf einige Synonyme ergänzt.26 Und der entsprechende Eintrag in der deutschen Übersetzung präsentierte sich schließlich als lange Liste von Synonymen und Referenzen : »LINN. Syst. Veg. p. 969. Sp. Pl. p. 1632. OED. Fl. dan. t. 355. PALL. it. 3. p. 34. Fucus muscoides, fronde filiformi compressa : denticulis subulatis alternis. NECK. meth. p. 31. Fucus angustifolius foliis dentatis. RAI. angl. 3. p. 48. Fucus tenuifolius foliis dentatis. MORIS. hist. 3. p. 648. tab. 9. HUDSON. Fl. Angl. T. II. P. 585 ? Fucus (muscoides) fronde tereti ramosissima, ramis sparsis, spinis mobilibus alternis. Sp. Pl. p. 1630. SCOP. carn. 2. n. 1428. Fucus muscoides. GMEL. fuc. 130. tab. 12. f. I. HUDSON. Fl. Angl. T. II. p. 590. Fucus (virgatus) compressus, ramosissimus, foliis alternis subulatis, adspersis spinis alternis mobilibus. GUNN. norv. 93. Act. nidros. 4. p. 83. t. 7. Fucus foliis ericae similis. RAI. hist. 73. n. 4. b.«27
Verwiesen wurde sowohl auf neuere als auch auf ältere botanische Literatur : einerseits auf zwei englische Botaniker des 17. Jahrhunderts, John Ray und Robert Morison, andererseits auf Giovanni Antonio Scopolis Flora carniolica (1760 ; 2. Aufl., 1771–1772), William Hudsons Flora Anglica (1762), Samuel Gottlieb Gmelins Historia fucorum (1768) und Peter Simon Pallas’ neu erschienene Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs (1771–1776). Die anschließende deskriptive Passage nahm dann eine klassifikatorische Änderung vor. Die Autoren erklärten eine von Linnés Arten, den Mooßartigen Tang, zu einer bloßen Varietät des Gedornten Tangs. Gleichzeitig stellte die Liste der Synonyme, unter denen sich eines befand, das die Autoren für irrig hielten, aber vorsichtshalber beibehielten, dem Leser die erforderlichen Informationen zur Verfügung, um diesen Schritt nachzuvollziehen.28 1786 erschien in Wien eine weitere deutsche Übersetzung des botanischen Teils des Systema naturae mit dem Titel Des Ritters Carl von Linné Pflanzensystem nach seinen Klassen, Ordnungen, Gattungen und Arten mit den Erken25 Vgl. Linné, Systema naturae, 12. Aufl., Bd. 2 (1767), 717. 26 Vgl.Systema vegetabilium […] editio decima tertia, 814 . 27 Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem nach der 13. lateinischen Ausgabe, Bd. 13/1 (1786), 353. 28 Siehe ebd.
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nungs- und Unterscheidungszeichen. Vierzehnte nach der vorhergehenden viel vermehrte und verbesserte Auflage von Johann Andreas Murray [ …]. Aus dem Lateinischen mit einigen Zusätzen von Xaver Joseph Lippert. Die Leistung dieser Übersetzung, die ebenfalls auf Murrays vierzehnter Ausgabe beruhte, lag nicht so sehr im Einfügen neuer Pflanzen – Lippert machte nur gelegentlich über Murray hinausgehende Ergänzungen – als vielmehr im Anlegen eines elaborierten Dokumentationssystems, das die Provenienz der mittlerweile zahllosen Ergänzungen nachwies und zugleich visualisierte : Mit einem Kreuz waren die wenigen Pflanzen markiert, die Lippert selbst hinzugefügt hatte. Angesichts der Schwierigkeiten, eine neue Pflanze korrekt in das System der bereits existierenden Gattungen und Arten einzuordnen, habe er sich, so der Übersetzer, in dieser Sache äußerste Zurückhaltung auferlegt, um weitere Fehler zu vermeiden.29 Ein Asterisk identifizierte diejenigen Pflanzen, die Murray verbessert, umbenannt oder aus neuesten botanischen Publikationen in die vierzehnte Ausgabe des Systema übernommen hatte : »aus Forskåhls Reisen durch Egypten und Arabien, des Aublets nach dem Französischen Guinea und Isle de France, Sonnerats nach Neuguinea und den Morgenländischen Indien, Banks, Solanders, und beyder Forster in das Mittägige Meer, Thunbergs nach einem Teil von Afrika, Zeylan, Java, Japan, des Pallas, Georgi und mehrer anderer durch Rußland […].«30
Im Zentrum von Lipperts Fundortkonkordanz standen Pflanzen aus Carl Thunbergs 1784 erschienener Flora Iaponica, einer spektakulären und an Neuentdeckungen reichen Publikation,31 die Murray bereits für die vierzehnte Ausgabe des Systema (1784) ausgewertet hatte. Allerdings habe Murray, so Lippert, nur mit Thunbergs Manuskript gearbeitet und sei darum zwar in der Lage gewesen, Thunbergs japanische Pflanzen in das Systema einzuarbeiten, aber ohne auf die jeweils einschlägigen Seiten der gedruckten Version der Flora Japonica verweisen zu können, wo ausführliche Informationen zu den neuen Pflanzen nachzulesen waren. Um eine Pflanze bei Thunberg zu finden, war die Seitenangabe zwar nicht unverzichtbar – das war auch anhand der Position der 29 Vgl. Des Ritters Carl von Linné Pflanzensystem […] mit einigen Zusätzen von Xaver Joseph Lippert, Vorrede (unpag.). 30 Ebd. 31 Carl Peter Thunberg : Flora iaponica sistens plantas insularum iaponicarum secundum systema sexuale emendatum redactas ad XX classes, ordines, genera et species, Leipzig 1784.
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Pflanze in Linnés System möglich –, aber sie erleichterte und beschleunigte das Auffinden. Und da das Systema naturae nur äußerst kurze Beschreibungen enthielt, war das Nachschlagen ausführlicherer Beschreibungen in Publikationen anderer Autoren für alle Botaniker eine unverzichtbare Notwendigkeit. Botanik war nicht nur eine science of describing,32 sondern, wie oben gezeigt, auch eine Buchwissenschaft, die auf das Benutzen und Vergleichen einer Vielzahl von Publikationen angewiesen war. Je mehr Pflanzen das Systema im Lauf der Jahrzehnte aus Publikationen verschiedener Botaniker absorbierte, desto aufwendiger wurde das Suchen und Finden von Beschreibungen in all diesen Werken. Daß Lippert in seiner deutschen Übersetzung zu Pflanzen aus der Flora Iaponica auch die entsprechenden Seitenzahlen angab, stellte also eine nicht unbeträchtliche Erleichterung für den Leser dar. Darüber hinaus stellte Lippert Querverweise her zwischen Thunbergs Pflanzen und einem älteren Werk zur Flora Japans, Engelbert Kaempfers Amoenitatum exoticarum […] fasciculi (1712).33 Thunbergs Flora Iaponica enthielt bereits einen Anhang, in dem auch bei Kaempfer besprochene Pflanzen aufgelistet waren, sowie einen zweiten Anhang mit denjenigen Kaempferschen Pflanzen, die Thunberg nicht eindeutig identifizieren konnte oder die ihm unbekannt waren.34 Lippert übernahm Thunbergs lateinische und Kaempfers japanische Namen und ergänzte darüber hinaus die entsprechenden deutschen. So entstand ein mehrsprachiger Index, der dem deutschen Leser ermöglichte, bei Kaempfer und Thunberg aufgeführte Pflanzen abzugleichen, zumal man nicht davon ausgehen könne, so Lippert, daß jeder deutsche Botaniker Thunbergs Werk zur Hand habe. Eine deutsche Übersetzung von Linnés Systema naturae übernahm also zusätzlich die Aufgabe, die begrenzte Verfügbarkeit von Thunbergs Flora Iaponica zu kompensieren.
32 Ogilvie, Science of Describing. 33 Engelbert Kaempfer : Amoenitatum exoticarum politico-physico-medicarum fasciculi V, quibus continentur variae relationes, observationes & descriptiones rerum Persicarum & ulterioris Asiae, multa attentione, in peregrinationibus per universum Orientem, Lemgo 1712. 34 Kaempferus illustratus, seu explicatio illarum plantarum iaponicarum, quas in Amoenit. Exot. Fasciculo quinto recenset Doctor Kaempfer, ebd., 371–386 ; Plantae obscurae et incognitae in catalogo Kaempferiano, 388–391.
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V.2 Regionalisieren
Das Ergänzen regionaler botanischer Information und damit das Erstellen regional ausgerichteter Informationsprofile innerhalb von Linnés global angelegtem Erfassungsprojekt war eine der häufigsten Strategien, die bei der Übersetzung des Systema naturae zum Einsatz kamen. Je eine regionale bzw. nationale Schwerpunktsetzung dieser Art sollen im folgenden diskutiert werden. 1785 erschien in München Des Ritters Carl von Linné vollständiges deutsches Pflanzensystem nach der vierzehnten lateinischen Ausgabe zum bequemen Gebrauche der Liebhaber in tabellarische Form gebracht,35 übersetzt von Georg Anton Weizenbeck. Eingearbeitet waren neue Gattungen aus Linnés erster und zweiter Mantissa plantarum,36 aus dem von Linnés Sohn herausgegebenen Supplementum,37 sowie auch »alle die [Pflanzen] nach ihren botanischen Kennzeichen […], die seit dem Tode dieser verdienstvollen Männer durch andere verehrungswürdige Freunde dieser Wissenschaft sind entdecket worden.«38 Weitere Ergänzungen kündigte Weizenbeck für einen letztlich nicht realisierten zweiten Teil seiner Übersetzung an, der die Arten enthalten sollte und bayerische Oeconomen als Zielgruppe anvisierte. Für diesen Zweck sollte zu jeder Pflanze ergänzt werden, auf welchem Boden sie gedeiht, wann sie blüht und Samen trägt, ob und wie sie als Nahrungs- oder Arzneimittel, zum Färben oder Gerben verwendet werden kann, ob sie giftig ist oder nicht und ob sie sich als Viehfutter eignet. Im Gegensatz zur »reinen Botanik«39 des ersten Bandes projektierte Weizenbeck den zweiten Band seiner Übersetzung als »angewandte Botanik«40 und als Beitrag zu einer bayerischen Pflanzengeschichte. Das dazu erforderliche Material hoffte er auf dem Wege der für das iterative Erscheinen der linnéschen Schriften typischen Kontributionsdynamik von seinen Lesern zu erhalten. In diesem Sinne ließ er das Vorwort des ersten Bandes mit dem Aufruf enden, ihm relevante Information zukommen zu 35 Der Titel endet mit : Erster Theil, welcher die Gattungen enthält. Weizenbecks Übersetzung beruhte auf der von Murray erstellten Ausgabe des botanischen Teils des Systema naturae. 36 Carl von Linné : Mantissa plantarum. Generum editionis VI et Specierum editionis II, Stockholm 1767 ; ders.: Mantissa plantarum altera. Generum editionis VI et Specierum editionis II, Stockholm 1771. 37 Carl von Linné : Supplementum plantarum systematis vegetabilium editionis decimae tertiae, generum plantarum editionis sextae, specierum plantarum editionis secundae, Braunschweig 1781. 38 Weizenbeck, Vollständiges deutsches Pflanzensystem, XI. 39 Ebd., XII. 40 Ebd., XIII.
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lassen. Im Gegenzug versprach er, sich nicht mit fremden Federn zu schmücken und jedem Einsender durch namentliche Nennung die ihm gebührende Reverenz zu erweisen. Während der globale Anspruch von Linnés Systema unangetastet blieb, verfolgte diese Übersetzung gleichzeitig eine ökonomisch motivierte, regionale Agenda. Ähnlich verhält es sich mit einer französischen Übersetzung, die innerhalb von Linnés Systema eine französische Nationalflora profilierte. Übersetzt und zusammengestellt von Marie Jacques Philippe Mouton-Fontenille, erschien 1804 das Système des plantes, contenant les classes, ordres, genres et espèces […] extrait et traduit des ouvrages de Linné,41 1809 folgte ein Nachdruck unter dem Titel Linné françois, ou Tableau du règne végétal d’après les principes et le texte de cet illustre naturaliste. Primäres Zielpublikum dieser Übersetzung waren Medizinstudenten, die sich im Rahmen ihres Studiums mit Botanik zu beschäftigen hatten und deren Lateinkenntnisse (noch) nicht ausreichten, um Linnés Terminologie im erforderlichen Detail zu verstehen. Außerdem, so das Vorwort, seien die lateinischen Originalversionen von Linnés Schriften im Buchhandel kaum mehr zu finden, was eine Übersetzung doppelt wünschenswert und gerechtfertigt erscheinen lasse. Zu jeder Pflanze verwies Mouton-Fontenille auf relevante Abbildungen in der botanischen Literatur sowie auf den Ort, an dem sie wächst, und den Zeitpunkt, zu dem sie blüht. Während seiner botanischen Exkursionen durch die französischen Alpen hatte Mouton-Fontenille beobachtet, daß das Vorkommen von Alpenpflanzen mit jeweils spezifischen Gesteinsarten und damit Höhenlagen korrelliert. Er unterschied zwischen Pflanzen, die auf Kalkstein wachsen und nie höher als 900 oder 1000 toises (1 toise entsprach 1,949 Metern) anzutreffen sind – in seiner Übersetzung gekennzeichnet mit S.-Alp. für plantes sous-alpines – und solchen, die auf Granitgestein bis an die Gletschergrenze wachsen, aber eine Höhe von 1000 toises nicht unterschreiten, versehen mit Alp. für plantes alpines.42 Das Système des plantes war also einerseits um pflanzengeographische Informationen angereichert, die weit über das hinausgingen, was Linnés Original in dieser Hinsicht zu bieten hatte. Ziel war es, innerhalb von Linnés globalem System eine nationale, französische Flora zusammenzustellen, ohne die relevanten Pflanzen aus ihrem systematischen 41 Système des plantes, contenant les classes, ordres, genres et espèces ; les caractères naturels et essentiels des genres ; les phrases caractéristiques des espèces ; la citation des meilleures figures ; le climat et le lieu natal des plantes ; l’époque de leur floraison ; leurs propriétés et leurs usages dans les arts, dans l’économie rurales et la médecine ; extrait et traduit des ouvrages de Linné par M. J. P. Mouton-Fontenille, 5 Bde., Lyon 1804–1805. 42 Mouton-Fontenille, Système des plantes, XI.
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Kontext herauszulösen. In Frankreich wachsende Pflanzen wurden innerhalb des Gesamtsystems als solche gekennzeichnet, drei Regionen zugeordnet – dem Norden, dem Süden sowie Zentralfrankreich – und mit Verweisen auf einschlägige regionale Floren versehen ; beispielsweise auf Gouans Flora Monspeliaca (eine Flora der Region um die Stadt Montpellier),43 wo dann weitere Details und gegebenenfalls auch Abbildungen zu finden waren. Andererseits enthielt das Système des plantes Informationen zum landwirtschaftlichen und pharmazeutischen Gebrauch französischer Pflanzen. Anhand der Einträge zu zwei Salbeiarten lassen sich diese Vorgehensweise und die daraus resultierende Textarchitektur verdeutlichen, die sowohl dem Vollständigkeitsanspruch eines globalen Pflanzensystems als auch dem intendierten nationalen Fokus der Übersetzung gerecht wurden. Mouton-Fontenille alternierte so kurz wie möglich gehaltene und maximal ergänzte Module. Während er zu sauge lyrée, die bislang nur in Virginia and Carolina gefunden worden war, nur einen einzigen Abbildungshinweis ergänzte, führte der Eintrag zu einer südfranzösischen Salbeiart, sauge officinale, Languedoc und Provence als Fundorte an, verwies auf sieben weitere relevante Autoren und listete außerdem die diversen pharmazeutischen Verwendungen der Pflanze auf.44
V.3 Universalsprache versus Landessprache
Das konsekutive Erscheinen erweiterter Übersetzungen des Systema, insbesondere seines botanischen Teils, hielt bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an, wobei Anzahl und Frequenz der Übersetzungen Linnés in andere europäische Sprachen merklich hinter der Entwicklung im deutschsprachigen Raum zurückblieben. Die erste vollständige Übersetzung ins Englische erfolgte beispielsweise erst 1782 unter dem Titel A system of vegetables according to their classes, orders, genera, species, with their characters and differences.45 43 Antoine Gouan : Flora Monspeliaca, sistens plantas no. 1850 ad sua genera relatas, et hybrida methodo digestas. Adjectis, nominibus specificis, trivialibusque, synonymis selectis, habitationibus plurium in agro Monspeliensi nuper detectarum, et earum quae in usus medicos veniunt nominibus pharmaceuticis, virtutibusque probatissimis, Lyon 1765. 44 Vgl., Mouton-Fontenille, Système des plantes, 46. 45 Der vollständige Untertitel lautet : Translated from the thirteenth edition (as published by Dr. Murray) of the Systema vegetabilium of the late Professor Linnaeus ; and from the Supplementum plantarum of the present Professor Linnaeus, by a Botanical Society, at Lichfield, Lichfield/London 1782.
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Vorläuferprojekte waren eher Einführungen in Linnés Methode gewesen, die sich im wesentlichen darauf konzentrierten, methodische Schlüsselbegriffe ins Englische zu übersetzen und zu erklären : James Lees Introduction to Botany (1760),46 die englische Pflanzennamen ihren lateinischen Pendants in der Linnéschen Nomenklatur zuordnete, John Berkenhouts Lexicon (1764),47 Colin Milnes Botanical Dictionary (1770),48 und William Witherings Botanical Arrangement (1776).49 Auch das System of vegetables enthielt Ergänzungen und Korrekturen, zeichnete sich aber darüber hinaus durch Überlegungen zu grundsätzlichen sprachlichen Problemen bei der Übersetzung von Linnés Werken aus. Im Vorwort wurde die Frage erörtert, wie mit Linnés lateinischen Begriffen – den klassifikatorischen Kriterien einerseits und der Fülle deskriptiver Termini andererseits – zu verfahren sei. Sollte ein Übersetzer wo immer möglich auf existierendes Vokabular der englischen Sprache zurückgreifen ? Oder sollte er der Tatsache Rechnung tragen, daß Linnés Begriffe eine Kunstsprache konstituierten, und dementsprechend die Spezifik der Linnéschen Methode und ihrer Terminologie durch die Schöpfung neuer englischer Begriffe wiedergeben ? Die Übersetzer des System of vegetables entschieden sich zugunsten der zweiten Option. Um die Kompatibilität von Übersetzung und Original zu gewährleisten und Lesern der Übersetzung zu ermöglichen, sich auf das lateinische Original beziehen bzw. sich mit Kennern des Originals ohne Schwierigkeiten über dieselbe Pflanze auszutauschen, trafen sie außerdem die Entscheidung, die erforderlichen Neologismen durch Anglisierung der zu übersetzenden lateinischen Begriffe zu erzeugen oder aber gegebenenfalls den lateinischen Terminus unverändert als Fremdwort zu übernehmen. So im Falle von Calyx (Blütenkelch) :
46 James Lee : An introduction to botany, containing an explanation of the theory of that science, and an interpretation of its technical terms, extracted from the works of Linnaeus […]. With […] an appendix containing upwards of two thousand English names of plants […], London 1760 ; weitere, ergänzte und korrigierte Auflagen erschienen 1765, 1776 und 1796. 47 John Berkenhout : Clavis Anglica linguae botanicae ; or, A botanical lexicon in which the terms of botany […] are applied, derived, explained, contrasted and exemplified, London 1764 ; 2. Aufl. 1789. 48 Colin Milne : A Botanical Dictionary ; or, Elements of systematic and philosophical botany, London 1770 ; 2. erg. Aufl. 1778. 49 William Withering : A botanical arrangement of all the vegetables naturally growing in Great Britain. […] With an easy introduction to the study of botany […], London 1776 ; weitere Aufl. 1787, 1792.
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»Thus Calyx is used by Linneus for the green cup beneath some flowers, for the sheath from which others burst longitudinally, for the leaves beneath the umbels of others […]. All this must be explained, whether it is represented by the word calyx, or by the word impalement ; which latter, though used by some of the writers above-mentioned, is as difficult to the English scholar, as the word calyx ; is not understood by those who are already acquainted with the language of Linneus ; and does not assist the young botanist in his study of the original. […] Hence we have retained the words calyx for flower cup ; corol for blossom […].«50
Die Entscheidung darüber, welche Begriffe ins Englische übersetzt und welche in anglisierter Form übernommen werden sollten, stellte, so die Autoren, eine Gratwanderung zwischen zwei gleichermaßen zu vermeidenden Extremen dar. Einerseits barg die Verwendung zu vieler Neologismen und Latinismen die Gefahr, den englischen Leser zu befremden. Andererseits drohte ein weitgehender Verzicht auf Begriffe, die einen direkten Bezug zum lateinischen Original herstellten, die Übersetzung für diejenigen zu entwerten, die das Original kannten oder noch verstehen lernen wollten. Zur Legitimation ihrer Vorgehensweise beriefen sich die beiden Autoren auf Jean-Jacques Rousseaus Fragments pour un dictionnaire des termes d’usage en botanique,51 in denen er für die universelle Einführung von Linnés Nomenklatur plädierte und deren Kernbegriffe ins Französische übersetzte durch Anhängen einer französischen Endung an die lateinischen Termini des Originals. Auf die Deklaration der Übersetzer, Linnés neu geschaffene Sprache botanischer Beschreibung so genau wie nur irgend möglich nachgebildet zu haben, folgte dann die detaillierte Diskussion der Frage, wie bei der Übersetzung zentraler linguistischer Merkmale von Linnés Latein verfahren wurde. Im Mittelpunkt stand Linnés Gebrauch von Komposita, in dem die Übersetzer ein generatives Prinzip der für seine botanische Sprache charakteristischen Kürze und Präzision ausmachten. Die klaren Regeln folgende Kombination formbeschreibender Wörter habe Linné, so ihr Argument, ermöglicht, eine unbegrenzte Formenvielfalt von Blättern, Blüten, Früchten, Stielen und Samen knapp und zugleich genau zu beschreiben, ja zu visualisieren : 50 System of vegetables, Preface of the translators, ii–iii. 51 Posthum erschienen in : La botanique de J.-J. Rousseau, ornée de 65 planches imprimées en couleurs d’après les peintures de P.-J. Redouté, Paris 1805, 89–122 ; zu Rousseau als Botaniker s. Alexandra Cook : Jean-Jacques Rousseau and Botany. The Salutary Science, Oxford 2012 ; zur »Französisierung« von Linnés lateinischer Terminologie in französichen Linnéübersetzungen vgl. Duris, Traduire Linné.
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»He has taken words expressive of well-known figures, as the words oblong and egg, and by compounding these has given a form between them both ; which new form partakes more of the egg, if that word precedes in the compound, as egg-oblong ; or more of the oblong, if that word precedes, as oblong-egg’d. Hence these two words are made to represent forms of four kinds very nearly allied ; but to these he has added oval and elliptic, and again compounded these with oblong and egg, and has thus, as it were, conjured up before our eyes the outlines of forms as numerous and as accurate by the magic of a few words, as the pencil alone was thought capable of producing.«52
Wie lange konnte ein über Jahrzehnte durch Übersetzungen in diverse Sprachen dezentral aktualisiertes Systema naturae seine Effizienz und Funktionalität aufrechterhalten ? In der zyklischen Struktur des Erweiterungsprozesses und in der Machart der daraus resultierenden Texte reflektiert sich die Tatsache, daß die Nutzer von Linnés Systema gleichzeitig seine Koproduzenten waren ; nicht nur, weil die Klassifikation und Benennung zahlloser neuer Pflanzen und die konstant erforderlichen Korrekturen nur als kollaborativer Prozeß möglich waren, sondern auch auf Grund einer Dynamik, die aus dem Erfolg des Systema im praktischen Gebrauch resultierte. Botaniker leisteten Beiträge zur Ergänzung von Linnés System, da sie so sein Funktionieren als zentraler Referenztext aufrechterhalten konnten, ohne den ihre botanische Praxis sehr viel mühsamer und ineffizienter verlaufen wäre. Die botanische Gemeinschaft betrieb also kollektiv die Wartung ihres Systems, insbesondere im Rahmen ergänzter Übersetzungen, die sich an ein anwendungsorientiertes Publikum richteten. Als eine Art Fluchtpunkt dieser Entwicklung kann die bereits diskutierte französische Linné-Übersetzung von Mouton-Fontenille gelten, die durch multiple Ergänzungs- und Montagestrategien ein maximales Komplexitätsniveau erreichte. Mouton-Fontenille kompilierte und montierte ein Système des plantes, in das er nicht nur Informationen aus Linnés Genera plantarum und Species plantarum einflocht, sondern auch aus Caspar Bauhins Pinax theatri botanici.53 Die Pinax, eines der zentralen Werke der vorlinnéschen Botanik, das ca. 6000 Pflanzen beschrieb und dazu die entsprechenden Synonyme auflistete, hatte insbesondere wegen dieser Synonymakonkordanz bis ins 18. Jahrhundert den Status eines Referenzwerks behalten. Vor diesem Hin52 System of vegetables, Preface of the translators, vi–vii. 53 Caspar Bauhin : Pinax theatri botanici […], Basel 1623.
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tergrund wird deutlich, welchen Dienst Mouton-Fontenille seinen Lesern mit einer Übersetzung erwies, die Linnés Arten mit den entsprechenden Syno nymen Bauhins, sowohl auf Latein als auch in französischer Übersetzung, korrelierte.54 Einerseits wurde Linnés Systema so um wesentliche Information aus Bauhins Pinax ergänzt, einschließlich der Ordnungsnummer und der Seitenzahl, unter der eine Art dort aufzufinden war. Bei Bedarf konnte der Leser also anhand des Système des plantes gezielt und bequem bei Bauhin nachschlagen. Gleichzeitig erfuhr Bauhins Pinax durch die Einarbeitung in und den Abgleich mit Linnés System die substantielle Aktualisierung, auf die die botanische Öffentlichkeit schon lange gewartet hatte – nur eben nicht in Gestalt einer überarbeiteten und ergänzten Neuauflage des Pinax, sondern durch das Einarbeiten übersetzter Passagen aus dem Pinax in eine Linné-Übersetzung.55 Der Expansionsfähigkeit des Systema bzw. seines botanischen Teils in konsekutiven Übersetzungen waren allerdings Grenzen gesetzt. Infolge jahrzehntelanger Ergänzungen und Korrekturen in mehreren Sprachen begann die Entwicklung botanischer Terminologien in verschiedenen Ländern bzw. Sprachräumen zu divergieren, was den Status und die Effizienz von Linnés lateinischer Nomenklatur als Universalsprache eines global operierenden Projekts zwangsläufig zu unterminieren begann.56 Wie schon William Stearn anmerkte, ließ die Proliferation neuer botanischer Begriffe in verschiedenen Sprachen eine Fülle von Glossaren als Hilfsmitteln der Orientierung entstehen. Botaniker des frühen 19. Jahrhunderts beklagten einen Rückfall in Verhältnisse vorlinnéscher botanischer Sprachverwirrung und sahen die Zeit gekommen für eine neue Generalbereinigung der Terminologie.57 John Lindley konstatierte in seiner mehrmals aufgelegten Introduction to Botany : »each nation or community studied for itself, thought for itself, and wrote for itself, and hence half a dozen names were proposed in different places to express the same idea.«58 54 Vgl. System of vegetables, Preface of the translators, vii. 55 Zum gescheiterten Versuch einer Aktualisierung von Bauhins Pinax durch William Sherard und Johann Jakob Dillenius s. Kap. 1 Regionale Botanik als kollaboratives Projekt. 56 Übersetzungen waren einer von mehreren Faktoren, die Linnés Nomenklatur und Klassifikationssystem im Lauf der Zeit unterminierten. Zu wachsenden klassifikatorischen Widersprüchen vgl. Scharf, Identification Keys. 57 Vgl. William T. Stearn : Botanical Latin. History, Grammar, Syntax, Terminology and Vocabulary, 4. Aufl., Portland 1992, 305. 58 Zitiert nach Stearn, Botanical Latin, 303f. Stearn gibt an, Lindley zu zitieren, nennt aber den Titel des Buches nicht, aus dem die zitierte Passage stammt. Eine Volltextsuche in digitalen Versionen der Erstausgaben sowohl von An Introduction to Botany (London, 1832) als auch
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Mit Linnés Tod war die oberste Instanz erloschen, die in systematischen und terminologischen Fragen endgültige Entscheidungen getroffen und zahllose Beiträge verschiedener Kontributoren nach strenger Begutachtung in die Register der Botanik eintgetragen hatte. Ohne diese Zentrale und die von ihr ausgehende Disziplinierung der botanischen Sprache begannen die internationalen botanischen Bemühungen auseinanderzudriften. Obwohl bzw. weil Übersetzungen die Leserzahl des Systema steigerten, trugen sie langfristig dazu bei, die Dynamik seiner konstanten Erweiterung allmählich zum Stillstand zu bringen.
von The Elements of Botany (London, 1841) konnte die gesuchte Passage nicht eindeutig lokalisieren.
VI. Was ist ein botanischer Autor ?
Anhand der Publikationsgeschichte von Pehr Osbecks Bericht über seine Reise nach Kanton im Süden Chinas (1750–1752) ist abschließend eine letzte Dimension kollaborativen Publizierens in der Botanik des 18. Jahrhunderts zu diskutieren. Osbeck, ein schwedischer Naturhistoriker und Linnéschüler, entwickelte eine Publikationsstrategie, die ihm ermöglichte, sein naturhistorisches Material auf sukkzessive erscheinende, aufeinander aufbauende und sich ergänzende Publikationen zu verteilen, um neu Entdecktes möglichst schnell – in einer ersten Version – an die interessierte Öffentlichkeit zu bringen und erst danach nicht nur mit anderen, sondern durch andere zu vervollständigen und zu korrigieren. Dieser langfristig angelegte Prozeß begann damit, daß die meisten von Osbecks neuen Pflanzen zum erstenmal nicht von ihm selbst, sondern im Rahmen von Linnés Species plantarum (1753) publiziert wurden. Nach dem Erscheinen von Osbecks Reisebericht auf Schwedisch (1757) boten Übersetzungen ins Deutsche und Englische sowohl Osbeck selbst als auch anderen Autoren Gelegenheit, den Text zu ergänzen und zu korrigieren. Das sukzessive Übereinanderschichten von Information und das Dokumentieren der Provenienz jeder einzelnen Ergänzung prägten nicht nur das Erscheinungsbild des publizierten Textes, sondern auch ein dieser Arbeitsweise entsprechendes Konzept wissenschaftlicher Autorschaft. Obwohl die verschiedenen Ausgaben von Osbecks Reisebericht nur einen, nämlich seinen, Namen trugen, war Osbeck als botanischer Autor ein Kompositum1 und sein Text eine Assemblage von Kontributionen vieler. Pehr Osbeck (1723–1805) hatte als Theologiestudent an der Universität Uppsala über mehrere Jahre Linnés naturhistorische Veranstaltungen besucht, bevor er 1750 als Geistlicher auf einem Schiff der Schwedischen East India 1 Die Formulierung stammt von dem Physiker Alan Thorndike, der 1967 die Experimentalpraxis im Bereich der Teilchenphysik folgendermaßen charakterisierte : »Who is the experimenter whose activities we have been discussing ? Rarely, if ever, is he a single individual […]. The experimenter, then, is not one person, but a composite [kursiv ; B. D.]. He might be three, more likely five or eight, possibly as many as ten, twenty, or more. […] One thing, however, he certainly is not. He is not the traditional image of a cloistered scientist working in isolation at his laboratory bench.« (zitiert nach Peter Galison : The Collective Author, in : ders./Mario Biagioli (Hg.) : Scientific Authorship. Credit and Intellectual Property in Science, New York/ London 2003, 325–355, 328f.
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Was ist ein botanischer Autor ?
Company nach Kanton (heute Guangzhou) im Süden Chinas aufbrach.2 Weitere Stationen auf dieser Reise, die Osbeck zum Sammeln von Pflanzen und anderen naturhistorischen Objekten nutzte, waren Cadiz, Java und Ascension Island im Südatlantik. Der erste Adressat von Osbecks botanischen Entdeckungen war Linné, das erste Medium der Mitteilung von Entdecktem die Korrespondenz. Unmittelbar nach seiner Rückkehr im Juni 1752 begann Osbeck, getrocknete und in Alkohol eingelegte Pflanzen sowie Samen an einen ungeduldig wartenden Linné zu schicken. Linné gab sich damit nicht zufrieden und fragte außerdem nach Osbecks Beobachtungen an lebenden Pflanzen – ein erster Hinweis auf die Dimensionen des erwarteten Informationstransfers.3 Zum Zeitpunkt von Osbecks Rückkehr aus China befand sich Linné in der Endphase seiner Arbeit an den Species Plantarum, einer kritischen Gesamtübersicht aller bis dato bekannten Pflanzenarten, die er, wo immer möglich, selbst in Augenschein genommen und untersucht hatte. Während die Tatsache bekannt ist, daß ein beträchtlicher Teil der in den Species plantarum aufgeführten Arten von Linnés reisenden Schülern, seinen sogenannten »Aposteln«, gesammelt und zur Verfügung gestellt wurde,4 sollen hier deren Rolle 2 Zum Personenkreis und den Expeditionen von Linnés sogenannten Aposteln, d. h. Schülern, die von ihren Reisen naturhistorisches Material für sein Erfassungsprojekt zurückbrachten, s.: Kenneth Nyberg : Linnaeus’s Apostles and the Globalisation of Knowledge, 1729–1756, in : Patrick Manning/Daniel Rood (Hg.) : Global Scientific Practice in an Age of Revolutions, 1750–1850, Pittsburgh 2016, 73–89 ; Marie-Christine Skuncke : Carl Peter Thunberg – Botanist and Physician. Career-Building across the Oceans in the Eighteenth Century, Uppsala 2014 ; Sverker Sörlin : The Apostles, in : Lars Hansen/Eivor Cormack (Hg.) : The Linnaeus Apostles. Global Science and Adventure, 8 Bde., London/Whitby 2010–2012, Bd. 1, 154– 179 ; ders.: Science, Empire, and Enlightenment : Geographies of Northern Field Science, in : European Review of History 13 (2006), 455–472. 3 Vgl. den Brief von Linné an Pehr Osbeck, 21. August 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1468, 1–4, 1 (15.6.2016). Osbeck antwortete, daß er seine während der Reise gemachten Notizen erst überarbeiten müsse, bevor sie für einen Außenstehenden les- und brauchbar seien. Vgl. den Brief von Osbeck an Linnaeus, 23. August 1752, englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/ Letter/L1467, 1–3, 2 (15. 6. 2016). 4 Dazu Charles Jarvis : Order out of Chaos. Linnaean Plant Names and their Types, London 2007 (Kap. 6 Sources of Information) ; Mariette Manktelow/Kenneth Nyberg : Linnaeus’s Apostles and the Development of the Species Plantarum, in : Acta Universitatis Upsaliensis, Symbolae Botanicae Upsalienses 33 (2005), 73–80 ; Carlo Hansen/Anne Fox Maule : Pehr Osbeck’s Collections and Linnaeus’s Species Plantarum (1753), in : Botanical Journal of the Linnaean Society 67 (1973), 189–212.
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als Informanten sowie die Wechselseitigkeit des Informationsaustauschs thematisiert werden. Informanten in diesem Sinne sind daher nicht als untergeordnete und weisungsgebundene Zulieferer von Information zu verstehen, sondern, wie zu zeigen sein wird, als Partner, Berater und Korrektoren, deren Unverzichtbarkeit sie zu Koautoren machte und ihnen einen Anspruch auf Gegenleistung verlieh. In dem oben zitierten Brief, in dem Linné Osbeck um alle an lebenden Pflanzen beobachteten Details bat, listete er diejenigen Pflanzen auf, für die er sich am meisten interessierte, und stellte eine Reihe detaillierter Fragen. Osbeck reagierte umgehend und antwortete so präzise er konnte. Eine Woche später dankte Osbeck Linné bereits für einen weiteren Brief und beantwortete anhand der botanischen Beschreibungen in seinen Reisenotizen, und teils sehr detailliert, viele der über hundert Fragen, die Linné ihm darin zu durchnumerierten Pflanzen gestellt hatte ; beispielsweise wie viele Staubfäden die Nummer 4 habe (der Name der Pflanze wird nicht genannt) und wie ihre Frucht beschaffen sei, oder ob die Nummer 18 nicht dieselbe Pflanze sei wie die Nummer 12.5 Auch sei es ihm (Osbeck) mittlerweile gelungen, einige der konservierten Fische, Wurzeln und Früchte, die er Linné geschickt habe, durch Abgleich mit Beschreibungen und Abbildungen in der naturhistorischen Literatur als bereits bekannt zu identifizieren, so zum Beispiel die Frucht einer Pflanze, die er für Crinum aus Paul Hermanns Flora Zeylanica (Stockholm 1747) halte. Aber da er sich nicht ganz sicher sei, bitte er Linné, die ihm vorgelegten Exemplare zu examinieren und ihm seine Befunde mitzuteilen.6 Osbeck schickte Linné nicht nur Pflanzen, Samen und Beobachtungen, sondern auch Pflanzennamen, die er selbst nach den Regeln der linnéschen Nomenklatur geprägt hatte. Die weltweite Katalogisierung aller existierenden Pflanzen war ein Projekt, zu dessen Realisierung nicht nur zahllose Kontributoren erforderlich waren, sondern auch klare Regeln und Standards, um die Fülle der Kontributionen zu koordinieren. Durch den wachsenden internationalen Erfolg von Linnés sexuellem System, eines einfachen Verfahrens zur eindeutigen Bestimmung und Klassifikation von Pflanzen, in Kombination mit seiner standardisierten binominalen Nomenklatur, waren sowohl eine Struktur als auch eine Sprache geschaffen, die erlaubten, diese akkumulative Dy5 Vgl. den Brief von Osbeck an Linné vom 30. August 1752, englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1464, 1–6, 2 (15.6.2016). 6 Vgl. den Brief von Osbeck an Linné vom 11. Oktober 1752, englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1475, 1–3, 3 (15.6.2016).
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namik effizient zu regulieren. Erst so ließ sich das alte Problem überwinden, daß ohne verbindliche Nomenklatur verschiedene Autoren dieselbe Pflanze zwangsläufig unter verschiedenen Namen beschrieben, was das Auffinden relevanter Information in der botanischen Literatur erschwerte, nicht selten sogar verunmöglichte. Neben der Standardisierung der in das System zu integrierenden Informationseinheiten beruhte der wachsende Erfolg dieser Vorgehensweise zur Realisierung eines globalen Projekts wesentlich auf der Tatsache, daß nicht nur Linné selbst als Nomenklator agierte, sondern zunehmend auch andere Botaniker, darunter solche, die größere Mengen bislang unbekannter Pflanzen nichteuropäischer, insbesondere amerikanischer und asiatischer Provenienz beschrieben. Osbeck war einer der ersten, der sich zunächst in seinen Reisenotizen, später in seinem publizierten Reisebericht (Dagbok öfwer en ostindisk resa, Stockholm 1757) Linnés Nomenklatur bediente, um seine auf Reisen gesammelten Pflanzen zu benennen. Von ihm entdeckte und benannte Pflanzen wurden so zu kompatiblen Modulen, die Linné nicht mehr von Grund auf neu zu bestimmen hatte, sondern die er nach mehr oder weniger aufwendiger Überprüfung – und in der Regel unter Beibehaltung des Namens7 – in sein System einfügen konnte. Sowohl Osbeck als auch Linné kommentierten die aus dem Gebrauch derselben Nomenklatur resultierende Effizienz des Informationstransfers. Osbeck verwies im Vorwort zu seinem Reisebericht auf die Kompatibilität seiner Pflanzennamen mit dem »Hauptbuch« [Linnés Species plantarum] : »[…] aus diesem nun theilte ich demselben [Linné ; B. D.] einige Beschreibungen neuer, in Spanien, China und anderen Gegenden gefundenen Gewächse mit, welche sofort dem botanischen Hauptbuche, welches damals unter der Aufschrift Species Plantarum gedruckt werden sollte, und mit welchem meine Kräuternamen übereinstimmten, einverleibet wurden.« 8
Linné gratulierte Osbeck zum Gebrauch seiner Nomenklatur. Osbeck habe seine Entdeckungen nicht wie die meisten Reiseautoren vor ihm mit »barbarischen« Namen benannt, sondern »präzise« und für alle verständlich : 7 Vgl. Elmer Drew Merrill : Osbeck’s Dagbok öfwer en ostindisk resa, in : American Journal of Botany 3 (1916), 571–88, 571. 8 Herrn Peter Osbeck, Pastors zu Haßlöf und Woxtorp, der Königl. Schwedischen Akademie zu Stockholm und der Kön. Gesellschaft zu Upsala Mitgliedes, Reise nach Ostindien und China, nebst O. Toreens Reise nach Suratte und C. G. Ekebergs Nachricht von der Landwirthschaft der Chineser ; aus dem Schwedischen übersetzt von J. G. Georgi, Rostock 1765, Vorrede, XX.
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»[…] most of the voyages hitherto published, by imposing barbarous names on their discoveries, have rather sharpened our desire after knowledge, than afforded any real instruction. You, Sir, have everywhere travelled with the light of science : you have named every thing so precisely, that it may be comprehended by the learned world ; and have discovered and settled both the genera and species. For this reason, I seem myself to have travelled with you, and to have examined every object you saw with my own eyes.«9
Bemerkenswert sind die aus Linnés und Osbecks Briefen sprechende Selbstverständlichkeit und Dringlichkeit des gegenseitigen Informationsbedarfs, der beide Korrespondenten in einen intensiven Austauch von Objekten, Namen und Beobachtungen verwickelte und so zu füreinander unverzichtbaren Referenzpersonen werden ließ. Jeder von beiden war für sein botanisches Publikationsprojekt auf das Wissen des anderen angewiesen. Um die neuen Arten aus China korrekt für seine Species plantarum zu bestimmen, benötigte Linné nicht nur Osbecks Pflanzen, sondern auch dessen während der Reise an lebenden Pflanzen gemachte Beobachtungen. Osbeck wiederum hatte ein substantielles Interesse daran, für die geplante Publikation seines umfangreichen Materials zur Identifizierung, Benennung und Klassifikation unbekannter Arten auf Linnés enorme Pflanzenkenntnis zurückzugreifen. Obwohl Osbecks Prestige als Gelehrter und eine eventuelle Karriere als Botaniker von seinen zu erwartenden Publikationen zur chinesischen Flora abhingen, war die Erstpublikation eines Großteils seiner sensationellen Entdeckungen in Linnés Species Plantarum weder ein Akt der Selbstlosigkeit eines devoten Schülers noch bedeutete sie das Ende von Osbecks Karrierechancen – im Gegenteil. Das unmittelbar bevorstehende Erscheinen von Linnés Species Plantarum bot Osbeck und anderen Botanikern, die spektakuläres botanisches Material auf Reisen zusammengetragen hatten, eine einzigartige Gelegenheit, mit ihren Funden in einer der prominentesten Publikationen im Feld der Botanik zum ersten Mal an die Öffentlichkeit zu treten, sehr viel schneller als es das Ausarbeiten einer eigenen Publikation erlaubt hätte.10 Linné wie 9 Undatierter Brief von Linné an Osbeck, abgedruckt in der englischen Übersetzung seines Reiseberichts : A voyage to China and the East Indies by Peter Osbeck, […], translated from the German by John Reinhold Forster, F.A.S.; to which are added a Faunula and Flora Sinensis, 2 Bde., London 1771, Bd. 2, 127f. 10 Auch Nikolaus von Jacquin trat mit der botanischen Ausbeute seiner Karibikexpedition zum erstenmal in Linnés Species Plantarum (2. Aufl., 1762–1763) an die Öffentlichkeit. Siehe dazu Kapitel II Die partizipative Architektur von Linnés globalem System.
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derum, der den globalen Erfassungsanspruch seiner Werke nur aufrechterhalten konnte durch das systematische Integrieren von Beiträgen anderer, erwies seinen Informanten die ihnen gebührende Anerkennung, indem er sie namentlich als Finder oder Beobachter von Pflanzen oder auch als Autoren bereits erschienener bzw. in Vorbereitung befindlicher Pflanzenbeschreibungen anführte. Dieses für beide Seiten profitable Prinzip des Gebens und Nehmens war, wie oben beschrieben, eine der tragenden Säulen des kollaborativen Publikationssystems der Botanik. So schrieb Linné nach etwa zwei Monaten intensiver Korrespondenz im Oktober 1752 an Osbeck, daß er in den Species Plantarum bei allen neuen Arten auf ihn verwiesen habe, weswegen Osbeck bald berühmt sein werde ;11 und im Dezember desselben Jahres, als die ersten Bögen der Species Plantarum bereits erschienen waren, daß er Osbecks Beschreibung eines als Mangha bezeichneten Baumes eingefügt und mit dem Vermerk »haec Osbeck« versehen habe.12 Um die für beide Partner profitable Bilanz dieses Informationsaustauschs abzuschließen, sei noch erwähnt, daß Linné Osbeck bereits einige Monate vorher ein Exemplar der Species plantarum versprochen hatte – ein Geschenk von praktischem Wert angesichts der begrenzten Verfügbarkeit botanischer Publikationen und demzufolge der Tatsache, daß längst nicht jeder Botaniker im Besitz dieses Schlüsselwerkes war. Osbeck antwortete, er sei sicher nicht der einzige, der das Erscheinen der Species Plantarum kaum erwarten könne, was auf deren nicht nur methodische, sondern auch praktische Bedeutung verweist.13 Als aktuelles systematisches Verzeichnis aller bis dato bekannten Pflanzenarten fungierten die Species plantarum als Register, anhand dessen sich klar erkennen ließ, welche Pflanzen bereits bekannt, benannt und beschrieben waren. Das wiederum erklärt, warum sich ein junger Gelehrter am Anfang seiner Karriere dafür entschied, sein botanisches Objektkapital zum erstenmal im Rahmen dieses Werkes zu publizieren. Linnés Bedeutung für die Publikation von Osbecks chinesischen Pflanzen beschränkte sich nicht auf deren Einarbeitung in die Species Plantarum. Infolge seiner Position im schwedischen Wissenschaftssystem verfügte Linné über die institutionelle Autorität, die Publikation von Osbecks Funden und 11 Vgl. den Brief von Linné an Osbeck, 16. Oktober 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1496, 1f., 2 (16.6.2016). 12 Vgl. den Brief von Linné an Osbeck, 4. Dezember 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1503, 1–4, 2 (16.6.2016). 13 Vgl. den Brief von Osbeck an Linné, 11. Oktober 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1475, 1–3, 2 (16.6. 2016).
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Beobachtungen weiter voranzutreiben, woran nicht nur er selbst, sondern jeder systematisch arbeitende Botaniker des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein vitales Interesse hatte. Denn je mehr Arten benannt, beschrieben und klassifiziert waren, desto genauer ließen sich noch unbestimmte oder noch nicht endgültig bestimmte Pflanzen gegen bereits bekannte abgleichen, was die globale Katalogisierung erleichterte und beschleunigte. In dem bereits mehrfach zitierten Brief an Osbeck vom Dezember 1752 kündigte Linné an, dafür sorgen zu wollen, daß Osbecks Beschreibungen einzelner Arten in den Abhandlungen der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm erschienen ;14 was sowohl eine nächste Etappe auf dem langen Weg von Osbecks chinesischem Material in den Druck darstellte als auch eine weitere Strategie, um der internationalen Fachöffentlichkeit wenigstens einzelne Arten vorab zu präsentieren, während Osbeck an einer umfassenden Monographie arbeitete. Im Dezember 1752 forderte Linné Osbeck zum erstenmal dazu auf, einen Bericht seiner Chinareise in Angriff zu nehmen.15 Osbeck antwortete, daß er sich, wenn der Bericht tatsächlich publiziert werden solle, unbedingt mit Linné treffen müsse, um schwer zu identifizierende Pflanzen, Insekten, Fische und anderes mit ihm zu diskutieren.16 Denselben Beitrag, den Osbeck zur Fertigstellung der Species Plantarum geleistet hatte – das unbegrenzte Zurverfügungstellen von Material, Information, Beobachtungen und Korrekturen im Dienst eines möglichst vollständigen und fehlerfreien Werks – nahm er jetzt im Gegenzug für die Ausarbeitung seiner eigenen Publikation in Anspruch.17 Linné hatte seine Unterstützung offenbar schon vorher zugesichert, 14 Vgl. den Brief von Linné an Osbeck, 4. Dezember 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1503. Folgende von Pehr Osbeck verfaßte Beschreibungen erschienen in den Abhandlungen der Schwedischen Akademie der Wissenschaften (Kongliga Svenska Vetenskapsacademiens Handlingar [KVAH]) : Beskrifning av en fisk som kallas lods, in : KVAH 16 (1755), 71–74 ; Beskrifning på en stor fisk, kallad mahl som finnes i några insjöar i Sverige, in : KVAH 17 (1756), 34–39 ; Beskrifning på vår-rågs masken, in : KVAH 30 (1769), 314–319 ; Rön angående sprit-hvete eller Triticum spica multiplici, in : KVAH 30 (1769), 67–71. 15 Vgl. den Brief von Linné an Osbeck, 17. Dezember 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1523, 1f., 2 (16.6.2016). 16 Vgl. den Brief von Osbeck an Linné, 23. Dezember 1752 ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/Letter/L1519, 1–3, 2 (16.6.2016). 17 Die Kooperation zwischen Linné und seinem Schüler Osbeck bei der Ausarbeitung ihrer Publikationen verdient betont zu werden, da sie – wie die vielen anderen oben diskutierten Beispiele gelungener Zusammenarbeit – erlaubt, Sten Lindroths lesenswerte, aber extrem polarisierende Beschreibung von Linnés Persönlichkeit zu relativieren. Linné hatte mehr als zwei Gesichter und zwischen seiner Rolle als »friendly father figure« und »dictator among his
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da sich Osbeck in demselben Brief, in dem er darum bat, auch schon dafür bedankte.18 Die erste Version von Osbecks Reisebericht erschien 1757 auf Schwedisch, großenteils auf Schwedisch, unter dem Titel Dagbok öfwer en ostindisk resa åren 1750, 1751, 175219 und enthielt Informationen zu all dem, was der frühneuzeitlichen Apodemik als wissenswert galt, d. h. Beobachtungen zum körperlichen Erscheinungsbild, zu Kleidung und Lebensform der Bevölkerung, Beschreibungen von Ackerbau und Handel, Landschaftsschilderungen, und, bei Osbeck erwartungsgemäß im Vordergrund, eine genaue Berichterstattung über die Naturgeschichte der bereisten Orte. Bemerkenswert im Hinblick auf Osbecks Publikationsstrategie ist, daß über das ganze Werk verteilt in den auf Schwedisch verfaßten Text lateinische Passagen eingeschaltet waren, die eine botanisch präzise Beschreibung bislang unbekannter Pflanzen und anderer Naturalien zum Gegenstand haben. Das Dagbok enthielt, in zwei Sprachen, Information von unterschiedlichem Komplexitätsniveau, so daß ein Werk zwei Lesergruppen bedienen konnte : ein an einem allgemein gehaltenen Reisenarrativ interessiertes Publikum schwedischer bzw. des Schwedischen mächtiger Leser einerseits und ein internationales botanisches Fachpublikum andererseits, das sich, in der Regel ohne Schwedisch zu verstehen, vor allem auf die lateinischen Pflanzenbeschreibungen konzentrieren konnte.20 Um seine Funde so rasch wie möglich an die Öffentlichkeit zu bringen, wählte Osbeck für seine Monographie ein im Arbeitsaufwand überschaubares Format. Mit dem Dagbok erschien nach relativ kurzer Zeit eine überarbeitete und um Beobachtungen ergänzte Version seines Reisetagebuchs, während die Ausarbeitung eines Berichts auf Latein, oder gar einer chinesischen Flora, subjects, the ruler of slaves« (Lindroth, Two Faces, 55) lag ein breites Spektrum pragmatischer Reaktionen denen gegenüber, auf die er für sein botanisches Projekt angewiesen war. 18 Vgl. den oben bereits zitierten Brief von Osbeck an Linné, 23. Dezember 1752 ; http://linnaeus.c18.net/Letter/L1519, 1–3, 2. 19 Erschienen in Stockholm. 20 Diese Beschreibungen enthielten neben detaillierten botanischen Beobachtungen auch Angaben zum Fundort einer Pflanze, insbesondere zu Höhenlage und Klima, um, so Osbeck, zu dokumentieren, unter welchen Bedingungen chinesische Gewächse in europäischen Gärten kultiviert werden können. Für die Publikation der Aufzeichnungen seines Schülers Fredrik Hasselquist, der von 1749 bis 1752 durch Palästina und Ägypten gereist und 1752 in Smyrna gestorben war, wählte Linné eine ähnliche Strategie. Die Beschreibung der Reise erfolgte auf Schwedisch, diejenige von Tieren und Pflanzen auf Latein in einem systematisch organisierten zweiten Teil. Vgl. Fredrik Hasselquists Iter Palaestinum eller Resa til Heliga Landet […] utgifven af Carl Linnaeus, Stockholm 1757.
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Jahre in Anspruch genommen hätten. Gleichzeitig verhalf diese Entscheidung Osbeck früh in seiner Karriere zu einer bedeutenden Publikation, die ihn als Autor von Gewicht auswies und ihn für wissenschaftliche Auszeichnungen qualifizierte. Als Linné 1757 der Akademie der Wissenschaften in Stockholm vorschlug, Osbeck als Mitglied aufzunehmen, verwies er auf die sensationelle naturhistorische Ausbeute seiner Reise und auf die Tatsache, daß der Bericht in Kürze erscheinen werde – wozu er selbst Osbeck immer wieder gedrängt hatte.21 Daß Osbecks Reisebericht, auf den die gelehrte Welt mit Ungeduld wartete, in einer Sprache erschienen war, die außerhalb Schwedens so gut wie niemand beherrschte, führte dazu, daß er in relativ kurzer Zeit in zwei weitere Sprachen übersetzt wurde : 1765 aus dem Schwedischen ins Deutsche und 1771 aus dem Deutschen ins Englische.22 Diese Übersetzungen leisteten weitaus mehr als nur die Übertragung des ursprünglichen Textes von einer Sprache in eine andere. Sie nahmen, ebenso wie die Übersetzungen von Linnés Schriften, inhaltliche Korrekturen vor, ergänzten relevante Information und spielten somit eine entscheidende Rolle in einem langfristigen und kollaborativen Publikationsprozeß. 21 Vgl. den Brief von Linné an den Sekretär der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm, 15. April 1757, in : Bref och skrifvelser, Bd. 1 :2, 208f.; s. auch den Brief von Linné an Osbeck vom 25. Januar 1754, in dem er Osbeck empfahl, sich auf die Publikation seines Reiseberichts zu konzentrieren ; englisches Resümee und Faksimile des schwedischen Originals http://linnaeus.c18.net/ Letter/L1696, 1f., 1 (16.6.2016). 22 Die Übersetzung des Berichts von Pehr Kalm, eines weiteren Linné-Schülers, über seine Reise durch Nordamerika (1747–1751) verlief nach demselben Muster. Der Text erschien zuerst auf Schwedisch, wurde dann ins Deutsche übersetzt und aus dem Deutschen dann ins Englische. Pehr Kalm : En resa til Norra America, på Kongl. Swenska Wetenskaps Academiens befattning, och publici kostnad, 3 Bde., Stockholm 1753–1761 ; Des Herrn Peter Kalms, Professors der Haushaltungskunst in Aobo, und Mitgliedes der königlichen schwedischen Akademie der Wissenschaften Beschreibung der Reise, die er nach dem nördlichen Amerika auf den Befehl gedachter Akademie und öffentliche Kosten unternommen hat ; eine Übersetzung, 3 Bde., Göttingen 1754–1757 (übers., laut Katalogvermerk der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, von Johan Andreas Murray und Johan Filip Murray) ; Travels into North America, containing its natural history, and a circumstantial account of its plantations and agriculture in general ; with the civil, ecclesiastical and commercial state of the country, the manners of the inhabitants, and several curious and important remarks on various subjects, by Peter Kalm, professor of oeconomy in the University of Aobo in Swedish Finland, and Member of the Swedish Royal Academy of Sciences ; translated into English by John Reinhold Forster, F. A. S.; enriched with a map, several cuts for the illustration of natural history, and some additional notes, 3 Bde., London 1770–1771 ; eine niederländische Übersetzung folgte 1772. Zu Übersetzungen von Carl Peter Thunbergs Japanreise s. Skuncke, Carl Peter Thunberg, 252–270 ; zu Übersetzungen von Linnés Werken s. Kap. V Fortschreiben durch Übersetzen.
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Initiator und Herausgeber der 1765 unter dem Titel Reise nach Ostindien und China23 erschienenen deutschen Übersetzung war Johann Christian Daniel Schreber, ein deutscher Arzt und Botaniker, der an der Universität Erlangen eine Professur für Medizin und eine zweite für Kameralwissenschaften bekleidete. Er hatte in Uppsala bei Linné studiert und als Verfechter von dessen Klassifikationssystem einige von Linnés Werken selbst ins Deutsche übersetzt, andere in aktualisierter Form herausgegeben.24 Die nicht von ihm selbst, sondern von dem deutschen Gelehrten Johann Gottlieb Georgi25 angefertigte Übersetzung von Osbecks Reisebericht begründete Schreber damit, daß die deutsche Übersetzung das an sich schon ausgezeichnete schwedische Original an Informationsgehalt sogar noch übertreffe. Tatsächlich enthielt sie, zusätzlich zu Osbecks Reisebericht, noch folgende Texte : eine ebenfalls aus dem Schwedischen übersetzte Beschreibung von Olof Toréns Reise nach Surat und China, die bereits in der schwedischen Version von Osbecks Bericht enthalten war,26 die Antrittsrede, die Osbeck anläßlich seiner Aufnahme in die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften im Jahr 1758 gehalten hatte,27 sowie einen Bericht über die Landwirtschaft in China von Carl Gustav Eckeberg, 23 Herrn Peter Osbeck, Pastors zu Haßlöf und Woxtorp, der Königl. Schwedischen Akademie zu Stockholm und der Kön. Gesellschaft zu Upsala Mitgliedes, Reise nach Ostindien und China, nebst O. Toreens Reise nach Suratte und C. G. Ekebergs Nachricht von der Landwirthschaft der Chineser ; aus dem Schwedischen übersetzt von J. G. Georgi, Rostock 1765. 24 Schreber übersetzte : Des Herrn Archiaters und Ritters von Linné Reisen durch einige schwedische Provinzen, 2 Bde., Halle 1764–1765 ; er betreute u. a. die erweiterten Ausgaben von : Caroli A Linné […] Genera Plantarum […], editio octava post Reichardianam secunda […] auctior atque emendatior, curante D. Jo. Christiano Dan. Schreber […], Frankfurt a. M. 1789–1791 ; Caroli Linnaei Materia Medica ; editio secunda auctior, curante Jo. Chr. Dan. Schrebero, Leipzig/Erlangen 1772. 25 Georgi hatte eine Apotheke in Stendal betrieben, bevor er 1769 nach Sankt Petersburg zog, von wo aus er in den 1770er Jahren die große Rußlandexpedition unter Peter Simon Pallas begleitete. Seine späteren Publikationen hatten den Ertrag dieser Reise zum Gegenstand. Schreber erwähnt in seinem Vorwort zu Osbecks Reisebericht, daß Georgi einige Jahre in Uppsala studiert und seine dabei erworbenen Schwedischkenntnisse bereits in anderen Übersetzungen unter Beweis gestellt habe. S. Reise nach Ostindien und China, Vorrede, XVI. 26 Toréns Beschreibung (En Ostindisk Resa Til Suratte, China &c. Från 1750 April 1. til 1752. Jun. 26 Förrättad af Olof Torén) war als Appendix bereits in der schwedischen Version von Osbecks Reisebericht enthalten ; in deutscher Übersetzung lautete der Titel : Eine Ostindische Reise nach Suratte, China etc., von 1750, den 1 April bis 1752, den 26 Jun. Verrichtet von Olof Toreen, Schiffsprediger der ostindischen Compagnie. 27 Anleitungen zu einer nützlichen Aufmerksamkeit bey chinesischen Reisen, in einer Rede bey der Aufnahme in die Königl. Schwed. Akademie der Wissenschaften zu Stockholm, den 25 Hornung 1758, ertheilet von Peter Osbeck.
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einem Kapitän der schwedischen Ostindien-Kompanie.28 Die unter publikationsstrategischen Gesichtspunkten interessantesten und hier eingehender zu diskutierenden Ergänzungen stammten allerdings von Osbeck und Schreber. Osbeck beteiligte sich aktiv am Entstehen der Übersetzung, indem er Schreber neues, noch nicht publiziertes Material schickte, das dieser dann an passender Stelle einfügte und gegebenenfalls weiter ergänzte und kommentierte.29 So verwies Schreber beispielsweise auf die erheblichen Differenzen, die ihm zwischen Osbecks und Jacquins Charakterisierung der Gattung Cassytha aufgefallen waren.30 Da sich beide Autoren durch ihre Reisen31 und die daraus hervorgegangenen Publikationen als kenntnisreiche und verläßliche Beobachter qualifiziert hätten, sei, so Schreber, nicht anzunehmen, daß ihnen in Bezug auf diese Pflanze grobe Fehler unterlaufen seien. Schreber forderte darum den informierten Leser auf zu entscheiden : »[…] ob nicht […] diejenige Pflanze, welche er [Jacquin] gesehen hat, die Cuscuta baccifera barbadensium Pluk. Alm. 126. t. 172. f. 2., von der chinesischen vom Herrn Pastor Osbeck beobachteten Cassutha Rumph. Herb. Amb. 5. p. 491. t. 184 f. 4 […] dem Geschlecht nach unterschieden sey, zumal da sich in der Structur von beyden eine merkliche Differenz zu finden scheint.«32 Schrebers Leistung bestand also darin, ein klassifikatorisches Problem zu identifizieren und auf diese Weise andere zu dessen Lösung aufzufordern. Im Haupttext oder in den Fußnoten von Publikationen auf Unstimmigkeiten hinzuweisen oder auch Fragen zu formulieren, auf die der Autor selbst zum Zeitpunkt des Erscheinens seines Werks noch keine definitive Antwort zu geben wußte, gehörte zum Arsenal derjenigen Strategien, die nicht nur Linné, sondern auch andere nutzten, um im Rahmen des kollaborativen Publikationssystems Erkenntnisfortschritt zu erzeugen. Schon Osbeck hatte in die schwedische Originalversion seines Reiseberichts Fußnoten eingestreut, die diesem Zweck dienten. Zur Beschreibung einer im Text mit ihrem lokalen Namen als Lang-ann bezeichneten chinesischen Frucht findet sich bei28 Kurzer Bericht von der chinesischen Landwirtschaft, von dem Herrn Schiffscapitain Carl Gustav Eckeberg. 29 Leider ist dieser Prozeß in der erhaltenen Korrespondenz Schrebers nicht dokumentiert. Sein in der Universitätsbibliothek Erlangen verwahrter Nachlaß enthält nur einen einzigen Brief von Osbeck aus den 1770er Jahren. 30 Osbeck, Reise nach Ostindien und China, Vorrede, XIII.; vgl. Jacquin, Selectarum stirpium Americanarum historia, Wien 1763, 115. 31 Jacquin hatte von 1754–1759 eine Karibikexpedition unternommen. 32 Osbeck, Reise nach Ostindien und China, Vorrede, XVf.
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spielsweise in einer Anmerkung die Frage, ob es sich dabei nicht um dieselbe Pflanze handle, die Georg Eberhard Rumpf in seinem Herbarium Amboinense (Amsterdam 1741–1750) Cussambium genannt habe ?33 An anderer Stelle hatte Osbeck angemerkt, daß eine von ihm beschriebene Pflanze sowohl Linnés Convolvulus batatas als auch Hans Sloanes Convolvulus radice tuberosa esculenta minore purpurea entspreche.34 Die Häufigkeit, mit der solche Fragen und Vermutungen in naturhistorische Publikationen eingestreut waren, läßt erkennen, daß Publikationen, insbesondere solche von weiter ausgreifendem Erfassungsanspruch, sowohl von ihren Autoren als auch von ihren Lesern als vorläufig begriffen wurden. Es war für den akkumulativen Erkenntnisprozeß der Botanik von zentraler Bedeutung, neue Information möglichst schnell publik zu machen, so daß darauf Zugriff erhielt, wer für seine eigene Arbeit darauf angewiesen war. Dieser Notwendigkeit trug der oben beschriebene, iterative Publikationsmodus Rechnung, ohne den kaum eine größere botanische Publikation längerfristig Relevanz beanspruchen konnte. Darum war es auch ein konstruktiver Beitrag zur langfristig angelegten Vervollständigung eines Werks, nicht nur gesichertes bzw. für sicher gehaltenes Wissen zu publizieren, sondern auch Fragen und Vermutungen, die dann anhand von Leserreaktionen in späteren Ausgaben beantwortet, bestätigt oder widerlegt werden konnten. Schreber setzte diesen von Osbeck initiierten Prozeß fort. Nach wie vor ungeklärte Fragen behielt er bei und ergänzte seinerseits mit dem Autorenkürzel »D. S.« (für Daniel Schreber) signierte Anmerkungen, die den Lesern seiner Übersetzung weiteres Material zur Lösung eines Problems zur Verfügung stellten. Osbecks detaillierte Beschreibung eines Baumes namens dracaena ferrea versah er beispielsweise mit einer Fußnote, in der er diesen Baum als eine bereits in Linnés Species plantarum und Rumpfs Herbarium amboinense beschriebene Pflanze identifizierte : »Der Baum von welchem hier die Rede ist, heißt Asparagus terminalis LINN. Spec. pl. p. 450. n. 13. Terminalis alba RUMPH. amb. t. 4. p. 79. t. 34. D.S.« 35 Sechs Jahre nach dem Erscheinen der deutschen Übersetzung durchlief Osbecks Reisebericht einen weiteren Aktualisierungszyklus und zwar in Form einer 33 Vgl. Osbeck, Dagbok, 193 («An Cussambium ? Rumpf. libr. 1. p. 154. t. 56«). Die Fußnote wurde von Schreber unverändert in die deutsche Übersetzung übernommen ; vgl. Osbeck, Reise, 251. 34 Vgl. ebd., 253. 35 Ebd., 328.
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zweiten Übersetzung. 1771 brachte der deutsche Naturhistoriker Johann Reinhold Forster eine englische Version heraus, die das von Osbeck und Schreber begonnene Ergänzungsprojekt fortsetzte und weiter dezentralisierte.36 Forster übersetzte die deutsche, d. h. eine bereits erweiterte Version von Osbecks Reisebericht, die er seinerseits um weitere Informationen anreicherte. Die Provenienz der etappenweise in das Original einfügten Beobachtungen blieb für den Leser nachvollziehbar, indem auch Forster mit Fußnoten arbeitete, die er mit »F« (für Forster) signierte. Auf diese Weise wurde der Text in zwei Zyklen durch drei Autoren – Osbeck selbst, Schreber und Forster – dort fortgeschrieben oder auch revidiert, wo in der Zwischenzeit relevante Neuigkeiten bekannt geworden waren. So kommentierte Forster beispielsweise seinerseits die oben zitierte, bereits von Schreber ergänzte Beschreibung der dracaena ferrea in einer weiteren Fußnote zur botanischen Nomenklatur. Forster verwies auf den Eintrag zur Dracaena in der zum Zeitpunkt des Erscheinens seiner Übersetzung aktuellsten – zwölften – Auflage von Linnés Systema naturae und die dort von Linné vorgenommenen Änderungen ; allerdings nicht, ohne die Synonyme zu wiederholen, die Schreber in seiner deutschen Übersetzung angeführt hatte : »(Dracaena ferrea, Linn. Syst. Nat., ed. 12. p. 246). D.S. remarks that it is called Asparagus terminalis in Species Plantar. and Terminalis alba by Rumph. Am. vol. IV. p. 79. tab. 34, but Linnaeus, in his new system, page aformentioned, calls that species of Asparagus, Dracaena terminalis. F.«37 36 A Voyage to China and the East Indies, by Peter Osbeck, Rector of Hasloef and Woxtorp, Member of the Academy of Stockholm, and of the Society of Upsal ; […] translated from the German by John Reinhold Forster ; to which are added a Faunula and Flora Sinensis, 2 Bde., London 1771. Zu Johann Reinhold Forster als Übersetzer von Reiseliteratur vgl. Vladimir Kapor : Translating the Great Maritime Explorations. On Johann Reinhold Forster’s Translation of Bougainville’s Voyage autour du monde, in : Alison Martin/Susan Pickford (Hg.) : Travel Narratives in Translation, 1750–1830. Nationalism, Ideology, Gender, Abingdon/New York 2012, 93–109 ; zu Georg Forsters Übersetzungen von Reiseliteratur vgl. Christine Haug : »Diese Arbeit unterhält mich, ohne mich zu ermüden«. Georg Forsters Übersetzungsmanufaktur in Mainz in den 1790er Jahren, in : Georg-Forster-Studien XIII (2008), 99–128 ; Alison Martin : Übersetzung und die Entdeckung der Welt. Georg Forster und die Reiseliteratur, in : Harald Kittel/Armin Paul Frank u. a. (Hg.) : Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung. An International Encyclopedia of Translation Studies. Encyclopédie internationale de la recherche sur la traduction, 3 Bde., Berlin 2008–11, Bd. 2 (2008), 1634–1641. 37 Osbeck, Voyage to China, Bd. 2, 14. Das Verweisen auf Linnés Nomenklatur spielte auch in Forsters Übersetzung von Bougainvilles Voyage autour du monde eine zentrale Rolle ; vgl. Kapor, Translating, 99.
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Oder : Schreber hatte in einer langen Fußnote zum Teestrauch die Behauptung des englischen Botanikers John Hill referiert, schwarzer und grüner Tee seien, entgegen der allgemeinen Annahme, nicht nur das Resultat unterschiedlicher Verarbeitungsmethoden, sondern würden vielmehr aus den Blättern unterschiedlicher Teepflanzen gewonnen. Forster behielt die Fußnote bei, ergänzt um einen abschließenden Satz, in dem er seine Zweifel an dieser Behauptung zum Ausdruck brachte : »It has been universally believed that all teas came from the same shrub, and are only distinguished by different age, gathering, and preparation. But Dr. Hill has lately discovered that the brown tea comes from the tea shrub with six petals, or flower leaves, which Kaempfer has described, and represented : but that the green tea is taken from the tea shrub with nine leaved flowers. The former in Linnaeus’s Spec. Plantarum, Ed. ii. p. 734 is Thea bohea, and the latter Thea viridis. Linnaeus distinguishes it, besides the flowers, by the longer and narrower leaves. Dr. Schreber. It is notwithstanding, very doubtful whether the plant of the green tea is really different from that of the bohea tea. F.«38
Zusätzlich zu diesen kommentierenden und korrigierenden Fußnoten bot Forster den Lesern seiner Osbeck-Übersetzung noch eine weitere Ergänzung. Unter dem Titel Faunula sinensis und Flora sinensis stellte er nach dem Linnéschen Klassifikationsschema organisierte Übersichten aller bislang bekannten chinesischen Tiere bzw. Pflanzen zusammen, die er aus Linnés Species plantarum, Osbecks Reisebericht und anderen botanischen Publikationen kompiliert hatte. Ziel war es, den derzeitigen Status quo des europäischen Wissens über die chinesische Flora und Fauna zusammenzutragen, auf klassifikatorische Unstimmigkeiten bzw. Schwierigkeiten hinzuweisen, insbesondere im Bereich der Botanik Mehrfachbenennungen durch unterschiedliche Autoren zu identifizieren und die besten Beschreibungen in der botanischen Literatur anzugeben. Unter dem Gattungsnamen Panicum findet sich in Forsters Flora sinensis beispielsweise die folgende Liste bislang bekannter chinesischer Hirsearten : »1. alopecurodeum 2. glaucum 3. Crus galli 38 Osbeck, Voyage to China, Bd. 1, 246.
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4. brevifolium 5. arborestens 6. patens 7. dissectum. Osbeck. Perhaps the P. dimidiatum Linn.«39
Forster wies also darauf hin, daß die siebte Art möglicherweise bei Osbeck und Linné unter verschiedenen Namen aufgeführt wurde, wobei er dieses Problem nicht selbst kommentierte, sondern anderen zur Lösung überließ. Aber allein der Hinweis auf diese potentielle Doppelung war ein Gewinn, da so ein Problem lokalisiert wurde, das andere nur mehr zu lösen hatten, ohne es vorher suchen bzw. identifizieren zu müssen. Das Erstellen einer chinesischen Flora war, wie die Linnésche Botanik insgesamt, ein langfristiges Projekt, das auf zahllose Beiträge, Beobachtungen und Berichtigungen angewiesen war. Osbecks Expedition und sein Reisebericht bildeten den Grundstock, aber Vollständigkeit war nur durch die Zusammenarbeit vieler zu erreichen. Eine derartige Kollaboration erforderte eine zentrale Instanz, einen Schriftführer, der neu identifizierte und benannte Arten in einem zentralen Register verzeichnete und dort auch die konstant erforderlichen Korrekturen einarbeitete. Nachdem Linné mehrere Jahrzehnte lang allein als dieses Zentrum einer globalen Botanik fungiert und in Abständen erweiterte Editionen seiner systematischen Schriften publiziert hatte – die zwölfte und letzte von ihm selbst bearbeitete Ausgabe des Systema naturae war zwischen 1766 und 1768 erschienen – deutet die Publikationsgeschichte von Osbecks Reisebericht auf eine strukturelle Veränderung hin. Während es unmittelbar nach Osbecks Rückkehr aus China noch selbstverständlich war, neu entdeckte Arten so vollständig wie möglich in das globale Artenverzeichnis von Linnés Species plantarum einzuarbeiten, sind Forsters Faunula und Flora sinensis Anzeichen eines Ausdifferenzierungsprozesses : von einem zentralen, globalen Register hin zu mehreren Regionalregistern, die nicht mehr von einem, sondern von verschiedenen Gelehrten geführt wurden, um mit der Explosion naturhistorischer Information Schritt zu halten zu können. Was also war ein botanischer Autor im 18. Jahrhundert ? Eine umfassende Antwort auf diese Frage steht noch aus, doch wird sie eng mit der Antwort auf eine zweite Frage korreliert sein, nämlich : Was ist, oder wie entstand eine botanische Publikation ? Auf diese Weise läßt sich verdeutlichen, daß weit39 Ebd., Bd. 2, 343.
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reichende Formen kollektiver Autorschaft nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts darstellen, sondern sich schon sehr viel früher ausbildeten. Dann nämlich, wenn der Erkenntnisanspruch eines wissenschaftlichen Vorhabens oder auch einer Disziplin die Kapazitäten eines einzelnen Gelehrten so sehr überstieg, daß Kollaboration und infolgedessen das Aggregieren von Beiträgen vieler zur Notwendigkeit wurde. Das globale Projekt der Linnéschen Botanik und die modulare und partizipative Architektur nicht nur von Linnés eigenen systematischen Werken, sondern auch von Publikationen anderer Botaniker, die in diesem Umfeld entstanden – und somit eines Systema naturae im weiteren Sinne – ist ein spektakuläres frühneuzeitliches Beispiel einer derartigen Dynamik. Dabei fragmentierte das von Linné auf die Spitze getriebene, aber auch von anderen Botanikern praktizierte Übereinanderschichten von Information den botanischen Autor, den die Nennung von in der Regel nur einem Namen auf dem Titelblatt einer Publikation nach wie vor als ein einzelnes Subjekt erscheinen ließ. Doch die Leistung der involvierten Kontributoren, im Fall von Osbecks Reisebericht insbesondere die der beiden Übersetzer, war minutiös dokumentiert, was jedem Leser vor Augen führte, daß dieser Text nicht das Produkt eines einzelnen darstellte, sondern aus einer Kultur des kollaborativen Publizierens hervorgegangen war. Als Resultat von Kollaborationen unterschiedlicher Größenordnung, die dieser Tatsache adäquat Rechnung zu tragen hatten, waren botanische Publikationen mit Herausforderungen konfrontiert, die denen der zeitgenössischen Laborforschung nicht unähnlich sind. Das langfristige Akkumulieren eines Systema naturae im weiteren Sinne ließ eine Publikationskultur entstehen, die antizipierte, was in der Biomedizin der 1990er Jahre zur Lösung des zunehmend komplexer werdenden Autorschaftsproblems vorgeschlagen wurde. Zur Diskussion stand, das Konzept »Autor« durch das Konzept »contributor« zu ersetzen bzw. zu flankieren, um der fundamental kollaborativen Natur des Wissensbildungsprozesses Rechnung zu tragen. 1997 empfahl ein Beitrag im Journal of the American Medical Association (JAMA), daß »[who] has added usefully to the work« als contributor aufgeführt werden und seinen eigenen Beitrag in einer Kontributorenliste kurz beschreiben solle. So könne sich der Leser ein klareres Bild von der Vielzahl und Vielfältigkeit der geleisteten Beiträge verschaffen, als es die herkömmliche Auflistung von Koautoren auf der Titelseite eines wissenschaftlichen Aufsatzes erlaubte.40 Diesen Schritt hin zu 40 S. Mario Biagioli : Rights or Rewards ? Changing Frameworks of Scientific Authorship, in : Biagioli/Galison, Scientific Authorship, 253–279, 264ff.
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einem Konzept modularisierter Autorschaft, das erlaubte, dem Aggregatcharakter von Publikationen adäquater Rechnung zu tragen, hatte die Botanik des 18. Jahrhunderts auf ihre Weise bereits vollzogen.
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Mit der kollaborativen Kultur der Botanik im 18. Jahrhundert war eine Geschichte des botanischen Arbeitens Gegenstand dieses Buches. Die Genese dieses Arbeitsmodus wurde einleitend in das 17. Jahrhundert und, kursorisch, bis in die Renaissance zurückverfolgt, um die vermeintliche Evidenz des in der internationalen Literatur omnipräsenten Begriffs Linnaean botany zu hinterfragen. Linneisch an »Linnés Botanik« waren nicht nur die klassifikatorische Vorgehensweise und Nomenklatur, sondern auch die Tatsache, daß das auf diesem Fundament über Jahrzehnte vorangetriebene globale Erfassungsprojekt eine großflächige kollaborative Dynamik generierte, die nicht nur Linnés eigene Werke, sondern auch die vieler Zeitgenossen zu Produkten eines kollaborativen Publikationssystems, eines systema naturae im weiteren Sinne, machte. Gleichzeitig wurde deutlich, daß charakteristische Praktiken und Strategien dieser Art von botanischer Kollaboration in Ansätzen schon früher anzutreffen waren und dann in der Ära Linnés, auch über seinen Tod hinaus, ihre maximale Effizienz erreichten. Die Frage nach dem weiteren Verlauf dieser Entwicklung drängt sich auf, aber kein Buch – auch dieses nicht – kann das »Davor« und »Danach« seines Untersuchungszeitraums erschöpfend behandeln. Nachdem Sarah Scharf bereits auf die klassifikatorischen Widersprüche hingewiesen hat, die Linnés System in Frage stellten und seinen Gebrauch zunehmend erschwerten, soll das Niedergangsnarrativ hier nicht weiter diskutiert werden.1 Statt dessen möchte ich abschließend bemerkenswerte arbeitstechnische Entsprechungen zwischen einem Gegenwartsphänomen, dem Open-Source-Betriebssystem Linux, und dem Modus Operandi der Botanik im 18. Jahrhundert hervorheben. Dabei geht es weder darum, eine vollständige Analogie zwischen beiden Formationen behaupten zu wollen, noch eine direkte Kontinuität zwischen der frühneuzeitlichen Botanik und der Informatik des späten 20. bzw. beginnenden 21. Jahrhunderts. Vielmehr soll deutlich werden, daß das Mobilisieren von Wissen, Arbeitskraft und Motivation vieler zur Durchführung eines nur kollektiv und langfristig realisierbaren Projekts keineswegs eine grundsätzlich neuartige Erscheinung der digitalen Gegenwart darstellt. 1 Vgl. Scharf, Identification Keys, 92f.
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Die Veröffentlichung der ersten rudimentären Version des sogenannten Linux-Kernels im Jahr 1991 und dessen spektakuläre Weiterentwicklung in der Folgezeit haben Linus Torvalds zum Idol der Open-Source-Bewegung und Linux, auch außerhalb der Softwaresphäre, zum Phänomen gemacht. Rückblickend bezeichnete sich Torvalds selbst als einen zufälligen Revolutionär.2 Um zu verdeutlichen, worin die Linux-Revolution bestand und was daran in Bezug auf die Botanik des 18. Jahrhunderts von Interesse ist (und vice versa), muß zunächst etwas weiter ausgeholt werden. 1983 lancierte der amerikanische Programmierer Richard Stallman das sogenannte GNU-Projekt zur Entwicklung freier Software. Frei insofern, als es jedem Nutzer möglich sein sollte, freien Zugriff auf den Quellcode eines Programms zu haben, daran nach Bedarf und Belieben Änderungen vorzunehmen und die modifizierten Versionen erneut publik zu machen. Als Quellcode bezeichnet man, vereinfacht gesagt, den in einer Programmiersprache geschriebenen, für Menschen lesbaren Text eines Programms, der dann mit Hilfe eines sogenannten Compilers in die Maschinensprache von Computern übersetzt wird. Während das freie Zugreifen auf Quellcodes für die Programmiererszene der 1960er und 70er Jahre eine Selbstverständlichkeit gewesen war, wurde diese Praxis von kommerziellen Softwareanbietern bald nahezu vollständig unterbunden. Um zu verhindern, daß ihre Software auf den Computern von Konkurrenten eingesetzt werden konnte, verunmöglichten sie die Portabilität von Programmen durch das Geheimhalten von deren Quellcode. Auch das Einführen restriktiver Software-Lizenzen schränkte Nutzerfreiheiten weiter ein. Angesichts dieser Entwicklung beschloß Stallman, eine programmatische Alternative zu schaffen. 1985 erschien das GNU-Manifest,3 kurz darauf folgte die Gründung der Free Software Foundation,4 in deren Rahmen Stallman die für die weitere Entwicklung grundlegende General Public License (GPL) entwickelte. Damit war eine rechtliche Form geschaffen, die seitdem garantiert, daß der kreative Input in Open-Source-Software frei verfügbar bleibt und nicht durch kommerzielle Anbieter in nicht modifizierbare Produkte transformiert werden kann.5 2 Linus Torvalds/David Diamond : Just for fun. The Story of an Accidental Revolutionary, New York 2001. 3 Richard Stallman : The GNU Manifesto, ursprünglich 1985 (www.gnu.org/gnu/manifesto. html ; 2/18/2010). 4 Siehe www.fsf.org/about ; 2/18/2010. 5 Die aktuelle Version der General Public License, die für die meisten GNU Programme verwendet wird, ist GPLv3 (www.gnu.org/gnu/licenses/gpl.html ; 21.11.2016). Hier ist das
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Der erste Schritt auf diesem Weg war die Entwicklung eines freien Betriebssystems, also jener Software, ohne die ein Computer nicht benutzt, nicht einmal gestartet werden kann. Jedes Betriebssystem besteht aus einer Vielzahl von Elementen, darunter der sogenannte kernel, der die Hardware-Ressourcen zuweist, mehrere Compiler, editors, d. h. Programme zur Bearbeitung von Text, v. a. von Quellcode, und vieles andere mehr. Stallman und seine Mitarbeiter nahmen dieses umfangreiche Vorhaben 1984 in Angriff und hatten bis 1990 alles fertiggestellt bis auf den kernel, das Kernstück, das sie trotz aller Bemühungen nach wie vor nicht in stabiler Form realisieren konnten. In diese Lücke traf 1991 die erste Version des Linux-Kernels, den der finnische Programmierer Linus Thorvalds auf gänzlich unorthodoxe, aber um so effizientere Weise entwickelt hatte.6 Es ist das Verdienst von Eric Raymond, selbst Programmierer und frühes Mitglied der Open-Source-Szene, in einer auch für Nicht-Programmierer nachvollziehbaren Art und Weise gezeigt zu haben, daß der außerordentliche Erfolg von Linux primär auf der Organisationsebene zu verorten ist und das Mobilisieren und Koordinieren von Kooperation betrifft. In seinem mittlerweile kanonischen Essay The Cathedral and the Bazaar (1997) analysierte er die Effizienz eines fundamental kollaborativen kreativen Prozesses.7 Bis zu Prinzip des copyleft festgehalten, eines Gegenmodells zum traditionellen copyright. Während copyright einem Autor die alleinigen Rechte an seinem Werk zusichert, verpflichtet copyleft dazu, das, was auf der Basis von open-source software programmiert und modifiziert wurde, auch wieder in open-source-Form zur Verfügung zu stellen. 6 Was als Free-Software-Bewegung begann, hat sich im Lauf der Zeit beträchtlich ausdifferenziert. Nachdem anfangs unter der Führung Richard Stallmans, mit antikapitalistischen Akzenten, ein Kampf für das Menschenrecht auf freie Software geführt worden war, hat der Aufstieg von Linux das Bild verändert. Als das ökonomische Potential freier Software sichtbar wurde, kam es zum Schisma. Um die der Free-Software-Terminologie anhaftende unternehmensfeindliche Aura abzuschütteln, begannen prominente Vertreter der Bewegung Ende der 1990er Jahre, den Begriff Open-Source-Software zu propagieren. 1998 wurde die entsprechende Open Source Initiative (OSI) gegründet. Richard Stallman lehnte den Namenswechsel ab und führt seinen Feldzug unter altem Namen weiter. Hier wird im folgenden der Dachbegriff free and open-source software (FOSS) verwendet. 7 Eric S. Raymond : The Cathedral and the Bazaar (zuerst 1997) (16.8.2016) ; eine Druckversion erschien bei O’Reilly, Sebastopol 1999 (erw. Aufl. 2001). Dieser Essay schuf außerdem eine Basis, von der aus sich aufgeschlossene Gesellschaftswissenschaftler dem soziologisch faszinierenden Phänomen annähern konnten. Steven Weber analysiert Open-Source-Software als ein »experiment in social organization around a distinctive notion of property« (The Success of Open Source, Cambridge (MA) u. a. 2004, 1). Cass Sunstein hat die Optimierung politisch-ge-
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Beginn der Linux-Ära galt es als goldene Regel der Software-Entwicklung, komplexe Projekte mit einer möglichst begrenzten Zahl von Entwicklern zu bearbeiten, um den Kommunikations- und Koordinationsaufwand besser kontrollieren und effizienter gestalten zu können. Große Projekte wurden dementsprechend von kleinen Entwicklerteams nach einem sorgfältig koordinierten Masterplan realisiert, um, so das Wunschziel, möglichst fehlerarme Produkte zu erzeugen. Programme wurden erst auf den Markt gebracht, wenn sie einen oder mehrere Debugging-Zyklen durchlaufen und nach langer Entwicklungsphase ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hatten – ein Arbeitsmodus, den Raymond als Kathedralen-Bauen bezeichnet. Auch die Free Software Foundation folgte im wesentlichen dieser Methode, aber der kernel ihres GNU-Betriebssystems kam auch nach mehrjähriger Arbeit nicht zustande. Linus Torvalds, damals Student an der Universität Helsinki, ging in jeder Hinsicht diametral anders vor. Nach einer Vorankündigung im Internet, die Interessenten bereits zu Feedback aufforderte,8 brachte er 1991 die erste zwar funktionsfähige, aber noch sehr elementare Version seines Linux-Kernels heraus, den er mit offenem Quellcode in einer Newsgroup auf usenet postete. Das Erstaunliche war, daß das Publik-Machen eines embryonalen Betriebssystems in kurzer Zeit Korrekturen und Ergänzungen von Programmierern aus aller Welt mobilisierte und so ein auf das Internet als Trägermedium gestütztes Kooperationsprojekt initiierte. Im Gegensatz zur bis dato unangefochtenen Logik konventioneller Softwareentwicklung verbesserte sich die Performance des Linux-Kernels in direkter Relation zur stetig wachsenden Zahl der beteiligten Kontributoren. In kurzen Intervallen erschienen neue, verbesserte und erweiterte Versionen. Wie also resultierte dieser Erfolg aus Kooperation ? Linus Torvalds gelang es, einen Arbeitsmodus zu entwickeln, dessen Dynamik sich schon nach kurzer Zeit auf unvorhersehbare Weise potenzierte und der wesentlich darsellschaftlicher Entscheidungsprozesse im Auge, wenn er die open-source-Bewegung, zusammen mit Internetwettbörsen und dem Online-Lexikon Wikipedia, als erfolgreiche Strategien diskutiert, um Information von vielen Nutzern zu neuem Wissen zu aggregieren. (Infotopia. How Many Minds Produce Knowledge, Oxford 2006). Und der Sammelband Perspectives on Free and Open Source Software (hg. von Joseph Feller/Brian Fitzgerald, Cambridge (MA) 2007) trägt den weitreichenden kulturellen Implikationen Rechnung, indem er ein Spektrum bilanzierender Analysen zu technischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Aspekten versammelt. 8 Linus Torvalds : What would you like to see most in minix, posting on usenet to newsgroup comp.os.minix, 8/25/1991.
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auf beruhte, eine internationale und stetig wachsende user community in den Entwicklungsprozeß einzubeziehen – über das Internet, das sich in diesem Zeitraum als Medium der Massenkommunikation zu etablieren begann. Statt spät und selten, publizierte Torvalds früh und oft.9 Fehler (bugs), die unter konventionellen Bedingungen der Software-Entwicklung in langwieriger und mühseliger Arbeit von einer kleinen Gruppe von Programmieren identifiziert und behoben werden mußten, und zwar vor der Freigabe einer Version, erscheinen im Rahmen des Linux-Ansatzes in einem anderen Licht. Torvalds verstand die stetig wachsende Zahl der über die ganze Welt verteilten Nutzer seines Linux-Kernels als eine globale Talentreserve, deren Ressourcen – Zeit, Enthusiasmus, Kompetenz, Kreativität und insbesondere Beitragsbereitschaft – sich für die Entwicklung von Linux instrumentalisieren ließen. Insbesondere der Prozeß des debugging, das zeitraubende Suchen, Finden und Beheben von Fehlern im Quellcode, profitiert von diesem kollaborativen Ansatz. Je mehr Benutzer ein Programm testen, desto schneller können die darin enthaltenen bugs identifiziert und behoben werden, was dann das Erstellen einer neuen, stabileren Version ermöglicht. Das Projekt wuchs mit einer solchen Geschwindigkeit, daß sich im Lauf der Zeit ein komplexer Mechanismus ausbildete, um die Beiträge zu filtern, zu sortieren, zu prüfen und zu implementieren. Die personelle und prozedurale Struktur dieses Ablaufs kann hier nicht genauer diskutiert werden, doch bleibt festzuhalten, daß bis heute Torvalds in letzter Instanz darüber entscheidet, was in den kernel aufgenommen wird und was nicht. Revolutionär an Linux war, wie dieses kollaborative Prinzip in bislang nie dagewesenem, erst durch das Internet ermöglichtem Umfang ausgereizt wurde (und wird) und so eine Größenordnung und Effizienz erreichen konnte, die den Anforderungen der zu bewältigenden Aufgabe genügte. Eine der fundamentalen Stärken des Ansatzes lag darin, eine internationale Nutzergemeinde zu schaffen und zur Mitarbeit an einem gemeinsamen Projekt zu motivieren. Das Einreichen von Beiträgen unterschiedlicher Art wie bug reports, Korrekturen und zusätzlichen features durch eine Vielzahl qualifizierter Individuen erlaubte, ein bislang zersplittertes Ressourcenpotential zu zentralisieren und zu aggregieren, mit spektakulären Auswirkungen auf die Qualität des aus diesem Kooperationsprozeß hervorgehenden Produkts. In Raymonds Worten : 9 Siehe dazu insbesondere die entsprechende Passage in der ersten Version von Raymond, Cathedral, www.catb.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/cathedral-bazaar/ar01s04.html (16.08. 2016).
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»[…] while coding remains an essentially solitary activity, the really great hacks come from harnessing the attention and brainpower of entire communities. The developer who uses only his or her own brain in a closed project is going to fall behind the developer who knows to create an open, evolutionary context in which feedback […], code contribution, bug-spotting and other improvements come from hundreds (perhaps thousands) of people.«10
Das massive Mobilisieren von Kooperation und das Integrieren der so gewonnenen Beiträge in ein kontinuierlich wachsendes System bringt spezifische Resultate hervor. Was so entsteht, sei es in einem technischen oder wissenschaftlichen Schaffensprozeß, ist kein Produkt oder Werk im herkömmlichen Sinne. Es ist zum Zeitpunkt seines Erscheinens weder endgültig noch bis auf weiteres abgeschlossen, wächst kontinuierlich, ist adaptiv und weiterentwickelbar. Jede Linux-Version hat vorläufigen Charakter, da sie infolge des kollektiven Entwicklungsprozesses und seiner Zyklen von Testen, debugging und Verändern zwangsläufig Korrekturen und Verbesserungen erfährt. Evolvable systems11 sind nie absolut aktuell, das können sie nicht sein, aber sie sind in der Lage, sich kontinuierlich zu aktualisieren – ein Phänomen, das erstaunliche Parallelen mit dem Modus Operandi der Botanik des 18. Jahrhunderts, besonders aber mit Linnés iterativ konzipiertem Systema naturae (im weiteren Sinne) aufweist.
10 Raymond, Cathedral, 50f. 11 Den Begriff übernehme ich von Clay Shirky, der als evolvable systems allerdings nur solche bezeichnet, die dezentral organisiert sind : »that proceed not under the sole direction of one centralized design authority but by being adopted and extended in a thousand small ways in a thousand places at once.« Siehe C. Shirky, In praise of evolvable systems, http://www.shirky. com/writings/evolve.html (7.11.2016).
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Ungedruckte Quellen
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Gedruckte Quellen
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sponte crescentium icones, ad vivum coloratae, et descriptionibus ac synonymis illustratae, 5 Bde., Wien 1773–1778. Kaempfer, Engelbert : Amoenitatum exoticarum politico-physico-medicarum fasciculi V, quibus continentur variae relationes, observationes & descriptiones rerum Persicarum & ulterioris Asiae, multa attentione in peregrinationibus per universum Orientem, Lemgo 1712. Kalm, Pehr : En resa til Norra America, på Kongl. Swenska Wetenskaps Academiens befattning, och publici kostnad, 3 Bde., Stockholm 1753–1761. Ders.: Des Herrn Peter Kalms, Professors der Haushaltungskunst in Aobo, und Mitgliedes der königlichen schwedischen Akademie der Wissenschaften Beschreibung der Reise, die er nach dem nördlichen Amerika auf den Befehl gedachter Akademie und öffentliche Kosten unternommen hat ; eine Übersetzung, 3 Bde., Göttingen 1754–1757. Ders.: Travels into North America, containing its natural history, and a circumstantial account of its plantations and agriculture in general ; with the civil, ecclesiastical and commercial state of the country, the manners of the inhabitants, and several curious and important remarks on various subjects, by Peter Kalm, professor of oeconomy in the University of Aobo in Swedish Finland, and Member of the Swedish Royal Academy of Sciences ; translated into English by John Reinhold Forster, F. A. S.; enriched with a map, several cuts for the illustration of natural history, and some additional notes, 3 Bde., London 1770–1771. Klein, Jacob Theodor : Historia avium prodromus […], Lübeck 1750. Ders.: Verbesserte und vollständigere Historie der Vögel, Danzig/Leipzig 1760. La Chenal, Werner de : Specimen inaugurale observationum botanicorum, quod […] publice defendit Wernerus de La Chenal, Basel 1759. Lee, James : An introduction to botany, containing an explanation of the theory of that science, and an interpretation of its technical terms, extracted from the works of Linnaeus […]. With […] an appendix containing upwards of two thousand English names of plants […], London 1760. Linné, Carl von : Systema naturae, sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera & species, Leiden 1735. Ders.: Systema naturae in quo naturae regna tria secundum classes, ordines, genera, species systematice proponuntur ; editio secunda auctior, Stockholm 1740. Ders.: Systema naturae […] in die deutsche Sprache übersetzet […], Halle 1740. Ders.: Systema naturae in quo proponuntur naturae regna tria […] ; editio
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quarta ab auctore emendata & aucta ; accesserunt nomina Gallica, Paris 1744. Ders.: Systema naturae […] ; editio altera auctior et emendatior, Halle 1747. Ders.: Systema naturae […] ; editio sexta, emendata et aucta, Stockholm 1748. Ders.: Systema naturae […], på Svenska, Stockholm 1753. Ders.: Systema naturae […] ; accedunt vocabula Gallica ; editio multo auctior & emendatior, Leiden 1756. Ders.: Systema naturae […] ; editio decima reformata, 2 Bde., Stockholm 1758–1759. Ders.: Systema naturae […], Leipzig 1762. Ders.: Systema naturae […] ; editio duodecima, reformata, 3 Bde., Stockholm 1766–1768. Ders.: Systema naturae […] ; editio decima tertia, aucta et reformata ; cura Jo. Frid. Gmelin, 3 Bde., Leipzig 1788–1793. Ders.: Systema vegetabilium secundum classes, ordines, genera, species, cum characteribus et differentiis ; editio decima tertia accessionibus et emendationibus novissimis manu perillustris auctoris scriptis adornata a Ioanne Andrea Murray, Göttingen 1774. Ders.: […] Systema Naturae, sive regna tria naturae systematice proposita per classes, ordines, genera et species = Caroli Linnaei […] Natur-Systema, oder Die in ordentlichem Zusammenhange vorgetragenen drey Reiche der Natur, nach ihren Classen, Ordnungen, Geschlechtern und Arten, in die deutsche Sprache übersetzet, und mit einer Vorrede herausgegeben von Johann Joachim Langen […], Halle 1740. Ders.: Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Natursystem, nach der zwölften lateinischen Ausgabe und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks mit einer ausführlichen Erklärung ausgefertigt von Philipp Ludwig Statius Müller, 6 Bde., Nürnberg 1773–1775. Ders.: Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Pflanzensystem nach der 13. lateinischen Ausg. und nach Anleitung des holländischen Houttuynischen Werks übersetzt und mit einer ausführlichen Erklärung ausgefertiget [übers. von Gottlieb Friedrich Christmann und Georg Wolfgang Franz Panzer], 14 Bde., Nürnberg 1777–1788. Ders.: A system of vegetables according to their classes, orders, genera, species, with their characters and differences ; translated from the thirteenth edition (as published by Dr. Murray) of the Systema vegetabilium of the late Professor Linnaeus ; and from the Supplementum plantarum of the
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present Professor Linnaeus, by a Botanical Society, at Lichfield, Lichfield/ London 1782. Ders.: Des Ritters Carl von Linné vollständiges deutsches Pflanzensystem nach der vierzehnten lateinischen Ausgabe zum bequemen Gebrauche der Liebhaber in tabellarische Form gebracht und mit vielen Zusätzen und Anmerkungen vermehrt von Georg Anton Weizenbeck, München 1785. Ders.: Des Ritters Carl von Linné Pflanzensystem nach seinen Klassen, Ordnungen, Gattungen und Arten mit den Erkennungs- und Unterscheidungszeichen ; vierzehnte nach der vorhergehenden viel vermehrte und verbesserte Auflage von Johann Andreas Murray [ …] ; aus dem Lateinischen mit einigen Zusätzen von Xaver Joseph Lippert, 2 Bde.,Wien 1786. Ders.: The Animal Kingdom, or zoological system of the celebrated Sir Charles Linnaeus […] being a translation of that part of the Systema naturae, as lately published with great improvements by Professor Gmelin […] together with numerous additions from more recent zoological writers […] by Robert Kerr, London 1792. Ders.: A genuine and universal system of natural history ; comprising the three kingdoms of animals, vegetables, and minerals, arranged under their respective classes, orders, genera, and species ; by the late Sir Charles Linnaeus […] improved, corrected and enlarged by J. Frid. Gmelin […] faithfully translated, and rendered more complete by the addition of Vaillant’s beautiful birds of Africa ; the superb fish of Mark Eliezer Bloch ; the amphibious animals, reptiles, insects, &c., in the costly works of Albertus Seba, Merian, Fabricius, Knorr, &c.; the elegant improvements of the Compte de Buffon, and the more modern discoveries of the British navigators in the South Pacific Ocean, New Holland, New South Wales, China, CochinChina, &c […], 14 Bde., London 1794–1810. Ders.: Système des plantes, contenant les classes, ordres, genres et espèces ; les caractères naturels et essentiels des genres ; les phrases charactéristiques des espèces ; la citation des meilleures figures ; le climat et le lieu natal des plantes ; l’époque de leur floraison ; leurs propriétés et leurs usages dans les arts, dans l’économie rurale et la médecine ; extrait et traduit des ouvrages de Linné par M. J. P. Mouton-Fontenille, 5 Bde., Lyon 1804–1805. Ders.: Bibliotheca botanica recensens libros plus mille de plantis huc usque editos, secundum systema auctorum naturale in classes, ordines, genera & species dispositos, additis editionis loco, tempore, forma, lingua etc. cum explicatione fundamentorum botanicorum, Amsterdam 1736. Ders.: Bibliotheca botanica […] ; editio nova multo correctior, Halle 1747.
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Ders.: Bibliotheca botanica […] ; editio altera priori longe auctior & emendatior, Amsterdam 1751. Ders.: Genera plantarum eorumque characteres naturales secundum numerum, figuram, situm & proportionem omnium fructificationis partium, Leiden 1737. Ders.: Genera plantarum […] ; editio secunda aucta & emendata, Leiden 1742. Ders.: Genera plantarum […] ; editio secunda [i. E. tertia] nominibus plantarum Gallicis locupletata, Paris 1743. Ders.: Genera plantarum […] ; editio quarta, Halle 1752. Ders.: Genera plantarum […] ; editio quinta ab auctore reformata et aucta, Stockholm 1754. Ders.: Genera plantarum […] ; editio sexta ab auctore reformata et aucta, Stockholm 1764. Ders.: Gattungen der Pflanzen und ihre natürlichen Merkmale nach der Anzahl, Gestalt, Lage und Verhältniß aller Blumentheile, nach der 6. Auflage übersetzt von Johann Jakob Planer, Gotha 1775. Ders.: Flora Lapponica exhibens plantas per Lapponiam crescentes, secundum systema sexuale collectas […] additis synonymis, & locis natalibus omnium, descriptionibus & figuris rariorum, viribus medicatis & oeconomicis plurimarum, Amsterdam 1737. Ders.: Flora Svecica ; exhibens plantas per regnum Sveciae crescentes, systematice cum differentiis specierum, synonymis autorum, nominibus incolarum, solo locorum, usu pharmacopoeorum, Stockholm/Leiden 1745. Ders.: Philosophia botanica (1751), übers. von Stephen Freer, Oxford 2005. Ders.: Species plantarum, exhibentes plantas rite cognitas, ad genera relatas, cum differentiis specificis, nominibus trivialibus, synonymis selectis, locis natalibus, secundum systema sexuale digestas, Stockholm 1753. Ders.: Species plantarum […] editio secunda aucta, 2 Bde., Stockholm 1762– 1763. Ders.: Species plantarum […] editio tertia, 2 Bde., Wien 1764. Ders.: Museum Tessinianum, opera illustrissimi comitis Dom. Car. Gust. Tessin […] collectum, Stockholm 1753. Ders.: Museum S :ae R :ae M :tis Adolphi Friderici Regis Suecorum […] in quo animalia rariora imprimis et exotica, quadrupedia, aves, amphibia, pisces, insecta, vermes describuntur et determinantur, Latine et Suetice cum iconibus, Stockholm 1754. Ders.: Mantissa plantarum. Generum editionis VI et Specierum editionis II, Stockholm 1767.
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Ders.: Mantissa plantarum altera. Generum editionis VI et Specierum editionis II, Stockholm 1771. Ders.: Linnés eigenhändige Anzeichnungen über sich selbst, mit Anmerkungen und Zusätzen von Afzelius, aus dem Schwedischen übersetzt von Karl Lappe, Berlin 1826. Martyn, John : Historia plantarum rariorum ; centuria 1, decas I–V, London 1728–1737. Milne, Colin : A botanical dictionary ; or, elements of systematic and philosophical botany, London 1770. Morison, Robert : Hortus regius Blesensis auctus cum notulis durationis & charactismis plantarum tam additarum, quam non scriptarum […], London 1669. Ders.: Plantarum historiae universalis Oxoniensis […], 2 Bde., Oxford 1680–1699. Oeder, Georg Christian : Elementa botanicae, 2 Bde., Kopenhagen 1764–1766. Osbeck, Pehr : Dagbok öfwer en ostindisk resa åren 1750. 1751. 1752. Med anmärkningar uti naturkunnigheten, främmande folkslags språk, seder, hushållning […] Stockholm 1757. Ders.: Herrn Peter Osbeck, Pastors zu Haßlöf und Woxtorp, der Königl. Schwedischen Akademie zu Stockholm und der Kön. Gesellschaft zu Upsala Mitgliedes, Reise nach Ostindien und China, nebst O. Toreens Reise nach Suratte und C. G. Ekebergs Nachricht von der Landwirthschaft der Chineser ; aus dem Schwedischen übersetzt von J. G. Georgi, Rostock 1765. Ders.: A voyage to China and the East Indies by Peter Osbeck, […], translated from the German by John Reinhold Forster, F.A.S.; to which are added a Faunula and Flora Sinensis, 2 Bde., London 1771. Parkinson, John : Paradisi in sole paradisus terrestris ; or a garden of all sorts of pleasant flowers which our English ayre will permitt to be noursed up ; with a kitchen garden of all manner of herbes, rootes, & fruites, for meate or sause used with us, and an orchard of all sorte of fruitbearing trees and shrubbes fit for our land ; together with the right orderinge, planting & preserving of them and their uses and vertues […], London 1629. Ders.: Theatrum botanicum ; the theater of plants ; or, an herball of a large extent, containing therein a more ample and exact history and declaration of the physicall herbs and plants that are in other authours, encreased by the accesse of many hundreds of new, rare, and strange plants from all the parts of the world, with sundry gummes, and other physicall materials, than hath beene hitherto published by any before ; and a most large demonstration of their natures and vertues, London 1640.
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Plukenet, Leonard : Phytographia, sive stirpium illustriorum et minus cogni tarum icones, tabulis aeneis summa diligentia elaboratae, quarum unaquae que titulis descriptoriis ex notis suis propriis & characteristicis desumptis, insignita ab aliis ejusdem sortis facile discriminatur, London 1691–1696. Ders.: Almagestum botanicum, sive phytographiae Plukenetianae onomasticon methodo synthetica digestum, exhibens stirpium exoticarum, rariorum, novarumque nomina, quae descriptionis locum supplere possunt […], London 1696. Ders.: Almagesti botanici mantissa plantarum novissime detectarum ultra millenarium numerum complectens […], London 1700. Plumier, Charles : Descriptions des plantes de l’Amérique, avec leurs figures, Paris 1693. Pulteney, Richard : Historical and biographical sketches of the progress of botany in England, from its origin to the introduction of the Linnaean system, 2 Bde., London 1790. Ray, John : Catalogus plantarum circa Cantabrigium nascentium ; in quo exhibentur quotquot hactenus inventae sunt, quae vel sponte proveniunt, vel in agris seruntur ; una cum synonymis selectioribus, locis natalibus & observationibus quibusdam oppido raris ; adjiciuntur in gratiam tyronum index anglico-latinus, index locorum, etymologia nominum, & explicatio quorundam terminorum, Cambridge 1660. Ders.: Appendix ad catalogum plantarum circa Cantabrigiam nascentium continens addenda & emendanda, Cambridge 1663. Ders.: Appendix ad catalogum plantarum circa Cantabrigiam nascentium continens addenda & emendanda ; editio secunda, aucta plantis sexaginta, Cambridge 1665. Ders.: Catalogus plantarum Angliae et insularum adjacentium ; tum indigenas tum in agris passim cultas complectens ; in quo praeter synonyma necessaria, facultates quoque summatim traduntur, una cum observationibus & experimentis novis medicis et physicis, London 1670. Ders.: Catalogus plantarum Angliae […] ; editio secunda, plantis circiter quadraginta sex & observationibus aliquammultis auctior, London 1677. Ders.: Methodus plantarum nova (1682), übers. von S. A. Nimis, K. Tschanz Unroe, M. A. Vincent, mit einer Einleitung von M. Black, M. W. Chase und M. A. Vincent, London 2014. Ders.: Fasciculus stirpium Britannicarum, post editum Plantarum Angliae Catalogum observatarum, London 1688. Ders.: Historia plantarum generalis ; species hactenus editas aliasque insuper
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multas noviter inventas & descriptas complectens ; in qua agitur primo de plantis in genere, earumque partibus, accidentibus & differentiis ; deinde genera omnia tum summa tum subalterna ad species usque infimas, notis suis certis & characteristicis definita ; methodo naturae vestigiis insistente disponuntur ; species singulae accurate describuntur, obscura illustrantur, omissa supplentur, superflua resecantur, synonyma necessaria adjiciuntur ; vires denique & usus recepti compendio traduntur, 3 Bde., London 1686– 1704. Ders.: Synopsis methodica stirpium Britannicarum, in qua tum notae generum characteristicae traduntur, tum species singulae breviter describuntur, London 1690. Ders.: Synopsis methodica stirpium Britannicarum, tum indigenis, tum in agris cultis, locis suis dispositis ; additis generum characteristicis, specierum descriptionibus & virium epitome ; accessit clarissimi viri D. Aug. Rivini epistola ad Joan. Raium de methodo, cum ejusdem responsoria […], London 1696. Ders.: Synopsis methodica stirpium Britannicarum, tum indigenis, tum in agris cultis locis suis dispositis ; additis generum characteristicis, specierum descriptionibus & virium epitome, London 1724 [hg. von J. J. Dillenius]. Reede tot Drakestein, Hendrik van : Hortus Indicus Malabaricus continens regni Malabarici apud Indos celeberrimi omnis generis plantas rariores […], 12 Teile, Amsterdam 1678–1703. Rivinus, August Quirin : Introductio generalis in rem herbariam, 4 Bde., Leipzig 1690–1699. Rousseau, Jean-Jacques : Fragments pour un dictionnaire des termes d’usage en botanique, in : La botanique de J.-J. Rousseau, ornée de 65 planches imprimées en couleurs d’après les peintures de P.-J. Redouté, Paris 1805, 89–122. Rumpf, Georg Eberhard : Herbarium Amboinense, plurimas complectens arbores, fructices, herbas, plantas terrestres & aquaticas […] nunc […] in Latinum sermonem vertit Joannes Burmannus […] qui varia adjecit synonyma, suasque observationes, 7 Bde., Amsterdam 1741–1755. Rupp (auch Ruppius), Heinrich Bernhard : Flora Jenensis sive enumeratio plantarum ; tam sponte circa Jenam, & in locis vicinis nascentium, quam in hortis obviarum, methodo conveniente in classes distributa, figurisque rariorum aeneis ornata, Frankfurt 1718. Ders.: Alberti Haller […] Flora Jenensis Henrici Bernhardi Ruppii ex posthu-
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mis auctoris schedis et propriis observationibus aucta et emendata ; accesserunt plantarum rariorum novae icones, Jena 1745. Scopoli, Giovanni Antonio : Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in classes naturales. Cum differentiis specificis, synonymis recentiorum, locis natalibus, nominibus incolarum […], Wien 1760. Ders.: Entomologia Carniolica, exhibens insecta Carnioliae […] distributa […] methodo Linneana, Wien 1763. Ders.: Flora Carniolica exhibens plantas Carnioliae indigenas et distributas in classes, genera, species, varietates, ordine Linneano […] editio secunda aucta et reformata, 2 Bde., Wien 1772. Séguier, Jean François : Bibliotheca botanica, sive catalogus auctorum et librorum omnium qui de re botanica, de medicamentis ex vegetabilibus paratis, de re rustica, & de horticultura tractant […], Den Haag 1740. Ders.: Catalogus plantarum quae in agro Veronensi reperiuntur, Verona 1745. Ders.: Plantae Veronenses seu stirpium quae in agro Veronensi reperiuntur methodica synopsis, 3 Bde., Verona 1745–1754. Siegesbeck, Johann Georg : Botanosophiae verioris brevis sciagraphia in usum discentium adornata ; accedit ob argumenti analogiam, Epicrisis in clar. Linnaei nuperrime evulgatum systema plantarum sexuale, et huic superstructam methodum botanicam, St. Petersburg 1737. Sloane, Hans : A voyage to the islands Madera, Barbados, Nieves, S. Christophers and Jamaica, with the natural history of the herbs and trees, fourfooted beasts, fishes, birds, insects, reptiles etc. of the last of those islands ; to which is prefixed an introduction, wherein is an account of the inhabitants, air, waters, diseases, trade, etc. of that place […], 2 Bde., London 1707–1725. Supplementum plantarum Systematis vegetabilium editionis decimae tertiae, Generum plantarum editionis sextae, et Specierum plantarum editionis secundae ; editum a Carolo a Linné, Braunschweig 1781, in : Allgemeine Deutsche Bibliothek 52/2 (1783), 419–22 [Rezension]. Sprengel, Kurt : Historia rei herbariae, 2 Bde., Amsterdam 1807. Thunberg, Carl Peter : Flora iaponica sistens plantas insularum iaponicarum secundum systema sexuale emendatum redactas ad XX classes, ordines, genera et species, Leipzig 1784. Tournefort, Joseph Pitton de : Elemens de botanique ou méthode pour connoître les plantes, Paris 1694. Ders.: Histoire des plantes qui naissent aux environs de Paris ; avec leur usage dans la médecine, Paris 1698.
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Register Allioni, Carlo 123 f., 126 f., 129 f. Arduino, Pietro 125, 129 Artedi, Peter 120 Bauhin, Caspar 38, 50, 52 f., 62, 81, 107, 156–157 Bauhin, Jean 38, 54 Bobart, Jacob 42 Boerhave, Herman 74, 121 f., 124 Boissier de Sauvages, François 121, 127 f., 130, 136 Brewer, Samuel 54 f., 94–101 Browallius, Johan 115 Brown, Littleton 54, 96 Burman, Johannes 121 f., 127, 147 Burman, Nicolaas Laurens 121, 129 Châtelain, Jean-Jacques 65, 67 Colonna, Fabio (Fabius Columna) 40, 108 Dale, Samuel 40, 42, 51, 54 Dent, Peter 36 Dick, Johann Jakob 65, 68 Dillenius, Johann Jakob 12, 17, 34, 48–56, 69, 74, 80–82, 94–100, 103 f., 106–110, 132–134 Doody, Samuel 42, 51 Ecluse, Charles de l’ (Carolus Clusius) 40 Forster, Johann Reinhold 171–173 Füssli, Johann Caspar 65 Gagnebin, Abraham 65 f. Georgi, Johann Gottlieb 168 Gesner, Conrad 15 Gessner, Johannes 60 f. Gmelin, Johann Friedrich 90 f. Gmelin, Johann Georg 111–115, 129 f. Gouan, Antoine 120, 131 f., 153 Gunnerus, Johan Ernst 148 Haller, Albrecht von 12, 17, 56–71, 73–75, 81 f., 102–106, 115, 121 f., 124 f., 127 f., 129–131, 132–135, 146
Hasselquist, Fredrik 120, 166 Hofer, Johannes 65 Houttuyn, Maarten 141 f., 144, 147 Huber, Johann Jakob 60, 62, 65, 67 Hulse, Edward 39 Jacquin, Nikolaus Joseph Freiherr von 12, 18, 75–79, 82–85, 87–90, 104, 123 f., 130–137, 169 Jussieu, Bernard de 103 f., 126, 128 Kaempfer, Engelbert 150 Klein, Jakob Theodor 120 König, Emanuel 60, 62 La Chenal, Werner de 65–67, 124 f. Linné, Carl von 9–15, 17, 30, 35, 57, 63 f., 69, 70 f., 73, 75–80, 82–91, 102–110, 113–115, 119, 121 f., 125–129, 130–137, 139–158, 160–167, 173 Lippert, Xaver Joseph 149 f. Ludwig, Christian G. 119 f. Martyn, John 99 f. Micheli, Pier Antonio 106 Mieg, Achilles 65 Miller, Philip 99 f., 146 Mouton-Fontenille, Marie Jacques Philippe 152 f., 156 Müller, Philipp Ludwig Statius 140–145 Obel, Mathias de l’ (Matthaeus Lobelius) 52 f. Oeder, Georg Christian von 121 f., 130 Osbeck, Pehr 31, 120, 159–173 Petiver, James 43, 51 Plot, Robert 43 Plukenet, Leonard 43, 45, 54, 109 Plumier, Charles 109 Ramspeck, Jacob Christoph 65 Rauthmell, Richard 99 f.
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Register
Ray, John 33–48, 51–53, 57, 59, 63, 107, 148 Richardson, Richard 50, 54–56, 74, 94–101 Robinson, Tancred 39, 43 Royen, Adriaan van 122, 124, 135 Ruppe, Heinrich Bernhard 132
Sloane, Hans 39, 43, 44–46, 97, 170 Stähelin, Benedikt 61 f. Thunberg, Carl Peter 147, 149 f. Tournefort, Joseph Pitton de 102, 108 Vaillant, Sébastien 101–104
Schreber, Johann Christian Daniel 168–172 Scopoli, Giovanni Antonio 89 f., 148 Sherard, James 74, 100 f. Sherard, William 34, 43, 50 f., 94, 97, 99 Siegesbeck, Johann Georg 110–115, 124
Weizenbeck, Georg Anton 151 f. Willughby, Francis 36 Wood, Robert 97